Unzertrennliche Drillinge?: Motivsemantische Untersuchungen Zum Literarischen Verhältnis Der Pastoralbriefe 3110292386, 9783110292381

Die Pastoralbriefe gelten seit Heinrich Julius Holtzmann als „unzertrennliche Drillinge". Interpretiert man diese B

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Unzertrennliche Drillinge?: Motivsemantische Untersuchungen Zum Literarischen Verhältnis Der Pastoralbriefe
 3110292386, 9783110292381

Table of contents :
Einleitung
I. Von „Paulusbriefen“ zu „Tritopaulinen“. Zur Begriffsgeschichte
1. Alte Kirche und Scholastik
2. Neuzeit
3. Zur Verwendung der Begrifflichkeit in dieser Arbeit
II. Die Verhältnisbestimmung der Pastoralbriefe in der exegetischen Literatur - ein Forschungsüberblick
1. Das 19. Jahrhundert
1.1 J.E.C. Schmidt und F.D.E. Schleiermacher: Die Sonderstellung des 1. Timotheusbriefes
1.2 Ein „Donnerschlag für viele Theologen“ – zur Wirkung des Schleiermacherschen Werkes
1.3 J.G. Eichhorn: Die Pastoralbriefe als literarische Einheit
1.4 W.M.L. De Wettes Symbiose der Ansätze Schleiermachers und Eichhorns als Lösung der Problematik um den 1. Timotheusbrief
1.5 F.C. Baur: Die Pseudonymität des 1. Timotheusbriefes als Ausgangspunkt für die Beurteilung der beiden anderen Pastoralbriefe
1.6 H.J. Holtzmann: Negative und positive Kritik – zur Einordnung der Pastoralbriefe
1.7 Tendenzen der Forschung 1
2. Das 20./21. Jahrhundert
2.1 Paulus als Verfasser der Pastoralbriefe
2.2 Weitere Versuche zur Erklärung der Pastoralbriefe als paulinischer Schriften
2.2.1 Die sogenannte Sekretärshypothese
2.2.2 Die sogenannte Fragmentenhypothese
2.2.3 Tendenzen der Forschung II
2.3 Die Pastoralbriefe als pseudepigraphisches Corpus
2.3.1 Von Martin Dibelius zu Peter Trummer: Die Pastoralbriefe als „Vademecum“
2.3.2 Peter Trummer: Die Pastoralbriefe als „literarisches Triptychon“
2.3.3 Die Zusammengehörigkeit der Pastoralbriefe als Postulat der Exegese
2.3.4 Die Pastoralbriefe als Briefroman
2.3.5 Tendenzen der Forschung III
2.4 Abschied vom Konsens? Drei Pastoralbriefe und kein Corpus Pastorale
2.4.1 Die Sonderstellung des 2. Timotheusbriefes: Konsequenzen für die Verfasserschaftsfrage
2.4.2 Der unterschiedliche Situationsbezug der Pastoralbriefe
2.4.3 Die Pastoralbriefe als Meilensteine auf dem Weg des nachpaulinischen Christentums
2.4.4 Tendenzen der Forschung IV
III. Zur Forschungssituation: Systematische Zusammenfassung und Methodenreflexion
IV. Motivsemantische Untersuchungen
1. Christologie und Soteriologie
1.1 σωτήρ als Gottes- und Christusepitheton in den Pastoralbriefen
1.1.1 Die Pastoralbriefe als Verfechter einer Retterchristologie? Zur Bedeutung des Wortfeldes in den Pastoralbriefen und in ihrem Umfeld
1.1.2 Das Vorkommen im Titusbrief
1.1.2.1 Tit 1,3f
1.1.2.2 Tit 2,10.11-14
1.1.2.3 Tit 3,4-7
1.1.2.4 Die Verwendung von Verb und Adjektiv
1.1.2.5 Zusammenfassung
1.1.3 Das Vorkommen im 1. Timotheusbrief
1.1.3.1 1Tim 1,1
1.1.3.2 1Tim 2,3f
1.1.3.3 1Tim 4,10
1.1.3.4 Die Verwendung der Verbform im 1. Timotheusbrief
1.1.3.5 Zusammenfassung
1.1.4 Das Vorkommen im 2. Timotheusbrief
1.1.4.1 2Tim 1,9f
1.1.4.2 Die Verwendung der weiteren Derivate im 2. Timotheusbrief
1.1.4.3 Zusammenfassung
1.1.5 Ergebnis
1.2 Die Rede von der ἐπιφάνεια Christi – ein christologisches Leitmotiv der Pastoralbriefe?
1.2.1 Der Wortstamm (ἐπι)φαν- als Spezifikum der Pastoralbriefe 166
1.2.2 Das Vorkommen im Titusbrief
1.2.2.1 Tit 2,11-13
1.2.2.2 Die Verwendung der Verbformen in Tit 2,11; 3,4 und 1,3
1.2.2.3 Zusammenfassung
1.2.3 Das Vorkommen im 1. Timotheusbrief
1.2.3.1 1Tim 6,14
1.2.3.2 Zur Verwendung von φανερόω in 1Tim 3,16 und von φανερός in 1Tim 4,15
1.2.3.3 Zusammenfassung
1.2.4 Das Vorkommen im 2. Timotheusbrief
1.2.4.1 2Tim 1,10
1.2.4.2 2Tim 4,1.8
1.2.4.3 Zur Verwendung der Verbform φανερόω in 2Tim 1,10
1.2.4.4 Zusammenfassung
1.2.5 Ergebnis
2. Ekklesiologie
2.1 Die „οἶκος-Ekklesiologie“ als Leitmotiv in den Pastoralbriefen
Exkurs: Die Bedeutung des Hauses in den neutestamentlichen Schriften als antiken Texten
2.1.1 Das Vorkommen im Titusbrief
2.1.1.1 οἶκος im Titusbrief
2.1.1.2 Derivate des οἶκος-Begriffs
2.1.1.2.1 Tit 1,7
2.1.1.2.2 Tit 2,5
2.1.1.3 Zusammenfassung
2.1.2 Das Vorkommen im 1. Timotheusbrief
2.1.2.1 οἶκος im 1. Timotheusbrief
2.1.2.1.1 1Tim 3,4f.12
2.1.2.1.2 1Tim 3,15
2.1.2.1.3 1Tim 5,4
2.1.2.2 οἰκία im 1. Timotheusbrief: 1Tim 5,13
2.1.2.3 Derivate des οἶκος-Begriffs
2.1.2.3.1 1Tim 1,4
2.1.2.3.2 1Tim 5,8
2.1.2.3.3 1Tim 5,14
2.1.2.4 Zusammenfassung
2.1.3 Das Vorkommen im 2. Timotheusbrief
2.1.3.1 οἶκος im 2. Timotheusbrief
2.1.3.2 οἰκία im 2. Timotheusbrief
2.1.3.2.1 2Tim 2,19-21
2.1.3.2.2 2Tim 3,6
2.1.3.3 Zusammenfassung
2.1.4 Zwischenergebnis
Exkurs: Das geordnete Hauswesen Gottes als ekklesiologische Basis der Pastoralbriefe?
2.1.5 Ergebnis
2.2 Die Ämterkirche der Pastoralbriefe
2.2.1 Die Pastoralbriefe als Aufweis für das „Prinzip des Amtes“
2.2.2 Das „Amt“ des πρεσβύτερος
2.2.2.1 Das Substantiv πρεσβύτερος im Titusbrief
2.2.2.2 πρεσβύτερος und πρεσβντέριον im 1. Timotheusbrief
2.2.2.2.1 1Tim 5,1
2.2.2.2.2 1Tim 5,17.19
2.2.2.2.3 1Tim 4,14
2.2.2.2.4 Zusammenfassung
2.2.2.3 Zwischenergebnis
2.2.3 Das Amt des ἐπίοκοπος
2.2.3.1 Tit 1,7
2.2.3.2 1Tim 3,2
2.2.3.3 Zwischenergebnis
2.2.4 Der Ritus der Handauflegung
Exkurs: Timotheus (und Titus) als Amtsträger?
2.2.4.1 Die Handauflegung im 1. Timotheusbrief
2.2.4.1.1 1Tim 4,14
2.2.4.1.2 1Tim 5,22
2.2.4.1.3 Zusammenfassung
2.2.4.2 Die Handauflegung im 2. Timotheusbrief: 2Tim 1,6
2.2.4.3 Zwischenergebnis
2.2.5 Die differenziertere Ämterstruktur des 1. Timotheusbriefes
2.2.5.1 1Tim 3,8-13 (διάκονος)
2.2.5.2 1Tim 5,3-16 (χήρα)
2.2.5.3 Zusammenfassung
2.2.6 Zwischenergebnis
2.3 Gesamtergebnis
Exkurs: Der Terminus εὐσέβεια in den Pastoralbriefen
3. Häresiologie
3.1 Die Irrlehrer in den Pastoralbriefen
3.2 Die Rede von den μύθοι, in den Pastoralbriefen
3.2.1 Tit 1,14
3.2.2 Das Vorkommen im 1. Timotheusbrief
3.2.2.1 1Tim 1,4
3.2.2.2 1Tim 4,7
3.2.2.3 Zusammenfassung
Exkurs: Die Antithesen der fälschlich so genannten Gnosis (1Tim 6,20)
3.2.3 2Tim 4,4
3.2.4 Zwischenergebnis
3.3 Die Rede von den γενεαλογίαι in den Pastoralbriefen
3.3.1 Tit 3,9
3.3.2 1Tim 1,4
3.3.3 Zwischenergebnis
3.4 Die namentliche Benennung von Irrlehrern
3.4.1 Namen im Titusbrief
3.4.2 Namen im 1. Timotheusbrief (1Tim 1,20)
3.4.3 Namen im 2. Timotheusbrief
3.4.3.1 Phygelos und Hermogenes (2Tim 1,15)
3.4.3.2 Hymenaios und Philetos (2Tim 2,17)
3.4.3.3 2Tim 4: Demas (V.10) und Alexander der Schmied (V.14)
3.4.3.4 Zusammenfassung
3.4.4 Zwischenergebnis
3.5 Gesamtergebnis
4. Das Paulusbild
4.1 Der Paulus der Pastoralbriefe
4.2 Die Briefpräskripte als Selbstvorstellung des „Paulus“
4.2.1 Das Präskript des Titusbriefes
4.2.2 Das Präskript des 1. Timotheusbriefes
4.2.3 Das Präskript des 2. Timotheusbriefes
4.2.4 Zusammenfassung
4.3 Die persönlichen Notizen und Paulusanamnesen der Pastoralbriefe
4.3.1 Persönliche Notizen im Titusbrief: Tit 3,12f
4.3.2 Persönliche Notizen im 2. Timotheusbrief
4.3.2.1 2Tim 1,15-18
4.3.2.2 2Tim 3,10f
4.3.2.3 2Tim 4
4.3.2.3.1 2Tim 4,6-8
4.3.2.3.2 2Tim 4,9-22
4.3.2.3.3 Zusammenfassung
4.3.3 Paulusanamnesen
4.3.3.1 Paulusanamnesen im 1. Timotheusbrief
4.3.3.1.1 1Tim 1,12-17
4.3.3.1.2 Weitere sogenannte Paulusanamnesen im 1. Timotheusbrief: 1Tim 2,7; 3,14f; 4,13
4.3.3.2 Paulusanamnesen im 2. Timotheusbrief
4.3.3.2.1 2Tim 1,3-5
4.3.3.2.2 2Tim 1,11
4.3.4 Zusammenfassung
4.4 Gesamtergebnis
Exkurs: Der Terminus παραθήκη in den Pastoralbriefen
V. Zusammenfassung: Das Profil der Pastoralbriefe im Vergleich. Zugleich ein Versuch einer situativen Verortung
1. Der 2. Timotheusbrief
2. Der Titusbrief
3. Der 1. Timotheusbrief
VI. Abschluss und Ausblick
Literaturverzeichnis
Stellenregister
Register griechischer Begriffe
Sach- und Personenregister

Citation preview

Michaela Engelmann Unzertrennliche Drillinge?

Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche

Herausgegeben von

James D. G. Dunn · Carl R. Holladay Hermann Lichtenberger · Jens Schröter Gregory E. Sterling · Michael Wolter

Band 192

De Gruyter

Michaela Engelmann

Unzertrennliche Drillinge? Motivsemantische Untersuchungen zum literarischen Verhältnis der Pastoralbriefe

De Gruyter

ISBN 978-3-11-029238-1 e-ISBN 978-3-11-029240-4 ISSN 0171-6441 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. 쑔 2012 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/Boston Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ⬁ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

„Dennȱ wennȱ wirȱ nunȱ nebenȱ jenerȱ Masseȱ vonȱ ausschließendȱ eigenȬ thümlichenȱWörternȱinȱderȱSpracheȱAehnlichkeitenȱundȱUebereinstimȬ mungenȱ finden,ȱ sieȱ sichȱ bisȱ zumȱ Scheineȱ derȱ Copieȱ undȱ desȱ Plagiatsȱ steigern,ȱundȱwennȱunsȱdieserȱScheinȱzurȱunläugbarenȱWahrheitȱwirdȱ dadurchȱ daßȱ sichȱ Mißverständnisseȱ aufzeigenȱ lassenȱ undȱ SchwierigȬ keitenȱ dieȱ nurȱ erklärtȱ werdenȱ können,ȱ wennȱ manȱ eineȱ Uebertragungȱ annimmtȱ ausȱ einemȱ Briefeȱ inȱ denȱ andern;ȱ dannȱ hoffeȱ ich,ȱ werdenȱ Sieȱ mirȱwenigȱmehrȱentgegenzusezenȱhaben.“ȱȱ (F.D.E.ȱSchleiermacher,ȱUeberȱdenȱsogenanntenȱerstenȱBriefȱdesȱPaulosȱ anȱdenȱTimotheosȱ[1807],ȱ78f)ȱ ȱ

ȱ

Vorwortȱ ȱ ȱ Dieȱ vorliegendeȱ Untersuchungȱ wurdeȱ imȱ Wintersemesterȱ 2011/12ȱ vonȱ derȱ Theologischenȱ Fakultätȱ derȱ Universitätȱ Leipzigȱ alsȱ DissertationsȬ schriftȱangenommen.ȱFürȱdenȱDruckȱwurdeȱsieȱnunȱleichtȱüberarbeitet.ȱ SeitȱAbgabeȱderȱArbeitȱerschieneneȱLiteraturȱzumȱThemaȱkonnteȱdabeiȱ nurȱnochȱinȱAuszügenȱberücksichtigtȱwerden.ȱ Vieleȱ Menschenȱ habenȱ michȱ beiȱ derȱ Entstehungȱ diesesȱ Buchesȱ beȬ gleitetȱundȱunterstützt.ȱȱ Anȱ ersterȱ Stelleȱ istȱ dabeiȱ meinȱ Doktorvater,ȱ Prof.ȱ Dr.ȱ Jensȱ Herzer,ȱ zuȱ nennen,ȱ derȱ michȱ währendȱ meinerȱ Zeitȱ alsȱ Assistentinȱ anȱ seinemȱ LehrstuhlȱinȱumfassenderȱWeiseȱgefördertȱhat.ȱDerȱgemeinsamenȱForȬ schungsarbeitȱ undȱ denȱ anregendenȱ Diskussionenȱ verdankeȱ ichȱ dieȱ Motivation,ȱ michȱ immerȱ wiederȱ neuȱ anȱ dasȱ Rätselȱ derȱ Pastoralbriefeȱ heranzuwagen.ȱ Wertvolleȱ Anregungenȱ erhieltȱ ichȱ auchȱ durchȱ dieȱ Gesprächeȱ mitȱ meinenȱ Kolleginnenȱ undȱ Kollegenȱ anȱ derȱ Leipzigerȱ Fakultät.ȱ Unterȱ ihnenȱ sindȱ Ninaȱ Schumann,ȱ Christineȱ Jacobi,ȱ Annetteȱ Graeber,ȱ Dr.ȱ ThorstenȱKlein,ȱDr.ȱJoramȱLuttenbergerȱundȱbesondersȱDr.ȱMartinȱHüȬ neburgȱhervorzuheben,ȱderenȱfachlicherȱundȱpersönlicherȱRatȱmaßgebȬ lichȱzurȱEntstehungȱdieserȱArbeitȱbeigetragenȱhat.ȱ Dankȱ gebührtȱ auchȱ Prof.ȱ Dr.ȱ Marcoȱ Frenschkowskiȱ fürȱ dieȱ ErstelȬ lungȱ desȱ Zweitgutachtensȱ sowieȱ denȱ Herausgebernȱ fürȱ dieȱAufnahmeȱ inȱdieȱReiheȱ„BeihefteȱzurȱZeitschriftȱfürȱdieȱneutestamentlicheȱWissenȬ schaft“.ȱ Unterȱ denȱ Mitarbeiternȱ desȱ Verlagsȱ Walterȱ deȱ Gruyterȱ istȱ beȬ sondersȱ Sabinaȱ Dabrowskiȱ zuȱ nennen,ȱ dieȱ mirȱ alsȱ Ansprechpartnerinȱ eineȱwichtigeȱHilfeȱwar.ȱBeiȱallenȱtechnischenȱFragenȱwährendȱderȱAnȬ fertigungȱ desȱ Manuskriptsȱ standȱ mirȱ zudemȱ Vikarȱ Timoȱ Rucksȱ beraȬ tendȱzurȱSeite.ȱ Nicoleȱ Oesterreichȱ unterstützteȱ michȱ beiȱ derȱ Erstellungȱ derȱ RegisȬ ter.ȱ Dieȱ mühevolleȱ Kleinarbeitȱ desȱ Korrekturlesensȱ teiltenȱ sichȱ meineȱ Elternȱ Birgitȱ undȱ KarlȬWilhelmȱ Nowakȱ undȱ meineȱ Schwiegermutterȱ LieselotteȱEngelmann.ȱȱ Dassȱ diesesȱ Buchȱ nunȱ erscheinenȱ kann,ȱ verdankeȱ ichȱ nichtȱ zuletztȱ derȱUnterstützungȱmeinesȱMannesȱDr.ȱdes.ȱTillȱEngelmannȱundȱmeinerȱ Eltern.ȱSieȱwarenȱstetsȱbereit,ȱihreȱeigeneȱZeitȱinȱdenȱDienstȱdieserȱArȬ

VIIIȱ

Vorwortȱ

beitȱzuȱstellenȱundȱmirȱsoȱaufȱjedeȱerdenklicheȱWeiseȱzurȱSeiteȱzuȱsteȬ hen.ȱ Gewidmetȱ istȱ dieseȱ Doktorarbeitȱ meinerȱ kleinenȱ Tochterȱ Paulina,ȱ dieȱinȱdenȱletztenȱMonatenȱleiderȱvielȱzuȱoftȱaufȱihreȱMamaȱverzichtenȱ musste.ȱ ȱ ȱ ȱ Gadenstedt,ȱimȱSommerȱ2012ȱȱȱȱȱȱ ȱ ȱȱȱȱMichaelaȱEngelmannȱ ȱ

ȱ

Inhaltsverzeichnisȱ ȱ ȱ Einleitung ................................................................................................................. ȱ 1ȱ I.ȱ

ȱ Vonȱ„Paulusbriefen“ȱzuȱ„Tritopaulinen“.ȱȱ ZurȱBegriffsgeschichte ............................................................................. ȱ 4ȱ

1.ȱ

ȱ AlteȱKircheȱundȱScholastik ...................................................................... ȱ 4ȱ

2.ȱ

ȱ Neuzeit....................................................................................................... ȱ 5ȱ

3.ȱ

ȱ ZurȱVerwendungȱderȱBegrifflichkeitȱinȱdieserȱArbeit ......................... ȱ 8ȱ

ȱ II.ȱ

ȱ DieȱVerhältnisbestimmungȱderȱPastoralbriefeȱȱ inȱderȱexegetischenȱLiteraturȱ–ȱeinȱForschungsüberblick.................... ȱ 10ȱ

1.ȱ

ȱ Dasȱ19.ȱJahrhundert.................................................................................. ȱ 10ȱ

1.1ȱ

ȱ J.E.C.ȱSchmidtȱundȱF.D.E.ȱSchleiermacher:ȱȱ DieȱSonderstellungȱdesȱ1.ȱTimotheusbriefes......................................... ȱ 11ȱ

1.2ȱ

ȱ Einȱ„DonnerschlagȱfürȱvieleȱTheologen“ȱ–ȱȱ zurȱWirkungȱdesȱSchleiermacherschenȱWerkes ................................... ȱ 14ȱ

1.3ȱ

ȱ J.G.ȱEichhorn:ȱDieȱPastoralbriefeȱalsȱliterarischeȱEinheit..................... ȱ 17ȱ

1.4ȱ

ȱ W.M.L.ȱDeȱWettesȱSymbioseȱderȱAnsätzeȱSchleiermachersȱundȱ EichhornsȱalsȱLösungȱderȱProblematikȱumȱdenȱ1.ȱTimotheusbrief.... ȱ 19ȱ

1.5ȱ

ȱ F.C.ȱBaur:ȱDieȱPseudonymitätȱdesȱ1.ȱTimotheusbriefesȱalsȱ Ausgangspunktȱȱ fürȱdieȱBeurteilungȱderȱbeidenȱanderenȱPastoralbriefe ....................... ȱ 21ȱ

1.6ȱȱ

ȱ H.J.ȱHoltzmann:ȱNegativeȱundȱpositiveȱKritikȱ–ȱȱ zurȱEinordnungȱderȱPastoralbriefe......................................................... ȱ 24ȱ

1.7ȱ

ȱ TendenzenȱderȱForschungȱI..................................................................... ȱ 29ȱ

2.ȱ

ȱ Dasȱ20./21.ȱJahrhundert............................................................................ ȱ 33ȱ

2.1ȱ

ȱ PaulusȱalsȱVerfasserȱderȱPastoralbriefe.................................................. ȱ 33ȱ

2.2ȱ

ȱ WeitereȱVersucheȱzurȱErklärungȱderȱPastoralbriefeȱȱ alsȱpaulinischerȱSchriften......................................................................... ȱ 42ȱ

2.2.1ȱ ȱ DieȱsogenannteȱSekretärshypothese ...................................................... ȱ 42ȱ 2.2.2ȱȱ ȱ DieȱsogenannteȱFragmentenhypothese.................................................. ȱ 50ȱ 2.2.3ȱȱ ȱ TendenzenȱderȱForschungȱII ................................................................... ȱ 53ȱ

Xȱ 2.3ȱ

Inhaltsverzeichnisȱ

ȱ DieȱPastoralbriefeȱalsȱpseudepigraphischesȱCorpus............................ ȱ 56ȱ

2.3.1ȱ ȱ VonȱMartinȱDibeliusȱzuȱPeterȱTrummer:ȱȱ DieȱPastoralbriefeȱalsȱ„Vademecum“..................................................... ȱ 57ȱ 2.3.2ȱ ȱ PeterȱTrummer:ȱDieȱPastoralbriefeȱalsȱ„literarischesȱTriptychon“..... ȱ 60ȱ 2.3.3ȱ ȱ DieȱZusammengehörigkeitȱderȱPastoralbriefeȱȱ alsȱPostulatȱderȱExegese........................................................................... ȱ 65ȱ 2.3.4ȱ ȱ DieȱPastoralbriefeȱalsȱBriefroman........................................................... ȱ 80ȱ 2.3.5ȱ ȱ TendenzenȱderȱForschungȱIII .................................................................. ȱ 88ȱ 2.4ȱ

ȱ AbschiedȱvomȱKonsens?ȱDreiȱPastoralbriefeȱȱ undȱkeinȱCorpusȱPastorale ...................................................................... ȱ 90ȱ

2.4.1ȱ ȱ DieȱSonderstellungȱdesȱ2.ȱTimotheusbriefes:ȱȱ KonsequenzenȱfürȱdieȱVerfasserschaftsfrage........................................ ȱ 90ȱ 2.4.2ȱ ȱ DerȱunterschiedlicheȱSituationsbezugȱderȱPastoralbriefe ................... ȱ 94ȱ 2.4.3ȱ ȱ DieȱPastoralbriefeȱalsȱMeilensteineȱaufȱdemȱWegȱȱ desȱnachpaulinischenȱChristentums ...................................................... ȱ 98ȱ 2.4.4ȱ ȱ TendenzenȱderȱForschungȱIV.................................................................. ȱ105ȱ ȱ III.ȱ

ȱ ZurȱForschungssituation:ȱSystematischeȱ ZusammenfassungȱundȱMethodenreflexion......................................... ȱ107ȱ

ȱ IV.ȱ

ȱ MotivsemantischeȱUntersuchungen....................................................... ȱ118ȱ

1.ȱ

ȱ ChristologieȱundȱSoteriologie ................................................................. ȱ118ȱ

1.1ȱ

ȱ swth,rȱalsȱGottesȬȱundȱChristusepithetonȱinȱdenȱPastoralbriefenȱ....... ȱ118ȱ

1.1.1ȱ ȱ DieȱPastoralbriefeȱalsȱVerfechterȱeinerȱRetterchristologie?ȱZurȱ BedeutungȱdesȱWortfeldesȱinȱdenȱPastoralbriefenȱȱ undȱinȱihremȱUmfeld ............................................................................... ȱ118ȱ 1.1.2ȱ ȱ DasȱVorkommenȱimȱTitusbrief ............................................................... ȱ121ȱ 1.1.2.1ȱ Titȱ1,3fȱ........................................................................................................ ȱ122ȱ 1.1.2.2ȱ Titȱ2,10.11–14 ............................................................................................. ȱ123ȱ 1.1.2.3ȱ Titȱ3,4–7 ...................................................................................................... ȱ128ȱ 1.1.2.4ȱ DieȱVerwendungȱvonȱVerbȱundȱAdjektiv ............................................. ȱ130ȱ 1.1.2.5ȱ Zusammenfassung ................................................................................... ȱ131ȱ 1.1.3ȱ ȱ DasȱVorkommenȱimȱ1.ȱTimotheusbrief.................................................. ȱ132ȱ 1.1.3.1ȱ 1Timȱ1,1...................................................................................................... ȱ132ȱ 1.1.3.2ȱ 1Timȱ2,3f .................................................................................................... ȱ133ȱ

Inhaltsverzeichnisȱ

XIȱ

1.1.3.3ȱ 1Timȱ4,10.................................................................................................... ȱ135ȱ 1.1.3.4ȱ DieȱVerwendungȱderȱVerbformȱimȱ1.ȱTimotheusbrief ........................ ȱ136ȱ 1.1.3.5ȱ Zusammenfassung ................................................................................... ȱ139ȱ 1.1.4ȱ ȱ DasȱVorkommenȱimȱ2.ȱTimotheusbrief.................................................. ȱ140ȱ 1.1.4.1ȱ 2Timȱ1,9f .................................................................................................... ȱ141ȱ 1.1.4.2ȱ DieȱVerwendungȱderȱweiterenȱDerivateȱimȱ2.ȱTimotheusbrief .......... ȱ143ȱ 1.1.4.3ȱ Zusammenfassung ................................................................................... ȱ148ȱ 1.1.5ȱ ȱ Ergebnis ..................................................................................................... ȱ148ȱ 1.2ȱ

ȱ DieȱRedeȱvonȱderȱevpifa,neiaȱChristiȱ–ȱ einȱchristologischesȱLeitmotivȱderȱPastoralbriefe?............................... ȱ150ȱ

1.2.1ȱ ȱ DerȱWortstammȱ(evpi)fanȬȱalsȱSpezifikumȱderȱPastoralbriefe.............. ȱ150ȱ 1.2.2ȱ ȱ DasȱVorkommenȱimȱTitusbrief ............................................................... ȱ153ȱ 1.2.2.1ȱ Titȱ2,11–13 .................................................................................................. ȱ153ȱ 1.2.2.2ȱ DieȱVerwendungȱderȱVerbformenȱinȱTitȱ2,11;ȱ3,4ȱundȱ1,3 .................. ȱ155ȱ 1.2.2.3ȱ Zusammenfassung ................................................................................... ȱ157ȱ 1.2.3ȱ ȱ DasȱVorkommenȱimȱ1.ȱTimotheusbrief.................................................. ȱ158ȱ 1.2.3.1ȱ 1Timȱ6,14.................................................................................................... ȱ158ȱ 1.2.3.2ȱ ZurȱVerwendungȱvonȱfanero,wȱinȱ1Timȱ3,16ȱȱ undȱvonȱfanero,jȱinȱ1Timȱ4,15 .................................................................. ȱ162ȱ 1.2.3.3ȱ Zusammenfassung ................................................................................... ȱ163ȱ 1.2.4ȱ ȱ DasȱVorkommenȱimȱ2.ȱTimotheusbrief.................................................. ȱ164ȱ 1.2.4.1ȱ 2Timȱ1,10.................................................................................................... ȱ164ȱ 1.2.4.2ȱ 2Timȱ4,1.8................................................................................................... ȱ166ȱ 1.2.4.3ȱ ZurȱVerwendungȱderȱVerbformȱfanero,wȱinȱ2Timȱ1,10 ........................ ȱ172ȱ 1.2.4.4ȱ Zusammenfassung ................................................................................... ȱ172ȱ 1.2.5ȱ ȱ Ergebnis ..................................................................................................... ȱ174ȱ 2.ȱ

ȱ Ekklesiologie ............................................................................................. ȱ177ȱ

2.1ȱ

ȱ Dieȱ„oi=kojȬEkklesiologie“ȱalsȱLeitmotivȱinȱdenȱPastoralbriefen ......... ȱ177ȱ

ȱ

ȱ Exkurs:ȱDieȱBedeutungȱdesȱHausesȱinȱdenȱneutestamentlichenȱȱ SchriftenȱalsȱantikenȱTexten .................................................................... ȱ182ȱ

2.1.1ȱȱ ȱ DasȱVorkommenȱimȱTitusbrief ............................................................... ȱ184ȱ 2.1.1.1ȱ oi=kojȱimȱTitusbrief..................................................................................... ȱ185ȱ 2.1.1.2ȱ Derivateȱdesȱoi=kojȬBegriffs....................................................................... ȱ186ȱ

XIIȱ

Inhaltsverzeichnisȱ

2.1.1.2.1ȱȱTitȱ1,7 ......................................................................................................... ȱ187ȱ 2.1.1.2.2ȱȱTitȱ2,5 ......................................................................................................... ȱ190ȱ 2.1.1.3ȱ Zusammenfassung ................................................................................... ȱ190ȱ 2.1.2ȱ ȱ DasȱVorkommenȱimȱ1.ȱTimotheusbrief.................................................. ȱ191ȱ 2.1.2.1ȱ oi=kojȱimȱ1.ȱTimotheusbrief ....................................................................... ȱ192ȱ 2.1.2.1.1ȱ1Timȱ3,4f.12 ............................................................................................... ȱ192ȱ 2.1.2.1.2ȱ1Timȱ3,15.................................................................................................... ȱ195ȱ 2.1.2.1.3ȱ1Timȱ5,4...................................................................................................... ȱ204ȱ 2.1.2.2ȱ oivki,aȱimȱ1.ȱTimotheusbrief:ȱ1Timȱ5,13.................................................... ȱ205ȱ 2.1.2.3ȱ Derivateȱdesȱoi=kojȬBegriffs....................................................................... ȱ205ȱ 2.1.2.3.1ȱ1Timȱ1,4...................................................................................................... ȱ205ȱ 2.1.2.3.2ȱ1Timȱ5,8...................................................................................................... ȱ207ȱ 2.1.2.3.3ȱ1Timȱ5,14.................................................................................................... ȱ208ȱ 2.1.2.4ȱ Zusammenfassung ................................................................................... ȱ209ȱ 2.1.3ȱ ȱ DasȱVorkommenȱimȱ2.ȱTimotheusbrief.................................................. ȱ209ȱ 2.1.3.1ȱ oi=kojȱimȱ2.ȱTimotheusbrief ....................................................................... ȱ210ȱ 2.1.3.2ȱ oivki,aȱimȱ2.ȱTimotheusbrief....................................................................... ȱ211ȱ 2.1.3.2.1ȱ2Timȱ2,19–21.............................................................................................. ȱ211ȱ 2.1.3.2.2ȱ2Timȱ3,6...................................................................................................... ȱ220ȱ 2.1.3.3ȱ Zusammenfassung ................................................................................... ȱ221ȱ 2.1.4ȱ ȱ Zwischenergebnis..................................................................................... ȱ222ȱ ȱ

ȱ Exkurs:ȱDasȱgeordneteȱHauswesenȱGottesȱalsȱekklesiologischeȱȱ BasisȱderȱPastoralbriefe? .......................................................................... ȱ223ȱ

2.1.5ȱ ȱ Ergebnis ..................................................................................................... ȱ232ȱ 2.2ȱ

ȱ DieȱÄmterkircheȱderȱPastoralbriefe ....................................................... ȱ235ȱ

2.2.1ȱ ȱ DieȱPastoralbriefeȱalsȱAufweisȱfürȱdasȱ„PrinzipȱdesȱAmtes“ ............. ȱ235ȱ 2.2.2ȱ ȱ Dasȱ„Amt“ȱdesȱpresbu,teroj ...................................................................... ȱ237ȱ 2.2.2.1ȱ DasȱSubstantivȱpresbu,terojȱimȱTitusbrief ............................................... ȱ240ȱ 2.2.2.2ȱ presbu,terojȱundȱpresbute,rionȱimȱ1.ȱTimotheusbrief............................... ȱ247ȱ 2.2.2.2.1ȱ1Timȱ5,1...................................................................................................... ȱ247ȱ 2.2.2.2.2ȱ1Timȱ5,17.19............................................................................................... ȱ247ȱ 2.2.2.2.3ȱ1Timȱ4,14.................................................................................................... ȱ260ȱ

Inhaltsverzeichnisȱ

XIIIȱ

2.2.2.2.4ȱZusammenfassung ................................................................................... ȱ261ȱ 2.2.2.3ȱ Zwischenergebnis..................................................................................... ȱ263ȱ 2.2.3ȱ ȱ DasȱAmtȱdesȱevpi,skopoj.............................................................................. ȱ265ȱ 2.2.3.1ȱ Titȱ1,7.......................................................................................................... ȱ266ȱ 2.2.3.2ȱ 1Timȱ3,2...................................................................................................... ȱ270ȱ 2.2.3.3ȱ Zwischenergebnis..................................................................................... ȱ281ȱ 2.2.4ȱ ȱ DerȱRitusȱderȱHandauflegung ................................................................ ȱ284ȱ ȱ

Exkurs:ȱTimotheusȱ(undȱTitus)ȱalsȱAmtsträger?................................... ȱ286ȱ

2.2.4.1ȱ DieȱHandauflegungȱimȱ1.ȱTimotheusbrief ............................................ ȱ290ȱ 2.2.4.1.1ȱ1Timȱ4,14.................................................................................................... ȱ290ȱ 2.2.4.1.2ȱ1Timȱ5,22.................................................................................................... ȱ298ȱ 2.2.4.1.3ȱZusammenfassung ................................................................................... ȱ300ȱ 2.2.4.2ȱ DieȱHandauflegungȱimȱ2.ȱTimotheusbrief:ȱ2Timȱ1,6............................ ȱ301ȱ 2.2.4.3ȱ Zwischenergebnis..................................................................................... ȱ305ȱ 2.2.5ȱ ȱ DieȱdifferenziertereȱÄmterstrukturȱdesȱ1.ȱTimotheusbriefes.............. ȱ306ȱ 2.2.5.1ȱ 1Timȱ3,8–13ȱ(dia,konoj) .............................................................................. ȱ306ȱ 2.2.5.2ȱ 1Timȱ5,3–16ȱ(ch,ra)..................................................................................... ȱ317ȱ 2.2.5.3ȱ Zusammenfassung ................................................................................... ȱ332ȱ 2.2.6ȱ ȱ Zwischenergebnis..................................................................................... ȱ333ȱ 2.3ȱ

ȱ Gesamtergebnis ........................................................................................ ȱ337ȱ

Exkurs:ȱȱDerȱTerminusȱeuvse,beiaȱinȱdenȱPastoralbriefen....................................... ȱ345ȱ 3.ȱ

ȱ Häresiologie .............................................................................................. ȱ364ȱ

3.1ȱ

ȱ DieȱIrrlehrerȱinȱdenȱPastoralbriefen ....................................................... ȱ364ȱ

3.2ȱ

ȱ DieȱRedeȱvonȱdenȱmu,qoiȱinȱdenȱPastoralbriefen .................................... ȱ370ȱ

3.2.1ȱ ȱ Titȱ1,14........................................................................................................ ȱ370ȱ 3.2.2ȱ ȱ DasȱVorkommenȱimȱ1.ȱTimotheusbrief.................................................. ȱ379ȱ 3.2.2.1ȱ 1Timȱ1,4...................................................................................................... ȱ379ȱ 3.2.2.2ȱ 1Timȱ4,7...................................................................................................... ȱ385ȱ 3.2.2.3ȱ Zusammenfassungȱ .................................................................................. ȱ393ȱ ȱ

Exkurs:ȱDieȱAntithesenȱderȱfälschlichȱȱ soȱgenanntenȱGnosisȱ(1Timȱ6,20) ............................................................ ȱ394ȱ

3.2.3ȱ ȱ 2Timȱ4,4...................................................................................................... ȱ398ȱ

XIVȱ

Inhaltsverzeichnisȱ

3.2.4ȱ ȱ Zwischenergebnis..................................................................................... ȱ400ȱ 3.3ȱ

ȱ DieȱRedeȱvonȱdenȱgenealogi,aiȱinȱdenȱPastoralbriefen .......................... ȱ401ȱ

3.3.1ȱ ȱ Titȱ3,9.......................................................................................................... ȱ402ȱ 3.3.2ȱ ȱ 1Timȱ1,4...................................................................................................... ȱ406ȱ 3.3.3ȱ ȱ Zwischenergebnis..................................................................................... ȱ407ȱ 3.4ȱ

ȱ DieȱnamentlicheȱBenennungȱvonȱIrrlehrern ......................................... ȱ408ȱ

3.4.1ȱ ȱ NamenȱimȱTitusbrief ................................................................................ ȱ408ȱ 3.4.2ȱ ȱ Namenȱimȱ1.ȱTimotheusbriefȱ(1Timȱ1,20).............................................. ȱ408ȱ 3.4.3ȱ ȱ Namenȱimȱ2.ȱTimotheusbrief .................................................................. ȱ414ȱ 3.4.3.1ȱ PhygelosȱundȱHermogenesȱ(2Timȱ1,15)................................................. ȱ414ȱ 3.4.3.2ȱ HymenaiosȱundȱPhiletosȱ(2Timȱ2,17) ..................................................... ȱ416ȱ 3.4.3.3ȱ 2Timȱ4:ȱDemasȱ(V.10)ȱundȱAlexanderȱderȱSchmiedȱ(V.14).................. ȱ424ȱ 3.4.3.4ȱ Zusammenfassung ................................................................................... ȱ426ȱ 3.4.4ȱ ȱ Zwischenergebnis..................................................................................... ȱ427ȱ 3.5ȱ

ȱ Gesamtergebnis ........................................................................................ ȱ429ȱ

4.ȱ

ȱ DasȱPaulusbild .......................................................................................... ȱ433ȱ

4.1ȱ

ȱ DerȱPaulusȱderȱPastoralbriefe ................................................................. ȱ433ȱ

4.2ȱ

ȱ DieȱBriefpräskripteȱalsȱSelbstvorstellungȱdesȱ„Paulus“ ...................... ȱ435ȱ

4.2.1ȱ ȱ DasȱPräskriptȱdesȱTitusbriefes ................................................................ ȱ436ȱ 4.2.2ȱ ȱ DasȱPräskriptȱdesȱ1.ȱTimotheusbriefes................................................... ȱ447ȱ 4.2.3ȱ ȱ DasȱPräskriptȱdesȱ2.ȱTimotheusbriefes................................................... ȱ452ȱ 4.2.4ȱ ȱ Zusammenfassung ................................................................................... ȱ457ȱ 4.3ȱ

ȱ DieȱpersönlichenȱNotizenȱundȱPaulusanamnesenȱȱ derȱPastoralbriefe...................................................................................... ȱ459ȱ

4.3.1ȱ ȱ PersönlicheȱNotizenȱimȱTitusbrief:ȱTitȱ3,12f.......................................... ȱ461ȱ 4.3.2ȱ ȱ PersönlicheȱNotizenȱimȱ2.ȱTimotheusbrief ............................................ ȱ468ȱ 4.3.2.1ȱ 2Timȱ1,15–18.............................................................................................. ȱ469ȱ 4.3.2.2ȱ 2Timȱ3,10f .................................................................................................. ȱ472ȱ 4.3.2.3ȱ 2Timȱ4......................................................................................................... ȱ475ȱ 4.3.2.3.1ȱ2Timȱ4,6–8.................................................................................................. ȱ476ȱ 4.3.2.3.2ȱ2Timȱ4,9–22................................................................................................ ȱ483ȱ 4.3.2.3.3ȱZusammenfassung ................................................................................... ȱ504ȱ

Inhaltsverzeichnisȱ

XVȱ

4.3.3ȱ ȱ Paulusanamnesen ..................................................................................... ȱ505ȱ 4.3.3.1ȱ Paulusanamnesenȱimȱ1.ȱTimotheusbrief................................................ ȱ505ȱ 4.3.3.1.1ȱ1Timȱ1,12–17.............................................................................................. ȱ506ȱ 4.3.3.1.2ȱWeitereȱsogenannteȱPaulusanamnesenȱimȱ1.ȱTimotheusbrief:ȱȱ 1Timȱ2,7;ȱ3,14f;ȱ4,13................................................................................... ȱ519ȱ 4.3.3.2ȱ Paulusanamnesenȱimȱ2.ȱTimotheusbrief................................................ ȱ522ȱ 4.3.3.2.1ȱ2Timȱ1,3–5.................................................................................................. ȱ522ȱ 4.3.3.2.2ȱ2Timȱ1,11.................................................................................................... ȱ528ȱ 4.3.4ȱ ȱ Zusammenfassung ................................................................................... ȱ528ȱ 4.4ȱ

ȱ Gesamtergebnis ........................................................................................ ȱ532ȱ

Exkurs:ȱȱDerȱTerminusȱparaqh,khȱinȱdenȱPastoralbriefen ..................................... ȱ536ȱ ȱ V.ȱȱ

ȱ Zusammenfassung:ȱDasȱProfilȱderȱPastoralbriefeȱimȱVergleich.ȱȱ ZugleichȱeinȱVersuchȱeinerȱsituativenȱVerortung ................................ ȱ559ȱ

1.ȱ

ȱ Derȱ2.ȱTimotheusbrief .............................................................................. ȱ561ȱ

2.ȱ

ȱ DerȱTitusbrief ............................................................................................ ȱ573ȱ

3.ȱ

ȱ Derȱ1.ȱTimotheusbrief .............................................................................. ȱ581ȱ

ȱ VI.ȱ

ȱ AbschlussȱundȱAusblick .......................................................................... ȱ598ȱ

ȱ Literaturverzeichnis ................................................................................................ ȱ603ȱ ȱ Stellenregister........................................................................................................... ȱ647ȱ ȱ RegisterȱgriechischerȱBegriffe ................................................................................ ȱ683ȱ ȱ SachȬȱundȱPersonenregister.................................................................................... ȱ685ȱ ȱ

Einleitungȱ

Einleitungȱ ȱ ȱ Dieȱ dreiȱ Mitarbeiterschreibenȱ desȱ Apostelsȱ Paulus,ȱ davonȱ zweiȱ anȱ TiȬ motheusȱundȱeinesȱanȱTitus,ȱkurz:ȱdieȱPastoralbriefeȱ(Past),ȱgehörenȱzuȱ denȱ „erstȱ bestürmtenȱ Fortsȱ derȱ Festungȱ traditionellerȱ Anschauungenȱ vomȱKanon“1.ȱSeitdemȱdieȱFrageȱihrerȱAuthentizitätȱdurchȱSchleiermaȬ cherȱ unübersehbarȱ aufgeworfenȱ wurde,ȱ sindȱ sieȱ Gegenstandȱ kontroȬ versesterȱ Diskussionȱ geworden.ȱ Sindȱ sieȱ undȱ besondersȱ 2Timȱ fürȱ dieȱ einenȱderȱunmittelbarsteȱundȱechtesteȱAusdruckȱdessen,ȱwasȱdenȱgroȬ ßenȱ Heidenapostelȱ bewegt,2ȱ soȱ beschreibenȱ andereȱ sieȱ alsȱ „notȱ onlyȱ postȬapostolicȱ inȱ date,ȱ butȱ subȬapostolicȱ inȱ standard“.3ȱ Diesȱ stecktȱ beȬ reitsȱdenȱRahmenȱab,ȱinnerhalbȱdessenȱsichȱdieȱexegetischeȱDiskussionȱ bewegt,ȱ dieȱ zugleichȱ durchȱ „dieȱ hartnäckigȱ sichȱ perpetuierendeȱ EchtȬ heitsdebatteȱ inȱ eineȱ merkwürdigeȱ Engführung“4ȱ genötigtȱ wird.ȱ Dieȱ Heftigkeit,ȱ mitȱ derȱ dieȱ Auseinandersetzungȱ umȱ dieȱ Verfasserschaftȱ dieserȱ Briefeȱ geführtȱ wird,ȱ liegtȱ auchȱ darinȱ begründet,ȱ dassȱ dieseȱ Schreibenȱdann,ȱwennȱsieȱnichtȱvonȱPaulusȱstammenȱ–ȱundȱbesondersȱ dann,ȱ wennȱ sieȱ zudemȱ alsȱ zusammengehörigesȱ Corpusȱ verfasstȱ seinȱ wollenȱ –,ȱ nurȱ alsȱ „ohneȱ Frageȱ geplanteȱ undȱ raffinierteȱ Fälschungen“5ȱ bezeichnetȱ werdenȱ können.ȱ Durchȱ ihreȱ Einordnungȱ alsȱ pseudonymeȱ TexteȱstelltȱsichȱalsoȱzugleichȱdieȱFrageȱnachȱderȱExistenzȱundȱBerechȬ tigungȱvonȱPseudepigraphieȱimȱNeuenȱTestamentȱinsgesamt.ȱ Imȱ Laufeȱ desȱ 20.ȱ Jahrhundertsȱ zeichneteȱ sichȱ immerȱ stärkerȱ dieȱ Tendenzȱ ab,ȱ dieȱ Pastoralbriefeȱ nichtȱ nurȱ alsȱ pseudepigraphischeȱ Schriften,ȱ sondernȱ alsȱ planvollȱ konzipierteȱ dreiteiligeȱ literarischeȱ EinȬ heitȱ –ȱ Peterȱ Trummerȱ sprichtȱ hierȱ vonȱ einemȱ „literarische[n]ȱ TriptyȬ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 1ȱȱ 2ȱȱ

3ȱȱ 4ȱȱ 5ȱȱ

HOLTZMANN,ȱPastoralbriefe,ȱ7.ȱ SoȱvieleȱVerfechterȱderȱEchtheitȱderȱBriefeȱ(vgl.ȱz.B.ȱFEE,ȱCommentary,ȱ26:ȱ„[O]rȱdidȱ heȱactuallyȱwriteȱtheseȱhimselfȱafterȱhavingȱusedȱamanuensesȱearlier?“)ȱsowieȱeinigeȱ wenigeȱVertreterȱderȱsog.ȱSekretärshypothese.ȱ PRIOR,ȱPaul,ȱ13.ȱ ROLOFF,ȱPfeiler,ȱ229.ȱ FRENSCHKOWSKI,ȱ Paulusschule,ȱ 262.ȱ Vgl.ȱ zumȱ Problemȱ derȱ Pseudepigraphieȱ auchȱ PunktȱIIIȱdieserȱArbeit,ȱbes.ȱS.ȱ108–111.ȱȱ



Einleitungȱ

chon“6ȱ –ȱ zuȱ lesenȱ undȱ damitȱ derȱ Sammlungȱ derȱ anderenȱ Paulusbriefeȱ gegenüberȱzuȱstellen.ȱDieseȱSichtweiseȱgreiftȱdieȱzutreffendeȱBeobachȬ tungȱauf,ȱdassȱdieȱPastoralbriefeȱaufgrundȱphilologischerȱ(undȱteilweiseȱ thematischer)ȱ Besonderheitenȱ ebensoȱ wieȱ durchȱ dieȱ Adressierungȱ anȱ Paulusmitarbeiterȱengȱzusammenȱgehörenȱundȱsichȱdarinȱzugleichȱvonȱ denȱ anderenȱ Paulusbriefenȱ desȱ Neuenȱ Testamentsȱ unterscheiden.ȱ AlȬ lerdingsȱ istȱ dieseȱ alsȱ Konsens7ȱ geltendeȱ Positionȱ bisherȱ jedochȱ eineȱ überzeugendeȱErklärungȱfürȱdieȱDreizahlȱderȱBriefeȱschuldigȱgeblieben:ȱ Sindȱsieȱwirklich,ȱwieȱbereitsȱHoltzmannȱformulierte,ȱ„unzertrennlichereȱ Drillinge,ȱ alsȱ EpheserȬȱ undȱ Kolosserbriefȱ Zwillingeȱ sind“8,ȱ oderȱ lässtȱ sichȱ ihrȱ verwandtschaftlichesȱ Verhältnisȱ besserȱ inȱ anderenȱ Relationenȱ beschreiben?ȱȱ DieȱvorliegendeȱArbeit,ȱderenȱTitelȱsichȱanȱdieȱzitierteȱEinschätzungȱ Holtzmannsȱanlehnt,ȱhatȱesȱsichȱzumȱZielȱgesetzt,ȱdieserȱinȱderȱbisheriȬ genȱ Forschungȱ Desideratȱ gebliebenenȱ Frageȱ nachzugehenȱ undȱ alsoȱ –ȱ geradeȱ vorȱ demȱ Hintergrundȱ derȱ unleugbarenȱ Gemeinsamkeitenȱ zwiȬ schenȱdenȱdreiȱSchreibenȱ–ȱdasȱPostulatȱdesȱCorpusȱPastoraleȱaufȱdenȱ Prüfstandȱzuȱstellen,ȱindemȱdieȱinhaltlichenȱBesonderheitenȱderȱeinzelȬ nenȱ Pastoralenȱ imȱ kritischenȱ Vergleichȱ derȱ Briefeȱ aufgezeigtȱ undȱ ausȬ gewertetȱwerden.ȱȱ AmȱBeginnȱderȱArbeitȱstehtȱeinȱkurzerȱÜberblickȱüberȱdieȱBegriffsȬ geschichteȱ (I.),ȱ derȱ Ursprungȱ undȱ Intentionȱ derȱ verschiedenen,ȱ heuteȱ fürȱ dieseȱ Schriftengruppeȱ geläufigenȱ Bezeichnungenȱ nachgeht.ȱ Daranȱ schließtȱ sichȱ eineȱ ausführlicheȱ Nachzeichnungȱ derȱ ForschungsgeȬ schichteȱ (II.)ȱ zuȱ diesenȱ dreiȱ Briefenȱ an.ȱ Dieseȱ umfasstȱ zumȱ einenȱ dieȱ erstenȱ Ansätzeȱ zurȱ Beurteilungȱ einzelnerȱ oderȱ allerȱ Pastȱ alsȱ pseudȬ epigraphischȱ imȱ 19.ȱ Jahrhundertȱ sowieȱ dieȱ umfassendeȱ Begründungȱ diesesȱAnsatzesȱbeiȱHeinrichȱJuliusȱHoltzmann,ȱsetztȱsichȱzumȱanderenȱ aberȱ auchȱ mitȱ denȱ verschiedenenȱ imȱ 20./21.ȱ Jahrhundertȱ diskutiertenȱ ErklärungsmöglichkeitenȱfürȱdieȱdieseȱdreiȱBriefeȱgeradeȱinȱihrerȱwechȬ selseitigenȱBezogenheitȱauszeichnendeȱBesonderheitȱauseinander.ȱDassȱ dabeiȱ sowohlȱ dieȱ v.a.ȱ mitȱ demȱ Namenȱ Peterȱ Trummersȱ verbundeneȱ undȱ alsȱ „Konsens“ȱ zuȱ bezeichnendeȱ Theseȱ derȱ konzeptionellenȱ ZuȬ sammengehörigkeitȱderȱdreiȱSchreibenȱalsȱauchȱdieȱ–ȱwenigen!ȱ–ȱdavonȱ abweichendenȱ Positionenȱ breitȱ dargestelltȱ werden,ȱ ergibtȱ sichȱ ausȱ derȱ Notwendigkeit,ȱdieȱFragestellungȱdieserȱArbeitȱundȱdieȱeigenenȱexegeȬ tischenȱUntersuchungenȱimȱAnschlussȱanȱdieȱForschungsgeschichteȱzuȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 6ȱȱ 7ȱȱ 8ȱȱ

TRUMMER,ȱPaulustradition,ȱ74ȱu.ö.;ȱvgl.ȱdazuȱPunktȱII.2.3.2ȱdieserȱArbeit.ȱ Vgl.ȱdazuȱaberȱkritischȱHERZER,ȱKonsens,ȱpassim.ȱ HOLTZMANN,ȱPastoralbriefe,ȱ7;ȱHervorhebungȱM.E.ȱ

Einleitungȱ



profilieren.ȱDiesȱgeschiehtȱinȱeinemȱdrittenȱHauptteilȱ(III.),ȱinȱwelchemȱ dieȱ Parameterȱ fürȱ dieȱ eigeneȱ Beschäftigungȱ mitȱ denȱ Pastoralbriefenȱ inȱ kritischerȱ Auseinandersetzungȱ mitȱ denȱ inȱ derȱ Forschungsgeschichteȱ präsentiertenȱ Ergebnissenȱ entwickeltȱ werden.ȱ Derȱ mitȱ Abstandȱ umȬ fangreichsteȱTeilȱderȱArbeitȱ(IV.)ȱistȱderȱexegetischenȱUntersuchungȱderȱ Pastoralbriefeȱgewidmet.ȱHatteȱsichȱdieȱDarstellungȱderȱForschungsgeȬ schichteȱ aufȱ dieȱ Nachzeichnungȱ derȱ großenȱ Argumentationslinienȱ beȬ schränkt,ȱwerdenȱhierȱnunȱsolcheȱBegriffeȱundȱMotivfelderȱuntersucht,ȱ dieȱ inȱ derȱ Debatteȱ umȱ dieȱ Abfassungȱ undȱ Intentionȱ derȱ dreiȱ HirtenȬ briefeȱeineȱzentraleȱRolleȱspielen.ȱAmȱSchlussȱderȱArbeitȱstehtȱeineȱproȬ filiertereȱ Beschreibungȱ vonȱ Theologieȱ undȱ Pragmatikȱ derȱ dreiȱ einȬ zelnenȱ Briefeȱ (V.),ȱ bevorȱ dasȱ Schlusskapitelȱ dieȱ imȱ Verlaufȱ derȱ exȬ egetischenȱ Arbeitȱ immerȱ deutlicherȱ zutageȱ tretendeȱ alternativeȱ Erklärungsmöglichkeitȱ fürȱ dasȱ Verhältnisȱ derȱ dreiȱ Schreibenȱ bündeltȱ undȱ denȱ Gewinnȱ fürȱ dieȱ weitereȱ Forschungȱ anȱ denȱ Pastoralbriefenȱ formuliertȱ(VI.).ȱ

I.ȱȱZurȱBegriffsgeschichteȱ

I.ȱȱVonȱ„Paulusbriefen“ȱzuȱ„Tritopaulinen“:ȱȱ ZurȱBegriffsgeschichteȱ 1.ȱȱAlteȱKircheȱundȱScholastikȱ Auchȱ wennȱ dieȱ Bezeichnungȱ derȱ Briefeȱ anȱ Timotheusȱ undȱ Titusȱ alsȱ „Pastoralbriefe“ȱ erstȱ inȱ derȱ Neuzeitȱ aufkam,1ȱ soȱ wurdeȱ dieȱ BesonderȬ heitȱ dieserȱ dreiȱ Briefeȱ alsȱ Schreiben,ȱ dieȱ sichȱ zwarȱ anȱ Einzelpersonenȱ richten,ȱ denenȱ aberȱ dennochȱ (zumindestȱ teilweise)ȱ einȱ offiziellerȱ ChaȬ rakterȱeignet,ȱschonȱfrühȱgesehen.ȱ DerȱCanonȱMuratoriȱzähltȱzunächstȱdieȱBriefeȱdesȱPaulusȱanȱseineȱ Gemeindenȱaufȱ(Z.ȱ39–59),2ȱbevorȱerȱdannȱdieȱvierȱBriefeȱdesȱApostelsȱ anȱ Einzelpersonenȱ nenntȱ –ȱ wobeiȱ auffällt,ȱ dassȱ sieȱ nochȱ nichtȱ inȱ derȱ späterȱ kanonischȱ gewordenen,ȱ anȱ derȱ Längeȱ derȱ einzelnenȱ Schreibenȱ orientiertenȱReihenfolgeȱangeordnetȱsind.3ȱDieȱAufnahmeȱdieserȱBriefeȱ inȱ denȱ Kanonȱ wirdȱ relativȱ ausführlichȱ begründet:ȱ „Aberȱ anȱ Philemonȱ einerȱ undȱ anȱ Titusȱ einerȱ undȱ anȱ Timotheusȱ zwei,ȱ ausȱ Zuneigungȱ undȱ Liebeȱ (geschrieben),ȱ sindȱ dochȱ zuȱ Ehrenȱ derȱ katholischenȱ Kircheȱ zurȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 1ȱȱ 2ȱȱ

ȱ

3ȱȱ

Vgl.ȱdazuȱPunktȱI.2ȱdieserȱArbeit.ȱVgl.ȱzurȱälterenȱBegriffsgeschichteȱWOHLENBERG,ȱ Pastoralbriefe,ȱ67–70.ȱ Nebenȱ derȱ Hervorhebungȱ derȱ Siebenzahlȱ –ȱ dieȱ dadurchȱ erreichtȱ wird,ȱ dassȱ 2Thessȱ undȱ 2Korȱ alsȱ zurȱ Zurechtweisungȱ derȱ jeweiligenȱ Gemeindenȱ nötigeȱ Wiederholungȱ deklariertȱ werdenȱ (Z.54–56)ȱ –ȱ wirdȱ unterȱ Hinzuziehungȱ derȱ (7!)ȱ Sendschreibenȱ derȱ Apokalypseȱ dieȱ universaleȱ Gültigkeitȱ derȱ anȱ Einzelgemeindenȱ gerichtetenȱ Briefeȱ betont.ȱ ȱ Vgl.ȱ zumȱ Textȱ alsȱ Ganzesȱ SCHNEEMELCHER,ȱ Apokryphen,ȱ 27–30.ȱ Dieȱ zeitlicheȱ Einordnungȱ diesesȱ Kanonverzeichnissesȱ wirdȱ kontroversȱ diskutiert.ȱ Währendȱ derȱ üblicherweiseȱalsȱoriginärȱgriechischȱeingeordneteȱTextȱüblicherweiseȱvorȱ200ȱdatiertȱ wird,ȱ verortetȱ SCHENK,ȱ Forschung,ȱ 3404,ȱ „dieseȱ inȱ barbarischemȱ Lateinȱ abgefaßteȱ Liste“ȱ–ȱwohlȱimȱAnschlussȱanȱeineȱerstmalsȱvonȱSUNDBERG,ȱCanonȱMuratori,ȱ1–41,ȱ vorgetrageneȱ Theseȱ –ȱ erstȱ imȱ 4.ȱ Jahrhundert.ȱ Dennochȱ istȱ derȱ Frühdatierungȱ derȱ Vorzugȱzuȱgeben,ȱvgl.ȱdieȱausführlicheȱDiskussionȱallerȱArgumenteȱbeiȱVERHEYDEN,ȱ Canonȱ Muratori,ȱ bes.ȱ 497ff,ȱ sowieȱ denȱ Überblickȱ beiȱ FRENSCHKOWSKI,ȱ Art.ȱ MuratorischesȱFragment,ȱ1587f.ȱ Speziellȱ dieseȱ hierȱ belegteȱ Reihenfolgeȱ sollteȱ dannȱ beiȱ derȱ Interpretationȱ derȱ Pastoralbriefeȱ alsȱ Briefromaneȱ eineȱ zentraleȱ Rolleȱ spielen,ȱ vgl.ȱ dazuȱ Punktȱ II.2.3.4ȱ dieserȱArbeit.ȱ

2.ȱȱNeuzeitȱ



OrdnungȱderȱkirchlichenȱZuchtȱheiligȱgehalten.“4ȱOffensichtlichȱglaubtȱ derȱ Verfasserȱ desȱ Verzeichnissesȱ denȱ scheinbarenȱ Privatcharakterȱ dieȬ serȱ Schreibenȱ rechtfertigenȱ zuȱ müssenȱ undȱ summiertȱ sieȱ alleȱ dreiȱ –ȱ ebensoȱwieȱPhlmȱ–ȱunterȱderȱCharakterisierungȱalsȱ(ordnende)ȱ„DienstȬ schreiben“.5ȱ Augustinȱ nahmȱ dieseȱ Einordnungȱ alsȱ Schreibenȱ dienstliȬ chenȱ Charaktersȱ dannȱ insofernȱ auf,ȱ alsȱ erȱ ihreȱ Lektüreȱ geradeȱ denȱ kirchlichenȱ Lehrernȱ ansȱ Herzȱ legte:ȱ „Quasȱ tresȱ apostolicasȱ epistolasȱ anteȱoculosȱhabereȱdebit,ȱcuiȱestȱinȱecclesiaȱpersonaȱdoctorisȱimposita“.6ȱ DerȱErste,ȱderȱimȱHinblickȱaufȱdieseȱBriefgruppeȱdenȱBegriffȱ„pasȬ toral“ȱverwendete,ȱwarȱThomasȱvonȱAquin:ȱ1Timȱseiȱ„quasiȱpastoralisȱ regula“ȱ („gleichsamȱ eineȱ Hirtenregel“)7ȱ undȱ enthalteȱ eineȱ kompletteȱ Kirchenordnung,ȱ währendȱ 2Timȱ alsȱ „curamȱ pastoralemȱ acȱ pastoraleȱ officium“8ȱAnweisungenȱdasȱgesamteȱpastoraleȱLebenȱbetreffendȱ–ȱbisȱ hinȱzumȱMartyriumȱ–ȱbiete.ȱ DiesesȱVerständnisȱderȱPastȱalsȱSchriftenȱfürȱdieȱkirchlichenȱAmtsȬ trägerȱsetzteȱsichȱinȱderȱFolgezeitȱ–ȱbesondersȱdannȱinȱdenȱKirchenordȬ nungenȱderȱReformationȱ–ȱimmerȱstärkerȱdurch.9ȱ

2.ȱȱNeuzeitȱ Dieȱ Titulierungȱ derȱ dreiȱSchreibenȱ desȱPaulusȱanȱseineȱ Mitarbeiterȱ alsȱ „Pastoralbriefe“ȱkamȱerstȱimȱ18.ȱJahrhundertȱauf:ȱ1703ȱhatteȱDavidȱNiȬ colausȱBerdotȱTitȱ–ȱunterȱBerufungȱaufȱAugustinȱ–ȱalsȱeinenȱ„PastoralȬ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 4ȱȱ 5ȱȱ

6ȱȱ 7ȱȱ

8ȱȱ 9ȱȱ

Zitȱn.ȱSCHNEEMELCHER,ȱApokryphen,ȱ29.ȱ Soȱ SCHENK,ȱ Forschung,ȱ 3404;ȱ vgl.ȱ auchȱ WEISER,ȱ 2Tim,ȱ 70;ȱ ROLOFF,ȱ Art.ȱ PastoralȬ briefe,ȱ50;ȱ V.ȱ LIPS,ȱSprachschöpfung,ȱ51;ȱALAND,ȱEntstehung,ȱ335:ȱDerȱCanonȱMuraȬ toriȱhatȱ„Mühe,ȱdieȱSonderstellungȱderȱPastoralbriefeȱimȱCorpusȱzuȱerklären“.ȱDieseȱ PositionȱwirktȱnochȱnachȱbeiȱWohlenbergȱinȱseinemȱKommentarȱzuȱdenȱPastoralbrieȬ fenȱ (31923!),ȱ 68:ȱ „Dieseȱ Privatbriefeȱ scheinenȱ außerhalbȱ desȱ Interessenbereichsȱ derȱ Kircheȱ zuȱ liegen;ȱ tatsächlichȱ aberȱ hatȱ derȱ Ap[ostel]ȱ auchȱ mitȱ ihnenȱ […]ȱ derȱ Kircheȱ dienenȱwollen.“ȱ Doctr.ȱchr.ȱIVȱ16.ȱȱ SuperȱIȱEpistolamȱB.ȱPauliȱadȱTimotheumȱlectura,ȱlectioȱII.ȱZurȱEntstehungȱderȱverȬ schiedenenȱ Textvariantenȱ diesesȱ Zitatsȱ („quasiȱ regulaȱ pastoralis“ȱ bzw.ȱ fastȱ geläufiȬ gerȱ „quasiȱ regulaȱ pastoris“ȱ [soȱ z.B.ȱ BROER,ȱ Einleitungȱ II,ȱ 530;ȱ SCHENK,ȱ Forschung,ȱ 3404])ȱvgl.ȱV.ȱLIPS,ȱSprachschöpfung,ȱ51fȱAnm.ȱ10.ȱ SuperȱIIȱEpistolamȱB.ȱPauliȱadȱTimotheumȱlectura,ȱProoemium.ȱ Vgl.ȱdieȱbeiȱWOHLENBERG,ȱPastoralbriefe,ȱ68f,ȱgenanntenȱBeispiele.ȱ



I.ȱȱZurȱBegriffsgeschichteȱ

brief“ȱ bezeichnet,10ȱ weilȱ Paulusȱ hierȱ Titusȱ aufȱ seinȱ pastoraleȱ munusȱ anspreche.11ȱȱ 1727ȱ verwendeteȱ Paulȱ Antonȱ dieseȱ Charakterisierungȱ inȱ seinenȱ Vorlesungenȱ fürȱ alleȱ dreiȱ Briefeȱ –ȱ dabeiȱ sicherlichȱ geprägtȱ vonȱ demȱ bereitsȱ seineȱ älterenȱ Hallenserȱ Kollegenȱ antreibenden,ȱ demȱ Pietismusȱ entstammendenȱ Grundsatz,ȱ „Lectionesȱ pastorales“ȱ überȱ dieȱ neutestaȬ mentlichenȱ Schriften,ȱ inȱ diesemȱ Falleȱ dieȱ paulinischenȱ Briefe,ȱ zuȱ halȬ ten.12ȱErȱbegrenztȱnämlichȱdiesenȱBegriffȱkeineswegsȱalleinȱaufȱdieȱdreiȱ paulinischenȱ Mitarbeiterschreiben,ȱ sondernȱ kannȱ alleȱ dieȱ biblischenȱ Schriftenȱalsȱ„pastoral“ȱcharakterisieren,ȱinȱdenenȱerȱ„mithinȱeineȱgantzȱ besondersȱ aufȱ dieȱ Zubereitungȱ derȱ studierendenȱ Jugendȱ zumȱ öffentliȬ chenȱ Dienstȱ derȱ Kircheȱ abgezielteȱ Arbeit“ȱ erkennt.13ȱ Zielȱ seinerȱ Vorlesungenȱ istȱ alsoȱ nebenȱ derȱ exegetischenȱ Behandlungȱ derȱ entspreȬ chendenȱ Schriftenȱ dieȱ unterȱ demȱ Oberbegriffȱ „Pastoralia“ȱ erfolgendeȱ auchȱ lebenspraktischeȱ Vorbereitungȱ derȱ Theologiestudentenȱ aufȱ denȱ Pfarrberuf.14ȱ Daherȱ legtȱ Antonȱ inȱ seinerȱ Vorlesungȱ nichtȱ nurȱ 1/2Timȱ undȱ Titȱ ausȱ –ȱ dieȱ erȱ dezidiertȱ alsȱ „Pastoralbriefeȱ Pauli“ȱ bezeichnetȱ –,ȱ sondernȱauchȱdieȱsiebenȱSendschreibenȱderȱApokalypseȱalsȱdieȱ„Siebenȱ PastoralȬBriefeȱChristi“.15ȱ Allerdingsȱ setzteȱ sichȱ nurȱ dieȱ Bezeichnungȱ derȱ dreiȱ Briefeȱ anȱ TiȬ motheusȱ undȱ Titusȱ alsȱ „Pastoralbriefe“ȱ durch,16ȱ soȱ dassȱ Antonsȱ grundlegendeȱErkenntnis,ȱdassȱesȱnebenȱdenȱPastoralbriefenȱdesȱPaulusȱ durchausȱauchȱandereȱPastoralbriefeȱgebe,ȱbaldȱinȱVergessenheitȱgeriet.ȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 10ȱȱ BerdotȱkannȱdieȱdreiȱBriefeȱanȱTimotheusȱundȱTitusȱunterȱderȱBezeichnungȱ„epistoȬ laeȱministeriales“ȱzusammenfassenȱ(soȱS.ȱ13ȱseinerȱDissertation);ȱvgl.ȱV.ȱ LIPS,ȱSprachȬ schöpfung,ȱ54.ȱ 11ȱȱ SoȱS.ȱ5ȱu.ö.,ȱvgl.ȱV.ȱLIPS,ȱa.a.O.ȱ53f.ȱ 12ȱȱ Soȱ Antonȱ inȱ seinenȱ postumȱ vonȱ Johanȱ Majerȱ veröffentlichtenȱ Vorlesungenȱ (ANȬ TON/MAJER,ȱAbhandlungȱ1Tim,ȱ2).ȱVgl.ȱdieȱausführlicheȱUntersuchungȱdesȱ„zeitgeȬ schichtliche[n]ȱ undȱ lokalgeschichtliche[n]ȱ Kontext[es]“ȱ beiȱ V.ȱ LIPS,ȱ a.a.O.ȱ 52ff,ȱ Zitatȱ 52;ȱvgl.ȱauchȱSCHENK,ȱForschung,ȱ3404.ȱ 13ȱȱ ANTON/MAJER,ȱAbhandlungȱ1Tim,ȱVorredeȱ(ohneȱSeitenzählung).ȱVgl.ȱa.a.O.ȱ3ff,ȱdieȱ Aufzählungȱ vonȱ (nach)reformatorischenȱ Schriften,ȱ dieȱ dieȱ Bezeichnungȱ „PastoralȬ briefe“ȱverdienten.ȱ 14ȱȱ Vgl.ȱdazuȱV.ȱLIPS,ȱSprachschöpfung,ȱ55.ȱ 15ȱȱ SoȱimȱTitelȱdesȱ2.ȱTeilsȱseinerȱVorlesung,ȱvgl.ȱdieȱBeurteilungȱMAJERs,ȱAbhandlungȱ 1Tim,ȱ Vorwortȱ (ohneȱ Seitenzählung),ȱ dieseȱ Briefeȱ seienȱ „höchste,ȱ wichtigsteȱ undȱ würdigsteȱPastoralbriefe“.ȱ 16ȱȱ Vgl.ȱu.a.ȱ Holtzmann,ȱderȱinȱseinemȱKommentarȱschonȱnurȱnochȱvonȱdenȱ„PastoralȬ briefen“ȱsprechenȱkann,ȱohneȱdiesȱdurchȱdasȱGenitivattributȱ„desȱPaulus“ȱnäherȱbeȬ stimmenȱ zuȱ müssen.ȱ Vgl.ȱ ders.,ȱ Einleitung,ȱ 272,ȱ woȱ erȱ dieseȱ gemeinsameȱ BezeichȬ nungȱimmerhinȱdurchȱ„[g]emeinsame[n]ȱInhaltȱundȱgleicheȱTendenz“,ȱnämlichȱ„dieȱ hirtenamtlicheȱLeitungȱdesȱchristlichenȱGemeindelebens“ȱrechtfertigt.ȱ

2.ȱȱNeuzeitȱ



Auffälligȱ ist,ȱ wieȱ schnellȱ sichȱ dieserȱ Oberbegriffȱ fürȱ dieȱ dreiȱ MitarbeiȬ terbriefeȱ verbreitete;ȱ schonȱ inȱ seinerȱ Vorredeȱ vonȱ 1753ȱ konnteȱ Majerȱ vonȱ denȱ „PastoralȬBriefe[n]ȱ Pauli,ȱ (wieȱ sieȱ insgemein,ȱ undȱ zwarȱ mitȱ Rechtȱgenennetȱwerden)“17ȱsprechenȱundȱbereitsȱ1826ȱbehaupteteȱsogarȱ einȱ Kommentar,ȱ dieseȱ Schreibenȱ trügenȱ denȱ Namenȱ Pastoralbriefeȱ schonȱ „[v]onȱ uraltenȱ Zeitenȱ her“.18ȱ Schonȱ imȱ 19.ȱ Jahrhundertȱ verwenȬ deteȱmanȱdieseȱBezeichnungȱauchȱinȱderȱenglischenȱundȱfranzösischenȱ Exegese.19ȱ Imȱ 20.ȱ Jahrhundertȱ tratenȱ nebenȱ dieȱ Bezeichnungȱ vonȱ 1/2Timȱ undȱ Titȱ alsȱ „Pastoralbriefe“ȱ nochȱ dieȱ Begriffeȱ „Corpusȱ Pastorale“ȱ oderȱ „Tritopaulinen“.ȱErstererȱgehtȱzurückȱaufȱPeterȱTrummer,ȱderȱvonȱdieȬ senȱ dreiȱ Schreibenȱ alsȱ vonȱ einemȱ Corpusȱ sprechenȱ konnte,ȱ umȱ sieȱ soȱ einerseitsȱ alsȱ eineȱ zusammengehörigeȱ Gruppeȱ vonȱ Schriftenȱ zuȱ kennȬ zeichnenȱundȱdieseȱandererseitsȱdemȱCorpusȱPaulinumȱentgegenzusetȬ zen.20ȱ Hinterȱ dieserȱ Bezeichnung,ȱ dieȱ schonȱ baldȱ einigenȱ Nachhallȱ fand,21ȱ stehtȱ dieȱ sichȱ immerȱ stärkerȱ durchsetzendeȱ Tendenz,ȱ dieȱ Heraushebungȱ dieserȱ Briefgruppeȱ ausȱ demȱ Corpusȱ Paulinumȱ schonȱ aufgrundȱdesȱNamensȱanzuzeigen.22ȱ Alsȱ angeblichȱ „erklärungsadäquateȱ Forschungsbezeichnung“ȱ schlägtȱ dannȱ Schenkȱ stattȱ einesȱ Begriffs,ȱ derȱ dasȱ Pastoraleȱ imȱ Namenȱ trageȱ –ȱ wasȱ erȱ aufgrundȱ desȱ „vonȱ vornhereinȱ positivȬapplikativȱ geȬ meintenȱ Ursprungsȱinȱ derȱ pietistischenȱ Hermeneutik“ȱalsȱ „bedenklichȱ suggestiv“ȱ bezeichnetȱ –ȱ inȱ Aufnahmeȱ einerȱ älterenȱ Formulierungȱ dieȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 17ȱȱ ANTON/MAJER,ȱAbhandlungȱ1Tim,ȱVorredeȱ(ohneȱSeitenzählung).ȱ 18ȱȱ HEYDENREICH,ȱPastoralbriefeȱI,ȱ7.ȱ 19ȱȱ Vgl.ȱ V.ȱ LIPS,ȱSprachschöpfung,ȱ59.ȱVgl.ȱfürȱdieȱfranzösischeȱExegeseȱdieȱWerkeȱvonȱ Emileȱ Belinȱ (1865),ȱ Jaquesȱ Ginoulhiacȱ (1866),ȱ Ernestȱ Bertrandȱ (1887)ȱ undȱ A.ȱ BourȬ quinȱ(1890),ȱundȱfürȱdieȱenglischsprachigeȱNTȬForschungȱCharlesȱElliottȱ(1856),ȱPatȬ rickȱ Fairbaimȱ (1874)ȱ undȱ Benjaminȱ B.ȱ Warfieldȱ (1901),ȱ dieȱ jeweilsȱ dieȱ Bezeichnungȱ „ÉpitresȱPastorales“ȱbzw.ȱ„PastoralȱEpistles“ȱimȱTitelȱtragen.ȱ 20ȱȱ Soȱ bereitsȱ inȱ derȱ Überschriftȱ seinesȱ Aufsatzesȱ „Corpusȱ Paulinumȱ –ȱ Corpusȱ PastoȬ rale“,ȱderȱdieȱErgebnisseȱseinerȱwenigeȱJahreȱvorherȱerschienenenȱHabilitationȱbünȬ delt;ȱvgl.ȱdieȱausführlicheȱDarstellungȱTrummersȱunterȱPunktȱII.2.3.2ȱdieserȱArbeit.ȱ 21ȱȱ Vgl.ȱu.a.ȱ V.ȱ LIPS,ȱSprachschöpfung,ȱ63:ȱ„DerȱVorteilȱdieserȱBezeichnungȱistȱeinȱdopȬ pelter:ȱZumȱeinenȱwirdȱanȱdieȱnunȱeinmalȱtraditionelleȱundȱallgemeinȱverbreiteteȱBeȬ zeichnungȱ‚Pastoralbriefe‘ȱangeknüpftȱ[…]ȱZumȱanderenȱwirdȱdamitȱernstȱgemacht,ȱ daßȱ derȱ Ausgangspunktȱ inȱ derȱ Bezeichnungȱ ‚Pastoralbriefeȱ desȱ Paulus‘ȱ soȱ nichtȱ mehrȱgilt,ȱwieȱPaulusȱnichtȱmehrȱalsȱVerfasserȱangesehenȱwerdenȱkann.“ȱ 22ȱ Vgl.ȱ jedochȱ zuȱ denȱ mitȱ dieserȱ Begriffswahlȱ verbundeneȱ inhaltlichenȱ Unschärfenȱ untenȱS.ȱ108.ȱ



I.ȱȱZurȱBegriffsgeschichteȱ

Bezeichnungȱ alsȱ „Tritopaulinen“ȱ vor:23ȱ Esȱ „legtȱ sichȱ gegenüberȱ denȱ ‚Paulinen‘ȱundȱ‚Deuteropaulinen‘ȱ(Kol,ȱEph,ȱ2Thess)ȱdieȱzusammenfasȬ sendeȱ Gruppenbezeichnungȱ ‚Tritopaulinen‘ȱ (analogȱ zuȱ ‚Tritojesaja‘)ȱ nahe.“24ȱ Damitȱ wirdȱ alsȱ Oberbegriffȱ zwarȱ einȱ sonstȱ inȱ derȱ SchriftenȬ gruppeȱ nichtȱ vorkommenderȱ Wortstammȱ vermieden,ȱ aberȱ anȱ seineȱ Stelleȱ einȱ Terminusȱ gesetzt,ȱ derȱ nurȱ scheinbarȱ neutralȱ ist,ȱ inȱ WirklichȬ keitȱaberȱdasȱErgebnisȱderȱAnalyseȱvorwegnimmt.25ȱȱ

3.ȱȱZurȱVerwendungȱderȱBegrifflichkeitȱinȱdieserȱArbeitȱ DerȱÜberblickȱüberȱdieȱverschiedenenȱBezeichnungenȱfürȱdieȱBriefeȱanȱ TimotheusȱundȱTitusȱhatȱaufgezeigt,ȱwieȱsichȱdasȱErgebnisȱexegetischerȱ ArbeitȱbereitsȱinȱderȱWahlȱderȱBezeichnungȱderȱSchriftengruppeȱniederȬ schlagenȱkann.ȱȱ Diesȱ wirdȱ besondersȱ deutlichȱ beiȱ denȱ Terminiȱ „Corpusȱ Pastorale“ȱ undȱ„Tritopaulinen“:ȱLetztererȱsuggeriertȱvonȱvornhereinȱeineȱzeitlicheȱ EinordnungȱnichtȱnurȱnachȱdenȱProtoȬ,ȱsondernȱsogarȱnachȱdenȱDeuteȬ ropaulinenȱundȱrücktȱdieȱSchreibenȱanȱTimotheusȱundȱTitusȱdamitȱanȱ dasȱEndeȱderȱneutestamentlichenȱPaulusbrieftradition.ȱDochȱauchȱErsȬ tererȱ nimmtȱ etwasȱ vorweg,ȱ wasȱ erstȱ abschließendesȱ Ergebnisȱ seinȱ dürfte,ȱ nämlichȱ dieȱ Betonungȱ derȱ engenȱ konzeptionellenȱ ZusammenȬ gehörigkeitȱ derȱ dreiȱ Briefeȱ imȱ Gegenüberȱ zumȱ übrigenȱ paulinischenȱ Briefcorpus.ȱȱ AuchȱdieȱBezeichnungȱ„Pastoralbriefe“ȱalsȱdieȱältesteȱderȱdreiȱdisȬ kutiertenȱ Möglichkeitenȱ greiftȱ inȱ ihrerȱ pauschalisierendȬvereinfachenȬ denȱTendenzȱzuȱkurzȱ–ȱsoȱkannȱschonȱTheodorȱZahnȱdaraufȱhinweisen,ȱ dassȱ dieserȱ Nameȱ „einigermaßenȱ nurȱ aufȱ 1ȱ Tmȱ undȱ Tt,ȱ garȱ nichtȱ aufȱ 2ȱTm“ȱ passe.26ȱ Dennochȱ sollȱ diesemȱ Terminusȱ hierȱ ausȱ exegeseȬ geschichtlichenȱGründenȱderȱVorzugȱgegebenȱwerden:ȱFürȱPaulȱAnton,ȱ derȱ diesenȱ Begriffȱ alsȱ Ersterȱ verwendet,ȱ suggeriertȱ nämlichȱ dieȱ Redeȱ vonȱ denȱ „Pastoralbriefenȱ Pauli“ȱ keineswegsȱ eineȱ Herauslösungȱ dieserȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 23ȱȱ SCHENK,ȱ Forschung,ȱ 3405ȱ (beideȱ Zitate).ȱ Soȱ fordertȱ auchȱ TOWNER,ȱ Letters,ȱ 88f,ȱ AbȬ schiedȱvonȱderȱBezeichnungȱPastoralbriefeȱzuȱnehmen,ȱdaȱdieseȱ„wouldȱeventuallyȱ forceȱtheȱlettersȱintoȱaȱrestrictiveȱinterrelationshipȱthatȱtheyȱwereȱneverȱintendedȱtoȱ have“ȱ (Zitatȱ 88).ȱ Erȱ schlägtȱ stattdessenȱ vor,ȱ vonȱ „lettersȱ toȱ coworkers“ȱ imȱ UnterȬ schiedȱzuȱ„lettersȱtoȱchurches“ȱzuȱsprechen,ȱ„toȱindicateȱbothȱtheȱindividualityȱofȱtheȱ lettersȱandȱtheirȱclusterȱrelationship“ȱ(Zitateȱ89).ȱ 24ȱȱ SCHENK,ȱa.a.O.ȱ3405.ȱ 25ȱȱ SoȱauchȱBROER,ȱEinleitungȱII,ȱ530.ȱ 26ȱȱ ZAHN,ȱEinleitung,ȱ447ȱAnm.ȱ1.ȱ

3.ȱȱZurȱVerwendungȱderȱBegrifflichkeitȱinȱdieserȱArbeitȱ



dreiȱ Schriftenȱ ausȱ demȱ Corpusȱ derȱ übrigenȱ Paulusbriefe,ȱ sondernȱ beȬ schreibtȱeineȱUntergruppe27ȱinnerhalbȱdieserȱSammlung.ȱErstȱnachȱundȱ nachȱ gingȱ damitȱ eineȱ Absonderungȱ derȱ dreiȱ Briefeȱ alsȱ ‚nichtȱ (mehr)ȱ paulinisch‘ȱ einher.ȱ Eineȱ solcheȱ exegetischeȱ Prämisseȱ verengtȱ aberȱ aufȱ unzulässigeȱWeiseȱdenȱBlickwinkelȱundȱsollȱdeshalbȱimȱRahmenȱdieserȱ Untersuchungȱ vermiedenȱ werden:28ȱ Wennȱ inȱ dieserȱ Arbeitȱ daherȱ vonȱ denȱ „Pastoralbriefen“ȱ (Past)ȱ gesprochenȱ wird,ȱ beantwortetȱ dasȱ nochȱ nichtȱdieȱFrageȱnachȱdenȱUrsachenȱfürȱdieȱinhaltliche,ȱsprachlicheȱoderȱ möglicheȱ historischeȱ Näheȱ derȱ dreiȱ Schreibenȱ zueinander.ȱ Dieseȱ BeȬ zeichnungȱ bringtȱ lediglichȱ zumȱ Ausdruck,ȱ dassȱ dieseȱ dreiȱ Briefeȱ aufȬ grundȱ ihrerȱ Adressierungȱ anȱ Mitarbeiterȱ desȱ Paulusȱ eineȱ SonderstelȬ lungȱunterȱdenȱBriefenȱeinnehmen,ȱdieȱdasȱNeueȱTestamentȱalsȱpauliniȬ scheȱüberliefert.ȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 27ȱȱ Wieȱz.B.ȱauchȱ dieȱ„Gefangenschaftsbriefe“ȱoderȱdieȱ„Hauptbriefe“ȱ(Letzteresȱmeintȱ allerdingsȱseitȱderȱTübingerȱSchuleȱeinȱErgebnisȱhistorischȬkritischerȱExegese,ȱdasȱsoȱ heuteȱnichtȱmehrȱgeteiltȱwird).ȱVgl.ȱdazuȱauchȱdasȱVotumȱvonȱROLOFF,ȱArt.ȱPastoralȬ briefe,ȱ50,ȱsowieȱJEREMIAS,ȱPastoralbriefeȱ(1975),ȱ1.ȱ 28ȱȱ Vgl.ȱ dazuȱ dieȱ ausführlicheȱ Begründungȱ desȱ eigenenȱ methodischenȱ Zugangsȱ unterȱ PunktȱIIIȱdieserȱArbeit.ȱ

II.ȱȱEinȱForschungsüberblickȱ

II.ȱȱDieȱVerhältnisbestimmungȱderȱPastoralbriefeȱȱ inȱderȱexegetischenȱLiteraturȱ–ȱȱ einȱForschungsüberblickȱ ȱ ȱ SeitȱBeginnȱdesȱ19.ȱJahrhundertsȱgehörenȱdieȱPastoralbriefeȱundȱbesonȬ dersȱ ihreȱ Verfasserfrageȱ zuȱ einemȱ „derȱ amȱ heftigstenȱ umkämpftenȱ SchlachtfelderȱderȱneutestamentlichenȱExegese“.1ȱDabeiȱrückteȱauchȱdieȱ Frageȱ nachȱ derȱ Zusammengehörigkeitȱ derȱ dreiȱ Briefeȱ undȱ ihremȱ VerȬ hältnisȱ zueinanderȱinȱ denȱ Blick:ȱ Dieȱ offensichtlichenȱ Bezügeȱzwischenȱ denȱinȱvielenȱPunktenȱähnlichenȱBriefenȱwurdenȱzuȱeinerȱexegetischenȱ Herausforderung.ȱ Gleichzeitigȱ stellteȱ manȱ dieȱ vorherȱ unhinterfragteȱ Prämisseȱ derȱ Zugehörigkeitȱ zumȱ (authentischen)ȱ Corpusȱ Paulinumȱ erstmalsȱ inȱ Frageȱ undȱ diskutierteȱ dieȱ Argumenteȱ vonȱ Anfangȱ anȱ soȱ kontrovers,ȱ dassȱ seitȱ diesemȱ Zeitpunktȱ fastȱ ausschließlichȱ dieȱ Frageȱ nachȱ Echtheitȱ oderȱ Unechtheitȱ derȱ dreiȱ Briefeȱ imȱ Vordergrundȱ stand.ȱ AusȱderȱschonȱfrüherȱerkanntenȱSonderstellungȱderȱdreiȱ„Privatbriefe“ȱ (nebenȱ Phlm)ȱ innerhalbȱ desȱ Corpusȱ Paulinumȱ wurdeȱ mehrȱ undȱ mehrȱ dieȱFrontstellungȱCorpusȱPaulinumȱversusȱCorpusȱPastorale.ȱ

1.ȱȱDasȱ19.ȱJahrhundertȱ Derȱ Durchgangȱ durchȱ dieȱ Forschungsgeschichteȱ desȱ 19.ȱ Jahrhundertsȱ sollȱ dieȱ wichtigstenȱ Meilensteineȱ derȱ Pastoralbriefforschungȱ aufȱ demȱ Wegȱ zuȱ derȱ heuteȱ alsȱ Konsensȱ bezeichnetenȱ Forschungspositionȱ abȬ schreiten.ȱ Dabeiȱ bietetȱ esȱ sichȱ an,ȱ dieseȱ Entwicklungȱ anȱ denȱ Namenȱ festzumachen,ȱ dieȱ auchȱ heuteȱ nochȱ alsȱ dieȱ Größenȱ derȱ PastoralbriefȬ exegeseȱ desȱ vorletztenȱ Jahrhundertsȱ genanntȱ werden,ȱ undȱ alsoȱ einenȱ personenbezogenenȱZugangȱzuȱwählen.2ȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 1ȱȱ 2ȱȱ

ROLOFF,ȱArt.ȱPastoralbriefe,ȱ51.ȱ DiesȱwirdȱbeiȱderȱDarstellungȱderȱForschungsgeschichteȱdesȱ20./21.ȱJahrhundertsȱanȬ dersȱsein;ȱvgl.ȱdazuȱS.ȱ33.ȱ

1.ȱȱDasȱ19.ȱJahrhundertȱ

11ȱ

1.1ȱȱJ.E.C.ȱSchmidtȱundȱF.D.E.ȱSchleiermacher:ȱȱ DieȱSonderstellungȱdesȱ1.ȱTimotheusbriefesȱ Häufigȱ giltȱ Johannȱ Ernstȱ Christianȱ Schmidtȱ alsȱ derȱ Erste,ȱ derȱ dieȱ UnȬ echtheitȱ desȱ 1Timȱ vermutetȱ undȱ damitȱ Schleiermacherȱ denȱ Wegȱ geȬ bahntȱhabe.3ȱTatsächlichȱbemerktȱSchmidtȱinȱseinerȱ1804ȱerstmalsȱpubliȬ ziertenȱ Einleitungȱ lediglich,ȱ dassȱ dieȱ imȱ 1Timȱ vorausgesetzteȱ historiȬ scheȱ Situationȱ „schwerȱ mitȱ denȱ übrigenȱ vorhandenenȱ Nachrichtenȱ zuȱ vereinen“ȱsei.4ȱAusgehendȱvonȱderȱHistorizitätȱderȱinȱderȱApgȱüberlieȬ fertenȱ Notizenȱ versuchtȱ Schmidtȱ daherȱ eineȱ Harmonisierungȱ dieserȱ widersprüchlichenȱ Angabenȱ zurȱ historischenȱ Verortungȱ desȱ1Tim,ȱ dieȱ fürȱihnȱselbstȱnichtȱrechtȱüberzeugendȱist.5ȱBeiȱTitȱweistȱSchmidtȱebenȬ fallsȱaufȱSchwierigkeitenȱderȱEinordnungȱhin,ȱweilȱdieȱhierȱgeschilderȬ tenȱ Begebenheitenȱ ausȱ derȱ sonstigenȱ Biographieȱ desȱ Paulusȱ völligȱ unȬ bekanntȱ seien,ȱ dochȱ hierȱ gelingtȱ ihmȱ eineȱ ausȱ eigenerȱ Sichtȱ zufriedenȱ stellendeȱEinordnungȱinȱdieȱinȱderȱApgȱgeschildertenȱAbläufe.6ȱImȱHinȬ blickȱaufȱdenȱ2TimȱwerdenȱlediglichȱdieȱÜbereinstimmungȱmitȱderȱApgȱ –ȱ Timotheusȱ befindetȱ sichȱ währendȱ derȱ römischenȱ Gefangenschaftȱ nichtȱ beiȱ Paulusȱ –ȱ undȱ dieȱ Diskrepanzȱ zuȱ denȱ anderenȱ paulinischenȱ Gefangenschaftsbriefenȱkonstatiert.7ȱ Obwohlȱ Schmidtȱ alsoȱ aufȱ dieȱ Problematikȱ derȱ Differenzenȱ zurȱ Apostelgeschichteȱ bzw.ȱ denȱ anerkanntȱ echtenȱ Paulusbriefenȱ aufmerkȬ samȱmacht,ȱziehtȱerȱdarausȱnichtȱdieȱKonsequenz,ȱeinzelneȱoderȱalleȱderȱ Pastoralbriefeȱ alsȱ pseudepigraphischȱ einzuordnen.8ȱ Dieȱ dreiȱ Briefeȱ geltenȱ ihmȱ vielmehrȱ weiterhinȱ alsȱ paulinisch.ȱ Wennȱ alsoȱ SchleiermaȬ cherȱ sichȱ beiȱ seinenȱ Ausführungenȱ aufȱ Schmidtsȱ „Verdacht“ȱ alsȱ denȱ „eine[s]ȱ derȱ gründlichstenȱ undȱ amȱ meistenȱ kritischenȱ Forscherȱ […]ȱ unterȱdenȱTheologenȱunsererȱZeit“9ȱberuft,ȱsoȱversuchtȱerȱdamitȱvergebȬ lich,ȱseineȱeigeneȱArgumentationȱalsȱeineȱbereitsȱbeiȱanderenȱvorgefunȬ deneȱabzusichern.ȱȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 3ȱȱ 4ȱȱ 5ȱȱ 6ȱȱ 7ȱȱ 8ȱȱ 9ȱȱ

Soȱu.a.ȱHARDING,ȱPastoralȱEpistles,ȱ10;ȱTRUMMER,ȱPaulustradition,ȱ20.ȱȱ SCHMIDT,ȱEinleitung,ȱ259.ȱ Vgl.ȱa.a.O.ȱ260.ȱȱ Vgl.ȱa.a.O.ȱ264f.ȱ Vgl.ȱa.a.O.ȱ262f.ȱ Soȱ auchȱ BROER,ȱ Einleitungȱ II,ȱ 531;ȱ PATSCH,ȱ Deuteropaulinismus,ȱ 453;ȱ SCHENK,ȱ ForȬ schung,ȱ3407ȱAnm.ȱ11.ȱ SCHLEIERMACHER,ȱSendschreiben,ȱ21.ȱDennȱinȱFällen,ȱinȱdenenȱSchmidtȱtatsächlicheȱ ZweifelȱanȱderȱEchtheitȱneutestamentlicherȱSchriftenȱhegt,ȱscheutȱerȱsichȱnicht,ȱdiesȱ zuȱäußern;ȱvgl.ȱSCHMIDT,ȱEinleitung,ȱ336,ȱzumȱ2Petr.ȱȱ

12ȱ

II.ȱȱEinȱForschungsüberblickȱ

TatsächlichȱistȱdaherȱSchleiermacherȱderȱErste,ȱderȱdieȱEchtheitȱdesȱ 1Timȱ –ȱ undȱ damitȱ erstmaligȱ dieȱ Echtheitȱ irgendeinesȱ Paulusbriefesȱ –ȱ grundlegendȱ inȱ Frageȱ stellt.ȱ Seinȱ „kritischesȱ Sendschreibenȱ anȱ J.C.ȱ Gass“10ȱ erschüttertȱ dieȱ zeitgenössischeȱ neutestamentlicheȱ WissenȬ schaft.11ȱ Alsȱ persönlichesȱ Anschreibenȱ anȱ denȱ „Consistorialassessorȱ undȱ Feldpredigerȱ zuȱ Stettin“ȱ formuliertȱ undȱ entgegenȱ derȱ damaligenȱ wissenschaftlichenȱ Konventionȱ inȱ deutscherȱ Spracheȱ abgefasst,ȱ legtȱ Schleiermacherȱ anhandȱ einerȱ überzeugendenȱ sprachlichenȱ Analyseȱ undȱ epistolographischenȱ Gattungsbestimmungȱ dieȱ Gründeȱ fürȱ dieȱ Annahmeȱdar,ȱderȱ1TimȱseiȱdasȱWerkȱeinesȱnachapostolischenȱVerfasȬ sers.ȱȱ Schleiermacherȱ lässtȱ sichȱ beiȱ seinerȱ Beschäftigungȱ mitȱ demȱ 1Timȱ vonȱderȱbereitsȱ1804ȱvonȱEichhornȱeingefordertenȱMethodeȱderȱ„höheȬ ren“,ȱ d.h.ȱ „inneren“ȱ Kritikȱ leiten:12ȱ Wederȱ dieȱ Rezeptionsgeschichteȱ –ȱ dieȱSchleiermacherȱimȱHinblickȱaufȱdieȱAlteȱKircheȱalsȱwenigȱaussageȬ kräftigȱ beurteilt13ȱ –ȱ nochȱ dieȱ misslingendeȱ historischeȱ Einordnungȱ desȱ Briefesȱ inȱ dieȱ Paulusbiographie14ȱ sindȱ deshalbȱ fürȱ ihnȱ vonȱ primäremȱ Interesse;ȱSchleiermacherȱselbstȱbeschreibtȱseinȱVorgehenȱvielmehrȱfolȬ gendermaßen:ȱErȱwillȱdieȱNotizenȱderȱApgȱüberȱdieȱMissionsreisenȱundȱ dieȱ Persönlichkeitȱ desȱ Apostelsȱ sowieȱ dieȱ dortȱ wiedergegebenen,ȱ vonȱ ihmȱalsȱpaulinischȱcharakterisiertenȱRedenȱalsȱBasisȱfürȱdieȱZusammenȬ stellungȱ vonȱ tatsächlichȱ echtenȱ Briefenȱ verwenden.ȱ Vonȱ diesenȱ ausgeȬ hendȱ entwickeltȱ erȱ –ȱ allerdingsȱ geleitetȱ vonȱ derȱ problematischenȱ AnȬ nahme,ȱesȱgebeȱeinenȱtypischenȱundȱunveränderlichenȱpaulinischenȱStilȱ –ȱ Kriterienȱ fürȱ denȱ „Typosȱ derȱ Compositionȱ undȱ derȱ Schreibart“ȱ desȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 10ȱȱ Soȱ derȱ Untertitelȱ seinerȱ Schriftȱ „Ueberȱ denȱ sogenanntenȱ erstenȱ Briefȱ desȱ Paulosȱ anȱ denȱTimotheos“.ȱ 11ȱȱ Vgl.ȱ dieȱ heftigenȱ Reaktionenȱ aufȱ Schleiermachersȱ Schrift,ȱ wieȱ sieȱ Patschȱ inȱ seinemȱ programmatischȱ mitȱ „Dieȱ Angstȱ vorȱ demȱ Deuteropaulinismus“ȱ betiteltenȱ Aufsatzȱ zusammenträgt.ȱ 12ȱȱ Vgl.ȱfolgendeȱSätzeȱausȱEICHHORNsȱVorrede,ȱEinleitungȱI,ȱVIIf:ȱ„[D]ieȱhöhereȱKritikȱ hatȱihreȱKräfteȱanȱdemȱNeuenȱTestamentȱbisherȱkaumȱversucht;ȱsieȱmußȱsichȱinȱvieȬ lenȱFällenȱerstȱnochȱdenȱmühsamstenȱUntersuchungenȱunterziehen,ȱumȱnurȱeinigenȱ Grundȱ undȱ Bodenȱ zuȱ gewinnenȱ […]ȱ Derȱ Anfangȱ hiezuȱ istȱ inȱ diesemȱ Bucheȱ geȬ macht“;ȱ vgl.ȱ SCHLEIERMACHER,ȱ Sendschreiben,ȱ 6f.ȱ Vgl.ȱ dazuȱ auchȱ HOLTZMANN,ȱ Pastoralbriefe,ȱ III.ȱ Dieseȱ „innereȱ Kritik“ȱ hatteȱ Schleiermacherȱ schonȱ erfolgreichȱ aufȱ dieȱ Werkeȱ Platosȱ angewandt,ȱ wasȱ ihmȱ inȱ einerȱ Rezensionȱ inȱ denȱ Neuenȱ TheologiȬ schenȱ Annalenȱ (1809)ȱ denȱ Vorwurfȱ eintrug,ȱ erȱ verwechseleȱ Paulusȱ mitȱ Plato;ȱ vgl.ȱ PATSCH,ȱDeuteropaulinismus,ȱ468.ȱ 13ȱȱ Vgl.ȱSCHLEIERMACHER,ȱa.a.O.ȱ19.ȱ 14ȱȱ A.a.O.ȱ115–127.ȱ

1.ȱȱDasȱ19.ȱJahrhundertȱ

13ȱ

Paulus.15ȱ Inȱ Abgrenzungȱ zuȱ diesemȱ Stilȱ weistȱ Schleiermacherȱ anhandȱ vonȱ„innerenȱKennzeichen“ȱdieȱunpaulinischenȱAnteileȱdesȱ1Timȱauf.16ȱ WesentlichesȱElementȱseinerȱsprachlichȬstilistischenȱArgumentationȱistȱ dieȱDifferenzȱzwischenȱ1TimȱundȱdenȱbeidenȱanderenȱPast;ȱdieȱUnechtȬ heitȱ desȱ 1Timȱ ergibtȱ sichȱ fürȱ Schleiermacherȱ alsȱ „Resultatȱ dieserȱ VerȬ gleichung“.17ȱSoȱseienȱdieȱinhaltlichenȱGemeinsamkeitenȱzwischenȱdenȱ dreiȱ Pastoralbriefenȱ deutlichȱ geringerȱ alsȱ oftȱ angenommen,ȱ dieȱ sprachlichenȱ Besonderheitenȱ desȱ 1Timȱ sowohlȱ gegenüberȱ Paulusȱ alsȱ auchȱ gegenüberȱ denȱ beidenȱ anderenȱ Pastȱ allerdingsȱ ausgesprochenȱ gewichtig.18ȱ Dieȱ Beobachtungenȱ imȱ Hinblickȱ aufȱ dasȱ Verhältnisȱ derȱ Letzterenȱ zueinanderȱ legtenȱ sogarȱ denȱ Anscheinȱ „derȱ Copieȱ undȱ desȱ Plagiats“19ȱ nahe,ȱ wasȱ vonȱ Schleiermacherȱ mitȱ einigenȱ Belegenȱ unȬ termauertȱwird:ȱSoȱerkenntȱerȱimȱPräskriptȱdesȱ1TimȱeineȱausȱTitȱ1ȱgeȬ kürzteȱForm,20ȱnotiertȱmehrmalsȱdenȱEindruck,ȱderȱVerfasserȱdesȱ1Timȱ habeȱeinenȱihmȱeigentlichȱunverständlichenȱAusdruckȱfalschȱübernomȬ men,21ȱ undȱ weistȱ eineȱ nachahmendeȱ Verwendungȱ derȱ imȱ Titȱ vorkomȬ mendenȱNamenȱauf.22ȱ ȱ

Nebenȱ solchenȱ sehrȱ starkȱ gewichtetenȱ sprachlichenȱ Argumentenȱ istȱ esȱ außerȬ demȱ derȱ alsȱ missglücktȱ beurteilteȱ Versuch,ȱ denȱ Briefȱ nachȱ derȱ Gattungȱ desȱ Lehrbriefesȱ zuȱ gestalten,ȱ derȱ Schleiermacherȱ fürȱ dieȱ Unechtheitȱ desȱ 1Timȱ einȬ tretenȱ lässt:ȱ Erȱ charakterisiertȱ einenȱ „Lehrbrief“ȱ alsȱ harmonischesȱ Ineinanderȱ vonȱvertrauterȱAnredeȱundȱlehrhafterȱHomilieȱundȱsiehtȱdiesȱmitȱunterschiedliȬ cherȱ Schwerpunktsetzungȱ sowohlȱ imȱ Titȱ alsȱ auchȱ 2Timȱ verwirklicht.23ȱ Beimȱ 1Timȱ hingegenȱ kannȱ Schleiermacherȱ nurȱ zuȱ demȱ Ergebnisȱ kommen,ȱ keinenȱ Brief,ȱsondernȱnurȱeineȱschlechtȱnachgeahmteȱSchriftȱvorȱsichȱzuȱhaben,ȱzumalȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 15ȱȱ A.a.O,ȱ 20f,ȱ Zitatȱ 20.ȱ Dieserȱ Stilȱ istȱ es,ȱ denȱ Schleiermacherȱ imȱ 1Timȱ nichtȱ wiederfinȬ det;ȱvgl.ȱdieȱBeurteilungȱGUTHRIEs,ȱDevelopment,ȱ16:ȱ„Thisȱattackȱ[…]ȱwasȱtheȱproȬ ductȱofȱfeelingȱratherȱthanȱofȱtrueȱhistoricalȱinvestigation“,ȱsowieȱSCHWEITZERs,ȱGeȬ schichte,ȱ6:ȱ„EigentlichȱistȱnichtȱderȱKritiker,ȱsondernȱderȱAesthetikerȱSchleiermacherȱ anȱIȱTim.ȱirreȱgeworden“.ȱ 16ȱȱ SCHLEIERMACHER,ȱa.a.O.ȱ19.ȱȱ 17ȱȱ A.a.O.ȱ 25.ȱ Dieseȱ Charakterisierungȱ desȱ Verhältnissesȱ derȱ dreiȱ Pastȱ untereinanderȱ wirdȱ vonȱ PATSCH,ȱ Deuteropaulinismus,ȱ 458,ȱ alsȱ „Schwachstelle“ȱ derȱ gesamtenȱ SchleiermacherschenȱArgumentationȱbezeichnet;ȱähnlichȱschonȱHOLTZMANN,ȱPastoȬ ralbriefe,ȱ8ȱ(vgl.ȱauchȱders.,ȱEinleitung,ȱ274).ȱ 18ȱȱ Vgl.ȱ SCHLEIERMACHER,ȱ a.a.O.ȱ 25f.29–78ȱ (zumȱ Verhältnisȱ desȱ 1Timȱ zuȱ denȱ beidenȱ anderenȱPast).78–115ȱ(zumȱVerhältnisȱzuȱdenȱProtopaulinen).ȱ 19ȱȱ A.a.O.ȱ78.ȱ 20ȱȱ A.a.O.ȱ81.ȱ 21ȱȱ Soȱa.a.O.ȱ94ȱu.ö.ȱ 22ȱȱ A.a.O.ȱ105.ȱ 23ȱȱ Vgl.ȱa.a.O.ȱ129ff,ȱbesondersȱ130.134.ȱ

14ȱ

II.ȱȱEinȱForschungsüberblickȱ

auchȱ dasȱ vonȱ ihmȱ alsȱ eigentlichesȱ Themaȱ derȱ Schriftȱ bestimmteȱ Witwenamt24ȱ nurȱ sehrȱ unzulänglichȱ behandeltȱ werde:ȱ „Wennȱ aberȱ inȱ unseremȱ Briefeȱ dasȱ vertrauteȱ VerhältniĨsȱ fastȱ garȱ nichtȱ heraustritt,ȱ undȱ aufȱ derȱ andernȱ Seiteȱ dieȱ meistenȱ Gegenständeȱ soȱ behandeltȱ werdenȱ daĨsȱ esȱ zuȱ nichtsȱ führt:ȱ wieȱ sollenȱ wirȱglaubenȱerȱseiȱwirklichȱalsȱeinȱBriefȱentstanden?“25ȱȱ ȱ

Allȱ diesȱ lässtȱ ihnȱ zuȱ demȱ Ergebnisȱ gelangen,ȱ derȱ ganzeȱ Briefȱ seiȱ dasȱ Werkȱ einesȱ Paulusȱ missverstehenden,ȱ „zusammenstoppelndenȱ NachȬ ahmer[s]“ȱundȱalsȱKompilationȱausȱTitȱundȱ2Timȱzuȱbeurteilen.26ȱDabeiȱ erkenntȱ erȱ imȱ erstenȱ Briefteilȱ 1Timȱ 1–4ȱ eineȱ größereȱ Näheȱ zumȱ Tit,ȱ inȱ 1Timȱ5fȱeherȱVerwandtschaftȱmitȱdemȱ2Tim.27ȱ InȱSchleiermachersȱKollegenkreisenȱregteȱsichȱheftigerȱWiderspruchȱ gegenȱ dieseȱ Schrift,ȱ dieȱ dieȱ neutestamentlichenȱ Texteȱ derȱ historischenȱ Kritikȱpreiszugebenȱschienȱundȱdeȱfactoȱzurȱ„Entdeckung“ȱdesȱDeuteȬ ropaulinismusȱimȱNeuenȱTestamentȱführte.28ȱȱ

1.2ȱȱEinȱ„DonnerschlagȱfürȱvieleȱTheologen“29ȱ–ȱzurȱWirkungȱdesȱȱ SchleiermacherschenȱWerkesȱ Schleiermacherȱ behauptet,ȱ mitȱ diesemȱ heftigenȱ Widerspruchȱ gegenȱ seinȱ Werkȱ gerechnetȱ zuȱ haben:ȱ „Uebrigensȱ gehtȱ esȱ mirȱ damitȱ wieȱ ichȱ dachte:ȱdieȱPhilologenȱstimmenȱmirȱAlleȱbei,ȱaberȱdieȱTheologenȱwollenȱ nichtȱdaran“.30ȱȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 24ȱȱ Vgl.ȱa.a.O.ȱ234f,ȱwoȱSchleiermacherȱalleȱimȱ1TimȱvorhandenenȱpaulinischȱanmutenȬ denȱElementeȱalsȱBestandteilȱderȱAutorenfiktionȱablehnt,ȱsoȱ„daĨsȱalsoȱderȱeigentliȬ cheȱZwekkȱnurȱinȱdemȱEigenenȱkannȱgesuchtȱwerdenȱwasȱderȱVerf[asser]ȱzwischenȱ einschaltet“ȱ–ȱalsȱdiesenȱ„eigentlichenȱZweck“ȱbestimmtȱerȱdaherȱdenȱWitwenstand.ȱ 25ȱȱ A.a.O.ȱ134;ȱvgl.ȱa.a.O.ȱ129.ȱ 26ȱȱ A.a.O.ȱ205.ȱ 27ȱȱ Soȱa.a.O.ȱ102,ȱvgl.ȱa.a.O.ȱ25f,ȱwoȱSchleiermacherȱbehauptet,ȱderȱ1Timȱhabeȱmitȱdemȱ TitȱdieȱGemeindeordnungȱundȱmitȱ2TimȱdenȱpersönlichenȱTonȱgemeinsam;ȱsoȱspäterȱ aufgenommenȱ beiȱ HITZIG,ȱ Erklärung,ȱ 67;ȱ vgl.ȱ außerdemȱ HOLTZMANN,ȱ PastoralȬ briefe,ȱ88.ȱȱ 28ȱȱ Vgl.ȱdasȱFazitȱvonȱPATSCH,ȱDeuteropaulinismus,ȱ477.ȱ 29ȱȱ AusȱderȱRezensionȱdesȱSendschreibensȱinȱdenȱNeuenȱTheologischenȱAnnalenȱ1809,ȱ zit.ȱa.a.O.ȱ467.ȱ 30ȱȱ Briefȱ Schleiermachersȱ vomȱ 26.1.1808,ȱ zit.ȱ a.a.O.ȱ 454.ȱ Vgl.ȱ dieȱ Beurteilungȱ PATSCHs,ȱ a.a.O.ȱ 452,ȱ Schleiermachersȱ Studieȱ habeȱ „einȱ merkwürdigesȱ Schicksalȱ gehabt:ȱ imȱ Freundeskreisȱgelobtȱ[…],ȱinȱdenȱmeistenȱRezensionenȱmehrȱoderȱwenigerȱdeutlichȱ verrissen,ȱ monographischȱ bekämpft,ȱ setzteȱ sieȱ sichȱ schließlichȱ inȱ einerȱ radikalisierȬ tenȱFormȱdurch,ȱdieȱdemȱAutorȱselbstȱnichtȱgeheuerȱwarȱundȱderȱerȱnichtȱzustimmenȱ konnte“.ȱ

1.ȱȱDasȱ19.ȱJahrhundertȱ

15ȱ

Eineȱ derȱ bedeutendstenȱ ausȱ einerȱ Fülleȱ vonȱ Widerlegungenȱ stelltȱ dieȱMonographieȱ„BemerkungenȱüberȱdenȱerstenȱPaulinischenȱBriefȱanȱ denȱTimotheusȱinȱBeziehungȱaufȱdasȱkritischeȱSendschreibenȱvonȱHrn.ȱ Prof.ȱ Fr.ȱ Schleiermacher“ȱ vonȱ Heinrichȱ Ludwigȱ Planckȱ ausȱ demȱ Jahrȱ 1808ȱdar.ȱInȱgenauemȱNachgangȱderȱMethodikȱSchleiermachersȱundȱinȱ kritischerȱ Auseinandersetzungȱ mitȱ denȱ darausȱ gewonnenenȱ ErkenntȬ nissenȱ kommtȱ Planckȱ zuȱ einemȱ diesemȱ entgegengesetztenȱ Urteil.ȱ Soȱ weistȱerȱnach,ȱ„daĨsȱeineȱgleicheȱAnalyseȱaufȱdieȱübrigenȱPaulinischenȱ Briefeȱ angewandt,ȱ theilsȱ mehr,ȱ theilsȱ weniger,ȱ dieselbeȱ Ausbeuteȱ vonȱ Sprachverschiedenheitenȱgewähre“,31ȱundȱwillȱdiesȱalsȱeinenȱBelegȱfürȱ dieȱEchtheitȱauchȱdesȱ1Timȱverstandenȱwissen.ȱ WieȱSchleiermacherȱerkenntȱauchȱPlanckȱdieȱÄhnlichkeitȱzwischenȱ 1Timȱ undȱ Tit,ȱ erklärtȱ sieȱ allerdingsȱ ausȱ derȱ zeitgleichenȱ Entstehungȱ beiderȱSchriften.32ȱPlanckȱwirftȱSchleiermacherȱvor,ȱzwarȱdieȱangeblichȱ unpaulinischeȱ Spracheȱ undȱ Kompositionȱ desȱ 1Timȱ aufgezeigtȱ zuȱ haȬ ben,ȱgleichzeitigȱaberȱdieȱ–ȱeigentlichȱvielȱwichtigereȱ–ȱpositiveȱEinordȬ nungȱdiesesȱWerkesȱinȱdieȱnachpaulinischeȱZeitȱschuldigȱgebliebenȱzuȱ sein:ȱ„[W]elchenȱZwekkȱderȱCompilationȱwillȱErȱihmȱunterlegen,ȱihm,ȱ derȱ sichȱ soȱ schlechtȱ aufȱ dasȱ Zusammentragenȱ verstandenȱ hätte?“33ȱ Soȱ urteiltȱ Planckȱ abschließend:ȱ „Damitȱ endigenȱ dieseȱ unsereȱ UntersuȬ chungen.ȱEsȱistȱmir,ȱoffenherzigȱgestanden,ȱwährendȱderselbenȱoftȱderȱ Gedankenȱ aufgestoĨsen,ȱ obȱ derȱ Verf[asser]ȱ wirklichȱ imȱ Ernstȱ dieȱ ÄchtheitȱunseresȱBriefesȱhabeȱbestreitenȱwollen,ȱobȱdasȱGanzeȱvielleichtȱ nichtȱ blosȱ einȱ lususȱ ingenii,ȱ einȱ Spielȱ desȱ Wizesȱ undȱ desȱ Scharfsinnsȱ habeȱseynȱsollen,ȱumȱzuȱsehen,ȱwieȱweit,ȱundȱmitȱwelchemȱScheineȱdesȱ Wahrscheinlichenȱ sichȱ derȱ kritischeȱ Pyrrhonismusȱ hinausȱ treibenȱ lasse.“34ȱ ȱ

Juliusȱ Wegscheiderȱ verfasstȱ –ȱ ebenfallsȱ unterȱ ausdrücklicherȱ Bezugnahmeȱ aufȱ Schleiermacherȱ–ȱ einenȱ Kommentarȱ zumȱ 1Tim.ȱ Unterȱ derȱ Kapitelüberschriftȱ „Authentieȱ desȱ erstenȱ Briefsȱ anȱ Timotheus“35ȱ greiftȱ Wegscheiderȱ sowohlȱ dieȱ SchleiermacherschenȱArgumenteȱgegenȱdieȱEchtheitȱdesȱ1Timȱalsȱauchȱdieȱvonȱ ihmȱ ausgesprochenȱ positivȱ beurteilteȱ Widerlegungȱ durchȱ Planckȱ auf.ȱ Anhandȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 31ȱȱ PLANCK,ȱBemerkungen,ȱ50ff,ȱZitatȱ50.ȱDieserȱNachweisȱwirdȱvonȱPATSCH,ȱa.a.O.ȱ465,ȱ alsȱ derȱ eigentlicheȱ Erkenntnisgewinnȱ derȱ Monographieȱ beurteilt,ȱ „dessenȱ KonseȬ quenzenȱPlanckȱaberȱnichtȱabschätzt“.ȱ 32ȱȱ PLANCK,ȱa.a.O.ȱ55.ȱ 33ȱȱ A.a.O.ȱ 125,ȱ vgl.ȱ auchȱ 235–237.ȱ Vgl.ȱ dazuȱ SCHLEIERMACHER,ȱ Sendschreiben,ȱ 236,ȱ woȱ erȱ sichȱ sehrȱ abweisendȱ äußert,ȱ esȱ seiȱ „lächerlichȱ etwasȱ darüberȱ [hierȱ speziellȱ denȱ Verfasserȱdesȱ1Tim]ȱfestsetzenȱzuȱwollen“.ȱ 34ȱȱ PLANCK,ȱa.a.O.ȱ256.ȱ 35ȱȱ WEGSCHEIDER,ȱBrief,ȱ9–28.ȱ

16ȱ

II.ȱȱEinȱForschungsüberblickȱ

vonȱfünfȱPunkten36ȱwirdȱimȱNachgangȱPlancksȱdieȱEchtheitȱdesȱBriefesȱerwieȬ sen.ȱAuffälligȱistȱderȱbreiteȱRaum,ȱdenȱdieȱUntersuchungȱdesȱVerhältnissesȱderȱ Briefeȱ zueinanderȱ einnimmt.ȱ Sicherlichȱ durchȱ Schleiermacherȱ fürȱ diesesȱ ProbȬ lemȱsensibilisiert,ȱerklärtȱWegscheiderȱdieȱunleugbareȱNäheȱvonȱTitȱundȱ1Timȱ durchȱeineȱzeitnaheȱAbfassungȱsowieȱdieȱÄhnlichkeitȱderȱAdressaten;ȱdennochȱ vorhandeneȱUnterschiedeȱwerdenȱinȱderȱunterschiedlichenȱGemeindesituationȱ begründet.ȱErȱkommtȱzuȱdemȱErgebnis:ȱ„[S]oȱistȱesȱnichtȱnothwendig,ȱdaßȱmanȱ inȱdieserȱAbsichtȱseineȱZufluchtȱzuȱeinemȱCompilatorȱnehme“.37ȱAuchȱdieȱVerȬ wandtschaftȱzwischenȱ1Timȱundȱ2TimȱsprecheȱeherȱfürȱeinenȱidentischenȱVerȬ fasserȱ alsȱ dagegen,ȱ besteheȱ sieȱ dochȱ vorȱ allemȱ inȱ „Eigenheitenȱ desȱ besondernȱ Sprachgebrauchs“,38ȱeineȱÄhnlichkeit,ȱdieȱsichȱauchȱzwischenȱdenȱpaulinischenȱ Schriftenȱ Kolȱ undȱ Ephȱ nachweisenȱ lasse.ȱ Inȱ logischerȱ Konsequenzȱ wirdȱ derȱ 1TimȱvonȱWegscheiderȱalsȱauthentischerȱPaulusbriefȱkommentiert.ȱ ȱ

Nurȱ wenigeȱ Jahreȱ wurdeȱ dieȱ Diskussionȱ vonȱ denȱ beidenȱ Antipodenȱ Schleiermacherȱ undȱ Planckȱ beherrscht.ȱ Dieȱ Argumenteȱ desȱ Ersterenȱ galtenȱ baldȱ alsȱ widerlegt39ȱ undȱ seineȱ Kompilationstheseȱ warȱ erschütȬ tert,ȱ erȱ selbstȱ beharrteȱ allerdingsȱ weiterhinȱ aufȱ derȱ Richtigkeitȱ seinerȱ Thesen.40ȱ Durchȱ Eichhornȱ undȱ seineȱ Nachfolgerȱ erhieltȱ dieȱ Debatteȱ dannȱabȱ1812ȱeinȱvölligȱneuesȱProfil.ȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 36ȱȱ AltkirchlicheȱBezeugung;ȱBesonderheitenȱinȱSpracheȱundȱRedensart;ȱÄhnlichkeitȱderȱ Briefeȱ untereinander;ȱ Stimmigkeitȱ vonȱ Intention,ȱ Inhaltȱ undȱ vorausgesetzterȱ SituaȬ tion;ȱpaulinischeȱAnlageȱdesȱ1Tim.ȱ 37ȱȱ WEGSCHEIDER,ȱBrief,ȱ16–21,ȱZitatȱ20.ȱ 38ȱȱ A.a.O.ȱ21.ȱWegscheiderȱspekuliertȱebd.ȱweiter,ȱmanȱkönnteȱannehmen,ȱ„daßȱPaulus,ȱ derȱ vermuthlichȱ vonȱ denȱ meistenȱ seinerȱ Briefeȱ eineȱ Abschriftȱ zurückbehalten,ȱ unȬ mittelbarȱvorȱAbfassungȱdesȱeinenȱsichȱdieȱAbschriftȱdesȱanderenȱwiederȱhabeȱvorleȬ senȱ lassenȱ undȱ daßȱ daherȱ umȱ soȱ eherȱ Reminiscenzenȱ hättenȱ beiȱ ihmȱ stattȱ findenȱ können.“ȱ 39ȱȱ PositivȱrezipiertȱwurdeȱdieseȱPositionȱvonȱ BLEEK,ȱEinleitung,ȱ641–645,ȱderȱebenfallsȱ nurȱ1Timȱfürȱunechtȱerklärtȱundȱdiesȱu.a.ȱmitȱderȱmerkwürdigȱunpersönlichenȱundȱ unpaulinischenȱ Stimmungȱ sowieȱ derȱ offensichtlichȱ 2Timȱ missverstehendenȱ ErwähȬ nungȱvonȱHymenaiosȱundȱAlexanderȱbegründet,ȱdaȱdiesȱdaraufȱhindeute,ȱdassȱ1Timȱ einȱ pseudepigraphisches,ȱ aufȱ Grundlageȱ derȱ beidenȱ anderenȱ echtenȱ Pastȱ verfasstesȱ Werkȱsei.ȱUnterȱAnnahmeȱpseudepigraphischerȱVerfasserschaftȱsämtlicherȱPastȱvoȬ tiertȱauchȱ V.ȱ SODEN,ȱBriefe,ȱ159.167f,ȱZitatȱ168,ȱfürȱeineȱSonderstellungȱdesȱ1Tim,ȱderȱ offensichtlichȱ 2Timȱ /ȱ Titȱ voraussetze,ȱ daȱ dieȱ Erwähnungȱ desȱ LehrerȬSchülerȬVerȬ hältnissesȱimȱ1Timȱ„denȱEindruckȱvonȱReminiscenzenȱausȱII.“ȱerwecke.ȱ 40ȱȱ Vgl.ȱ dazuȱ grundlegendȱ PATSCH,ȱ Deuteropaulinismus,ȱ 470;ȱ vgl.ȱ außerdemȱ SchleiȬ ermachersȱ abschließendesȱ Fazitȱ zit.ȱ a.a.O.ȱ 471ȱ Anm.ȱ 56:ȱ „Dieȱ Sacheȱ derȱ dreiȱ Briefeȱ liegtȱ alsoȱ fürȱ michȱ immerȱ nochȱ so,ȱ daßȱ ichȱ gegenȱ Titusȱ nichtsȱ ordentlichesȱ aufzuȬ bringenȱ weiß,ȱ gegenȱ 2.Tim.ȱ Bedenkenȱ habe,ȱ dieȱ aberȱ nichtȱ starkȱ genugȱ sind,ȱ eineȱ Entscheidungȱ herbeizurufen,ȱ 1.Tim.ȱ aberȱ nichtȱ zuȱ vertheidigenȱ weißȱ auchȱ beiȱ demȱ bestenȱWillen“.ȱ

1.ȱȱDasȱ19.ȱJahrhundertȱ

17ȱ

1.3ȱȱJ.G.ȱEichhorn:ȱDieȱPastoralbriefeȱalsȱliterarischeȱEinheitȱ Johannȱ G.ȱ Eichhornȱ verändertȱ Schleiermachersȱ Fragestellungȱ grundleȬ gend:ȱWährendȱjenerȱdieȱvorhandenenȱsprachlichenȱNähenȱalsȱBeweisȱ fürȱeineȱliterarischeȱAbhängigkeitȱdeutet,ȱbehauptetȱEichhornȱaufgrundȱ derȱ zwischenȱ denȱ dreiȱ Briefenȱ erkanntenȱ großenȱ Verwandtschaftȱ inȱ „Sprache,ȱIdeenȱundȱManier“ȱihreȱHerkunftȱvonȱeinemȱeinzigenȱVerfasȬ ser.41ȱSprachlicheȱUntersuchungenȱführenȱihnȱaußerdemȱdazu,ȱalleȱdreiȱ Briefeȱ alsȱ unpaulinischȱ zuȱ charakterisieren.ȱ Währendȱ Schleiermacherȱ geradeȱdieȱDifferenzȱzwischenȱ1TimȱundȱdenȱbeidenȱanderenȱPastȱzumȱ Ausgangspunktȱ seinerȱ Ablehnungȱ desȱ Ersterenȱ macht,42ȱ betrachtetȱ EichhornȱdieȱBriefeȱalsȱliterarischeȱ–ȱallerdingsȱnochȱnichtȱalsȱkompositoriȬ scheȱ–ȱEinheit.ȱ DaherȱgehtȱEichhornȱfürȱjedenȱderȱdreiȱBriefeȱgesondertȱderȱFrageȬ stellungȱ nach,ȱ obȱ erȱ vonȱ Paulusȱ stammenȱ könneȱ undȱ wieȱ erȱ inȱ Inhaltȱ undȱ Gattungȱ inȱ derȱ paulinischenȱ Biographieȱ zuȱ verortenȱ wäre.ȱ Erȱ kommtȱ jeweilsȱzuȱdemȱ Schluss,ȱ dassȱ„innereȱ undȱ äußereȱ Gründe“ȱ geȬ genȱ eineȱ paulinischeȱ Autorschaftȱ sprechen.43ȱ Imȱ Hinblickȱ aufȱ 1Timȱ notiertȱ erȱ nichtȱ nurȱ Widersprücheȱ zurȱ Chronologieȱ derȱ Apg,ȱ sondernȱ weistȱauchȱdaraufȱhin,ȱdassȱkeineȱSituationȱdenkbarȱsei,ȱinȱderȱeinȱbeȬ reitsȱ zuȱ seinemȱ Stellvertreterȱ ernannterȱ engerȱ Mitarbeiterȱ desȱ Paulusȱ eineȱ soȱ detaillierteȱ Anweisungȱ benötige.44ȱ Auchȱ Titȱ undȱ 2Timȱ ließenȱ sichȱ nichtȱ inȱ dieȱ paulinischeȱ Biographieȱ einordnen,ȱ nichtȱ einmalȱ beiȱ Postulierungȱ einerȱ zweitenȱ römischenȱ Gefangenschaftȱ desȱ Paulus,ȱ dieȱ zudemȱnurȱausȱ2Timȱselbstȱgewonnenȱwerdenȱkönne.45ȱDarüberȱhinausȱ habeȱderȱVerfasserȱdesȱ2TimȱoffensichtlichȱeinȱanderesȱBildȱvonȱdiesemȱ Gefängnisaufenthaltȱ alsȱ Paulusȱ selbst.46ȱ Ausȱ denȱ bisherigenȱ EinzelunȬ tersuchungenȱ gewinntȱ Eichhornȱ dieȱ Erkenntnis,ȱ dassȱ keinerȱ derȱ dreiȱ BriefeȱvonȱPaulusȱselbstȱstammenȱkönne,ȱsondernȱsieȱvielmehrȱvonȱeiȬ nemȱApostelschülerȱherrührenȱmüssen.47ȱȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 41ȱȱ EICHHORN,ȱEinleitungȱVII,ȱ315;ȱvgl.ȱa.a.O.ȱ316f,ȱseineȱBelegeȱfürȱdieȱZusammengehöȬ rigkeitȱderȱBriefe.ȱ 42ȱȱ Vgl.ȱdazuȱauchȱBAUR,ȱPastoralbriefe,ȱ2.ȱ 43ȱȱ EICHHORN,ȱEinleitungȱVII,ȱ380.ȱ 44ȱȱ A.a.O.ȱ331ff.ȱ 45ȱȱ A.a.O.ȱ 355ffȱ (zuȱ 2Tim).373–379ȱ (zuȱ Tit).ȱ Vgl.ȱ dieȱ Redeȱ vomȱ circulusȱ vitiosusȱ beiȱ MARXSEN,ȱEinleitung,ȱ207ȱ(vgl.ȱS.ȱ34ȱAnm.ȱ5).ȱ 46ȱȱ EICHHORN,ȱEinleitungȱVII,ȱ362.ȱEichhornȱbezeichnetȱebd.ȱdieȱStimmungȱdesȱ2Timȱalsȱ „kleinmüthig“.ȱ 47ȱȱ A.a.O.ȱ380f.ȱ

18ȱ

II.ȱȱEinȱForschungsüberblickȱ

ImȱFolgendenȱfragtȱerȱwiederumȱfürȱjedenȱeinzelnenȱBriefȱnachȱUrȬ sprungȱ undȱ Intention.ȱ Imȱ Titȱ siehtȱ Eichhornȱ eineȱ imȱ Nachgangȱ einerȱ paulinischenȱ Predigtȱ verschriftlichteȱ undȱ systematisierteȱ paulinischeȱ Ämterordnung,ȱdieȱsorgfältigȱinȱeineȱdemȱApostelȱgemäßeȱ(BriefȬ)Formȱ gebrachtȱwordenȱsei.48ȱ1TimȱseiȱausȱderȱgleichenȱIntentionȱherausȱverȬ fasst,ȱ einȱ „Idealȱ zurȱ Befolgung“49ȱ zuȱ entwerfen,ȱ allerdingsȱ „[e]inȱ oderȱ einȱPaarȱDecennienȱspäter“:50ȱErȱenthalteȱmehrȱÄmterȱundȱdetailliertereȱ Angaben,ȱ weilȱ erȱ fürȱ eineȱ weiterentwickelteȱ Gemeindeȱ gedachtȱ sei.ȱ GleichzeitigȱseiȱerȱnichtȱmehrȱsoȱsorgfältigȱgearbeitetȱwieȱnochȱTit,ȱwasȱ aufȱ eineȱ gewisseȱ Nachlässigkeitȱ desȱ nunȱ geübterenȱ Verfassersȱ hinȬ weise.51ȱ Alsȱ Ursprungȱ desȱ 2Timȱ nimmtȱ Eichhornȱ einenȱ verlorenȱ gegangenenȱechtenȱPrivatbriefȱdesȱgefangenenȱApostelsȱanȱseinenȱMitȬ arbeiterȱan,ȱvonȱdessenȱExistenzȱundȱInhaltȱmanȱnochȱKenntnisȱgehabtȱ habeȱ undȱ denȱ dieserȱ unsȱ erhalteneȱ Briefȱ zuȱ rekonstruierenȱ versuche.ȱ AllerdingsȱhabeȱderȱVerfasserȱzuȱwenigȱüberȱdieȱSituationȱdesȱApostelsȱ gewusst,ȱdaherȱverschiedeneȱhistorischeȱInformationenȱfalschȱgemischtȱ undȱlediglichȱdenȱ–ȱgegenüberȱTimotheusȱzuȱerwartendenȱsehrȱpersönȬ lichenȱ–ȱTonfallȱdesȱApostelsȱgetroffen.52ȱ Soȱ istȱ Eichhornȱ derȱ Ersteȱ inȱ einerȱ langenȱ Traditionȱ vonȱ Exegeten,ȱ derȱ sämtlicheȱ Pastoralbriefeȱ alsȱ deuteropaulinischȱ beurteilt.ȱ Dennochȱ erkenntȱ erȱ allenȱ dreiȱ Briefenȱ eineȱ historischeȱ Eigenständigkeitȱ zu,ȱwasȱ ihnȱ zuȱ einerȱ differenziertenȱ Untersuchungȱ ihrerȱ Entstehungȱ undȱ ihresȱ Inhaltsȱveranlasst.ȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 48ȱȱ A.a.O.ȱ 386–391ȱ (vgl.ȱ ebd.ȱ 386:ȱ „Derȱ Apostelȱ starb;ȱ seineȱ mündlichenȱ Vorschriftenȱ überȱ dieȱ Einrichtungȱ christlicherȱ Gemeindenȱ derȱ bloßenȱ Überlieferungȱ zuȱ überlasȬ sen,ȱ warȱ nichtȱ rathsam,ȱ weilȱ sieȱ aufȱ diesemȱ Wegeȱ zuȱ leichtȱ derȱ Verfälschungȱ Preisȱ gegebenȱ wordenȱ wärenȱ […]ȱ Wasȱ warȱ unterȱ diesenȱ Umständenȱ natürlicher,ȱ alsȱ daßȱ irgendȱeinȱSchülerȱdesȱApostels,ȱnochȱvorȱAblaufȱderȱGeneration,ȱdieȱihnȱzumȱLehȬ rerȱ gehabtȱ hatte,ȱ aufȱ denȱ Gedankenȱ gerieth,ȱ wasȱ Paulusȱ denȱ Gemeindenȱ überȱ ihreȱ Einrichtung,ȱundȱdenȱverschiedenenȱStänden,ȱausȱwelchenȱsieȱbestanden,ȱüberȱihreȱ Pflichtenȱ vorzuschreibenȱ pflegte,ȱ schriftlichȱ zuȱ machen;ȱ undȱ dieȱ Vorschriftenȱ dem,ȱ vonȱwelchemȱerȱsieȱhatte,ȱinȱdenȱMundȱzuȱlegen?ȱAberȱinȱwelcherȱForm?ȱ[…]ȱinȱderȱ FormȱeinesȱBriefs,ȱweilȱallgemeinȱbekanntȱwar,ȱdaßȱPaulusȱ mitȱeinzelnenȱPersonenȱ undȱganzenȱGemeindenȱinȱeinemȱhäufigenȱBriefwechselȱgestandenȱsei.“).ȱDieseȱChaȬ rakterisierungȱbrachteȱEichhornȱdenȱVorwurfȱHOLTZMANNs,ȱPastoralbriefe,ȱ9,ȱein,ȱerȱ seiȱ„nochȱconservativȱgenug,ȱumȱblosȱdieȱFormȱfürȱunpaulinischȱzuȱerklären,ȱderȱInȬ haltȱ seiȱ alsoȱ wohlȱ ausȱ demȱ Mundeȱ desȱ Apostelsȱ genommenȱ undȱ vonȱ einemȱ seinerȱ SchülerȱzuȱPapierȱgebracht.“ȱ 49ȱȱ EICHHORN,ȱa.a.O.ȱ401.ȱ 50ȱȱ A.a.O.ȱ393.ȱ 51ȱȱ A.a.O.ȱ402–404.ȱ 52ȱȱ A.a.O.ȱ406–410.ȱ

1.ȱȱDasȱ19.ȱJahrhundertȱ

19ȱ

1.4ȱȱW.M.L.ȱDeȱWettesȱSymbioseȱderȱAnsätzeȱSchleiermachersȱundȱ EichhornsȱalsȱLösungȱderȱProblematikȱumȱdenȱ1.ȱTimotheusbriefȱ WilhelmȱMartinȱLeberechtȱDeȱWetteȱbeschäftigtȱsichȱimȱRahmenȱeinesȱ neutestamentlichenȱ Lehrbuchsȱ sowieȱ einerȱ Kommentarreiheȱ mitȱ denȱ PastoralbriefenȱundȱkommtȱdabeiȱzuȱrechtȱunterschiedlichenȱErgebnisȬ sen.ȱSoȱfälltȱauf,ȱdassȱerȱinȱseinemȱ„LehrbuchȱderȱhistorischȬkritischenȱ Einleitung“ȱdieȱEchtheitsfrageȱbezüglichȱderȱPastȱoffenȱlässt:ȱZunächstȱ beurteiltȱerȱalleȱdreiȱPastȱundȱbesondersȱdenȱ1TimȱausgesprochenȱkriȬ tisch53ȱundȱnenntȱmehrereȱGründe,ȱdieȱihnȱzuȱZweifelnȱanȱderȱEchtheitȱ veranlassen.54ȱ Eineȱ genauereȱ Untersuchungȱ vonȱ 1Timȱ 1,20;ȱ 2Timȱ 2,17;ȱ 4,14ȱ führtȱ ihnȱ zunächstȱ dazu,ȱ bezüglichȱ desȱ 1Timȱ eineȱ Symbiose55ȱ derȱ Erkenntnisseȱ Schleiermachersȱ undȱ Eichhornsȱ zuȱ wagen:ȱ „[S]oȱ istȱ dieȱ Annahmeȱ Schleiermachers,ȱ dassȱ erȱ ausȱ denȱ andern,ȱ besondersȱausȱ demȱ Br[ief]ȱ anȱ Titus,ȱ compilirtȱ sei,ȱ soȱ begründet,ȱ alsȱ nurȱ eineȱ Hypotheseȱ dieserȱArtȱseynȱkann;ȱsieȱlässtȱsichȱaberȱmitȱderȱAnsichtȱEichhornsȱverȬ einigen,ȱ welcherȱ alleȱ dreiȱ Briefeȱ fürȱ unpaulinischȱ erklärt.“56ȱ Denȱ Paragraphenȱ abschließendȱ bemerktȱ erȱ dannȱ allerdings:ȱ „Freilichȱ hatȱ dieseȱHypotheseȱnochȱmehrȱWahrscheinlichkeit,ȱwennȱmanȱdieȱnachgeȬ ahmtenȱBriefeȱfürȱächtȱhält,ȱwieȱSchleiermacherȱthut.“57ȱDamitȱnimmtȱerȱ seineȱeigeneȱVermutungȱwiederȱzurückȱundȱverbleibtȱaufȱderȱSchleierȬ macherschenȱ Linie,ȱ derȱ erȱ schonȱ inȱ derȱ Rezensionȱ vonȱ dessenȱ SendȬ schreibenȱzugestimmtȱhatte:ȱ„Wasȱnochȱniemandȱsah,ȱhatȱerȱgesehen“.58ȱ Gleichzeitigȱ fordertȱ erȱ zuȱ einerȱ weitergehendenȱ Auseinandersetzungȱ mitȱ denȱ Entstehungsverhältnissenȱ derȱ Pastȱ auf:ȱ „[S]oȱ bleibtȱ demȱ KriȬ tikerȱnichtsȱübrig,ȱalsȱsichȱselbstȱundȱAndereȱzurȱerneutenȱPrüfungȱdesȱ streitigenȱGegenstandesȱzuȱermuntern.“59ȱȱ Diesemȱ Anspruchȱ wirdȱ Deȱ Wetteȱ selbstȱ inȱ seinerȱ ca.ȱ zehnȱ Jahreȱ späterȱ unterȱ offensichtlichemȱ Einflussȱ derȱ Monographieȱ Baurs60ȱ erȬ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 53ȱȱ DEȱ WETTE,ȱLehrbuch,ȱ236:ȱ„MithinȱistȱderȱBriefȱwederȱgeschichtlich,ȱnochȱexegetischȱ zuȱbegreifen“;ȱvgl.ȱaußerdemȱa.a.O.ȱ239f.ȱ 54ȱȱ Besonderheitenȱ inȱ Spracheȱ undȱ Stil,ȱ einȱ „Ueberschwankenȱ vomȱ Besondernȱ zumȱ Allgemeinen“,ȱunkonkreteȱZeichnungȱderȱIrrlehrer,ȱHinweiseȱaufȱzeitlicheȱNäheȱderȱ dreiȱBriefeȱzueinander,ȱsoȱa.a.O.ȱ241.ȱ 55ȱȱ SoȱbereitsȱdieȱBeurteilungȱHOLTZMANNs,ȱPastoralbriefe,ȱ9.ȱ 56ȱȱ DEȱWETTE,ȱLehrbuch,ȱ243f.ȱ 57ȱȱ Ebd.ȱȱ 58ȱȱ Soȱ inȱ derȱ Ausgabeȱ derȱ Jenaischenȱ Allgemeinenȱ Zeitungȱ vomȱ Novemberȱ 1807,ȱ vgl.ȱ PATSCH,ȱDeuteropaulinismus,ȱ459,ȱZitatȱebd.ȱ 59ȱȱ DEȱWETTE,ȱLehrbuch,ȱ244.ȱȱ 60ȱȱ Vgl.ȱders.,ȱErklärung,ȱ121fȱu.ö.ȱ(s.u.ȱPunktȱII.1.5ȱdieserȱArbeit).ȱ

20ȱ

II.ȱȱEinȱForschungsüberblickȱ

schienenenȱ „Kurzenȱ Erklärung“ȱ gerecht.ȱ Hierȱ gehtȱ erȱ nunȱ sehrȱ vielȱ konkreterȱ aufȱ dieȱ vonȱ ihmȱ hinterȱ denȱ Pastȱ vermutetenȱ EntstehungssiȬ tuationenȱein:ȱKeinenȱderȱdreiȱBriefeȱkannȱerȱnunȱmehrȱinȱderȱbekannȬ tenȱ Lebensgeschichteȱ desȱ Apostelsȱ verorten,ȱ auchȱ derȱ jeweiligeȱ Inhaltȱ undȱ dieȱ angeblicheȱ Briefintentionȱ seienȱ nichtȱ stimmigȱ –ȱ beimȱ 2Timȱ sprichtȱerȱgarȱvonȱ„geschichtlichenȱMissverhältnissen“ȱ–,ȱundȱdenȱvonȱ ihmȱ beobachtetenȱ Mangelȱ anȱ Klarheitȱ undȱ Zusammenhangȱ begründetȱ erȱmitȱdemȱ„UnvermögenȱeinesȱimȱNamenȱdesȱAp[ostels]ȱschreibendenȱ späternȱVerf[assers]“.61ȱ Geradeȱgemeinsamȱ betrachtetȱ bötenȱ dieȱ dreiȱBriefeȱstarkeȱBeweiseȱ ihrerȱ unpaulinischenȱ Herkunft;ȱ sprachlicheȱ undȱ strukturelleȱ GemeinȬ samkeiten,ȱ„gewisseȱEigenthümlichkeitenȱinȱBegriffenȱundȱAnsichten“ȱ sowieȱ eineȱ gemeinsameȱ gegnerischeȱ Frontȱ (judaisierenderȱ oderȱ antijuȬ daisierender)ȱGnostikerȱlegtenȱzudemȱeineȱeinheitlicheȱVerfasserschaftȱ nahe.62ȱGleichzeitigȱverwehrtȱsichȱDeȱWetteȱgegenȱeineȱzeitnaheȱAbfasȬ sungȱderȱdreiȱBriefe,ȱwodurchȱmanȱgerneȱversuche,ȱsieȱtrotzȱstilistischerȱ Besonderheitenȱalsȱpaulinischȱzuȱretten:ȱ„[E]ineȱsolcheȱGleichzeitigkeitȱ [ist]ȱaberȱmitȱdemȱInhaltȱderȱBriefe,ȱihremȱVerhältnisseȱzueinanderȱundȱ ihrenȱangeblichenȱgeschichtlichenȱBeziehungenȱunverträglich“.63ȱȱ DeȱWetteȱ bestimmtȱ Titȱ –ȱ 2Timȱ –ȱ 1Timȱ alsȱ Abfassungsreihenfolgeȱ undȱkommentiertȱdieȱdreiȱBriefeȱauchȱinȱdieserȱAnordnung.ȱZwarȱziehtȱ erȱ genauȱ wieȱ Schleiermacherȱ dieȱ thematischeȱ Weiterentwicklungȱ vonȱ 2Timȱ2,17fȱ hinȱ zuȱ demȱ vonȱ ihmȱ alsȱ „Hysteronproteron“64ȱ charakȬ terisiertenȱVersȱ1Timȱ1,20ȱalsȱBelegȱfürȱeineȱzeitlicheȱEinordnungȱheran,ȱ lehntȱdessenȱKompilationstheseȱnunȱaberȱabȱundȱvermutetȱeineȱandereȱ Formȱ derȱ Abhängigkeit:ȱ „Derselbeȱ paulinischeȱ Schülerȱ ergreiftȱ zurȱ wiederholtenȱ Behandlungȱ desȱ gleichenȱ undȱ ähnlicherȱ Gegenständeȱ zumȱdrittenȱMaleȱdenȱGriffel.ȱDabeiȱnunȱkonnteȱerȱsichȱmancherȱRemiȬ niscenzenȱausȱdenȱfrühernȱBriefenȱnichtȱenthalten.“65ȱInȱAnlehnungȱanȱ Baurȱ bestimmtȱ DeȱWetteȱ alsȱ Abfassungsanlassȱ fürȱ dieȱ dreiȱ Briefeȱ dieȱ FurchtȱvorȱIrrlehrern,ȱdenenȱderȱVerfasserȱmitȱderȱWohlordnungȱseinerȱ Gemeindenȱzuȱbegegnenȱversuche:ȱ„Anfangsȱimȱ2ȱTim.ȱundȱimȱBr[ief]ȱ a[n]ȱ Tit.ȱ begnügteȱ erȱ sichȱ mitȱ wenigenȱ undȱ dunklenȱ Andeutungen;ȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 61ȱȱ Vgl.ȱa.a.O.ȱ1.3.23f.61–63,ȱbeideȱZitateȱ24.ȱ 62ȱȱ A.a.O.ȱ118–120,ȱZitatȱ119.ȱZuȱderȱMöglichkeit,ȱdassȱsichȱdieȱPastȱgegenȱmehrereȱantiȬ häretischeȱFrontenȱrichten,ȱvgl.ȱS.ȱ366ȱbes.ȱAnm.ȱ13f.ȱ 63ȱȱ A.a.O.ȱ120.ȱ 64ȱȱ A.a.O.ȱ 122.ȱ Diesȱ giltȱ natürlichȱ nurȱ beiȱ Zugrundelegungȱ derȱ kanonischȱ gewordenenȱ Lesereihenfolge.ȱ 65ȱȱ A.a.O.ȱ120f,ȱZitatȱ121.ȱ

1.ȱȱDasȱ19.ȱJahrhundertȱ

21ȱ

nacherȱaberȱsahȱerȱsichȱveranlasstȱmehrȱzuȱthun:ȱundȱsoȱschriebȱerȱdenȱ 1.ȱ(fürȱihnȱdenȱ2.)ȱBr[ief]ȱanȱTim.“66ȱ

1.5ȱȱF.C.ȱBaur:ȱDieȱPseudonymitätȱdesȱ1.ȱTimotheusbriefesȱalsȱ AusgangspunktȱfürȱdieȱBeurteilungȱderȱbeidenȱanderenȱPastoralbriefeȱ FerdinandȱChristianȱBaursȱBeitragȱzurȱPastȬExegeseȱbestehtȱdarin,ȱhisȬ torischeȱArgumenteȱfürȱdieȱEinordnungȱderȱPastoralbriefeȱfruchtbarȱgeȬ machtȱ zuȱ haben.67ȱ Inȱ kritischerȱ Auseinandersetzungȱ mitȱ SchleiermaȬ cher,ȱ demȱ Baurȱ vorwirft,ȱ beiȱ derȱ negativenȱ Seiteȱ derȱ Kritikȱ stehenȱ gebliebenȱzuȱsein,ȱwillȱerȱselbstȱzuȱeinemȱ„sicheren,ȱauchȱgeschichtlichȱ begründetenȱ Resultat“ȱ kommen,ȱ indemȱ erȱ dieȱ bisherigenȱ negativenȱ Beweiseȱ fürȱ Unechtheitȱ durchȱ eineȱ positiveȱ Einordnungȱ derȱ PastoralȬ briefeȱinȱihrȱmöglichesȱhistorischesȱUmfeldȱergänzt68ȱundȱaufweist,ȱdassȱ sieȱ inȱ ihrerȱ konkretenȱ Formȱ nurȱ inȱ Auseinandersetzungȱ mitȱ denȱ gnostischenȱ Systemenȱ desȱ 2.ȱ Jahrhundertsȱ zuȱ verstehenȱ seien.69ȱ Inȱ Abgrenzungȱ zurȱ Methodikȱ Schleiermachersȱ undȱ Eichhornsȱ lässtȱ sichȱ diesesȱ Vorgehenȱ alsȱ „positiveȱ Kritik“70ȱ charakterisieren.ȱ Baurȱ behaupȬ tet,ȱ mitȱ derȱ historischenȱ Verortungȱ derȱ Pastȱ einenȱ „Standpunktȱ derȱ Objectivität“ȱ einzunehmen71ȱ –ȱ „Wasȱ kannȱ aberȱ objektivereȱ Realitätȱ haben,ȱ alsȱ dieȱ Objektivitätȱ derȱ Thatsachenȱ derȱ Geschichte?“72ȱ –,ȱ ohneȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 66ȱȱ A.a.O.ȱ 122.ȱ Entgegenȱ Baursȱ Spätdatierungȱ ordnetȱ Deȱ Wetteȱ dieȱ Briefeȱ allerdingsȱ nochȱEndeȱdesȱ1.ȱJahrhundertsȱein.ȱ 67ȱȱ SoȱJOHNSON,ȱTimothy,ȱ45.ȱVgl.ȱ auchȱdieȱBeurteilungenȱTRUMMERs,ȱPaulustradition,ȱ 21,ȱundȱbereitsȱHOLTZMANNs,ȱEinleitung,ȱ275.ȱ 68ȱȱ BAUR,ȱ Pastoralbriefe,ȱ 3–7,ȱ Zitatȱ 7.ȱ Auchȱ anȱ Eichhornȱ übtȱ Baurȱ Kritik:ȱ Erȱ hältȱ seineȱ positiveȱ Beweisführungȱ fürȱ nichtȱgelungenȱ undȱ wirftȱihmȱ darüberȱhinausȱübertrieȬ benenȱ Konservativismusȱ vor,ȱ weilȱ erȱ denȱ Briefenȱ trotzȱ derȱ Annahmeȱ nachpauliniȬ scherȱVerfasserschaftȱeinenȱpaulinischenȱInhaltȱunterstellenȱwolle;ȱvgl.ȱa.a.O.ȱ5f.ȱ 69ȱȱ Diesȱ bezeichnetȱ SCHWEITZER,ȱ Geschichte,ȱ 11,ȱ alsȱ denȱ großenȱ Gewinnȱ derȱ UntersuȬ chungȱBaurs:ȱ„DieȱErkenntnisȱdesȱWesensȱundȱderȱBedeutungȱdesȱGnostizismusȱgibtȱ BaurȱdieȱMöglichkeit,ȱeineȱneueȱArtȱvonȱKritikȱzuȱtreiben.ȱVorȱihmȱkonnteȱmanȱnurȱ dasȱ negativeȱ Urteilȱ aussprechen,ȱ daßȱ einȱ Schreibenȱ nichtȱ demȱ Verfasserȱ angehöre,ȱ unterȱdessenȱNamenȱesȱüberliefertȱwurde.ȱJetztȱaberȱistȱesȱmöglichȱzuȱbestimmen,ȱinȱ welcheȱZeitȱesȱgehört.ȱManȱbrauchtȱnurȱfestzustellen,ȱ[…]ȱobȱesȱsichȱmitȱspekulativerȱ Irrlehreȱbefaßt.“ȱȱ 70ȱȱ Diesenȱ Begriffȱ prägteȱ HOLTZMANN,ȱ Pastoralbriefe,ȱ 9.ȱ BAUR,ȱ Pastoralbriefe,ȱ 4,ȱ forȬ derte,ȱ manȱ müsseȱ „jene[r]ȱ bloßȱ negative[n]ȱ Beweisführung“ȱ auchȱ „positiveȱ Data“ȱ hinzufügen.ȱ 71ȱȱ BAUR,ȱGnosis,ȱ668f.ȱȱ 72ȱȱ Ders.,ȱPastoralbriefe,ȱIV.ȱ

22ȱ

II.ȱȱEinȱForschungsüberblickȱ

sichȱ überȱ dieȱ damitȱ einhergehendeȱ Konstruktionȱ vonȱ Wirklichkeitȱ ReȬ chenschaftȱabzulegen.73ȱ Weilȱ Schleiermacherȱ „demȱ erstenȱ dieserȱ Briefeȱ wenigstensȱ eineȱ kaumȱ heilbareȱ Wundeȱ geschlagen“ȱ habe74ȱ undȱ esȱ inȱ Folgeȱ Eichhornȱ undȱ DeȱWetteȱ gelungenȱ sei,ȱ dieȱ engeȱ Zusammengehörigkeitȱ allerȱ dreiȱ Briefeȱaufzuweisen,ȱwillȱBaurȱnunȱbeideȱErkenntniswegeȱkombinieren,ȱ indemȱerȱdieȱdreiȱBriefeȱgemeinsamȱuntersucht,ȱdieȱArgumenteȱfürȱihreȱ Unechtheitȱaberȱv.a.ȱausȱdemȱ1Timȱgewinnt.75ȱDiesesȱVorgehenȱstehtȱinȱ gewissemȱ Widerspruchȱ zuȱ Baursȱ Behauptung,ȱ esȱ könneȱ „dochȱ nichtȱ geläugnetȱwerden,ȱdaßȱesȱsichȱmitȱdemȱerstenȱdieserȱBriefeȱinȱkritischerȱ Hinsichtȱ imȱ Ganzenȱ auchȱ wiederȱ andersȱ verhältȱ alsȱ mitȱ denȱ beidenȱ anderen“,ȱohneȱdassȱdiesȱimȱRahmenȱderȱSchriftȱmethodischȱreflektiertȱ wird.76ȱȱ ZunächstȱrichtetȱBaurȱseineȱAufmerksamkeitȱaufȱdieȱHäretiker,ȱdeȬ renȱ Widerlegungȱ erȱ alsȱ denȱ eigentlichenȱ Abfassungszweckȱ allerȱ dreiȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 73ȱȱ Baursȱ optimistischeȱ Einschätzungȱ dessen,ȱ wasȱ Geschichtswissenschaftȱ undȱ TenȬ denzkritikȱ leistenȱ können,ȱ wirdȱ heuteȱ kritischȱ betrachtet;ȱ vgl.ȱ dazuȱ grundlegendȱ HERZER,ȱFiktion,ȱ506–510,ȱsowieȱELLIS,ȱHistory,ȱ18fȱu.ö.ȱȱ ȱ ȱ Unterȱ Missachtungȱ derȱ Grenzenȱ dieserȱ Methodikȱ lässtȱ Baurȱ sichȱ inȱ seinemȱ scheinbarȱkritischenȱVorgehenȱ(vgl.ȱdasȱVotumȱREVENTLOWs,ȱEpochen,ȱ270,ȱderȱvonȱ einemȱ „Idealȱ vermeintlicherȱ Objektivität“ȱ spricht)ȱ undȱ unterȱ Einflussȱ derȱ HegelȬ schenȱTriadeȱ–ȱmitȱderenȱHilfeȱerȱdieȱFrüheȱKircheȱalsȱSyntheseȱausȱpetrinischenȱundȱ paulinischenȱ Elementenȱ erklärt;ȱ vgl.ȱ fürȱ dieȱ Pastȱ BAUR,ȱ Pastoralbriefe,ȱ 78fȱ –ȱ dazuȱ verleiten,ȱ dieȱ gesamteȱ neutestamentlicheȱ Literaturȱ seinemȱ positivistischȱ rekonȬ struiertenȱSchemaȱvonȱGeschichteȱunterzuordnen;ȱvgl.ȱdazuȱdasȱeuphorischeȱVotumȱ TROELTSCHs,ȱBaur,ȱ283.ȱ 74ȱȱ BAUR,ȱa.a.O.ȱ2.ȱ 75ȱȱ Vgl.ȱ a.a.O.ȱ 5,ȱ Baursȱ eigeneȱ Einschätzung:ȱ „Gebenȱ sichȱ unsȱ aberȱ einmalȱ inȱ diesemȱ BriefeȱMerkmaleȱeinerȱZeitȱzuȱerkennen,ȱdieȱnichtȱfürȱdieȱapostolischeȱgehaltenȱwerȬ denȱkann,ȱsoȱmüssenȱauchȱdieȱbeidenȱandernȱBriefe,ȱsoȱweitȱunsȱinȱihnenȱdieselbenȱ Merkmaleȱbegegnen,ȱunterȱdenselbenȱkritischenȱGesichtspunktȱgestelltȱwerden.“ȱInȱ Bezugȱaufȱ2TimȱdienenȱBAUR,ȱa.a.O.ȱ69f,ȱdarüberȱhinausȱdieȱAnalogien,ȱdieȱzwischenȱ 2Timȱ undȱ Philȱ bestehenȱ undȱ dieȱ dazuȱ führen,ȱ dassȱ Erstererȱ alsȱ Erfüllungȱ desȱ inȱ LetzteremȱAngekündigtenȱerscheint,ȱalsȱBeweisȱfürȱdieȱUnechtheitȱdesȱ2Timȱanȱsich.ȱ 76ȱȱ A.a.O.ȱ4.ȱVgl.ȱauchȱdieȱa.a.O.ȱ54,ȱformuliertenȱnochȱweiterȱreichendenȱVermutungenȱ Baursȱ zuȱ denȱ Past,ȱ derȱ „(besondersȱ wegenȱ desȱ Verhältnisses,ȱ inȱ welchemȱ derȱ ersteȱ Briefȱ zuȱ denȱ beidenȱ andernȱ steht)ȱ dieȱ überwiegendeȱ Wahrscheinlichkeitȱ dafürȱ […ȱ sieht],ȱsieȱnichtȱeinemȱundȱdemselbenȱVerfasserȱzuzuschreiben.“ȱAllerdingsȱhatȱBaurȱ dieseȱAnnahmeȱspäterȱselbstȱrevidiert,ȱwennȱerȱschreibt,ȱinsgesamtȱzeigeȱsichȱ„eineȱ solcheȱ Gleichartigkeitȱ derȱ dreiȱ Briefe,ȱ dassȱ keinerȱ vonȱ denȱ beidenȱ andernȱ getrenntȱ werdenȱ kann,ȱ undȱ hierausȱ wohlȱ auchȱ aufȱ dieȱ Identitätȱ desȱ Verfassersȱ zuȱ schließenȱ ist“,ȱsoȱBAUR,ȱPaulusȱII,ȱ116.ȱVgl.ȱauchȱHOLTZMANN,ȱPastoralbriefe,ȱ86.ȱȱ

1.ȱȱDasȱ19.ȱJahrhundertȱ

23ȱ

Pastȱbestimmt.77ȱAusgehendȱvonȱeinerȱFormulierungȱinȱ1Timȱ6,20ȱ(„WiȬ dersprücheȱ [avnti,qeseij]ȱ derȱ fälschlichȱ soȱ genanntenȱ Gnosis“),ȱ dieȱ anȱ Markionsȱ Werkȱ „Antithesen“ȱ erinnere,ȱ erkenntȱ erȱ hinterȱ denȱ Gegnernȱ desȱ1TimȱdieȱMarkioniten,ȱmitȱdenenȱsichȱdieȱPastȱinȱAbgrenzungȱundȱ gleichzeitigerȱ eigenerȱ Aufnahmeȱ gnostischerȱ Formulierungenȱ ausȬ einandersetzten.78ȱDiesȱverleitetȱBaurȱzuȱeinerȱSpätdatierungȱderȱPastoȬ ralbriefeȱ erstȱ inȱ derȱ Mitteȱ desȱ 2.ȱ Jahrhunderts,ȱ dieȱ erȱ mitȱ einerȱ fehlenȬ denȱ altkirchlichenȱ Bezeugungȱ vorȱ Endeȱ desȱ 2.ȱ Jahrhundertsȱ zuȱ unterȬ mauernȱ sucht.79ȱ Inȱ zweiȱ weiterenȱ Abschnittenȱ widmetȱ sichȱ Baurȱ denȱ anderenȱ Merkmalen,ȱ dieȱ aufȱ eineȱ spätereȱ Entstehungszeitȱ hindeuteȬ ten.80ȱAußerdemȱversuchtȱBaur,ȱdieȱgenauenȱUmständeȱderȱEntstehungȱ derȱPastȱzuȱrekonstruieren:ȱErȱordnetȱsieȱinȱderȱzeitlichenȱReihenfolgeȱ 2Timȱ–ȱTitȱ–ȱ1TimȱundȱbegründetȱdiesȱmitȱihremȱUmgangȱmitȱdenȱHäȬ retikern:ȱImȱ2TimȱseiȱesȱnochȱTimotheusȱallein,ȱderȱsichȱgegenȱdieȱIrrȬ lehrenȱzurȱWehrȱsetzenȱsolle;ȱHinweiseȱaufȱallgemeinȱdieȱKircheȱbetrefȬ fendeȱ Warnungenȱ fehltenȱ hingegen.ȱ Diesȱ ändereȱ sichȱ imȱ Tit,ȱ derȱ InȬ struktionenȱfürȱdieȱAmtsträgerȱundȱdieȱGesamtgemeindeȱenthalte,ȱundȱ werdeȱnochȱdeutlicherȱimȱ1Tim,ȱderȱalsȱ„eineȱsehrȱausgedehnte,ȱsoȱvielȱ möglichȱalleȱLebensverhältnisseȱumfassendeȱAnweisung“ȱzuȱcharakteȬ risierenȱ sei.81ȱ Soȱ lässtȱ sichȱ lautȱ Baurȱ auchȱ dasȱ Fehlenȱ vonȱ „auchȱ nurȱ scheinbare[n]ȱ historische[n]ȱ Anknüpfungspunkte[n]ȱ anȱ dasȱ Lebenȱ desȱ Apostels“ȱ alsȱ weitereȱ Auffälligkeitȱ derȱ beidenȱ letztgenanntenȱ Briefeȱ erklären:ȱ Dieseȱ Situationslosigkeitȱ seiȱ darinȱ begründet,ȱ dassȱ 2Timȱ alsȱ ÄltesterȱderȱPastȱsoȱnaheȱanȱdenȱTodȱdesȱApostelsȱheranrücke,ȱdassȱdieȱ beidenȱanderenȱnichtȱmehrȱimȱLebenȱdesȱPaulusȱverortetȱwerdenȱkönnȬ ten.82ȱ Inȱ Analogieȱ zuȱ Schleiermacherȱ siehtȱ Baurȱ dabeiȱ denȱ 1Timȱ inȱ eiȬ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 77ȱȱ Vgl.ȱBAUR,ȱPastoralbriefe,ȱ74.ȱDabeiȱvermutetȱerȱa.a.O.ȱ9,ȱsogar,ȱdassȱdieȱeigentümliȬ cheȱVermischungȱvonȱGegenwartȱundȱZukunftȱbeiȱderȱCharakterisierungȱderȱIrrlehȬ renȱalsȱHinweisȱdesȱVerfassersȱaufȱdieȱeigeneȱPseudonymitätȱzuȱverstehenȱsei.ȱ 78ȱȱ Vgl.ȱa.a.O.ȱ10.25.32.ȱSoȱauchȱPFLEIDERER,ȱPaulinismus,ȱ467.ȱ 79ȱȱ Vgl.ȱBAUR,ȱPastoralbriefe,ȱ136–142,ȱbes.ȱebd.ȱ138,ȱwoȱerȱeineȱAbhängigkeitȱdesȱ1Timȱ vomȱ Polykarpbriefȱ (!)ȱ vermutet.ȱ Inȱ Aufnahmeȱ dieserȱ Theseȱ Baursȱ datiertȱ auchȱ BAUER,ȱ Rechtgläubigkeit,ȱ 228f,ȱ dieȱ Pastȱ erstȱ Mitteȱ desȱ 2.ȱ Jahrhundertsȱ undȱ verstehtȱ sieȱ alsȱ gegenȱ dieȱ Markionitenȱ gerichtetenȱ Versuch,ȱ „Paulusȱ unmissverständlichȱ inȱ dieȱ antihäretischeȱ Frontȱ einzugliedern“.ȱ Vgl.ȱ dieȱ ausführlicheȱ Behandlungȱ dieserȱ FragestellungȱunterȱPunktȱIV.3ȱdieserȱArbeit,ȱbesondersȱdenȱExkursȱu.ȱS.ȱ394ff.ȱ 80ȱȱ HierȱhebtȱerȱbesondersȱdieȱvonȱPaulusȱabweichendeȱEinschätzungȱvonȱFrauenȱherȬ vor;ȱvgl.ȱBAUR,ȱa.a.O.ȱ40–53.ȱ 81ȱȱ Vgl.ȱa.a.O.ȱ75–77,ȱZitatȱ76.ȱȱ 82ȱȱ Vgl.ȱa.a.O.ȱ73,ȱZitatȱebd.ȱ

24ȱ

II.ȱȱEinȱForschungsüberblickȱ

nemȱ „unläugbare[n]ȱ Verhältnißȱ derȱ Abhängigkeit“ȱ zuȱ 2Timȱ undȱ Tit;83ȱ erȱ verortetȱ aberȱ dieȱ inȱ Hauptzweckȱ undȱ Anlageȱ übereinstimmendenȱ Briefe84ȱinȱderȱrömischenȱGemeindeȱundȱdamitȱinȱeinemȱgemeinsamenȱ Entstehungskreis.ȱ

1.6ȱȱH.J.ȱHoltzmann:ȱNegativeȱundȱpositiveȱKritikȱ–ȱȱ zurȱEinordnungȱderȱPastoralbriefeȱ Heinrichȱ J.ȱ Holtzmannsȱ Kommentarȱ vonȱ 188085ȱ giltȱ –ȱ nebenȱ derȱ MonographieȱBaurs,ȱaufȱdieȱerȱinȱvielfältigerȱWeiseȱbezogenȱistȱ–ȱalsȱdieȱ Schrift,ȱ dieȱ „einenȱ umfassenden,ȱ alleȱ literarischenȱ undȱ historischenȱ AspekteȱeinbeziehendenȱNachweisȱderȱUnechtheitȱ[derȱPast]ȱvonȱhoherȱ Überzeugungskraft“ȱerbrachte.86ȱȱ MehrȱalsȱdieȱHälfteȱseinesȱKommentarsȱzuȱdenȱPastoralbriefen,ȱdieȱ lautȱHoltzmannȱzuȱdenȱ„erstȱbestürmtenȱFortsȱderȱFestungȱtraditionelȬ lerȱ Anschauungenȱ vomȱ Kanon“87ȱ gehören,ȱ widmetȱ derȱ Verfasserȱ denȱ vonȱ ihmȱ mitȱ „Kritischerȱ Theil“88ȱ überschriebenenȱ Einleitungsfragen.ȱ Dieȱ gemeinsameȱ Bezeichnungȱ alsȱ Pastoralbriefeȱ wirdȱ dabeiȱ aufgrundȱ vonȱ„gemeinsame[m]ȱInhaltȱundȱgleiche[r]ȱTendenz“ȱalsȱgerechtfertigtȱ vorausgesetzt.89ȱ Inȱ zweiȱ einleitendenȱ Kapitelnȱ bietetȱ Holtzmannȱ zuȬ nächstȱ eineȱ Einschätzungȱ vonȱ „Gesammtcharakterȱ undȱ Inhalt“ȱ derȱ Pastoralbriefeȱ sowieȱ einenȱ Überblickȱ überȱ dieȱ Forschungsgeschichte.90ȱ Bereitsȱ hierȱ erklärtȱ er,ȱ dieȱ Pastȱ seienȱ „Producteȱ einesȱ undȱ desselbenȱ Geistes“ȱ undȱ sieȱ nähmenȱ „eineȱ durchausȱ eigenthümlicheȱ Stellungȱ schonȱinsofernȱein,ȱalsȱihrȱconcreterȱInhaltȱnahezuȱderȱgleicheȱist.“91ȱAlsȱ ThematikȱderȱdreiȱBriefeȱbenenntȱHoltzmannȱdieȱIrrlehrerbekämpfung;ȱ dieȱ Gemeindeordnungȱ wirdȱ dieserȱ Intentionȱ alsȱ „zweite[r]ȱ BrennȬ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 83ȱȱ A.a.O.ȱ78,ȱvgl.ȱa.a.O.ȱ126,ȱdieȱAnnahme,ȱderȱ1TimȱnehmeȱRücksichtȱaufȱdenȱälterenȱ 2Tim.ȱ 84ȱȱ Soȱa.a.O.ȱ73f.78.ȱ 85ȱȱ DieȱzwölfȱJahreȱspäterȱerschieneneȱEinleitungȱstelltȱinȱweitenȱTeilenȱeineȱBündelungȱ derȱErgebnisseȱdesȱKommentarsȱdar.ȱȱ 86ȱȱ ROLOFF,ȱArt.ȱPastoralbriefe,ȱ80.ȱSoȱauchȱdieȱEinschätzungȱSCHENKs,ȱForschung,ȱ3407,ȱ derȱdenȱKommentarȱalsȱ„dieȱbisȱheuteȱgrundlegendeȱMonographie“ȱbezeichnet.ȱ 87ȱȱ HOLTZMANN,ȱPastoralbriefe,ȱ7.ȱ 88ȱȱ A.a.O.ȱ1.ȱ 89ȱȱ Ebd.;ȱvgl.ȱaußerdemȱV.ȱLIPS,ȱSprachschöpfung,ȱ59.ȱ 90ȱȱ HOLTZMANN,ȱPastoralbriefe,ȱ1–15,ȱZitatȱ1.ȱ 91ȱȱ Ebd.ȱEineȱausführlicheȱBegründungȱfürȱdieȱAnnahmeȱeinerȱeinheitlichenȱVerfasserȬ schaftȱbietetȱerȱa.a.O.ȱ84ff.ȱ

1.ȱȱDasȱ19.ȱJahrhundertȱ

25ȱ

punkt“ȱ beiȬȱ undȱ untergeordnet.92ȱ Dieȱ Besonderheitȱ desȱ 2Timȱ alsȱ desȱ persönlichstenȱderȱdreiȱSchreibenȱsiehtȱHoltzmannȱdabeiȱdurchaus,ȱwillȱ aberȱ hierȱ lediglichȱ einenȱ „relative[n]ȱ Unterschied“ȱ erkennen,ȱ derȱ „dasȱ bereitsȱangedeuteteȱGesammtresultatȱnichtȱauf[hebt]“,93ȱweilȱauchȱdieȬ serȱBriefȱsichȱmitȱErmahnungenȱzurȱTreueȱinȱAuseinandersetzungȱmitȱ denȱIrrlehrernȱbefasse.ȱ Inȱ Aufnahmeȱ derȱ seitȱ Schleiermacherȱ gewonnenenȱ Erkenntnisseȱ möchteȱ Holtzmannȱ dieȱ dreiȱ Past,ȱ dieȱ erȱ alsȱ „unzertrennlichereȱ DrilȬ linge,ȱ alsȱ EpheserȬȱ undȱ Kolosserbriefȱ Zwillingeȱ sind“,94ȱ bezeichnet,ȱ inȱ ihrerȱ historischenȱ Einordnungȱ bestimmen:ȱ Zunächstȱ untersuchtȱ erȱ dieȱ „ErsteȱHälfte.ȱDieȱnegativeȱSeiteȱderȱKritik“ȱ(Kap.ȱ3–8),95ȱbevorȱerȱinȱderȱ „Zweite[n]ȱ Hälfte.ȱ Dieȱ positiveȱ Seiteȱ derȱ Kritik“ȱ (Kap.ȱ 9–12)ȱ eineȱ EinȬ ordnungȱderȱPastȱinȱihrȱ(nachapostolisches)ȱUmfeldȱvornimmt.96ȱBereitsȱ dieseȱEinteilungȱzeigt,ȱdassȱHoltzmannȱandersȱalsȱBaurȱsprachlicheȱundȱ stilistischeȱ Charakteristikaȱ derȱ Pastȱ höherȱ wertetȱ alsȱ ihreȱ historischeȱ Einordnung.ȱ Inȱ Auseinandersetzungȱ mitȱ denȱ gängigenȱ zurȱ Verteidigungȱ derȱ EchtheitȱderȱPastȱvorgebrachtenȱArgumentenȱwiderlegtȱHoltzmannȱdieȱ Annahmeȱ einerȱ paulinischenȱ Verfasserschaft.ȱ Berühmtȱ gewordenȱ istȱ dabeiȱdasȱfolgendeȱBonmot:ȱ„ZwarȱkenntȱmanȱdasȱHorazscheȱQuandoȬ queȱbonusȱdormitatȱHomerus,ȱmanȱweissȱauch,ȱdassȱGötheȱnebenȱFaustȱ zuweilenȱ‚Quark‘ȱproduziertȱhat.ȱAberȱbeiȱeinemȱsoȱstarkȱausgeprägtenȱ originalenȱGeistȱwieȱPaulusȱerwartetȱmanȱmitȱRechtȱinȱallenȱgrösserenȱ Auslassungen,ȱdieȱerȱschriftlichȱfixierte,ȱ‚seinenȱGeistesȱeinenȱHauchȱzuȱ verspüren‘.“97ȱ Diesȱ zeigtȱ zugleichȱ dieȱ Voreingenommenheit,ȱ mitȱ derȱ Holtzmannȱ aufgrundȱ seinesȱ überhöhtenȱ Paulusbildesȱ anȱ dieȱ Exegeseȱ derȱBriefeȱdesȱHeidenapostelsȱherantritt.ȱHoltzmannȱkommtȱbezüglichȱ derȱhistorischenȱFragestellungȱzudemȱzuȱdemȱErgebnis,ȱdieȱPastȱseienȱ wederȱ inȱ demȱ durchȱ dieȱ Apgȱ bekanntenȱ Lebenȱ desȱ Apostelsȱ nochȱ inȱ einemȱ gerneȱ zuȱ ihrerȱ Verteidigungȱ postuliertenȱ „hinlänglichenȱ GeȬ biet[.]ȱ vonȱ terraȱ incognita“98ȱ einzuordnen,ȱ wieȱ esȱ aufgrundȱ derȱ AnȬ nahmeȱ einerȱ zweitenȱ Gefangenschaftȱ entstehe.ȱ Hinzuȱ komme,ȱ dassȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 92ȱȱ 93ȱȱ 94ȱȱ 95ȱȱ 96ȱȱ

A.a.O.ȱ2.ȱ A.a.O.ȱ6.ȱ A.a.O.ȱ7.ȱ A.a.O.ȱ15–126.ȱ A.a.O.ȱ 126–282.ȱ HOLTZMANN,ȱ a.a.O.ȱ 117,ȱ istȱ zugleichȱ derȱ Erste,ȱ derȱ beiȱ derȱ Frageȱ nachȱderȱVerfasserschaftȱderȱPastȱdenȱBegriffȱderȱPaulusschuleȱinȱdenȱMundȱnahm,ȱ vgl.ȱFRENSCHKOWSKI,ȱPaulusschule,ȱ254.ȱ 97ȱȱ HOLTZMANN,ȱa.a.O.ȱ60.ȱȱ 98ȱȱ A.a.O.ȱ15.ȱ

26ȱ

II.ȱȱEinȱForschungsüberblickȱ

nichtȱeinmalȱdieȱVertreterȱderȱEchtheitȱsichȱüberȱdieȱinȱdenȱBriefenȱvorȬ ausgesetzteȱ Situationȱ einigenȱ könnten:ȱ „Soȱ bietenȱ unsȱ dieȱ Apologetenȱ denȱ Anblickȱ einesȱ unterȱ demȱ Rufȱ ‚echt!ȱ echt!‘ȱ ausziehendenȱ Heeres,ȱ welchesȱsichȱaberȱsofortȱinȱzweiȱLagerȱtheilt,ȱdieȱüberȱdieȱGrenze,ȱwelȬ cheȱeinzuhaltenȱwäre,ȱhadern.“99ȱAlsȱweitereȱSchwierigkeitȱergebeȱsich,ȱ dassȱ dieȱ dreiȱ Briefeȱ wegenȱ ihrerȱ engenȱ Verwandtschaftȱ inȱ Bezugȱ aufȱ ihreȱ zeitlicheȱ Einordnungȱ nichtȱ auseinanderȱ gerissenȱ werdenȱ dürftenȱ undȱdaherȱbeiȱAnnahmeȱpaulinischerȱVerfasserschaftȱalleȱaufgrundȱdesȱ 2TimȱkurzȱvorȱdemȱLebensendeȱdesȱApostelsȱzuȱdatierenȱseien.100ȱȱ Darüberȱ hinausȱ legtȱ Holtzmannȱ dar,ȱ dassȱ dieȱ inȱ denȱ Briefenȱ geȬ schilderteȱSituationȱeineȱkünstlichȱgeschaffeneȱsei,ȱdieȱnichtȱzumȱjeweiȬ ligenȱ Inhaltȱ undȱ derȱ Rolleȱ derȱ Adressatenȱ passeȱ undȱ dieȱ Pastȱ zudemȱ andersȱ alsȱ dieȱ Protopaulinenȱ inȱ ihrenȱ biographischenȱ Angabenȱ sehrȱ vageȱblieben.101ȱAuchȱinȱSprache,ȱStilȱundȱWortschatzȱweistȱHoltzmannȱ dieȱPastoralbriefeȱunterȱZustimmungȱzuȱdenȱbereitsȱvonȱEichhornȱundȱ DeȱWetteȱ gewonnenenȱ Erkenntnissenȱ alsȱ unpaulinischȱ auf,ȱ indemȱ zuȬ nächstȱ derȱ jedemȱ einzelnenȱ Briefȱ eigentümlicheȱ Sprachgebrauchȱ undȱ danachȱdieȱDifferenzȱzuȱanderenȱpaulinischenȱBriefenȱaufgezeigtȱwerȬ den.ȱ Demȱ Argument,ȱ jederȱ Briefȱ bieteȱ fürȱ sichȱ soȱ vieleȱ Hapaxȱ legoȬ mena,ȱdassȱdieȱdreiȱPastȱnichtȱvonȱeinemȱidentischenȱpseudepigraphiȬ schenȱ Verfasserȱ stammenȱ könnten,ȱ versuchtȱ Holtzmannȱ mitȱ demȱ Einwandȱ zuȱbegegnen,ȱ dieȱ Briefeȱ hättenȱ gleichzeitigȱ soȱ vieleȱ fürȱihrenȱ InhaltȱzentraleȱWortgruppenȱgemeinsam,ȱdassȱsieȱeinenȱeinzigenȱAutorȱ notwendigȱvoraussetzten.102ȱDaherȱdientȱihmȱdieȱsprachlicheȱBesonderȬ heitȱ derȱ Pastȱ alsȱ zentralerȱ Hinweisȱ aufȱ einenȱ einzigen,ȱ nachpauliniȬ schenȱVerfasser,ȱdaȱdieȱdreiȱBriefeȱandersȱalsȱKolȱundȱEphȱnichtȱinȱeiȬ nemȱ „complicirte[n]ȱ schriftstellerische[n]ȱ Abhängigkeitsverhältnis“ȱ zueinanderȱ stünden,ȱ sondernȱ dieȱ gleichenȱ Entstehungsverhältnisseȱ voraussetztenȱ undȱ schlichtȱ „dieȱ dreifacheȱ Expositionȱ einesȱimȱ Grundeȱ einheitlichenȱ Themas“ȱ seien.103ȱ Dieȱ nurȱ scheinbarȱ paulinischeȱ Spracheȱ erklärtȱ Holtzmannȱ alsȱ misslungenenȱ Versuchȱ desȱ Verfassers,ȱ dieȱ ihmȱ vorliegendenȱ protoȬȱ undȱ deuteropaulinischenȱ Schriftenȱ nachzuahȬ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 99ȱȱ A.a.O.ȱ53.ȱ 100ȱȱ A.a.O.ȱ36.ȱ 101ȱȱ A.a.O.ȱ53–83.ȱ 102ȱȱ Vgl.ȱa.a.O.ȱ86–91ȱbes.ȱ88f.ȱ 103ȱȱ BeideȱZitateȱa.a.O.ȱ95.ȱ

1.ȱȱDasȱ19.ȱJahrhundertȱ

27ȱ

men.104ȱ Dabeiȱ weistȱ erȱ zugleichȱ Versuche,ȱ dieȱ Pastȱ alsȱ Resultatȱ einerȱ „ZettelȬȱundȱBilletliteratur“105ȱzuȱerklären,ȱalsȱanachronistischȱzurück.106ȱ ȱ

MitȱsolchenȱÄußerungenȱhatȱHoltzmannȱTheorienȱ–ȱwieȱdieȱvonȱCrednerȱ(1836)ȱ bzw.ȱausführlicherȱbegründetȱbeiȱHitzigȱ(1843)ȱ–ȱimȱBlick,ȱdieȱinȱunterschiedliȬ chemȱ Umfangȱ einzelneȱ Verseȱ derȱ Pastȱ alsȱ originalȱ paulinischȱ zuȱ „retten“ȱ verȬ suchenȱundȱdamitȱalsȱVorläuferȱderȱv.a.ȱimȱenglischsprachigenȱRaumȱpopulärȱ werdendenȱFragmentenhypotheseȱgeltenȱkönnen.107ȱ ȱ

Damitȱ hältȱ Holtzmannȱ dieȱ Pseudonymitätȱ allerȱ dreiȱ Pastȱ fürȱ erwiesenȱ undȱ wendetȱ sichȱ inȱ einemȱ zweitenȱ Schrittȱ derȱ sog.ȱ positivenȱ Seiteȱ derȱ Kritik,ȱ ihrerȱ Einordnungȱ inȱ einȱ möglichesȱ historischesȱ Umfeldȱ zu,ȱ inȬ demȱerȱzunächstȱdieȱbekämpfteȱIrrlehreȱzuȱidentifizierenȱsucht.ȱAndersȱ alsȱ Baurȱ kannȱ erȱ keinenȱ durchgängigenȱ Bezugȱ aufȱ einȱ bestimmtesȱ gnostischesȱ Systemȱ feststellen,ȱ sondernȱ sprichtȱ eherȱ unbestimmtȱ vonȱ einerȱjüdischenȱGnosis.108ȱDabeiȱfalleȱauf,ȱdassȱsichȱjüdischeȱundȱgnostiȬ scheȱ Elementeȱ nichtȱ rechtȱ vereinenȱ lassen.ȱ Diesȱ führtȱ Holtzmannȱ imȱ Zugeȱ kritischerȱ Auseinandersetzungȱ mitȱ denȱ verschiedenenȱ ErkläȬ rungsversuchenȱ zuȱ demȱ Ergebnis,ȱ dassȱ hierȱ eineȱ einheitlicheȱ gegneriȬ scheȱ Frontȱ vorliege,ȱ weilȱ derȱ Verfasserȱ sonstȱ deutlicherȱ zwischenȱ denȱ einzelnenȱ Gruppenȱ hätteȱ unterscheidenȱ müssen,ȱ undȱ dassȱ dieȱ daherȱ nurȱ scheinbarȱ widersprüchlicheȱ Charakterisierungȱ derȱ Gegnerȱ aufȬ grundȱ derȱ stereotypenȱ Polemikȱ erklärbarȱ sei.ȱ Dieȱ eingestreutenȱ jüdiȬ schenȱ Elementeȱ dienenȱ lautȱ Holtzmannȱ dabeiȱ alsȱ Charakteristikaȱ derȱ paulinischenȱ Irrlehrerwiderlegungȱ nurȱ derȱ Autorfiktion,ȱ allerdingsȱ seiȱ derȱ Verfasserȱ selbstȱ nichtȱ inȱ derȱ Lageȱ gewesen,ȱ dieȱ unterschiedlichenȱ Zeitebenenȱzuȱtrennen:ȱ„KeinȱWunder,ȱwennȱauchȱdieȱIrrlehrer,ȱwelcheȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 104ȱȱ A.a.O.ȱ99.109–118,ȱmitȱdetailliertemȱNachweisȱderȱAbhängigkeitȱfürȱjedenȱeinzelnenȱ derȱdreiȱBriefe.ȱȱ 105ȱȱ Soȱa.a.O.ȱ126.ȱVgl.ȱÄußerungenȱwieȱz.B.ȱdieȱvonȱ HITZIG,ȱErklärung,ȱ67,ȱzuȱTitȱ3,12f:ȱ „Paulusȱ hatte,ȱ daȱ seineȱ Thätigkeitȱ wenigerȱ eineȱ schriftstellerischeȱ war,ȱ alsȱ sieȱ demȱ praktischenȱ Lebenȱ angehörte,ȱ öfterȱ Veranlassungȱ zuȱ kleinenȱ Billetsȱ bezüglichȱ aufȱ persönlicheȱAuslegungen,ȱalsȱMusseȱzuȱgrossenȱLehrepisteln.“ȱ 106ȱȱ Vgl.ȱa.a.O.ȱ119f,ȱHoltzmannsȱAufzählungȱeinigerȱinȱderȱzeitgenössischenȱForschungȱ vertretener,ȱ vonȱ ihmȱ aberȱ alsȱ „Experimente[.]“ȱ abqualifizierterȱ Thesen,ȱ dieȱ ausȱ heutigerȱSichtȱalsȱVorläuferȱderȱFragmentenhypotheseȱzuȱbeurteilenȱsind.ȱ 107ȱȱ Vgl.ȱ dieȱ Auflistungȱ weitererȱ Namenȱ beiȱ v.ȱSODEN,ȱ Briefe,ȱ 156,ȱ sowieȱ HOLTZMANN,ȱ a.a.O.ȱ 119–125.ȱVgl.ȱ außerdemȱ dieȱ umfassendeȱ Darstellungȱ dieserȱ Theseȱ beiȱ HESSE,ȱ Hirtenbriefe,ȱ15.124ffȱu.ö.ȱv.ȱSodenȱselbstȱtrittȱebenfallsȱfürȱdieȱFragmentenhypotheseȱ ein;ȱ a.a.O.ȱ 181,ȱ nenntȱ erȱ alsȱ Anlassȱ fürȱ „dieȱ eigenthümlicheȱ Einkleidung“ȱ derȱ Pastȱ „paul[inische]ȱ Reliquien“,ȱ zuȱ denenȱ erȱ ebd.ȱ dieȱ Textabschnitteȱ Titȱ 3,12f(.14f);ȱ 2Timȱ 1,1f.15–18;ȱ 4,(6–8.)9–22ȱ rechnet.ȱ Vgl.ȱ zuȱ dieserȱ auchȱ imȱ 20.ȱ Jahrhundertȱ nochȱ veheȬ mentȱverfochtenenȱEntstehungshypotheseȱPunktȱII.2.2.2ȱdieserȱArbeit.ȱ 108ȱȱ Vgl.ȱHOLTZMANN,ȱa.a.O.ȱ132–136.ȱ

28ȱ

II.ȱȱEinȱForschungsüberblickȱ

inȱgarȱkeinerȱbestimmtenȱZeitȱfestenȱFußȱfassenȱkönnen,ȱnurȱmitȱganzȱ schwankendenȱFarbenȱgezeichnetȱsind.“109ȱ ȱ

Dieȱ anschließendeȱ Untersuchungȱ desȱ Lehrbegriffsȱ charakterisiertȱ dieȱ Pastȱ alsȱ „kirchlichȱ verfestigtenȱ undȱ katholischȱ temperirtenȱ Paulinismus“,110ȱ dessenȱ ChristentumȱsichȱdurchȱdieȱBetonungȱvonȱpraktischerȱFrömmigkeitȱundȱrichtiȬ gerȱLehreȱauszeichne.111ȱAuchȱdieȱvorausgesetzteȱGemeindestrukturȱseiȱsowohlȱ inȱ ihrerȱ „Hochachtungȱ desȱ sacramentalenȱ Amtscharakters“ȱ alsȱ auchȱ inȱ denȱ OrdnungenȱfürȱdieȱverschiedenenȱÄmterȱdeutlichȱnachpaulinisch.112ȱ ȱ

SchließlichȱwendetȱsichȱHoltzmannȱimȱZusammenhangȱseinerȱUntersuȬ chungȱ derȱ Entstehungszeitȱ auchȱ derȱ Frageȱ zu,ȱ inȱ welchemȱ zeitlichenȱ Verhältnisȱ dieȱ dreiȱ Pastȱ zueinanderȱ stehen.ȱ Inȱ Analogieȱ zuȱ Baurȱ erȬ kenntȱ erȱ imȱ Philȱ dasȱ Vorbild,ȱ nachȱ demȱ derȱ 2Timȱ alsȱ derȱ Ältesteȱ derȱ dreiȱPastȱ„aufȱdieȱeigenhändigeȱHinterlassenschaftȱdesȱApostelsȱaufgeȬ pfropft[.]“ȱ wordenȱ sei,113ȱ umȱ ebensoȱ wieȱ dieȱ späterȱ entstandenenȱ undȱ deshalbȱ situationslosȱ wirkendenȱ 1Timȱ undȱ Tit114ȱ derȱ Abwehrȱ vonȱ Irrlehrenȱ zuȱ dienen.ȱ Imȱ Verhältnisȱ zuȱ Apgȱ 20ȱ verhieltenȱ sichȱ alleȱ dreiȱ Briefeȱwieȱdasȱ„ProgrammȱzurȱAusführung“,ȱwobeiȱderȱ1TimȱdieȱfreiȬ esteȱ Gestaltungȱ aufweiseȱ undȱ daherȱ alsȱ dasȱ jüngsteȱ Schreibenȱ zuȱ bestimmenȱsei.115ȱAlsȱweiteresȱArgumentȱfürȱdieȱangenommeneȱAbfasȬ sungsreihenfolgeȱ 2Timȱ –ȱ Titȱ –ȱ 1Timȱ dientȱ Holtzmannȱ dieȱ Artȱ derȱ BeȬ handlungȱ gemeinsamerȱ Themen.ȱ Währendȱ imȱ 2Timȱ imȱ Umgangȱ mitȱ IrrlehrernȱeinȱmilderȱTonȱvorherrschendȱseiȱundȱdieȱGemeindeordnunȬ genȱ nochȱ nichtȱ ausformuliertȱ vorlägen,ȱkönneȱ manȱimȱ Vergleichȱdazuȱ denȱ1Timȱ„nurȱalsȱimȱVerhältnisȱderȱGradationȱstehend“ȱbetrachten.116ȱ Titȱseiȱdabeiȱ„inȱsachlicherȱwieȱsprachlicherȱBeziehungȱdieȱVerbindungȱ zwischenȱ beidenȱ Timotheusbriefen“,ȱ daȱ erȱ andersȱ alsȱ 2Timȱ sofortȱ mitȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 109ȱȱ A.a.O.ȱ 153–157ȱ u.ö.,ȱ Zitatȱ 157.ȱ Auchȱ dieȱ inȱ 1Timȱ undȱ 2Timȱ unterschiedlichȱ geschilȬ derteȱ Ordinationspraxisȱ willȱ HOLTZMANN,ȱ a.a.O.ȱ 230,ȱ aufȱ eineȱ Vermischungȱ derȱ Zeitebenenȱzurückführen.ȱVgl.ȱzurȱFrageȱderȱBedeutungȱderȱHandauflegungȱinȱdenȱ PastȱPunktȱIV.2.2.4ȱdieserȱArbeit.ȱ 110ȱȱ A.a.O.ȱ159.ȱ 111ȱȱ Vgl.ȱa.a.O.ȱ183.ȱȱ 112ȱȱ A.a.O.ȱ191–252,ȱZitatȱ206.ȱ 113ȱȱ A.a.O.ȱ253;ȱvgl.ȱzuȱBaurȱobenȱPunktȱII.1.5ȱdieserȱArbeit.ȱ 114ȱȱ Vgl.ȱHOLTZMANN,ȱebd.:ȱ„DieȱgünstigsteȱSituationȱwarȱschonȱausgenutzt.ȱDaherȱdieȱ nunmehrȱ folgendenȱ Briefeȱ ohneȱ alle,ȱ auchȱ nurȱ scheinbare,ȱ historischenȱ AnknüpȬ fungspunkteȱanȱdasȱLebenȱdesȱApostelsȱsind.“ȱDieȱNäheȱzuȱBAUR,ȱPastoralbriefe,ȱ73,ȱ istȱwiederumȱoffensichtlich,ȱs.o.ȱS.ȱ22f.ȱ 115ȱȱ Vgl.ȱHOLTZMANN,ȱa.a.O.ȱ253ȱu.ö.,ȱZitatȱ156.ȱ 116ȱȱ A.a.O.ȱ254f,ȱZitatȱ255.ȱȱ

1.ȱȱDasȱ19.ȱJahrhundertȱ

29ȱ

Instruktionenȱ zurȱ Gemeindeleitungȱ beginne,ȱ dieseȱ imȱ Vergleichȱ zuȱ 1TimȱaberȱinȱeinerȱwenigerȱgenauȱausgeführtenȱWeiseȱbiete.117ȱ Unterȱ Zuhilfenahmeȱ einerȱ detailliertenȱ Untersuchungȱ derȱ RezepȬ tionȱderȱPastȱinȱderȱAltenȱKircheȱgelangtȱHoltzmannȱzuȱdemȱErgebnis,ȱ dassȱ dieȱ Briefeȱ umȱ dieȱ Mitteȱ desȱ 2.ȱ Jahrhundertsȱ inȱ Romȱ vonȱ einemȱ griechischȱ gebildetenȱ Heidenchristenȱ verfasstȱ wordenȱ seienȱ undȱ trotzȱ ihrerȱ spätenȱ Entstehungȱ aufgrundȱ ihresȱ inȱ dieȱ eigeneȱ Zeitȱ sichȱ einfüȬ gendenȱ Inhaltsȱ problemlosȱ hättenȱ rezipiertȱ werdenȱ können.118ȱ Dieȱ offensichtlichȱ zurȱ Abfassungszeitȱ derȱ Briefeȱ inȱ denȱ entsprechendenȱ Gemeindenȱ vorherrschendeȱ Thematikȱ habeȱ „denȱ Paulusȱ ausȱ demȱ Grabeȱgerufen“ȱundȱeineȱinȱseinemȱNamenȱverfasste,ȱpragmatischȱausȬ gerichteteȱ Reflexionȱ überȱ dieȱ sichȱ verkomplizierendenȱ GemeindeȬ strukturenȱnotwendigȱgemacht.119ȱ Diesesȱ Kommentarwerkȱ zeichnetȱ sichȱ dadurchȱ aus,ȱ dassȱ HoltzȬ mannȱdieȱdamaligenȱForschungspositionenȱaufnimmtȱundȱbündeltȱundȱ dadurchȱderȱradikalerenȱPositionȱBaursȱzumindestȱinȱeinigenȱPunktenȱ zurȱ Durchsetzungȱ verhilft.ȱ Damitȱ setzteȱ Holtzmannȱ Maßstäbe,ȱ dieȱ fürȱ denȱUmgangȱmitȱdenȱdreiȱBriefenȱdauerhaftȱbestimmendȱwerdenȱsollȬ ten:ȱVonȱnunȱanȱwurdeȱdieȱPseudonymitätȱdieserȱSchriftengruppeȱzurȱ undiskutiertenȱPrämisseȱderȱExegese.ȱ

1.7ȱȱTendenzenȱderȱForschungȱIȱ Dieȱ PastȬForschungȱ desȱ 19.ȱ Jahrhundertsȱ warȱ geprägtȱ durchȱ dieȱ vonȱ Schleiermacherȱ aufgeworfeneȱ Unechtheitsdebatte.ȱ Imȱ Rahmenȱ dieserȱ DiskussionȱwurdenȱbereitsȱalleȱPunkteȱangesprochen,ȱdieȱauchȱimȱFolȬ gendenȱrelevantȱbleibenȱsollten.ȱ ȱ

Auchȱ fürȱ dieȱ v.a.ȱ Anfangȱ undȱ Mitteȱ desȱ 20.ȱ Jahrhundertsȱ diskutiertenȱ VerfasserschaftshypothesenȱfindenȱsichȱfastȱvonȱBeginnȱderȱkontroversenȱDisȬ kussionȱanȱeinzelneȱVertreter.ȱNichtȱnurȱdieȱsog.ȱFragmentenhypotheseȱwurdeȱ angedacht,120ȱdanebenȱwurdeȱauchȱ1830ȱdurchȱHeinrichȱAugustȱSchottȱerstmalsȱ derȱ Versuchȱ unternommen,ȱ mithilfeȱ derȱ Sekretärshypotheseȱ dieȱ dreiȱ PastoralȬ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 117ȱȱ A.a.O.ȱ 85;ȱ vgl.ȱ a.a.O.ȱ 254f.ȱ Ungewöhnlich,ȱ aberȱ m.E.ȱ sehrȱ treffendȱ istȱ dieȱ beiȱ ders.,ȱ Einleitung,ȱ 283,ȱ geboteneȱ Erklärungȱ fürȱ dieȱ Adressierungȱ einesȱ derȱ dreiȱ Briefeȱ anȱ Titus:ȱ Dieserȱ seiȱ deshalbȱ ausgewähltȱ worden,ȱ weilȱ sichȱ dieȱ Irrlehrerpolemikȱ u.a.ȱ gegenȱ „dieȱ ausȱ derȱ Beschneidung“ȱ (Titȱ 1,10)ȱ richteȱ undȱ dieȱ Beschneidungȱ desȱ (historischen)ȱTitusȱselbstȱjaȱStreitpunktȱgewesenȱsei;ȱvgl.ȱdazuȱu.ȱPunktȱIV.4.2.1.ȱ 118ȱȱ Vgl.ȱa.a.O.ȱ266.273f.ȱ 119ȱȱ A.a.O.ȱ275f,ȱZitatȱ276.ȱȱ 120ȱȱ Vgl.ȱdazuȱobenȱS.ȱ27ȱbes.ȱAnm.ȱ107.ȱ

30ȱ

II.ȱȱEinȱForschungsüberblickȱ

briefeȱwenigstensȱindirektȱaufȱPaulusȱzurückzuführen.ȱSchottȱformulierte:ȱ„Virȱ quidamȱ apostolicus,ȱ unusȱ exȱ sodalibusȱ Pauliȱ (fortisanȱ Lucas)ȱ ipsiusȱ Apostoliȱ […]ȱ nomineȱ etȱ auctoritateȱ hasȱ litterasȱ exaravitȱ adȱ Timotheumȱ etȱ Titum“.121ȱ Ausgehendȱvonȱ2Timȱ4,11122ȱvermuteteȱerȱhinterȱdenȱPastȱundȱdemȱlukanischenȱ Doppelwerkȱ denȱ gleichenȱ Autor,ȱ wobeiȱ erstereȱ Schreibenȱ nochȱ zuȱ Lebzeitenȱ desȱApostelsȱabgefasstȱwordenȱseien.123ȱȱ ȱ

NebenȱAnfragenȱanȱdieȱEchtheitȱderȱPastȱaufgrundȱsprachlicherȱAnalyȬ sen,ȱ inhaltlicherȱ Argumenteȱ oderȱ derȱ mangelndenȱ Übereinstimmungȱ mitȱderȱApg124ȱwurdeȱv.a.ȱinȱdenȱerstenȱJahrzehntenȱdasȱVerhältnisȱderȱ dreiȱBriefeȱuntereinanderȱkontroversȱdiskutiert,ȱbevorȱsichȱ–ȱangedeuȬ tetȱvonȱEichhorn,ȱzögerndȱausgeweitetȱbeiȱBaurȱundȱschließlichȱumfasȬ sendȱ begründetȱ durchȱ Holtzmannȱ –ȱ dieȱ Positionȱ durchzusetzenȱ beȬ gann,ȱ dieȱ imȱ 20.ȱ Jahrhundertȱ scheinbarȱ Konsensȱ werdenȱ sollteȱ–ȱ nämȬ lichȱdieȱBetrachtungȱderȱPastȱalsȱ„unzertrennliche[.]ȱDrillinge“.125ȱȱ Zunächstȱ aberȱ erkannteȱ manȱ inȱ derȱ großenȱ inhaltlichenȱ Näheȱ derȱ dreiȱ Briefeȱ beiȱ gleichzeitigȱ dennochȱ vorhandenenȱ Differenzenȱ einȱ exȬ egetischesȱ Problem:ȱ Soȱ führtenȱ Schleiermacherȱ dieȱ zahlreichenȱ termiȬ nologischenȱÜbereinstimmungenȱzurȱAnnahmeȱeinerȱliterarischenȱAbȬ hängigkeitȱ desȱ 1Timȱ vonȱ denȱ beidenȱ anderenȱ Past,ȱ undȱ inȱ seinemȱ Gefolgeȱ beschäftigteȱ sichȱ auchȱ DeȱWetteȱ mitȱ derȱ Sonderstellungȱ desȱ 1Tim,ȱ ohneȱ allerdingsȱ zuȱ einemȱ endgültigenȱ Ergebnisȱ zuȱ gelangen.ȱ Baurȱhingegenȱkonnteȱbereitsȱ–ȱtrotzȱseinerȱBetonungȱderȱBesonderheitȱ diesesȱBriefesȱ–ȱseineȱArgumenteȱfürȱdieȱUnechtheitȱsämtlicherȱPastȱfastȱ ausschließlichȱ aufȱ denȱ 1Timȱ stützenȱ undȱ auchȱ dieȱ Charakterisierungȱ derȱGegnerȱallerȱdreiȱBriefeȱvornehmlichȱausȱ1Timȱ6,20ȱgewinnen.ȱ Dieȱ zumȱ Teilȱ vorhandeneȱ Sensibilitätȱ fürȱ dieȱ Sonderstellungȱ desȱ 1Tim126ȱ fandȱ ihrenȱ Nachhallȱ inȱ derȱ Debatteȱ umȱ dieȱ AbfassungsreihenȬ folgeȱ derȱ dreiȱ Briefe:ȱ Währendȱ beiȱ Verfechtungȱ derȱ Authentizitätȱ derȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 121ȱȱ SCHOTT,ȱIsagogeȱHistoricoȬCritica,ȱ324f.ȱȱ 122ȱȱ Vgl.ȱzuȱdiesemȱfürȱdieȱKlärungȱderȱVerfasserschaftsfrageȱimmerȱwiederȱherangezoȬ genenȱVersȱu.ȱS.ȱ44ȱmitȱAnm.ȱ61ȱu.ȱS.ȱ485.ȱ 123ȱȱ Vgl.ȱdieȱDarstellungȱbeiȱQUINN,ȱVolume,ȱ64.ȱ 124ȱȱ DasȱerstȬȱundȱletztgenannteȱArgumentȱhabenȱdabeiȱheuteȱweitgehendȱanȱBedeutungȱ verloren:ȱWederȱvermögenȱ stilistischeȱ Analysenȱ dieȱBeweislastȱ fürȱoderȱgegenȱeineȱ Briefverfasserschaftȱ zuȱ tragen,ȱ nochȱ könnenȱ dieȱ ApgȬAngabenȱ zurȱ Rekonstruktionȱ einerȱ(garȱvollständigen!)ȱPaulusbiographieȱherangezogenȱwerden.ȱȱ 125ȱȱ SoȱinȱAnlehnungȱanȱHOLTZMANN,ȱPastoralbriefe,ȱ7.ȱ 126ȱȱ Soȱüberȱdieȱschonȱgenanntenȱ Exegetenȱ hinausȱ–ȱaberȱdeutlichȱinȱ Abhängigkeitȱvonȱ denȱ durchȱ Holtzmannȱ dargestelltenȱ Erkenntnissenȱ zuȱ denȱ Pastȱ –ȱ nochȱ V.ȱ SODEN,ȱ Briefe,ȱ 159:ȱ „Derȱ Tonȱ desȱ Schreibersȱ istȱ selbstgewisser;ȱ dieȱ Anordnungenȱ werdenȱ dictatorischȱundȱohneȱUmschweifeȱgegeben.“ȱ

1.ȱȱDasȱ19.ȱJahrhundertȱ

31ȱ

Pastȱ derȱ 2Timȱ fastȱ zwingendȱ amȱ Endeȱ stehenȱ muss,ȱ istȱ diesȱ beiȱ derȱ AnnahmeȱpseudepigraphischerȱVerfasserschaftȱkeineswegsȱnotwendig;ȱ hierȱrückteȱvielmehrȱderȱ1TimȱanȱdenȱSchluss,ȱweilȱmanȱinȱihmȱdieȱalleȱ dreiȱPastȱauszeichnendenȱCharakteristikaȱ–ȱnämlichȱBegründungȱeinerȱ Gemeindeordnungȱ inȱ Auseinandersetzungȱ mitȱ Irrlehrernȱ –ȱ amȱ stärksȬ tenȱausgeprägtȱsah.127ȱDieȱAnordnungȱvonȱ2TimȱundȱTitȱkonnteȱchanȬ gieren,128ȱschließlichȱsetzteȱsichȱaberȱdurch,ȱdemȱTitȱinȱganzȱverschiedeȬ nerȱ Hinsichtȱ –ȱ i.d.R.ȱ entwederȱ aufgrundȱ desȱ Umgangsȱ mitȱ denȱ IrrlehȬ ren129ȱoderȱdesȱinȱderȱGemeindestrukturȱerkennbarenȱEntwicklungsstaȬ diums130ȱ–ȱeineȱMittlerpositionȱzuzuerkennen.ȱEineȱSonderstellungȱdesȱ 2Timȱ aufgrundȱ vonȱ Gattungȱ oderȱ Inhaltȱ wurdeȱ vonȱ Eichhorn131ȱ undȱ Holtzmannȱzwarȱgesehen,ȱallerdingsȱsollteȱsichȱinȱdenȱfolgendenȱJahrenȱ dieȱ Einschätzungȱ desȱ Letzterenȱ durchsetzen,ȱ dieȱ Unterschiedeȱ zwiȬ schenȱ2TimȱundȱdenȱbeidenȱanderenȱPastȱseienȱalsȱnurȱgraduelleȱfürȱdieȱ Exegeseȱunerheblich.132ȱȱ Nurȱangedeutetȱ–ȱaberȱkeineswegsȱmitȱderȱeigentlichȱnotwendigenȱ Genauigkeitȱ diskutiertȱ –ȱ wurdeȱ dieȱ Frageȱ nachȱ derȱ einheitlichenȱ VerȬ fasserschaftȱderȱPast.ȱObwohlȱdurchȱSchleiermacherȱfürȱdiesesȱProblemȱ sensibilisiert,ȱ setzteȱ manȱ dieȱ offensichtlicheȱ sprachlicheȱ undȱ scheinbarȱ thematischeȱEinheitlichkeitȱderȱBriefeȱgerneȱgleichȱmitȱderȱIdentitätȱihȬ resȱVerfassers.133ȱSchleiermachersȱInfragestellungȱdieserȱAnnahmeȱgaltȱ alsȱ Teilȱ seinerȱ Kompilationstheseȱ baldȱ alsȱ widerlegt;ȱ DeȱWetteȱ undȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 127ȱȱ SoȱDeȱWette,ȱBaurȱundȱHoltzmann,ȱwährendȱEichhornȱdenȱ1Timȱlediglichȱnachȱdemȱ Titȱeinordnet,ȱdasȱVerhältnisȱdesȱLetzterenȱzumȱ2Timȱaberȱoffenȱlässt.ȱ 128ȱȱ Soȱordnetȱz.B.ȱDEȱWETTE,ȱErklärung,ȱ122,ȱbeideȱTimotheusbriefeȱnachȱdemȱTitusbriefȱ einȱundȱbegründetȱdiesȱmitȱeinerȱWeiterentwicklungȱinȱderȱAuseinandersetzungȱmitȱ denȱIrrlehrern,ȱs.o.ȱPunktȱII.1.4ȱdieserȱArbeit.ȱ 129ȱȱ Vgl.ȱHOLTZMANN,ȱPastoralbriefe,ȱ85;ȱBAUR,ȱPastoralbriefe,ȱ75–77.ȱȱ 130ȱȱ Bereitsȱ1873ȱhatteȱPFLEIDERER,ȱPaulinismus,ȱ470f,ȱ2Timȱalsȱpersönlichstenȱundȱdaherȱ ältestenȱ Briefȱbestimmt,ȱweilȱhierȱnochȱ derȱAmtsbegriffȱfehleȱundȱ Timotheusȱselbstȱ alsȱparadigmatischerȱAmtsträgerȱerscheine,ȱwährendȱdemȱVerfasserȱbeiȱ1Timȱschonȱ dieȱ Ideeȱ desȱ Episkopatsȱ vorgeschwebtȱ habeȱ undȱ diesesȱ Schreibenȱ daherȱ alsȱ dasȱ jüngsteȱzuȱbestimmenȱsei.ȱ 131ȱȱ Vgl.ȱdieȱinȱEinleitungȱVII,ȱ406–410,ȱzuȱlesendeȱBehauptungȱEichhorns,ȱderȱBriefȱseiȱ nachȱdemȱVorbildȱeinesȱverlorenȱgegangenenȱPaulusbriefesȱentstanden.ȱVgl.ȱzuȱdieȬ semȱKomplexȱauchȱV.ȱSODEN,ȱBriefe,ȱ157.ȱ 132ȱȱ HOLTZMANN,ȱPastoralbriefe,ȱ6;ȱvgl.ȱdieȱbeiȱHILGENFELD,ȱEinleitung,ȱ764,ȱalsȱBehaupȬ tungȱformulierteȱErkenntnis:ȱ„AlleinȱdieȱdreiȱBriefeȱlassenȱsichȱnunȱeinmalȱinȱkeinerȱ Weiseȱvonȱeinanderȱtrennen.“ȱ 133ȱȱ SoȱEichhornȱundȱHoltzmann.ȱ

32ȱ

II.ȱȱEinȱForschungsüberblickȱ

Baurȱ deutetenȱ dieȱ Möglichkeitȱ verschiedenerȱ Verfasserȱ immerhinȱ an,ȱ kamenȱaberȱschließlichȱzuȱeinemȱandersȱlautendenȱErgebnis.134ȱ SoȱhatteȱdieȱPastȬForschungȱdesȱ19.ȱJahrhundertsȱzwarȱeinigeȱzenȬ traleȱ Problemeȱ angesprochen,ȱ warȱ aberȱ weitȱ davonȱ entfernt,ȱ zuȱ einerȱ auchȱausȱheutigerȱSichtȱzufriedenȱstellendenȱLösungȱzuȱgelangen.ȱDaȬ herȱ urteiltȱ vonȱ Harnackȱ zuȱ Beginnȱ desȱ 20.ȱ Jahrhunderts:ȱ „Dasȱ Rätsel,ȱ dasȱüberȱdiesenȱBriefenȱschwebt,ȱhatȱnochȱniemandȱwirklichȱgelöstȱundȱ istȱauchȱmitȱunserenȱgeschichtlichenȱMittelnȱunlösbar.“135ȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 134ȱȱ Vgl.ȱAnfangȱdesȱ20.ȱJahrhundertsȱauchȱMAYER,ȱPastoralbriefe,ȱ21,ȱderȱbehauptet,ȱdieȱ AnnahmeȱeinesȱVerfassersȱseiȱkeineswegsȱunumgänglichȱnotwendig,ȱsichȱaberȱauchȱ nichtȱ dazuȱ durchringenȱ kann,ȱ fürȱ verschiedeneȱ Briefschreiberȱ zuȱ votieren,ȱ sowieȱ SCHWARTZ,ȱ Kirchenordnungen,ȱ1ȱAnm.ȱ1,ȱundȱWEISS,ȱBriefe,ȱ15fȱ(„…wennȱsieȱüberȬ hauptȱ vonȱ demselbenȱ Verfasserȱ herrührenȱ undȱ nichtȱ einerȱ oderȱ derȱ andereȱ eineȱ Nachbildungȱderȱanderenȱseinȱsoll“),ȱdieȱdieseȱMöglichkeitȱlediglichȱkurzȱerwähnen.ȱ 135ȱȱ V.ȱ HARNACK,ȱ Briefsammlung,ȱ 14f,ȱ vgl.ȱ ebd.:ȱ „Ohneȱ einenȱ kritischenȱ Gewaltstreichȱ kannȱ manȱ daherȱ wederȱ dieȱ Echtheitȱ nochȱ dieȱ Unechtheitȱ dieserȱ Briefe,ȱ soȱ wieȱ sieȱ vorliegen,ȱbehaupten.“ȱ

2.ȱȱDasȱ20./21.ȱJahrhundertȱ Dieȱ Forschungslageȱ zuȱ denȱ Pastoralbriefenȱ imȱ 20.ȱ Jahrhundertȱ lässtȱ eineȱVerfestigungȱderȱPositionenȱerkennen.ȱVonȱnunȱanȱwurdenȱdieȱErȬ kenntnisseȱderȱVorgängerȱüberȱweiteȱStreckenȱlediglichȱrepetiert,ȱwobeiȱ gewisseȱ sichȱ durchhaltendeȱ Argumentationsmusterȱ zuȱ Tageȱ treten:ȱ Esȱ gelangȱ derȱ neutestamentlichenȱ Exegeseȱ langeȱ Zeitȱ nicht,ȱ sichȱ ausȱ derȱ seitȱ Baurȱ undȱ Holtzmannȱ bestehendenȱ Verengungȱ derȱ Diskussionȱ aufȱ dieȱ Kontroverseȱ „echt/unecht“ȱ zuȱ befreien,ȱ wasȱ„dieȱ Forschungȱ durchȱ dieȱ hartnäckigȱ sichȱ perpetuierendeȱ Echtheitsdebatteȱ inȱ eineȱ merkwürȬ digeȱEngführung“1ȱnötigte.ȱDieseȱKontroverseȱführteȱzuȱeinerȱAufspalȬ tungȱ inȱ Verfechterȱ derȱ Echtheitȱ derȱ dreiȱ Briefeȱ undȱ Verfechterȱ ihrerȱ pseudepigraphischenȱEntstehung,ȱdieȱdieȱArgumenteȱderȱjeweilsȱandeȬ renȱGruppeȱi.d.R.ȱvorȱallemȱzuȱZweckenȱderȱAbgrenzungȱrezipierten.ȱȱ Dieserȱ Entwicklungȱ inȱ derȱ Exegeseȱ trägtȱ derȱ Aufbauȱ dieserȱ ForȬ schungsgeschichteȱinsofernȱRechnung,ȱalsȱdieȱDarstellungȱdesȱ20.ȱJahrȬ hundertsȱ nichtȱ mehrȱ inȱ chronologischerȱ Reihenfolge,ȱ sondernȱ nachȱ grundsätzlichenȱ Forschungspositionenȱ differenziertȱ erfolgt.ȱ Eineȱ vollȬ ständigeȱ Darstellungȱ sämtlicherȱ Vertreterȱ derȱ einzelnenȱ Positionenȱ istȱ dabeiȱ wederȱ beabsichtigtȱ nochȱ sinnvoll.ȱ Stattdessenȱ sollȱ jeweilsȱ derȱ argumentativeȱZugangȱeinzelnerȱausgewählterȱExegeten,ȱdieȱdurchȱdieȱ Rezeptionȱ ihresȱ Ansatzesȱ zentraleȱ Bedeutungȱ erlangten,ȱ ausführlicherȱ dargestelltȱwerden.ȱEinȱweitererȱSchwerpunktȱliegtȱdabeiȱaufȱeinzelnenȱ Sonderpositionen,ȱ dieȱ innerhalbȱ derȱ PastȬExegeseȱ zwarȱ i.d.R.ȱ kaumȱ wahrgenommenȱ wurden,ȱ dieȱ jedochȱ aufȱ verschiedeneȱ Desiderateȱ derȱ bisherigenȱ Forschungȱ aufmerksamȱ gemachtȱ habenȱ undȱ denenȱ schonȱ deshalbȱ besondereȱ Bedeutungȱ zukommt.ȱ Imȱ Zentrumȱ stehtȱ dieȱ Frageȱ danach,ȱinȱwelchemȱVerhältnisȱdieȱdreiȱPastoralbriefeȱzueinanderȱundȱ zuȱdemȱRestȱdesȱCorpusȱPaulinumȱgesehenȱwerdenȱbzw.ȱwelcheȱErkläȬ rungsmusterȱfürȱdieȱDreizahlȱderȱSchreibenȱangebotenȱwerden.ȱ

2.1ȱȱPaulusȱalsȱVerfasserȱderȱPastoralbriefeȱ Obwohlȱ einȱ soȱ namhafterȱ Neutestamentlerȱ wieȱ Adolfȱ Hilgenfeldȱ beȬ reitsȱ 1875ȱ bezüglichȱ derȱ Verfasserschaftsfrageȱ konstatierenȱ konnte:ȱ „AlleȱGegenschriftenȱhabenȱdieseȱBriefeȱnichtȱwiederȱalsȱunzweifelhaftȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 1ȱȱ

ROLOFF,ȱPfeiler,ȱ229.ȱ

34ȱ

II.ȱȱEinȱForschungsüberblickȱ

ächtȱzuȱbeglaubigenȱvermocht“2,ȱmeldetenȱsichȱimȱVerlaufȱdesȱ20.ȱJahrȬ hundertsȱ weiterhinȱ Stimmenȱ zuȱ Wort,ȱ dieȱ uneingeschränktȱ fürȱ dieȱ Echtheitȱ allerȱ dreiȱ Pastoralbriefeȱ eintraten.3ȱ Sieȱ standenȱ vorȱ derȱ HerȬ ausforderung,ȱdieȱvonȱderȱhistorischenȱKritikȱdesȱ19.ȱJahrhundertsȱunȬ übersehbarȱaufgeworfenenȱFragenȱbesondersȱnachȱderȱsprachlichȬtheoȬ logischenȱEigenartȱderȱPast,ȱdieȱeineȱ(pseudepigraphische)ȱZusammenȬ ordnungȱderȱBriefeȱfastȱzwingendȱwirkenȱließ,ȱsowieȱnachȱihrerȱEinordȬ nungȱinȱdieȱdurchȱdieȱApgȱvorgegebeneȱBiographieȱdesȱPaulusȱzuȱbeȬ antworten.ȱ Geradeȱ imȱHinblickȱaufȱletztereȱ Fragestellungȱ warȱ dasȱ UrȬ teilȱauchȱderȱVerfechterȱderȱEchtheitȱgespalten:ȱEinigeȱbehaupteten,ȱnurȱ mitȱ derȱ Annahmeȱ einerȱ zweitenȱ Gefangenschaftȱ auskommenȱ zuȱ könȬ nenȱ–ȱd.h.ȱmitȱderȱMöglichkeit,ȱdassȱPaulusȱausȱderȱinȱApgȱ28ȱberichȬ tetenȱ Gefangenschaftȱ nochȱ einmalȱ freikamȱ undȱ Missionsreisenȱ zuȬ nächstȱ nachȱ Spanienȱ undȱ dannȱ erneutȱ inȱ denȱ Ostenȱ unternahm,ȱ vonȱ denenȱdieȱApgȱnichtȱberichtet.4ȱDieseȱsollȱdannȱdenȱfürȱeineȱAbfassungȱ derȱPastȱdurchȱPaulusȱbenötigtenȱ„Platz“ȱbieten.5ȱ ȱ

Verschiedeneȱ altkirchlicheȱ Zeugnisseȱ scheinenȱ vonȱ einemȱ Wirkenȱ desȱ Paulusȱ nochȱnachȱApgȱ28ȱzuȱwissen.6ȱZuȱfragenȱwäreȱallerdings,ȱinwiefernȱdiesȱnichtȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 2ȱȱ 3ȱȱ 4ȱȱ

5ȱȱ

6ȱȱ

HILGENFELD,ȱEinleitung,ȱ746.ȱ Gesondertȱ sollenȱ hierȱ diejenigenȱ Positionenȱ behandeltȱ werden,ȱ dieȱ fürȱ dieȱ Echtheitȱ nurȱeinesȱoderȱzweiȱderȱBriefeȱvotieren;ȱvgl.ȱdazuȱPunktȱII.2.4.1ȱdieserȱArbeit.ȱ Diesȱbehauptenȱ–ȱunterȱBerufungȱaufȱdieȱangeblicheȱpositiveȱErwartungshaltungȱdesȱ Paulusȱ inȱ denȱ Gefangenschaftsbriefenȱ Philȱ undȱ Phlmȱ (Wilson)ȱ bzw.ȱ Philȱ undȱ 2Timȱ (Prior)ȱ–ȱu.a.ȱPRIOR,ȱPaul,ȱ80f,ȱundȱWILSON,ȱLuke,ȱ133;ȱsieȱmüssenȱdafürȱaberȱdieȱkeiȬ neswegsȱunumstritteneȱAbfassungȱvonȱPhlmȱundȱPhilȱinȱRomȱvoraussetzenȱundȱausȱ denȱdortȱerwähntenȱPlänenȱeineȱerneuteȱMissionsreiseȱ(RichtungȱOstȱoderȱWest)ȱreȬ konstruieren.ȱȱ ZuȱRechtȱsprichtȱMARXSEN,ȱEinleitung,ȱ207,ȱbeiȱdieserȱArgumentationȱjedochȱvonȱeiȬ nemȱ‚circulusȱvitiosus‘:ȱ„DieȱPastȱkönnenȱnurȱdannȱvonȱPaulusȱverfaßtȱwordenȱsein,ȱ wennȱerȱnachȱeinerȱerstenȱrömischenȱGefangenschaftȱnochȱeinmalȱfreigekommenȱist.ȱ DaßȱPaulusȱaberȱnachȱderȱGefangenschaftȱinȱRomȱnochȱeinmalȱfreigekommenȱist,ȱistȱ nurȱ dannȱ anzunehmen,ȱ wennȱ erȱ selbstȱ Verfasserȱ derȱ Pastȱ ist.“ȱ JEREMIAS,ȱ PastoralȬ briefeȱ(1975),ȱ4,ȱhingegenȱkannȱanȱdieserȱStelleȱdenȱArgumentationsgangȱsogarȱumȬ kehrenȱ undȱ behaupten:ȱ „Derȱ wichtigsteȱ Zeugeȱ dafür,ȱ daßȱ Paulusȱ nochȱ einmalȱ freiȬ gekommenȱistȱundȱaufȱeinerȱviertenȱMissionsreiseȱseinȱWerkȱabgeschlossenȱhat,ȱsindȱ dieȱPastoralbriefeȱselbst,ȱauchȱfürȱdenȱFallȱihrerȱUnechtheit:ȱauchȱeinȱFälscherȱhätteȱ denȱ äußerenȱ Rahmenȱ derȱ Briefeȱ schwerlichȱ imȱ Widerspruchȱ zuȱ demȱ tatsächlichenȱ AblaufȱerfindenȱkönnenȱinȱeinerȱZeit,ȱinȱderȱnochȱZeitgenossenȱdesȱApostelsȱamȱLeȬ benȱwaren.“ȱÄhnlichȱargumentierenȱauchȱFEE,ȱCommentary,ȱ4,ȱundȱKELLY,ȱPastoralȱ Epistles,ȱ9f.ȱ Vgl.ȱzusätzlichȱzuȱdenȱ hierȱausführlicherȱbesprochenenȱTextenȱActȱVercȱ1ȱ (inȱeinerȱ Erscheinungȱ desȱ Herrnȱ wirdȱ Paulusȱ derȱ Aufbruchȱ nachȱ Spanienȱ befohlen)ȱ undȱ 2fȱ (ausȱ Romȱ brichtȱ Paulusȱ zuȱ einerȱ Missionsreiseȱ zuȱ einemȱ anderenȱ Volkȱ auf);ȱ dieseȱ

2.ȱȱDasȱ20./21.ȱJahrhundertȱ

35ȱ

lediglichȱ dieȱ Ausführungȱ derȱ inȱ Römȱ 15ȱ formuliertenȱ Pläneȱ desȱ Paulusȱ undȱ damitȱ eineȱ offensichtlicheȱ Lückeȱ innerhalbȱ derȱ neutestamentlichenȱ ÜberliefeȬ rungȱergänzt.ȱ 1Clemȱ5,7ȱsprichtȱdavon,ȱdassȱPaulusȱbisȱ„anȱdieȱGrenzeȱdesȱWestens“ȱ(evpi. to. te,rma th/j du,sewj)7ȱgelangtȱsei.ȱUnterȱHinweisȱaufȱdieȱSpanienpläneȱdesȱAposȬ telsȱ inȱ Römȱ 15,24ȱ sowieȱ unterȱ Hinzuziehungȱ derȱ Tatsache,ȱ dassȱ 1Clemȱ 5ȱ vonȱ siebenȱ Gefangenschaftenȱ desȱ Paulusȱ weiß,8ȱ wirdȱ diesȱ gernȱ aufȱ eineȱ Kenntnisȱ desȱ 1Clemȱ vonȱ einerȱ solchenȱ tatsächlichȱ nochȱ erfolgtenȱ westlichenȱ MissionsȬ reiseȱ gedeutet.9ȱ Obȱ 1Clemȱ jedochȱ tatsächlichȱ aufȱ eineȱ Spanienmissionȱ anspieltȱ undȱ obȱ –ȱ wennȱ jaȱ –ȱ dahinterȱ einȱ historischȱ richtigesȱ Wissenȱ umȱ eineȱ solcheȱ Reiseȱ desȱ Apostelsȱ Paulusȱ steht,ȱ istȱ nichtȱ mitȱ Sicherheitȱ zuȱ entscheiden.ȱ Alsȱ verlässlicherȱZeugeȱfürȱeineȱsolcheȱReiseȱdarfȱderȱ1.ȱClemensbriefȱinȱjedemȱFallȱ nichtȱgelten.ȱȱ AuchȱdieȱErwähnungȱeinerȱFreilassungȱdesȱPaulusȱausȱderȱrömischenȱGeȬ fangenschaftȱ undȱ daranȱ anschließenderȱ Missionstätigkeitȱ beiȱ Eusebȱ (h.e.ȱ IIȱ 22,1f),ȱinȱderenȱAnschlussȱPaulusȱerneutȱinȱRomȱgefangenȱgesetztȱundȱschließȬ lichȱhingerichtetȱwordenȱwäre,ȱdarfȱinȱihrerȱhistorischenȱZuverlässigkeitȱnichtȱ überbewertetȱ werden,ȱ daȱ Eusebȱ selbstȱ andeutetȱ (22,4),ȱ dieseȱ Kenntnisȱ wieȬ derumȱausȱdenȱPastoralbriefenȱgewonnenȱzuȱhaben.10ȱUmgekehrtȱfühltȱsichȱderȱ VerfasserȱdesȱKanonȱMuratoriȱaberȱoffensichtlichȱ(Z.ȱ35–39)ȱgenötigt,ȱdieȱinȱderȱ Apgȱ„fehlende“ȱErwähnungȱderȱSpanienreiseȱdesȱPaulusȱdamitȱzuȱbegründen,ȱ dassȱLukasȱnurȱvonȱdemȱberichtetȱhabe,ȱdessenȱerȱAugenzeugeȱgewordenȱsei.ȱ DiesȱlässtȱaufȱeineȱrelativȱstarkeȱVerbreitungȱderȱTraditionȱschließen.ȱ DochȱselbstȱwennȱmanȱdieȱNotizenȱinȱ1Clemȱ5,7ȱoderȱh.e.ȱIIȱ22,1fȱtatsächȬ lichȱalsȱHinweisȱaufȱeineȱSpanienmissionȱdesȱApostelsȱstrapaziert,ȱfehltȱfürȱeineȱ erneuteȱMissionȱimȱOsten,ȱfürȱdieȱdieȱPastȱjaȱgeschriebenȱsind,ȱjeglicherȱBeweis;ȱ sämtlicheȱVersuche,ȱausȱsolchenȱBemerkungenȱinȱKombinationȱmitȱdenȱAngaȬ benȱderȱPastȱdetaillierteȱReiseroutenȱdesȱApostelsȱzuȱrekonstruieren,11ȱmüssenȱ alsoȱscheitern.ȱ ȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ NotizenȱsindȱwohlȱalsȱhagiographischeȱAusschreibungȱderȱRömȬNotizȱzuȱverstehenȱ undȱdaherȱkaumȱalsȱhistorischerȱBelegȱheranzuziehen.ȱ 7ȱȱ ZurȱsemantischenȱUnsicherheitȱbezüglichȱdieserȱPhraseȱvgl.ȱLÖHR,ȱPaulusnotiz,ȱ207.ȱ 8ȱȱ DassȱesȱausgerechnetȱsiebenȱGefangenschaftenȱsind,ȱdieȱderȱ1Clemȱhierȱnennt,ȱsollteȱ vorȱ allzuȱ schnellenȱ historisierendenȱ Rückschlüssenȱ warnen,ȱ wieȱ sieȱ etwaȱ ELLIS,ȱ History,ȱ72,ȱzieht.ȱHierȱhandeltȱesȱsichȱwohlȱeherȱumȱeineȱstilisierendeȱDarstellung.ȱ 9ȱȱ Vgl.ȱLONA,ȱ1Clem;ȱBROX,ȱPastoralbriefe,ȱ29;ȱHARNACK,ȱGeschichte,ȱ240.ȱLINDEMANN,ȱ Clem,ȱ 39,ȱ hingegenȱ beziehtȱ dieseȱ Angabeȱ aufȱ Rom.ȱ Vgl.ȱ auchȱ dieȱ Diskussionȱ ganzȱ verschiedenerȱDeutungsmöglichkeitenȱbeiȱLÖHR,ȱPaulusnotiz,ȱ206–208.ȱ 10ȱȱ Zudemȱ wäreȱ sieȱ –ȱ selbstȱ wennȱ sieȱ zuträfeȱ –ȱ kaumȱ einȱ sichererȱ Hinweisȱ aufȱ eineȱ SpanienreiseȱdesȱApostels.ȱ 11ȱȱ Vgl.ȱaberȱdieȱAuflistungȱderȱinȱderȱexgetischenȱForschungȱentworfenenȱMissionsreiȬ senȱbeiȱVANȱBRUGGEN,ȱEinordnung,ȱ16ȱAnm.ȱ13.ȱ

36ȱ

II.ȱȱEinȱForschungsüberblickȱ

Dieȱ deutlicheȱ Mehrheitȱ derȱ Echtheitsvertreterȱ imȱ 20.ȱ Jahrhundertȱ voȬ tiertȱ deshalbȱ fürȱ dieȱ Annahmeȱ einerȱ zweitenȱ Gefangenschaftȱ desȱ PauȬ lus,ȱ weilȱ esȱ ihnenȱ derȱ dadurchȱ entstehendeȱ zeitlicheȱ Abstandȱ zuȱ denȱ Protopaulinenȱ ermöglicht,ȱ dieȱ sprachlichȬtheologischeȱ Sonderstellungȱ derȱPastȱzuȱerklären.ȱZuȱdiesenȱExegetenȱgehörenȱu.a.ȱGustavȱWohlenȬ berg,ȱWilhelmȱMichaelis,ȱAdolfȱSchlatter,ȱHansȱBürki,ȱWolfgangȱMetzȬ ger,ȱ Walterȱ Lock,ȱ Georgȱ W.ȱ Knight12ȱ sowieȱ derȱ fürȱ dieȱ (französische)ȱ Exegeseȱ langeȱ Jahreȱ prägendeȱ Kommentarȱ vonȱ Ceslasȱ Spicq13ȱ undȱ neuerdingsȱwiederȱE.ȱEarleȱEllis.14ȱȱ Einigeȱ wenigeȱ Exegetenȱ hingegenȱ versuchen,ȱ dieȱ dreiȱ Briefeȱ trotzȱ gewisserȱ Widersprücheȱ inȱ demȱ vonȱ derȱ Apgȱ umfasstenȱ Zeitraumȱ einzuordnen:15ȱ1TimȱundȱTitȱwerdenȱdannȱalsȱZeugnisȱderȱdortȱgeschilȬ dertenȱ Missionsreisenȱ bzw.ȱ derȱ vonȱ Lkȱ angeblichȱ selbstȱ angezeigtenȱ LückeȱnachȱApgȱ1916ȱundȱ2TimȱalsȱBriefȱausȱeinerȱderȱGefangenschaftenȱ desȱ Paulusȱ interpretiert.ȱ Auffälligerweiseȱ könnenȱ dabeiȱ sowohlȱ dieȱ ÜbereinstimmungȱmitȱdenȱhistorischenȱAngabenȱderȱApgȱalsȱauchȱdieȱ DifferenzȱdazuȱalsȱArgumentȱfürȱeineȱauthentischeȱAbfassungȱderȱPastȱ angeführtȱ werden17ȱ –ȱ wasȱ nurȱ denȱ Schlussȱ zulässt,ȱ dassȱ darausȱ nichtsȱ fürȱdieȱVerfasserfrageȱgewonnenȱwerdenȱkann.ȱ ȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 12ȱȱ Vgl.ȱ dieȱ folgendenȱ monographischenȱ Abhandlungen:ȱ WOHLENBERG,ȱ Pastoralbriefe;ȱ MICHAELIS,ȱ Pastoralbriefe;ȱ SCHLATTER,ȱ Kirche;ȱ BÜRKI,ȱ Timotheus;ȱ METZGER,ȱ Reise;ȱ LOCK,ȱ Pastoralȱ Epistles;ȱ KNIGHT,ȱ Pastoralȱ Epistles.ȱ Ausdrücklichȱ erwähntȱ seiȱ hierȱ außerdemȱBRUSTON,ȱdate,ȱ272ff,ȱweilȱerȱdieȱSonderpositionȱvertritt,ȱdassȱderȱauthenȬ tischeȱ 2Timȱ nochȱ inȱ derȱ erstenȱ Gefangenschaft,ȱ derȱ ebenfallsȱ authentischeȱ 1Timȱ alȬ lerdingsȱnachȱderȱFreilassungȱaufȱeinerȱspäterenȱMissionsreiseȱverfasstȱwordenȱsei.ȱ 13ȱȱ SoȱgiltȱseinȱKommentarȱalsȱ„[d]asȱprofundesteȱ Werkȱinȱderȱ Verteidigungȱderȱ EchtȬ heit“ȱ(soȱTRUMMER,ȱPaulustradition,ȱ39),ȱdochȱschließtȱSPICQ,ȱÉpitresȱpastorales,ȱ199,ȱ dabeiȱ dieȱ Mitwirkungȱ einesȱ Sekretärsȱ nichtȱ aus,ȱ soȱ dassȱ derȱ Übergangȱ zurȱ sog.ȱ SeȬ kretärshypotheseȱhierȱfließendȱist.ȱ 14ȱȱ ELLIS,ȱ Documents.ȱ Ellisȱ kannȱ a.a.O.ȱ 420,ȱ dieȱ sprachlicheȱ Besonderheitȱ derȱ Pastȱ zuȬ sätzlichȱ durchȱ dieȱ Tatsacheȱ erklären,ȱ dassȱ Paulusȱ sämtlicheȱ Briefeȱ mitȱ Hilfeȱ vonȱ (wechselnden)ȱSekretärenȱverfasstȱhabe.ȱ 15ȱȱ Soȱ ROBINSON,ȱ Newȱ Testament;ȱ VANȱ BRUGGEN,ȱ Einordnung;ȱ REICKE,ȱ Chronologie;ȱ ders.,ȱLetters.ȱ 16ȱȱ Vgl.ȱdieȱvonȱ VANȱ BRUGGEN,ȱ a.a.O.ȱ19ff,ȱfavorisierteȱ„ZwischenreiseȬLösung“:ȱLukasȱ deuteȱan,ȱdassȱzwischenȱdemȱinȱ Apgȱ19,20ȱundȱ19,21ȱBerichtetenȱeinȱlängererȱZeitȬ raumȱgelegenȱhabe.ȱDiesȱlegeȱdenȱSchlussȱnahe,ȱdassȱ1TimȱundȱTitȱaufȱdieserȱinȱApgȱ nichtȱ erwähnten,ȱ ausȱ derȱ KorȬKorrespondenzȱ jedochȱ zuȱ erschließendenȱ Rundreiseȱ geschriebenȱseien;ȱvgl.ȱauchȱREICKE,ȱChronologie,ȱ57.ȱ 17ȱȱ FürȱErsteresȱvotiertȱREICKE,ȱLetters,ȱ51;ȱgenauȱumgekehrtȱargumentiertȱhingegenȱROȬ BINSON,ȱNewȱTestament,ȱ72.ȱ

2.ȱȱDasȱ20./21.ȱJahrhundertȱ

37ȱ

Auchȱ Philippȱ Townerȱ reflektiertȱ inȱ einemȱ Aufsatzȱ grundsätzlichȱ überȱ MethodenfragenȱbezüglichȱderȱPastoralbriefexegese.ȱȱ ȱ

Townerȱ brichtȱ zunächstȱ dieȱ durchȱ Baursȱ historischeȱ Kritikȱ begründeteȱ Formȱ derȱPastoralbriefexegeseȱauf,ȱumȱeinemȱneuenȱZugangȱzuȱfinden.ȱSeineȱGrundȬ frageȱ lautet:ȱ „Howȱ isȱ theȱ theologyȱ ofȱ theȱ Pastoralȱ Lettersȱ toȱ beȱ understoodȱ inȱ relationȱtoȱtheȱtheologyȱofȱtheȱearlierȱPaul?“18ȱSeineȱeigeneȱAntwortȱerfolgtȱhierȱ erstȱ nachȱ einerȱ ausführlichenȱ Kritikȱ anȱ derȱ Methodeȱ Roloffsȱ alsȱ desȱ vonȱ ihmȱ gewähltenȱ Antagonisten,19ȱ imȱ Zugeȱ dererȱ Townerȱ nichtȱ nurȱ dieȱ angeblicheȱ NotwendigkeitȱderȱEinordnungȱderȱPastȱinȱdenȱÜbergangȱvonȱderȱzweitenȱzurȱ drittenȱ frühchristlichenȱ Generation,ȱ sondernȱ auchȱ dieȱ Nivellierungȱ derȱ UnterȬ schiedeȱzwischenȱdenȱPastȱalsȱVoraussetzungȱihrerȱBetrachtungȱalsȱliterarischeȱ EinheitȱinȱFrageȱstellt:ȱ„[A]partȱfromȱmoreȱmodernȱtheoriesȱofȱpseudonymousȱ purposeȱ[…]ȱthereȱareȱnoȱinternalȱcluesȱtoȱsuggestȱthatȱtheyȱoriginatedȱfromȱtheȱ sameȱplaceȱorȱtime,ȱorȱthatȱtheyȱareȱtoȱbeȱreadȱasȱoneȱliteraryȱunit.“20ȱAufȱdieseȱ WeiseȱwürdenȱdieȱPastȱnämlichȱeinerseitsȱeinemȱKonzeptȱpaulinischerȱTheoloȬ gieȱgegenübergestellt,ȱwelchesȱdezidiertȱunterȱAusschlussȱallerȱsechsȱangeblichȱ pseudonymenȱBriefeȱausȱeinemȱ„miniȬPaulineȱcorpus“21ȱgewonnenȱwordenȱseiȱ undȱ daherȱ nurȱ eineȱ „caricatureȱ ofȱ Paul“ȱ biete,ȱ undȱ andererseitsȱ unterȱ einemȱ ihnenȱ nurȱ angeblichȱ gemeinsamenȱ Thema,ȱ derȱ Ekklesiologie,ȱ subsumiert.22ȱ Townerȱ hingegenȱ verortetȱ dieȱ Pastȱ innerhalbȱ derȱ authentischenȱ Paulusbriefeȱ undȱerkenntȱinȱihnenȱwiederumȱDokumenteȱdesȱÜbergangs:ȱPaulusȱselbstȱhabeȱ dieȱ Notwendigkeitȱ erkannt,ȱ dieȱ Strukturenȱ derȱ Kircheȱ auchȱ überȱ dasȱ Endeȱ seinesȱLebensȱhinausȱzuȱreflektieren,ȱundȱdeshalbȱmitȱdenȱPastoralbriefenȱdenȱ WechselȱvonȱderȱerstenȱhinȱzurȱzweitenȱGenerationȱinitiiert.23ȱȱ ȱ

Daraufȱ aufbauendȱ kommentiertȱ Townerȱ inȱ seinemȱ umfangreichenȱ KommentarwerkȱdieȱdreiȱSchreibenȱalsȱauthentischeȱBriefe.ȱ ȱ

Dieȱ Annahmeȱ authentischerȱ Verfasserschaftȱ ermöglichtȱ esȱ Towner,ȱ dieȱ mitȱ Wolterȱalsȱ„Mandataȱprincipis“ȱbestimmteȱBriefgattungȱalsȱdieȱFormȱzuȱversteȬ hen,ȱdieȱPaulusȱselbstȱfürȱseineȱMitarbeiterbriefeȱ(1Timȱ/ȱTit)ȱgewähltȱhabe.ȱSieȱ bieteȱ sichȱ fürȱ dieseȱ Briefeȱ auchȱ deshalbȱ geradezuȱ an,ȱ weilȱ damitȱ nebenȱ denȱ Paulusȱ vertretendenȱ Mitarbeiternȱ zugleichȱ dieȱ imȱ Hintergrundȱ stehendenȱ GeȬ meindenȱangesprochenȱwerdenȱkönnten.ȱGleichzeitigȱermöglichtȱesȱdieȱZuweiȬ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 18ȱȱ 19ȱȱ 20ȱȱ 21ȱȱ

TOWNER,ȱTheology,ȱ287.ȱ A.a.O.ȱ292ff,ȱzuȱRoloffȱvgl.ȱu.ȱS.ȱ69–71.ȱ TOWNER,ȱa.a.O.ȱ301f.ȱȱ Ders.,ȱLetters,ȱ24.ȱDabeiȱthematisiertȱerȱauchȱdieȱausȱseinerȱSichtȱfragwürdigeȱMethoȬ dikȱ einerȱ Auslegungȱ unterȱ Voraussetzungȱ derȱ pseudepigraphischenȱ Abfassung,ȱ derenȱSchwächenȱerȱbesondersȱbeiȱderȱVoraussetzungȱderȱInterpretationȱalsȱCorpusȱ undȱderȱFrageȱnachȱderȱAuswertbarkeitȱderȱhistorischenȱAngabenȱvorȱdemȱHinterȬ grundȱpseudepigraphischerȱVerfasserschaftȱsieht;ȱvgl.ȱa.a.O.ȱ19.20.28.84fȱu.ö.ȱ 22ȱȱ Ders.,ȱTheology,ȱ302f,ȱZitatȱ303.ȱ 23ȱȱ A.a.O.ȱ307–314.ȱȱ

38ȱ

II.ȱȱEinȱForschungsüberblickȱ

sungȱ zuȱ diesemȱ Genreȱ Towner,ȱ dieȱ fürȱ erfahreneȱ Mitarbeiterȱ eigentlichȱ unȬ passendeȱ Unterweisungȱ alsȱ denȱ ebenfallsȱ angesprochenenȱ Gemeindenȱ geȬ schuldetȱ zuȱ interpretieren.24ȱ Fürȱ 2Timȱ wirdȱ dieȱ gängigeȱ Charakterisierungȱ alsȱ Testamentȱabgelehnt,ȱdaȱPaulusȱhierȱ‚nochȱsehrȱlebendig‘ȱwirke,ȱundȱderȱBriefȱ stattdessenȱdemȱ„pareneticȬprotrepticȱgenre“ȱzugewiesen.25ȱȱ ȱ

DieȱaufȱsprachlichenȱundȱformalenȱMerkmalenȱbasierendeȱSonderstelȬ lungȱ derȱ Pastȱ imȱ Corpusȱ Paulinumȱ wirdȱ dabeiȱ durchausȱ erkanntȱ undȱ alsȱ hermeneutischesȱ Prinzipȱ derȱ sichȱ anschließendenȱ Kommentierungȱ verankert:ȱ „Theseȱ elementsȱ ofȱ continuityȱ shouldȱ notȱ beȱ overstressed,ȱ butȱ theyȱ neverthelessȱ justifyȱ recognizingȱ thatȱ theȱ threeȱ lettersȱ formȱ aȱ secondȱimportantȱcontextualȱhorizonȱ[…]ȱInȱotherȱwords,ȱinȱreadingȱtheȱ lettersȱtoȱTimothyȱandȱTitusȱweȱmustȱacknowledgeȱbothȱtheirȱindividuȬ alityȱ andȱ theirȱ unityȱ andȱ interrelationship.“26ȱ Dieȱ beiȱ derȱ Annahmeȱ pseudepigraphischerȱ Verfasserschaftȱ darausȱ fastȱ notwendigȱ folgende,ȱ DifferenzenȱnivellierendeȱgemeinsameȱAuslegungȱderȱdreiȱBriefeȱwirdȱ aberȱzurückgewiesen.ȱJederȱderȱdreiȱBriefeȱzeichneȱsichȱvielmehrȱdurchȱ einȱeigenesȱThemaȱausȱundȱsprecheȱfürȱeineȱbestimmteȱZeitȱundȱeinenȱ bestimmtenȱOrt:ȱSoȱzieleȱ1TimȱinȱeineȱSituation,ȱinȱderȱdieȱKircheȱdurchȱ Irrlehrerȱ bedrängtȱ werde,ȱ währendȱ imȱ Titȱ eineȱ starkeȱ Kirchenleitungȱ erstȱeingesetztȱwerdenȱmüsse.ȱ2Timȱhingegenȱseiȱderȱneutestamentlicheȱ Abschlussȱ derȱ PaulusȬGeschichte.27ȱ Imȱ Folgendenȱ zeigtȱ Townerȱ auf,ȱ wieȱdiesesȱPrinzipȱfürȱdieȱeinzelnenȱTheologumenaȱderȱPastȱfruchtbarȱ gemachtȱ werdenȱ kann,ȱ alsȱ derenȱ zentraleȱ Themenȱ erȱ dieȱ IrrlehrerproȬ blematikȱundȱdieȱGemeindeordnungȱnennt.28ȱȱ ȱ

Verzichteȱmanȱdarauf,ȱdieȱCharakteristikaȱderȱIrrlehreȱausȱallenȱdreiȱBriefenȱzuȱ erheben,ȱ soȱ zeigtenȱ sichȱ Unterschiede,ȱ dieȱ aufgrundȱ derȱ unterschiedlichenȱ LokalisierungȱderȱhinterȱdenȱAdressatenȱstehendenȱGemeindenȱnichtȱverwunȬ dernȱ undȱ keinesfallsȱ vermischtȱ werdenȱ dürften.29ȱ Auchȱ wennȱ dieȱ verschiedeȬ nenȱStrömungenȱalsȱ„preȬgnostic“30ȱzuȱcharakterisierenȱseien,ȱsoȱseiȱoffensichtȬ lichȱ dieȱ aufȱ Kretaȱ zuȱ bekämpfendeȱ Häresieȱ deutlichȱ stärkerȱ vonȱ jüdischenȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 24ȱȱ Vgl.ȱjedochȱdieȱzwischenȱdenȱbeidenȱAntipodenȱMitchellȱundȱJohnsonȱgeführteȱDeȬ batteȱüberȱdieȱFrage,ȱobȱausȱderȱBriefgattungȱAussagenȱüberȱdieȱVerfasserfrageȱgeȬ wonnenȱwerdenȱkönnen,ȱvgl.ȱdazuȱu.ȱS.ȱ41ȱAnm.ȱ47.ȱ 25ȱȱ TOWNER,ȱLetters,ȱ35f.53.79f.86,ȱZitatȱ79.ȱ 26ȱȱ A.a.O.ȱ29ff,ȱZitatȱ29.ȱ 27ȱȱ A.a.O.ȱ28f.ȱ 28ȱȱ Vgl.ȱüberȱdasȱimȱFolgendenȱGenannteȱhinausȱa.a.O.ȱ53ff,ȱTownersȱKapitelȱzuȱ„Unityȱ andȱDiversityȱofȱTheologicalȱandȱThematicȱElements“.ȱ 29ȱȱ Vgl.ȱa.a.O.ȱ41–44.ȱ 30ȱȱ A.a.O.ȱ43,ȱvgl.ȱzurȱFrageȱderȱtheologiegeschichtlichenȱVerortungȱderȱIrrlehrerȱuntenȱ PunktȱIV.3ȱdieserȱArbeit,ȱbes.ȱS.ȱ364–367.ȱ

2.ȱȱDasȱ20./21.ȱJahrhundertȱ

39ȱ

ElementenȱdurchsetztȱalsȱdieȱinȱEphesus,ȱaufȱdieȱbeideȱTimotheusbriefeȱBezugȱ nähmen.31ȱAuchȱdieȱinȱ1TimȱundȱTitȱreflektiertenȱGemeindeordnungenȱwiesenȱ inȱ verschiedeneȱ Situationenȱ hinein,ȱ daȱ dieȱ dabeiȱ angesprochenenȱ Gemeindenȱ sichȱ offensichtlichȱ inȱ einemȱ unterschiedlichenȱ Entwicklungsstadiumȱ befundenȱ hättenȱ –ȱ undȱ besondersȱ derȱ Titusbriefȱ anȱ eineȱ soȱ jungeȱ paulinischeȱ Gemeindeȱ gerichtetȱsei,ȱdassȱdiesȱnachpaulinischȱkaumȱdenkbarȱwäre.32ȱ ȱ

Denȱ genauenȱ „authorshipȱ process“ȱ inȱ Bezugȱ aufȱ dieȱ Abfassungȱ derȱ Pastȱ lässtȱ Townerȱ offen,ȱ willȱ alsoȱ dieȱ Hilfeȱ einesȱ Sekretärsȱ zumindestȱ nichtȱ ausschließen,ȱ gehtȱ imȱ Folgendenȱ aberȱ dezidiertȱ vonȱ Paulusȱ alsȱ Verfasserȱaus,33ȱderȱdieseȱBriefeȱwährendȱseinerȱinȱderȱApgȱgeschilderȬ tenȱMissionstätigkeitȱgeschriebenȱhabe,34ȱsoȱdassȱdieseȱvorȱdemȱHinterȬ grundȱ derȱ aktivenȱ Missionȱ desȱ Apostelsȱ verstandenȱ werdenȱ wollenȱ undȱausȱTownersȱSichtȱauchȱnurȱsoȱverstandenȱwerdenȱkönnen.ȱ ȱ Einenȱ dezidiertȱ drittenȱ Wegȱ –ȱ jenseitsȱ desȱ obenȱ skizziertenȱ Konfliktsȱ bezüglichȱderȱhistorischenȱEinschätzungȱvonȱPastȱundȱApgȱ–ȱwillȱLukeȱ Timothyȱ Johnsonȱ beschreiten,ȱ umȱ dieȱ Echtheitȱ derȱ Pastoralbriefeȱ zuȱ verteidigen:35ȱWederȱwerdenȱdieȱPastȱinȱseinenȱbeidenȱseitȱ1996ȱimȱAbȬ standȱvonȱfünfȱJahrenȱerschienenenȱWerkenȱinȱdieȱausȱderȱApgȱbekanȬ nteȱPaulusbiographieȱeingeordnet,ȱnochȱwirdȱeineȱanȱApgȱ28ȱanschlieȬ ßendeȱerneuteȱTätigkeitȱdesȱPaulusȱpostuliert,ȱsondernȱJohnsonȱnimmtȱ dieȱgrundsätzlichȱauchȱvonȱanderenȱExegetenȱerkannteȱTatsacheȱernst,ȱ dassȱ dieȱApgȱ zwarȱ nachȱ Selbstanspruchȱ desȱ Lukasȱeinȱ historiographiȬ schesȱ Werkȱ seinȱ will,ȱ esȱ aberȱ nachȱ Maßstäbenȱ modernerȱ Historikerȱ nichtȱ ist,ȱ undȱ wertetȱ daherȱ dieȱ inȱ denȱ Pastȱ enthaltenenȱ undȱ überȱ dieȱ Apgȱ hinausreichendenȱ Informationenȱ zumȱ Wirkenȱ desȱ Paulusȱ ebensoȱ wieȱdieȱAngabenȱderȱProtopaulinenȱaus.36ȱȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 31ȱȱ Hierȱlasseȱsichȱzudemȱzeigen,ȱdassȱ2TimȱaufȱeinȱspäteresȱEntwicklungsstadiumȱderȱ durchȱdieȱgleichenȱPersonenȱwieȱimȱ1TimȱrepräsentiertenȱIrrlehreȱverweise.ȱUmgeȬ kehrtȱfalleȱauf,ȱdassȱimȱTitȱdieȱGegnerȱnichtȱmitȱNamenȱgenanntȱwürden,ȱwasȱeineȱ größereȱDistanzȱwiderspiegele;ȱvgl.ȱa.a.O.ȱ41f.47.ȱ 32ȱȱ Vgl.ȱa.a.O.ȱ51.ȱȱ 33ȱȱ A.a.O.ȱ88,ȱZitatȱebd.ȱ 34ȱȱ A.a.O.ȱ22f.ȱ 35ȱȱ JOHNSON,ȱ Delegates,ȱ hierȱ 10f;ȱ vgl.ȱ ders.,ȱ Timothy.ȱ Letzteresȱ Werkȱ stelltȱ dabeiȱ eineȱ breiterȱangelegteȱargumentativeȱAufarbeitungȱdesȱersterenȱdar.ȱ 36ȱȱ Soȱders.,ȱTimothy,ȱ48;ȱvgl.ȱders.,ȱDelegates,ȱ10f.ȱDamitȱformuliertȱJohnsonȱinȱderȱTatȱ eineȱ grundlegendeȱ Einsicht,ȱ dieȱ jedochȱ inȱ dieȱ Erkenntnisȱ mündenȱ muss,ȱ dassȱ dieȱ DifferenzenȱzwischenȱdenȱPastȱundȱderȱApgȱwederȱalsȱArgumentȱfürȱnochȱgegenȱdieȱ pln.ȱVerfasserschaftȱderȱdreiȱBriefeȱherangezogenȱwerdenȱdürfen.ȱ

40ȱ

II.ȱȱEinȱForschungsüberblickȱ

Daherȱ kommentiertȱ Johnsonȱ dieȱ beidenȱ Timotheusbriefeȱ dezidiertȱ alsȱ paulinischeȱ Schriften.37ȱ Zunächstȱ warntȱ erȱ dieȱ Verfechterȱ pseudȬ epigraphischerȱVerfasserschaftȱvorȱdenȱ„ConsequencesȱofȱGrouping“,38ȱ weilȱerstensȱsoȱdieȱFrageȱnachȱEchtheitȱundȱUnechtheitȱebensoȱwieȱdieȱ nachȱ Besonderheitenȱ derȱ Schreibenȱ immerȱ nurȱ fürȱ alleȱ dreiȱ Briefeȱ geȬ meinsamȱentschiedenȱwerdenȱkönne,39ȱundȱesȱzweitensȱausgesprochenȱ problematischȱsei,ȱdieȱPastoralbriefeȱalsȱeineȱGruppeȱdemȱCorpusȱPauȬ linumȱalsȱeinerȱebensoȱabstraktenȱGrößeȱgegenüberzustellen.40ȱUmȱaberȱ eineȱ Auseinandersetzungȱ mitȱ demȱ verbreitetenȱ Konsensȱ erstȱ möglichȱ zuȱ machen,ȱ untersuchtȱ auchȱ Johnsonȱ dieȱ dreiȱ Schreibenȱ zunächstȱ geȬ meinsam,ȱordnetȱaberȱderȱKommentierungȱderȱeinzelnenȱBriefeȱjeweilsȱ eineȱ kurzeȱ Einleitungȱ vor,ȱ inȱ derȱ grundsätzlicheȱ Fragenȱ desȱ EinzelȬ schreibensȱgeklärtȱwerden.41ȱ ȱ

DenȱVerfechternȱdesȱKonsensesȱwirftȱerȱvor,ȱnurȱdieȱUnterschiedeȱderȱPastȱzuȱ denȱ Protopaulinenȱ zuȱ betonenȱ undȱ dabeiȱ sowohlȱ dieȱ Kontinuitätenȱ zwischenȱ diesenȱ beidenȱ ‚Gruppen‘ȱ alsȱ auchȱ dieȱ Differenzenȱ innerhalbȱ derȱ Pastȱ außerȱ Achtȱzuȱlassen.42ȱAußerdemȱfordertȱJohnsonȱinȱAufnahmeȱdesȱbereitsȱvonȱF.C.ȱ BaurȱerhobenenȱAnspruchsȱ„derȱObjectivität“43,ȱdassȱdieȱCharakterisierungȱderȱ Pastȱ lediglichȱ alsȱ nachpaulinischenȱ Ursprungsȱ nichtȱ ausreiche,ȱ sondernȱ dieserȱ eineȱEinordnungȱinȱeinȱmöglichesȱhistorischesȱUmfeldȱfolgenȱmüsse.44ȱȱ ȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 37ȱȱ Vgl.ȱders.,ȱTimothy,ȱ98f.ȱEineȱKommentierungȱdesȱTitȱdurchȱJohnsonȱunterbleibtȱinȱ diesemȱRahmen.ȱ 38ȱȱ A.a.O.ȱ7.ȱ 39ȱȱ SoȱführtȱJOHNSON,ȱa.a.O.ȱ14ff,ȱvor,ȱdassȱdieȱPastȱkeineswegsȱalleȱalsȱKirchenordnunȬ genȱzuȱbetrachtenȱseien,ȱdaȱdiesesȱThemaȱimȱTitȱnurȱamȱRande,ȱimȱ2Timȱhingegenȱ garȱnichtȱvorkomme.ȱ 40ȱȱ Diesȱführeȱdazu,ȱdassȱlediglichȱzweiȱhypothetischeȱGrößenȱvonȱnurȱscheinbarȱinȱsichȱ einheitlichenȱ Briefsammlungenȱverglichenȱwürdenȱ(vgl.ȱa.a.O.ȱ82f,ȱsowieȱders.,ȱ DeȬ legates,ȱ 22),ȱ wasȱ zudemȱ insofernȱ ausgesprochenȱ problematischȱ sei,ȱ alsȱ keineȱ anerȬ kanntȱ echtenȱ paulinischenȱ Mitarbeiterschreibenȱ überliefertȱ seienȱ undȱ somitȱ einȱ geȬ nauerȱVergleichȱunmöglichȱgemachtȱwerde;ȱvgl.ȱders.,ȱTimothy,ȱ96.ȱ 41ȱȱ Folgendeȱ Gesichtspunkteȱ werdenȱ beiȱ derȱ Frageȱ nachȱ Echtheitȱ oderȱ Unechtheitȱ inȱ beidenȱ Werkenȱ Johnsonsȱ thematisiert:ȱ Dieȱ Briefeȱ imȱ Verhältnisȱ zurȱ paulinischenȱ Missionȱ –ȱ stilistischeȱ Eigentümlichkeitenȱ derȱ Pastȱ –ȱ Identifizierungȱ derȱ Gegnerȱ –ȱ kirchlicheȱ Organisationsstrukturenȱ –ȱ thematischeȱ Konsistenz.ȱ Anhandȱ dieserȱ fünfȱ Punkteȱ weistȱ Johnsonȱ jeweilsȱ auf,ȱ dassȱ dieȱ Annahmeȱ pseudepigraphischerȱ VerfasȬ serschaftȱausȱseinerȱSichtȱkeineswegsȱzwingendȱsei.ȱ 42ȱȱ Vgl.ȱJOHNSON,ȱTimothy,ȱ89–91.ȱA.a.O.ȱ81f,ȱsprichtȱJohnsonȱvonȱ„SelectiveȱUseȱofȱEviȬ dence“.ȱ 43ȱȱ BAUR,ȱGnosis,ȱ668f;ȱvgl.ȱdazuȱobenȱPunktȱII.1.5ȱdieserȱArbeit.ȱ 44ȱȱ JOHNSON,ȱTimothy,ȱ85ff.ȱȱ

2.ȱȱDasȱ20./21.ȱJahrhundertȱ

41ȱ

Johnsonsȱ eigenerȱ Zugangȱ zuȱ diesenȱ paulinischenȱ Mitarbeiterbriefenȱ lässtȱ sichȱ inȱ folgendemȱ Satzȱ zusammenfassen:ȱ „1ȱ andȱ 2ȱ Timothyȱ areȱ likeȱallȱofȱPaul’sȱotherȱletters.“45ȱDieseȱBriefeȱließenȱsichȱalsoȱdurchausȱ inȱdieȱpaulinischeȱBiographieȱeinordnen.46ȱ ȱ

Umȱ dieȱ Richtigkeitȱ diesesȱ Zugangsȱ zuȱ untermauern,ȱ wendetȱ Johnsonȱ sichȱ abȬ schließendȱ auchȱ demȱ Genreȱ derȱ Briefeȱ zu,ȱ welchesȱ häufigȱ alsȱ Belegȱ fürȱ eineȱ pseudepigraphischeȱ Verfasserschaftȱ herangezogenȱ wird:ȱ Dochȱ seiȱdiesȱ keinesȬ wegsȱ zwingend,ȱ dennȱ erkenneȱ manȱ imȱ 1Timȱ /ȱ Titȱ keineȱ ‚Kirchenordnungen‘,ȱ sondernȱ„aȱformȱofȱaȱmandateȱletter“ȱundȱwerdeȱ2Timȱnichtȱderȱ–ȱinȱderȱAntikeȱ i.d.R.ȱpseudepigraphischenȱ–ȱGattungȱ„testamentȱorȱfarewellȱdiscourse“ȱzugeordȬ net,ȱ sondernȱ alsȱ ‚paränetischerȱ Brief‘ȱ charakterisiert,ȱ dannȱkönntenȱ dieȱ SchreiȬ benȱdurchausȱauthentischȱsein.47ȱ ȱ

MitȱseinenȱbeidenȱKommentarwerkenȱdurchbrichtȱJohnsonȱdenȱscheinȬ barenȱKonsensȱderȱzeitgenössischenȱneutestamentlichenȱExegese,ȱderȱerȱ vorwirft,ȱjeweilsȱnurȱdasȱbereitsȱfeststehendeȱUrteilȱbezüglichȱderȱVerȬ fasserschaftȱzuȱbestätigen,48ȱundȱwillȱneueȱMöglichkeitenȱderȱPastoralȬ briefexegeseȱaufweisen.ȱDochȱstelltȱsichȱauchȱhierȱdieȱFrage,ȱinwiefernȱ erȱ selbstȱ nichtȱ einemȱ Zirkelschlussȱ erliegt,ȱ wennȱ erȱ zwarȱ dieȱ BehandȬ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 45ȱȱ A.a.O.ȱ99.ȱDers.,ȱShape,ȱ25,ȱkannȱdieseȱAussageȱkonkretisierenȱ(undȱzugleichȱrelatiȬ vieren),ȱindemȱerȱdavonȱspricht,ȱdassȱ1TimȱwährendȱderȱMissionstätigkeitȱdesȱPauȬ lusȱ unterȱ dessenȱ Autoritätȱ verfasstȱ sei.ȱ Eineȱ explizitȱ eigenhändigeȱ Abfassungȱ istȱ dannȱnichtȱmehrȱimȱBlick.ȱ 46ȱȱ Vgl.ȱders.,ȱTimothy,ȱ91–93.ȱȱ 47ȱȱ Ders.,ȱ Delegates,ȱ 32,ȱ beideȱ Zitateȱ ebd.;ȱ vgl.ȱ zurȱ genauenȱ Argumentationȱ vgl.ȱ ders.,ȱ Timothy,ȱ 98ff.ȱ Vgl.ȱ zuȱ dieserȱ Behauptungȱ Johnsonsȱ dieȱ grundsätzlicheȱ Anfrageȱ („[W]hatȱisȱtheȱrelationshipȱbetweenȱgenreȱandȱauthenticity?“ȱ[ähnlichȱTOWNER,ȱLetȬ ters,ȱ 35f,ȱ sowieȱ bereitsȱ SPICQ,ȱ Épitresȱ pastorales,ȱ 34ff,ȱ vgl.ȱ a.a.O.ȱ 157–214])ȱ undȱ dieȱ fundamentaleȱKritikȱbeiȱMITCHELL,ȱGenre,ȱ362ff,ȱZitatȱ365:ȱSieȱwirftȱJohnsonȱvor,ȱimȱ Hinblickȱ aufȱ dieȱ Gattungsbestimmungȱ denȱ Argumentationsgangȱ umzukehrenȱ undȱ ausȱderȱTatsache,ȱdassȱ PTebtȱ703ȱeinȱ„mandataȱprincipisȱletter“ȱseiȱ–ȱwasȱausȱihrerȱ Sichtȱ eineȱ unzulässigeȱ Vermischungȱ zweierȱ unterschiedlicherȱ Genresȱ darstelltȱ –ȱ zuȱ schließen,ȱdassȱ1TimȱundȱTitȱ(undȱdamitȱalleȱPast)ȱvonȱPaulusȱverfasstȱseinȱmüssten.ȱ Zwarȱ gebeȱ JOHNSON,ȱ Delegates,ȱ 107f,ȱ zunächstȱ sogarȱ selbstȱ zu,ȱ dassȱ eineȱ solcheȱ Gattungȱ natürlichȱ nichtȱ nurȱ Paulus,ȱ sondernȱ auchȱ einemȱ deuteropaulinischenȱ FälȬ scherȱzurȱVerfügungȱgestandenȱhabe,ȱwolleȱdannȱaberȱdochȱdasȱGenreȱfürȱdieȱFrageȱ derȱ Verfasserschaftȱ heranziehen.ȱ Mitchellȱ kommtȱ a.a.O.ȱ 369,ȱ jedochȱ schließlichȱ zuȱ demȱ Ergebnis,ȱ dassȱ ausȱ derȱ literarischenȱ Formȱ einesȱ Briefesȱ keineȱ Aussagenȱ überȱ seineȱ Verfasserschaftȱ zuȱ erhebenȱ seien.ȱ M.E.ȱ übersiehtȱ Mitchellȱ aber,ȱ dassȱ Johnsonȱ dasȱ Genreȱ vonȱ 1Timȱ undȱ Titȱ nichtȱ alsȱ zwingendenȱ Beweisȱ fürȱ ihreȱ Echtheitȱ (ders.,ȱ Delegates,ȱ107,ȱsprichtȱlediglichȱvonȱ„propability“),ȱsondernȱv.a.ȱnichtȱalsȱGegenarȬ gumentȱgegenȱdieseȱverstandenȱwissenȱwill.ȱȱ 48ȱȱ JOHNSON,ȱTimothy,ȱ55,ȱsprichtȱhierȱvonȱ„TheȱPowerȱofȱConstrual“;ȱvgl.ȱders.,ȱDeleȬ gates,ȱ2.ȱ

42ȱ

II.ȱȱEinȱForschungsüberblickȱ

lungȱderȱdreiȱBriefeȱjeȱfürȱsichȱfordert,ȱdannȱaberȱdochȱzuȱeinemȱfürȱalleȱ dreiȱBriefeȱgültigenȱVerfasserschaftsurteilȱkommenȱzuȱmüssenȱglaubt.49ȱȱ

2.2ȱȱWeitereȱVersucheȱzurȱErklärungȱȱ derȱPastoralbriefeȱalsȱpaulinischerȱSchriftenȱ NebenȱderȱuneingeschränktenȱVerfechtungȱderȱpaulinischenȱVerfasserȬ schaftȱ derȱ Pastȱ findenȱ sichȱ auchȱ Versuche,ȱ dieȱ dreiȱ Briefeȱ wenigstensȱ teilweiseȱalsȱpaulinischȱoderȱzumindestȱalsȱ„ursprünglich“ȱvonȱPaulusȱ stammendȱ auszuweisen.ȱ Fürȱ Ersteresȱ hatȱ sichȱ dieȱ Bezeichnungȱ „FragȬ mentenhypothese“ȱ eingebürgert,ȱ währendȱ Letzteresȱ alsȱ „SekretärsȬ hypothese“ȱbezeichnetȱwird.ȱBeideȱAnsätzeȱ–ȱdieȱDibelius/Conzelmannȱ aberȱ „lediglichȱ [als]ȱ Modifikationenȱ derȱ Unechtheitserklärung“ȱ beurȬ teilen50ȱ–ȱsollenȱimȱFolgendenȱkurzȱdargestelltȱwerden.51ȱ

2.2.1ȱȱDieȱsogenannteȱSekretärshypotheseȱ DieȱSekretärshypotheseȱgehtȱvonȱderȱAnnahmeȱaus,ȱdassȱPaulusȱzwarȱ alsȱ Autoritätȱ hinterȱ denȱ Pastoralbriefenȱ stehe,ȱ dieseȱ alsoȱ initiiertȱ undȱ inhaltlichȱ konzipiert,ȱ nichtȱ aberȱ bisȱ insȱ letzteȱ Detailȱ selbstȱ ausgeformtȱ habe.ȱDiesȱermöglichtȱes,ȱdieȱnichtȱzuȱleugnendenȱsprachlichenȱUnterȬ schiedeȱ durchȱ dieȱ Zuhilfenahmeȱ einesȱ speziellenȱ Sekretärsȱ zuȱ erkläȬ ren.52ȱ Paulinischeȱ Autoritätȱ eignetȱ diesenȱ Briefenȱ dannȱ aufgrundȱ derȱ durchȱdenȱApostelȱerfolgendenȱAutorisierung.ȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 49ȱȱ Vgl.ȱauchȱdieȱKritikȱbeiȱHERZER,ȱKonsens,ȱ1278.ȱ 50ȱȱ DIBELIUS/CONZELMANN,ȱPastoralbriefe,ȱ4;ȱvgl.ȱ TRUMMER,ȱMantel,ȱ191,ȱderȱdieseȱAnȬ sätzeȱalsȱ„erstesȱZugeständnisȱanȱdieȱhistorischȬkritischeȱFragestellung“ȱbeurteilt.ȱȱ 51ȱȱ Beideȱ Thesenȱ konntenȱ auchȱ kombiniertȱ werden,ȱ soȱ z.B.ȱ vonȱ DORNIER,ȱ Épitresȱ pasȬ torales,ȱ 25,ȱ derȱ behauptet,ȱ esȱ habeȱ echteȱ Briefeȱ desȱ Paulusȱ anȱ Timotheusȱ undȱ Titusȱ gegeben,ȱ dieȱ vonȱ einemȱ seinerȱ Schülerȱ nachȱ seinemȱ Todȱ neuȱ ediertȱ wordenȱ seien.ȱ Vgl.ȱauchȱdenȱAnsatzȱvonȱQUINN,ȱCaptivity,ȱ291ȱ(s.u.ȱS.ȱ47ȱAnm.ȱ79),ȱundȱWILSON,ȱ Luke,ȱ passimȱ (s.u.ȱ S.ȱ 48),ȱ sowieȱ weitere,ȱ beiȱ MOUNCE,ȱ Pastoralȱ Epistles,ȱ CXXIX,ȱ genannteȱVerfechterȱdieserȱPosition.ȱAllerdingsȱweistȱSCHENK,ȱForschung,ȱ3422ȱbes.ȱ Anm.ȱ 63,ȱ auf,ȱ dassȱ damitȱ ohneȱ kritischeȱ Reflexionȱ widersprüchlicheȱ Prämissenȱ kombiniertȱ würden,ȱ schließlichȱ behauptetenȱ dieȱ Verfechterȱ derȱ Sekretärshypotheseȱ eineȱ„indirekte“ȱpaulinischeȱVerfasserschaft,ȱwährendȱbeiȱderȱFragmentenhypotheseȱ eineȱBenutzungȱpaulinischerȱElementeȱangenommenȱwerde.ȱ 52ȱȱ Vgl.ȱ zurȱ Frageȱ nachȱ einemȱ besonderenȱ Stilȱ derȱ dreiȱ Pastȱ undȱ denȱ darausȱ zuȱ gewinnendenȱ Aussagenȱ überȱ ihreȱ Verfasserschaftȱ grundsätzlichȱ Harrisonȱ (s.u.ȱ S.ȱ50f),ȱ sowieȱ GRAYSTON/HERDAN,ȱ Authorship,ȱ bes.ȱ 4–8,ȱ dieȱ Harrisonȱ zwarȱ einȱ meȬ

2.ȱȱDasȱ20./21.ȱJahrhundertȱ

43ȱ

Alsȱ klassischerȱ Vertreterȱ derȱ erstmalsȱ imȱ 19.ȱ Jahrhundertȱ alsȱ ErklärungsmögȬ lichkeitȱ herangezogenenȱ Sekretärshypothese53ȱ giltȱ Ottoȱ Roller,ȱ dessenȱ 1933ȱ erschieneneȱMonographieȱ„DasȱFormularȱderȱpaulinischenȱBriefe“ȱdieȱ„StilkriȬ tikȱundȱdieȱGrenzenȱihrerȱAnwendbarkeitȱaufȱdieȱEchtheitsuntersuchungenȱderȱ Paulinischenȱ Briefe“54ȱ zumȱ Gegenstandȱ hat.ȱ Zurȱ Beantwortungȱ dieserȱ Fragenȱ widmetȱ sichȱ Rollerȱ ausführlichȱ derȱ Darstellungȱ derȱ antikenȱ Bedingungenȱ fürȱ dasȱAbfassenȱvonȱBriefenȱ–ȱBrieflänge,ȱSchreibfähigkeiten,ȱMaterialbeschaffenȬ heitȱ –ȱ undȱ kommtȱ zuȱ demȱ Ergebnis,ȱ dassȱ beiȱ denȱ damaligenȱ eingeschränktenȱ MöglichkeitenȱdasȱwörtlicheȱDiktatȱeinesȱBriefes,ȱzumalȱsolcherȱvonȱderȱLängeȱ derȱ Paulusbriefe,ȱ nichtȱ infrageȱ gekommenȱ sei.ȱ Daherȱ könneȱ derȱ Briefstilȱ nichtȱ alsȱ Aufweisȱ fürȱ Echtheitȱ oderȱ Unechtheitȱ desȱ entsprechendenȱ Werkesȱ heranȬ gezogenȱwerden.55ȱImȱHinblickȱaufȱdieȱPastȱseiȱesȱbesondersȱfürȱdenȱ2Timȱalsȱ einenȱ Gefangenschaftsbriefȱ geradezuȱ zwingend,ȱ vonȱ einemȱ nichtȬwörtlichenȱ Diktatȱ auszugehen.56ȱ Ebensoȱ seienȱ auchȱ dieȱ anderenȱ Paulusbriefeȱ vermutlichȱ diktiertȱworden,ȱgewisseȱUnterschiedeȱinȱAusdruckȱundȱStilȱdaherȱdemȱjeweiȬ ligenȱGeschmackȱdesȱSekretärsȱgeschuldetȱundȱalsoȱfürȱdieȱVerfasserfrageȱnichtȱ auszuwerten.57ȱ DieseȱErkenntnisȱmachtȱsichȱu.a.ȱGottfriedȱHoltzȱzuȱEigen:ȱZwarȱgehörtenȱ dieȱPastȱwegenȱihrerȱÄhnlichkeitenȱunabdingbarȱzusammen,ȱkönntenȱaufgrundȱ derȱinȱ2TimȱerkennbarȱwerdendenȱEntstehungssituationȱjedochȱnichtȱvonȱPauȬ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ

53ȱȱ 54ȱȱ 55ȱȱ 56ȱȱ

57ȱȱ

thodischȱ falschesȱ Vorgehenȱ undȱ einenȱ falschenȱ Gebrauchȱ desȱ Begriffsȱ „hapaxȱ leȬ gomenon“ȱ vorwerfen,ȱ aberȱ a.a.O.ȱ 12,ȱ faktischȱ zuȱ demȱ gleichenȱ Ergebnisȱ kommen,ȱ nämlichȱderȱ„singularȱpositionȱofȱtheȱPastoralsȱamongȱtheȱPaulines“.ȱDiesȱkritisiertȱ wiederumȱROBINSON,ȱQuantityȱFormula,ȱ283,ȱderȱbehauptet,ȱdieȱstatistischeȱAbweiȬ chungȱderȱPastȱvonȱdenȱProtopaulinenȱlägeȱnichtȱinȱdenȱBriefenȱbegründet,ȱsondernȱ inȱ derȱ falschenȱ Methodikȱ vonȱ Graystonȱ undȱ Herdan,ȱ dieȱ dieȱ Pastoralbriefeȱ alsȱ Gruppeȱ denȱ einzelnenȱ Gemeindebriefenȱ gegenüberstellen.ȱ Vgl.ȱ auchȱ dieȱ Stilstudieȱ vonȱMORTON/MCLEMAN,ȱPaul,ȱ94,ȱdieȱnurȱdieȱvierȱHauptbriefeȱalsȱpaulinischȱanerȬ kennen,ȱ währendȱ hinterȱ denȱ anderenȱ insgesamtȱ sechsȱ verschiedeneȱ Schreiberȱ erȬ kennbarȱ wären.ȱ Vgl.ȱ dieȱ grundsätzlicheȱ Kritikȱ anȱ denȱ Versuchen,ȱ dieȱ Autorschaftȱ überȱstilistischeȱAnalysenȱzuȱbestimmen,ȱbeiȱTOWNER,ȱLetters,ȱ33;ȱCOOK,ȱFragments,ȱ 123–131ȱbes.ȱ123f;ȱMETZGER,ȱReconsideration,ȱ94.ȱ Vgl.ȱdazuȱo.ȱS.ȱ29f.ȱ SoȱdieȱÜberschriftȱdesȱerstenȱAbschnittsȱbeiȱROLLER,ȱFormular,ȱ1.ȱ Vgl.ȱa.a.O.ȱ1–19.23.ȱ Vgl.ȱ a.a.O.ȱ 20f:ȱ „Undȱ nunȱ stelleȱ manȱ sichȱ einmalȱ […]ȱ denȱ gefangenenȱ Apostelȱ vor,ȱ wieȱer,ȱmitȱKettenȱbeladen,ȱinȱseinenȱBewegungenȱdadurchȱgehemmt,ȱimȱHalbdunȬ kelȱ irgendwoȱ amȱ schmutzstarrendenȱ Bodenȱ kauernd,ȱ ohneȱ genügendenȱ Platzȱ imȱ Gedrängeȱ derȱ Gefangenenȱ einenȱ langenȱ Briefȱ schreibtȱ oderȱ entwirftȱ oderȱ auchȱ nurȱ diktiertȱ […]ȱ Diesȱ allesȱ läßtȱ kaumȱ einenȱ anderenȱ Schlußȱ zu,ȱ alsȱ daßȱ derȱ Briefȱ nachȱ Angabenȱ desȱ Apostels,ȱ vielleichtȱ auchȱ mitȱ kurzenȱ Notizenȱ aufȱ einemȱ WachstäfelȬ chenȱ vonȱ einemȱ Drittenȱ entworfenȱ undȱ dasȱ Konzeptȱ vonȱ Paulusȱ genehmigt,ȱ vielȬ leichtȱ auchȱ korrigiertȱ undȱ dieȱ Briefausfertigungȱ dannȱ vonȱ ihmȱ unterschriebenȱ wurde.“ȱ Vgl.ȱebd.ȱ

44ȱ

II.ȱȱEinȱForschungsüberblickȱ

lusȱ selbstȱ verfasstȱ wordenȱ sein.ȱ Zwarȱ bleibeȱ dieserȱ derȱ geistigeȱ Urheberȱ derȱ Briefe,ȱdochȱkannȱHoltzȱdenȱApostelȱundȱseinenȱSekretärȱinȱeineȱbeinaheȱsymȬ biotischeȱ Beziehungȱ zueinanderȱ setzen:ȱ „Nieȱ redenȱ wederȱ Paulusȱ nochȱ seinȱ Schreiberȱ allein,ȱ sondernȱ beideȱ sindȱ eins.“58ȱ Dabeiȱ gehtȱ Holtzȱ sogarȱ vonȱ einerȱ ursprünglichenȱVierzahlȱderȱpaulinischenȱMitarbeiterbriefeȱausȱundȱvermutetȱ–ȱ spätereȱ–ȱredaktionelleȱEingriffeȱinȱdenȱ2Tim:ȱDieserȱseiȱausȱzweiȱursprünglichȱ selbstständigenȱTeilenȱzusammengesetzt,ȱseinȱersterȱTeilȱalsȱElementȱeinesȱurȬ sprünglichenȱdrittenȱTimotheusbriefsȱzuȱverstehen.59ȱ ȱ

DieseȱimȱFolgendenȱnochȱhäufigerȱvertreteneȱTheseȱderȱAbfassungȱderȱ Pastȱ durchȱ Paulusȱ undȱ einenȱ Sekretärȱ konnteȱ auchȱ dahingehendȱ konȬ kretisiertȱwerden,ȱdassȱdieserȱSchreiberȱmitȱeinemȱauchȱsonstȱnamentȬ lichȱbekanntenȱMitarbeiterȱdesȱPaulusȱidentifiziertȱwurde.60ȱ ȱ

Soȱ willȱ Moule,ȱ derȱ hierȱ alsȱ repräsentativerȱ ältererȱ Vertreterȱ dieserȱ Positionȱ dargestelltȱ werdenȱ soll,ȱ diesenȱ Amanuensisȱ inȱ Lukasȱ erkennenȱ (vgl.ȱ 2Timȱ 4,11).61ȱDaȱdieȱalleȱdreiȱauszeichnendeȱeigenständigeȱTheologieȱbesondersȱdeutȬ lichȱ imȱ 1Timȱ hervortrete,ȱ vermutetȱ Moule,ȱ dieserȱ Briefȱ seiȱ kurzȱ vorȱ Endeȱ derȱ erstenȱ Gefangenschaftȱ entstanden,ȱ alsȱ Paulusȱ seineȱ Freilassungȱ habeȱ regelnȱ müssenȱ undȱ Lukasȱ darumȱ fürȱ dieȱ Abfassungȱ völligȱ selbstständigȱ verantwortȬ lichȱgewesenȱsei.62ȱTitȱverortetȱMouleȱwährendȱderȱpaulinischenȱMissionȱnachȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 58ȱȱ HOLTZ,ȱPastoralbriefe,ȱ14ff,ȱZitatȱ16.ȱ 59ȱȱ A.a.O.ȱ 16f.ȱ Ähnlichȱ MILLER,ȱ Compositeȱ Documents,ȱ 150f,ȱ sowieȱ BINDER,ȱ Situation,ȱ 81–83;ȱvgl.ȱdazuȱu.ȱS.ȱ98–100.ȱ 60ȱȱ Vgl.ȱdazuȱgrundlegendȱRIESNER,ȱLukeȬActs,ȱ239–242,ȱmitȱweiterführenderȱLiteratur.ȱ 61ȱȱ Durchȱ dieȱ Hilfskonstruktionȱ derȱ Sekretärshypotheseȱ willȱ erȱ sowohlȱ dieȱ unpauliniȬ schenȱ Elementeȱ derȱ Pastȱ erklärenȱ alsȱ auchȱ eineȱ Einordnungȱ derȱ Briefeȱ inȱ einȱ konȬ kretesȱhistorischesȱUmfeldȱermöglichen.ȱDassȱ2Timȱ4,11ȱallerdingsȱLukasȱnurȱinȱderȱ 3.ȱ Personȱ erwähne,ȱ sprichtȱ lautȱ MOULE,ȱ Problem,ȱ 438,ȱ nichtȱ gegenȱ eineȱ lukanischeȱ Verfasserschaft.ȱGenauȱumgekehrtȱargumentiertȱaberȱJEREMIAS,ȱPastoralbriefeȱ(1958),ȱ 8,ȱ s.u.ȱ S.ȱ 46.ȱVgl.ȱ aberȱ dieȱ Beurteilungȱ vonȱ BROX,ȱ Verfasser,ȱ 77,ȱ derȱ dieȱ „InterpretaȬ tionȱeinerȱsoȱarglosenȱNotiz“ȱfürȱdieȱVerfasserfrageȱalsȱausgesprochenȱproblematischȱ charakterisiert.ȱZurȱAuslegungȱvonȱ2Timȱ4,11ȱvgl.ȱu.ȱS.ȱ485f.ȱ ȱ ȱ MitȱHilfeȱderȱlukanischenȱVerfasserschaftȱderȱPastȱwillȱMOULE,ȱa.a.O.ȱ436,ȱauchȱ dieȱinȱderȱAltenȱKircheȱerstȱrelativȱspätȱbezeugteȱKenntnisȱderȱPastȱerklären.ȱErȱbeȬ hauptet,ȱ Lukasȱ seiȱ nichtȱ nurȱ fürȱ dieȱ Abfassungȱ derȱ Pastȱ verantwortlich,ȱ sondernȱ auchȱfürȱdieȱSammlungȱ derȱPaulusbriefeȱundȱhabe,ȱgeradeȱweilȱerȱwusste,ȱwieȱfreiȱ dieȱ Pastȱ formuliertȱ seien,ȱ dieseȱ dortȱ zunächstȱ nichtȱ aufgenommen.ȱ Vgl.ȱ dieȱ umfasȬ sendeȱAufarbeitungȱderȱFrageȱnachȱderȱaltkirchlichenȱBezeugungȱderȱPastoralbriefeȱ durchȱLOOKS,ȱRezeption,ȱpassim.ȱ 62ȱȱ MOULE,ȱa.a.O.ȱ450f.ȱDamitȱwillȱMouleȱebd.ȱderȱvonȱdenȱVerfechternȱderȱUnechtheitȱ aufgestelltenȱBehauptungȱwehren,ȱderȱ1Timȱseiȱdeshalbȱsoȱunpaulinisch,ȱweilȱerȱerstȱ nachȱdemȱTodȱdesȱApostelsȱverfasstȱwordenȱsei.ȱAllerdingsȱfälltȱauf,ȱdassȱdafürȱdieȱ Tatsache,ȱ dassȱ 1Timȱ einenȱ bereitsȱ inȱ Freiheitȱ befindlichen,ȱ missionarischȱ aktivenȱ Paulusȱvoraussetzt,ȱignoriertȱwerdenȱmuss.ȱ

2.ȱȱDasȱ20./21.ȱJahrhundertȱ

45ȱ

Endeȱ derȱ erstenȱ Gefangenschaft,ȱ 2Timȱ hingegenȱ alsȱ Testamentȱ desȱ Paulusȱ inȱ derȱzweitenȱGefangenschaft.63ȱ Alsȱ einerȱ derȱ neuestenȱ Verfechterȱ derȱ Sekretärshypotheseȱ seiȱ hierȱ außerȬ demȱnochȱWilliamȱMounceȱgenannt.ȱErȱbezeichnetȱdieseȱTheseȱalsȱ‚besteȱErkläȬ rung‘,ȱweilȱsieȱdieȱspezifischenȱEigenartenȱderȱPastoralbriefeȱimȱUnterschiedȱzuȱ denȱ (anderen)ȱ Protopaulinenȱ begründenȱ könne,ȱ ohneȱ selbstȱ neueȱ SchwierigȬ keitenȱhervorzurufen.64ȱ ȱ

AuchȱinȱderȱdeutschenȱForschungȱtretenȱbisȱheuteȱExegetenȱfürȱdieseȱseitȱSchottȱ belegte65ȱ Varianteȱ derȱ Sekretärshypotheseȱ ein.ȱ Einerȱ vonȱ ihnenȱ istȱ Augustȱ Strobel,ȱderȱunterȱexplizitemȱHinweisȱaufȱ2Timȱ4,11ȱfürȱdieȱlukanischeȱVerfasȬ serschaftȱ derȱ Pastȱ votiert.66ȱ Problematischerweiseȱ versäumtȱ Strobelȱ es,ȱ seineȱ philologischeȱArgumentationȱmitȱhistorischenȱFragenȱzuȱkombinieren,ȱwasȱzuȱ Rechtȱ alsȱ „Engführungȱ inȱ derȱ Problemstellung“ȱ kritisiertȱ wird.67ȱ Außerdemȱ lässtȱ erȱ dasȱ genaueȱ Verhältnisȱ zwischenȱ denȱ Pastȱ undȱ demȱ lukanischenȱ DopȬ pelwerkȱ offenȱ undȱ kannȱ sichȱ schließlichȱ sogarȱ zuȱ derȱ Aussageȱ versteigen,ȱ dieȱ Apgȱseiȱspäterȱverfasstȱalsȱderȱechteȱ2Tim,ȱdasȱgerneȱvermuteteȱAbhängigkeitsȬ verhältnisȱzwischenȱbeidenȱWerkenȱalsoȱumzukehren.68ȱȱ AuchȱRüdigerȱFuchsȱvotiertȱfürȱLukasȱalsȱSekretärsgehilfenȱbeiȱderȱAbfasȬ sungȱ derȱ Past:ȱPaulusȱ übersetzeȱ hierȱ seineȱ Christusbotschaftȱ fürȱ hellenistischeȱ Ohrenȱ undȱ holeȱ sichȱ dazuȱ Hilfeȱ beiȱ Lukasȱ alsȱ gebildetemȱ Griechen.69ȱ Dieȱ sprachlichenȱ Unterschiedeȱ derȱ Pastȱ zuȱ denȱ anderenȱ Paulusbriefenȱ ließenȱ sichȱ darüberȱ hinausȱ situationsbedingtȱ undȱ d.h.ȱ sowohlȱ durchȱ dieȱ unterschiedlicheȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 63ȱȱ A.a.O.ȱ451.ȱȱ 64ȱȱ MOUNCE,ȱ Pastoralȱ Epistles,ȱ CXXIX.ȱ Inwiefernȱ dieseȱ euphorischeȱ Einschätzungȱ tatȬ sächlichȱ zutrifft,ȱ wäreȱ jedochȱ zuȱ diskutieren;ȱ schließlichȱ bleibtȱ offen,ȱ inwiefernȱ einȱ SekretärȱBriefenȱeinȱsoȱeigenesȱGeprägeȱhätteȱgebenȱkönnen,ȱohneȱdochȱimȱeigentliȬ chenȱSinneȱalsȱihrȱAutorȱzuȱgelten.ȱ 65ȱȱ Vgl.ȱ u.a.ȱ DEȱ LESTAPIS,ȱ L´ȱ énigme,ȱ 136–149ȱ u.ö.;ȱ BELSER,ȱ Briefe,ȱ 215;ȱ JAMES,ȱ Pastoralȱ Epistles,ȱ 154.ȱ Vgl.ȱ außerdemȱ denȱ untenȱ anschließendenȱ Petitexkursȱ zurȱ Frage,ȱ obȱ eineȱ sonstȱ ausȱ derȱ Altenȱ Kircheȱ bekannteȱ Persönlichkeitȱ alsȱ Verfasserȱ derȱ Pastȱ inȱ Frageȱkommeȱ(s.u.ȱS.ȱ46–49).ȱDabeiȱwirdȱu.a.ȱdieȱTheseȱvertreten,ȱdassȱausȱderȱFederȱ desȱ Lukasȱ nichtȱ nurȱ Evangeliumȱ undȱ Apostelgeschichte,ȱ sondernȱ auchȱ dieseȱ dreiȱ Schreibenȱ stammenȱ könnten.ȱ Hinterȱ diesemȱ Lukasȱ verbirgtȱ sichȱ dannȱ allerdingsȱ nichtȱmehrȱderȱPaulusbegleiter,ȱsondernȱderȱaltkirchlicheȱSchriftstellerȱLukas.ȱ 66ȱȱ Vgl.ȱSTROBEL,ȱLukas,ȱ209.ȱȱ 67ȱȱ SoȱBROX,ȱVerfasser,ȱ65.ȱVgl.ȱauchȱRICHARDS,ȱDifference,ȱ12,ȱderȱzurȱMethodikȱgrundȬ sätzlichȱanmerkt,ȱdassȱdieȱeinzelnenȱPastȱanȱjeweilsȱanderenȱPunktenȱmitȱdemȱlukaȬ nischenȱDoppelwerkȱübereinstimmenȱwürden:ȱBeiȱ1Timȱ/ȱTitȱlägenȱdieȱÄhnlichkeiȬ tenȱ v.a.ȱ inȱ derȱ Amtstheologie,ȱ beiȱ 2Timȱ hingegenȱ besondersȱ imȱ Tonfallȱ desȱ AbȬ schiedsȱbegründet.ȱ 68ȱȱ STROBEL,ȱ Lukas,ȱ 204f,ȱ versucht,ȱ diesȱ anhandȱ desȱ Verhältnissesȱ vonȱ 2Timȱ zuȱ demȱ „Testament“ȱdesȱPaulusȱ(Apgȱ20)ȱnachzuweisen.ȱVgl.ȱzuȱApgȱ20ȱu.ȱS.ȱ478ȱAnm.ȱ193.ȱ 69ȱȱ FUCHS,ȱUnterschiede,ȱ22.31.33.176.ȱȱ

46ȱ

II.ȱȱEinȱForschungsüberblickȱ

Datierungȱ–ȱFuchsȱübernimmtȱhierȱdezidiertȱdenȱDatierungsvorschlagȱvonȱvanȱ Bruggenȱ–ȱalsȱauchȱdurchȱdieȱbesondereȱAdressierungȱerklären.70ȱȱ Deutlichȱ spekulativerȱ istȱ dasȱ Resultatȱ derȱ Untersuchungȱ derȱ VerfasserȬ schaftsfrage,ȱ zuȱ demȱ Joachimȱ Jeremiasȱ inȱ seinemȱ Pastoralbriefekommentar,ȱ besondersȱ bisȱ zurȱ 9.ȱ Auflage,ȱ gelangt:ȱ Erȱ behauptetȱ nämlich,ȱ dassȱ Lukasȱ aufȬ grundȱ seinerȱ Erwähnungȱ inȱ 2Timȱ 4,11ȱ ausscheide,ȱ undȱ wohlȱ Tychikusȱ derȱ Verfasserȱ derȱ Pastȱ gewesenȱ seinȱ müsse,ȱ „der,ȱ wieȱ wirȱ wissen,ȱ dasȱ besondereȱ Vertrauenȱ desȱ Apostelsȱ besaßȱ (Eph.ȱ 6,21)ȱ undȱ vonȱ ihmȱ fürȱ dieȱ Leitungȱ derȱ kretischenȱKircheȱinsȱAugeȱgefasstȱwarȱ(Tit.ȱ3,12).“71ȱ ȱ

Weilȱ dieȱ Sekretärshypothese,ȱ selbstȱ wennȱ sieȱ nurȱ „Modifikation[.]ȱ derȱ Unechtheitserklärung“72ȱ ist,ȱ davonȱ ausgeht,ȱ dassȱ dieȱ Pastoralbriefeȱ zuȱ LebzeitenȱundȱaufȱGeheißȱdesȱPaulusȱentstandenȱseien,ȱstelltȱfürȱsieȱdieȱ Tatsacheȱ derȱ Dreizahlȱ derȱ Schreibenȱ keinȱ erklärungsbedürftigesȱ PhäȬ nomenȱ dar:ȱ Dassȱ Paulusȱ genauȱ dreiȱ Mitarbeiterschreibenȱ diktiertȱ hat,ȱ ergibtȱ sichȱ ausȱ derȱ Notwendigkeitȱ seinerȱ missionarischenȱ Arbeitȱ undȱ nötigtȱnichtȱzuȱkomplizierterenȱTheorien.ȱDiesȱändertȱsichȱbeiȱdenȱVerȬ fechternȱ derȱ imȱ folgendenȱ Petitexkursȱ dargestelltenȱ Position,ȱ dieȱ dieȱ Abfassungȱ derȱ Briefeȱ ebenfallsȱ engȱ mitȱ demȱ Namenȱ einerȱ bekanntenȱ historischenȱ Persönlichkeitȱ –ȱ häufigȱ mitȱ demȱ desȱ Lukasȱ –ȱ verknüpfenȱ kann,ȱjedochȱnunȱdavonȱausgeht,ȱdassȱesȱsichȱdabeiȱumȱeinenȱbewusstȱ planendenȱpseudepigraphischenȱAutorȱhandelt.73ȱ ȱ

Besondersȱ inȱ derȱ Mitteȱ desȱ 20.ȱJahrhundertsȱ wurdenȱ diverseȱ Verfassernamenȱ diskutiert,ȱausȱdenenȱsichȱbereitsȱdieȱgroßeȱNäheȱzurȱobenȱdargestelltenȱSekreȬ tärshypotheseȱ ergibt:ȱ Soȱ wolltenȱ verschiedeneȱ Exegetenȱ hinterȱ denȱ PastoralȬ briefenȱdieȱHandȱdesȱLukasȱalsȱdesȱVerfassersȱdesȱDoppelwerkesȱentdecken;74ȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 70ȱȱ Vgl.ȱa.a.O.ȱ30.222ȱu.ö.ȱZuȱvanȱBruggenȱs.o.ȱS.ȱ36ȱAnm.ȱ16.ȱ 71ȱȱ JEREMIAS,ȱPastoralbriefeȱ(1958),ȱ8.ȱDerȱgeradeȱzitierteȱSatzȱistȱinȱderȱ11.ȱAuflageȱgeȬ strichen.ȱ Dieȱ Annahmeȱ einerȱ Abfassungȱ durchȱ Tychikusȱ vertrittȱ auchȱ METZGER,ȱ Reise,ȱ14f.59.ȱVgl.ȱzuȱ2Timȱ4,11ȱauchȱo.ȱS.ȱ44ȱAnm.ȱ61.ȱ 72ȱȱ SoȱbereitsȱdieȱBeurteilungȱvonȱDibelius/Conzelmann,ȱvgl.ȱo.ȱS.ȱ42.ȱ 73ȱȱ Aufgrundȱ derȱengenȱauchȱargumentativenȱParallelenȱzuȱdenȱ unterȱ2.2.1ȱdargestellȬ tenȱ Positionenȱ bietetȱ esȱ sichȱ deshalbȱ an,ȱ diesenȱ Exkursȱ hierȱ anzuschließen,ȱ obwohlȱ dieȱ Vertreterȱ diesesȱ Ansatzesȱ nichtȱ mehrȱ zuȱ denȱ Verfechternȱ derȱ Echtheitȱ derȱ dreiȱ Briefeȱgezähltȱwerdenȱkönnen.ȱ 74ȱȱ Soȱ sehenȱ z.B.ȱ imȱ Unterschiedȱ zuȱ Moule,ȱ Strobelȱ undȱ anderenȱ Wilsonȱ (Luke,ȱ 138fȱ u.ö.)ȱundȱQuinnȱ(Volume,ȱ63)ȱhierȱgeradeȱnichtȱdenȱalsȱSekretärȱtätigenȱPaulusmitarȬ beiterȱLukasȱamȱWerk.ȱBeideȱthematisierenȱdiesȱnichtȱeigens,ȱsetzenȱaberȱdieȱNichtȬ Augenzeugenschaftȱdesȱ LukasȱimȱHinblickȱaufȱdieȱinȱApgȱgeschildertenȱEreignisseȱ voraus,ȱ wennȱ sieȱ vonȱ derȱ Verwendungȱ mündlicherȱ undȱ schriftlicherȱ Quellenȱ bzw.ȱ vonȱ einerȱ umfangreichenȱ Sammlertätigkeitȱ desȱ Lukasȱ ausgehen;ȱ vgl.ȱ dazuȱ auchȱ FRENSCHKOWSKI,ȱPaulusschule,ȱ264ȱAnm.ȱ73.ȱ

2.ȱȱDasȱ20./21.ȱJahrhundertȱ

47ȱ

danebenȱ wurdenȱ aberȱ auchȱ Timotheusȱ selbst,ȱ Silas75,ȱ Artemas76ȱ undȱ sogarȱ PolykarpȱvonȱSmyrna77ȱalsȱmöglicheȱAutorenȱdiskutiert.ȱObwohlȱdieȱTatsache,ȱ dassȱ nunȱ einȱ pseudepigraphischerȱ Verfasserȱ hinterȱ denȱ Pastȱ angenommenȱ wurde,ȱ eineȱ Diskussionȱ derȱ Frageȱ zwingendȱ notwendigȱ gemachtȱ hätte,ȱ wiesoȱ dreiȱsolcherȱBriefeȱinȱUmlaufȱgelangten,ȱgeschahȱdiesȱnurȱinȱAnsätzen.ȱ AmȱmeistenȱNachhall78ȱfandȱdabeiȱdieȱvonȱQuinnȱundȱWilsonȱgrundlegendȱ begründeteȱThese,ȱLukasȱseiȱderȱ(pseudepigraphische)ȱAutorȱderȱ(nachpauliniȬ schen)ȱ Briefeȱ anȱ Timotheusȱ undȱ Titusȱ gewesen.ȱ Quinnȱ behauptet,ȱ Lukasȱ habeȱ dieȱdreiȱPastȱalsȱAbschlussȱvonȱEvangeliumȱundȱApostelgeschichteȱkonzipiertȱ undȱ habeȱ deshalbȱ genauȱ dreiȱ „unrealȱ letter[s]“ȱ verfasst,ȱ weilȱ dieserȱ Zahlȱ einȱ besondererȱSymbolwertȱeigne.79ȱDieȱplanvolleȱkompositionelleȱGestaltungȱvonȱ Doppelwerkȱ undȱ Pastoralbriefenȱ weistȱ Quinnȱ inȱ Aufnahmeȱ derȱ Erkenntnisseȱ vonȱ Mouleȱ undȱ Strobelȱ überȱ sprachlicheȱ undȱ theologischeȱ ÜbereinstimmunȬ gen80ȱ sowieȱ überȱ dieȱ literarischeȱ Verwendungȱ paulinischerȱ Briefeȱ inȱ beidenȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 75ȱȱ SoȱHARTKE,ȱSammlung,ȱ59f,ȱderȱSilasȱimȱZugeȱderȱKanonisierungȱeinerȱbereitsȱvorȬ handenenȱ altpaulinischenȱ Briefsammlungȱ dieȱ Abfassungȱ desȱ Ephȱ undȱ derȱ Pastȱ zuȬ schreibt.ȱ 76ȱȱ SoȱfreiȱspekulierendȱHAGNER,ȱTitus,ȱ556ȱAnm.ȱ25:ȱ„[I]tȱcouldȱperhapsȱhaveȱbeenȱArtȬ emusȱ (3:12),ȱaboutȱwhomȱweȱknowȱnothing,ȱorȱsomeoneȱwhoseȱnameȱdoesȱnotȱapȬ pearȱinȱtheȱletter.“ȱ 77ȱȱ DieseȱAnnahmeȱistȱmitȱdemȱNamenȱHansȱvonȱCampenhausensȱverbunden.ȱErȱgehtȱ davonȱaus,ȱdassȱdieȱPastoralbriefeȱinȱAbgrenzungȱgegenȱdieȱmarkionitischeȱKetzereiȱ entstandenȱ seien,ȱ undȱ gelangtȱ dadurchȱ zuȱ einerȱ relativȱ exaktenȱ zeitlichenȱ EinordȬ nungȱ derȱ dreiȱ Schreiben.ȱ Erȱ behauptet,ȱ dassȱ dieȱ Pastȱ „geistig,ȱ theologisch,ȱ geograȬ phischȱ undȱ chronologischȱ aufȱ Polykarpȱ undȱ nurȱ aufȱ Polykarpȱ wirklichȱ zuȱ passenȱ scheinenȱ […]ȱ Willȱ manȱ dieseȱ Briefeȱ trotzdemȱ nichtȱ Polykarpȱ zuschreiben,ȱ soȱ kannȱ manȱdiesenȱPolykarpȱalsoȱgeradezuȱverdoppeln.ȱ[…]ȱAberȱeinfacherȱwäreȱesȱgewiss,ȱ PolykarpȱselbstȱzumȱVerfasserȱzuȱmachen.ȱUndȱvielleichtȱistȱauchȱinȱdiesemȱFalleȱdieȱ einfachsteȱ Lösungȱ wieȱ soȱ oftȱ nichtȱ bloßȱ einfach,ȱ sondernȱ auchȱ richtig“,ȱ soȱ V.ȱ CAMPENHAUSEN,ȱPolykarp,ȱ252.ȱDieserȱVermutung,ȱdassȱseineȱLösungȱdieȱ‚richtige‘ȱ sei,ȱ habenȱ allerdingsȱ inȱ derȱ Folgeȱ nurȱ wenigeȱ Theologenȱ zugestimmt;ȱ vgl.ȱ u.a.ȱ KÖSTER,ȱ Einführung,ȱ 744f,ȱ undȱ HOFFMANN,ȱ Marcion,ȱ 284ȱ u.ö.;ȱ vgl.ȱ außerdemȱ dieȱ Einordnungȱ derȱ Pastȱ inȱ dasȱ zeitlicheȱ undȱ geographischeȱ Umfeldȱ desȱ Polykarpȱ u.a.ȱ durchȱTHIESSEN,ȱEphesus,ȱ253,ȱundȱVIELHAUER,ȱGeschichte,ȱ237.ȱ 78ȱȱ Vgl.ȱdazuȱu.ȱPunktȱII.2.2.3ȱdieserȱArbeit.ȱȱ 79ȱȱ SoȱQUINN,ȱVolume,ȱ64ȱ(Zitat).ȱDers.,ȱCaptivity,ȱ291,ȱergänztȱdiesȱdahinȱgehend,ȱdassȱ esȱdenkbarȱsei,ȱdassȱimȱHintergrundȱderȱeinzelnenȱPastȱvielleichtȱpaulinischeȱNotiȬ zenȱ gestandenȱ hätten,ȱ welcheȱ Lukasȱ übernommenȱ habe,ȱ umȱ seinenȱ Lesernȱ einenȱ EindruckȱvomȱletztenȱTeilȱderȱpaulinischenȱMissionȱzuȱvermitteln.ȱ 80ȱȱ Vgl.ȱders.,ȱVolume,ȱ68f:ȱSoȱpasseȱdasȱPaulusbildȱderȱPastȱzuȱdemȱderȱApgȱ–ȱPaulusȱ seiȱjeweilsȱder,ȱderȱWeisungenȱweitergebeȱ–ȱundȱTitȱ1,1–4ȱseiȱalsȱsprachlicheȱWiederȬ aufnahmeȱdesȱAbschlussesȱderȱApgȱkonzipiert.ȱAußerdemȱstelltȱQuinnȱdar,ȱdassȱesȱ imȱ 1.ȱ Jahrhundertȱ geradeȱ beiȱ Lukasȱ alsȱ einemȱ bereitsȱ durchȱ dieȱ Apostelgeschichteȱ innovativȱ hervorgetretenenȱ Autorȱ durchausȱ vorstellbarȱ gewesenȱ sei,ȱ literarischeȱ CorporaȱunterȱVerwendungȱunterschiedlicherȱGenresȱzuȱbilden,ȱbzw.ȱbewusstȱeinenȱ brieflichenȱAbschlussȱzuȱkonzipieren.ȱ

48ȱ

II.ȱȱEinȱForschungsüberblickȱ

Teilenȱ derȱ Trilogieȱ nach.81ȱ Hervorzuhebenȱ istȱ hierȱ dieȱ lautȱ Quinnȱ vonȱ Lukasȱ intendierteȱLesereihenfolge:ȱAnȱdenȱBeginnȱderȱPastȱrücktȱaufgrundȱdesȱauffälȬ ligȱlangenȱPräskriptsȱnämlichȱderȱTitusbrief,ȱweilȱTitȱ1,1–4ȱeherȱfürȱdieȱEinleiȬ tungȱ einesȱ ganzenȱ Briefcorpusȱ dennȱ fürȱ einenȱ imȱ Verhältnisȱ eherȱ kurzenȱ EinȬ zelbriefȱ angemessenȱ sei.82ȱ Außerdemȱ stelltȱ Quinnȱ dieȱ Weiterentwicklungȱ undȱ WiederaufnahmeȱvonȱThemenȱvonȱTitȱhinȱ zuȱ1TimȱsowieȱdasȱIneinanderȱvonȱ 1Timȱundȱ2TimȱundȱdieȱzusammenfassendeȱBedeutungȱdesȱLetzterenȱalsȱTestaȬ mentȱheraus.ȱ Auchȱ Stephenȱ Wilsonȱ siehtȱ dieȱ Pastȱ alsȱ Werkȱ desȱ Verfassersȱ desȱ lukaniȬ schenȱDoppelwerkes,ȱerkenntȱinȱderȱKombinationȱvonȱEvangelium,ȱApostelgeȬ schichteȱundȱBriefenȱaberȱkeineȱplanvolleȱKomposition.83ȱVielmehrȱvermutetȱer,ȱ dassȱ Lukasȱ nochȱ nachȱ derȱ Verschriftlichungȱ derȱ Apgȱ neueȱ Informationenȱ erȬ haltenȱhabe,ȱdieȱihnȱerstȱzurȱAbfassungȱderȱPastȱveranlassten.ȱAußerdemȱhabeȱ sichȱ dieȱ Gegnerschaftȱ geändert;ȱ soȱ richteȱ sichȱ dieȱ Apgȱ nochȱ gegenȱ Judaisten,ȱ dieȱ Pastȱ seienȱ hingegenȱ schonȱ demȱ neuȱ aufkommendenȱ Problemȱ derȱ Gnosisȱ gewidmet.84ȱGrundlageȱderȱneuenȱErkenntnisȱdesȱLukasȱseienȱu.a.ȱdieȱLektüreȱ vonȱ Paulusbriefenȱ sowieȱ dieȱ Kenntnisȱ paulinischerȱ Reisenotizenȱ gewesen,85ȱ wobeiȱWilsonȱmithilfeȱderȱLetzterenȱauchȱdieȱDreizahlȱderȱBriefeȱerklärenȱwill:ȱ Weilȱ Lukasȱ dreiȱ Fragmenteȱ vorgefundenȱ hätte,ȱ seienȱ dreiȱ Pastoralbriefeȱ überȬ liefert.ȱ AuchȱMarcoȱFrenschkowskiȱwillȱdenȱVerfasserȱderȱPastȱmitȱeinerȱbekannȬ tenȱPersönlichkeitȱderȱfrühenȱKircheȱidentifizieren.ȱErȱverortetȱdieȱBriefeȱinȱderȱ ausȱ demȱ „ehemaligenȱ Missionsteamȱ desȱ Apostels“86ȱ erwachsenenȱ PaulusȬ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 81ȱȱ A.a.O.ȱ64–67.ȱ 82ȱȱ A.a.O.ȱ63f.ȱDers.,ȱCaptivity,ȱ291,ȱverweistȱalsȱBegründungȱzudemȱaufȱdieȱimȱCanonȱ Muratoriȱ überlieferteȱ Reihenfolgeȱ undȱ behauptet,ȱ eineȱ möglicheȱ Mittelstellungȱ desȱ Titȱzwischenȱ1Timȱundȱ2Timȱgleicheȱdemȱ„buildingȱtheȱwestȱportalȱofȱYorkȱMinsterȱ inȱfrontȱofȱaȱvillageȱchurch“.ȱ 83ȱȱ WILSON,ȱ Luke,ȱ untersuchtȱ fürȱ diesenȱ Punktȱ Übereinstimmungenȱ inȱ Bezugȱ aufȱ „Eschatology“ȱ(3.);ȱ„Salvation“ȱ(4.);ȱ„TheȱChristianȱCitizen“ȱ(5.);ȱ„ChurchȱandȱMinȬ istry“ȱ(6.);ȱ„Christology“ȱ(7.);ȱ„LawȱandȱScripture“ȱ(8.)ȱsowieȱ„TheȱPortraitȱofȱPaul“ȱ (9.).ȱProblematischȱistȱdabeiȱseineȱhäufigȱvorschnellȱerfolgendeȱErklärungȱderȱUnterȬ schiedeȱzwischenȱDoppelwerkȱundȱPastȱdurchȱeineȱgewandelteȱSituation;ȱvgl.ȱauchȱ WilsonsȱFazitȱa.a.O.ȱ106:ȱ„Theȱdifferencesȱare,ȱIȱwouldȱargue,ȱdifferencesȱofȱemphaȬ sisȱ whichȱ resultȱ fromȱ theȱ differentȱ genre,ȱ subjectȬmatter,ȱ andȱ Sitzȱ imȱ Leben.“ȱ M.E.ȱ werdenȱdieȱUnterschiedeȱzwischenȱDoppelwerkȱundȱPastoralbriefenȱallzuȱraschȱvonȱ einerȱgemeinsamenȱAbweichungȱbeiderȱSchriftengruppenȱvonȱdenȱProtopaulinenȱinȱ denȱHintergrundȱgedrängt.ȱ 84ȱȱ Soȱa.a.O.ȱ3f.ȱȱ 85ȱȱ Alsȱ solcheȱ (historischen!)ȱ paulinischenȱ Reisenotizenȱ bestimmtȱ WILSON,ȱ a.a.O.ȱ 126,ȱ 1Timȱ1,5fȱ(vermutlichȱsindȱV.3fȱgemeint);ȱTitȱ3,12–15ȱundȱ2Timȱ4,20.ȱA.a.O.ȱ139,ȱerȬ klärtȱer,ȱdassȱLukasȱdeshalbȱinȱdenȱBesitzȱsolcherȱneuererȱpersönlicherȱNotizenȱgeȬ kommenȱsei,ȱweilȱerȱdankȱseinerȱVorarbeitenȱzurȱApgȱweithinȱalsȱderȱMannȱbekanntȱ gewesenȱsei,ȱderȱMaterialȱüberȱPaulusȱsammele.ȱȱ 86ȱȱ FRENSCHKOWSKI,ȱPaulusschule,ȱ259.ȱ

2.ȱȱDasȱ20./21.ȱJahrhundertȱ

49ȱ

schule.ȱAufgrundȱderȱAdressierungȱderȱPastȱanȱTimotheusȱundȱTitusȱvermutetȱ erȱhinterȱallenȱdreiȱBriefenȱdieȱHandȱdesȱTimotheus,ȱweilȱdieserȱschonȱzuȱLebȬ zeitenȱdesȱPaulusȱdessenȱ„Sprachrohr“ȱgewesenȱsei;ȱdenȱBriefȱanȱTitusȱhabeȱerȱ lediglichȱdeshalbȱergänzt,ȱumȱdieȱallzuȱpersönlicheȱZweierbeziehungȱaufzubreȬ chen.87ȱ Soȱ willȱ Frenschkowskiȱ gleichzeitigȱ dieȱ cruxȱ interpretumȱ auflösen,ȱ fürȱ welcheȱ Gemeindefunktionȱ dieȱ fiktivenȱ Adressatenȱ eigentlichȱ stünden:ȱ „Wie,ȱ wennȱ dieȱ energischenȱ Angabenȱ zurȱ Autorisierungȱ derȱ Adressatenȱ SelbstlegitiȬ mationenȱ desȱ Verfassersȱ sind,ȱ alsoȱ letztlichȱ dasȱ pseudepigraphischeȱ UnternehȬ menȱautorisieren?“88ȱDieȱAutoritätȱdesȱPaulusȱdieneȱhierȱdazu,ȱdieȱdurchȱseinȱ Missionsteamȱ repräsentierteȱ Paulusauslegungȱ zuȱ stützen,ȱ dieȱ demȱ Timotheusȱ alsȱ Paulusmitarbeiterȱ selbstȱ eignendeȱ Autoritätȱ macheȱ jedenȱ Versuchȱ einerȱ sprachlichenȱ Nachahmungȱ desȱ Paulusȱ überflüssig89ȱ undȱ würdeȱ außerdemȱ erklären,ȱ wiesoȱ dieȱ Pastȱ soȱ leichtȱ Verbreitungȱ fanden.ȱ Dieȱ Frage,ȱ wiesoȱ zweiȱ Adressaten,ȱ vonȱ denenȱ dannȱ einerȱ lediglichȱ ausȱ briefpragmatischenȱ Gründenȱ ergänztȱwäre,ȱdreiȱBriefeȱnötigȱmachen,ȱbeantwortetȱFrenschkowskiȱdabeiȱaberȱ nicht.ȱ ȱ

Denȱ inȱ diesemȱ Petitexkursȱ dargestelltenȱ Positionenȱ bezüglichȱ derȱ AbȬ fassungȱ derȱ Pastȱ istȱ einȱ gewissesȱ apologetischesȱ Interesseȱ nichtȱ völligȱ abzusprechen:ȱZwarȱwirdȱdieȱpseudepigraphischeȱEntstehungȱderȱdreiȱ Briefeȱ nichtȱ geleugnet,ȱ dochȱ kannȱ dieȱ Zuschreibungȱ anȱ bekannteȱ PerȬ sonenȱ ausȱ demȱ Umfeldȱ desȱ Paulusȱ alsȱ vorsichtigerȱ Versuchȱ gewertetȱ werden,ȱhinterȱihnenȱzwarȱnichtȱdenȱApostelȱselbst,ȱaberȱdochȱwenigsȬ tensȱeinenȱseinerȱvertrauenswürdigenȱMitarbeiterȱzuȱsehen.ȱDieȱFrage,ȱ warumȱdieserȱgenauȱdreiȱBriefeȱverfasstȱhat,ȱwirdȱdabeiȱ–ȱmitȱwenigen,ȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 87ȱȱ A.a.O.ȱ263.ȱSoȱvorȱihmȱbereitsȱBAUCKHAM,ȱLetters,ȱ477.494,ȱderȱbehauptet,ȱ2Timȱundȱ damitȱ alleȱ Pastȱ wiesenȱ genretypischȱ überȱ denȱ Todȱ desȱ Paulus,ȱ nichtȱ aberȱ –ȱ wieȱ erȱ anhandȱderȱsprachlichenȱStrukturȱvonȱ2Timȱ3,5ȱbzw.ȱaufgrundȱderȱhinterȱ1Timȱ6,14ȱ stehendenȱAussageȱentfaltenȱwillȱ–ȱüberȱdenȱTodȱdesȱTimotheusȱhinaus,ȱundȱdarausȱ denȱseinerȱMeinungȱnachȱnaheȱliegendenȱSchlussȱziehenȱwill,ȱdassȱTimotheusȱselbstȱ dieseȱBriefeȱverfasstȱhabe.ȱBeidenȱAnsätzenȱistȱdarinȱzuzustimmen,ȱdassȱsieȱaufȱdasȱ Problemȱ derȱ doppeltenȱ Adressierungȱ zumindestȱ aufmerksamȱ machen,ȱ wennȱ auchȱ fraglichȱ ist,ȱ obȱ dieȱ jeweiligenȱ Lösungsvorschlägeȱ wirklichȱ überzeugen.ȱ Dieseȱ BeȬ hauptungȱpersonellerȱIdentitätȱvonȱrealemȱAbsenderȱundȱfiktivemȱAdressatenȱkonnteȱ sichȱimȱFolgendenȱnichtȱdurchsetzen;ȱdochȱhabenȱdieȱVerfechterȱdieserȱTheseȱinsoȬ fernȱRichtigesȱgesehen,ȱalsȱeineȱlokaleȱundȱpersonaleȱNäheȱzwischenȱrealemȱAbsenȬ derȱ undȱ realenȱ Adressatenȱ geradeȱ vorȱ demȱ Hintergrundȱ derȱ pseudepigraphischenȱ Abfassungȱ derȱ dreiȱ Briefeȱ intensivȱ zuȱ diskutierenȱ ist.ȱ Vielleichtȱ sindȱ dieȱ Briefeȱ tatȬ sächlichȱinȱdenȱgemeindlichenȱKreisenȱentstanden,ȱinȱdenenȱsieȱalsȱLegitimationȱderȱ eigenenȱPositionȱdienenȱsollten;ȱvgl.ȱauchȱTRUMMER,ȱCorpusȱpastorale,ȱ134,ȱundȱHEȬ GERMANN,ȱOrt,ȱ59f,ȱsowieȱuntenȱPunktȱVȱdieserȱArbeit.ȱ 88ȱȱ FRENSCHKOWSKI,ȱa.a.O.ȱ268.ȱ 89ȱȱ A.a.O.ȱ265f.ȱWeshalbȱaberȱTimotheus,ȱwennȱerȱtatsächlichȱsoȱgroßeȱAutoritätȱbesesȬ senȱhat,ȱdieȱAbfassungȱderȱPastoralbriefeȱzurȱLegitimierungȱseinerȱPositionȱtatsächȬ lichȱnötigȱhatte,ȱerklärtȱFrenschkowskiȱnicht.ȱȱ

50ȱ

II.ȱȱEinȱForschungsüberblickȱ

allerdingsȱ nichtȱ wirklichȱ überzeugendenȱ Ausnahmenȱ (Quinn,ȱ Wilson)ȱ –ȱnichtȱdiskutiert.ȱ

2.2.2ȱȱDieȱsogenannteȱFragmentenhypotheseȱ Dieȱ Fragmentenhypotheseȱ greiftȱ dieȱ Erkenntnisȱ auf,ȱ dassȱ esȱ sichȱ beiȱ denȱPastoralbriefenȱumȱbesondersȱpersönlicheȱBriefeȱhandelt.ȱAuchȱwennȱ dieseȱ Briefeȱ zwarȱ grundsätzlichȱ pseudepigraphischȱ seien,ȱ werdenȱ dieȱ sieȱ auszeichnendenȱ persönlichenȱ Elementeȱ deshalbȱ (i.d.R.ȱ aufgrundȱ vonȱSpracheȱund/oderȱInhalt)ȱalsȱFragmenteȱverlorenȱgegangenerȱechȬ terȱPaulusbriefeȱbeurteilt,90ȱ umȱsieȱsoȱvonȱdemȱVorwurfȱderȱFälschungȱ zuȱbefreien.91ȱ Nachdemȱ bereitsȱ imȱ 19.ȱ Jahrhundertȱ derȱ Versuchȱ unternommenȱ wordenȱ war,ȱ dieȱ Besonderheitȱ derȱ Pastȱ mitȱ Hilfeȱ vonȱ echtenȱ PaulusȬ fragmentenȱ zuȱ begreifen,92ȱ giltȱ Harrisonsȱ 1921ȱ erschieneneȱ MonograȬ phieȱ „Theȱ Problemȱ ofȱ theȱ Pastoralȱ Epistles“ȱ alsȱ grundlegendeȱ AufarȬ beitungȱ dieserȱ These.ȱ Seineȱ Argumenteȱ werdenȱ v.a.ȱ Mitteȱ desȱ 20.ȱ Jahrhundertsȱwiederȱaufgegriffen.ȱ ȱ

Harrisonȱ ordnetȱ dieȱ Pastȱ aufgrundȱ einerȱ ausführlichenȱ sprachlichenȱ Analyseȱ Anfangȱ bisȱ Mitteȱ desȱ 2.ȱ Jahrhundertsȱ ein.ȱ Gleichzeitigȱ weistȱ erȱ auf,ȱ dassȱ „theȱ ‚Personalia‘ȱ inȱ 2.ȱ Tim.ȱ andȱ Titusȱ […]ȱ areȱ foundȱ toȱ beȱ thoroughlyȱ Paulineȱ inȱ vocabulary,ȱ idiomȱ andȱ style.“93ȱ Daherȱ isoliertȱ Harrisonȱ inȱ 2Timȱ undȱ Titȱ zuȬ nächstȱ fünf94ȱ –ȱ späterȱ nurȱ nochȱ dreiȱ größere95ȱ –ȱ Fragmente,ȱ dieȱ erȱ alsȱ pauliniȬ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 90ȱȱ Soȱbereitsȱbeiȱ V.ȱ HARNACK,ȱBriefsammlung,ȱ19f,ȱundȱ V.ȱ SODEN,ȱBriefe,ȱ181.ȱVgl.ȱdieȱ klassischeȱ Formulierungȱ dieserȱ Theseȱ beiȱ BINDER,ȱ Situation,ȱ 81–83,ȱ Zitatȱ 83:ȱ „[D]ieȱ Pastoralbriefeȱ[sind]ȱ–ȱnachȱAbzugȱeinigerȱnachträglicherȱErweiterungen,ȱdieȱfürȱdenȱ kirchlichenȱ Dienstgebrauchȱ notwendigȱ waren,ȱ –ȱ ursprünglichȱ kürzereȱ paulinischeȱ Schreiben“.ȱFolgendeȱVerseȱwerdenȱjeweilsȱdiskutiertȱundȱmitȱwenigenȱAbweichunȬ genȱ zwischenȱ dreiȱ undȱ fünfȱ verschiedenenȱ paulinischenȱ Fragmentenȱ zugerechnet:ȱ Titȱ3,12–15*;ȱ2Timȱ1,1f.15–18*;ȱ4,6–22*.ȱ 91ȱȱ Vgl.ȱ z.B.ȱ RAMSAY,ȱ Commentaryȱ VII.7,ȱ 486,ȱ sowieȱ HITZIG,ȱ Johannesȱ Markus,ȱ 154,ȱ inȱ Bezugȱaufȱ2Timȱ4,6–8:ȱ„Einem,ȱderȱnichtȱinȱvollstemȱMaasse,ȱwasȱdieȱWorteȱbesagen,ȱ inȱseinemȱInnernȱverspürte,ȱwarȱsolcheȱvollendeteȱAusprägungȱdesȱGedankens,ȱsolȬ cheȱAechtheitȱdesȱAusdruckesȱunmöglich.“ȱȱ 92ȱȱ Vgl.ȱobenȱS.ȱ27.ȱȱ 93ȱȱ HARRISON,ȱProblem,ȱ5–7,ȱZitatȱ6f;ȱvgl.ȱauchȱa.a.O.ȱ85.ȱ 94ȱȱ (1)ȱTitȱ3,12–15;ȱ(2)ȱ2Timȱ4,13–15.20.21a;ȱ(3)ȱ2Timȱ4,16–18a(.18b?);ȱ(4)ȱ2Timȱ4,9–12.22b;ȱ (5)ȱ2Timȱ1,16–18;ȱ3,10f;ȱ4,1.2a.5b.6–8(.18b?).19.21b.22a,ȱvgl.ȱa.a.O.ȱ115–124.ȱȱ 95ȱȱ Ders.,ȱ Authorship,ȱ 80f,ȱ Zitatȱ 80ȱ (vgl.ȱ auchȱ ders.,ȱ Pastorals,ȱ 106ff),ȱ sprichtȱ inȱ diesemȱ Kontextȱvonȱ„aȱsimplificationȱofȱmyȱoriginalȱtheory“ȱundȱgrenztȱdieȱFragmenteȱnunȱ

2.ȱȱDasȱ20./21.ȱJahrhundertȱ

51ȱ

scheȱ Basisȱ fürȱ dieȱ Pastȱ versteht.ȱ 2Timȱ stelltȱ erȱ dabeiȱ anȱ denȱ Anfang,ȱ weilȱ hierȱ derȱ alsȱ treuerȱ Paulinistȱ charakterisierteȱ Verfasserȱ einenȱ echtenȱ Briefȱ anhandȱ persönlicherȱNotizenȱüberarbeitetȱundȱfürȱdieȱeigeneȱZeitȱverwendbarȱgemachtȱ habe.96ȱAlsȱjüngsterȱPastȱgiltȱHarrisonȱ1Tim,ȱweilȱinȱdiesemȱsolcheȱechtȱpauliniȬ schenȱ Notizenȱ fehlten,ȱ währendȱ Verseȱ wieȱ 1Timȱ 1,3;ȱ 3,14;ȱ 5,23ȱ nurȱ alsȱ „halfȬ heartedȱexperimentsȱinȱthisȱdirection“ȱzuȱbezeichnenȱseien.97ȱȱ AuchȱwennȱHarrisonȱdieȱDreizahlȱderȱBriefeȱaufȱdieseȱWeiseȱnichtȱerklärenȱ kann,ȱbehauptetȱerȱdennoch,ȱderȱPastȬAutorȱhabeȱsich,ȱnachdemȱihmȱdieȱbisherȱ unpubliziertenȱ persönlichenȱ Notizenȱ bekanntȱ gewordenȱ seien,ȱ verpflichtetȱ gefühlt,ȱ dieseȱ inȱ einerȱ seinerȱ Zeitȱ gemäßenȱ Formȱ zuȱ veröffentlichenȱ undȱ desȬ halbȱ dieȱ dreiȱ Pastȱ verfasst.98ȱ Gleichzeitigȱ betontȱ Harrisonȱ aber,ȱ dassȱ dieȱ FragȬ mente,ȱgeradeȱweilȱsieȱsoȱwenigȱaussagten,ȱnichtȱerfundenȱseinȱkönnten.99ȱȱ Dassȱ Harrisonȱ diesenȱ argumentativenȱ Widerspruchȱ nichtȱ alsȱ solchenȱ erȬ kennt,ȱzeigtȱseinȱgrundsätzlichesȱapologetischesȱInteresseȱebensoȱwieȱseineȱBeȬ hauptung,ȱerstȱdurchȱdenȱAbschreibeprozessȱseiȱdieȱvomȱVerfasserȱnieȱgeleugȬ neteȱ nachpaulinischeȱ Entstehungȱ inȱ Vergessenheitȱ geratenȱ undȱ dieȱ dreiȱ Pastȱ fälschlichȱalsȱechteȱPaulinenȱtradiertȱworden.100ȱȱ ȱ

1963ȱ unternahmȱ Barrettȱ denȱ Versuch,ȱ dieȱ Problemeȱ umȱ dieȱ historischeȱ VerȬ ortungȱderȱPastȱinȱderȱPaulusbiographieȱmithilfeȱderȱAnnahmeȱzuȱlösen,ȱ„thatȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ wieȱfolgtȱab:ȱ(1)ȱTitȱ3,12–15;ȱ(2)ȱ2Timȱ4,9–15.20.21a;ȱ(3)ȱ2Timȱ1,16–18;ȱ3,10f;ȱ4,1.2a.5b– 8.16–19.21b.22a.ȱVgl.ȱdazuȱinsgesamtȱders.,ȱTheory,ȱbes.ȱ251.ȱ 96ȱȱ Diesenȱ echtenȱ Briefȱ willȱ Harrisonȱ sogarȱ ausȱ demȱ 2Timȱ nochȱ extrapolierenȱ können,ȱ vgl.ȱ dazuȱ folgendeȱ Übersichtȱ (Paulines,ȱ 127):ȱ 2Timȱ 1,16–18;ȱ 3,10f;ȱ 4,1.2a.5b.6– 8.18b.19.21b.22a.ȱ Daherȱ stündeȱ derȱ Stilȱ diesesȱ Briefesȱ demȱ derȱ Protopaulinenȱ vielȱ näherȱ alsȱ derȱ derȱ beidenȱ anderenȱ Pastȱ –ȱ wasȱ sichȱ beiȱ derȱ Annahmeȱ vonȱ Echtheitȱ kaumȱerklärenȱließe,ȱweilȱdannȱ2Timȱnotwendigȱderȱletzte,ȱd.h.ȱjüngsteȱPaulusbriefȱ seinȱmüsse,ȱsoȱa.a.O.ȱ48.ȱ 97ȱȱ Ders.,ȱ Problem,ȱ 8.ȱ A.a.O.ȱ 98,ȱ kannȱ Harrisonȱ sogarȱ soweitȱ gehen,ȱ durchȱ dasȱ Fehlenȱ vonȱpersönlichenȱNotizenȱimȱ1TimȱseineȱTheseȱderȱEchtheitȱderȱanderenȱFragmenteȱ zuȱuntermauern,ȱwennȱerȱbehauptet,ȱdassȱdemȱPastȬVerfasserȱ–ȱhätteȱerȱdieȱanderenȱ Fragmenteȱ gefälschtȱ –ȱ solchesȱ fürȱ denȱ 1Timȱ auchȱ keineȱ Schwierigkeitenȱ hätteȱ bereitenȱdürfen.ȱ 98ȱȱ Ders.ȱwillȱa.a.O.ȱ115–124,ȱaußerdemȱaufweisen,ȱdassȱnurȱaufȱdieseȱWeiseȱdasȱwenigȱ wahrscheinlicheȱ Konstruktȱ einerȱ zweitenȱ paulinischenȱ Gefangenschaftȱ vermiedenȱ werdenȱkönne:ȱGeheȱmanȱnämlichȱdavonȱaus,ȱdassȱdieȱverschiedenenȱpersönlichenȱ NotizenȱnichtȱalleȱzurȱgleichenȱZeitȱverfasstȱseien,ȱließenȱsieȱsichȱproblemlosȱimȱausȱ derȱApgȱbekanntenȱLebenȱdesȱPaulusȱverorten.ȱ 99ȱȱ A.a.O.ȱ 11.ȱ Ähnlichȱ argumentiertȱ –ȱ allerdingsȱ imȱ Hinblickȱ aufȱ nurȱ zweiȱ echteȱ FragȬ menteȱ(Titȱ3,12–15;ȱ2Timȱ4,9–22)ȱauchȱSCHMITHALS,ȱArt.ȱPastoralbriefe,ȱ146,ȱwennȱerȱ behauptet,ȱdassȱdieseȱNotizenȱ„nurȱmitȱRaffinesseȱerfindbarȱsind“.ȱEsȱfälltȱallerdingsȱ auf,ȱdassȱSCHMITHALS,ȱa.a.O.ȱ145–147,ȱZitatȱ146,ȱdasȱVorhandenseinȱsolcherȱpersönȬ licherȱ Notizenȱ vonȱ derȱ Begründungȱ derȱ Existenzȱ derȱ dreiȱ Briefeȱ loslösenȱ kann,ȱ daȱ „sieȱsichȱungleichȱverteilen,ȱinȱIȱ[Tim]ȱganzȱfehlen,ȱalsoȱdemȱVerfasserȱderȱP[ast]ȱalsȱ Echtheitsmerkmalȱentbehrlichȱwaren“.ȱȱ 100ȱȱ HARRISON,ȱa.a.O.ȱ11f.ȱȱ

52ȱ

II.ȱȱEinȱForschungsüberblickȱ

someȱatȱleastȱofȱtheȱhistoricalȱnotesȱbelongȱtoȱfragmentsȱofȱgenuineȱepistles,ȱbutȱ areȱgivenȱaȱfalseȱhistoricalȱcontextȱbyȱtheirȱpresentȱsettingȱinȱtheȱPastorals.“101ȱ Dieseȱ dreiȱ historischenȱ Fragmenteȱ –ȱ nebenȱ denenȱ Barrettȱ außerdemȱ pseudȬ epigraphischȱ verfassteȱ Personalnotizenȱ vermutenȱ kannȱ –ȱ verortetȱ erȱ inȱ 2Timȱ 1,16ff;ȱ3,10f;ȱ4,6ff.14f,ȱweswegenȱdieserȱBriefȱauchȱanȱdenȱzeitlichenȱAnfangȱderȱ dreiȱSchreibenȱrückt.102ȱȱ AlsȱletzterȱVertreterȱderȱsog.ȱFragmentenhypotheseȱseiȱschließlichȱHansonȱ erwähnt,ȱderȱinȱseinemȱ1966ȱerschienenenȱPastȬKommentarȱfürȱgenuinȱpauliniȬ scheȱElementeȱinȱdenȱpseudepigraphischenȱPastȱeintrat.103ȱErȱerkenntȱimȱ2Timȱ zweiȱ Fragmenteȱ (1,15–18;ȱ 4,9–21[Ȭ18])104ȱ ausȱ einerȱ späterenȱ alsȱ derȱ inȱ Apgȱ geschildertenȱ römischenȱ Gefangenschaft,ȱ imȱ Titȱ aberȱ nurȱ 3,12–14ȱ alsȱ nichtȱ näȬ herȱeinzuordnendesȱÜberbleibselȱeinesȱpaulinischenȱBriefesȱundȱimȱ1Timȱwennȱ überhauptȱnurȱ1Timȱ5,23.105ȱWeilȱsichȱalsoȱdieȱmeistenȱpaulinischenȱFragmenteȱ imȱ 2Timȱ undȱ amȱ wenigstenȱ imȱ 1Timȱ fänden,ȱ vermutetȱ Hansonȱ alsȱ EntsteȬ hungsreihenfolgeȱ2Timȱ–ȱTitȱ–ȱ1Tim.106ȱ ȱ

Auchȱ wennȱ dieȱ Fragmentenhypotheseȱ heuteȱ ausȱ sprachlichenȱ undȱ inȬ haltlichenȱGründenȱalsȱwiderlegtȱgilt,107ȱsoȱistȱesȱdochȱihrȱVerdienst,ȱaufȱ wichtigeȱ Differenzenȱ zwischenȱ denȱ Pastoralbriefenȱ aufmerksamȱ geȬ machtȱzuȱhaben.ȱDiesȱgiltȱzumȱeinenȱinȱBezugȱaufȱdenȱunpersönlicheȬ renȱCharakterȱdesȱ1Tim,ȱdenȱdieȱVerfechterȱdieserȱForschungspositionȱ mitȱ dessenȱ Schlussstellungȱ inȱ derȱ Abfassungsreihenfolgeȱ undȱ demȱ darinȱ begründetenȱ Fehlenȱ vonȱ persönlichenȱ Notizenȱ erklärenȱ wollen;ȱ diesȱ betrifftȱ zumȱ anderenȱ aberȱ auchȱ 2Tim,ȱ dessenȱ zahlreicheȱ persönȬ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 101ȱȱ BARRETT,ȱPastoralȱEpistles,ȱ9.ȱ 102ȱȱ A.a.O.ȱ10ffȱbes.ȱ11.19.ȱDassȱhierȱwederȱimȱTitȱnochȱimȱ1TimȱhistorischeȱFragmenteȱverȬ mutetȱwerden,ȱstelltȱseineȱSonderpositionȱdar.ȱ 103ȱȱ Späterȱ revidierteȱ erȱ dieseȱ Ansichtȱ aberȱ ausdrücklich;ȱ vgl.ȱ fürȱ dieȱ ursprünglicheȱ Theseȱ HANSON,ȱ Pastoralȱ Letters,ȱ 6ȱ u.ö.;ȱ vgl.ȱ aberȱ späterȱ ders.,ȱ Domestication,ȱ 402ȱ („[T]hereȱ areȱ noȱ elementsȱ inȱ themȱ whichȱ comeȱ directlyȱ fromȱ Paul’sȱ pen.“)ȱ sowieȱ ders.,ȱ Pastoralȱ Epistles,ȱ 11ȱ („Theȱ greatȱ difficultyȱ withȱ itȱ consistsȱ inȱ explainingȱ howȱ suchȱsmallȱfragmentsȱofȱPaulineȱmaterialȱcouldȱhaveȱsurvived.“).ȱVgl.ȱdazuȱauchȱu.ȱ S.ȱ65ȱdieserȱArbeit.ȱ 104ȱ DerȱVollständigkeitȱhalberȱseiȱhierȱauchȱBinderȱalsȱdeutscherȱVerfechterȱdieserȱPosiȬ tionȱerwähnt.ȱErȱerkenntȱzwarȱhinterȱ2Timȱ1,1–4,8*ȱeinenȱechtenȱPaulusbrief,ȱordnetȱ geradeȱ 2Timȱ 4,9ffȱ aberȱ einemȱ nochȱ vorȱ 1Timȱ entstandenenȱ paulinischenȱ BrieffragȬ mentȱzu,ȱvgl.ȱBINDER,ȱSituation,ȱ81–83.ȱ 105ȱȱ Vgl.ȱHANSON,ȱLetters,ȱ10–14.ȱ 106ȱȱ Vgl.ȱa.a.O.ȱ17f.ȱ 107ȱȱ Vgl.ȱ u.a.ȱ BROX,ȱ Notizen,ȱ 77.ȱ Manȱ beachteȱ auchȱ dieȱ Beobachtung,ȱ dassȱ diesenȱ persönlichenȱNotizenȱinsgesamtȱeineȱ„typisierendeȱTendenz“ȱeignet:ȱ„Dieȱscheinbarȱ konkreten,ȱ historischenȱ Konstellationenȱ sindȱ inȱ Wirklichkeitȱ typischeȱ Situationenȱ desȱ kirchlichenȱ Amtesȱ […]ȱ undȱ werdenȱ zuȱ diesemȱ Zweckȱ ‚historisiert‘,ȱ ‚einmalig‘ȱ undȱ‚damalig‘ȱgemacht“;ȱsoȱa.a.O.ȱ85.94.ȱ

2.ȱȱDasȱ20./21.ȱJahrhundertȱ

53ȱ

lichȬbiographischeȱ Informationenȱ imȱ Umkehrschlussȱ dazuȱ veranlasstȱ haben,ȱhierȱnichtȱnurȱmehrereȱFragmente,ȱsondernȱvielleichtȱsogarȱvollȬ ständigeȱauthentischeȱPaulusbriefeȱverarbeitetȱzuȱsehen.ȱ

2.2.3ȱȱTendenzenȱderȱForschungȱIIȱ Dieȱ bisherȱ beschriebenenȱ Forschungspositionenȱ desȱ 20.ȱ Jahrhundertsȱ zeichnenȱ sichȱ durchȱ ihrȱ Interesseȱ aus,ȱ dieȱ dreiȱ Pastoralbriefeȱ alsȱ (weiȬ testgehend)ȱ paulinischeȱ Schriftenȱ zuȱ verteidigen;ȱ dafürȱ könnenȱ ihreȱ VerfechterȱzuȱverschiedenenȱHilfskonstruktionenȱgreifen,ȱsoȱz.B.ȱzuȱderȱ Behauptung,ȱdieȱdreiȱBriefeȱseienȱvonȱeinemȱSekretärȱverfasstȱ(„SekreȬ tärshypothese“)108ȱoderȱenthieltenȱpartiellȱpaulinischesȱGutȱ(„FragmenȬ tenhypothese“).ȱ Wirdȱ allerdingsȱ dieȱ vollständigeȱ Abfassungȱ durchȱ Paulusȱ selbstȱ angenommen,ȱ soȱ geschiehtȱ diesȱ inȱ derȱ Mehrzahlȱ derȱ Fälleȱ unterȱ Zuhilfenahmeȱ derȱ Theseȱ vonȱ einerȱ zweitenȱ römischenȱ Gefangenschaftȱ desȱ Apostels,ȱ wodurchȱ dieȱ Pastȱ inȱ einemȱ inȱ derȱ Apgȱ nichtȱ mehrȱ beȬ richtetenȱZeitraumȱverortetȱwerden.109ȱDiesȱistȱallerdingsȱinsofernȱproȬ blematisch,ȱ alsȱ dieȱ Pastȱ vonȱ einerȱ solchenȱ Entwicklungȱ desȱ pauliniȬ schenȱWirkensȱnichtsȱwissenȱundȱdaherȱselbstȱeineȱAbfassungȱimȱRahȬ menȱ derȱ paulinischenȱ Missionsreisenȱ voraussetzen,ȱ dieȱ auchȱ ausȱ derȱ Apgȱbekanntȱsind.ȱDeshalbȱgehenȱeinigeȱEchtheitsvertreterȱdavonȱaus,ȱ dassȱdieȱPastȱtatsächlichȱinȱdiesemȱRahmenȱderȱinȱderȱApgȱgeschilderȬ tenȱ paulinischenȱ Tätigkeitȱ zuȱ verortenȱ seien;ȱ hierbeiȱ wirdȱ angenomȬ men,ȱdassȱdieȱApgȬDarstellungȱebensoȱwieȱdieȱAngabenȱderȱ(anderen)ȱ Protopaulinenȱ selbstȱ Lückenȱ enthielten,ȱ inȱ denenȱ dieȱ inȱ denȱ Pastȱ geȬ schildertenȱSituationenȱPlatzȱfindenȱkönnten.ȱȱ ȱ

Dieseȱ hierȱ skizzierteȱ Diskussionȱ setztȱ jedochȱ (noch)ȱ voraus,ȱ dassȱ dieȱ Apgȱ alsȱ Geschichtsschreibungȱ imȱ modernenȱ Sinneȱ zuȱ begreifenȱ seiȱ undȱ Lukasȱ alsȱ ihrȱ Verfasserȱ tatsächlichȱ intendiertȱ habe,ȱ eineȱ umfassendeȱ Paulusbiographieȱ zuȱ bieten,ȱanȱderȱsichȱdannȱsämtlicheȱ(pseudoȬ)paulinischenȱBriefeȱmessenȱlassenȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 108ȱȱ DiesȱgiltȱinȱdieserȱFormȱnichtȱfürȱdiejenigenȱhierȱexkursartigȱdargestelltenȱExegeten,ȱ dieȱhinterȱdenȱpseudepigraphischenȱPastȱeinenȱnamentlichȱbekanntenȱPaulusschülerȱ vermuten.ȱIhreȱPositionȱistȱhierȱlediglichȱaufgrundȱderȱdurchȱdieȱNamenȱvonȱLukasȱ undȱanderenȱbegründetenȱNäheȱzurȱSekretärshypotheseȱmitȱdargestelltȱworden.ȱ 109ȱȱ Vgl.ȱ dazuȱ dieȱ treffendeȱ Beurteilungȱ durchȱ VANȱ BRUGGEN,ȱ Einordnung,ȱ 15:ȱ „Dieseȱ Datierungȱ weichtȱ inȱ gewissemȱ Sinnȱ derȱ Konfrontationȱ mitȱ derȱ Apostelgeschichteȱ aus.“ȱ

54ȱ

II.ȱȱEinȱForschungsüberblickȱ

müssten.ȱ Daȱ diesȱ jedochȱ zunehmendȱ inȱ Frageȱ gestelltȱ wird,110ȱ könnenȱ wederȱ dieȱÜbereinstimmungȱzwischenȱPastȱundȱApgȱnochȱdieȱoffensichtlichenȱDiffeȬ renzenȱalsȱArgumenteȱinȱderȱDebatteȱumȱVerfasserschaftsfragenȱherangezogenȱ werden.ȱ ȱ

Zwischenȱ diesenȱ beidenȱ Positionenȱ derȱ Echtheitsvertreterȱ bestehtȱ fürȱ dieȱ Fragestellungȱ dieserȱArbeitȱ insofernȱ einȱ gravierenderȱ Unterschied,ȱ alsȱ Letztereȱ dieȱ nichtȱ zuȱ leugnendeȱ sprachlichȬtheologischeȱ SonderȬ stellungȱderȱPastȱausschließlichȱmitȱderȱsonstȱunüblichenȱAdressierungȱ anȱ Mitarbeiterȱ erklärt,111ȱ dieseȱ chronologischȱ aberȱ zwischenȱ dieȱ unȬ umstrittenenȱProtopaulinenȱeinordnet.ȱErstereȱhingegenȱversuchtȱdieseȱ genanntenȱSpezifikaȱdarüberȱhinausȱmitȱeinerȱzeitlichenȱSonderstellungȱ imȱ Rahmenȱ derȱ paulinischenȱ Missionstätigkeitȱ zuȱ begründen.ȱ Diesȱ istȱ insofernȱproblematisch,ȱalsȱgeradeȱdieȱBesonderheitȱderȱPastȱgegenüberȱ allenȱ anderenȱ Briefenȱ zumȱ Ausweisȱ ihrerȱ Echtheitȱ wirdȱ undȱ dieseȱ Briefeȱ aufgrundȱ ihresȱ persönlichenȱ Charaktersȱ dannȱ alsȱ eigentlichesȱ WerkȱdesȱPaulusȱgelten.112ȱ Dieȱ Dreizahlȱ derȱ Briefeȱ selbstȱ stelltȱ beiȱ Annahmeȱ derȱ Echtheitȱ derȱ SchreibenȱkeinerleiȱProblemȱdar,ȱsieȱliegtȱebensoȱwieȱdieȱDopplungȱderȱ KorintherȬȱ (undȱ ggfs.ȱ derȱ Thessalonicher)briefeȱ imȱ Ermessenȱ desȱ PauȬ lusȱ undȱ derȱ vonȱ ihmȱ gesehenenȱ Notwendigkeit,ȱ solcheȱ Briefeȱ zuȱ schreiben.ȱȱ Diesȱgiltȱauchȱfürȱdieȱsog.ȱSekretärshypothese,ȱdieȱdieȱBriefe,ȱwennȱ sieȱschonȱnichtȱvonȱPaulusȱselbstȱgeschriebenȱsind,ȱwenigstensȱimȱUmȬ feldȱ desȱ Heidenapostelsȱ verortenȱ möchte.ȱ Dieȱ Sonderstellungȱ derȱ Schreibenȱ imȱ Corpusȱ Paulinumȱ wirdȱ dannȱ mitȱ derȱ Besonderheitȱ derȱ Abfassungsumständeȱ erklärt.113ȱ Dasȱ apologetischeȱ Interesseȱ solcherȱ Arbeitenȱistȱunverkennbar,114ȱwasȱdazuȱführt,ȱdassȱdieȱmitȱdieserȱTheseȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 110ȱȱ Vgl.ȱdazuȱneuerdingsȱgrundlegendȱBACKHAUS,ȱMaler,ȱsowieȱdenȱvonȱFreyȱu.a.ȱherȬ ausgegebenenȱSammelbandȱzurȱApostelgeschichte.ȱ 111ȱȱ EineȱBesonderheit,ȱdieȱimȱGrundeȱwiederȱdestruiertȱwird,ȱwennȱmanȱalsȱdieȱeigentliȬ chenȱAdressatenȱderȱBriefeȱdieȱGemeindenȱhinterȱTimotheusȱundȱTitusȱannimmt.ȱ 112ȱȱ ȱHANSON,ȱPastoralȱEpistles,ȱ7,ȱbemerktȱdazuȱspöttisch:ȱ„[I]fȱPaulȱwroteȱtheȱPastoralsȱ heȱmustȱhaveȱbeenȱafflictedȱwithȱapproachingȱsenility“.ȱ 113ȱȱ Soȱ lässtȱ sichȱ dieȱ obenȱ beschriebeneȱ Aufteilungȱ derȱ Echtheitsvertreterȱ auchȱ beiȱ AnȬ nahmeȱderȱAbfassungȱdurchȱeinenȱSekretärȱbeobachten:ȱOrdnenȱdieȱeinenȱdieȱBriefeȱ nachȱ Apgȱ 28ȱ ein,ȱ soȱ erkennenȱ dieȱ anderenȱ inȱ ihnenȱ Dokumenteȱ derȱ auchȱ sonstȱ beȬ kanntenȱWirksamkeitȱdesȱPaulus.ȱ 114ȱȱ ExemplarischȱseiȱdiesȱanȱfolgenderȱFormulierungȱvonȱMETZGER,ȱReise,ȱ9,ȱdargestellt:ȱ „VielmehrȱgibtȱesȱinȱderȱSekretärshypotheseȱeinenȱredlichenȱWeg,ȱdieȱPastȱdasȱseinȱ zuȱlassen,ȱwasȱsieȱzuȱseinȱbeanspruchen:ȱimȱNamenȱundȱimȱAuftragȱdesȱPaulusȱgeȬ schriebeneȱechteȱDokumenteȱderȱVitaȱPauli,ȱundȱaufȱseineȱInitiativeȱhinȱinȱihrerȱjetȬ zigenȱFormȱentstanden.“ȱȱ

2.ȱȱDasȱ20./21.ȱJahrhundertȱ

55ȱ

verbundenenȱ Problemeȱ nivelliertȱ werden:ȱ Soȱ istȱ dochȱ fraglich,ȱ inwieȬ fernȱeinȱSchreiber,ȱderȱoffensichtlichȱdenȱ„RangȱeinerȱselbständigenȱPerȬ sönlichkeit“115ȱ einnimmtȱ undȱ damitȱ auchȱ imȱ paulinischenȱ Schrifttumȱ eineȱ analogieloseȱ Erscheinungȱ wäre,ȱ tatsächlichȱ nochȱ alsȱ Sekretärȱ beȬ zeichnetȱwerdenȱkann:ȱ„TheȱPastoralsȱgiveȱtheȱimpressionȱthatȱtheȱsecȬ retaryȱmoreȱorȱlessȱtookȱcommand.“116ȱȱ ȱ

Diesȱ ändertȱ sichȱ dann,ȱ wennȱ manȱ hinterȱ denȱ Pastoralbriefenȱ keinenȱ Sekretär,ȱ sondernȱeinenȱpseudepigraphischȱtätigenȱAutorȱerkenntȱ(wobeiȱfürȱbeideȱPosiȬ tionenȱdieȱPersonȱdesȱLukasȱinsȱSpielȱgebrachtȱwurde).ȱSpätestensȱdannȱjedochȱ müssteȱdieȱFrageȱderȱDreizahlȱeigentlichȱzuȱeinemȱerklärungsbedürftigenȱPhäȬ nomenȱ werden,ȱ dieȱ jedochȱ auchȱ hierȱ meistȱ völligȱ hinterȱ dieȱ Verfasserfrageȱ zurücktrittȱoderȱlediglichȱmitȱeherȱverlegenȱwirkendenȱLösungsvorschlägenȱerȬ klärtȱwird.ȱ ȱ

Ebensoȱ wieȱ dieȱ sog.ȱ Sekretärshypotheseȱ istȱ auchȱ dieȱ FragmentenhyȬ potheseȱ häufigȱ geprägtȱ vonȱ einerȱ starkȱ apologetischenȱ Ausrichtung:ȱ Geradeȱ dieȱunerfindlichȱ wirkendenȱ Personalnotizenȱderȱ Pastoralbriefeȱ sollenȱ vorȱ derȱ Abwertungȱ alsȱ scheinbarȱ inhaltsleereȱ pseudepigraphiȬ scheȱHilfsmittelȱbewahrtȱundȱalsȱpersönlicheȱÄußerungenȱdesȱApostelsȱ inȱEhrenȱgehaltenȱwerdenȱ–ȱohneȱdassȱallerdingsȱplausibelȱzuȱmachenȱ wäre,ȱ wiesoȱ geradeȱ solcheȱ theologischȱ wenigȱ aussagekräftigenȱ Verseȱ hättenȱerhaltenȱwerdenȱsollen.ȱDieȱwichtigeȱErkenntnis,ȱdassȱdieseȱNoȬ tizenȱinȱderȱvorliegendenȱFormȱnichtȱmitȱdenȱhistorischenȱBegebenheiȬ tenȱderȱApostelgeschichteȱinȱEinklangȱzuȱbringenȱsind,ȱveranlasstȱdabeiȱ zuȱ derȱ Einordnungȱ derȱ Fragmenteȱ inȱ unterschiedlicheȱ Phasenȱ derȱ WirksamkeitȱdesȱPaulus.ȱAngefangenȱbeiȱderȱgründlichenȱStudieȱHarȬ risonsȱ wirdȱ inȱ seinemȱ Nachgangȱ immerȱ wiederȱ aufȱ denȱ sichȱ vonȱ denȱ anderenȱ Versenȱ derȱ Briefeȱ angeblichȱ deutlichȱ unterscheidendenȱ paulinischenȱ Charakterȱ derȱ –ȱ inȱ derȱ Regelȱ zwarȱ inȱ relativȱ ähnlichemȱ Umfang,ȱ aberȱ mitȱ völligȱ unterschiedlicherȱ historischerȱ Verortungȱ –ȱ ausgesondertenȱ persönlichenȱ Notizenȱ hingewiesen.ȱ Dasȱ Interesseȱ derȱ Exegetenȱ konzentriertȱ sichȱ dabeiȱ besondersȱ aufȱ 2Tim,ȱ derȱ sichȱ alsȱ dasȱ Testamentȱ desȱ Paulusȱ durchȱ einenȱ sehrȱ innigenȱ Tonfallȱ auszeichnetȱ undȱ hinterȱ demȱ einigeȱ daherȱ einenȱ vollständigenȱ Abschiedsbriefȱ desȱ Apostelsȱ Paulusȱ selbstȱ erkennenȱ wollen.117ȱ Stetsȱ wirdȱ dieserȱ Briefȱ zuȬ demȱ alsȱ dasȱ ältesteȱ derȱ dreiȱ Schreibenȱ bestimmt,ȱ wasȱ aufgrundȱ derȱ durchȱ dieȱ zahlreichenȱ persönlichenȱ Angabenȱ erzeugtenȱ großenȱ Näheȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 115ȱȱ A.a.O.ȱ11.ȱ 116ȱȱ HANSON,ȱPastoralȱLetters,ȱ5;ȱvgl.ȱdazuȱauchȱTRUMMER,ȱPaulustradition,ȱ48,ȱundȱBARȬ RETT,ȱPastoralȱEpistles,ȱ7.ȱȱ 117ȱȱ SoȱHARRISON,ȱProblem,ȱ127,ȱmitȱeinemȱSchwerpunktȱaufȱ2Timȱ4ȱ(s.o.ȱS.ȱ50f).ȱȱ

56ȱ

II.ȱȱEinȱForschungsüberblickȱ

zuȱPaulusȱsowieȱderȱhohenȱDichteȱanȱhistorischenȱFragmentenȱtatsächȬ lichȱ naheliegendȱ erscheint.ȱ Leiderȱ bleibtȱ dieȱ Exegeseȱ jedochȱ eineȱ AntȬ wortȱ aufȱ dieȱ Frageȱ nachȱ derȱ Dreizahlȱ derȱ Pastoralbriefeȱ vollständigȱ schuldigȱ–ȱdieȱsichȱhierȱdeshalbȱumsoȱdringlicherȱhätteȱstellenȱmüssen,ȱ weilȱsichȱgeradeȱimȱ1TimȱkeinȱeinzigesȱpaulinischesȱFragmentȱisolierenȱ lässt118ȱ undȱ dieȱ Existenzȱ diesesȱ Schreibensȱ besondersȱ aufgrundȱ seinerȱ Näheȱ zumȱ Titusbriefȱ dannȱ völligȱ unerklärlichȱ bleibt.119ȱ Hierȱ wirdȱ offensichtlichȱ aufȱ eineȱ genauereȱ Untersuchungȱ derȱ zwischenȱ denȱ dreiȱ Briefenȱbestehendenȱ–ȱundȱz.T.ȱsogarȱexplizitȱbenanntenȱ–ȱUnterschiedeȱ verzichtet,ȱ umȱ hinterȱ ihrerȱ Entstehungȱ eineȱ gemeinsameȱ Intentionȱ sichtbarȱmachenȱzuȱkönnen.ȱ AllenȱhierȱentfaltetenȱPositionenȱistȱgemeinsam,ȱdassȱsieȱaufgrundȱ ihrerȱ grundsätzlichȱ apologetischenȱ Tendenzȱ derȱ Engführungȱ aufȱ dieȱ Verfasserschaftsfrageȱ verhaftetȱ bleibenȱ undȱ esȱ ihnenȱ daherȱ nichtȱ geȬ lingt,ȱzuȱeinerȱzufriedenstellendenȱErklärungȱdesȱspezifischenȱCharakȬ tersȱderȱdreiȱBriefeȱzuȱgelangen.ȱȱ

2.3ȱȱDieȱPastoralbriefeȱalsȱpseudepigraphischesȱCorpusȱ Daȱ dieȱ pseudepigraphischeȱ Abfassungȱ derȱ Pastȱ alsȱ bewiesenȱ geltenȱ konnte,ȱ rückteȱ erneutȱ dieȱ Frageȱ nachȱ derȱ Zusammengehörigkeitȱ derȱ dreiȱ Briefeȱ inȱ denȱ Blick,ȱ dieȱ schließlichȱ –ȱ verbundenȱ v.a.ȱ mitȱ demȱ NaȬ menȱPeterȱTrummersȱ–ȱzumȱPostulatȱderȱExegeseȱwerdenȱsollte.ȱ

ȱ

ȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 118ȱȱ LediglichȱHARRISON,ȱProblem,ȱ8,ȱsiehtȱAnklängeȱdavonȱinȱ1Timȱ1,3;ȱ3,14;ȱ5,23ȱvorlieȬ gen;ȱvgl.ȱauchȱWILSON,ȱLuke,ȱ126,ȱderȱbehauptet,ȱinȱ1Timȱ1,5fȱ–ȱvermutlichȱsindȱV.3fȱ gemeintȱ–ȱstündeȱeineȱsolcheȱhistorischeȱNotiz;ȱdiesȱstehtȱaberȱnichtȱimȱZentrumȱseiȬ nerȱMonographie.ȱ 119ȱȱ Wennȱ HARRISON,ȱ a.a.O.ȱ 98,ȱ durchȱ dieseȱ Sonderstellungȱ desȱ 1Timȱ dieȱ Echtheitȱ derȱ vonȱihmȱisoliertenȱFragmenteȱuntermauernȱwill,ȱsoȱbeweistȱerȱzwarȱSensibilitätȱfürȱ diesesȱDefizitȱseinerȱeigenenȱThese,ȱohneȱaberȱzuȱeinerȱwirklichȱzufriedenȱstellendenȱ Lösungȱzuȱgelangen.ȱ

2.ȱȱDasȱ20./21.ȱJahrhundertȱ

57ȱ

2.3.1ȱȱVonȱMartinȱDibeliusȱzuȱPeterȱTrummer:ȱȱ DieȱPastoralbriefeȱalsȱ„Vademecum“120ȱȱ 1913ȱ erschienȱ dieȱ ersteȱ Auflageȱ desȱ Pastoralbriefekommentarsȱ vonȱ Martinȱ Dibelius,ȱ derȱ abȱ derȱ drittenȱ Auflageȱ 1955ȱ vonȱ Hansȱ ConzelȬ mannȱ überarbeitetȱ wurde.121ȱ Inȱ derȱ hierȱ vorgenommenenȱ KommentieȬ rungȱ desȱ Briefcorpusȱ zeigtȱ sichȱ bereitsȱ einȱ sichȱ imȱ Folgendenȱ immerȱ stärkerȱ durchsetzendesȱ methodischesȱ Vorgehen,ȱ weshalbȱ diesesȱ hierȱ ausführlicherȱdargestelltȱwerdenȱsoll.ȱ Dibeliusȱ fordertȱ zunächst,ȱ „daßȱ dieȱ Erörterungȱ derȱ Echtheitsfrageȱ derȱ Untersuchungȱ desȱ literarischenȱ Charaktersȱ voranzustehenȱ hat“,122ȱ undȱ beurteiltȱ dieȱ Briefeȱ nachȱ einerȱ eingehenderenȱ Untersuchungȱ v.a.ȱ deshalbȱ alsȱ pseudepigraphisch,ȱ weilȱ sichȱ Inhaltȱ undȱ vorausgesetzteȱ Briefsituationȱ nichtȱ inȱ Einklangȱ bringenȱ ließen:ȱ „Dieȱ Pastȱ gebenȱ sichȱ […]ȱ alsȱ Gelegenheitsbriefe,ȱ sindȱ esȱ aberȱ nicht“.123ȱ Daherȱ willȱ Dibeliusȱ nunȱ Artȱ undȱ Existenzȱ dieserȱ Briefeȱ alsȱ nachpaulinischerȱ Schreibenȱ erȬ läutern,ȱeineȱErklärungȱspeziellȱfürȱdieȱDreizahlȱderȱSchreibenȱbietetȱerȱ aberȱ nicht.ȱ Währendȱ erȱ imȱ 1Timȱ zweiȱ Zentrenȱ erkennt,ȱ nämlichȱ „KirȬ chenordnungȱundȱKetzerbekämpfung“,ȱsiehtȱerȱinȱderȱMitteȱdesȱTitȱdieȱ Haustafelȱ Titȱ 2.124ȱ 2Timȱ hingegenȱ macheȱ deutlich,ȱ dassȱ dieȱ GemeinȬ deleitungȱv.a.ȱeineȱSacheȱderȱCharakterbildungȱsei.ȱDiesenȱBriefȱordnetȱ Dibeliusȱ daherȱ derȱ Gattungȱ „Paränese“ȱ zuȱ undȱ begründetȱ dessenȱ daȬ durchȱ herausgehobeneȱ Stellungȱ damit,ȱ dassȱ erȱ derȱ Jüngsteȱ derȱ dreiȱ Briefeȱsei:ȱ„DasȱinȱIȱTimȱundȱTitȱgezeichneteȱBildȱdesȱverwaltendenȱundȱ bewahrendenȱApostelsȱwirdȱhierȱvertieft“.125ȱDieȱBesonderheit,ȱdassȱdieȱ BriefeȱanȱApostelschülerȱadressiertȱsind,ȱerklärtȱDibeliusȱaufgrundȱderȱ übergemeindlichenȱ Ausrichtungȱ derȱ Pastȱ alsȱ „Vademecumȱ fürȱ alleȱ ähnlichenȱ Fälle“,ȱ wobeiȱ sichȱ 1Timȱ paradigmatischȱ anȱ VersammlungsȬ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 120ȱȱ DIBELIUS,ȱPastoralbriefe,ȱ6.ȱ 121ȱȱ Hierȱ werdenȱ folgendeȱ Ausgabenȱ herangezogen:ȱ DIBELIUS,ȱ MARTIN,ȱ Dieȱ PastoralȬ briefe,ȱHNTȱ13,2,ȱTübingenȱ21931ȱ(DIBELIUS,ȱPastoralbriefe);ȱders.,ȱDieȱPastoralbriefe,ȱ HNTȱ 13,4;ȱ 4.ȱ ergänzteȱ Auflageȱ vonȱ Hansȱ Conzelmann,ȱ Tübingenȱ 1966ȱ (DIBELIUS/ȱ CONZELMANN,ȱPastoralbriefe).ȱȱ 122ȱȱ DIBELIUS,ȱPastoralbriefe,ȱ1.ȱ 123ȱȱ A.a.O.ȱ 2.ȱ Gleichzeitigȱ erklärtȱ Dibeliusȱ dieȱ mangelndeȱ Übereinstimmungȱ mitȱ derȱ inȱ derȱApgȱgeschildertenȱMissionȱdesȱPaulusȱa.a.O.ȱ9,ȱimȱHinblickȱaufȱ1TimȱalsȱpseudȬ epigraphischesȱ Stilmittel:ȱ „Daßȱ eineȱ bekannteȱ Situationȱ angedeutet,ȱ aberȱ dochȱ zugleichȱmodifiziertȱwird,ȱistȱinȱlegendarenȱApostelgeschichtenȱnichtsȱUnerhörtes“.ȱ 124ȱȱ A.a.O.ȱ3.ȱȱ 125ȱȱ A.a.O.ȱ5.ȱȱ

58ȱ

II.ȱȱEinȱForschungsüberblickȱ

leiter,ȱ Titȱ hingegenȱ anȱ Missionareȱ wende.126ȱ Imȱ Kontextȱ diesesȱ ArguȬ mentationsgangesȱ kommtȱ Dibeliusȱ zugleichȱ zuȱ demȱ Schluss,ȱ dassȱ dieȱ dreiȱ Briefeȱ eineȱ „religionsgeschichtlicheȱ Einheit“ȱ bilden:ȱ „Beiȱ solcherȱ AuffassungȱvonȱderȱliterarischenȱArtȱderȱdreiȱBriefeȱwirdȱdieȱMöglichȬ keitȱ nichtȱ sehrȱ glaublichȱ erscheinen,ȱ daßȱ dieȱ Schriftstückeȱ vonȱ verȬ schiedenenȱ Autorenȱ stammen.“127ȱ Dibeliusȱ stelltȱ 1Timȱ aufgrundȱ derȱ unterschiedlichȱgeschildertenȱOrdinationspraxisȱundȱdesȱUmgangsȱmitȱ Irrlehrernȱ –ȱ 2Timȱ 2,17;ȱ 4,14ȱ werdenȱ alsȱ „nachträglicheȱ Vorgeschichte“ȱ zuȱ1Timȱ1,20ȱbezeichnetȱ–ȱanȱdenȱAnfangȱderȱPastȱundȱ2TimȱansȱEnde,ȱ währendȱTitȱeineȱMittelpositionȱzukommt.128ȱDieseȱZusammengehörigȬ keitȱderȱdreiȱSchreibenȱmachtȱDibeliusȱdannȱimȱHinblickȱaufȱdieȱFrageȱ nachȱdenȱIrrlehrernȱ–ȱderenȱBekämpfungȱerȱalsȱ„dasȱtreibendeȱMotiv“129ȱ zumindestȱ vonȱ 1Timȱ undȱ Titȱ bestimmtȱ hatteȱ –ȱ zumȱ Postulatȱ seinerȱ Auslegungȱ derȱ bekämpftenȱ Gegnerȱ alsȱ Elementeȱ einerȱ identischenȱ Gruppierung:ȱ„ManȱhatȱzuȱdieserȱDeutungȱeinȱbesondersȱgutesȱRecht,ȱ wennȱmanȱdieȱBrieflichkeitȱderȱPastȱbezweifeltȱundȱannimmt,ȱdaßȱalleȱ polemischenȱÄußerungenȱderȱdreiȱ‚Briefe‘ȱinȱWirklichkeitȱeinerȱketzeriȬ schenȱRichtungȱgelten.“130ȱȱ Dasȱ doppelteȱ Ergebnisȱ derȱ Untersuchungȱ Dibelius’,ȱ nämlichȱ dieȱ pseudepigraphischeȱVerfasserschaftȱderȱPastȱebensoȱwieȱihreȱkonzeptiȬ onelleȱ Zusammengehörigkeit,ȱ wurdeȱ imȱ Folgendenȱ immerȱ stärkerȱ zuȱ einemȱPostulatȱderȱPastoralbriefexegese.ȱ ȱ

DieȱFolgenȱdessen,ȱdassȱdieȱZusammengehörigkeitȱderȱdreiȱpseudonymenȱPastȱ nunȱ alsȱ „bewiesen“ȱ galt,ȱ lassenȱ sichȱexemplarischȱ anȱ zweiȱAufsätzenȱ vonȱ HaȬ raldȱHegermannȱundȱWernerȱStengerȱaufweisen,ȱdieȱ–ȱausgehendȱvonȱderȱobenȱ dargestelltenȱ Prämisseȱ –ȱ imȱ Hinblickȱ aufȱ dieȱ Pastȱ vonȱ ‚doppelterȱ FiktionaliȬ tät‘131ȱbzw.ȱinȱAufnahmeȱdieserȱCharakterisierungȱvonȱ„doppelte[r]ȱPseudonyȬ mität“ȱ sprechen.132ȱ Hierbeiȱ fälltȱ auf,ȱ dassȱ beiȱ keinemȱ derȱ beidenȱ mehrȱ eineȱ reflektierteȱ Auseinandersetzungȱ mitȱ derȱ Besonderheitȱ derȱ Dreizahlȱ derȱ Briefeȱ stattfindet.ȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 126ȱȱ A.a.O.ȱ5f,ȱZitatȱ6.ȱ 127ȱȱ Ebd.,ȱbeideȱZitateȱebd.ȱ 128ȱȱ A.a.O.ȱ45.ȱ 129ȱȱ A.a.O.ȱ4.ȱ 130ȱȱ A.a.O.ȱ41.ȱDassȱdieȱIdentifizierungȱeinesȱbestimmtenȱSystemsȱnichtȱgelingt,ȱwirdȱvonȱ DIBELIUS,ȱa.a.O.ȱ42f,ȱnichtȱproblematisiert,ȱsondernȱmitȱdemȱliterarischenȱCharakterȱ derȱdreiȱBriefeȱerklärt,ȱwodurchȱeineȱmöglichstȱgroßeȱAnzahlȱvonȱSituationenȱabgeȬ decktȱwerdenȱkönne.ȱ 131ȱȱ Vgl.ȱ HEGERMANN,ȱ Ort,ȱ 56:ȱ „Nichtȱ nurȱ dieȱ Absenderangaben,ȱ sondernȱ auchȱ dieȱ Adressenȱsindȱfiktiv.“ȱȱ 132ȱȱ STENGER,ȱGestalten,ȱ253.ȱ

2.ȱȱDasȱ20./21.ȱJahrhundertȱ

59ȱ

Soȱ beschreibtȱ Erstererȱ dieȱ Funktionȱ derȱ Pastoralbriefeȱ alsȱ Versuchȱ derȱ Paulusschüler,ȱ dasȱ Werkȱ ihresȱ Lehrersȱinȱ seinemȱ Namenȱ weiterzuführen,ȱ willȱ aberȱ gleichzeitigȱ beweisen,ȱ dassȱ dieseȱ Schülerȱ stetsȱ davonȱ ausgegangenȱ seien,ȱ dassȱ jederȱ umȱ dieȱ Pseudonymitätȱ derȱ Briefeȱ wisse,133ȱ dieȱ dannȱ alsȱ geradezuȱ „klassische“ȱBeispieleȱvonȱSchulpseudepigraphieȱgeltenȱkönnten.ȱȱ InȱOrientierungȱanȱHegermannȱundȱinȱAufnahmeȱeinerȱFormulierungȱvonȱ Broxȱ behauptetȱ auchȱ Stenger,ȱ dieȱ beidenȱ Adressatenȱ Timotheusȱ undȱ Titusȱ dientenȱ nurȱ alsȱ „Chiffrenȱ derȱ apostolischenȱ Überlieferung“ȱ undȱ seienȱ ebensoȱ fiktivȱ–ȱdaherȱdieȱRedeȱvonȱderȱ„doppelte[n]ȱPseudonymität“ȱ–ȱwieȱderȱAbsenȬ der.134ȱAlsȱFunktionȱderȱBriefeȱbestimmtȱStengerȱanhandȱvonȱ1Timȱ3,14–16ȱundȱ inȱAufnahmeȱdesȱvonȱR.ȱW.ȱFunkȱimȱHinblickȱaufȱdieȱProtopaulinenȱgeprägtenȱ Motivsȱ derȱ apostolischenȱ Parusieȱ dieȱ fiktiveȱ Vermittlungȱ „derȱ lebendigenȱ GeȬ genwärtigkeitȱ desȱ Apostelsȱ auchȱ inȱ derȱ nachapostolischenȱ Kirche“135:ȱ Derȱ Apostelȱ Paulusȱ besucheȱ seineȱ Gemeindenȱ nichtȱ mehrȱ selbstȱ oderȱ vermitteleȱ seineȱWeisungenȱdurchȱseineȱBriefe,ȱsondernȱseiȱnunȱendgültigȱinȱdenȱstellverȬ tretendȱzurückgelassenenȱMitarbeiternȱgegenwärtig.136ȱȱ ȱ

Auchȱ Norbertȱ Broxȱ setztȱ inȱ seinemȱ Pastoralbriefekommentar,ȱ derȱ inȬ nerhalbȱderȱkatholischenȱExegeseȱalsȱbahnbrechendȱgeltenȱkann,137ȱdieȱ Zusammengehörigkeitȱ derȱ dreiȱ Briefeȱ voraus.ȱ Sieȱ bildetenȱ innerhalbȱ derȱPaulusbriefeȱeineȱeigeneȱGruppe,ȱdieȱsichȱdurchȱeinȱ„formalȬautoȬ ritativesȱ undȱ kirchenrechtlichesȱ Element“ȱ sowieȱ durchȱ dieȱ BesonderȬ heitȱeinerȱAdressierungȱanȱAmtspersonenȱauszeichne138:ȱ„Darumȱkannȱ eineȱCharakteristikȱundȱInterpretatioȱsowieȱdieȱLösungȱihrerȱProblemeȱ nurȱfürȱalleȱdreiȱPastoralbriefeȱzugleichȱgegebenȱwerden.“139ȱNachȱeinerȱ breitȱangelegtenȱDiskussionȱderȱFrageȱderȱEchtheitȱkommtȱBroxȱzuȱdemȱ Ergebnis,ȱdassȱdieȱBriefeȱalsȱpseudepigraphischeȱSchreiben,ȱdieȱinȱihrerȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 133ȱȱ Vgl.ȱHEGERMANN,ȱOrt,ȱ53.59f.ȱ 134ȱȱ Soȱ BROX,ȱ Probleme,ȱ 88ȱ (erstesȱ Zitat);ȱ STENGER,ȱ Gestalten,ȱ 254ȱ (zweitesȱ Zitat).ȱ WOLȬ TER,ȱBrief,ȱ36,ȱkannȱallerdingsȱauchȱinȱBezugȱaufȱKolȱvonȱeinerȱ„doppelte[n]ȱFiktion“ȱ sprechen:ȱWeilȱKolossäȱzurȱZeitȱderȱAbfassungȱdesȱBriefesȱbereitsȱzerstörtȱwar,ȱsindȱ sowohlȱAbsenderȱalsȱauchȱAdressatȱfiktiv.ȱHierbeiȱwürdeȱesȱsichȱalso,ȱträfeȱdieseȱBeȬ zeichnungȱzu,ȱnichtȱumȱeinȱAlleinstellungsmerkmalȱderȱPastoralbriefeȱhandeln.ȱ 135ȱȱ STENGER,ȱa.a.O.ȱ262;ȱvgl.ȱFUNK,ȱParousia,ȱ249–268.ȱ 136ȱȱ Vgl.ȱ STENGER,ȱ a.a.O.ȱ 263–267ȱ bes.ȱ 264.ȱ Vgl.ȱ dazuȱ auchȱ TRUMMER,ȱ Paulustradition,ȱ 114,ȱ derȱ aufweist,ȱ dieȱ echtenȱ Paulinenȱ sprächenȱ immerȱ vonȱ einerȱ Sendungȱ derȱ MitȬ arbeiter,ȱdieȱPastȱhingegenȱvonȱihrerȱZurücklassung.ȱ 137ȱȱ BroxȱwarȱderȱersteȱkatholischeȱExeget,ȱderȱdieȱPastȱkonsequentȱalsȱpseudepigraphiȬ schesȱ Corpusȱ interpretierteȱ undȱ damitȱ dieȱ durchȱ dasȱ 2.ȱ Vatikanischeȱ Konzilȱ geȬ währtenȱexegetischenȱFreiheitenȱinȱBezugȱaufȱdieseȱSchriftengruppeȱumsetzte.ȱ 138ȱȱ BROX,ȱ Pastoralbriefe,ȱ10.ȱDassȱderȱ2Timȱ„eineȱerheblicheȱNuanceȱpersönlicherȱgehalȬ ten“ȱist,ȱwirdȱa.a.O.ȱ12,ȱzumindestȱnotiert.ȱ 139ȱȱ Ebd.ȱȱ

60ȱ

II.ȱȱEinȱForschungsüberblickȱ

„literarische[n]ȱ Manipulationȱ perfekt[e]ȱ […]ȱ Kabinettstücke“ȱ seien,140ȱ vorȱ demȱ Hintergrundȱ einerȱ Kenntnisȱ vonȱ Paulusbriefenȱ undȱ denȱ derȱ Apgȱ zugrundeȱ liegendenȱ Paulustraditionenȱ zuȱ interpretierenȱ seien:ȱ „Dabeiȱsetzenȱwirȱvoraus,ȱwasȱstriktȱhistorischȱnichtȱnachweisbarȱist,ȱinȱ denȱ Gemeinsamkeitenȱ derȱ Briefeȱ aberȱ seineȱ starkenȱ Gründeȱ hat:ȱ daßȱ nämlichȱ alleȱ dreiȱ Pastoralbriefeȱ vonȱ einȱ undȱ demselbenȱ Verfasserȱ stammen.“141ȱZurȱFrageȱderȱReihenfolgeȱderȱdreiȱBriefeȱäußertȱBroxȱsichȱ eherȱ undifferenziert:ȱ „1ȱ Timȱ undȱ Titȱ gehörenȱ jedenfallsȱ engerȱ zusamȬ menȱundȱdürftenȱinȱderȱReihenfolgeȱderȱAbfassungȱamȱAnfangȱstehen,ȱ währendȱ 2ȱ Timȱ eineȱ erheblicheȱ Steigerungȱ inȱ derȱ Emphaseȱ undȱ imȱ Hinblickȱ aufȱdieȱ Pseudepigraphieȱ bedeutet.“142ȱ Wennȱ erȱ imȱ Anschlussȱ daranȱbehauptet,ȱeineȱgenauereȱEinordnungȱseiȱnichtȱmöglich,ȱweilȱderȱ Verfasserȱ garȱ nichtȱ versuchtȱ habe,ȱ dieȱ Briefeȱ inȱ derȱ Paulusbiographieȱ zuȱ lokalisieren,ȱ wirdȱ allerdingsȱ deutlich,ȱ dassȱ Broxȱ dieȱ intendierteȱ (LeseȬ)Reihenfolgeȱ derȱ Pastȱ undȱ ihreȱ (historische)ȱ AbfassungsreihenȬ folgeȱ ineinsȱ setzt,ȱ ohneȱ diesȱ methodischȱ zuȱ reflektieren.ȱ Zuȱ derȱ Frageȱ derȱDreizahlȱbemerktȱerȱlediglich:ȱ„EineȱsichereȱErklärungȱfürȱdieȱDreiȬ zahlȱderȱBriefeȱmußȱmanȱ[…]ȱwahrscheinlichȱschuldigȱbleiben.“143ȱȱ

2.3.2ȱȱPeterȱTrummer:ȱDieȱPastoralbriefeȱalsȱȱ „literarischesȱTriptychon“144ȱ Peterȱ Trummerȱ warȱ keineswegsȱ derȱ Erste,ȱ derȱ dieȱ Pastoralbriefeȱ deziȬ diertȱalsȱ literarischesȱ Corpusȱ bzw.ȱalsȱ„literarischesȱ Triptychon“ȱinterȬ pretierenȱkonnte,ȱdochȱgewannȱseineȱargumentativeȱAufarbeitungȱdieȬ serȱ Auslegungȱ fürȱ dieȱ Pastoralbriefexegeseȱ dieȱ beiȱ weitemȱ größteȱ Bedeutung.ȱ ȱ

Bereitsȱ Jülicherȱ vermerkteȱ inȱ seinerȱ 1921ȱ inȱ 5./6.ȱ Auflageȱ erschienenenȱ EinleiȬ tungȱ zurȱ Frageȱ nachȱ derȱ Zusammengehörigkeitȱ derȱ Schreiben:ȱ „Manȱ darfȱ dieȱ Vermutungȱ wagen,ȱ dassȱ erȱ [sc.ȱ derȱ Verfasser]ȱ sichȱ vonȱ Anfangȱ anȱ vornahm,ȱ mehrȱalsȱeinenȱBriefȱzuȱfingieren,ȱvielleichtȱsogleichȱauchȱdieȱDreizahlȱwählte;ȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 140ȱȱ Ders.,ȱ Verfasserangaben,ȱ19.24.ȱ Vgl.ȱauchȱ seinȱanȱ anderemȱOrtȱ(Problemstand,ȱ324)ȱ gefälltesȱ Urteil:ȱ „Manȱ kannȱ nichtȱ mitȱ theologischenȱ Motivationenȱ darüberȱ hinwegȬ eilen,ȱ daßȱ dieȱ sog.ȱ Pastoralbriefeȱ desȱ Neuenȱ Testamentsȱ […]ȱ vomȱ literarischenȱ UnternehmenȱherȱeineȱmethodischȱangelegteȱTäuschung,ȱeineȱbewußteȱundȱkünstleȬ rischȱraffiniertȱdurchgeführteȱAutoritätsanmaßungȱdarstellen.“ȱ 141ȱȱ Ders.,ȱPastoralbriefe,ȱ57.ȱ 142ȱȱ Vgl.ȱa.a.O.ȱ58.ȱ 143ȱȱ A.a.O.ȱ59.ȱ 144ȱȱ TRUMMER,ȱPaulustradition,ȱ74ȱu.ö.ȱȱ

2.ȱȱDasȱ20./21.ȱJahrhundertȱ

61ȱ

wennȱ P[aulus]ȱ anȱ verschiedeneȱ Männer,ȱ dieȱ inȱ ganzȱ verschiedenenȱ Gebietenȱ wirkten,ȱ ausȱ verschiedenenȱ Situationenȱ herausȱ dieȱ gleichenȱ Vorschriftenȱ erȬ teilte,ȱsoȱwarȱdasȱGewichtȱseinerȱAeusserungenȱwirksamȱgesteigert:ȱdannȱbliebȱ keinȱ Zweifel,ȱ dassȱ hiermitȱ P[aulus]ȱ fürȱ dieȱ ganzeȱ Kircheȱ undȱ fürȱ alleȱ Zeitenȱ gültigeȱ Gesetzeȱ gegebenȱ hatte.“ȱ Dabeiȱ gehörtenȱ 1Timȱ undȱ Titȱengȱ zusammen,ȱ währendȱ 2Timȱ ihnenȱ gegenüberȱ wieȱ einȱ „letzterȱ Trumpf“ȱ wirke:ȱ „Dannȱ wäreȱ derȱVerf[asser]ȱauchȱvorȱunserenȱAugenȱgewachsen,ȱdennȱinȱIIȱTimȱkommtȱerȱ inȱ Ausdrücken,ȱ Gedankenȱ undȱ Haltungȱ denȱ echtenȱ PaulusȬBriefenȱ amȱ nächsȬ ten.“145ȱ 1941ȱ behauptetȱ dannȱ Albertȱ Barnett,ȱ dieȱ Pastȱ seienȱ alsȱ Schriftengruppeȱ inȱ engemȱ Bezugȱ aufȱ dasȱ Corpusȱ derȱ paulinischenȱ Briefeȱ verfasstȱ wordenȱ undȱ hättenȱ alsoȱ nieȱ selbstständigȱ existiert.146ȱ Daȱ dieseȱ Arbeitȱ vordringlichȱ anȱ denȱ literarischenȱBeziehungenȱzwischenȱPastoralbriefenȱundȱProtopaulinenȱinteresȬ siertȱ ist,ȱ verstehtȱ Trummerȱ seineȱ eigeneȱ Monographieȱ alsȱ argumentativeȱ undȱ thematischeȱAusweitungȱvonȱBarnettsȱAnsatz,ȱaufȱdenȱerȱvielfältigȱverweist.ȱȱ Auchȱ dieȱ ausschließlichȱ mitȱ Trummersȱ Namenȱ inȱ Verbindungȱ gebrachteȱ Bezeichnungȱ derȱ Pastȱ alsȱ Triptychonȱ wurdeȱ bereitsȱ 1976ȱ durchȱ J.L.ȱ Houldonȱ zurȱBeschreibungȱderȱBesonderheitȱderȱPastȱverwendet:ȱ„[T]heȱwriterȱwasȱsetȬ tingȱoutȱtoȱproduceȱaȱsingleȱworkȱinȱtheȱformȱofȱaȱtriptych.“147ȱȱ ȱ

Peterȱ Trummerȱ widmetȱ sichȱ inȱ seinerȱ Monographieȱ „Dieȱ PaulustradiȬ tionȱderȱPastoralbriefe“ȱderȱFrageȱnachȱdemȱVerhältnisȱderȱhinterȱdenȱ Pastȱ stehendenȱ Paulustraditionȱ zuȱ denȱ Protopaulinen;ȱ dabeiȱ greiftȱ erȱ auchȱ dieȱ Frageȱ nachȱ derȱ Dreizahlȱ derȱ Briefeȱ auf.ȱ Zunächstȱ charakteriȬ siertȱTrummerȱdieȱPastȱalsȱliterarischesȱElementȱeinerȱPersonalisierungȱ derȱ Paulustradition,ȱ weilȱ Traditionsbildungȱ nichtȱ ohneȱ dieȱ inspirieȬ rendeȱ Größeȱ desȱ Anfangsȱ denkbarȱ sei,ȱ undȱ willȱ denȱ „zeitliche[n]ȱ undȱ sachliche[n]ȱAbstandȱderȱPastȱvonȱP[aulus]ȱ[…ȱalsȱ…]ȱdieȱGrundvoraussetȬ zungȱfürȱihreȱsachgemäßeȱInterpretation“ȱverstandenȱwissen.148ȱDieȱEinȬ heitlichkeitȱderȱVerfasserschaftȱwirdȱdabeiȱaufgrundȱderȱ„GesamtbeobȬ achtungen“ȱ vorausgesetzt,ȱ undȱ dieȱ Schwierigkeitȱ derȱ Dreizahlȱ zwarȱ erkannt,ȱaberȱmitȱdemȱHinweisȱaufȱdieȱTatsacheȱadȱactaȱgelegt,ȱdassȱdieȱ Pastȱ „vonȱ Anfangȱ anȱ alsȱ Corpusȱ konzipiert“ȱ wordenȱ seien.149ȱ Inȱ seinemȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 145ȱȱ AlleȱZitateȱbeiȱJÜLICHER,ȱEinleitung,ȱ170.ȱ 146ȱȱ Ihreȱ Intentionȱ seiȱ esȱ dabeiȱ gewesen,ȱ denȱ durchȱ dieȱ markionitischeȱ Verwendungȱ inȱ BedrängnisȱgeratenenȱPaulusbriefenȱneueȱGeltungȱzuȱverschaffen;ȱvgl.ȱBARNETT,ȱ InȬ fluence,ȱ222.251.ȱȱ 147ȱȱ HOULDEN,ȱPastoralȱEpistles,ȱ19,ȱvgl.ȱa.a.O.ȱ18,ȱdieȱCharakterisierungȱderȱPastȱalsȱ„aȱ single,ȱ tripartiteȱ composition“.ȱ Andersȱ alsȱ Trummerȱ siehtȱ Houldenȱ allerdingsȱ denȱ 2TimȱalsȱMitteȱderȱKomposition,ȱweilȱihmȱdasȱverbindendeȱ–ȱdaȱpersönlicheȱ–ȱEleȬ mentȱeigne.ȱ 148ȱȱ TRUMMER,ȱPaulustradition,ȱZitatȱ71.73.ȱȱ 149ȱȱ A.a.O.ȱ73f,ȱZitateȱ73.74.ȱȱ

62ȱ

II.ȱȱEinȱForschungsüberblickȱ

jüngeren,ȱ dieȱ Ergebnisseȱ seinerȱ Habilitationsschriftȱ bündelndenȱ AufȬ satzȱzumȱThemaȱkannȱTrummerȱsogarȱbehaupten,ȱdieȱTatsache,ȱdassȱjeȬ weilsȱzweiȱBriefeȱdasȱgleicheȱThemaȱ(1Timȱ/ȱTit:ȱKirchenordnung)ȱbzw.ȱ denȱ gleichenȱ Adressatenȱ (1Timȱ /ȱ 2Tim)ȱ hätten,ȱ kennzeichneȱ dieȱ Briefeȱ inȱ ihrerȱ „wechselseitige[n]ȱ Zuordnung“ȱ alsȱ „sorgfältigȱ strukturierteȱ Dreiheit“.150ȱ Obwohlȱ dieȱ Pastȱ durchȱ ihrȱ „quasihistorischesȱ NacheinanȬ der“151ȱ einenȱ konkretenȱ Anlassȱ suggerierenȱ wollten,ȱ seienȱ sieȱ „eherȱ Kirchenordnungenȱ alsȱ Briefe“,ȱ dieȱ jeglichenȱ aktuellenȱ Bezugesȱ entȬ behrtenȱ undȱ „grundsätzlicheȱ Schreibenȱ hineinȱ inȱ dieȱ nachplnȱ Zeit“ȱ seien.152ȱ Ihreȱ konkreteȱ pseudepigraphischeȱ Gestaltȱ zeichneȱ sichȱ dabeiȱ durchȱeineȱdoppelteȱBesonderheitȱaus.ȱErstensȱseienȱdieȱPastoralbriefeȱ alsȱ „totaleȱ Pseudepigraphie“153ȱ zuȱ charakterisieren:ȱ Dieȱ persönlichenȱ NotizenȱhättenȱkeinerleiȱAnhaltȱinȱeinerȱhistorischenȱRealität,ȱsondernȱ seienȱ derȱ Paulusanamneseȱ untergeordnet;ȱ auchȱ dieȱ Adressatenȱ seienȱ fiktiv154ȱ undȱ dientenȱ alsȱ „Paradigmaȱ einesȱ christlichenȱ Leserkreises“ȱ (Timotheus)ȱ bzw.ȱ alsȱ „Typosȱ desȱ nachplnȱ Amtsträgers“ȱ (Titus).155ȱ Dieȱ Adressierungȱ anȱ Timotheusȱ undȱ Titusȱ alsȱ zweiȱ herausgehobenenȱ PauȬ lusschülernȱ steheȱ dabeiȱ außerdemȱ fürȱ dieȱ Intimitätȱ desȱ Verhältnisses,ȱ währendȱdieȱZweizahlȱderȱAdressatenȱebensoȱwieȱihreȱLokalisierungȱinȱ Kretaȱbzw.ȱEphesusȱdenȱuniversalenȱAnspruchȱderȱPastȱzumȱAusdruckȱ bringe.ȱGeradeȱinȱderȱWahlȱdieserȱAdressatenȱzeigeȱsichȱdieȱgegenüberȱ denȱ anderenȱ Deuteropaulinenȱ fortgeschritteneȱ Formȱ derȱ PseudepiȬ graphie,ȱdaȱhierȱdieȱFrageȱderȱApostelschülerschaftȱaufȱgrundsätzlicheȱ Weiseȱthematisiertȱwerde;ȱdieȱPastȱblicktenȱalsoȱnichtȱnurȱaufȱdieȱZeitȱ desȱ Paulus,ȱ sondernȱ auchȱ aufȱ dieȱ seinerȱ Schülerȱ zurück.156ȱ Zweitensȱ würdenȱsichȱdieȱPastȱauchȱdarinȱvonȱdenȱanderenȱdeuteropaulinischenȱ Schriftenȱabheben,ȱdassȱsieȱsichȱaufȱeinȱbereitsȱimȱEntstehenȱbegriffenesȱ CorpusȱPaulinumȱundȱdamitȱaufȱeineȱschriftlichȱvorliegendeȱPaulustradiȬ tionȱ zurückbezögen,ȱ zuȱ dessenȱ Lektüreȱ sieȱ implizitȱ auffordernȱ wollȬ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 150ȱȱ Ders.,ȱCorpusȱpastorale,ȱ127.ȱ 151ȱȱ A.a.O.ȱ125.ȱ 152ȱȱ Ders.,ȱPaulustradition,ȱ86f.ȱ 153ȱȱ SoȱeineȱKapitelüberschriftȱTRUMMERs,ȱa.a.O.ȱ74.ȱ 154ȱȱ Soȱa.a.O.ȱpassim,ȱinȱAufnahmeȱderȱErkenntnisseȱvonȱBROX,ȱNotizen,ȱ76–94.ȱVgl.ȱaberȱ dieȱAussageȱ TRUMMERs,ȱCorpusȱpastorale,ȱ134,ȱhinterȱdenȱAdressatenȱseienȱdieȱtatȬ sächlichenȱAutorenȱderȱdreiȱBriefeȱzuȱvermuten,ȱnämlichȱdieȱinȱpaulinischerȱTradiȬ tionȱstehendenȱAmtsträger.ȱ 155ȱȱ TRUMMER,ȱPaulustradition,ȱ76f,ȱZitateȱ77,ȱunterȱAufnahmeȱderȱvonȱSTENGER,ȱGestalȬ ten,ȱ253,ȱgeprägtenȱFormulierungȱderȱ„doppelte[n]ȱPseudonymität“.ȱ 156ȱȱ TRUMMER,ȱCorpusȱpastorale,ȱ128.ȱVgl.ȱders.,ȱPaulustradition,ȱ104,ȱzurȱCharakterisieȬ rungȱderȱPastȱalsȱ„verschärfteȱReflexionȱüberȱdasȱnachplnȱAmt.“ȱ

2.ȱȱDasȱ20./21.ȱJahrhundertȱ

63ȱ

ten.157ȱGleichzeitigȱseiȱesȱdemȱ‚katholischen‘ȱAnspruchȱderȱPastȱzuȱverȬ danken,ȱ dassȱ dieȱ inȱ jeȱ konkreteȱ Situationenȱ hineinsprechendenȱ protoȬ paulinischenȱ Gelegenheitsschreibenȱ überhauptȱ kanonischeȱ undȱ d.h.ȱ universalȬgültigeȱGeltungȱhättenȱerlangenȱkönnen.158ȱInȱdieserȱFunktionȱ seienȱ dieȱ Pastȱ wohlȱ auchȱ alsȱ Corpusȱ imȱ Zugeȱ einerȱ Neuedierungȱ desȱ CorpusȱPaulinumȱentstanden.159ȱ DaherȱkannȱTrummerȱdasȱexegetischeȱPostulatȱderȱkonzeptionellenȱ Zusammengehörigkeitȱ derȱ Pastoralbriefeȱ wieȱ folgtȱ formulieren:ȱ „Dieȱ Pastȱ sindȱ nichtȱ bloßȱ alsȱ pseudepigrapheȱ Paulusbriefeȱ geschaffen,ȱ sonȬ dernȱ alsȱ pseudepigraphesȱ Corpusȱ pastoraleȱ konzipiert,ȱ d.h.ȱ sieȱ setzenȱ nichtȱnurȱdasȱplnȱBriefformularȱalsȱsolchesȱoderȱeineȱdisparateȱAnzahlȱ vonȱ Paulusbriefenȱ voraus,ȱ sondernȱ ihreȱ eigentlicheȱ Bezugsgrößeȱ istȱ dasȱ oderȱbesser:ȱeinȱbereitsȱimȱWachsenȱbegriffenesȱCorpusȱpaulinum.“160ȱȱ ȱ

DassȱPeterȱTrummerȱdasȱCorpusȱPaulinumȱundȱdasȱCorpusȱPastoraleȱinȱdieserȱ Weiseȱ sprachlichȱ gegenüberȱ stellenȱ kann,ȱ zeugtȱ allerdingsȱ vonȱ derȱ Unschärfeȱ desȱ vonȱ ihmȱ verwendetenȱ Corpusbegriffs:ȱ Währendȱ nämlichȱ dieȱ Paulusbriefeȱ erstȱdurchȱihreȱSammlungȱundȱgemeinsameȱTradierungȱzumȱCorpusȱPaulinumȱ wurdenȱ undȱ alsoȱ einȱ rezeptionellesȱ Corpusȱ darstellen,ȱ impliziertȱ dieseȱ BenenȬ nungȱinȱBezugȱaufȱdieȱPastoralbriefe,ȱdassȱsieȱeineȱbereitsȱintentionalȱzusammenȬ gehörigeȱGrößeȱbilden.ȱȱ ȱ

IndemȱTrummerȱdieȱPastoralbriefeȱalsoȱalsȱliterarisches,ȱintentionalȱzuȬ sammengehörigesȱ Corpusȱ interpretiert,161ȱ machtȱ erȱ zugleichȱ ernstȱ daȬ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 157ȱȱ Vgl.ȱ ders.,ȱ Paulustradition,ȱ 88.107.ȱ Demȱ korreliertȱ dieȱ Bezeichnungȱ derȱ Pastȱ alsȱ „Tritopaulinen“,ȱ wodurchȱ bereitsȱ impliziertȱ ist,ȱ dassȱ sieȱ nichtȱ nurȱ aufȱ dieȱ ProtoȬ,ȱ sondernȱauchȱaufȱdieȱDeuteropaulinenȱzurückblickten;ȱvgl.ȱdazuȱobenȱPunktȱI.2.ȱ 158ȱȱ Vgl.ȱ z.B.ȱ TSUJI,ȱ Korrespondenz,ȱ 12:ȱ „Demȱ Inhaltȱ desȱ Corpusȱ Pastoraleȱ wirdȱ AllgeȬ meingültigkeitȱ dadurchȱ verliehen,ȱ dassȱ derȱ Gültigkeitsbereichȱ desȱ 1ȱ Timȱ räumlichȱ durchȱdenȱdesȱTitȱundȱzeitlichȱdurchȱdenȱdesȱ2ȱTimȱausgedehntȱwird.“ȱ 159ȱȱ TRUMMER,ȱCorpusȱpastorale,ȱ132f.143,ȱvgl.ȱa.a.O.ȱ129,ȱdieȱinȱdiesemȱZusammenhangȱ herausgestellteȱ Sonderfunktionȱ desȱ 2Tim,ȱ derȱ alsȱ ‚Testament‘ȱ desȱ Paulusȱ jedeȱ weiȬ tereȱBrieffälschungȱunmöglichȱmache.ȱHätteȱTrummerȱmitȱdieserȱCharakterisierungȱ recht,ȱ soȱ wäreȱ allerdingsȱ dieȱ Absichtȱ desȱ 2Timȱ gescheitert,ȱ daȱ esȱ deutlichȱ jüngereȱ Paulusbrieffälschungenȱ gibt,ȱ dieȱ dannȱ einfachȱ zuȱ einemȱ früherenȱ Zeitpunktȱ inȱ derȱ Paulusbiographieȱverortetȱwerden.ȱDieȱAbsichtȱdesȱ2TimȬAutors,ȱdenȱ„letzten“ȱBriefȱ desȱ Paulusȱ zuȱ schreiben,ȱ hatȱ vielmehrȱ einȱ anderesȱ Ziel,ȱ vgl.ȱ dazuȱ untenȱ Punktȱ V.1ȱ dieserȱArbeit.ȱ 160ȱȱ A.a.O.ȱ 123;ȱ soȱ inȱ Aufnahmeȱ derȱ Positionȱ Trummersȱ dannȱ auchȱ dezidiertȱ MEADE,ȱ Pseudonymity,ȱ 138,ȱ derȱ dieȱ Pastoralbriefeȱ alsȱ „literaryȱ ‚conclusion‘ȱ forȱ theȱ Paulineȱ ‚canon‘“ȱbezeichnet.ȱ 161ȱȱ DerȱAussagegehaltȱeinzelnerȱTextstellenȱseiȱdeshalbȱvorȱdemȱHintergrundȱallerȱdreiȱ Briefeȱ zuȱ erhellen;ȱ diesȱ weistȱ TRUMMER,ȱ Paulustradition,ȱ 80,ȱ exemplarischȱ anhandȱ derȱ schwerȱ zuȱ deutendenȱ Bitteȱ desȱ Paulusȱ umȱ Mantelȱ undȱ Schriftenȱ (2Timȱ 4,13)ȱ

64ȱ

II.ȱȱEinȱForschungsüberblickȱ

mit,ȱdassȱdenȱPastȱkeineȱBrieflichkeitȱmehrȱeigneȱundȱsieȱalsoȱnichtȱaufȱ verschiedene,ȱausȱdenȱeinzelnenȱSchreibenȱnochȱzuȱerhebendeȱSituatioȬ nenȱ anspielten.ȱ Dieseȱ problematischeȱ Einseitigkeitȱ sollteȱ sichȱ imȱ FolȬ gendenȱ –ȱ oftȱ unterȱ ausdrücklicherȱ Berufungȱ aufȱ Trummersȱ ForschunȬ genȱ–ȱVerbreitungȱfinden.162ȱ ȱ

AlsȱBelegȱhierfürȱseiȱeinȱ2007ȱerschienenerȱAufsatzȱHäfnersȱangeführt,ȱderȱderȱ individuellenȱ Rezeptionȱ derȱ dreiȱ Schreibenȱ nurȱ dannȱ ihrȱ Rechtȱ zuerkennt,ȱ wennȱ deutlichȱ werde:ȱ „Dieȱ ‚CorpusȬLektüre‘ȱ führtȱ zuȱ Schwierigkeiten,ȱ dieȱ beimȱindividuellenȱBlickȱumgangenȱwerden.“163ȱWarȱdieȱTheseȱderȱZusammenȬ gehörigkeitȱderȱPastȱursprünglichȱentwickeltȱworden,ȱumȱihreȱbesondereȱliteraȬ rischeȱGestaltȱzuȱerklären,ȱzeigtȱdieseȱÄußerung,ȱdassȱsieȱnunȱzuȱeinerȱunhinȬ terfragtenȱ Prämisseȱ derȱ PastȬExegeseȱ gewordenȱ istȱ –ȱ soȱ dassȱ nunmehrȱ derenȱ Nichtübernahmeȱ einerȱ eigenenȱ Begründungȱ bedarf.ȱ Setztȱ man,ȱ wieȱ Häfnerȱ esȱ hierȱ tut,ȱ dieȱ „CorpusȬLektüre“ȱ jedochȱ voraus,ȱ soȱ istȱ esȱ problemlosȱ möglich,ȱ jeglicheȱÄußerungȱeinesȱeinzelnenȱPastoralbriefs,ȱegalȱobȱsieȱmitȱElementenȱderȱ anderenȱBriefeȱübereinstimmtȱoderȱobȱnicht,ȱvorȱdiesemȱHintergrundȱzuȱinterȬ pretieren;ȱ schließlichȱ könneȱ „auchȱ dieȱ Sichtȱ derȱ Pastȱ alsȱ SchriftenȬCorpusȱ grundsätzlichȱ mitȱ Unterschiedenȱ zwischenȱ denȱ Briefenȱ zurechtkommen.“164ȱ Zwarȱ siehtȱ Häfnerȱ sichȱ genötigt,ȱ dieseȱ interpretatorischeȱ Vorgabeȱ durchȱ HinȬ weiseȱausȱdenȱBriefenȱselbstȱzuȱstützen,ȱdieȱanzeigen,ȱdassȱsieȱalsȱCorpusȱgeleȬ senȱwerdenȱwollen,165ȱdochȱüberzeugenȱdieȱvonȱihmȱgebotenenȱBeispieleȱnicht.ȱ SoȱbrauchtȱwederȱdieȱIrrlehreȱdesȱ2TimȱdieȱAussagenȱderȱbeidenȱanderenȱBriefeȱ nochȱderȱTitȱdenȱ1TimȱalsȱLektürehilfe,ȱumȱverständlichȱzuȱsein.ȱAuchȱdieȱBeȬ legeȱ fürȱ eineȱ angeblichȱ intendierteȱ fortschreitendeȱ Lektüreȱ derȱ dreiȱ Pastȱ –ȱ derȱ imȱ1TimȱfehlendeȱBriefschlussȱalsȱHinweisȱaufȱ2Tim,ȱderȱdurchȱdieȱNamenȱderȱ Gegnerȱ gespannteȱ Bogenȱ zwischenȱ 1Timȱ 1ȱ undȱ 2Timȱ 4ȱ sowieȱ dieȱ Verbindungȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ nach,ȱdieȱalsȱBeispielȱfürȱdieȱapostolischeȱSelbstgenügsamkeitȱzuȱverstehenȱsei:ȱ„Willȱ manȱeinȱliterarischȬtheologischesȱMotivȱinȱderȱMantelbitteȱausmachen,ȱmußȱmanȱaufȱ dieȱ grundsätzlicheȱ Einheitȱ derȱ Pastȱ alsȱ Corpusȱ zurückgreifen.“ȱ Vgl.ȱ bereitsȱ ders.,ȱ Mantel,ȱ195:ȱ„JeȱmehrȱmanȱnämlichȱmitȱPseudonymitätȱrechnet,ȱdestoȱmehrȱAbsichtȱ istȱ hinterȱ einerȱ solchenȱ Bemerkungȱ zuȱ vermuten.“ȱ Zurȱ Problematikȱ einesȱ solchenȱ zirkulärenȱVorgehensȱvgl.ȱdieȱKritikȱbeiȱPRIOR,ȱPaul,ȱ151.ȱ 162ȱȱ Vgl.ȱ u.a.ȱ MERZ,ȱ Selbstauslegung,ȱ 382;ȱ WEISER,ȱ 2Tim,ȱ 29;ȱ HÄFNER,ȱ Schrift,ȱ 9ȱ u.ö.;ȱ OBERLINNER,ȱ1Tim,ȱXXVIȱ(vgl.ȱders.,ȱ2Tim,ȱ4);ȱROLOFF,ȱ1Tim,ȱ43ff;ȱWOLTER,ȱPaulusȬ tradition,ȱ18f.ȱ 163ȱȱ HÄFNER,ȱKonstrukt,ȱ259;ȱvgl.ȱbereitsȱders.,ȱSchrift,ȱ10:ȱ„[E]ineȱbefriedigendeȱAntwortȱ […]ȱ istȱ auchȱ dannȱ möglich,ȱ wennȱ manȱ dieȱ Pastȱ fürȱ einȱ pseudonymȱ verfasstesȱ SchriftenȬCorpusȱhält.“ȱ 164ȱȱ Ders.,ȱ Konstrukt,ȱ 260;ȱ vgl.ȱ ebd.:ȱ „Wennȱ dreiȱ Briefeȱ alsȱ Sammlungȱ präsentiertȱ werȬ den,ȱistȱsogarȱzuȱerwarten,ȱdassȱnichtȱinȱallenȱdreiȱBriefenȱdasselbeȱsteht.ȱAndernfallsȱ hätteȱeinȱeinzigerȱBriefȱgenügt.“ȱ 165ȱȱ Diesȱseiȱdannȱberechtigt,ȱwennȱsichȱAussagenȱfänden,ȱdieȱnurȱausȱdemȱGesamtcorȬ pusȱverständlichȱseienȱundȱwennȱesȱzudemȱHinweiseȱgäbe,ȱdassȱdieȱBriefeȱinȱeinerȱ bestimmtenȱReihenfolgeȱgelesenȱwerdenȱwollen,ȱvgl.ȱa.a.O.ȱ269.ȱ

2.ȱȱDasȱ20./21.ȱJahrhundertȱ

65ȱ

vonȱ2TimȱundȱTitȱdurchȱdieȱPersonȱdesȱTychikus166ȱ–ȱlassenȱsichȱsehrȱvielȱungeȬ zwungenerȱ inȱ andererȱ Weiseȱ erklären167ȱ undȱ könnenȱ inȱ diesemȱ ZusammenȬ hangȱhöchstensȱalsȱBeispielȱdafürȱdienen,ȱdassȱHäfnerȱseinenȱeigenenȱexegetiȬ schenȱ Prämissenȱ treuȱ bleibtȱ undȱ tatsächlichȱ dieȱ „CorpusȬLektüre“ȱ gegenüberȱ allenȱanderenȱErklärungsmodellenȱbevorzugt.ȱ

2.3.3ȱȱDieȱZusammengehörigkeitȱderȱPastoralbriefeȱȱ alsȱPostulatȱderȱExegeseȱ Dieȱ vonȱ Trummerȱ postulierteȱ Beurteilungȱ derȱ Pastȱ alsȱ einesȱ literariȬ schenȱCorpusȱhatȱihrenȱNachhallȱgefundenȱinȱvielenȱthematischȱorienȬ tiertenȱ Monographienȱ sowieȱ verschiedenenȱ neuerenȱ KommentarwerȬ ken,ȱvonȱdenenȱhierȱsolcheȱalsȱrepräsentativeȱAuswahlȱdargestelltȱwerȬ denȱ sollen,ȱ dieȱ dieȱ nachfolgendeȱ Pastoralbriefexegeseȱ soȱ maßgeblichȱ geprägtȱ haben,ȱ dassȱ davonȱ abweichendeȱ Positionenȱ dieȱ Ausnahmeȱ bilden.ȱ Trotzȱ desȱ oftmalsȱexplizitenȱ Bezugsȱ aufȱ Peterȱ Trummerȱ versuȬ chenȱjedochȱdieȱmeistenȱderȱhierȱaufgeführtenȱExegetenȱnebenȱderȱBeȬ hauptungȱeinerȱAbfassungȱderȱPastȱalsȱeinesȱintentionalenȱCorpusȱmitȱ einerȱliterarischenȱBezugsgrößeȱeineȱhinterȱdenȱPastȱerkennbareȱhistoriȬ scheȱGemeindesituationȱ–ȱi.d.R.ȱinȱEphesusȱ–ȱzuȱrekonstruieren.ȱȱ ȱ

AnthonyȱHansonȱhatȱsichȱüberȱJahrzehnteȱhinwegȱinȱmehrerenȱMonographienȱ undȱAufsätzenȱmitȱdenȱPastoralbriefenȱbeschäftigt168ȱundȱkommtȱdabeiȱschließȬ lichȱ zuȱ demȱ Ergebnis,ȱ „thatȱ theȱ Pastoralsȱ wereȱ allȱ writtenȱ atȱ muchȱ theȱ sameȱ time;ȱtheȱthemesȱandȱtechniquesȱ[…]ȱareȱcommonȱtoȱallȱofȱthem.“169ȱDiesȱprägtȱ auchȱseineȱUntersuchungȱderȱdreiȱBriefe,ȱsoȱdassȱdieȱdurchausȱdifferenziertenȱ Beobachtungenȱ nichtȱ mehrȱ fürȱ eineȱ eigeneȱ Interpretationȱ fruchtbarȱ gemachtȱ werdenȱkönnen.ȱDieȱjeweiligenȱthematischenȱSchwerpunkteȱderȱdreiȱSchreibenȱ werdenȱzwarȱerkannt,ȱaberȱmitȱeinerȱsichȱinȱdenȱPastȱwiderspiegelndenȱdreifaȬ chenȱIntentionȱderȱAutorsȱerklärt,170ȱoffensichtlicheȱUnterschiedeȱinȱderȱMachȬ artȱderȱdreiȱSchreibenȱmithilfeȱderȱAbfassungsreihenfolgeȱundȱdesȱNachlassensȱ derȱInspirationȱdesȱBriefautorsȱgedeutet,ȱderȱbeiȱTitȱalsȱdemȱjüngstenȱderȱdreiȱ BriefeȱkeineȱBezügeȱmehrȱzuȱPaulustraditionenȱhabeȱherstellenȱkönnen.171ȱ ȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 166ȱȱ Vgl.ȱders.,ȱSchrift,ȱ70f.ȱ 167ȱȱ Vgl.ȱdazuȱu.ȱPunktȱVȱdieserȱArbeit.ȱ 168ȱȱ Vgl.ȱdieȱDarstellungȱseinerȱälterenȱPositionȱimȱRahmenȱderȱFragmentenhypotheseȱo.ȱ S.ȱ52.ȱ 169ȱȱ HANSON,ȱPastoralȱEpistles,ȱ47.ȱ 170ȱȱ Vgl.ȱa.a.O.ȱ23.ȱ 171ȱȱ Vgl.ȱebd:ȱ„Itȱisȱremarkableȱthatȱtheȱauthorȱtakesȱmoreȱtroubleȱtoȱconnectȱtheȱletterȱtoȱ TitusȱwithȱCreteȱthanȱheȱdoesȱtoȱconnectȱhisȱtwoȱotherȱlettersȱwithȱEphesus.“ȱ

66ȱ

II.ȱȱEinȱForschungsüberblickȱ

Fürȱ denȱ deutschenȱ Exegesekontextȱ kannȱ Michaelȱ Woltersȱ 1988ȱ veröfȬ fentlichteȱHabilitationsschriftȱalsȱmaßgeblichȱgelten.ȱ ȱ

Auchȱ wennȱ Wolterȱ Peterȱ Trummersȱ Monographieȱ dabeiȱ anȱ mehrerenȱ Stellenȱ durchausȱ kritischȱ rezipierenȱ kann,ȱ soȱ stimmtȱ erȱ dochȱ dessenȱ grundsätzlicherȱ Erkenntnisȱ ausdrücklichȱ zu,ȱ dassȱ esȱ sichȱ beiȱ denȱ Pastȱ umȱ einȱ Schriftencorpusȱ handele,ȱdasȱimȱZugeȱderȱNeueditionȱdesȱCorpusȱPaulinumȱundȱmitȱausdrückȬ lichemȱBezugȱaufȱdiesesȱverfasstȱwordenȱsei.ȱWichtigerȱundȱfürȱdieȱAuslegungȱ gewinnbringenderȱ seiȱ jedochȱ dieȱ Interpretationȱ derȱ Pastȱ inȱ Analogieȱ zuȱ andeȬ renȱantikenȱBriefcorpora.172ȱ ȱ

BezüglichȱderȱFrageȱnachȱderȱFunktionȱderȱPastȱkommtȱerȱzuȱdemȱErȬ gebnis,ȱ dassȱ dieseȱ„aufȱ demȱ Hintergrundȱ einerȱ akutenȱ IdentitätsȬȱ undȱ Kontinuitätskriseȱ einerȱ sichȱ alsȱ paulinischȱ verstehendenȱ Gemeindeȱ inȱ nachpaulinischerȱ Zeitȱ [verfasst]“ȱ seien.173ȱ Dieseȱ Kriseȱ seiȱ ausgelöstȱ durchȱ denȱ „Konfliktȱ zwischenȱ derȱ fürȱ dasȱ Selbstverständnisȱ derȱ GeȬ meindeȱ alsȱ normativȱ geltendenȱ paulinischenȱ Traditionȱ undȱ derȱ faktiȬ schenȱVerfaßtheitȱdieserȱGemeinde“,ȱdieȱerkanntȱhabe,ȱdassȱsieȱselbstȱinȱ DiskontinuitätȱzuȱPaulusȱstehe.174ȱDaherȱversucheȱderȱPastȬVerfasserȱalsȱ MitgliedȱeinerȱsichȱdezidiertȱalsȱpaulinischȱverstehendenȱGemeindeȱdasȱ paulinischeȱErbeȱfürȱseineȱGegenwartȱneuȱzurȱSpracheȱzuȱbringenȱundȱ durchzusetzen.175ȱ Durchȱ dieȱ Existenzȱ dieserȱ Briefeȱ wolleȱ erȱ sichȱ selbstȱ alsȱ vonȱ Paulusȱ „autorisiertenȱ Protagonistenȱ derȱ paulinischenȱ TradiȬ tion“ȱlegimitieren,ȱumȱsoȱeinȱoffensichtlichesȱinnergemeindlichesȱLegiȬ timationsdefizitȱ zuȱ beseitigen.ȱ Dieseȱ Selbstverortungȱ desȱ Verfassersȱ inȱ derȱpaulinischenȱÄmterketteȱhabeȱauchȱdieȱunüblicheȱAdressierungȱanȱ Einzelpersonenȱnötigȱgemacht.176ȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 172ȱȱ Vgl.ȱWOLTER,ȱPaulustradition,ȱ18–20,ȱmitȱzahlreichenȱantikenȱBelegen.ȱ 173ȱȱ A.a.O.ȱ 15.ȱ Ganzȱ ähnlichȱ situiertȱ DONELSON,ȱ Pseudepigraphy,ȱ 60ȱ u.ö.,ȱ dieȱ Past.ȱ Vgl.ȱ dieȱgrundsätzlicheȱKritikȱanȱdiesemȱsog.ȱ„Diskontinuitätsmodell“ȱbeiȱMERZ,ȱSelbstȬ auslegung,ȱ201ȱu.ö.,ȱZitatȱ207:ȱAnȱdiesesȱseiȱ„dieȱFrageȱzuȱstellen,ȱwieȱplausibelȱesȱist,ȱ dassȱdieȱnachplnȱGemeindeȱerstȱJahrzehnteȱnachȱdemȱTodȱdesȱPaulusȱdasȱProblemȱ derȱ Bewahrungȱ derȱ plnȱ Identitätȱ undȱ dasȱ entstandeneȱ ‚Identitätsvakuum‘ȱ erkanntȱ habenȱsollte“.ȱA.a.O.ȱ208,ȱsiehtȱMerzȱinȱdenȱPastȱ vielmehrȱdenȱ„Niederschlagȱeinerȱ überȱeinenȱlangenȱZeitraumȱgepflegtenȱundȱletztlichȱunerschüttertenȱÜberzeugung“ȱ derȱPaulinizitätȱderȱeigenenȱAnsichten.ȱ 174ȱȱ WOLTER,ȱPaulustradition,ȱ12ff,ȱZitatȱ15f.ȱ 175ȱȱ Vgl.ȱ dazuȱ a.a.O.ȱ 96:ȱ „Ihremȱ eigenenȱ Selbstverständnisȱ nachȱ enthaltenȱ dieȱ PastoralȬ briefeȱ nichtȱ Paulustradition,ȱ sieȱ sindȱ diesȱ vielmehr,ȱ insofernȱ sieȱ mitȱ demȱ Anspruchȱ auftreten,ȱ vonȱ Paulusȱ fürȱ ihreȱ eigenenȱ Gegenwartȱ formulierteȱ undȱ deswegenȱ verȬ bindlicheȱInhalteȱzuȱvermitteln.“ȱDiesenȱZusammenhangȱweistȱWOLTER,ȱa.a.O.ȱ120,ȱ auchȱ anhandȱ desȱ Begriffsȱ derȱ Parathekeȱ nach;ȱ vgl.ȱ dazuȱ denȱ Exkursȱ zumȱ Begriffȱ paraqh,khȱinȱdenȱPastoralbriefen,ȱs.u.ȱabȱS.ȱ536.ȱ 176ȱȱ A.a.O.ȱ269f,ȱZitatȱ270.ȱȱ

2.ȱȱDasȱ20./21.ȱJahrhundertȱ

67ȱ

DieȱPastȬGemeindeȱlokalisiertȱWolterȱimȱkleinasiatischenȱMissionsgebiet,ȱohneȱ diesȱ weiterȱ einzugrenzen,ȱ alsȱ möglicheȱ Abfassungszeitȱ wirdȱ aufgrundȱ derȱ BezeugungȱinȱderȱaltkirchlichenȱLiteraturȱsowieȱvonȱhistorischenȱGründenȱderȱ Zeitraumȱ vonȱ 90ȱ bisȱ 140ȱ n.Chr.ȱ angegeben.177ȱ Dieȱ Gemeindesituationȱ seiȱ vonȱ derȱ Bedrohungȱ durchȱ Irrlehrerȱ geprägt,ȱ dieȱ einerseitsȱ eineȱ realeȱ Gefahrȱ darȬ stellenȱwürden,ȱandererseitsȱimȱRahmenȱdieserȱBriefeȱaberȱzugleichȱ–ȱbeschrieȬ benȱmitȱ„traditionellenȱTopoiȱderȱAntisophistenpolemik“ȱ–ȱalsȱKontrastmodellȱ fürȱdasȱvonȱderȱGemeindeȱgeforderteȱVerhaltenȱdienten.178ȱ ȱ

AuffälligȱistȱausȱWoltersȱSichtȱallerdings,ȱ„daßȱwirȱesȱhierȱnichtȱnurȱmitȱ einemȱ einzelnen,ȱ sondernȱ gleichȱ mitȱ dreiȱ fingiertenȱ Briefenȱ ausȱ derȱ FederȱeinesȱeinzigenȱAutorsȱzuȱtunȱhaben.“179ȱDieseȱdreiȱBriefeȱseienȱalsȱ gemeinsamesȱ Corpusȱ auszulegen,ȱ dennȱ obwohlȱ dieȱ historischenȱ NotiȬ zenȱ „denȱ Eindruckȱ einesȱ chronologischenȱ Nacheinandersȱ ihrerȱ AbfasȬ sungȱ[zu]ȱfingieren“ȱsuchten,ȱlasseȱesȱsichȱnichtȱerweisen,ȱdassȱdieȱPastȱ tatsächlichȱaufȱunterschiedlicheȱSituationenȱBezugȱnähmen;ȱdaherȱseienȱ dieȱhistorischenȱAngabenȱstattdessenȱalsȱvomȱVerfasserȱbewusstȱeingeȬ setzteȱGestaltungsmittelȱzurȱSuggerierungȱeinerȱhistorischenȱFiktionȱzuȱ verstehen.180ȱMitȱihrerȱHilfeȱwillȱWolterȱdieȱbeiȱAnnahmeȱeinerȱintentioȬ nalenȱBezogenheitȱderȱBriefeȱ„nichtȱunerheblicheȱFrageȱ[beantworten],ȱobȱ esȱ möglichȱ ist,ȱ eineȱ Aussageȱ darüberȱ zuȱ machen,ȱ inȱ welcherȱ ReihenȬ folgeȱ dieȱdreiȱ Briefeȱ gelesenȱ werdenȱ wollten“.181ȱ 2Timȱ rückeȱaufgrundȱ seinesȱunbestreitbarȱabschließendenȱCharaktersȱansȱEnde,ȱdarüberȱhinȬ ausȱlasseȱsichȱausgehendȱvonȱ1TimȱüberȱTitȱbisȱhinȱzuȱ2Timȱeineȱ„sichȱ verstärkendeȱTendenzȱzurȱAbwesenheitȱdesȱpastoralenȱPaulus,ȱwelcheȱ Linieȱ sichȱ virtuellȱ bisȱ inȱ dieȱ nachapostolischeȱ Zeitȱ derȱ Abfassungȱ derȱ Pastoralbriefeȱverlängert“,ȱnachweisen.182ȱȱ ȱ

DesȱWeiterenȱsprecheȱfürȱdieȱVoranstellungȱdesȱ1TimȱdieȱTatsache,ȱdassȱdieȱinȱ 1Timȱ 1,12–17ȱ erfolgendeȱ Selbstvorstellungȱ desȱ Paulusȱ andersȱ alsȱ imȱ Titȱ bisȱ inȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 177ȱȱ Vgl.ȱ a.a.O.ȱ 22–25;ȱ soȱ bestimmtȱ WOLTERȱ ebd.ȱ 23,ȱ dieȱ Erwähnungȱ desȱ Timotheusȱ inȱ Hebrȱ13,23ȱalsȱterminusȱpostȱquemȱfürȱdieȱAbfassungȱderȱPastoralbriefe.ȱ 178ȱȱ Vgl.ȱa.a.O.ȱ138ȱu.ö.,ȱZitatȱ263.ȱ 179ȱȱ A.a.O.ȱ17.ȱ 180ȱȱ Ebd.ȱ 181ȱȱ A.a.O.ȱ20;ȱHervorhebungȱM.E.ȱVgl.ȱzurȱFrageȱeinerȱintendiertenȱLesereihenfolgeȱderȱ PastoralbriefeȱneuerdingsȱwiederȱdieȱAnnahmeȱeinerȱKonzeptionȱderȱdreiȱSchreibenȱ alsȱBriefroman,ȱvgl.ȱdazuȱuntenȱPunktȱII.2.3.4ȱdieserȱArbeit.ȱ 182ȱȱ A.a.O.ȱ21.ȱVgl.ȱebd.ȱdenȱHinweisȱaufȱdasȱinȱ1Timȱ3,14;ȱ4,13ȱverheißeneȱbaldigeȱKomȬ men,ȱwelchesȱinȱTitȱ3,12ȱdurchȱdieȱumgekehrteȱForderungȱabgelöstȱwerde,ȱdassȱTiȬ tusȱzuȱPaulusȱkommenȱsolle,ȱundȱschließlichȱinȱderȱimȱ2TimȱvorbereitetenȱendgültiȬ genȱAbwesenheitȱdesȱApostelsȱgipfele.ȱȱ

68ȱ

II.ȱȱEinȱForschungsüberblickȱ

seineȱvorchristlicheȱZeitȱzurückreiche.183ȱHierȱwerdeȱderȱfürȱ dieȱPastȱgrundleȬ gendeȱ „sachlicheȱ Zusammenhangȱ vonȱ Prioritätȱ undȱ Autorität“ȱ entfaltet,ȱ welȬ cherȱinȱdenȱverschiedenenȱTextenȱzuȱdenȱThemenkomplexenȱSoteriologieȱundȱ Traditionsverständnisȱ stetsȱ alsȱ interpretatorischerȱ Hintergrundȱ diene.184ȱ Dieȱ Perikopeȱ1Timȱ1,12–17ȱfungiereȱdamitȱ–ȱauchȱaufgrundȱihrerȱweitȱüberȱdasȱTitȬ Präskriptȱ hinausreichendenȱ Längeȱ –ȱ alsȱ programmatischeȱ Eröffnungȱ desȱ CorȬ pusȱPastoraleȱinsgesamt.185ȱȱ ȱ

DieseȱArgumenteȱbündelndȱgelangtȱWolterȱschließlichȱüberȱdieȱUnterȬ suchungȱ derȱ inȱ denȱ Pastȱ entfaltetenȱ biographischenȱ Aussagenȱ zuȱ derȱ intendiertenȱLesereihenfolgeȱ1Timȱ–ȱTitȱ–ȱ2Tim.186ȱ DieȱFrageȱnachȱderȱDreizahlȱderȱBriefeȱwirdȱvonȱWolterȱimȱKontextȱ derȱGattungsuntersuchungȱderȱSchreibenȱbehandelt.ȱZwarȱbildetenȱdieȱ dreiȱ Briefeȱ einȱ gemeinsamesȱ Corpusȱ undȱ gehörtenȱ insgesamtȱ inȱ denȱ Zusammenhangȱ derȱ antikenȱ paränetischenȱ Literatur,ȱ seienȱ aberȱ denȬ nochȱnichtȱliterarischȱhomogen.ȱSoȱlasseȱsichȱgegenüberȱ2TimȱeineȱenȬ gereȱ Zusammengehörigkeitȱ vonȱ 1Timȱ undȱ Titȱ nachweisen:ȱ Letztereȱ zeigtenȱgewisseȱÄhnlichkeitenȱmitȱdenȱdemȱimȱRömischenȱReichȱlebenȬ denȱ Autorȱ sicherlichȱ bekanntenȱ Mandataȱ principis,ȱ undȱ ihreȱ KommuȬ nikationsstrukturȱ seiȱ mitȱ Instruktionenȱ „anȱ untergeordnete,ȱ jedochȱ ihrerseitsȱ wiederumȱ weisungsbefugteȱ Amtsträger“ȱ vergleichbar,ȱ wasȱ auchȱ dieȱ charakteristischeȱ „Dreierkonstellationȱ Autor–Adressat–GeȬ meinde“ȱbedinge.187ȱȱ WährendȱzudemȱfürȱdieȱAnweisungenȱinȱ1TimȱundȱTitȱ„sowohlȱdieȱ räumlicheȱ […]ȱ wieȱ dieȱzeitlicheȱ Begrenzungȱdesȱ Auftrags“ȱ konstitutivȱ sei,ȱreichtenȱdieȱimȱ2TimȱformuliertenȱAnweisungenȱdesȱApostelsȱüberȱ seinenȱ eigenenȱ Todȱ hinaus.188ȱ Diesesȱ Schreibenȱ vereinigeȱ unterȱ derȱ Rahmengattungȱ „Brief“,ȱ welcheȱ lautȱ Wolterȱ konstitutiverȱ Bestandteilȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 183ȱȱ Vgl.ȱ zurȱ Bedeutungȱ dieserȱ Perikopeȱ grundsätzlichȱ ders.,ȱ Paulus,ȱ passim.ȱ Vgl.ȱ dazuȱ auchȱdieȱAuslegungȱunterȱPunktȱIV.4.3.3.1.1.ȱ 184ȱȱ Vgl.ȱders.,ȱPaulustradition,ȱ52.64ff,ȱZitatȱ52.ȱ 185ȱȱ A.a.O.ȱ21f.ȱ 186ȱȱ Vgl.ȱa.a.O.ȱ27ȱu.ö.ȱ 187ȱȱ A.a.O.ȱ178.156.ȱDaherȱseiȱauchȱdieȱAmtsstruktur,ȱfürȱwelcheȱTimotheusȱundȱTitusȱalsȱ Adressatenȱstünden,ȱwederȱalsȱliterarischeȱFiktionȱnochȱalsȱrealȱexistierendesȱAmtȱzuȱ ZeitenȱderȱPastȬGemeindenȱerklärbar,ȱvielmehrȱseiȱ„[d]ieȱpaulinischeȱPraxisȱderȱDeȬ legationȱ vonȱ Mitarbeiternȱ inȱ dieȱ Gemeindenȱ […]ȱ inȱ anachronistischerȱ Weiseȱ verȬ knüpftȱ [worden]ȱ mitȱ demȱ inȱ dieȱ paulinischeȱ Zeitȱ zurückprojiziertenȱ Bildȱ einerȱȱ Gemeinde“ȱ (a.a.O.ȱ 198),ȱ soȱ dassȱ dieȱ ganzeȱ Gemeindeȱ anȱ dieȱ Stelleȱ derȱ beidenȱ AdressatenȱalsȱAmtsinhaberȱgetretenȱsei.ȱ 188ȱȱ Vgl.ȱa.a.O.ȱ196f,ȱZitatȱ197.ȱȱ

2.ȱȱDasȱ20./21.ȱJahrhundertȱ

69ȱ

desȱ vonȱ denȱ Pastȱ suggeriertenȱ Paulusbildesȱ sei,189ȱ daherȱ sowohlȱ EleȬ menteȱ derȱ testamentarischenȱ Mahnredeȱ alsȱ auchȱ Charakteristikaȱ desȱ Freundschaftsbriefes.ȱ Zwarȱ stelleȱ Letzteresȱ keineȱ eigeneȱ Gattungȱ dar,ȱ habeȱaberȱ„inȱbewußterȱAbgrenzungȱvonȱdenȱautoritativenȱdienstlichenȱ Instruktionenȱ vonȱ 1.Timȱ undȱ Tit“ȱ mehrȱ alsȱ nurȱ atmosphärische,ȱ nämȬ lichȱ sogarȱ „programmatischeȱ Bedeutung“.190ȱ Ersteresȱ seiȱ eineȱ „durchȬ wegȱ pseudepigraphische[.]ȱ Literaturgattung“,ȱ welcheȱ imȱ jüdischenȱ Umfeldȱdazuȱdiene,ȱanhandȱdesȱalsȱGefährdungȱderȱGemeinschaftȱverȬ standenenȱTodesȱeinerȱFührungspersonȱdieȱdarausȱerwachsendeȱKriseȱ zuȱüberwinden.191ȱDiesȱwirdȱvonȱWolterȱalsȱIntentionȱderȱPastoralbriefeȱ insgesamtȱgesehenȱundȱveranlasstȱihnȱzuȱderȱgrundlegendenȱErkenntȬ nis,ȱ dassȱ –ȱ rückwirkendȱ vonȱ demȱ alsȱ Abschlussȱ desȱ Corpusȱ zuȱ beȬ trachtendenȱ2Timȱ–ȱauchȱdieȱbeidenȱanderenȱPastȱunterȱdiesemȱVorzeiȬ chenȱgelesenȱwerdenȱwollten.192ȱ Aufȱ Grundlageȱ einerȱ solchenȱ Gattungsbestimmungȱ siehtȱ Wolterȱ nichtȱ inȱ derȱ Dreizahlȱ derȱ Briefe,ȱ sondernȱ inȱ derȱ Dopplungȱ vonȱ 1Timȱ undȱ Titȱ dasȱ eigentlicheȱ Problemȱ beiȱ Annahmeȱ bewusstȱ gemeinsamȱ konzipierterȱAbfassung.ȱDaȱfürȱihnȱaußerȱFrageȱsteht,ȱdassȱesȱsichȱhierȱ umȱeinȱliterarischesȱProblemȱhandele,193ȱerkenntȱerȱhinterȱderȱZweizahlȱ dieserȱBriefeȱdasȱauchȱsonstȱneutestamentlichȱbelegteȱundȱausȱderȱTraȬ ditionȱübernommeneȱPrinzipȱderȱ„ZweizahlȱderȱBotenȱundȱZeugen“.194ȱ ObwohlȱMichaelȱWolterȱeineȱderȱumfassendstenȱPastȬStudienȱderȱletzȬ tenȱ Jahrzehnteȱ vorgelegtȱ hat,ȱ kannȱ dieseȱ Erklärungȱ letztlichȱ jedochȱ nichtȱüberzeugen.ȱȱ ȱ Eineȱ umfassendeȱ Auslegungȱ derȱ Pastȱ imȱ Rahmenȱ einerȱ KommentarȬ reiheȱstelltȱderȱEvangelischȬkatholischeȱKommentarȱzumȱNeuenȱTestaȬ mentȱdar.ȱHierȱwerdenȱdieȱdreiȱBriefeȱjeȱvonȱunterschiedlichenȱExegeȬ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 189ȱȱ Vgl.ȱ seineȱ a.a.O.ȱ 132ff,ȱ formulierteȱ Forderung,ȱ esȱ müsstenȱ dieȱ innerhalbȱ derȱ BriefȬ formȱ verwendetenȱ Teilgattungenȱ deshalbȱ fürȱ dasȱ Verständnisȱ derȱ Pastoralbriefeȱ ernstȱgenommenȱwerden.ȱ 190ȱȱ Vgl.ȱa.a.O.ȱ16f.206ffȱbes.ȱ212f.222f,ȱbeideȱZitateȱ213.ȱSoȱauchȱunterȱBerufungȱaufȱWolȬ terȱWEISER,ȱ2Tim,ȱ33,ȱvgl.ȱders.,ȱFreundschaftsbrief,ȱ163.ȱ 191ȱȱ Vgl.ȱWOLTER,ȱPaulustradition,ȱ228,ȱZitatȱ236.ȱ 192ȱȱ Vgl.ȱa.a.O.ȱ238–240.ȱȱ 193ȱȱ ImȱHintergrundȱ seienȱdaherȱnichtȱetwaȱdieȱGemeindenȱvonȱEphesusȱundȱKretaȱalsȱ realȱangesprocheneȱAdressatenȱzuȱsehen.ȱ 194ȱȱ Vgl.ȱa.a.O.ȱ202ȱ(dortȱauchȱneutestamentlicheȱBelege)ȱbes.ȱAnm.ȱ18.ȱAufȱdieserȱBasisȱ sindȱa.a.O.ȱ189,ȱ fürȱihnȱauchȱ dieȱ zwischenȱ1Timȱ undȱTitȱbestehendenȱ Unterschiedeȱ alsȱ „bewußtȱ vorgenommen[e]“ȱ erklärbar:ȱ Richteȱ sichȱ 1Timȱ dezidiertȱ anȱ einenȱ ordiniertenȱAmtsträger,ȱsoȱseiȱdiesȱimȱTitȱgeradeȱnichtȱderȱFall.ȱ

70ȱ

II.ȱȱEinȱForschungsüberblickȱ

tenȱ kommentiertȱ –ȱ 1Timȱ 1988ȱ vonȱ Jürgenȱ Roloffȱ undȱ 2Timȱ 2003ȱ vonȱ AlfonsȱWeiserȱ(dieȱKommentierungȱdesȱTitȱstehtȱnochȱaus)ȱ–,ȱdennochȱ werdenȱ dieȱ Einleitungsfragenȱ beideȱ Maleȱ fürȱ alleȱ dreiȱ Briefeȱ gemeinȬ samȱdiskutiert.195ȱȱ Dassȱ Roloffȱ schließlichȱ zuȱ demȱ Ergebnisȱ kommt:ȱ „Dieȱ dreiȱ Pastȱ dürftenȱalsȱEinheitȱkonzipiertȱundȱentstandenȱsein.ȱDaran,ȱdaßȱalleȱdreiȱ Briefeȱ aufȱ einenȱ undȱ denselbenȱ [pseudepigraphischen]ȱ Verf[asser]ȱ zuȬ rückgehen,ȱ istȱ angesichtsȱ derȱ Fülleȱ sprachlicherȱ undȱ inhaltlicherȱ EntȬ sprechungenȱ keinȱ Zweifelȱ möglich“,ȱ überraschtȱ daherȱ nicht.196ȱ Vorȱ diesemȱ Hintergrundȱ charakterisiertȱ Roloffȱ dieȱ dreiȱ Briefeȱ alsȱ „bewußtȱ aufȱIrreführungȱundȱTäuschungȱderȱLeserȱangelegte[.]ȱFälschung[en]“,ȱ derenȱVerfasserfiktionȱinȱeinerȱ„konsequenten,ȱüberlegtenȱundȱeinfallsȬ reichenȱ Art“ȱ durchgeführtȱ werde.197ȱ Dieȱ dreiȱ Briefeȱ seienȱ „mehrȱ oderȱ wenigerȱ gleichzeitigȱ entstandenȱ undȱ inȱ derȱ Formȱ einesȱ dreiteiligenȱ BriefȬ corpusȱ anȱ dieȱ Öffentlichkeitȱ gebrachtȱ worden“.198ȱ Dieȱ Dreizahlȱ derȱ Briefe,ȱ dieȱ lautȱ Roloffȱ nichtȱ inȱ unterschiedlicheȱ historischeȱ Situationenȱ hineinsprechen,ȱ müsseȱ dabeiȱ aufgrundȱ derȱ Tatsacheȱ erklärtȱ werden,ȱ dassȱdieȱSchreibenȱbereitsȱeinȱCorpusȱvonȱPaulusbriefenȱvoraussetztenȱ undȱ diesemȱ deshalbȱ ebenfallsȱ alsȱ Corpusȱ gegenüberȱ gestelltȱ wordenȱ seien.199ȱ Dabeiȱ habeȱ sichȱ derȱ Verfasserȱ derȱ Pastȱ vonȱ einerȱ doppeltenȱ Intentionȱleitenȱlassen:ȱSoȱhabeȱerȱdieȱPaulustraditionȱnichtȱnurȱbekräfȬ tigenȱ –ȱ wieȱ esȱ imȱ 2Timȱ geschieht,ȱ derȱ aufgrundȱ seinesȱ testamentariȬ schenȱ Charaktersȱ alsȱ abschließenderȱ Briefȱ beurteiltȱ wirdȱ –,ȱ sondernȱ auchȱ durchȱ dieȱ Kirchenordnungenȱ vermittelndenȱ Briefeȱ Titȱ undȱ 1Timȱ neuȱ aktualisierenȱ wollen.200ȱ Aufgrundȱ derȱ auffälligenȱ inhaltlichenȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 195ȱȱ WEISER,ȱ2Tim,ȱ29–71;ȱROLOFF,ȱ1Tim,ȱ21–50.ȱ 196ȱȱ ROLOFF,ȱa.a.O.ȱ20.23.43,ȱZitatȱ43.ȱ 197ȱȱ A.a.O.ȱ25.36.ȱ 198ȱȱ A.a.O.ȱ39.ȱ 199ȱȱ Vgl.ȱa.a.O.ȱ39f,ȱdieȱAuflistungȱvonȱAnspielungenȱaufȱdasȱCorpusȱPaulinumȱ–ȱwobeiȱ auffällt,ȱ dassȱ Roloffȱ ebensoȱ wieȱ Trummerȱ mitȱ zweiȱ verschiedenenȱ Corpusbegriffenȱ argumentiertȱ –,ȱ sowieȱ a.a.O.ȱ 44:ȱ Hierȱ folgtȱ Roloffȱ grundsätzlichȱ derȱ Theseȱ vonȱ SCHMITHALS,ȱ Abfassung,ȱ 244,ȱ derȱ inȱ derȱ Dreizahlȱ dieȱ „festeȱ Zahl“ȱ fürȱ urchristlicheȱ BriefsammlungenȱsiehtȱundȱdaherȱvonȱeinerȱgemeinsamenȱEntstehungȱderȱdreiȱPastȱ ausgeht,ȱ dieȱ ebensoȱ wieȱ dieȱ zweite,ȱ bereitsȱ vorherȱ zusammengewachseneȱ DreierȬ gruppeȱKolȬEphȬPhlmȱzuȱderȱSiebenzahlȱderȱProtopaulinenȱergänztȱwordenȱseiȱ(vgl.ȱ außerdemȱ denȱ vonȱ WALL,ȱ Function,ȱ 27–44,ȱ durchgeführtenȱ kanongeschichtlichenȱ Erklärungsversuch).ȱ Auffälligerweiseȱ bezeichnetȱ ROLOFF,ȱ a.a.O.ȱ 44,ȱ allerdingsȱ geȬ radeȱ dieseȱ Aussageȱ alsȱ „zuȱ spekulativ“,ȱ soȱ dassȱ dasȱ „Wahrheitsmoment“ȱ derȱ SchmithalsschenȱIdeeȱaufȱdieȱTatsacheȱderȱEntstehungȱderȱPastȱalsȱCorpusȱreduziertȱ wirdȱ–ȱwomitȱdieȱFrageȱnachȱderȱDreizahlȱaberȱwiederȱvölligȱoffenȱist.ȱ 200ȱȱ Vgl.ȱROLOFF,ȱa.a.O.ȱ44f.ȱȱ

2.ȱȱDasȱ20./21.ȱJahrhundertȱ

71ȱ

Doublette,ȱdieȱderȱalsȱ„ergänzendesȱundȱbegleitendesȱZeugnisȱzuȱdemȱ längeren,ȱ gewichtigerenȱ undȱ aufgrundȱ derȱ Stellungȱ seinesȱ Adressatenȱ hervorgehobenenȱ1Tim“ȱbeurteilteȱTitȱimȱVerhältnisȱdarstellt,ȱvermutetȱ RoloffȱhinterȱdemȱCorpusȱPastoraleȱinsgesamtȱdasȱinȱDtnȱ19,15ȱgrundȬ gelegteȱbiblischeȱKonzeptȱderȱdoppeltenȱZeugenschaft.201ȱWeilȱalsoȱdieȱ dreiȱ Schreibenȱ inȱ ihrerȱ Intentionȱ zusammengehören,ȱ willȱ Roloffȱ ausȱ denȱ historischenȱ Angabenȱ derȱ dreiȱ Briefeȱ ihrȱ „Entstehungsmilieu“ȱ erȬ hellen,ȱwelchesȱerȱmitȱdemȱderȱAdressatenȱinȱeinsȱsetzt.202ȱErȱordnetȱdieȱ Pastȱ demȱ „konservative[n]ȱ Flügelȱ derȱ Paulusschule“ȱ zuȱ undȱ vermutetȱ aufgrundȱ derȱ beidenȱ Timotheusbriefeȱ inȱ ihremȱ „Bezugsort“ȱ Ephesusȱ starkȱpaulinischȱgeprägteȱfrühchristlicheȱStrömungen,ȱalsȱderenȱPersoȬ nifizierungȱerȱTimotheusȱselbstȱverstandenȱwissenȱwill.203ȱDieȱAdressieȬ rungȱ desȱ Titusbriefesȱ hingegenȱ nachȱ Kretaȱ wirdȱ vonȱ Roloffȱ alsȱ Belegȱ fürȱ eineȱ vonȱ Ephesusȱ ausgehendeȱ Missionȱ aufȱ Zypernȱ (!)ȱ herangezoȬ gen.ȱ Alsȱ konkretenȱ Anlassȱ zurȱ Abfassungȱ vermutetȱ Roloffȱ dasȱ akuteȱ Auftretenȱ vonȱ Irrlehrernȱ –ȱ dieȱ erȱ alsȱ Vertreterȱ einerȱ „Frühformȱ derȱ christlichenȱ Gnosis“ȱ charakterisiertȱ –,ȱ welcheȱ sichȱ wohlȱ ebenfallsȱ aufȱ Paulusȱ berufenȱ undȱ denenȱ daherȱ unterȱ Hinweisȱ aufȱ dieȱ eigene,ȱ reinȱ paulinischeȱLehreȱgewehrtȱwerdenȱsolle.204ȱ Dieȱ Auslegungȱ desȱ 2.ȱ Timotheusbriefesȱ inȱ derȱ Reiheȱ EKKȱ erfolgteȱ durchȱ Alfonsȱ Weiser,ȱ 15ȱ Jahreȱ nachȱ demȱ Kommentarȱ Roloffs.ȱ Weiserȱ bleibtȱinȱvielfältigerȱWeiseȱaufȱdessenȱWerkȱundȱdieȱdortȱgewonnenenȱ Erkenntnisseȱ bezogen,ȱ ohneȱ sichȱ derȱ seitȱ diesemȱ Zeitpunktȱ geradeȱ imȱ englischsprachigenȱ Raumȱ neuȱ aufgebrochenenȱ Diskussionȱ umȱ dieȱ Pastoralbriefeȱzuȱstellen.205ȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 201ȱȱ Ebd.ȱ 45,ȱ Zitatȱ ebd.ȱ Allerdingsȱ lenktȱ Roloffȱ sehrȱ schnellȱ wiederȱ aufȱ denȱ anȱ diesemȱ Punktȱ relativȱ allgemeinȱ bleibendenȱ Ansatzȱ Trummersȱ ein,ȱ esȱ seiȱ lediglichȱ umȱ eineȱ Mehrzahlȱ vonȱ Adressatenȱ gegangen.ȱ Etwasȱ andersȱ akzentuiertȱ hierȱ WOLTER,ȱ PauȬ lustradition,ȱ 202,ȱ derȱ mitȱ Verweisȱ aufȱ diesesȱ Konzeptȱ dezidiertȱ dieȱ Dopplungȱ vonȱ 1TimȱundȱTitȱerklärenȱwill,ȱwelcheȱerȱalsȱdieȱeigentlicheȱSchwierigkeitȱderȱPastoralȬ briefexegeseȱbegreift,ȱvgl.ȱdazuȱo.ȱS.ȱ69.ȱȱ 202ȱȱ ROLOFF,ȱ1Tim,ȱ42,ȱvgl.ȱa.a.O.ȱ44,ȱunterȱausdrücklicherȱAufnahmeȱderȱIdentifizierungȱ vonȱAbsenderȱundȱAdressatenȱdurchȱTrummer.ȱ 203ȱȱ A.a.O.ȱ42f,ȱZitateȱ42.43.ȱDieȱTatsache,ȱdassȱderȱ2Timȱsuggeriert,ȱinȱRomȱverfasstȱzuȱ sein,ȱwirdȱnichtȱmehrȱdiskutiert.ȱ 204ȱȱ Ders.,ȱIrrlehrer,ȱ116f,ȱZitatȱ116.ȱVgl.ȱders.,ȱ1Tim,ȱ42f.ȱ 205ȱȱ Diesȱ fälltȱ besondersȱ beiȱ WEISER,ȱ 2Tim,ȱ 56–59,ȱ auf,ȱ woȱ dieȱ Argumenteȱ fürȱ dieȱ Pseudonymitätȱ derȱ Pastȱ nurȱ inȱ kurzemȱ Nachgangȱ Roloffsȱ abgehandeltȱ werden.ȱ Autorenȱ wieȱ Miller,ȱ MurphyȬO’Connorȱ undȱ Priorȱ werdenȱ zwarȱ imȱ LiteraturverȬ zeichnisȱ genannt,ȱ ihreȱ Argumenteȱ jedochȱ inȱ keineswegsȱ ausreichenderȱ Weiseȱ beȬ rücksichtigt,ȱvgl.ȱzurȱDarstellungȱihrerȱPositionenȱu.ȱS.ȱ91–93.98–100.ȱ

72ȱ

II.ȱȱEinȱForschungsüberblickȱ

Weiserȱ eröffnetȱ seinenȱ Kommentarȱ mitȱ derȱ Feststellung,ȱ dassȱ dieȱ Pastoralbriefeȱ „alsȱ Corpusȱ Pastoraleȱ eineȱ geschlosseneȱ undȱ einanderȱ ‚sinnvollȱergänzendeȱEinheit‘ȱbilden“.206ȱDieȱinȱderȱGattungȱbegründeteȱ Besonderheitȱdesȱ2Timȱwirdȱzwarȱbenannt,207ȱaberȱdurchȱeinenȱHinweisȱ aufȱ dieȱ vonȱ v.ȱLips208ȱ geprägteȱ Aussage,ȱ „daßȱ dieȱ dreiȱ Briefeȱ jeȱ ihreȱ Eigenartȱ habenȱ undȱ sichȱ soȱ insgesamtȱ zuȱ einemȱ wohlȱ konzipiertenȱ Ganzenȱ zusammenfügen“,209ȱ gleichzeitigȱ inȱ ihrerȱ Bedeutungȱ fürȱ dieȱ Einordnungȱ desȱ Briefesȱ nivelliert.ȱ Soȱ behauptetȱ Weiser:ȱ „Formalȱ verȬ bindetȱ ihnȱ [sc.ȱ 2Tim]ȱ mitȱ denȱ beidenȱ anderenȱ Textenȱ dieȱ RahmengatȬ tungȱ‚Brief‘.ȱInhaltlichȱistȱerȱmitȱihnenȱdadurchȱverbunden,ȱdassȱauchȱerȱ imȱ Namenȱ desȱ Paulusȱ geschriebenȱ ist,ȱ sichȱ anȱ einenȱ derȱ wichtigstenȱ undȱvertrautestenȱmissionarischenȱMitarbeiterȱdesȱApostelsȱwendet“.210ȱ ZudemȱhabeȱgeradeȱdieserȱBriefȱeineȱbesondereȱFunktionȱinnerhalbȱdesȱ CorpusȱPaulinum:ȱ„DerȱVerfasserȱschließtȱmitȱ2TimȱdieȱSammlungȱvonȱ Paulusbriefenȱ undȱdasȱ Corpusȱ Pastoraleȱ ab.ȱ Erȱ beabsichtigtȱ damit,ȱdeȬ renȱ Weisungenȱ Geltungȱ fürȱ dieȱ Gegenwartȱ undȱ Zukunftȱ zuȱ verschafȬ fen“.211ȱGeradeȱdemȱausȱdemȱFreundschaftsbriefȱentlehntenȱMotivȱdesȱ Wiedersehenswunsches212ȱ kommeȱ fürȱ dieȱ Funktionsbestimmungȱ derȱ PastȱeineȱbesondereȱBedeutungȱzu.ȱSoȱkannȱWeiserȱinȱAufnahmeȱStenȬ gersȱformulieren:ȱ„ZuȱderȱräumlichenȱÜberbrückungȱdurchȱdenȱParusieȬ topos,ȱ wieȱ sieȱ inȱ denȱ Paulusbriefenȱ begegnet,ȱ kommtȱ inȱ denȱ Pastȱ dieȱ Überwindungȱ derȱ zeitlichenȱ Differenzȱ vonȱ derȱ apostolischenȱ zurȱnachȬ apostolischenȱ Epocheȱ hinzu.“213ȱ Diesȱ zeigeȱ sichȱ auchȱ darin,ȱ dassȱ nunȱ derȱ Apostelschüler,ȱ denȱ Paulusȱ üblicherweiseȱ sende,ȱ hierȱ zumȱ EmpȬ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 206ȱȱ WEISER,ȱa.a.O.ȱ29.ȱȱ 207ȱȱ Soȱ findetȱ WEISER,ȱ a.a.O.ȱ 30ff.34ff,ȱ imȱ 2Timȱ Momenteȱ sowohlȱ desȱ antikenȱ FreundȬ schaftsbriefesȱalsȱauchȱeinesȱTestaments.ȱ 208ȱȱ V.ȱ LIPS,ȱSprachschöpfung,ȱ64f,ȱverstehtȱseinenȱeigenenȱAnsatzȱalsȱUnterstützungȱderȱ TheseȱTrummers,ȱdieȱerȱdadurchȱuntermauernȱwill,ȱdassȱerȱaufweist,ȱdassȱjederȱderȱ dreiȱ Briefeȱ eineȱ thematischeȱ Eigenartȱ habe;ȱ diesȱ seiȱ beiȱ 1Timȱ dieȱ Christologie,ȱ beiȱ 2TimȱdieȱEschatologieȱundȱbeiȱTitȱdieȱgrundsätzlicheȱsoteriologischeȱAusrichtung.ȱ 209ȱȱ A.a.O.ȱ64.ȱȱ 210ȱȱ WEISER,ȱ2Tim,ȱ29.ȱ 211ȱȱ A.a.O.ȱ40.ȱVgl.ȱa.a.O.ȱ39f,ȱWeisersȱHinweisȱaufȱweitereȱantikeȱBeispieleȱfürȱdenȱAbȬ schlussȱ einerȱ Briefsammlungȱ durchȱ einenȱ Abschiedsbrief.ȱ Ähnlichȱ bereitsȱ 1994ȱ –ȱ ebenfallsȱunterȱausdrücklicherȱBerufungȱaufȱWOLTER,ȱPaulustradition,ȱbes.178.236ȱ–ȱ WEISER,ȱVerantwortung,ȱ8;ȱvgl.ȱzuȱdiesemȱKomplexȱinsgesamtȱders.,ȱFreundschaftsȬ brief,ȱ 158–170.ȱ Vgl.ȱ außerdemȱ dieȱ Zustimmungȱ WEISERs,ȱ 2Tim,ȱ 31,ȱ zuȱ derȱ Aussageȱ WOLTERs,ȱPaulustradition,ȱ213,ȱderȱRückgriffȱaufȱdieȱTopikȱdesȱFreundschaftsbriefesȱ habeȱ„programmatischeȱBedeutung“.ȱ 212ȱȱ WEISER,ȱ2Tim,ȱ41.ȱ 213ȱȱ A.a.O.ȱ41f,ȱZitatȱebd.ȱȱ

2.ȱȱDasȱ20./21.ȱJahrhundertȱ

73ȱ

fängerȱ derȱ ‚Briefe‘ȱ werde.ȱ Weilȱ dieȱ Schriftenȱ sichȱ überȱ dieȱ eigentlichȱ angeredetenȱAdressatenȱhinausȱanȱeineȱGemeindeȱrichteten,ȱbehauptetȱ Weiserȱzudem,ȱ„dassȱauchȱdieȱBriefȬFormȱallerȱdreiȱSchreibenȱfingiert“ȱ sei.214ȱDieseȱ„reale“ȱGemeindeȱvermutetȱWeiserȱ–ȱebensoȱwieȱdenȱrealenȱ Verfasserȱ derȱ Schreibenȱ –ȱ beiȱ allenȱ dreiȱ Briefenȱ inȱ Ephesus,ȱ weshalbȱ dieserȱ„OrtsnameȱEphesusȱdieȱeinzigeȱrealȱzutreffendeȱAngabeȱderȱanȬ sonstenȱfingiertenȱBriefrahmenȱallerȱdreiȱPast“215ȱsei.ȱDassȱ2TimȱinȱRomȱ abgefasstȱ seinȱ will,ȱ wirdȱ hingegenȱ mitȱ demȱ Hinweisȱ aufȱ dieȱ pseudeȬ pigraphischȱ notwendigeȱ Fiktionȱ einesȱ nurȱ angeblichȱ schreibendenȱ „Paulus“ȱadȱactaȱgelegt,ȱdieȱAdressierungȱdesȱTitȱnachȱKretaȱalsȱBelegȱ fürȱeineȱMissionierungȱderȱdortigenȱGemeindenȱvonȱEphesusȱausȱinterȬ pretiert.216ȱ Insgesamtȱ bleibtȱ dasȱ hinterȱ denȱ Briefenȱ vermuteteȱ „geistigeȱ Milieu“ȱ sehrȱ unbestimmt,ȱ weilȱ sichȱ aufgrundȱ derȱ vonȱ Weiserȱ postuȬ liertenȱ Zusammengehörigkeitȱ derȱ dreiȱ Schreibenȱ Elementeȱ sämtlicherȱ Briefeȱdarinȱwiederfindenȱmüssen.217ȱȱ Auchȱ beiȱ Weiserȱ unterbleibtȱ eineȱ überzeugendeȱ Erklärungȱ fürȱ dieȱ DreizahlȱderȱBriefe;ȱzudemȱfälltȱauf,ȱdassȱdieȱFrageȱnachȱderȱ–ȱliterariȬ schenȱ oderȱ historischȬrealenȱ –ȱ Funktionȱ derȱ Briefeȱ inȱ doppelterȱ Weiseȱ beantwortetȱwird:ȱSoȱbetontȱWeiserȱzumȱeinen,ȱ2TimȱseiȱalsȱAbschlussȱ desȱgesamtenȱCorpusȱPaulinumȱkonzipiert,ȱschließtȱaberȱzumȱanderenȱ ausȱ denȱ Briefenȱ aufȱ eineȱ realeȱ Gemeindesituation,ȱ inȱ dieȱ dieseȱ SchreiȬ benȱdannȱebenfallsȱklärendȱhineinzielen.ȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 214ȱȱ A.a.O.ȱ54.ȱ 215ȱȱ A.a.O.ȱ 54.59.ȱ Vorsichtigerȱ äußertȱ sichȱ Weiserȱ anȱ frühererȱ Stelle,ȱ vgl.ȱ ders.,ȱ VerantȬ wortung,ȱ8:ȱDassȱdieȱAnordnungenȱtatsächlichȱEphesusȱundȱKretaȱgegoltenȱhätten,ȱ seiȱfürȱEphesusȱaufgrundȱandererȱZeugnisseȱ„gutȱdenkbar“,ȱfürȱKretaȱgelteȱdiesȱjeȬ dochȱ„nichtȱinȱgleicherȱWeise“.ȱ 216ȱȱ Soȱ ders.,ȱ 2Tim,ȱ 53.59ȱ Anm.ȱ 91,ȱ unterȱ Berufungȱ aufȱ THIESSEN,ȱ Ephesus.ȱ A.a.O.ȱ 249ffȱ u.ö.,ȱ betontȱ Thiessen,ȱ dassȱ dieȱ Angabenȱ derȱ Pastoralbriefeȱ inȱ Hinblickȱ aufȱ einenȱ möglichenȱhistorischenȱErkenntnisgewinnȱernstȱzuȱnehmenȱseien:ȱSowohlȱdieȱTatsaȬ che,ȱdassȱdieȱPastȱinȱdieȱinȱApgȱ20ȱgeschilderteȱSituationȱverortetȱwerdenȱwollen,ȱalsȱ auchȱ derȱ durchȱ dasȱ Präskriptȱ desȱ 1Timȱ hergestellteȱ Bezugȱ derȱ bekämpftenȱ Irrlehreȱ zuȱ Ephesusȱ legenȱ fürȱ ihnȱ eineȱ tatsächlicheȱ Adressierungȱ derȱ dreiȱ Briefeȱ anȱ dieseȱ Gemeindeȱnahe,ȱinȱderȱsowohlȱTimotheusȱalsȱauchȱTitusȱeineȱgroßeȱAutoriätȱgenosȬ senȱ hätten:ȱ 1Timȱ selbstȱ willȱ nachȱ Ephesusȱ gerichtetȱ sein,ȱ imȱ 2Timȱ lasseȱ sichȱ dieseȱ AdressierungȱausȱdenȱgenanntenȱNamenȱ(besondersȱ1,17f)ȱerhellen.ȱInȱBezugȱaufȱTitȱ gestaltetȱ sichȱ dieȱ Rekonstruktionȱ etwasȱ schwieriger,ȱ daȱ fürȱ eineȱ Missionȱ aufȱ Kretaȱ weitereȱBelegeȱfehlen.ȱHierȱgehtȱThiessenȱdaherȱsogarȱsoȱweit,ȱaufgrundȱderȱpostuȬ liertenȱ Zusammengehörigkeitȱ derȱ Pastȱ auchȱ historischeȱ Zusammenhängeȱ zwischenȱ Ephesusȱ undȱ Kretaȱ zuȱ vermuten.ȱ Vgl.ȱ zurȱ Tatsacheȱ einerȱ Adressierungȱ derȱ beidenȱ Timotheusbriefeȱ nachȱ Ephesusȱ undȱ desȱ Titusbriefesȱ nachȱ Kretaȱ auchȱ SCHLARB,ȱ Lehre,ȱbesondersȱ14–16.ȱȱ 217ȱȱ WEISER,ȱa.a.O.ȱ62f;ȱvgl.ȱdieȱKritikȱbeiȱHERZER,ȱKonsens,ȱ1275.ȱ

74ȱ

II.ȱȱEinȱForschungsüberblickȱ

Nurȱ wenigȱ jüngerȱ alsȱ Roloffsȱ Kommentarȱ zumȱ erstenȱ Timotheusbriefȱ istȱ dieȱ Auslegungȱ desȱ Titusbriefesȱ durchȱ Jeromeȱ D.ȱ Quinnȱ inȱ derȱ AnȬ chorȱBible,ȱdieȱdenȱTitusbriefȱalsȱeineȱpseudepigraphischeȱSchriftȱinterȬ pretiertȱ–ȱinȱKontrastȱzuȱderȱinȱderȱgleichenȱReiheȱerschienenenȱKomȬ mentierungȱ derȱ Timotheusbriefeȱ durchȱ Lukeȱ T.ȱ Johnson,ȱ derȱ fürȱ dieȱ EchtheitȱderȱPastoralbriefeȱeintritt.218ȱ ȱ

2000ȱ erschienȱ inȱ derȱ Reiheȱ Eerdmansȱ Criticalȱ Commentaryȱ eineȱ KommentieȬ rungȱderȱbeidenȱTimotheusbriefeȱdurchȱJeromeȱQuinn,ȱwelcheȱursprünglichȱalsȱ ErgänzungȱseinesȱTituskommentarsȱgeplantȱwar,ȱaberȱerstȱpostumȱdurchȱWilȬ liamȱWackerȱvollendetȱwurde.ȱObwohlȱdieȱabgedruckteȱEinleitungȱmitȱderȱdesȱ älterenȱ Kommentarsȱ identischȱ ist,219ȱ folgtȱ dieȱ Kommentierungȱ anȱ manchenȱ PunktenȱanderenȱParametern.220ȱȱ ȱ

Quinnȱ gibtȱ zunächstȱ dieȱzuȱ denȱ Pastoralbriefenȱ erfassbarenȱ Datenȱ wiȬ der,ȱbevorȱerȱinȱeinemȱzweitenȱSchrittȱmöglicheȱHypothesenȱzurȱErkläȬ rungȱdiesesȱBefundesȱanführt.ȱDieȱDreizahlȱderȱBriefeȱwirdȱvonȱQuinnȱ alsȱ eineȱ derȱ literarischȬhistorischenȱ Situationȱ desȱ paulinischenȱ ChrisȬ tentumsȱgeschuldeteȱNotwendigkeitȱbegründet:ȱAlsȱdieȱPastȱEndeȱdesȱ 1.ȱ Jahrhundertsȱ vonȱ derȱ römischenȱ Gemeindeȱ verfasstȱ wordenȱ seien,221ȱ seienȱ dieȱ Briefeȱ desȱ Paulusȱ bereitsȱ gesammeltȱ wordenȱ undȱ hättenȱ aufȱ dieseȱ Weiseȱ überzeitlicheȱ Gültigkeitȱ erlangt;ȱ diesȱ habeȱ derȱ Verfasserȱ derȱ Pastȱ auchȱ fürȱ seinȱ Schriftencorpusȱ intendiert.222ȱ Daȱ dasȱ Präskriptȱ desȱ Titȱ wieȱ eineȱ Einleitungȱ inȱ dieȱ Gesamtsammlungȱ anmuteȱ undȱ ihrȱ Programmȱ entfalteȱ undȱ dieȱ Schlusspositionȱ desȱ 2Timȱ sichȱ ausȱ seinemȱ spezifischenȱ Genreȱ ergebe,ȱ trittȱ Quinnȱ fürȱ dieȱ Lesereihenfolgeȱ Titȱ –ȱ 1Timȱ –ȱ 2Timȱ ein.ȱ Soȱ werdeȱ gleichzeitigȱ dasȱ inȱ Römȱ 1,16ȱ formulierteȱ Programmȱ desȱ Paulusȱ („dieȱ Judenȱ zuerstȱ undȱ ebensoȱ dieȱ Griechen“)ȱ umgesetzt,ȱindemȱderȱdezidiertȱanȱjudenchristlicheȱGemeindenȱgerichȬ teteȱ Titusbriefȱ bewusstȱ demȱ stärkerȱ heidenchristlichȱ orientiertenȱ 1Timȱ vorgeordnetȱwordenȱsei.223ȱDaherȱwerdenȱdieȱbeidenȱAdressatenȱTimoȬ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 218ȱȱ QUINN,ȱ Titus.ȱHierȱwirdȱdieȱlukanischeȱVerfasserschaftȱderȱPastoralbriefeȱnurȱnochȱ alsȱ eineȱ vonȱ mehrerenȱ Möglichkeitenȱ genannt,ȱ währendȱ erȱ inȱ älterenȱ Werkenȱ nochȱ explizitȱ dafürȱ eingetretenȱ war,ȱ vgl.ȱ dazuȱ o.ȱ S.ȱ 47f.ȱ Vgl.ȱ zuȱ Johnsonȱ alsȱ einemȱ derȱ neuerenȱVertreterȱderȱAuthentizitätȱderȱSchreibenȱo.ȱS.ȱ39–42.ȱ 219ȱȱ AusȱdiesemȱGrundȱwirdȱauchȱaufȱeineȱausführlichereȱDarstellungȱauchȱdiesesȱKomȬ mentarsȱimȱRahmenȱdieserȱForschungsgeschichteȱverzichtet.ȱ 220ȱȱ Vgl.ȱdazuȱHERZER,ȱKonsens,ȱ1269.ȱ 221ȱȱ QUINN,ȱ Titus,ȱ 20,ȱ vermutet,ȱ dieȱ Gemeindeȱ habeȱ soȱ Paulusȱ alsȱ inȱ ihrerȱ Stadtȱ hingeȬ richtetenȱMärtyrerȱrehabilitierenȱwollen.ȱȱ 222ȱȱ Vgl.ȱa.a.O.ȱ19.ȱ 223ȱȱ A.a.O.ȱ 7.19f;ȱ soȱ auchȱ CAMPBELL,ȱ Elders,ȱ 180.ȱ Vgl.ȱ dieȱ Beschäftigungȱ mitȱ demȱ PräȬ skriptȱdesȱTitusbriefesȱuntenȱPunktȱIV.4.2.1ȱdieserȱArbeit.ȱ

2.ȱȱDasȱ20./21.ȱJahrhundertȱ

75ȱ

theusȱ undȱ Titusȱ folgerichtigȱ aufȱ ihreȱ „typicalȱ orȱ representativeȱ funcȬ tion“ȱ reduziert:224ȱ Titȱ repräsentiereȱ das,ȱ wasȱ Paulusȱ einerȱ sehrȱ jungenȱ Gemeindeȱzuȱsagenȱhabe,ȱwährendȱ1TimȱaufgrundȱseinerȱAdressierungȱ nachȱEphesusȱChiffreȱfürȱdenȱmissionarischenȱErfolgȱdesȱPaulusȱinȱderȱ Asiaȱ sei;ȱ 2Timȱ schließlichȱ steheȱ fürȱ dieȱ grundsätzlicheȱ Forderungȱ zurȱ Bewahrungȱ desȱ anvertrautenȱ Gutesȱ sowieȱ fürȱ dieȱ paulinischeȱ Missionȱ unterȱallenȱVölkern.225ȱȱ ȱ Alsȱgeradezuȱ‚klassisch‘226ȱkannȱdieȱKommentierungȱinȱdemȱ1994–1996ȱ veröffentlichtenȱ dreibändigenȱ Pastoralbriefekommentarȱ vonȱ Lorenzȱ Oberlinnerȱ bezeichnetȱ werden:ȱ Hierȱ bildetȱ derȱ pseudepigraphischeȱ Charakterȱ derȱ Pastȱ dieȱ „Voraussetzungȱ derȱ Interpretation“.227ȱ Dieȱ Frageȱ derȱ Verfasserschaftȱ wirdȱ zwarȱ imȱ Rahmenȱ derȱ Einleitungȱ diskutiert;ȱ unterȱHinweisȱaufȱdieȱ„SummierungȱderȱUnterschiede“ȱundȱaufgrundȱ desȱ „Gesamteindruck[s]“ȱ wirdȱ dieȱ Authentizitätȱ derȱ dreiȱ Schreibenȱ jedochȱ zurückgewiesen.228ȱ Ebensoȱ wirdȱ dieȱ Abfassungȱ derȱ dreiȱ Briefeȱ alsȱ einȱ zusammengehörendesȱ Corpusȱ zurȱ Grundlageȱ derȱ Auslegungȱ gemacht.ȱ Alsȱ Begründungȱ fürȱ Letzteresȱ dientȱ dieȱ „FunktionsbestimȬ mung“ȱderȱPastoralbriefeȱalsȱ„kirchenamtlicheȱLehrȬȱundȱMahnschreiȬ ben“.229ȱ Dassȱ 2Timȱ „ausȱ diesemȱ Rahmenȱ fälltȱ […],ȱ insofernȱ dieserȱ persönlicherȱgehaltenȱundȱalsȱeineȱArtȱTestamentȱdesȱvorȱseinemȱMarȬ tyriumȱ stehendenȱ Apostelsȱ Paulusȱ konzipiertȱ ist“,ȱ führeȱ dabeiȱ dazu,ȱ dassȱ dieȱ Pastȱ insgesamtȱ alsȱ „eineȱ Artȱ testamentarischeȱ Verfügung“230ȱ erschienen.ȱȱ ȱ

Alsȱ solcheȱ ‚testamentarischenȱ Mahnschreiben‘ȱ sprechenȱ dieȱ dreiȱ Briefeȱ nichtȱ mehrȱinȱeineȱkonkreteȱGemeindesituationȱhinein,ȱsondernȱsindȱ„stärkerȱgrundȬ sätzlichȱausgerichtet“.231ȱAusȱdiesemȱGrundȱwirdȱdieȱBezeichnungȱ„Brief“ȱvonȱ OberlinnerȱstetsȱinȱAnführungszeichenȱgesetzt,ȱumȱzuȱzeigen,ȱdassȱvonȱsolchenȱ eigentlichȱnichtȱmehrȱdieȱRedeȱseinȱkönne.ȱDasȱZielȱderȱPastȱistȱnachȱOberlinnerȱ dieȱBewahrungȱdesȱpaulinischenȱErbesȱdurchȱseineȱbewussteȱAnpassungȱanȱdieȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 224ȱȱ QUINN,ȱa.a.O.ȱ21.ȱ 225ȱȱ Ebd.ȱȱ 226ȱȱ SoȱdieȱEinschätzungȱu.a.ȱbeiȱWEISER,ȱ2Tim,ȱ29.ȱ 227ȱȱ OBERLINNER,ȱ 1Tim,ȱ XXII.ȱ Vgl.ȱ dazuȱ auchȱ dieȱ Kritikȱ beiȱ FRENSCHKOWSKI,ȱ PaulusȬ schule,ȱ254.ȱ 228ȱȱ OBERLINNER,ȱ a.a.O.ȱ XXXIVff,ȱ beideȱ Zitateȱ XXXIX;ȱ vgl.ȱ dieȱ Kritikȱ anȱ einerȱ Strategieȱ derȱkumulativenȱPlausibilitätȱbeiȱHERZER,ȱKonsens,ȱ1270.ȱȱ 229ȱȱ OBERLINNER,ȱa.a.O.ȱXXVI.ȱ 230ȱȱ Ders.,ȱPaulus,ȱ187.ȱ 231ȱȱ Ders.,ȱ1Tim,ȱXXIV.ȱ

76ȱ

II.ȱȱEinȱForschungsüberblickȱ

veränderteȱ Situation:ȱ „Fürȱ dieȱ Pastȱ istȱ ‚Kontinuität‘ȱ derȱ Verkündigungȱ nichtȱ gleichbedeutendȱmitȱ‚Identität‘.“232ȱȱ ȱ

Auchȱ wennȱdieȱ Entstehungsreihenfolgeȱ derȱ dreiȱSchreibenȱ nichtȱ mehrȱ zuȱ rekonstruierenȱ seiȱ undȱ aufgrundȱ derȱ Wirkintentionȱ alsȱ Corpusȱ „letztlichȱfürȱdieȱInterpretationȱbelanglos“ȱbleibe,ȱwerdeȱdeutlich,ȱdassȱ 2Timȱ „alsȱ eineȱ Artȱ testamentarischerȱ Abschlussȱ gestaltetȱ istȱ undȱ desȬ halbȱ inȱ derȱ Intentionȱ desȱ Verfassersȱ auchȱ denȱ Abschlußȱ desȱ Corpusȱ darstellenȱ soll.“233ȱ Daraufȱ aufbauendȱ benenntȱ Oberlinnerȱ imȱ Rahmenȱ desȱ erstenȱ Kommentarbandesȱ Titȱ –ȱ 1Timȱ –ȱ 2Timȱ alsȱ intendierteȱ LeseȬ reihenfolge,234ȱsprichtȱsichȱaberȱimȱzweitenȱBandȱseinerȱAuslegungȱfürȱ eineȱMittelstellungȱdesȱ2Timȱaus,ȱdieȱdieserȱalsȱsowohlȱaufȱTitȱalsȱauchȱ aufȱ 1Timȱ bezogeneȱ Abschiedsredeȱ mitȱ brieflichemȱ Rahmen235ȱ einȬ nehme,ȱundȱkommentiertȱfolgerichtigȱdieȱBriefeȱinȱderȱ–ȱangeblichȱvomȱ PastȬVerfasserȱ tatsächlichȱ intendiertenȱ –ȱ kanonischȱ gewordenenȱ ReiȬ henfolge.236ȱȱ EineȱBegründungȱfürȱdieȱDreizahlȱwirdȱvonȱOberlinnerȱselbstȱzwarȱ fürȱ nötigȱ erachtetȱ –ȱ „Dieȱ Tatsache,ȱ daßȱ zweiȱ derȱ ‚Briefe‘ȱ anȱ denselbenȱ Adressatenȱ gerichtetȱ sindȱ undȱ gleichzeitigȱ dochȱ erheblicheȱ UnterȬ schiedeȱaufweisen,ȱistȱgeradezuȱeineȱAufforderung,ȱnachȱdenȱGründenȱ dafürȱzuȱfragen.“237ȱ–,ȱverbleibtȱaberȱzuȱsehrȱimȱAllgemeinen,ȱalsȱdassȱ sieȱ fürȱ eineȱ Interpretationȱ fruchtbarȱ gemachtȱ werdenȱ könnte:ȱ „Dieȱ Dreizahlȱderȱ‚Briefe‘ȱsollteȱwohlȱdieȱBedeutungȱundȱdasȱGewichtȱdiesesȱ apostolischenȱVermächtnissesȱunterstreichen.“238ȱ ȱ Dieȱ2004ȱerschieneneȱMonographieȱvonȱAnnetteȱMerzȱkannȱalsȱexegetiȬ scheȱ Umsetzungȱ undȱ grundlegendeȱ literaturtheoretischeȱ Begründungȱ derȱ vonȱ Trummerȱ begründetenȱ Sichtȱaufȱ dieȱPastoralbriefeȱ gelten.ȱ BeȬ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 232ȱȱ A.a.O.ȱXLIIff,ȱZitatȱXLV.ȱ 233ȱȱ Ebd.,ȱbeideȱZitateȱXLII.ȱ 234ȱȱ Ebd.ȱȱ 235ȱȱ SoȱdieȱCharakterisierungȱbeiȱders.,ȱ2Tim,ȱ2.ȱInȱdieserȱMittelstellungȱdesȱ2TimȱauffälȬ ligȱvomȱKonsensȱabweichend,ȱstimmtȱerȱdarinȱnurȱmitȱHOULDEN,ȱPastoralȱEpistles,ȱ 18,ȱüberein,ȱvgl.ȱdazuȱo.ȱS.ȱ61ȱAnm.ȱ147.ȱ 236ȱȱ AllerdingsȱgreiftȱhierȱdieȱKritikȱvonȱHERZER,ȱKonsens,ȱ1271,ȱzuȱkurz:ȱNichtȱdieȱintenȬ dierteȱLesereihenfolgeȱistȱlautȱOberlinnerȱ„belanglos“ȱ–ȱwasȱinȱderȱTatȱeinȱDesideratȱ seinesȱAnsatzesȱwäreȱ–ȱsondernȱdieȱAbfassungsreihenfolge,ȱdieȱinȱOberlinnersȱKonȬ zeptȱaufgrundȱderȱvomȱPastȬAutorȱbeabsichtigtenȱgemeinsamenȱRezeptionȱderȱdreiȱ SchreibenȱtatsächlichȱkeineȱRolleȱmehrȱspielt.ȱ 237ȱȱ OBERLINNER,ȱ2Tim,ȱ4,ȱvgl.ȱebd.ȱseinenȱausdrücklichenȱVerweisȱaufȱ V.ȱ LIPS’ȱBehaupȬ tung,ȱdieȱBriefeȱwürdenȱsichȱgeradeȱinȱihrerȱVerschiedenheitȱergänzen.ȱȱ 238ȱȱ Ders.,ȱ1Tim,ȱXXVII.ȱ

2.ȱȱDasȱ20./21.ȱJahrhundertȱ

77ȱ

reitsȱ derȱ Titelȱ „Dieȱ fiktiveȱ Selbstauslegungȱ desȱ Paulus“ȱ machtȱ dieȱ InȬ tentionȱderȱAutorinȱdeutlich,ȱdieȱPastoralbriefeȱinȱBezogenheitȱaufȱdasȱ Corpusȱ derȱ ProtoȬȱ undȱ Deuteropaulinenȱ zuȱ interpretierenȱ undȱ dabeiȱ nichtȱ nurȱ nachȱ ihremȱ historischen,ȱ sondernȱ v.a.ȱ nachȱ ihremȱ literarischenȱ Ortȱzuȱfragen.ȱProgrammatischȱkannȱMerzȱdieȱPastȱdaherȱalsȱ„Corpus,ȱ dasȱaufȱeinȱCorpusȱausgerichtetȱist“239,ȱbezeichnen.ȱUmȱdieseȱgrundleȬ gendeȱEinsichtȱfürȱdieȱPastȬExegeseȱfruchtbarȱzuȱmachen,ȱwertetȱMerzȱ –ȱalsȱNovumȱderȱPastoralbriefforschungȱ–ȱ„intertextualitätstheoretischeȱ Erkenntnisse“ȱinȱBezugȱaufȱdieseȱdreiȱSchreibenȱinȱihrerȱRelationȱzumȱ Corpusȱ Paulinumȱ aus.240ȱ Amȱ Beginnȱ derȱ Arbeitȱ stehenȱ deshalbȱ umȬ fangreicheȱ theoretischeȱ Vorüberlegungen,ȱ bevorȱ dieȱ Verknüpfungenȱ derȱ Pastȱ mitȱ ihremȱ literarischenȱ Umfeldȱ inȱ zweiȱ Richtungen241ȱ unterȬ suchtȱwerden.ȱ ȱ

Allenȱ pseudepigraphischenȱ Textsortenȱ istȱ derȱ konstitutiveȱ Bezugȱ aufȱ einenȱ literarischenȱ Prätextȱ gemeinsam,ȱ derȱ notwendigeȱ Voraussetzungȱ sowohlȱ derȱ ProduktionȱalsȱauchȱderȱRezeptionȱist.242ȱDassȱdiesȱdaherȱauchȱfürȱdieȱPastȱalsȱ pseudepigraphischesȱ Corpusȱ zutrifft,ȱ impliziertȱ zugleich,ȱ dassȱ sieȱ ihreȱ WirkȬ samkeitȱ nurȱ imȱ Rahmenȱ derȱ Gesamtheitȱ derȱ Paulusbriefeȱ (alsȱ ihresȱ literarischenȱ Prätextes)ȱ entfaltenȱ können.243ȱ Daherȱ handeltȱ esȱ sichȱ beiȱ paulinischerȱ PseudȬ epigraphieȱumȱeinȱ„konstitutivȱintertextuellȱstrukturiertesȱliterarischesȱVerfahȬ ren“244.ȱAusȱdiesemȱGrundȱentscheidetȱsichȱAnnetteȱMerzȱfürȱdieȱAnwendungȱ intertextualitätstheoretischerȱGrundlagenȱaufȱdieȱPastoralbriefe,ȱdaȱdiesȱerstȱdieȱ „klareȱ Einsichtȱ inȱ dieȱ Selbstpositionierungȱ derȱ Pastoralbriefeȱ innerhalbȱ derȱ Paulustradition“245ȱ ermögliche.ȱ Merzȱ unterscheidetȱ zwischenȱ mehrerenȱ ForȬ menȱintertextuellerȱVerweise,ȱwobeiȱspeziellȱfürȱdieȱPastȱv.a.ȱdieȱonomastischeȱ Intertextualitätȱ–ȱd.h.ȱdieȱüberȱimȱTextȱverwendeteȱNamenȱebensoȱwieȱüberȱdasȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 239ȱȱ MERZ,ȱSelbstauslegung,ȱ243.ȱ 240ȱȱ A.a.O.ȱ3.ȱVgl.ȱzurȱFrageȱnachȱUmfangȱundȱFormȱintertextuellerȱBezugnahmenȱauchȱ TSUJI,ȱIntertextualität,ȱ101–103.ȱ 241ȱȱ ZumȱeinenȱbeschreibtȱMerzȱdieȱaltkirchlicheȱVerwendungȱderȱPastȱalsȱPrätexteȱundȱ zumȱ anderenȱ nimmtȱ sieȱ ihreȱ Beziehungȱ aufȱ dieȱ ihnenȱ vorliegendenȱ paulinischenȱ PrätexteȱinȱdenȱBlick.ȱInȱRahmenȱdieserȱArbeitȱistȱv.a.ȱLetzteresȱvonȱInteresse.ȱ 242ȱȱ MERZ,ȱ Selbstauslegung,ȱ 223,ȱ vgl.ȱ dies.,ȱ Amoreȱ Pauli,ȱ 279.ȱ Dasȱ vonȱ Merzȱ mehrfachȱ herangezogeneȱ Werkȱ GENETTEs,ȱ Palimpsestes,ȱ verdeutlichtȱ diesȱ bereitsȱ durchȱ denȱ Untertitel,ȱ derȱ pseudepigraphischeȱ Texteȱ alsȱ „littératureȱ auȱ secondȱ degré“ȱ bezeichȬ net.ȱ 243ȱȱ Dieȱ jedochȱ vonȱ MERZ,ȱ Selbstauslegung,ȱ 235,ȱ alsȱ Beispielȱ fürȱ eineȱ regelmäßigeȱ LekȬ türeȱ derȱ Paulusbriefeȱ inȱ derȱ Pastgemeindeȱ herangezogenenȱ Textstellenȱ 2Timȱ 3,16ȱ undȱ 1Timȱ 4,13ȱ vermögenȱ dieseȱ Beweislastȱ m.E.ȱ nichtȱ zuȱ tragen.ȱ Zuȱ fragenȱ wäreȱ auch,ȱobȱesȱnichtȱausreichenȱwürde,ȱdieȱmündlichȱüberlieferteȱKenntnisȱderȱpauliniȬ schenȱTheologieȱvorauszusetzen.ȱ 244ȱȱ A.a.O.ȱ222.ȱ 245ȱȱ Dies.,ȱAmoreȱPauli,ȱ274.ȱ

78ȱ

II.ȱȱEinȱForschungsüberblickȱ

Adressatenpseudonymȱ erfolgendeȱ Anspielungȱ aufȱ dieȱ Prätexteȱ –ȱ sowieȱ dieȱ allusive,ȱ d.h.ȱ aufȱ Briefinhalteȱ bezogeneȱ Intertextualitätȱ eineȱ Rolleȱ spielen.246ȱ Hinzuȱtrittȱalsȱgrundlegende,ȱwennȱauchȱinȱderȱForschungȱnichtȱunumstritteneȱ FormȱvonȱIntertextualitätȱdieȱAufnahmeȱderȱGattungȱ„Apostelbrief“ȱdurchȱdieȱ Pastȱ alsȱ Systemreferenz.247ȱ Bedenkenswertȱ istȱ nachȱ Merzȱ auchȱ dieȱ allerdingsȱ nurȱ ‚idealtypische‘ȱ Unterscheidungȱ zwischenȱ derȱ vomȱ Autorȱ intendiertenȱ InȬ tertextualitätȱ undȱ derȱ darüberȱ hinausgehendenȱ latentenȱ Intertextualität,ȱ dieȱ jedemȱ Textȱ eignet.248ȱ Inȱ welchemȱ Umfangȱ dieȱ (intendierten)ȱ Bezügeȱ aufȱ denȱ Prätextȱ wahrgenommenȱ werden,ȱ istȱ zudemȱ abhängigȱ vonȱ derȱ vonȱ Merzȱ alsȱ „Allusionskompetenz“ȱbezeichnetenȱFähigkeitȱderȱLeser.249ȱ ȱ

Lautȱ Annetteȱ Merzȱ sindȱ dieȱ Pastȱ mitȱ demȱ Zielȱ verfasst,ȱ dieȱ protopauȬ linischenȱ Aussagenȱ durchȱ neueȱ Aussagenȱ zuȱ ergänzenȱ undȱ zuȱ korriȬ gieren,ȱ hinterȱ denenȱ ebenfallsȱ dieȱ Autoritätȱ desȱ Paulusȱ steht.ȱ Deshalbȱ präsentierenȱ sichȱ dieȱ Pastȱ imȱ Kontextȱ derȱ Protopaulinenȱ alsȱ „fiktivesȱ Selbstgesprächȱ desȱ Paulus“.250ȱ Dassȱ dieȱ Pastȱ alsȱ authentischeȱ PaulusȬ briefeȱgelesenȱwerdenȱwollen,ȱhatȱallerdingsȱEinflussȱnichtȱnurȱaufȱihreȱ Interpretation,ȱ sondernȱ auchȱ aufȱ dieȱ Rezeptionȱ desȱ Prätextes,ȱ dessenȱ Wahrnehmungȱ durchȱ dasȱ Hinzutretenȱ neuer,ȱ scheinbarȱ jaȱ ebenfallsȱ paulinischerȱ Aussagenȱ –ȱ Merzȱ kannȱ hierȱ vonȱ einerȱ „Modifikationȱ bisȱ hinȱzumȱWiderruf“251ȱsprechenȱ–ȱverändertȱwird.252ȱDiesȱmachtȱsichȱderȱ PastȬAutorȱgeschicktȱzunutze,ȱumȱdadurchȱbestimmteȱpaulinischeȱAusȬ sagenȱ inȱ seinemȱ Sinneȱ zuȱ korrigieren.ȱ Dieseȱ Beobachtungenȱ legenȱ esȱ nahe,ȱ dassȱ esȱ sichȱ beiȱ denȱ Pastȱ umȱ Dokumenteȱ einesȱ innerpaulinischenȱ Schuldiskursesȱ handelt.253ȱ Diesȱ impliziertȱ jedochȱ zugleich,ȱ dassȱ dieȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 246ȱȱ Vgl.ȱ dies.,ȱ Selbstauslegung,ȱ 22ff.ȱ Ebd.ȱ ergänztȱ sieȱ außerdemȱ dieȱ Möglichkeitȱ titulaȬ rer,ȱ d.h.ȱ überȱ dieȱ Anspielungȱ aufȱ Werktitelȱ erfolgendeȱ Intertextualitätȱ sowieȱ dieȱ MöglichkeitȱpseudointertextuellerȱVerweiseȱaufȱnurȱscheinbarȱexistierendeȱPrätexte.ȱȱ 247ȱȱ A.a.O.ȱ25f,ȱZitatȱ26;ȱvgl.ȱzuȱdieserȱvonȱPaulusȱgeprägtenȱneuenȱBriefgattungȱVOUGA,ȱ Brief,ȱ46–58.ȱ 248ȱȱ Vgl.ȱMERZ,ȱSelbstauslegung,ȱ29ff;ȱebd.ȱ34,ȱergänztȱsieȱnochȱdieȱMöglichkeitȱderȱ„kaȬ schierte[n]ȱIntertextualität“ȱalsȱeineȱvomȱAutorȱintendierteȱundȱvonȱdenȱLesernȱmögȬ lichstȱ nichtȱ zuȱ erkennendeȱ Bezugnahmeȱ aufȱ denȱ Prätext,ȱ wofürȱ Merzȱ ausȱ derȱ neuȬ testamentlichenȱTraditionȱaufȱdasȱsynoptischeȱProblemȱverweist.ȱ 249ȱȱ A.a.O.ȱ60.ȱ 250ȱȱ A.a.O.ȱ383.ȱDies.,ȱAmoreȱPauli,ȱ281,ȱkannȱ solcheȱ fiktivenȱSelbstreferenzenȱsogarȱalsȱ „Geheimwaffe“ȱderȱPseudepigraphieȱbezeichnen.ȱ 251ȱȱ Dies.,ȱAmoreȱPauli,ȱ283.ȱ 252ȱȱ Dies.,ȱSelbstauslegung,ȱ378,ȱhatȱ esȱsichȱdaherȱzumȱZielȱgesetzt,ȱ nichtȱ nurȱ derȱersteȬ ren,ȱtextorientiertenȱFunktionȱvonȱIntertextualität,ȱsondernȱauchȱderȱreferenztextoriȬ entiertenȱFunktionȱnachzuspüren.ȱ 253ȱȱ A.a.O.ȱ218f,ȱverweistȱMerzȱhierfürȱaußerdemȱaufȱdieȱsorgfältigȱkonzipierteȱdoppelteȱ PseudepigraphieȱderȱdreiȱSchreiben.ȱ

2.ȱȱDasȱ20./21.ȱJahrhundertȱ

79ȱ

Pastoralbriefeȱ alsȱ „polemischeȱ Äußerungenȱ einesȱ Flügelsȱ derȱ PaulusȬ schule“ȱwahrgenommenȱwerdenȱmüssen254ȱundȱalsoȱihrȱVersuch,ȱPauȬ lusȱgegenȱPaulusȱsprechenȱzuȱlassen,ȱalsȱ„heikelsteȱFormȱderȱVerwenȬ dungȱ vonȱ Pseudepigraphie“255ȱ zuȱ beurteilenȱ ist.ȱSelbstȱ wennȱ derȱ PastȬ VerfasserȱinȱdemȱgutenȱGlaubenȱgehandeltȱhabe,ȱdasȱwahreȱPauluserbeȱ aufȱseinerȱSeiteȱzuȱwissen,ȱsoȱerweiseȱsichȱdochȱ„[d]ieȱWahlȱderȱpseudȬ epigraphenȱ Briefgattungȱ […]ȱ inȱ dieserȱ Konstellationȱ alsȱ Mittelȱ zurȱ Durchsetzungȱ einerȱ theologischenȱPosition,ȱ derenȱ Kontinuitätȱzuȱ PauȬ lusȱ geradeȱ umstrittenȱ ist.“256ȱ Dieseȱ Janusköpfigkeitȱ derȱ Pastȱ giltȱ esȱ inȱ derȱ exegetischenȱ Forschungȱ ernstȱ zuȱ nehmen:ȱ Dieȱ Pastȱ wollenȱ zumȱ einenȱ vonȱ ihrenȱ Lesernȱ alsȱ paulinischeȱ Texteȱ wahrgenommenȱ werȬ den,257ȱ müssenȱ jedochȱ zumȱ anderenȱ vonȱ derȱ kritischenȱ Forschungȱ aufȱ demȱHintergrundȱihrerȱtatsächlichenȱpseudepigraphischenȱEntstehungȱ interpretiertȱwerden258ȱundȱesȱsichȱ–ȱschonȱdeshalb,ȱweilȱsieȱfürȱPaulusȱ sprechenȱwollenȱ–ȱgefallenȱlassen,ȱanȱdiesemȱgemessenȱzuȱwerden.259ȱ ȱ

Amȱ Beispielȱ einigerȱ ausgewählterȱ Texteȱ entfaltetȱ Annetteȱ Merzȱ dieȱ neuenȱ InȬ terpretationsräume,ȱ dieȱ dieȱ Lektüreȱ derȱ Pastȱ alsȱ scheinbarȱ authentischer,ȱ tatȬ sächlichȱ aberȱ pseudepigraphischerȱ Schriftenȱ imȱ intertextuellenȱ Bezugȱ aufȱ dasȱ CorpusȱPaulinumȱbietet.ȱDerȱSchwerpunktȱliegtȱdabeiȱaufȱ1Tim,ȱdessenȱPositiȬ onierungȱbezüglichȱdesȱAuftretensȱvonȱFrauenȱinȱderȱGemeindeȱ(1Timȱ2,9–3,1)ȱ sowieȱdessenȱHaltungȱzurȱSklavereiȱ(1Timȱ6,1–5;ȱhierȱwirdȱauchȱTitȱ2,9fȱheranȬ gezogen)ȱbeleuchtetȱwird.ȱ ȱ

ZielȱderȱPastȱistȱesȱnachȱAnnetteȱMerz,ȱdieȱpaulinischeȱLehreȱinȱeinȱdemȱ Staatȱ gegenüberȱ Loyalitätȱ garantierendesȱ Gewandȱ zuȱ kleiden260ȱ bzw.ȱ dieȱ paulinischenȱ Aussagenȱ zurȱ Eschatologieȱ gegenȱ konkurrierendeȱ Flügelȱ derȱ paulinischenȱ Schuleȱ imȱ Sinneȱ futurischerȱ Eschatologieȱ zuȱ vereindeutlichen.ȱZielȱderȱPastȱseiȱesȱallerdingsȱnichtȱnur,ȱdieȱpauliniȬ schenȱ Aussagenȱ inȱ dieserȱ Richtungȱ auszulegen,ȱ sondernȱ derȱ eigenenȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 254ȱȱ A.a.O.ȱ386.ȱ 255ȱȱ A.a.O.ȱ221.ȱ 256ȱȱ A.a.O.ȱ214.ȱ 257ȱȱ DieȱMöglichkeit,ȱdassȱesȱsichȱbeiȱdenȱPastȱumȱoffeneȱPseudepigraphieȱhandelt,ȱwirdȱ vonȱMerzȱabgelehnt;ȱvgl.ȱdazuȱauchȱdenȱForschungsüberblickȱa.a.O.ȱ195ff.ȱ 258ȱȱ Vgl.ȱ dies.,ȱ Amoreȱ Pauli,ȱ 278,ȱ sowieȱ dies.,ȱ Selbstauslegung,ȱ 242.ȱ Daȱ jedochȱ dieseȱ „Gleichzeitigkeitsbehauptung“ȱ bisherȱ nichtȱ hinreichendȱ beachtetȱ wurde,ȱ konntenȱ nichtȱ alleȱ Wirknuancenȱ dieserȱ Briefeȱ erfasstȱ werden;ȱ vgl.ȱ dies.,ȱ Amoreȱ Pauli,ȱ 277f,ȱ Zitatȱ277.ȱ 259ȱȱ Vgl.ȱdazuȱdies.,ȱSelbstauslegung,ȱ384–387.ȱEbd.ȱ384f,ȱwendetȱsieȱsichȱgegenȱeineȱ„Artȱ nachkritischerȱ Naivität“,ȱ wieȱ sieȱ z.B.ȱ CHILDS,ȱ Canon,ȱ 384ff,ȱ vertritt,ȱ wonachȱ derȱ kaȬ nonischeȱPaulusȱzurȱmaßgeblichenȱGrößeȱwird.ȱ 260ȱȱ Vgl.ȱMERZ,ȱAmoreȱPauli,ȱ286f.ȱ

80ȱ

II.ȱȱEinȱForschungsüberblickȱ

Interpretationȱ dauerhaftereȱ Gültigkeitȱ zuȱ verleihenȱ alsȱ diesȱ fürȱ dieȱ TheologumenaȱderȱprotopaulinischenȱGelegenheitsschreibenȱgilt.ȱDazuȱ wähltȱderȱPastȬAutorȱbewusstȱdieȱFormȱdesȱMitarbeiterbriefes,ȱdessenȱ Inhalteȱ zudemȱ durchȱ denȱ Begriffȱ derȱ paraqh,kh261ȱ sowieȱ dieȱ universaleȱ ekklesiologischeȱ Aussageȱ inȱ 1Timȱ 3,15ȱ räumlichȱ undȱ zeitlichȱ entȬ schränktȱwerden.262ȱȱ Annetteȱ Merz’ȱ Monographieȱ kannȱ insofernȱ alsȱ Weiterentwicklungȱ derȱ bisherigenȱ PastȬExegeseȱ gelten,ȱ alsȱ sieȱ nichtȱ nurȱ dieȱ pseudepigraȬ phischeȱ Abfassungȱ derȱ dreiȱ Schreiben,ȱ sondernȱ auchȱ ihreȱ Konzeptionȱ alsȱ Corpusȱ ohneȱ weitereȱ Begründungȱ zurȱ Grundlageȱ ihrerȱ InterpretaȬ tionȱ macht.ȱ Diesȱ führtȱ allerdingsȱ dazu,ȱ dassȱ vieleȱ bisherȱ offenȱ geblieȬ beneȱFragenȱgarȱnichtȱmehrȱimȱBlickȱsind.ȱProblematischȱistȱaußerdem,ȱ dassȱ derȱ vonȱ ihrȱ vorausgesetzteȱ engeȱ intentionaleȱ Bezugȱ derȱ Pastȱ aufȱ dasȱunsȱvorliegendeȱCorpusȱPaulinumȱnichtȱzuȱbeweisenȱistȱundȱdaherȱ spekulativȱ bleibenȱ muss.ȱ Obȱ ihreȱ Interpretationȱ daherȱ denȱ dreiȱ Pastȱ gerechtȱwird,ȱmussȱfraglichȱbleiben.ȱ

2.3.4ȱȱDieȱPastoralbriefeȱalsȱBriefromanȱ Derȱ neuesteȱ Ansatzȱ einerȱ Lektüreȱ derȱ Pastoralbriefeȱ alsȱ einesȱ Corpusȱ stammtȱvonȱTimoȱGlaser:ȱGlaserȱstelltȱdar,ȱdassȱdieȱPast,ȱwennȱsieȱeineȱ zusammengehörigeȱBriefgruppeȱbilden,ȱdannȱauchȱinȱeinerȱbestimmtenȱ Reihenfolgeȱ gelesenȱ werdenȱ wollen,263ȱ undȱ begreiftȱ sieȱ deshalbȱ nichtȱ nurȱalsȱintentionalȱzusammengehörigeȱBriefsammlung,ȱsondernȱverstehtȱ sieȱ alsȱ fortlaufendeȱ Erzählung,ȱ alsoȱ alsȱ Briefroman.ȱ Dadurchȱ ordnetȱ Glaserȱ dieseȱ dreiȱ Paulusbriefeȱ inȱ denȱ Kontextȱ antikerȱ Erzählliteraturȱ insgesamtȱeinȱundȱhofftȱdadurchȱzuȱeinerȱderȱVerfasserintentionȱangeȬ messenerenȱInterpretationȱzuȱgelangen.ȱ ȱ

Glaserȱbetont,ȱdassȱerȱdabeiȱdurchausȱaufȱältereȱForschungsansätzeȱzuȱdenȱPasȬ toralbriefenȱ zurückgreifenȱ könne,ȱ dieȱ bereitsȱ aufȱ „dasȱ narrativeȱ Potenzial“264ȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 261ȱȱ DieserȱTerminusȱspieltȱnichtȱnurȱ imȱTestamentȱdesȱPaulusȱeineȱzentraleȱRolle,ȱsonȬ dernȱ bindetȱ diesesȱ auchȱ mitȱ 1Timȱ zusammen,ȱ soȱ dassȱ auchȱ derȱ längsteȱ Pastȱ unterȱ demȱAnspruchȱsteht,ȱdauerhaftȱGültigesȱzuȱsagen.ȱ 262ȱȱ Vgl.ȱ MERZ,ȱ Amoreȱ Pauli,ȱ 284f.ȱ Dies.,ȱ Selbstauslegung,ȱ 240–242,ȱ verweistȱ darüberȱ hinausȱ aufȱ dieȱ Vervollständigungȱ derȱ geographischenȱ Angabenȱ derȱ Protopaulinenȱ durchȱ dieȱ zahlreichenȱ inȱ denȱ Pastȱ zuȱ findendenȱ Ortsnamen.ȱ Aufȱ dieseȱ Weiseȱ solleȱ dieȱweltweiteȱGültigkeitȱdesȱpaulinischenȱVermächtnissesȱgarantiertȱwerden.ȱ 263ȱȱ DieseȱFrageȱwurdeȱdaherȱbereitsȱvorȱGlasersȱMonographieȱdiskutiert,ȱjedochȱbisherȱ nochȱnichtȱletztgültigȱentschieden.ȱȱ 264ȱȱ GLASER,ȱBriefroman,ȱ18.ȱ

2.ȱȱDasȱ20./21.ȱJahrhundertȱ

81ȱ

derȱ Pastȱ aufmerksamȱ gemachtȱ hätten:ȱ Soȱ habeȱ zumȱ einenȱ Jeromeȱ Quinnȱ dieȱ PastoralbriefeȱalsȱdrittenȱTeilȱderȱlukanischenȱTrilogieȱundȱdamitȱalsȱAbschlussȱ einesȱ Erzählwerkesȱ gelesen265ȱ undȱ hätteȱ zumȱ anderenȱ Dennisȱ MacDonaldȱ versucht,ȱ dieȱ dreiȱ Schreibenȱ inȱ Bezugȱ zuȱ denȱ ebenfallsȱ alsȱ Erzählwerkȱ konzipiertenȱPaulusȬȱundȱTheklaaktenȱzuȱsetzen.266ȱȱ Richardȱ Pervoȱ schließlichȱ istȱ es,ȱ derȱ dieȱ Pastoralbriefeȱ –ȱ aufgrundȱ einesȱ Vergleichsȱ mitȱ denȱ SokratikerȬȱ undȱ denȱ Chionbriefenȱ –ȱ alsȱ Ersterȱ explizitȱ alsȱ Briefromanȱ(„EpistolaryȱNovel“)ȱbezeichnet.267ȱErȱkommtȱzuȱdemȱErgebnis:ȱDieȱ Pastoralbriefeȱ inȱ derȱ vomȱ Verfasserȱ intendiertenȱ Lesereihenfolgeȱ Titȱ –ȱ 1Timȱ –ȱ 2Tim268ȱsindȱ„aȱpseudonymous,ȱhistoricalȱworkȱthatȱtellsȱaȱcoherentȱstoryȱandȱ focusesȱuponȱcharacterȱformationȱthroughȱtheȱpromulgationȱofȱaȱmoral,ȱideoloȬ gicalȱmessage“.269ȱ ȱ

Zwarȱ betontȱ Glaserȱ mehrfachȱ undȱ m.E.ȱ zuȱ Recht,ȱ dassȱ esȱ „[a]ufȱ denȱ erstenȱ Blick“ȱ schwerfalle,ȱ „romanhafteȱ Züge,ȱ eineȱ durchgängigeȱ Handlungȱ oderȱ dieȱ konsistenteȱ Entwicklungȱ einerȱ oderȱ mehrererȱ PerȬ son/enȱzuȱerkennen.“270ȱDiesȱliegeȱjedoch,ȱsoȱGlaserȱinȱAufnahmeȱeinesȱ Diktumsȱ vonȱ Baur,ȱ anȱ derȱ „embryonalenȱ Narrativitätȱ vonȱ Briefen“271.ȱ Daherȱ warntȱ Glaserȱ davor,ȱ dieȱ Pastȱ mitȱ einemȱ modernenȱ „narrativenȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 265ȱȱ Vgl.ȱzuȱJeromeȱQuinnsȱPositionȱo.ȱS.ȱ74f.ȱGLASER,ȱebd.ȱAnm.ȱ19,ȱnenntȱweitereȱBeiȬ spieleȱfürȱeinenȱsolchenȱ„Briefappendix“ȱ(Zitatȱebd.)ȱalsȱAbschlussȱantikerȱWerke.ȱ 266ȱȱ GLASER,ȱ ebd.;ȱ vgl.ȱ speziellȱ zuȱ dieserȱ Frageȱ u.ȱ S.ȱ 366ȱ Anm.ȱ 12.ȱ Darüberȱ hinausȱ verȬ weistȱGlaserȱebd.ȱaufȱFIORE,ȱFunction,ȱ128–132,ȱderȱdieȱPastȱmitȱdenȱSokratikerbrieȬ fenȱvergleichtȱundȱsoȱbereitsȱansatzweiseȱinȱdieȱRichtungȱBriefromanȱweise.ȱ ȱ ȱ Auchȱ darüberȱ hinausȱ findenȱ sichȱ beiȱ einzelnenȱ Exegetenȱ Ansätzeȱ zuȱ einerȱ Interpretationȱ derȱ Pastȱ alsȱ Erzählung,ȱ ohneȱ dassȱ diesȱ bisherȱ zwingendȱ mitȱ einemȱ festenȱ Gattungsbegriffȱ desȱ Briefromansȱ verbundenȱ werdenȱ musste.ȱ Soȱ behauptetȱ HÄFNER,ȱ Konstrukt,ȱ 272fȱ (vgl.ȱ a.a.O.ȱ 273:ȱ keinȱ „Briefromanȱ imȱ eigentlichenȱ Sinn“;ȱ vgl.ȱzuȱdieserȱFrageȱauchȱders.,ȱSchrift,ȱ12),ȱinȱdenȱBriefenȱ–ȱgelesenȱinȱderȱReihenȬ folgeȱ1Timȱ–ȱTitȱ–ȱ2Timȱ–ȱeineȱBewegungȱvonȱOstȱnachȱWestȱzuȱerkennen,ȱundȱverȬ suchtȱ ausȱ derȱ Erwähnungȱ desȱ kommendenȱ Wintersȱ inȱ Titȱ undȱ 2Timȱ eineȱ fortlauȬ fendeȱErzählungȱzuȱkonstruieren.ȱ 267ȱȱ Vorausgegangenȱ warenȱ eherȱ vorsichtigeȱ Formulierungenȱ wieȱ dieȱ (offenȱ bleibende)ȱ FrageȱbeiȱALAND,ȱProblem,ȱ33,ȱobȱnichtȱ dieȱPastȱ„eineȱfrüheȱStufe“ȱfrühchristlicherȱ „Romanschriftstellerei“ȱdarstellen.ȱȱ 268ȱȱ DieseȱintendierteȱLesereihenfolgeȱbegründetȱPERVO,ȱStone,ȱ36,ȱmitȱdemȱauffälligȱlanȬ genȱTitȬPräskriptȱsowieȱderȱHandschriftenüberlieferungȱimȱKanonȱMuratoriȱundȱimȱ CodexȱClaromontanus.ȱ 269ȱȱ A.a.O.ȱ 36.ȱ A.a.O.ȱ 29f,ȱ benenntȱ Pervoȱ folgendeȱ Merkmale,ȱ dieȱ einenȱ Briefromanȱ auszeichnenȱmüssen:ȱpseudonymousȱbyȱnatureȱ–ȱhistoricalȱinȱsettingȱ–ȱcharacteroloȬ gicalȱ inȱ orientationȱ –ȱ philosophicalȱ /ȱ moralȱ inȱ aimȱ –ȱ integrityȱ andȱ coherenceȱ asȱ aȱ bodyȱ–ȱpresentȱaȱnarrative.ȱ 270ȱȱ GLASER,ȱBriefroman,ȱ16.ȱ 271ȱȱ A.a.O.ȱ17,ȱunterȱVerweisȱaufȱeineȱAussageȱBAURs,ȱPaulusȱII,ȱ93,ȱüberȱdenȱ(ausȱdessenȱ Sichtȱpseudepigraphischen)ȱPhlm.ȱ

82ȱ

II.ȱȱEinȱForschungsüberblickȱ

Vorverständnis[.]“272ȱ zuȱ lesen,ȱ undȱ fordertȱ stattdessenȱ dazuȱ auf,ȱ sichȱ beiȱ derȱ Lektüreȱ einesȱ Briefromansȱ aufȱ dieȱ „narrative[.]ȱ Grundfiktion“ȱ einerȱ realȱ geführtenȱ Korrespondenzȱ einzulassen,273ȱ daȱ esȱ durchȱ dieȱ dezidierteȱInterpretationȱderȱPastoralbriefeȱalsȱBriefromanȱmöglichȱsei,ȱ einigeȱDesiderateȱderȱbisherigenȱForschungȱzuȱlösenȱundȱsoȱzuȱeinemȱ besserenȱVerständnisȱderȱdreiȱSchreibenȱinsgesamtȱzuȱgelangen.274ȱ Dieserȱ methodischeȱ Ansatzȱ Glasersȱ setztȱ jedochȱ dieȱ keineswegsȱ unumstritteneȱ Annahmeȱ voraus,ȱ dassȱ dieȱ Antikeȱ eineȱ Gattungȱ „BriefȬ roman“ȱüberhauptȱgekanntȱhat.ȱȱ ȱ

Einenȱ großȱ angelegtenȱ „Versuchȱ einerȱ Gattungstypologie“ȱ desȱ antikenȱ BriefȬ romansȱunternahmȱ1994ȱHolzberg,275ȱderȱdieseȱGattungȱaufgrundȱvonȱErzählȬ struktur,ȱ Stoffbehandlungȱ undȱ Motivikȱ zuȱ beschreibenȱ suchte:ȱ Soȱ zeichnetenȱ sichȱ Briefromaneȱ durchȱ eineȱ fortlaufendeȱ Erzählstrukturȱ beiȱ gleichzeitigerȱ Anwendungȱ sukzessiverȱ Enthüllungsstrategienȱ sowieȱ dasȱ Vorkommenȱ beȬ stimmterȱMotiveȱaus.276ȱ Allerdingsȱ benenntȱ dieȱ Antikeȱ wederȱ fürȱ denȱ Briefȱ nochȱ fürȱ denȱ Romanȱ umfassendeȱGattungskriterien,277ȱwasȱauchȱGlaserȱselbstȱdazuȱnötigt,ȱinȱBezugȱ aufȱ Letzteresȱ vonȱ einerȱ „Hybridgattung“ȱ zuȱ sprechen.278ȱ Diesȱ führtȱ beiȱ demȱ Versuch,ȱeineȱantikeȱGattungȱ„Briefroman“ȱzuȱbeschreiben,ȱnotwendigȱzuȱApoȬ rien,ȱ denenȱ dieȱ Forschungȱ bisherȱ dadurchȱ zuȱ begegnenȱ suchte,ȱ dassȱ sieȱ moȬ derneȱ Texteȱ wieȱ etwaȱ Goethesȱ Wertherȱ undȱ andereȱ alsȱ „interpretatorischenȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 272ȱȱ GLASER,ȱBriefroman,ȱ273.ȱ 273ȱȱ A.a.O.ȱ201.ȱ 274ȱȱ A.a.O.ȱ26ff,ȱstelltȱGlaserȱfolgendeȱbisherȱnichtȱhinreichendȱbeachteteȱFragen:ȱWelcheȱ LesestrategieȱsetzenȱdieȱPastoralbriefeȱvoraus?ȱWelcheȱFunktionȱhabenȱdieȱpersönliȬ chenȱNotizen?ȱWiesoȱhandeltȱesȱsichȱbeiȱdenȱPastȱumȱeineȱMehrzahlȱvonȱBriefen,ȱdieȱ anȱjeweilsȱunterschiedlichenȱOrtenȱinȱderȱPaulusbiographieȱverankertȱwerden?ȱ 275ȱȱ HOLZBERG,ȱBriefroman,ȱ1ȱ (Zitat).ȱErȱbleibtȱjedochȱa.a.O.ȱ2–5,ȱZitatȱ5ȱu.ö.,ȱinȱderȱTatȱ demȱ vonȱ GLASER,ȱ Briefroman,ȱ 42ff,ȱ herausgearbeitetenȱ Desideratȱ derȱ bisherigenȱ Briefromanforschungȱverhaftet,ȱwennȱerȱseineȱGattungstypologieȱausȱderȱmodernenȱ DefinitionȱdesȱantikenȱhistorischenȱRomansȱherausarbeitetȱundȱbehauptet,ȱdassȱderȱ antikeȱ Leserȱ umȱ dieseȱ Zusammenhängeȱ gewusstȱ habeȱ undȱ eineȱ „nachträglich[e]“ȱ Gattungsbenennungȱdaherȱgerechtfertigtȱsei.ȱȱ 276ȱȱ Dieseȱ Gattungsbestimmungȱ willȱ Glaserȱ mitȱ einigenȱ Modifikationenȱ bzw.ȱ ErweiterȬ ungenȱ(vgl.ȱdazuȱGLASER,ȱ a.a.O.ȱ325)ȱauchȱaufȱdieȱPastoralbriefeȱübertragen;ȱkritischȱ demgegenüberȱLUCHNER,ȱBriefroman,ȱ265f.ȱ 277ȱȱ Vgl.ȱ dazuȱ grundlegendȱ LUCHNER,ȱ a.a.O.ȱ 234f,ȱ mitȱ weiterführenderȱ Literatur:ȱ BeȬ züglichȱderȱGattungȱBriefȱseiȱmanȱaufȱAugustinsȱvielȱzitiertesȱDiktumȱ„habetȱquisȱadȱ quemȱscribat“ȱverwiesen,ȱwährendȱdieȱAntikeȱfürȱdenȱRomanȱnichtȱeinmalȱdenȱBeȬ griffȱkenne,ȱ„geschweigeȱdenn,ȱdassȱunsȱAnweisungenȱzurȱAbfassungȱoderȱgarȱtheoȬ retischeȱÜberlegungenȱzurȱGattungȱvorlägen“ȱ(235).ȱVgl.ȱdazuȱauchȱHERZER,ȱFiktion,ȱ 519f.ȱ 278ȱȱ GLASER,ȱBriefroman,ȱ33.ȱ

2.ȱȱDasȱ20./21.ȱJahrhundertȱ

83ȱ

Referenzrahmen“ȱfürȱdieȱEinordnungȱauchȱantikerȱWerkeȱverwendete.279ȱÜberȬ hauptȱwirdȱdeutlich,ȱ„dassȱsichȱinȱderȱForschungȱderȱWilleȱzuȱeinerȱvomȱantiȬ kenȱ Autorȱ angestrebtenȱ einheitlichenȱ Intentionȱ hinterȱ denȱ Sammlungenȱ langeȱ vorȱ einerȱ systematischenȱ Untersuchungȱ allerȱ unsȱ erhaltenenȱ Texteȱ etabliertȱ hatte“.280ȱImȱHintergrundȱstandȱdasȱInteresseȱderȱForschung,ȱantikeȱBriefsammȬ lungenȱalsȱpseudepigraphischeȱTexteȱmitȱeinerȱeinheitlichenȱAussageintentionȱ zuȱbeschreiben.281ȱ ȱ

ZwarȱversuchtȱGlaser,ȱdiesesȱgattungstheoretischeȱProblemȱdurchȱdenȱ Hinweisȱ aufȱ dieȱ angeblicheȱ „Diversitätȱ derȱ Gattung“282ȱ sowieȱ durchȱ denȱ Verweisȱ aufȱ dieȱ Wittgensteinscheȱ „Konzeptionȱ vonȱ FamilienähnȬ lichkeiten“283ȱ zuȱ lösen,ȱ dochȱ kannȱ erȱ selbstȱ nurȱ zuȱ einerȱ soȱ breitenȱ Definitionȱdessenȱkommen,ȱwasȱdenȱBriefromanȱalsȱeinȱ„proteusartigesȱ Genus“284ȱ auszeichne,ȱ dassȱ fraglichȱ bleibenȱ muss,ȱ wasȱ diesȱ fürȱ eineȱ BeschäftigungȱmitȱdenȱPastoralbriefenȱaustragenȱkann:ȱ„AlsȱBriefromanȱ seiȱeinȱTextȱverstanden,ȱinȱdemȱBriefeȱdasȱprimäreȱMediumȱzumȱAufȬ bauȱeinerȱGeschichteȱbilden.“285ȱWederȱseiȱdabeiȱjedochȱfestgelegt,ȱwieȱ BriefȱundȱErzählungȱzuȱkombinierenȱseien,ȱnochȱseienȱinhaltlicheȱAusȬ sagenȱmöglichȱ–ȱvielmehrȱgelte:ȱ„WennȱmanȱeinenȱBriefromanȱliest,ȱsoȱ weißȱ man,ȱ dassȱ manȱ einenȱ liest,ȱ ohneȱ zuȱ wissen,ȱ dassȱ manȱ einenȱ liest.“286ȱ ȱ

DiesesȱletzteȱZitatȱlässtȱeineȱMöglichkeitȱanklingen,ȱdieȱinȱGlasersȱArbeitȱimmerȱ wiederȱ aufscheint,ȱ ohneȱ explizitȱ thematisiertȱ zuȱ werden:ȱ Soȱ deutetȱ Glaserȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 279ȱȱ Soȱa.a.O.ȱ42;ȱvgl.ȱzuȱdiesemȱmethodischenȱVorgehenȱa.a.O.ȱ42ff;ȱvgl.ȱdazuȱauchȱdieȱ DarstellungȱHolzbergsȱinȱAnm.ȱ275.ȱDassȱsichȱGlaserȱselbstȱdavonȱnichtȱfreiȱmachenȱ kann,ȱbezeugtȱjedochȱseinȱa.a.O.ȱ275,ȱunternommenerȱVersuch,ȱdieȱPastȱmitȱdenȱperȬ sischenȱBriefenȱMontesquieusȱzuȱparallelisieren.ȱ 280ȱȱ LUCHNER,ȱBriefroman,ȱ246.ȱVgl.ȱauchȱGLASER,ȱa.a.O.ȱ32:ȱ„DerȱgriechischeȱBriefromanȱ istȱeineȱrechtȱjungeȱGattungȱundȱzugleichȱeineȱsehrȱalte.“ȱ 281ȱȱ Soȱ LUCHNER,ȱ a.a.O.ȱ 245;ȱ vgl.ȱ a.a.O.ȱ 245–247,ȱ Zitatȱ 245,ȱ zurȱ Geschichteȱ diesesȱ ForȬ schungsansatzes:ȱDiesȱgelangȱerstmalsȱ1913ȱfürȱdieȱPlatonbriefe,ȱwobeiȱderȱ„antihisȬ torische[.]ȱImpuls“ȱdiesesȱAnsatzesȱunverkennbarȱist.ȱ 282ȱȱ GLASER,ȱ a.a.O.ȱ 32.ȱ A.a.O.ȱ 200,ȱ ergänztȱ erȱ zudemȱ denȱ Hinweis,ȱ dassȱ antikeȱ BriefroȬ maneȱeigentlichȱ alsȱ„höfischeȱDichtung“ȱzuȱbeschreibenȱseien,ȱdieȱPastȱjedochȱeherȱ alsȱ „bürgerlicherȱ Roman“,ȱ soȱ dassȱ dieseȱ innerhalbȱ dieserȱ „fluidenȱ Gattung“ȱ (soȱ a.a.O.ȱ286)ȱausȱinhaltlichenȱGründenȱeineȱSonderstellungȱeinnehmen.ȱ 283ȱȱ A.a.O.ȱ34f,ȱZitatȱ34.ȱ 284ȱȱ Soȱders.,ȱErzählung,ȱ270,ȱinȱAufnahmeȱeinesȱDiktumsȱvonȱKloocke.ȱ 285ȱȱ Ders.,ȱBriefroman,ȱ37;ȱimȱOrig.ȱkursiv.ȱ 286ȱȱ A.a.O.ȱ41.ȱGeradeȱdieseȱBehauptung,ȱwerȱeinenȱBriefromanȱlese,ȱwisse,ȱdassȱerȱeinenȱ lese,ȱlässtȱesȱjedochȱfraglichȱerscheinen,ȱobȱdieȱPastoralbriefeȱwirklichȱeinȱBriefromanȱ sindȱ –ȱ dennȱ immerhinȱ habenȱ ihreȱ Leserȱ überȱ Jahrhunderteȱ offensichtlichȱ nichtȱ geȬ wusst,ȱdassȱsieȱeinenȱBriefromanȱlesen!ȱ

84ȱ

II.ȱȱEinȱForschungsüberblickȱ

mehrfachȱ an,ȱ dassȱ dieȱ Gattungȱ Briefromanȱ v.a.ȱ eineȱ rezeptionstheoretischeȱ Größeȱdarstellt287ȱ–ȱdassȱalsoȱerstȱdieȱBriefleserȱeineȱBriefsammlungȱalsȱRomanȱ wahrnehmenȱ undȱ alsoȱ dieȱ einzelnenȱ biographischenȱ Informationenȱ durchȱ eiȬ geneȱ ‚Detektivarbeit‘288ȱ inȱ anȬȱ aberȱ nichtȱ ausgesprocheneȱ Zusammenhängeȱ einbetten.289ȱ ȱ

UmȱdieȱPastoralbriefeȱalsȱBriefromanȱinȱihrenȱantikenȱKontextȱeinzeichȬ nenȱzuȱkönnen,ȱuntersuchtȱGlaserȱverschiedeneȱantikeȱTexte,ȱdieȱ–ȱüberȱ dieȱ bisherigeȱ Engführungȱ v.a.ȱ aufȱ dieȱ Chionbriefeȱ (undȱ dieȱ SokratiȬ kerbriefe)ȱ hinausȱ –ȱ alsȱ Vertreterȱ derȱ antikenȱ Gattungȱ „Briefroman“ȱ betrachtetȱwerdenȱkönnen.ȱDenȱBriefromanenȱdesȱAischines,ȱdesȱEuriȬ pidesȱ sowieȱ denȱ Sokratikerbriefenȱ widmetȱ erȱ dabeiȱ besondereȱ AufȬ merksamkeit,ȱ ohneȱ m.E.ȱ inȱ ausreichendemȱ Maßeȱ zuȱ bedenken,ȱ dassȱ dieseȱ Briefsammlungenȱ deutlichȱ umfangreicherȱ sindȱ alsȱ dieȱ PastoralȬ briefe.290ȱ Vielmehrȱ kommtȱ Glaserȱ zuȱ demȱ Ergebnis,ȱ dassȱ dieȱ Pastȱ inȱ Analogieȱ zuȱ denȱ herangezogenenȱ Briefcorporaȱ einȱ „PaulusbriefbüchȬ lein“291ȱdarstellen,ȱundȱwidmetȱsichȱihrerȱInterpretationȱalsȱBriefroman.ȱ DessenȱgenaueȱFormȱwillȱerȱmithilfeȱeinerȱModifikationȱderȱvonȱHolzȬ bergȱerarbeitetenȱGattungstypologienȱbeschreiben.292ȱ Fürȱ einȱ Verständnisȱ derȱ Pastoralbriefeȱ alsȱ Briefromanȱ istȱ esȱ zuȬ nächstȱ notwendig,ȱ dieȱ vomȱ Verfasserȱ derȱ Pastȱ intendierteȱ LesereihenȬ folgeȱ zuȱ rekonstruieren.ȱ Derȱ Blickȱ aufȱ denȱ altkirchlichenȱ HandschrifȬ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 287ȱȱ Vgl.ȱz.B.ȱa.a.O.ȱ47:ȱ„DieȱLektüreȱderȱPastoralbriefeȱalsȱBriefromanȱsollȱdaherȱnichtȱaȱ prioriȱimplizieren,ȱdassȱsieȱeinȱVertreterȱdieserȱGattungȱ‚sind‘,ȱwohlȱaber,ȱdassȱsieȱsoȱ gelesenȱwerdenȱkönnen.“ȱ 288ȱȱ Ders.,ȱErzählung,ȱ282,ȱsprichtȱinȱBezugȱaufȱdieȱPastȱvonȱeinemȱ„Detektivroman“ȱundȱ schließtȱsichȱa.a.O.ȱ44,ȱderȱvonȱPatriciaȱRosenmeyerȱ(vgl.ȱdies.,ȱNovel,ȱ146ff)ȱbetonȬ tenȱnarrativenȱEnthüllungsdramatikȱan,ȱwelcheȱaufgrundȱderȱDifferenzȱzwischenȱinȬ ternemȱ undȱ externemȱ Leserȱ notwendigȱ werdeȱ undȱ einenȱ Briefromanȱ auszeichne.ȱ A.a.O.ȱ 201,ȱ betontȱ Glaserȱ außerdem,ȱ dassȱ inȱ Briefromanenȱ dieȱ „Geschichte“ȱ eherȱ vorausgesetztȱalsȱerzähltȱwerde,ȱohneȱm.E.ȱhinreichendȱdeutlichȱzuȱmachen,ȱinwieȬ fernȱdiesȱeinenȱBriefromanȱvonȱanderenȱBriefenȱunterscheidet.ȱ 289ȱȱ GeradeȱdieseȱDetektivarbeitȱdesȱLesersȱstelltȱjedochȱlautȱLUCHNER,ȱBriefroman,ȱ263f,ȱ eineȱ ausȱ antikerȱ Sichtȱ nichtȱ vorstellbareȱ Rezeptionsleistungȱ dar,ȱ daȱ nämlichȱ eineȱ solcheȱZersplitterungȱeinesȱ„Romans“ȱinȱErzählfragmenteȱnichtȱverstandenȱwordenȱ wäre.ȱA.a.O.ȱ265,ȱweistȱLuchnerȱ daraufȱhin,ȱ dassȱ einȱantikerȱBriefromanȱ–ȱwennȱesȱ ihnȱ dennȱ gegebenȱ habeȱ –ȱ einȱ vomȱ Verfasserȱ angelegtes,ȱ deutlichȱ erkennbaresȱ „narrativesȱKontinuum“ȱgebrauchtȱhätte.ȱ 290ȱȱ Diesȱ giltȱ besondersȱ fürȱ dieȱ Sokratikerbriefe,ȱ dieȱ GLASER,ȱ Briefroman,ȱ 126,ȱ selbstȱ alsȱ „‚Konzert‘ȱverschiedenerȱAnsichten,ȱinȱdemȱBriefeȱvonȱmehrerenȱPersonenȱanȱmehȬ rereȱ Personenȱ imȱ MitȬȱ undȱ Gegeneinanderȱ alsȱ eineȱ literarischeȱ Einheitȱ dargebotenȱ werden“,ȱbeschreibenȱkann.ȱ 291ȱȱ A.a.O.ȱ168;ȱHervorhebungȱM.E.ȱ 292ȱȱ Vgl.ȱa.a.O.ȱ277ff.325.ȱVgl.ȱzuȱHolzbergȱo.ȱS.ȱ82.ȱ

2.ȱȱDasȱ20./21.ȱJahrhundertȱ

85ȱ

tenbefundȱ bringtȱ dabeiȱ keineȱ Klarheit,293ȱ dochȱ verortetȱ Glaserȱ Titȱ aufgrundȱdesȱPräskriptsȱamȱBeginnȱsowieȱ2TimȱaufgrundȱseinesȱInhaltsȱ undȱderȱumfangreichenȱSchlussgrüßeȱamȱEndeȱdesȱCorpus,ȱ 294ȱsoȱdassȱ erȱdieȱBriefeȱinȱderȱ–ȱgerneȱalsȱKonsensȱbezeichnetenȱ–ȱReihenfolgeȱTitȱ–ȱ 1Timȱ–ȱ2Timȱlesenȱmöchte.ȱ295ȱ Diesȱ erscheintȱ Glaserȱ auchȱ deshalbȱ gerechtfertigt,ȱ weilȱ sichȱ auchȱ innerhalbȱ derȱ Briefeȱ Bezügeȱ fänden,ȱ dieȱ deutlichȱ machten,ȱ dassȱ dieseȱ dreiȱ Schreibenȱ alsȱ fortlaufenderȱ Romanȱ gelesenȱ werdenȱ wollten.ȱ M.E.ȱ kannȱjedochȱderȱhierȱanȱersterȱStelleȱangeführteȱHinweisȱaufȱdieȱÄhnȬ lichkeitenȱ derȱ dreiȱ Präskripte296ȱ dieseȱ Beweislastȱ nichtȱ tragen.ȱ Nochȱ wenigerȱ giltȱ diesȱ imȱ weiterenȱ Verlaufȱ derȱ Arbeitȱ einerseitsȱ fürȱ denȱ Aufweisȱ derȱ durchȱ „Briefblöcke[.]“ȱ charakterisiertenȱ KompositionsȬ struktur,ȱwodurchȱdieȱPastoralbriefeȱzuȱ„Momentaufnahmen“ȱderȱPauȬ lusbiographieȱwürden,297ȱsowieȱandererseitsȱfürȱdieȱBeobachtung,ȱdassȱ dieȱ Briefinhalteȱ geradeȱ darinȱ aufeinanderȱ bezogenȱ seien,ȱ dassȱ sieȱ einȱ „facettenreichesȱ undȱ widersprüchlichesȱ Bildȱ desȱ Apostels“ȱ zeichneȬ ten.298ȱ DennochȱuntersuchtȱGlaserȱimȱFolgendenȱ„dieȱbiographischenȱundȱ weitereȱ raumȬzeitlichȱ auswertbareȱ Angabenȱ derȱ Briefe“299,ȱ umȱ dieȱ Chronologieȱ diesesȱ Briefromansȱ zuȱ erhellen,ȱ bevorȱ erȱ sichȱ inȱ einemȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 293ȱȱ Daherȱ behauptetȱ GLASER,ȱ a.a.O.ȱ 177,ȱ auch,ȱ derȱ Befundȱ würdeȱ keineȱ Beweislastȱ traȬ genȱkönnen.ȱȱ 294ȱȱ A.a.O.ȱ189–192.ȱ1Timȱundȱ2TimȱseienȱzudemȱdurchȱsprachlicheȱReminiszenzenȱundȱ denȱbeiȱ1TimȱauffälligȱkurzenȱSchlussȱinȱunmittelbareȱBeziehungȱzueinanderȱzuȱsetȬ zen.ȱDenȱvonȱWolterȱalsȱGrundȱfürȱdieȱVoranstellungȱdesȱ1TimȱangeführtenȱbiograȬ phischenȱAbschnittȱ1Timȱ1,12–17ȱhingegenȱcharakterisiertȱGLASER,ȱa.a.O.ȱ189,ȱzudemȱ alsȱ „zweitesȱ Proömium“,ȱ wieȱ esȱ sichȱ häufigerȱ inȱ derȱ Mitteȱ umfangreichererȱ Werkeȱ fändeȱ–ȱohneȱzuȱbeachten,ȱdassȱdieȱPastȱgeradeȱimȱVergleichȱmitȱdenȱ(anderen)ȱantiȬ kenȱBriefromanenȱkeinȱumfangreichesȱWerkȱdarstellen.ȱ 295ȱȱ Vgl.ȱ zurȱ Entscheidungȱ fürȱ ebenȱ dieseȱ Untersuchungsreihenfolgeȱ innerhalbȱ dieserȱ Monographieȱ Punktȱ III.ȱ vgl.ȱ jedochȱ dieȱ Begründungȱ einerȱ anderenȱ EntstehungsȬȱ (undȱalsoȱauchȱLeseȬ)ReihenfolgeȱuntenȱunterȱPunktȱV.ȱ 296ȱȱ SoȱaberȱGLASER,ȱBriefroman,ȱ195.ȱHierȱwäreȱjedochȱzuȱfragen,ȱinwiefernȱsichȱsolcheȱ scheinbarȱ kunstvollȱ arrangiertenȱ Bezügeȱ (zweiȱ Namenȱ inȱ dreiȱ Briefen,ȱ wobeiȱ Titusȱ undȱ Timotheusȱ jeȱ einmalȱ alsȱ gnh,siojȱ angeredetȱ werden)ȱ nichtȱ inȱ ganzȱ ähnlicherȱ WeiseȱauchȱimȱCorpusȱderȱProtopaulinenȱfindenȱließen,ȱwelcheȱjaȱnunȱmitnichtenȱalsȱ intentionalesȱCorpusȱverstandenȱwerdenȱkönnen.ȱ 297ȱȱ A.a.O.ȱ201ȱ(beideȱZitate).ȱ 298ȱȱ A.a.O.ȱ212.ȱ 299ȱȱ A.a.O.ȱ203.ȱA.a.O.ȱ210,ȱkommtȱGlaserȱzuȱdemȱErgebnis,ȱdassȱdieȱmeistenȱderȱinȱdenȱ Pastȱ benanntenȱ Ereignisseȱ nichtȱ genauȱ zuȱ datierenȱ seienȱ undȱ daherȱ alsȱ „Achronie“ȱ bezeichnetȱ werdenȱ könnten.ȱ Durchȱ dieseȱ „Anspielungstechnik“ȱ solltenȱ bewusstȱ „Suchbewegungen“ȱinȱGangȱgesetztȱwerden,ȱsoȱa.a.O.ȱ238.ȱ

86ȱ

II.ȱȱEinȱForschungsüberblickȱ

zweitenȱ Schrittȱ derȱ Frageȱ nachȱ denȱ inȱ denȱ Pastȱ angesprochenenȱ TheȬ menȱundȱderȱbevorzugtenȱErzähltechnikȱwidmet.ȱLetztereȱseiȱgekennȬ zeichnetȱdurchȱdieȱVerwendungȱvonȱAndeutungen,ȱwelcheȱimȱDurchȬ gangȱ durchȱ dieȱ Briefeȱ entwederȱ eineȱ sukzessiveȱ Erläuterungȱ erführenȱ oderȱ aberȱ bewusstȱ unerklärtȱ blieben.ȱ Hierbeiȱ kommeȱ 2Timȱ dieȱ besonȬ dereȱ Funktionȱ zu,ȱ durchȱ neueȱ Akzenteȱ einenȱ Kontrapunktȱ zuȱ setzenȱ undȱsoȱ„erzählgenerierendeȱAnknüpfungspunkte“ȱzuȱschaffen,ȱdieȱdenȱ Leserȱdazuȱanhaltenȱsollen,ȱdieȱinȱdenȱBriefenȱnurȱanklingendeȱPaulusȬ geschichteȱauszuschreiben.300ȱȱ ȱ

GlaserȱsprichtȱimȱLaufeȱseinerȱDarstellungȱverschiedene,ȱinȱdenȱPastȱnichtȱeinȬ heitlichȱ thematisierteȱ Fragenȱ an,ȱ u.a.ȱ dieȱ Rolleȱ derȱ Frauȱ sowieȱ dasȱ Verhältnisȱ derȱchristlichenȱGemeindeȱzuȱihrerȱUmwelt.301ȱSoȱmöchteȱGlaserȱaußerdemȱdieȱ offensichtlicheȱ Unausgewogenheitȱ derȱ Pastȱ imȱ Hinblickȱ aufȱ dieȱ Einschätzungȱ derȱvorchristlichenȱVergangenheitȱdesȱPaulusȱinȱ2Timȱ1ȱundȱ1Timȱ1ȱaufȱebensoȱ divergierendeȱ protopaulinischeȱ Aussagenȱ zurückführen,302ȱ welcheȱ denȱ PastȬ Verfasserȱ dazuȱ genötigtȱ hätten,ȱ dieȱ frühereȱ Verfolgertätigkeitȱ desȱ Paulusȱ zuȱ erklären.ȱ Dieseȱ angeblicheȱ erzählerischeȱ Absichtȱ kannȱ jedochȱ m.E.ȱ dieȱ offenȬ sichtlicheȱSpannungȱinnerhalbȱeinesȱausȱGlasersȱSichtȱalsȱEinheitȱkonzipiertemȱ Werkesȱnichtȱerklären.ȱ ȱ

ZurȱBriefromanstrukturȱderȱPastȱpasstȱesȱausȱGlasersȱSichtȱzudem,ȱdassȱ sichȱ derȱ 2Timȱ „alsȱ erklärende[r]ȱ Schlussbrief“ȱ durchȱ Stofffülleȱ undȱ ErȬ zählstrukturȱ vonȱ denȱ beidenȱ anderenȱ Pastȱ auffälligȱ unterscheideȱ undȱ alsoȱ insofernȱ eineȱ Sonderstellungȱ einnehme.303ȱ Währendȱ 2Timȱ dabeiȱ jedochȱ aufȱ dieȱ geographischenȱ Anspielungenȱ desȱ Titȱ Bezugȱ nehme,ȱ fungiereȱ1Timȱausschließlichȱalsȱ„Zwischenbriefȱ[…],ȱderȱdieȱHandlungȱ unterbrichtȱ undȱ insȱ hinterszenischeȱ Geschehenȱ verlagert“304.ȱ Woȱ Titȱ undȱ 2Timȱ u.a.ȱ durchȱ dieȱ Bewegungȱ desȱ Apostelsȱ ausȱ Kleinasienȱ nachȱ Romȱ insȱ Martyriumȱ verbundenȱ seien,305ȱ habeȱ derȱ Autorȱ inȱ Bezugȱ aufȱ 1Timȱ bewusstȱ aufȱ eineȱ zeitlicheȱ Einordnungȱ verzichtet,ȱ soȱ dassȱ derȱ Fokusȱnunȱ„aufȱdemȱkontrastierendenȱRaumkonzept“ȱliege.306ȱGemeinȬ samȱseiȱallerdingsȱallenȱdreiȱPastoralbriefenȱdieȱsieȱumtreibendeȱFrageȱ nachȱdemȱVerhältnisȱvonȱChristentumȱundȱWelt:ȱWährendȱjedochȱ1Timȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 300ȱȱ A.a.O.ȱ221f,ȱZitatȱ222.ȱ 301ȱȱ Soȱa.a.O.ȱ284ff.ȱ 302ȱȱ GLASER,ȱa.a.O.ȱ216,ȱverweistȱdazuȱaufȱGalȱ1,14f;ȱPhilȱ3,5.6ff;ȱ1Korȱ15,9f.ȱ 303ȱȱ A.a.O.ȱ282;ȱvgl.ȱa.a.O.ȱ245.ȱ 304ȱȱ A.a.O.ȱ242.ȱ 305ȱȱ Diesȱ setztȱ allerdingsȱ eineȱ genaueȱ Identifizierungȱ desȱ inȱ Titȱ 3,12fȱ nurȱ alsȱ Nikopolisȱ bezeichnetenȱ Aufenthaltsortesȱ desȱ Apostelsȱ voraus,ȱ dieȱ zudemȱ auchȱ vonȱ denȱ antiȬ kenȱLesernȱhätteȱnachvollzogenȱwerdenȱkönnen.ȱ 306ȱȱ GLASER,ȱBriefroman,ȱ243.ȱ

2.ȱȱDasȱ20./21.ȱJahrhundertȱ

87ȱ

undȱTitȱnochȱdieȱHoffnungȱaufȱeineȱAngleichungȱdesȱChristentumsȱanȱ dieȱWeltȱformulierten,ȱmacheȱ2TimȱalsȱletzterȱBriefȱdieseȱdannȱschließȬ lichȱzunichte.307ȱ GlaserȱsiehtȱdaherȱabschließendȱseineȱzuȱBeginnȱaufgestellteȱTheseȱ bestätigt,ȱ dassȱ dieȱ Pastoralbriefeȱ „einȱ Textcorpusȱ [sind],ȱ dasȱ eineȱ PauȬ lusgeschichteȱ imȱ Mediumȱ vonȱ Briefenȱ erzählt.“308ȱ Dassȱ ihrȱ Erzählstilȱ durchȱ „dasȱPhänomenȱ desȱ Bruches“ȱ zuȱ beschreibenȱseiȱ undȱ sieȱ insgeȬ samtȱ „stärkerȱ diskursivȱ konzipiert“ȱ seien309,ȱ führeȱ dazu,ȱ dassȱ „dieȱ ErȬ zählungȱ primärȱ erstȱ inȱ derȱ Lektüre“310ȱ entstehe,ȱ weilȱ dieȱ Leserȱ zurȱ kreativenȱ Ergänzungȱ derȱ hierȱ vonȱ Paulusȱ erzähltenȱ Geschichteȱ genötigtȱ würden.ȱDieȱPastoralbriefeȱseienȱdaherȱalsoȱalsȱRomanȱumȱdenȱgroßenȱ Apostelȱ Paulusȱ zuȱ verstehenȱ (undȱ nichtȱ alsȱ Gemeindeordnungen,ȱ wieȱ i.d.R.ȱ behauptet),ȱ derȱ esȱ sichȱ zumȱ Zielȱ gesetztȱ habe,ȱ dieȱ paulinischeȱ Geschichteȱ überȱ dieȱ bisherȱ bekanntenȱ Informationenȱ hinausȱ weiterȬ zuerzählen.311ȱ Dieserȱ neue,ȱ vonȱ Glaserȱ vorgelegteȱ Versuch,ȱ dieȱ Pastoralbriefeȱ alsȱ Romanȱzuȱlesen,ȱistȱm.E.ȱselbstȱalsȱBelegȱdafürȱzuȱwerten,ȱwelchesȱkreaȬ tiveȱPotenzialȱdieȱLektüreȱdieserȱdreiȱSchreibenȱtatsächlichȱfreizusetzenȱ vermag.ȱ Fraglichȱ istȱ jedoch,ȱ obȱ diesȱ fürȱ dasȱ Verständnisȱ derȱ Briefeȱ wirklichȱweiterführendȱist.ȱWederȱkannȱGlaserȱdieȱGattungȱBriefromanȱ deutlichȱ genugȱ beschreiben,ȱ nochȱ vermagȱ erȱ einsichtigȱ zuȱ machen,ȱ warumȱesȱsichȱbeiȱdenȱPastoralbriefenȱumȱeinenȱsolchenȱhandelnȱsollte.ȱ Auchȱ bezüglichȱ derȱ zwischenȱ denȱ dreiȱ Schreibenȱ bestehendenȱ SpanȬ nungenȱ istȱ Glasersȱ Ansatzȱ wenigȱ hilfreich,ȱ darinȱ Autorenabsichtȱ zuȱ sehen;ȱ hierȱ wäreȱ vielmehrȱ zuȱ fragen,ȱ obȱ dieȱ offensichtlichenȱ WiderȬ sprücheȱzwischenȱdenȱPastȱnichtȱdazuȱnötigenȱmüssten,ȱdieȱAnnahmeȱ endgültigȱ aufzugeben,ȱ dassȱ dieseȱ dreiȱ Schreibenȱ intentionalȱ zusamȬ mengehörenȱ–ȱseiȱesȱlediglichȱalsȱkonzeptionellesȱCorpus,ȱseiȱesȱalsȱeineȱ forlaufendeȱErzählungȱenthaltenderȱBriefroman.ȱȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 307ȱȱ A.a.O.ȱ275.ȱ 308ȱȱ A.a.O.ȱ283.ȱ 309ȱȱ A.a.O.ȱ283.284.ȱ 310ȱȱ A.a.O.ȱ276.ȱ 311ȱȱ Soȱabschließendȱa.a.O.ȱ328.ȱ

88ȱ

II.ȱȱEinȱForschungsüberblickȱ

2.3.5ȱȱTendenzenȱderȱForschungȱIIIȱ DieȱengeȱZusammengehörigkeitȱderȱdreiȱSchreibenȱinȱSprache,ȱtheoloȬ gischerȱVorstellungsweltȱundȱgrundsätzlicherȱIntentionȱführteȱimȱLaufeȱ desȱ20./21.ȱJahrhundertsȱnichtȱnurȱzurȱbreitenȱAkzeptanzȱeinerȱpseudȬ epigraphischenȱAbfassungȱderȱdreiȱBriefe,ȱsondernȱdamitȱeinhergehendȱ zuȱeinerȱimmerȱselbstverständlicherenȱInterpretationȱderȱSchreibenȱalsȱ einesȱ zusammengehörendenȱ Corpus.ȱ Darausȱ resultierte,ȱ wieȱ bereitsȱ dargestellt,ȱeineȱdoppelte,ȱmethodischȱproblematischeȱNeuausrichtungȱ derȱ Pastoralbriefexegese:ȱ Einerseitsȱ führteȱ dieȱ Annahmeȱ derȱ intentioȬ nalenȱ Bezogenheitȱ undȱ gleichzeitigenȱ Abfassungȱ derȱ dreiȱ Briefeȱ zuȱ einerȱ wechselseitigenȱ Interpretationȱ einzelnerȱ Verseȱ vorȱ demȱ HinterȬ grundȱdesȱgesamtenȱCorpusȱPastorale,ȱdaȱmanȱdieȱdreiȱSchreibenȱalsȱ„aȱ threeȬvolumeȱworkȱinȱwhichȱnoȱoneȱofȱtheȱthreeȱpartsȱcanȱbeȱreadȱapartȱ fromȱtheȱotherȱtwo,ȱandȱinȱwhichȱobservationsȱinȱanyȱoneȱpartȱmayȱbeȱ takenȱasȱimmediatelyȱappliciableȱtoȱtheȱinterpretationȱofȱtheȱremainingȱ two“ȱ verstand.312ȱ Damitȱ einherȱ gingȱ eineȱ Interpretationȱ derȱ PastoralȬ briefeȱ inȱ ihrerȱ intentionalenȱ Bezogenheitȱ aufȱ dasȱ Corpusȱ Paulinum.ȱ Daherȱ verlorȱ andererseitsȱ dieȱ Frageȱ nachȱ denȱ historischenȱ RahmenbeȬ dingungenȱ derȱ einzelnenȱ Briefeȱ undȱ damitȱ zusammenhängendȱ nachȱ demȱ historischenȱ Gehaltȱ derȱ inȱ denȱ Schreibenȱ erwähntenȱ Namenȱ undȱ FaktenȱimmerȱstärkerȱanȱBedeutung.ȱEinȱeventuellesȱNacheinanderȱderȱ Briefeȱ wurdeȱ nichtȱ mehrȱ imȱ Hinblickȱ aufȱ eineȱ möglicheȱ EntstehungsȬ,ȱ sondernȱnurȱnochȱaufȱeineȱintentionaleȱLesereihenfolgeȱdiskutiert,ȱwoȬ beiȱ hierȱ auffällt,ȱ dassȱ dieȱ Forschungȱ entgegenȱ derȱ Behauptung,ȱ hierȱ lägeȱeinȱKonsensȱvor,ȱbezüglichȱderȱFrageȱnachȱderȱVoranstellungȱvonȱ 1TimȱoderȱTitȱausgesprochenȱuneinsȱbleibt.ȱDassȱsieȱzudemȱdieserȱTatȬ sache,ȱ dassȱ derȱ PastȬAutorȱ offensichtlichȱ keineȱ eindeutigeȱ LektüreabȬ folgeȱ vorgegebenȱ hat,ȱ keineȱ hinreichendeȱ Beachtungȱ schenkt,ȱ überȬ raschtȱ umsoȱ mehr,ȱ schließlichȱ hätteȱ diesȱ dieȱ gesamteȱ Annahmeȱ einesȱ intentionalȱkonzipiertenȱCorpusȱinȱFrageȱstellenȱmüssen.ȱȱȱ Zugleichȱ verengteȱ sichȱ derȱ Fokusȱ derȱ Pastoralbriefexegeseȱ –ȱ ausȱ Sichtȱ derȱ hierȱ genanntenȱ Exegetenȱ sicherlichȱ folgerichtigȱ –ȱ dahingeȬ hend,ȱ dassȱ hinterȱ denȱ Pastȱ inȱ ersterȱ Linieȱ einȱ reinȱ literarischesȱ KonȬ struktȱ(vgl.ȱdieȱvonȱTrummerȱangelegteȱundȱvonȱMerzȱinȱihrerȱBedeuȬ tungȱherausgearbeiteteȱBeschreibungȱderȱPastȱ„alsȱCorpus,ȱdasȱaufȱeinȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 312ȱȱ Soȱ–ȱdemgegenüberȱsehrȱkritischȱ–ȱTOWNER,ȱLetters,ȱ2.ȱHierȱseiȱzudemȱaufȱTRUMMER,ȱ Mantel,ȱ passim,ȱ verwiesen,ȱ derȱ diesesȱ Prinzipȱ beiȱ seinerȱ Auslegungȱ vonȱ 2Timȱ 4,13ȱ vorȱdemȱHintergrundȱvonȱ1Timȱ6,6–8ȱaufȱdieȱSpitzeȱtreibt,ȱvgl.ȱdazuȱu.ȱS.ȱ489.ȱ

2.ȱȱDasȱ20./21.ȱJahrhundertȱ

89ȱ

Corpusȱausgerichtetȱist“313,ȱsowieȱneuerdingsȱdieȱmitȱdemȱNamenȱGlaȬ sersȱverbundeneȱInterpretationȱderȱPastȱalsȱBriefroman),ȱundȱnurȱnochȱ inȱzweiterȱLinieȱeineȱhistorischeȱRealitätȱgesehenȱwurde.ȱDieȱvonȱWolȬ terȱ selbstȱ formulierteȱ Anfrageȱ „Werdenȱ dabeiȱ nichtȱ dieȱ verschiedenenȱ EinzelelementeȱausȱihremȱjeweiligenȱliterarischenȱKontextȱherausgelöstȱ undȱ inȱ veräußerlichenderȱ Weiseȱ zuȱ einemȱ synthetischenȱ Konstruktȱ zusammengefügt?“314ȱ istȱ berechtigt,ȱ aberȱ vonȱ denȱ hierȱ dargestelltenȱ Exegetenȱbisherȱzuȱwenigȱreflektiertȱworden.ȱ VorȱdiesemȱHintergrundȱmüssteȱeigentlichȱdieȱFrageȱnachȱderȱDreiȬ zahlȱderȱBriefeȱzuȱeinemȱdrängendenȱProblemȱwerden,ȱdaȱnunȱkeinerleiȱ inȱ derȱ Situationȱ derȱ (verschiedenen)ȱ Adressatengruppenȱ zuȱ suchendeȱ Begründungenȱmehrȱangeführtȱwerdenȱkönnen.ȱEsȱistȱdeshalbȱerstaunȬ lich,ȱdassȱsichȱdieȱexegetischeȱForschungȱdiesemȱProblemȱnurȱaufȱsehrȱ oberflächlicheȱ Weiseȱ stellt:ȱ Entwederȱ wirdȱ dieȱ Dreizahlȱ derȱ Pastȱ aufȱ denȱHinweisȱreduziert,ȱmanȱhabeȱinȱjenerȱZeit,ȱweilȱesȱbereitsȱumfangȬ reicheȱ Paulusbriefsammlungenȱ gegebenȱ habe,ȱ keineȱ Einzelschreibenȱ mehrȱ verfassenȱ können,ȱ sondernȱ gleichȱ mehrereȱ Briefeȱ alsȱ neueȱ Sammlungȱ hinzufügenȱ müssenȱ–ȱ wasȱ zwarȱ dasȱ Corpusȱ selbst,ȱ nichtȱ aberȱ dieȱ exakteȱ Dreizahlȱ erklärenȱ kannȱ–,ȱ oderȱ manȱ versuchtȱ sichȱ inȱ allegorisierendenȱ Auslegungenȱ wieȱ derȱ folgenden:ȱ „Begründetȱ dieȱ Zweiheitȱdesȱ1.ȱTimotheusȬȱundȱTitusbriefsȱdieȱUniversalitätȱderȱaposȬ tolischenȱ Weisung,ȱ soȱ wirdȱ dieseȱ Universalitätȱ ergänztȱ undȱ genauerȱ bestimmtȱdurchȱdenȱ2.ȱTimotheusbrief.“315ȱ Dieȱ Sonderstellungȱ desȱ 2Tim,ȱ dieȱ sichȱ nichtȱ nurȱ aufgrundȱ seinesȱ Inhalts,ȱ sondernȱ seinerȱ gegenüberȱ 1Timȱ undȱ Titȱ größerenȱ Näheȱ zuȱ Paulusȱ ergibt,ȱ wirdȱ dabeiȱ i.d.R.ȱ unzulässigȱ aufȱ Ersteresȱ reduziertȱ undȱ inȱ Bezogenheitȱ aufȱ dieȱ beidenȱ anderenȱ Schreiben,ȱ derenȱ GattungsbeȬ stimmungȱ zwischenȱ Kirchenordnungenȱ undȱ mandataȱ principisȱ schwankenȱ kann,ȱ alsȱ bewusstȱ konstruierterȱ (testamentarischer)ȱ AbȬ schlussȱ desȱ Corpusȱ Pastoraleȱ undȱ damitȱ desȱ Corpusȱ Paulinumȱ insgeȬ samtȱinterpretiert.ȱDassȱ2TimȱsichȱcharakteristischȱvonȱdenȱbeidenȱanȬ derenȱPastȱunterscheidet,ȱwirdȱsoȱzwarȱnichtȱgeleugnet,ȱaberȱinȱseinerȱ Aussagekraftȱnichtȱernstȱgenugȱgenommen.ȱ Dieȱ Grundannahme,ȱ dassȱ dieȱ dreiȱ Pastȱ nichtȱ nurȱ pseudepigraphiȬ scheȱ Briefeȱ sind,ȱ sondernȱ einȱ intentionalȱ zusammengehörigesȱ Corpusȱ darstellen,ȱwirdȱnichtȱmehrȱinȱFrageȱgestellt,ȱaberȱdochȱvonȱdenȱeinzelȬ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 313ȱȱ SoȱMERZ,ȱSelbstauslegung,ȱ243.ȱ 314ȱȱ SoȱWOLTER,ȱPaulustradition,ȱ14,ȱderȱdieseȱVorsichtȱbeiȱseinerȱeigenenȱAuslegungȱderȱ Pastȱleiderȱvermissenȱlässt.ȱ 315ȱȱ LOHFINK,ȱRezeption,ȱ108.ȱȱ

90ȱ

II.ȱȱEinȱForschungsüberblickȱ

nenȱExegetenȱjeweilsȱandersȱakzentuiert:ȱBetonenȱdieȱeinenȱdieȱliterariȬ scheȱ Funktionȱ derȱ Schreibenȱ innerhalbȱ desȱ Corpusȱ Paulinum,ȱ soȱ könȬ nenȱ andereȱ zugleichȱ eineȱ ausȱ denȱ Pastȱ rekonstruierbareȱ historischeȱ Situationȱ–ȱmeistȱderȱephesinischenȱGemeindeȱ–ȱskizzieren.ȱDassȱbeideȱ Ansätzeȱnichtȱwirklichȱmiteinanderȱzuȱvereinbarenȱsind,ȱwirdȱnichtȱdisȬ kutiert.ȱ

2.4ȱȱAbschiedȱvomȱKonsens?ȱȱ DreiȱPastoralbriefeȱundȱkeinȱCorpusȱPastoraleȱ Derȱ Überblickȱ überȱ dieȱ Forschungsgeschichteȱ hatȱ bisherȱ gezeigt,ȱ dassȱ vonȱ einemȱ „Konsens“ȱ inȱ Bezugȱ aufȱ dieȱ Pastoralbriefexegeseȱ nurȱ sehrȱ vordergründigȱdieȱRedeȱseinȱkann.ȱDassȱdenȱPastȱinȱirgendeinerȱFormȱ eineȱ Sonderrolleȱ imȱ Rahmenȱ desȱ Corpusȱ Paulinumȱ zukommt,ȱ scheintȱ zwarȱ allgemeinȱ akzeptiertȱ zuȱ sein,ȱ anhandȱ welcherȱ Parameterȱ diesesȱ „Corpus“ȱ dannȱ aberȱ zuȱ definierenȱ wäre,ȱ bleibtȱ völligȱ offen.ȱ Hinzuȱ kommt,ȱ dassȱ wesentlicheȱ Charakteristikaȱ derȱ dreiȱ Past,ȱ wieȱ z.B.ȱ ihreȱ Dreizahlȱ oderȱ dieȱ Frageȱ nachȱ Funktionȱ undȱ Inhaltȱ derȱ persönlichenȱ Abschnitte,ȱ vorȱ demȱ Hintergrundȱ derȱ Annahmeȱ ihrerȱ Abfassungȱ alsȱ Corpusȱnichtȱhinreichendȱerklärtȱwerdenȱkonnten.ȱ Warenȱ inȱ derȱ deutschsprachigenȱ Exegeseȱ daherȱ Hansȱ Mayerȱ undȱ Eduardȱ Schwartzȱ fürȱ längereȱ Zeitȱ dieȱ Letztenȱ gewesen,ȱ dieȱ fürȱ dieȱ MöglichkeitȱmehrererȱVerfasserȱvotiertȱhatten,316ȱrücktenȱdieȱbezüglichȱ derȱFrageȱnachȱderȱAbfassungȱderȱPastoralbriefeȱbestehendenȱProblemeȱ v.a.ȱ imȱ englischsprachigenȱ Raumȱ wiederȱ stärkerȱ inȱ denȱ Fokusȱ derȱ Exegese.ȱȱ

2.4.1ȱȱDieȱSonderstellungȱdesȱ2.ȱTimotheusbriefes:ȱȱ KonsequenzenȱfürȱdieȱVerfasserschaftsfrageȱ Dieȱ Sonderstellungȱ desȱ 2Timȱ inȱ Gegenüberstellungȱ zuȱ denȱ anderenȱ beidenȱ Pastȱ wurdeȱ nieȱ bestrittenȱ –ȱ wederȱ vonȱ denjenigen,ȱ dieȱ fürȱ dieȱ Echtheitȱ allerȱ dreiȱ Schreibenȱ eintretenȱ undȱ dieȱ denȱ herausgehobenenȱ Statusȱdesȱ2TimȱmitȱderȱbesonderenȱSituationȱdesȱgefangenenȱApostelsȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 316ȱȱ MAYER,ȱ Pastoralbriefe,ȱ passim;ȱ SCHWARTZ,ȱ Kirchenordnungen,ȱ 1ȱ Anm.ȱ 1;ȱ vgl.ȱ zuȱ beidenȱ o.ȱ S.ȱ 32ȱ Anm.ȱ 134.ȱ Soȱ neuerdingsȱ wiederȱ Herzerȱ inȱ zahlreichenȱ VeröffentliȬ chungen,ȱsowieȱRICHARDS,ȱDifferenceȱ(s.u.ȱS.ȱ100–105),ȱundȱbereitsȱ1987ȱHOFRICHTER,ȱ Strukturdebatteȱ(s.u.ȱS.ȱ98).ȱ

2.ȱȱDasȱ20./21.ȱJahrhundertȱ

91ȱ

begründeten,ȱnochȱvonȱdenȱVerfechternȱeinerȱkonzeptionellenȱZusamȬ mengehörigkeitȱderȱdreiȱ(pseudepigraphischen)ȱBriefe,ȱdieȱdiesesȱtestaȬ mentarischeȱSchreibenȱalsȱAbschlussȱnichtȱnurȱvonȱ1Timȱ/ȱTit,ȱsondernȱ i.d.R.ȱ desȱ Corpusȱ Paulinumȱ insgesamtȱ verstanden.ȱ Erstȱ Michaelȱ Priorȱ warȱ esȱ jedoch,ȱ denȱ dieseȱ auchȱ inȱ derȱ Gattungȱ begründeteȱ HerausheȬ bungȱ desȱ 2Timȱ ausȱ demȱ Corpusȱ derȱ Pastoralbriefeȱ 1989ȱ veranlasste,ȱ sichȱ fürȱ dieȱ Orthonymitätȱ desȱ 2Timȱ imȱ Unterschiedȱ zuȱ 1Timȱ undȱ Titȱ auszusprechen.ȱ Priorȱ kritisiertȱ zunächstȱ dieȱ Differenzierungȱ Corpusȱ Paulinumȱ–ȱCorpusȱPastoraleȱalsȱeineȱkünstlichȱgeschaffene.ȱ ȱ

Dazuȱ setztȱ sichȱ Priorȱ kritischȱ mitȱ derȱ üblichenȱ Methodikȱ derȱ GegenüberstelȬ lungȱ vonȱ Pastoralbriefenȱ undȱ Corpusȱ Paulinumȱ auseinander,ȱ welcheȱ beidenȱ Briefgruppenȱ gegenüberȱ inadäquatȱ sei,ȱ daȱ sieȱ denȱ jeweiligenȱ Spezifikaȱ derȱ Schreibenȱ nichtȱ gerechtȱ werde:ȱ Soȱ werdeȱ inȱ keinerȱ Weiseȱ berücksichtigt,ȱ dassȱ fastȱalleȱProtopaulinenȱnebenȱPaulusȱweitereȱMitabsenderȱnennenȱwürdenȱundȱ damitȱ entgegenȱ jeglicherȱ antikerȱ Konventionȱ „genuinelyȱ coȬauthoredȱ letters“ȱ seien.ȱ Hinzuȱ kommeȱ noch,ȱ dassȱ darüberȱ hinausȱ meistȱ auchȱ Sekretäreȱ beiȱ derȱ Abfassungȱ derȱ Briefeȱ behilflichȱ gewesenȱ seien,ȱ derenȱ genaueȱ VerantwortlichȬ keitȱzwarȱfürȱunsȱimȱDunkelnȱbleibenȱmüsse,ȱdieȱaberȱdennochȱEinflussȱaufȱdieȱ konkreteȱ Formȱ derȱ Briefeȱ gehabtȱ habenȱ dürften.317ȱ Vergleicheȱ manȱ daherȱ dieȱ Protopaulinenȱmitȱ denȱPastoralbriefen,ȱ soȱ gescheheȱdasȱvorȱ demȱ Hintergrundȱ einerȱ falschenȱ Vorstellungȱ vonȱ paulinischerȱ Autorschaft,ȱ daȱ zumȱ einenȱ derȱ häufigȱalsȱMitabsenderȱgenannteȱTimotheusȱinȱdenȱPastȱinȱdieȱRolleȱdesȱEmpȬ fängersȱrückeȱundȱalsoȱnichtȱanȱderȱEntstehungȱdieserȱBriefeȱbeteiligtȱgewesenȱ seinȱkönne,ȱundȱzumȱanderenȱPaulusȱfürȱdieȱAbfassungȱsolcherȱlautȱPriorȱpriȬ vaterȱBriefeȱanȱseineȱMitarbeiterȱaufȱdieȱHilfeȱeinesȱSchreibersȱverzichtetȱhabenȱ dürfte.ȱDieseȱSonderstellungȱderȱPastȱalsȱ„‚personalȱletters‘ȱinȱaȱdoubleȱsense“ȱ müsseȱbeiȱderȱFrageȱnachȱderȱVerfasserschaftȱstetsȱberücksichtigtȱwerden,ȱweilȱ soȱdieȱBasisȱfürȱdieȱDefinitionȱdesȱtypischȱPaulinischenȱinsȱWankenȱgerate.318ȱ ȱ

InȱeinemȱzweitenȱSchrittȱuntersuchtȱPriorȱdannȱdieȱSonderstellungȱdesȱ 2Timȱ innerhalbȱ derȱ Pastoralbriefe,ȱ derenȱ Konsequenzenȱ fürȱ dasȱ VerȬ hältnisȱderȱdreiȱBriefeȱuntereinanderȱbisherȱnichtȱausreichendȱbeachtetȱ wordenȱseien.ȱGeradeȱjedochȱaufgrundȱseinesȱsehrȱpersönlichenȱInhaltsȱ unterscheideȱsichȱ2Timȱdeutlichȱvonȱ1Timȱ/ȱTit,ȱdieȱstärkerȱdurchȱihrenȱ administrativenȱ Charakterȱ gekennzeichnetȱ seien.319ȱ Aufgrundȱ inhaltliȬ cherȱundȱstrukturellerȱUnterschiedeȱdürfeȱmanȱdieȱPastȱnichtȱlängerȱalsȱ Corpusȱbehandeln,ȱsondernȱmüsseȱsieȱaufȱihrenȱjeȱeigenenȱKontextȱhinȱ befragen.ȱDiesȱeröffneȱinȱBezugȱaufȱ2TimȱauchȱneueȱMöglichkeitenȱimȱ Hinblickȱ aufȱ dieȱ Frageȱ nachȱ seinerȱ Authentizität,ȱ daȱ dieȱ Argumenteȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 317ȱȱ Vgl.ȱdazuȱaberȱdasȱkritischȱzurȱSekretärshypotheseȱAngemerkte,ȱs.o.ȱS.ȱ42–50.ȱ 318ȱȱ Vgl.ȱPRIOR,ȱPaul,ȱ37–51ȱu.ö.,ȱZitatȱ50.ȱ 319ȱȱ Vgl.ȱa.a.O.ȱ61ff.ȱ

92ȱ

II.ȱȱEinȱForschungsüberblickȱ

dagegenȱi.d.R.ȱausȱdenȱanderenȱBriefenȱgewonnenȱundȱdannȱaufȱdiesenȱ übertragenȱ würden.320ȱ Unterȱ Loslösungȱ vonȱ denȱ beidenȱ anderenȱ Pastȱ seiȱ esȱ dannȱ inȱ derȱ Tatȱ möglich,ȱ 2Timȱ alsȱ echtenȱ Paulusbriefȱ zuȱ lesen,ȱ derȱderȱSorgeȱdesȱApostelsȱumȱseinenȱMitarbeiterȱTimotheusȱundȱdesȬ senȱStandhaftigkeitȱimȱGlaubenȱAusdruckȱverleihe.321ȱ ȱ

DaherȱversuchtȱPriorȱeineȱzeitlicheȱundȱgeographischeȱVerortungȱnurȱdesȱ2Timȱ imȱLebenȱdesȱApostels,ȱwozuȱerȱzunächstȱdasȱSelbstzeugnisȱdesȱBriefesȱheranȬ zieht:ȱ2TimȱwolleȱwährendȱderȱrömischenȱGefangenschaftȱdesȱPaulusȱabgefasstȱ wordenȱ seinȱ undȱ zeugeȱ ebensoȱ wieȱ dieȱ Schilderungȱ derȱ Apgȱ undȱ dieȱ protoȬ paulinischenȱ Gefangenschaftsbriefeȱ vonȱ derȱ Erwartungȱ einesȱ positivenȱ AusȬ gangsȱ derȱ römischenȱ Gefangenschaft.322ȱ Priorȱ verstehtȱ 2Timȱ alsoȱ geradeȱ nichtȱ alsȱ denȱ testamentarischenȱ Schwanengesangȱ desȱ Paulus,ȱ sondernȱ bezeichnetȱ diesenȱ Briefȱ alsȱ „Pareneticȱ letter“323ȱ undȱ deutetȱ ihnȱ mithilfeȱ einerȱ rechtȱ eigenwilligenȱInterpretationȱvonȱ2Timȱ4,6–8.17ȱalsȱVorbereitungȱdesȱPaulusȱaufȱ seineȱerneuteȱMissionstätigkeitȱnachȱseinerȱerstenȱrömischenȱGefangenschaft.324ȱȱ ȱ

Indemȱ Priorȱ 2Timȱ gesondertȱ untersucht,ȱ möchteȱ erȱ einȱ doppeltesȱ Zielȱ erreichen:ȱZumȱeinenȱwillȱerȱdaraufȱhinweisen,ȱdassȱdieȱPastȱalsȱselbstȬ ständigeȱ Schreibenȱ undȱ nichtȱ alsȱ denȱ Protopaulinenȱ gegenüberstehenȬ desȱCorpusȱwahrzunehmenȱseien.ȱZumȱanderenȱwillȱerȱdadurch,ȱdassȱ erȱ 2Timȱ inȱ dieȱ Reiheȱ derȱ Protopaulinenȱ einordnet,ȱ denȱ Rahmenȱ fürȱ typischȱ Paulinischesȱ weiterȱ steckenȱ undȱ soȱ einȱ neuesȱ Verständnisȱ desȱ Paulusȱgewinnen.325ȱ ȱ

UnterȱexpliziterȱBezugnahmeȱaufȱPriorȱtratȱmitȱMurphyȬO’Connorȱeinȱweitererȱ englischsprachigerȱ Autorȱ inȱ zweiȱ Publikationenȱ zunächstȱ nurȱ fürȱ dieȱ SonderȬ stellungȱ desȱ 2Timȱ (1991)ȱ undȱ späterȱ dezidiertȱ fürȱ seineȱ Echtheitȱ einȱ (1996).ȱ Problematischerweiseȱ habeȱ nämlichȱ dieȱ bisherigeȱ Forschungȱ dieȱ engeȱ ZusamȬ mengehörigkeitȱ derȱ dreiȱ Schreibenȱ zurȱ Voraussetzungȱ derȱ Exegeseȱ gemacht,ȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 320ȱȱ Vgl.ȱa.a.O.ȱ168.ȱ 321ȱȱ Vgl.ȱa.a.O.ȱ161ffȱbes.ȱ164f.ȱ 322ȱȱ Hinterȱ derȱ Apgȱ vermutetȱ Priorȱ einenȱ Zeitgenossenȱ desȱ Apostels,ȱ derȱ dieseȱ Schriftȱ vorȱdemȱTodȱdesȱPaulusȱabgeschlossenȱhätte;ȱvgl.ȱinsgesamtȱa.a.O.ȱ68–80.ȱ 323ȱȱ A.a.O.ȱ110–112.ȱ 324ȱȱ Aufbauendȱ aufȱ einerȱ ausführlichenȱ sprachlichenȱ Analyseȱ derȱ Verbenȱ spe,ndwȱ /ȱ spe,ndomaiȱundȱdesȱSubstantivsȱavna,lusijȱwillȱPriorȱnachweisen,ȱdassȱdieseȱWorteȱkeiȬ neswegsȱnotwendigȱaufȱdenȱnahenȱTodȱdesȱPaulusȱhindeuten.ȱspe,ndwȱ/ȱspe,ndomaiȱseiȱ vielmehrȱinȱAnalogieȱzumȱprofangriechischenȱGebrauchȱauchȱimȱNeuenȱTestamentȱ (Philȱ 2,17;ȱ 2Timȱ 4,6)ȱ alsȱ Ausdruckȱ fürȱ denȱ dasȱ gesamteȱ Lebenȱ umfassendenȱ Dienstȱ zuȱ verstehen.ȱ Auchȱ avna,lusijȱ werdeȱ imȱ Griechischenȱ ohneȱ erklärendeȱ Hinzufügungȱ nichtȱnotwendigȱalsȱSynonymȱfürȱSterbenȱgebrauchtȱundȱseiȱdaherȱauchȱhierȱnichtȱinȱ diesemȱSinneȱzuȱinterpretieren.ȱVgl.ȱdazuȱa.a.O.ȱ83f.91ff.104.148,ȱsowieȱdieȱausführȬ licheȱWürdigungȱdiesesȱAnsatzesȱu.ȱS.ȱ476f.ȱ 325ȱȱ Vgl.ȱa.a.O.ȱ13.167.169.ȱ

2.ȱȱDasȱ20./21.ȱJahrhundertȱ

93ȱ

wasȱ dazuȱ führe,ȱ dassȱ dieȱ inȱ demȱ einenȱ Briefȱ fehlendenȱ Elementeȱ ausȱ einemȱ anderenȱ ergänztȱ würden.326ȱ Seiȱ manȱ jedochȱ bereit,ȱ denȱ Briefenȱ einȱ jeweilsȱ eigenständigesȱ Rechtȱ einzuräumen,ȱ soȱ ließenȱ sichȱ anȱ ganzȱ verschiedenenȱ Punktenȱ Differenzenȱ aufweisen:ȱ Soȱ seiȱ dieȱ Adresseȱ desȱ 2Timȱ ganzȱ andersȱ geȬ prägtȱ(„noȱovertonesȱbeyondȱ deepȱfriendship“)ȱalsȱdieȱvonȱ1Timȱ/ȱTit,ȱwelcheȱ eineȱdeutlicheȱInstitutionalisierungȱerkennbarȱwerdenȱlasse;ȱebensoȱließenȱsichȱ theologischeȱUnterschiedeȱaufzeigen.327ȱ DieseȱDifferenzenȱveranlassenȱMurphyȬO’ConnorȱzunächstȱnurȱzuȱderȱAnȬ nahme,ȱ dassȱ 2Timȱ einenȱ anderenȱ Autorȱ habenȱ müsseȱ alsȱ 1Timȱ /ȱ Tit,ȱ derȱ sichȱ zudemȱ durchȱ eineȱ größereȱ Näheȱ zuȱ Paulusȱ auszeichneȱ alsȱ derȱ Verfasserȱ derȱ beidenȱ anderenȱ Past.328ȱ Erstȱ inȱ seinerȱ 1996ȱ erschienenenȱ Monographieȱ zumȱ Themaȱ trittȱ MurphyȬO’Connorȱ ausdrücklichȱ fürȱ dieȱ Echtheitȱ desȱ 2Timȱ ein.ȱ DiesesȱMalȱsindȱfürȱihnȱjedochȱnichtȱtheologischȬsprachlicheȱUnterschiedeȱzwiȬ schenȱ denȱ dreiȱ Briefenȱ leitend,ȱ sondernȱ dieȱ Frage,ȱ wieȱ solcheȱ Schreiben,ȱ dieȱ auchȱ unterȱ denȱ pseudepigraphischenȱ Paulusbriefenȱ eineȱ Sonderrolleȱ einnehȬ menȱwürden,ȱalsȱechtȱhättenȱakzeptiertȱwerdenȱkönnen.ȱVoraussetzungȱfürȱdieȱ Abfassungȱ solcherȱ Briefeȱ müsseȱ dieȱ Existenzȱ mindestensȱ einesȱ echtenȱ MitarȬ beiterschreibensȱ gewesenȱ seinȱ –ȱ welchesȱ MurphyȬO’Connorȱ mitȱ demȱ 2Timȱ identifiziertȱ–,ȱdasȱdemȱNachahmerȱsowohlȱalsȱkonkreteȱliterarischeȱVorlageȱalsȱ auchȱalsȱBeweisȱfürȱdieȱfaktischeȱMöglichkeitȱsolcherȱSchreibenȱgedientȱhabe.329ȱ Indemȱ MurphyȬO’Connorȱ denȱ 2Timȱ inȱ derȱ 2.ȱ römischenȱ Gefangenschaftȱ verortet,ȱ kannȱ erȱ durchȱ denȱ dadurchȱ impliziertenȱ zeitlichenȱ Abstandȱ zuȱ denȱ anderenȱ Paulusbriefenȱ ebensoȱ wieȱ durchȱ dieȱ Adressierungȱ anȱ eineȱ EinzelperȬ sonȱundȱdieȱAbfassungȱnurȱdiesesȱBriefesȱohneȱHilfeȱeinesȱSekretärsȱseineȱSonȬ derstellungȱ imȱ authentischenȱ Corpusȱ Paulinumȱ begründen,ȱ inȱ demȱ erȱ aberȱ dennochȱ „atȱ home“ȱ sei.330ȱ Trotzȱ derȱ vielfältigenȱ Bezogenheitȱ MurphyȬO’ConȬ norsȱ aufȱ Priorȱ fälltȱ auf,ȱ dassȱ beideȱ denȱ alsȱ authentischȱ eingeordnetenȱ zweitenȱ Timotheusbriefȱaufgrundȱvonȱ2Timȱ4,6–8ȱinȱunterschiedlichenȱPhasenȱdesȱpauȬ linischenȱ Wirkensȱ verortenȱ können.ȱ Erkenntȱ Priorȱ dahinterȱ denȱ Elanȱ desȱ zuȱ neuenȱ Ufernȱ aufbrechendenȱ Paulusȱ amȱ Endeȱ seinerȱ erstenȱ römischenȱ GefanȬ genschaft,ȱsoȱdeutetȱMurphyȬO’ConnorȱdiesenȱBriefȱalsȱzufriedenenȱRückblickȱ desȱ inȱ derȱ zweitenȱ römischenȱ Gefangenschaftȱ mitȱ seinemȱ Lebenȱ abschließenȬ denȱApostels.331ȱ ȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 326ȱȱ Vgl.ȱMURPHYȬO’CONNOR,ȱ2Timothy,ȱ404;ȱders.,ȱPaul,ȱ357.ȱ 327ȱȱ Ders.,ȱ 2Timothy,ȱ 405f,ȱ Zitatȱ 405.ȱ Diesȱ entfaltetȱ MurphyȬO’Connorȱ inȱ Bezugȱ aufȱ Christologie,ȱEvangelium,ȱdasȱtheologischeȱAmtȱundȱdieȱIrrlehrerproblematikȱnäherȱ undȱkommtȱa.a.O.ȱ411,ȱzuȱdemȱErgebnis,ȱdassȱallȱdiesȱnurȱdenȱSchlussȱzulasse,ȱdassȱ dieȱBriefeȱunterschiedlicheȱhistorischeȱSituationenȱreflektieren.ȱ 328ȱȱ Vgl.ȱa.a.O.ȱ403f.418.ȱ 329ȱȱ Vgl.ȱa.a.O.ȱ357.360f.ȱ 330ȱȱ Ders.,ȱPaul,ȱ358f,ȱZitatȱ358.ȱ 331ȱȱ Zurȱ genauerenȱ Bestimmungȱ vonȱ Inhaltȱ undȱ Intentionȱ vonȱ 2Timȱ 4ȱ (bes.ȱ V.6–8)ȱ vgl.ȱ untenȱPunktȱIV.4.3.2.3.1ȱdieserȱArbeit.ȱ

94ȱ

II.ȱȱEinȱForschungsüberblickȱ

2006ȱ erschienȱ eineȱ weitereȱ Monographie,ȱ dieȱ beiȱ derȱ Beschäftigungȱ mitȱ 2Timȱ 2Timȱ4,(1–)7fȱbesondersȱbreitenȱRaumȱeinräumt.332ȱDochȱauchȱwennȱderȱAutorȱ Craigȱ Smithȱ dabeiȱ aufȱ Priorȱ Bezugȱ nimmt,ȱ wähltȱ erȱ selbstȱ einenȱ formaleren,ȱ weilȱgattungskritischenȱAnsatz:ȱ2TimȱseiȱnichtȱderȱGattungȱTestament,ȱsondernȱ derȱ Gattungȱ „charge“ȱ zuzuordnen333ȱ undȱ habeȱ esȱ sichȱ zumȱ Zielȱ gesetzt,ȱ Timotheusȱ inȱ seinerȱ Lebensführungȱ zuȱ bestärken.334ȱ Dieseȱ neueȱ GattungsbeȬ stimmungȱ führtȱ auchȱ zuȱ einerȱ Neuinterpretationȱ vonȱ 2Timȱ 4,ȱ woȱ nichtȱ derȱ MärtyrertodȱdesȱPaulus,ȱsondernȱvielmehrȱseineȱEntlassungȱausȱdemȱGefängnisȱ angesprochenȱ werde.ȱ Speziellȱ V.7ȱseiȱ daherȱ dannȱ auchȱ nichtȱ aufȱ dasȱ kurzȱ vorȱ derȱVollendungȱstehendeȱLebenȱdesȱPaulus,ȱsondernȱvielmehrȱaufȱseineȱVerteiȬ digungsredeȱvorȱGerichtȱzuȱbeziehen.335ȱȱ ȱ

DieȱhierȱdargestelltenȱAnsätzeȱhabenȱrichtigȱgesehen,ȱdassȱ2TimȱinnerȬ halbȱ derȱ Pastȱ inȱ derȱ Tatȱ eineȱ Sonderstellungȱ aufgrundȱ seinesȱ Themasȱ sowieȱ desȱ Umfangsȱ derȱ persönlichenȱ Abschnitteȱ zukommt.ȱ Indemȱ PriorȱundȱMurphyȬO’Connorȱ(undȱimplizitȱauchȱSmith)ȱdiesȱjedochȱmitȱ derȱ Frageȱ derȱ Verfasserschaftȱ koppelnȱ undȱ alsoȱ 2Timȱ alsȱ einzigȱ auȬ thentischenȱ Briefȱ ausȱ demȱ Corpusȱ derȱ dreiȱ Mitarbeiterschreibenȱ herȬ auslösenȱwollen,ȱvergebenȱsieȱdieȱChancen,ȱdieȱeinȱkritischerȱVergleichȱ derȱdreiȱBriefeȱunterȱpseudepigraphischemȱVorzeichenȱbietenȱwürde.ȱȱ

2.4.2ȱȱDerȱunterschiedlicheȱSituationsbezugȱderȱPastoralbriefeȱ DieseȱBeobachtung,ȱdassȱdieȱPastoralbriefeȱnichtȱnurȱinȱverschiedenenȱ Lebensphasenȱ desȱ Paulusȱ verfasstȱ sein,ȱ sondernȱ v.a.ȱ auchȱ inȱ jeweilsȱ unterschiedlicheȱ Gemeindesituationenȱ hineinsprechenȱ wollen,ȱ hatȱ imȱ NachgangȱderȱTrummerschenȱTheseȱimmerȱmehrȱanȱBedeutungȱverloȬ ren.ȱ Nichtȱ nurȱ dieȱ historischeȱ Situierungȱ desȱ angeblichenȱ Briefautors,ȱ sondernȱ auchȱ dieȱ Darstellungȱ derȱ Adressatengemeindeȱ konnteȱ ausȬ schließlichȱ alsȱ Elementȱ pseudepigraphischerȱ Machartȱ undȱ alsoȱ entweȬ derȱahistorischȱoderȱinȱBezugȱlediglichȱaufȱeineȱeinzigeȱSituationȱinterȬ pretiertȱ werden.ȱ Verstehtȱ manȱ jedochȱ entgegenȱ demȱ Konsensȱ dieseȱ historischenȱ Angabenȱ überȱ dieȱ Adressatenȱ alsȱ Ausweisȱ einerȱ imȱ HinȬ tergrundȱstehendenȱrealenȱSituation,ȱsoȱführtȱdiesȱauchȱbeimȱFesthaltenȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 332ȱȱ Derȱ Autorȱ betontȱ dabei,ȱ dassȱ erȱ dieȱ Verfasserschaftsfrageȱ offenȱ lassenȱ wolle,ȱ allerȬ dingsȱistȱeineȱgewisseȱTendenzȱzurȱVerfechtungȱeinerȱauthentischenȱAbfassungȱunȬ verkennbar.ȱ 333ȱȱ SoȱdasȱErgebnisȱderȱumfassendenȱUntersuchungȱvonȱSMITH,ȱTask,ȱ67–147.ȱ 334ȱȱ Vgl.ȱ a.a.O.ȱ 148ff;ȱ vgl.ȱ ebd.ȱ dieȱ Kritikȱ anȱ Priorsȱ Behauptung,ȱ imȱ 2Timȱ stündeȱ derȱ GlaubenȱdesȱTimotheusȱaufȱdemȱPrüfstand.ȱ 335ȱȱ Soȱa.a.O.ȱ98.119.142ȱu.ö.ȱ

2.ȱȱDasȱ20./21.ȱJahrhundertȱ

95ȱ

anȱ einerȱ identischenȱ Verfasserschaftȱ zurȱ Aufspaltungȱ derȱ dreiȱ Briefeȱ aufȱverschiedeneȱAdressatenkreise.336ȱ ȱ

SoȱbetontȱSchwarzȱinȱseinerȱUntersuchungȱzumȱbürgerlichenȱChristentumȱderȱ Past,ȱ dassȱ trotzȱ derȱ Vermutungȱ einerȱ einheitlichenȱ Verfasserschaftȱ derȱ dreiȱ Briefeȱ„anzunehmenȱist,ȱdaßȱderȱanonymeȱVerfasserȱdieȱeinzelnenȱBriefeȱnachȬ einanderȱ undȱ nichtȱ gleichzeitigȱ geschriebenȱ hat.“337ȱ Imȱ Folgendenȱ suchtȱ Schwarzȱ daherȱ inȱ engerȱ Anlehnungȱ anȱ denȱ bereitsȱ 1893ȱ erschienenenȱ KomȬ mentarȱ Hansȱ vonȱ Sodensȱ dieȱ Abfassungsreihenfolgeȱ derȱ dreiȱ Briefeȱ ausȱ denȱ einzelnenȱSchreibenȱselbstȱzuȱerhellen:338ȱWeilȱsowohlȱdieȱHaustafelȱTitȱ2,1–10ȱ alsȱ auchȱ derȱ Episkopenspiegelȱ Titȱ 1,5–9ȱ dieȱ gegenüberȱ 1Timȱ ursprünglichereȱ Formȱbildetenȱ(währendȱandereȱElementeȱdesȱ1Tim,ȱwieȱDiakonenspiegelȱundȱ Witwenregel,ȱ sogarȱ völligȱ fehltenȱ undȱ dessenȱ Ordnungȱ insgesamtȱ gefestigterȱ wirke,),ȱ seiȱ Titȱ derȱ ältereȱ derȱ beidenȱ Briefe.339ȱ 2Timȱ wiederumȱ seiȱ „derȱ urȬ sprünglichsteȱ [!]ȱ Past“340:ȱ Zumȱ einenȱ kommeȱ 2Timȱ schonȱ aufgrundȱ seinerȱ GestaltungȱalsȱAbschiedsrede,ȱseinerȱpersönlicherenȱElementeȱundȱdesȱFehlensȱ jeglicherȱAnweisungenȱanȱAmtsträgerȱeineȱSonderrolleȱinnerhalbȱdieserȱBriefeȱ zu.341ȱ Zumȱ anderenȱ findeȱ imȱ Titȱ ihmȱ gegenüberȱ eineȱ Steigerungȱ imȱ Hinblickȱ aufȱdenȱInhaltȱderȱIrrlehreȱundȱdieȱHeftigkeitȱihrerȱBekämpfungȱstatt.342ȱLeiderȱ fehltȱeineȱgründlichereȱReflexionȱderȱTatsache,ȱdassȱ2TimȱdenȱApostelȱkurzȱvorȱ seinemȱTodȱzeigt,ȱwährendȱdieȱlautȱSchwarzȱzeitlichȱspäterȱentstandenenȱandeȬ renȱ beidenȱ Pastȱ einȱ offensichtlichȱ früheresȱmissionarischesȱ Wirkenȱ desȱPaulusȱ voraussetzenȱ–ȱderȱHinweis,ȱdassȱesȱ„eherȱunwahrscheinlich“ȱsei,ȱdassȱTit/1Timȱ zumȱ Zeitpunktȱ derȱ Abfassungȱ desȱ 2Timȱ bereitsȱ geplantȱ waren,ȱ dürfteȱ wohlȱ kaumȱausreichen.343ȱDaherȱgreiftȱSchwarz’ȱNeuansatzȱinsgesamtȱzuȱkurz.ȱNichtȱ einmalȱ fürȱ seineȱ eigeneȱ Darstellungȱ wirdȱ dieserȱ fruchtbarȱ gemacht,ȱ vielmehrȱ verbleibtȱ Schwarzȱ hierȱ ganzȱ aufȱ derȱ Linieȱdesȱ Konsenses,ȱ wennȱ erȱ imȱ FolgenȬ denȱ behauptet,ȱ „[o]bȱ esȱ sichȱ umȱ eineȱ oderȱ mehrereȱ Gemeindenȱ handelt,ȱ kannȱ offenȱbleiben“,344ȱundȱnichtȱnurȱ(BelegeȱallerȱdreiȱBriefeȱkombinierend)ȱvonȱderȱ Gemeinde,ȱsondernȱauchȱvonȱdenȱIrrlehrernȱsprichtȱ–ȱauchȱwennȱ„esȱsichȱnichtȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 336ȱȱ DiesȱwurdeȱinȱAnsätzenȱschonȱversuchtȱvonȱSCHLARB,ȱLehre,ȱs.o.ȱS.ȱ73ȱAnm.ȱ216.ȱ 337ȱȱ SCHWARZ,ȱChristentum,ȱ23.ȱȱ 338ȱȱ ZumȱmethodischenȱVorgehenȱvgl.ȱa.a.O.ȱ22f:ȱ„EsȱstehtȱallgemeinȱaußerȱZweifel,ȱdaßȱ dieȱPastȱalleȱvonȱeinemȱAutorȱstammen.ȱ[…]ȱUnterȱdieserȱVoraussetzungȱistȱesȱlegiȬ tim,ȱinȱdenȱeinzelnenȱBriefenȱAnhaltspunkteȱzuȱsuchen,ȱdieȱeventuellȱEinblickȱinȱdieȱ Entstehungsgeschichteȱgebenȱkönnen“.ȱ 339ȱȱ Soȱ a.a.O.ȱ 23f,ȱ weitereȱ Beispieleȱ ebd;ȱ vgl.ȱ V.ȱ SODEN,ȱ Briefe,ȱ 154fȱ (1Timȱ setztȱ Titȱ vorȬ aus).ȱ 340ȱȱ SCHWARZ,ȱa.a.O.ȱ25.ȱ 341ȱȱ A.a.O.ȱ21.24f.ȱ 342ȱȱ A.a.O.ȱ24ȱAnm.ȱ33,ȱunterȱHinweisȱaufȱV.ȱSODEN,ȱBriefe,ȱ133.ȱ 343ȱȱ SoȱaberȱSCHWARZ,ȱa.a.O.ȱ25.ȱȱ 344ȱȱ A.a.O.ȱ26.ȱ

96ȱ

II.ȱȱEinȱForschungsüberblickȱ

umȱ eineȱ einheitlichȬgeschlosseneȱ Frontȱ handeln“ȱ müsseȱ –,ȱ denenȱ hierȱ mitȱ eiȬ nemȱ„stereotype[n]ȱKetzerbekämpfungsstil“ȱbegegnetȱwerde.345ȱȱ ȱ

Fürȱ verschiedeneȱ Adressatenkreiseȱ undȱ alsoȱ fürȱ einȱ Ernstnehmenȱ derȱ inȱdenȱPastȱerkennbarȱwerdendenȱunterschiedlichenȱhistorischenȱSituȬ ationenȱ plädiertȱ Howardȱ Marshall.ȱ Erȱ vertrittȱ zwarȱ dieȱ gemeinsameȱ Verfasserschaftȱ derȱ dreiȱ Briefe,ȱ leugnetȱ aberȱ ihreȱ Entstehungȱ alsȱ CorȬ pus:ȱGeradeȱweilȱ1TimȱundȱTitȱeineȱsoȱgroßeȱinhaltlicheȱNäheȱaufwieȬ sen,ȱaberȱErstererȱnichtȱeinfachȱeineȱErweiterungȱgegenüberȱLetzteremȱ sei,ȱsondernȱTitȱvielmehrȱwieȱeinȱ„firstȱattempt“ȱwirke,ȱdessenȱWeiterȬ tradierungȱ nichtȱ geplantȱ gewesenȱ sei,ȱ müsseȱ manȱ notwendigȱ zuȱ demȱ Ergebnisȱ kommen,ȱ „thatȱ theȱ differentȱ recipientsȱ ofȱ theȱ lettersȱ indicateȱ thatȱtheyȱwereȱmeantȱforȱmoreȱthanȱoneȱsituation,ȱalthoughȱtheseȱsituaȬ tionsȱwereȱbroadlyȱsimilar.“346ȱ Ausgehendȱ vonȱ 2Tim,ȱ demȱ Marshallȱ eineȱ „keyȱ role“ȱ fürȱ dieȱ Pastȱ zuerkennt,ȱentwirftȱerȱdaherȱeineȱeigeneȱErklärungshypotheseȱfürȱDreiȬ zahlȱ undȱ spezifischeȱ Formȱ derȱ Briefe:347ȱ 2Timȱ unterscheideȱ sichȱ nichtȱ nurȱinȱGenre,ȱInhaltȱundȱTonfallȱvonȱdenȱbeidenȱanderenȱPast,ȱsondernȱ fürȱihnȱkönneȱzumindestȱdannȱeineȱauthentischeȱVerfasserschaftȱangeȬ nommenȱ werden,ȱ wennȱ 1Timȱ undȱ Titȱ nichtȱ existierten,ȱ derenȱ pauliniȬ scherȱ Ursprungȱ hingegenȱ aufgrundȱ derȱ Kumulationȱ verschiedenerȱ Argumenteȱ abzulehnenȱ sei.ȱ Darausȱ folgertȱ Marshallȱ –ȱ dessenȱ Zugangȱ damitȱ inȱ eineȱ gewisseȱ Näheȱ zurȱ Fragmentenhypotheseȱ rücktȱ –,ȱ dassȱ hinterȱ 2Timȱ tatsächlichȱ derȱ Abschiedsbriefȱ desȱ Paulusȱ anȱ Timotheusȱ stehe,ȱ derȱ zumindestȱ fragmentarischȱ überliefertȱ worden,ȱ vonȱ einemȱ unbekanntenȱ Kompiliererȱ zuendeȱ geschriebenȱ undȱ aufgrundȱ derȱ sichȱ steigerndenȱIrrlehrerproblematikȱumȱ1TimȱundȱTitȱunterȱZuhilfenahmeȱ vonȱ traditionellemȱ (paulinischem?)ȱ Materialȱ alsȱ „aȱ secondȱ stepȱ inȱ theȱ processȱofȱpresentingȱPaulineȱteaching“ȱergänztȱwordenȱsei.348ȱDieȱvonȱ Marshallȱ postulierteȱ Entstehungsreihenfolgeȱ ergibtȱ sichȱ inȱ logischerȱ Konsequenz:ȱ2Timȱistȱ derȱältesteȱ derȱ dreiȱ Briefe,ȱaufȱihnȱ seiȱ zuerstȱ Titȱ undȱdannȱ1Timȱgefolgt.349ȱȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 345ȱȱ A.a.O.ȱ 26f,ȱ Zitateȱ 26.27.ȱ Inȱ anderenȱ Veröffentlichungenȱ kannȱ Schwarzȱ sogarȱ entgeȬ genȱderȱAngabenȱderȱPastȱbehaupten,ȱdieseȱrichtetenȱsichȱnachȱKorinth,ȱvgl.ȱzurȱDisȬ kussionȱdieserȱTheseȱWEISER,ȱ2Tim,ȱ61.ȱȱ 346ȱȱ MARSHALL,ȱPastoralȱEpistles,ȱ1,ȱbeideȱZitateȱebd.ȱȱ 347ȱȱ A.a.O.ȱ85f,ȱZitatȱ86.ȱ 348ȱȱ A.a.O.ȱ40.76.86ȱu.ö.,ȱZitatȱ86;ȱvgl.ȱa.a.O.ȱ92:ȱ„Theȱstimulusȱcameȱfromȱtheȱexistenceȱofȱ theȱauthenticȱlettersȱbehindȱ2ȱTim“.ȱ 349ȱȱ DennochȱkommentiertȱMarshallȱ dieȱdreiȱBriefeȱinȱeinerȱabweichendenȱReihenfolge,ȱ weilȱ Titȱ alsȱ derȱ Briefȱ mitȱ derȱ amȱ wenigstenȱ entwickeltenȱ Kirchenordnungȱ amȱ AnȬ fangȱzuȱstehenȱhabe,ȱundȱ2Timȱ„[which]ȱisȱintendedȱtoȱbeȱreadȱasȱPaul’sȱlastȱletter“ȱ

2.ȱȱDasȱ20./21.ȱJahrhundertȱ

97ȱ

DieȱzeitlicheȱVerortungȱderȱBriefeȱerfolgtȱüberȱdieȱhistorischeȱEinordnungȱderȱ bekämpftenȱ Irrlehreȱ sowieȱ derȱ Kirchenordnung.ȱ Beideȱ Elementeȱ deutetenȱ ebensoȱ wieȱ dieȱ sehrȱ persönlicheȱ Formȱ derȱ Auseinandersetzungȱ aufȱ dasȱ letzteȱ Drittelȱdesȱ1.ȱJahrhundertsȱundȱdaȱamȱehestenȱinȱdieȱZeitȱkurzȱnachȱdemȱTodȱ desȱ Paulus.350ȱ Daherȱ seiȱ esȱ sogarȱ denkbar,ȱ dassȱ derȱ Autorȱ ausȱ demȱ Kreisȱ derȱ PaulusschülerȱstammenȱkönneȱundȱdieȱdreiȱPastȱvielleichtȱsogarȱmitȱdemȱEinȬ verständnisȱ derȱ historischenȱ Personenȱ Timotheusȱ undȱ Titusȱ verfasstȱ wordenȱ seien.351ȱAuchȱinȱBezugȱaufȱdieȱLokalisierungȱderȱBriefeȱorientiertȱsichȱMarshallȱ anȱdenȱhistorischenȱAngabenȱderȱSchreiben.ȱWährendȱ1TimȱnachȱEphesusȱundȱ TitȱnachȱKretaȱgerichtetȱseinȱwillȱ(wasȱauchȱbeiȱpseudepigraphischenȱSchreibenȱ nichtȱnotwendigȱfürȱeineȱdortȱerfolgteȱAbfassungȱsprechenȱmüsse),ȱweistȱ2Timȱ aufgrundȱderȱskizziertenȱAbfassungssituationȱnachȱRom,ȱwasȱalsȱEntstehungsȬ ortȱ tatsächlichȱ denkbarȱ wäre,ȱ daȱ auchȱ vonȱ dortȱ ausȱ dieȱ kleinasiatischenȱ GeȬ meindenȱ(speziellȱEphesus)ȱimȱBlickȱseinȱkönnten.352ȱ ȱ

UmȱdieȱPastoralbriefeȱinȱihrerȱspezifischenȱbrieflichenȱundȱsprachlichenȱ Formȱ zuȱ beschreiben,ȱ führtȱ Marshallȱ denȱ Begriffȱ derȱ Allonymitätȱ ein:ȱ Dieȱ Pastȱ seienȱ imȱ Kontextȱ einerȱ antikenȱ Traditionȱ zuȱ lesen,ȱ nachȱ derȱ manȱ dasȱ Werkȱ einesȱ anderenȱ habeȱ postumȱ veröffentlichenȱ oderȱ sogarȱ inȱdessenȱSinneȱvollendenȱkönnen.ȱDiesȱerkläreȱauchȱdenȱoffensichtlichȱ unpaulinischenȱ Stil:ȱ Geradeȱ weilȱ derȱ PastȬVerfasserȱ dieȱ Briefeȱ nichtȱ habeȱ fälschenȱ wollen,ȱ habeȱ erȱ aufȱ eineȱ Stilimitationȱ verzichtenȱ könȬ nen.353ȱ Daherȱ könneȱ inȱ Bezugȱ aufȱ dieȱ Pastȱ nichtȱ vonȱ einerȱ bewusstenȱ Täuschungsabsichtȱ undȱ daherȱ auchȱ nichtȱ vonȱ Pseudepigraphieȱ dieȱ Redeȱ sein,ȱ vielmehrȱ seiȱ ihrȱ nachpaulinischerȱ Ursprungȱ zwarȱ nieȱ geȬ leugnet,ȱ aberȱ dennochȱ beiȱ nachfolgendenȱ Generationenȱ inȱ VergessenȬ heitȱgeraten,ȱsoȱdassȱdieȱBriefeȱdannȱfälschlichȱdemȱhistorischenȱPaulusȱ zugeschriebenȱwordenȱseien.354ȱȱ ȱ ȱ ȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ amȱ Schluss;ȱ soȱ a.a.O.ȱ 2.ȱ Dieȱ herausgearbeiteteȱ Abfassungsreihenfolgeȱ wirdȱ fürȱ dieȱ eigeneȱInterpretationȱalsoȱnichtȱausgewertet.ȱ 350ȱȱ Soȱa.a.O.ȱ42ff.51ff.88,ȱvgl.ȱebd.ȱ55,ȱdenȱVerweisȱaufȱTHIESSEN,ȱEphesus,ȱpassim.ȱ 351ȱȱ MARSHALL,ȱPastoralȱEpistles,ȱ53.86,ȱvgl.ȱa.a.O.ȱ88,ȱMarshallsȱSpekulation,ȱderȱAutorȱ könneȱsichȱselbstȱinȱdenȱausführlichenȱSchlussgrüßenȱdesȱ2Timȱmitgenanntȱhaben.ȱ 352ȱȱ Vgl.ȱa.a.O.ȱ89f.ȱ 353ȱȱ A.a.O.ȱ91f.ȱȱ 354ȱȱ Soȱa.a.O.ȱ83–85,ȱvgl.ȱzumȱBegriffȱselbstȱa.a.O.ȱ92.ȱ

98ȱ

II.ȱȱEinȱForschungsüberblickȱ

2.4.3ȱȱDieȱPastoralbriefeȱalsȱMeilensteineȱaufȱdemȱWegȱ desȱnachpaulinischenȱChristentumsȱ Mancheȱ Exegetenȱ gewichtenȱ dieȱ zwischenȱ denȱ Briefenȱ bestehendenȱ Differenzenȱ(bzw.ȱeinenȱinnerhalbȱderȱEinzelschreibenȱfestzustellendenȱ MangelȱanȱKohäsionȱoderȱKohärenz)ȱsoȱstark,ȱdassȱsieȱdadurchȱzuȱderȱ endgültigȱ mitȱ derȱ Behauptungȱ derȱ sprachlichȬtheologischenȱ EinheitȬ lichkeitȱ derȱ Briefeȱ brechendenȱ Theseȱ mehrererȱ unterschiedlicherȱ VerȬ fasserȱkommen.ȱ ȱ

Soȱ vermuteteȱ Hofrichterȱ bereitsȱ 1987ȱ hinterȱ denȱ Pastoralbriefenȱ mehrȱ alsȱ nurȱ einenȱeinzigenȱAutor:ȱErȱwarfȱderȱbisherigenȱexegetischenȱForschungȱvor,ȱweȬ derȱdieȱsprachlichenȱundȱinhaltlichenȱUnterschiedeȱzwischenȱdenȱPastȱundȱdieȱ Sonderstellungȱ desȱ 2Timȱ innerhalbȱ dieserȱ dreiȱ Schreibenȱ ausreichendȱ bedachtȱ zuȱhaben,ȱnochȱzuȱeinerȱzufriedenȱstellendenȱErklärungȱderȱAbfassungsursacheȱ gekommenȱ zuȱ seinȱ –ȱ dieȱ erȱ selbstȱ allerdingsȱ inȱ derȱ Auseinandersetzungȱ mitȱ demȱ 1Petrȱ sieht:355ȱ Soȱ reagiereȱ Titȱ unmittelbarȱ aufȱ 1Petr,ȱ währendȱ 1Timȱ wieȬ derumȱ aufȱ denȱ älterenȱ Titȱ bezogenȱ sei.ȱ Dabeiȱ seienȱ aberȱ innerhalbȱ vonȱ 1Timȱ zweiȱ verschiedeneȱ Bearbeitungsstufenȱ zuȱ unterscheidenȱ undȱ 1Timȱ 4–6ȱ gegenȬ überȱ 1Timȱ 1–3ȱ aufgrundȱ vonȱ inhaltlichenȱ undȱ sprachlichȬstilistischenȱ EigenȬ heitenȱ einemȱ späterenȱ Überarbeiterȱ zuzuweisen.ȱ Abschließendȱ bestimmtȱ HofȬ richterȱ daherȱ alsȱ Entstehungsreihenfolgeȱ derȱ Briefeȱ (1Petrȱ –)ȱ Titȱ –ȱ 1Timȱ 1–3ȱ –ȱ 1Timȱ4–6ȱ–ȱ2Tim.ȱEineȱgenauereȱzeitlicheȱoderȱlokaleȱEinordnungȱderȱeinzelnenȱ Briefautorenȱunterbleibt.356ȱȱ ȱ

1997ȱ formulierteȱ Jamesȱ Millerȱ dieȱ Erkenntnis,ȱ dassȱ Strukturȱ undȱ theȬ matischerȱ Aufbauȱ derȱ einzelnenȱ Pastȱ inȱ sichȱ völligȱ zusammenhanglosȱ seien,ȱ dassȱ dieseȱ Briefeȱ zugleichȱ aberȱ auchȱ Elementeȱ authentischerȱ paulinischerȱTexteȱenthielten.ȱMillerȱkannȱdamitȱalsȱeinerȱderȱneuestenȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 355ȱȱ Vgl.ȱHOFRICHTER,ȱ Strukturdebatte,ȱ101ff:ȱSoȱsolleȱTitȱalsȱÄltesterȱderȱPastȱ„demȱPetȬ rusbriefȱ einenȱ Paulusbriefȱ entgegen“ȱ (ebd.ȱ 104)ȱ setzenȱ undȱ seiȱ daherȱ alsȱ konträreȱ Auslegungȱvonȱ1Petrȱ5,1–5ȱkonzipiert.ȱ1TimȱseiȱwiederumȱunterȱKenntnisȱdesȱ1Petrȱ alsȱdezidierteȱKorrekturȱdesȱTitȱformuliert:ȱErȱschwächeȱinsgesamtȱdessenȱAntijudaȬ ismusȱab,ȱverkehreȱseinenȱAntinomismusȱinsȱGegenteilȱundȱspitzeȱdieȱeherȱunspeziȬ fischeȱIrrlehrerpolemikȱdesȱTitȱgnostischȱzu,ȱwobeiȱerȱzugleichȱversuche,ȱdieȱTatsaȬ cheȱ dieserȱ Bearbeitungȱ einerȱ Vorlageȱ zuȱ verschleiern;ȱ vgl.ȱ ebd.ȱ 103:ȱ „Zurȱ Tarnungȱ derȱliterarischenȱAbhängigkeitȱwerdenȱdieȱThemenȱdesȱBezugstextesȱinȱumgekehrterȱ Reihenfolge,ȱ alsoȱ vonȱ hintenȱ beginnend,ȱ abgehandelt.ȱ Außerdemȱ istȱ imȱ 1.ȱ TimoȬ theusbriefȱdasȱVorbildȱverdoppelt.“ȱEinenȱvölligȱanderenȱAkzentȱsetzeȱderȱalsȱLetzȬ tesȱhinzugekommeneȱ2Tim,ȱdessenȱZielȱesȱsei,ȱdieȱ(LeidensȬ)NachfolgeȱdesȱApostelsȱ alsȱNormȱjederȱAmtsführungȱfestzuschreiben.ȱVgl.ȱzurȱFrageȱdesȱVerhältnissesȱzwiȬ schenȱpaulinischenȱundȱpetrinischenȱTraditionenȱgrundsätzlichȱHERZER,ȱPetrus,ȱpasȬ sim.ȱ 356ȱȱ HOFRICHTER,ȱa.a.O.ȱ112–114.ȱ

2.ȱȱDasȱ20./21.ȱJahrhundertȱ

99ȱ

Vertreterȱ derȱ Fragmentenhypotheseȱ gelten.ȱ Weilȱ erȱ jedochȱ dieȱ AnȬ nahmeȱeinesȱeinzigenȱ–ȱorthonymenȱoderȱpseudoymenȱ–ȱVerfassersȱmitȱ Schwierigkeitenȱ behaftetȱ sieht,ȱ wirdȱ seineȱ Theseȱ hierȱ gesondertȱ undȱ ausführlichȱdargestellt.ȱ ZahlreicheȱstilistischeȱDifferenzenȱzwischenȱdenȱeinzelnenȱPastȱsoȬ wieȱ dieȱ Variationsbreiteȱ innerhalbȱ ihrerȱ pseudepigraphischenȱ Formȱ (manȱ denkeȱ z.B.ȱ anȱ dieȱ Häufungȱ persönlicherȱ Notizenȱ imȱ 2Tim,ȱ demȱ 1Timȱ /ȱ Titȱ nichtsȱ Vergleichbaresȱ entgegenȱ zuȱ setzenȱ hätten),ȱ sprächenȱ grundsätzlichȱ gegenȱ dieȱ Annahmeȱ einesȱ einzelnenȱ Autorsȱ –ȱ ebensoȱ auchȱArgumenteȱwieȱlogischeȱBrüche,ȱGedankensprüngeȱundȱdasȱFehȬ lenȱ jeglichenȱ strukturiertenȱ Aufbaus,ȱ dieȱ i.d.R.ȱ ausschließlichȱ gegenȱ eineȱ paulinischeȱ Autorschaftȱ insȱ Feldȱ geführtȱ werden,ȱ imȱ Grundeȱ alsȱ Argumenteȱ gegenȱ eineȱ Einzelverfasserschaftȱ insgesamtȱ geltenȱ müssȬ ten.357ȱȱ Stattdessenȱ willȱ Millerȱ nachweisen,ȱ dassȱ dieȱ dreiȱ Schreibenȱ inȱ Analogieȱ zuȱ anderenȱ religiösenȱ Genresȱ einenȱ ca.ȱ 100ȱ Jahreȱ dauerndenȱ Überarbeitungsprozessȱ durchlaufenȱ hätten.358ȱ Dazuȱ führtȱ erȱ eineȱ ausȬ führlicheȱkompositionelleȱAnalyseȱderȱdreiȱSchreibenȱdurch,ȱumȱsoȱdieȱ nurȱ sehrȱ loseȱ Verknüpfungȱ desȱ verwendetenȱ Materialsȱ innerhalbȱ derȱ einzelnenȱBriefeȱaufzuzeigen.359ȱ AmȱAnfangȱdiesesȱbrieflichenȱWachstumsprozessesȱhättenȱdieȱperȬ sönlichenȱ Notizenȱ derȱ Pastȱ gestanden,ȱ dieȱ Millerȱ fürȱ historischȱ hält,ȱ aberȱ andersȱ alsȱ dieȱ Vertreterȱ derȱ klassischenȱ Fragmentenhypotheseȱ nichtȱ alsȱ isoliertȱ überlieferteȱ Einzelelementeȱ betrachtet,ȱ derenȱ unterȬ schiedlichȱ gewichtetesȱ Vorkommenȱ inȱ denȱ ansonstenȱ literarischȱ alsȱ einheitlichȱbetrachtetenȱPastȱdannȱmühsamȱerklärtȱwerdenȱmüsse,ȱsonȬ dernȱdenenȱerȱihrenȱorginärenȱPlatzȱimȱKontextȱvonȱMitarbeiterschreiȬ benȱ desȱ Paulusȱ zuweist,ȱ welcheȱ alsȱ Paulusbriefeȱ gelesenȱ undȱ imȱ TraȬ dierungsprozessȱ überarbeitetȱ wordenȱ seien.360ȱ Zwarȱ seiȱ esȱ nichtȱ mehrȱ möglich,ȱdenȱgenauenȱUmfangȱdieserȱBriefeȱzuȱextrapolieren,ȱaberȱihreȱ IntentionȱsowieȱihrȱhistorischerȱOrtȱ(imȱRahmenȱeinerȱmissionarischenȱ TätigkeitȱdesȱPaulusȱnachȱseinerȱFreilassungȱausȱderȱerstenȱrömischenȱ Gefangenschaft)ȱ ließenȱ sichȱ mithilfeȱ derȱ persönlichenȱ Notizenȱ nochȱ erhellen:ȱ Derȱ ersteȱ Briefȱ desȱ Paulusȱ anȱ Timotheusȱ undȱ derȱ Titusbriefȱ hättenȱ derȱ bekräftigendenȱ Wiederholungȱ vorherȱ gegebenerȱ InformatiȬ onenȱ ebensoȱ gedientȱ wieȱ derȱ Weitergabeȱ vonȱ Neuigkeitenȱ undȱ derȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 357ȱȱ MILLER,ȱDocuments,ȱ9–11.139f.ȱ 358ȱȱ A.a.O.ȱ46.49.ȱ 359ȱȱ A.a.O.ȱ13.57ffȱ(1Tim).96ffȱ(2Tim).124ffȱ(Tit).ȱ 360ȱȱ A.a.O.ȱ21.146.ȱ

100ȱ

II.ȱȱEinȱForschungsüberblickȱ

Bestätigungȱ derȱ beidenȱ Mitarbeiter.ȱ Imȱ 2Timȱ erkenntȱ Millerȱ zweiȱ verȬ schiedeneȱpaulinischeȱNotizenȱwieder:ȱNebenȱeinemȱpersönlichenȱAbȬ schiedsgrußȱ desȱ Paulusȱ anȱ Timotheusȱ verbergeȱ sichȱ hinterȱ demȱ weitȱ ausholendenȱ undȱ inȱ ganzȱ anderemȱ Duktusȱ gehaltenenȱ 4.ȱ Kapitelȱ desȱ 2Timȱ einȱ eigenständigerȱ paulinischerȱ Brief.361ȱ Diesȱ revidiertȱ dieȱ wenigȱ vorherȱ getroffeneȱ Feststellung,ȱ dassȱ mitȱ diesemȱ Ansatzȱ dasȱ Problemȱ derȱ Dreizahlȱ derȱ Briefeȱ gelöstȱ sei,362ȱ allerdingsȱ erheblich,ȱ ohneȱ dassȱ MillerȱdiesesȱProblemȱerneutȱreflektiert.ȱ Dieȱ früheȱ Kircheȱ habeȱ dieseȱ Briefeȱ wahrscheinlichȱ ausȱ demȱ InteȬ resseȱ herausȱ aufbewahrt,ȱ dadurchȱ (bestimmte)ȱ Paulusmitarbeiterȱ zuȱ autorisierenȱ (1Timȱ /ȱ Tit)ȱ bzw.ȱ ihreȱ Personaldatenȱ zuȱ traditionalisierenȱ (2Timȱ4)ȱoderȱaberȱeineȱErinnerungȱanȱdieȱletztenȱTageȱdesȱPaulusȱzuȱ bewahrenȱ(2Timȱ1ff).ȱDieȱÜberarbeitungȱderȱBriefeȱseiȱüberȱJahrzehnteȱ hinwegȱ inȱ einerȱ Gruppeȱ erfolgt,ȱ dieȱ sichȱ demȱ Apostelȱ Paulusȱ verȬ pflichtetȱ gefühltȱ habe.363ȱ Geradeȱ weilȱ aberȱ dieȱ Pastȱ inȱ mehrerenȱ SchüȬ benȱüberarbeitetȱwordenȱseien,ȱseiȱesȱnichtȱmöglich,ȱsieȱdarüberȱhinausȱ konkreterȱzeitlichȱoderȱlokalȱzuȱverorten.364ȱȱ Aufȱ dieseȱ Weiseȱ willȱ Millerȱ dieȱ Briefeȱ inȱ ihrerȱ Spezifikȱ ernstȱ nehȬ menȱundȱsieȱnichtȱausschließlichȱüberȱihrenȱgegenüberȱPaulusȱdefizitäȬ renȱCharakterȱbestimmen.365ȱ ȱ EbensoȱwieȱJamesȱMillerȱsiehtȱauchȱWilliamȱRichardsȱinȱdenȱPastoralȬ briefenȱMeilensteineȱaufȱdemȱlangenȱWegȱdesȱnachpaulinischenȱChrisȬ tentums.ȱ Dieȱ zwischenȱ denȱ dreiȱ Briefenȱ bestehendenȱ Unterschiedeȱ veranlassenȱ ihnȱ zuȱ derȱ These,ȱ „thatȱ theȱ Pastorals,ȱ evenȱ amongȱ themȬ selvesȱasȱdiscreteȱtexts,ȱrevealȱtheȱdifferencesȱinȱPaulineȱChristianityȱasȱ itȱcameȱtoȱtheȱendȱofȱitsȱfirstȱcentury“.366ȱDazuȱuntersuchtȱRichardsȱdieȱ typischenȱbrieflichenȱMerkmaleȱderȱSchreibenȱundȱcharakterisiertȱjedenȱ derȱdreiȱPastȱalsȱ„aȱparticularȱtypeȱofȱepistolaryȱconversation“,ȱaufȱwelȬ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 361ȱȱ Soȱ a.a.O.ȱ 147–150,ȱ vgl.ȱ ebd.ȱ 150:ȱ „Eachȱ ofȱ theseȱ fourȱ Paulineȱ notesȱ isȱ plausibleȱ asȱ aȱ completeȱandȱindependentȱletter.“ȱ 362ȱȱ Vgl.ȱa.a.O.ȱ146:ȱ„[W]eȱpossessȱthreeȱlettersȱbecauseȱthreeȱPaulineȱnotesȱwereȱwrittenȱ andȱpreserved.“ȱ 363ȱȱ DennochȱdürfeȱdieseȱGruppeȱkeineswegsȱmitȱdemȱBegriffȱ„Paulusschule“ȱumschrieȬ benȱ werden,ȱ daȱ sieȱ zusätzlichȱ zuȱ einerȱ rechtȱ freienȱ Umgestaltungȱ desȱ paulinischenȱ MaterialsȱweitereȱtraditionelleȱurchristlicheȱÜberlieferungenȱaufgenommenȱhabe.ȱ 364ȱȱ Vgl.ȱMILLER,ȱDocuments,ȱ140–145.150.155–158.ȱ 365ȱȱ A.a.O.ȱ138.159ff.ȱDieseȱinȱbesondererȱWeiseȱanȱderȱBriefstrukturȱorientierteȱPastoralȬ briefexegeseȱbliebȱnichtȱlangeȱunwidersprochen;ȱvgl.ȱz.B.ȱ VANȱ NESTE,ȱ Cohesion,ȱpasȬ sim.ȱ 366ȱȱ RICHARDS,ȱDifference,ȱ25;ȱimȱOrig.ȱkursiv.ȱ

2.ȱȱDasȱ20./21.ȱJahrhundertȱ

101ȱ

chenȱnurȱeineȱderȱgerneȱfürȱalleȱdreiȱBriefeȱbeanspruchtenȱCharakteriȬ sierungȱalsȱ„‚Official,‘ȱ‚Pastoral,‘ȱ‚Cover,‘“ȱzutreffe.367ȱ ȱ

MitȱdieserȱDifferenzierungȱnimmtȱRichardsȱeinerseitsȱAunesȱanȱderȱjeweiligenȱ Zielgruppeȱ orientierteȱ Einteilungȱ aufȱ undȱ unterscheidetȱ zwischenȱ „Privateȱ Letters“ȱ (vonȱ einerȱ Einzelpersonȱ undȱ anȱ eineȱ Einzelperson,ȱ mitȱ ganzȱ unterȬ schiedlichenȱ Themen)ȱ „Officialȱ Letters“ȱ (offizielleȱ Schreibenȱ mitȱ bestimmtenȱ formalenȱCharakteristiken),ȱ„LiteraryȱLetters“ȱ(fiktivȱoderȱreal,ȱwollenȱinȱjedemȱ Fallȱ mehrȱ Menschenȱ erreichenȱ alsȱ sieȱ scheinbarȱ ansprechen),ȱ „Letterȱ Essay“ȱ (Wiederverarbeitungȱ vonȱ bereitsȱ geschriebenemȱ Material,ȱ Merkmalȱ derȱ DreiȬ stufigkeit:ȱ ichȬduȬsie),ȱ „Coveringȱ Letters“ȱ (Briefe,ȱ dieȱ anderesȱ geschriebenesȱ Materialȱ rahmenȱ sollen).368ȱ Andererseitsȱ kombiniertȱ erȱ diesȱ mitȱ derȱ vonȱ StoȬ wersȱvorgenommenenȱintentionalenȱEinteilung:ȱFamilyȱLettersȱ–ȱFriendlyȱLetȬ tersȱ(GemeinschaftȱwährendȱAbwesenheit)ȱ–ȱLettersȱofȱMediationȱ(Vermittlungȱ fürȱeinenȱDritten,ȱz.B.ȱPhlmȱ[Onesimus])ȱ–ȱLettersȱofȱPraiseȱorȱBlameȱ(Epideicticȱ Letters)ȱ –ȱ Lettersȱ ofȱ Apologyȱ andȱ ofȱ Accusationȱ (Judicialȱ Lettersȱ [derȱ Fokusȱ liegtȱhierȱaufȱderȱsichȱselbstȱverteidigendenȱPerson])ȱ–ȱDeliberativeȱLetters.369ȱ ȱ

ImȱTitȱerkenntȱRichardsȱeineȱ„assemblageȱofȱcommandȱandȱcustom“ȱinȱ Formȱeinesȱ„OfficialȱDeliberativeȱLetter“,370ȱdessenȱschonȱausȱdemȱnurȱ demȱ Römȱ vergleichbarenȱ Präskriptȱ abzulesendeȱ Funktionȱ esȱ sei,ȱ dieȱ Personȱ desȱ Paulusȱ durchȱ Titusȱ alsȱ seinenȱ kretischenȱ Stellvertreterȱ inȱ einerȱ schonȱ längerȱ bestehenden,ȱ aberȱ nichtȱ dezidiertȱ paulinischenȱ GeȬ meindeȱ bekanntȱ zuȱ machen.371ȱ Dieȱ eigentlicheȱ impliziteȱ Leserinȱ diesesȱ BriefesȱüberȱTitusȱhinausȱseiȱdaherȱdieȱchristlicheȱGemeindeȱaufȱKreta.ȱȱ 2Timȱhingegen,ȱdenȱRichardsȱalsȱ„TheȱLetterȱtoȱtheȱBelovedȱTimoȬ thy“ȱbezeichnet,ȱzeichneȱsichȱdurchȱeinenȱimȱVergleichȱmitȱTitȱwärmeȬ renȱundȱfreundschaftlicherenȱTonfallȱaus.ȱNurȱerȱseiȱdaherȱalsȱpastoraȬ lesȱ Schreibenȱ zuȱ charakterisieren.372ȱ Dieȱ genaueȱ Bestimmungȱ derȱ Briefformȱ fälltȱ Richardsȱ hierȱ schwer;ȱ dieȱ gängigeȱ Einordnungȱ alsȱ TesȬ tamentȱlehntȱerȱtrotzȱeinerȱermahnendenȱGrundtendenzȱab,ȱkannȱselbstȱ aberȱ 2Timȱ wederȱ alsȱ einenȱ offiziellenȱdeliberativenȱ Briefȱ nochȱalsȱ eineȱ schlichtȱ privateȱ Paräneseȱ deuten,ȱ undȱ kommtȱ schließlichȱ zuȱ demȱ ErȬ gebnis,ȱ derȱ Briefȱ wolleȱalsȱ „aȱ Privateȱ Deliberativeȱ Letter“ȱ gelesenȱwerȬ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 367ȱȱ A.a.O.ȱ189f.ȱ 368ȱȱ Vgl.ȱAUNE,ȱEnvironment,ȱ161–172,ȱsowieȱaußerdemȱRICHARDS,ȱa.a.O.ȱ55–57.ȱ 369ȱȱ Vgl.ȱRICHARDS,ȱa.a.O.ȱ58–61,ȱvgl.ȱdazuȱSTOWERS,ȱWriting,ȱ49ff,ȱsowieȱders.,ȱTypificaȬ tion,ȱbes.ȱ79fȱu.ö.ȱ(zurȱtheoretischenȱGrundlegung).ȱ 370ȱȱ RICHARDS,ȱa.a.O.ȱ95–97,ȱZitateȱ95.97.ȱ 371ȱȱ Vgl.ȱdieȱargumentativeȱBegründungȱdieserȱSonderpositionenȱa.a.O.ȱ97.99.194,ȱsowieȱ a.a.O.ȱ72,ȱdenȱHinweisȱdarauf,ȱdassȱTitȱ1,1–4ȱdeutlichȱmache,ȱdassȱderȱBriefȱnichtȱanȱ Titus,ȱsondernȱanȱdieȱLeserȱhinterȱdemȱLeserȱgerichtetȱsei.ȱ 372ȱȱ Vgl.ȱa.a.O.ȱ101.129f.192–194,ȱZitatȱ101.ȱ

102ȱ

II.ȱȱEinȱForschungsüberblickȱ

den,ȱ seiȱ aberȱ „aȱ Literaryȱ Deliberativeȱ Letter“.373ȱ Ursacheȱ seinerȱ AbfasȬ sungȱ seiȱ eineȱ offensichtlicheȱ Leidenszeit,ȱ welcheȱ dieȱ implizitȱ angeȬ sprocheneȱ Gemeindeȱ getroffenȱ habeȱ undȱ überȱ dieȱ sieȱ alsȱ eineȱ pauliniȬ scheȱ durchȱ dasȱ Beispielȱ desȱ Apostelsȱ getröstetȱ werdenȱ solle.ȱ GemeinȬ deorganisatorischeȱBelangeȱseienȱhingegenȱnichtȱimȱBlick.374ȱȱ „Theȱ Letterȱ toȱ Timothyȱ theȱ True“ȱ (1Tim)ȱ schließlichȱ seiȱ insgesamtȱ alsȱLetterȬEssayȱzuȱcharakterisieren,ȱwelcherȱzahlreicheȱfixierteȱchristliȬ cheȱ Traditionenȱ aufnehmeȱ undȱ eineȱ eherȱ spätȱ anzusetzendeȱ ZusamȬ menfassungȱ derȱ paulinischenȱ Lehreȱ biete.ȱ Diesȱ impliziere,ȱ dassȱ erȱ alsȱ einzigerȱderȱdreiȱBriefeȱeineȱbereitsȱliterarischȱvorliegende,ȱfestȱumrisȬ seneȱ Paulustraditionȱ voraussetze.ȱ Imȱ Zentrumȱ desȱ Briefesȱ steheȱ dieȱ Auseinandersetzungȱ mitȱ denȱ Irrlehrern,ȱ fürȱ derenȱ Abweisungȱ derȱ alsȱ selbstbewussterȱ Lehrerȱ gezeichneteȱ Timotheusȱ „anȱ outlineȱ ofȱ theȱ baȬ sics“ȱbenötigeȱundȱdenenȱderȱbekehrteȱSünderȱPaulusȱ(1,12–17)ȱalsȱVorȬ bildȱ fürȱ eineȱmöglicheȱ Kehrtwendeȱ desȱ Lebensstilsȱvorȱ Augenȱ gestelltȱ werde.ȱ Dasȱ imȱ Kontextȱ paulinischerȱ Briefeȱ auffallendȱ knappeȱ PostȬ skriptȱ dürfeȱ dabeiȱ nichtȱ überraschen,ȱ sondernȱ müsseȱ vorȱ demȱ HinterȬ grundȱ vergleichbarȱ kurzerȱ Schlüsseȱ hellenistischerȱ Briefeȱ interpretiertȱ werden.375ȱ Andersȱ alsȱ inȱ denȱ beidenȱ anderenȱ Pastoralbriefenȱ seiȱ hierȱ nichtȱdieȱGemeindeȱalsȱganzeȱangesprochen,ȱsondernȱkonzentriereȱsichȱ derȱ Briefinhaltȱ tatsächlichȱ aufȱ dasȱ Leitungsamt,ȱ überȱ welchesȱ derȱ GeȬ meindeȱ eineȱ neueȱ ethischeȱ undȱ theologischeȱ Basisȱ vermitteltȱ werdenȱ solle.376ȱ Zusammenfassendȱ hältȱ Richardsȱ zuȱ denȱ soȱ charakterisiertenȱ Briefenȱfest:ȱ„TheȱthreeȱPastoralsȱ[…]ȱimplyȱthreeȱveryȱdifferentȱreaderȬ ships:ȱ aȱ nonȬPaulineȱ communityȱ inȱ theȱ midstȱ ofȱ organizalȱ changeȱ (TiȬ tus);ȱindividualsȱwithinȱtheȱPaulineȱmovementȱunderȱthreatȱofȱslanderȱ andȱ prosecutionȱ fromȱ theȱ surroundingȱ socialȱ orderȱ (2ȱ Timothy);ȱ andȱ thoseȱ individualsȱ preparedȱ toȱ assumeȱ leadershipȱ withinȱ Paulineȱ comȬ munitiesȱsoȱasȱtoȱimposeȱorderȱinȱaȱchurchȱonȱtheȱvergeȱofȱimplodingȱ (1ȱTimothy).“377ȱ DochȱnichtȱnurȱBriefformȱundȱȬanlassȱsowieȱdieȱFormȱdesȱUmgangsȱ mitȱ paulinischerȱ Traditionȱ differiertenȱ erheblich,ȱ auchȱ dasȱ Paulusbildȱ derȱdreiȱSchreibenȱzeugeȱvonȱeinemȱstarkȱvariierendenȱBildȱdesȱjeweiliȬ genȱ Autors:ȱ Währendȱ Titȱ Paulusȱ alsȱ loyalenȱ Sklavenȱ Gottesȱ schildere,ȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 373ȱȱ Soȱa.a.O.ȱ131.136,ȱZitateȱ136.ȱ 374ȱȱ Vgl.ȱa.a.O.ȱ200.ȱ 375ȱȱ A.a.O.ȱ146f.172ff.180ff,ȱZitatȱ195.ȱ 376ȱȱ Vgl.ȱa.a.O.ȱ201.207.ȱ 377ȱȱ A.a.O.ȱ202.ȱ

2.ȱȱDasȱ20./21.ȱJahrhundertȱ

103ȱ

seiȱ derȱ Paulusȱ desȱ 2Timȱ „lessȱ ‚theȱ thinker‘ȱ andȱ moreȱ ‚theȱ feeler‘“,ȱ derȱ sichȱ demȱ Willenȱ Gottesȱ fürȱ seinenȱ Lebensplanȱ unterordne.378ȱ Dieȱ Paulusfigurȱdesȱ1Timȱhingegenȱkönneȱnurȱalsȱ„moreȱthanȱanȱindividualȱ personality“ȱbeschriebenȱwerden;ȱdieserȱPaulusȱenthalteȱ„aȱmixȱofȱperȬ sonalities“ȱ undȱ seiȱ „aȱ rhetoricalȱ summaryȱ ofȱ himself“.379ȱ Darausȱ lasseȱ sichȱeineȱCharakterisierungȱdesȱTitȬAutorsȱalsȱeinesȱ‚Ältesten‘ȱerheben,ȱ derȱ seineȱ eigeneȱ paulinischeȱ Traditionȱ fürȱ eineȱ nichtȬpaulinischeȱ GeȬ meindeȱneuȱdeute,ȱwährendȱsichȱderȱTonȱdesȱ2Timȱdurchȱeinenȱ„pastoȬ ralȱlink“ȱauszeichneȱundȱseinȱVerfasserȱdarumȱalsȱ‚Pastor‘ȱzuȱbezeichȬ nenȱ sei.ȱ Denȱ Autorȱ desȱ 1Timȱ hingegenȱ definiertȱ Richardsȱ alsȱ ‚Lehrer‘,ȱ weilȱerȱsichȱmitȱeinerȱstrengȱausgelegtenȱpaulinischenȱLehreȱvorstelle.380ȱ DiesȱallesȱlegtȱfürȱRichardsȱdenȱSchlussȱnahe,ȱdassȱhinterȱdenȱdreiȱ Pastȱ mehrereȱ Verfasserȱ zuȱ vermutenȱ seien:ȱ Dieȱ Aufnahmeȱ vonȱ ganzȱ unterschiedlichemȱpaulinischenȱMaterialȱinȱTitȱundȱ2TimȱundȱderȱdiffeȬ rierendeȱUmgangȱdamitȱwiesenȱzunächstȱaufȱzumindestȱzweiȱverschieȬ deneȱ Autorenȱ hin.ȱ Hinzuȱ kommeȱ dieȱ auffälligeȱ Beobachtung,ȱ dassȱ beideȱ Briefeȱ ursprünglichȱ jeweilsȱ alsȱ „Coveringȱ Letters“ȱ desȱ Corpusȱ Paulinumȱ konzipiertȱ wordenȱ seien.381ȱ Imȱ Hinblickȱ aufȱ 1Timȱ falleȱ auf,ȱ dassȱerȱinȱoffensichtlicherȱliterarischerȱAbhängigkeitȱzuȱbeidenȱanderenȱ Briefenȱ steheȱ –ȱ „Inȱ short,ȱ weȱ areȱ facedȱ withȱ anȱ epistolaryȱ ‚synopticȱ problem.‘“ȱ–,ȱdaȱerȱmitȱTitȱdieȱBrieferöffnungȱdurchȱeineȱSelbstvorstelȬ lungȱ desȱ Paulusȱ undȱ mitȱ 2Timȱ denȱ auffälligenȱ dreifachenȱ Grußȱ teile.ȱ AlsȱnaheliegendsteȱLösungȱbieteȱsichȱhierȱeineȱAbhängigkeitȱdesȱLetterȬ Essayȱ1TimȱvonȱdenȱbeidenȱanderenȱPastȱan,ȱdieȱfürȱihnȱschonȱTeilȱderȱ paulinischenȱTraditionȱseien.382ȱȱ Dieȱ damitȱ dreiȱ unterschiedlichenȱ Autorenȱ undȱ dreiȱ verschiedenenȱ Zielgruppenȱ zugewiesenenȱ Briefeȱ werdenȱ vonȱ Richardsȱ unterȱ HeranȬ ziehungȱ weitererȱ frühchristlicherȱ Briefeȱ –ȱ inȱ überraschendȱ genauerȱ Weiseȱ–ȱzeitlichȱundȱinȱihremȱAbstandȱzuȱPaulusȱeingeordnet.ȱ ȱ

InȱBezugȱaufȱTitȱfielenȱdieȱinhaltlichenȱGemeinsamkeitenȱzuȱKolȱauf,ȱdieȱauchȱ aufȱ eineȱ gewisseȱ zeitlicheȱ Näheȱ schließenȱ ließen.ȱ Daȱ diesȱ ebensoȱ fürȱ 1Clemȱ gelte,ȱ werdenȱ beideȱ Briefeȱ zuȱ terminiȱ adȱ quemȱ etȱ postȱ quemȱ fürȱ dieȱ Einordnungȱ desȱTit,ȱderȱdamitȱca.ȱ65–80ȱn.Chr.ȱdatiertȱwird.383ȱȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 378ȱȱ A.a.O.ȱ196.ȱ 379ȱȱ A.a.O.ȱ197.199.ȱ 380ȱȱ Vgl.ȱa.a.O.ȱ202–204.ȱ 381ȱȱ Vgl.ȱa.a.O.ȱ192.207f.ȱ 382ȱȱ A.a.O.ȱ208–210,ȱZitatȱ208.ȱȱ 383ȱȱ Vgl.ȱa.a.O.ȱ213ff.ȱ

104ȱ

II.ȱȱEinȱForschungsüberblickȱ

2Timȱ hingegenȱ zeichneȱ sichȱ aufgrundȱ seinerȱ charakteristischenȱ Struktur,ȱ dieȱeineȱemotionaleȱNäheȱzwischenȱAutorȱundȱAdressatȱherzustellenȱversuche,ȱ durchȱgroßeȱÄhnlichkeitȱmitȱ2Thessȱaus;ȱdarüberȱhinausȱgebeȱesȱgattungstypiȬ scheȱ Übereinstimmungenȱ mitȱ 1Petr,ȱ derȱ ebenfallsȱ alsȱ „Literaryȱ Letter“ȱ zuȱ bestimmenȱsei.ȱDiesȱweiseȱinȱdieȱZeitȱgegenȱEndeȱdesȱ1.ȱJahrhundertsȱ(ca.ȱ80– 100),ȱ wasȱ mitȱ derȱ historischenȱ Beschreibungȱ dieserȱ Jahrzehnteȱ kompatibelȱ wäre:ȱBriefeȱwieȱ2Thess,ȱ1Petrȱundȱ2TimȱwolltenȱbedrängtenȱGemeindenȱTrostȱ spenden.384ȱ 1TimȱschließlichȱwirdȱalsȱjüngstesȱderȱdreiȱSchreibenȱinȱdieȱZeitȱzwischenȱ 100–130ȱeingeordnetȱ–ȱundȱdamitȱbisȱzuȱ60ȱJahreȱnachȱTit:ȱNichtȱnurȱdieȱoffenȬ sichtlicheȱAbhängigkeitȱdesȱ1TimȱvonȱdenȱbeidenȱanderenȱPastȱundȱbesondersȱ vonȱ Tit,ȱ sondernȱ ebensoȱ seineȱ thematischeȱ undȱ strukturelleȱ Näheȱ zuȱ denȱ beiȬ denȱanderenȱinȱdieseȱZeitȱdatiertenȱ„LetterȬEssays“ȱEphȱundȱ2Petrȱmachtenȱdieȱ Datierungȱ inȱ dieserȱ Zeitȱ wahrscheinlich,ȱ inȱ derȱ offensichtlichȱ gemeindlicheȱ oderȱpolitischeȱTumulteȱeineȱsolcheȱReformulierungȱältererȱBriefformulareȱ(vgl.ȱ fürȱ2PetrȱJudȱundȱfürȱEphȱKol)ȱmitȱneuenȱInhaltenȱnötigȱwerdenȱließen.385ȱ ȱ DieȱdurchȱRichardsȱeröffneteȱneueȱPerspektiveȱaufȱdieȱdreiȱPastoralbriefeȱmussȱ auchȱ zuȱ einerȱ differenzierterenȱ Wahrnehmungȱ desȱ Eingliederungsprozessesȱ derȱ dreiȱ Schreibenȱ inȱ dasȱ Corpusȱ Paulinumȱ führen,ȱ welchenȱ Richardsȱ imȱ FolȬ gendenȱzuȱentwerfenȱsucht:ȱTitȱrepräsentiereȱeinenȱsehrȱfrühenȱdeuteropauliniȬ schenȱBrief,ȱderȱsichȱderȱpaulinischenȱAutoritätȱlediglichȱfürȱeinȱeinzigesȱThemaȱ bedieneȱ undȱ keineȱ direktenȱ Pauluszitateȱ aufweise,ȱ obwohlȱ eineȱ Kenntnisȱ desȱ 2Korȱ aufgrundȱ derȱ Hochschätzungȱ derȱ Personȱ desȱ Titusȱ sicherȱ anzunehmenȱ sei.ȱRichardsȱvermutet,ȱTitȱkönneȱgemeinsamȱmitȱderȱkorinthischenȱKorresponȬ denzȱundȱGalȱeinerȱpaulinischenȱUrsammlungȱangehörtȱhaben.386ȱ 2Timȱ hingegenȱ zeichneȱ sichȱ nichtȱ nurȱ durchȱ diverseȱ Zitateȱ ausȱ Römȱ undȱ 1Kor,ȱ sondernȱ auchȱ durchȱ dieȱ Kenntnisȱ zahlreicherȱ Personaltraditionenȱ ausȱ demȱUmfeldȱdesȱPaulusȱ(Phlm!)ȱaus.ȱDiesȱlegeȱesȱnahe,ȱdassȱzurȱZeitȱderȱAbfasȬ sungȱ desȱ 2Timȱ bereitsȱ eineȱ Sammlungȱ vonȱ „PaulusȬTimotheusȬBriefen“ȱ (Kol,ȱ Phil,ȱ1ThessȱundȱPhlm)ȱexistiertȱhabeȱundȱ2Timȱalsȱ„extensionȱofȱthisȱsubȬcolȬ lection“ȱkonzipiertȱwordenȱsei.387ȱȱ 1Timȱ schließlichȱ seiȱ imȱ Rahmenȱ desȱ Abschlussprozessesȱ desȱ paulinischenȱ Kanonsȱ entstanden;ȱ daherȱ seiȱ esȱ auchȱ charakteristischȱ fürȱ diesesȱ Schreiben,ȱ unterȱZuhilfenahmeȱderȱbeidenȱanderenȱMitarbeiterschreibenȱeineȱZusammenȬ fassungȱ ganzȱ verschiedenerȱ paulinischerȱ Traditionenȱ zuȱ bieten.ȱ Dieserȱ „sumȬ maryȱnature“ȱverdankeȱ1Timȱesȱauch,ȱschließlichȱanȱdieȱSpitzeȱderȱPrivatbriefeȱ gestelltȱwordenȱzuȱsein.388ȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 384ȱȱ Vgl.ȱa.a.O.ȱ221ffȱbes.ȱ228.ȱ 385ȱȱ Vgl.ȱa.a.O.ȱ229ff.ȱ 386ȱȱ Vgl.ȱa.a.O.ȱ242.ȱEineȱBegründungȱdieserȱTheseȱunterbleibtȱhierȱleider,ȱdaȱderȱVerweisȱ aufȱTROBISCH,ȱPaulusbriefsammlung,ȱ132,ȱwenigȱaussagekräftigȱist.ȱȱ 387ȱȱ Vgl.ȱRICHARDS,ȱa.a.O.ȱ242f,ȱZitatȱ243.ȱ 388ȱȱ Vgl.ȱa.a.O.ȱ243f,ȱZitatȱ244.ȱ

2.ȱȱDasȱ20./21.ȱJahrhundertȱ

105ȱ

Richards’ȱerklärtesȱZielȱistȱes,ȱeineȱneue,ȱgrundlegendeȱPrämisseȱfürȱdieȱ Pastoralbriefexegeseȱzuȱformulieren,ȱwonachȱgeltenȱmüsse:ȱ„[T]reatingȱ theȱ threeȱ Pastoralsȱ asȱ threeȱ separateȱ texts,ȱ fromȱ threeȱ differentȱ hands,ȱ setȱatȱthreeȱdifferentȱpointsȱalongȱtheȱroadȱafterȱPaul.“389ȱȱ EsȱistȱinȱderȱTatȱeinȱgroßesȱVerdienstȱRichards’,ȱdieȱMöglichkeitȱderȱ differenzierterenȱ Wahrnehmungȱ allerȱ dreiȱ Schreibenȱ alsȱ unterschiedliȬ cheȱ Meilensteineȱ aufȱ demȱ Wegȱ desȱ nachpaulinischenȱ Christentumsȱ wiederȱneuȱinȱErinnerungȱgerufenȱzuȱhaben;ȱzuȱüberraschendȱistȱallerȬ dingsȱdieȱSicherheit,ȱmitȱderȱerȱdieȱdreiȱBriefeȱaufȱdiesemȱWegȱderȱfrüȬ henȱChristenheitȱverortenȱzuȱkönnenȱglaubt.ȱ

2.4.4ȱȱTendenzenȱderȱForschungȱIVȱ SeitȱEndeȱdesȱ20.ȱJahrhundertsȱmehrenȱsichȱdieȱStimmenȱinȱderȱexegetiȬ schenȱ Forschung,ȱ dieȱ dieȱ bisherigeȱ Frontstellungȱ zwischenȱ denȱ VerȬ fechternȱ derȱ Echtheitȱ derȱ dreiȱ Pastȱ einerseitsȱ sowieȱ denȱ Befürworternȱ ihrerȱAbfassungȱalsȱkonzeptionellesȱCorpusȱpseudopaulinischerȱBriefeȱ andererseitsȱ durchȱ neueȱ Lösungsvorschlägeȱ aufzubrechenȱ suchen.ȱ Soȱ unterschiedlichȱ dieseȱ imȱ Einzelnenȱ sind,ȱ soȱ istȱ ihnenȱ allenȱ dochȱ dieȱ Erkenntnisȱ gemeinsam,ȱ dassȱ dieȱ bisherȱ vorgelegten,ȱ alsȱ Konsensȱ gelȬ tendenȱ Interpretationsansätzeȱ wesentlicheȱ Fragenȱ ebensoȱ offenȱ lassenȱ wieȱ dieȱ Behauptung,ȱ beiȱ allenȱ dreiȱ Schreibenȱ handeleȱ esȱ sichȱ umȱ auȬ thentischeȱPaulusbriefe.ȱDeshalbȱnehmenȱdieȱimȱletztenȱAbschnittȱdisȬ kutiertenȱAnsätzeȱdieȱDesiderateȱderȱbisherigenȱPastoralbriefforschungȱ undȱ dabeiȱ besondersȱ derȱ Interpretationȱ alsȱ pseudepigraphischesȱ SchriftencorpusȱernstȱundȱkommenȱzuȱganzȱneuenȱErgebnissenȱbezügȬ lichȱ derȱ Abfassungȱ derȱ Briefeȱ undȱ ihrerȱ Zuordnungȱ untereinander.ȱ AllerdingsȱteilenȱdieseȱAnsätzeȱdasȱSchicksal,ȱinȱderȱexegetischenȱForȬ schungȱbisherȱkaumȱrezipiertȱwordenȱzuȱsein.ȱ SoȱführtȱdieȱrichtigȱerkannteȱSonderstellungȱdesȱ2Timȱinnerhalbȱdesȱ Pastoralbriefecorpusȱ dieȱ dreiȱ englischsprachigenȱ Exegetenȱ Prior,ȱ MurphyȬO’ConnorȱundȱSmithȱdazu,ȱdiesenȱBriefȱaufgrundȱsprachlichȬ motivlicherȱ undȱ formalȬgattungskritischerȱ Erkenntnisseȱ inȱ seinerȱ Entstehungȱ vonȱ denȱ beidenȱ anderenȱ Pastȱ abzusondernȱ undȱ deutlichȱ näherȱ anȱ denȱ Protopaulinenȱ zuȱ verorten.ȱ Indemȱ sieȱ 2Timȱ alsȱ authentischenȱ Mitarbeiterbriefȱ desȱ Paulusȱ interpretieren,ȱ wollenȱ sieȱ zugleichȱ dieȱ wichtigeȱ aberȱ bisherȱ nichtȱ hinreichendȱ bedachteȱ Frageȱ beantworten,ȱ wieȱ solcheȱ Briefeȱ wieȱ dieȱ Past,ȱ dieȱ nachȱ derȱ gängigenȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 389ȱȱ A.a.O.ȱ240.ȱȱ

106ȱ

II.ȱȱEinȱForschungsüberblickȱ

ForschungsmeinungȱkeinȱprotopaulinischesȱVorbildȱhatten,ȱüberhauptȱ akzeptiertȱwerdenȱkonnten.ȱȱ DarüberȱhinausȱgerietȱauchȱderȱimȱGefolgeȱvonȱPeterȱTrummerȱundȱ AnnetteȱMerzȱimmerȱstärkerȱrezipierteȱAnsatzȱinȱdieȱKritik,ȱdieȱPastȱalsȱ reinȱliterarischeȱundȱalsoȱlediglichȱaufȱdasȱliterarischeȱCorpusȱderȱProȬ topaulinenȱ bezogeneȱ Größeȱ wahrzunehmen.ȱ Exegetenȱ wieȱ Schwarzȱ undȱMarshallȱbetonenȱstattdessen,ȱdassȱdieȱPastoralbriefeȱalsȱBriefeȱmitȱ einemȱinȱBezugȱaufȱdieȱEinzelschreibenȱjeȱunterschiedlichemȱkonkretenȱ Entstehungshintergrundȱ ernstȱ zuȱ nehmenȱ undȱ dahingehendȱ zuȱ interȬ pretierenȱ seien.ȱ Esȱ istȱ alsȱ weiteresȱ Verdienstȱ Marshallsȱ zuȱ betrachten,ȱ auchȱ dasȱ durchȱ dieȱ Pastȱ alsȱ angeblichesȱ Corpusȱ gefälschterȱ PaulusȬ briefeȱ aufgeworfeneȱ moralischeȱ Problemȱ wiederȱ neuȱ inȱ dieȱ Debatteȱ eingebrachtȱzuȱhaben.390ȱȱ Mitȱ Millerȱ verschaffteȱ sichȱ wiederumȱ einȱ modernerȱ Vertreterȱ derȱ Fragmententheorieȱ Gehör,ȱ derȱ mitȱ seinemȱ Erklärungsansatzȱ zurȱ EntȬ stehungȱ derȱ Pastoralbriefeȱ dieȱ strukturellenȱ undȱ kompositionellenȱ BeȬ sonderheitenȱderȱeinzelnenȱPastȱerklärenȱwill.ȱ SchließlichȱistȱhierȱauchȱRichardsȱzuȱnennen,ȱdessenȱArbeitȱdenȱimȱ 20.ȱ Jahrhundertȱ profundestenȱ Versuchȱ darstellt,ȱ dieȱ Differenzenȱ zwiȬ schenȱ denȱ dreiȱ Briefenȱ fürȱ ihreȱ konkreteȱ Abfassungssituationȱ undȱ ihrȱ literarischesȱVerhältnisȱauszuwerten.ȱ Auchȱ wennȱ jederȱ dieserȱ hierȱ knappȱ zusammengefasstenȱ Ansätzeȱ einȱ wesentlichesȱ Mankoȱ derȱ bisherigenȱ Pastoralbriefforschungȱ anȬ spricht,ȱsoȱvermagȱdochȱkeineȱPositionȱvölligȱzuȱüberzeugen.ȱDennochȱ sindȱ sieȱ alsȱ wichtigerȱ Hinweisȱ aufȱ dieȱ bisherȱ bereitsȱ aufgezeigtenȱ SchwachstellenȱderȱPastoralbriefexegeseȱzuȱwerten.ȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 390ȱȱ Vgl.ȱdazuȱdenȱExkursȱzumȱProblemȱderȱPseudepigraphieȱunterȱPunktȱIIIȱdieserȱArȬ beit,ȱs.u.ȱS.ȱ108–111.ȱ

III.ȱȱSystematischeȱZusammenfassungȱundȱMethodenreflexionȱ

III.ȱȱZurȱForschungssituation:ȱSystematischeȱ ZusammenfassungȱundȱMethodenreflexionȱ ȱ ȱ Dieȱ Darstellungȱ derȱ Forschungsgeschichteȱ zuȱ denȱ Pastoralbriefenȱ seitȱ Schleiermacherȱkonnteȱzeigen,ȱdassȱdieȱForschungȱdesȱ20.ȱJahrhundertsȱ wesentlicheȱ Argumenteȱ zurȱ Zusammengehörigkeitȱ derȱ dreiȱ Schreibenȱ ausȱdenȱexegetischenȱArbeitenȱdesȱ19.ȱJahrhundertsȱübernommenȱhatȱ–ȱ allenȱvoranȱseiȱhierȱHeinrichȱJuliusȱHoltzmannȱerwähnt,ȱdessenȱgroßerȱ KommentarȱalsȱBündelungȱderȱvorherigenȱwissenschaftlichenȱArbeitenȱ zuȱdenȱPastoralbriefenȱgeltenȱkannȱ–,ȱohneȱihreȱStimmigkeitȱbzw.ȱbleiȬ bendeȱRelevanzȱvorȱdemȱHintergrundȱsichȱverändernderȱmethodischerȱ Paradigmaȱ ausreichendȱ zuȱ prüfen.ȱ Hinzuȱ trittȱ dieȱ Schwierigkeit,ȱ dassȱ auchȱ inȱ derȱ neuerenȱ Forschungȱ fastȱ durchgängigȱ dieȱ Frageȱ nachȱ derȱ (UnȬ)EchtheitȱderȱdreiȱSchreibenȱinȱeinerȱWeiseȱimȱVordergrundȱstand,ȱ dieȱeineȱkritischeȱReflexionȱdesȱeigenenȱAnsatzesȱsowohlȱdenȱVerfechȬ ternȱ derȱ pseudepigraphischenȱ alsȱ auchȱ derȱ authentischenȱ Abfassungȱ derȱPastoralbriefeȱunmöglichȱmachte.ȱ Manȱvermochteȱsichȱ–ȱsiehtȱmanȱvonȱwenigenȱAusnahmenȱeinmalȱ ab1ȱ–ȱnichtȱmehrȱvonȱderȱscheinbarȱallgemeinȱakzeptiertenȱundȱdeshalbȱ unhinterfragtȱ geltendenȱ Prämisseȱ zuȱ lösen,ȱ dassȱ dieseȱ Schreibenȱ inȱ Intentionȱ undȱ Abfassungȱ eineȱ konzeptionelleȱ Einheitȱ bilden.ȱ Anȱ dieȱ Stelleȱ differenzierterȱ Argumenteȱ tratȱ deshalbȱ häufigȱ derȱ Hinweisȱ aufȱ denȱ angeblichenȱ Konsensȱ derȱ exegetischenȱ Forschung,2ȱ derȱ jedochȱ „eherȱdurchȱdieȱMachtȱderȱGewöhnungȱalsȱdurchȱdieȱKraftȱdesȱArguȬ ments“ȱ bestimmtȱ war.3ȱ Derȱ Verweisȱ aufȱ ältereȱ Werkeȱ ersetzteȱ überȱ weiteȱ Streckenȱ dieȱ eigeneȱ Erarbeitungȱ grundlegenderȱ EinleitungsfraȬ gen.ȱ Dabeiȱ fälltȱ jedochȱ auf,ȱ dassȱ dieȱ vonȱ denȱ einzelnenȱ Exegetenȱ mitȱ demȱBegriffȱdesȱCorpusȱverbundenenȱImplikationenȱerheblichȱdifferieȬ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 1ȱȱ 2ȱȱ

3ȱȱ

Vgl.ȱobenȱdieȱunterȱPunktȱII.2.4ȱdieserȱArbeitȱdargestelltenȱPositionen.ȱȱ Vgl.ȱdieȱpolemischeȱBemerkungȱvonȱJOHNSON,ȱDelegates,ȱ4:ȱ„Suchȱanȱoverwhelmingȱ consensusȱ regardingȱ theȱ Pastoralsȱ suggestsȱ thatȱ theȱ termȱ ‚debate‘ȱ isȱ tooȱ strongȱ aȱ wordȱforȱtheȱpresentȱsituation.“ȱ Soȱ HÄFNER,ȱ Konstrukt,ȱ 259,ȱ unterȱ Verweisȱ aufȱ JOHNSON,ȱ Timothy,ȱ 56.ȱ Alsȱ Beispielȱ dafürȱ kannȱ z.Bȱ dieȱ beiȱ YOUNG,ȱ Theology,ȱ 140,ȱ zuȱ findendeȱ Formulierungȱ gelten:ȱ „Theȱthreeȱlettersȱbelongȱtogether,ȱbecauseȱonlyȱtogetherȱdoȱtheyȱmakeȱsense.“ȱ

108ȱ

III.ȱȱSystematischeȱZusammenfassungȱundȱMethodenreflexionȱ

renȱkönnen.ȱSoȱkonnteȱderȱexpliziteȱundȱnamentlicheȱVerweisȱaufȱdenȱ vonȱPeterȱTrummerȱgeprägtenȱBegriffȱdesȱCorpusȱPastoraleȱanȱdieȱStelleȱ einerȱ eigenen,ȱ ausführlichȱ begründetenȱ Positionierungȱ treten,ȱ ohneȱ dassȱ manȱ sichȱ notwendigerweiseȱ dieȱ inȱ Trummersȱ Theorieȱ damitȱ einȬ herȱgehendenȱImplikationenȱ–ȱwieȱetwaȱdieȱCharakterisierungȱderȱPastȱ alsȱ„BriefeȱohneȱAnlaß“4ȱ–ȱebenfallsȱzuȱEigenȱmachte.ȱ ȱ

AlsȱproblematischȱerwiesȱsichȱauchȱdieȱArgumentationȱmitȱeinemȱnurȱunscharfȱ definiertenȱ CorpusȬBegriff,ȱ derȱ imȱ Rahmenȱ derȱ Forschungsgeschichteȱ dennochȱ erheblicheȱBedeutungȱgewann:ȱSoȱwurdenȱ–ȱwiederumȱimȱGefolgeȱTrummersȱ–ȱ dieȱ beidenȱ alsȱ Corpusȱ Paulinumȱ undȱ Corpusȱ Pastoraleȱ bezeichnetenȱ BriefȬ sammlungenȱ zueinanderȱ inȱ Beziehungȱ gesetzt,ȱ ohneȱ dassȱ mitȱ derȱ nötigenȱ Prägnanzȱ zwischenȱ denȱ mitȱ denȱ beidenȱ Corporaȱ verbundenenȱ Vorstellungenȱ differenziertȱ wurde.ȱ Währendȱ jedochȱ dieȱ neutestamentlicheȱ Sammlungȱ derȱ PaulusbriefeȱeinȱreinȱrezeptionellesȱCorpusȱdarstelltȱ–ȱdessenȱauthentischeȱBriefeȱ zunächstȱ alsȱ Gelegenheitsschreibenȱ ausȱ aktuellemȱ Anlassȱ verfasstȱ undȱ erstȱ späterȱaufgrundȱihresȱidentischenȱAutorsȱgemeinsamȱmitȱpseudepigraphischenȱ Schriftenȱtradiertȱwurdenȱ–,ȱgaltȱdasȱdieserȱBriefsammlungȱgegenübergestellteȱ CorpusȱderȱPastoralbriefeȱalsȱeineȱintentionalȱzusammengehörigeȱGröße.ȱȱ

ȱ Dieseȱ Arbeitȱ setztȱ dieȱ pseudepigraphischeȱ Abfassungȱ derȱ dreiȱ PastoȬ ralbriefeȱ voraus,5ȱ weilȱ derȱ Nachweisȱ ihrerȱ nachpaulinischenȱ EntsteȬ hungȱm.E.ȱzumindestȱdannȱüberzeugendȱgeführtȱwerdenȱkann,6ȱwennȱ manȱ sichȱ vonȱ derȱ Annahmeȱ löst,ȱ dassȱ dieȱ Schreibenȱ eineȱ intentionaleȱ Einheitȱbilden.ȱȱ ȱ

Dassȱ esȱ sichȱ beiȱ denȱ Pastoralbriefenȱ umȱ pseudepigraphischeȱ undȱ alsoȱ umȱ Paulusȱ nurȱ fälschlichȱ zugeschriebeneȱ Schriftenȱ handelt,ȱ stelltȱ einȱ facettenreiȬ ches,ȱgleichȱmehrereȱEbenenȱbetreffendesȱProblemȱdar.7ȱAuchȱwennȱdieȱTiefenȱ derȱ neutestamentlichenȱ Pseudepigraphiedebatteȱ inȱ dieserȱ Arbeitȱ nichtȱ einmalȱ ansatzweiseȱ ausgelotetȱ werdenȱ können,ȱ seienȱ dieȱ prägnantestenȱ Fragenȱ weȬ nigstensȱ kurzȱ benannt.ȱ Dieȱ Existenzȱ vonȱ pseudepigraphischenȱ Briefenȱ impliȬ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 4ȱȱ 5ȱȱ

6ȱȱ

7ȱȱ

TRUMMER,ȱMantel,ȱ207.ȱ Wennȱ inȱ dieserȱ Arbeitȱ dabeiȱ vonȱ Paulusȱ alsȱ demȱ Autorȱ derȱ Pastoralbriefeȱ gesproȬ chenȱwird,ȱistȱdiesȱstetsȱalsȱ„Paulus“ȱzuȱlesen.ȱDieseȱBezeichnungȱdarfȱalsoȱkeinesȬ wegsȱ alsȱ Aussageȱ überȱ dieȱ Verfasserfrageȱ missverstandenȱ werden,ȱ sondernȱ nimmtȱ lediglichȱ denȱ Selbstanspruchȱ derȱ dreiȱ Briefeȱ ernst,ȱ vonȱ Paulusȱ geschriebenȱ seinȱ zuȱ wollen.ȱ Vgl.ȱ dieȱ gängigenȱ Einleitungenȱ undȱ Kommentare,ȱ aufȱ derenȱ Argumenteȱ fürȱ dieȱ deuteropaulinischeȱVerfasserschaftȱhierȱverwiesenȱwerdenȱkann.ȱVgl.ȱauchȱdieȱDarȬ stellungȱderȱForschungsgeschichteȱdesȱ19.ȱJahrhundertsȱinȱdieserȱArbeit.ȱ Vgl.ȱ zurȱ Problematikȱ neutestamentlicherȱ Briefpseudepigraphieȱ insgesamtȱ denȱ 2009ȱ erschienenenȱ Sammelbandȱ „Pseudepigraphieȱ undȱ Verfasserfiktionȱ inȱ frühchristliȬ chenȱBriefen“,ȱhg.ȱv.ȱJörgȱFreyȱu.a.ȱ

III.ȱȱSystematischeȱZusammenfassungȱundȱMethodenreflexionȱ

109ȱ

ziertȱzunächstȱeinȱliterarischesȱProblem:ȱDassȱgefälschteȱPaulusbriefeȱinȱUmlaufȱ gerieten,ȱ setztȱ zumȱ einenȱ voraus,ȱ dassȱ derȱ Verfasserȱ umȱ dieȱ Möglichkeitȱ wusste,ȱsolcheȱBriefeȱzuȱfingieren.ȱDassȱallerdingsȱpseudepigraphischeȱPaulusȬ briefeȱ alsȱ echteȱ akzeptiertȱ werdenȱ konnten,ȱ legtȱ aberȱ zumȱ anderenȱ nahe,ȱ dassȱ nichtȱjederȱinȱderȱLageȱwar,ȱeineȱsolcheȱFälschungȱzuȱdurchschauen.8ȱDarüberȱ hinausȱ stelltȱ sichȱ aberȱ auchȱ dieȱ moralischeȱ Frageȱ danach,ȱ wieȱ esȱ sichȱ mitȱ demȱ Ethosȱ derȱ frühenȱ Christenȱ vereinbarenȱ ließ,ȱ zurȱ Durchsetzungȱ ihrerȱ eigenenȱ PositionȱSchriftenȱzuȱfingieren.9ȱInȱfrühererȱZeitȱhatteȱmanȱnochȱrelativȱunkriȬ tischȱvonȱeinemȱ„ZeitalterȱderȱPseudepigraphie“10ȱsprechenȱkönnen,ȱohneȱdassȱ damitȱnotwendigȱderȱ„GeruchȱpersönlicherȱSchuldȱundȱkriminellerȱMachart“11ȱ verbundenȱwar:ȱ„DenȱMännernȱ[…]ȱbliebȱalsȱliterarischesȱAusdrucksmittelȱnurȱ dieȱ Anonymitätȱ undȱ dieȱ Pseudepigraphieȱ undȱ darinȱ unterscheidenȱ sieȱ sichȱ grundlegendȱ vonȱ denȱ späterenȱ pseudepigraphischenȱ Schreibern.“12ȱ Dieseȱ entschuldigendeȱ Haltungȱ gipfeltȱ wohlȱ inȱ demȱ oftȱ zitiertenȱ Diktumȱ Petrȱ PoȬ kornýs:ȱ „Gottȱ hatȱ sichȱ auchȱ zuȱ denȱ Pseudepigraphenȱ bekannt“.13ȱ Dochȱ setzteȱ sichȱschließlichȱnachȱundȱnachȱdieȱErkenntnisȱdurch,ȱdassȱdieȱNivellierungȱderȱ Unterschiedeȱ zwischenȱ legitimerȱ Fiktionȱ undȱ abzulehnenderȱ Fälschungȱ alsȱ „binnentheologischeȱ Schönfärberei“ȱ angesehenȱ werdenȱ muss.14ȱ Welcheȱ ethiȬ schenȱImplikationenȱdiesȱfürȱdenȱUmgangȱmitȱdenȱdreiȱPastȱhat,ȱdieȱgerneȱalsȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 8ȱȱ 9ȱȱ

10ȱȱ

11ȱȱ

12ȱȱ 13ȱȱ 14ȱȱ

Vgl.ȱdazuȱneuerdingsȱdenȱumfassendenȱAufsatzȱvonȱFRENSCHKOWSKI,ȱPseudepigraȬ phie,ȱpassim.ȱ HierȱseiȱaufȱdieȱumfassendeȱBehandlungȱdiesesȱProblemsȱdurchȱWolfgangȱSpeyerȱinȱ seinerȱzumȱStandardwerkȱgewordenenȱMonographieȱ„DieȱliterarischeȱFälschungȱimȱ heidnischenȱ undȱ christlichenȱ Altertum“ȱ verwiesenȱ (vgl.ȱ neuerdingsȱ wiederȱ ders.,ȱ Verfasserschaft,ȱ passim).ȱ Speyerȱ willȱ zwischenȱ derȱ inȱ derȱ Tatȱ abzulehnendenȱ FälȬ schungȱundȱsog.ȱechterȱreligiöserȱ(undȱalsoȱgeistgewirkter!)ȱPseudepigraphieȱunterȬ scheiden,ȱvgl.ȱdazuȱkritischȱJANSSEN,ȱNamen,ȱ75ff,ȱsowieȱdieȱhierȱfolgendeȱAnm.ȱZuȱ möglichenȱ Ursachenȱ fürȱ dieȱ Abfassungȱ pseudonymerȱ Schriftenȱ vgl.ȱ dies.,ȱ BewegȬ gründe,ȱpassim.ȱ SoȱsummarischȱFISCHER,ȱAnmerkungen,ȱ76–81;ȱvgl.ȱauchȱALAND,ȱProblem,ȱ44fȱ(vgl.ȱ a.a.O.ȱ30:ȱDerȱBriefautorȱ„istȱnurȱdieȱFeder,ȱdieȱvomȱGeistȱbewirktȱwird“.ȱAllerdingsȱ schließtȱ ders.,ȱ Nochȱ einmal,ȱ 133,ȱ dieȱ Pastȱ undȱ dieȱ Petrinenȱ ausdrücklichȱ aus,ȱ weilȱ hierȱ„wirkliche,ȱdemȱBefundȱaußerhalbȱdesȱChristentumsȱvergleichbare,ȱPseudonyȬ mitätȱvorzuliegen“ȱscheine).ȱSoȱversuchteȱmanȱzuȱBeginnȱdesȱ20.ȱJahrhundertsȱauch,ȱ dieȱFrageȱnachȱPseudepigraphieȱalsȱeinȱpsychologischesȱProblemȱzuȱbearbeiten;ȱbeȬ kanntȱ gewordenȱ hierfürȱ sindȱ v.a.ȱ TORM,ȱ Psychologie,ȱ 49f,ȱ sowieȱ MEYER,ȱ PseudȬ epigraphie,ȱ278f.ȱ Soȱ SYME,ȱ Fälschung,ȱ 305,ȱ derȱ deswegenȱ aufȱ denȱ Begriffȱ derȱ Fälschungȱ verzichtenȱ undȱ stattdessenȱ nurȱ vonȱ einerȱ Irreführungȱ sprechenȱ möchte;ȱ soȱ auchȱ neuerdingsȱ wiederȱSTANDHARTINGER,ȱStudien,ȱ29,ȱsowieȱMEADE,ȱPseudonymity,ȱ122ff.ȱ FISCHER,ȱAnmerkungen,ȱ81.ȱ POKORNÝ,ȱ Art.ȱ Pseudepigraphieȱ I,ȱ 654,ȱ vgl.ȱ auchȱ ZIMMERMANN,ȱ Pseudepigraphie,ȱ 35:ȱ„DieȱVerfasserangabeȱsollteȱnichtȱhintersȱLichtȱführen,ȱsondernȱzumȱLichtȱhin.“ȱ SoȱFRENSCHKOWSKI,ȱPaulusschule,ȱ242;ȱvgl.ȱauchȱHERZER,ȱFiktion,ȱ489.ȱȱ

110ȱ

III.ȱȱSystematischeȱZusammenfassungȱundȱMethodenreflexionȱ

„geradezuȱtotalȱdurchgeführte[.]ȱPseudepigraphie“ȱbezeichnetȱwurden,15ȱwirdȱ gegenwärtigȱwiederȱsehrȱkontroversȱdiskutiert.ȱVersuchenȱdieȱeinen,ȱdieseȱdreiȱ Mitarbeiterschreibenȱ alsȱ Dokumenteȱ einerȱ offenen,ȱ d.h.ȱ aufȱ einemȱ „ÜbereinȬ kommenȱ zwischenȱ Autorȱ undȱ Adressat“ȱ basierendenȱ Formȱ vonȱ PseudȬ epigraphie16ȱ undȱ alsoȱ alsȱ sog.ȱ Schulpseudepigraphieȱ zuȱ deuten,17ȱ soȱ könnenȱ andereȱinȱsolchenȱAnsätzenȱnurȱeineȱVerharmlosungȱdesȱProblemsȱerkennen.18ȱ Undȱschließlichȱseiȱdaraufȱverwiesen,ȱdassȱdieȱFrageȱnachȱderȱExistenzȱpseudȬ epigraphischerȱ Schriftenȱ imȱ Neuenȱ Testamentȱ auchȱ einȱ kanontheologischesȱ Problemȱ darstellt:ȱ Wieȱ kannȱ einȱ Textȱ kanonischeȱ undȱ alsoȱ autoritativeȱ GültigȬ keitȱhaben,ȱderȱselbstȱaufȱeinerȱLügeȱbasiert?19ȱ ImȱRahmenȱdieserȱArbeitȱkönnenȱnurȱeinzelneȱAspekteȱderȱhierȱangesproȬ chenenȱ Problematikȱ weiterverfolgtȱ werden.ȱ Imȱ Zentrumȱ derȱ Untersuchungȱ stehtȱzunächstȱdieȱFrageȱnachȱderȱspezifischenȱliterarischenȱFormȱderȱeinzelnenȱ Briefeȱ undȱ derȱ jeweilsȱ gewähltenȱ pseudepigraphischenȱ PlausibilisierungsstraȬ tegien,ȱ währendȱ wederȱ dieȱ moralischeȱ Berechtigungȱ derȱ Fingierungȱ solcherȱ SchreibenȱwieȱderȱPastȱnochȱihreȱKanonizitätȱhierȱzurȱDebatteȱstehenȱkönnen.ȱ Dasȱheißtȱaberȱkeinesfalls,ȱdassȱhierȱeinerȱunkritischenȱNaivitätȱdasȱWortȱgereȬ detȱ werdenȱ soll.ȱ Vielmehrȱ sollenȱ dieȱ imȱ Rahmenȱ dieserȱ Arbeitȱ formuliertenȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 15ȱȱ Soȱ ZMIJEWSKI,ȱ Schriften,ȱ 203ȱ (vgl.ȱ a.a.O.ȱ 197f,ȱ seinenȱ Hinweis,ȱ dieȱ besondereȱ Formȱ derȱdreiȱSchreibenȱseiȱv.a.ȱalsȱ„literarischesȱMittel“ȱzuȱbegreifen);ȱvgl.ȱaußerdemȱu.a.ȱ DONELSON,ȱPseudepigraphy,ȱ23–42.54–66.115–202.ȱ 16ȱȱ SoȱeinȱZitatȱvonȱBROX,ȱProblemstand,ȱ327,ȱderȱdiesȱjedochȱsehrȱkritischȱwertet.ȱDassȱ dieȱPastȱjahrhundertelangȱunterȱdemȱNamenȱdesȱPaulusȱalsȱauthentischeȱSchreibenȱ überliefertȱ wordenȱ sind,ȱ wäreȱ dannȱ nichtȱ Intentionȱ desȱ Autorsȱ gewesen,ȱ sondernȱ lägeȱdarinȱbegründet,ȱdassȱdieȱUmständeȱihrerȱEntstehungȱschließlichȱinȱVergessenȬ heitȱgeratenȱwären.ȱ 17ȱȱ Vgl.ȱ dieȱ grundsätzlicheȱ Diskussionȱ derȱ Existenzȱ solcherȱ Formenȱ beiȱ PseudepigraȬ phieȱ beiȱ REINMUTH,ȱ Hermeneutik,ȱ 104–107,ȱ sowieȱ KLAUCK,ȱ Briefliteratur,ȱ 304;ȱ vgl.ȱ auchȱBALZ,ȱAnonymität,ȱ431,ȱderȱdieseȱMöglichkeitȱfürȱKolȱundȱEphȱbejaht,ȱfürȱdieȱ Pastȱ jedochȱ ausdrücklichȱ ablehnt.ȱ Inȱ dieseȱ Richtungȱ zielenȱ auchȱ Harrisonsȱ MonoȬ graphieȱ(s.o.ȱS.ȱ50f)ȱsowieȱderȱvonȱMarshallȱgeprägteȱBegriffȱderȱAllonymitätȱ(s.o.ȱS.ȱ 97),ȱwonachȱdieȱPastȱnieȱdenȱAnspruchȱgehabtȱhätten,ȱvonȱdemȱhistorischenȱPaulusȱ verfasstȱzuȱsein,ȱdiesȱjedochȱschließlichȱinȱVergessenheitȱgeratenȱsei,ȱvgl.ȱaußerdemȱ weitere,ȱbeiȱMERZ,ȱSelbstauslegung,ȱ196ff,ȱgenannteȱNamen.ȱ 18ȱȱ Vgl.ȱu.a.ȱMERZ,ȱa.a.O.ȱ213ȱ(mitȱzahlreichenȱBelegenȱebd.ȱAnm.ȱ57),ȱsowieȱBROX,ȱProȬ blemstand,ȱ 327.ȱ Vgl.ȱ bereitsȱ SPEYER,ȱ Pseudepigraphie,ȱ 123:ȱ Esȱ „darfȱ dochȱ wohlȱ derȱ Grundsatzȱ gelten,ȱ daßȱ inȱ einerȱ Umwelt,ȱ inȱ derȱ soȱ vielȱ vonȱ Fälschungȱ gesprochenȱ wird,ȱdieȱAbfassungȱpseudepigraphischerȱSchriftenȱinȱgutemȱGlaubenȱziemlichȱunȬ wahrscheinlichȱist.“ȱ 19ȱȱ SoȱformuliertȱELLIS,ȱHistory,ȱ29,ȱzuȱRecht:ȱ„[S]cholarsȱcannotȱhaveȱitȱbothȱways.ȱTheyȱ cannotȱ identifyȱ apostolicȱ lettersȱ asȱ pseudepigraphaȱ andȱ atȱ theȱ sameȱ timeȱ declareȱ themȱ toȱ beȱ innocentȱ productsȱ withȱ aȱ rightȱ toȱ aȱ placeȱ inȱ theȱ canon.“ȱ Zuȱ kurzȱ greiftȱ hierȱ jedochȱ derȱ Ansatzȱ vonȱ CHILDS,ȱ Canon,ȱ 384ff,ȱ wonachȱ derȱ kanonischeȱ Paulus,ȱ d.h.ȱdieȱPaulusbriefeȱinȱderȱunsȱüberliefertenȱFormȱunterȱAbsehungȱentstehungsgeȬ schichtlicherȱFragen,ȱzurȱnormativenȱGrößeȱderȱPaulusauslegungȱwerdenȱsoll.ȱ

III.ȱȱSystematischeȱZusammenfassungȱundȱMethodenreflexionȱ

111ȱ

Erkenntnisseȱ bezüglichȱ derȱ spezifischenȱ pseudepigraphischenȱ Gestaltungȱ derȱ dreiȱ Schreibenȱ alsȱ Grundlageȱ fürȱ dieȱ zukünftigeȱ Frageȱ nachȱ derȱ Berechtigungȱ derȱ vonȱ denȱ jeweiligenȱ Briefautorenȱ gewähltenȱ Formȱ desȱ Umgangsȱ mitȱ demȱ paulinischenȱErbeȱdienen.ȱ ȱ

WennȱinȱdieserȱArbeitȱvonȱdemȱCorpusȱderȱPastoralbriefeȱdieȱRedeȱist,ȱ impliziertȱ diesȱ trotzȱ derȱ Voraussetzungȱ ihrerȱ pseudepigraphischenȱ Abfassungȱnicht,ȱdassȱesȱsichȱdabeiȱumȱeineȱkonzeptionellȱzusammenȬ gehörendeȱSchriftengruppeȱhandelt.ȱDieseȱBegriffswahlȱträgtȱvielmehrȱ lediglichȱderȱTatsacheȱRechnung,ȱdassȱdieseȱdreiȱBriefeȱaufgrundȱihrerȱ Adressierungȱ anȱ Mitarbeiter,ȱ ihrerȱ (stärkerȱ alsȱ sonstȱ imȱ Corpusȱ PauliȬ numȱ zuȱ beobachtenden)ȱ hellenistischenȱ Prägungȱ sowieȱ ihrerȱ teilweiseȱ vergleichbarenȱ Themenwahlȱ inȱ engerȱ Beziehungȱ zueinanderȱ stehenȱ –ȱ ohneȱdassȱüberȱdenȱModusȱihrerȱZusammengehörigkeitȱzunächstȱgenauereȱ Aussagenȱ getroffenȱ werdenȱ können.ȱ Obȱ esȱ –ȱ unterȱ einemȱ neuenȱ meȬ thodischenȱVorzeichenȱ–ȱnachȱwieȱvorȱsinnvollȱist,ȱvonȱeinemȱPastoralȬ briefecorpusȱ zuȱ sprechen,ȱ sollȱ amȱ Endeȱ dieserȱ Arbeitȱ erneutȱ diskutiertȱ werden.ȱȱ DassȱdieȱExegeseȱdesȱ20.ȱJahrhundertsȱdieȱdreiȱSchreibenȱfastȱausȬ nahmslosȱ alsȱ (konzeptionelles)ȱ Corpusȱ betrachtete,ȱ führteȱ folgerichtigȱ dazu,ȱstetsȱalleȱBriefeȱgemeinsamȱinȱdenȱBlickȱzuȱnehmenȱundȱinȱwechȬ selseitigerȱ Bezogenheitȱ aufeinanderȱ auszulegen,ȱ soȱ dassȱ dieȱ eigenenȱ UntersuchungsergebnisseȱnichtȱnurȱausȱallenȱdreiȱBriefenȱerhobenȱwerȬ den,ȱsondernȱauchȱimmerȱfürȱalleȱSchreibenȱgeltenȱmussten.ȱZumȱeinenȱ resultiertȱ darausȱ eineȱ Nivellierungȱ derȱ zwischenȱ denȱ dreiȱ Schreibenȱ bestehenden,ȱz.T.ȱerheblichenȱUnterschiede,ȱzumȱanderenȱverleitetȱdiesȱ zuȱ einemȱ methodischȱ problematischenȱ Zirkelschluss.ȱ Dieȱ unterȱ VorȬ aussetzungȱ derȱ Annahmeȱ intentionalerȱ Zusammengehörigkeitȱ gewonȬ nenenȱ exegetischenȱ Einzelergebnisseȱ müssenȱ gegenȱ jedeȱ Anfrageȱ anȱ dasȱ Corpusȱ Pastoraleȱ verteidigtȱ werden.ȱ Diesȱ machtȱ zugleichȱ immerȱ kompliziertereȱKonstrukteȱinnerhalbȱderȱeinmalȱeingenommenenȱPosiȬ tionȱ nötig,ȱ umȱ zwischenȱ denȱ Schreibenȱ vorhandeneȱ Widersprücheȱ alsȱ nurȱscheinbareȱerklärenȱzuȱkönnen.20ȱȱ ȱ

AlsȱparadigmatischȱkönnenȱhierȱdieȱbereitsȱzitiertenȱÄußerungenȱHäfnersȱgelȬ ten,ȱ wonachȱ dieȱ Pastȱ nurȱ dannȱ alsȱ Einzelschreibenȱ rezipiertȱ werdenȱ dürften,ȱ wennȱ deutlichȱ würde,ȱ dassȱ dieȱ CorpusȬLektüreȱ zuȱ Schwierigkeitenȱ führe,ȱ dieȱ beimȱ individuellenȱ Blickȱ umgangenȱ würden.21ȱ Daȱ jedochȱ auchȱ Widersprücheȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 20ȱȱ Vgl.ȱdieȱsehrȱzutreffendeȱBemerkungȱvonȱMOULE,ȱProblem,ȱ430,ȱderȱdaraufȱhinweist,ȱ „thatȱthereȱisȱnoȱareaȱofȱNewȱTestamentȱinvestigationȱwhereȱtheoriesȱareȱproposedȱ withȱgreaterȱinattentionȱtoȱtheȱdifficultiesȱattachingȱtoȱthem.“ȱ 21ȱȱ SoȱHÄFNER,ȱKonstrukt,ȱ259.ȱ

112ȱ

III.ȱȱSystematischeȱZusammenfassungȱundȱMethodenreflexionȱ

undȱ Unstimmigkeitenȱ zwischenȱ denȱ dreiȱ Briefenȱ durchȱ denȱ Verweisȱ aufȱ dieȱ NotwendigkeitȱunterschiedlicherȱInhalteȱselbstȱinnerhalbȱeinerȱBriefsammlungȱ erklärtȱwerdenȱkönnenȱ–ȱdennȱdannȱseiȱ„sogarȱzuȱerwarten,ȱdassȱnichtȱinȱallenȱ dreiȱBriefenȱdasselbeȱsteht.ȱAndernfallsȱhätteȱeinȱeinzigerȱBriefȱgenügt.“22ȱ–,ȱistȱ keineȱNotwendigkeitȱmehrȱzurȱReformulierungȱderȱeigenenȱexegetischenȱVorȬ aussetzungȱgegeben.ȱȱ ȱ

Nichtȱ mehrȱ inȱ Erwägungȱ gezogenȱ wirdȱ i.d.R.ȱ jedochȱ einȱ alternativerȱ Denkansatz,ȱ derȱ dieȱ Corpustheseȱ aufgrundȱ derȱ damitȱ verbundenenȱ ProblemeȱgrundsätzlichȱinȱFrageȱstelltȱundȱalsoȱzuȱeinerȱneuenȱVerhältȬ nisbestimmungȱderȱdreiȱSchreibenȱuntereinanderȱgelangenȱkann.ȱ ȱ

InȱdieserȱArbeitȱrücktȱdeshalbȱwiederȱinȱdenȱBlick,ȱwasȱimȱ19.ȱJahrhundertȱnochȱ einȱ wichtigerȱ Untersuchungsgegenstandȱ war,ȱ imȱ 20.ȱ Jahrhundertȱ jedochȱ nichtȱ mehrȱ umfassendȱ diskutiertȱ wurde,ȱ nämlichȱ dieȱ Frageȱ nachȱ derȱ Dreizahlȱ derȱ Briefe.ȱDassȱdieȱExistenzȱgenauȱdreierȱ–ȱundȱgenauȱdieserȱdreiȱ–ȱBriefeȱinȱeinemȱ zusammengehörigenȱ pseudepigraphischenȱ Corpusȱ nichtȱ befriedigendȱ erklärtȱ werdenȱkonnte,23ȱistȱvonȱdenjenigenȱExegeten,ȱdieȱfürȱdieȱEchtheitȱderȱSchreiȬ benȱ votieren,ȱ stetsȱ alsȱ Argumentȱ gegenȱ derenȱ pseudepigraphischeȱ VerfasserȬ schaftȱ gedeutetȱ worden.ȱ Diesȱ übersiehtȱ jedoch,ȱ dassȱ dadurchȱ zweiȱ Ebenenȱ inȱ unzulässigerȱ Weiseȱ vermischtȱ werden:ȱ Mussȱ beiȱ Annahmeȱ derȱ intentionalenȱ Zusammengehörigkeitȱm.E.ȱtatsächlichȱoffenȱbleiben,ȱwiesoȱderȱAutorȱdieȱ‚GeȬ fahrȱ derȱ Entdeckungȱ verdreifachtȱ hat‘,24ȱ soȱ impliziertȱ dieȱ Tatsache,ȱ dassȱ dreiȱ Mitarbeiterschreibenȱexistieren,ȱkeineswegsȱnotwendigȱihreȱEchtheit.ȱ ȱ

InȱderȱvorliegendenȱArbeitȱsollȱdaherȱnachȱeinemȱplausiblerenȱModellȱ gefragtȱ werden,ȱ dasȱ Verhältnisȱ derȱ dreiȱ (pseudepigraphischen)ȱ Briefeȱ untereinanderȱ zuȱ beschreibenȱ undȱ damitȱ bisherȱ nichtȱ hinreichendȱ beȬ antwortetenȱ Fragenȱ nachzugehen.ȱ Soȱ fälltȱ dochȱ auf,ȱ dassȱ dieȱ beidenȱ Timotheusbriefeȱ innerhalbȱ derȱ Pastoralbriefeȱ jeweilsȱ eineȱ SonderstelȬ lungȱeinnehmenȱ–ȱderȱeineȱaufgrundȱseinerȱGattungȱ(2Tim),ȱderȱandereȱ aufgrundȱ seinesȱ unpersönlicherenȱ Charaktersȱ (1Tim)ȱ –,ȱ ohneȱ dassȱ dieȱ i.d.R.ȱdafürȱgebotenenȱErklärungenȱüberzeugenȱkönnen.ȱÜberraschendȱ istȱauch,ȱdassȱalleȱdreiȱBriefeȱoffensichtlichȱinȱunterschiedlicheȱSituatiȬ onenȱ anȱ verschiedenenȱ Ortenȱ hineinzielenȱ undȱ dabeiȱ zwischenȱ 1Timȱ undȱ Titȱ inhaltlicheȱ Differenzenȱ bestehen,ȱ dieȱ geradeȱ vorȱ demȱ HinterȬ grundȱ derȱ ebenfallsȱ vorhandenenȱ thematischenȱ Dopplungenȱ einerȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 22ȱȱ A.a.O.ȱ260.ȱ 23ȱȱ Vgl.ȱ z.B.ȱ BROER,ȱ Einleitungȱ II,ȱ 541:ȱ „[D]ieȱ Gründe,ȱ dieȱ vonȱ denȱ Verfechternȱ desȱ pseudepigraphischenȱ Charaktersȱ fürȱ dieȱ Dreizahlȱ derȱ Briefeȱ vorgetragenȱ werden,ȱ [verdecken]ȱ m.E.ȱ allenfallsȱ dieȱ Verlegenheit,ȱ vorȱ dieȱ dieȱ Dreizahlȱ sieȱ stellt.“,ȱ sowieȱ FEE,ȱCommentary,ȱ25;ȱKELLY,ȱPastoralȱEpistles,ȱ31.ȱ 24ȱȱ SoȱinȱNachzeichnungȱeinerȱFormulierungȱvonȱMOUNCE,ȱPastoralȱEpistles,ȱCXXȱ(„triȬ plingȱtheȱpossibilityȱofȱdetection“).ȱ

III.ȱȱSystematischeȱZusammenfassungȱundȱMethodenreflexionȱ

113ȱ

Erklärungȱbedürfen.ȱUndȱschließlichȱsollȱeineȱErklärungȱdafürȱgesuchtȱ werden,ȱwarumȱgeradeȱdreiȱBriefeȱanȱzweiȱMitarbeiterȱvorliegen.ȱ ȱ Amȱ Endeȱ derȱ Arbeitȱ wirdȱderȱ Versuchȱeinerȱ Neubestimmungȱ derȱ ReȬ lationȱderȱBriefeȱstehen.ȱDabeiȱsollȱihreȱoffensichtlicheȱsprachliche,ȱtheȬ matischeȱ undȱ z.T.ȱ auchȱ gattungstheoretischeȱ Verwandtschaftȱ keinesȬ wegsȱinȱFrageȱgestelltȱwerden,ȱvielmehrȱsollȱesȱdarumȱgehen,ȱvorȱdemȱ HintergrundȱderȱinȱderȱexegetischenȱDiskussionȱzuȱRechtȱaufgezeigtenȱ engenȱ Zusammengehörigkeitȱ derȱ dreiȱ Briefeȱ zuȱ überlegen,ȱ wieȱ dieseȱ Verwandtschaftȱ tatsächlichȱ erklärtȱ werdenȱ kann.ȱ Dazuȱ istȱ esȱ notwenȬ dig,ȱdiejenigenȱinȱdenȱPastȱvorkommendenȱThemenkomplexeȱ–ȱinȱAusȬ wahlȱ –ȱ erneutȱ zuȱ untersuchen,ȱ dieȱ inȱ derȱ bisherigenȱ ForschungsgeȬ schichteȱentwederȱalsȱArgumentȱfürȱdieȱangeblicheȱkonzeptionelleȱZuȬ sammengehörigkeitȱ derȱ dreiȱ Schreibenȱ gewertetȱ wurdenȱ oderȱ derenȱ Interpretation,ȱdieȱbereitsȱaufȱGrundlageȱdiesesȱTheoriegebildesȱdurchȬ geführtȱwurde,ȱnichtȱzuȱzufriedenstellendenȱErgebnissenȱgelangt.ȱ Diesȱ geschiehtȱ inȱ dieserȱArbeit,ȱindemȱ inȱ ihremȱHauptteilȱ (IV)ȱ zuȬ nächstȱ solcheȱ Inhalteȱ thematisiertȱ werden,ȱ dieȱ alsȱ scheinbarȱ zentraleȱ Elementeȱ alleȱ dreiȱ Briefeȱ durchziehenȱ bzw.ȱ denenȱ trotzȱ ihresȱ VorhanȬ denseinsȱnurȱinȱzweiȱderȱdreiȱSchreibenȱeineȱzentraleȱFunktionȱfürȱdieȱ TheologieȱderȱSchriftengruppeȱinsgesamtȱzugesprochenȱwird.ȱ ȱ

Dassȱ dabeiȱ einzelneȱ Verseȱ inȱ mehrfacherȱ Hinsichtȱ bedeutsamȱ sind,ȱ alsoȱ unterȱ unterschiedlicherȱ Perspektiveȱ betrachtetȱ werden,ȱ istȱ nichtȱ nurȱ unvermeidbar,ȱ sondernȱ ermöglichtȱ es,ȱ bereitsȱ währendȱ derȱ exegetischenȱ Arbeitȱ Querbezügeȱ herzustellen,ȱ dieȱ fürȱ dieȱ umfassendeȱ Darstellungȱ derȱ Theologieȱ derȱ einzelnenȱ BriefeȱimȱSchlusskapitelȱgrundlegendȱsind.ȱ ȱ

Dieȱ exegetischeȱ Forschungȱ hatȱ immerȱ wiederȱ behauptet,ȱ dieȱ PastoralȬ briefeȱ zeichnetenȱ sichȱ durchȱ eineȱ einheitlicheȱ SoterȬȱ undȱ EpiphanieȬ christologieȱaus,ȱdieȱ–ȱganzȱandersȱalsȱbeiȱPaulusȱselbstȱ–ȱeinȱdeutlichesȱ hellenistischesȱGeprägeȱerkennenȱlasseȱundȱgeradeȱdarinȱtypischȱseiȱfürȱ diesenȱpseudopaulinischenȱAutor.ȱInwiefernȱdiesȱzutrifft,ȱsollȱinȱKapiȬ telȱ 1ȱ untersuchtȱ werden.ȱ Auchȱ dieȱangeblichȱ alleȱ dreiȱ Briefeȱ prägendeȱ oi=kojȬEkklesiologie,ȱ durchȱ dieȱ dieȱ lebendigeȱ paulinischeȱ GemeindetraȬ ditionȱ inȱ einȱ starresȱ Korsettȱ vonȱ AmtsȬȱ undȱ Gemeindestrukturenȱ geȬ presstȱ werde,ȱ sollȱ hierȱ erneutȱ daraufhinȱ befragtȱ werden,ȱ obȱ diesȱ tatȬ sächlichȱfürȱalleȱdreiȱSchreibenȱgiltȱundȱobȱauchȱdieȱdamitȱverknüpftenȱ Amtsbegriffeȱ wirklichȱ alsȱ Aufweisȱ fürȱ eineȱ einzigeȱ nachpaulinischeȱ Gemeindekonzeptionȱherangezogenȱwerdenȱkönnenȱ(Kapitelȱ2).ȱ Dieȱ scheinbarȱ bewieseneȱ undȱ vonȱ daȱ anȱ stetsȱ vorausgesetzteȱ AnȬ nahmeȱ derȱ konzeptionellenȱ Zusammengehörigkeitȱ derȱ dreiȱ Schreibenȱ führteȱ umgekehrtȱ dazu,ȱ dassȱ bestimmteȱ inȱ denȱ Briefenȱ vorkommendeȱ

114ȱ

III.ȱȱSystematischeȱZusammenfassungȱundȱMethodenreflexionȱ

Themenȱ nurȱ sehrȱ pauschalisierendȱ abgehandeltȱ werdenȱ konnten.ȱ DiesesȱDesideratȱderȱbisherigenȱForschungȱfälltȱbesondersȱbeiȱderȱFrageȱ nachȱdenȱinȱdenȱPastoralbriefenȱbekämpftenȱGegnernȱauf,ȱderenȱangebȬ lichȱ wenigȱ deutlichesȱ Profilȱ gerneȱ alsȱ jüdischȬchristlichȬgnostischerȱ Synkretismusȱ oderȱ mitȱ demȱ Hinweisȱ aufȱ dieȱ Situationslosigkeitȱ derȱ dreiȱ Schreibenȱ erklärtȱ wurde.ȱ Dasȱ 3.ȱ Kapitelȱ derȱ vorgelegtenȱ Arbeitȱ fragtȱ daherȱ erneutȱ nachȱ denȱ hinterȱ denȱ Briefenȱ erkennbarȱ werdendenȱ Gegnern.ȱDenȱAbschlussȱ(Kapitelȱ4)ȱbildetȱdieȱUntersuchungȱdesȱinȱdenȱ dreiȱ Briefenȱ erkennbarȱ werdendenȱ Paulusbildesȱ sowieȱ damitȱ engȱ zusammenhängendȱ dieȱ Frageȱ nachȱ derȱ pseudepigraphischenȱ Machartȱ derȱeinzelnenȱSchreiben.ȱZweiȱthematischeȱExkurseȱerweiternȱdieȱBasisȱ fürȱdenȱVersuchȱeinerȱinhaltlichenȱNeuprofilierungȱderȱeinzelnenȱPast.ȱȱ Abschließendȱ werdenȱ dieȱ bisherȱ imȱ direktenȱ Vergleichȱ gewonneȬ nenȱ Ergebnisseȱ fürȱ jedenȱ einzelnenȱ Briefȱ gebündelt,ȱ wobeiȱ dieȱ durchȱ dieȱselbstständigeȱLesartȱderȱdreiȱBriefeȱneuȱgewonneneȱinterpretatoriȬ scheȱ Freiheitȱesȱ ermöglicht,ȱ Intentionȱ undȱ Inhaltȱ derȱ Schreibenȱ jeweilsȱ neuȱzuȱbeschreiben.ȱȱ ȱ

KeinȱeigenerȱAbschnittȱwirdȱhierȱderȱGattungȱderȱdreiȱSchreibenȱgewidmet,ȱdaȱ dieȱExistenzȱzweierȱformalȱsehrȱähnlicherȱundȱeinesȱdavonȱabweichendenȱBrieȬ fesȱ v.a.ȱ beiȱ derȱ Annahmeȱ konzeptionellerȱ Zusammengehörigkeitȱ einȱ Problemȱ darstellt,ȱbeiȱderȱAnnahmeȱdesȱVorliegensȱdreierȱEinzelschreibenȱjedochȱprobȬ lemlosȱ erklärtȱ werdenȱ kann.25ȱ Daherȱ schließeȱ ichȱ michȱ zunächstȱ denȱ ausȱ derȱ Forschungsgeschichteȱ bekanntenȱ Gattungsbezeichnungenȱ anȱ –ȱ wieȱ dieȱ BeȬ schreibungȱ desȱ 2Timȱ alsȱ Freundschaftsbriefȱ mitȱ testamentarischenȱ Elementenȱ (Weiser)ȱ oderȱ dieȱ Einordnungȱ vonȱ 1Timȱ undȱ Titȱ unterȱ dieȱ Gattungȱ mandataȱ principisȱ(Johnson)ȱ–,ȱnichtȱohneȱmirȱjedochȱderȱTatsacheȱbewusstȱzuȱsein,ȱdassȱ dieseȱFrageȱeinerȱgenauerenȱundȱanȱandererȱStelleȱzuȱleistendenȱUntersuchungȱ bedürfte.26ȱ ȱ

Amȱ Beginnȱ derȱ einzelnenȱ Kapitelȱ stehtȱ zunächstȱ einȱ kurzerȱ Überblickȱ überȱ dieȱ bisherȱ inȱ derȱ Forschungȱ vertretenenȱ Deutemöglichkeiten,ȱ beȬ vorȱ dieȱ eigeneȱ Beschäftigungȱ mitȱ denȱ jeweilsȱ relevantenȱ Textenȱ einȬ setzt.ȱ Umȱ denȱ Rahmenȱ dieserȱ Arbeitȱ nichtȱ zuȱ sprengen,ȱ istȱ allerdingsȱ eineȱ Beschränkungȱ aufȱ wesentlicheȱ Aspekteȱ notwendig.ȱ Zurȱ FeststelȬ lungȱderȱgenauenȱ–ȱgegebenenfallsȱzwischenȱdenȱdreiȱBriefenȱauchȱdifȬ ferierendenȱ –ȱ semantischenȱ Implikationenȱ derȱ ausgewähltenȱ WortfelȬ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 25ȱȱ Vgl.ȱdazuȱKapitelȱVȱdieserȱArbeit.ȱ 26ȱȱ Vgl.ȱdazuȱneuerdingsȱwiederȱLUTTENBERGER,ȱProphetenmantel,ȱpassim.ȱDiesȱgiltȱbeȬ sondersȱ fürȱ denȱ 2Tim,ȱ dessenȱ obenȱ skizzierteȱ Einordnungȱ aufgrundȱ derȱ Breiteȱ derȱ Formulierungȱ undȱ derȱ Frageȱ nachȱ derȱ Bedeutungȱ derȱ brieflichenȱ Rahmengattungȱ fürȱseineȱformalenȱBesonderheitenȱausgeprochenȱkontroversȱdiskutiertȱwird.ȱȱ

III.ȱȱSystematischeȱZusammenfassungȱundȱMethodenreflexionȱ

115ȱ

derȱwerdenȱdieȱeinzelnenȱBegriffeȱaufȱihreȱFunktionȱundȱBedeutungȱinȱ demȱjeweiligenȱBriefkontextȱbefragt.ȱȱ ȱ

DerȱdafürȱgewählteȱBegriffȱderȱ„Motivsemantik“ȱumschreibtȱinȱAnlehnungȱanȱ WilhelmȱEggerȱdasȱeigeneȱVorgehen.27ȱFürȱEggerȱstelltȱallerdingsȱdieȱgesamteȱ semantischeȱ Analyseȱ (undȱ alsoȱ auchȱ dieȱ Motivsemantik)ȱ einenȱ reinȱ synchronenȱ Textzugangȱdar,ȱinnerhalbȱdessenȱausschließlichȱnachȱdenȱaufȱderȱTextebeneȱzuȱ erhebendenȱ syntagmatischenȱ undȱ paradigmatischenȱ Sinnrelationenȱ zuȱ fragenȱ ist.28ȱ Dieȱ hierȱ vorliegendeȱ Arbeitȱ nimmtȱ ergänzendȱ denȱ Zugangȱ derȱ MotivȬ analyseȱ auf,ȱ derȱ nachȱ „geprägtenȱ Bedeutungsgehalten“ȱ undȱ alsoȱ danachȱ fragt,ȱ inwiefernȱ einȱ Terminusȱ „traditionelles,ȱ kulturelles,ȱ speziellȱ auchȱ religiösesȱ Wissen“ȱ abruft.29ȱ Imȱ Rahmenȱ dieserȱ Arbeitȱ kannȱ esȱ allerdingsȱ nichtȱ darumȱ gehen,ȱ dasȱ potentielleȱ assoziativeȱ Geprägeȱ einesȱ Motivkomplexesȱ umfassendȱ zuȱerhellen;ȱimȱBlickȱistȱvielmehrȱausschließlichȱdieȱmöglicheȱinnerpaulinischeȱ Traditionsgeschichteȱ einesȱ Motivs,ȱ derenȱ Nachzeichnungȱ zurȱ Profilierungȱ derȱ zeitlichenȱEinordnungȱdesȱjeweiligenȱPastoralbriefsȱbeitragenȱsoll.ȱ ȱ

Dabeiȱ werdenȱ dieȱ Schreibenȱ jeweilsȱ unabhängigȱ voneinanderȱ inȱ ihrerȱ Selbstständigkeitȱernstȱgenommen,ȱsoȱdassȱ–ȱinȱdeutlichemȱUnterschiedȱ zuȱ demȱ bisherȱ inȱ derȱ Pastoralbriefexegeseȱ üblichenȱ Vorgehenȱ –ȱ zuȬ nächstȱ derȱ einzelneȱ Briefȱ alleinigerȱ Interpretationskontextȱ fürȱ dieȱ inȱ ihmȱ vorkommendenȱ Theologumenaȱ ist.ȱ Aufȱ dieseȱ Weiseȱ kannȱ dieȱ BeȬ griffsverwendungȱinȱdenȱEinzelschreibenȱdeutlicherȱalsȱinȱderȱbisheriȬ genȱ Forschungȱ profiliertȱ werden,ȱ umȱ darausȱ eineȱ tragfähigeȱ Basisȱ fürȱ eineȱneueȱTheseȱüberȱdasȱVerhältnisȱderȱdreiȱSchreibenȱuntereinanderȱ gewinnenȱ zuȱ können.ȱ Auchȱ wennȱ sichȱ dabeiȱ imȱ Verlaufȱ derȱ exegetiȬ schenȱ Untersuchungȱ einȱ bestimmtesȱ Deutemusterȱ abzuzeichnenȱ beȬ ginnt,ȱ fragtȱ dochȱ jedesȱ einzelneȱ Kapitelȱ ergebnisoffenȱ nachȱ möglichenȱ ErklärungenȱfürȱdenȱvorliegendenȱBefund.ȱSoȱsollȱderȱinȱderȱPastȬExeȬ geseȱhäufigȱzuȱbeobachtendeȱFehlerȱvermiedenȱwerden,ȱeinenȱeinzigenȱ interpretatorischenȱZugangȱvorschnellȱzuȱverabsolutieren.ȱ DieȱBriefeȱwerdenȱinȱderȱReihenfolgeȱTitȱ–ȱ1Timȱ–ȱ2Timȱuntersucht.ȱ Dahinterȱ stehtȱ dieȱ inȱ derȱ Darstellungȱ derȱ Forschungsgeschichteȱ geȬ wonneneȱ Erkenntnis,ȱ dassȱ sowohlȱ beiȱ Annahmeȱ derȱ Echtheitȱ derȱ dreiȱ SchreibenȱalsȱauchȱbeiȱderȱVerfechtungȱihrerȱpseudepigraphischenȱAbȬ fassungȱ derȱTitusbriefȱ i.d.R.ȱamȱ Anfangȱ stehtȱ –ȱ seiȱesȱ aufgrundȱseinesȱ überlangenȱ Präskripts,ȱ welchesȱ eherȱ alsȱ Einleitungȱ zuȱ einemȱ ganzenȱ CorpusȱalsȱnurȱfürȱTitȱselbstȱzuȱverstehenȱsei,ȱoderȱseiȱesȱaufgrundȱseiȬ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 27ȱȱ EGGER,ȱ Methodenlehre,ȱ 110,ȱ sprichtȱ vonȱ derȱ „Semantikȱ vonȱ Wortȱ (Begriff),ȱ Motivȱ undȱWortfeld“.ȱ 28ȱȱ Vgl.ȱa.a.O.ȱ110ff.ȱ 29ȱȱ SÖDING,ȱWege,ȱ173.174.ȱ

116ȱ

III.ȱȱSystematischeȱZusammenfassungȱundȱMethodenreflexionȱ

nerȱ gegenüberȱ demȱ 1Timȱ nochȱ wenigerȱ entwickeltenȱ Theologie.30ȱ Derȱ 2Timȱ wiederumȱ stehtȱ deshalbȱ amȱ Schluss,ȱ weilȱ erȱ inȱ Formȱ undȱ Inhaltȱ vonȱ denȱ beidenȱ anderenȱ Briefenȱ abweichtȱ undȱ lautȱ seinemȱ SelbstanȬ spruchȱtatsächlichȱderȱletzteȱBriefȱdesȱApostelsȱseinȱwill.ȱ ȱ

Zwischenȱ denȱ mitȱ derȱ Voranstellungȱ desȱ Titȱ verbundenenȱ Implikationenȱ istȱ allerdingsȱzuȱdifferenzieren:ȱBeiȱAnnahmeȱauthentischerȱVerfasserschaftȱrücktȱ derȱTitȱalsȱzuerstȱverfassterȱundȱalsoȱältesterȱBriefȱanȱdenȱzeitlichenȱAnfangȱderȱ Entstehungȱ derȱ dreiȱ Schreiben,ȱ währendȱ diejenigenȱ Exegeten,ȱ dieȱ inȱ denȱ Pastȱ einȱ intentionalȱ zusammengehörendesȱ Corpusȱ sehen,ȱ imȱ Titȱ denȱ ausȱ Sichtȱ desȱ PastȬVerfassersȱzuerstȱzuȱlesendenȱBriefȱsehen.ȱAnȱdieȱStelleȱderȱFrageȱnachȱderȱ historischenȱ Abfassungsreihenfolgeȱ istȱ dannȱ dieȱ nachȱ derȱ intendiertenȱ LesereihenȬ folgeȱgetreten.ȱ Diesȱ giltȱ analogȱ auchȱ fürȱ dieȱ Schlussstellungȱ desȱ 2Tim,ȱ beiȱ demȱ esȱ sichȱ dochȱ entwederȱ umȱ dasȱ Testamentȱ desȱ historischenȱ Paulusȱ oderȱ aberȱ einenȱ bewusstȱ fingiertenȱ allerletztenȱ Apostelbriefȱ handelt,ȱ derȱ dannȱ entwederȱ dasȱ CorpusȱPastoraleȱoderȱsogarȱdasȱgesamteȱCorpusȱPaulinumȱabschließenȱsoll.31ȱ ȱ

DassȱdieȱdreiȱBriefeȱausȱderȱdurchȱdieȱRedeȱvomȱCorpusȱPastoraleȱimȬ pliziertenȱ engenȱ Verklammerungȱ gelöstȱ undȱ alsoȱ alsȱ dreiȱ (pseudȬ epigraphische)ȱ Einzelschreibenȱ betrachtetȱ werden,ȱ ermöglichtȱ dieȱ Wahrnehmungȱ ihrerȱ tatsächlichenȱ Brieflichkeitȱ undȱ alsoȱ ihreȱ InterpreȬ tationȱalsȱTexte,ȱdieȱinȱeineȱbestimmteȱ(gemeindliche)ȱSituationȱhineinȬ zielenȱ–ȱundȱdamitȱwohlȱmehrereȱrealeȱAdressatenȱhaben.32ȱDieȱAussaȬ genȱderȱPastoralbriefeȱkönnenȱundȱsollenȱalsoȱaufȱeineȱimȱHintergrundȱ stehendeȱ aktuelleȱ Konstellationȱ hinȱ ausgewertetȱ werden33ȱ –ȱ ohneȱ dassȱ hierȱ jedochȱ letztendlicheȱ Sicherheitȱ erlangtȱ werdenȱ kann.ȱ Mehrȱ alsȱ VermutungenȱüberȱdieȱjeweiligeȱhistorischeȱEinbettung,ȱgarȱeineȱexakteȱ zeitlicheȱVerortung,ȱwirdȱmanȱkaumȱäußernȱkönnen.34ȱAmȱSchlussȱderȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 30ȱȱ Zuȱ denȱ wenigenȱ hierȱ zuȱ nennendenȱ Ausnahmenȱ zählenȱ unterȱ denȱ Vertreternȱ desȱ Konsensesȱ Roloff,ȱ Wolterȱ undȱ Häfner,ȱ dieȱ mitȱ unterschiedlicherȱ Begründungȱ denȱ 1Timȱvoranstellen.ȱȱ 31ȱȱ Holtzmannȱ undȱ Baurȱ könnenȱ allerdingsȱ auchȱ beiȱ Annahmeȱ pseudepipgraphischerȱ Verfasserschaftȱ2TimȱamȱBeginnȱverorten,ȱweilȱerȱdenȱProtopaulinenȱnochȱamȱähnȬ lichstenȱ ist.ȱ Vgl.ȱ zuȱ derȱ Frage,ȱ obȱ dieserȱ Ansatzȱ berechtigtȱ ist,ȱ Kapitelȱ Vȱ dieserȱ ArȬ beit.ȱ 32ȱȱ JenseitsȱdesȱimplizitenȱAutorsȱPaulusȱundȱderȱimplizitenȱAdressatenȱTimotheusȱundȱ Titusȱ istȱ alsoȱ nachȱ derȱ Geschichteȱ desȱ realenȱ Autorsȱ undȱ derȱ realenȱ Adressatenȱ zuȱ fragen;ȱvgl.ȱMARSHALL,ȱDeception,ȱ781:ȱ„Behindȱeveryȱletterȱisȱaȱstory,ȱbutȱbehindȱaȱ forgedȱletterȱthereȱareȱatȱleastȱtwoȱ–ȱandȱoneȱisȱaȱlie“.ȱȱ 33ȱȱ Vgl.ȱ dieȱ Formulierungȱ derȱ neuenȱ Grundlagenȱ derȱ Pastoralbriefexegeseȱ beiȱ DONȬ FRIED,ȱApproaches,ȱ154–156.ȱ 34ȱȱ Vgl.ȱdazuȱauchȱYOUNG,ȱTheology,ȱ3:ȱ„YetȱweȱcannotȱentirelyȱescapeȱfromȱtheȱprobȬ lemȱthatȱreconstructingȱcontextȱandȱtraditionȱdependsȱonȱreadingȱtheȱveryȱtextsȱthatȱ

III.ȱȱSystematischeȱZusammenfassungȱundȱMethodenreflexionȱ

117ȱ

ArbeitȱstehtȱdaherȱvorȱallemȱeineȱNeubestimmungȱderȱliterarischenȱReȬ lationȱ derȱ dreiȱ Briefe,ȱ inȱ dessenȱ Kontextȱ sichȱ auchȱ dieȱ Frageȱ nachȱ derȱ Existenzȱderȱsog.ȱ„Paulusschule“ȱstellt.35ȱ ȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ weȱwishȱtoȱelucidateȱthroughȱthatȱreconstruction.ȱThisȱcreatesȱaȱproblemȱofȱmethod.ȱ ItȱisȱallȱtooȱeasyȱtoȱsetȱupȱanȱinterpretativeȱframeworkȱinȱadvanceȱwhichȱthenȱdeterȬ minesȱhowȱtheȱtextsȱareȱread.“ȱ 35ȱȱ DieserȱTerminusȱwurdeȱerstmalsȱinȱHoltzmannsȱPastoralbriefkommentarȱgebrauchtȱ (vgl.ȱHOLTZMANN,ȱPastoralbriefe,ȱ110.117),ȱdortȱaberȱanscheinendȱbereitsȱalsȱbekanntȱ vorausgesetztȱ oderȱ zumindestȱ auffälligȱ kommentarlosȱ eingeführt.ȱ Beschriebȱ erȱ zuȬ nächstȱ v.a.ȱ eineȱ literarischeȱ Relationȱ zwischenȱ denȱ einzelnenȱ deuteropaulinischenȱ Schriften,ȱ soȱ erwuchsȱ darausȱ imȱ Laufeȱ derȱ Zeitȱ dieȱ Vorstellungȱ einerȱ festȱ struktuȬ riertenȱ Lehrinstitution;ȱ vgl.ȱ dieȱ grundlegendeȱ Formulierungȱ dieserȱ Theseȱ beiȱ CONȬ ZELMANN,ȱ Weisheit,ȱ 179,ȱ derȱ vonȱ einemȱ „vonȱ Paulusȱ bewußtȱ organisierte[n]ȱ Schulbetrieb“ȱspricht.ȱVgl.ȱdazuȱauchȱdieȱneuerenȱMonographienȱvonȱVEGGE,ȱPaulusȱ (bisherȱnurȱBandȱ1),ȱundȱSCHMELLER,ȱSchulen.ȱ

IV.ȱȱMotivsemantischeȱUntersuchungenȱ

IV.ȱȱMotivsemantischeȱUntersuchungenȱ 1.ȱȱChristologieȱundȱSoteriologieȱ 1.1ȱȱswth,rȱalsȱGottesȬȱundȱChristusepithetonȱinȱdenȱPastoralbriefenȱȱ 1.1.1ȱȱDieȱPastoralbriefeȱalsȱVerfechterȱeinerȱRetterchristologie?ȱȱ ZurȱBedeutungȱdesȱWortfeldesȱinȱdenȱPastoralbriefenȱȱ undȱinȱihremȱUmfeldȱ DassȱdieȱPastoralbriefeȱ„eineȱmarkanteȱEpiphanieȬȱundȱRetterchristoloȬ gie“1ȱ vertreten,ȱ welcheȱ sichȱ durchȱ Übertragungȱ desȱ üblicherweiseȱ fürȱ Gottȱ verwendetenȱ swth,rȬBegriffsȱ aufȱ Jesusȱ Christusȱ undȱ damitȱ durchȱ einenȱ„doppeltenȱGebrauchȱdesȱTitels“2ȱauszeichne,ȱistȱseitȱBeginnȱdesȱ 20.ȱ Jahrhundertsȱ immerȱ wiederȱ behauptetȱ undȱ alsȱ wesentlichesȱ geȬ meinsamesȱ Merkmalȱ derȱ Christologieȱ derȱ dreiȱ Briefeȱ angeführtȱ worȬ den.3ȱ DochȱauchȱwennȱalleȱdreiȱSchreibenȱdenȱWortstammȱswsȬȱinȱeinerȱ imȱCorpusȱPaulinumȱinȱderȱTatȱsignifikantenȱHäufigkeitȱbieten,ȱsoȱfälltȱ dochȱ eineȱ unterschiedlicheȱ Verwendungȱ derȱ Begrifflichkeitȱ auf:ȱ Kannȱ Titȱ vonȱ Gottȱ undȱ Christusȱ alsȱ Retternȱ sprechenȱ (1,3f;ȱ 2,10.11–14;ȱ 4,10),ȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 1ȱȱ

2ȱȱ 3ȱȱ

KARRER,ȱJesusȱChristus,ȱ52;ȱvgl.ȱSÖDING,ȱErscheinen,ȱ174,ȱundȱOBERLINNER,ȱEpiphaȬ neia,ȱ 211.ȱ TRUMMER,ȱ Paulustradition,ȱ 200,ȱ sprichtȱ (unterȱ Hinweisȱ aufȱ PAX,ȱ EpiphaȬ neia,ȱ247)ȱvonȱeinemȱ„Lieblingswort“ȱderȱPast,ȱwährendȱROLOFF,ȱLebensnorm,ȱ156,ȱ dieȱRedeȱvonȱderȱEpiphanieȱsogarȱalsȱ„Fluchtpunkt“ȱallerȱchristologischenȱAussagenȱ derȱPastȱbezeichnenȱkann.ȱ BROER,ȱ Einleitungȱ II,ȱ 553;ȱ vgl.ȱ SÖDING,ȱ a.a.O.ȱ 173;ȱ ROLOFF,ȱ 1Tim,ȱ 363;ȱ OBERLINNER,ȱ a.a.O.ȱ199;ȱWILSON,ȱLuke,ȱ86;ȱTRUMMER,ȱa.a.O.ȱ193;ȱBROX,ȱPastoralbriefe,ȱ233.ȱ Vgl.ȱdazuȱgrundsätzlichȱMARSHALL,ȱSalvation,ȱ451f,ȱpassim,ȱsowieȱGREEN,ȱSalvation,ȱ 152ff.ȱAndersȱHASLER,ȱEpiphanie,ȱ195,ȱderȱvonȱeinerȱ‚Zurücknahme‘ȱderȱ ChristoloȬ gieȱ inȱ dieȱ SoterȬTheologieȱ spricht,ȱ inȱ dieserȱ Allgemeinheitȱ aberȱ ebenfallsȱ dasȱ ProȬ priumȱderȱPastȱverfehlt.ȱGLASER,ȱBriefroman,ȱ187ȱAnm.ȱ93,ȱbehauptetȱdabei,ȱdassȱdasȱ TitȬPräskriptȱmitȱderȱdoppeltenȱSoterȬZuordnungȱdenȱjeweilsȱnurȱeinseitigenȱBezugȱ aufȱGottȱoderȱChristusȱinȱdenȱbeidenȱanderenȱPastȱvorwegnehme.ȱDamitȱsetztȱGlaserȱ jedochȱvoraus,ȱwasȱm.E.ȱnichtȱzuȱbeweisenȱist,ȱdassȱnämlichȱdieȱdreiȱBriefeȱtatsächȬ lichȱ inȱ derȱ Reihenfolgeȱ Titȱ –ȱ 1Timȱ –ȱ 2Timȱ alsȱ Briefcorpusȱ oderȱ garȱ Briefromanȱ geȬ lesenȱwerdenȱwollen.ȱ

1.ȱȱChristologieȱundȱSoteriologieȱ

119ȱ

soȱ verwendetȱ 1Timȱ denȱ Titelȱ selbstȱ nurȱ fürȱ Gottȱ (1,1;ȱ 2,3;ȱ 4,10),ȱ kannȱ allerdingsȱ(mitȱwechselndemȱSubjekt)ȱdiesesȱRetterseinȱdurchȱdasȱVerbȱ sw,|zwȱ weiterȱ entfaltenȱ (vgl.ȱ 1,15ȱ [Christus];ȱ 2,4ȱ [Gott];ȱ 2,15;ȱ 4,16).ȱ Einȱ wiederumȱanderesȱBildȱentwirftȱ2Tim,ȱwoȱderȱSoterȬTitelȱausschließlichȱ christologischȱ gefülltȱ wirdȱ (1,9f,ȱ vgl.ȱ 4,18),ȱ währendȱ Gottȱ lediglichȱ alsȱ Subjektȱ desȱ Rettungshandelnsȱ (sw,z| w)ȱ erscheintȱ (1,9).ȱ Nurȱ 2Timȱ bietetȱ darüberȱ hinausȱ dasȱ inȱ denȱ Protopaulinenȱ häufigȱ verwendeteȱ AbstrakȬ tumȱswthri,aȱ(2,10;ȱ3,15)4ȱsowieȱdieȱebenfallsȱpaulinischeȱRettungsvokaȬ belȱr`uo, maiȱ(3,11;ȱ4,17f)5.ȱ ImȱFolgendenȱsollȱderȱsemantischeȱGehaltȱdiesesȱWortfeldesȱinȱdenȱ einzelnenȱPastoralbriefenȱaufgezeigtȱwerden,ȱumȱdasȱspezifischeȱProfilȱ derȱdreiȱSchreibenȱgenauerȱerhellenȱzuȱkönnen.ȱȱ ȱ Dassȱ dieȱ Pastoralbriefeȱ denȱ SoterȬBegriffȱ undȱ mitȱ ihmȱ dasȱ gesamteȱ Wortfeldȱ häufigerȱ verwendenȱ alsȱ Paulusȱ selbst,ȱ wirdȱ zumeistȱ aufȱ ihreȱ gegenüberȱ denȱ Protopaulinenȱ stärkereȱ hellenistischeȱ Prägungȱ zurückȬ geführtȱ undȱ häufigȱ mitȱ demȱ hellenistischenȱ (KaiserȬ)Kultȱ inȱ VerbinȬ dungȱ gebracht.6ȱ Dochȱ istȱ dieserȱ Sprachgebrauchȱ auchȱ bereitsȱ inȱ derȱ Septuagintaȱangelegt.7ȱ ȱ

Dieȱ LXX8ȱ verwendetȱ denȱ SoterȬBegriffȱ v.a.ȱ alsȱ Gottesprädikat9;ȱ alsȱ messianoȬ logischeȱ Bezeichnungȱ oderȱ alsȱ Königstitelȱ hingegenȱ istȱ dasȱ Substantivȱ nichtȱ belegt.ȱNurȱgelegentlichȱkönnenȱimȱKontextȱdesȱRichterbuchesȱsowieȱdenȱdamitȱ zusammenhängendenȱ Traditionenȱ einzelneȱ Menschenȱ alsȱ „Retter“ȱ bezeichnetȱ werden;10ȱ dabeiȱ bleibtȱ jedochȱ derȱ Rettertitelȱ stetsȱ funktionalȱ anȱ Gottȱ alsȱ denȱ Herrnȱ derȱ Geschichteȱ rückgebunden,ȱ derȱ dieȱ Richterȱ erweckt,ȱ ihnenȱ fürȱ beȬ grenzteȱZeitȱseinenȱGeistȱgibtȱundȱdasȱGeschickȱIsraelsȱinȱihreȱHändeȱlegt.11ȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 4ȱ 5ȱȱ 6ȱȱ

Vgl.ȱRömȱ1,16;ȱ10,1.10;ȱ11,11;ȱ13,11;ȱ2Korȱ1,6;ȱ6,2;ȱ7,10;ȱPhilȱ1,19.28;ȱ2,12;ȱ1Thessȱ5,8f.ȱ Vgl.ȱRömȱ7,24;ȱ11,26;ȱ15,31;ȱ2Korȱ1,10;ȱ1Thessȱ1,10.ȱ Soȱ u.a.ȱ MARSHALL,ȱ Pastoralȱ Epistles,ȱ 292;ȱ YOUNG,ȱ Theology,ȱ 65;ȱ DIBELIUS/CONZELȬ MANN,ȱ Pastoralbriefe,ȱ 109.ȱ Kritischȱ inȱ Bezugȱ aufȱ eineȱ allzuȱ direkteȱ Beziehungȱ zwiȬ schenȱ PastȬTerminologieȱ undȱ hellenistischemȱ Kultȱ hingegenȱ OBERLINNER,ȱ Tit,ȱ 141f;ȱ ROLOFF,ȱ1Tim,ȱ363f;ȱTRUMMER,ȱPaulustradition,ȱ195.ȱ 7ȱȱ Vgl.ȱhierzuȱdieȱumfangreicheȱUntersuchungȱvonȱJUNG,ȱStudien.ȱ 8ȱȱ Wennȱ nichtȱausdrücklichȱandersȱvermerkt,ȱfolgtȱdieȱZitationȱderȱalttestamentlichenȱ BelegeȱderȱLXX.ȱ 9ȱȱ Vgl.ȱu.a.ȱDtnȱ32,15;ȱ1Regȱ10,19;ȱJdtȱ9,11;ȱ1Makkȱ4,30;ȱ3Makkȱ6,29.32;ȱ7,16;ȱY 23,5;ȱ24,5;ȱ 26,1.9;ȱ61,3.7;ȱ64,6;ȱ78,9;ȱ94,1;ȱOdȱ2,15;ȱ4,18;ȱ9,47;ȱWeishȱ16,7;ȱSirȱ51,1;ȱPsSalȱ3,6;ȱ8,33;ȱ 16,4;ȱ17,3;ȱMiȱ7,8;ȱHabȱ3,18;ȱJesȱ12,2;ȱ17,10;ȱ45,15.21;ȱ62,11;ȱBarȱ4,22.ȱ 10ȱȱ Riȱ3,9.15;ȱ12,3,ȱvgl.ȱ2Esȱ19,27ȱ(zusammenfassendeȱErinnerungȱanȱdieȱRichterzeit)ȱsoȬ wieȱdieȱauffälligeȱRetterȬBenennungȱMordechaisȱinȱEstȱ8,12.ȱ 11ȱȱ Vgl.ȱJUNG,ȱStudien,ȱ232–234ȱu.ö.ȱ

120ȱ

IV.ȱȱMotivsemantischeȱUntersuchungenȱ

Imȱ paganȬhellenistischenȱ Kontextȱ wurdeȱ derȱ SoterȬBegriffȱ zuȱ einemȱ geȬ bräuchlichenȱEhrentitelȱnichtȱnurȱfürȱGottheiten,ȱsondernȱauchȱfürȱMenschen:12ȱ Imȱ Hinblickȱ aufȱ Ersteresȱ fälltȱ auf,ȱ dassȱ swth,rȱ –ȱ mitȱ Ausnahmeȱ derȱ beiȱ Aeliusȱ Aristidesȱ belegtenȱ Formȱ desȱ AsklepiosȬKultesȱ–ȱ nichtȱ alsȱ alleinstehendesȱ GotȬ tesepithetonȱverwendetȱwurde,ȱsondernȱinȱKombinationȱmitȱanderenȱEhrenbeȬ zeichnungenȱdazuȱdiente,ȱmöglichstȱumfassendȱ„dieȱVariationsbreiteȱgöttlicherȱ Wirkweisen“ȱauszusagen.13ȱInȱBezugȱaufȱLetzteresȱistȱentgegenȱderȱKonzentraȬ tionȱ derȱ älterenȱ Forschungȱ aufȱ denȱ Kaiserkult14ȱ festzuhalten,ȱ dassȱ derȱ Begriffȱ Verwendungȱ weitȱ darüberȱ hinausȱ fandȱ undȱ generellȱ Personenȱ bezeichnete,ȱ derenȱ Hilfeȱ manȱ eineȱ Rettungȱ persönlicher,ȱ politischerȱ oderȱ sonstigerȱ Naturȱ verdankte.15ȱȱ Vonȱdenȱ24ȱneutestamentlichenȱSoterbelegenȱfindenȱsichȱ14ȱaußerhalbȱdesȱ CorpusȱPastorale,ȱkonzentriertȱaufȱdieȱstärkerȱhellenistischȱgeprägtenȱSchriften,ȱ davonȱvierȱimȱlukanischenȱDoppelwerkȱ(Lkȱ1,47;ȱ2,11;ȱApgȱ5,31;ȱ13,23),ȱjeȱeinerȱ imȱJohEvȱ(4,42)ȱundȱinȱ1Johȱ(4,14),ȱzweiȱimȱCorpusȱPaulinumȱ(davonȱnurȱeinerȱ inȱdenȱProtopaulinenȱ[Philȱ3,20],ȱvgl.ȱEphȱ5,23)ȱsowieȱsechsȱinȱdenȱkatholischenȱ Briefen,ȱ hierȱ mitȱ einemȱ deutlichenȱ Schwerpunktȱ aufȱ demȱ 2Petrȱ (1,1.11;ȱ 2,20;ȱ 3,2.18;ȱdarüberȱhinausȱnurȱnochȱJudȱ25).ȱNurȱzweiȱdieserȱBelegeȱbeziehenȱsichȱ aufȱ Gottȱ selbstȱ (Lkȱ 1,47;ȱ Judȱ 25),ȱ dieȱ anderenȱ jeweilsȱ aufȱ Jesusȱ Christus,ȱ wasȱ gegenüberȱderȱSeptuagintaȱauchȱkonzeptionellȱeineȱNeuerungȱdarstellt,ȱdaȱdortȱ dasȱ Retterepithetonȱ nichtȱ alsȱ Elementȱ messianischerȱ Verheißungenȱ verwendetȱ wirdȱ (s.o.).ȱ Daherȱ mussȱ derȱ Ursprungȱ derȱ Christusbezeichnungȱ alsȱ Soterȱ anȱ andererȱ Stelleȱ gesuchtȱ werden.ȱ Dazuȱ bietetȱ sichȱ derȱ hellenistischeȱ Kultȱ kaumȱ an,ȱdaȱdieserȱTitelȱvorȱdemȱHintergrundȱdesȱdortȱherrschenden,ȱfastȱinflationäȬ renȱ Gebrauchsȱ dochȱ wohlȱ kaumȱ geeignetȱ wäre,ȱ geradeȱ dasȱ Spezifischeȱ desȱ Christusglaubensȱ zumȱ Ausdruckȱ zuȱ bringen.16ȱ Näherȱ liegtȱ esȱ hier,ȱ beiȱ derȱ hebräischenȱ Bedeutungȱ desȱ Namensȱ Jesusȱ anzusetzenȱ undȱ vonȱ einerȱ ÜberȬ setzungȱ insȱ Griechischeȱ –ȱ eventuellȱ überȱ denȱ Umwegȱ zunächstȱ verbalȱ formuȬ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 12ȱȱ Vgl.ȱ alsȱ Bezeichnungȱ fürȱ menschlicheȱ Retterȱ alsȱ ältestenȱ Belegȱ Pausaniasȱ I,8,6,ȱ undȱ Plato,ȱ Nomoiȱ XII,ȱ 961D;ȱ Dioȱ Chrysostomos,ȱ Orationesȱ 32,18,ȱ undȱ dieȱ beiȱ KARRER,ȱ Retter,ȱ 159f,ȱ undȱ KLAUCK,ȱ Umweltȱ II,ȱ 50,ȱ genanntenȱ (InschriftenȬ)Belege,ȱ sowieȱ imȱ jüdischȬhellenistischenȱKontextȱJos.ȱVitaȱ244,ȱ259;ȱBell.ȱIȱ530;ȱIIIȱ459;ȱAnt.ȱXIȱ278;ȱXIIȱ 261;ȱundȱJosAsȱ25,5.ȱ 13ȱȱ JUNG,ȱ Studien,ȱ 72ff,ȱ Zitatȱ 96;ȱ vgl.ȱ außerdemȱ dieȱ zahlreichenȱ weiterenȱ beiȱ KARRER,ȱ a.a.O.ȱ163–170,ȱgenanntenȱBelege.ȱ 14ȱȱ Vgl.ȱ neuerdingsȱ wiederȱ BAUGH,ȱ Context,ȱ 333–336,ȱ sowieȱ z.B.ȱ LOHMEYER,ȱ ChristusȬ kult,ȱ31fȱu.ö.ȱ 15ȱȱ Vgl.ȱhierȱdieȱBehauptungȱdesȱJosephus,ȱerȱselbstȱseiȱebenfallsȱalsȱRetterȱbetiteltȱworȬ denȱ (Vitaȱ 244,259,ȱ Bell.ȱ Iȱ 530;ȱ IIIȱ459;ȱ Ant.ȱ XIȱ 278,ȱ XIIȱ 261);ȱ vgl.ȱ dazuȱ auchȱ KARRER,ȱ Retter,ȱ161,ȱsowieȱzahlreicheȱweitereȱBeispieleȱbeiȱJUNG,ȱStudien,ȱ46ff.ȱ 16ȱȱ Vgl.ȱ hierzuȱ jedochȱ KARRER,ȱ a.a.O.ȱ 161fȱ u.ö.,ȱ derȱ inȱ derȱ Beschränkungȱ aufȱ swth,rȱ alsȱ einzigesȱ Epipthetonȱ eineȱ bewussteȱ Abgrenzungȱ vomȱ Herrscherkultȱ sieht,ȱ derȱ vonȱ „HerrscherȱundȱWohltäter“ȱspricht.ȱ

1.ȱȱChristologieȱundȱSoteriologieȱ

121ȱ

lierterȱRettungsaussagenȱ–ȱauszugehen.17ȱDiesȱkönnteȱsichȱauchȱfürȱdenȱeinziȬ genȱ paulinischenȱ swth,rȬBelegȱ inȱ Philȱ 3,20ȱ naheȱ legen,ȱ derȱ alsȱ substantivierteȱ Varianteȱ derȱ (auchȱ inȱ ihrenȱ eschatologischenȱ Vorstellungen)ȱ ähnlichenȱ TradiȬ tionȱinȱ1Thessȱ1,9fȱgeltenȱkönnte.18ȱ

1.1.2ȱȱDasȱVorkommenȱimȱTitusbriefȱ DerȱTitusbriefȱsprichtȱanȱzweiȱStellenȱvomȱRetterseinȱsowohlȱGottesȱalsȱ auchȱ Christiȱ (1,3f;ȱ 3,4–7)ȱ sowieȱ einmalȱ nurȱ vonȱ Gottȱ selbstȱ alsȱ Retterȱ (2,10–14);ȱ anȱ letztgenannterȱ Stelleȱ inȱ Zusammenhangȱ mitȱ derȱ ErwähȬ nungȱ derȱ „rettenden“ȱ (swth,rioj)ȱ Gnadeȱ sowieȱ derȱ Verbform.ȱ Nebenȱ denȱsechsȱVorkommenȱdesȱSubstantivsȱfindenȱsichȱjeȱeinmalȱVerbȱundȱ Adjektiv,ȱallerdingsȱjeweilsȱinȱsoȱengerȱAnbindungȱanȱdenȱswth,rȬTitel,ȱ dassȱbeideȱBegriffeȱmitȱdiesemȱgemeinsamȱbetrachtetȱwerden.ȱ ȱ

Dassȱesȱsichȱsowohlȱbeiȱ2,11–14ȱalsȱauchȱbeiȱ3,4–7ȱumȱausȱderȱTraditionȱüberȬ nommeneȱ Formulierungenȱ handelt,ȱ heißtȱ nicht,ȱ dassȱ dieseȱ nichtȱ dennochȱ zurȱ Darstellungȱ einerȱ vomȱ Autorȱ desȱ Briefesȱ intendiertenȱ Konzeptionȱ verwendetȱ werdenȱkönnen.ȱAuchȱbeiȱderȱÜbernahmeȱvonȱTraditionȱistȱvielmehrȱstetsȱeinȱ spezifischesȱGestaltungsinteresseȱvorauszusetzen.19ȱȱ ȱ

Imȱ Folgendenȱ sollȱ untersuchtȱ werden,ȱ welcheȱ Funktionȱ dieȱ titulareȱ Parallelisierungȱ Gottesȱ undȱ Christiȱ innerhalbȱ desȱ Titusbriefesȱ insgeȬ samtȱhat.ȱ

ȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 17ȱȱ TRUMMER,ȱ Paulustradition,ȱ 195,ȱ sprichtȱ allgemeinȱ vonȱ einerȱ Kenntnisȱ derȱ WortbeȬ deutungȱ desȱ hebräischenȱ Namensȱ Joschua.ȱ Vgl.ȱ dazuȱ auchȱ MARSHALL,ȱ Pastoralȱ Epistles,ȱ363ȱ(vgl.ȱders.,ȱSalvation,ȱ456);ȱSTETTLER,ȱChristologie,ȱ149f;ȱLAU,ȱFlesh,ȱ123;ȱ TOWNER,ȱGoal,ȱ12;ȱROLOFF,ȱ1Tim,ȱ363.ȱȱ ȱ ȱ Obȱ diesȱ jedochȱ notwendigȱ implizierenȱ mussȱ –ȱ wieȱ gerneȱ behauptetȱ –,ȱ dassȱ dahinterȱ dieȱ hellenisierendeȱ Umdeutungȱ derȱ inȱ Mtȱ 1,21ȱ gebotenenȱ Etymologieȱ desȱ Jesusnamensȱ steht,ȱ scheintȱ fraglich,ȱ daȱ dieȱ paradigmatischeȱ Charakterisierungȱ Jesuȱ alsȱdesjenigen,ȱderȱseinȱVolkȱvonȱdenȱSündenȱrettenȱwerdeȱ(auvto.j ga.r sw,sei to.n lao.n auvtou/ avpo. tw/n a`martiw/n auvtw/n),ȱ dasȱ Momentȱ derȱ Sündenvergebungȱ impliziert,ȱ aufȱ welchemȱgeradeȱinȱderȱBriefliteraturȱkeinȱSchwerpunktȱliegt.ȱȱ 18ȱȱ Vgl.ȱMÜLLER,ȱPhil,ȱ181ffȱbes.ȱ183.ȱ 19ȱȱ Hinzuȱkommt,ȱdassȱdieȱgenaueȱAbgrenzungȱvonȱTraditionȱundȱRedaktionȱumstritȬ tenȱ ist;ȱ vgl.ȱ dazuȱ grundsätzlichȱ dieȱ Darstellungenȱ beiȱ STETTLER,ȱ Christologie,ȱ undȱ LÄGER,ȱChristologie.ȱ

122ȱ

IV.ȱȱMotivsemantischeȱUntersuchungenȱ

1.1.2.1ȱȱTitȱ1,3fȱȱ Dieȱ ersteȱ Dopplungȱ derȱ Retterbezeichnungȱ findetȱ sichȱ inȱ denȱ beidenȱ letztenȱ Versenȱ desȱ breitȱ ausgestaltetenȱ Tituspräskripts,20ȱ welcheȱ AnȬ klängeȱanȱdasȱsog.ȱ„Revelationsschema“ȱbieten.ȱ ȱ

DieserȱBegriffȱwurdeȱalsȱ„wissenschaftliche[r]ȱKunstausdruck“21ȱvonȱNilsȱDahlȱ geprägt,ȱderȱdarunterȱ1Korȱ2,6ff;ȱKolȱ1,26;ȱEphȱ3,4–7.8–11ȱundȱRömȱ16,25fȱsubȬ sumierteȱ undȱ alsȱ Formmerkmaleȱ nichtȱ nurȱ dieȱ antithetischenȱ Leitworteȱ „vonȱ Ewigkeitȱ anȱ vorhandenȱ –ȱ jetztȱ geoffenbart“,ȱ sondernȱ auchȱ dieȱ Redeȱ vomȱ verȬ borgenenȱ musth,rionȱ sowieȱ eineȱ christologischeȱ Verankerungȱ herausarbeitete.22ȱ DaȱeinigeȱdieserȱCharakteristikaȱinȱTitȱ1,2fȱundȱ2Timȱ1,9–11ȱ(sowieȱ1Petrȱ1,18– 21;ȱ1Johȱ1,1–3)ȱfehlen,ȱwäreȱzuȱfragen,ȱinwiefernȱinȱBezugȱaufȱdieȱPastȱtatsächȬ lichȱ vomȱ Vorhandenseinȱ einesȱ solchenȱ Schemasȱ gesprochenȱ werdenȱ kann.23ȱ Derȱ Schwerpunktȱ liegtȱ hierȱ inȱ derȱ Tatȱ wenigerȱ aufȱ derȱ Kundmachungȱ einesȱ Geheimnissesȱ alsȱ vielmehrȱ aufȱ derȱ Tatsache,ȱ dassȱ dasȱ historischeȱ ChrisȬ tusȬ/Verkündigungsgeschehenȱ (Ersteresȱ inȱ 2Timȱ 1,9f;ȱ Letzteresȱ inȱ Titȱ 1,2f)ȱ beȬ reitsȱ protologischȱ verankertȱ ist.ȱ Obȱ diesȱ eineȱ formgeschichtlicheȱ WeiterentȬ wicklungȱ desȱ vonȱ Dahlȱ beschriebenenȱ Schemasȱ darstelltȱ oderȱ eineȱ davonȱ unȬ abhängige,ȱ aberȱ aufȱ gleicheȱ traditionsgeschichtlicheȱ Wurzelnȱ zurückzufühȬ rendeȱ Formȱ bietet,ȱ bliebeȱ zuȱ klären,24ȱ istȱ aberȱ fürȱ dieȱ inȱ dieserȱ Arbeitȱ imȱ VordergrundȱstehendeȱFrageȱnurȱnebensächlich.ȱ ȱ

InȱTitȱ1,2–4ȱwirdȱallerdingsȱnichtȱdieȱvorzeitigeȱVerheißungȱdesȱewigenȱ Lebens,ȱsondernȱdieȱgegenwärtigeȱSichtbarmachungȱdesȱgöttlichenȱWortesȱ hervorgehoben.ȱ Dabeiȱ sprichtȱ Paulusȱ vonȱ derȱ ihmȱ anvertrautenȱ VerȬ kündigungȱ„gemäßȱdemȱBefehlȱGottes,ȱunseresȱRetters“,ȱundȱverankertȱ seinȱ eigenesȱ Wirkenȱ –ȱ hierȱ speziellȱ seinenȱ Verkündigungsauftragȱ alsȱ wesentlichenȱBestandteilȱebenȱdiesesȱApostolatsȱ–ȱdurchȱdieseȱParalleȬ lisierungȱ imȱ göttlichenȱ Heilsplan.ȱ V.4ȱ greiftȱ dieȱ Appositionȱ swth,roj h`mw/nȱ imȱ Rahmenȱ desȱ Grußesȱ wiederȱ auf,ȱ beziehtȱ sieȱ nunȱ aberȱ aufȱ Christusȱ Jesus,ȱ derȱ damitȱ durchȱ gleichordnendesȱ kai,ȱ undȱ syntaktischȱ abhängigȱvonȱavpo,ȱ inȱfunktionalerȱHinsichtȱGottȱzugeordnetȱwird,ȱwelȬ cherȱanȱdieserȱStelleȱwiederumȱdurchȱdasȱAttributȱpatro,jȱcharakterisiertȱ ist.ȱȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 20ȱȱ Vgl.ȱdieȱausführlicheȱUntersuchungȱvonȱTitȱ1,1–4ȱunterȱPunktȱIV.4.2.1.ȱ 21ȱȱ WOLTER,ȱWeisheit,ȱ298.ȱ 22ȱȱ Vgl.ȱdazuȱauchȱDAHL,ȱBeobachtungen,ȱ5f,ȱderȱinȱBezugȱaufȱTitȱ3,4–7ȱzumindestȱvonȱ einemȱ„soteriologische[n]ȱKontrastschema“ȱsprechenȱkann.ȱ 23ȱȱ Vgl.ȱ vorsichtigȱ WOLTER,ȱ Weisheit,ȱ 298.313;ȱ LÜHRMANN,ȱ Offenbarungsverständnis,ȱ 124–133ȱbes.ȱ125;ȱvgl.ȱaußerdemȱLÄGER,ȱChristologie,ȱ68,ȱdieȱhierȱaufgrundȱdesȱfehȬ lendenȱMysteriumsbegriffesȱvonȱeinerȱKurzformȱeinesȱRevelationsschemasȱspricht.ȱ 24ȱȱ Vgl.ȱdieȱDiskussionȱbeiȱSTETTLER,ȱChristologie,ȱ136f,ȱsowieȱWOLTER,ȱa.a.O.ȱ313.ȱ

1.ȱȱChristologieȱundȱSoteriologieȱ

123ȱ

DieseȱinnerhalbȱderȱPastȬPräskripteȱnurȱhierȱerfolgendeȱParallelisieȬ rungȱvonȱGottesȬȱundȱChristusepithetonȱkannȱinsofernȱalsȱprogrammaȬ tischȱ fürȱ denȱ ganzenȱ Briefȱ gelten,ȱ alsȱ damitȱ eineȱ auchȱ inhaltlicheȱ Zusammenordnungȱ beiderȱ imȱ Rahmenȱ desȱ göttlichenȱ Heilshandelnsȱ angedeutetȱ wird,ȱ welcheȱ Paulusȱ imȱ Fortgangȱ desȱ Briefesȱ weiterȱ entȬ faltet.25ȱ

1.1.2.2ȱȱTitȱ2,10.11–14ȱ Dasȱ zweiteȱ Kapitelȱ desȱ Titusbriefesȱ wirdȱ mitȱ einerȱ haustafelähnlichenȱ Paräneseȱ eröffnet,ȱ welcheȱ –ȱ vermitteltȱ überȱ dieȱ Personȱ desȱ Titusȱ alsȱ BriefadressatenȱundȱzusammengefasstȱunterȱdemȱOberbegriffȱderȱ„geȬ sundenȱLehre“ȱ(V.1)ȱ–ȱInstruktionenȱfürȱdieȱverschiedenenȱAltersgrupȬ pen,ȱGeschlechterȱundȱStändeȱenthält.ȱDieseȱsehrȱkonkretenȱAnweisunȬ genȱ werdenȱ anȱ dreiȱ Stellen,ȱ eingeleitetȱ jeweilsȱ mitȱ i[naȱ (mh,),26ȱ inȱ einenȱ Begründungszusammenhangȱ mitȱ derȱ Wahrnehmungȱ desȱ christlichenȱ Glaubensȱ inȱ derȱ Weltȱ gestelltȱ undȱ soȱ theologischȱ abgesichert.ȱ V.10ȱ sprichtȱ dabeiȱ imȱ Kontextȱ derȱ Sklavenparäneseȱ vonȱ derȱ Aufgabe,ȱ derȱ „Lehreȱ Gottes,ȱ unseresȱ Retters“ȱ Ehreȱ zuȱ machen.ȱ Damitȱ erfülltȱ dieserȱ Versȱ eineȱ doppelteȱ Funktion:ȱ Durchȱ Wiederaufnahmeȱ desȱ Begriffsȱ didaskali,aȱ ausȱ V.1ȱ stelltȱ erȱ einerseitsȱ dieȱ gesamteȱ Gemeindetafelȱ unterȱ denȱ sieȱ theologischȱ qualifizierendenȱ Lehrbegriff;27ȱ andererseitsȱ weistȱ V.10ȱ durchȱ dieȱ Charakterisierungȱ Gottesȱ alsȱ swth,rȱ vorausȱ aufȱ V.11– 14(.15),ȱdieȱalsȱeigentlicheȱBegründungȱundȱalsȱFundamentȱdesȱVoranȬ gegangenenȱbezeichnetȱwerdenȱkönnen.28ȱȱ V.11–14ȱgebenȱeinȱmitȱtraditionellenȱElementenȱdurchsetztesȱchrisȬ tologischesȱBekenntnisȱwieder.ȱV.11ȱstelltȱdenȱHauptsatzȱdar,ȱvonȱdemȱ V.12–14ȱgrammatikalischȱabhängigȱsind;ȱallerdingsȱistȱV.13ȱdemȱeröffȬ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 25ȱȱ Andersȱ hingegenȱ LÄGER,ȱ Christologie,ȱ 91,ȱ zuȱ dieserȱ Stelle:ȱ „Demȱ Verfasserȱ derȱ PastoralbriefeȱwarȱanȱderȱReflexionȱdesȱVerhältnissesȱvonȱGottȱundȱChristusȱoffenȬ barȱnichtȱgelegen“;ȱvgl.ȱbereitsȱDIBELIUS/CONZELMANN,ȱPastoralbriefe,ȱ109.ȱ 26ȱȱ V.5ȱ undȱ V.8ȱ bietenȱ dabeiȱ negativeȱ Begründungen,ȱ erstȱ V.10ȱ hingegenȱ argumentiertȱ positiv.ȱ 27ȱȱ DasȱinȱTitȱ2,1–10ȱgeforderteȱethischȱrichtigeȱVerhaltenȱwirdȱaufȱdieseȱWeiseȱalsȱdasȱ derȱ gesundenȱ Lehreȱ Ziemendeȱ (2,1:ȱ a] pre,pei)ȱ undȱ soȱ alsȱ aktiveȱ Umsetzungȱ desȱ zugrundeȱliegendenȱdogmatischenȱLehrbegriffsȱverstanden.ȱ 28ȱȱ Vgl.ȱ THURSTON,ȱ Theology,ȱ 183;ȱ STETTLER,ȱ Christologie,ȱ 262;ȱ LAU,ȱ Flesh,ȱ 153f;ȱ OBERLINNER,ȱ Tit,ȱ 121ffȱ bes.ȱ 126ȱ Anm.ȱ 2ȱ (Lit!);ȱ LÄGER,ȱ Christologie,ȱ 93;ȱ V.ȱ LIPS,ȱ GeȬ meinde,ȱ 46ȱ Anm.ȱ 71,ȱ BROX,ȱ Pastoralbriefe,ȱ 297;ȱ vgl.ȱ bereitsȱ DIBELIUS/CONZELMANN,ȱ Pastoralbriefe,ȱ106,ȱsowieȱHOLTZMANN,ȱPastoralbriefe,ȱ486.ȱ

124ȱ

IV.ȱȱMotivsemantischeȱUntersuchungenȱ

nendenȱ V.11ȱ durchȱ doppelteȱ partielleȱ Rekurrenzȱ (swth,riojȱ –ȱ swth,r,ȱ evpifai,nwȱ–ȱevpifa,neia)ȱalsȱzweitesȱZentrumȱzugeordnet.ȱDieȱinȱV.10ȱverȬ wendeteȱ Bezeichnungȱ Gottesȱ alsȱ Retterȱ wirdȱ inȱ V.11ȱ abgewandelt,ȱ inȬ demȱ vonȱ derȱ Erscheinungȱ derȱ„rettendenȱ Gnade“29ȱ Gottesȱ gesprochenȱ wird.ȱ Dieserȱ Versȱ dientȱ allerdingsȱ nichtȱ alsȱ Erläuterungȱ desȱ swth,rȬBeȬ griffs,ȱ sondernȱ istȱ aufȱ doppelteȱ Weiseȱ verflochtenȱ mitȱ denȱ paränetiȬ schenȱ Ermahnungenȱ derȱ vorangegangenenȱ Haustafel:ȱ einerseitsȱ überȱ dieȱ Konjunktionȱ ga,rȱ alsȱ grammatikalischeȱ Verknüpfungȱ undȱ andererȬ seitsȱ überȱ dieȱ Repetitionȱ desȱ Adjektivsȱ pa/j,ȱ welchesȱ dieȱ dasȱ gesamteȱ Lebenȱ umfassendenȱ ethischenȱ Ermahnungenȱ anȱ dasȱ ebensoȱ umfasȬ sendeȱHeilshandelnȱGottesȱbinden.ȱȱ WährendȱdasȱVerbȱevpifai,nw inȱV.11ȱdieȱrettendeȱGnadeȱGottesȱzumȱ Subjektȱ hat,ȱ welcheȱ bereitsȱ aufȱ Erdenȱ erschienenȱ istȱ undȱ allenȱ MenȬ schenȱ gilt,ȱ sprichtȱ Titȱ 2,13ȱ vonȱ derȱ Erwartungȱ einerȱ seligenȱ Hoffnungȱ undȱzukünftigenȱErscheinung.30ȱȱ ȱ

Zuȱklärenȱist,ȱinȱwelchemȱVerhältnisȱdieȱSubstantiveȱevlpi,jȱundȱevpifa,neiaȱstehen.ȱ DieȱBehauptung,ȱbeideȱNominaȱbildetenȱeinȱHendiadyoin,31ȱvermagȱangesichtsȱ dessen,ȱdassȱdafürȱjederȱweitereȱBelegȱfehlt,ȱnichtȱzuȱüberzeugen.ȱEsȱistȱdeshalbȱ wahrscheinlicher,ȱ dassȱ dieȱ Kombinationȱ beiderȱ Substantiveȱ eineȱ weiterreiȬ chendeȱinhaltlicheȱAussageȱimpliziert.ȱ Zunächstȱ istȱ festzuhalten,ȱ dassȱ evlpi,jȱ alsȱ Objektȱ zuȱ prosde,comaiȱ imȱ Neuenȱ Testamentȱ nurȱ hierȱ belegtȱ istȱ undȱ dieȱ Phraseȱ inȱ ihrerȱ Bedeutungȱ schwerȱ zuȱ erfassenȱ ist,ȱ daȱ „Hoffnung“ȱ anȱ sichȱ kaumȱ Gegenstandȱ einerȱ Erwartungȱ seinȱ kann,ȱsondernȱeherȱalsȱErwartungshaltungȱselbstȱvorstellbarȱwäre.ȱEineȱsolcheȱ DeutungȱlässtȱsichȱanȱdieserȱStelleȱjedochȱsyntaktischȱkaumȱplausibilisieren,ȱdaȱ derȱ Hoffnungsbegriffȱ durchȱ kai,ȱ engȱ mitȱ demȱ Epiphaniebegriffȱ verbundenȱ ist.ȱ Imȱ Titusbriefȱ stehtȱ evlpi,jȱ insgesamtȱ dreiȱ Malȱ (1,2;ȱ 3,7),ȱ anȱ denȱ beidenȱ anderenȱ Stellenȱ jeweilsȱ mitȱ demȱ Genitivattributȱ zwh/j aivwni,ou.ȱ Auchȱ wennȱ dieseȱ Näherbestimmungȱinȱ2,13ȱfehlt,ȱistȱdaherȱ–ȱauchȱaufgrundȱdesȱKontextesȱ–ȱdieȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 29ȱȱ NurȱanȱdieserȱStelleȱstehtȱswthri,ojȱalsȱAdjektivȱ(alsȱSubstantivȱnochȱLkȱ2,30;ȱ3,6;ȱApgȱ 28,28;ȱEphȱ6,17ȱ[ZitateȱausȱJesȱ40,5;ȱ59,17]).ȱDerȱtextkritischeȱApparatȱweistȱanȱdieserȱ StelleȱzahlreicheȱVariantenȱauf,ȱdieȱdarinȱübereinstimmen,ȱdassȱsieȱdasȱ(seltene)ȱAdȬ jektiv,ȱseiȱesȱdurchȱeineȱfürȱdieȱLXXȱtypischeȱSubstantivierungȱ(tou/ swth,riojȱ[h`mw/n])ȱ oderȱdurchȱAustauschȱmitȱdemȱSoterbegriffȱselbstȱ(soȱ ʠ*)ȱzuȱersetzenȱversuchen.ȱJeȬ dochȱ istȱ derȱ txtȱ amȱ bestenȱ bezeugtȱ (u.a.ȱ durchȱ ʠ2,ȱ A,ȱ C*ȱ undȱ D*),ȱ zumalȱ dieȱ ursprünglicheȱLesartȱdesȱSinaiticusȱwohlȱalsȱeineȱAngleichungȱanȱdenȱsonstȱüblichenȱ SprachgebrauchȱderȱPastȱzuȱverstehenȱistȱundȱzuȱRechtȱvonȱzweiterȱHandȱverbessertȱ wurde.ȱ 30ȱȱ Vgl.ȱdazuȱauchȱPunktȱIV.1.2.2.2ȱdieserȱArbeit.ȱ 31ȱȱ Soȱ STETTLER,ȱ Christologie,ȱ 244;ȱ LÄGER,ȱ Christologie,ȱ 94;ȱ BROX,ȱ Pastoralbriefe,ȱ 299f.ȱ Vgl.ȱauchȱQUINN,ȱTitus,ȱ155,ȱderȱeineȱbewussteȱKombinationȱdesȱgriechischenȱHoffȬ nungsȬȱundȱdesȱhebräischenȱHerrlichkeitsbegriffsȱvermutet.ȱ

1.ȱȱChristologieȱundȱSoteriologieȱ

125ȱ

inhaltlicheȱ Füllungȱ desȱ Begriffsȱ alsȱ „Hoffnungȱ aufȱ dasȱ ewigeȱ Leben“ȱ anzunehmen.ȱ Dassȱ diesȱ imȱ Neuenȱ Testamentȱ engȱ mitȱ derȱ Erwartungȱ desȱ eschatologischenȱHeilshandelnsȱGottesȱundȱderȱPersonȱJesuȱChristiȱverbundenȱ ist,ȱzeigenȱ1Thessȱ4,13–18ȱsowieȱPhilȱ3,20.ȱDaherȱistȱderȱHoffnungsbegriffȱhierȱ insofernȱ christologischȬtheologischȱ gefüllt,ȱ alsȱ dieȱ Epiphanieȱ derȱ Herrlichkeitȱ zugleichȱdieȱErfüllungȱdieserȱHoffnungȱdarstellt.32ȱ ȱ

Zuȱ fragenȱ istȱ nachȱ derȱ Bedeutungȱ desȱGottesbegriffs:ȱ Meintȱ dasȱGeniȬ tivattributȱ tou/ mega,lou qeou/ȱ Gottȱ selbstȱ oderȱ Jesusȱ Christus?ȱ Inȱ derȱ exȬ egetischenȱForschungȱwerdenȱdreiȱverschiedeneȱPositionenȱdiskutiert:33ȱ Dieȱ ersteȱ gehtȱ vonȱ demȱ inhaltlichenȱ Befundȱ aus,ȱ dassȱ dieȱ direkteȱ BeȬ zeichnungȱ Christiȱ alsȱ Gottȱ zwarȱ möglichȱ (Johȱ 20,28;ȱ Hebrȱ 1,8f;ȱ 1Johȱ 5,20[umstritten34];ȱ2Petrȱ1,1[umstritten35]),ȱaberȱgeradeȱimȱCorpusȱPauliȬ numȱsehrȱseltenȱundȱdaherȱauchȱhierȱwenigȱwahrscheinlichȱist.36ȱAuchȱ wennȱ esȱ derȱ grammatikalischeȱ Befundȱ aufgrundȱ desȱ vorȱ swth/roj fehlendenȱ Artikelsȱ undȱ desȱ nachȱ qeou/ȱ eigentlichȱ zuȱ erwartendenȱ PosȬ sessivpronomensȱ naheȱ lege,ȱ dieseȱ Substantivkombinationȱ alsȱ zusamȬ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 32ȱȱ 1Timȱ1,1ȱkannȱdiesȱaufgreifenȱundȱsemantischȱkonkretisieren,ȱwennȱChristusȱselbstȱ inȱ einerȱ Appositionȱ alsȱ h` evlpi,jȱ bezeichnetȱ wird.ȱ Vgl.ȱ zurȱ Auslegungȱ desȱ 1TimȬ PräskriptsȱuntenȱPunktȱIV.4.2.2.ȱ 33ȱȱ Vgl.ȱ dieȱ Diskussionȱ dieserȱ Problematikȱ beiȱ STETTLER,ȱ Christologie,ȱ 256ff;ȱ OBERLINȬ NER,ȱ Tit,ȱ 136;ȱ LÄGER,ȱ Christologie,ȱ 93f,ȱ sowieȱ dieȱ grundlegendeȱ Entfaltungȱ beiȱ HARRIS,ȱDeity,ȱpassim.ȱȱ ȱ ȱ DassȱesȱauchȱHarmonisierungsversucheȱohneȱAnhaltȱamȱgriechischenȱTextȱgibt,ȱ seiȱhierȱalsȱvierteȱMöglichkeitȱnurȱamȱRandeȱerwähnt;ȱvgl.ȱu.a.ȱHASLER,ȱEpiphanie,ȱ 201ȱ (Christusȱ erscheintȱ hierȱ alsȱ „göttlicheȱ Manifestation“),ȱ sowieȱ dieȱ beiȱ HOLTZȬ MANN,ȱ Pastoralbriefe,ȱ 489,ȱ abgelehnteȱ These,ȱ „inȱ derȱ Personȱ desȱ Messiasȱ alsȱ seinesȱ Repräsentantenȱ werdeȱ Gottȱ selbstȱ angeschaut“.ȱ Auchȱ dieȱ beiȱ HARRIS,ȱ Jesus,ȱ 174f,ȱ erwähnteȱ Möglichkeit,ȱ dieȱ beidenȱ Genitiveȱ do,xhjȱ undȱ swth,rojȱ zuȱ parallelisierenȱ (soȱ auchȱbeiȱKNIGHT,ȱPastoralȱEpistles,ȱ322f,ȱderȱdarinȱzweiȱverschiedeneȱchristologischeȱ Hoheitstitelȱsieht),ȱscheintȱwenigȱplausibel,ȱdaȱdiesȱvoraussetzt,ȱeinemȱGenitivattriȬ butȱ undȱ einerȱ imȱ Genitivȱ stehendenȱ Appositionȱ dieȱ gleicheȱ syntaktischeȱ Funktionȱ zuzuerkennen,ȱohneȱdiesȱausreichendȱbegründenȱzuȱkönnenȱ(vgl.ȱauchȱdieȱ[selbstȬ]ȱ kritischenȱEinwändeȱbeiȱHARRIS,ȱDeity,ȱ264).ȱ 34ȱȱ Vgl.ȱzurȱProblematikȱdiesesȱ1JohȬBelegsȱKLAUCK,ȱ1Joh,ȱ335f.338f.ȱ 35ȱȱ GeradeȱbeiȱLetzteremȱmussȱdieseȱZuordnungȱjedochȱauchȱausȱdemȱBriefkontextȱerȬ schlossenȱ werden,ȱ derȱ allerdingsȱ eineȱ solcheȱ christologischeȱ Spitzenaussageȱ durchȬ ausȱ möglichȱ machtȱ (vgl.ȱ dieȱ aufȱ Christusȱ bezogeneȱ Doxologieȱ inȱ 3,18),ȱ vgl.ȱ dazuȱ VÖGTLE,ȱ2Petr,ȱ133;ȱPAULSEN,ȱ2Petr,ȱ104f.ȱ 36ȱȱ Vgl.ȱu.a.ȱHASLER,ȱEpiphanie,ȱ199f;ȱ WINDISCH,ȱ Christologie,ȱ226.ȱDerȱeinzigeȱzuȱdisȬ kutierendeȱBelegȱwäreȱRömȱ9,5,ȱwobeiȱjedochȱhierȱauchȱeineȱ–ȱzwarȱsprachlichȱharte,ȱ aberȱdurchausȱmöglicheȱ–ȱInterpretationȱderȱDoxologieȱalsȱeinesȱselbstständigenȱNoȬ minalsatzesȱdenkbarȱwäre;ȱvgl.ȱHAACKER,ȱRöm,ȱ211.ȱWILCKENS,ȱRömȱII,ȱ189,ȱplädiertȱ anȱ dieserȱ Stelleȱ ebenfallsȱ fürȱ einenȱ Bezugȱ aufȱ Gottȱ selbst,ȱ daȱ dieȱ „Superioritätȱ desȱ erwählendenȱGottes“ȱimȱZentrumȱdiesesȱAbschnittsȱstehe.ȱ

126ȱ

IV.ȱȱMotivsemantischeȱUntersuchungenȱ

mengehörendeȱ Größeȱ aufzufassen,37ȱ werdenȱ GottesȬȱ undȱ Retterbegriffȱ aufȱ zweiȱ verschiedeneȱ Personenȱ bezogen:ȱ qeo,jȱ bezeichneȱ wieȱ inȱ V.11ȱ Gottȱselbst,ȱswth,rȱhingegenȱsteheȱalsȱChristusattribut.ȱȱ Dieȱ engeȱ syntaktischeȱ Zusammengehörigkeitȱ derȱ beidenȱ AppositiȬ onenȱernstȱnehmend,ȱtretenȱdieȱVerfechterȱderȱzweitenȱPositionȱfürȱdieȱ direkteȱTitulierungȱChristiȱalsȱGottȱein:ȱWährendȱV.11ȱdieȱErscheinungȱ derȱGüteȱundȱMenschenfreundlichkeitȱGottesȱselbstȱbeschreibe,ȱseiȱhierȱ dieȱErscheinungȱderȱHerrlichkeitȱChristiȱalsȱeinesȱGottesȱgemeint.38ȱDiesȱ hatȱ –ȱ auchȱ unterȱ Beachtungȱ desȱ traditionellenȱ Charaktersȱ diesesȱ AbȬ schnittsȱ–ȱdieȱbereitsȱerwähnteȱSchwierigkeitȱgegenȱsich,ȱdassȱeineȱsolȬ cheȱ expliziteȱ Bezeichnungȱ Christiȱ alsȱ Gottȱ imȱ gesamtenȱ paulinischenȱ Kontextȱquasiȱsingulärȱwäre.ȱȱ EineȱdritteȱAuslegungȱbindetȱdaherȱzwarȱebenfallsȱdieȱbeidenȱSubȬ stantiveȱ Gottȱ undȱ Retterȱ aufgrundȱ derȱ obenȱ beschriebenenȱ grammatiȬ kalischenȱ Konstruktionȱ zusammen,ȱ beziehtȱ dieseȱ aberȱ ausschließlichȱ aufȱGottȱundȱordnetȱVIhsou/ Cristou/ alsȱepexegetischenȱGenitivȱdemȱinȱ Kasusȱ undȱ Numerusȱ kongruentenȱ Begriffȱ derȱ do,xaȱ zu.39ȱ Eineȱ Paralleleȱ hierzuȱ stelltȱ dieȱ ebenfallsȱ schwierigeȱ grammatikalischeȱ Konstruktionȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 37ȱȱ Soȱ LAU,ȱ Flesh,ȱ 243;ȱ HOLTZMANN,ȱ Pastoralbriefe,ȱ 489.ȱ Vgl.ȱ HARRIS,ȱ Jesus,ȱ 178f,ȱ derȱ daraufȱhinweist,ȱdassȱesȱsichȱumȱeineȱtypischeȱkultischeȱPrädikationȱdesȱ1.ȱJahrhunȬ dertsȱnachȱChristusȱhandelt.ȱ 38ȱȱ Soȱ vertretenȱ vonȱ STETTLER,ȱ Christologie,ȱ 254–257ȱ (vgl.ȱ ebd.ȱ 257:ȱ „Dieȱ GegenarguȬ menteȱ entstammenȱ fastȱ alleȱ gesamtbiblischenȱ Überlegungen“,ȱ sowieȱ ebd.ȱ 256,ȱ denȱ Verweisȱ aufȱ dieȱ Näheȱ zuȱ 1Petrȱ 4,13ȱ [evn th/| avpokalu,yei th/j do,xhj auvtou/ {=ȱ Cristo,j}]);ȱ vgl.ȱ außerdemȱ CIBICHIȬREVNEANU,ȱ Herrlichkeit,ȱ 452;ȱ STUHLMACHER,ȱ Theologieȱ II,ȱ 25;ȱ MARSHALL,ȱ Pastoralȱ Epistles,ȱ 296;ȱ KIDD,ȱ Apologia,ȱ 201;ȱ THURSTON,ȱ Theology,ȱ 180;ȱ HARRIS,ȱ Deity,ȱ 266f;ȱ CULLMANN,ȱ Christologie,ȱ 323;ȱ SPICQ,ȱ Épitresȱ pastorales,ȱ 640f;ȱGRUNDMANN,ȱArt.ȱme,gaj ktl.,ȱ544–546.ȱȱ ȱ ȱ Dasȱ beiȱ STETTLER,ȱ a.a.O.ȱ 256,ȱ sowieȱ LÄGER,ȱ Christologie,ȱ 95,ȱ referierteȱ ArguȬ ment,ȱanȱkeinerȱanderenȱStelleȱwürdeȱvonȱeinerȱEpiphanieȱGottesȱselbstȱgesprochenȱ (soȱauchȱGNILKA,ȱTheologie,ȱ355;ȱBROX,ȱPastoralbriefe,ȱ300),ȱtrifftȱhierȱinsofernȱnicht,ȱ alsȱ Gottȱ inȱ Analogieȱ zurȱ Strukturȱ vonȱ V.11ȱ nurȱ Genitivattributȱ zurȱ inȱ derȱ ErscheiȬ nungȱerwartetenȱDoxaȱist.ȱAuchȱdieȱBehauptungȱvonȱDIBELIUS/CONZELMANN,ȱPastoȬ ralbriefe,ȱ108,ȱhierȱgescheheȱeineȱ„ÜbertragungȱderȱsoteriologischenȱFunktionenȱGotȬ tesȱ aufȱ Christusȱ beiȱ klarerȱ Wahrungȱ derȱ Subordination“,ȱ wasȱ dieȱ Pastȱ inȱ dieȱ Näheȱ derȱ lukanischenȱ Christologieȱ rückeȱ (vgl.ȱ auchȱ CONZELMANN,ȱ Mitte,ȱ 159.161–172),ȱ gehtȱm.E.ȱanȱderȱChristologieȱderȱPastoralbriefeȱvorbei.ȱȱ 39ȱȱ Vgl.ȱ TOWNER,ȱ Letters,ȱ 754,ȱ OBERLINNER,ȱ Tit,ȱ 128ȱ u.ö.;ȱ FEE,ȱ Commentary,ȱ 196.199;ȱ HASLER,ȱ Epiphanie,ȱ 201ȱ (vgl.ȱ ders.,ȱ Pastoralbriefe,ȱ 93);ȱ soȱ bereitsȱ vertretenȱ vonȱ SCHENKEL,ȱChristusbild,ȱ357.362ȱ(zit.ȱn.ȱHOLTZMANN,ȱPastoralbriefe,ȱ490,ȱvonȱdiesemȱ jedochȱaufgrundȱeinesȱangeblichȱunpassendenȱSprachgebrauchsȱ[leiderȱohneȱweitereȱ Belege]ȱabgelehnt).ȱȱ

1.ȱȱChristologieȱundȱSoteriologieȱ

127ȱ

vonȱ Kolȱ 2,2ȱ dar,40ȱ woȱ derȱ alsȱ Abschlussȱ stehendeȱ Christustitelȱ nichtȱ zumȱ Gottesprädikatȱ zuȱ rechnen,ȱ sondernȱ alsȱ Appositionȱ aufȱ dasȱ SubȬ stantivȱ „Erkenntnis“ȱ rückzubeziehenȱ istȱ (eivj evpi,gnwsin tou/ musthri,ou tou/ qeou/ Cristou/).41ȱEineȱgewisseȱinhaltlicheȱParalleleȱbestehtȱzudemȱzuȱ 2Korȱ 4,6,ȱ woȱ vomȱ Aufscheinenȱ derȱ Herrlichkeitȱ Gottesȱ imȱ Angesichtȱ Christiȱ dieȱ Redeȱ ist.ȱ Dieseȱ Deutungȱ scheintȱ grammatikalischȱ undȱ inȬ haltlichȱ deshalbȱ inȱ derȱ Tatȱ auchȱ fürȱ Titȱ 2,13ȱ amȱ plausibelsten.ȱ Damitȱ wäreȱ jedochȱ Christusȱ nichtȱ nurȱ dieȱ do,xaȱ Gottesȱ inȱ Person,42ȱ sondernȱ würdeȱ auchȱ inȱ engerȱ Beziehungȱ zumȱ evlpi,jȬBegriffȱ stehen,ȱ daȱ esȱ sichȱ gezeigtȱhatte,ȱdassȱdieseȱbeidenȱSubstantiveȱinȱihrerȱengenȱZusammenȬ gehörigkeitȱalsȱObjektȱderȱErwartungshaltungȱnichtȱzuȱtrennenȱsind.ȱ ȱ

Derȱ relativischȱ anschließendeȱ V.14ȱ fülltȱ denȱ Christustitelȱ inhaltlichȱ durchȱ denȱ Hinweisȱ aufȱ dieȱ Heilsbedeutungȱ desȱ Todesȱ Christi,43ȱ wobeiȱ dieȱ sprachlichȬ inhaltlicheȱNäheȱzuȱ1Timȱ2,6ȱhierȱauffälligȱist.44ȱȱ ȱ

Dieȱ bereitsȱ erschieneneȱ Gnadeȱ Gottesȱ undȱ dieȱ zuȱ erwartendeȱ ErscheiȬ nungȱ derȱ ChristusȬHerrlichkeitȱ umklammernȱ dasȱ gegenwärtigeȱ Seinȱ derȱ Menschen.ȱ Damitȱ werdenȱ Vergangenheitȱ undȱ Zukunftȱ sprachlichȱ zusammenȱ gebundenȱ undȱ dieȱ Gemeindeȱ inȱ dieȱ Gegenwartȱ alsȱ „ZwiȬ schenzeit“45ȱ eingeordnet.ȱ Entgegenȱ derȱ häufigȱ vertretenenȱ These,ȱ dieȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 40ȱȱ Manȱ vergleicheȱ nurȱ dieȱ imȱ textkritischenȱ Apparatȱ alsȱ Variantenȱ angegebenenȱ zahlreichenȱ Versuche,ȱ dieȱ Beziehungȱ derȱ beidenȱ Genitiveȱ qeou/ undȱ Cristou/ȱ zuȱ vereindeutlichen;ȱ NestleȬAlandȱ entscheidenȱ hierȱ jedochȱ zuȱ Rechtȱ mitȱ î46,ȱ B,ȱ einerȱ Vulgatahandschrift,ȱ sowieȱ Hilariusȱ vonȱ Poitiersȱ fürȱ denȱ txtȱ alsȱ dieȱ kürzesteȱ undȱ schwierigsteȱLesart.ȱȱ 41ȱȱ SCHWEIZER,ȱ Kol,ȱ 94,ȱ verweistȱ darüberȱ hinausȱ aufȱ denȱ inhaltlichenȱ Zusammenhangȱ mitȱKolȱ1,27,ȱwoȱdasȱGeheimnisȱGottesȱebenfallsȱdurchȱChristusȱdefiniertȱwerde.ȱ 42ȱȱ Vgl.ȱMARSHALL,ȱChristology,ȱ174f,ȱderȱdieȱhierȱalsȱPositionenȱzweiȱundȱdreiȱvorgeȬ stelltenȱ Möglichkeitenȱ kombinierenȱ kann,ȱ wennȱ erȱ schreibt,ȱ Christusȱ alsȱ Gottȱ „hasȱ appearedȱinȱthisȱworldȱtoȱbeȱtheȱepiphanyȱofȱtheȱunseenȱGod“.ȱ 43ȱȱ Soȱ votierenȱ auchȱ LÄGER,ȱ Christologie,ȱ 97;ȱ OBERLINNER,ȱ Tit,ȱ 137f;ȱ SCHLARB,ȱ Lehre,ȱ 165f.ȱ 44ȱȱ BeideȱbietenȱeineȱFormȱdesȱVerbsȱdi,dwmiȱsowieȱdieȱVerwendungȱdesȱReflexivpronoȬ mensȱe`auto,nȱundȱderȱPräpositionȱu`pe,r.ȱAusȱgemeinsamenȱTraditionenȱoderȱausȱliteraȬ rischerȱAbhängigkeitȱzuȱerklärendeȱinhaltlicheȱNäheȱbestehtȱaußerdemȱzuȱMkȱ10,45,ȱ wobeiȱ dasȱ Substantivȱ avnti,lutronȱ dieȱ dortȱ verwendeteȱ Präpositionalphraseȱ lu,tron avnti. pollw/n verdichtetȱ (vgl.ȱ auchȱ Galȱ 1,4;ȱ Ephȱ 5,2),ȱ vgl.ȱ dazuȱ HERZER,ȱ Petrus,ȱ 125;ȱ MARSHALL,ȱChristology,ȱ164;ȱJEREMIAS,ȱLösegeld,ȱ226.ȱ 45ȱȱ REISER,ȱ Erziehung,ȱ 448f.ȱ Vgl.ȱ zuȱ denȱ mitȱ diesemȱ Konzeptȱ verbundenenȱ VorstellunȬ genȱ außerdemȱ WYPADLO,ȱ Überlegungen,ȱ 118–120;ȱ TOWNER,ȱ Letters,ȱ 752ȱ (vgl.ȱ ders.,ȱ Age,ȱ 442–444);ȱ STETTLER,ȱ Christologie,ȱ 149;ȱ THIESSEN,ȱ Ephesus,ȱ 278;ȱ vgl.ȱ außerdemȱ denȱ vonȱ DOWNS,ȱ Catholizism,ȱ 655,ȱ geprägtenȱ Begriffȱ „theȱ twoȬstageȱ epiphanicȱ framework“.ȱȱ

128ȱ

IV.ȱȱMotivsemantischeȱUntersuchungenȱ

Parusieerwartungȱ seiȱ vomȱ Verfasserȱ derȱ Pastȱ marginalisiertȱ worden,46ȱ istȱdieseȱimȱTitȱalsoȱinsofernȱeminentȱwichtig,ȱalsȱdieȱerwarteteȱErscheiȬ nungȱ(derȱGottesherrlichkeitȱJesusȱChristus)ȱZielpunktȱdesȱWirkensȱderȱ Gnadeȱ Gottesȱ ist,ȱ welcheȱ „uns“ȱ imȱ Wartenȱ hinȱ aufȱ dieseȱ Erscheinungȱ erzieht.ȱDieȱinȱV.12ȱbeschriebenenȱAuswirkungenȱdessenȱähnelnȱdabeiȱ inhaltlich,ȱ allerdingsȱ nichtȱ wörtlich,ȱ denȱ durchȱ Paulusȱ inȱ denȱ V.1–10ȱ gefordertenȱVerhaltensweisen.ȱDasȱErscheinenȱderȱGnadeȱstehtȱalsoȱamȱ Anfangȱ einesȱ zweiteiligenȱ Erziehungsprozesses,47ȱ welcherȱ andersȱ alsȱ dieȱ Gnadenepiphanieȱ nurȱ einenȱ Teilȱ derȱ Menschenȱ (h`mei/j)ȱ betrifft.ȱ Dieȱ Verseȱhaben,ȱwieȱV.14bȱundȱderȱdurchȱeinenȱdreifachenȱImperativȱgeȬ prägteȱSchlussversȱ15ȱ–ȱwelcherȱdurchȱzusammenfassendesȱtau/taȱrückȬ bezogenȱistȱ–ȱdeutlichȱmachen,ȱeineȱmotivierendeȱFunktion.ȱ

1.1.2.3ȱȱTitȱ3,4–7ȱ EbensoȱwieȱinȱTitȱ2ȱdientȱauchȱanȱdieserȱStelleȱeinȱsoteriologischesȱTraȬ ditionsstückȱ derȱ Begründungȱ einerȱ paränetischenȱ Ausführungȱ undȱ schließtȱ selbstȱ mitȱ derȱ bekräftigendenȱ pisto.j o` lo,gojȬFormelȱ ab.ȱ V.1fȱ fordern,ȱ vermitteltȱ durchȱ Titusȱ alsȱ angesprochenenȱ Adressaten,ȱ zuȱ rechtemȱ Verhaltenȱ auf,48ȱ währendȱ V.3ȱ imȱ Kontrastȱ dazuȱ dasȱ frühereȱ FehlverhaltenȱdesȱAutorsȱausmalt.ȱȱ Einsetzendȱ mitȱ o[te de,ȱ wirdȱ derȱ Inhaltȱ vonȱ V.4ȱ sowohlȱ nachȱ demȱ „Früher“ȱ desȱ V.3ȱ alsȱ auchȱ –ȱ erkennbarȱ amȱ Aoristtempusȱ –ȱ vorȱ demȱ „Jetzt“ȱdesȱAutorsȱ(V.1f)ȱverortet.ȱErȱbegründetȱdieȱRealitätȱderȱgescheȬ henenȱVeränderungȱundȱdamitȱauchȱdieȱgegenwärtigȱbestehendeȱVerȬ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 46ȱȱ Vgl.ȱBROER,ȱEinleitungȱII,ȱ539f;ȱFREY,ȱEschatologie,ȱ15f;ȱOBERLINNER,ȱTit,ȱ134;ȱPRATȬ SCHER,ȱ Stabilisierung,ȱ 133;ȱ BROX,ȱ Pastoralbriefe,ȱ 50;ȱ SCHIERSE,ȱ Pastoralbriefe,ȱ 166;ȱ KÄSEMANN,ȱAmt,ȱ127.ȱ 47ȱȱ Dabeiȱ stehenȱ sichȱ dasȱ Verleugnenȱ derȱ Gottlosigkeitȱ undȱ dieȱ weltlichenȱ Begierdenȱ aufȱ derȱ einenȱ Seiteȱ sowieȱ dieȱ Aufforderung,ȱ besonnenȱ undȱ gerechtȱ undȱ frommȱ zuȱ lebenȱ (vgl.ȱ zurȱ Formulierungȱ euvsebw/jȱ zh/nȱ denȱ Exkursȱ zumȱ Terminusȱ euvse,beiaȱ abȱ S.ȱ 345)ȱaufȱderȱanderenȱSeiteȱgegenüber.ȱVgl.ȱMALHERBE,ȱSoteriology,ȱ336ȱ(„Christiansȱ liveȱbetweenȱtheseȱtwoȱmanifestationsȱbyȱvirtueȱofȱtheȱmanifestationȱofȱGod’sȱgraceȱ inȱChrist.“);ȱTHIESSEN,ȱEphesus,ȱ275;ȱBERGER,ȱTheologiegeschichte,ȱ534;ȱREISER,ȱErzieȬ hung,ȱ446;ȱPAX,ȱArt.ȱEpiphanie,ȱ871;ȱALEITH,ȱPaulusverständnis,ȱ16.ȱȱ 48ȱȱ Derȱ programmatischeȱ Einsatzȱ mitȱ derȱ Aufforderungȱ zurȱ Unterordnungȱ unterȱ dieȱ Obrigkeitȱ rücktȱ dieseȱ Perikopeȱ inȱ eineȱ gewisseȱ Näheȱ zuȱ 1Timȱ 2ȱ sowieȱ zuȱ Römȱ 13;ȱ gleichzeitigȱzeigtȱdieȱsehrȱallgemeinȱgehalteneȱFormȱderȱLoyalitätsforderungen,ȱdassȱ esȱ umȱ einȱ grundsätzlichesȱ Einfügenȱ inȱ dieȱ gesellschaftlichenȱ Strukturenȱ geht,ȱ vgl.ȱ HERZER,ȱMenschenfreundlichkeit,ȱ112,ȱsowieȱa.a.O.ȱ105,ȱdenȱ Verweisȱaufȱ dieȱstrukȬ turelleȱNäheȱzuȱ1Petrȱ2,13–17ȱ(vgl.ȱdazuȱders.,ȱPetrus,ȱ227–244).ȱ

1.ȱȱChristologieȱundȱSoteriologieȱ

129ȱ

pflichtungȱ imȱ Heilshandelnȱ desȱ RetterȬGottesȱ –ȱ d.h.ȱ genauerȱ inȱ derȱ Erscheinungȱ(evpefa,nh,ȱvgl.ȱ2,11)ȱseinerȱ„GüteȱundȱMenschenfreundlichȬ keit“49.ȱDieseȱTerminiȱwerdenȱdurchȱdenȱinȱV.5ȱeinsetzendenȱHauptsatzȱ unterȱ Aufnahmeȱ desȱ imȱ swth,rȬBegriffȱ präludiertenȱ Wortstammesȱ swsȬȱ aufȱChristusȱhinȱpersonalisiert.50ȱZugleichȱwirdȱderȱModusȱdiesesȱRetȬ tungsgeschehensȱ entfaltet:ȱ Beginnendȱ mitȱ derȱ nurȱ strukturell,ȱ aberȱ nichtȱ semantischȱ anȱ Paulusȱ erinnerndenȱ Antithese51ȱ vonȱ Werkenȱ derȱ Gerechtigkeitȱ undȱ göttlicherȱ Barmherzigkeit,52ȱ werdenȱ alsȱ Mittelȱ (dia,)ȱ desȱ bereitsȱ vergangenenȱ Rettungsgeschehensȱ dasȱ „Badȱ derȱ WiedergeȬ burt“ȱundȱderȱ„ErneuerungȱdurchȱdenȱHeiligenȱGeist“ȱparallelisiert.53ȱȱ ȱ

Dieȱ Näheȱ vonȱ V.5ȱ zurȱ paulinischenȱ Rechtfertigungslehreȱ hatȱ früherȱ häufigȱ Anlassȱ zuȱ Spekulationenȱ geboten,ȱ inwiefernȱ hierȱ paulinischeȱ Ansätzeȱ aufgeȬ nommenȱ(undȱmissverstanden)ȱwerden54ȱoderȱinwiefernȱdieserȱVersȱsogarȱaufȱ Paulusȱselbstȱzurückgeht.55ȱ ȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 49ȱȱ Vgl.ȱzuȱdieserȱBegriffskombinationȱu.ȱS.ȱ155ȱmitȱAnm.ȱ163.ȱ 50ȱȱ Vgl.ȱ HERZER,ȱ Menschenfreundlichkeit,ȱ 115;ȱ vgl.ȱ dazuȱ außerdemȱ Punktȱ IV.1.2.2.1ȱ dieserȱArbeit.ȱ 51ȱȱ Vgl.ȱ dieȱ paulinischenȱ Gegenüberstellungenȱ vonȱ pi,stijȱ undȱ e;rgonȱ (Römȱ 3,27f;ȱ 9,32;ȱ Galȱ2,16;ȱ3,2.5;ȱ1Thessȱ1,3)ȱoderȱca,rijȱundȱno,mojȱ(Römȱ4,16;ȱ6,14f;ȱGalȱ2,21;ȱ5,4).ȱDerȱ Gegensatzȱvonȱe;rgonȱundȱca,rij,ȱderȱdemȱinȱTitȱ3,4fȱgeschildertenȱvielleichtȱnochȱamȱ nächstenȱkommt,ȱfindetȱsichȱhingegenȱlediglichȱinȱRömȱ11,6ȱ(sowieȱ2Timȱ1,9).ȱ 52ȱȱ Vgl.ȱ hierzuȱ auchȱ BULTMANN,ȱ Art.ȱ e;leoj ktl.,ȱ 480,ȱ derȱ unterȱ Verweisȱ aufȱ denȱ ProȬ grammversȱ Titȱ 3,5ȱ Gottesȱ e;leojȱ alsȱ „heilsgeschichtlichȬeschatologischeȱ Tatȱ inȱ ChrisȬ tus“ȱumschreibt.ȱ 53ȱȱ MitȱSTETTLER,ȱChristologie,ȱ267ȱ(vgl.ȱa.a.O.ȱ274ffȱbes.ȱ281,ȱdieȱausführlicheȱMotivanaȬ lyse),ȱgeheȱichȱdavonȱaus,ȱdassȱpaliggenesi,aj kai. avnakainw,sewj alsȱHendiadyoinȱaufȱ loutro,n zuȱbeziehenȱistȱundȱdamitȱderȱHeiligeȱGeistȱAgensȱdiesesȱgesamtenȱVersesȱ ist.ȱDieȱsyntaktischȱauchȱmöglicheȱAlternativeȱwäre,ȱbeideȱgenanntenȱSubstantiveȱalsȱ vonȱ dia,ȱ abhängigeȱ Genitiveȱ zuȱ betrachten;ȱ diesȱ würdeȱ jedochȱ dazuȱ führen,ȱ denȱ HeiligenȱGeistȱausschließlichȱalsȱAgensȱderȱErneuerungȱzuȱsehenȱundȱnichtȱmehrȱaufȱ dasȱ Badȱ derȱ Wiedergeburtȱ –ȱ womitȱ hierȱ sicherlichȱ dieȱ Taufeȱ gemeintȱ istȱ –ȱ zuȱ beȬ ziehen,ȱwasȱinhaltlichȱkaumȱmöglichȱerscheint.ȱVgl.ȱzurȱStrukturȱdesȱgesamtenȱAbȬ schnittsȱauchȱZIMMERMANN,ȱWiederentstehung,ȱpassim.ȱ 54ȱȱ Vgl.ȱdieȱfundamentaleȱKritikȱbeiȱLUZ,ȱRechtfertigung,ȱ379ȱ(undȱpassim):ȱDieȱRechtȬ fertigungslehreȱ hatȱ inȱ denȱ Pastȱ „mehrȱ dekorativeȱ alsȱ konstitutiveȱ Funktion“.ȱ Vgl.ȱ außerdemȱ BROER,ȱ Einleitungȱ II,ȱ 536;ȱ LÖNING,ȱ Problem,ȱ 248;ȱ SCHLARB,ȱ Lehre,ȱ 85;ȱ WILSON,ȱ Luke,ȱ 24f;ȱ BROX,ȱ Pastoralbriefe,ȱ 306f;ȱ DIBELIUS/CONZELMANN,ȱ PastoralȬ briefe,ȱ111.ȱ 55ȱȱ WennȱdieȱPastȱinsgesamtȱaufȱPaulusȱzurückgeführtȱwerden,ȱdientȱdieserȱVersȱalsȱeiȬ nerȱ derȱ Beweiseȱ fürȱ dieȱ Paulinizitätȱ desȱ Inhalts;ȱ eineȱ Sonderpositionȱ bietetȱ hierȱ HOLTZ,ȱ Pastoralbriefe,ȱ 15,ȱ derȱ Titȱ 3,5ȱ alsȱ eigenhändigeȱ paulinischeȱ Korrekturȱ inȱ eiȬ nemȱvonȱeinemȱMitarbeiterȱverfasstenȱSchreibenȱversteht;ȱvgl.ȱzuȱHoltz’ȱPositionȱdieȱ DarstellungȱinnerhalbȱderȱForschungsgeschichte,ȱs.o.ȱS.ȱ43f.ȱ

130ȱ

IV.ȱȱMotivsemantischeȱUntersuchungenȱ

Inȱ V.6ȱ schließtȱ sichȱ einȱ Relativsatzȱ an,ȱ welcherȱ rückbezogenȱ aufȱ denȱ Geistȱ dessenȱ vonȱ Gottȱ veranlassteȱ undȱ durchȱ Christusȱ vermittelteȱ (dia,ȱ mitȱGenitiv)ȱAusgießungȱaussagt.56ȱWieȱV.4ȱfürȱGottȱverwendetȱV.6ȱfürȱ Christusȱ dasȱ Retterattribut:ȱ Istȱ Erstererȱ anȱ dieserȱ Stelleȱ dasȱ Agens,ȱ soȱ stehtȱ Christusȱ hierȱ alsȱ Mediumȱ derȱ Geistausgießungȱ undȱ derȱ u.a.ȱ daȬ durchȱerfolgendenȱRettungȱdurchȱGott,ȱdessenȱinhaltlicheȱEntfaltungȱinȱ V.7ȱ erfolgt.ȱ Beideȱ göttlichenȱ Personenȱ werdenȱ alsoȱ inȱ ihremȱ Handelnȱ alsȱswth,rȱzusammengebunden,ȱwobeiȱChristiȱSeinȱalsȱRetterȱwesentlichȱ inȱseinerȱFunktionȱalsȱMittlerȱbesteht.57ȱ

1.1.2.4ȱȱDieȱVerwendungȱvonȱVerbȱundȱAdjektivȱ DaȱdieȱVerwendungȱvonȱVerbȱundȱAdjektivȱdesȱWortstammesȱswsȬȱimȱ TitȱinȱengerȱBeziehungȱzumȱSubstantivȱgeschieht,ȱsindȱdieseȱjeweilsȱimȱ KontextȱdieserȱVorkommenȱbetrachtetȱworden;ȱhierȱsollȱdaherȱlediglichȱ derȱ dadurchȱ deutlichȱ werdendeȱ jeweilsȱ eigeneȱ Schwerpunktȱ resümȬ miertȱwerden.ȱ Inȱ2,11ȱdientȱdasȱAdjektivȱswth,riojȱalsȱNäherbestimmungȱderȱgöttliȬ chenȱGnade,ȱdieȱimȱLebenȱJesuȱChristiȱaufgeschienenȱistȱundȱdamitȱdieȱ zukünftigeȱ Erscheinungȱ derȱ ChristusȬHerrlichkeitȱ desȱ Rettergottesȱ begründet.ȱswth,riojȱverbindetȱhierȱzumȱeinenȱvergangeneȱundȱzukünfȬ tigeȱ Epiphanie,ȱ daȱ durchȱ dieȱ Charakterisierungȱ derȱ Gnadeȱ alsȱ „heilȬ sam“ȱ auchȱ dieseȱ Eigenschaftȱ Gottesȱ inȱ engemȱ inhaltlichenȱ Bezugȱ zuȱ seinerȱ Titulierungȱ alsȱ Retterȱ steht.ȱ Zugleichȱ bietetȱ dieȱ inȱ V.11ȱ erfolȬ gendeȱ Personalisierungȱ derȱ Epiphanieȱ derȱ heilsamenȱ Gnadeȱ durchȱ JesusȱChristusȱeineȱinhaltlicheȱRückbindungȱdesȱimȱTitȱauchȱchristoloȬ gischȱverwendetenȱRettertitelsȱ(vgl.ȱ1,3f):ȱChristusȱerweistȱsichȱdarinȱalsȱ derȱswth,r,ȱdassȱinȱseinemȱLebenȱdieȱca,rij swth,rioj Gottes aufgeschieȬ nenȱist.ȱȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 56ȱȱ VonȱderȱAusgießungȱdesȱGeistesȱselbstȱ–ȱeinȱausȱdemȱAltenȱTestamentȱstammendesȱ Bildȱ(vgl.ȱJoelȱ3,1f;ȱZachȱ12,10;ȱJesȱ44,3;ȱEzȱ39,29)ȱ–ȱsprechenȱdieȱunumstrittenenȱProȬ topaulinenȱsonstȱnichtȱ(vgl.ȱRömȱ5,5:ȱAusgießenȱderȱLiebeȱGottesȱinȱunsereȱHerzenȱ durchȱ[dia,ȱmitȱGenitiv]ȱdenȱHeiligenȱGeist;ȱvgl.ȱ1Korȱ12,13:ȱGetränktseinȱ[poti,zw]ȱmitȱ Geist),ȱallerdingsȱfindetȱsichȱeineȱsehrȱähnlicheȱFormulierungȱinȱApgȱ10,45;ȱvgl.ȱauȬ ßerdemȱ Apgȱ 2,33ȱ (Bezugȱ desȱ tou/toȱ aberȱ grammatikalischȱ unklar)ȱ sowieȱ Apgȱ 2,17fȱ (Ausgießenȱvonȱ[avpo,,ȱGenitivusȱoriginis]ȱGottesȱGeist).ȱȱ 57ȱȱ Dieseȱ Heilsmittlerschaftȱ Christiȱ wirdȱ inȱ 1Timȱ 2,5fȱ dannȱ explizitȱ benanntȱ (mesi,thj)ȱ undȱ–ȱalsȱErsatzȱfürȱdenȱswth,rȬBegriffȱ–ȱzuȱeinemȱzentralenȱchristologischenȱPrädikatȱ desȱlängstenȱderȱdreiȱPast.ȱȱ

1.ȱȱChristologieȱundȱSoteriologieȱ

131ȱ

Dieȱ Verbformȱ inȱ 3,5ȱ dientȱ darüberȱ hinausȱ zurȱ VerhältnisbestimȬ mungȱ zwischenȱ beidenȱ Rettergestalten,ȱ daȱ hierȱ damitȱ derȱ Modusȱ desȱ göttlichenȱ Rettungshandelnsȱ beschriebenȱ wird.58ȱ Derȱ Retterȱ Christusȱ hatȱeineȱbestimmteȱFunktionȱimȱrettendenȱTunȱdesȱRetterȬGottesȱselbst.ȱ DieȱRedundanz,ȱmitȱderȱderȱWortstammȱswsȬȱanȱdieserȱStelleȱverwenȬ detȱ wird,ȱ zeigt,ȱ dassȱ demȱ Autorȱ anȱ derȱ Zusammenbindungȱ vonȱ Gottȱ undȱ Christusȱ alsȱ Soteresȱ gelegenȱ war,ȱ wobeiȱ erȱ inȱ Titȱ 3ȱ –ȱ imȱ UnterȬ schiedȱ zuȱ Titȱ 1ȱ –ȱ eineȱ deutlicheȱ Vorordnungȱ derȱ Theologieȱ vorȱ dieȱ Christologieȱvornimmt.ȱ

1.1.2.5ȱȱZusammenfassungȱ AnȱdreiȱStellenȱwerdenȱdasȱRetterseinȱGottesȱundȱdieȱPersonȱChristiȱinȱ engemȱBezugȱthematisiert:ȱTitȱ1,3f;ȱ3,4–7;ȱvgl.ȱ2,10–14.ȱDerȱTitusbriefȱistȱ dabeiȱ derȱ einzigeȱ Pastoralbrief,ȱ derȱ Gottȱ undȱ Christusȱ alsȱ Retterȱ beȬ zeichnet.ȱ Dieȱ obenȱ letztgenannteȱ Stelleȱ bietetȱ insofernȱ eineȱ besondereȱ Konnotierungȱ desȱ entsprechenden Wortfeldes,ȱ alsȱ hierȱ Christusȱ nichtȱ selbstȱalsȱswth,rȱtituliert,ȱsondernȱdemȱSoterȬGottȱalsȱPersonifikationȱderȱ rettendenȱ(swth,rioj)ȱGnadeȱzugeordnetȱwird.ȱ AnȱallenȱdreiȱStellenȱistȱderȱRetterȱdurchȱeinȱPossessivpronomenȱinȱ derȱ1.ȱPs.ȱpl.ȱnäherȱcharakterisiert,ȱaberȱdennochȱ–ȱmitȱAusnahmeȱderȱ aufȱ „unsere“ȱ Erziehungȱ beschränktenȱ heilsamenȱ Gnadeȱ (2,11)ȱ –ȱ inȱ eiȬ nenȱ universalenȱ soteriologischenȱ Horizontȱ gestellt.ȱ Dieȱ traditionellenȱ Formulierungenȱ inȱ 2,10.13ȱ undȱ 3,4.6ȱ verknüpfenȱ denȱ swth,rȬBegriffȱ jeȬ weilsȱ mitȱ demȱ rettendenȱ Eingreifenȱ Gottesȱ undȱ Christiȱ bzw.ȱ Gottesȱ durchȱChristus:ȱEinerseitsȱistȱGottesȱRetterseinȱalsoȱdurchȱdenȱchristoȬ logischenȱ Kontextȱ bestimmt,ȱ andererseitsȱ stehtȱ imȱ Hintergrundȱ desȱ stetsȱ mitȱ demȱ Epiphaniebegriffȱ verbundenenȱ Retterseinsȱ Christi59ȱ imȬ merȱ dieȱ Titulierungȱ Gottesȱ alsȱ Soter.ȱ Diesenȱ Zusammenhangȱ verdeutȬ lichtȱdieȱVerwendungȱdesȱVerbsȱinȱ3,5ȱinȱbesondererȱWeise,ȱdaȱhierȱdieȱ Existenzȱdesȱswth,rȱChristusȱalsȱModusȱdesȱdurchȱdenȱGeistȱerfolgendenȱ Rettungshandelnsȱ desȱ RetterȬGottesȱ benanntȱ wird.ȱ Dassȱ eineȱ darüberȱ hinausgehendeȱ genauereȱ Verhältnisbestimmungȱ derȱ beidenȱ Personenȱ unterbleibt,ȱzeigtȱeinerseits,ȱdassȱdiesȱnichtȱimȱBlickȱdesȱTitȬVerfassersȱ lag,ȱ darfȱ jedochȱ andererseitsȱ nichtȱ alsȱ Aufweisȱ reinȱ titularen,ȱ d.h.ȱ beȬ deutungsleerenȱ Gebrauchsȱ verstandenȱ werden.ȱ Oberlinnerȱ kannȱ dieȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 58ȱȱ ZIMMERMANN,ȱWiederentstehung,ȱ275,ȱerkenntȱinȱderȱVerbformȱe;swsenȱdaherȱsogarȱ dasȱZentrumȱdesȱgesamtenȱAbschnitts.ȱ 59ȱȱ Vgl.ȱdazuȱPunktȱIV.1.2.2ȱdieserȱArbeit.ȱ

132ȱ

IV.ȱȱMotivsemantischeȱUntersuchungenȱ

doppelteȱRetterbezeichnungȱstattȱdessenȱrichtigerweiseȱsogarȱalsȱ„ProȬ gramm“ȱdesȱTitȱcharakterisieren:ȱ„DieȱEinheitȱdesȱGottesbekenntnissesȱ mitȱ demȱ Christusglaubenȱ istȱ inȱ derȱ Einheitȱ desȱ Heilswillensȱ undȱ desȱ Heilshandelnsȱ Gottesȱ begründet.“60ȱ Dieseȱ überȱ dieȱ Begrifflichkeitȱ hergestellteȱ Einheitlichkeitȱ derȱ göttlichenȱ Personenȱ inȱ ihremȱ Handelnȱ klingtȱ bereitsȱ imȱ Präskriptȱ (1,3f)ȱ programmatischȱ anȱ undȱ spiegeltȱ sichȱ inȱdenȱweiteren,ȱdurchgängigȱtraditionellenȱVerwendungenȱwider.ȱ

1.1.3ȱȱDasȱVorkommenȱimȱ1.ȱTimotheusbriefȱ DasȱSubstantivȱswth,rȱstehtȱimȱ1TimȱdreiȱMalȱ(1,1;ȱ2,3;ȱ4,10),ȱjeweilsȱalȬ leinȱ aufȱ Gottȱ bezogen;ȱ hinzuȱ kommtȱ dasȱ Verbȱ sw,|zw,ȱ welchesȱ sowohlȱ vonȱGottȱ(2,4)ȱoderȱChristusȱ(1,15)ȱausgesagtȱalsȱauchȱaufȱeinȱmenschliȬ chesȱSubjektȱbezogenȱwerdenȱkannȱ(4,16;ȱvgl.ȱdieȱumstritteneȱFormulieȬ rungȱinȱ2,15).ȱȱ Schonȱ dieserȱ Überblickȱ deutetȱ dieȱ spezifischeȱ Verwendungȱ diesesȱ Wortfeldesȱ imȱ längstenȱ Pastoralbriefȱ an,ȱ inȱ demȱ dieȱ Bezeichnungȱ ChristiȱalsȱRetterȱfehlt.ȱGleichzeitigȱlässtȱsichȱzeigen,ȱinȱwelcherȱWeiseȱ dasȱ Gottesepithetonȱ derȱ theologischenȱ Intentionȱ desȱ 1Timȱ dienstbarȱ gemachtȱist.ȱ

1.1.3.1ȱȱ1Timȱ1,1ȱ DasȱApostolatȱdesȱPaulusȱwirdȱhierȱauffälligȱdoppeltȱbegründet,ȱindemȱ esȱ aufȱ denȱ Ratschlussȱ nichtȱ nurȱ Gottes,ȱ sondernȱ auchȱ Jesuȱ Christiȱ zuȬ rückgeführtȱ wird.61ȱ Beideȱ Genitivattributeȱ sindȱ durchȱ kai,ȱ miteinanderȱ verbundenȱundȱsoȱzugleichȱparallelisiert;ȱihnenȱistȱjeweilsȱeineȱApposiȬ tionȱ alsȱ „rhetorischȱ korrespondierende[.]ȱ Prädikation[.]“62ȱ zugeordnet:ȱ Gottȱwirdȱalsȱswth,rȱundȱChristusȱalsȱh` evlpi,j63ȱbezeichnet,ȱwobeiȱauffällt,ȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 60ȱȱ OBERLINNER,ȱ Tit,ȱ 13;ȱ vgl.ȱ auchȱ THURSTON,ȱ Theology,ȱ 177.ȱ Inwiefernȱ esȱ diesenȱ ForȬ mulierungenȱ daherȱ trotzȱ derȱ neuakzentuierendenȱ sprachlichenȱ Einkleidungȱ anȱ Originalitätȱmangelnȱsollȱ–ȱsoȱOBERLINNER,ȱa.a.O.ȱ140fȱ–ȱistȱnichtȱnachzuvollziehen.ȱ 61ȱȱ EineȱParalleleȱdazuȱbietetȱinnerhalbȱdesȱCorpusȱPaulinumȱnurȱnochȱGalȱ1,1;ȱvgl.ȱzurȱ Absicherungȱ derȱ paulinischenȱ Autoritätȱ inȱ denȱ jeweiligenȱ Briefpräskriptenȱ dieȱ UnȬ tersuchungȱ innerhalbȱ desȱ Kapitelsȱ zumȱ Paulusbildȱ derȱ Pastoralbriefeȱ unterȱ Punktȱ IV.4.2ȱdieserȱArbeit.ȱ 62ȱȱ DIBELIUS/CONZELMANN,ȱPastoralbriefe,ȱ73f.ȱ 63ȱȱ Dassȱ hierȱ Christusȱ selbstȱ alsȱ personalisierteȱ Hoffnungȱ bezeichnetȱ werdenȱ kann,ȱ istȱ nichtȱnurȱinnerhalbȱderȱPast,ȱsondernȱauchȱdesȱNeuenȱTestamentsȱinsgesamtȱsinguȬ

1.ȱȱChristologieȱundȱSoteriologieȱ

133ȱ

dassȱ beideȱ Appositionenȱ selbstȱ wiederumȱ durchȱ dasȱ attributiveȱ PosȬ sessivpronomenȱh`mw/nȱinȱihrerȱBedeutungȱfürȱdieȱRealitätȱvonȱAdressatȱ undȱ Absenderȱ näherȱ bestimmtȱ werden.ȱ Auchȱ wennȱ imȱ Rahmenȱ desȱ Präskriptsȱ keineȱ inhaltlicheȱ Füllungȱ dieserȱ Wendungenȱ erfolgtȱ–ȱ undȱ wohlȱ auchȱ kaumȱ erfolgenȱ kannȱ–,ȱ istȱ dieseȱ Verwendungȱ hierȱ insofernȱ programmatisch,ȱ alsȱ dieȱ Korrespondenzȱ vonȱ rettendemȱ Gottȱ undȱ christologischȱbegründeterȱHoffnungȱtheologischeȱGrundaussagenȱdesȱ SchreibensȱinȱihrerȱanthropologischenȱRelevanzȱbereitsȱanklingenȱlässt,ȱ dieȱanȱspätererȱStelleȱentfaltetȱwerden.ȱ

1.1.3.2ȱȱ1Timȱ2,3fȱ Dieȱ zweiteȱ Bezeichnungȱ Gottesȱ alsȱ Retterȱ findetȱ sichȱ imȱ Rahmenȱ derȱ Aufforderungȱ zumȱ allgemeinenȱ Gebetȱ undȱ dientȱ hierȱ alsȱ letzteȱ vonȱ zweiȱ Begründungenȱ einesȱ allumfassendenȱ Gebetsȱ fürȱ alleȱ Menschen:ȱ Wieȱ derȱ sichȱ anschließendeȱ Finalsatzȱ entfaltet,ȱ sollȱ diesesȱ Gebetȱ zuȬ nächstȱ demȱ eigenenȱ ruhigenȱ Leben64ȱ dienen.ȱ Daraufȱ aufbauendȱ kannȱ V.3ȱdurchȱanaphorischesȱtou/toȱdasȱinȱV.1fȱVorausgesetzteȱinsgesamtȱalsȱ „wohlgefälligȱ vorȱ Gott“ȱ bezeichnen.65ȱ Gottȱ wirdȱ selbstȱ ebenfallsȱ zweiȬ fachȱ näherȱ bestimmt:ȱ zunächstȱ durchȱ vorangestelltesȱ Genitivattributȱ mitȱ Possessivpronomenȱ swth/roj h`mw/nȱ undȱ imȱ Anschlussȱ durchȱ einenȱ Relativsatz,ȱderȱmitȱderȱBezeichnungȱGottesȱalsȱRetterȱinsofernȱkorresȬ pondiert,ȱ alsȱ hierȱ vomȱ Wunschȱ Gottesȱ zuȱ rettenȱ (qe,lei swqh/nai)ȱ dieȱ Redeȱist.ȱDerȱWortstammȱswsȬȱwirdȱdabeiȱinȱ2,4ȱinȱeinemȱvonȱdemȱGeȬ nitivȱtou/ swth/roj h`mw/n qeou/ abhängigenȱRelativsatzȱbewusstȱalsȱVerbalȬ formȱ wiederȱ aufgegriffenȱ undȱ dabeiȱ alsȱ vonȱ qe,leinȱ abhängigerȱ AoristȬ InfinitivȱinȱeinerȱAcIȬKonstruktionȱdurchȱeineȱkai,ȬReihungȱeinemȱweiȬ terenȱ AcIȱ syntaktischȱ parallelisiert.ȱ Dadurchȱ sollȱ allerdingsȱ keineȱvollȬ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ lär.ȱ Bereitsȱ SCHLEIERMACHER,ȱ Sendschreiben,ȱ 81,ȱ vermutetȱ daher,ȱ dassȱ 1Timȱ 1ȱ eineȱ vonȱ Titȱ 1ȱ abhängige,ȱ bewusstȱ verkürzteȱ Formȱ desȱ Präskriptsȱ bietet.ȱ Vgl.ȱ dazuȱ dieȱ Untersuchungȱ zumȱ Hoffnungsbegriffȱ inȱ Titȱ 2,13,ȱ fürȱ denȱ eineȱ christologischeȱ FülȬ lungȱplausibelȱgemachtȱwerdenȱkonnteȱ(s.o.ȱS.ȱ125–127).ȱȱ 64ȱȱ Vgl.ȱ dazuȱ dieȱ Diskussionȱ umȱ dasȱ Vorhandenseinȱ einesȱ sog.ȱ bürgerlichenȱ ChristenȬ tumsȱinȱdenȱPastoralbriefenȱu.ȱS.ȱ178–180ȱundȱabȱS.ȱ345.ȱ 65ȱȱ Vgl.ȱHOLTZMANN,ȱPastoralbriefe,ȱ307;ȱandersȱMARSHALL,ȱSalvation,ȱ455,ȱderȱinȱ1Timȱ 2,1–7ȱzweiȱverschiedeneȱThemenȱmitȱzweiȱverschiedenenȱBegründungenȱbehandeltȱ sieht:ȱZumȱeinenȱdasȱGebetȱfürȱdieȱObrigkeitȱmitȱdemȱZielȱeinesȱruhigenȱLebensȱundȱ zumȱanderenȱdasȱGebetȱfürȱalleȱMenschen,ȱwelchesȱimȱuniversalenȱHeilswillenȱGotȬ tesȱverankertȱist.ȱ

134ȱ

IV.ȱȱMotivsemantischeȱUntersuchungenȱ

ständigeȱ Kongruenzȱ beiderȱ Vorgängeȱ ausgesagtȱ werden,66ȱ vielmehrȱ weistȱdasȱunterschiedlicheȱGenusȱderȱbeidenȱInfinitiveȱdaraufȱhin,ȱdassȱ hierȱ dasȱ vomȱ Willenȱ desȱ Rettergottesȱ abhängige,ȱ allenȱ Menschenȱ gelȬ tendeȱRettungsgeschehenȱinȱzweiȱverschiedenȱkonnotiertenȱVorgängenȱ entfaltetȱwird.ȱ V.4aȱ beschreibtȱ mitȱ einemȱ Passivumȱ Divinumȱ (swqh/nai)ȱ denȱ RetȬ tungswillenȱ Gottes,ȱ währendȱ V.4bȱ vomȱ aktivischenȱ ZurȬWahrheitȬ Kommenȱ ebenȱ dieserȱ Menschenȱ sprichtȱ (evlqei/n).67ȱ Grammatikalischesȱ Subjektȱ istȱ beideȱ Maleȱ derȱ betontȱ voranȱ gestellte,ȱ V.1ȱ wiederȱ aufgreiȬ fendeȱAusdruckȱpa,ntaj avnqrw,pouj,ȱsoȱdassȱauchȱinȱdiesemȱVersȱderȱdieȱ Perikopeȱ insgesamtȱ prägendeȱ universaleȱ Skopusȱ imȱ Blickȱ istȱ (vgl.ȱ dieȱ Erwähnungȱ„aller“ȱMenschenȱauchȱinȱV.1.[2{alleȱObrigkeit}.]6).68ȱHierȬ beiȱ fälltȱ allerdingsȱ auf,ȱ dassȱ –ȱ andersȱ alsȱ imȱ Titȱ –ȱ nichtȱ vonȱ einerȱ tatȬ sächlichenȱ Rettungȱ gesprochenȱ wird,ȱ sondernȱ nurȱ vonȱ einemȱ solchenȱ Willenȱ Gottes,ȱ denȱ dasȱ entsprechendeȱ Verhaltenȱ aufseitenȱ derȱ MenȬ schenȱrealisierenȱmuss.ȱDasȱVerbȱpräzisiertȱdasȱinȱV.3ȱausgesagteȱSeinȱ Gottesȱ alsȱ swth,rȱ alsoȱ insofern,ȱ alsȱ diesesȱ inȱ seinemȱ universalenȱ RetȬ tungswillenȱkonkretisiertȱwird,ȱdemȱaberȱdasȱmenschlicheȱVerhaltenȱzuȱ entsprechenȱhat.ȱ ȱ

Daranȱ schließenȱ V.5fȱ mitȱ begründendemȱ ga,rȱ einȱ Traditionsstückȱ an,ȱ welchesȱ dasȱ Rettungshandelnȱ Gottesȱ christologischȱ füllt:ȱ Demȱ einenȱ Gottȱ wirdȱ Jesusȱ Christusȱ alsȱ derȱ eineȱ Mittlerȱ zwischenȱ Gottȱ undȱ Menschȱ zugeordnet;ȱ auffälligȱ istȱdabeiȱdieȱseinȱMenschseinȱbetonendeȱ–ȱvermutlichȱvomȱVerfasserȱselbstȱalsȱ VerknüpfungȱzwischenȱV.5ȱundȱV.6ȱeingefügteȱ–ȱAppositionȱa;nqrwpoj Cristo.j VIhsou/j.69ȱDerȱrelativischȱanschließendeȱV.6aȱfülltȱdieseȱMittlertätigkeitȱmithilfeȱ einerȱ traditionellenȱ Dahingabeformel70ȱ undȱ konzentriertȱ dasȱ Wirkenȱ Jesuȱ aufȱ seinenȱTod.ȱ ȱ

DerȱRettungswilleȱGottesȱwirdȱhierȱalsoȱ–ȱunterȱBetonungȱdesȱMenschȬ seinsȱ Jesuȱ –ȱ christologischȱ gefüllt.ȱ Dassȱ Christusȱ dabeiȱ Mittlerȱ desȱ Heilswillensȱ desȱ Rettergottesȱ ist,ȱ jedochȱ nichtȱ selbstȱ alsȱ Retterȱ tituliertȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 66ȱȱ SoȱaberȱHOLTZMANN,ȱa.a.O.ȱ171.308;ȱvgl.ȱaußerdemȱSTETTLER,ȱChristologie,ȱ64;ȱWOLȬ TER,ȱ Paulustradition,ȱ 70f;ȱ DIBELIUS,ȱ evpi,gnwsij,ȱ passim,ȱ dieȱ –ȱ allerdingsȱ ohneȱ weiterȬ führendeȱ Begründungȱ –ȱ kai,ȱ alsȱ kai,Ȭepexegeticumȱ deuten:ȱ „dassȱ alleȱ Menschenȱ geȬ rettetȱwerden,ȱindemȱsieȱzurȱErkenntnisȱderȱWahrheitȱkommen“.ȱKritischȱgegenüberȱ einerȱvorschnellenȱIneinssetzungȱhingegenȱMUTSCHLER,ȱGlaube,ȱ135.ȱ 67ȱȱ DamitȱeignetȱdiesemȱVersȱeinȱdezidiertȱantihäretischesȱMoment;ȱvgl.ȱzurȱHäresioloȬ gieȱderȱPastoralbriefeȱinsgesamtȱPunktȱIV.3ȱdieserȱArbeit.ȱ 68ȱȱ Vgl.ȱTOWNER,ȱLetters,ȱ177;ȱGOODWIN,ȱBackground,ȱ77;ȱROLOFF,ȱ1Tim,ȱ108.ȱȱ 69ȱȱ SoȱWENGST,ȱFormeln,ȱ72.ȱ 70ȱȱ Vgl.ȱMtȱ20,28ȱ(parȱMkȱ10,45);ȱTitȱ2,14ȱsowieȱo.ȱS.ȱ127ȱAnm.ȱ44.ȱ

1.ȱȱChristologieȱundȱSoteriologieȱ

135ȱ

wird,ȱstelltȱgegenüberȱdemȱTitȱeineȱPräzisierungȱdesȱVerhältnissesȱdesȱ VatersȱundȱdesȱSohnesȱdar.71ȱ

1.1.3.3ȱȱ1Timȱ4,10ȱ Dieȱ dritteȱ undȱ letzteȱ Bezeichnungȱ Gottesȱalsȱ Retterȱerfolgtȱ imȱ Kontextȱ einerȱAuseinandersetzungȱmitȱIrrlehrern,ȱderenȱverfälschendenȱtheoloȬ gischenȱAnsichtenȱdieȱv.a.ȱinȱ1Timȱ4,3b.4.8ȱentfalteteȱwahreȱpaulinischeȱ Lehreȱ entgegengesetztȱ wird,ȱ dieȱ Timotheusȱ vertretenȱ soll.ȱ Derȱ AbȬ schnittȱ gipfeltȱ inȱ V.10ȱ alsȱ seinemȱ argumentativenȱ Höhepunkt:ȱ UnȬ mittelbarȱ vorȱ derȱ abschließendenȱ imperativischenȱ Aufforderung,ȱ dasȱ Geleseneȱ (tau/ta)ȱ alsȱ Gebotȱ undȱ Lehreȱ weiterzugebenȱ (V.11),ȱ undȱ imȱ AnschlussȱanȱdieȱausführlicheȱBekräftigungsformelȱ(V.9)ȱstehend,ȱfasstȱ V.10ȱdasȱbisherȱGesagteȱmithilfeȱderȱanaphorischenȱWendungȱeivj tou/toȱ undȱunterȱVerwendungȱvonȱKampfesmetaphorikȱzusammen,ȱundȱbieȬ tetȱ anschließendȱ dessenȱ kausaleȱ Rückbindungȱ anȱ dieȱ Gotteslehre.ȱ AnȬ dersȱ alsȱ inȱ 1,1ȱ undȱ 2,3ȱ stehtȱ swth,rȱ hierȱ inȱ relativischemȱ Satzanschlussȱ alsȱprädikativeȱNäherbestimmungȱdesȱumȱdasȱPartizipialattributȱzw/ntiȱ erweitertenȱGottesbegriffs.ȱNurȱhierȱfehltȱaußerdemȱinnerhalbȱderȱPastȱ dasȱeinschränkendeȱPossessivpronomenȱh`mw/n.ȱȱ Auffälligȱ istȱ darüberȱ hinaus,ȱ dassȱ dieȱ vermutlichȱ dieȱ HeilsexklusiȬ vitätȱ derȱ Irrlehrer72ȱ kontrastierendeȱ Universalitätȱ desȱ göttlichenȱ RetȬ tungshandelnsȱ hierȱ durchȱ denȱ Zusatzȱ ma,lista pistw/nȱ („besondersȱ derȱ Treuen“)ȱ eingeschränktȱ wird.ȱ Imȱ Vergleichȱ mitȱ 1Timȱ 2,3fȱ lässtȱ sichȱ dieseȱscheinbareȱReduktionȱderȱsoteriologischenȱAussageȱaufgrundȱderȱ unterschiedlichenȱ Verbenȱ deutlichȱ machen:ȱ Istȱ dortȱ vonȱ Gottesȱ Willenȱ (qe,lein)ȱ zurȱ universalenȱ Rettungȱ dieȱ Rede,ȱ soȱ hierȱ vonȱ seinemȱ Seinȱ (ei;nai)ȱalsȱRetter,ȱwelchesȱzwarȱallenȱMenschenȱgilt,ȱaberȱsichȱnurȱinȱderȱ ExistenzȱderȱTreuenȱrealisiert73ȱ–ȱwasȱwiederumȱalsȱdeutlicheȱWarnungȱ anȱ dieȱ ausȱ Sichtȱ desȱ Verfassersȱ vomȱ Glaubenȱ Abgefallenenȱ (V.1)ȱ verȬ standenȱwerdenȱkann.74ȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 71ȱȱ Vgl.ȱzurȱFrageȱderȱdamitȱeinhergehendenȱUnterordnungȱChristiȱunterȱGottȱSUMNEY,ȱ Assertion,ȱ114f.ȱ 72ȱȱ Vgl.ȱdazuȱPunktȱIV.3ȱdieserȱArbeit,ȱspeziellȱS.ȱ395f.ȱ 73ȱȱ Andersȱ OBERLINNER,ȱ Epiphaneia,ȱ 196f,ȱ derȱ hierinȱ lediglichȱ „eineȱ Präzisierungȱ hinȬ sichtlichȱderȱkonkretenȱVerwirklichungȱundȱVermittlung“ȱsieht.ȱȱ 74ȱȱ Vgl.ȱ1Timȱ4,12,ȱwoȱTimotheusȱausdrücklichȱalsȱVorbildȱderȱ„Treuen“ȱhervorgehobenȱ wird.ȱDiesȱpasstȱzurȱsemantischenȱNäheȱvonȱ„Treue“ȱundȱ„Glauben“ȱinȱdenȱPastoȬ ralbriefen;ȱvgl.ȱdazuȱgrundlegendȱMUTSCHLER,ȱGlaube,ȱpassim.ȱ

136ȱ

IV.ȱȱMotivsemantischeȱUntersuchungenȱ

1.1.3.4ȱȱDieȱVerwendungȱderȱVerbformȱimȱ1.ȱTimotheusbriefȱ ZuȱderȱhierȱbeschriebenenȱKonzentrationȱaufȱGottȱselbstȱalsȱswth,rȱtrittȱ dieȱ viermaligeȱ Verwendungȱ desȱ Verbumsȱ hinzuȱ (1,15;ȱ 2,4.15;ȱ 4,16),ȱ welcheȱderȱinhaltlichenȱFüllungȱdesȱgöttlichenȱRettungshandelnsȱdient,ȱ dabeiȱ aberȱ nichtȱ Gottȱ selbstȱ alsȱ grammatikalischesȱ Subjektȱ hat.ȱ BesonȬ dersȱ2,15ȱalsȱderȱzweiteȱpassivischeȱBelegȱ(nachȱ2,4)ȱscheintȱeineȱabsoȬ luteȱRettungsaussageȱohneȱkonkretesȱSubjektȱzuȱtreffen.ȱȱ EinȱkurzerȱÜberblickȱüberȱdieȱVerwendungȱdesȱVerbsȱsollȱimȱFolȬ gendenȱ zeigen,ȱ inwiefernȱ diesesȱ eigeneȱ Akzenteȱ gegenüberȱ demȱ SubȬ stantivȱsetzt.ȱ ȱ DerȱersteȱBelegȱfürȱdasȱVerbȱfindetȱsichȱinȱ1Timȱ1,15.ȱDieserȱVersȱgreiftȱ imȱRahmenȱeinerȱalsȱDankeshymnusȱgestaltetenȱ„Selbstvorstellungȱdesȱ Paulus“75ȱ dasȱ inȱ 1,1ȱ bereitsȱ verwendeteȱ Wortfeldȱ derȱ Rettungȱ erneutȱ auf:ȱ Eingeleitetȱ durchȱ dieȱ Bekräftigungsformel76ȱ undȱ zugleichȱ durchȱ Repetitionȱ desȱ Titelsȱ „Christusȱ Jesus“ȱ rückgebundenȱ anȱ dieȱ theologiȬ scheȱ Aussageȱ inȱ V.14ȱ entfaltetȱ Paulusȱ dieȱ Rettungȱ derȱ Sünderȱ alsȱ ZweckȱdesȱKommensȱChristiȱinȱdieȱWelt.77ȱ Daȱhierȱ–ȱandersȱalsȱimȱJohEv78ȱ–ȱderȱKosmosȱnichtȱalsȱObjektȱdesȱ Rettungshandelnsȱstehtȱ(undȱdamitȱzugleichȱseinenȱnegativenȱBeiklangȱ verliert),ȱ sondernȱ Zielpunktȱ desȱ Kommensȱ ist,ȱ dientȱ alsȱ AkkusativobȬ jektȱdesȱVerbsȱsw,|zwȱdasȱSubstantivȱa`martwloi,.ȱȱ ȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 75ȱȱ LÄGER,ȱ Christologie,ȱ 31.ȱ Dieserȱ Abschnittȱ istȱ zudemȱ Teilȱ derȱ sog.ȱ „PaulusanamneȬ sen“ȱ(soȱTRUMMER,ȱPaulustradition,ȱ10),ȱvgl.ȱdazuȱPunktȱIV.4.3.3ȱdieserȱArbeit.ȱȱ 76ȱȱ DieȱhierȱverwendeteȱLangformȱfindetȱsichȱsonstȱnurȱnochȱinȱ1Timȱ4,9.ȱȱ 77ȱȱ 1Timȱ1,15ȱspeistȱsichȱausȱmehrerenȱTraditionen:ȱVomȱKommenȱinȱdieȱWeltȱzurȱRetȬ tungȱredetȱnurȱJohȱ(vgl.ȱJohȱ3,17;ȱ12,47),ȱvomȱKommenȱfürȱdieȱSünderȱlediglichȱdieȱ Synoptikerȱ (vgl.ȱ Mkȱ 2,17parr)ȱ undȱ vonȱ derȱ Rettungȱ desȱ Verlorenenȱ sogarȱ nurȱ Lkȱ (vgl.ȱLkȱ19,10).ȱDassȱeineȱgroßeȱinhaltlicheȱNäheȱzuȱdiesenȱ(undȱverwandten)ȱLogienȱ vorliegt,ȱistȱunbestrittenȱ(vgl.ȱJOHNSON,ȱTimothy,ȱ180;ȱLÄGER,ȱChristologie,ȱ32f),ȱinȬ wiefernȱ vonȱ literarischerȱ Abhängigkeitȱ speziellȱ vonȱ Lkȱ 19,10ȱ auszugehenȱ ist,ȱ wirdȱ jedochȱ kontroversȱ diskutiertȱ (vgl.ȱ dieȱ Bejahungȱ dessenȱ beiȱ STETTLER,ȱ Christologie,ȱ 53f.60).ȱ 78ȱȱ InwiefernȱhierȱeineȱNäheȱzurȱjohanneischenȱTerminologieȱbestehtȱ(soȱz.B.ȱRADL,ȱArt.ȱ sw,|zw,ȱ 768,ȱ derȱ inȱ derȱ Identitätȱ vonȱ Rettungȱ undȱ Wahrheitserkenntnisȱ großeȱ Nähenȱ zuȱ Johȱ 10,9ȱ sieht),ȱ wirdȱ inȱ derȱ exegetischenȱ Forschungȱ aufgrundȱ derȱ Lokalisierungȱ beiderȱ hinterȱ denȱ Schriftengruppenȱ vermutetenȱ „Schulen“ȱ inȱ Ephesusȱ diskutiert;ȱ vgl.ȱdazuȱPunktȱVȱdieserȱArbeit,ȱbes.ȱS.ȱ594ȱu.ö.ȱ

1.ȱȱChristologieȱundȱSoteriologieȱ

137ȱ

Dassȱ a`martwloi,ȱ hierȱ tatsächlichȱ parsȱ proȱ totoȱ fürȱ „alleȱ Menschen“ȱ stehtȱ (vgl.ȱ Römȱ3,23),ȱscheintȱfraglich,79ȱdaȱschonȱderȱrelativischȱanschließendeȱletzteȱVersȬ teilȱ alsȱ einschränkendeȱ inhaltlicheȱ Füllungȱ desȱ Sünderseinsȱ dient:ȱ Dortȱ beȬ zeichnetȱ Paulusȱ sichȱ selbstȱ alsȱ prw/tojȱ derȱ Sünder,ȱ anȱ demȱ zugleichȱ alsȱ Erstemȱ JesusȱChristusȱseinenȱLangmutȱbewiesenȱhabeȱ(V.16).ȱIndemȱPaulusȱsichȱdabeiȱ alsȱ paradigmatischeȱ Verkörperungȱ desȱ Lebensȱ alsȱ Sünderȱ undȱ alsȱ Erlösterȱ darstellt,ȱimpliziertȱderȱ1TimȬAutorȱzugleich,ȱdassȱdieserȱWechselȱauchȱandererȱ MenschenȱanȱdasȱParadigmaȱdesȱPaulusȱgekoppeltȱist.ȱDiesȱistȱsicherlichȱnichtȱ imȱ Sinneȱ einerȱ Heilsmittlerschaftȱ desȱ Apostelsȱ selbstȱ zuȱ verstehen,80ȱ sondernȱ passtȱ zuȱ demȱ antihäretischenȱ Skopusȱ desȱ Gesamtbriefes,ȱ daȱ dasȱ Beispielȱ desȱ Paulusȱ denȱ Häretikernȱ zeigenȱ soll,ȱ wieȱ ausȱ einemȱ Lästererȱ (wieȱ sieȱ esȱ selbstȱ nochȱ sind)81ȱ einȱ rechtgläubigerȱ Christȱ werdenȱ kann.ȱ Soȱ leitetȱ derȱ Relativsatzȱ V.15finȱ zumȱ eigentlichenȱ Themaȱ desȱ Abschnittsȱ über,ȱ nämlichȱ derȱ Personȱ desȱ Paulusȱ selbst:ȱ Aufgrundȱ seinerȱ Biographieȱ dientȱ derȱ Apostelȱ alsȱ lebendigerȱ BeweisȱdesȱHeilshandelnsȱGottes.82ȱ ȱ

DieȱchristologischeȱAussageȱwirdȱinȱ1,15ȱaufȱdoppelteȱWeiseȱverankert:ȱ einerseitsȱ inȱ derȱ sieȱ theologischȱ begründendenȱ undȱ hierȱ strukturellȱ rahmendenȱ Gotteslehreȱ (V.14.17)ȱ undȱ andererseitsȱ unterȱ Verweisȱ aufȱ denȱApostel,ȱderȱdieseȱRettungȱnichtȱnurȱverkündigt,ȱsondernȱzugleichȱ mitȱseinerȱBiographieȱexemplarischȱverbürgt.ȱȱ ȱ DieȱzweiteȱaktivischeȱVerwendungȱdesȱVerbsȱfindetȱsichȱinȱ1Timȱ4,16:ȱ InȱdenȱVersenȱ12–16aȱwirdȱdieȱinȱ1Timȱ4,11ȱformulierteȱAufforderungȱ expliziert,ȱ dasȱ vorherȱ Genannteȱ zuȱ lehren,ȱ bevorȱ sieȱ inȱ derȱ denȱ voranstehenden,ȱ dasȱ bisherȱ Entfalteteȱ erneutȱ zusammenfassendenȱ ImȬ perativȱevpi,mene auvtoi/jȱbegründendenȱAussageȱ(V.16b:ȱga,r)ȱgipfelt,ȱdassȱ Timotheusȱ durchȱ diesesȱ Handelnȱ sichȱ undȱ andereȱ rettenȱ könne.83ȱ Dasȱ Retterseinȱ Gottesȱ (V.10)ȱ findetȱ seineȱ Fortsetzungȱ alsoȱ imȱ rettendenȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 79ȱȱ Soȱ aberȱ unterȱ anderemȱ STETTLER,ȱ Christologie,ȱ 54,ȱ undȱ QUINN,ȱ Titusȱ 306,ȱ dieȱ hierȱ m.E.ȱ zuȱ Unrechtȱ denȱ nurȱ beiȱ Titȱ mitȱ diesemȱ Begriffȱ verbundenenȱ HeilsuniversaȬ lismusȱeintragen.ȱ 80ȱȱ Auchȱ wennȱ dieserȱ Vorwurfȱ gegenüberȱ denȱ Pastȱ oftȱ erhobenȱ wurde,ȱ vgl.ȱ LÄGER,ȱ Christologie,ȱ183,ȱdieȱ–ȱ„zumindestȱderȱTendenzȱnach“ȱ–ȱvonȱeinerȱ„Paulologie“ȱreȬ denȱwill.ȱSoȱsprichtȱWANKE,ȱPaulus,ȱ187,ȱvonȱeinerȱ„‚Kerygmatisierung‘ȱderȱPaulusȬ gestalt“,ȱdaȱausȱdemȱ„Paulusȱpraedicans“ȱderȱ„Paulusȱpraedicatus“ȱwerdeȱ(ähnlichȱ ZMIJEWSKI,ȱSchriften,ȱ211f).ȱVgl.ȱdazuȱauchȱdieȱausführlichereȱBeschäftigungȱmitȱdieȬ serȱFrageȱunterȱPunktȱIV.4ȱdieserȱArbeit,ȱbes.ȱPunktȱIV.4.3.3.1.1.ȱ 81ȱȱ Vgl.ȱzurȱantihäretischenȱImplikationȱdesȱWortfeldesȱblasfhmȬȱimȱ1TimȱdenȱAbschnittȱ IV.4.3.3.1.1ȱdieserȱArbeit.ȱ 82ȱȱ Vgl.ȱ zurȱ Bedeutungȱ derȱ Personȱ desȱ Paulusȱ imȱ 1Timȱ dieȱ Punkteȱ IV.4.2.2ȱ undȱ IV.4.3.3.1ȱdieserȱArbeit.ȱ 83ȱȱ ÄhnlichȱformuliertȱPaulusȱselbstȱinȱRömȱ11,14;ȱ1Korȱ7,16;ȱ9,22.ȱ

138ȱ

IV.ȱȱMotivsemantischeȱUntersuchungenȱ

Handelnȱ vonȱ Menschen,84ȱ welchesȱ wiederumȱ rückgebundenȱ istȱ anȱ diesenȱRettergott.ȱ ȱ Derȱ ersteȱ derȱ zweiȱ passivischenȱ Belegeȱ vonȱ sw,|zw stehtȱ inȱ engemȱ synȬ taktischenȱ Zusammenhangȱ mitȱ derȱ Bezeichnungȱ Gottesȱ alsȱ swth,rȱ inȱ 1Timȱ 2,3fȱ undȱ dientȱ anȱ dieserȱ Stelleȱ alsȱ verbalȱ formulierteȱ inhaltlicheȱ FüllungȱdesȱSubstantivs.ȱȱ DarüberȱhinausȱfindetȱsichȱauchȱimȱRahmenȱderȱGeschlechterlehre85ȱ desȱ 1Timȱ einȱ kurzerȱ soteriologischerȱ Abschnittȱ undȱ darinȱ derȱ zweiteȱ passivischeȱBelegȱdesȱVerbs:ȱDenȱzweiterschaffenenȱundȱdurchȱdieȱVerȬ führungȱ Evasȱ belastetenȱ Frauenȱ (V.13f)86ȱ wirdȱ zwarȱ einȱ öffentlichesȱ LehrenȱinȱderȱGemeindeȱverbotenȱ(V.11f),ȱaberȱdieȱzukünftigeȱRettungȱ durchȱ dasȱ Kindergebärenȱ verheißenȱ –ȱ eineȱ „inȱ einerȱ urchristlichenȱ Schriftȱ fastȱ unerträglich[e]“ȱ Formulierung.87ȱ Verführungȱ undȱ Rettungȱ werdenȱdabeiȱeinanderȱauchȱgrammatikalischȱgegenüberȱgestellt,ȱdaȱesȱ sichȱ beiȱ beidenȱ Verbenȱ umȱ passivischeȱ Formulierungenȱ handeltȱ (evxapathqei/saȱ–ȱswqh,setai).ȱInsofernȱsollteȱausȱdemȱFehlenȱdesȱGenitivusȱ auctorisȱ nichtȱ aufȱ einȱ Passivumȱ Divinumȱ geschlossenȱ werden,ȱ daȱ imȱ Zentrumȱ desȱ Abschnittsȱ „dieȱ Frauen“ȱ alsȱ Zielpunktȱ sowohlȱ desȱ VerȬ führungsȬȱ alsȱ auchȱ desȱ Rettungsgeschehensȱ stehen.ȱ Einȱ weitererȱ Schwerpunktȱ derȱ Perikopeȱ liegtȱ aufȱ demȱ Modusȱ dieserȱ Rettung,88ȱ derȱ hierȱdurchȱdia,ȱ mitȱGenitivȱundȱerweitertȱumȱeinenȱEventualisȱangegeȬ benȱ wird:ȱ Dieȱ schöpfungstheologischȱ verankerteȱ (StrafȬ)Aufgabeȱ desȱ KindesgebärensȱunterȱSchmerzenȱwirdȱhierȱsoteriologischȱumgedeutetȱ inȱdieȱMöglichkeitȱzurȱErlangungȱdesȱHeilsȱ–ȱeventuellȱinȱAbgrenzungȱ gegenȱ eineȱ eigenständigereȱ Funktionȱ vonȱ Frauenȱ inȱ denȱ Kreisenȱ derȱ Irrlehrer.89ȱV.15bȱdürfteȱdabeiȱwenigerȱaufȱdieȱchristlicheȱErziehungȱderȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 84ȱȱ Vgl.ȱauchȱROOSE,ȱCharakterisierung,ȱ440.ȱ 85ȱȱ Vgl.ȱdazuȱ dieȱknappeȱDarstellungȱvonȱ1Timȱ2,8–15ȱu.ȱS.ȱ227–229.ȱWATERS,ȱ Virtues,ȱ passim,ȱhingegenȱverstehtȱ(m.E.ȱunterȱvölligerȱMissachtungȱdesȱKontextes)ȱdieȱRedeȱ vomȱKindergebärenȱunterȱVerweisȱaufȱzahlreicheȱantikeȱ–ȱallerdingsȱdurchwegȱnichtȱ überzeugendeȱ–ȱ ParallelenȱalsȱAllegorieȱfürȱdasȱZutagefördernȱvonȱTugendenȱ(vgl.ȱ a.a.O.ȱ 703:ȱ „allegoryȱ inȱ whichȱ theȱ virtuesȱ faith,ȱ love,ȱ holiness,ȱ andȱ temperanceȱ areȱ portrayedȱasȱtheȱchildrenȱofȱthoseȱwomen“).ȱ 86ȱȱ Vgl.ȱdazuȱu.ȱS.ȱ228f.ȱ 87ȱȱ MICHEL,ȱGrundfragen,ȱ93.ȱȱ 88ȱȱ AndersȱalsȱbeiȱMERZ,ȱSelbstauslegung,ȱ296fȱ(1Timȱ5,10.14ȱzeigt,ȱdassȱderȱPastȬVerfasȬ serȱ Frauenȱ zumȱ Kindergebärenȱ verpflichtenȱ will),ȱ sowieȱ PORTER,ȱ Childbirth,ȱ 97fȱ (Analogieȱzurȱ[aktivischen!]ȱFormulierungȱinȱTitȱ3,5),ȱzuȱlesen,ȱistȱdia,ȱ hierȱnichtȱinȬ strumental,ȱsondernȱlediglichȱmodalȱzuȱverstehen.ȱȱ 89ȱȱ Soȱvertretenȱu.a.ȱvonȱMARSHALL,ȱSalvation,ȱ462f;ȱvorsichtigerȱinȱBezugȱaufȱdenȱZuȬ sammenhangȱvonȱKindergebärenȱundȱRettungȱhingegenȱHÄFNER,ȱSchrift,ȱ126.ȱFragȬ

1.ȱȱChristologieȱundȱSoteriologieȱ

139ȱ

eigenenȱ Kinderȱ gerichtetȱ sein,90ȱ alsȱ vielmehrȱ dasȱ erstrebenswerteȱ moralischeȱVerhaltenȱderȱFrauenȱselbstȱmeinen,91ȱwelchesȱinȱBezugȱaufȱ dieȱ Rettungȱ demȱ Kindergebärenȱ korrelierenȱ mussȱ –ȱ undȱ damitȱ eineȱ allzuȱoberflächlicheȱGleichsetzungȱvonȱGebärenȱundȱeschatologischemȱ Heilȱverhindert.92ȱSoȱwirdȱzwarȱeinȱZurückdrängenȱvonȱFrauenȱausȱöfȬ fentlichenȱFunktionenȱschöpfungstheologischȱsanktioniert,ȱaberȱgleichȬ zeitigȱ ihreȱ inȱ derȱ gesellschaftlichenȱ Realitätȱ begründeteȱ Konzentrationȱ aufȱdenȱhäuslichenȱBereichȱsoteriologischȱaufgewertet.93ȱ

1.1.3.5ȱȱZusammenfassungȱ GegenüberȱdenȱbeidenȱanderenȱPastȱfälltȱauf,ȱdassȱderȱSoterȬTitelȱnichtȱ inȱ Bezugȱ aufȱ Christusȱ verwendetȱ wird:ȱ Zwarȱ kannȱ 1Timȱ 1,15ȱ diesenȱ durchausȱ alsȱ Subjektȱ desȱ Rettungshandelnsȱ nennen,ȱ undȱ 1Timȱ 2,3fȱ zeigtȱ darüberȱ hinausȱ dieȱ auchȱ inȱ diesemȱ Briefȱ erfolgendeȱ christologiȬ scheȱ Verankerungȱ diesesȱ Gottesprädikats,ȱ dochȱ trittȱ dieȱ Bezeichnungȱ Christiȱ alsȱ Retterȱ zugunstenȱ andererȱ christologischerȱ (HoheitsȬ)Titelȱ bzw.ȱseinerȱBezeichnungȱalsȱ„Mensch“ȱzurück.94ȱ Zudemȱ wirdȱ dieȱ Titȱ prägendeȱ Universalitätȱ desȱ Rettungshandelnsȱ Gottesȱimȱ1Timȱeingeschränkt:ȱSoȱerweistȱsichȱGottȱalsȱHeilandȱbesonȬ dersȱderȱTreuenȱ(4,10);ȱundȱwennȱinȱ1Timȱ2,3fȱvonȱeinerȱRettungȱallerȱ MenschenȱdieȱRedeȱist,ȱsoȱwirdȱdiesȱnichtȱalsȱtatsächlichesȱGeschehen,ȱ sondernȱ lediglichȱ unterȱ Verwendungȱ desȱ Verbsȱ (V.4)ȱ alsȱ Willeȱ Gottesȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 90ȱȱ 91ȱȱ

92ȱȱ 93ȱȱ

94ȱȱ

lichȱ istȱ aufgrundȱ dieserȱ Gegenüberstellungȱ dieȱ Behauptungȱ vonȱ MERZ,ȱ a.a.O.ȱ 300,ȱ dasȱKindergebärenȱsteheȱparsȱproȱtotoȱ„fürȱdieȱErfüllungȱderȱFrauenrolle“.ȱ SoȱaberȱDIBELIUS/CONZELMANN,ȱPastoralbriefe,ȱ39;ȱHOLTZMANN,ȱPastoralbriefe,ȱ316.ȱȱ SoȱauchȱMERZ,ȱSelbstauslegung,ȱ303;ȱSTUHLMACHER,ȱKirche,ȱ313;ȱOBERLINNER,ȱ1Tim,ȱ 104;ȱ ROLOFF,ȱ 1Tim,ȱ 142;ȱ BROX,ȱ Pastoralbriefe,ȱ 137.ȱ Dassȱ inȱ V.13ȱ Evaȱ namentlichȱ geȬ nanntȱwird,ȱinȱV.14ȱderȱgenerischeȱSingularȱsowieȱinȱV.15bȱeinȱpluralischesȱVerbȱsteȬ hen,ȱ scheintȱ trotzȱ allerȱ grammatikalischenȱ Schwierigkeitenȱ Gestaltungsabsichtȱ desȱ Autorsȱzuȱsein;ȱvgl.ȱHÄFNER,ȱSchrift,ȱ139;ȱPORTER,ȱChildbirth,ȱ99.ȱ SoȱauchȱPORTER,ȱa.a.O.ȱ100–102,ȱtrotzȱseinerȱinstrumentalenȱDeutungȱvonȱdia,.ȱȱ DieseȱdurchausȱproblematischeȱtheologischeȱArgumentationȱzuȱwenigȱhinterfragendȱ TRUMMER,ȱ Paulustradition,ȱ 149;ȱ vgl.ȱ V.ȱ LIPS,ȱ Gemeinde,ȱ 144:ȱ „[D]ieȱ Erfüllungȱ derȱ sozialenȱRolleȱhatȱfürȱdenȱGlaubendenȱgeradezuȱsoteriologischeȱRelevanz.“ȱAndersȱ akzentuiertȱ MERZ,ȱ Selbstauslegung,ȱ 298f,ȱ dieȱ daraufȱ hinweist,ȱ dassȱ derȱ Verfasserȱ auchȱ vonȱ Reichenȱ undȱ Amtsträgernȱ spezielleȱ guteȱ Werkeȱ alsȱ heilsrelevantȱ einforȬ dernȱkönne.ȱ Vgl.ȱu.a.ȱTOWNER,ȱLetters,ȱ63ȱ(zuȱ1Timȱ2,5f:ȱ„Theȱformulationȱestablishesȱclearlyȱtheȱ necessityȱofȱChrist’sȱcompleteȱparticipationȱinȱhumanityȱinȱorderȱtoȱaccomplishȱtheȱ workȱ ofȱ mediationȱ intrinsicȱ toȱ God’sȱ universalȱ salvationȱ plan.“);ȱ KARRER,ȱ Jesusȱ Christus,ȱ303;ȱHANSON,ȱStudies,ȱ58f.ȱ

140ȱ

IV.ȱȱMotivsemantischeȱUntersuchungenȱ

ausgesagt;ȱ damitȱ wirdȱ diesȱ zwarȱ alsȱ Möglichkeitȱ allenȱ Menschenȱ vorȱ Augenȱ gestellt,ȱ aberȱ zugleichȱ inȱ derȱ Faktizitätȱ zurückgenommenȱ undȱ aufȱ solcheȱ ausgewähltenȱ Personenȱ beschränkt,ȱ dieȱ dieseȱ paradigmatiȬ scheȱFunktionȱdesȱPaulusȱbereitsȱanerkennen.95ȱ Nebenȱdemȱinȱ2,3fȱvorhandenenȱunmittelbarenȱBezugȱaufȱdasȱSubȬ stantivȱswth,rȱstehtȱdasȱVerbȱdreiȱMalȱjeweilsȱmitȱeinemȱ„menschlichen“ȱ Subjekt:ȱ Timotheusȱ vermagȱ sichȱ selbstȱ undȱ andereȱ zuȱ rettenȱ undȱ hatȱ damitȱ Anteilȱ amȱ Rettungshandelnȱ desȱ rettendenȱ Gottesȱ (4,16).ȱ Frauenȱ alsȱdieȱinȱEvaȱparadigmatischȱVerführtenȱkönnenȱsichȱselbstȱwiederumȱ durchȱdasȱKindergebärenȱundȱeinȱdemȱchristlichenȱIdealȱentsprechenȬ desȱ Lebenȱ rettenȱ (2,15).ȱ Inȱ 1,15ȱ stehtȱ zwarȱ Christusȱ alsȱ Subjektȱ desȱ Rettungsgeschehens,ȱ welchesȱ denȱ Sündernȱ ausȱ denȱ eigenenȱ Reihenȱ dienenȱ sollȱ (V.15f),ȱ dochȱ legtȱ derȱ 1Timȱ soȱ großenȱ Wertȱ darauf,ȱ auchȱ Christusȱ selbstȱ alsȱ Menschenȱ zuȱ bezeichnenȱ (vgl.ȱ 2,5f),ȱ dassȱ dieseȱ Menschlichkeitȱauchȱinȱ1Timȱ1,15ȱmitgehörtȱwerdenȱmuss.ȱȱ

1.1.4ȱȱDasȱVorkommenȱimȱ2.ȱTimotheusbriefȱ ImȱVergleichȱzuȱTitȱundȱauchȱzuȱ1TimȱtrittȱdieȱVerwendungȱdesȱswth,rȬ Begriffsȱimȱ2Timȱauffallendȱzurück,96ȱwasȱbereitsȱimȱPräskriptȱdeutlichȱ wird,97ȱwelchesȱandersȱalsȱdasȱderȱbeidenȱanderenȱPastȱaufȱdiesenȱTitelȱ verzichtet.ȱDerȱTerminusȱfindetȱsichȱnurȱeinmalȱinȱ2Timȱ1,10ȱmitȱBezugȱ aufȱ Christus;ȱ allerdingsȱ bietetȱ 2Timȱ dafürȱ überȱ dieȱ beidenȱ anderenȱ Briefeȱ hinausȱ dasȱ Abstraktumȱ swthri,aȱ (2,10;ȱ 3,15)ȱ sowieȱ zweimalȱ dasȱ Verbȱsw,|zwȱ(1,9;ȱ4,18)ȱ–ȱandersȱalsȱimȱ1TimȱstetsȱmitȱgöttlichemȱSubjekt.ȱ HinzuȱtrittȱdieȱdreimaligeȱVerwendungȱdesȱVerbsȱr`uo, maiȱ(3,11;ȱ4,17.18),ȱ welchesȱ inȱ engemȱ inhaltlichenȱ Bezugȱ zuȱ denȱ anderenȱ RettungsaussaȬ genȱsteht.ȱ ȱ ȱ ȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 95ȱȱ Zurȱ antihäretischenȱ Spitzeȱ desȱ Erkenntniskomplexesȱ imȱ 1Timȱ vgl.ȱ auchȱ HOLTZȬ MANN,ȱPastoralbriefe,ȱ171,ȱsowieȱS.ȱ512ȱAnm.ȱ347.ȱ 96ȱȱ DieȱbeiȱDIBELIUS/CONZELMANN,ȱPastoralbriefe,ȱ109,ȱnachzulesendeȱBehauptung,ȱdieȱ Unpaulinizitätȱ derȱ SoterȬVerwendungȱ inȱ denȱ Pastȱ seiȱ kaumȱ zufällig,ȱ undȱ „wennȱ schonȱ Zufall,ȱ dannȱ dochȱ jedenfallsȱ symptomatischerȱ Zufall“,ȱ trifftȱ alsoȱ fürȱ 2Timȱ soȱ nichtȱzu.ȱ 97ȱȱ Vgl.ȱdieȱAuslegungȱvonȱ2Timȱ1,1fȱunterȱPunktȱIV.4.2.3ȱdieserȱArbeit.ȱ

1.ȱȱChristologieȱundȱSoteriologieȱ

141ȱ

1.1.4.1ȱȱ2Timȱ1,9fȱ Anȱ dieȱ aufȱ dasȱ Präskriptȱ folgende,ȱ demȱ üblichenȱ Briefaufbauȱ entspreȬ chendeȱ Danksagungȱ fürȱ denȱ Glaubenȱ desȱ Timotheusȱ schließtȱ sichȱ einȱ kurzerȱ Abschnittȱ an,ȱ inȱ demȱ Paulusȱ seineȱ eigeneȱ Gefangenschaftȱ imȱ Dienstȱ desȱ Evangeliumsȱ Gottesȱ thematisiertȱ (1,8.11f).ȱ Erȱ umklammertȱ damitȱ V.9f,ȱ dieȱ „dasȱ theologischeȱ Zentrumȱ desȱ Abschnitts“98ȱ bildenȱ undȱwelchenȱaufgrundȱihresȱformelhaftȬpartizipialenȱStilsȱeinȱtraditioȬ nellerȱ Charakterȱ eignet.99ȱ Derȱ demȱ Evangeliumȱ alsȱ Genitivattributȱ zugeordneteȱ Gottesbegriffȱ (V.8),ȱ dessenȱ inhaltlichȱ herausgehobeneȱ PositionȱauchȱanȱseinerȱgrammatikalischenȱStellungȱdeutlichȱwird,ȱwirdȱ hierȱinhaltlichȱzunächstȱdurchȱzweiȱsubstantivierteȱPartizipienȱentfaltetȱ (V.9a),ȱ vonȱ denenȱ dieȱ weiterenȱ Versgliederȱ grammatikalischȱ abhängigȱ sindȱ(V.9b.10).ȱAuffälligȱistȱdabeiȱdieȱsowohlȱzeitlichȬinhaltlichȱalsȱauchȱ begrifflichȱ erfolgendeȱ engeȱ Verbindungȱ vonȱ Theologieȱ undȱ ChristoloȬ gie:100ȱDieseȱvollziehtȱsichȱzunächstȱüberȱdieȱdoppelteȱVerwendungȱdesȱ WortstammesȱswsȬȱ(V.9.10).ȱV.9ȱcharakterisiertȱmitȱeinemȱsubstantivierȬ tenȱPartizipȱGottȱalsȱRettenden,ȱallerdingsȱeingeschränktȱaufȱ„uns“,ȱd.h.ȱ imȱjetzigenȱKontextȱaufȱSchreiberȱundȱBriefadressat,ȱdieȱhierȱaberȱparsȱ proȱ totoȱ fürȱ dieȱ gesamteȱ christlicheȱ Gemeindeȱ stehen.101ȱ Dieserȱ RetȬ tungsaussageȱ wirdȱ eineȱ weitereȱ soteriologischeȱ Grundaussageȱ syntakȬ tischȱ parallelisiertȱundȱdurchȱ kai,ȱ beigeordnet,ȱ nämlichȱ dasȱ BerufungsȬ geschehen,ȱdurchȱwelchesȱdasȱuniversaleȱHeilȱBedeutungȱfürȱdieȱWirkȬ lichkeitȱdesȱEinzelnenȱerlangt.102ȱBeideȱVorgängeȱwerdenȱimȱFolgendenȱ durchȱ ouv kata,ȱ …ȱ avlla. kata,ȱ …ȱ mitȱ Hilfeȱ vonȱ Wendungen,ȱ dieȱ anȱ dieȱ Protopaulinenȱ erinnern,103ȱ inȱ antithetischerȱ Gegenüberstellungȱ (unsereȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 98ȱȱ WEISER,ȱ2Tim,ȱ113;ȱähnlichȱbereitsȱHOLTZMANN,ȱ Pastoralbriefe,ȱ389.ȱVgl.ȱaußerdemȱ STETTLER,ȱChristologie,ȱ154;ȱLÄGER,ȱChristologie,ȱ66;ȱLAU,ȱFlesh,ȱ126.128.ȱ 99ȱȱ Soȱ dieȱ Einschätzungȱ vonȱ LAU,ȱ a.a.O.ȱ 115,ȱ undȱ DIBELIUS/CONZELMANN,ȱ PastoralȬ briefe,ȱ73.ȱAndersȱlautetȱdasȱUrteilȱvonȱSTETTLER,ȱ a.a.O.ȱ127.152,ȱundȱLÄGER,ȱa.a.O.ȱ 67.69.72.ȱ 100ȱȱ SoȱauchȱWEISER,ȱ2Tim,ȱ114–116.ȱ 101ȱȱ Dennȱ dieseȱ stehtȱ auchȱ inȱ demȱ alsȱ Abschiedsbriefȱ gestaltetenȱ pseudepigraphischenȱ 2TimȱimȱHintergrund,ȱkannȱaberȱaufgrundȱderȱBrieffiktionȱnichtȱdeutlicherȱthematiȬ siertȱwerden,ȱvgl.ȱzumȱSettingȱdesȱ2TimȱuntenȱPunktȱV.1ȱdieserȱArbeit,ȱbes.ȱS.ȱ566– 568.570f.ȱ 102ȱȱ kale,wȱ kannȱ nachȱ Römȱ 8,28.30ȱ dasȱ Heilsgeschehenȱ insgesamtȱ zusammenfassen,ȱ könnteȱhierȱjedochȱaufgrundȱdesȱAoristȱauchȱaufȱeinȱeinmaliges,ȱvergangenesȱEreigȬ nisȱbezogenȱseinȱ(vgl.ȱQUINN/WACKER,ȱLetters,ȱ598,ȱdieȱhierbeiȱanȱTaufeȱoderȱOrdiȬ nationȱdenken).ȱ 103ȱȱ Vgl.ȱ zurȱ Paulinizitätȱ derȱ Formulierungenȱ (vgl.ȱ Römȱ 1,16f;ȱ 3,21–28)ȱ WEISER,ȱ 2Tim,ȱ 119ff,ȱundȱSTETTLER,ȱChristologie,ȱ128.ȱ

142ȱ

IV.ȱȱMotivsemantischeȱUntersuchungenȱ

Werkeȱ–ȱ[sein]ȱeigenerȱRatschlussȱundȱGnade)ȱpräzisiert.104ȱAuffälligȱist,ȱ dassȱ denȱ pluralischȱ genanntenȱ menschlichenȱ Werkenȱ zweiȱ aufȱ Gottȱ bezogeneȱ singularischeȱ Substantiveȱ gegenüberȱ stehen.ȱ Daranȱ schließtȱ sichȱ einȱ substantiviertesȱ Partizipȱ Passivȱ vonȱ di,dwmiȱ an,ȱ welchesȱ gramȬ matikalischȱ sowohlȱ aufȱ pro,qesijȱ alsȱ auchȱ aufȱ ca,rijȱ bezogenȱ werdenȱ könnte;ȱwasȱaberȱbeidesȱzunächstȱschwierigȱzuȱseinȱscheint,ȱwennȱmanȱ diesesȱ Geschehenȱ zeitlichȱ pro. cro,nwn aivwni,wnȱ verortet,ȱ wieȱ esȱ dieserȱ Versȱ naheȱ legt.ȱ Erstereȱ Verbindungȱ wäreȱaufgrundȱ inhaltlicherȱ InkonȬ gruenzenȱsingulärȱ–ȱeineȱgewisseȱNäheȱließeȱsichȱhöchstensȱzuȱEphȱ2,11ȱ erkennen,ȱ woȱ vonȱ derȱ Verwirklichungȱ desȱ ewigenȱ Ratschlussesȱ inȱ ChristusȱdieȱRedeȱist.105ȱUndȱauchȱwennȱLetzteresȱimȱCorpusȱPaulinumȱ eineȱ häufigeȱ Kombinationȱ darstellt,106ȱ soȱ überraschtȱ dieȱ Redeȱ vonȱ derȱ protologischenȱGabeȱderȱGnadeȱhierȱzunächst,ȱdaȱh`mi/nȱalsȱObjektȱeinesȱ vorzeitigenȱ Geschehensȱ eigentlichȱ kaumȱ denkbarȱ ist.107ȱ Daȱ eineȱ solcheȱ Vorstellungȱ jedochȱ auchȱ inȱ Formulierungenȱ wieȱ Ephȱ 1,4ȱ (AuserwähȬ lungȱ unsererȱ Personȱ vorȱ derȱ Grundlegungȱ derȱ Welt)ȱ vorausgesetztȱ istȱ sowieȱ inȱ Römȱ 16,25ȱ undȱ Titȱ 1,2ȱ mitschwingt,ȱ scheintȱ eineȱ solcheȱ AusȬ drucksweiseȱoffensichtlichȱinȱdenȱ(nach)paulinischenȱTraditionenȱkeineȱ Problemeȱbereitetȱzuȱhaben.108ȱ 2Timȱ1,9ȱsprichtȱalsoȱeinerseitsȱvonȱderȱbereitsȱpräexistentenȱGabeȱ derȱ Gnadeȱ inȱ Christus,ȱ welcherȱ andererseitsȱ (pro. cro,nwn aivwni,wnȱ –ȱ de. nu/n)ȱdieȱgegenwärtigȱbereitsȱerfolgteȱOffenbarmachungȱ(AoristȱPassiv)ȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 104ȱȱ Hierȱ bestehenȱ auchȱ Analogienȱ zuȱ Titȱ 3,5;ȱ soȱ v.a.ȱ überȱ denȱ Werkbegriffȱ (dortȱ allerȬ dingsȱtheologischȱüberhöhtȱdurchȱdenȱinstrumentalenȱDativȱevn dikaiosu,nh|),ȱdemȱdortȱ inȱeinerȱnichtȱganzȱsymmetrischenȱFormulierungȱ(ou,k evxȱ…ȱavlla. kata,)ȱdieȱBarmherȬ zigkeitȱGottesȱgegenübergestelltȱwird.ȱDiesȱsagtȱjedochȱnochȱnichtsȱüberȱdieȱArtȱderȱ literarischenȱBeziehungenȱaus.ȱ 105ȱȱ Allerdingsȱ fehltȱ dortȱ dieȱ Kombinationȱ mitȱ demȱ Verbȱ di,dwmi.ȱ Vgl.ȱ außerdemȱ Römȱ 8,28;ȱ 9,11ȱ undȱ Ephȱ 1,11ȱ zurȱ Verwendungȱ vonȱ pro,qesijȱ alsȱ Bezeichnungȱ desȱ RatȬ schlussesȱ Gottesȱ „imȱ Sinnȱ einesȱ vorȱ undȱ jenseitsȱ derȱ Geschichteȱ liegendenȱ HeilsȬ entscheides“ȱ(BALZ,ȱArt.ȱpro,qesij,ȱ374).ȱ 106ȱȱ Inȱ 1Korȱ 1,4ȱ sogarȱ unterȱ Verwendungȱ derȱ evn Cristw/|ȬFormel;ȱ vgl.ȱ Römȱ 12,3.6;ȱ 15,15;ȱ 1Korȱ3,10;ȱ2Korȱ8,1;ȱGalȱ2,9;ȱEphȱ3,2.7f;ȱ4,7,ȱvgl.ȱaußerdemȱ2Thessȱ2,16;ȱJakȱ4,6;ȱ1Petrȱ 5,5.ȱ 107ȱȱ Vgl.ȱaberȱ WINDISCH,ȱChristologie,ȱ224,ȱderȱhierȱvonȱeinerȱideellenȱPräexistenzȱspreȬ chenȱwill,ȱsowieȱzuȱdemȱProblemȱBROER,ȱ EinleitungȱII,ȱ553;ȱSTETTLER,ȱChristologie,ȱ 134f.155;ȱ OBERLINNER,ȱ 2Tim,ȱ 40;ȱ ROLOFF,ȱ Lebensnorm,ȱ 156ȱ (Dasȱ Präexistenzdenkenȱ „wirdȱ transformiertȱ inȱ denȱ wesentlichȱ undramatischerenȱ Gedankenȱ einerȱ PräȬ existenzȱdesȱHeilsratschlussesȱGottes,ȱderȱinȱderȱEpiphanieȱChristiȱmanifestȱwird“).ȱ Ohneȱ Darstellungȱ desȱ Problemsȱ SÖDING,ȱ Erscheinen,ȱ 160,ȱ derȱ eineȱ vollȱ entwickelteȱ Präexistenzchristologieȱvorausgesetztȱsehenȱwill.ȱ 108ȱȱ ZurȱMöglichkeit,ȱdassȱesȱsichȱbeiȱRömȱ16,25–27ȱumȱeineȱnachpaulinischeȱInterpolaȬ tionȱhandelt,ȱvgl.ȱHAACKER,ȱRöm,ȱ368f;ȱWILCKENS,ȱRömȱIII,ȱ147ȱu.ö.ȱ

1.ȱȱChristologieȱundȱSoteriologieȱ

143ȱ

durchȱ dieȱ Erscheinungȱ desȱ Retters109ȱ Christusȱ Jesusȱ kontrastierendȱ gegenüberȱ gestelltȱ wird.ȱ Diesesȱ Retterseinȱ wirdȱ abschließendȱ durchȱ zweiȱ paralleleȱ Partizipienȱ entfaltet,ȱ welcheȱ aufȱ Christusȱ zuȱ beziehenȱ sindȱ undȱ inhaltlichȱ einȱ negativȬpositivesȱ Gegensatzpaarȱ darstellen:ȱ Christusȱ hatȱ denȱ Todȱ vernichtetȱ undȱ dasȱ Lebenȱ undȱ dieȱ UnvergängȬ lichkeitȱansȱLichtȱgebracht.ȱChristusȱdientȱhierȱzugleichȱalsȱBindegliedȱ zwischenȱdemȱvorzeitigenȱundȱdemȱjetzigenȱGeschehen.110ȱȱ

1.1.4.2ȱȱDieȱVerwendungȱderȱweiterenȱDerivateȱimȱ2.ȱTimotheusbriefȱ DieȱVerwendungȱdesȱVerbsȱinȱ1,9fȱstehtȱinȱengemȱZusammenhangȱmitȱ derȱ Bezeichnungȱ Christiȱ alsȱ swth,rȱ undȱ bindetȱ dieseȱ ChristusprädikaȬ tionȱzurückȱanȱdasȱrettendeȱHandelnȱGottesȱselbst.ȱȱ Dieȱ zweiteȱ Verwendungȱ vonȱ sw,|zwȱ imȱ 2Timȱ findetȱ sichȱ imȱ AnȬ schlussȱ anȱ persönlicheȱ Notizenȱ desȱ Apostelsȱ Paulusȱ überȱ denȱ Verlaufȱ derȱ bisherigenȱ Haft:ȱ Demȱ Verlassenseinȱ durchȱ seineȱ Mitstreiterȱ (4,16)ȱ wirdȱderȱBeistandȱdurchȱdenȱku,riojȱkontrastiertȱ(4,17).111ȱSeinȱRettungsȬ handelnȱ wirdȱ mitȱ demȱ bereitsȱ alttestamentlichȱ belegtenȱ Bildȱ derȱ RetȬ tungȱausȱdemȱRachenȱdesȱLöwenȱ(Yȱ21,22;ȱ1Makkȱ2,60;ȱDanȱ6,21.27ȱq)ȱ beschrieben.ȱV.18ȱinsgesamtȱbildetȱdenȱdoxologischenȱAbschlussȱdiesesȱ Gedankens:112ȱDieserȱVersȱgreiftȱdieȱbereitsȱgescheheneȱRettungȱdurchȱ dieȱ Rekurrenzȱ desȱ Verbsȱ r`uo, maiȱ semantischȱ wiederȱ auf,ȱ formuliertȱ sieȱ futurischȱ um113ȱ undȱ ordnetȱ ihrȱ eineȱ weitere,ȱ mitȱ sw,|zwȱ gebildeteȱ soteriologischeȱ Aussageȱ antithetischȬparallelisierend114ȱ zu,ȱ bevorȱ erȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 109ȱȱ Hierȱ liegtȱ insofernȱ eineȱ gewisseȱ inhaltlicheȱ Näheȱ zumȱ Titusbriefȱ vor,ȱ alsȱ auchȱ dortȱ EpiphanieȱChristiȱundȱderȱSoterbegriffȱsehrȱengȱverbundenȱsind;ȱvgl.ȱdazuȱu.ȱPunktȱ IV.1.2.2.1ȱdieserȱArbeit.ȱ 110ȱȱ Zurȱ Sonderformȱ desȱ hierȱ vorliegendenȱ Revelationsschemasȱ (zurȱ NamensproblemaȬ tikȱ s.o.ȱ S.ȱ 122)ȱ undȱ seinerȱ Näheȱ zuȱ Römȱ 16,25fȱ undȱ Ephȱ 3,8–11ȱ vgl.ȱ grundlegendȱ DAHL,ȱBeobachtungen,ȱpassim;ȱsowieȱaußerdemȱSÖDING,ȱErscheinen,ȱ160;ȱSTETTLER,ȱ Christologie,ȱ 135;ȱ WOLTER,ȱ Weisheit,ȱ 300ff;ȱ DIBELIUS/CONZELMANN,ȱ Pastoralbriefe,ȱ 73;ȱ LÜHRMANN,ȱ Offenbarungsverständnis,ȱ 113–140;ȱ HOLTZMANN,ȱ Pastoralbriefe,ȱ 391.ȱ 111ȱȱ ZuȱderȱFrage,ȱobȱhierȱGottȱoderȱChristusȱalsȱku,riojȱbezeichnetȱwerden,ȱvgl.ȱu.ȱS.ȱ144f.ȱ 112ȱȱ Vgl.ȱ dieȱ Redeȱ vomȱ „siegreichenȱ Ausblick“ȱ beiȱ DIBELIUS/CONZELMANN,ȱ PastoralȬ briefe,ȱ94.ȱ 113ȱȱ EineȱähnlicheȱzeitlicheȱStrukturȱbietetȱ2Korȱ1,10;ȱvgl.ȱzurȱwechselseitigenȱZuordnungȱ beiderȱVerbenȱauchȱRömȱ11,26ȱ(swqh,setaiȱ–ȱo` r`uo,menojȱ[alsȱATȬZitat]).ȱ 114ȱȱ WährendȱdieȱbeidenȱVerbenȱsynonymȱ(r`u,omaiȱ–ȱsw,|zw)ȱgestaltetȱsind,ȱstehenȱihreȱObȬ jekteȱ (pa/n e;rgonȱ –ȱ basilei,a)ȱ inȱ Kontrastȱ zueinander;ȱ vgl.ȱ dazuȱ QUINN/WACKER,ȱ LetȬ ters,ȱ827.ȱ

144ȱ

IV.ȱȱMotivsemantischeȱUntersuchungenȱ

dannȱ mitȱ einerȱ neutestamentlichȱ häufigenȱ Formel115ȱ abschließt.ȱ Dabeiȱ bleibtȱ alleinȱ derȱ Apostelȱ Objektȱ desȱ Rettungsgeschehens,ȱ eineȱ univerȬ saleȱAusweitungȱistȱhierȱnichtȱimȱBlick.116ȱȱ ȱ

Auffälligȱ istȱ dieȱ doppelteȱ Verwendungȱ vonȱ Rettungsvokabular:ȱ Währendȱ r`u,omai,ȱmeistȱkonstruiertȱmitȱevkȱ(soȱauchȱinȱ2Timȱ3,11)117ȱoderȱseltenerȱmitȱavpo,118,ȱ i.d.R.ȱdieȱUmständeȱangibt,ȱausȱdenenȱherausȱjemandȱerrettetȱwird,ȱwirdȱsw,|zwȱ inȱ einemȱ deutlichȱ breiterenȱ semantischenȱ Spektrumȱ verwendetȱ undȱ stehtȱ oftȱ mitȱ Dativȱ (mitȱ evn)119ȱ oderȱ mitȱGenitivȱ (mitȱ dia,)120,ȱ nurȱ inȱ 2Timȱ 4,18ȱ jedochȱmitȱ eivj121,ȱ wasȱ denȱ Terminusȱ inȱ dieȱ Näheȱ paulinischerȱ Rettungsaussagenȱ (eivj swthri,an)ȱrückt.ȱȱ ȱ

Derȱ Wortstammȱ swsȬȱ dientȱ inȱ 4,18ȱ explizitȱ dazu,ȱ denȱ Fluchtpunktȱ göttlichenȱ Rettungshandelnsȱ auszusagen,ȱ inȱ diesemȱ Fallȱ dieȱ basilei,aȱ –ȱ eineȱimȱNeuenȱTestamentȱsinguläreȱKombination.122ȱ ȱ

Dassȱhierȱmitȱdemȱrettendenȱku,riojȱ ChristusȱundȱnichtȱGottȱgemeintȱsei,ȱwirdȱ aufgrundȱ derȱ semantischenȱ Näheȱ zuȱ 2Timȱ 4,1ȱ –ȱ demȱ einzigenȱ anderenȱ Belegȱ fürȱ basilei,aȱ inȱ denȱ Pastȱ insgesamtȱ –ȱ diskutiert:ȱ Daȱ dortȱ vonȱ derȱ zukünftigenȱ basilei,aȱChristiȱdieȱRedeȱsei,ȱmüsseȱderȱku,riojȱauchȱhierȱChristusȱbezeichnen.123ȱ Diesȱ würdeȱ jedochȱ denȱ Bezugȱ derȱ denȱ Versȱ abschließendenȱ Doxologieȱ aufȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 115ȱȱ do,xa eivj tou.j aivw/naj tw/n aivw,nwn( avmh,nȱfindetȱsichȱnochȱGalȱ1,5;ȱPhilȱ4,20;ȱ1Timȱ1,17;ȱ Hebrȱ13,21.ȱ 116ȱȱ AndersȱTOWNER,ȱLetters,ȱ644,ȱderȱaufgrundȱderȱErwähnungȱderȱHeidenȱinȱV.17ȱauchȱ hierȱ einenȱ universalenȱ Skopusȱ annehmenȱ will,ȱ dabeiȱ aberȱ übersieht,ȱ dassȱ V.17ȱ dieȱ Heidenmissionȱ zwarȱ alsȱ Folgeȱ derȱ paulinischenȱ Rettungȱ beschreibenȱ kann,ȱ derȱ AbȬ schnittȱaberȱinȱderȱfuturischenȱRettungȱzunächstȱdesȱApostelsȱalleinȱgipfelt.ȱ 117ȱȱ V.17;ȱvgl.ȱLkȱ1,74;ȱRömȱ7,24;ȱ2Korȱ1,10;ȱKolȱ1,13;ȱ2Thessȱ3,2;ȱ2Petrȱ2,9.ȱ 118ȱȱ V.18;ȱvgl.ȱMtȱ6,13;ȱRömȱ15,31.ȱ 119ȱȱ Apgȱ 4,12;ȱ 11,14;ȱ Römȱ 5,10,ȱ vgl.ȱ Römȱ 8,24ȱ (Dativusȱ respectus);ȱ Ephȱ 2,5.8ȱ (Dativusȱ causae).ȱ 120ȱȱ Apgȱ15,11;ȱRömȱ5,9;ȱ1Korȱ1,21;ȱ3,15;ȱ1Timȱ2,15;ȱTitȱ3,5.ȱ 121ȱȱ GewisseȱAnalogienȱfindenȱsichȱlediglichȱinȱ2Thessȱ2,10ȱ(substantivierterȱInfinitivȱmitȱ eivj)ȱundȱHebrȱ7,25ȱ(swzei,n eivj pantelh,j,ȱvonȱWEISS,ȱHebr,ȱ416,ȱalsȱAusdruckȱderȱauchȱ zeitlichenȱ Vollständigkeitȱ gedeutet;ȱ allerdingsȱ istȱ eivjȱ hierȱ durchȱ dasȱ nachfolgendeȱ Wortȱ undȱ nichtȱ durchȱ dasȱ Verbȱ bestimmt,ȱ soȱ auchȱ Lkȱ 13,11).ȱ Vgl.ȱ außerdemȱ dieȱ Näheȱ zuȱ derȱ deutlichȱ ausführlicherenȱ Formulierungȱ Kolȱ 1,13,ȱ woȱ wieȱ inȱ 2Timȱ 4,18ȱ r`u,omaiȱ undȱ eineȱ aufȱ dieȱ Herrschaftȱ Christiȱ bezogeneȱ Heilsaussageȱ (meqi,sthmi)ȱ paralȬ lelisiertȱwerdenȱkönnen.ȱ 122ȱȱ GLASER,ȱBriefroman,ȱ259,ȱweistȱallerdingsȱnach,ȱdassȱdieȱinȱ2Timȱ4,17fȱverwendetenȱ FormulierungenȱinȱderȱAntikeȱParallelenȱhaben,ȱdieȱeineȱDeutungȱaufȱdenȱbaldigenȱ TodȱalsȱRettungȱausȱdemȱirdischenȱLebenȱplausibelȱmachen.ȱ 123ȱȱ Soȱu.a.ȱTOWNER,ȱLetters,ȱ648;ȱMARSHALL,ȱPastoralȱEpistles,ȱ826;ȱSTETTLER,ȱChristoloȬ gie,ȱ 222.226;ȱ LÄGER,ȱ Christologie,ȱ 86f;ȱ DEICHGRÄBER,ȱ Gotteshymnus,ȱ 33;ȱ HOLTZȬ MANN,ȱPastoralbriefe,ȱ460.ȱ

1.ȱȱChristologieȱundȱSoteriologieȱ

145ȱ

Christusȱ voraussetzen,ȱ wasȱ allerdingsȱ innerhalbȱ derȱ Pastȱ alsȱ demȱ engerenȱ BeȬ zugsrahmenȱsingulärȱwäre.124ȱ Näherȱ liegtȱ hierȱ dieȱ Annahmeȱ derȱ ausȱ derȱ paulinischenȱ Traditionȱ überȬ nommenenȱMöglichkeit,ȱdasȱReichȱChristiȱundȱdasȱReichȱGottesȱnebeneinanderȱ zuȱ stellen.125ȱ Paulusȱ selbstȱ sprichtȱ fastȱ durchgängigȱ vomȱ Reichȱ Gottesȱ (Römȱ 14,17;ȱ1Korȱ4,20;ȱ6,9f;ȱ15,50;ȱGalȱ5,21;ȱ1Thessȱ2,12;ȱvgl.ȱ2Thessȱ1,5),ȱkenntȱjedochȱ auchȱdieȱVorstellungȱvonȱeinemȱzeitlichȱbegrenztenȱReichȱChristiȱ(1Korȱ15,24).ȱ Imȱ deuteropaulinischenȱ Kolȱ sowieȱ demȱ vonȱ ihmȱ literarischȱ abhängigenȱ Ephȱ findetȱsichȱeineȱVerschiebungȱdiesesȱBildes:ȱKolȱkenntȱsowohlȱdasȱReichȱGottes,ȱ anȱdemȱMenschenȱmitarbeitenȱ(4,11),ȱalsȱauchȱdieȱbasilei,a tou/ ui`ou/ th/j avga,phj auvtou/ȱ (1,13)ȱ alsȱ Umschreibungȱ derȱ Heilsgegenwartȱ derȱ Christen.ȱ Ephȱ 5,5ȱ gehtȱ nochȱ darüberȱ hinaus,ȱ wennȱ erȱ aufȱ einȱ gemeinsamesȱ Reichȱ Gottesȱ undȱ Christiȱ verweistȱ(basilei,a tou/ Cristou/ kai. qeou/).ȱȱ Wennȱalsoȱ2Timȱ4,1.18ȱsowohlȱvomȱReichȱChristiȱalsȱauchȱvomȱReichȱdesȱ ku,riojȱ (undȱ alsoȱ Gottes)ȱ sprechenȱ können,ȱ ordnetȱ sichȱ derȱ Briefȱ damitȱ inȱ dieȱ paulinischeȱ Traditionȱ derȱ Redeȱ vonȱ derȱ Königsherrschaftȱ ein.ȱ Dieȱ inȱ 1Korȱ 15ȱ zumindestȱ angedachte,ȱ imȱ Kolȱ ausgeführteȱ undȱ imȱ Ephȱ schließlichȱ explizitȱ vollzogeneȱ Identifikationȱ desȱ GottesȬȱ undȱ Christusreichesȱ findetȱ sichȱ auchȱ imȱ letztenȱ Kapitelȱ desȱ 2Timȱ angedeutet,ȱ ohneȱ dassȱ anȱ dieserȱ Stelleȱ damitȱ eineȱ ReflexionȱdesȱVerhältnissesȱvonȱGottȱundȱChristusȱverbundenȱwäre.ȱ ȱ

Nebenȱsw,|zwȱkannȱPaulusȱimȱ2Timȱauchȱr`uo, maiȱverwenden,ȱumȱdasȱRetȬ tungshandelnȱdesȱKyriosȱauszudrücken.ȱ ȱ

Nebenȱ4,17fȱfindetȱsichȱdieseȱVerbformȱnochȱinȱ3,11ȱinȱeinerȱzusammenfassenȬ denȱ Beschreibungȱ desȱ vergangenenȱ göttlichenȱ Rettungshandelnsȱ (auchȱ hierȱ stehtȱ wiederȱ ku,rioj),ȱ woȱ Paulusȱ dieȱ eigeneȱ Errettungȱ mitȱ demȱ Wissenȱ umȱ zuȬ künftigȱ vonȱ anderenȱ Christenȱ zuȱ ertragendeȱ Verfolgungenȱ zusammenbindetȱ undȱdamitȱdieȱanȱihmȱparadigmatischȱverwirklichteȱRettungsmöglichkeitȱauchȱ denȱ anderenȱ vorȱ Augenȱ stellt.126ȱ Eineȱ solcheȱ Gewissheitȱ derȱ zukünftigenȱ RetȬ tungȱbasiertȱaufȱdenȱvergangenenȱRettungserfahrungen,ȱwieȱsieȱPaulusȱinȱ4,17ȱ mithilfeȱmetaphorischerȱSpracheȱzusammenfasst.ȱ ȱ

Paulusȱ kombiniertȱ inȱ 2Timȱ 4,17fȱ dasȱ „negativeȱ motifȱ ofȱ rescueȱ fromȱ danger“ȱmitȱdemȱ„positiveȱmotifȱofȱentryȱintoȱtheȱkingdom“127,ȱbevorȱerȱ diesenȱGedankengangȱmitȱeinerȱDoxologieȱabschließt,ȱdieȱhierȱalsȱfeierȬ licheȱVollendungȱdesȱmetaphorischȱgefülltenȱAbschnittsȱfungiert.ȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 124ȱȱ Vgl.ȱHebrȱ13,21;ȱ1Petrȱ4,11;ȱApkȱ1,6(;ȱ11,15),ȱvgl.ȱhingegenȱ1Timȱ1,17;ȱ6,15ȱmitȱGottesȬ bezug.ȱ 125ȱȱ Vgl.ȱu.a.ȱSTUHLMACHER,ȱTheologieȱII,ȱ25.ȱ 126ȱȱ Vgl.ȱzuȱ2Timȱ3,11ȱPunktȱIV.4.3.2.2ȱdieserȱArbeit.ȱ 127ȱȱ MARSHALL,ȱPastoralȱEpistles,ȱ825.ȱSTETTLER,ȱChristologie,ȱ224,ȱbegründetȱdiesȱdamit,ȱ dassȱ hierȱ nichtȱ wieȱ sonstȱ dasȱ Eingehenȱ inȱ dieȱ Königsherrschaftȱ selbstȱ dieȱ Rettungȱ bezeichne,ȱsondernȱdieseȱalsȱZielpunktȱnochȱextraȱgenanntȱwerde.ȱ

146ȱ

IV.ȱȱMotivsemantischeȱUntersuchungenȱ

Währendȱ sämtlicheȱ Rettungsverbenȱ Gottȱ alsȱ Subjektȱ habenȱ –ȱ wobeiȱ diesȱbesondersȱinȱ1,9fȱalsȱdezidiertȱtheologischeȱBegründungȱchristologiȬ schenȱGeschehensȱdientȱ–,ȱstehtȱdasȱAbstraktumȱswthri,aȱimȱGegensatzȱ dazuȱmitȱchristologischemȱBezug.ȱ DiesesȱSubstantivȱfindetȱsichȱinȱdenȱPastoralbriefenȱnurȱinȱ2Tim:ȱInȱ 2,10ȱ stehtȱ esȱ imȱ Kontextȱ derȱ Aufforderungȱ anȱ Timotheus,ȱ alsȱ guterȱ StreiterȱChristiȱzuȱkämpfenȱundȱsichȱdieȱLeidenȱdesȱApostelsȱzumȱVorȬ bildȱzuȱnehmen.ȱBeidesȱwirdȱinȱV.8.10ȱchristologischȱzusammengebunȬ den,128ȱwobeiȱzuerstȱmitȱeinerȱanȱdieȱtraditionelleȱFormelȱRömȱ1,3fȱerinȬ nerndenȱ Formulierungȱ dieȱ Auferstehungȱ Jesuȱ ausȱ denȱ Totenȱ alsȱ Zentrumȱ desȱ christlichenȱ Bekenntnissesȱ ausgesagtȱ wird,ȱ welchesȱ hierȱ dezidiertȱ alsȱ paulinischesȱ Evangeliumȱ bezeichnetȱ wirdȱ (to. euvagge,lio,n mou).129ȱ V.9fȱ verknüpfenȱ diesesȱ dannȱ mitȱ demȱ paulinischenȱ LeidensgeȬ schick,ȱindemȱzunächstȱderȱKontrastȱzwischenȱdemȱfreienȱWortȱGottesȱ undȱseinemȱgebundenenȱVerkündigerȱ(V.9)130ȱundȱdaranȱanschließendȱ Begründungȱ (V.10a:ȱ dia. tou/to)ȱ undȱ Zielȱ (V.10b:ȱ i[na)ȱ derȱ paulinischenȱ Existenzȱ formuliertȱ werden.ȱ Dieseȱ kommtȱ allerdingsȱ nichtȱ pauschalȱ allenȱ Menschen,ȱ sondernȱ dezidiertȱ denȱ Auserwähltenȱ zugute,ȱ derenȱ Zielȱ dieȱ Erlangungȱ derȱ „Rettungȱ beiȱ Christusȱ Jesusȱ mitȱ ewigerȱ HerrȬ lichkeit“ȱist.131ȱHierȱzeigtȱsichȱerneutȱdieȱchristologischeȱKonzentrationȱ desȱ swsȬWortstammesȱ imȱ 2Tim,ȱ daȱ dasȱ Abstraktumȱ durchȱ denȱ ChrisȬ tusnamenȱ seineȱ inhaltlicheȱ Bestimmungȱ vonȱ Christusȱ herȱ erhält.ȱ Diesȱ wirdȱdurchȱdieȱsichȱinȱV.11–13ȱanschließende,ȱmitȱderȱFormelȱpisto.j o` lo,gojȱeingeleiteteȱTraditionȱinhaltlichȱgefüllt.ȱGleichzeitigȱfälltȱaberȱauf,ȱ dassȱ dieȱ Bedeutungȱ desȱ Leidensȱ Christiȱ zugunstenȱ einerȱ heilsgeȬ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 128ȱȱ Vgl.ȱjedochȱdieȱdieseȱengeȱchristologischeȱEinbindungȱübersehendeȱBehauptungȱeiȬ nerȱ Heilsmittlerschaftȱ desȱ Paulusȱ (z.B.ȱ beiȱ JEREMIAS,ȱ Pastoralbriefeȱ [1975],ȱ 54:ȱ „Seinȱ LeidenȱkommtȱstellvertretendȱdenȱBrüdernȱzugute“;ȱvgl.ȱdieȱDiskussionȱbeiȱWANKE,ȱ Paulus,ȱ183).ȱVgl.ȱzurȱBedeutungȱderȱPersonȱdesȱPaulusȱinȱdenȱPastoralbriefenȱPunktȱ IV.4ȱdieserȱArbeit.ȱ 129ȱȱ Vgl.ȱzurȱBedeutungȱdieserȱFormulierungȱdenȱExkursȱzumȱTerminusȱeuvse,beiaȱinȱdenȱ PastoralbriefenȱabȱS.ȱ345.ȱ 130ȱȱ Ähnlichȱ 2Timȱ 1,12,ȱ woȱ sichȱ ebenfallsȱ unmittelbarȱ anȱ dasȱ Christuskerygmaȱ dieȱ ErȬ wähnungȱ desȱ paulinischenȱ Leidensgeschicksȱ anschließt.ȱ ROLOFF,ȱ Lebensnorm,ȱ 162,ȱ siehtȱinȱdemȱGegensatzȱzwischenȱfreiemȱWortȱGottesȱundȱgebundenemȱApostelȱeineȱ WiederaufnahmeȱdesȱinȱV.8ȱformuliertenȱKontrastesȱzwischenȱLeidenȱundȱHerrlichȬ keitȱChristi.ȱ 131ȱȱ DieȱPhraseȱswthri,aj tugca,neinȱfindetȱsichȱsonstȱnichtȱmehrȱimȱNeuenȱTestamentȱ(vgl.ȱ aberȱBell.ȱVIȱ321;ȱAnt.ȱXIIȱ344);ȱsieȱfehltȱauchȱinȱderȱSeptuagintaȱsowieȱderȱaltkirchliȬ chenȱ Literatur,ȱ weistȱ aberȱ inhaltlicheȱ Nähenȱ zuȱ soteriologischenȱ Aussagenȱ inȱ Lkȱ 20,35ȱundȱHebrȱ11,35ȱauf.ȱVgl.ȱdazuȱinsgesamtȱQUINN/WACKER,ȱLetters,ȱ629,ȱsowieȱ STETTLER,ȱChristologie,ȱ183.ȱ

1.ȱȱChristologieȱundȱSoteriologieȱ

147ȱ

schichtlichenȱ Interpretationȱ desȱ paulinischenȱ Geschicksȱ zurücktritt:ȱ Paulusȱ istȱ es,ȱ derȱ allesȱ umȱ derȱ Auserwähltenȱ willenȱ erduldet.ȱ Soȱ istȱ ChristusȱhierȱInhaltȱderȱRettung,ȱnichtȱjedochȱdasȱMedium.ȱ ȱ Inȱ2Timȱ3,15ȱfindetȱsichȱderȱzweiteȱBelegȱfürȱswthri,aȱimȱ2Tim.ȱDerȱSkoȬ pusȱdieserȱPerikopeȱistȱeinȱpädagogischer:ȱVorȱdemȱnegativenȱHinterȬ grundȱ desȱ Fehlverhaltensȱ derȱ Irrlehrerȱ (3,1ff)ȱ wirdȱ zunächstȱ indikaȬ tivischȱ (V.10ff)ȱ dasȱ positiveȱ Gegenbildȱ desȱ Timotheusȱ gezeichnetȱ undȱ erȱschließlichȱimperativischȱ(V.14f)ȱzumȱBleibenȱinȱdemȱBekanntenȱundȱ Gelerntenȱ aufgefordert.132ȱ V.14ȱschließtȱ mitȱ einemȱ bestätigendenȱ eivdw,j,ȱ vonȱ welchemȱ zunächstȱ einȱ Relativsatzȱ abhängigȱ istȱ undȱ woranȱ sichȱ anakoluthischȱ derȱ durchȱ kai. o[tiȱ eingeleiteteȱ V.15ȱ anschließt.ȱ Durchȱ diesenȱ wirdȱ dieȱ seitȱ Kindheit133ȱ bestehendeȱ Kenntnisȱ derȱ Heiligenȱ Schriftenȱ –ȱ „welcheȱ dieȱ Kraftȱ haben,ȱ dichȱ weiseȱ zuȱ machenȱ hinȱ zurȱ Rettungȱ durchȱ denȱ Glaubenȱ inȱ Christusȱ Jesus“ȱ –ȱ inhaltlichȱ demȱ GeȬ lerntenȱ parallelisiertȱ undȱ zugleichȱ teleologischȱfokussiert.ȱ Imȱ Zentrumȱ stehtȱhierȱalsoȱkeineswegsȱdieȱInspiriertheitȱderȱSchrift,134ȱsondernȱvielȬ mehrȱihreȱpädagogischeȱFunktion135ȱimȱHinblickȱaufȱdenȱZielpunktȱderȱ RettungȱdurchȱGlauben.ȱȱ ȱ

DieseȱDeutungȱsetztȱvoraus,ȱdieȱFormulierungȱdia. pi,stewjȱaufȱdasȱunmittelbarȱ vorherȱ stehendeȱ Substantivȱ swthri,aȱ zuȱ beziehen,ȱ soȱ dassȱ dieȱ Rettungȱ durchȱ Glaubenȱ charakterisiertȱ wäre.ȱ Syntaktischȱ möglichȱ wäreȱ allerdingsȱ auchȱ derȱ Rückbezugȱ vonȱ dia,ȱ mitȱ Genitivȱ aufȱ dasȱ Verbȱ sofi,zw,ȱ wasȱ implizierenȱ würde,ȱ dassȱ dieȱ verstehendeȱ Schriftlektüreȱ denȱ Glaubenȱ voraussetzt.ȱ Dieȱ damitȱ verȬ bundeneȱ antijüdischeȱ Spitzeȱ passtȱ jedochȱ nichtȱ zuȱ derȱ sonstȱ deutlichȱ werdenȬ denȱ Haltungȱ desȱ 2Timȱ zumȱ Judentum.ȱ Plausiblerȱ erscheintȱ zudemȱ aufgrundȱ derȱSatzstellungȱdieȱersteȱderȱbeidenȱMöglichkeiten.ȱ ȱ

V.16ȱschließtȱthematischȱunmittelbarȱan.136ȱWährendȱallerdingsȱV.16ȱderȱ inspiriertenȱ Schriftȱ eineȱ pädagogischeȱ Funktionȱ imȱ Alltagȱ einräumt,ȱ gibtȱdieȱdurchȱChristusȱerfolgendeȱRettungȱdasȱeschatologischeȱZielȱan,ȱ aufȱdasȱhinȱdieȱErziehungȱdurchȱdieȱSchriftȱwirkenȱsoll.ȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 132ȱȱ V.10ȱundȱV.14ȱbeginnenȱjeweilsȱmitȱbetontemȱsu. de,.ȱ 133ȱȱ Vgl.ȱ zuȱ diesemȱ Motivȱ 2Timȱ 1,5ȱ sowieȱ 1Timȱ 4,6;ȱ vgl.ȱ dazuȱ insgesamtȱ dieȱ UntersuȬ chungȱdesȱPaulusbildesȱunterȱPunktȱIV.4ȱdieserȱArbeit.ȱ 134ȱȱ Dieseȱ istȱ hierȱ vielmehrȱ vorausgesetzt,ȱ vgl.ȱ dazuȱ grundlegendȱ HERZER,ȱ Inspiration,ȱ passim.ȱ 135ȱȱ Vgl.ȱ2Timȱ2,25;ȱTitȱ2,12.ȱ 136ȱȱ Esȱ fälltȱ allerdingsȱ auf,ȱ dassȱ anstelleȱ vonȱ i`era. gra,mmataȱ nunȱ vonȱ pa/sa grafh,ȱ gesproȬ chenȱ wird;ȱ damitȱ istȱ jedochȱ unzweifelhaftȱ derȱ gleicheȱ Gegenstandȱ gemeint;ȱ vgl.ȱ HÄFNER,ȱSchrift,ȱbes.ȱ260–273;ȱHANSON,ȱStudies,ȱ42–54ȱbes.ȱ43.ȱ

148ȱ

IV.ȱȱMotivsemantischeȱUntersuchungenȱ

1.1.4.3ȱȱZusammenfassungȱ DassȱdieȱHäufigkeitȱderȱSoterȬVerwendungȱgegenüberȱdenȱbeidenȱanȬ derenȱPastoralbriefenȱzurücktritt,ȱistȱbereitsȱnotiertȱworden:ȱAndersȱalsȱ inȱ 1Timȱ undȱ Titȱ fehltȱ dieȱ Titulierungȱ Gottesȱ alsȱ Retter,ȱ nurȱ Christusȱ selbstȱwirdȱsoȱbezeichnetȱ–ȱallerdingsȱnurȱeinȱMal.ȱDamitȱrücktȱinȱBeȬ zugȱaufȱdiesenȱBegriffȱ2TimȱdeutlichȱnäherȱanȱdieȱProtopaulinenȱheranȱ alsȱ dieȱ beidenȱ anderenȱ Pastoralbriefe,ȱ daȱ Paulusȱ ebenfallsȱ nurȱ vonȱ Christusȱ selbstȱ alsȱ Retterȱ sprichtȱ (Philȱ 3,20).137ȱ Inȱ Umkehrungȱ derȱ begrifflichenȱVerwendungȱimȱ1Timȱistȱimȱ2TimȱzwarȱGottȱSubjektȱdesȱ sowohlȱmitȱsw,|zwȱalsȱauchȱmitȱr`uo, maiȱausgedrücktenȱRettungshandelnsȱ (1,9;ȱ 3,11;ȱ 4,17f),ȱ Christusȱ selbstȱ jedochȱ derȱ Retterȱ (1,10),ȱ soȱ dassȱ hierȱ andersȱ alsȱ inȱ 1Timȱ undȱ Titȱ vonȱ einerȱ theologischenȱ Entfaltungȱ diesesȱ christologischenȱ Prädikatsȱ zuȱ sprechenȱ ist.ȱ Dazuȱ passt,ȱ dassȱ auchȱ dieȱ swthri,aȱ alsȱ Zielpunktȱ christlicherȱ Existenzȱ stetsȱ einenȱ christologischenȱ Bezugȱhat.ȱAußerdemȱfälltȱauf,ȱdassȱderȱWortstammȱswsȬȱimȱ2TimȱgeȬ genüberȱ denȱ beidenȱ anderenȱ Pastȱ wenigerȱ universalȱ ausgerichtetȱ ist,ȱ sondernȱzunächstȱeineȱAussageȱüberȱdieȱchristlicheȱGemeindeȱ(1,9f)ȱalsȱ dieȱAuserwähltenȱ(2,10)ȱtrifft.ȱ2Timȱ3,15ȱundȱ4,17fȱhabenȱexplizitȱsogarȱ nurȱdenȱangeredetenȱTimotheusȱbzw.ȱPaulusȱselbstȱimȱBlickȱ(vgl.ȱ3,11),ȱ allerdingsȱ gehenȱ 3,12.15ȱ insofernȱ überȱ dieseȱ individuelleȱ GottesbezieȬ hungȱhinaus,ȱalsȱdieȱRettungȱdesȱPaulusȱalsȱVorbildȱderȱHoffnungȱauchȱ fürȱ andereȱ dientȱ bzw.ȱ dieȱ Möglichkeitȱ derȱ Rettungȱ durchȱ dieȱ Schriftȱ jedemȱoffenȱsteht.ȱ

1.1.5ȱȱErgebnisȱ Dieȱ Untersuchungȱ desȱ Wortstammesȱ swsȬȱ hatȱ deutlicheȱ AkzentverȬ schiebungenȱzwischenȱdenȱeinzelnenȱBriefenȱaufgezeigt.ȱDassȱdasȱRetȬ tungsmotivȱ inȱ allenȱ dreiȱBriefenȱ eineȱzentraleȱRolleȱ spielt,ȱ istȱ zwarȱ ofȬ fensichtlich,ȱdarfȱjedochȱnichtȱdarüberȱhinwegtäuschen,ȱdassȱdamitȱjeȬ weilsȱ unterschiedlicheȱ Intentionenȱ verbundenȱ sind:138ȱ Zwarȱ könnenȱ sichȱ alleȱ dreiȱ Briefeȱ diesesȱ Wortfeldesȱ zurȱ theologischenȱ UntermaueȬ rungȱ ihrerȱ Argumentationȱ bedienen,ȱ dochȱ verwendenȱ nurȱ Titȱ undȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 137ȱȱ Damitȱ istȱ allerdingsȱ keineȱ Aussageȱ überȱ eineȱ paulinischeȱ Abfassungȱ desȱ 2Timȱ getroffen;ȱvgl.ȱdazuȱinsgesamtȱdieȱPunkteȱVȱundȱVIȱdieserȱArbeit.ȱ 138ȱȱ Vgl.ȱjedochȱdenȱwenigȱüberzeugendenȱVersuchȱbeiȱSTETTLER,ȱChristologie,ȱ282,ȱdieseȱ verschiedenenȱKonzepteȱzuȱharmonisieren:ȱDieȱ„UnterordnungȱJesuȱunterȱdenȱVaterȱ beiȱvollerȱGleichwertigkeit“ȱseiȱ„einȱCharakteristikumȱderȱChristologieȱderȱPast“.ȱ

1.ȱȱChristologieȱundȱSoteriologieȱ

149ȱ

1TimȱbereitsȱimȱPräskriptȱdiesenȱTitelȱ(1TimȱdabeiȱnurȱfürȱGottȱselbst,ȱ Titȱ fürȱ Gottȱ undȱ Christus)ȱ undȱ bietenȱ damitȱ eineȱ Leseanweisungȱ fürȱ dasȱFolgende.ȱȱ AuchȱdieȱZuordnungȱdesȱRetterepithetonsȱzuȱdenȱbeidenȱgöttlichenȱ Personenȱ erfolgtȱ inȱ denȱ einzelnenȱ Briefenȱ aufȱ unterschiedlicheȱ Weise.ȱ TitȱkannȱvonȱGottȱundȱChristusȱalsȱRetternȱsprechenȱundȱtutȱdiesȱzweiȬ malȱinȱunmittelbarerȱParallelität,ȱwohlȱumȱdieȱwechselseitigeȱBezogenȬ heitȱ Gottesȱ undȱ Christiȱ inȱ ihrerȱ soteriologischenȱ Funktionȱ zuȱ betonen:ȱ „Dieȱ Kongruenzȱ istȱ gewollt:ȱ Gottȱ trittȱ alsȱ Retterȱ inȱ undȱ durchȱ Jesusȱ ChristusȱinȱErscheinung;ȱJesusȱselbstȱoffenbartȱinȱpersona,ȱdaßȱGottȱderȱ RetterȱistȱundȱworinȱseinȱHeilswilleȱbesteht.ȱInȱdieserȱKongruenzȱliegtȱ auchȱ dieȱ theologischeȱPointe.“139ȱ Nurȱ Titȱ 2,13ȱ durchbrichtȱ diesesȱ MusȬ ter,ȱumȱinȱbetonterȱSchlussstellungȱChristusȱalsȱdieȱPersonifikationȱderȱ Herrlichkeitȱ Gottesȱ hervorzuheben.ȱ Derȱ TitȬVerfasserȱ kannȱ dabeiȱ aufȱ SoterȬTraditionenȱ zurückgreifenȱ (2,10.11–14;ȱ 3,4–6)ȱ undȱ derenȱ GrundȬ aussageȱ durchȱ eineȱ eigeneȱ Reformulierungȱ imȱ Präskriptȱ zuȱ einemȱ theologischenȱ Zentrumȱ seinesȱ Briefesȱ machen.ȱ 1Timȱ hingegenȱ charakȬ terisiertȱ nurȱGottȱ selbstȱ alsȱ Retterȱ (1,1ȱ[ebensoȱ wieȱ imȱ Titȱ erfolgtȱdieseȱ Zuordnungȱ programmatischȱ imȱ Präskript];ȱ 2,3;ȱ 4,10),ȱ wobeiȱ dieȱ imȱ kürzestenȱ Pastȱ zuȱ beobachtendeȱ christologischeȱ Rückbindungȱ hierȱ deutlichȱ zurücktritt:ȱ Nurȱ inȱ 1Timȱ 2,3–6ȱ wirdȱ Gottesȱ Retterseinȱ durchȱ dasȱ Heilshandelnȱ Christiȱ alsȱ menschlichenȱ Mittlersȱ näherȱ bestimmt;ȱ umgekehrtȱ kannȱ vonȱ Christusȱ ohneȱ unmittelbareȱ Verankerungȱ inȱ derȱ Gotteslehreȱalsȱdemȱgesprochenȱwerden,ȱderȱinȱdieȱWeltȱgekommenȱist,ȱ umȱdieȱSünderȱzuȱrettenȱ(1,15).ȱ2TimȱbietetȱwiederumȱeinȱanderesȱBild,ȱ wennȱhierȱinȱgrößererȱNäheȱzuȱPaulusȱlediglichȱvonȱChristusȱselbstȱalsȱ Retterȱ undȱ vonȱ derȱ christologischȱ gefülltenȱ Rettungȱ (swthri,a)ȱ gesproȬ chenȱ wird.ȱ Diesesȱ Retterseinȱ Christiȱ wirdȱ dabeiȱ –ȱ inȱ Kontrastȱ zuȱ imȱ 1Timȱ erkennbarenȱ Tendenzenȱ –ȱ theologischȱ entfaltetȱ durchȱ Gottȱ alsȱ SubjektȱdesȱRettungshandelnsȱ(vgl.ȱ1,9f;ȱ4,17f).ȱ Auchȱ imȱ Hinblickȱ aufȱ denȱ universalenȱ Skopusȱ diesesȱ Begriffsȱ lasȬ senȱ sichȱ Unterschiedeȱ feststellen:ȱ Währendȱ Titȱ mitȱ demȱ Wortstammȱ swsȬȱ einenȱ Heilsuniversalismusȱ verbindet,ȱ schränkenȱ dieȱ beidenȱ TiȬ motheusbriefeȱ diesȱ deutlichȱ ein:ȱ 1Timȱ machtȱ dieȱ Zugehörigkeitȱ zurȱ christlichenȱGemeindeȱ(desȱVerfassers)ȱzurȱBedingungȱfürȱdieȱRealisieȬ rungȱdesȱuniversalenȱRettungswillensȱGottesȱ(2,4,ȱvgl.ȱ4,10.18)ȱundȱlässtȱ damitȱ einȱ deutlichesȱ „kirchenpolitisches“ȱ Interesseȱ erkennen;ȱ gleichȬ zeitigȱ wirdȱ aufȱ dieseȱ Weiseȱ Paulusȱ selbstȱ zumȱ Paradigmaȱ desȱ HeilsȬ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 139ȱȱ SoȱSÖDING,ȱErscheinen,ȱ173,ȱdemȱdamitȱzumindestȱinȱBezugȱaufȱTitȱRechtȱzuȱgebenȱ ist.ȱȱ

150ȱ

IV.ȱȱMotivsemantischeȱUntersuchungenȱ

handelnsȱChristi.ȱ2TimȱrichtetȱseinenȱBlickȱ–ȱsicherlichȱseinenȱGattungsȬ spezifikaȱgeschuldetȱ–ȱv.a.ȱaufȱPaulusȱundȱTimotheus.ȱȱ Damitȱ istȱ augenfällig,ȱ dassȱ nichtȱ vonȱ einerȱ gemeinsamenȱ RetterȬ konzeptionȱderȱdreiȱSchreibenȱgesprochenȱwerdenȱkann,ȱsondernȱdassȱ dieȱ jeweiligenȱ Begriffsverwendungenȱ inȱ ihrerȱ Eigenständigkeitȱ ernstȱ genommenȱ werdenȱ müssen.ȱ Hierausȱ Rückschlüsseȱ aufȱ eineȱ zeitlicheȱ ReihenfolgeȱderȱBriefeȱoderȱgarȱaufȱihreȱVerfasserschaftȱziehenȱzuȱwolȬ len,ȱerscheintȱjedochȱverfrüht.140ȱ

1.2ȱȱDieȱRedeȱvonȱder evpifa,neiaȱChristiȱ–ȱ einȱchristologischesȱLeitmotivȱderȱPastoralbriefe?ȱ 1.2.1ȱȱDerȱWortstammȱ(evpi)fanȬȱalsȱSpezifikumȱderȱPastoralbriefeȱ Ebensoȱ wieȱ dieȱ Verwendungȱ desȱ Begriffsȱ swth,rȱ giltȱ dieȱ Redeȱ vonȱ derȱ EpiphanieȱJesuȱChristiȱseitȱVictorȱHaslerȱalsȱeinesȱderȱHauptmerkmaleȱ derȱ Pastoralbriefe:141ȱ Diesenȱ Begriffȱ bevorzugeȱ derȱ Autorȱ derȱ dreiȱ Schreibenȱ nichtȱ nurȱ zurȱ Beschreibungȱ desȱ vergangenenȱ undȱ zukünftiȬ genȱ Heilswirkensȱ Christi,ȱ sondernȱ verwendeȱ ihnȱ auchȱ zurȱ Verortungȱ derȱ eigenenȱ Gemeindeȱ inȱ derȱ „Zwischenzeit“142ȱ zwischenȱ denȱ beidenȱ Epiphanien.143ȱ Manȱ müsseȱ alsoȱ inȱ Bezugȱ aufȱ dieȱ Pastȱ vonȱ einerȱ „EpiȬ phaniechristologie“ȱreden.144ȱ InnerhalbȱderȱPastoralbriefeȱzeigtȱsichȱallerdingsȱeineȱunterschiedliȬ cheȱAufteilungȱundȱVerwendungȱderȱTerminologie:ȱStehtȱimȱ1Timȱnurȱ einȱMalȱdasȱSubstantivȱevpifa,neiaȱ(6,14),ȱsoȱwirdȱesȱimȱdeutlichȱkürzerenȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 140ȱȱ Vgl.ȱaberȱMAYER,ȱPastoralbriefe,ȱ20.25,ȱderȱausȱsolchenȱBeobachtungenȱaufȱdieȱEntȬ stehungsreihenfolgeȱ 2Timȱ –ȱ 1Timȱ –ȱ Titȱ schließt.ȱ FUCHS,ȱ Unterschiede,ȱ 99,ȱ hingegenȱ willȱsogarȱerkennen,ȱdassȱaufgrundȱdesȱunterschiedlichenȱGebrauchsȱ„[e]inȱeinheitȬ lichȱ konzipierenderȱ Pseudonymosȱ […]ȱ alsȱ Verfasserȱ jedenfallsȱ aus[scheidet]“,ȱ ohneȱ sichȱdarüberȱRechenschaftȱabzulegen,ȱwieȱdiesȱmitȱseinerȱAnnahmeȱeinerȱAbfassungȱ allerȱdreiȱBriefeȱdurchȱPaulusȱselbstȱ(undȱdamitȱebenfallsȱdurchȱeinenȱeinzigenȱVerȬ fasser)ȱzuȱvereinbarenȱsei.ȱ 141ȱȱ HASLER,ȱEpiphanie,ȱpassim.ȱ 142ȱȱ SoȱeinȱbereitsȱzitiertesȱDiktumȱReisers,ȱs.o.ȱS.ȱ127ȱmitȱAnm.ȱ45.ȱ 143ȱȱ Soȱ u.a.ȱ TOWNER,ȱ Letters,ȱ 62ȱ (vgl.ȱ ders.,ȱ Goal,ȱ 69);ȱ WEISER,ȱ 2Tim,ȱ 118;ȱ STETTLER,ȱ Christologie,ȱ148f;ȱSTRECKER,ȱTheologie,ȱ615;ȱYOUNG,ȱTheology,ȱ63;ȱSCHLARB,ȱLehre,ȱ 145.171f;ȱ ROLOFF,ȱ 1Tim,ȱ 354;ȱ HASLER,ȱ Epiphanie,ȱ 199;ȱ BROX,ȱ Pastoralbriefe,ȱ 299;ȱ LEMAIRE,ȱ Pastoralȱ Epistles,ȱ 37;ȱ DIBELIUS/CONZELMANN,ȱ Pastoralbriefe,ȱ 68;ȱ SCHNAȬ CKENBURG,ȱKirche,ȱ91;ȱWINDISCH,ȱChristologie,ȱ226.ȱȱ 144ȱȱ Vgl.ȱ programmatischȱ LAU,ȱ Flesh,ȱ passim;ȱ MARSHALL,ȱ Christology,ȱ 171ȱ u.ö.;ȱ WINȬ DISCH,ȱa.a.O.ȱ223;ȱkritischȱBASSLER,ȱChristology,ȱpassim.ȱ

1.ȱȱChristologieȱundȱSoteriologieȱ

151ȱ

2Timȱ hingegenȱ dreiȱ Malȱ verwendetȱ (1,10;ȱ 4,1.8).ȱ Titȱ wiederumȱ bietetȱ zweiȱ Malȱ dasȱ inȱ denȱ Pastȱ sonstȱ nichtȱ vorkommendeȱ Verbȱ evpifai,nwȱ (2,11;ȱ 3,4)ȱ sowieȱ einmalȱ dasȱ Substantivȱ (2,13).ȱ Alleȱ dreiȱ Briefeȱ habenȱ darüberȱ hinausȱ jeȱ einmalȱ dieȱ kausativeȱ Verbformȱ fanero,w,ȱ welcheȱ seȬ mantischȱ ähnlichȱ konnotiertȱ istȱ undȱ daherȱ mitȱ inȱ dieȱ Untersuchungȱ einbezogenȱwerdenȱ sollȱ (1Timȱ 3,16;ȱ2Timȱ 1,10;ȱ Titȱ 1,3);ȱ auchȱ dieȱFormȱ fanero,jȱ(1Timȱ4,15)ȱwirdȱmitȱinȱdenȱBlickȱgenommen.ȱȱ AuchȱbeiȱdiesemȱWortfeldȱistȱeinȱpaganȬhellenistischerȱEinflussȱunȬ verkennbar,ȱ allerdingsȱ auchȱ schonȱ fürȱ dieȱ Verwendungȱ desȱ WortȬ stammesȱinȱderȱSeptuagintaȱanzunehmen,ȱsoȱdassȱeineȱausschließlicheȱ RückführungȱaufȱdenȱhellenistischenȱKultȱundȱnichtȱauchȱaufȱalttestaȬ mentlicheȱ Gottesprädikationenȱ kaumȱ denkbarȱ ist.ȱ Inwiefernȱ derȱ neuȬ testamentlicheȱGebrauchȱeineȱdezidierteȱAuseinandersetzungȱmitȱantiȬ kenȱKultenȱwiderspiegelt,ȱwirdȱkontroversȱdiskutiert.145ȱ ȱ

Auchȱ dieȱ Frageȱ nachȱ derȱ genauenȱ Bedeutungȱ desȱ ursprünglichȱ profanenȱ BeȬ griffsȱ evpifa,neiaȱ imȱ religiösen,ȱ speziellȱ imȱ biblischenȱ Kontextȱ wurdeȱ debattiert.ȱ Alsȱ dieȱ beidenȱ Antipodenȱ dieserȱ Auseinandersetzung,ȱ aufȱ dieȱ dieȱ jüngerenȱ Exegetenȱstetsȱbezogenȱblieben,ȱgeltenȱLührmannȱundȱPax:146ȱWährendȱLetzteȬ rerȱ–ȱunterȱHinzuziehungȱv.a.ȱpaganȬhellenistischerȱQuellenȱ–ȱdasȱSichtbarwerȬ denȱderȱGottheitȱalsȱepiphanialesȱCharakteristikumȱbestimmt,147ȱbetontȱErstererȱ inȱ kritischerȱ Auseinandersetzungȱ mitȱ Pax’ȱ methodischemȱ Vorgehen,ȱ dassȱ fürȱ dasȱhellenistischeȱJudentumȱimȱZentrumȱderȱRedeȱvonȱderȱEpiphanieȱstetsȱdasȱ helfendeȱ göttlicheȱ Eingreifenȱ stehe.148ȱ Entgegenȱ solcherȱ Tendenzenȱ derȱ älterenȱ ForschungȱdürfenȱjedochȱbeideȱElementeȱnichtȱgegeneinanderȱausgespieltȱwerȬ den,ȱsondernȱstellenȱzweiȱsichȱergänzendeȱElementeȱderȱantikȬreligiösenȱRedeȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 145ȱȱ evpifanh,jȱ konnteȱ inȱ alttestamentlicherȱ bzw.ȱ zwischentestamentlicherȱ Zeitȱ zuȱ einemȱ göttlichenȱAttributȱwerdenȱ(vgl.ȱu.a.ȱ2Makkȱ2,21;ȱ3,24ȱsowieȱ2Regȱ7,23)ȱundȱfandȱvonȱ daȱausȱauchȱEingangȱinȱdenȱKaiserkult;ȱvgl.ȱdazuȱLÄGER,ȱChristologie,ȱ112f.ȱ ȱ ȱ Vgl.ȱ dazuȱ dieȱ Darstellungȱ beiȱ STETTLER,ȱ Christologie,ȱ 139–146ȱ (unterȱ Verweisȱ aufȱ DEISSMANN,ȱ Licht,ȱ 324.329ff),ȱ sowieȱ DIBELIUS/CONZELMANN,ȱ Pastoralbriefe,ȱ 78.ȱ AndersȱakzentuiertȱhierȱYOUNG,ȱTheology,ȱ65,ȱdieȱsogarȱeineȱkritischeȱAuseinanderȬ setzungȱderȱPastȱmitȱdiesemȱhellenistischenȱKultȱannimmt.ȱProblematischȱistȱderȱvonȱ BROX,ȱPastoralbriefe,ȱ233,ȱvorgenommeneȱVersuch,ȱdenȱhellenistischenȱKontextȱdesȱ Terminusȱ zugunstenȱ einerȱ kreuzestheologischenȱ Neudeutungȱ völligȱ inȱ denȱ HinterȬ grundȱzuȱdrängen.ȱ 146ȱȱ Vgl.ȱ dieȱ ausführlichereȱ Nachzeichnungȱ derȱ hierȱ nurȱ knappȱ skizziertenȱ Debatteȱ beiȱ LAU,ȱFlesh,ȱ179–189.ȱ 147ȱȱ Soȱ hervorgehobenȱ vonȱ PAX,ȱ Epiphaneia,ȱ passim,ȱ bes.ȱ 20;ȱ vgl.ȱ außerdemȱ ders.,ȱ Art.ȱ Epiphanie,ȱ 832–834.ȱ Damitȱ nimmtȱ erȱ eineȱ ältereȱ Definitionȱ auf,ȱ wieȱ sieȱ bereitsȱ PFISTER,ȱArt.ȱEpiphanie,ȱ281,ȱbietet.ȱ 148ȱȱ Vgl.ȱLÜHRMANN,ȱEpiphaneia,ȱpassim.ȱHierbeiȱseiȱalsȱVorlageȱbesondersȱderȱmilitäriȬ scheȱ Sprachgebrauchȱ hervorzuheben,ȱ woȱ damitȱ dasȱ (SchlachtenȬentscheidende)ȱ ErȬ scheinenȱvonȱHeereslinienȱumschriebenȱwurde;ȱvgl.ȱdazuȱa.a.O.ȱ187ȱ(mitȱBelegen).ȱ

152ȱ

IV.ȱȱMotivsemantischeȱUntersuchungenȱ

vonȱderȱEpiphanieȱeinerȱGottheitȱdar,ȱdieȱjeweilsȱunterschiedlichȱstarkȱgewichȬ tetȱwerden.149ȱȱ Inȱ derȱ Septuagintaȱ könnenȱ Verbȱ undȱ Substantivȱ dazuȱ dienen,ȱ dasȱ jeweilsȱ punktuellȱ erfolgendeȱ heilsgeschichtlicheȱ Eingreifenȱ Gottesȱ alsȱ seinȱ „ErscheiȬ nen“ȱauszudrücken.150ȱDarausȱentwickelteȱsichȱinȱderȱsog.ȱzwischentestamentliȬ chenȱ Literaturȱ dieȱ Vorstellung,ȱ dassȱ auchȱ derȱ Messiasȱ selbstȱ sichȱ inȱ einerȱ ErȬ scheinungȱzeigenȱwerdeȱ(4Esȱ7,28;ȱ2Barȱ29,3;ȱ39,7).ȱ Dasȱ Neueȱ Testamentȱ bedientȱ sichȱ allerdingsȱ andererȱ Ausdrückeȱ zurȱ BeȬ schreibungȱdesȱHeilsgeschehens;ȱderȱ(evpi)fanȬWortstammȱselbstȱwirdȱnurȱsehrȱ seltenȱherangezogen.ȱErȱhatȱimȱNeuenȱTestamentȱüberȱdieȱPastȱhinausȱnurȱvierȱ Belege,ȱdieȱsichȱsämtlichȱimȱlukanischenȱDoppelwerkȱbzw.ȱinȱdenȱDeuteropauȬ linenȱfinden.ȱZweimalȱstehtȱdasȱVerbȱ(Lkȱ1,79;ȱApgȱ27,20),ȱeinmalȱdasȱAdjektivȱ (Apgȱ 2,20)ȱ undȱ dasȱ inȱ denȱ Pastȱ relativȱ häufigȱ verwendeteȱ Substantivȱ (2Thessȱ 2,8).ȱ Währendȱ evpifai,nwȱ inȱ Apgȱ 27,20ȱ lediglichȱ dieȱ „technischȬmetereologischeȱ Bedeutungȱ einerȱ Wetterbeobachtung“ȱ hat,151ȱ stehtȱ esȱ inȱ Lkȱ 1ȱ sowieȱ imȱ Titȱ jeȬ weilsȱ christologischȱ gefüllt,ȱ anȱ erstererȱ Stelleȱ allerdingsȱ nochȱ deutlichȱ stärkerȱ imȱ Kontextȱ vonȱ Lichtmetaphorikȱ alsȱ imȱ Tit.ȱ Apgȱ 2,20ȱ bietetȱ dasȱ Adjektivȱ evpifanh,jȱ inȱ einemȱ Zitatȱ ausȱ Joelȱ 3,4,ȱ woȱ esȱ ebensoȱ wieȱ inȱ 1Chrȱ 17,21;ȱ Joelȱ 2,11ȱ undȱMalȱ3,22ȱmitȱmega,jȱkombiniertȱwird,ȱwomitȱ–ȱmitȱAusnahmeȱvonȱ1Chrȱ17ȱ–ȱ jeweilsȱderȱeschatologischeȱTagȱdesȱHerrnȱcharakterisiertȱwird.ȱ DasȱSubstantivȱfindetȱsichȱaußerhalbȱderȱPastȱimȱNeuenȱTestamentȱnurȱinȱ 2Thessȱ2,8ȱinȱeinerȱGenitivkonstruktionȱmitȱparousi,a.ȱDiesȱistȱinsofernȱauffällig,ȱ alsȱ dieȱ evpifa,neiaȬBelegeȱ innerhalbȱ derȱ Pastȱ i.d.R.ȱ alsȱ Ersetzungȱ desȱ ParusieterȬ minusȱinterpretiertȱwerden,152ȱeinerȱsolchenȱDeutungsmöglichkeitȱderȱBelegȱinȱ 2Thessȱ jedochȱ zuȱ widersprechenȱ scheint:ȱ Derȱ Ausdruckȱ h` evpifa,neia th/j parousi,aj auvtou/ȱ inȱ2Thessȱ2ȱistȱallerdingsȱnichtȱalsȱPlerophorie153ȱzuȱbetrachten,ȱ sondernȱ kombiniertȱ zweiȱ unterschiedlichȱ konnotierteȱ Begriffe.ȱ Diesȱ legtȱ sichȱ deshalbȱnahe,ȱweilȱderȱTerminusȱinȱstrukturellerȱParallelitätȱzuȱderȱGenitivkonȬ struktionȱ o` pneu/ma tou/ sto,matoj auvtou/ steht:ȱ Sowohlȱ mitȱ demȱ Hauchȱ seinesȱ Mundesȱ(Dativusȱinstrumentalis)ȱalsȱauchȱmitȱderȱErscheinungȱseinerȱParusie154ȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 149ȱȱ Vgl.ȱHERZER,ȱMenschenfreundlichkeit,ȱ116ȱAnm.ȱ47;ȱJUNG,ȱStudien,ȱ140;ȱQUINN,ȱTiȬ tus,ȱ 212;ȱ DIBELIUS/CONZELMANN,ȱ Pastoralbriefe,ȱ 77,ȱ sowieȱ grundlegendȱ BULTȬ MANN/LÜHRMANN,ȱArt.ȱfai,nw ktl.,ȱ1–11.ȱ 150ȱȱ Vgl.ȱ 2Makkȱ 2,12;ȱ 3,24;ȱ 5,4;ȱ 12,22;ȱ 14,15;ȱ 3Makkȱ 2,9.19;ȱ 5,8.51;ȱ 6,4.39;ȱ inȱ Verbindungȱ mitȱ demȱ swth,rȬBegriffȱ 6,29f.32.36;ȱ 7,16.18.23.ȱ Vgl.ȱ LAU,ȱ Flesh,ȱ 222:ȱ „[T]heȱ termȱ evpifa,neiaȱcanȱgenerallyȱbeȱcharacterizedȱasȱaȱrealȱsalvationȬhistoricalȱeventȱinitiatedȱ andȱeffectedȱbyȱGodȱHimself.“ȱ 151ȱȱ MÜLLER,ȱArt.ȱevpifa,neia,ȱ112.ȱ 152ȱȱ Soȱz.B.ȱBROER,ȱEinleitungȱII,ȱ537;ȱLEMAIRE,ȱPastoralȱEpistles,ȱ37.ȱ 153ȱȱ SoȱjedochȱTRILLING,ȱ2Thess,ȱ103.ȱPAX,ȱEpiphaneia,ȱ222,ȱverweistȱaufȱdieȱhäufigeȱInȬ terpretationȱalsȱ„GenitivȱderȱSteigerung“.ȱ 154ȱȱ DieȱbeschriebeneȱParallelitätȱlegtȱesȱnahe,ȱdieseȱPhraseȱebenfallsȱalsȱDativusȱinstruȬ mentalisȱ aufzufassen;ȱ wasȱ 2Thessȱ 2,8ȱ zugleichȱ inȱ dieȱ Näheȱ einerȱ aktivȬhelfendenȱ

1.ȱȱChristologieȱundȱSoteriologieȱ

153ȱ

–ȱdieȱPossessivpronominaȱsindȱbeideȱjeweilsȱaufȱChristusȱalsȱSubjektȱdesȱSatzesȱ zuȱbeziehenȱ–ȱereignetȱsichȱdieȱVernichtungȱbzw.ȱBeseitigungȱdesȱGesetzlosen.ȱ Derȱ Terminusȱ h` evpifa,neia th/j parousi,aj auvtou/ bildetȱ dasȱ negativȱ konnotierteȱ Gegenstückȱ zuȱ derȱ inȱ 2Thessȱ 2,1ȱ ausgedrücktenȱ freudigenȱ Erwartungȱ derȱ mitȱ derȱParusieȱverbundenenȱevpisunagwgh,ȱ mitȱChristusȱundȱistȱkombiniertȱmitȱderȱ durchȱ Gottȱ selbstȱ erfolgendenȱ Offenbarmachungȱ (Passivumȱ Divinum)ȱ desȱ Gesetzlosen.ȱȱ ȱ

Schonȱ dieserȱ kurzeȱ Überblickȱ zeigt,ȱ dassȱ dieȱ Häufigkeitȱ derȱ VerwenȬ dungȱdiesesȱWortfeldesȱinȱ2TimȱundȱTitȱ(1TimȱbietetȱnurȱeinenȱBeleg)ȱ innerhalbȱdesȱNeuenȱTestamentsȱherausragendȱist.ȱWelcheȱinhaltlichenȱ Implikationenȱ damitȱ verbundenȱ sind,ȱ sollȱ imȱ Folgendenȱ untersuchtȱ werden.ȱ

1.2.2ȱȱDasȱVorkommenȱimȱTitusbriefȱ Dreiȱ derȱ siebenȱ Belegeȱ derȱ (evpi)fanȬWortgruppeȱ innerhalbȱ derȱ PastoȬ ralbriefeȱfindenȱsichȱimȱTitusbriefȱ(2,11.13;ȱ3,4);ȱzweimalȱstehtȱdasȱVerb,ȱ einmalȱdasȱSubstantivȱinȱengemȱstrukturellenȱBezugȱzumȱVerb.ȱDarüȬ berȱhinausȱfindetȱsichȱeinmalȱdasȱVerbȱfanero,wȱinȱTitȱ1,3.ȱ

1.2.2.1ȱȱTitȱ2,11–13ȱ Titȱ2,11–13ȱkannȱaufgrundȱseinerȱKompositionsstrukturȱalsȱ„rhetoricalȱ highȱpointȱofȱtheȱletter“155ȱgelten.ȱFürȱdieȱhierȱdurchzuführendeȱUnterȬ suchungȱistȱdieȱbereitsȱerwähnteȱdoppelteȱpartielleȱRekurrenzȱbedeutȬ sam:ȱ Nichtȱ nurȱ derȱ Wortstammȱ swsȬ,ȱ sondernȱ auchȱ derȱ Wortstammȱ (evpi)fanȬȱumklammernȱinȱV.11.13ȱdasȱinȱV.12ȱgeschilderteȱErziehungsȬ geschehen,ȱ indemȱ sieȱ seinȱ Woherȱ undȱ Wohinȱ thematisierenȱ undȱ soȱ zuȬ gleichȱ seineȱ theologischȬsoteriologischeȱ Begründungȱ liefern.ȱ V.11ȱ beȬ schreibtȱunterȱVerwendungȱderȱVerbformȱevpifai,nwȱdasȱErscheinenȱderȱ „heilsamenȱGnadeȱ(ca,rij156)ȱGottes“.ȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ DeutungȱdesȱEpiphanieterminusȱrückenȱwürde,ȱwieȱsieȱsichȱu.a.ȱausȱdenȱMakkȬBüȬ chernȱnaheȱlegtȱ(s.o.).ȱ 155ȱȱ TOWNER,ȱLetters,ȱ740.ȱȱ 156ȱȱ Vonȱ Gnadeȱ (Gottes)ȱ sprichtȱ dasȱ Neueȱ Testamentȱ –ȱ besondersȱ imȱ Corpusȱ Paulinumȱ oderȱimȱlukanischenȱDoppelwerkȱ–,ȱumȱdasȱHeilswirkenȱGottesȱinȱseinerȱBedeutungȱ fürȱ dasȱ menschlicheȱ Seinȱ undȱ Verhaltenȱ auszusagen;ȱ vgl.ȱ dazuȱ BERGER,ȱ Art.ȱ ca,rij,ȱ 1095–1102.ȱImȱTitȱfindenȱsichȱvierȱca,rijȬBelege,ȱdieȱjeweilsȱwieȱinȱdenȱbeidenȱandeȬ renȱ Pastȱ imȱ Rahmenȱ vonȱ Präskriptȱ undȱ Schlussgrußȱ (Titȱ 1,4;ȱ 3,15;ȱ vgl.ȱ 1Timȱ 1,2.12;ȱ

154ȱ

IV.ȱȱMotivsemantischeȱUntersuchungenȱ

Mitȱ diesemȱ epiphanialenȱ Geschehenȱ beginntȱ derȱ inȱ V.12ȱ ausgeȬ drückteȱUnterweisungsprozess,ȱwobeiȱdasȱErscheinenȱderȱGnadeȱnichtȱ nurȱ zeitlicherȱ Anfang,ȱ sondernȱ auchȱ Initialȱ diesesȱ Geschehensȱ ist.ȱ Zugleichȱfälltȱauf,ȱdassȱdasȱSubstantivȱca,rijȱanȱdieserȱStelleȱaufȱChrisȬ tusȱhinȱpersonalisiertȱwerdenȱkann.157ȱ ȱ

Diesȱ legtȱ sichȱ zunächstȱ aufgrundȱ strukturellerȱ undȱ semantischerȱ BeobachtunȬ genȱnahe:ȱSoȱwirdȱzumȱeinenȱ–ȱwieȱbereitsȱthematisiertȱ–ȱderȱWortstammȱswsȬȱ wiederȱaufgegriffenȱundȱüberȱdieseȱsemantischeȱzugleichȱeineȱinhaltlicheȱVerȬ bindungȱ hergestellt,ȱ zumȱ anderenȱ kannȱ derȱ Verfasserȱ desȱ Titȱ dasȱ inȱ V.14ȱ beȬ schriebeneȱ Heilswerkȱ Christiȱ undȱ dieȱ Epiphanieȱ derȱ göttlichenȱ Gnadeȱ zeitlichȱ parallelisieren,ȱindemȱerȱbeidesȱdurchȱdieȱVerwendungȱdesȱAoristȱalsȱverganȬ genesȱ Geschehenȱ darstellt.158ȱ Darüberȱ hinausȱ hätteȱ eineȱ solcheȱ inhaltlicheȱ ZuȬ sammenbindungȱderȱGnadeȱGottesȱmitȱdemȱsichȱinȱJesusȱChristusȱereignendenȱ Heilsgeschehenȱ Parallelenȱ auchȱ inȱ anderenȱ neutestamentlichenȱ Schriften;ȱ alsȱ auffälligsteȱ wäreȱ 1Petrȱ 1,10ȱ zuȱ nennen,ȱ woȱ dieȱ eivj u`ma/jȱ gescheheneȱ Gnadeȱ alsȱ ZielpunktȱderȱprophetischenȱWeissagungenȱbenanntȱwird.159ȱȱ ȱ

Derȱ inȱ V.11ȱinitiierteȱ Unterweisungsprozessȱ findetȱ seinȱ Zielȱ undȱ seineȱ abschließendeȱBegründungȱwiederumȱinȱeinemȱchristologischenȱEreigȬ nis,ȱ demȱ endzeitlichenȱ Erscheinenȱ Jesuȱ Christiȱ alsȱ Herrlichkeitȱ Gottes,ȱ welchesȱhierȱmitȱdemȱSubstantivȱevpifa,neiaȱbezeichnetȱwird.ȱInȱPräzisieȬ rungȱderȱinȱV.11ȱangedeutetenȱPersonifikationȱwerdenȱdasȱErscheinenȱ derȱdo,xaȱGottesȱundȱJesuȱChristiȱselbstȱ–ȱwelcherȱalsȱAppositionȱzuȱdo,xaȱ zuȱverstehenȱist160ȱ–ȱinȱeinsȱgesetzt.ȱAberȱauchȱwennȱdieseȱPersonifikaȬ tionȱ hierȱ explizitȱ vollzogenȱ wird,ȱ darfȱ diesȱ nichtȱ darüberȱ hinwegtäuȬ schen,ȱ dassȱ dabeiȱ nichtȱ dieȱ Erscheinungȱ Jesuȱ Christiȱ selbstȱ imȱ Zentrumȱ steht,ȱ sondernȱ dieȱ eschatologischeȱ Erscheinungȱ derȱ Herrlichkeitȱ Gottes,ȱ welcheȱwiederumȱinȱJesusȱChristusȱGestaltȱgewinnt.161ȱ ȱ

Derȱ Wechselȱ vonȱ derȱ Verbformȱ hinȱ zumȱ Substantivȱ dürfteȱ dabeiȱ durchausȱ beabsichtigtȱgewesenȱsein,ȱdennȱwährendȱdasȱVerbȱ„durchȱseineȱkurzeȱverbaleȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 6,21;ȱ2Timȱ1,2f;ȱ4,22)ȱoderȱinȱeinemȱchristologischenȱKontextȱverwendetȱwerdenȱ(Titȱ 2,11;ȱ3,7;ȱvgl.ȱ1Timȱ1,14;ȱ2Timȱ1,9;ȱ2,11).ȱ 157ȱȱ Soȱ auchȱ HERZER,ȱ Menschenfreundlichkeit,ȱ 115;ȱ MÜLLER,ȱ Art.ȱ evpifa,neia,ȱ 112;ȱ BROX,ȱ Pastoralbriefe,ȱ298.ȱ 158ȱȱ SoȱauchȱSTETTLER,ȱChristologie,ȱ244.ȱ 159ȱȱ Vgl.ȱdazuȱBROX,ȱ1Petr,ȱ69;ȱGOPPELT,ȱ1Petr,ȱ105f.ȱAuchȱdieȱengeȱthematischeȱVerbinȬ dungȱzwischenȱGnadengeschehenȱundȱChristusereignisȱzeugtȱdavon,ȱwieȱsieȱinȱdenȱ Pastȱinȱ1Timȱ1,14;ȱ2Timȱ1,9;ȱ2,1ȱausgedrücktȱwird;ȱvgl.ȱdarüberȱhinausȱu.a.ȱJohȱ1,17;ȱ Römȱ5,21;ȱ1Korȱ1,4;ȱGalȱ1,6ȱ(textkritischȱumstritten);ȱEphȱ1,6;ȱ2,7;ȱ4,7;ȱKolȱ1,6.ȱ 160ȱȱ Vgl.ȱzurȱStrukturȱdiesesȱVersesȱo.ȱS.ȱ125–127.ȱȱ 161ȱȱ Vgl.ȱdazuȱauchȱBASSLER,ȱChristology,ȱ212.ȱ

1.ȱȱChristologieȱundȱSoteriologieȱ

155ȱ

Ausdrucksweiseȱ eherȱ einemȱ Aufblitzen“ȱ gleicht,ȱ weistȱ „dieȱ breitȱ ausgemalteȱ evpifa,neiaȱaufȱeinenȱseligenȱDauerzustand“.162ȱȱ ȱ

IndemȱderȱAutorȱdesȱTitȱsichȱundȱseineȱGemeindeȱinȱderȱZeitȱzwischenȱ denȱ beidenȱ Epiphanienȱ weiß,ȱ stelltȱ erȱ dieȱ christlicheȱ Existenzȱ mithilfeȱ desȱ Epiphaniebegriffsȱ inȱ dasȱ durchausȱ paulinischȱ anmutendeȱ spanȬ nungsvolleȱ Seinȱ zwischenȱ schonȱ geschehenerȱ Offenbarungȱ derȱ Gnadeȱ undȱnochȱzuȱerwartenderȱendgültigerȱEpiphanieȱderȱHerrlichkeitȱGotȬ tes,ȱ welcheȱ fürȱ ihnȱ beideȱ untrennbarȱ mitȱ Jesusȱ Christusȱ verbundenȱ sind.ȱ

1.2.2.2ȱȱDieȱVerwendungȱderȱVerbformenȱinȱTitȱ2,11;ȱ3,4ȱundȱ1,3ȱ Währendȱ inȱ Titȱ 2,11ȱ dasȱ Verbȱ evpifai,nwȱ inȱ engerȱ semantischerȱ undȱ strukturellerȱ Verbindungȱ mitȱ demȱ Substantivȱ evpifa,neiaȱ stehenȱ kann,ȱ bietetȱ Titȱ 3,4ȱ darüberȱ hinausȱ dieȱ Verbformȱ ohneȱ substantivischenȱ BeȬ zug,ȱaberȱinȱeinemȱstrukturellȱsehrȱähnlichenȱAbschnitt.ȱ Ebensoȱ wieȱ inȱ 2,11ȱ wirdȱ inȱ 3,4ȱ erneutȱ einȱ bereitsȱ vergangenesȱ ErȬ scheinenȱ zweierȱ Eigenschaftenȱ Gottesȱ ausgedrückt,ȱ nämlichȱ seinerȱ Güteȱ undȱ Menschenfreundlichkeit.163ȱ Dieseȱ beidenȱ Substantiveȱ stehenȱ wohlȱ inȱ bewusstemȱ Kontrastȱ zuȱ demȱ inȱ V.3ȱ geschildertenȱ früherenȱ FehlverhaltenȱderȱMenschenȱundȱdienenȱsoȱalsȱzusätzlicheȱMotivierungȱ derȱParänese.ȱ DieȱstrukturelleȱParallelitätȱzuȱTitȱ2,11ȱlegtȱesȱnahe,ȱauchȱhierȱeineȱ OffenbarungsterminologieȱverwendendeȱUmschreibungȱdesȱErdenwirȬ kensȱJesuȱzuȱsehen,ȱauchȱwennȱChristusȱselbstȱv.a.ȱalsȱMittlerȱdesȱGeisȬ tesȱundȱdesȱdadurchȱvermitteltenȱgöttlichenȱHeilsgeschehensȱerscheint.ȱ Zwarȱ fehltȱ dieȱ dieȱ Gesamtstrukturȱ vonȱ Titȱ 2,11–13ȱ prägendeȱ WieȬ deraufnahmeȱdesȱEpiphaniebegriffs,ȱwasȱdennochȱkeinenȱvölligenȱVerȬ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 162ȱȱ PAX,ȱEpiphaneia,ȱ243ȱ(beideȱZitate).ȱ 163ȱȱ Vgl.ȱ zurȱ Strukturȱ diesesȱ Abschnittsȱ Punktȱ IV.1.1.2.3ȱ dieserȱ Arbeit.ȱ Dieseȱ BegriffsȬ kombinationȱ–ȱderenȱengeȱZusammengehörigkeitȱhierȱdurchȱdieȱVerwendungȱeinerȱ singularischenȱVerbformȱunterstrichenȱwirdȱ–ȱistȱsingulär.ȱfilanqrwpi,aȱfindetȱsichȱimȱ CorpusȱPaulinumȱsonstȱnicht,ȱinȱApgȱ28,2ȱnurȱinȱBezugȱaufȱmenschlichesȱVerhalten;ȱ zuȱ crhsto,thjȱ alsȱ Eigenschaftȱ Gottesȱ vgl.ȱ Römȱ 2,4;ȱ 11,22ȱ (Gegensatzȱ vonȱ Güteȱ undȱ Strengeȱ Gottes)ȱ undȱ Ephȱ 2,7ȱ (hierȱ alsȱ zukünftige,ȱ christologischȱ konnotierteȱ HoffȬ nung).ȱ Letzteresȱ istȱ zudemȱ einȱ häufigesȱ Gottesepipthetonȱ derȱ LXXȱ (vgl.ȱ alleinȱ imȱ PsalterȱY 20,4;ȱ24,7;ȱ30,23;ȱ64,12;ȱ68,11;ȱ84,13;ȱ103,28;ȱ118,65.68;ȱ144,7),ȱundȱkannȱauchȱ beiȱJosephusȱ(Ant.ȱIȱ24)ȱundȱPhiloȱ(virtȱ77;ȱ188;ȱAbrȱ79;ȱCherȱ99)ȱdieȱLiebeȱGottesȱzuȱ denȱ Menschenȱ oderȱ eineȱ darausȱ erwachsendeȱ zwischenmenschlicheȱ Beziehungȱ beȬ zeichnen.ȱȱ

156ȱ

IV.ȱȱMotivsemantischeȱUntersuchungenȱ

zichtȱaufȱdenȱeschatologischenȱAbschlussȱdesȱ–ȱübrigensȱauchȱanȱdieserȱ Stelleȱ durchȱ dieȱ initiatorischeȱ Gnadeȱ Gottesȱ begründetenȱ (V.7:ȱ dikaiwqe,ntej th/| evkei,nou ca,riti)ȱ–ȱSpannungsbogensȱimpliziert.ȱVielmehrȱ wirdȱ inȱ V.7ȱ derȱ Epiphaniebegriffȱ ersetztȱ durchȱ denȱ Hoffnungsbegriff,ȱ mitȱdemȱerȱinȱTitȱ2,13ȱengȱverbundenȱstehenȱkann.164ȱIndemȱderȱAutorȱ diesesȱ Substantivȱ hierȱ erneutȱ aufgreiftȱ undȱ durchȱ dasȱ Genitivattributȱ zwh/j aivwni,ou aufȱeinȱZielȱhinȱpräzisiert,ȱrichtetȱerȱdenȱBlickȱaufȱdieȱZuȬ kunftȱ derȱ Menschen,ȱ derenȱ Rettungȱ inȱ derȱ bereitsȱ geschehenenȱ RechtȬ fertigungȱdurchȱGottesȱGnadeȱgründet.ȱ Dieȱ Verwendungȱ desȱ Kausalverbsȱ fanero,wȱ inȱ Titȱ 1,3ȱ fügtȱ sichȱ inȱ dieseȱ bisherȱ beschriebenenȱ Strukturenȱ insofernȱ ein,ȱ alsȱ esȱ auchȱ imȱ PräskriptȱumȱeinȱHandelnȱGottesȱinȱAusrichtungȱaufȱdasȱHeilȱderȱMenȬ schenȱgehtȱ–ȱinȱdiesemȱFalleȱumȱdieȱSichtbarmachungȱseinesȱWortesȱalsȱ ErweisȱderȱGültigkeitȱderȱVerheißungȱderȱewigenȱLebens.ȱAuchȱwennȱ dieȱ Erfüllungȱ derȱ Verheißungȱ –ȱ hierȱ ebensoȱ wieȱ inȱ 3,7ȱ alsȱ evlpi,j zwh/j aivwni,ou umschriebenȱ undȱ anȱ beidenȱ Stellenȱ christologischȱ zuȱ füllenȱ –ȱ nochȱaussteht,ȱsoȱistȱdochȱdieȱSichtbarmachungȱdesȱinȱderȱchristlichenȱ Predigtȱ zuȱ verkündigendenȱ Wortesȱ Bestätigungȱ derȱBerechtigungȱ dieȬ serȱ Erwartung,ȱ ebensoȱ wieȱ dieȱ bereitsȱ gescheheneȱ Epiphanieȱ inȱ derȱ AusrichtungȱaufȱeinȱzukünftigesȱGeschehenȱmündet.ȱ Andersȱ jedochȱ alsȱ inȱ 2,11;ȱ 3,4ȱ –ȱ woȱ mitȱ einerȱ reflexivȱ aufzufassenȬ denȱ passivischenȱ Verbformȱ vomȱ Erscheinenȱ einerȱ göttlichenȱ EigenȬ schaftȱdieȱRedeȱistȱ–ȱhatȱfanero,wȱwieȱalleȱaufȱȬowȱendendenȱVerbenȱkauȬ sativeȱBedeutung.165ȱGottȱtrittȱimȱPräskriptȱdesȱkürzestenȱPastoralbriefsȱ daherȱ programmatischȱ alsȱ derjenigeȱ inȱ Erscheinung,ȱ derȱ dasȱ SichtbarȬ werdenȱseinesȱlo,gojȱinȱderȱ(paulinischen)ȱPredigtȱveranlasstȱhat.ȱDamitȱ stehtȱ erȱ alsȱ Agensȱ auchȱ desȱ inȱ Titȱ 2fȱ beschriebenenȱ epiphanialenȱ GeȬ schehensȱimȱHintergrund.ȱȱ Zurȱ Verwendungȱ desȱ Verbumsȱ alsȱ Kausalformȱ undȱ Kompositumȱ lässtȱsichȱalsoȱzusammenfassendȱfesthalten,ȱdassȱalleȱdreiȱVorkommenȱ jeweilsȱvonȱeinerȱAktivitätȱGottesȱinȱBezugȱaufȱdasȱirdischeȱLebenȱJesuȱ sprechenȱ undȱ dabeiȱ insofernȱ vonȱ einerȱ eschatologischenȱ Spannungȱ geprägtȱsind,ȱalsȱdasȱjeweilsȱbeschriebeneȱErscheinenȱ/ȱSichtbarwerdenȱ vorausȱverweistȱaufȱeineȱendgültigeȱEpiphanieȱ(2,13)ȱoderȱdieȱErfüllungȱ derȱHoffnungȱaufȱdasȱewigeȱLebenȱ(1,2;ȱ3,7).ȱȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 164ȱȱ Vgl.ȱ zurȱ Bedeutungȱ desȱ Hoffnungsbegriffsȱ inȱ denȱ Pastȱ S.ȱ 124f.440(Tit).339f(1Tim).ȱ Vgl.ȱauchȱTRUMMER,ȱPaulustradition,ȱ201.ȱ 165ȱȱ Vgl.ȱdazuȱauchȱBULTMANN/LÜHRMANN,ȱArt.ȱfai,nw ktl.,ȱ4.ȱ

1.ȱȱChristologieȱundȱSoteriologieȱ

157ȱ

1.2.2.3ȱȱZusammenfassungȱȱ Imȱ Titȱ bezeichnetȱ dasȱ Verbȱ jeweilsȱ einȱ vergangenesȱ OffenbarungsgeȬ schehen;ȱ dasȱ Substantivȱ dientȱ hingegenȱ dazu,ȱ dasȱ zukünftigeȱ ErscheiȬ nenȱderȱdo,xaȱGottesȱzuȱbeschreiben.ȱDabeiȱfälltȱauf,ȱdassȱ–ȱandersȱalsȱesȱ imȱ2Timȱzuȱbeobachtenȱseinȱwirdȱ–ȱniemalsȱChristusȱselbstȱSubjektȱdesȱ epiphanialenȱGeschehensȱist;ȱderȱVerfasserȱdesȱTitȱwähltȱvielmehrȱdenȱ umgekehrtenȱWeg,ȱwennȱerȱbehauptet,ȱdassȱimȱWirkenȱJesuȱvonȱNazaȬ rethȱ eineȱ Eigenschaftȱ Gottesȱ erscheineȱ (2,11:ȱ Gnade;ȱ 2,13:ȱ Herrlichkeit;ȱ 3,4:ȱ Güteȱ undȱ Menschenfreundlichkeit)ȱ undȱ diesesȱ soȱ alsȱ göttlichesȱ Geschehenȱqualifiziere.166ȱȱ Auchȱ wennȱ Gottȱ selbstȱ alsoȱ Auctorȱ undȱ Inhaltȱ derȱ Epiphanienȱ zugleichȱ ist,ȱ kannȱ fürȱ alleȱ dreiȱ Stellenȱ –ȱ unabhängigȱ vonȱ derȱ VerwenȬ dungȱvonȱVerbȱoderȱSubstantivȱ–ȱeineȱPersonifizierungȱdesȱEpiphanieȬ geschehensȱaufȱChristusȱhinȱplausibelȱgemachtȱwerden.ȱWennȱderȱAuȬ torȱ desȱ Titȱ esȱ auchȱ vermeidet,ȱ vonȱ einemȱ Erscheinenȱ Christiȱ selbstȱ zuȱ sprechen,167ȱ soȱ istȱ dochȱ deutlich,ȱ dassȱ erȱ dasȱ Lebenȱ desȱ Irdischenȱ alsȱ epiphanialeȱ Sichtbarwerdungȱ vonȱ Eigenschaftenȱ Gottesȱ begreiftȱ bzw.ȱ seineȱeschatologischeȱ Erscheinungȱ alsȱEpiphanieȱ derȱ Doxaȱ Gottesȱ verȬ steht.ȱ SowohlȱTitȱ2,11–13ȱalsȱauchȱTitȱ3,4–7ȱbindenȱdieȱRedeȱvonȱderȱbeȬ reitsȱgeschehenenȱEpiphanieȱGottesȱinȱJesusȱChristusȱinȱeinenȱeschatoȬ logischenȱ Kontextȱ ein:ȱ Inȱ 2,11–13ȱ geschiehtȱ diesȱ durchȱ Wiederholungȱ desȱ Wortfeldesȱ selbst,ȱ inȱ 3,4–7ȱ durchȱ eineȱ Ausrichtungȱ desȱ eigenenȱ SeinsȱaufȱdieȱHoffnungȱaufȱewigesȱLeben,ȱwelcheȱdurchȱ2,13ȱwiederumȱ inȱ engemȱ Zusammenhangȱ mitȱ derȱ Epiphanieȱ gesehenȱ werdenȱ kann.ȱ DamitȱordnetȱderȱTitȬAutorȱseineȱeigeneȱZeitȱeinȱinȱdasȱSpannungsfeldȱ zwischenȱderȱschonȱjetztȱgeschehenenȱEpiphanieȱundȱderȱsichȱnochȱnichtȱ ereignendenȱ Vollendung,ȱ aufȱ welcheȱ sichȱ dieȱ christlicheȱ Hoffnungȱ richtetȱundȱfürȱdieȱesȱeinerȱweiterenȱEpiphanieȱbedarf.ȱ

ȱ

ȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 166ȱȱ Vgl.ȱ auchȱ TOWNER,ȱ Letters,ȱ 417;ȱ SÖDING,ȱ Erscheinen,ȱ 170;ȱ STETTLER,ȱ Christologie,ȱ 147.ȱȱ 167ȱȱ Diesȱ impliziertȱ zugleich,ȱ dassȱ dieȱ Debatteȱ umȱ eineȱ mitȱ demȱ Epiphaniebegriffȱ notwendigȱeinhergehendeȱPräexistenzvorstellungȱfürȱTitȱnichtȱgeführtȱwerdenȱmuss.ȱ

158ȱ

IV.ȱȱMotivsemantischeȱUntersuchungenȱ

1.2.3ȱȱDasȱVorkommenȱimȱ1.ȱTimotheusbriefȱ Derȱ 1Timȱ verwendetȱ nurȱ einȱ Malȱ dasȱ Substantivȱ evpifa,neiaȱ (6,14).ȱ DaȬ rüberȱhinausȱstehenȱdasȱVerbȱfanero,wȱ(nurȱinȱderȱchristologischenȱForȬ melȱinȱ3,16)ȱundȱdasȱAdjektivȱfanero,jȱinȱ4,15.ȱDamitȱtrittȱdieȱBedeutungȱ dieserȱWortgruppeȱgegenüberȱdemȱTitȱdeutlichȱzurück,ȱsoȱdassȱfraglichȱ ist,ȱobȱimȱ1Timȱtatsächlichȱvonȱeinemȱ„EpiphanieȬKonzept“ȱgesprochenȱ werdenȱkann.ȱȱ ȱ

Esȱ istȱ methodischȱ problematisch,ȱ überȱ 1Timȱ 6,14ȱ hinausȱ auchȱ hinterȱ 1,15;ȱ 2,5fȱ undȱ3,16ȱdasȱKonzeptȱeinerȱ EpiphanieȱChristiȱsehenȱzuȱwollen,168ȱobwohlȱdasȱ entsprechendeȱ Wortfeldȱ dortȱ mitȱ Ausnahmeȱ vonȱ 3,16ȱ (fanero,w)ȱ nichtȱ verwenȬ detȱwird.ȱDeshalbȱwäreȱzuȱfragen,ȱinwiefernȱnichtȱeineȱinhaltlicheȱFüllungȱdesȱ Epiphaniekonzeptsȱ vonȱ außenȱ (evtl.ȱ unterȱ Einbeziehungȱ derȱ anderenȱ Past)ȱ anȱ denȱ1Timȱherangetragenȱwird,ȱohneȱernstȱzuȱnehmen,ȱdassȱderȱAutorȱdesȱ1Timȱ selbstȱnurȱinȱ6,14ȱvonȱevpifa,neiaȱspricht,ȱdenȱTerminusȱsonstȱjedochȱvermeidet.ȱ Daȱ zudemȱ dieȱ einzigeȱ Verwendungȱ desȱ entsprechendenȱ Substantivsȱ dieȱ zuȬ künftigeȱ Epiphanieȱ meint,ȱ istȱ eineȱ Übertragungȱ aufȱ strukturellȱ nurȱ scheinbarȱ ähnlicheȱStellenȱkaumȱmöglich.ȱȱ ȱ

Inȱ jedemȱ Fallȱ kannȱ inȱ Bezugȱ aufȱ 1Timȱ nichtȱ vonȱ einerȱ Zentralstellungȱ derȱ Epiphanieȱ Christiȱ gesprochenȱ werden.ȱ Dennochȱ sollȱ dasȱ einzigeȱ Vorkommenȱinȱ6,14ȱimȱFolgendenȱbeleuchtetȱwerden,ȱumȱseineȱBedeuȬ tungȱ fürȱ dieȱ Argumentationsstrukturȱ desȱ 1Timȱ insgesamtȱ zuȱ erhellenȱ undȱ eineȱ Profilierungȱ imȱ Vergleichȱ mitȱ 2Timȱ /ȱ Titȱ zuȱ ermöglichen.ȱ Auchȱ dieȱ Verwendungȱ derȱ beidenȱ weiterenȱ Formenȱ fanero,wȱ sowieȱ fanero,jȱwirdȱkurzȱthematisiert.ȱ

1.2.3.1ȱȱ1Timȱ6,14ȱ DerȱVersȱ6,14ȱstehtȱinȱKontrastȱzuȱdemȱimȱVorfeldȱausführlichȱgeschilȬ dertenȱFehlverhaltenȱ(V.3–10);169ȱTimotheusȱwird,ȱhierȱfastȱarchaischȱalsȱ „MenschȱGottes“ȱangeredet,170ȱaufgefordert,ȱdiesesȱzuȱmeidenȱundȱvielȬ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 168ȱȱ SoȱaberȱmitȱwechselnderȱSchwerpunktsetzungȱSÖDING,ȱErscheinen,ȱ183ȱ(1,15);ȱLAU,ȱ Flesh,ȱ226ȱ(1,15f;ȱ2,5ff;ȱ3,16ȱ[a.a.O.ȱ235f,ȱergänztȱerȱsogarȱ6,13]);ȱROLOFF,ȱKirche,ȱ252fȱ (1,15);ȱ SCHLARB,ȱ Lehre,ȱ 167–169ȱ (1,15;ȱ 2,5fȱ [Todȱ Jesuȱ alsȱ Epiphanie]);ȱ WINDISCH,ȱ Christologie,ȱ221ȱ(1,15;ȱ3,16).ȱȱ 169ȱȱ ROLOFF,ȱ 1Tim,ȱ 340,ȱ siehtȱ hierinȱ garȱ einȱ „bestimmendesȱ kompositorischesȱ Prinzip“ȱ derȱPast;ȱvgl.ȱauchȱSTETTLER,ȱChristologie,ȱ116.ȱ 170ȱȱ Vgl.ȱzurȱBedeutungȱdieserȱTitulierungȱdenȱExkursȱzuȱTimotheusȱundȱTitusȱalsȱAmtsȬ trägernȱu.ȱS.ȱ286–290.ȱ

1.ȱȱChristologieȱundȱSoteriologieȱ

159ȱ

mehrȱ verschiedenenȱ Tugendenȱ nachzustrebenȱ (V.11f)ȱ undȱ dasȱ Gebotȱ Gottesȱzuȱhaltenȱ(V.14).ȱ V.13–16ȱ bildenȱ eineȱ syntaktischeȱ Einheit,ȱ dieȱ mitȱ einerȱ ausführliȬ chenȱ Doxologieȱ abschließt.171ȱ Abhängigȱ vonȱ demȱ betontȱ voranȱ stehenȬ denȱ Hauptverbȱ paragge,llwȱ entfaltetȱ V.13ȱ zunächstȱ dieȱ Bezugsgrößeȱ (evnw,pion)172,ȱ vorȱ derȱ dieȱ hierȱ geschehendeȱ Aufforderungȱ erfolgt,ȱ nämȬ lichȱGottȱselbstȱundȱJesusȱChristus.173ȱBeideȱwerdenȱdurchȱeinȱattributiȬ vesȱ Partizipȱ näherȱ charakterisiert;ȱ währendȱ Gottȱ mitȱ einemȱ ausȱ derȱ LXXȱbekanntenȱGottesprädikatȱalsȱderȱLebendigmachendeȱbeschriebenȱ wirdȱ(vgl.ȱ1Regȱ2,6ȱ[zit.ȱinȱOdȱ3,6]),ȱerfolgtȱbeiȱJesusȱChristusȱeinȱRekursȱ aufȱseinȱVerhörȱdurchȱPontiusȱPilatusȱundȱeinȱHinweisȱaufȱseinȱeigenesȱ Bezeugenȱ desȱ gutenȱ Bekenntnisses.ȱ Dassȱ geradeȱ dieserȱ Aspektȱ derȱ Existenzȱ Christiȱ betontȱ wird,ȱ dürfteȱ derȱ Pragmatikȱ desȱ Abschnittsȱ geȬ schuldetȱsein,ȱwieȱsprachlicheȱParallelenȱzuȱV.12ȱnaheȱlegen:ȱTimotheusȱ wirdȱ aufgefordert,ȱ dasȱ guteȱ Bekenntnisȱ –ȱ dessenȱ inhaltlicheȱ Füllungȱ trotzȱ desȱ sprachlichȱ schwierigenȱ Anschlussesȱ vermutlichȱ dasȱ vorherȱ genannteȱ ewigeȱ Lebenȱ istȱ –ȱ vorȱ (evnw,pion)ȱ vielenȱ Zeugenȱ zuȱ bekennen,ȱ ebensoȱ wieȱ Jesusȱ diesesȱ Zeugnisȱ wiederumȱ vorȱ (evpi,)ȱ Pontiusȱ Pilatusȱ bezeugtȱ hat.ȱ Dassȱ inȱ V.12ȱ bereitsȱ dieȱ inȱ V.14ȱ bedeutsameȱ Präpositionȱ evnw,pionȱsteht,ȱwährendȱV.13ȱevpi,ȱ bietet,ȱkönnteȱaufȱdieȱdoppelteȱVerantȬ wortlichkeitȱ desȱ Timotheusȱ hinweisen:ȱ Seinȱ Handelnȱ geschiehtȱ vorȱ Gottȱ undȱ Jesusȱ Christusȱ (V.14)ȱ ebensoȱ wieȱ vorȱ menschlichenȱ Zeugenȱ (V.12).ȱ Dasȱ vorȱ Pontiusȱ Pilatusȱ abgelegteȱ Zeugnisȱ Jesuȱ sollȱ Timotheusȱ dabeiȱ alsȱ motivierendesȱ Vorbildȱ vorȱ Augenȱ stehen,174ȱ wennȱ inȱ V.14ȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 171ȱȱ Vgl.ȱ zuȱ denȱ Spezifikaȱ dieserȱ Doxologieȱ sowieȱ demȱ religionsgeschichtlichenȱ HinterȬ grundȱNEYREY,ȱRhetoric,ȱ59–70.ȱ 172ȱȱ evnw,pionȱwirdȱalleinȱimȱ1TimȱsechsȱMalȱverwendetȱ(2,3;ȱ5,4.20f;ȱ6,12f;ȱvgl.ȱ2Timȱ2,14;ȱ 4,1ȱ alsȱ dieȱ beidenȱ anderenȱ Belegeȱ innerhalbȱ derȱ Past).ȱ Derȱ ursprünglichȱ lokaleȱ GeȬ brauchȱwirdȱdabeiȱbesondersȱdannȱtheologischȱüberhöht,ȱwennȱesȱumȱeinȱHandelnȱ inȱGegenwartȱGottesȱgehtȱ(1Timȱ2,3;ȱ5,4.21;ȱ6,13,ȱvgl.ȱ2Timȱ2,14;ȱ4,1),ȱdochȱtrittȱauchȱ anȱ denȱ anderenȱ Stellenȱ dieȱ Zeugenschaftȱ derȱ Anwesendenȱ alsȱ wichtigesȱ Merkmalȱ hinzu.ȱȱ 173ȱȱ Inwiefernȱ inȱ V.13(f)ȱ eineȱ frühchristlicheȱ Glaubensformelȱ vorliegt,ȱ wirdȱ kontroversȱ diskutiertȱ (zustimmendȱ beiȱ STETTLER,ȱ Christologie,ȱ 117;ȱ ROLOFF,ȱ 1Tim,ȱ 344;ȱ ablehȬ nendȱ beiȱ LÄGER,ȱ Christologie,ȱ 56fȱ [keineȱ weitereȱ Bezeugungȱ einerȱ solchenȱ Formel];ȱ vonȱBROX,ȱPastoralbriefe,ȱ215,ȱwirdȱdieseȱFormulierungȱaufgrundȱ derȱAnnahmeȱeiȬ nerȱ „zweiexistentialenȱ MenschȬChristologie“ȱ [vgl.ȱ auchȱ WILSON,ȱ Luke,ȱ 83,ȱ derȱ vonȱ einerȱ„twoȬstageȱchristology“ȱspricht]ȱausgeweitetȱaufȱV.13fȱ[vgl.ȱaberȱdieȱsprachliȬ cheȱ Untersuchungȱ beiȱ LÄGER,ȱ a.a.O.ȱ 58]);ȱ dieȱ Näheȱ zuȱ Johȱ 18,36fȱ (vgl.ȱ STETTLER,ȱ a.a.O.ȱ 216)ȱ istȱ nichtȱ soȱ auffällig,ȱ alsȱ dassȱ überȱ gemeinsameȱ Traditionenȱ hinausgeȬ hendeȱformelhafteȱBezügeȱangenommenȱwerdenȱmüssten.ȱȱ 174ȱȱ Dassȱ Jesusȱ hierȱ alsȱ Vorbildȱ fürȱ Timotheusȱ fungiert,ȱ wirdȱ durchȱ dieȱ Umschreibungȱ desȱVerhörsȱvorȱPilatusȱdurchȱdasȱ„guteȱBekenntnis“ȱerstȱermöglicht,ȱdaȱdieseȱ„dasȱ

160ȱ

IV.ȱȱMotivsemantischeȱUntersuchungenȱ

mithilfeȱ einerȱ AcIȬKonstruktionȱ erneutȱ seinȱ Auftragȱ entfaltetȱ wird.ȱ Währendȱ V.11fȱdabeiȱ mehrereȱ verschiedeneȱ Tugendenȱ aufzählenȱkönȬ nen,ȱbeschränktȱsichȱV.14ȱaufȱdasȱ„unbefleckteȱundȱuntadeligeȱGebot“ȱ (th.n evntolh.n a;spilon avnepi,lhmpton).175ȱDieȱsingularischeȱRedeȱvonȱ„demȱ Gebot“ȱkannȱanȱdieserȱStelleȱinhaltlichȱnichtȱgefülltȱwerden,ȱinȱAnaloȬ gieȱ zumȱ Begriffsgebrauchȱ inȱ 1Timȱ 6,20ȱ legtȱ esȱ sichȱ jedochȱ nahe,ȱ darinȱ einenȱ umfassendenȱ Ausdruckȱ fürȱ allesȱ Timotheusȱ Anvertrauteȱ zuȱ seȬ hen.176ȱ Derȱ anȱ Timotheusȱ ergangeneȱ Auftragȱ erfährtȱ durchȱ denȱ Hinweisȱ aufȱdieȱEpiphanieȱChristiȱeineȱzeitlicheȱEinordnung,ȱindemȱmithilfeȱderȱ Formulierungȱ me,criȱ th/j evpifanei,aj tou/ kuri,ou h`mw/n VIhsou/ Cristou/ dasȱ WirkenȱdesȱTimotheusȱterminiertȱwird.ȱAndersȱalsȱimȱTitȱgehtȱmitȱderȱ ErwähnungȱderȱErscheinungȱjedochȱtrotzȱgewisserȱsemantischerȱNähenȱ zuȱ1Timȱ3,16ȱkeineȱRückbindungȱanȱeineȱbereitsȱgescheheneȱEpiphanieȱ einher.ȱDieseȱscheinbareȱBegrenzungȱstelltȱdeshalbȱzugleichȱfaktischȱeineȱ zeitlicheȱ Entgrenzungȱ dar,ȱ daȱ inȱ Übereinstimmungȱ mitȱ demȱ Tenorȱ desȱ Briefesȱ insgesamtȱ kaumȱ eineȱ eschatologischeȱ Naherwartungȱ imȱ HinȬ tergrundȱ stehenȱ dürfte.177ȱ Daherȱ istȱ anȱ dieserȱ Stelleȱ auchȱ keineȱ inhaltȬ lichȬargumentativeȱ –ȱ oderȱ garȱ „motivatorische“178ȱ–ȱ Funktionȱ derȱ ErȬ wähnungȱ diesesȱ heilsgeschichtlichenȱ Datumsȱ anzunehmen,ȱ daȱ diesȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ Zeugnisȱ Jesuȱ vorȱ Pontiusȱ Pilatusȱ aufȱ dasȱ Wortbekenntnis“ȱ (soȱ WENGST,ȱ Formeln,ȱ 124f)ȱ deutet;ȱ vgl.ȱ zuȱ diesemȱ Komplexȱ auchȱ JOHNSON,ȱ Timothy,ȱ 313;ȱ YOUNG,ȱ TheoȬ logy,ȱ66;ȱROLOFF,ȱa.a.O.ȱ352ȱ(mitȱBetonungȱaufȱderȱÖffentlichkeitswirksamkeitȱdesȱanȱ TimotheusȱergangenenȱAuftrags);ȱBROX,ȱa.a.O.ȱ216.ȱDarinȱbestehtȱeinȱdeutlicherȱUnȬ terschiedȱzumȱ2Tim,ȱwoȱesȱgeradeȱdasȱLeidenȱdesȱVorbildesȱist,ȱdemȱesȱnachzufolȬ genȱgilt;ȱvgl.ȱdazuȱdieȱPunkteȱIV.4.2.3;ȱIV.4.3.2;ȱIV.4.3.3.2ȱdieserȱArbeit.ȱ 175ȱȱ MitȱBROX,ȱa.a.O.ȱ217,ȱsindȱdieȱbeidenȱAdjektiveȱhierȱaufgrundȱderȱKNGȬKongruenzȱ aufȱ dasȱ Gebotȱ selbstȱ zuȱ beziehenȱ –ȱ undȱ nichtȱ etwaȱ aufȱ denȱ Modusȱ desȱ Einhaltens;ȱ vgl.ȱjedochȱdieȱVertreterȱderȱGegenpositionȱbeiȱOBERLINNER,ȱ1Tim,ȱ296fȱAnm.ȱ46.ȱ 176ȱȱ ZurȱExegeseȱvonȱ1Timȱ6,20ȱvgl.ȱdenȱExkursȱS.ȱ394–398.ȱSoȱauchȱOBERLINNER,ȱa.a.O.ȱ 296,ȱ undȱ DIBELIUS/CONZELMANN,ȱ Pastoralbriefe,ȱ 68.ȱ Vgl.ȱ zuȱ diesemȱ Themaȱ insgeȬ samtȱ V.ȱ LIPS,ȱ Gemeinde,ȱ 161–182ȱ bes.ȱ 177–180.ȱ Inȱ vorsichtigerȱ Zustimmungȱ zuȱ KäȬ semannsȱ Annahme,ȱ hierȱ liegeȱ insgesamtȱ einȱ Ordinationsformularȱ zugrunde,ȱ verȬ mutetȱ ROLOFF,ȱ 1Tim,ȱ 340–343.351,ȱ imȱ Hintergrundȱ einȱ Ordinationsbekenntnisȱ (vgl.ȱ ebd.ȱ340,ȱdenȱTitelȱdiesesȱAbschnitts:ȱ„DasȱOrdinationsbekenntnisȱalsȱtragendeȱMoȬ tivationȱfürȱdenȱAuftrag“),ȱwelchesȱdasȱgesamteȱLebenȱdesȱGlaubendenȱbestimme.ȱȱ 177ȱȱ Andersȱ WILSON,ȱ Luke,ȱ 16f,ȱ derȱ darausȱ außerdemȱ eineȱ gegnerischeȱ Positionȱ rekonȬ struiert,ȱ nachȱ derȱ dasȱ Endeȱ derȱ Weltȱ bereitsȱ eingetroffenȱ sei.ȱ BAUCKHAM,ȱ Letters,ȱ 494,ȱwillȱhierausȱsogarȱeineȱErwartungȱdesȱPaulusȱableiten,ȱdassȱauchȱTimotheusȱbisȱ zurȱ Parusieȱ Christiȱ überlebenȱ werdeȱ (vgl.ȱ dazuȱ 1Thessȱ 4,13–18ȱ sowieȱ Hebrȱ 13,23,ȱ wohinterȱevtl.ȱeineȱaltkirchlicheȱTraditionȱsteht,ȱnachȱderȱTimotheusȱeinȱsehrȱhohesȱ Alterȱerreichtȱhabe).ȱ 178ȱȱ SoȱLÄGER,ȱChristologie,ȱ62;ȱvgl.ȱauchȱDOWNS,ȱCatholizism,ȱ653f.ȱ

1.ȱȱChristologieȱundȱSoteriologieȱ

161ȱ

eineȱgewisseȱzeitlicheȱNäheȱimȱSinneȱeinerȱNaherwartungȱoderȱinhaltliȬ cheȱRelevanzȱdiesesȱEreignissesȱvoraussetzt,ȱvonȱbeidemȱaberȱnichtȱdieȱ Redeȱseinȱkann.179ȱVielmehrȱscheintȱme,criȱth/j evpifanei,aj fastȱformelhaftȱ gebraucht,ȱ ohneȱ dassȱ derȱ Autorȱ desȱ 1Timȱ mitȱ diesemȱ –ȱ sicherlichȱ ausȱ derȱeigenenȱchristlichenȱTraditionȱbekanntenȱ–ȱBegriffȱeineȱspezifischeȱ inhaltlicheȱ Aussageȱ treffenȱ wollte.ȱ „Toȱ theȱ authorȱ […],ȱ theȱ heavenlyȱ worldȱisȱhighȱaboveȱandȱfarȱaway“.180ȱ Derȱ relativischȱ anschließendeȱ undȱ wegenȱ desȱ Genusȱ aufȱ dieȱ ErȬ scheinungȱselbstȱrückzubeziehende181ȱV.15aȱleitetȱzuȱeinerȱdenȱThemenȬ komplexȱ abschließendenȱ traditionellenȱ Doxologieȱ überȱ (V.15b.16),182ȱ welcheȱ –ȱ ohneȱ denȱ Gottesnamenȱ selbstȱ zuȱ nennenȱ –ȱ durchȱ zahlreicheȱ Gottesepithetaȱ diesenȱ alsȱ Subjektȱ desȱ christologischȬeschatologischenȱ Geschehensȱ darstellt183ȱ undȱ dabeiȱ durchȱ dieȱ mitȱ Hilfeȱ betonterȱ VoranȬ stellungȱ erfolgendeȱ Hervorhebungȱ desȱ merkwürdigȱ unbestimmtȱ bleiȬ bendenȱ Zeitpunktesȱ kairoi/j ivdi,oijȱ seineȱ göttlicheȱ Souveränitätȱ unterȬ streicht.184ȱ Dasȱ Verbȱ dei,knumiȱ korreliertȱ aufgrundȱ seinesȱ OffenbarungsȬ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 179ȱȱ Soȱ auchȱ BASSLER,ȱ Christology,ȱ 204,ȱ sowieȱ ROLOFF,ȱ 1Tim,ȱ 355.ȱ Eineȱ zentralereȱ arguȬ mentativeȱ Funktionȱ sehenȱ inȱ derȱ Erwähnungȱ derȱ Epiphanieȱ Jesuȱ hingegenȱ MARȬ SHALL,ȱPastoralȱEpistles,ȱ665;ȱSTETTLER,ȱChristologie,ȱ123f;ȱOBERLINNER,ȱ1Tim,ȱ297.ȱȱ 180ȱȱ FATUM,ȱChristȱdomesticated,ȱ189;ȱvgl.ȱauchȱLAU,ȱFlesh,ȱ236;ȱDASSMANN,ȱStachel,ȱ161;ȱ LÜHRMANN,ȱEpiphaneia,ȱ198.ȱ 181ȱȱ AndersȱMARSHALL,ȱPastoralȱEpistles,ȱ666,ȱderȱbehauptet,ȱesȱgingeȱGottȱumȱeinȱinȱderȱ EpiphanieȱzuȱgeschehendesȱZeigenȱChristi;ȱdiesȱdecktȱsichȱallerdingsȱnichtȱmitȱdemȱ grammatikalischenȱBefund,ȱdaȱdasȱfeminineȱRelativpronomenȱeinenȱRückbezugȱaufȱ Christusȱselbstȱunmöglichȱmacht.ȱ 182ȱȱ Vgl.ȱ zurȱ hierȱ möglicherweiseȱ erfolgtenȱ Verknüpfungȱ mehrererȱ unterschiedlicherȱ TraditionenȱSIMONSEN,ȱTraditionselemente,ȱ60f.ȱ 183ȱȱ AndersȱROLOFF,ȱ1Tim,ȱ364,ȱderȱbehauptet,ȱdassȱnurȱChristus,ȱnichtȱaberȱGottȱselbstȱ alsȱSubjektȱdesȱepiphanialenȱEreignissesȱstehenȱkönne.ȱVgl.ȱSCHLARB,ȱLehre,ȱ170,ȱderȱ hierȱeineȱanalogeȱStrukturȱzuȱdemȱvonȱihmȱalsȱ‚ersteȱEpiphanie‘ȱbezeichnetenȱVersȱ 1Timȱ1,15ȱentdeckenȱwill,ȱdaȱbeideȱMaleȱChristusȱalsȱderȱdemȱaktivenȱGottȱUntergeȬ ordneteȱerscheine.ȱDiesȱistȱjedochȱinsofernȱschwierig,ȱalsȱzumȱeinenȱinȱ1,15ȱnichtȱvonȱ Epiphanieȱ dieȱ Redeȱ ist,ȱ sondernȱ lediglichȱ vomȱ Kommenȱ Christiȱ inȱ dieȱ Welt,ȱ undȱ dassȱzumȱanderenȱdortȱChristusȱselbstȱalsȱgrammatikalischesȱundȱ inhaltlichesȱSubȬ jektȱ diesesȱ Geschehensȱ erwähntȱ wird.ȱ Auffälligȱ istȱ aberȱ inȱ derȱ Tat,ȱ dassȱ jeweilsȱ christologischeȱAussageȱundȱtheologischeȱDoxologieȱ(vgl.ȱ1,17)ȱmiteinanderȱkorrelieȬ ren.ȱ 184ȱȱ Vgl.ȱ LAU,ȱ Flesh,ȱ 227;ȱ OBERLINNER,ȱ 1Tim,ȱ 298.ȱ Dieserȱ pluralischeȱ Ausdruckȱ findetȱ sichȱimȱNeuenȱTestamentȱausschließlichȱimȱCorpusȱPaulinum:ȱInȱGalȱ6,9ȱumschreibtȱ erȱ dieȱ zukünftigeȱ Verheißungȱ desȱ Erntens,ȱ dieȱ dieȱ Ermahnungȱ unterstreicht,ȱ jetztȱ nichtȱzuȱermatten.ȱInȱTitȱ1,3ȱfindetȱerȱsichȱimȱRahmenȱeinesȱ(abgewandelten)ȱReveȬ lationsschemasȱ (dazuȱ s.ȱ S.ȱ 122)ȱ undȱ beschreibtȱ imȱ Kontrastȱ zuȱ derȱ pro. cro,nwn aivwni,wn geschehenenȱVerheißungȱdieȱjetzigeȱZeitȱderȱapostolischenȱPredigtȱalsȱvonȱ GottȱbestimmteȱZeitȱderȱOffenbarwerdung.ȱAlsȱschwierigȱerweistȱsichȱderȱAusdruckȱ

162ȱ

IV.ȱȱMotivsemantischeȱUntersuchungenȱ

charaktersȱmitȱderȱErscheinungsterminologieȱundȱbetont,ȱdassȱsichȱdieȱ ErscheinungȱChristiȱdeshalbȱereignenȱkann,ȱweilȱGottȱsieȱinitiiert.185ȱ

1.2.3.2ȱȱZurȱVerwendungȱvonȱfanero,wȱinȱ1Timȱ3,16ȱȱ undȱvonȱfanero,jȱinȱ1Timȱ4,15ȱ AndersȱalsȱimȱTitȱbeobachtet,ȱstehtȱdasȱVerbȱfanero,wȱimȱ1TimȱnurȱteilȬ weiseȱ inȱ strukturellerȱ Entsprechungȱ zuȱ derȱ Verwendungȱ desȱ (evpi)fanȬ Wortstammes,ȱobwohlȱesȱwieȱinȱTitȱ1,3ȱaufȱdasȱLebenȱdesȱIrdischenȱzuȱ beziehenȱ ist.ȱ Ausschlaggebendȱ fürȱ dieseȱ neueȱ Akzentsetzungȱ istȱ derȱ geänderteȱsemantischeȱKontext,ȱderȱdeshalbȱimȱFolgendenȱkurzȱdargeȬ stelltȱwerdenȱsoll.ȱȱ 1Timȱ 3,16ȱ bietetȱ eineȱ christologischeȱ Formel,ȱ dieȱ alsȱ abschließendeȱ Begründungȱ derȱ ekklesiologischenȱ Ausführungenȱ desȱ drittenȱ Kapitelsȱ dient186ȱ undȱ gleichzeitigȱ inhaltlicheȱ Füllungȱ desȱ imȱ einleitendenȱ VersȬ teilȱ genanntenȱ Geheimnissesȱ derȱ Frömmigkeitȱ ist.ȱ Derȱ harteȱ relativischeȱ Anschlussȱ mitȱ einemȱ maskulinenȱ Pronomenȱ ohneȱ Bezugswortȱ imȱ Hauptsatz187ȱ zeigtȱ deutlichȱ denȱ traditionellenȱ Ursprungȱ diesesȱ HymȬ nus,188ȱ dessenȱ christologischeȱ Ausrichtungȱ trotzȱ fehlenderȱ Zuordnungȱ unbestreitbarȱist.189ȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ inȱ1Timȱ2,6,ȱwoȱinȱeinemȱasyndetischenȱSatzanschlussȱvomȱ„ZeugnisȱzuȱeigenenȱZeiȬ ten“ȱdieȱRedeȱist.ȱMitȱdieserȱidiomatischenȱWendungȱwirdȱvermutlichȱ(vgl.ȱz.B.ȱApgȱ 4,33;ȱ2Thessȱ1,10;ȱ2Timȱ1,8)ȱaufȱdieȱapostolischeȱVerkündigungȱangespielt,ȱdieȱsoȱeiȬ nenȱeigenenȱ„heilgeschichtliche[n]ȱRang“ȱerhältȱ(ROLOFF,ȱ1Tim,ȱ123),ȱdaȱihrȱ–ȱinȱeiȬ nerȱgewissenȱAnalogieȱzuȱTitȱ1,3ȱ–ȱeineȱFunktionȱimȱgöttlichenȱZeitenplanȱzugeteiltȱ wirdȱ(ähnlichȱJOHNSON,ȱTimothy,ȱ192f).ȱ 185ȱȱ Vgl.ȱSTETTLER,ȱChristologie,ȱ117;ȱOBERLINNER,ȱebd;ȱHASLER,ȱEpiphanie,ȱ199.ȱȱ 186ȱȱ Vgl.ȱdazuȱu.ȱS.ȱ195.ȱ 187ȱȱ Vgl.ȱdieȱglättendenȱVersucheȱeinzelnerȱHandschriften,ȱdieȱentwederȱeinenȱBezugȱaufȱ musth,rionȱeintragenȱ(womitȱdieȱBezugnahmeȱaufȱChristusȱinhaltlichȱweiterhinȱmögȬ lichȱwäre),ȱoderȱdenȱGottestitelȱselbstȱverwendenȱundȱsoȱausȱdemȱsicherlichȱchristoȬ logischȱkonzipiertenȱHymnusȱeinenȱdezidiertȱtheologischenȱmachen.ȱ 188ȱȱ Vgl.ȱ zurȱ Strukturȱ diesesȱ Hymnusȱ STUHLMACHER,ȱ Theologieȱ II,ȱ 22;ȱ STETTLER,ȱ Christologie,ȱ 81;ȱ LÄGER,ȱ Christologie,ȱ 48ff.ȱ DEICHGRÄBER,ȱ Gotteshymnus,ȱ 133f,ȱ willȱ hierȱähnlichȱwieȱinȱPhilȱ2,6–11ȱeineȱStufenfolgeȱinȱAnalogieȱzumȱ„RitualȱderȱThronbeȬ steigung“ȱerkennen.ȱ 189ȱȱ Vgl.ȱ zuȱ denȱ Problemenȱ umȱ 1Timȱ 3,16ȱ insgesamtȱ (vgl.ȱ hierȱ SCHLEIERMACHER,ȱ SendȬ schreiben,ȱ 200:ȱ „Wasȱ dasȱ Ganzeȱ eigentlichȱ seinȱ magȱ gesteheȱ ichȱ gernȱ nichtȱ zuȱ wisȬ sen“.)ȱSTUHLMACHER,ȱa.a.O.ȱ21–23;ȱSTETTLER,ȱa.a.O.ȱ80–110;ȱLÄGER,ȱa.a.O.ȱ43–54.ȱDaȱ jedochȱauchȱausȱderȱAuswahlȱtraditionellerȱElemente,ȱdieȱderȱ1TimȬAutorȱinȱseinemȱ Briefȱ verwendet,ȱ Aussagenȱ überȱ seineȱ Theologieȱ getroffenȱ werdenȱ können,ȱ seiȱ hierȱ zumindestȱderȱVersuchȱeinerȱAuslegungȱgewagt.ȱ

1.ȱȱChristologieȱundȱSoteriologieȱ

163ȱ

fanero,wȱ stehtȱ darinȱ alsȱ ersteȱ vonȱ sechsȱ passivischenȱ AoristȬVerbȬ formenȱundȱistȱalsȱPassivumȱDivinumȱaufzufassen.ȱDadurchȱwirdȱähnȬ lichȱ wieȱ inȱ Titȱ 1,3ȱ betont,ȱ dassȱ Gottȱ selbstȱ derȱ Akteurȱ desȱ aoristischȱ formuliertenȱ undȱ alsoȱ bereitsȱ vergangenenȱ Christusgeschehensȱ ist,ȱ dessenȱirdischeȱExistenzȱhierȱrückblickendȱalsȱeinȱ„Zeigenȱ/ȱSehenȱlasȬ senȱimȱFleisch“ȱsummiertȱwerdenȱkann.ȱWasȱ1Timȱ6,14fȱdurchȱdasȱVerbȱ dei,knumiȱ beschreibt,ȱ dassȱ nämlichȱ Gottȱ selbstȱ derjenigeȱ ist,ȱ derȱ dasȱ epiphanialeȱ Sichtbarwerdenȱ Christiȱ veranlasst,ȱ kannȱ derȱ Hymnusȱ durchȱdasȱkausativeȱVerbȱzumȱAusdruckȱbringen.190ȱȱ Obwohlȱ jedochȱ sowohlȱ Jesuȱ irdischesȱ Wirkenȱ alsȱ auchȱ seineȱ zuȬ künftigeȱ Erscheinungȱ mitȱ Derivatenȱ desȱ Wortstammsȱ (evpi)fanȬȱ umȬ schriebenȱwerdenȱkönnen,ȱfehltȱimȱ1TimȱdieȱTitȱprägendeȱeschatologiȬ scheȱSpannung.ȱDiesȱistȱdarinȱbegründet,ȱdassȱ1Timȱ3,16ȱJesuȱLebenȱalsȱ einȱ Sichtbarwerdenȱ imȱ Fleischȱ nichtȱ seinerȱ zukünftigenȱ Erscheinung,ȱ sondernȱ seinerȱ ebenfallsȱ passivischȱ beschriebenenȱ Aufnahmeȱ inȱ dieȱ Herrlichkeitȱgegenüberstellt.ȱ ȱ

1Timȱ4,15ȱbietetȱdasȱvomȱselbenȱWortstammȱabgeleiteteȱAdjektivȱfanero,j,ȱwelȬ chesȱjedochȱhierȱohneȱchristologischenȱBezugȱsteht,ȱsondernȱvielmehr,ȱdieȱUrȬ sprungsbedeutungȱderȱverwendetenȱWurzelȱzugrundeȱlegend,ȱaufȱdieȱöffentliȬ cheȱ Sichtbarmachungȱ derȱ vonȱ Timotheusȱ eingefordertenȱ Fortschritteȱ verȬ weist.191ȱȱ

1.2.3.3ȱȱZusammenfassungȱ Dieȱ Untersuchungȱ desȱ (evpi)fanȬWortstammesȱ imȱ 1Timȱ zeigt,ȱ dassȱ vonȱ einemȱ Zentralbegriffȱ nichtȱ dieȱ Redeȱ seinȱ kann.ȱ Vielmehrȱ wirdȱ dieȱ BeȬ deutungȱ derȱ Erscheinungȱ Jesuȱ Christiȱ aufȱ ihrenȱ zeitlichȬeschatologiȬ schenȱ Aspektȱ reduziertȱ undȱ zugleichȱ zurȱ Hervorhebungȱ derȱ SouveräȬ nitätȱ Gottesȱ verwendet;ȱ dieȱ Funktionȱ Christiȱ imȱ Rahmenȱ dieserȱ Epiphanieȱbleibtȱunterbelichtet.192ȱȱ Obwohlȱ1Timȱmitȱfanero,wȱdasȱErdenwirkenȱJesuȱalsȱAktivitätȱGotȬ tesȱ aussagenȱ kannȱ (3,16),ȱ fehltȱ andersȱ alsȱ imȱ Titȱ dieȱ eschatologischeȱ Spannung,ȱ daȱ inȱ 6,13fȱ zwarȱ irdischesȱ Lebenȱ undȱ zukünftigeȱ ErscheiȬ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 190ȱȱ Vgl.ȱzurȱBetonungȱderȱirdischenȱExistenzȱJesuȱinȱdiesemȱHymnusȱBASSLER,ȱChristoȬ logy,ȱ204;ȱKLÖPPER,ȱChristologie,ȱ344f;ȱHOLTZMANN,ȱPastoralbriefe,ȱ168.ȱ 191ȱȱ Vgl.ȱBULTMANN/LÜHRMANN,ȱArt.ȱfai,nw ktl.,ȱ3.ȱ 192ȱȱ Inwiefernȱ damitȱ eineȱ expliziteȱ Unterordnungȱ Christiȱ einhergeht,ȱ wirdȱ kontroversȱ diskutiert;ȱvgl.ȱSTETTLER,ȱChristologie,ȱ126ȱ(bejahend);ȱLÄGER,ȱChristologie,ȱ62fȱ(abȬ lehnend);ȱWINDISCH,ȱChristologie,ȱ220.ȱM.E.ȱkannȱausgehendȱvomȱEpiphaniebegriffȱ fürȱdenȱ1TimȱkeineȱeindeutigeȱAussageȱgetroffenȱwerden.ȱ

164ȱ

IV.ȱȱMotivsemantischeȱUntersuchungenȱ

nungȱ gemeinsamȱ genannt,ȱ jedochȱ nichtȱ semantischȱ aufeinanderȱ bezoȬ genȱ werden,ȱ währendȱ 1Timȱ 3,16ȱ Jesuȱ irdischeȱ Existenzȱ lediglichȱ imȱ Kontextȱ seinerȱ eigenenȱ (vergangenen)ȱ Verherrlichungȱ benennt,ȱ ohneȱ diesȱmitȱeinerȱeschatologischenȱErwartungȱinȱVerbindungȱzuȱbringen.ȱ Derȱ formelhafteȱ Gebrauchȱ desȱ Epiphaniebegriffsȱ sowieȱ dieȱ damitȱ einhergehendeȱ Beobachtung,ȱ dassȱ derȱ Begriffȱ hierȱ v.a.ȱ zurȱ TerminieȬ rungȱverwendetȱwird,ȱunterstreichenȱdieȱVermutung,ȱdassȱdieȱEpiphaȬ nieȱ Christiȱ fürȱ denȱ Autorȱ desȱ 1Timȱ keineȱ Rolleȱ imȱ Sinneȱ einerȱ akutenȱ Naherwartungȱmehrȱspielt.ȱPaulusȱnimmtȱhierȱvielmehrȱeinenȱihmȱausȱ derȱ Traditionȱ bekanntenȱ Terminusȱ auf,ȱ ohneȱ ihnȱ selbstȱ mitȱ Inhaltȱ zuȱ füllenȱ oderȱfürȱ dieȱ Argumentationȱ seinesȱ Schreibensȱ fruchtbarȱ zuȱ maȬ chen.ȱȱ

1.2.4ȱȱDasȱVorkommenȱimȱ2.ȱTimotheusbriefȱ Wieȱ1Timȱverzichtetȱauchȱ2TimȱaufȱdasȱverbaleȱKompositum,ȱverwenȬ detȱaberȱdasȱSubstantivȱdeutlichȱhäufigerȱalsȱdieserȱ(1,10;ȱ4,1.8ȱ–ȱanȱerstȬ genannterȱStelleȱinȱVerbindungȱmitȱfanero,w),ȱsoȱdassȱhierȱdieȱsemantiȬ scheȱ Basisȱ fürȱ dieȱ Darstellungȱ einesȱ möglichenȱ mitȱ demȱ EpiphaniebeȬ griffȱverbundenenȱKonzeptsȱamȱbreitestenȱist.ȱȱ ȱ

Diesȱgiltȱauchȱdann,ȱwennȱmanȱinȱ1,9fȱeinȱtraditionellesȱchristologischesȱStückȱ erkennt.193ȱ Dieȱ programmatischeȱ Platzierungȱ zuȱ Beginnȱ desȱ Briefesȱ sowieȱ dieȱ nurȱ hierȱ erfolgendeȱ undȱ damitȱ fürȱ 4,1.8ȱ vorausgesetzteȱ semantischeȱ Füllungȱ desȱ evpifa,neiaȬBegriffsȱ machenȱ hierȱ nämlichȱ besondersȱ deutlich,ȱ dassȱ sichȱ derȱ Autorȱdesȱ2TimȱdenȱInhaltȱdiesesȱTraditionselementsȱzuȱEigenȱgemachtȱhat.ȱ ȱ

Inwiefernȱsichȱderȱ2TimȱnichtȱnurȱinȱderȱHäufigkeitȱderȱVerwendung,ȱ sondernȱ auchȱ durchȱ inhaltlicheȱ Spezifikaȱ auszeichnet,ȱ sollȱ imȱ FolgenȬ denȱuntersuchtȱwerden.ȱ

1.2.4.1ȱȱ2Timȱ1,10ȱ 2Timȱ 1,9fȱ stelltȱ imȱ Rahmenȱ einesȱ modifiziertenȱ Revelationsschemas194ȱ denȱ vorzeitlichenȱ Ratschlussȱ undȱ dieȱ vorzeitlicheȱ Gnadeȱ (pro. cro,nwn aivwni,wn)ȱ inȱ Jesusȱ Christusȱ ihremȱ jetztȱ (de, nu/n)ȱ sichȱ ereignendenȱ SichtȬ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 193ȱȱ Vgl.ȱzuȱdieserȱProblematikȱgrundsätzlichȱo.ȱS.ȱ121.ȱ 194ȱȱ Vgl.ȱdazuȱo.ȱS.ȱ122;ȱvgl.ȱaußerdemȱWEISER,ȱ2Tim,ȱ120,ȱderȱdieȱhierȱerfolgendeȱKombiȬ nationȱdesȱRevelationsschemasȱmitȱdenȱStichwortenȱ„aufleuchten“ȱundȱ„erscheinen“ȱ hervorhebt.ȱȱ

1.ȱȱChristologieȱundȱSoteriologieȱ

165ȱ

barwerdenȱ inȱ derȱ Erscheinungȱ Christiȱ gegenüber.ȱ Beideȱ Maleȱ wirdȱ dabeiȱ aufȱ Christusȱ alsȱ dasȱ Mediumȱ diesesȱ Heilsgeschehensȱ rekurriert,ȱ inȱ V.9ȱ ausgedrücktȱ mitȱ einerȱ evn Cristw/|ȬFormel,ȱ inȱ V.10ȱ hingegenȱ mitȱ einemȱmedialenȱGenitiv.ȱDasȱpassiveȱPartizip,ȱebensoȱwieȱinȱV.9ȱrückȬ zubeziehenȱ aufȱ pro,qesij kai. ca,rij,ȱ istȱ dabeiȱ alsȱ Passivumȱ Divinumȱ zuȱ verstehen:ȱ Gottȱ selbstȱ istȱ derȱ Akteurȱ desȱ sichȱ inȱ Christusȱ ereignendenȱ soteriologischenȱ Geschehens,ȱ dessenȱ eigeneȱ Erscheinungȱ (Genitivusȱ subjectivus)ȱ wiederumȱ denȱ Modusȱ derȱ Rettungȱ darstellt:ȱ „Theȱ sourceȱ ofȱ salvationȱ isȱ God;ȱ theȱ instrumentȱ isȱ Jesus“.195ȱ Aufgrundȱ derȱ Vergangenheitsformȱ desȱ Partizipsȱ sowieȱ desȱ betontenȱ nu/nȱ istȱ deutlich,ȱ dassȱderȱBegriffȱevpifa,neiaȱhierȱandersȱalsȱinȱ1TimȱundȱTitȱdasȱirdischeȱ Lebenȱ Jesuȱ meint,ȱ wasȱ wohlȱ zugleichȱ alsȱ Leseanweisungȱ auchȱ fürȱ dieȱ folgendenȱEpiphaniestellenȱdesȱ2Timȱzuȱverstehenȱist.ȱDasȱEpiphanieȬ geschehenȱwirdȱimȱFolgendenȱdurchȱzweiȱaktiveȱAoristȬPartizipienȱalsȱ konkretesȱ historischesȱ Geschehenȱ entfaltet.ȱ Beideȱ Partizipienȱ sindȱ aufȱ Christusȱ Jesusȱ zuȱ beziehen,ȱ soȱ dassȱ dessenȱ Verhaltenȱ alsȱ inhaltlicheȱ Füllungȱ derȱ Erscheinungȱ dient.ȱ Beideȱ Verbformenȱ sindȱ inhaltlichȱ undȱ strukturellȱ einanderȱ gegenüberȱ gestelltȱ (me.nȱ …ȱ de,):ȱ Währendȱ ersteresȱ Partizipȱ dieȱ negativeȱ Seiteȱ imȱ Blickȱ hat,ȱ richtetȱ letzteresȱ seinȱ AugenȬ merkȱ aufȱ dieȱ positivenȱ Auswirkungenȱ sowieȱ derenȱ aktualisierendeȱ Fortführungȱ imȱ Mediumȱ desȱ paulinischenȱ Evangeliums,ȱ womitȱ zuȬ gleichȱ einȱ Blickwechselȱ wegȱ vonȱ derȱ theologischȬchristologischenȱ hinȱ zurȱ ekklesiologischenȱ Dimensionȱ desȱ Heilsgeschehensȱ einherȱ geht.196ȱ EbensoȱwieȱsichȱhierȱdieȱekklesiologischeȱAufgabeȱderȱbisȱzuȱ„jenem“,ȱ d.h.ȱwohlȱdemȱjüngstenȱTagȱfortzusetzendenȱVerkündigungȱalsȱModusȱ derȱ Verwirklichungȱ desȱ Christusgeschehensȱ erweistȱ –ȱ womitȱ hierȱ zugleichȱeinȱeschatologischesȱMomentȱimpliziertȱistȱ–,ȱsoȱistȱwiederumȱ diesesȱselbstȱderȱModus,ȱinȱdemȱderȱgöttlicheȱHeilsplanȱseineȱkonkreteȱ historischeȱGestaltȱgewinnt.ȱȱ ȱZugleichȱspieltȱderȱVerfasserȱdesȱ2Timȱ–ȱdeutlicherȱalsȱdiesȱinȱdenȱ beidenȱanderenȱBriefenȱderȱFallȱistȱ–ȱmitȱderȱvisuellenȱKomponente,ȱdieȱ derȱEpiphaniebegriffȱebenfallsȱhabenȱkann:ȱInȱKontrastȱzumȱTodesmoȬ tivȱkannȱdasȱVerbȱfwti,zwȱdazuȱdienen,ȱChristiȱWerkȱmitȱdemȱHinweisȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 195ȱȱ JOHNSON,ȱTimothy,ȱ349;ȱähnlichȱTOWNER,ȱLetters,ȱ473;ȱWEISER,ȱebd.ȱLÄGER,ȱChristoȬ logie,ȱ70,ȱsprichtȱhierȱsogarȱvonȱeinerȱ‚Manifestation‘ȱderȱGnadeȱGottes.ȱ 196ȱȱ SoȱWEISER,ȱa.a.O.ȱ134;ȱähnlichȱauchȱTOWNER,ȱLetters,ȱ470;ȱPAX,ȱEpiphaneia,ȱ233f.ȱZuȱ weitreichendȱ istȱ jedochȱ dieȱ Interpretationȱ vonȱ LÖNING,ȱ Problem,ȱ 252,ȱ undȱ ROLOFF,ȱ 1Tim,ȱ365,ȱwonachȱPaulusȱ„sozusagenȱzumȱsekundärenȱMediumȱderȱEpiphanieȱGotȬ tes“ȱwerdeȱ(LÖNINGȱebd.).ȱ

166ȱ

IV.ȱȱMotivsemantischeȱUntersuchungenȱ

daraufȱ zuȱ beschreiben,ȱ erȱ bringeȱ Lebenȱ undȱ Unvergänglichkeitȱ ansȱ Licht.197ȱ Auffälligȱ istȱ außerdemȱ dieȱ engeȱ Verknüpfungȱ desȱ Substantivsȱ evpifa,neiaȱmitȱdemȱVerbȱfanero,w,ȱwieȱsieȱsichȱinȱdenȱPastȱnurȱhierȱfindet.ȱ DieseȱpartielleȱRekurrenzȱunterstreichtȱdieȱengeȱAnbindungȱderȱChrisȬ tologieȱanȱdieȱGotteslehre:ȱEbensoȱwieȱGottȱdurchȱdenȱRetterȱChristusȱ rettetȱ(swth,r –ȱsw,|zw),ȱsoȱmachtȱerȱdurchȱdieȱErscheinungȱChristiȱseineȱ vorȱ ewigenȱ Zeitenȱ gegebeneȱ Gnadeȱ sichtbarȱ (evpifa,neiaȱ –ȱ fanero,w).ȱ Dieȱ passivischeȱ Formulierungȱ istȱ hierȱ alsȱ Passivumȱ Divinumȱ aufzufassen:ȱ Gottȱ erscheintȱ damitȱ alsȱ derȱ durchȱ Christusȱ zurȱ Rettungȱ derȱ MenschȬ heitȱhandelndeȱGott.ȱ

1.2.4.2ȱȱ2Timȱ4,1.8ȱ Daȱ V.1ȱ undȱ V.8ȱ einenȱ alsȱ „Höhepunkt“198ȱ desȱ Schreibensȱ zuȱ charakȬ terisierendenȱ Abschnittȱ alsȱ Inclusioȱ umschließenȱ undȱ denȱ darinȱ angeȬ sichtsȱ desȱ Todesȱ vonȱ Paulusȱ ausgesprochenenȱ Mahnungenȱ durchȱ dieȱ partielleȱ Rekurrenzȱ desȱ Richtermotivs199ȱ eineȱ eschatologischeȱ KonnoȬ tationȱ verleihen,ȱ sollenȱ dieȱ beidenȱ ebenfallsȱ eineȱ Rekurrenzȱ bildendenȱ Verwendungenȱ desȱ Substantivsȱ evpifa,neiaȱ gemeinsamȱ betrachtetȱ werȬ den.ȱȱ ȱ

NachdemȱV.1ȱdieȱInstanzȱgenanntȱhat,ȱimȱHinblickȱaufȱwelcheȱdieȱeindringlicheȱ Ermahnungȱerfolgt,ȱentfaltenȱdieȱV.2–5ȱdieȱAufgabenȱdesȱTimotheus,ȱwobeiȱdieȱ aufforderndenȱ Imperativeȱ (V.2.5)ȱ dieȱ häresiologischeȱ Begründungȱ (V.3f)ȱ chiȬ astischȱ umklammern.ȱ V.6–8ȱ bietenȱ darüberȱ hinausȱ eineȱ aufȱ dieȱ Personȱ desȱ PaulusȱselbstȱbezogeneȱArgumentation;ȱerȱbeschreibtȱseinȱeigenesȱLebenswerkȱ mitȱausȱderȱWettkampfspracheȱentlehnterȱTerminologieȱalsȱabgeschlossenȱundȱ erwartetȱ nunȱ dieȱ eschatologischeȱ Vollendung,ȱ hierȱ ausgedrücktȱ mitȱ demȱ Bildȱ desȱSiegeskranzes,ȱwelchenȱihmȱderȱHerrȱalsȱgerechterȱRichterȱbereitȱhält.200ȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 197ȱȱ fwti,zwȱ stehtȱ alsȱ Verbȱ imȱ Rahmenȱ einesȱ Revelationsschemasȱ undȱ damitȱ ähnlichȱ konnotiertȱ wieȱ inȱ 2Timȱ 1,9fȱ nochȱ inȱ Ephȱ 3,8–11ȱ (dortȱ allerdingsȱ alsȱ Aktivitätȱ desȱ Paulusȱ [!]ȱ ausgesagt);ȱ vgl.ȱ STETTLER,ȱ Christologie,ȱ 135f,ȱ undȱ SCHLARB,ȱ Lehre,ȱ 162.ȱ ZurȱVerwendungȱdesȱVerbsȱvgl.ȱnochȱJohȱ1,9ȱ(JesusȱalsȱwahrhaftigesȱLichtȱ[vgl.ȱJohȱ 1,4:ȱWieȱinȱ2Timȱ1,10ȱwerdenȱLichtȬȱundȱLebensmetaphorikȱkombiniert]),ȱEphȱ1,18;ȱ Hebrȱ6,4;ȱ10,32;ȱApkȱ18,1;ȱ21,23;ȱ22,5).ȱ 198ȱȱ WEISER,ȱ2Tim,ȱ307f;ȱvgl.ȱSTETTLER,ȱa.a.O.ȱ204;ȱBROX,ȱPastoralbriefe,ȱ262.ȱ 199ȱȱ V.1:ȱkri,nein zw/ntaj kai. nekrou,j,ȱV.8:ȱo` di,kaioj krith,j.ȱ 200ȱȱ Vgl.ȱ zurȱ Verwendungȱ vonȱ Sportmetaphorikȱ inȱ denȱ Protopaulinenȱ METZNER,ȱ WettȬ kampf,ȱpassim;ȱsowieȱdieȱAuslegungȱvonȱ2Timȱ4,6–8ȱunterȱPunktȱIV.4.3.2.3.1ȱdieserȱ Arbeit.ȱVgl.ȱjedochȱPRIOR,ȱPaul,ȱ92–103,ȱderȱdieseȱVerseȱalsȱHinweisȱdaraufȱinterpreȬ

1.ȱȱChristologieȱundȱSoteriologieȱ

167ȱ

DaȱsowohlȱinȱV.1ȱalsȱauchȱinȱV.8ȱimȱZusammenhangȱmitȱdemȱRichterȬ seinȱ Christiȱ zugleichȱ aufȱ seineȱ Epiphanieȱ rekurriertȱ wird,ȱ gehtȱ manȱ i.d.R.ȱ davonȱ aus,ȱ dassȱ hierȱ eineȱ zukünftigeȱ Erscheinungȱ Christiȱ zumȱ Gerichtȱ gemeintȱ sei.201ȱ Beiȱ genauererȱ Betrachtungȱ erweistȱ sichȱ diesȱ jeȬ dochȱ alsȱ wenigȱ wahrscheinlich;ȱ dieȱ folgendeȱ Analyseȱ machtȱ deutlich,ȱ dassȱ4,1.8ȱebensoȱwieȱ1,10ȱmitȱdemȱTerminusȱevpifa,neiaȱaufȱdasȱirdischeȱ Lebenȱ Jesuȱ Bezugȱ nehmen.202ȱ Dieȱ Möglichkeitȱ einerȱ inhaltlichenȱ FülȬ lungȱdesȱEpiphanieterminusȱinȱ2Timȱ4ȱvonȱ1,10ȱherȱwürdeȱauchȱerkläȬ ren,ȱ wiesoȱ anȱ denȱ beidenȱ letztenȱ Stellenȱ keineȱ weitereȱ Entfaltungȱ desȱ Begriffsȱerfolgenȱmuss.203ȱ 4,1ȱdientȱalsȱfeierlicheȱEröffnungȱdesȱskizziertenȱAbschnitts,ȱbeiȱderȱ dasȱKompositumȱdiamartu,romaiȱbetontȱvoranȱsteht.ȱMitȱevnw,pionȱmitȱGeȬ nitivȱerfolgtȱzunächstȱeineȱEinordnungȱinȱdieȱSphäreȱdessen,ȱinȱdessenȱ Verantwortungȱ dasȱ mitȱ diamartu,romaiȱ ausgedrückteȱ Geschehenȱ geȬ schiehtȱ –ȱ inȱ diesemȱ Fallȱ sindȱ dasȱ Gottȱ undȱ Christus,204ȱ wobeiȱ hierȱ nurȱ Letztererȱ durchȱ einȱ substantiviertesȱ Partizipȱ mitȱ abhängigemȱ Infinitivȱ näherȱ charakterisiertȱ wirdȱ alsȱ zukünftigerȱ Richterȱ derȱ Lebendenȱ undȱ Toten.ȱȱ ȱ

Vonȱ Christusȱ alsȱ endzeitlichemȱ Richterȱ (überȱ Lebendeȱ oderȱ Tote)ȱ istȱ auchȱ anȱ andererȱ Stelleȱ imȱ Neuenȱ Testamentȱ oftȱ dieȱ Redeȱ (vgl.ȱ Mtȱ 16,27;ȱ 25,31–46;ȱ Lkȱ 21,36;ȱ Apgȱ 10,42;ȱ 17,31;ȱ Römȱ 2,16;ȱ 2Korȱ 5,10ȱ [Richterstuhlȱ Christi,ȱ vgl.ȱ Römȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ tiert,ȱ dassȱ Paulusȱ mitȱ seinerȱ baldigenȱ Freilassungȱ gerechnetȱ habe;ȱ zustimmendȱ MURPHYȬO’CONNOR,ȱPaul,ȱ367;ȱvgl.ȱdazuȱauchȱS.ȱ476f.ȱ 201ȱȱ Soȱ u.a.ȱ STETTLER,ȱ Christologie,ȱ 213;ȱ FRENSCHKOWSKI,ȱ Offenbarung,ȱ I.391;ȱ LÄGER,ȱ Christologie,ȱ 114;ȱ LAU,ȱ Flesh,ȱ 236–238;ȱ MURPHYȬO’CONNOR,ȱ 2ȱ Timothy,ȱ 406f;ȱ SCHLARB,ȱLehre,ȱ170;ȱTRUMMER,ȱPaulustradition,ȱ201;ȱHASLER,ȱEpiphanie,ȱ199ȱ(auchȱ inȱ Bezugȱ aufȱ 1Timȱ 6,14;ȱ Titȱ 2,13);ȱ WINDISCH,ȱ Christologie,ȱ 224.ȱ Vgl.ȱ auchȱ OBERȬ LINNER,ȱTit,ȱ157,ȱsowieȱders.,ȱEpiphaneia,ȱ202ȱ(andersȱjedochȱders.,ȱ2Tim,ȱ154.164,ȱwoȱ erȱfürȱdieȱauchȱinȱdieserȱArbeitȱvertreteneȱPositionȱvotiert,ȱwonachȱevpifa,neiaȱauchȱinȱ 2Timȱ 4,1.8ȱ dieȱ gegenwärtigȱ bereitsȱ vergangeneȱ Erscheinungȱ Christiȱ meint).ȱ UnentȬ schlossenȱ bleibtȱ hierȱ BULTMANN,ȱ Theologie,ȱ 534,ȱ derȱ zurȱ Redeȱ vonȱ derȱ künftigenȱ EpiphanieȱFolgendesȱnotiert:ȱ„2Timȱ4,1.8ȱ?“.ȱ 202ȱȱ WennȱROLOFF,ȱLebensnorm,ȱ157,ȱbehauptet,ȱderȱSchwerpunktȱderȱPastȱliegeȱaufȱderȱ bereitsȱgeschehenenȱEpiphanie,ȱsoȱhatȱerȱzumindestȱinȱBezugȱaufȱ2TimȱetwasȱRichtiȬ gesȱgesehen.ȱȱ 203ȱȱ Diesȱpasstȱdazu,ȱdassȱalleȱsonstigenȱErklärungsversucheȱfürȱ2Timȱ4ȱunbefriedigendȱ bleibenȱmüssen,ȱvgl.ȱz.B.ȱSTETTLER,ȱChristologie,ȱ143,ȱdieȱaufgrundȱihrerȱeschatologiȬ schenȱZuordnungȱderȱinȱV.1.8ȱgeschildertenȱEpiphanieȱvonȱgeprägterȱTerminologieȱ ausgehenȱ muss,ȱ daȱ dasȱ Substantivȱ sonstȱ unterbestimmtȱ bliebe,ȱ sowieȱ PAX,ȱ EpiphaȬ neia,ȱ 245,ȱ derȱ behauptet,ȱ dieȱ ersteȱ Epiphanieȱ habeȱ inȱ denȱ Pastȱ wegenȱ ihresȱ geȬ schichtlichenȱCharaktersȱnurȱverbalȱausgedrücktȱwerdenȱkönnen.ȱ 204ȱȱ Vgl.ȱ1Timȱ5,21;ȱ2Timȱ2,14ȱsprichtȱnurȱvonȱGottȱselbst;ȱvgl.ȱ3Johȱ6,ȱwoȱesȱumȱeinȱBeȬ zeugenȱvorȱderȱGemeindeȱgeht.ȱ

168ȱ

IV.ȱȱMotivsemantischeȱUntersuchungenȱ

14,10,ȱ woȱ Paulusȱ vomȱ Richterstuhlȱ Gottesȱ selbstȱ spricht];ȱ 1Petrȱ 4,5,ȱ sowieȱ dieȱ NäheȱzuȱRömȱ14,9ȱ[i[na kai. nekrw/n kai. zw,ntwn kurieu,sh|];ȱvgl.ȱaußerdemȱPolPhilȱ 2,1;ȱ Barnȱ 7,2;ȱ 2Clemȱ 1,1ȱ [hierȱ imȱ Rahmenȱ einesȱ Vergleichesȱ Christiȱ mitȱ Gott]).ȱ Derȱ Verfasserȱ desȱ 2Timȱ machtȱ sichȱ alsoȱ eineȱ traditionelleȱ Vorstellungȱ zuȬ nutze,205ȱumȱseineȱeigeneȱBotschaftȱdurchȱihreȱeschatologischeȱRahmungȱabzuȬ sichern.ȱ ȱ

Anȱ diesenȱ präpositionalenȱ Genitivȱ schließtȱ sichȱ dieȱ AkkusativȬKonȬ struktionȱ kai. th.n evpifa,neian auvtou/ kai. th.n basilei,an auvtou/ an,ȱ wasȱ anȱ dieserȱStelleȱinsofernȱsyntaktischȱauffälligȱist,206ȱalsȱdasȱAkkusativobjektȱ inȱVerbindungȱmitȱmartu,romaiȱ/ȱdiamartu,romaiȱüblicherweiseȱdazuȱdient,ȱ denȱ Inhaltȱ desȱ Bezeugensȱ auszudrücken.207ȱ Einȱ solchesȱ Verständnisȱ würdeȱ jedochȱ eineȱ betonteȱ Selbstaussageȱ desȱ Paulusȱ implizieren,ȱ wasȱ kaumȱzumȱDuktusȱderȱfolgendenȱVerseȱpasst,ȱdieȱsichȱv.a.ȱmitȱAnweiȬ sungenȱanȱTimotheusȱbeschäftigen.ȱHierȱlägeȱdaher,ȱverstehtȱmanȱdenȱ Akkusativȱ alsȱ ergänzendeȱ freieȱ Angabe,ȱ stattdessenȱ dieȱ Konnotationȱ desȱ Beschwörensȱ näher,ȱ wieȱ sieȱ mitȱ demȱ Dativȱ derȱ Personȱ auchȱ mögȬ lichȱist.208ȱDassȱdieserȱKasusȱinȱ4,1ȱfehlt,ȱlässtȱsichȱdurchȱdieȱdenȱgesamȬ tenȱ Briefȱ prägendeȱ Anredesituationȱ erklären,ȱ dieȱ eineȱ erneuteȱ EinfüȬ gungȱdesȱDativsȱsoi,ȱunnötigȱmacht.ȱȱ ȱ

EineȱsolcheȱKonstruktionȱfindetȱsichȱzudemȱauchȱinȱ2Timȱ2,14;ȱ1Timȱ5,21:ȱAuchȱ hierȱ wirdȱ diamartu,romaiȱ imȱ Sinneȱ einerȱ Beschwörungȱ bzw.ȱ eindringlichenȱ ErȬ mahnungȱ ohneȱ Dativȱ derȱ Person,ȱ allerdingsȱ wiederumȱ inȱ Kombinationȱ mitȱ evnw,pionȱ verwendet,ȱ wasȱ dieȱ Vermutungȱ naheȱ legt,ȱ dassȱ wirȱ esȱ hierȱ mitȱ einemȱ besonderenȱSprachgebrauchȱinnerhalbȱderȱPastȱzuȱtunȱhaben.209ȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 205ȱȱ Vgl.ȱ dazuȱ auchȱ TOWNER,ȱ Letters,ȱ 596;ȱ WEISER,ȱ 2Tim,ȱ 299;ȱ JOHNSON,ȱ Timothy,ȱ 427;ȱ STETTLER,ȱChristologie,ȱ211;ȱLÄGER,ȱChristologie,ȱ83;ȱMOULE,ȱProblem,ȱ444.ȱ 206ȱȱ TOWNER,ȱa.a.O.ȱ598f,ȱundȱMARSHALL,ȱPastoralȱEpistles,ȱ799,ȱkonstatierenȱdieseȱAufȬ fälligkeitȱ lediglich,ȱ ohneȱ sieȱ begründenȱ zuȱ können.ȱ Lautȱ PAX,ȱ Epiphaneia,ȱ 236,ȱ „erȬ klärtȱ sichȱ [dieȱ Syntax]ȱ aberȱ ausȱ demȱ Affektgehaltȱ derȱ Rede,ȱ dieȱ durchȱ dieȱ dazwiȬ schenȱgeschobeneȱFormelȱdieȱstrengȱlogischeȱKonstruktionȱausȱdenȱAugenȱverlorenȱ hatȱundȱzuȱeinemȱAllerweltskasusȱgreift,ȱderȱimȱAkkusativȱvorliegt.“ȱȱ 207ȱȱ Soȱ z.B.ȱ inȱ Apgȱ 28,23,ȱ woȱ sogarȱ dieȱ basilei,aȱ alsȱ ebenȱ dieserȱ Inhaltȱ benanntȱ werdenȱ kann.ȱVgl.ȱaußerdemȱApgȱ10,43;ȱ18,5;ȱ20,21.24;ȱ23,11;ȱJohȱ3,11.32;ȱApkȱ1,2;ȱvgl.ȱauchȱ STRATHMANN,ȱArt.ȱma,rtuj ktl.,ȱ480f.ȱȱ 208ȱȱ SoȱinȱExȱ19,10.21;ȱ21,29;ȱLkȱ16,28;ȱvgl.ȱ4Regȱ17,13,ȱ2Esȱ23,21ȱ(jeweilsȱmitȱevnȱmitȱDativȱ konstruiert).ȱȱ 209ȱȱ LautȱBEUTLER,ȱArt.ȱmarture,w ktl.,ȱ963,ȱzeigenȱdieȱPastȱdabeiȱbereitsȱeinenȱ„Übergangȱ zuȱchristlichȬformelhaftemȱGebrauch“;ȱvgl.ȱauchȱSTRATHMANN,ȱArt.ȱma,rtuj ktl.,ȱ518,ȱ derȱdaraufȱverweist,ȱdassȱdiamartu,romaiȱhierȱkonstruiertȱseiȱwieȱo`rki,zw tina, ti.ȱÄhnȬ lichȱargumentiertȱbereitsȱHOLTZMANN,ȱPastoralbriefe,ȱ443,ȱderȱanȱdieserȱStelleȱunterȱ VerweisȱaufȱMkȱ5,7ȱ(o`rki,zw);ȱApgȱ19,13ȱ(o`rki,zw);ȱ1Thessȱ5,27ȱ(evnorki,zw)ȱundȱJakȱ5,12ȱ

1.ȱȱChristologieȱundȱSoteriologieȱ

169ȱ

DannȱstehtȱderȱAkkusativȱhierȱnichtȱalsȱinhaltlichesȱObjekt,ȱsondernȱalsȱ ergänzenderȱ Accusativusȱ graecus,210ȱ derȱ dieȱ mitȱ evnw,pionȱ ausgedrückteȱ eigeneȱ Einordnungȱ imȱ Gegenüberȱ zuȱ denȱ göttlichenȱ Mächtenȱ nochȱ unterstreicht.ȱ Inhaltȱ derȱ Beschwörungȱ sindȱ dannȱ dieȱ imȱ Folgendenȱ entfalteten,ȱanȱTimotheusȱgerichtetenȱAufträge.ȱ Umstrittenȱistȱaußerdem,ȱinȱwelchemȱVerhältnisȱdieȱbeidenȱAkkuȬ sativeȱuntereinanderȱstehen:ȱSoȱwurdeȱu.a.ȱeinȱVerständnisȱalsȱHendiaȬ dyoin211ȱoderȱeineȱWiedergabeȱdesȱbeideȱSubstantiveȱverbindendenȱkai,ȱ alsȱ kai,Ȭepexegeticum212ȱ vorgeschlagen.ȱ Auchȱ dieȱ Möglichkeitȱ einesȱ zeitlichenȱNacheinandersȱbeiderȱBegriffe,ȱd.h.ȱdieȱDeutungȱderȱEpiphaȬ nieȱalsȱBeginnȱderȱBasileiaȱwurdeȱdiskutiert,ȱlässtȱsichȱaberȱanhandȱvonȱ 4,1ȱ nichtȱ plausibilisieren.213ȱ Keineȱ dieserȱ Erklärungenȱ istȱ jedochȱ zwinȬ gendȱ notwendig;ȱ dennȱ wennȱ manȱ dieȱ Wiederholungȱ kai.ȱ …ȱ kai,ȱ ernstȱ nimmtȱundȱdarinȱeineȱRekurrenzȱsowohlȱaufȱChristiȱErscheinungȱ–ȱnachȱ 1,10ȱeinȱSynonymȱfürȱseinȱErdenwirkenȱ–ȱalsȱauchȱaufȱseineȱeschatologiȬ scheȱ Königsherrschaftȱ sieht,ȱ kannȱ dieserȱ kurze,ȱ fastȱ formelhaftȱ anmuȬ tendeȱ Ausdruckȱ dasȱ gesamteȱ irdischeȱ undȱ himmlischeȱ Seinȱ Jesuȱ alsȱ BezugsgrößeȱdesȱSchwörensȱzusammenfassen.214ȱ ȱ

Vonȱ derȱ Königsherrschaftȱ Christiȱ selbstȱ istȱ innerhalbȱ derȱ Pastȱ nurȱ anȱ dieserȱ StelleȱdieȱRede;ȱauchȱimȱNeuenȱTestamentȱinsgesamtȱspieltȱsieȱv.a.ȱinȱdenȱjünȬ gerenȱ Schriftenȱ eineȱ Rolle.215ȱ Inȱ welchemȱ Verhältnisȱ dieseȱ Herrschaftȱ zurȱ Gottesherrschaftȱstehtȱ(vgl.ȱ2Timȱ4,18),ȱwirdȱnichtȱreflektiert.ȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ (o;mnumi)ȱ vonȱ einemȱ „Akkusativȱ derȱ Beschwörung“ȱ sprichtȱ undȱ dieseȱ Formulierungȱ deutetȱ„alsȱGottȱundȱChristumȱzumȱZeugenȱnehmen“.ȱ 210ȱȱ VermutlichȱumȱebenȱdiesȱzumȱAusdruckȱzuȱbringen,ȱergänzenȱeinigeȱHandschriftenȱ einȱkata,,ȱdarunterȱnebenȱdemȱMehrheitstextȱalsȱwichtigsteȱZeugenȱdieȱjeweilsȱzweiteȱ Überarbeitungȱ vonȱ Codexȱ Sinaiticusȱ undȱ Codexȱ Claromontanus.ȱ Dassȱ dieȱ PräposiȬ tionȱ hierȱ offensichtlichȱ späterȱ eingetragenȱ wurde,ȱ lässtȱ aufȱ einȱ präzisierendesȱ InteȬ resseȱ schließen.ȱ Auchȱ dieȱ Clementina,ȱ dieȱ syrischeȱ Übersetzungȱ (mitȱ AbweichunȬ gen)ȱundȱdieȱsahidischeȱÜbersetzungȱwerdenȱalsȱZeugenȱgegenȱdenȱtxtȱaufgeführt;ȱ allerdingsȱistȱderȱtextkritischeȱGehaltȱderȱÜbersetzungenȱhierȱgering.ȱȱ 211ȱȱ SoȱTOWNER,ȱLetters,ȱ597f,ȱundȱJOHNSON,ȱTimothy,ȱ428.ȱ 212ȱȱ SoȱSTETTLER,ȱChristologie,ȱ204.ȱȱ 213ȱȱ SoȱaberȱPAX,ȱEpiphaneia,ȱ237.ȱSTETTLER,ȱa.a.O.ȱ215f,ȱversuchtȱdaher,ȱeineȱaufȱDanȱ7ȱ basierendeȱ traditionsgeschichtlicheȱ Zuordnungȱ vonȱ Erscheinungȱ undȱ Herrschaftȱ vorzunehmen,ȱwasȱschonȱdeshalbȱnichtȱüberzeugenȱkann,ȱweilȱderȱBegriffȱevpifa,neiaȱ selbstȱinȱDanȱ7ȱfehlt.ȱ 214ȱȱ OBERLINNER,ȱ 2Tim,ȱ 154,ȱ sprichtȱ davon,ȱ dassȱ Epiphanieȱ undȱ Königsherrschaftȱ alsȱ „Rahmen“ȱfürȱdieȱAnweisungenȱanȱTimotheusȱdienen;ȱvgl.ȱauchȱders.,ȱEpiphaneia,ȱ 200f.ȱȱ 215ȱȱ Vgl.ȱKolȱ1,13ȱ(alsȱgegenwärtigeȱGröße);ȱEphȱ5,5;ȱ2Petrȱ1,11;ȱApkȱ11,15;ȱ12,10.ȱEtwasȱ andersȱakzentuiertȱ1Korȱ15,24fȱ(KönigsherrschaftȱChristiȱalsȱZeitȱdesȱKampfes);ȱvgl.ȱ dazuȱauchȱo.ȱS.ȱ144f.ȱ

170ȱ

IV.ȱȱMotivsemantischeȱUntersuchungenȱ

V.8ȱbietetȱdenȱdrittenȱEpiphaniebelegȱimȱ2Tim.ȱInȱV.7fȱblicktȱPaulusȱzuȬ nächstȱ aufȱ seinȱ Lebenȱ zurückȱ undȱ verleihtȱ seinerȱ Hoffnungȱ aufȱ zuȬ künftigeȱ Rettungȱ Ausdruck.ȱ Inȱ demȱ eigenenȱ untadeligenȱ Verhaltenȱ inȱ Kampf,ȱLaufȱundȱGlaubenȱbzw.ȱTreue216ȱwirdȱdasȱzukünftigeȱHeilȱbeȬ gründet,ȱwelchesȱhierȱbeschriebenȱwirdȱalsȱSiegeskranzȱderȱGerechtigȬ keit,ȱderȱdurchȱdenȱKyrios,ȱdenȱgerechtenȱRichter,ȱverliehenȱwird.217ȱ ȱ

Dassȱhierȱmitȱku,riojȱChristusȱselbstȱgemeintȱist,218ȱlegtȱsichȱausȱdemȱunmittelȬ barenȱ Kontextȱ nahe,ȱ daȱ auchȱ inȱ V.1ȱ Christiȱ Richterseinȱ ausgesagtȱ werdenȱ konnte:ȱDieȱdortȱverwendeteȱInfinitivȬKonstruktionȱbereitetȱdieȱhierȱerfolgendeȱ BezeichnungȱChristiȱalsȱdi,kaioj krith,jȱvor.219ȱȱ ȱ

Nachdemȱ Paulusȱ zunächstȱ seinerȱ individuellenȱ Zukunftserwartungȱ Ausdruckȱ verliehenȱ hat,ȱ wendetȱ erȱ imȱ letztenȱ Teilȱ vonȱ V.8ȱ denȱ Blickȱ ausdrücklichȱwegȱvonȱsichȱselbstȱundȱeinerȱgrößerenȱGruppeȱzu,ȱdenenȱ durchȱdieȱWendungȱouv mo,non de. evmoi. avlla. kai,…ȱdieȱgleicheȱeschatologiȬ scheȱ Verheißungȱ giltȱ wieȱ ihmȱ selbst,ȱ nämlichȱ derȱ bereitgehalteneȱ SieȬ geskranzȱderȱGerechtigkeit.ȱDieseȱPersonengruppeȱwirdȱdurchȱeinȱsubȬ stantiviertesȱ Partizipȱ Perfektȱ Aktivȱ näherȱ charakterisiertȱ alsȱ „alle,ȱ dieȱ seineȱErscheinungȱgeliebtȱhaben“.220ȱ Schwierigkeitenȱ bereitetȱ derȱ exegetischenȱ Forschungȱ anȱ dieserȱ Stelleȱ dieȱ Verknüpfungȱ einerȱ verbalenȱ Vergangenheitsformȱ mitȱ demȱ aufgrundȱ derȱ Bedeutungȱ inȱ 1Timȱ undȱ Titȱ i.d.R.ȱ zukünftigȱ gedachtenȱ Ereignisȱ derȱ Epiphanieȱ Christi,ȱ aufȱ denȱ sichȱ dasȱ Possessivpronomenȱ hierȱbeziehenȱmuss:ȱDaȱsichȱdieȱeschatologischeȱKonnotationȱdesȱSubȬ stantivsȱ„nachȱdemȱTenorȱderȱStelle“ȱnaheȱlege,221ȱmüsseȱdasȱVerbȱtrotzȱ desȱVergangenheitstempusȱ(Perfekt!)ȱinhaltlichȱaufȱdieȱZukunftȱausgeȬ richtetȱsein.ȱDaherȱseiȱtoi/j hvgaphko,siȱwohlȱvorȱdemȱHintergrundȱderȱinȱ Titȱ 2fȱ anklingendenȱ pädagogischenȱ Funktionȱ derȱ Erscheinungȱ derȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 216ȱȱ ZurȱsemantischenȱMehrdeutigkeitȱvonȱpi,stijȱinȱdenȱPastȱinsgesamtȱbzw.ȱspeziellȱanȱ dieserȱStelleȱvgl.ȱS.ȱ480f.ȱ 217ȱȱ Vgl.ȱdazuȱdieȱAuslegungȱvonȱ2Timȱ4,6–8ȱunterȱPunktȱIV.4.3.2.3.1ȱdieserȱArbeit.ȱ 218ȱȱ Vgl.ȱauchȱJOHNSON,ȱTimothy,ȱ432.ȱ 219ȱȱ DaȱesȱinȱderȱjüdischenȱTraditionȱGottȱselbstȱist,ȱderȱalsȱgerechterȱRichterȱbezeichnetȱ werdenȱkannȱ(2Makkȱ12,6;ȱYȱ7,12;ȱPsSalȱ2,18;ȱ9,2),ȱfindetȱhierȱalsoȱeineȱÜbertragungȱ einesȱ Gottesprädikatsȱ aufȱ Christusȱ stattȱ (soȱ u.a.ȱ STETTLER,ȱ Christologie,ȱ 221;ȱ vgl.ȱ auchȱdieȱbereitsȱerwähnteȱParallelisierungȱderȱgöttlichenȱPersonenȱinȱRömȱ14,10ȱundȱ 2Korȱ5,10),ȱworaufȱallerdingsȱnichtȱderȱSchwerpunktȱderȱPerikopeȱliegt.ȱ 220ȱȱ AuchȱinȱJakȱ1,12ȱistȱdieȱ–ȱhierȱallerdingsȱpräsentischȱformulierteȱ–ȱLiebeȱVoraussetȬ zungȱfürȱdieȱErlangungȱdesȱSiegeskranzes.ȱ 221ȱȱ DIBELIUS/CONZELMANN,ȱ Pastoralbriefe,ȱ 91;ȱ vgl.ȱ JOHNSON,ȱ Timothy,ȱ 432;ȱ LÄGER,ȱ Christologie,ȱ84;ȱ V.ȱ LIPS,ȱGemeinde,ȱ103;ȱLÜHRMANN,ȱEpiphaneia,ȱ198;ȱBROX,ȱPastoȬ ralbriefe,ȱ267.ȱ

1.ȱȱChristologieȱundȱSoteriologieȱ

171ȱ

GnadeȱoderȱGüteȱGottesȱalsȱaktivesȱErwartenȱderȱEpiphanieȱChristiȱzuȱ verstehen.222ȱ DieseȱDeutungȱistȱjedochȱkeineswegsȱzwingend,ȱdaȱgezeigtȱwerdenȱ konnte,ȱ dassȱ beideȱ vorangegangenenȱ Erwähnungenȱ vonȱ evpifa,neiaȱ dasȱ bereitsȱ vergangeneȱ Wirkenȱ Jesuȱ meinen.ȱ Daherȱ legtȱ esȱ sichȱ ausȱ demȱ unmittelbarenȱbrieflichenȱKontextȱauchȱfürȱV.8ȱnahe,ȱdiesenȱTerminusȱ aufȱ Jesuȱ Erdendaseinȱ undȱ nichtȱ aufȱ seineȱ zukünftigeȱ Erscheinungȱ zuȱ beziehen.223ȱDiesȱwirdȱgestütztȱdurchȱeineȱweitereȱstrukturelleȱBeobachȬ tungȱ inȱ Bezugȱ aufȱ V.7f:ȱ Sprichtȱ Paulusȱ inȱ V.7ȱ mitȱ dreiȱ perfektischenȱ Verbformenȱ vonȱ seinemȱ eigenenȱ vergangenenȱ Verhalten,ȱ soȱ wendetȱ V.8bȱdenȱBlickȱaufȱdasȱebenfallsȱperfektischȱausgedrückteȱHandelnȱderȱ anderen,ȱdieȱhierȱantithetischȬinkludierendȱangeschlossenȱwerden.ȱDerȱ vonȱ diesenȱ Teilversenȱ eingeschlosseneȱ V.8aȱ selbst,ȱ derȱ denȱ Fokusȱ aufȱ denȱbereitȱliegendenȱSiegeskranzȱderȱGerechtigkeitȱrichtet,ȱistȱhingegenȱ durchȱ jeȱ eineȱ präsentischeȱ (avpo,keitai)ȱ undȱ eineȱ futurischeȱ (avpodw,sei)ȱ Verbformȱ dominiertȱ undȱ soȱ schonȱ durchȱ seineȱ temporaleȱ Strukturȱ deutlichȱ abgesetzt.ȱ V.8bȱ stehtȱ alsoȱ inhaltlichȱ parallelȱ zuȱ V.7ȱ undȱ istȱ auchȱvonȱdaherȱalsȱhistorischȱverortbaresȱGeschehenȱzuȱbegreifen.ȱDieȱ eschatologischeȱKonnotation,ȱdieȱderȱGesamtversȱunbestreitbarȱhat,ȱistȱ inȱ V.8aȱ verankert,ȱ woȱ vomȱ Richterseinȱ Christiȱ undȱ demȱ Siegeskranzȱ derȱGerechtigkeitȱdieȱRedeȱist,ȱdarfȱaberȱnichtȱinȱdieȱSemantikȱderȱanȬ derenȱ Teilverseȱ eingetragenȱ werden.ȱ Dieȱ inȱ V.8bȱ erwähnteȱ Epiphanieȱ Christiȱhingegenȱistȱkeineswegsȱfuturischȱzuȱverstehen,ȱsondernȱ–ȱwieȱ esȱ derȱ unmittelbareȱ Duktusȱ vonȱ V.7.8bȱ alsȱ Rahmenȱ desȱ präsentischȬ futurischȱ formuliertenȱ V.8aȱ naheȱ legtȱ –ȱ aufȱ dasȱ Erdenwirkenȱ Jesuȱ zuȱ beziehen.ȱȱ Voraussetzungȱ fürȱ dieȱ Erlangungȱ desȱ Siegeskranzesȱ istȱ alsoȱ dieȱ Liebeȱ zurȱ Epiphanieȱ Christi,ȱ dieȱ vonȱ 1,10ȱ herȱ zuȱ verstehenȱ istȱ alsȱ dieȱ durchȱ seinȱ Lebenȱ undȱ Sterbenȱ erfolgteȱ Überwindungȱ desȱ Todesȱ undȱ dieȱVerheißungȱneuenȱLebens.ȱVonȱdiesemȱInhaltȱzeugtȱdieȱpaulinischeȱ Predigt,ȱ indemȱ sieȱ gleichzeitigȱ zumȱ Festhaltenȱ amȱ Gehörtenȱ aufruftȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 222ȱȱ Soȱ TOWNER,ȱ Letters,ȱ 617;ȱ WEISER,ȱ 2Tim,ȱ 299.309f;ȱJOHNSON,ȱ ebd.;ȱ LÄGER,ȱ a.a.O.ȱ 85f;ȱ vgl.ȱSTETTLER,ȱChristologie,ȱ220:ȱEsȱgehtȱ„umȱdieȱLiebeȱzuȱdemȱHerrn,ȱderȱbisȱzuȱseiȬ nerȱWiederkunftȱgeliebtȱwirdȱbzw.ȱwordenȱistȱ(dieȱVerwendungȱdesȱPerfektsȱistȱausȱ derȱzukünftigenȱPerspektiveȱ‚jenesȱTages‘ȱgedacht).“ȱ 223ȱȱ Vgl.ȱBASSLER,ȱChristology,ȱ207ȱ(jedochȱausdrücklichȱnurȱfürȱ4,8).ȱSoȱauchȱangedeutetȱ beiȱ BULTMANN/LÜHRMANN,ȱ Art.ȱ fai,nw ktl.,ȱ 11ȱ („möglicherweise“),ȱ sowieȱ HOLTZȬ MANN,ȱPastoralbriefe,ȱ450ȱ(vgl.ȱa.a.O.ȱ392ȱ[„vielleicht“]),ȱunterȱHinweisȱdarauf,ȱdassȱ dieȱkünftigeȱErscheinungȱnurȱGegenstandȱdesȱHoffens,ȱnichtȱjedochȱdesȱLiebensȱseinȱ könne.ȱ

172ȱ

IV.ȱȱMotivsemantischeȱUntersuchungenȱ

(1,10f.13f),ȱ wasȱ wohlȱ inhaltlichȱ mitȱ derȱ Liebeȱ zurȱ Epiphanieȱ gleichzuȬ setzenȱist.224ȱȱ

1.2.4.3ȱȱZurȱVerwendungȱderȱVerbformȱfanero,wȱinȱ2Timȱ1,10ȱ AndersȱalsȱimȱTitȱfehltȱinȱbeidenȱTimotheusbriefenȱdieȱzumȱSubstantivȱ evpifa,neiaȱ zugehörigeȱ Verbform.ȱ Wieȱ beideȱ anderenȱ Pastȱ bietetȱ jedochȱ auchȱ2TimȱeinmalȱdieȱFormȱfanero,w,ȱnurȱinȱdiesemȱBriefȱinȱunmittelbaȬ remȱBezugȱzumȱSubstantivȱevpifa,neia.ȱWieȱinȱTitȱ1,3;ȱTimȱ3,16ȱstehtȱauchȱ inȱ 2Timȱ 1,10ȱ Gottȱ alsȱ Subjekt.ȱ Erȱ veranlasstȱ dasȱ Sichtbarwerdenȱ derȱ einstȱ verheißenenȱ Gnadeȱ inȱ derȱ jetztȱ geschehendenȱ Erscheinungȱ Christi;ȱdasȱVerbȱdientȱdamitȱderȱnurȱimȱ2TimȱzentralenȱHervorhebungȱ derȱvisuellenȱKomponenteȱdesȱEpiphaniegeschehens.ȱ

1.2.4.4ȱȱZusammenfassungȱȱ DieȱUntersuchungȱdesȱEpiphaniebegriffsȱimȱ2TimȱkonnteȱcharakteristiȬ scheȱUnterschiedeȱgegenüberȱdenȱbeidenȱanderenȱSchreibenȱaufzeigen:ȱ DasȱSubstantivȱwirdȱgegenüberȱ1Timȱ/ȱTitȱdeutlichȱhäufigerȱverwendetȱ undȱistȱauchȱinhaltlichȱandersȱgefüllt:ȱEntgegenȱderȱalsȱKonsensȱgeltenȬ denȱÜberzeugung,ȱ2Timȱ1,10ȱseiȱaufȱdasȱErdenwirkenȱJesu,ȱ2Timȱ4,1.8ȱ jedochȱaufȱseinȱzukünftigesȱErscheinenȱzuȱbeziehen,ȱkonnteȱaufgezeigtȱ werden,ȱ dassȱ alleȱ dreiȱ Stellenȱ mit evpifa,neiaȱ dasȱ bereitsȱ vergangeneȱ irdischeȱ Wirkenȱ Jesuȱ meinen.ȱ Auchȱ wennȱ nurȱ 1,10ȱ dabeiȱ denȱ Inhaltȱ dieserȱ Erscheinungȱ alsȱ denȱ Todȱ überwindendesȱ Rettungsgeschehenȱ ausführtȱundȱdabeiȱzugleichȱmithilfeȱvonȱLichtmetaphorikȱalsȱsichtbaȬ resȱ (fwti,zw)ȱ sowieȱ vonȱ Gottȱ initiiertesȱ (fanero,w)ȱ Heilsgeschehenȱ beȬ schreibt,ȱsoȱistȱderȱBegriffȱauchȱinȱ4,1.8ȱinȱdieserȱWeiseȱzuȱverstehen.ȱInȱ 2Timȱ 4,1ȱ korreliertȱ diesesȱ Erdenwirkenȱ mitȱ derȱ Königsherrschaftȱ Christi,ȱwährendȱ4,8ȱ–ȱauchȱunterȱVerweisȱaufȱdasȱvorbildlicheȱVerhalȬ tenȱdesȱApostelsȱ–ȱdenȱSchwerpunktȱaufȱdieȱethischeȱMotivierungȱlegt.ȱȱ Auchȱwennȱevpifa,neiaȱhierȱandersȱalsȱimȱ1Timȱ/ȱTitȱalsoȱausschließȬ lichȱ dasȱSeinȱdesȱ geschichtlichenȱ Christusȱ meint,ȱsoȱwirdȱ dochȱ jeweilsȱ durchȱ denȱ Kontextȱ einȱ eschatologischesȱ Momentȱ inȱ dieȱ ArgumentatiȬ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 224ȱȱ DemȱgegenüberȱstehtȱdasȱVerhaltenȱdesȱDemas,ȱderȱdiesenȱÄonȱliebgewonnenȱhat.ȱ DaherȱgiltȱseineȱLiebeȱnichtȱmehrȱderȱEpiphanieȱChristi,ȱsoȱdassȱerȱauchȱPaulusȱalsȱ Repräsentantenȱ desȱ christlichenȱ Evangeliumsȱ verlassenȱ hatȱ (4,10).ȱ Auchȱ 1Korȱ 16,22ȱ korreliertȱ dasȱ gegenwärtigeȱ NichtȬLiebenȱ desȱ Herrnȱ undȱ dasȱ eschatologischeȱ VerȬ fluchtsein.ȱ

1.ȱȱChristologieȱundȱSoteriologieȱ

173ȱ

onsstrukturȱ eingetragen.ȱ Einmalȱ istȱ esȱ dieȱ zukünftigeȱ Basileia,ȱ dieȱ gleichberechtigtȱ nebenȱ derȱ Epiphanieȱ stehtȱ undȱ deutlichȱ macht,ȱ dassȱ beidesȱzusammenȱdenȱInhaltȱdesȱchristlichenȱGlaubensȱbildetȱ(4,1),ȱundȱ einȱ andermalȱ dientȱ dieȱ menschlicheȱ Liebeȱ zurȱ Epiphanieȱ alsȱ notwenȬ digeȱVoraussetzungȱderȱErlangungȱdesȱeschatologischenȱSiegeskranzes.ȱ Selbstȱ 2Timȱ 1,10–13ȱ deutetȱ diesesȱ futurischeȱ Momentȱ zumindestȱ an,ȱ wennȱ Paulusȱ inȱ V.12ȱ dieȱ Hoffnungȱ formuliert,ȱ dieȱ Parathekeȱ –ȱ derenȱ Inhaltȱ dasȱ Urbildȱ derȱ gesundenȱ Worteȱ undȱ damitȱ dasȱ paulinischeȱ Evangeliumȱist225ȱ–ȱ„bisȱzuȱjenemȱTag“ȱzuȱbewahren.ȱ Andersȱ alsȱ inȱ 1Timȱ undȱ Titȱ istȱ jeweilsȱ Christusȱ derȱ aktivȱ inȱ seinerȱ EpiphanieȱHandelnde:ȱZwarȱdientȱdieseȱlautȱ1,9fȱalsȱMediumȱ(dia,)ȱderȱ Verwirklichungȱ desȱ soteriologischenȱ Heilsplansȱ Gottes,ȱ derȱ durchȱ dasȱ Verbȱfanero,wȱalsȱVerursacherȱdessenȱausgewiesenȱwird;ȱzugleichȱzeigtȱ dieȱ grammatikalischeȱ Strukturȱ aberȱ deutlichȱ auf,ȱ dassȱ Christusȱ derjeȬ nigeȱ ist,ȱ dessenȱ Verhaltenȱ Inhaltȱ derȱ Epiphanieȱ undȱ derȱ christlichenȱ Botschaftȱist.ȱAuchȱinȱ2Timȱ4,1.8ȱliegtȱderȱSchwerpunktȱaufȱdemȱHanȬ delnȱ Christiȱ alsȱ eschatologischemȱ Richter;ȱ wohingegenȱ Gottȱ selbstȱ inȱ denȱHintergrundȱtrittȱ(4,1)ȱbzw.ȱnichtȱmehrȱselbstȱerwähntȱwirdȱ(4,8).ȱ Dieȱ fürȱ 2Timȱ 1,9fȱ beschriebeneȱ semantischeȱ Einbettungȱ desȱ evpifa,neiaȬTerminusȱlegtȱesȱnahe,ȱdassȱhierȱbeideȱfürȱdieȱantikeȱVerwenȬ dungȱ diskutiertenȱ Bedeutungskomplexeȱ desȱ Epiphaniebegriffsȱ eineȱ Rolleȱ spielen.ȱ Dassȱ dieȱ Epiphanieȱ einerȱ Gottheitȱ mitȱ ihremȱ helfendenȱ Eingreifenȱverbundenȱwar,ȱwirdȱhierȱdeutlichȱdurchȱdasȱalsȱAppositionȱ dienendeȱSubstantivȱswth,r,ȱdassȱderȱAutorȱdesȱ2Timȱauchȱdasȱvisuelleȱ Momentȱ hervorhebenȱ will,ȱ zeigtȱ dieȱ Verwendungȱ vonȱ LichtmetaphoȬ rik.ȱ Zugleichȱ stelltȱ dieȱ hierȱ geschilderteȱ Verwendungȱ desȱ Terminusȱ insofernȱ eineȱ bedeutsameȱ Neuprägungȱ derȱ paganȬantikenȱ evpifa,neiaȬ Konzeptionȱdar,ȱalsȱevpifa,neiaȱdortȱdasȱpunktuelleȱEingreifenȱeinerȱGottȬ heitȱ umschreibt,ȱ 2Timȱ jedochȱ Jesuȱ Lebenȱ insgesamtȱ inȱ seinerȱ HeilsbeȬ deutungȱalsȱEpiphanieȱbezeichnenȱkann.ȱ Daherȱkannȱmanȱabschließendȱsagen,ȱdassȱderȱEpiphaniebegriffȱfürȱ dieȱChristologieȱdesȱ2TimȱeineȱbedeutendeȱRolleȱspielt,ȱdaȱerȱnichtȱnurȱ alsȱUmschreibungȱfürȱChristiȱErdenwirkenȱdientȱundȱdamitȱzurȱUnterȬ malungȱ vonȱ dessenȱ Bedeutungȱ herangezogenȱ werdenȱ kann,ȱ sondernȱ zugleichȱ auchȱ fürȱ denȱ Briefautorȱ eineȱ Möglichkeitȱ darstellt,ȱ seineȱ eiȬ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 225ȱȱ Vgl.ȱzurȱEntfaltungȱdiesesȱZusammenhangsȱdenȱExkursȱzumȱTerminusȱparaqh,kh,ȱs.u.ȱ abȱS.ȱ536.ȱ

174ȱ

IV.ȱȱMotivsemantischeȱUntersuchungenȱ

geneȱGegenwartȱinȱAuseinandersetzungȱmitȱdenȱIrrlehrernȱtheologischȱ zuȱqualifizieren.226ȱ

1.2.5ȱȱErgebnisȱ Dieȱ Untersuchungȱ desȱ (evpi)fanȬWortstammesȱ hatȱ charakteristischeȱ Unterschiedeȱ zwischenȱ denȱ dreiȱ Briefenȱ aufgezeigt.ȱ Auchȱ wennȱ dasȱ Wortfeldȱ inȱ allenȱ dreiȱ Schreibenȱ vorkommtȱ –ȱ wasȱ gegenüberȱ demȱ sonstigenȱVorkommenȱimȱNeuenȱTestamentȱdurchausȱauffälligȱistȱ–ȱsoȱ machtȱ schonȱ dieȱ bloßeȱ Verteilungȱ innerhalbȱ desȱ Corpusȱ Pastoraleȱ deutlich,ȱ dassȱ vonȱ einemȱ „theologische[n]ȱ Leitwort“ȱ inȱ Bezugȱ aufȱ alleȱ dreiȱ Briefeȱ kaumȱ dieȱ Redeȱ seinȱ kann.227ȱ Währendȱ Titȱ undȱ 1Timȱ dasȱ Substantivȱ nämlichȱ nurȱ einmalȱ verwendenȱ (Erstererȱ bietetȱ jedochȱ darȬ überȱ hinausȱ nochȱ zweiȱ Malȱ dasȱ Verb),ȱ hatȱ 2Timȱ hingegenȱ gleichȱ dreiȱ Belegeȱfürȱevpifa,neia.ȱȱ Damitȱ gehenȱ auchȱ inhaltlicheȱ Unterschiedeȱ einher.ȱ Soȱ konnteȱ geȬ zeigtȱwerden,ȱdassȱ2TimȱbeiȱderȱVerwendungȱdesȱSubstantivsȱlediglichȱ aufȱdasȱirdischeȱLebenȱJesuȱrekurriertȱundȱdamitȱalsoȱgeradeȱnichtȱdieȱ paulinischeȱ Vokabelȱ derȱ Parusieȱ ersetzenȱ will.ȱ Vielmehrȱ meintȱ evpifa,neiaȱ hierȱ –ȱ wieȱ 1,10ȱ grundsätzlichȱ entfaltetȱ –ȱ dasȱ geschichtlicheȱ Rettungshandeln,ȱ welchesȱ sichȱ imȱ Lebenȱ undȱ Sterbenȱ Jesuȱ Christiȱ beȬ reitsȱereignetȱhatȱundȱdamitȱauchȱdieȱeigeneȱZeitȱprägt.ȱDieseȱzuȱBeginnȱ desȱBriefesȱerfolgendeȱrelativȱbreiteȱSchilderungȱderȱevpifa,neia,ȱdieȱnurȱ anȱdieserȱeinenȱStelleȱinȱdenȱPastȱinȱAufnahmeȱdesȱpaganenȱGebrauchsȱ mitȱ Lichtmetaphorikȱ verbundenȱ istȱ undȱ durchȱ dieȱ Verbindungȱ mitȱ fanero,wȱaufȱGottȱalsȱihrenȱUrheberȱzurückȱgeführtȱwird,ȱstehtȱauchȱinȱ 4,1.8ȱ imȱ Hintergrund,ȱ woȱ derȱ Begriffȱ nichtȱ nochȱ einmalȱ neuȱ erläutert,ȱ sondernȱseinȱInhaltȱvorausgesetztȱwird.ȱ EinȱgänzlichȱanderesȱBildȱbietetȱderȱ1Tim:ȱDasȱeinmaligeȱVorkomȬ menȱdesȱSubstantivsȱbezeichnetȱeinȱzukünftigesȱEreignis,ȱdasȱhierȱzwarȱ attributivȱ Jesusȱ Christusȱ zugeordnetȱ wird,ȱ alsȱ dessenȱ eigentlicherȱ UrȬ heberȱaberȱGottȱselbstȱerscheintȱ(6,14f),ȱaufȱdessenȱdoxologischerȱHulȬ digungȱderȱSchwerpunktȱliegt.ȱOhneȱdenȱBegriffȱevpifa,neiaȱinhaltlichȱzuȱ füllen,ȱ dientȱ erȱ hierȱ alsȱ Terminierungȱ desȱ anȱ Timotheusȱ ergangenenȱ Auftrags,ȱ welchenȱ erȱ me,cri th/j evpifanei,aj fortzuführenȱ habe.ȱ Zwarȱ kannȱ inȱ 3,16ȱ dasȱ Verbȱ fanero,wȱ dasȱ Erdenwirkenȱ Jesuȱ alsȱ vonȱ Gottȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 226ȱ Vgl.ȱ zurȱ Auseinandersetzungȱ mitȱ derȱ gegnerischenȱ Positionȱ u.ȱ S.ȱ 422fȱ sowieȱ zumȱ antihäretischenȱKonzeptȱdesȱ2Timȱu.a.ȱS.ȱ454–456.ȱȱ 227ȱȱ SoȱaberȱSÖDING,ȱErscheinen,ȱ169.ȱȱ

1.ȱȱChristologieȱundȱSoteriologieȱ

175ȱ

veranlasstesȱ Sichtbarwerdenȱ umschreiben,ȱ dochȱ istȱ damitȱ (andersȱ alsȱ imȱ Titȱ [s.u.])ȱ nichtȱ dasȱ paulinischeȱ Konzeptȱ desȱ eschatologischenȱ Vorbehaltsȱ verbunden,ȱ daȱ beideȱ Derivateȱ desȱ (evpi)fanȬStammesȱ ohneȱ inhaltlicheȱ oderȱ strukturelleȱ Zuordnungȱ inȱ verschiedenenȱ Kontextenȱ gebrauchtȱ werden.ȱ Eineȱ Naherwartungȱ istȱ mitȱ diesemȱ Wortfeldȱ imȱ 1Timȱnichtȱmehrȱverbunden.ȱ NurȱTitȱkannȱsowohlȱeinȱvergangenesȱalsȱauchȱeinȱzukünftigesȱGeȬ schehenȱ mitȱ demȱ Wortstammȱ (evpi)fanȬȱ verbinden.ȱ Fürȱ Ersteresȱ stehtȱ zweiȱ Malȱ dasȱ Verbȱ (2,11;ȱ 3,4),ȱ fürȱ Letzteresȱ einȱ Malȱ dasȱ Substantivȱ (2,13).ȱ Nurȱ fürȱ diesenȱ kürzestenȱ derȱ dreiȱ Briefeȱ trifftȱ daherȱ dieȱ oftȱ aufȱ alleȱ dreiȱ Pastȱ ausgeweiteteȱ Behauptungȱ zu,ȱ dieȱ Schreibenȱ sähenȱ sichȱ selbstȱinȱeinerȱZeitȱzwischenȱersterȱundȱzweiterȱEpiphanie.ȱHierȱjedochȱ istȱesȱso,ȱdassȱgeradeȱkeinȱErscheinenȱJesuȱChristiȱausgesagtȱwird,ȱsonȬ dernȱ dassȱ esȱvielmehrȱ jeweilsȱ Eigenschaftenȱ Gottesȱ selbstȱ sind,ȱ dieȱ imȱ LebenȱJesuȱerkanntȱwerdenȱsollenȱ(2,11;ȱ3,4)ȱbzw.ȱalsȱderenȱDarstellungȱ seineȱ eschatologischeȱ Epiphanieȱ dientȱ (2,13).ȱ Hinzuȱ trittȱ dieȱ VerwenȬ dungȱdesȱKausativsȱfanero,wȱinȱTitȱ1,3,ȱwelcheȱdurchȱähnlicheȱKonnotaȬ tionenȱ geprägtȱ ist:ȱ Imȱ Rahmenȱ derȱ Erwartungȱ desȱ einstȱ Verheißenenȱ garantiertȱ dieȱ Sichtbarmachungȱ desȱ göttlichenȱ Wortesȱ dieȱ Kontinuitätȱ derȱ Erwartungshaltung.ȱ Andersȱ alsȱ imȱ 2Timȱ wirdȱ jedochȱ nichtȱ dasȱ Lebenȱ Jesuȱ selbstȱ alsȱ Epiphanieȱ bezeichnet,ȱ sondernȱ seinȱ Lebenȱ ledigȬ lichȱalsȱOrtȱepiphanialenȱGeschehensȱcharakterisiert.ȱ Daherȱ kannȱ wederȱ vonȱ einemȱ einheitlichenȱ Epiphaniekonzeptȱ derȱ PastȱnochȱvonȱeinerȱEpiphaniechristologieȱüberhauptȱgesprochenȱwerȬ den.ȱWährendȱ2TimȱChristusȱalsȱdenȱinȱseinerȱ(vergangenen)ȱEpiphanieȱ aktivȱHandelndenȱ(1,10)ȱundȱdamitȱverbundenȱauchȱalsȱdenȱeschatoloȬ gischenȱ Richterȱ schildertȱ (4,1.8),ȱ istȱ nachȱ 1Timȱ Gottȱ selbstȱ dasȱ Subjektȱ derȱEpiphanieȱChristiȱ(6,14).ȱTitȱwiederumȱverstehtȱsowohlȱdasȱirdischeȱ LebenȱJesuȱ(2,11;ȱ3,4)ȱalsȱauchȱseinȱeschatologischesȱSeinȱ(2,13)ȱalsȱMoȬ dusȱderȱDarstellungȱvonȱgöttlichenȱEpiphanien.ȱȱ ȱ

Dieȱ häufigȱ mitȱ derȱ EpiphanieȬTerminologieȱ verbundeneȱ Frageȱ nachȱ einerȱ inȱ denȱ Pastȱ vorhandenenȱ Präexistenzvorstellung228ȱ wäreȱ daherȱ nurȱ fürȱ 2Timȱ zuȱ stellen,ȱ daȱ 1Timȱ dasȱ Augenmerkȱ nurȱ aufȱ dieȱ zukünftigeȱ Epiphanieȱ richtet229ȱ undȱTitȱesȱvermeidet,ȱdasȱLebenȱJesuȱselbstȱalsȱEpiphanieȱzuȱbezeichnen,ȱsonȬ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 228ȱȱ SoȱfürȱalleȱdreiȱBriefeȱbejahendȱTOWNER,ȱLetters,ȱ417;ȱSÖDING,ȱa.a.O.ȱ171;ȱMARSHALL,ȱ Christology,ȱ171ff;ȱSTETTLER,ȱChristologie,ȱ146;ȱLAU,ȱFlesh,ȱ255;ȱSCHLARB,ȱLehre,ȱ168.ȱ 229ȱȱ Andersȱ STETTLER,ȱ a.a.O.ȱ 331,ȱ dieȱ behauptet,ȱ dassȱ selbstȱ dasȱ Konzeptȱ einerȱ zweitenȱ EpiphanieȱaufgrundȱdesȱinnerenȱZusammenhangsȱmitȱderȱ(mitzudenkenden)ȱerstenȱ EpiphanieȱnotwendigȱeineȱPräexistenzȱauchȱdesȱIrdischenȱvoraussetze.ȱ

176ȱ

IV.ȱȱMotivsemantischeȱUntersuchungenȱ

dernȱstattdessenȱvonȱeinerȱinȱdiesemȱLebenȱstattfindendenȱEpiphanieȱgöttlicherȱ Eigenschaftenȱspricht.ȱȱ ȱ

Dassȱ 1Timȱ 6,14ȱ keineȱ Naherwartungȱ mehrȱ impliziert,ȱ warȱ schonȱ geȬ zeigtȱworden;ȱhierinȱbestehtȱinsofernȱeinȱgewisserȱUnterschiedȱzuȱdenȱ beidenȱkleinerenȱPastoralbriefen,ȱalsȱdortȱeinȱeschatologischesȱMomentȱ durchausȱ vorhandenȱ ist:ȱ Soȱ verstehtȱ Titȱ seineȱ Zeitȱ alsȱ Zeitȱ zwischenȱ zweiȱ Epiphanienȱ undȱ 2Timȱ siehtȱ eineȱ engeȱ Beziehungȱ zwischenȱ demȱ zukünftigȱerwartetenȱGerichtȱsowieȱdemȱeigenenȱVerhaltenȱgegenüberȱ JesuȱirdischerȱEpiphanie.ȱ Auchȱ dieseȱ Untersuchungȱ hatȱ daherȱ dasȱ Ergebnisȱ erbracht,ȱ dassȱ vonȱ einerȱ einheitlichen,ȱ mitȱ demȱ Terminusȱ evpifa,neiaȱ verbundenenȱ Konzeptionȱ derȱ dreiȱ Pastȱ nichtȱ dieȱ Redeȱ seinȱ kann.ȱ Damitȱ deutetȱ sichȱ hierȱ bereitsȱ an,ȱ wasȱ imȱ Verlaufȱ derȱ Arbeitȱ weiterȱ entfaltetȱ wird,ȱ dassȱ nämlichȱ wederȱ eineȱ inhaltlichȬkonzeptionelleȱ Einheitȱ derȱ dreiȱ SchreiȬ benȱnochȱauchȱnurȱdieȱBehauptungȱeinerȱgemeinsamenȱVerfasserschaftȱ derȱBriefeȱwirklichȱplausibelȱist.230ȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 230ȱȱ Vgl.ȱauchȱBASSLER,ȱChristology,ȱ214,ȱdieȱaufgrundȱspeziellȱdiesesȱBefundsȱvermutet,ȱ hinterȱ denȱ dreiȱ Briefenȱ stündenȱ dreiȱ verschiedeneȱ Persönlichkeitenȱ derȱ PaulusȬ schule.ȱ

2.ȱȱEkklesiologieȱ 2.1ȱȱDieȱ„oi=kojȬEkklesiologie“1ȱalsȱLeitmotivȱinȱdenȱPastoralbriefenȱȱ AlsȱgemeinsamesȱSpezifikumȱderȱdreiȱPastoralbriefeȱgeltenȱÄmterlehreȱ undȱ Gemeindeordnung,ȱ welcheȱ dieseȱ Schreibenȱ zudemȱ alsȱ deutlichȱ nachpaulinischȱausweisenȱwürden:ȱDasȱGemeindelebenȱseiȱnichtȱmehrȱ geprägtȱ vonȱ geschwisterlicherȱ Gleichheit,ȱ sondernȱ wechseleȱ „fromȱ aȱ verticalȱ toȱ aȱ horizontalȱ definitionȱ ofȱ Christianȱ identity“2,ȱ soȱ dassȱ dieȱ Ekklesiaȱalsȱ„Musterfamilieȱ(Gottes)“3ȱerscheine,ȱinȱwelcherȱeineȱhierarȬ chischȱ geprägteȱ Gemeindestrukturȱ ebensoȱ wieȱ dieȱ zurȱ Traditionȱ geȬ wordeneȱ„gesundeȱLehre“ȱdieȱeigeneȱExistenzȱgarantierenȱsollen.4ȱ Dassȱ dieȱ Pastoralbriefeȱ nurȱ scheinbarȱ Briefe,ȱ inȱ Wirklichkeitȱ aberȱ Kirchenordnungenȱ seien,5ȱ wirdȱ dabeiȱ inȱ derȱ PastȬForschungȱ ebensoȱ diskutiertȱ wieȱ dieȱ Frage,ȱ obȱ dieȱ Briefeȱ ihreȱ gemeindlichenȱ Strukturenȱ bewusstȱ nachȱ demȱ Vorbildȱ antikerȱ Hausgemeinschaftenȱ ausrichten.6ȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 1ȱȱ

2ȱȱ 3ȱȱ 4ȱȱ 5ȱȱ

6ȱȱ

Floydȱ F.ȱ Filsonȱ warȱ 1939ȱ derȱ Erste,ȱ derȱ vonȱ einerȱ oi=kojȬEkklesiologieȱ sprachȱ (vgl.ȱ ders.,ȱSignificance,ȱ105fȱu.ö.).ȱVgl.ȱzurȱBegriffswahlȱaußerdemȱOBERLINNER,ȱHellenisȬ mus,ȱ 152ȱ („dieseȱ inȱ derȱ antikenȱ Weltȱ soȱ bekannteȱ undȱ geschätzteȱ OikosȬVorstelȬ lung“),ȱsowieȱLAUB,ȱHintergrund,ȱ261:ȱEsȱ„zeichnetȱsichȱsoȱgutȱwieȱinȱallenȱSchichtenȱ neutestamentlicherȱ Überlieferungȱ eineȱ missionsstrategische,ȱ organisatorischeȱ undȱ ekȬ klesiologischeȱ Relevanzȱ desȱ Oikosȱ ab,ȱ daßȱ manȱ analogȱ zurȱ antikenȱ ‚OikosȬGesellȬ schaft‘ȱ mitȱ Fugȱ undȱ Rechtȱ vonȱ einerȱ frühchristlichenȱ ‚OikosȬKirche‘ȱ redenȱ kann“,ȱ HervorhebungȱM.E.ȱ FATUM,ȱ Christȱ domesticated,ȱ 188;ȱ vgl.ȱ OBERLINNER,ȱ Gemeindeordnung,ȱ 305;ȱ HORȬ RELL,ȱTransformation,ȱpassim;ȱGEHRING,ȱHausgemeinde,ȱ442.ȱ STUHLMACHER,ȱTheologieȱII,ȱ52;ȱvgl.ȱROLOFF,ȱKirche,ȱ255,ȱsowieȱbereitsȱKÄSEMANN,ȱ Amt,ȱ127.ȱȱ Vgl.ȱFATUM,ȱChristȱdomesticated,ȱ179,ȱundȱSCHENK,ȱForschung,ȱ3430.ȱ Vgl.ȱzurȱDebatteȱumȱdieȱFormȱderȱPastoralbriefeȱWOLTER,ȱPaulustradition,ȱ132ff:ȱErȱ fordert,ȱdieȱBriefformȱderȱPastȱernstȱzuȱnehmenȱundȱdeshalbȱdieȱinȱ1TimȱundȱTitȱzuȱ findendenȱGemeindeordnungenȱalsȱ„Teilgattungenȱ[…],ȱdieȱaberȱvonȱderȱBriefformȱ umgriffenȱ sind“ȱ (133),ȱ zuȱ betrachten.ȱ Vgl.ȱ außerdemȱ JOHNSON,ȱ Delegates,ȱ 14;ȱ MARXSEN,ȱ Einleitung,ȱ 201;ȱ V.ȱ CAMPENHAUSEN,ȱ Amt,ȱ 116,ȱ undȱ dieȱ Darstellungȱ derȱ DiskussionȱderȱliterarischenȱFormȱbeiȱHÄFNER,ȱSchrift,ȱ5f.ȱVorsichtigerȱurteilenȱhierȱ WALL,ȱ Function,ȱ 39.42,ȱ sowieȱ MARSHALL,ȱ Pastoralȱ Epistles,ȱ 519f,ȱ derȱ daraufȱ hinȬ weist,ȱ dassȱ imȱ Kontextȱ einerȱ Kirchenordnungȱ eineȱ deutlichereȱ Einbindungȱ vonȱ TiȬ motheusȱundȱTitusȱnötigȱgewesenȱwäre.ȱ Vgl.ȱ ROLOFF,ȱ Pfeiler,ȱ 237:ȱ „Dieȱ patriarchalischeȱ Strukturȱ derȱ antikenȱ Großfamilieȱ wirdȱaufȱdieȱGemeindeȱübertragen“ȱ(vgl.ȱaberȱders.,ȱ1Tim,ȱ211:ȱ1Timȱ3,15ȱundȱ2Timȱ

178ȱ

IV.ȱȱMotivsemantischeȱUntersuchungenȱ

DamitȱeinherȱgehtȱdieȱoftȱabwertendeȱEinschätzungȱderȱPastȱalsȱwichtiȬ gerȱ Meilensteineȱ aufȱ demȱ Wegȱ zumȱ bürgerlichenȱ Christentumȱ undȱ demȱFrühkatholizismus.ȱ ȱ

Dieseȱ beidenȱBezeichnungenȱ sindȱ engȱ verbundenȱ mitȱ denȱNamenȱ vonȱ Martinȱ DibeliusȱundȱErnstȱKäsemann.7ȱErstererȱsprachȱinȱseinemȱKommentarȱwiederȬ holtȱ vonȱ einemȱ inȱ denȱ Pastȱ verwirklichtenȱ „Idealȱ christlicherȱ Bürgerlichkeit“ȱ undȱ verstandȱ darunterȱ einȱ negativȱ konnotiertesȱ SichȬEinrichtenȱ desȱ frühenȱ Christentumsȱ inȱ derȱ antikenȱ Welt.8ȱ Seineȱ Einschätzungȱ desȱ Briefcorpusȱ istȱ imȱ Folgendenȱ oftȱ rezipiertȱ worden;9ȱ dieȱ sichȱ schnellȱ durchsetzendeȱ Bezeichnungȱ derȱPastȱalsȱDokumenteȱeinesȱ„bürgerlichenȱChristentums“ȱenthieltȱdabeiȱhäuȬ figȱdenȱBeiklangȱvonȱDegeneration:ȱAusȱderȱursprünglichenȱspirituellenȱpauliȬ nischenȱFreiheitȱseiȱeineȱfastȱspießbürgerlichȱanmutendeȱEngeȱgeworden,ȱinȱderȱ einȱstaatstragendesȱStillehaltenȱalsȱ‚ersteȱBürgerpflicht‘ȱgelte.10ȱDanebenȱmeldeȬ tenȱsichȱaberȱauchȱimmerȱmehrȱkritischeȱStimmen,ȱdieȱbetonten,ȱdassȱmanȱdieȱ PastȱwederȱanȱPaulusȱnochȱanȱeinemȱeherȱ‚preußisch‘ȱgeprägtenȱTugendkatalogȱ messenȱdürfe.11ȱDieȱinȱdenȱdreiȱHirtenbriefenȱvertreteneȱEthikȱseiȱ–ȱauchȱwennȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 2,19–21ȱ „bleibenȱ fragmentarischȱ undȱ führenȱ überȱ Ansätzeȱ kaumȱ hinaus“);ȱ vgl.ȱ OBERLINNER,ȱ Paulus,ȱ 178ȱ (vgl.ȱ ders.,ȱ Gemeindeordnung,ȱ 305);ȱ HARDING,ȱ Pastoralȱ Epistles,ȱ 47f;ȱ YOUNG,ȱ Theology,ȱ 79–84;ȱ SCHLARB,ȱ Lehre,ȱ 123.319;ȱ HOFFMANN,ȱ PriesȬ tertum,ȱ52;ȱV.ȱ LIPS,ȱGemeinde,ȱ150,ȱsowieȱdieȱgrundlegendeȱMonographieȱvonȱDavidȱ VernerȱzumȱThemaȱ(„TheȱHouseholdȱofȱGod“).ȱSCHÖLLGEN,ȱoi=koj, 90,ȱweistȱinȱdieȬ semȱZusammenhangȱ nach,ȱ dassȱ dieȱRedeȱ vomȱoi=kojȱ(qeou/)ȱ dieȱwichtigsteȱ kirchlicheȱ LeitmetapherȱzwischenȱdemȱEndeȱdesȱerstenȱundȱderȱMitteȱdesȱdrittenȱJahrhundertsȱ war;ȱ vgl.ȱ zuȱ denȱ zahlreichenȱ anderenȱ Möglichkeiten,ȱ dieȱ Kirchenrealitätȱ metaphoȬ rischȱzuȱbeschreibenȱDASSMANN,ȱArt.ȱKircheȱII,ȱpassim.ȱ 7ȱȱ Vgl.ȱ zurȱ Begriffsgeschichteȱ grundlegendȱ NEUFELD,ȱ Frühkatholizismus,ȱ passim,ȱ sowieȱNAGLER,ȱFrühkatholizismus,ȱbes.ȱ52ff.ȱ 8ȱȱ DIBELIUS,ȱ Pastoralbriefe,ȱ 24ȱ u.ö.;ȱ vgl.ȱ auchȱ ders./CONZELMANN,ȱ Pastoralbriefe,ȱ 8.32.106ȱ u.ö.,ȱ wobeiȱ auffällt,ȱ dassȱ Conzelmannȱ inȱ seinerȱ Neubearbeitungȱ desȱ KomȬ mentarsȱdieseȱBegrifflichkeitȱzwarȱübernimmt,ȱsieȱjedochȱinȱpositiverȱWeiseȱmitȱderȱ andauerndenȱWeltzeitȱinȱBeziehungȱsetzenȱkann.ȱ 9ȱȱ Vgl.ȱalsȱneuerenȱVertreterȱparȱexcellenceȱeinerȱ„christlichenȱBürgerlichkeit“ȱderȱPastȱ denȱ1TimȬKommentarȱvonȱJürgenȱRoloff.ȱVgl.ȱdenȱÜberblickȱbeiȱSCHWARZ,ȱChristenȬ tum,ȱ12f,ȱsowieȱu.a.ȱKÖSTER,ȱEinführung,ȱ741;ȱSCHULZ,ȱMitte,ȱ107;ȱBROX,ȱAmt,ȱ132f;ȱ V.ȱ CAMPENHAUSEN,ȱ Amt,ȱ 123.ȱ Etwasȱ andersȱ akzentuiertȱ hierȱ HERZER,ȱ Geheimnis,ȱ 327f,ȱderȱdieserȱCharakteristikȱnurȱfürȱ1TimȱeinȱgewissesȱRechtȱzuerkennt.ȱVgl.ȱdazuȱ auchȱdenȱExkursȱzumȱTerminusȱeuvse,beiaȱinȱdenȱPastoralbriefenȱabȱS.ȱ345.ȱ 10ȱȱ Soȱ schließtȱ z.B.ȱ SCHULZ,ȱ a.a.O.ȱ 109,ȱ seineȱ Ausführungenȱ zuȱ diesemȱ Themaȱ mitȱ derȱ Forderung,ȱ dassȱ „dieseȱ frühkatholischeȱ Entwicklungȱ geradeȱ umȱ Paulusȱ willenȱ […]ȱ rückgängig“ȱ gemachtȱ werdenȱ müsse;ȱ vgl.ȱ außerdemȱ JOHNSON,ȱ Delegates,ȱ 14ff;ȱ HOFFMANN,ȱ Priestertum,ȱ 51;ȱ SCHWARZ,ȱ a.a.O.ȱ 7–11;ȱ ALEITH,ȱ Paulusverständnis,ȱ 16;ȱ vgl.ȱ auchȱ dieȱ paradigmatischeȱ Formulierungȱ beiȱ FATUM,ȱ Christȱ domesticated,ȱ 189:ȱ „ChristȱcrucifiedȱisȱsubstitutedȱbyȱChristȱdomesticated“.ȱ 11ȱȱ Vgl.ȱ u.a.ȱ VANȱ NESTE,ȱ Cohesion,ȱ 232;ȱ GEHRING,ȱ Hausgemeinde,ȱ 448–450ȱ (undȱ dieȱ a.a.O.ȱ447ȱAnm.ȱ320,ȱgenanntenȱNamen);ȱYOUNG,ȱTheology,ȱ46.ȱVgl.ȱdieȱgrundsätzliȬ

2.ȱȱEkklesiologieȱ

179ȱ

derȱBezeichnungȱalsȱ„bürgerlich“ȱeinȱgewissesȱRechtȱzukomme12ȱ–ȱvielmehrȱalsȱ Ergebnisȱ einerȱ intensivenȱ Auseinandersetzungȱ mitȱ Häretikernȱ zuȱ verstehen13ȱ oderȱ alsȱ Versuchȱ derȱ Gemeindeȱ ernstȱ zuȱ nehmen,ȱ dasȱ Schwindenȱ derȱ NaherȬ wartungȱ theologischȱ zuȱ verarbeitenȱ bzw.ȱ inȱ ihrerȱ heidnischenȱ Umweltȱ heiȬ mischȱ zuȱ werden.14ȱ Auchȱ fürȱ dieȱ Pastȱselbstȱ stelltenȱdieȱinȱ ihnenȱ formuliertenȱ Verhaltensweisenȱ daherȱ keineȱ zeitlosȱ gültigenȱ Regelnȱ darȱ undȱ dürftenȱ auchȱ nichtȱ alsȱ solcheȱ beurteiltȱ werden.ȱ Außerdemȱ müsseȱ beiȱ derȱ Einschätzungȱ beȬ dachtȱ werden,ȱ dassȱ dasȱ geforderte,ȱ denȱ antikȬethischenȱ Normenȱ angepassteȱ Verhaltenȱ nichtȱ umȱ seinerȱ selbstȱ willenȱ geschehe,ȱ sondernȱ vielmehrȱ demȱ Zielȱ diene,ȱ selbstȱ missionarischȱ inȱ derȱ Weltȱ tätigȱ zuȱ seinȱ undȱ einȱ Abbildȱ derȱ Güteȱ Gottesȱdarzustellen.15ȱȱ ErnstȱKäsemannȱwarȱes,ȱderȱdenȱzuȱBeginnȱdesȱ20.ȱJahrhundertsȱzuerstȱbeiȱ Troeltschȱ auftauchenden,ȱ dieȱ Syntheseȱ vonȱ paulinischemȱ undȱ petrinischemȱ ChristentumȱbezeichnendenȱBegriffȱ„Frühkatholizismus“ȱfürȱdieȱPastoralbriefȬ exegeseȱfruchtbarȱmachte:ȱErȱdienteȱihmȱzurȱBeschreibungȱ„derȱVerselbständiȬ gungȱ derȱ Ethikȱ undȱ [der]ȱ Sicherungȱ derȱ wahrenȱ Lehreȱ durchȱ dieȱ AmtskirȬ che“.16ȱZwarȱerkannteȱerȱdahinterȱdieȱNotwendigkeitȱderȱAuseinandersetzungȱ derȱantikenȱKircheȱmitȱdemȱProblemȱderȱParusieverzögerung17,ȱbewerteteȱdiesȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ

12ȱȱ 13ȱȱ

14ȱȱ

15ȱȱ

16ȱȱ 17ȱȱ

chenȱÄußerungenȱbeiȱLÖNING,ȱEkklesiologie,ȱ419ȱAnm.ȱ17:ȱ„DasȱOikosȬModellȱstelltȱ nichtȱdieȱFamilieȱalsȱPrivatsphäreȱdar.ȱEinȱGroßteilȱderȱMissverständnisseȱbezüglichȱ derȱ Past,ȱ dieȱ sichȱ mitȱ demȱ Schlagwortȱ ‚christlicheȱ Bürgerlichkeit‘ȱ verbinden,ȱ hätteȱ sichȱvermeidenȱlassen,ȱwennȱvonȱvornhereinȱgesehenȱwordenȱwäre,ȱdaßȱOikosȱundȱ PolisȱinȱderȱAntikeȱgleichgewichtigeȱKategorienȱzurȱErfassungȱgesellschaftlicherȱReȬ alitätȱsind.“ȱ Vgl.ȱSTUHLMACHER,ȱTheologieȱII,ȱ52.ȱ Soȱ u.a.ȱ SCHWARZ,ȱ Christentum,ȱ 30:ȱ „Dieȱ ‚Bürgerlichkeit‘ȱ derȱ Pastȱ istȱ […]ȱ inȱ hohemȱ MaßeȱeineȱReaktionȱgegenȱdasȱSchwärmertumȱderȱIrrlehrer.“ȱVgl.ȱ WALL,ȱFunction,ȱ 44ȱ(AbwehrȱeinesȱMissverständnissesȱinȱBezugȱaufȱdieȱpaulinischeȱLehre);ȱHARDING,ȱ PastoralȱEpistles,ȱ55;ȱWEISER,ȱVerantwortung,ȱ35f;ȱMARXSEN,ȱEinleitung,ȱ211;ȱvgl.ȱbeȬ reitsȱ V.ȱ CAMPENHAUSEN,ȱPolykarp,ȱ244ȱ(„ManȱbrauchteȱeinenȱPaulus,ȱderȱdieȱselbstȬ verständlichen,ȱ natürlichenȱ undȱ bürgerlichenȱ Tugendenȱ gegenȱ alleȱ enthusiastischeȱ SchwärmereiȱanerkannteȱundȱinȱSchutzȱnahm“.).ȱ FürȱErsteresȱplädiertȱKÄSEMANN,ȱAmt,ȱ127;ȱfürȱLetzteresȱtretenȱhingegenȱTHIESSEN,ȱ Ephesus,ȱ 288f;ȱ BROX,ȱ Pastoralbriefe,ȱ 138.145ȱ u.ö.ȱ (vgl.ȱ a.a.O.ȱ 138:ȱ „Dasȱ Christentumȱ wirdȱ beherztȱ inȱ dieȱ Weltȱ eingewurzelt“.);ȱ VANȱ UNNIK,ȱ Rücksicht,ȱ 233f;ȱ SCHNAȬ CKENBURG,ȱKirche,ȱ91,ȱein.ȱ Soȱ ROLOFF,ȱ Kirche,ȱ 257fȱ (dieȱ angeblicheȱ Bürgerlichkeitȱ „warȱ dieȱ vielleichtȱ unverȬ meidlicheȱKehrseiteȱeinerȱimȱganzenȱNeuenȱTestamentȱvergleichslosenȱOffenheitȱfürȱ dieȱGesellschaft“ȱ[ebd.ȱ258]);ȱvgl.ȱaußerdemȱ LÖNING,ȱ Problem,ȱ247ȱ(vgl.ȱ ders.,ȱEkkleȬ siologie,ȱ416);ȱSTUHLMACHER,ȱKirche,ȱ313;ȱTOWNER,ȱGoal,ȱ254.ȱ Soȱ dieȱ Darstellungȱ beiȱ SCHWARZ,ȱ Christentum,ȱ 14;ȱ vgl.ȱ KÄSEMANN,ȱ Ruf,ȱ 127–130ȱ (vgl.ȱders.,ȱAmt,ȱ129),ȱsowieȱdessenȱpositiveȱRezeptionȱbeiȱALAND,ȱNochȱeinmal,ȱ124.ȱ Vgl.ȱKÄSEMANN,ȱRuf,ȱ129:ȱ„InȱWirklichkeitȱgehtȱesȱumȱdieȱStabilisierungȱderȱVerhältȬ nisseȱ inȱ einerȱ chaotischenȱ Umwelt.ȱ Manȱ kannȱ diesemȱ Unternehmenȱ höchstenȱ ReȬ spektȱ nichtȱ versagen,ȱ ebenȱ weilȱ hierȱ zweckmäßigȱ gehandeltȱ wird.“ȱ Soȱ urteiltȱ auchȱȱ

180ȱ

IV.ȱȱMotivsemantischeȱUntersuchungenȱ

jedochȱ gegenüberȱ derȱ inȱ denȱ protopaulinischenȱ Briefenȱ entfaltetenȱ Theologieȱ negativ:ȱ„WasȱdenȱVorgangȱtheologisch,ȱjedenfallsȱvonȱPaulusȱher,ȱsoȱfragwürȬ digȱ werdenȱ läßtȱ undȱ denȱ Übergangȱ inȱ frühkatholischeȱ Anschauungsweisenȱ markiert,ȱ ist,ȱ daßȱ dieseȱ Umwandlungȱ nichtȱ mitȱ Notȱ undȱ geschichtlicherȱ NotȬ wendigkeit,ȱ sondernȱ mitȱ einemȱ TraditionsȬȱundȱ Legitimitätsprinzipȱ verknüpftȱ undȱ begründetȱ wird,ȱ derȱ Geistȱ alsoȱ alsȱ Organȱ undȱ Sinnȱ einesȱ Prinzipsȱ erȬ scheint.“18ȱ DiesemȱVerständnisȱderȱPastȱhabenȱimȱGefolgeȱKäsemannsȱzahlreicheȱExȬ egeten,ȱ besondersȱ protestantischerȱ Prägung,ȱ zugestimmt19ȱ undȱ dieȱ PastoralȬ briefeȱalsȱdasȱklarsteȱZeugnisȱfürȱFrühkatholizismusȱimȱNeuenȱTestamentȱbeurȬ teilt:ȱ „[I]nȱ themȱ theȱ parousiaȱ isȱ aȱ fadedȱ shadowȱ ofȱ itsȱ earliestȱ expression,ȱ inȱ themȱinstitutionalizationȱisȱalreadyȱwellȱadvanced,ȱinȱthemȱChristianȱfaithȱhasȱ alreadyȱ setȱ fastȱ inȱ fixedȱ forms.“20ȱ Allerdingsȱ äußertenȱ sichȱ auchȱ zuȱ Rechtȱ kritischeȱ Stimmen,ȱ dieȱ dahinterȱ einȱ anȱ Paulusȱ gemessenesȱ Werturteilȱ erkannȬ ten,ȱ welchesȱ derȱ theologischenȱ Eigenleistungȱ derȱ dreiȱ Schreibenȱ nichtȱ gerechtȱ werde.21ȱ ȱ

Mitȱ derȱ Debatteȱ umȱ dieȱ theologiegeschichtlicheȱ Einordnungȱ derȱ Pastȱ engȱverbundenȱistȱdieȱFrageȱnachȱihremȱinhaltlichenȱZentrum:ȱGehtȱesȱ vorrangigȱumȱdieȱBekämpfungȱderȱIrrlehrerȱundȱihrerȱIrrlehren22ȱoderȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 18ȱȱ

19ȱȱ

20ȱȱ 21ȱȱ

22ȱȱ

z.B.ȱ SCHNACKENBURG,ȱ Kirche,ȱ 91,ȱ derȱ dieseȱ Entwicklungȱ nichtȱ bestreitet,ȱ ihrȱ aberȱ gewisseȱBerechtigungȱzuerkennt.ȱ KÄSEMANN,ȱAmt,ȱ130;ȱvgl.ȱauchȱBERGER,ȱTheologiegeschichte,ȱ536,ȱsowieȱLUZ,ȱFrühȬ katholizismus,ȱ90ffȱ(bes.ȱa.a.O.ȱ88f:ȱDerȱ„Sündenfall“ȱdesȱChristentumsȱistȱdamitȱimȱ NeuenȱTestamentȱbereitsȱvorgezeichnet.).ȱ Vgl.ȱSCHÜTZ,ȱKirche,ȱ86:ȱDieȱ„GemeindeȱderȱEndzeit“ȱwirdȱzurȱ„Heilsanstaltȱinȱderȱ Zeit“;ȱ LOHSE,ȱ Vermächtnis,ȱ 266;ȱ SCHULZ,ȱ Mitte,ȱ 103ȱ („Dieȱ frühkatholischeȱ RechtȬ gläubigkeitȱ etabliertȱ sich!“);ȱ DAHL,ȱ Kirchenbewußtsein,ȱ 263;ȱ NAUCK,ȱ Herkunft,ȱ 67;ȱ vgl.ȱaußerdemȱLOHFINK,ȱNormativität,ȱ347;ȱvgl.ȱ dieȱDarstellungȱ derȱDiskussionȱbeiȱ HARDING,ȱPastoralȱEpistles,ȱ61,ȱundȱV.ȱLIPS,ȱGemeinde,ȱ61.ȱ DUNN,ȱUnity,ȱ363.ȱ Soȱ u.a.ȱ MARXSEN,ȱ Einleitung,ȱ 212;ȱ FISCHER,ȱ Anmerkungen,ȱ 79.ȱ Wennȱ HANSON,ȱ DoȬ mestication,ȱ 414,ȱ diesenȱ Begriffȱ konsequentȱ vermeidetȱ undȱ stattdessenȱ vonȱ einerȱ „domesticationȱ ofȱ Paul“ȱ spricht,ȱ wäreȱ allerdingsȱ zuȱ fragen,ȱ inwiefernȱ nichtȱ auchȱ damitȱ dieȱ Schreibenȱ zuȱ einerȱ ausschließlichȱ anȱ Paulusȱ gemessenenȱ Größeȱ werden.ȱ AuchȱSAND,ȱTheologie,ȱ352,ȱwendetȱsichȱzwarȱgegenȱdenȱBegriffȱFrühkatholizismusȱ selbst,ȱkommtȱjedochȱzuȱfolgendem,ȱdieseȱeigeneȱAblehnungȱimȱGrundeȱwiederȱniȬ vellierendemȱ Urteil:ȱ „Richtigȱ istȱ jedoch,ȱ daßȱ sichȱ inȱ derȱ Spracheȱ formelhafteȱ EleȬ menteȱ geltendȱ machen,ȱ welcheȱ dieȱ urchristlicheȱ Dynamikȱ derȱ Verkündigungȱ verȬ missenȱlassenȱundȱinsȱunverbindlichȱSchablonenhafteȱabgleiten.“ȱ Soȱ GNILKA,ȱ Theologie,ȱ 350,ȱ derȱ dieȱ Auseinandersetzungȱ mitȱ Irrlehrernȱ alsȱ „Cantusȱ firmusȱalle[r]ȱdreiȱBriefe“ȱbezeichnet,ȱsowieȱbereitsȱBAUR,ȱPastoralbriefe,ȱ8.ȱVgl.ȱhierȱ außerdemȱ PRATSCHER,ȱ Stabilisierung,ȱ 133ȱ Anm.ȱ 1,ȱ derȱ etwasȱ gekünsteltȱ zwischenȱ ZweckȱundȱAnlassȱderȱBriefeȱunterscheidenȱmöchte.ȱSoȱseiȱdasȱAuftretenȱvonȱIrrlehȬ rernȱ„wohlȱderȱAnlaß,ȱnichtȱaberȱderȱ‚eigentlicheȱZweck‘ȱderȱBriefe,ȱderȱimȱBemühenȱ

2.ȱȱEkklesiologieȱ

181ȱ

umȱ dieȱ Gemeindestruktur23,ȱ oderȱ sindȱ beideȱ Elementeȱ wechselseitigȱ aufeinanderȱbezogen?ȱEinȱGroßteilȱderȱExegetenȱvotiertȱfürȱdieȱletztereȱ Option,ȱ auchȱ hierȱ jedochȱ wiederumȱ mitȱ unterschiedlicherȱ SchwerȬ punktsetzung:ȱ Soȱ kannȱ entwederȱ dieȱ Gemeindeordnungȱ alsȱ Mediumȱ derȱ Häretikerbekämpfungȱ verstandenȱ werden24ȱ oderȱ aberȱ umgekehrtȱ dieȱBeschreibungȱderȱIrrlehrerȱ„gleichsamȱalsȱdieȱdunkleȱFolie“ȱfürȱdieȱ KirchenȬȱundȱÄmterlehreȱdienen25;ȱetwasȱindifferentȱistȱschließlichȱdieȱ Position,ȱ dieȱ davonȱ spricht,ȱ dassȱ „anȱ zweiȱ Frontenȱ gekämpft“ȱ werde,ȱ ohneȱ fürȱ dieȱ Vorrangstellungȱ einesȱ derȱ beidenȱ Themenȱ votierenȱ zuȱ müssen.26ȱȱ ImȱFolgendenȱsollȱdaherȱinȱeinemȱerstenȱSchrittȱnachȱderȱGemeinȬ destrukturȱ gefragtȱ werden,ȱ währendȱ dieȱ Rolleȱ derȱ Häretikerȱ bzw.ȱ dieȱ argumentativeȱ Verknüpfungȱ vonȱ Ekklesiologieȱ undȱ Häresiologieȱ mitȱ imȱBlickȱbleibt.27ȱȱ ȱ

Anȱ diesenȱ erstenȱ Teilȱ schließtȱ sichȱ eineȱ Untersuchungȱ derjenigenȱ Texteȱ innerȬ halbȱderȱBriefeȱan,ȱdieȱangeblichȱAnklängeȱanȱdasȱinȱanderenȱDeuteropaulinenȱ belegteȱ Haustafelschemaȱ aufweisen,ȱ bevorȱ schließlichȱ dieȱ Ämterstrukturȱ derȱ Pastoralbriefeȱ (bzw.ȱ vonȱ 1Timȱ undȱ Tit,ȱ daȱ 2Timȱ keineȱ Ämterfragenȱ thematiȬ siert)ȱ Themaȱ seinȱ wird.ȱ Hierȱ richtetȱ sichȱ derȱ Blickȱ nichtȱ nurȱ aufȱ dieȱ inȱ beidenȱ BriefenȱbelegtenȱÄmterȱvonȱEpiskoposȱundȱPresbyter,ȱsondernȱesȱwerdenȱauchȱ dieȱ nurȱ imȱ 1Timȱ erwähntenȱ Begriffeȱ wieȱ Witweȱ undȱ Diakonȱ untersucht.ȱ Amȱ Schlussȱ wirdȱ dieȱ i.d.R.ȱ alsȱ Aufweisȱ fürȱ eineȱ ritualisierteȱ Amtseinsetzungȱ geȬ werteteȱHandauflegungȱeinerȱgenauerenȱInterpretationȱunterzogen.ȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 23ȱȱ

24ȱȱ

25ȱȱ 26ȱȱ

27ȱȱ

umȱ Festigungȱ derȱ Gemeindenȱ besteht,ȱ ungeachtetȱ derȱ konkretenȱ äußerenȱ VerhältȬ nisse,ȱwennȱauchȱnichtȱunbeeinflußtȱvonȱihnen.“ȱ Soȱ vertretenȱ vonȱ JOHNSON,ȱ Delegates,ȱ 19.ȱ SCHWARZ,ȱ Christentum,ȱ 25,ȱ hingegenȱ beȬ stimmtȱ2TimȱalsȱältestenȱderȱdreiȱBriefeȱundȱvermutetȱvonȱdaher,ȱdassȱnichtȱdieȱGeȬ meindeordnungȱ selbstȱ imȱ Interesseȱ desȱ Verfassersȱ gestandenȱ habe,ȱ sondernȱ dieȱ VermittlungȱderȱtraditionellenȱLehre,ȱwelcheȱerstȱbeiȱdenȱjüngerenȱSchreibenȱTitȱundȱ 1TimȱdieseȱspezifischeȱFormȱnotwendigȱgemachtȱhabe.ȱ Soȱ u.a.ȱ SCHENK,ȱ Forschung,ȱ 3426;ȱ BROX,ȱ Pastoralbriefe,ȱ 11;ȱ DIBELIUS/CONZELMANN,ȱ Pastoralbriefe,ȱ4;ȱvgl.ȱbereitsȱKÄSEMANN,ȱAmt,ȱ129:ȱDieȱOrganisationȱdesȱCharismasȱ wurdeȱnotwendigȱgegenȱdenȱ„AnsturmȱderȱGnosis“.ȱ ROLOFF,ȱ1Tim,ȱ229;ȱvgl.ȱaußerdemȱSCHAEFER,ȱGegnerpolemik,ȱ75ȱ(„InstrumentalisieȬ rungȱderȱstereotypenȱGegnerpolemik“),ȱsowieȱWOLTER,ȱPaulustradition,ȱ138.ȱ HEGERMANN,ȱ Ort,ȱ 62.ȱ Soȱ bereitsȱ HOLTZMANN,ȱ Pastoralbriefe,ȱ 2:ȱ „[N]ebenȱ demȱ Kampfȱ gegenȱ Irrlehrerȱ [bilden]ȱ dieȱ Erinnerungenȱ undȱ Vorschriften,ȱ dieȱ sichȱ aufȱ kirchlicheȱVerfassungȱbeziehen,ȱgleichsamȱeinenȱzweitenȱBrennpunktȱ[…],ȱumȱwelȬ chenȱsichȱderȱInhaltȱderȱPastoralbriefeȱellipsenartigȱabgrenzt.“ȱÄhnlichȱauchȱMILLER,ȱ Documents,ȱ 2;ȱ OBERLINNER,ȱ Tit,ȱ 52f;ȱ LOHSE,ȱ Paulus,ȱ 271;ȱ DIBELIUS/CONZELMANN,ȱ Pastoralbriefe,ȱ5ȱ(nurȱinȱBezugȱaufȱ1Tim).ȱ Vgl.ȱdazuȱauchȱKapitelȱIV.3ȱdieserȱArbeit.ȱ

182ȱ

IV.ȱȱMotivsemantischeȱUntersuchungenȱ

Exkurs:ȱDieȱBedeutungȱdesȱHausesȱinȱdenȱneutestamentlichenȱ SchriftenȱalsȱantikenȱTextenȱ DieȱBedeutungȱdesȱHausesȱ–ȱgriechischȱoi=kojȱ/ȱoivki,aȱ–ȱfürȱdasȱLebenȱinȱ derȱAntikeȱistȱunbestreitbar.ȱDasȱHausȱdienteȱnichtȱnurȱalsȱWirtschaftsȬȱ undȱ Versorgungsgröße,ȱ sondernȱ esȱ stellteȱ außerdemȱ eineȱ sozialeȱ EinȬ heitȱ dar,ȱ innerhalbȱ dererȱ denȱ einzelnenȱ Personenȱ klarȱ umrisseneȱ AufȬ gabenbereicheȱ zugewiesenȱ waren,ȱ durchȱ welcheȱ sieȱ zugleichȱ definiertȱ wurden.ȱ ȱ

DieȱbeidenȱauchȱinȱdenȱneutestamentlichenȱSchriftenȱverwendetenȱSubstantiveȱ oi=kojȱ undȱ oivki,aȱ werdenȱ weitgehendȱ synonymȱ gebraucht,ȱ auchȱ wennȱ Ersteresȱ ursprünglichȱ weiterȱ gefasstȱ warȱ alsȱ Letzteres,ȱ welchesȱ nurȱ dasȱ Wohnhausȱ selbstȱmeinte,ȱnichtȱjedochȱdasȱdazuȱgehörendeȱEigentum.28ȱBeideȱSubstantiveȱ könnenȱ neutestamentlichȱ alsoȱ dasȱ Gebäudeȱ selbstȱ sowieȱ dieȱ dazuȱ zählendenȱ Personenȱ bezeichnenȱ –ȱ wasȱ jeȱ nachȱ Größeȱ undȱ finanziellemȱ Vermögenȱ desȱ Haushaltsȱ erheblichȱ differierenȱ kann.ȱ Derȱ einzigeȱ prägnanteȱ Unterschiedȱ zwiȬ schenȱbeidenȱSubstantivenȱbestehtȱdarin,ȱdassȱzwarȱoi=koj,ȱnichtȱjedochȱoivki,aȱimȱ neutestamentlichenȱSprachgebrauchȱmitȱqeo,jȱalsȱGenitivattributȱverknüpftȱwerȬ denȱundȱinȱAnlehnungȱanȱdieȱalttestamentlicheȱRedeȱvomȱ la-tybȱdenȱTempelȱ alsȱ dasȱ Hausȱ Gottesȱ bezeichnenȱ kann29ȱ –ȱ eineȱ begrifflicheȱ Spezifizierung,ȱ dieȱ auchȱfürȱdieȱEkklesiologieȱderȱPastȱundȱbesondersȱdesȱ1TimȱvonȱBedeutungȱist.ȱ ȱ

InȱderȱAntikeȱkonnteȱsichȱsogarȱeineȱspezielleȱLiteraturgattungȱherausȬ bilden,ȱdieȱsichȱmitȱdenȱRechtenȱundȱPflichtenȱdesȱEinzelnenȱimȱHausȬ haltȱbzw.ȱ–ȱdiesȱinȱdenȱgrößerenȱZusammenhangȱübertragendȱ–ȱinȱderȱ StadtȱoderȱdemȱStaatȱinsgesamtȱbeschäftigte.ȱ ȱ

Dieseȱ sog.ȱ ÖkonomikȬTexte30ȱ entstandenȱ abȱ demȱ 4.ȱ Jahrhundertȱ alsȱ Teilȱ derȱ antikenȱ Philosophieȱ undȱ habenȱ dasȱ hauptsächlicheȱ Interesse,ȱ dieȱ Regelnȱ desȱ ZusammenseinsȱimȱHaushaltȱzuȱformulieren.31ȱAlsȱVorbildȱfürȱdieȱBegründungȱ dieserȱ Traditionȱ giltȱ Xenophonsȱ Oikonomikos,32ȱ dessenȱ Werkȱ sichȱ derȱ Frageȱ widmet,ȱwieȱdieȱMenschenȱihrȱHauswesenȱverbessernȱkönnen.ȱȱ Zuȱ denȱ ökonomischenȱ Schriftenȱ werdenȱ zumȱ einenȱ dieȱ unterȱ Titelnȱ wieȱ oivkonomiko,j,ȱ peri. oi;kwnȱ oderȱ peri. oi;kwn euvdaimwni,ajȱ überliefertenȱ Schriftenȱ geȬ rechnet,ȱ zumȱ anderenȱ aberȱ auchȱ solcheȱ Texte,ȱ dieȱ Fragenȱ derȱ Ökonomikȱ theȬ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 28ȱȱ Vgl.ȱWEIGANDT,ȱArt.ȱoi=koj,ȱ1223ȱ(vgl.ȱders.,ȱArt.ȱoivki,a,ȱ1210),ȱundȱKLAUCK,ȱHauskirȬ che,ȱ15,ȱunterȱHinweisȱaufȱdieȱattischeȱRechtspraxis.ȱ 29ȱȱ Soȱv.a.ȱinȱalttestamentlichenȱZitaten,ȱvgl.ȱMkȱ11,17;ȱJohȱ2,16;ȱApgȱ7,49;ȱvgl.ȱaußerdemȱ Mkȱ2,26;ȱLkȱ11,51;ȱsowieȱatl.ȱu.a.ȱHosȱ8,1;ȱ9,8.15;ȱJerȱ12,7;ȱSachȱ9,8.ȱ 30ȱȱ ZurȱSemantikȱdesȱBegriffsȱoivkonomi,aȱvgl.ȱu.ȱS.ȱ206.ȱ 31ȱȱ Vgl.ȱSCHÖLLGEN,ȱoi=koj,ȱ91–93;ȱLEHMEIER,ȱOikos,ȱ47f;ȱV.ȱLIPS,ȱGemeinde,ȱ126–130.ȱ 32ȱȱ Vgl.ȱRICHTER,ȱOikonomia,ȱ7;ȱFINLEY,ȱWirtschaft,ȱ9;ȱWILHELM,ȱOeconomica,ȱ161.ȱȱ

2.ȱȱEkklesiologieȱ

183ȱ

matisierenȱ undȱ inȱ entsprechendenȱ größerenȱ Textsammlungenȱ rezipiertȱ werȬ den.33ȱ DiesenȱantikenȱTextenȱistȱgemeinsam,ȱdassȱsieȱnieȱdasȱHausȱinȱseinerȱKomȬ plexitätȱ umschreiben,ȱ sondernȱ sichȱ aufȱ wenigeȱ ausgewählteȱ Themenȱ konzenȬ trierenȱundȱdieȱfürȱdieȱHaushaltsführungȱverantwortlicheȱPersonȱinsȱZentrumȱ desȱInteressesȱstellen;ȱLetzteresȱerklärtȱsichȱdaraus,ȱdassȱderȱHausherrȱzugleichȱ wichtigeȱ Funktionenȱ inȱ derȱ antikenȱ Polisȱ übernahm.34ȱ Hinzuȱ trittȱ eineȱ rechtȱ breite,ȱaufȱAristoteles35ȱzurückgehendeȱStrömungȱinȱderȱÖkonomikliteratur,ȱdieȱ mitȱ demȱ Haushaltȱ v.a.ȱ denȱ finanziellenȱ bzw.ȱ versorgungstechnischenȱ Aspektȱ verbindet.ȱSehrȱhäufigȱthematisiertȱwirdȱdieȱFrageȱdesȱErwerbs,ȱdieȱDefinitionȱ dessen,ȱ wasȱ einenȱ Haushaltȱ ausmacht,ȱ sowieȱ dasȱ Verhältnisȱ derȱ zuȱ einemȱ HaushaltȱgehörendenȱPersonengruppenȱuntereinander.36ȱAllerdingsȱweisenȱdieȱ unterȱ diesemȱ Oberbegriffȱ zusammengefasstenȱ Texteȱ inȱ Inhaltȱ undȱ Formȱ soȱ vieleȱDifferenzenȱauf,ȱdassȱmanȱwederȱgrundsätzlichereȱAussagenȱtreffenȱnochȱ vonȱeinerȱgemeinsamenȱGattungȱsprechenȱkann.ȱ ȱ

AuchȱfürȱdieȱerstenȱChristenȱstellteȱdaherȱdasȱHausȱeineȱwichtigeȱsoziȬ aleȱGrößeȱdar:37ȱDieȱnochȱjungenȱGemeindenȱversammeltenȱsichȱinȱPriȬ vathäusern,ȱ umȱ gemeinsamȱ Gottesdienstȱ zuȱ feiern;ȱ dieȱ ApostelgeȬ schichteȱberichtet,ȱdassȱganzeȱHäuserȱgemeinsamȱzumȱGlaubenȱfandenȱ undȱgetauftȱwurdenȱ(vgl.ȱauchȱ1Korȱ1,16).38ȱAufȱseinenȱMissionsreisenȱ nutzteȱPaulusȱsolcheȱchristlichenȱHäuserȱalsȱ„Keimzellen“ȱfürȱdenȱGeȬ meindeaufbau.39ȱ VorȱdiesemȱHintergrundȱwurdeȱderȱoi=kojȱauchȱzuȱeinemȱwichtigenȱ metaphernspendendenȱBereichȱfürȱdieȱBeschreibungȱderȱurchristlichenȱ Realität.40ȱSoȱkannȱPaulusȱdieȱGemeindegliederȱalsȱ„Hausgenossenȱdesȱ Glaubens“ȱ bezeichnen;41ȱ außerdemȱ umschreibenȱ dieȱ verschiedenenȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 33ȱȱ Vgl.ȱdieȱAuflistungȱderȱQuellenȱsowieȱdieȱDiskussionȱderȱAuswahlkriterienȱbeiȱLEHȬ MEIER,ȱ Oikos,ȱ 49f;ȱ vgl.ȱ dazuȱ außerdemȱ DASSMANN/SCHÖLLGEN,ȱ Art.ȱ Hausȱ II,ȱ 815– 830.ȱ 34ȱȱ Vgl.ȱGIELEN,ȱHaustafelethik,ȱ57–60.ȱ 35ȱȱ Vgl.ȱArist.ȱpol.ȱ1,2ȱ1252a27–1252b10.ȱ 36ȱȱ Vgl.ȱLEHMEIER,ȱOikos,ȱ205–218.ȱ 37ȱȱ Vgl.ȱdazuȱauchȱWAGENER,ȱOrdnung,ȱ15–65.ȱ 38ȱȱ ZurȱBedeutungȱdieserȱFormulierungȱfürȱdieȱFrageȱnachȱderȱKindertaufeȱinȱderȱfrüȬ henȱKircheȱvgl.ȱLEHMEIER,ȱOikos,ȱ27f,ȱsowieȱKLAUCK,ȱHauskirche,ȱ55ȱ(mitȱumfangreiȬ chenȱLiteraturangaben).ȱ 39ȱȱ VOGLER,ȱHausgemeinden,ȱ790;ȱvgl.ȱGNILKA,ȱPhlm,ȱ24;ȱFILSON,ȱSignificance,ȱ111;ȱvgl.ȱ zurȱ Bedeutungȱ desȱ Hausesȱ fürȱ Paulusȱ auchȱ LEHMEIER,ȱ Oikos,ȱ 264f.322ȱ („dieȱ oi=kojȬ StrukturȱselbstȱistȱaberȱfürȱPaulusȱkeinȱWertȱanȱsich.“).ȱ 40ȱȱ Vgl.ȱHERZER,ȱHouseȱofȱGod,ȱ559,ȱsowieȱSCHÖLLGEN,ȱHausgemeinden,ȱ51.ȱȱ 41ȱȱ Vgl.ȱGalȱ6,10:ȱoivkei/oi th/j pi,stewj,ȱvgl.ȱEphȱ2,19:ȱoivkei/oi tou/ qeou/.ȱVgl.ȱdazuȱdieȱUnterȬ suchungȱvonȱ1Timȱ5,3–16ȱunterȱPunktȱIV.2.2.5.2ȱdieserȱArbeit.ȱ

184ȱ

IV.ȱȱMotivsemantischeȱUntersuchungenȱ

neutestamentlichenȱ Traditionenȱ dasȱ Verhältnisȱ derȱ einzelnenȱ Christenȱ untereinanderȱ mitȱ familiärerȱ Begrifflichkeit;ȱ dieȱ erstenȱ Christenȱ verȬ standenȱ sichȱ alsȱ Familie,ȱ alsȱ derenȱ Oberhauptȱ sieȱ Gottȱ alsȱ Vaterȱ anerȬ kannten:42ȱ „[D]ieȱ prägendeȱ Kraftȱ desȱ oi=kojȱ mitȱ seinenȱ OrdnungsȬȱ undȱ WertvorstellungenȱkannȱauchȱMenschenȱunterschiedlicherȱHerkunftȱzuȱ einerȱ neuenȱ sozialenȱ Einheitȱ zusammenführen,ȱ wennȱ sieȱ sichȱ alsȱ BrüȬ derȱundȱSchwestern,ȱd.h.ȱalsȱzurȱselbenȱFamilieȱgehörig,ȱverstehenȱlerȬ nen.“43ȱ Dieȱ bisherigenȱ Ausführungenȱ habenȱ deutlichȱ gemacht,ȱ dassȱ dasȱ antikeȱ Christentumȱ dieȱ Vorstellungȱ vonȱ Hausȱ undȱ Familieȱ aufȱ ganzȱ verschiedeneȱArtenȱrezipierenȱkonnte.ȱZumȱeinenȱdienteȱdasȱSelbstverȬ ständnisȱ alsȱ Familieȱ desȱ einenȱ göttlichenȱ Vatersȱ derȱ Relativierungȱ derȱ gesellschaftlichenȱ Diskrepanzen,ȱ zumȱ anderenȱ gewannȱ dasȱ Hausȱ geȬ radeȱdaȱalsȱsozialeȱGrößeȱzentraleȱBedeutung,ȱwoȱdieȱChristenȱsichȱinȱ Häusernȱ versammelten.ȱ Umȱ dieȱ inȱ denȱ einzelnenȱ Pastoralbriefenȱ mitȱ derȱRedeȱvomȱHausȱverknüpftenȱVorstellungenȱbesserȱbeschreibenȱzuȱ können,ȱ sollȱ imȱ Folgendenȱ untersuchtȱ werden,ȱ welcheȱ Implikationenȱ dieȱdreiȱSchreibenȱmitȱdemȱWortstammȱoivkȬȱverbinden.ȱ

2.1.1ȱȱDasȱVorkommenȱimȱTitusbriefȱ DerȱTitȱalsȱkürzesterȱderȱdreiȱPastoralbriefeȱbietetȱeinȱMalȱdasȱSubstanȬ tivȱ oi=kojȱ (1,11)ȱ sowieȱ jeȱ einȱ Malȱ dasȱ substantivischeȱ Derivatȱ oivkono,mojȱ (1,7)ȱundȱdasȱAdjektivȱoivkourgo,jȱ(2,5).ȱȱ Folgtȱ manȱ derȱ „klassischen“ȱ Sichtȱ aufȱdieȱ Ekklesiologieȱ derȱ PastoȬ ralbriefe,ȱsoȱverbindetȱsichȱbesondersȱmitȱ1,7ȱeineȱHierarchisierungȱderȱ Gemeindestrukturen:ȱ Dieȱ Gemeindeȱ erscheineȱ alsȱ einȱ wohlgeordnetesȱ Haus,ȱinȱdemȱderȱeine,ȱvonȱGottȱeingesetzteȱundȱdurchȱseineȱpersönliȬ chenȱ Qualitätenȱ befähigteȱ Verwalterȱ dasȱ Führungsamtȱ innehabe.44ȱ InwiefernȱdieseȱSichtȱaufȱdenȱTitȱtatsächlichȱzutrifft,ȱwirdȱimȱFolgendenȱ zuȱprüfenȱsein.ȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 42ȱȱ Vgl.ȱu.a.ȱMtȱ12,49fȱ(JesuȱGeschwisterȱsindȱdie,ȱdieȱdenȱWillenȱdesȱVatersȱtun);ȱ19,29ȱ (dasȱ Verlassenȱ derȱ eigenenȱ Herkunftsfamilieȱ umȱ Christiȱ willenȱ wirdȱ durchȱ neueȱ Familienangehörigeȱbelohnt);ȱ23,9ȱ(VerbotȱderȱirdischenȱVateranrede).ȱ 43ȱȱ SCHÖLLGEN,ȱ Hausgemeinden,ȱ 75;ȱ vgl.ȱ WEISER,ȱ Evangelisierung,ȱ 130;ȱ KLAUCK,ȱ LeȬ bensform,ȱ 8f,ȱ sowieȱ zurȱ Vorstellungȱ vonȱ Gottȱ alsȱ paterȱ familiasȱ (vgl.ȱ 1QHȱ IX,35f)ȱ ROLOFF,ȱ 1Tim,ȱ 178;ȱ GEHRING,ȱ Hausgemeinde,ȱ 440f;ȱ vgl.ȱ grundlegendȱ MICHEL,ȱ Art.ȱ oi=kojȱktl.,ȱ129.ȱ 44ȱȱ Vgl.ȱu.a.ȱWEISER,ȱVerantwortung,ȱ9;ȱ V.ȱ LIPS,ȱGemeinde,ȱ145.147;ȱROLOFF,ȱApostolat,ȱ 267.ȱ

2.ȱȱEkklesiologieȱ

185ȱ

2.1.1.1ȱȱoi=koj imȱTitusbriefȱ DerȱeinzigeȱBelegȱfürȱdasȱSubstantivȱoi=kojȱimȱTitȱfindetȱsichȱinȱ1,11ȱimȱ RahmenȱeinerȱIrrlehrercharakterisierungȱ(V.10–14);ȱdieseȱgipfeltȱinȱderȱ Aufforderungȱ zurȱ strengenȱ Zurechtweisungȱ (V.13),ȱ anȱ dieȱ sichȱ eineȱ theologischeȱ Begründungȱ (V.15)ȱ sowieȱ eineȱ erneuteȱ Verunglimpfungȱ derȱ Häretikerȱ (V.16)ȱ anschließen.ȱ Dieserȱ Abschnittȱ insgesamtȱ dientȱ wiederumȱalsȱBegründungȱfürȱdieȱinȱV.6–9ȱausgeführteȱAmtsbeschreiȬ bung,ȱinȱderenȱRahmenȱauchȱderȱBegriffȱdes oivkono,mojȱfälltȱ(V.7;ȱs.u.).ȱ V.10ȱ eröffnetȱ dieȱ Irrlehrercharakteristikȱ mitȱ einerȱ dreifachenȱ subȬ stantivischenȱBeschreibungȱalsȱavnupo,taktoi, mataiolo,goi kai. frenapa,tai,ȱ woranȱsichȱdieȱinȱihrerȱBedeutungȱumstritteneȱFormulierungȱma,lista oi` evk th/j peritomh/jȱanschließt,ȱdieȱinȱjedemȱFallȱalsȱHinweisȱaufȱeineȱstarkȱ jüdischȱ geprägteȱ Häresieȱ verstandenȱ werdenȱ muss.45ȱ Währendȱ V.11aȱ alsȱZielȱderȱAuseinandersetzungȱmitȱdenȱIrrlehrernȱihreȱRuhigstellungȱ –ȱ undȱ andersȱ alsȱ V.13ȱ nichtȱ ihreȱ Gesundungȱ imȱ Glaubenȱ –ȱ benennt,ȱ führtȱ V.11bȱ dieȱ Nominalketteȱ vonȱ V.10ȱ fort,ȱ indemȱ dieȱ Vorwürfeȱ aufȱ doppelteȱ Weiseȱ präzisiertȱ werden.ȱ Zunächstȱ istȱ davonȱ dieȱ Rede,ȱ dassȱ dieȱ Irrlehrerȱ ganzeȱ Häuserȱ verführen,ȱ imȱ Anschlussȱ wirdȱ derȱ Modusȱ diesesȱ Handelnsȱ durchȱ einȱ Partizipȱ näherȱ beschrieben:ȱ Sieȱ lehrenȱ UngebührlichesȱumȱdesȱschändlichenȱGewinnesȱwillen.ȱ Dieȱ Wendungȱ o[loi oi=koi istȱ hierȱ alsȱ Ausdruckȱ fürȱ dieȱ Massivitätȱ derȱhäretischenȱUnterwanderungȱaufzufassen46ȱundȱdamitȱzugleichȱalsȱ inhaltlicheȱ(wennȱauchȱnichtȱsyntaktische)ȱBegründungȱfürȱdieȱstrikte,ȱ zunächstȱnochȱnichtȱargumentativȱentfalteteȱZurückweisungȱderȱIrrlehȬ rerȱ zuȱ verstehen.ȱ Inwiefernȱ jedochȱ dieseȱ Aussageȱ Einblickeȱ inȱ dieȱ geȬ meindlicheȱ Organisationsstrukturȱ derȱ durchȱ Titȱ mittelbarȱ angesproȬ chenenȱ Gemeindenȱ gewährt,ȱ istȱ fraglich.ȱ Dieȱ Aussage,ȱ dassȱ Irrlehrerȱ durchȱihreȱLehreȱganzeȱHäuserȱverführen,ȱkönnteȱzwarȱdieȱVermutungȱ naheȱlegen,ȱdassȱsichȱdieȱGemeindeȱinȱAnalogieȱzuȱHausgemeindenȱinȱ verschiedenenȱHäusernȱorganisierteȱundȱdassȱsichȱdieȱeinzelnenȱChrisȬ tinnenȱundȱChristenȱauchȱdiesenȱHäusernȱzugehörigȱfühlten.ȱȱ ȱ

AusgehendȱvonȱdenȱpaulinischenȱGemeindestrukturen,ȱwieȱsieȱsichȱbesondersȱ mitȱ derȱ Formelȱ h` katV oi=kon […]ȱ evkklhsi,a47ȱ verbinden,ȱ könnteȱ manȱ dannȱ auchȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 45ȱȱ Vgl.ȱzurȱDeutungȱdiesesȱSatzesȱsowieȱzurȱFrageȱnachȱdenȱIrrlehrernȱinsgesamtȱPunktȱ IV.3.3.1ȱdieserȱArbeit.ȱ 46ȱȱ Vgl.ȱTHIESSEN,ȱEphesus,ȱ263f.ȱ 47ȱȱ Vgl.ȱRömȱ16,5;ȱ1Korȱ16,19;ȱKolȱ4,15;ȱPhlmȱ2.ȱDieseȱFormulierungȱstehtȱalsȱfeststehenȬ derȱ Ausdruckȱ (soȱ GIELEN,ȱ Interpretation,ȱ 109;ȱ KLAUCK,ȱ Hauskirche,ȱ 15)ȱ imȱ GrußȬ kontext,ȱwobeiȱjeweilsȱdieȱEkklesiaȱalsȱVersammlungȱeinerȱGruppeȱvonȱChristinnenȱ

186ȱ

IV.ȱȱMotivsemantischeȱUntersuchungenȱ

hinterȱ derȱ Formulierungȱ inȱ Titȱ 1,11ȱ eineȱ hausweiseȱ organisierteȱ GemeindeȬ strukturȱ vermuten.48ȱ Inwiefernȱ dieseȱ (proto)paulinischenȱ Parallelenȱ jedochȱ tatsächlichȱ fürȱ eineȱ Interpretationȱ dieserȱ Stelleȱ herangezogenȱ werdenȱ können,ȱ istȱ fraglich,ȱ daȱ derȱ dafürȱ zentraleȱ Terminusȱ evkklhsi,aȱ undȱ damitȱ dieȱ ganzeȱ mitȱ kata,ȱgebildeteȱWendungȱfehlen.ȱȱ ȱ

Esȱwäreȱjedochȱauchȱmöglich,ȱdenȱTerminusȱo[loi oi=koiȱinȱAnalogieȱzuȱ alttestamentlichenȱ undȱ inȱ derȱ Apgȱ verwendetenȱ Formulierungen49ȱ alsȱ Ausdruckȱ fürȱ dieȱ zuȱ einemȱ Privathausȱ zählendenȱ Menschenȱ undȱ alsoȱ alsȱSynonymȱfürȱ„Familie“ȱzuȱbegreifenȱ(vgl.ȱApgȱ10,2;ȱ11,14;ȱ18,8:ȱo[loj [bzw.ȱpa/j]ȱoi=koj).50ȱDaȱeineȱsolcheȱVerwendungȱinȱderȱApgȱjedochȱmeistȱ inȱ einemȱ soteriologischenȱ (TaufȬ)Kontextȱ erfolgt,ȱ wäreȱ zuȱ diskutieren,ȱ inwiefernȱdieseȱFormulierungenȱimȱSingularȱzumȱVerständnisȱdesȱpluȬ ralischenȱAusdrucksȱinȱTitȱ1,11ȱbeitragenȱkönnen.ȱ Festzuhaltenȱist,ȱdassȱdieȱVerwendungȱdesȱSubstantivsȱoi=kojȱinȱTitȱ 1,11ȱ amȱ ehestenȱ inȱ Analogieȱ zuȱ derȱ paulinischenȱ Redeȱ vonȱ (PrivatȬ)ȱ Häusernȱzuȱbegreifenȱist.ȱAuchȱwennȱhiermitȱebensoȱwieȱbeiȱPaulusȱderȱ Ortȱ bezeichnetȱ wird,ȱ anȱ demȱ sichȱ gemeindlichesȱ Lebenȱ ereignet,ȱ istȱ damitȱkeineȱweiterreichendeȱAussageȱüberȱeinȱgemeindlichesȱStrukturȬ modellȱ getroffen,ȱ welchesȱ esȱ naheȱ legenȱ würde,ȱ fürȱ dieȱ TitȬGemeindeȱ eineȱ ökonomischȬpatriarchalischeȱ Organisationsformȱ zuȱ rekonstruȬ ieren.ȱ

2.1.1.2ȱȱDerivateȱdesȱoi=kojȬBegriffsȱ NebenȱderȱeinmaligenȱErwähnungȱvonȱoi=kojȱfindenȱsichȱzweiȱDerivateȱ desȱoi=kojȬBegriffsȱinȱTitȱ1,7;ȱ2,5;ȱinwiefernȱdieseȱalsȱBelegeȱfürȱeineȱhierȬ archischȱ organisierteȱ PastȬGemeindeȱ herangezogenȱ werdenȱ können,ȱ sollȱimȱFolgendenȱuntersuchtȱwerden.ȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ undȱ Christenȱ einerȱ bestimmtenȱ Personȱ undȱ ihremȱ Hausȱ zugeordnetȱ werden.ȱ Vgl.ȱ zurȱ Bedeutungȱ dieserȱ Formulierungȱ imȱ Kontextȱ derȱ paulinischenȱ Missionȱ grundleȬ gendȱ GIELEN,ȱ a.a.O.ȱ passim;ȱ GNILKA,ȱ Hausgemeinde,ȱ passim;ȱ KLAUCK,ȱ a.a.O.ȱ bes.ȱ (21ff.)37–39ȱ(vgl.ȱders.,ȱLebensform,ȱpassim).ȱ 48ȱȱ Soȱ angedeutetȱ beiȱ MARSHALL,ȱ Pastoralȱ Epistles,ȱ 197ȱ bes.ȱ Anm.ȱ 120;ȱ vgl.ȱ TOWNER,ȱ Goal,ȱ26.ȱ 49ȱȱ BereitsȱalttestamentlichȱdientȱdieseȱPhraseȱdazu,ȱsämtlicheȱzuȱeinemȱHausȱgehörenȬ denȱPersonenȱzuȱumschreibenȱ(2Regȱ6,11;ȱ3Regȱ16,11;ȱ4Regȱ9,8;ȱvgl.ȱpa/j oi=kojȱinȱGenȱ 7,1;ȱ 45,8;ȱ 47,12;ȱ Levȱ 10,6),ȱ kannȱ danebenȱ jedochȱ ebensoȱ wieȱ imȱ Neuenȱ Testamentȱ auchȱdasȱHausȱalsȱGebäudeȱmeinenȱ(Apgȱ2,2;ȱvgl.ȱGenȱ31,35;ȱ3Regȱ6,10.22;ȱ7,50;ȱ4Regȱ 20,17;ȱEzȱ41,19).ȱ 50ȱȱ SoȱauchȱQUINN,ȱTitus,ȱ99.ȱ

2.ȱȱEkklesiologieȱ

187ȱ

2.1.1.2.1ȱȱTitȱ1,7ȱ Inȱ unmittelbaremȱ Anschlussȱ anȱ dasȱ auffälligȱ langeȱ Präskript51ȱ folgtȱ inȱ V.5ȱ eineȱ kurzeȱ Schilderungȱ derȱ Aufgabenȱ desȱ Titus,ȱ denȱ Paulusȱ aufȱ Kretaȱzurückgelassenȱhat52:ȱErȱsollȱeinigeȱDingeȱordnenȱundȱinȱmehreȬ renȱ Städten53ȱ Ältesteȱ einsetzen,ȱ welcheȱ bestimmtenȱ Kriterienȱ zuȱ entsprechenȱ habenȱ (V.6).ȱ Inȱ V.7ȱ findetȱ dannȱ einȱ Objektwechselȱ statt:ȱ Mitȱ begründendemȱ ga,rȱ anȱ dasȱ bisherȱ Entfalteteȱ anknüpfend,ȱ ruhtȱ derȱ BlickȱdesȱBriefautorsȱnunȱaufȱdemȱsingularischȱbenanntenȱEpiskopos.54ȱ Diesemȱ werdenȱ wiederumȱ verschiedene,ȱ ausȱ derȱ Sichtȱ desȱ Verfassersȱ fürȱdieȱAmtsführungȱnotwendigeȱEigenschaftenȱvorȱAugenȱgestellt;ȱanȱ ersterȱStelleȱ–ȱundȱdamitȱanȱherausgehobenerȱPositionȱ–ȱstehtȱdabeiȱdieȱ bereitsȱ inȱ V.6ȱ erstmalsȱ formulierteȱ Notwendigkeit,ȱ untadeligȱ (avne,gklhtoj)ȱzuȱsein.55ȱ ZurȱnäherenȱBestimmungȱdiesesȱAdjektivsȱdientȱinȱTitȱ1,7ȱeinȱVerȬ gleich:ȱEinȱEpiskopȱmussȱsichȱverhaltenȱavne,gklhtojȱw`j qeou/ oivkono,monȱ–ȱ einȱ Ausdruck,ȱ denȱ manȱ aufgrundȱ vonȱ 1Timȱ 1,4ȱ gerneȱ deutetȱ alsȱ „Hausverwalter“ȱ(desȱHauses,ȱdessenȱHausherrȱGottȱist).56ȱEinȱsolcherȱ BezugȱaufȱdieȱökonomischeȱRealitätȱistȱjedochȱinȱBezugȱaufȱTitȱ1,7ȱnichtȱ zwingend,ȱ dennȱ trotzȱ seinerȱ scheinbarenȱ semantischenȱ Eindeutigkeitȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 51ȱȱ Vgl.ȱdieȱUntersuchungȱdesȱTitȬPräskriptsȱunterȱPunktȱIV.4.2.1ȱdieserȱArbeit.ȱ 52ȱȱ ZurȱBedeutungȱdesȱAoristsȱavpe,lipon vgl.ȱS.ȱ499f.ȱ 53ȱȱ kata, istȱ hierȱ wohlȱ distributivȱ zuȱ verstehen,ȱ soȱ dassȱ kata. po,lin jedeȱ Stadtȱ mitȱ einerȱ christlichenȱGemeindeȱmeint;ȱvgl.ȱdieȱVerwendungȱderȱidentischenȱFormulierungȱinȱ Apgȱ 15,21;ȱ 20,23;ȱ IgnRömȱ 9,3ȱ (vgl.ȱ dieȱ Verdeutlichungȱ durchȱ dieȱ Ergänzungȱ desȱ Adjektivsȱpa/jȱinȱApgȱ15,36ȱsowieȱApgȱ20,23ȱ[D]).ȱ 54ȱȱ Vgl.ȱ zumȱ Verhältnisȱ beiderȱ Ämterȱ imȱ Titȱ dieȱ Punktȱ IV.2.2.2.1ȱ undȱ IV.2.2.3.1ȱ dieserȱ Arbeit.ȱ 55ȱȱ DasȱAdjektivȱavne,klhtojȱwirdȱbiblischȱseltenȱgebraucht:ȱEsȱfindetȱsichȱnurȱbeiȱPaulusȱ bzw.ȱ inȱ denȱ Deuteropaulinenȱ (1Korȱ 1,8;ȱ Kolȱ 1,22;ȱ 1Timȱ 3,10;ȱ Titȱ 1,6f;ȱ vgl.ȱ 3Makkȱ 5,31),ȱallerdingsȱ mitȱzweiȱverschiedenenȱBedeutungsnuancen:ȱWährendȱinȱ1Korȱ1,8ȱ undȱ inȱ Kolȱ 1,22ȱ dieȱ Untadeligkeitȱ eineȱ derȱ christlichenȱ Gemeindeȱ durchȱ dasȱ HeilsȬ handelnȱChristiȱzugesprocheneȱEigenschaftȱdarstelltȱundȱalsoȱgeradeȱnichtȱAusdruckȱ selbstȱ gewirkterȱ moralischerȱ Integritätȱ istȱ (vgl.ȱ SCHRAGE,ȱ 1Korȱ I,ȱ 122,ȱ undȱ GRUNDȬ MANN,ȱArt.ȱavne,gklhtoj,ȱ358),ȱsprechenȱTitȱundȱ1Timȱjeweilsȱvonȱeinerȱnotwendigȱzuȱ besitzendenȱ Tugendȱ alsȱ Voraussetzungȱ fürȱ dieȱ Übernahmeȱ einesȱ kirchlichenȱ LeiȬ tungsamtes.ȱ 56ȱȱ Vgl.ȱparadigmatischȱYOUNG,ȱTheology,ȱ101,ȱsowieȱAAGESON,ȱPaul,ȱ53:ȱ„InȱtheȱstrucȬ tureȱofȱthisȱhousehold,ȱGodȱstandsȱasȱtheȱpaterfamilias,ȱwhileȱtheȱevpi,skopojȱisȱGod’sȱ agentȱ inȱ managingȱ theȱ dutiesȱ ofȱ theȱ house.“ȱ Dieseȱ Vorstellungȱ setztȱ auchȱ OBERȬ LINNER,ȱ Gemeindeordnung,ȱ 305ȱ (vgl.ȱ ders.,ȱ Tit,ȱ 24),ȱ voraus;ȱ vgl.ȱ auchȱ RICHTER,ȱ OiȬ konomia,ȱ47,ȱsowieȱV.ȱLIPS,ȱGemeinde,ȱ145f.ȱ

188ȱ

IV.ȱȱMotivsemantischeȱUntersuchungenȱ

konnteȱ derȱ griechischeȱ Terminusȱ oivkono,mojȱ zurȱ Zeitȱ desȱ Neuenȱ TestaȬ mentsȱinȱganzȱunterschiedlichenȱKontextenȱverwendetȱwerden.ȱ ȱ

DieȱantikeȱÖkonomikliteraturȱbezeichnetȱalsȱoivkono,mojȱtatsächlichȱursprünglichȱ denȱ demȱ oivkodespo,thjȱ untergeordnetenȱ Hausverwalter,ȱ kannȱ aberȱ späterȱ auchȱ beideȱ miteinanderȱ identifizieren.57ȱ Zuȱ denȱ wesentlichenȱ Eigenschaftenȱ einesȱ antikenȱ oivkono,mojȱ gehörenȱ seinȱ guterȱ Leumundȱ sowieȱ seineȱ Treue.58ȱ Beispieleȱ fürȱeineȱsolcheȱaufȱdenȱKontextȱdesȱHausesȱbezogeneȱVerwendungȱfindenȱsichȱ imȱNeuenȱTestamentȱinȱzweiȱlukanischenȱGleichnissenȱ(12,42;ȱ16,1.3.8).59ȱ Baldȱ schonȱ wurdeȱ jedochȱ dieseȱ aufȱ eineȱ reinȱ häuslicheȱ Verwaltertätigkeitȱ bezogeneȱ Begrifflichkeitȱ ausgeweitet:ȱ Aufgrundȱ einesȱ metaphorischenȱ VerȬ ständnissesȱ derȱ po,lijȱ alsȱ oi=kojȱ konnteȱ mitȱ oivkono,mojȱ auchȱ einȱ städtischerȱ VerȬ waltungsbeamterȱbezeichnetȱwerdenȱ(soȱauchȱneutestamentlichȱinȱRömȱ16,23);ȱ auchȱ dieȱ Verwendungȱ imȱ Rahmenȱ desȱ privatenȱ Vereinswesensȱ oderȱ antikerȱ religiöserȱKulteȱwarȱmöglich.60ȱ ȱ

EinenȱwiederumȱandersȱkonnotiertenȱGebrauchȱdiesesȱBegriffsȱbietenȱ1Korȱ4,1fȱ undȱ1Petrȱ4,10;ȱbeideȱTextstellenȱtragenȱebensoȱwieȱderȱPastoralbriefȱdurchȱdieȱ Partikelȱ w`jȱ einȱ komparativischesȱ Momentȱ ein.61ȱ Nurȱ Titȱ 1,7ȱ qualifiziertȱ diesenȱ Begriffȱ dabeiȱ durchȱ dasȱ Genitivattributȱ qeou/ȱ näher,ȱ währendȱ 1Petrȱ 4,10ȱ vomȱ VerwalterdienstȱinȱBezugȱaufȱdieȱGnadengabenȱGottesȱundȱ1Korȱ4,1fȱvonȱdenȱ Geheimnissenȱ Gottesȱ sprechen.ȱ Inȱ 1Korȱ 4,1fȱ beinhaltetȱ bereitsȱ dasȱ Verbȱ einȱ vergleichendesȱElementȱ(logi,zomai w`j),ȱinȱ1Petrȱ4,10ȱstehtȱdieȱKonstruktionȱimȱ RahmenȱeinesȱBildes,62ȱdabeiȱwirdȱauffallenderweiseȱjedemȱChristenȱdieȱFähigȬ keitȱzurȱHausverwalterschaftȱzugesprochen.63ȱȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 57ȱȱ Vgl.ȱdazuȱdieȱzahlreichenȱBelegeȱbeiȱMICHEL,ȱArt.ȱoi=koj ktl.,ȱ151f.ȱ ȱ ȱ Dasȱ Substantivȱ oivkodespo,thjȱ stehtȱ stetsȱ fürȱ denȱ besitzendenȱ Hausherrnȱ selbst,ȱ derȱArbeiterȱeinstellenȱ(Mtȱ20,1.11)ȱoderȱseinenȱKnechtenȱBefehleȱerteilenȱkannȱundȱ derȱ dieȱ Verfügungsgewaltȱ überȱ seinenȱ Besitzȱ hat.ȱ Fastȱ alleȱ dieseȱ Belegeȱ stehenȱ inȱ einemȱ metaphorischȬgleichnishaftenȱ Kontextȱ undȱ beschreibenȱ dieȱ Souveränitätȱ desȱ Hausherrn,ȱvgl.ȱMtȱ13,27.52;ȱ21,33;ȱ24,43parȱLkȱ12,39;ȱLkȱ13,25;ȱ14,21ȱ(vgl.ȱMtȱ10,25).ȱ 58ȱȱ Vgl.ȱdazuȱOBERLINNER,ȱTit,ȱ81;ȱSPAHN,ȱAnfänge,ȱ304–306;ȱV.ȱLIPS,ȱGemeinde,ȱ147.ȱ 59ȱȱ InwiefernȱbereitsȱbeiȱLkȱmitȱdiesemȱBegriffȱderȱGedankeȱeinesȱfestȱumrissenenȱAmȬ tesȱverbundenȱistȱ–ȱsoȱWIEFEL,ȱLk,ȱ245ȱ–ȱwäreȱzuȱdiskutieren,ȱstehtȱjedochȱnichtȱimȱ Zentrumȱ dieserȱ Perikopen;ȱ vgl.ȱ RICHTER,ȱ Oikonomia,ȱ 34,ȱ sowieȱ BOVON,ȱ Lkȱ II,ȱ 334.ȱ Vgl.ȱzumȱBegriffsgebrauchȱaußerdemȱMtȱ24,45;ȱ1Korȱ4,1;ȱvgl.ȱBabaȱBatraȱ9aȱ(STRACK/ȱ BILLERBECK,ȱ Kommentarȱ II,ȱ vgl.ȱ Angabenȱ zuȱ Lkȱ 16,2);ȱ vgl.ȱ dazuȱ SCHRAGE,ȱ 1Korȱ I,ȱ 319;ȱV.ȱLIPS,ȱa.a.O.ȱ148.ȱ 60ȱȱ Vgl.ȱ dieȱ Inschriftenbelegeȱ beiȱ REUMANN,ȱ Stewards,ȱ 342ff,ȱ sowieȱ dieȱ Nachweiseȱ beiȱ YOUNG,ȱTheology,ȱ102f.ȱ 61ȱȱ Vgl.ȱüberȱdieȱneutestamentlichenȱBelegeȱhinausȱnochȱIgnPolȱ6,1.ȱ 62ȱȱ Vgl.ȱGOPPELT,ȱ1Petr,ȱ287;ȱTOOLEY,ȱStewards,ȱ79;ȱMICHEL,ȱArt.ȱoi=koj ktl.,ȱ153.ȱ 63ȱȱ Obwohlȱ auchȱ 1Petrȱ alsȱ Beispielȱ fürȱ denȱ Entwurfȱ einerȱ oi=kojȬEkklesiologieȱ interpreȬ tiertȱwerdenȱkann,ȱimpliziertȱderȱBegriffȱdesȱoivkono,mojȱinȱ4,10ȱkeinesfallsȱeineȱdamitȱ einhergehendeȱ Hierarchisierungȱ vonȱ Gemeindestrukturenȱ (vgl.ȱ HERZER,ȱ a.a.O.ȱ 171;ȱ

2.ȱȱEkklesiologieȱ

189ȱ

Darüberȱ hinausȱ stehtȱ derȱ Begriffȱ inȱ Galȱ 4,2,ȱhierȱ ebenfallsȱinȱ einemȱ bildliȬ chenȱ Rahmen:ȱ Hierȱ wirdȱ dieȱ eigeneȱ vorchristlicheȱ Existenzȱ mitȱ demȱ Lebenȱ einesȱ unmündigenȱ Erbenȱ verglichen,ȱ dessenȱ Handelnȱ bestimmtȱ istȱ vonȱ VorȬ mundȱundȱVerwalter.64ȱImȱZentrumȱdesȱBegriffsgebrauchsȱanȱdieserȱStelleȱstehtȱ dabeiȱ dieȱ Frageȱ nachȱ derȱ Übernahmeȱ sittlicherȱ undȱ erzieherischerȱ VerantworȬ tung.ȱ ȱ

Esȱistȱalsoȱkeineswegsȱzwingend,ȱdassȱTitȱ1,7ȱeineȱunmittelbareȱGleichȬ setzungȱ desȱ Gemeindeaufsehersȱ mitȱ einemȱ Hausverwalterȱ bietet.ȱ Daȱ derȱ Kontextȱ desȱ Titȱ zudemȱ keineȱ Hinweiseȱ aufȱ eineȱ gemeindlicheȱ Strukturierungȱ imȱ Sinneȱ desȱ antikenȱ oi=kojȱ enthält,65ȱ legtȱ esȱ sichȱ durchȱ nichtsȱnahe,ȱspeziellȱvonȱeinemȱ„Hausverwalter“ȱzuȱsprechen,ȱmitȱdemȱ derȱBischofȱalsȱGemeindeleiterȱidentifiziertȱwerdenȱsoll.66ȱȱ Derȱ griechischeȱ Terminusȱ bezeichnetȱ inȱ Titȱ 1,7ȱ vielmehrȱ ganzȱ allȬ gemeinȱ einenȱ Verwalter,ȱ dessenȱ Zuständigkeitsbereichȱ durchȱ dasȱ sichȱ anschließendeȱ Genitivattributȱ umschriebenȱ wird:ȱ Derȱ Bischofȱ sollȱ unȬ tadeligȱseinȱwieȱeinȱVerwalterȱGottesȱ–ȱundȱdasȱheißtȱwieȱeinȱVerwalterȱ inȱ dezidiertemȱ Bezugȱ aufȱ denȱ christlichenȱ Gott.67ȱ Dieȱ hierȱ attributivȱ erfolgendeȱ Bezugnahmeȱ aufȱ Gottȱ selbstȱ legtȱ esȱ alsoȱ nahe,ȱ hinterȱ demȱ oivkono,mojȱ inȱ Analogieȱ zuȱ anderenȱ antikenȱ Kultenȱ einȱ religiösȱ qualifiȬ ziertesȱAmtȱzuȱsehen,ȱwelchesȱhierȱinȱeineȱexpliziteȱBeziehungȱzuȱdemȱ christlichenȱGottȱgesetztȱwird:ȱDerȱEpiskoposȱwirdȱvonȱTitȱalsȱeinȱ–ȱvonȱ Gottȱabhängigerȱ–ȱAufseherȱüberȱdieȱGemeindeȱverstanden,ȱohneȱdassȱ dadurchȱweiterreichendeȱAussagenȱüberȱeineȱgemeindlicheȱStrukturieȬ rungȱimȱSinneȱeinerȱoi=kojȬEkklesiologieȱmöglichȱwären.ȱ

ȱ

ȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ

64ȱȱ 65ȱȱ 66ȱȱ 67ȱȱ

ders.,ȱHouseȱofȱGod,ȱ561).ȱVgl.ȱELLIOTT,ȱ1Peter,ȱ113–118,ȱderȱinȱderȱBezeichnungȱderȱ GemeindeȱalsȱHaushaltȱGottesȱdieȱzentraleȱMetapherȱdesȱ1Petrȱsiehtȱ(vgl.ȱausführliȬ cherȱ ders.,ȱ Home,ȱ bes.ȱ 200–208;ȱ vgl.ȱ dazuȱ auchȱ LEHMEIER,ȱ Oikos,ȱ 25).ȱ Vorsichtigerȱ HERZER,ȱPetrus,ȱ185–188,ȱderȱstärkerȱdenȱtempeltheologischenȱBezugȱinȱdenȱVorderȬ grundȱrückt.ȱ Vgl.ȱVOUGA,ȱGal,ȱ98f.ȱTOOLEY,ȱStewards,ȱ75,ȱsiehtȱdarinȱeineȱmetaphorischeȱWiederȬ holungȱdesȱBegriffsȱpaidagwgo,jȱausȱGalȱ3,24f.ȱ ZuȱTitȱ2,1–10ȱvgl.ȱu.ȱS.ȱ226.ȱ SoȱauchȱRICHTER,ȱOikonomia,ȱ47.ȱ Vgl.ȱzurȱSpezifizierungȱdesȱSubstantivsȱoivkono,mojȱdurchȱdasȱbeigefügteȱAttributȱREUȬ MANN,ȱStewards,ȱ342ff,ȱmitȱzahlreichenȱantikenȱBeispielen.ȱ

190ȱ

IV.ȱȱMotivsemantischeȱUntersuchungenȱ

2.1.1.2.2ȱȱTitȱ2,5ȱ EinȱdritterȱBelegȱfürȱdenȱWortstammȱoivkȬȱfindetȱsichȱinȱTitȱ2,5ȱimȱRahȬ menȱ vonȱ Ermahnungenȱ anȱ einzelne,ȱ hierȱ nachȱ Alterȱ undȱ Geschlechtȱ differenzierteȱ Gruppenȱ derȱ Gemeinde:ȱ Nebenȱ denȱ altenȱ undȱ jungenȱ Männern,ȱdenȱSklavenȱundȱdenȱaltenȱFrauen,ȱfürȱderenȱLebenswandelȱ Titusȱ selbstȱ verantwortlichȱ zeichnet,ȱ werdenȱ auchȱ dieȱ jungenȱ Frauenȱ erwähnt,ȱdieȱwiederumȱvonȱdenȱaltenȱFrauenȱ–ȱvielleichtȱdurchȱderenȱ eigenesȱLebensvorbild?ȱ–ȱzuȱhäuslichȬfamiliärerȱTugendȱangeleitetȱwerȬ denȱsollen:ȱSieȱsollenȱihreȱEhemännerȱundȱKinderȱlieben,ȱbesonnenȱundȱ keuschȱ sein,ȱ sichȱ unterordnenȱ undȱ „mitȱ häuslichenȱ Arbeitenȱ beschäfȬ tigt“ȱ (oivkourgo,j)ȱ sein.ȱ Dieseȱ anȱ dasȱ sog.ȱ „Lobȱ derȱ tüchtigenȱ Hausfrau“ȱ (Sprȱ 31,10–31)ȱ erinnerndeȱ Tugend68ȱ istȱ alsȱ Hinweisȱ aufȱ dieȱ Gültigkeitȱ derȱ antikenȱ Ökonomikȱ auchȱ inȱ denȱ zuȱ denȱ kretischenȱ Gemeindenȱ geȬ hörendenȱ Einzelhaushaltenȱ zuȱ begreifen,ȱ trägtȱ jedochȱ bezüglichȱ desȱ ekklesiologischenȱKonzeptsȱdesȱBriefesȱnichtsȱaus.69ȱ

2.1.1.3ȱȱZusammenfassungȱ VonȱdenȱdreiȱBelegenȱdesȱoivkȬWortstammesȱimȱTitȱlassenȱsichȱzweiȱfürȱ dieȱ Frageȱ nachȱ derȱ Gemeindestrukturȱ auswerten,ȱ währendȱ Titȱ 2,5ȱ aufȱ derȱ häuslichȬsozialenȱ Ebeneȱ verbleibtȱ undȱ imȱ Rahmenȱ einerȱ AufzähȬ lungȱerwünschterȱweiblicherȱVerhaltensweisenȱdenȱAspektȱderȱhäusliȬ chenȱArbeitȱeinträgt.ȱ InȱTitȱ1,11ȱstehtȱdieȱErwähnungȱ„ganzerȱHäuser“,ȱdieȱsichȱverfühȬ renȱlassen,ȱimȱKontextȱderȱBeschreibungȱdesȱAuftretensȱvonȱIrrlehrern.ȱ Dassȱ anȱ dieserȱ Stelleȱ oi=koiȱ alsȱ strukturelleȱ Einheitȱ imȱ Hinblickȱ aufȱ dieȱ Organisationȱ desȱ christlichenȱ Glaubensȱ genanntȱ werden,ȱ zeigt,ȱ dassȱ christlicheȱ Familienȱ fürȱ dieȱ Organisationȱ derȱ Gemeindewirklichkeitȱ ebensoȱ wieȱ inȱ denȱ Protopaulinenȱ eineȱ zentraleȱ Rolleȱ spielen.ȱ Daȱ diesȱ jedochȱ keinȱ Hinweisȱ aufȱ festȱ organisierteȱ „Hausgemeinden“ȱ ist,ȱ kannȱ manȱ ausȱ diesemȱ Versȱ nichtȱ notwendigȱ eineȱ patriarchalȱ strukturierteȱ Gemeindeordnungȱableiten.ȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 68ȱȱ Vgl.ȱdazuȱauchȱ1Clemȱ1,3,ȱeinȱumȱdasȱausdrücklicheȱMomentȱderȱUnterordnungȱerȬ weiterterȱReflexȱaufȱTitȱ2,5.ȱ 69ȱȱ Daherȱ sindȱ solcheȱ zuȱ Unrechtȱ pauschalisierendenȱ Aussagenȱ wieȱ beiȱ V.ȱ LIPS,ȱ GeȬ meinde,ȱ141,ȱinȱFrageȱzuȱstellen,ȱwonachȱgrundsätzlichȱgelte:ȱ„[D]ieȱsozialeȱPositionȱ desȱeinzelnen,ȱ wieȱsieȱinȱ derȱHausgemeinschaftȱzumȱ Ausdruckȱkommt,ȱbehältȱihreȱ RelevanzȱauchȱfürȱdieȱStellungȱinȱderȱGemeinde.“ȱ

2.ȱȱEkklesiologieȱ

191ȱ

DiesȱgiltȱauchȱfürȱdieȱErwähnungȱdesȱoivkono,moj qeou/ inȱTitȱ1,7,ȱwoȬ mitȱhierȱkeineswegsȱaufȱeinenȱHausverwalterȱangespieltȱwird,ȱsondernȱ vielmehrȱ einȱ inȱ derȱ Antikeȱ inȱ ganzȱ verschiedenenȱ Zusammenhängenȱ gebräuchlicherȱ Begriffȱ durchȱ dasȱ Genitivattributȱ qeou/ȱ fürȱ dieȱ VerwenȬ dungȱinȱderȱchristlichenȱGemeindeȱumgedeutetȱwird:ȱDasȱausȱderȱantiȬ kenȱ Umweltȱ bekannteȱ Konzeptȱ desȱ Verwaltersȱ alsȱ einerȱ organisatoriȬ schenȱ Kategorieȱ wirdȱ hierȱ inȱ Anlehnungȱ anȱ paulinischeȱ Terminologieȱ sowieȱ anȱ paganȬantikeȱ kultischeȱ Verwendungszweckeȱ zurȱ UntermaȬ lungȱ derȱ Gemeinderealitätȱ herangezogen:ȱ Dieȱ Bischöfe70ȱ fungierenȱ alsȱ vonȱGottȱeingesetzteȱundȱvonȱihmȱabhängigeȱVerwalter.ȱ DamitȱistȱjedochȱinsgesamtȱkeineȱökonomischȱbegründeteȱVerfestiȬ gungȱderȱorganisatorischenȱGemeindestrukturenȱimȱTitȱerkennbar.71ȱ

2.1.2ȱȱDasȱVorkommenȱimȱ1.ȱTimotheusbriefȱ Gegenüberȱ Titȱ fälltȱ imȱ 1Timȱ einȱ gehäuftesȱ Vorkommenȱ desȱ oivkȬWortȬ stammesȱ auf:ȱ Fünfȱ Malȱ stehtȱ oi=kojȱ selbstȱ (3,4f.12.15;ȱ 5,4),ȱ jeȱ einmalȱ dieȱ verwandtenȱSubstantiveȱoivki,aȱ(5,13)ȱundȱoivkonomi,aȱ(1,4),ȱdasȱVerbȬKomȬ positumȱoivkodespote,w (5,14)ȱsowieȱdasȱsubstantiviertȱgebrauchteȱAdjekȬ tivȱoivkei/ojȱ(5,8).ȱWährendȱ3,4f.12;ȱ5,4ȱdieȱantikeȱHausgemeinschaftȱundȱ ihreȱsozialenȱStrukturenȱzurȱBasisȱderȱeigenenȱArgumentationȱmachen,ȱ trifftȱ 3,15ȱ eineȱ auchȱ durchȱ denȱ Kontextȱ hervorgehobeneȱ ekklesiologiȬ scheȱGrundaussage.ȱȱ ȱ

Geradeȱ1Timȱ3,15ȱwirdȱhäufigȱnichtȱnurȱinsȱZentrumȱdesȱ1Tim,ȱsondernȱsogarȱ derȱ Gemeindeordnungȱ derȱ Pastoralbriefeȱ insgesamtȱ gerückt.ȱ Ausgehendȱ vonȱ diesemȱ Versȱ undȱ unterȱ Verweisȱ aufȱ strukturelleȱ Parallelenȱ zwischenȱ derȱ antiȬ kenȱÖkonomikȱundȱdenȱÄmterspiegelnȱwerdenȱsämtlicheȱÄußerungenȱderȱPastȱ überȱ Gemeindestrukturenȱ bzw.ȱ zurȱ Verwendungȱ vonȱ oivkȬBegrifflichkeitȱ alsȱ Entfaltungȱ einerȱ oi=kojȬEkklesiologieȱ parȱ excellenceȱ interpretiert.72ȱ Dieserȱ Versȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 70ȱȱ ZurȱInterpretationȱdesȱSingularsȱevpi,skopojȱalsȱeinesȱgenerischenȱvgl.ȱu.ȱS.ȱ267f.ȱ 71ȱȱ SoȱjedochȱHORRELL,ȱTransformation,ȱpassim,ȱsowieȱBROX,ȱPastoralbriefe,ȱ42;ȱkritischȱ demgegenüberȱHERZER,ȱHouseȱofȱGod,ȱ555f;ȱvgl.ȱauchȱHEGERMANN,ȱOrt,ȱ60.ȱ 72ȱȱ SoȱträgtȱdieȱMonographieȱvonȱUlrikeȱWagenerȱdasȱ„HausȱGottes“ȱsogarȱimȱTitel,ȱobȬ wohlȱsieȱesȱsichȱzumȱZielȱgesetztȱhat,ȱdieȱRolleȱvonȱFrauenȱinȱderȱEkklesiologieȱderȱPastȱ insgesamtȱ zuȱ beschreiben.ȱ Vgl.ȱ zurȱ Bedeutungȱ vonȱ 1Timȱ 3,15ȱ außerdemȱ YAWȱ OPPONGȬKUMI,ȱ Concept,ȱ 203f;ȱ WEISER,ȱ 2Tim,ȱ 204;ȱ GNILKA,ȱ Theologie,ȱ 356;ȱ LÖNING,ȱ Ekklesiologie,ȱ428;ȱROLOFF,ȱKirche,ȱ253;ȱVERNER,ȱHousehold,ȱ127;ȱKLAUCK,ȱHauskirȬ che,ȱ67;ȱ BROX,ȱ Amt,ȱ128ȱ(vgl.ȱ ders.,ȱ Pastoralbriefe,ȱ157).ȱVgl.ȱz.B.ȱ dieȱkritischenȱ AnȬ merkungenȱvonȱTOWNER,ȱTheology,ȱ302,ȱderȱbehauptet,ȱfürȱRoloffȱ undȱandereȱVerȬ treterȱ dieserȱ obenȱ geschildertenȱ Positionȱ stelleȱ 1Timȱ 3,15ȱ „aȱ kindȱ ofȱ theologicalȱ

192ȱ

IV.ȱȱMotivsemantischeȱUntersuchungenȱ

wirdȱdamitȱzuȱeinemȱhermeneutischenȱSchlüsselȱfürȱdieȱExegeseȱderȱdreiȱBriefeȱ insgesamt,ȱ daȱ inȱ derȱ Bezeichnungȱ derȱ Gemeindeȱ alsȱ oi=koj qeou/ȱ dasȱ „allesȱ beherrschendeȱ großeȱ Themaȱ derȱ Past“ȱ erkanntȱ wird:73ȱ Daȱ 1Timȱ eineȱ zeitlicheȱ undȱ räumlicheȱ Entschränkungȱ derȱ (paulinischen)ȱ Gemeindeordnungȱ impliȬ ziere,74ȱkönneȱdiesesȱCharakteristikumȱaufgrundȱformalȬstrukturellerȱParallelenȱ auchȱ aufȱ Titȱ übertragenȱ werden,ȱ soȱ dassȱ imȱ Zusammenklangȱ derȱ relevantenȱ Stellenȱdieserȱzweiȱ(1Timȱ3,15;ȱTitȱ1,7)ȱbzw.ȱallerȱdreiȱSchreibenȱ(2Timȱ2,19–21)75ȱ eineȱ dauerhaftȱ gültigeȱ Ordnungȱ fürȱ dieȱ Gemeindeȱ alsȱ „Hausȱ Gottes“ȱ entfaltetȱ werde.ȱȱ ȱ

ImȱFolgendenȱsollenȱsämtlicheȱVorkommenȱdiesesȱWortfeldesȱimȱKonȬ textȱdesȱ1Timȱuntersuchtȱwerden,ȱumȱsoȱdieȱBedeutungȱdieserȱBegriffȬ lichkeitȱ fürȱ dieȱ Ekklesiologieȱ desȱ längstenȱ Pastoralbriefesȱ angemessenȱ beschreibenȱzuȱkönnen.ȱ

2.1.2.1ȱȱoi=kojȱimȱ1.ȱTimotheusbriefȱ 2.1.2.1.1ȱȱ1Timȱ3,4f.12ȱ VierȱderȱfünfȱBelegeȱfürȱoi=kojȱimȱ1Timȱfindenȱsichȱimȱ3.ȱKapitel,ȱdreiȱdaȬ vonȱwiederumȱinȱunmittelbaremȱZusammenhangȱmitȱdemȱfürȱEpiskoȬ penȱ undȱ Diakoneȱ geltendenȱ Pflichtenspiegel.ȱ Auchȱ wennȱ sieȱ dortȱ jeȬ weilsȱ aufȱ dasȱ eigeneȱ (PrivatȬ)Hausȱ bezogenȱ sind,ȱ stehtȱ ihreȱ VerwenȬ dungȱ inȱ thematischemȱ Zusammenhangȱ mitȱ denȱ inȱ 1Timȱ 3ȱ entfaltetenȱ ekklesiologischenȱStrukturen.ȱ Inȱ1Timȱ3,4ȱfindetȱsichȱimȱRahmenȱeinerȱCharakterisierung,ȱdieȱsichȱ anȱausȱdemȱrömischenȱKontextȱbekannteȱcuraȱmorumȬListen76ȱanlehnt,ȱ derȱ Hinweis,ȱ derȱ idealeȱ Episkoposȱ solleȱ seinemȱ eigenenȱ Hausȱ (o` i;dioj oi=koj)ȱ aufȱ guteȱ Weiseȱ vorstehenȱ (proi