Untreue zum Nachteil von Gesellschaften: Zugleich ein Beitrag zur Struktur des Vermögensbegriffs als Beziehungsbegriff [1 ed.] 9783428471614, 9783428071616

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Untreue zum Nachteil von Gesellschaften: Zugleich ein Beitrag zur Struktur des Vermögensbegriffs als Beziehungsbegriff [1 ed.]
 9783428471614, 9783428071616

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URSULA NELLES

Untreue zum Nachteil von Gesellschaften

Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft Herausgegeben im Auftrag der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster durch die Professoren Dr. Hans-Uwe Erichsen Dr. Helmut Kollhosser Dr. Jürgen Welp

Band 52

Untreue zum Nachteil von Gesellschaften Zugleich ein Beitrag zur Struktur des Vermögensbegriffs als Beziehungsbegriff

Von

Ursula Nelles

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Nelles, Ursula: Untreue zum Nachteil von Gesellschaften: zugleich ein Beitrag zur Struktur des Vermögensbegriffs als Beziehungsbegriff / von Ursula Nelles. - Berlin: Duncker und Humblot, 1991 (Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft; Bd. 52) Zugl.: Münster (Westfalen), Univ., Habil.-Schr., 1990 ISBN 3-428-07161-1 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten © 1991 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin 65 Printed in Germany ISSN 0935-5383 ISBN 3-428-07161-1

Vorwort Die vorgelegte Arbeit wurde im Sommersemester 1990 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität als Habilitationsschrift angenommen. Das Manuskript wurde Ende Januar 1990 abgeschlossen. Meinem Lehrer, Herrn Prof. Dr. Jürgen Welp, habe ich zu danken nicht nur für die wissenschaftliche Betreuung der Arbeit und die Empfehlung zur Aufnahme in diese Reihe, sondern auch für vielfältige Einsichten und Erkenntnisse, die ich als seine Assistentin während der langjährigen Zusammenarbeit mit ihm habe gewinnen können. Danken möchte ich auch Herrn Prof. Dr. Friedrich Dencker und Herrn Dr. Klaus Tolksdorf für die freundschaftlichen und konstruktiven Diskussionen. Münster, September 1990

Ursula Nelles

Inhaltsverzeichnis Einleitung .......................................................... . I. 11.

Umriß des Themas ........................................... . Zur Opferorientierung der Untersuchung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2 1. Kriminologische Begründung ................................... 2 2. Dogmatische Begründung und Ziel der Untersuchung ................ 4

111.

Zur übergreifenden Bedeutung des Themas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 9

IV.

Abgrenzungsfragen ........................................... 10

V.

Gang der Untersuchung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 14

1. Teil Historisches Material. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 17 1. Kapitel Die Ausgangsfassung des § 266 StGB und ihre Anwendung auf gesellschaftsrechtlich geprägte Sachverhalte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 22 A.Organisations- und Gesellschaftsformen .................................. 22

I.

Bürgerlichrechtliche Vereinigungen ............................... 24 1. Korporationen ("universitates") ................................ 24 2. Privatgesellschaften ("societates") . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 25

11.

Handelsgesellschaften. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 25 1. 2. 3. 4. 5.

111.

Die offene Handelsgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Die Kommanditgesellschaft ................................... Die Kommanditgesellschaft auf Aktien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Die Aktiengesellschaft ....................................... Sonstige Vereinigungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

26 27 27 27 28

Genossenschaften. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 28

Inhaltsverzeichnis

VIII

IV.

Sozialversicherungsrechtliche Organisationen ........................ 29 1. Privatrechtliche Organisationsformen ............................ 29 2. Öffentlich-rechtliche Organisationsformen ........................ 30

B.

Anwendungsprobleme des § 266 StGB bei ungetreuem Verhalten zum Nachteil von Gesellschaften ................................. 31

I.

Täterqualifikation ............................................ 31 1. Geschäftsführende Organe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Vorstände juristischer Personen ............................ b) Geschäftsführende Gesellschafter von Personengesellschaften .. . . .. 2. Aufsichts- und Kontrollorgane ................................. 3. Auswirkung irregulärer Aufgabenteilung in der Satzung .............. 4. "Faktische" Organe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

32 32 33 34 35 35

II.

Tatobjekt - Die Beschränkung des § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB auf "Forderungen und Vermögensstücke" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 36

III.

Die "absichtliche" Benachteiligung als Problem der Tathandlung ......... 37

C.

Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 39

2. Kapitel Einführung und Entwicklung gesellschaftsrechtlicher Untreuetatbestände in der Zeit von 1876 bis 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 40 A I.

Täterqualifikation ............................................ 41 Untreue zum Nachteil von Organisationen .......................... 41 1. Organuntreue .................................... . ........ a) Sozialversicherungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Handelsrecht .......................................... c) Genossenschaftsrecht .................................... 2. Sonstige täterqualifizierende Beziehungen zur Organisation ........... 3. Zusammenfassung ..........................................

II.

Untreue zum Nachteil natürlicher Personen ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 49 1. Organ untreue ............................................. a) Allgemeine Organe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Spezielle Organe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Zusammenfassung ...................................... 2. Sonstige täterqualifizierende Beziehungen ........................ a) Sozialversicherungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Börsenrecht ........................................... 3. Zusammenfassung ..........................................

B.

42 42 44 45 46 47

49 49 50 52 53 53 54 55

Tathandlungsbeschreibungen in ihrer Wechselbezüglichkeit zur Täterqualifikation ............................................ 56

Inhaltsverzeichnis I.

IX

Unbestimmte Handlungsbeschreibung ............................. 57 1. Handeln "zum Nachteil" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Konturierungsbemühungen in Rechtsprechung und Literatur - das "Wesen der Untreue" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Die Interpretation der Tathandlung nach der Mißbrauchstheorie ... aa) Handeln in Ausübung der Befugnisse ...................... bb) Rechtsgeschäftliches Handeln ............................ cc) Mißbrauch durch Unterlassen .......................... " b) Die Interpretation der Tathandlung nach der Treubruchstheorie . . .. aa) Der "innere Zusammenhang" mit der Treuepflicht ............ (1) Kein Handeln in Ausübung der Befugnisse ................ (2) Die "Unablöslichkeit" der Organeigenschaft . . . . . . . . . . . . . . .. bb) Die rein "tatsächliche Einwirkung" auf das fremde Vermögen .... cc) Die "Pflichtwidrigkeit" des Handeins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. dd) Treubruch durch Unterlassen ............................ c) Zusammenfassung................................. . . . ..

11.

57 58 60 61 63 64 64 64 65 66 67 68 69 71

Spezifische Handlungsbeschreibungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 72

1. Handeln zum Nachteil "bei der Ausführung eines Auftrages oder der Abwicklung eines Geschäfts" ........................... 2. Die "rechtswidrige Verfügung" ................................. 3. Die "Abweichung vom Geschäftsplan" ........................... a) Benachteiligende Abweichungen .......... . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Vermögensgefährdende Abweichungen ....................... 4. Vorenthalten von Versicherungsbeiträgen oder Nichtverwendung von Arbeitsentgelt für Versicherungszwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 5. Zusammenfassung ..........................................

72 74 76 76 77 78 80

C.

Die Rolle des Benachteiligten ................................... 81

I.

Zum "Nachteilsbegriff" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 81

11.

Funktion des Vermögensträgers für die Unrechtsvertypung der Untreue ... 84 1. § 266 StGB ............................................... 84 2. Gesellschafts- und handelsrechtliche Untreuetatbestände zum Schutze natürlicher Personen .................................. 85 3. Gesellschaftsrechtliche Untreuetatbestände zum Schutz "der" Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 86

III.

"Die" Gesellschaft als Benachteiligte .............................. 87

IV.

Funktion des Vermögensträgers für den Schutzbereich des (deutschen) Untreuestrafrechts .................................. 88

D.

Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 90

x

Inhaltsverzeichnis

3. Kapitel Der verbleibende gesellscbaftsrecbtIicbe Regelungsgebalt des § 266 StGB .......... 93 A.

Originärer Anwendungsbereich des § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB ........... 94

I.

Die Amtsuntreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 94 1. Beamte als "Bevollmächtigte" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Auffassung der Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Auffassung in der Rechtsprechung .......................... 2. Untreuehandlungen ......................................... 3. Nachteil .................................................

11.

Untreue gegenüber (anderen) Vereinigungen und Gesellschaften ......... 99 1. Organe juristischer Personen als deren "Bevollmächtigte" . . . . . . . . . . .. a) Vereine................................. . . . . . . . . . . .. b) GmbH.............................................. 2. Organe von Personengesellschaften als deren "Bevollmächtigte" ....... a) oHG ...............................................

b) KG ................................................ c) BGB-Gesellschaft...................................... d) Gemeinschaft......................................... 3. Untreuehandlungen ........................................ a) Belastung des Vermögens mit einer Verbindlichkeit ............ b) Die "Statutenwidrigkeit" der Verfügung ..................... 4. Nachteil ................................................ 111. B. I.

95 96 97 98 99

100 101 103 104 104 106 107 107 108 108 1 \0 111

Die Sonderfälle der "faktischen Gesellschaft" und der "faktischen Organe". 112 § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB als "Auffangtatbestand" ...................

113

Die Ausdehnung der Täterkataloge in Rechtsprechung und Literatur. . . .. 113 1. Darstellung .............................................. 113 2. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 115

11.

Das Verhältnis der Untreuetatbestände zueinander

116

1. Darstellung .............................................. 116 2. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 117 C.

Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 119

Zusammenfassung der Ergebnisse des ersten Teils .......................... 122

Inhaltsverzeichnis

Xl

Teil 2 Diskussion gesellschaftsbezogener Untreueprobleme des geltenden Rechts • Darstellung und Kritik ..................... 129 1. Kapitel Gesetzliche Grundlagen und Diskussionsansatz

131

A.

Gesellschaftsbezogener Geltungsbereich des § 266 StGB .............. 131

I.

Der Geltungsbereich des § 266 StGB unter Berücksichtigung der Motive .. 131 1. Die Motive bei Schäfer ..................................... 132 2. Die Reform des § 266 StGB im "geschichtlichen Zusammenhang" . . . . .. 133

11.

Der Geltungsbereich des § 266 StGB unter Berücksichtigung der Aufhebungsgesetze .......................................... 136 1. 2. 3. 4.

Aufhebungsgesetze als auslegungsfahige Normen .................. Wortlaut der die Sondertatbestände aufhebenden Normen ... . . . . . . .. Die Motive für die Aufhebungsgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Die systematische Begrenzung der Regelungen eines Änderungsgesetzes .

137 137 138 141

III.

Auswirkungen der Änderungsgesetze auf den Geltungsbereich des § 266 StGB ............................................. 142

IV.

Zusammenfassung und Konsequenzen für den weiteren Untersuchungsgang .......................................... 144

B.

Ansätze für gesellschaftsbezogene Fragestellungen aus dem Wortlaut des § 266 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 145

I.

Das in § 266 StGB vorausgesetzte Beziehungsgefüge ................. 145 1. Das "Opfervermögen" als Angriffsobjekt der Untreue. . . . . . . . . . . . . .. 2. Die täterschaftsbegründende Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Täter als Subjekt der Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Grundlagen der Beziehung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Der Gegenpol der Beziehung ............................. aal Beziehung Täter - Vermögen ........................... bb) Beziehung Täter - Opfer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. ce) Dreiecksbeziehung ................................... 3. "Mißbrauchen" und "Verletzen" der Pflicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

11.

145 146 147 147 149 149 149 150 153

Konsequenzen für den Zuschnitt der gesellschaftsbezogenen Fragen. . . . .. 154

2. Kapitel Aussagen zur Frage: "Wer kann Opfer sein?" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 156 A.

Darstellung des Meinungsbildes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 156

I.

Zur Strukturierung der Übersicht ............................... 156

Inhaltsverzeichnis

XII

1. Prämissen und Diskussionsansätze ............................. 2. Opfertypologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) KlassifIZierungen nach dem Recht der Personenvereinigungen . . . .. aa) Gesellschaftsrecht im engeren Sinne ...................... (1) "Juristische Personen" ............................... (2) "Gesamthandsgemeinschaften" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. bb) Öffentlich-rechtliche Organisationsformen . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Ergebnis für die "Opfertypologie" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

11.

156 157 158 159 159 160 162 162

Differenzierung zwischen juristischen Personen und Zusammenschlüssen ohne eigene Rechtspersönlichkeit ........................ 163 1. Verallgemeinernde Stellungnahmen ............................ a) Obergerichtliche Rechtsprechung .......................... b) Literatur............................................. c) Gegenpositionen.... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Konsequenzen für den Anwendungsbereich des § 266 StGB ......... 3. Beurteilung der einzelnen Formen gesellschaftsrechtlicher Zusammenschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) "Vermögensträger" mit eigener Rechtspersönlichkeit . . . . . . . . . . .. b) Zusammenschlüsse ohne eigene Rechtspersönlichkeit ........... aa) Rechtsprechung ..................................... (1) Gesellschafter als Vermögensinhaber . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. (2) "Die Gesellschaft" als Vermögensinhaberin ............... bb) Literatur...........................................

163 163 163 164 165 166 166 168 168 170 170 172

III.

Die "öffentliche Hand" als Vermögensinhaberin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 173

IV.

Negativkategorien ........................................... 175 1. Funktionsbezeichnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 175 2. Isolierte Vermögensmassen .................................. 176

V.

Zusammenfassung ........................................... 178

B.

Auswertung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 179

I.

Der abstrakte Gehalt der Aussagen zur Benachteiligungsfähigkeit von Personenvereinigungen ....................................... 179

11.

Analyse des Argumentationsmusters ............................. 179

III.

Methodische Kritik

181

IV.

Ergebnis

184

3. Kapitel Aussagen zur Frage "Auf Grund welcher Beziehung kann eine Person Täter sein?" ., . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 186 A.

Zur Differenzierung zwischen Mißbrauchs- und Treubruchsuntreue ...... 186

Inhaltsverzeichnis I.

11.

XIII

Das "Zwei-Tatbestände-Konzept" und seine Begründung

187

1. Das ursprüngliche "Drei-Tatbestände-Modell" .................... 2. Das "Zwei-Tatbestände-Modell" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Konsequenzen für die Interpretation der Voraussetzungen des § 266 StGB ........................................... a) "Subsidiarität" des Treubruchstatbestandes ................... b) Selbständige Interpretierbarkeit der Tatbestandsmerkmale ....... aa) Vermögensbetreuungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. (1) Ausschließliches Charakteristikum des Treubruchstatbestandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. (2) Differenzierende Interpretation des Betreuungsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. bb) Gespaltener Vermögensbegriff ..........................

187 189 190 190 191 191 191 192 193

Die Lehre von der "Einheit der Untreuebestimmung" ................ 194 1. Mißbrauch als Unterfall des Treubruchstatbestandes ("Spezialität") .... 2. Konsequenzen für die Interpretation der Voraussetzungen des § 266 StGB ........................................... a) Die "Vertretungsmacht" des Mißbrauchstatbestandes als Regelbeispiel für das "Treueverhältnis" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) "Keine Untreue ohne Treubruch" .......................... aa) Die Argumentation von Kurek .......................... bb) Das Scheckkartenurteil des Bundesgerichtshofs .............. cc) Rezeption und Begründung in der neueren Literatur. . . . . . . . .. (1) Zur Vermögensbetreuungspflicht des Mißbrauchstäters . . . . .. (2) Zum Charakter der Alternativen als "Tatbestände" ......... 3. Die Lehre vom (fiktiven) übergreifenden Untreuetatbestand ......................................... a) Die Auffassung von Sax ................................. b) Die Auffassung von Schlüchter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Die Auffassung von Lenckner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

195 196 196 197 197 199 201 202 204 205 206 207 207

III.

Zusammenfassung der divergierenden Sachaussagen . . . . . . . . . . . . . . . . .. 208

IV.

Methodenproblem als Ursache der Divergenzen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 208 1. Notwendigkeit und Ergiebigkeit einer Methodendiskussion . . . . . . . . . .. 209

2. Analyse und Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 211 a) Die Prämissen des "Zwei-Tatbestände-Konzepts" .............. 211

aa) Der "Wille des Gesetzgebers" ........................... bb) Zur Maßgeblichkeit der Vorstellungen des historischen Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. cc) Zwischenergebnis .................................... b) Prämissen der Lehre vom "einheitlichen Unrechtskern" .......... aa) "Grammatikalische" Auslegung ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. bb) Systematische Interpretation ......... . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Ergebnis ................................................ V.

212

214 218 218 218 220 220

Basisdefinition für die Subsumtion gesellschaftsrechtlicher Beziehungen . .. 222

Inhaltsveneichnis

XIV

B.

Beziehungen zu Gesellschaften und ihrem Vermögen als Gegenstand strafrechtlicher Beurteilung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 223

I.

Zur Differenzierung zwischen Innen- und Außenbeziehungen . . . . . . . . . .. 224

11.

Zur Differenzierung zwischen Körperschaften und Personengesellschaften . 225

III.

Ordnungsraster ............................................. 226

e.

Darstellung des Meinungsbildes in Rechtsprechung und Literatur ....... 226

I.

Außenbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 226 1. Gesellschaftsrechtliche Regelungen ............................ 2. Strafrechtliche Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) "Dritte" in Beziehung zu einer Körperschaft oder Gesellschaft .... b) "Die Gesellschaft" in Beziehung zu Dritten ... . . . . . . . . . . . . . . ..

11.

226 228 228 229

Innenbeziehungen ........................................... 231 1. Gesellschaftsrechtliche Regelungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Körperschaftliche Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. aa) Beziehungen der Mitglieder untereinander und zur Gesellschaft ........................................ bb) Organe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. - Typ "Vorstand" ...................................... - Typ "Mitgliederversammlung" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. - Typ "Aufsichtsrat" .................................... b) Personengesellschaften .................................. aa) Beziehungen der Gesellschafter untereinander und zum Gesellschaftsvermögen ................................ bb) Das Prinzip der "Selbstorganschaft" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Strafrechtliche Beurteilung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Beziehungen der Mitglieder von Personenvereinigungen untereinander und zur Personenvereinigung .................. aa) Mitglieder von Körperschaften untereinander ............... bb) Mitglieder einer Körperschaft in Beziehung zu dieser ......... cc) Gesellschafter einer Personengesellschaft untereinander ....... dd) Gesellschafter einer Personengesellschaft in Beziehung zu dieser .................................. b) Organe in Beziehung zur Personenvereinigung ................ aa) Geschäftsführende Organe ............................. (1) Körperschaften .................................... (2) Personengesellschaften .............................. bb) Typ "Gesellschafterversammlung" ........................ (1) Körperschaften .................................... (2) Personengesellschaften .............................. cc) Typ "Aufsichtsrat" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

231 231 231 233 233 235 236 237 237 238 241 241 241 243 245 248 249 249 249 250 252 252 256 258

111.

Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 259

D.

Auswertung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 261

Inhaltsveneichnis

J.

Analyse der Argumentation zu den Außenbeziehungen

xv 261

1. Vermögensbetreuungspflichtige Dritte .......................... 261 2. Vermögensbetreuungspflicht gegenüber Dritten ................... 263

11.

Argumentation zur Betreuungspflicht geschäftsführender Gesellschafter von Personengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 264

111.

Argumentation zur Vermögenbetreuungspflicht der Organe juristischer Personen ......................................... 266 1. Der Einfluß von Gesellschafterbeschlüssen auf die Vermögensinteressen der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 266 2. Die Grenze des § 30 GmbHG ................................ 267

IV.

Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 269

Zusammenfassung der Ergebnisse des zweiten Teils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 270 Teil 3

Der Benachteiligte als Zuordnungssubjekt rur Vermögen Implikationen der VermögensbegritTe .............. 276 1. Kapitel Vermögenszuordnung als Sitz des Problems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 278 A.

Die Charakterisierung des Verletzten durch den Wortlaut des § 266 StGB. 279

J.

Attribute des Verletzten ...................................... 279 1. Die Merkmale "fremd" und "einen anderen" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 279 2. Die Voraussetzung "dem, dessen Vermögensinteressen" ............. 279

11.

Rückschlüsse aus den täterschaftsbegründenden Voraussetzungen auf die Qualität des Vermögensinhabers ............................. 280 1. "Rechtsverhältnisse", "Treueverhältnisse" ........................ 280 2. "zu betreuen hat" ...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 281

111.

Zwischenergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 282

8.

Teleologische Interpretationsansätze ............................. 282

J.

Darstellung der verschiedenen Auffassungen zum geschützten Rechtsgut des § 266 StGB ..................................... 283 1. "Das Vermögen" als geschütztes Rechtsgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 283 2. Untreue als "Verratstatbestand" ............ . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 284 3. Vermögen und Vertrauen als geschützte Rechtsgüter ............... 285

Inhaltsveneichnis

XVI

a)

Das individuelle Vertrauensverhältnis zwischen Täter und Opfer als zusätzliches Rechtsgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 285 b) Das Vertrauen in die Redlichkeit des Rechts- und Wirtschaftsverkehrs als zusätzliches Rechtsgut .................. . . . . . .. 286 4. Zusammenfassung ......................................... 286 11.

Kritik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 287 1. Methodischer Ansatz ....................................... a) Das Rechtsgut als Auslegungskriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Das Rechtsgut als Auslegungsprodukt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Zum geschützten Rechtsgut des § 266 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Das Vermögen in seiner Gesamtheit als geschütztes Rechtsgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Die Argumentation für die Ausschließlichkeit des Vermögensschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. aa) Wortlautargumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. bb) Systematische Argumentation ........................... (1) Stellenwert systematischer Argumentation im Strafrecht ..... (2) Die Systematik des 22. Abschnitts des StGB .............. cc) Ergebnis........................................... c) Die Begründungen für das (individuelle) Vertrauen als zusätzliches Rechtsgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. d) Die Begründungen für das zusätzliche Rechtsgut "Vertrauen in die Redlichkeit des Rechts- und Wirtschaftsverkehrs" ......... aa) Anforderungen an die Begründung überindividueller Rechtsgüter ......................... " bb) Ableitung aus der Entwicklung der gesellschaftsrechtlichen Untreue .........................

287 288 289 290 290 291 291 292 292 293 295 296 299 299 301

111.

Ergebnis und Konsequenzen für die Anforderungen an den Vermögensinhaber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 305

C.

Konsequenzen für die Konkretisierung der Definitionskriterien ......... 306

I.

Ableitungen aus der sachlogischen Struktur beider Definitionselemente ... 306

11.

Externe Interpretationsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 308 1. Das "Wesen der Untreue" als externer Ansatz für die Definition der Beziehung zwischen Täter und Opfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 308 2. Das geschützte Rechtsgut "Vermögen" als externer Ansatz für die Definition der "Zuordnung" von Vermögen und Vermögensinteressen .. 309

III.

Ergebnis und Präzisierung des Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 309

2. Kapitel Die Aussagen der Vermögensbegriffe zum Vermögen als "Objekt", zur "Zuordnung" und zum "Subjekt" ..................................... 311 A.

Prämissen und Arbeitshypothesen ............................... 313

Inhaltsverzeichnis I.

XVII

Mögliche Prämissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 313 1. Isolierbare Aussagen über die "Zuordnung" ...................... 313

11.

a) Ableitungen aus dem geschützten Rechtsgut .................. b) Das Postulat widerspruchsfreier Lösungen ................... c) Ergebnis............... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Isolierbare Aussagen über das (Vermögens-) "Objekt" .............. 3. Isolierbare Aussagen über das (Vermögens-) "Subjekt" . . . . . . . . . . . . .. 4. Ergebnis ................................................

314 316 316 316 320 321

Arbeitshypothesen zum "Subjekt" von Vermögen im Sinne des § 266 StGB

321

1. Kategorien möglicher Subjekte·. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 322

a)

Juristische Personen .............................. . . . . .. aa) Sprachliche Argumente. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. bb) Historische Argumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Personengruppen ...................................... aa) Sprachliche Argumente. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. bb) Historische Argumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. cc) Methodische Argumente. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Arbeitsdefinitionen ........................................ a) Zur Kategorie der "juristischen Personen" . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. aa) Strafrechtliches Vorverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. bb) Außerstrafrechtliches Verständnis ........................ cc) Ergebnis........................................... b) Personengruppen ...................................... 111.

Arbeitshypothesen zum (Vermögens-) "Objekt" im Sinne des § 266 StGB .. 331 1. Das Postulat der Einheitlichkeit des strafrechtlichen Vermögensbegriffs . a) Bedingungen eines einheitlichen Vermögensbegriffs aus der Perspektive des § 266 StGB ........................... b) Vereinbarkeit dieser Bedingungen mit den Strukturen der §§ 253 und 263 StGB ................................... 2. Selektion der als Arbeitshypothesen geeigneten Vermögensdefinitionen . a) "Inventar-" und "Wertsummenbegriff" .... . . . . . . . . . . . . . . . . . .. aa) Darstellung.......................................... bb) Funktionen des Inventar- und des Wertsummenbegriffs ........ (1) Aussagen zum Schaden .............................. (2) Aussagen über das Angriffsobjekt und das geschützte Rechtsgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. cc) Konsequenzen für die Wahl des Untersuchungsansatzes ....... dd) Ergebnis........................................... b) Ausklammerung von Schadenslehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. aa) "Subjektiver" und "objektiver" Schadensbegriff . . . . . . . . . . . . . .. (1) Darstellung der Positionen ........................... (2) Funktion als "Schadenslehren" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. (3) Zwischenergebnis .................................. bb) Vermittelnde Lehren und ihre methodische Einordnung ....... 3. Ergebnis ................................................

2 NeU..

322 322 322 324 324 325 325 326 326 326 327 330 330

332 333 334 335 335 336 337 337 338 338 341 341 342 342 344 344 345 347

Inhaltsverzeichnis

XVIII

B.

Analyse und Kritik der verschiedenen Vennögenstheorien

I.

Der "juristische" Vennögensbegriff .............................. 348 1. Aussagen und ihre Ableitungen für Vennögens "-objekte" "-subjekte" und "-zuordnung" ................................. a) Die "Vennögenszuordnung" als Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Das "subjektive Recht" als "Vennögensobjekt" ................ aa) Die Ausgrenzung "immaterieller" Rechte. . . . . . . . . . . . . . . . . .. bb) Kritik ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. ce) Zwischenergebnis .................................... c) Aussagen zum "Vennögenssubjekt" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. d) Zusammenfassung der Aussagen zu "Subjekt" - "Objekt" - "Zuordnung" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Überprüfung der theoretischen Schlüssigkeit des Gesamtkonzepts ..... a) Stimmigkeit aus der Perspektive des Objekts. . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Stimmigkeit aus der Perspektive des Subjekts ................. 3. Ergebnis ................................................

11.

347

348 348 349 350 350 352 352 353 354 354 355 358

Der "wirtschaftliche" Vennögensbegriff ........................... 359 1. Aussagen und ihre Ableitungen für Vennögens "-objekte" -

"-subjekte" und "-zuordnung" ................................. a) "Wirtschaftliche Güter" als "Vennögensobjekte" ............... aa) "Wirtschaft" als Eingrenzungskriterium .................... bb) Zwischenergebnis .................................... b) Aussagen zur "Vennögenszuordnung" ....................... aa) Ausschluß der Rechtsordnung als Zuordnungsmaßstab ........ bb) Die "faktische" Zuordnung .:........................... cc) Entscheidungskriterien bei Kollision von Macht und Recht ..... dd) Aussagen zur Zuordnung .............................. c) Aussagen zum "Vennögenssubjekt" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. d) Zusammenfassung der Aussagen zu "Objekt" - "Subjekt" und "Zuordnung" ...................................... 2. Überprüfung der theoretischen Schlüssigkeit des Gesamtkonzepts ..... a) Stimmigkeit aus der Perspektive des "Objekts" ................ aa) Zur Definition der "Zuordnung" .......... . . . . . . . . . . . . . .. bb) Zur Definitionslogik ....................... . . . . . . . . . .. b) Notwendigkeit einer Konkretisierung der "Objekte" als "wirtschaftliche" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. aa) Abgrenzung von "Subjekt" und (wirtschaftlicher) Außenwelt .... bb) "Recht" als Selektionssystem ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. cc) "Wirtschaft" als Selektionssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. (1) Der extrem "wirtschaftliche" Standpunkt aus systemtheoretischer Sicht ............................ (2) Ableitbare Kriterien für "Vennögen" . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. dd) Zwischenergebnis .................................... c) Konkretisierung der vennögenstauglichen Positionen nach dem Kriterium der "Tauschbarkeit" ............................ aal Menschen als "Tauschobjekte" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. bb) Rechte als Tauschobjekte .............................. cc) Zwischenergebnis ....................................

359 360 361 362 363 363 363 364 366 367 368 368 368 369 372 372 372 374 376 377 380 382 382 383 384 385

Inhaltsverzeichnis d)

Möglichkeiten einer Korrektur des wirtschaftlichen Ansatzes . . . . .. aa) "Juristische" Korrekturen .............................. bb) Antinomie von "Wirtschaft" und "Recht" . . . . . . . . . . . . . . . . . .. cc) "Recht" und "Wirtschaft" als integrierte Teilgebiete der Gesellschaft ..................................... dd) Konsequenzen für "wirtschaftliche" Definitionsansätze . . . . . . . .. e) Ergebnis der Kritik der Aussagen der wirtschaftlichen Vermögenstheorie zu den "Objekten" ....................... f) Stimmigkeit aus der Perspektive des "Subjekts" . . . . . . . . . . . . . . .. aa) Juristische Personen des öffentlichen Rechts als Subjekte eines wirtschaftlichen Vermögens ........................ (1) Die Einwände von Tiedemann, Volk und Amelung ......... (2) Die Zweckbezogenheit staatlicher Vermögensdisposition .. . .. (3) Bewertungsfragen als Gegenstand der Diskussion .......... (4) Zwischenergebnis .................................. bb) Zuordnung von wirtschaftlich verstandenem Vermögen zu juristischen Personen des Privatrechts. . . . . . . . . . . . . . . . . .. (1) Konsequenzen der unklaren Zuordnungskriterien der "reinen" wirtschaftlichen Vermögenstheorie . . . . . . . . . . .. (2) Die "Rechtssubjektivität" als notwendige Eigenschaft des "Vermögenssubjekts" ................................. (3) Die Sperrwirkung der Rechtssubjektivität im Verhältnis zu den Teilhabern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Ergebnis der Diskussion der wirtschaftlichen Vermögenstheorie . . . . . .. 1lI.

XIX

385 385 386 386 388 388 390 390 390 393 394 396 396 396 398 400 401

Kombinationstheorien ........................................ 402 1. Die sogenannten "juristisch-ökonomischen Vermittlungslehren ........ a) Der "juristisch-ökonomische" Ansatz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. aa) Darstellung der Aussagen ............. . . . . . . . . . . . . . . . .. bb) Kritik ........................................... b) Der "ökonomisch-j uristische" Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. aa) Aussagen und ihre Ableitungen für Vermögens "-objekte", -"subjekte" und ihre "Zuordnung" ........................ (1) Vermögenstaugliche Objekte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. (2) Zur "Zuordnung" von Vermögen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. (3) Zum "Subjekt" von Vermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. bb) Überprüfung der Schlüssigkeit des theoretischen Gesamtkonzepts ..................................... (1) Zur Definitionslogik ................................ (2) Zwischenergebnis .................................. 2. Der sogenannte "dynamische Vermögensbegriff" . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Aussagen über Vermögens- "objekt", -"subjekt" und "-zuordnung" .. b) Kritik............................................... c) Ergebnis............ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Der "personale Vermögensbegriff" .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Aussagen und ihre Ableitungen zu Vermögens "-objekt", "-subjekt" und "-zuordnung" .............................. aa) Das "Subjekt" als Ansatz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. bb) Aussagen zum "Objekt" ................................ cc) Aussagen zur "Zuordnung" ............................. (1) "Faktische Herrschaftsmacht" .........................

402 402 403 404 405 405 405 406 410 411 411 413 413 413 414 417 417 418 418 418 419 419

xx

Inhaltsverzeichnis (2) Rechtliche Komponenten ............................ (3) Subjektive Komponenten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Überprüfung der theoretischen Schlüssigkeit des Gesamtkonzepts .. aa) Zur Objektsdefinition ................................. bb) Zur Zuordnung ...................................... cc) Zur Stimmigkeit aus der Perspektive des Subjekts. . . . . . . . . . .. c) Ergebnis... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4. Der "funktionale Vermögensbegriff" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Differenzen zur personalen Vermögenslehre . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Erkenntnisziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Ergebnis................................... . . . . . . . . ..

419 420 421 421 421 422 423 423 424 425 426

IV.

Zusammenfassung der Analyse der Vermögenstheorien und Ergebnisse. .. 426

C.

Konsequenzen für den weiteren Untersuchungsgang . . . . . . . . . . . . . . . . .. 428

Teil 4 Eigene Lösung zur Trias "Objekt. Zuordnung. Subjekt" von Vermögen 429 1. Kapitel Konkretisierung der Vermögensobjekte

430

A.

Konkretisierungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 430

1.

System theoretische Aussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 430

ll.

Handlungstheoretische Ansätze ................................. 431 1. Die Begriffe "wirtschaftliches Handeln" und ·Wirtschaftsordnung" ..... 2. Die Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Tauschgeschäfte = Rechtsgeschäfte ............................ a) Die Grenzen des Art. 1, 2 Abs. 1 GG als Institutionen der konkreten Wirtschaftsordnung ............................ b) Die Grenzen des § 138 BGB als Handlungsorientierung für wirtschaftliches Handeln .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4. "Konkret"· wirtschaftliche Definition der Vermögensobjekte (Ergebnis) ...............................................

431 433 435 436 436 437

8.

Die Vermögensobjekte im einzelnen ............................. 437

1.

Materielle Güter ............................................ 438

ll.

Personenbezogene Güter ("Dienstleistungen") ...................... 438 1. Eigenschaften oder Fähigkeiten eines Menschen als "Gegenstand" von Rechtsgeschäften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 438 2. Arbeitskraft .............................................. 439 3. Wissen, "Know-how" ....................................... 441

IH.

Rechte als "Güter" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 442

Inhaltsverzeichnis IV.

Zusammenfassung

2. Kapitel Vennögenszuordnung zu natürlichen Personen

XXI

444 445

A.

Der Mensch als gesichertes Bezugssubjekt ................. . . . . . . .. 445

B.

Zuordnung als Bedingung des wirtschaftlichen Verteilungsprozesses . . . . .. 446

C.

Konkretisierung der Definition ................................. 448

I.

Die Qualität der "faktischen" Verbindung zwischen Vermögensobjekt und Person ........................................... 448 1. Die "Verkehrsanschauung" als Maßstab ......................... 2. "Herrschaftsmacht" als materielles Kriterium ..................... a) Macht in wirtschaftlichen Zusammenhängen .................. b) "Schutz der Dispositionsfreiheit" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Erstes Teilergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

11.

449 449 450 450 452

Die Qualität der "rechtlichen" Verbindung zwischen Objekt und Person . .. 453 1. Rechtlicher Schutz individueller Dispositionsmacht . . . . . . . . . . . . . . . .. 453 2. Die Grenze der "Rechte anderer", Art. 2 Abs. 1 GG ............... 454 3. Zweites Teilergebnis ....................................... 456

111.

D.

Präzisierung nach dem Postulat eindeutiger und widerspruchsfreier Zuordnung ................................................ 456 1. Neuralgische Fallkonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Das Problem defekter Autonomie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Das Problem der "Arbeitsteilung" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Hierarchisierung der Dispositionsbefugnis ....................... a) Zieldefinitionsmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Zwecksetzungsbefugnis.................................. c) Zwischenergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Modifizierung für unmündige Personen ......................... a) Gesetzliche Zwecksetzung an Stelle von Zwecksetzungsbefugnis ... b) Zwischenergebnis......................................

457 457 457 458 458 459 459 459 460 461

Ergebnis für die Definition der "Zuordnung"

461

3. Kapitel "Vennögensinteressen" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 462 A.

Zur Notwendigkeit einer Differenzierung zwischen den Begriffen "Vermögen" und "Vermögensinteressen" .......................... 462

B.

Darstellung und Kritik des Meinungsbildes in Rechtsprechung und Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 463

I.

Gleichsetzung von Vermögen und Vermögensinteressen . . . . . . . . . . . . . .. 463

Inhaltsverzeichnis

XXII

11.

"Vermögensinteressen" als Ergänzung zum Vermögensbegriff . . . . . . . . . .. 464 1. Einbeziehung formal tätereigenen Vermögens in den Kreis der Angriffsobjekte ........................................ 464 2. Die Einbeziehung künftigen Vermögens in den Kreis der Angriffsobjekte ........................................ 465

111.

Die "Subjektivität" der Vermögensinteressen ....................... 466

C.

Wortlautinterpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 467

I.

"Interesse"

467

11.

"Vermögensinteresse" - Arbeitsdefinition .......................... 468

D.

Systematische Interpretation ................................... 468

I.

Das Interesse "an" Vermögen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 468 1. "Interesse" im Verhältnis zur "Zwecksetzungsbefugnis" .............. 468 2. "Interesse" und "Ausübung" der Dispositionsbefugnis ........... . . .. 469 3. "Interesse" als "Zwecksetzung" ................................ 470

11.

Das Interesse "auf" Vermögen(serwerb) ........................... 470

E.

Definition

4. Kapitel Vermögenssubjekte

A. I.

11.

471 472

Abstrakte Merkmale ......................................... 472 Ausschluß der "Rechtsfähigkeit" als Unterscheidungskriterium

472

Ableitungen für die Vermögensfähigkeit aus den bisher gewonnenen Ergebnissen .................................... .. 474 1. Insbesondere die Handlungsfähigkeit ........................... a) Externe Handlungsfähigkeit .............................. b) Interne Handlungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Definierter Zweck ......................................... 3. Haftungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4. Individualisierbarkeit .......................................

475 476 476 476 477 478

111.

Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 479

B.

Die Vermögensfähigkeit von Personenvereinigungen ................. 479

I.

Das Konzept von John als Systematisierungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 480

Inhaltsverzeichnis 11.

Analyse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 483 1. Strukturelle Gleichartigkeit der Handlungsorganisation aller

Formen von Personenvereinigungen ................... . . . . . . . .. 2. Materielle Gleichartigkeit der Identitätsausstattung ................ 3. Differenzierung nach dem Kriterium des eigenen Haftungsverbandes ... a) Juristische Personen .................................... b) Personenhandelsgesellschaften ............................ c) Gesellschaften bürgerlichen Rechts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. d) Personengruppen - "soziale Einheiten" ...................... 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 5. Insbesondere Differenzierung nach der Zuweisung der Zwecksetzungsbefugnis ..................................... a) Terminologisches...................................... b) Zwecksetzungsbefugnis bei Personengesellschaften ............. c) Zwecksetzungsbefugnis bei juristischen Personen .............. IlI.

XXIII

483

484

485 485 486 487 487 488 488 489 490 491

Ergebnis und Überprüfung der Stimmigkeit des Konzepts ............. 492 1. Überprüfung auf Eindeutigkeit der Zuordnungsergebnisse ........... a) Zuordnung von Gesellschaftsvermögen und Gesellschaftsanteilen bei der GbR ................................... b) Zuordnung von Gesellschaftsvermögen und Gesellschaftsanteil bei der GmbH ................................... c) Abgrenzung von Gesellschaftervermögen und Gläubigerrechten ... d) Zusammenfassende Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Zur Terminologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

493 493 494 494 495 496

Zusammenfassung der Ergebnisse des 4. Teils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 499 Teil 5 Täterkreis und Tatbandlungen ................. 500 1. Kapitel Die Pflicht, Vennögensinteressen zu betreuen

502

A.

Vermögensinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 502

B.

"zu betreuen hat" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 502

I.

Definition des "Betreuens" in Rechtsprechung und Literatur ........... 502

11.

Betreuung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 503

111.

Pflicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 504

1. Der Blankettcharakter des Relativsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 505 2. Verweisung auf die (übrigen) täterschaftsbegründenden Normen ...... 505 a)

b)

Die Befugnisgrundlagen der Mißbrauchsalternativen als pflichtbegründende Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 505 Die pflichtbegründenden Normen der Treubruchsalternativen . . . .. 507

Inhaltsverzeichnis

XXIV

aa) Die Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen . . . . . . . . . . .. 507 bb) Gesetz, behördlicher Auftrag, Rechtsgeschäft ............... 508 cc) Insbesondere das "Treueverhältnis' . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 509 IV.

Konsequenzen für die Interpretation des Relativsatzes

510

2. Kapitel Mißbrauchsvarianten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 512 A.

Verfügungs- oder Verpflichtungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 512

I.

Die Außenmacht ............................................ 513

11.

1. Gegenstand der "Befugnis· . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) "Verfügen", "Verpflichten" ........................... . ... b) "fremdes" Vermögen .................................... 2. Grundlagen der Befugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

513 513 513 515

Inhalt des Begriffs "befugt"

516

III.

Zusammenfassung ........................................... 519

8.

Tathandlung - "Mißbrauchen" .................................. 520

I.

Rechtsgeschäftlich wirksames Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 520

11.

Die Pflichtwidrigkeit des HandeIns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 520 1. Zweckwidrige Verfügungen .................................. 520 2. Verfügungen unter Verstoß gegen nachrangige Festlegungen des Vermögensinhabers ..................................... 521

III.

Das "Einverständnis" des Vermögensinhabers

3. Kapitel Treubruchsvarianten

523 524

A.

Pflicht, Gegenstand, Grundlagen ................................ 524

8.

Außenmacht oder "Dispositionsmacht" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 524

I.

Unvollständigkeit des Tatbestandes .............................. 526 1. Zur Unmöglichkeit einer Schadensverursachung durch "Pflichtverletzung" ......................................... 526 2. Interpretation der "pflicht"-begründenden Beziehung als machtbegründende Beziehung ................................ 528 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 528

11.

"Vermögensverfügung" als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal ........ 529

III.

Schluß von der "Verfügung" auf "Verfügungsmacht" . . . . . . . . . . . . . . . . .. 530

Inhaltsverzeichnis

xxv

IV.

Die Tathandlung als Sitz des Problems ........................... 530

C.

Definition der Tathandlung .................................... 531

I.

Konkretisierungsansätze in Rechtsprechung und Literatur ............. 532

H.

§ 266 StGB als Fremdschädigungsdelikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 533

1. Negative Eingrenzung der Tathandlung: Tatbestandslosigkeit der Selbstschädigung des Opfers .............................. 533 2. Negative Eingrenzung der Tathandlung: Tatbestandslosigkeit der Verfügung über tätereigenes Vermögen ...................... 534 3. Verbleibender Raum für mögliche Tathandlungen ................. 535 III.

Tathandlung = Geschäftsbesorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 536

IV.

"Pflichtverletzende" Geschäftsbesorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 537

D.

Konsequenzen für die Treubruchsuntreue ......................... 537

I.

Terminologisches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 537

H.

Differenzen zur herkömmlichen Auslegung der Treubruchsvarianten ..... 539

E.

Ergebnis für die Treubruchsvarianten ............................ 540

Zusammenfassung der Ergebnisse des

s. Teils

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 541

6. Teil Konsequenzen und Ergebnisse ftir Untreue zum Nachteil von Gesellschafteli44 1. Kapitel Organuntreue

545

A.

Typ "Gesellschafter-" oder "Mitgliederversammlung" ................. 546

I.

Personengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 546

11.

Juristische Personen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Satzungswidrige Beschlüsse .................................. 2. Verletzung von "Bestandsinteressen" ........................... 3. Verletzung von "Gläubigerinteressen" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4. Ergebnis ................................................

546 547 547 548 549

B.

Typ "Geschäftsführer" ........................................ 550

I.

Personengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 550

H.

Juristische Personen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 550 1. Vorstand einer Aktiengesellschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 551

Inhaltsverzeichnis

XXVI

2. Geschäftsführer einer GmbH ...................... . . . . . . . . . .. 553 C.

Typ "Aufsichtsrat" ........................................... 554

I.

Die Übetwachungstätigkeit als Geschäftsbesorgung .................. 554

11.

Geschäfte mit der Gesellschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 555

III.

Insider- und sonstige Eigengeschäfte ............................. 556

D.

"Faktische" Organe .......................................... 557

I.

"Faktische" Organe als Problem der gesellschaftsrechtlichen Tatbestände und der Konkursdelikte ............................ . . . . . . . . . .. 557

11.

Die Pflicht "faktischer" Geschäftsführer, fremde Vermögensinteressen zu betreuen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 558 1. "Treueverhältnis" als Grundlage der Pflicht ...................... a) Die Regeln der GoA als pflichtbegründende Normen ........... b) § 242 BGB als pflichtbegründende Norm .................... 2. Ergebnis ................................................

558 560 560 562

2. Kapitel Kaufmännische RisikogeschäRe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 563 A.

Begriff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 563

B.

Historische Ursachen des Problems

564

I.

Der Nachteilsbegriff als Ursache ................................ 564

11.

Historische Lösungsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 565 1. Die Nachteilszufügungsabsicht als Lösung ....................... 565 2. Die kaufmännischen Sorgfaltspflichten als Lösungsansatz . . . . . . . . . . .. 566

C.

Aktueller Diskussionsstand .................................... 567

D.

Eigene Lösung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 569

I.

"Vermögensinteressen" als Tatbestandsgrenze ...................... 569

11.

Fehlen ausdrücklicher Vorgaben ................................ 569 1. Gesetzliche Vorgaben für autonomiegestörte Vermögensinhaber ...... 570 2. Konkludente Entscheidungen des Vermögensinhabers .............. 570

III.

Speziell die Eingehung von Risiken für Gesellschaften ................ 571

IV.

Speziell die "Sorgfalt eines gewissenhaften Kaufmannes" .............. 572

Inhaltsverzeichnis

v.

Speziell "Pflichtwidrigkeit" und "Vennögensgefährdung"

XXVlI

573

Ergebnisse der Arbeit ................................................ 577 Literaturveneichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 581 Stichwortzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 611 Anhang - Gesetzessammlung ........................................... 615

Abkürzungsverzeichnis ADHGB

AlIgemeines Deutsches Handeslgesetzbuch vom 19.5. 1871

a. F.

alte Fassung

AFG

Arbeitsförderungsgesetz

AG

Aktiengesellschaft

AG

Amtsgericht

AktG

Aktiengesetz

ALR

Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten

Anh.

Anhang

Anl.

Anlage

Anm.

Anmerkung

Arch. f. deutsches Handelsr.

Archiv für deutsches Handelsrecht (ab Band 30 Archiv des allgemeinen deutschen HandeIsund Wechselrechts)

AT

Allgemeiner Teil

Aufl.

Auflage

BAG

Bundesarbeitsgericht

BausparkG

Gesetz über die Beaufsichtigung der privaten Versicherungsuntemehmungen und Bausparkassen vom 6. 6. 1931

BayObLGSt

Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Strafsachen. Neue Folge.

Abkürzungsverzeichnis

BayVBI.

Bayerische Verwaltungsblätter

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGBI.I

Bundesgesetzblatt

BGH

Bundesgerichtshof

BGHSt

Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen (Amtliche Sammlung)

BGHZ

Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen (Amtliche Sammlung)

BiRiLiG

Bilanzrichtliniengesetz

BörsG

Börsengesetz

BR

Bundesrat

BT

Besonderer Teil

BT-Drucks.

Bundestagsdrucksache

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (Amtliche Sammlung)

DepotG

Gesetz über die Verwahrung und Anschaffung von Wertpapieren (Depotgesetz)

DIr

Deutscher Juristentag

DJZ

Deutsche Juristenzeitung

DRZ

Deutsche Rechts-Zeitschrift

DVBI.

Deutsches Verwaltungsblatt

ebd.

ebendort

e. G.

eingetragene Genossenschaft

e. V.

eingetragener Verein

Fn.

Fußnote

XXIX

xxx

Abkünungsveneichnis

GA

Goltdammers Archiv für Strafrecht

GbR

Gesellschaft bürgerlichen Rechts

GenG

Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften (Genossenschaftsgesetz)

GewerbeunfallversG

Gewerbeunfallversicherungsgesetz vom 30. 6.

1900

GG

Grundgesetz

GmbH

Gesellschaft mit beschränkter Haftung

GmbHG

Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung

GmbH-Rdsch

GmbH-Rundschau

GoA

Geschäftsführung ohne Auftrag

GONW

Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen

GS

Der Gerichtssaal

HGB

Handelsgesetzbuch

HilfskassenG

Gesetz über die eingeschriebenen Hülfskassen vom 7. 4. 1876

HRR

Höchstrichterliche Rechtsprechung, bis 1927: Die Rechtsprechung, Beilage zur Zeitschrift Juristische Rundschau

HypbankG

Hypothekenbankgesetz

InvalidenversG

Invalidenversicherungsgesetz vom 13. 7. 1899

InvaliditätsversG

Gesetz betreffend die Invaliditäts- und Altersversorgung vom 22. 6. 1889

JA

Juristische Arbeitsblätter

JMBlNw

Justizministerialblatt NOrdrhein-Westfalen

JR

Juristische Rundschau

Abkünungsveneichnis

XXXI

Jura

Juristische Ausbildung

JuS

Juristische Schulung

JW

Juristische Wochenschrift

JZ

Juristenzeitung

Kap.

Kapitel

KG

Kammergericht

KG

Kommanditgesellschaft

KGaA

Kommanditgesellschaft auf Aktien

KgIObTrib

Königlich-preußisches Obertribunal

KO

Konkursordnung

KrankenversG

Gesetz betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter vom 15. 6. 1883

KTS

Konurs-, Treuhand- und Schiedsgerichtswesen

land- und forstwirtsch. UnfallversG

Gesetz betreffend die Unfall- und Krankenversicherung der in land- und forstwirtschaftlichen Betrieben beschäftigten Personen vom 5. 5. 1886

LG

Landgericht

LitVen

Literaturveneichnis

LK

Leipziger Kommentar (s. LitVen)

LM

Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, herausgegeben von Lindenmaier und Möhring

LZ

Leipziger Zeitschrift

Mal. BGB

Materialien zum BGB (siehe LitVen "Mugdan")

MDR

Monatsschrift für Deutsches Recht

MSchrKrim

Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform

XXXII

Abkünungsveneichnis

NBBGBI.

Bundesgesetzblatt Norddeutscher Bund

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NStZ

Neue Zeitschrift für Strafrecht

ObLG

(Baerisches) Oberstes Landesgericht

oHG

offene Handeslgesellschaft

OLG

Oberlandesgericht

OLGSt

Entscheidungen der Oberlandesgerichte zum Straf- und Strafverfahrensrecht

Ordo

Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft

OWiG

Gesetz über Ordnungswidrigkeiten

Prot.

Protokolle über die Sitzungen des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform

Rdnr.

Randnummer

Recht

Das Recht. Rundschau für den deutschen Juristenstand

RegE

Regierungsentwurf

RentenbankVO

Verordnung über die Errichtung der Deutschen Rentenbank vom 15. 10. 1923

RG

Reichsgericht

RGBI.I

Reichsgesetzblatt

RG-Rspr.

Rechtsprechung des Deutschen Reichsgerichts

RGSt

Entscheidungen des Deutschen Reichsgerichts in Strafsachen

RKnappschG

Reichsknappschaftsgesetz vom 23. 6. 1923

RT-Drucks.

Reichtstagsdrucksache

RVO

Reichsversicherungsordnung

Abkürzungsverzeichnis

XXXIII

SchiffsbankG

Gesetz über Schiffspfandbriefbanken vom 14. 8. 1933

SeeunfallversG

Gesetz betreffend die Unfallversicherung der Seeleute und anderer bei der Seeschiffahrt betheiligter Personen vom 13. 7. 1887

SK

Systematischer Kommentar (siehe LitVerz)

Sp.

Spalte

Steno Ber.

Stenografische Berichte

StGB

Strafgesetzbuch

StPO

Strafprozeßordnung

StrVert

Strafverteidiger

UnfallversG

Unfallversicherungsgesetz

Urt.

Urteil

VAG

Gesetz betreffend die Beaufsichtigung der privaten Versicherungsunternehmungen vom 12.5. 1901

Verh. d. RT

Verhandlungen des Reichstages

VersR

Versicherungsrecht. Juristische Rundschau für die Individualversicherung

vgl.

vergleiche

1. WiKG

1. Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität vom 29. 7. 1976

2. WiKG

2. Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschafts-

wistra

Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer und Strafrecht

ZGR

Zeitschrift für Untemehmens- und Gesellschaftsrecht

3 Nelle.

kriminalität vom ...

XXXIV

Abkürzungsverzeichnis

ZHR

Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht

ZIP

Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

ZRP

Zeitschrift für Rechtspolitik

ZStW

Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft

Einleitung I. Umriß des Themas Der Gesetzgeber hat die nebenstrafrechtlichen Spezial tatbestände zur Bekämpfung der Untreue im Bereich des Handels- und Gesellschaftsrechts, des Banken- und Börsenrechts sowie des Versicherungsrechts inzwischen fast vollständig aufgehoben, nicht jedoch das Phänomen beseitigen können, für das Tiedemann den Begriff der "gesellschaftsrechtlichen Untreue" geprägt hat. I In seinem deskriptiven Gehalt steht dieser Begriff für alle Fallgestaltungen, deren verbindendes Element in einer Schädigung von Gesellschaften, gleich welcher Rechtsform, durch ungetreues oder "untreueähnliches" 2 Verhalten von "Insidern" liegt, als kurz: für "Untreue zum Nachteil von Gesellschaften". Die Untersuchung widmet sich diesem Sachthema, das durch einen bestimmten Typ von möglichen Opfern einer Untreue gekennzeichnet wird. Dieser op[erorientierte Themenzuschnitt bedarf deshalb besonderer Rechtfertigung, weil das Strafrecht seine Legitimation aus der Aufgabe herleitet, Rechtsgüter zu schützen. 3 Es ist also der Nachweis zu erbringen, daß die Differenzierung zwischen dem natürlichen Rechtssubjekt "Mensch" als Vermögensinhaber und "Gesellschaften" als Träger von Vermögen für das Verständnis des § 266 StGB als eines Vennögensdelikts eine sinnvolle Unterscheidung ist. Ferner ist zu begründen, worin die grnndsätzliche Bedeutung einer Untersuchung besteht, die sich thematisch auf nur ein Delikt aus der Gruppe der Vermögensdelikte - die Untreue - beschränkt und darüber hinaus nur einen

I

1iedemann, Festschrift für Würtenberger, S. 252.

2

1iedemann, Festschrift für Würtenberger, S. 250.

3 Baumann, Lehrbuch, S. 9 ff; Heimann-Trosien, LK, Ein!. Rdnr.45 ff; Jescheck, AT, S. 5 ff; Maurach/ Zipf, AT/I, S. 251 ff; Rudolphi, SK, Vor § 1 Rdnr. 2 m. w. N.; Schönke/SchröderlLenckner, Vor § 13 Rdnr. 9 f; Wessels, AT, S. 2.

2

Einleitung

Teil seines tatsächlichen Anwendungsbereichs - "zum Nachteil von Gesellschaften" - fokussiert. 11. Zur Opferorientierung der Untersuchung 1. Kriminologische Begründung

Kriminologisch gehören die Fälle der Untreue zum Nachteil von Gesellschaften zur Kategorie der Wirtschaftskriminalität. Ihre Bekämpfung gehört seit vielen Jahren zu den vorrangigen Zielen der strafrechtlichen Reformgesetzgebung. Ihre empirische Bestandsaufnahme sowie die Erforschung ihrer Ursachen stehen im Zentrum kriminologischen Interesses. Das Wirtschaftsstrafrecht hat sich schwerpunktmäßig mit der "Unternehmenskriminalität" 4 bzw. der "Verbandskriminalität" S beschäftigt. Unter diesem Etikett wird kriminologisch das "abweichende Verhalten im Dienste eines Unternehmens", 6 und strafrechtlich die Summe der Straftaten zusammengefaßt, die aus einem am Wirtschaftsverkehr teilnehmenden Unternehmen begangen werden. Die Teilnahme von Organisationen im weitesten Sinne am Rechts- und Wirtschaftsverkehr hat die Strafrechtswissenschaft also bisher primär unter dem Aspekt der täterschaftlichen Haftung des einzelnen für "Verbandsdelikte" interessiert. Das besondere strafrechtliche Interesse an dieser Kategorie von Wirtschaftskriminalität ist insofern berechtigt, als das Schuldstrafrecht nur die individuelle natürliche Einzelpersönlichkeit, den Menschen, als Normadressaten eines Strafgesetzes kennt und das Leitbild eines die Tatbestandshandlung (selbst) ausführenden Täters sich mit einer Wirtschaftswirklichkeit reibt, in der nur noch auf Konsumentenseite im Regelfall Einzelpersonen, im übrigen aber fast ausschließlich organisierte Rechtspersonen "handeln". Die Problematik hat jedoch eine spiegelbildliche Entsprechung auf der Opferseite. In gleichem Maße, wie Organisationen den "Herd" wirtschaftskrimineller Verhaltensweisen bilden, bzw. sich die Täter der Organisationsformen juristischer Personen zur Begehung von Straftaten bedienen, sind Organisationen - Gesellschaften im weitesten Sinne - auch Angriffsobjekte

4

Schünemann, Unternehmenskriminalität, S. 4 ff.

S Vgl. etwa Busch, Strafrechtliche Verantwortlichkeit der Verbände; Schmin, Strafrechtliche Maßnahmen gegen Verbände, S. 133 ff; vgl. auch den Begriff der "Körperschaftskriminalität" (corporate criminal behavior) bei Sutherland, S.257 ff. 6

Schünemann, Tagungsberichte, Bd. XIV, Anl. 3, S. 8.

Einleitung

3

kriminellen Verhaltens geworden. Sie werden zu Opfern auch von Delikten, deren Unrecht sich aus einem Verstoß gegen Strafnormen herleitet, die dem Schutz von Individualrechtsgütem dienen. Dies läßt sich durch statistische Aussagen der empirisch-kriminologischen Forschung belegen. Seit 1977 werden in der bundesweiten Erfassung von Wirtschaftsstraftaten im Max-Planck-Institut für Ausländisches und Internationales Strafrecht auch Informationen zu Art und Struktur der Geschädigten erhoben. Die Delikte werden aufgeschlüsselt in Straftaten gegen "Kollektivopfer" (Staat, soziale Einrichtungen, sonstige wie z. B. Körperschaften, u. ä.), und "Individualopfer"; letztere sind unterteilt in "Arbeitgeber", "fremdes Unternehmen" und "Einzelperson". 7 Liebl faßt die Ergebnisse in der Weise zusammen, daß ein Drittel aller Nennungen auf den Staat, 10 % auf "soziale Einrichtungen (vor allem Versicherungsträger) und ein Viertel der Nennungen auf fremde Unternehmen entfallen. 8 Detailliertere Angaben, inbesondere in der Verknüpfung mit der Art des Deliktes, fmden sich - allerdings beschränkt auf d'ls Jahr 1974 - bei Berckhauer. Danach waren Geschädigte eines Betruges zu 50 % Individualopfer, zu 27,8 % Kollektivopfer und zu 22,2 % Unternehmen. Von den Opfern einer Untreue stellten die Individualopfer mit 45,7 % schon weniger als die Hälfte; 11,9 % waren "Kollektivopfer", 42,4 % Unternehmen. 9 Berücksichtigt man ferner, daß es sich bei 53,2 % aller Einzelfälle der untersuchten Wirtschaftsstraftaten um Betrug (17,6 %) und Untreue (36,6 %) handelte, 10 entfällt auf diese Delikte auch der größte Anteil von Straftaten zum Nachteil von Organisationen im weitesten Sinne. Die Untreue gehört daher zu denjenigen Wirtschaftsstraftaten, die empirisch ganz überwiegend zum Nachteil von Organisationen begangen werden und daher jedenfalls faktisch auch ganz überwiegend im Interesse des Vermögensschutzes von Organisationen verfolgt werden. Es ist damit freilich nur die praktische Relevanz einer Untersuchung begründet, die sich der Frage nach dem aktuellen strafrechtlichen Regelungsbestand für denjenigen Bereich der Wirtschaftswirklichkeit zuwendet, der durch Beteiligung von Gesellschaften als Kolletivopfern bestimmt wird.

7

Liebl, Bundesweite Erfassung, S. 162 ff; Berckhauer, S. 89 f.

8

Liebl, Bundesweite Erfassung, S. 165.

9

Berckhauer, Aktenuntersuchung, S. 90, Tabelle 3.18.

10

Berckhauer, Aktenuntersuchung, S. 60.

Einleitung

4

2. Dogmatische Begründung und Ziel der Untersuchung

Die dogmatische Bedeutung einer Untersuchung der Untreue aus der Perspektive eines bestimmten Typs von Geschädigten kann nun nicht mit der "Wiederentdeckung des Opfers für die Unrechtslehre "B in jüngerer Zeit 12 begründet werden, die sich als grundsätzliche Akzentverschiebung in der strafrechtsdogmatischen Diskussion bereits Mitte der sechziger Jahre ankündigte. 13 Diese Ansätze beruhen auf der Idee, daß die Reduktion des strafbaren Geschehens auf die Pole "Täterverhalten" und "Rechtsgutsbeeinträchtigung" die dogmatische Erfassung des Opferverhaltens in nicht hinreichendem Maße zulasse. 14 Sachlich geht es dort also um die Entwicklung eines dogmatischen Konzepts, das die Fragen des Mitverschuldens, der Abgrenzung von Verantwortungsbereichen oder der Verwirkung strafrechtlichen Schutzes (vor Vermögensschädigung) einschließt. Hier geht es indessen ausschließlich um Probleme, die sich aus der Tatbestandsstruktur des § 266 StGB einerseits und den zivilrechtlich vorgeprägten Strukturen der "Opferpersönlichkeit" andererseits ergeben. § 266 StGB schützt als Vermögensdelikt "das Vermögen als Ganzes". Danach ist die Differenzierung zwischen natürlichen Personen als Geschädigten und Gesellschaften nur dann legitim, wenn § 266 StGB schon tatbestandlich ein Beziehungsgefüge voraussetzt, das dazu nötigt, die Person des Benachteiligten grundsätzlich und unter Berücksichtigungihrerindividuellen, organisatorischen Verhältnisse zu defInieren. § 266 StGB gehört zu den sogenannten echten Sonderdelikten, die sich dadurch auszeichnen, daß die im gesetzlichen Tatbestand umschriebene strafbegründende Eigenschaft des Handlungssubjekts den Täterkreis begrenzt. 15 Unbeschadet des umstrittenen Vermögensbegriffs hat sich der Gesetzgeber, läßt man zunächst die Neuerungen im Bereich der Vermögensdelikte durch das 1. und 2. WiKG außer Acht, den Inhaber des geschädigten Vermögens

B

Küper, GA 1980, S. 217 f.

12 Vgl. etwa Slratenwenh, Festschr. für Schaffstein, 1975, S. 177 ff; Gallas, Festschr. für Bockelmann, 1979, S. 175, 178; Krümpelmann, Festschr. für Bockelmann, S. 444, 447 f; Küper, GA 1980, S. 217; R. Hassemer, SChutzbedürftigkeit, 1981; Frowin, Das Mitverschulden des Opfers beim Betrug, 1984; Ellmer, Betrug und Opfermitverantwortung, 1986. 13 Krauß, ZStW 76 (1964), S. 19 ff, S. 61 ff; Krümpelmann, Die Bagatelldelikte, 1966, S. 82 ff; Lampe, Das personale Unrecht, 1967, S. 211 ff.

14

Frisch, Festschr. f. Bockelmann, S. 647, 655; Frowin, Mitverschulden, S. 4.

15

WesseIs, Strafrecht AT, 16. Aufl., S. 7, 8 m.w.N.

Einleitung

5

offenbar als individuelle Einzelpersönlichkeit vorgestellt, denn er verlangt, daß der Täter "dem, dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat", einen Nachteil zufügt. Auch die Tatbestandsvoraussetzungen im übrigen entwerfen das Bild zweier zueinander in Beziehung tretender Individuen. Insofern gehört § 266 StGB zur strafrechtsdogmatischen Kategorie der "Beziehungsdelikte". Darunter werden solche Delikte verstanden, für deren Erfolgsverursachung es einer Mitwirkung des Rechtsgutsinhabers oder einer "mit diesem in einem wie auch immer gearteten Zusammenhang stehenden Person" bedarf. 16 Bei § 266 StGB ist es allerdings nicht so sehr die Erfolgsverursachung, die der Mitwirkung des Opfers bedarf; vielmehr ist die erforderliche Beziehung der eigentlichen Tathandlung vorgelagert. Das Opfer oder für es ein Dritter (Gesetz, Behörde) muß dem Täter den Zugang zur Sphäre des Vermögens eröffnet haben, das dieser dann erst "sozusagen von innen aushöhlt". 17 Die Eigenschaft als Täter des § 266 StGB wird durch (mindestens) eine besondere Beziehung zwischen dem Täter und dem geschädigten Vennögen definiert. Diese Beziehung hat bekanntlich im Zentrum des wissenschaft-lichen und praktischen Bemühens um eine Konturierung des Untreue tatbestandes gestanden, seit es ihn gibt. Der nahezu unübersichtliche Stand der Lehrmeinungen wurzelt in dem historischen Theoriendualismus zum "Wesen der Untreue", das entweder als Vermögensschädigung durch Mißbrauch rechtlicher Vertretungsmacht (Mißbrauchstheorie) oder als vermögensschädigende Verletzung einer Pflicht zur Fürsorge für fremdes Vermögen (Treubruchstheorie) begriffen wurde und wird. Funktion dieser Theorien war und ist es in erster Linie, die Anforderungen an die Beziehung des Täters zum Vermögen, die "Tätertauglichkeit", zu definieren, deren Voraussetzungen zumindest in der Treubruchsalternative des § 266 StGB nach einhelliger Ansicht viel zu weit ge faßt sind. Da, soviel ist jedenfalls unstreitig, es nicht Sinn des § 266 StGB sein kann, das allgemeine Verbot des "neminem laede" strafrechtlich zu sanktionieren, wurde und wird die Diskussion mit dem Ziel geführt, die Vennögensbetreuungspflicht von ihren äußeren Grenzen her zu definieren, also in Abgrenzung von denjenigen Beziehungen zum Vermögen, die jedenfalls noch keine untreuerelevante Pflicht begründen können, deren Verletzung dem Täter bei Strafe verboten wäre. Gesicherte und einvernehmliche Erkenntnisse konnten auf diesem Wege bislang nicht gewonnen werden. Noch in der jüngsten Monografie zu diesem Zentralproblem der Untreue befmdet Labsch zutreffend, daß "die Argumentation ... auf der Stelle tritt". 18

16

R. Hassemer, Schutzbedürftigkeit, S. 54

17

Samson, SI(, § 263 Rdnr. 69.

18

Labseh, Untreue, S., 95.

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Einleitung

Schon aus diesem Grunde wäre der Versuch gerechtfertigt, dieses für die Untreue zentrale Problem vom entgegengesetzten Pol her anzugehen, also sich die Frage vorzulegen, worin eigentlich das Minus der Beziehung des Täter zu dem angegriffenen Vermögen besteht, gemessen an der Beziehung des Geschädigten zum Vermögen. Diese Fragestellung ist aber - und darin liegt die eigentliche Begründung - zusätzlich durch die Tatbestandsstruktur des § 266 StGB vorgegeben. Seinem Wortlaut nach muß der vom Tätervemrsachte Schaden dem Inhaber des zu betreuenden Vermögens entstanden sein. Das heißt nicht nur, daß das angegriffene Vermögen durch seine Zuordnung zu einem Inhaber definiert ist, sondern bedeutet zugleich, daß Opfer und Täter zu demselben Vermögen in unterschiedlichen Beziehungen stehen, die folglich auch gegeneinander abgrenzbar sein müssen. Diese Sicht wird versperrt, solange man sich das Opfer als ein natürliches Individuum vorstellt, dem ein bestimmtes Vermögen - eindeutig und unter Ausschluß des Täters - zugeordnet ist. Steht indessen das angegriffene Vermögen einer Personenvereinigung zu, wird es für die Anwendung des § 266 StGB unerläßlich, die Kriterien für die Zuteilung des Vermögens als Ganzem von der Teilhabe an diesem Vermögen einerseits und diese wiederum von den Befugnissen oder der Macht abzugrenzen, die dem einzelnen eingeräumt ist, mit diesem Vermögen (nur) umzugehen. Dies mag durch ein Beispiel aus dem Bereich gesellschaftsrechtlicher Untreue verdeutlicht werden. Das Gesellschaftsrecht ordnet Gesellschaften mit Rücksicht auf ihre Organisationsstruktur zwei "Archetypen des Personenverbandes" zu: [Q den Körperschaften und den Personengesellschaften. Gemessen an der Fähigkeit, Inhaber von Vermögen sein zu können, unterscheidet es zwischen "juristischen Personen" und "Gesamthandsgemeinschaften". Regelmäßig sind es die körperschaftlich verfaßten Gesellschaften, die zugleich juristische Personen sind, während es sich bei den Gesamthandsgemeinschaften regelmäßig um PersonengeseIlschaften handelt. Strafrechtlich soll diese Differenzierung nach dem derzeitigen Stand der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Fällen gesellschaftsrechtlicher Untreue die Konsequenz haben, daß nahezu identisches Verhalten geschäftsführungsberechtigter Gesellschafter in nahezu identischen Fallkonstellationen dann als Untreue zu beurteilen ist, wenn es sich bei dem Opfer um eine juristische Person handelt, jedoch nicht nach § 266 StGB

i4 Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 88 f (89); Stall, in: RG-Festgabe 11, S. 49,74; Schänfeld, ebd., S. 191,226.

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strafbar ist, wenn eine Personengesellschaft oder eine Personenhandelsgesellschaft benachteiligt wird. 20 Die sich darin andeutenden Wertungswidersprüche können nicht, jedenfalls nicht allein, auf die ungeklärte Frage nach den Anforderungen an die Vermögensbetreuungspflicht zurückgeführt und dort gelöst werden, denn die Befugnisse und Pflichten der geschäftsführenden Organe von juristischen Personen und Personengesellschaften sind in Ansehung des Gesellschaftsvermögens strukturell gleichartig und rechtfertigen die unterschiedliche Beurteilung nicht. Die Probleme wurzeln vielmehr in der allgemeinen und unaufgeklärten Frage nach den Kriterien der Vermögenszuordnung und der Zuweisung von "Vermögensinteressen ".

Um dies zu erkennen, bedarf es nur der gedanklichen Fortführung der Grundsätze der höchstrichterlichen Rechtsprechung für die neuralgischen Konstellationen der"Einmann-Gesellschaften" . Der Alleingesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH beispielsweise verfügt rechtlich über Vermögen der als Guristische ) Person verselbständigten GmbH, wirtschaftlich jedoch ausschließlich über das von ihm selbst eingebrachte Kapital, das er ohne Bindung an Verfügungs- oder Stimmrechte anderer natürlicher Personen verwenden kann. Nach dem Grundsatz der Privatautonomie kann er - allein handelnd - mit rechtlich bindender Wirkung nicht nur autonom über das Vermögen der GmbH verfügen, sondern auch die Grundlagen seiner Verfügungsbefugnisse (Satzung, Gesellschafter"beschlüsse") nach seinem Willen verändern. Er kann und darf daher jedenfalls zivi/rechtlich unbeanstandet und - in Grenzen folgenlos auch "die GmbH" benachteiligen. 21 Die strafrechtliche Rechtsprechung lastet ihm hingegen jede (treuwidrige) Benachteiligung als Untreue an. 22 Die Beurteilung seiner Beziehung zu dem Vermögen als täterschaftsbe-

20 BGH, Urt. vom 29.5. 1987, wistra 1987,334: Der Geschäftsführer (und Mitgesellschafter) einer GmbH als juristischer Person begeht eine Untreue zum Nachteil der GmbH als "eigener Rechtspersönlichkeit", wenn er im Einverständnis aller Gesellschafter verdeckte Gewinne ausschüttet. Konkret ging es u. a. darum, daß er den Bau seines Privathauses mit Zustimmung der Mitgesellschafterin aus Mitteln der GmbH finanziert hatte. - BGH Urt. v. 26. 2. 1987, wistra 1987, 218: Der geschäftsführungsberechtigte (Mit-) Gesellschafter einer oHG als Personenhandeisgesellschaft begeht keine Untreue, wenn er mit Zustimmung der übrigen Gesellschafter verdeckte Entnahmen tätigt, die er - so auch dieser Fall - zur Finanzierung seines Privathauses verwendet; er schädigt nicht fremdes, sondern eigenes Vermögen; die Schädigung des Vermögens der Mitgesellschafter ist bei deren Einverständnis nicht pflichtwidrig.

21 Dazu Reiß, wistra 1989, S. 61 ff; Ulme/', Festsehr. f. Pfeiffer, S. 853 ff; Kohlmann, Festsehr. f. Werner, S. 387 ff.. 22 Unter Berufung auf die ständige Rechtsprtchung zum aufgehobenen § 81a GmbHG grundlegend BGH Urt. vom 2. 2. 1968 - 2 StR 630/67.

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gründend hängt danach - jedenfalls für die Mißbrauchsalternative - primär davon ab, ob Tatobjekt das zivi/rechtlich für ihn fremde Vennögen der GmbH ist; nur könnte er als Täter die GmbH durch Untreue benachteiligen. Kann Vermögen im Strafrecht hingegen wirtschaftlich und deshalb - im Falle der Einmann-GmbH -demAlleingesellschafterzugeordnetwerden, wäre die Folge, daß er nicht Täter, wohl aber Opfer einer Untreue zum Nachteil "der GmbH" sein könnte. (Mindestens) für die Treubruchsalternative hängt die Beurteilung zusätzlich davon ab, ob jeweils dieselben Kriterien auch für die "Fremdheit" des wahrzunehmenden Vermögensinteresses maßgebend sein sollen, also davon, wie das Gesetz die DefInitionsmacht für die Formulierung der wahrzunehmenden Interessen mit der ''juristischen'' oder "wirtschaftlichen" Inhaberschaft des angegriffenen Vermögens verknüpft. Diese Fragen sind für die Untreue bisher weder grundlegend erörtert worden, noch hat man sich auf ein einheitliches Ergebnis verständigen können. 23 Die Diskussion ist erst in den letzten Jahren zögernd in Gang gekommen. Sie befaßt sich jedoch im wesentlichen mit praktisch relevanten Einzelfällen der Untreue zum Nachteil von Gesellschaften 24 und wurde erst unter anderem durch die zuvor beispielhaft zitierten Entscheidungen weiter belebt. 25 Inhaltlich hat sie sich der für die Untreue zentralen Frage bisher allenfalls angenähert; die Erarbeitung einer grundsätzlichen Lösung steht noch aus. Die Arbeit macht es sich zur Aufgabe, die für die Interpretation des § 266 StGB entscheidende Struktur der Beziehungen zwischen dem Opfer und seinem Vermögen, dem Opfer und dem Täter und dem Täter und dem Opfervermögen aufzuhellen, um so die ungelösten Fragen des Tatbestandes einer grundsätzlicheren Lösung näherzubringen. Der opferbezogene Titel steht also nicht für die Absicht, spezielle Probleme der Untreue zu lösen, die sich für eine besondere Gruppe möglicher Opfer stellen, sondern für die umgekehrte Perspektive: Es sollen die generellen Probleme des § 266 StGB aus dem Blickwinkel spezieller, nämlich organisierter Vermögensinhaber angegangen werden. Diese zeichnen sich durch ein gesellschaftsrechtlich geregeltes System von Beziehungen einzelner natürlicher Personen zueinander und zu dem Ge-

23

22.

Vgl. nur die Zusammenfassung des Streitstandes bei Hübner, LK, 10. Aufl., § 266 Rdnr.

24 Beginnend mit Schäfer, NJW 1983, 2850; Richter, GmbHRd 1984, S. 137 Cf; Kohlmann, Festsehr. f. Wemer (1984), S. 387 ff; Labsch, JuS 1985, S. 602 ff; Ders., wistra 1985, S. 7 ff; Ouo, JZ 1985, S. 74 ff; Winkelbauer, wistra 1986, S. 18; Lampe, GA 1987, S. 248. 25 Vonnemann, GmbHRd 1988, S. 333 ff; Ulmer, Festsehr. f. Pfeiffer (1988), S. 853 ff; Reiß, wistra 1989, S. 81 ff.

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seIlschaftsvermögen aus. Das Strafrecht trifft dort also auf bereits existente vermögensrelevante Rechtsbeziehungen. Ihre Subsumtion unter die Voraussetzungen des § 266 StGB zwingt dazu, das in § 266 StGB angelegte Beziehungsgeflecht zu analysieren und damit die perspektivische Verengung aufzugeben, die bislang die Diskussion über die täterschaftsbegründende Beziehung blokkiert hat, indem sie diese nur als bipolar (Täter/Vermögen oder Täter/Vermögensinhaber) begriffen hat. IH. Zur übergreifenden Bedeutung des Themas Das Beziehungsgefüge des § 266 StGB ist danach ausgehend von der Fragestellung aufzuschlüsseln, "wer" bei Beteiligung mehrerer an einem Vermögen (Mit-) Inhaber des Vermögens ist (die Gesellschaft, die Gruppe der Gesellschafter, alle Gesellschafter anteilig). Davon müssen sich dann diejenigen Beziehungen zu demselben Vermögen abgrenzen lassen, die sich nur noch als Befugnis zum Umgang mit fremdem Vermögen oder als Verpflichtung zur Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen darstellen. Die Ausgangsfrage wirft damit ein für alle Vermögensdelikte zentrales Problem auf, das der

Zuordnung von Vennögen.

Wie der skizzierte Fall des "ungetreuen" Alleingesellschafter-Geschäftsführeres einer GmbH exemplarisch belegt, wird ( mindestens) die Entscheidung darüber unausweichlich sein, ob Vermögen nach rechtlichen - gemeint sind außerstrafrechtlichen - Regeln zugeordnet wird oder wirtschaftlich. Genau diese Frage aber steht im Brennpunkt des theoretischen und praktischen Interesses aller Vermögensdelikte und wird dort als deliktsübergreifendes Problem des "Vennögensbegrijfs" diskutiert. Es ist daher im Rahmen der Arbeit unumgänglich, auf die dort so geführte Diskussion einzugehen, sich also auf die Diskussion der Vermögenstheorien - auch stellungnehmend - einzulassen. Auch wenn die Untersuchung insoweit unter der speziellen Perspektive der Vermögenstheorien als Theorien über die Beziehung von Inhaber und Vermögen zu führen ist, mit dem Ziel, tragfähige Aussagen zu erarbeiten, um von da aus eine gesicherte Grundlage für die Untreue zu gewinnen, sind die gewonnenen Ergebnisse für alle Vermögensdelikte relevant, wenn eine Prämisse akzeptiert wird: § 266 StGB ist in demselben Sinne "Vermögensdelikt" wie die §§ 253, 263 StGB, und der Begriff "Vermögen" ist ein in allen strafrechtlichen Bezügen gleichartiger Begriff. Die Berechtigung dieser Annahme wird im Verlaufe der Arbeit geprüft werden. Die Diskussion über einen "juristischen" oder "wirtschaftlichen" Vermögensbegriff führt nun ihrerseits in einen umfassenderen Zusammenhang. Diese bei den Vermögensbegriffe repräsentieren im Bereich der Vermögensdelikte

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die methodische Antithese "akzessorischer" Begriffsbildung im Strafrecht 26 und einer Begriffsbildung nach dem Grundsatz der "Befreiung des Strafrechts vom zivilistischen Denken". Z7 Das Thema kann daher als ein - freilich ausschnitthaftes und verkleinertes - Abbild dieses Problems gelesen werden: Es reduziert die methodische Frage auf den Gegensatz strafrechtlicher oder gesellschaftsrechtsakzessorischer Begriffsbildung und wirft sie nur am Beispiel der Untreue auf. Methodisch und begrifflich zu lösen ist sie nach dem hier gewählten Ansatz, der den Zugang zur Interpretation des § 266 StGB über die Zuordnung von Vennögen sucht, zwingend jedenfalls für den "Vermögensbegriff." Insofern versteht sich die Arbeit auch als ein bescheidener "Beitrag" zur Diskussion grundsätzlicherer Fragen der Strafrechtsdogmatik, dessen Aussage in dem Untertitel "Vermögensbegriff als Beziehungsbegriff' angedeutet ist. IV. Abgrenzungsfragen

Mit der Akzentuierung der Aufgabe, die Strukturprobleme der Untreue als Vermögensdelikt von den drei (Rechts-) Beziehungen her zu erfassen, die in § 266 StGB angelegt sind, ist die Untersuchung zugleich in mehrfacher Hinsicht eingegrenzt. 1. In strafrechtlicher Hinsicht wird sie insofern beschränkt, als einerseits nicht alle Probleme des § 266 StGB gelöst werden sollen und andererseits solche Fragen auszuklammern sind, deren Lösung in die dogmatischen Grundlagen des Allgemeinen Teils führen würde. a) Im Hinblick auf die Probleme des § 266 StGB ergeben sich folgende Einschränkungen:

- Der Ansatz geht von der - im Detail noch zu entwickelnden und zu begründenden - Annahme aus, daß die Anforderungen an die im Gesetz unbestimmt als "Mißbrauchen" (einer Befugnis) oder "Verletzen" (einer Pflicht zur Vermögensfürsorge) umschriebene Tathandlung eine Funktion der Beziehung zwischen dem Täter und dem Vermögen respektive dessen Inhaber sind. Daraus folgt, daß die spezifischen Erscheinungsformen der Tathandlung im Detail ausgeklammert werden können, wenn und weil sie

26 Dazu jüngst, bezogen auf das Spannungsfeld Gesellschaftsrecht/Strafrecht, K. Schmidt, Festschr. f. Rebmann, S. 419 ff; ebenso Bucher, Festschr. f. Schultz, S. 165 ff, insbes. S. 175 ff.

Z7 BruTlS,

Die Befreiung des Strafrechts vom zivilistischen Denken (1938).

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ihre Konturen aus der Beschreibung der Rechte und Pflichten des Täters in Bezug auf das Vermögen und im Verhältnis zum Vermögensinhaber gewinnen. Es ist, mit anderen Worten, nicht beabsichtigt, einen Katalog gesellschaftsrechtsspezifischer Verletzungshandlungen zu entwickeln. Die Arbeit wird sich in diesem Punkt darauf beschränken, die Konsequenzen aus dem generellen Lösungsansatz für nur zwei - ebenso umstrittene wie praxisrelevante - Verhaltensweisen abzuleiten: das sogenannte "kaufmännische Risikogeschäft" und die "Aushöhlung des Stammkapitals". - Das Problem des Vermögensnachteils, soweit es um Fragen des Schadensbegriffs und der Schadensberechnung geht, wird nicht thematisiert. Diese Fragen sind weder untreue- noch gesellschaftsrechtsspezifisch und können ausgeklammert werden. Auf Schadensfragen wird daher nur implizit einzugehen sein, soweit dies für die Auseinandersetzung mit den Vermögenstheorien notwendig wird. b) In den Bereich des Allgemeinen Teils werden folgende Fragen verwiesen, die zwar die Diskussion über die generelle strafrechtliche Bewältigung des Phänomens gesellschaftsrechtlicher Untreue maßgebend mitbestimmen, jedoch nicht in unmittelbarem Bezug zu § 266 StGB stehen:

- Gesellschaftsrechtsspeziftsche Besonderheiten ergeben sich - mittelbar für den Anwendungsbereich des § 266 StGB aus § 14 StGB. Danach besteht die Möglichkeit, strafbegründende "besondere persönliche Eigenschaften, Verhältnisse oder Umstände" einer "juristischen Person" (§ 14 Abs. 1 Ziff. 1 StGB) oder einer "Personenhandelsgesellschaft" (§ 14 Abs. 1 Ziff. 2 StGB) auch auf deren Vertreter anzuwenden (§ 14 Abs. 1 StGB). Es kann prinzipiell nicht von vornherein ausgeschlossen werden, daß Gesellschaften als solche auch in einer der nach § 266 StGB geforderten Beziehungen zu fremdem Vermögen oder deren Inhabern stehen können. 28 Indessen gehört es nicht zur Untersuchung des § 266 StGB, die Implikationen der "StrafausdehnungsgrÜDde" 29 einer in sich höchst umstrittenen "Tatbestandsergäozungsvorschrift" 30 (schon) bei der Auslegung seiner Voraussetzungen (mit) zu berücksichtigen. Die logische Stufung der Voraussetzungen des § 14 gibt das umgekehrte Verhältnis vor: Die "besonderen persönlichen Verhältnisse" des § 266 StGB sind von der Prämisse aus zu bestimmen, daß

28 Vgl. dazu, zugleich im Hinblick auf die Abgrenzung von Konkursdelikten und Untreue, Labseh, wistra 19&5, S. 1 ff und S. 59 ff; 1iedemann, GmbH-Strafrecht, vor § 82 Rdnr. 22; Wehleil, Abgrenzung von Bankrott und Untreue, S. 15 - 23. m. w. N.

29

Lackner, § 14 Anm. 1; Roxin, LI(, § 14 Rdnr.4.

30

SchlJnke/SchröderlLenckner, § 14 Rdnr. 1.

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"der Täter" eine einzelne natürliche Person ist. Nur für die Zulässigkeit einer Ausdehnung des Täterkreises stellt sich - als Problem des § 14 StGB die Frage, ob eine juristische Person oder Personenhandelsgesellschaft diese Merkmale erfüllt oder (überhaupt) erfüllen kann und ob (deshalb) die Überwälzung der für sie täterschaftsbegründenden Merkmale auf ihre Organe oder Vertreter möglich ist. - Ein ähnlicher, an sich selbstverständlicher Vorbehalt muß hier für den Problemkreis Täterschaft und Teilnahme ausdrücklich formuliert werden. Die Komplexität der gesellschaftsrechtlichen Organisationsformen beruht unter anderem auf dem Prinzip der Arbeitsteilung, der damit einhergehenden Abgrenzung von Verantwortungsbereichen und deren Sicherung durch wechselseitige Kontrolle. Die gesellschaftsrechtlichen Regelungen lassen überdies "mehrköpfige" Organe zu. Deren Beziehung zum Vermögen und der Gesellschaft kann (strafrechtlich) nur einheitlich definiert werden. Das kollektive Handeln der Organmitglieder ist gesellschaftsrechtlich jedoch verschieden geregelt. Die Unterschiede lassen sich schlagwort artig mit den Begriffen "Beschlußfassung", "Mehrheitsprinzip", "Gesamtvertretung", "Einzelvertretung" andeuten. Die eigentliche strafrechtliche Schwierigkeit liegt deshalb häufig bei der Parallelproblematik der (strafrechtlichen) Abgrenzung von Verantwortungs- und Zurechnungsbereichen. 31 Da sich ein Bewußtsein für diese Probleme und die darin implizierte Grundfrage der Harmonisierung strafrechtlich und gesellschaftsrechtlich disparater Regelungsmuster erst zu formen beginnt, 32 wären tiefgreifenderer Untersuchungen notwendig, als sie im Rahmen dieser Arbeit geleistet werden können. Es wäre unangemessen, dogmatische Grundsatzprobleme dieses Gewichts gleichsam en passant miterledigen zu wollen, nur weil sie im weitesten Sinne zu den Sachfragen einer Untreue in gesellschafts rechtlich geprägten Lebenszusammenhängen gehören. - Ausgeklammert werden ferner Probleme, die den § 266 StGB in Abgrenzung zu anderen Vermögensdelikten, speziell den gläubigerschützenden Tatbe-

31 Dazu grundlegend Schumann, Strafrechtliches Handlungsunrecht und das Prinzip der Selbstverantwortung der Anderen (1986). 32 Die Grundsatzdiskussion wurde erst jüngst aus Anlaß eines Beschlusses des Bayerischen Obersten Verwaltungsgerichts zur Untreue von Gemeindesratsmitgliedern durch Mitwirkung an der Abstimmung (BayVBI. 1988, S. 377 ff) eröffnet von Nettesheim, BayVBI. 1989, S. 161 ff und Weber, BayVBI. 1989, 166.

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ständen, betreffen. 33 Sie sind Konku"enzfragen und könnten als solche nur fundiert gelöst werden, wenn auch die tatbestandliehe Reichweite der möglichen Überschneidungsnormen in annähernd gleicher Intensität behandelt würde. Auch dies ist weder möglich, noch beabsichtigt.

2. Schließlich ist der Gefahr überzogener Erwartungen vorzubeugen, die durch die thematische Erfassung ganz allgemein von "Gesellschaften" als möglichen durch Untreue benachteiligten Vermögensinhabern induziert sein könnte. Da das skizzierte Ziel der Untersuchung nicht darin besteht, die für spezielle Arten von Vermögensinhabern relevanten spezifischen Einzelfragen der Untreue zu lösen, strebt die Arbeit hinsichtlich der gesellschaftsrechtlichen Komponente des Themas auch keine Vollständigkeit an. - Es erscheint weder notwendig noch zweckmäßig, alle Rechts- und Organisationsformen, in denen "Kollektivopfer" auftreten können, in ihrer individuellen Gestalt zu erfassen. Die Arbeit beschränkt sich auf die Analyse der Verhältnisse vertypter Gesellschaftsfonnen. Die Vielfältigkeit der organisations- und personenrechtlichen GestaItungsformen von Personenvereinigungen erfordert es daher, auf dem Hintergrund gesellschaftsrechtlicher Klassifizierungen eine auf die Zwecke dieser Untersuchung zugeschnittene Typologie möglicher Opfer und möglicher Täter zu entwickeln. Das Material, auf das in diesem Zusammenhang einzugehen ist, ist indessen zu umfangreich, als daß es angezeigt wäre, diese Typisierungen nur wegen der dadurch zugleich vorgenommenen Ausgrenzungen in skizzenhafter Form bereits in der Einleitung vorwegzunehmen. Deshalb und im Interesse sachlicher Kohärenz wird diese Stoffsammlung und -beschränkungjeweils in Form eines allgemeinen Teils der Darstellung und Erörterung der verschiedenen im Tatbestand des § 266 StGB vorausgesetzten Beziehungen vorangestellt. - Auf eine Ausgrenzung kann freilich bereits an dieser Stelle hingewiesen werden. Auch das öffentliche Recht kennt juristische Personen (Körperschaften, selbständige Anstalten, Stiftungen sowie Zusammenschlüsse in den Rechtsformen des Privatrechts), die sich im Bezug auf die Fähigkeit, Zurechnungssubjekte von "Vermögen" sein zu können, von denen des Privatrechts nicht unterscheiden. Wohl aber gehorchen sie, was ihre Organisationsstruktur angeht, eigenständigen Regeln. Sie in all ihren Gestaltungsformen 33 Vgl. dazu Labseh, wistra 1985, S. 1 ff und S. 59 ff; Lampe, GA 1987, S. 241 ff; Reiß, wistra 1989, S. 81 ff; 1iedemann, LK, Rdnr. 77 vor § 283; Winkelbauer, wistra 1986, S. 17 ff jew. m. w. N.; vgl. ferner die Nachweise in Fn. 28.

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in die Untersuchung einzubeziehen, hieße eine Vollständigkeit anzustreben, die nicht erreicht werden kann. Es müßte dann jeweils das Organisationsrecht des Bundes und das davon verschiedene der Länder sowie der Gemeinden einschließlich des innerhalb dieser Gebietskörperschaften wieder teils unterschiedlich geregelten Rechts der Anstalten, das Recht der Personalkörperschaften etc. mit berücksichtigt werden. Dieser Bereich würde ein eigenständiges Thema umfassen. Dennoch kann der Bereich der Untreue zum Nachteil "der öffentlichen Hand" nicht völlig ausgeklammert werden, soweit sich daraus Erkenntnisse über die grundsätzliche Haltung in Rechtsprechung und Literatur zur Beurteilungjuristischer Personen als Vermögensinhaber ergeben. Der Falltyp "öffentliche Hand" wird deshalb ohne zusätzliche Differenzierung sozusagen als "Auffangtyp" für Hintergrundmaterial mitgeführt. V. Gang der Untersuchung Der erste Teil der Arbeit dient der Sichtung und Ordnung des umfangreichen historischen Materials. Deren Notwendigkeit begründet sich nicht (nur) damit, daß die geschichtliche Entwicklung des § 266 StGB für seine Tatbestandsanalyse - "mehr als bei anderen Deliktstypen" - erforderlich ist. 34 Wie eingangs bereits angedeutet, ist Untreue zum Nachteil von Gesellschaften - und generell im Kontext gesellschaftsrechtlicher Beziehungen - Gegenstand zahlreicher und recht unterschiedlicher Regelungen des Nebenstrafrechts gewesen, die erst in den letzten zwanzig Jahren sukzessive aufgehoben wurden. Diese Normen sind auch heute noch zum einen unter dem Gesichtspunkt von Interesse, welche Lösungsmodelle in Gesetzgebung, Wissenschaft und Praxis diskutiert und erprobt wurden. Zum anderen wirken die kriminalpolitischen Zielsetzungen und die Regelungsstrukturen dieser Normen insofern in die heutige Zeit hinein, als ein Teil der zu ihnen ergangenen Judikate den Rang von Grundsatzentscheidungen für die theoretische und praktische Lösung gesellschaftsrechtlicher Untreuefälle nach § 266 StGB eingenommen hat. - Soweit Chronologie und historischer Diskussionsstand dies zulassen, wird das Material mit Blick auf die (damals) als "wesenstypisch" vorausgesetzen und beurteilten Beziehungen der Untreuetatbestände geordnet. Im zweiten Teil soll dann der aktuelle Diskussionsstand dargestellt und analysiert werden. Um die Darstellung an den untreuerelevanten und gesellschaftstypischen Beziehungen ausrichten zu können, wird in einem einleitenden

34

Maurach/Schroeder, BT/1, 6. Aufl., S. 440.

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Kapitel der eigene Standpunkt in der Beurteilung des Beziehungsgefüges unter Einsatz grammatikalischer und systematischerAuslegungshilfen entwickelt und begründet werden. Das Material wird dann zunächst nach Aussagen zur Beziehung Opfer / Vermögen und zur Beziehung Täter / Vermögen strukturiert. Dabei lassen sich erste - auch grundsätzliche - Festlegungen in der Frage der Anforderungen an die täterschaftsbegründende Beziehung nicht umgehen. Der so geordneten Materialsichtung schließt sich jeweils eine kritische Auswertung an. Dabei geht es nicht nur um die Schlüssigkeit der Begründungen und Ableitungen, auf die Rechtsprechung und Literatur ihre Standpunkte stützen, sondern auch um etwaige Friktionen von Straf- und Gesellschaftsrecht. Ziel dieser - immanenten - Kritik ist es, in einem ersten Schritt diejenigen Prämissen und Aussagen auszusondern, auf deren Diskussion in der weiteren Untersuchung verzichtet werden kann. Der dritte Teil dient der Sichtung und Diskussion der Aussagen zur Beziehungsstruktur unter dem Aspekt des § 266 StGB als eines Delikts zum Schutz des Vennögens. Da dieser Zugang zu den Problemen des § 266 StGB dem Gedanken des Rechtsgüterschutzes verhaftet ist und die teleologischen Bezüge der Interpretation dieser Norm in die Diskussion einbezieht, wird auch der dritte Teil mit einem grundsätzlichen Kapitel beginnen, das der K/änmg und Begründung des eigenen - teleologischen - Ansatzes dient. Ausgehend vom "Vermögen" als Angriffsobjekt, werden dann die in den Vermögensbegriffen enthaltenen Aussagen speziell zur Beziehung Opfer / Vennögen gesichtet und ausgewertet. Die sich anschließende Kritik richtet auch hier ihr Augenmerk auf die Schlüssigkeit der Argumentation im Kontext der Wechselbezüglichkeit gesellschafts rechtlicher Regelungen einerseits und strafrechtlicher Aussagen zu gesellschaftsrechtlich geregelten Sachverhalten andererseits. Im vierten Teil wird, als Fazit aus den Ergebnissen der historischen, grammatikalischen und teleologischen Diskussion der Beziehungsstruktur des § 266 StGB in den vorangegangenen Teilen der Untersuchung, eine eigene Lösung zur Frage der Vennögenszuordnung entwickelt. Sie orientiert sich an dem Ziel strafrechtlicher Widerspruchfreiheit insofern, als sie dieselben Kriterien für die Zuordnung von Vermögen zu einem natürlichen Individuum und Personenvereinigungen jeden Typs postuliert und resultiert ferner aus dem Bestreben, Widersprüche zum Gesellschaftsrecht auszuschließen. Auf den so gefundenen Ergebnissen basiert die Untersuchung im fünften Teil. Hier soll die Lösung in der Weise fortgeführt werden, daß die Definition der täterschaftsbegründenden Beziehung in Abgrenzung von der Beziehung entwickelt wird, die als "opferbegründend" - also als "Zuordnung von Vermögen" zu einem Vermögensinhaber - ermittelt wurde.

4 NelIe,

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Den Abschluß bildet ein sechster Teil, in dem die Konsequenzen des theoretischen Konzepts für die Interpretation der Tathandlung vorgestellt und zugleich an zwei gesellschafts- und strafrechtlich neuralgischenFallkonstellationen exemplarisch erprobt werden: dem kaufmännische Risikogeschäft und der Aushöhlung des Stammkapitals.

1. Teil

Historisches Material § 266 StGB des Strafgesetzbuches vom 15. 5. 1871 1 enthielt im Gegensatz zu seiner heutigen Fassung einen abschließenden Katalog tauglicher Untreuetäter, der eng an bÜTgerlichrechtliche Rechts- und Treueverhältnisse angelehnt war. Er lautete:

(1) Wegen Untreue werden mit Gefängnis, neben welchem auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden kann, bestraft: 1. Vormünder, Kuratoren, Güterpfleger, Sequester, Massenverwalter,

Vollstrecker letztwilliger Verfügungen und Verwalter von Stiftungen, wenn sie absichtlich zum Nachtheile der ihrer Aufsicht anvertrauten Personen oder Sachen handeln;

2. Bevollmächtigte, welche über Forderungen oder andere Vermögensstücke des Auftraggebers absichtlich zum Nachtheile desselben verfügen; 3. Feldmesser, Versteigerer, Mäkler, Güterbestätiger, Schaffner, W äger, Messer, Bracker, Schauer, Stauer und andere zur Betreibung ihres Gewerbes von der Obrigkeit verpflichtete Personen, wenn sie bei den ihnen übertragenen Geschäften absichtlich diejenigen benachtheiligen, deren Geschäfte sie besorgen. (2) Wird die Untreue begangen, um sich oder einem Anderen einen Vermögensvortheil zu verschaffen, so kann neben der Gefängnisstrafe auf Geldstrafe bis zu Eintausend Thalern erkannt werden. Das die Tätergruppe der Ziff. 1 einigende Band bestand nach damaliger Auffassung darin, daß all diesen Personen, mit Ausnahme des Vollstreckers

1

RGBI. I, S. 127 ff.

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1. Teil Historisches Material

letztwilliger Verfügungen, eine "gesetzlich begründete öffentlichrechtliche Verpflichtung zur Wahrnehmung fremder Vermögensangelegenheiten" oblag. 2 Diese Formel skizziert zugleich die Entscheidung der - ursprünglich streitigen - Frage nach dem Angriffsobjekt dieser Ziffer, die sowohl "Personen" als auch "Sachen" nannte. Diese "auffallend unklare Ausrucksweise der Vorschrift" gab Anlaß zu Zweifeln darüber, ob vom "Strafschutz ... auch die Sorge um das persönliche Wohl des Vertretenen ... umfaßt" war. 3 Man entschied sich für ausschließlichen Vermögensschutz unter anderem mit der Begründung, daß in der Gruppe 1 der Vorschrift "teils natürliche und juristische Personen" erwähnt waren, die "selbstverständlich nur als Vermögensträger" gemeint sein konnten. 4 Obwohl als Vermögensträger auch juristische Personen genannt waren (Stiftungen), war der Katalog insgesamt jedoch auf handels- und gesellschaftsrechtliche Beziehungen nicht zugeschnitten. Ebenso wenig erfaßten die Kataloge generell öffentlich-rechtliche, speziell beamtenrechtliche Treueverhältnisse. Bei der unter Ziffer 3 aufgeführten Tätergroppe handelte es sich um Personen, die zwar von den zuständigen Behörden auf die Beobachtung der bestehenden Vorschriften bei der Ausübung ihrer, besondere Fachkenntnisse erfordernden, Geschäfte "vereidigt" und "öffentlich angestellt" sein mußten, die jedoch ein freies Gewerbe (§ 36 GewO) ausübten. 5 Sie unterfielen also der Strafdrohung des § 266 StGB nur unter der (einschränkenden) Voraussetzung "obrigkeitlicher Verpflichtung". 6 Rechtswissenschaft und Praxis sahen sich deshalb schon bald mit den Problem konfrontiert, ob auch (andere) juristische Personen oder Personenvereinigungen oder öffentlichrechtliche Institutionen in ihrer Eigenschaft als Vermögensträger vor ungetreuem Verhalten ihrer "Verwalter" durch § 266 StGB geschützt waren. Diese Frage stellte sich primär als ein Problem der Enumeration tauglicher Täter in § 266 StGB dar. Konkret ging es um die Frage, ob sich generell Organe (anderer) juristischer Personen oder Amtswalter unter eine der Täterkategorien der Ziffern 1 und 3 subsumieren ließen, ob man jedenfalls auf die - hinreichend unbestimmte - Rubrik des "Bevollmächtigten" in § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB zurückgreifen konnte oder ob (auch) diese

2

EbermayerlLobelRosenberg, § 266 Anm. 7.

3

EbermayerlLobelRosenberg, § 266 Anm. 2.

4

EbermayerlLobe/Rosenberg, § 266 Anm. 2 m. w. N.

5

EbermayerlLobelRosenberg, § 266 Anm. 23.

6

EbermayerlLobelRosenberg, § 266 Anm. 23.

1. Teil Historisches Material

19

Möglichkeit verschlossen war. 7 Da überdies die Tathandlung in § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB ("Verfügen über Forderungen und Vermögensstücke") enger umschrieben war als die der Ziffern 1 und 3 ("zum Nachteil handeln", beziehungsweise gleichbedeutend "benachteiligen"), eröffnete die Gesetzeslage eine breite Palette von Auslegungsmöglichkeiten. Sie reichte von völliger Straflosigkeit ungetreuen Verhaltens von Organen zum Nachteil ihrer Organisation über die Pönalisierung nur bestimmter Verhaltensweisen bis hin zur Möglichkeit, jedes (nur irgendwie) vermögensschädigende Verhalten solcher Funktionsträger als Untreue zu erfassen. Diese Situation war Anlaß und Ursache nicht nur für forensische und wissenschaftliche Diskussionen über Struktur und Auslegung des § 266 StGB, sondern auch für eine Reihe legislatorischer Lösungsversuche, die freilich nicht den § 266 StGB unmittelbar betrafen. Vielmehr wurde die kernstrafrechtliche Untreuenorm im Laufe der Zeit von einer Vielzahl besonderer Tatbestände umrankt, die in den Handels- und Gesellschaftsgesetzen sowie in besonderen Wirtschaftsverwaltungsgesetzen angesiedelt wurden. Diese speziellen Untreuetatbestände oder untreueähnlichen Strafvorschriften wurden überdies je für sich im Laufe der Zeit mehrfach reformiert, so daß jede einzelne dieser Normen mit Rücksicht auf die Dynamik ihrer Entwicklung als zeitlich gestaffelte Reihe wiederum unterschiedlicher Spezialtatbestände aufgefaßt werden muß. Ein Teil der fortdauernden Unsicherheiten in der Beurteilung gesellschaftsrechtlicher Untreue dürfte seinen Grund darin fmden, daß sich weder das Nebeneinander von allgemeiner und speziellen Untreuevorschriften noch das Nacheinander nach einem geschlossenen Konzept entwickelt hat. Die Neufassung des § 266 StGB vom 26. 5. 1933, g die in ihren tatbestandlichen Voraussetzungen noch heute geltendes Recht ist, 9 ist - wie noch darzulegen sein wird - unter anderem auf das Bestreben zurückzuführen, einerseits die Schwächen des § 266 StGB (a. F.) auszugleichen und andererseits die Ungereimthei-

7

Vgl. den Überblick bei Frassati, ZStW 15 (1985), S. 414 ff.

g Anhang Rz. 1.3. - Die verschiedenen Fassungen des § 266 StGB sowie die einschlägigen Vorschriften des Nebenstrafrechts in ihren zeitlich geschichteten Fassungen sind im Anhang einschließlich des FundsteIlennachweises abgedruckt. Sie sind dort mit Randziffern versehen, die sich aus einer Ordnungszahl für das Gesetz - beziehungsweise für den Oberbegriff, soweit die Gesetzesbezeichnungen im Laufe der Zeit gewechselt haben, - und einer Kennziffer für die jeweilige historische Fassung zusammensetzen; es wird deshalb im folgenden jeweils auf die Randziffer im Anhang verwiesen. 9 Die nachfolgenden Änderungen beschränkten sich im wesentlichen auf die Rechtsfolgen, die Regelbeispiele für einen schweren Fall und das Antragserfordernis; vgl. Anhang Rz. 1.3 bis

1.6.

20

1. Teil Historisches Material

ten aufzulösen, die aus einer Vielzahl unterschiedlich gefaßter Vorschriften mit parallelem Regelungsgehalt erwachsen waren. Dennoch brach die Entwicklung des gesellschaftsrechtlichen Untreuestrafrechts mit Inkrafttreten der Neufassung nicht abrupt ab. Die Spezialtatbestände galten noch - über unterschiedlich lange Zeiträume - unverändert und unbeeinflußt von der Existenz des neuen § 266 StGB fort, beeinflußten aber ihrerseits bis zu ihrer Beseitigung die Interpretation des § 266 StGB in seiner heute geltenden Fassung. Die generelle Aussage, daß sich "mehr als bei anderen Deliktstypen ... eine Tatbestandsanalyse der Untreue erst aus deren geschichtlicher Entwicklung" ergibt, 10 gilt deshalb in besonderem Maße für den aktuellen Diskussionsstand zum gesellschaftsrechtlichen Regelungsgehalt des § 266 StGB. Dieser kann nur als Ergebnis eines historischen Wechselspiels begriffen werden: weil die Ursprungsfassung des § 266 StGB sich als unzulänglich erwies, gesellschaftsrechtlich vorgeprägte Lebenssachverhalte zu erfassen, wurden speziell auf deren Gestaltung zugeschnittene Tatbestände eingeführt; deren Regelungen überlappten - zeitlich und sachlich - den Regelungsgehalt des § 266 StGB neuer Fassung und fanden auf diese Weise Eingang in seine Interpretation. Es sollen deshalb, beginnend mit dem Reichsstrafgesetzbuch von 1871, 11 die verschiedenen Entwicklungsstränge und -schichten zunächst in groben Zügen nachgezeichnet werden mit dem Ziel, die (historischen) Kernprobleme der gesellschaftsrechtlichen Untreue herauszuarbeiten und den historischen Bestand an Lösungen und Aussagen dazu zusammenzustellen. Wegen der unterschiedlichen Inhalte und Techniken der zu sichtenden Tatbestände läßt sich die Darstellung nicht strikt danach ausrichten, welche Beziehungen zwischen Täter, Opfer und Vermögen auf welche Weise geregelt und wissenschaftlich beurteilt wurden. Um Verzerrungen der historischen Zusammenhänge zu vermeiden, wird das Material zunächst grob unterteilt nach kern- und nebenstrafrechtlichen Bestimmungen. Den Ausgangspunkt bilden die Probleme, die § 266 StGB in seiner Ursprungsfassung für die Anwendung auf gesellschaftsrechtlich geprägte Sachverhalte aufwarf (1. Kapitel). Es folgt die Analyse der nebenstrafrechtlichen Tatbestände in ihrem unmittelbaren Gehalt (2. Kapitel) sowie in ihrem Verhältnis zu § 266 StGB mit den sich daraus ergebenden Folgen für dessen Interpretation (3. Kapitel). Sachlich gruppiert sich die Darstellung in allen drei Bereichen um die Fragen

10

Maurach/Schroeder, BT/1, 6. AuH., S. 440.

11 Das Untreuestrafrecht läßt sich zwar bis auf die Peinliche Gerichtsordnung zurückführen (dazu Wrede, Untreue von der Peinlichen Gerichtsordnung bis zum Strafgesetzbuch); auf Vorläufervorschriften kann und soll hier aber nur dann eingegangen werden, wenn dies für die genetische Interpretation des § 266 StGB unverzichtbar ist.

1. Teil Historisches Material

21

nach der Täterqualiflkation, der Tathandlung und der Rolle des Benachteiligten, soweit sie in der historischen Diskussion als Problemschwerpunkte begriffen wurden.

1. Kapitel

Die Ausgangsfassung des § 266 StGB und ihre Anwendung auf gesellschaftsrechtlich geprägte Sachverhalte Bei Einführung des Strafgesetzbuches von 1871 wurden spezifisch gesellschaftsrechtliche Beziehungen offenbar nicht als originäres Anwendungsfeld des § 266 StGB beurteilt. Die ursprüngliche Fassung der Vorschrift legt vielmehr die Annahme nahe, daß im wesentlichen bürgerlichrechtliche Verhältnisse als Einfallstor für ungetreues Verhalten eingeschätzt und für regelungsbedürftig gehalten wurden. Dieser Umstand dürfte darauf zurückzuführen sein, daß sich das Recht der (Handels-) Gesellschaften selbst erst im 19. Jahrhundert zu entwickeln begann und noch nicht allgemein als relativ selbständige Disziplin des Rechts begriffen wurde. Die Darstellung der Anwendbarkeit und Anwendung der Untreuevorschriften auf Verhalten gesellschaftsrechtlich miteinander verbundener Personen zum Nachteil (des Vermögens) der Gesellschaften setzt deshalb voraus, daß die Gesellschaftsformen und gesellschaftsrechtlichen Grundkonstellationen, die das Strafgesetz damals antraf, in groben Zügen vorgestellt werden. A. Organisations- und Gesellschaftsformen

Mit der Industriealisierung entwickelten sich in Deutschland um die Mitte des 19. Jahrhunderts zahlreiche Formen von Vereinigungen und Gesellschaften auf zweifelhafter Rechtsgrundlage oder gar am geltenden Recht vorbei. Um dem steigenden Kapitalbedarf Rechnung zu tragen, fand die AktiengeseI/schaft Verbreitung, die bereits im 18. Jahrhundert als Gesellschaftsform

bekannt war. l Sie bürgerte sich auf der Grundlage des Code de Commerce

1 Lehmann (Aktiengesellschaften, S. 76) datiert die erste Aktiengesellschaft (die "Hamburger Assekuranz Kompagnie") auf 1765.

1. Kapitel Ausgangsfassung des § 266 StGB

23

zunehmend ein, der auch nach der napoleonischen Herrschaft weitgehend in Kraft blieb. Weder das ALR noch andere Landesgesetze sahen jedoch ausdrückliche Regelungen vor. Selbst die Literatur erkannte die Aktiengesellschaft nicht als besonderen rechtlichen Typus des Vereins an. 2 Gleiches gilt für die Kommanditgesellschaft aufAktien. Sie wurde dem Code de Commerce entlehnt und fand ebenfalls auch außerhalb seines Geltungsbereichs in das Wirtschaftsleben Eingang. 3 Auf der anderen Seite nötigte die Industriealisierung die von ihren Mißständen betroffenen Arbeiter und Kleingewerbetreibenden, sich zu Selbsthilfevereinigungen zusammenzuschließen. In die Zeit um 1850 fallen die ersten Gründungen zahlreicher Vorschuß- und Kreditvereine sowie der Handwerkerassoziationen, konzipiert als Selbsthilfevereine. Diese Vereinigungen waren zwar rechtlich "erlaubte Privatgesellschaften", 4 der Sache nach jedoch die ersten Genossenschaften, die sich 1864 zum allgemeinen "Verband der Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften" zusammenschlossen. 5 Deren Entwicklung wurde anfangs dadurch behindert, daß ihnen die gesetzliche Anerkennung versagt blieb. Mit ähnlichen Schwierigkeiten hatten die Krankenkassen zu kämpfen, die als Keimzellen der Entwicklung eines Sozialversicherungswesens ebenfalls in der Mitte des vorigen Jahrhunderts zu entstehen begannen. 6 Sie waren genossenschaftlich organisiert oder als Selbsthilfevereine (auf Gegenseitigkeit). Teils nahmen sich die Gemeinden der Aufgabe an und gründeten gemeindliche Versicherungsanstalten. Betriebskrankenkassen, Innungskassen sowie schließlich private Unternehmen in den verschiedensten Rechtsformen traten hinzu, so daß in den 70er Jahren - und noch bis in das 20. Jahrhundert hineindas Sozialversicherungswesen weder systematisch organisiert noch nach Organisationen zu systematisieren war; es "funktionierte" nicht, es "lebte". Das Recht hinkte insgesamt der Faktizität dieser vielfältigen Entstehung neuer Organisationsformen hinterher. Zunächst nahmen sich Wissenschaft und Praxis der Fragen an. Das Recht der Körperschaften, der Genossenschaften

2

Vgl. den Überblick bei Lehmann, Aktiengesellschaften, S. 77.

3

Vgl. Koch, ADHGB, Zweites Buch, Zweiter Titel, Anm. 25.

4

Siehe dazu unten I

5

Maurer, Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften, S. 4.

6 Etwa die Kranken- und Sterbekasse in Delitzsch, gegründet 1849 von Hermann Schulze; vgl. zu den geschichtlichen Hintergründen Maurer, Erwerbs- und Wirthschafts-Genossenschaften,

S. 3 ff.

1. Teil Historisches Material

24

und der Gesellschaften gehörte zu den großen Themen dieser Zeit. 7 Dann aber folgten Landes- und später Bundesgesetzgeber nach, mit der Folge, daß bei Gründung des Deutschen Reiches die Materie des Gesellschafts-, Genossenschafts- und des Handels- und Versicherungsrechts als Teil des Privatrechts vorgefunden wurde, der sich zu einem eigenständigen Regelungsbereich entwickelt hatte. 8 Gegliedert nach Rechtsquellen stellte sich das Gesellschaftsrecht im einzelnen wie folgt dar: I. Bürgerlichrechtliche Vereinigungen

Vor der umfassenden Regelung des BGB galt das Gemeine Recht. Die Darstellung soll sich hier auf das Allgemeine Preußische Landrecht beschränken. Dieses kannte zwei Typen von Personenvereinigungen: die Korporation (universitas) und die Gesellschaft (societas). 1. Korporationen ("universitates")

Korporationen waren Vereine, die der Regel nach eine größere Mitgliederzahl und wechselnden Mitgliederbestand in Aussicht nahmen und eine korporative Organisation besaßen. Unter "korporativer Organisation" wurde eine Verfassung verstanden, die sicherstellte, daß der Verein "ein vom Willen der Mitglieder unabhängiges, dem Willen der Staatsgewalt unterworfenes Dasein führte, auch die Mitglieder als solche weder während des Bestehens noch nach der Auflösung der Vereinigung irgendwelchen Teil am vorhandenen Vermögen hatten." 9 Ihnen konnte durch staatliche Genehmigung Rechtsfähigkeit, also der Status einer juristischen Person verliehen werden, wenn ihre Mitglieder sich zu einem fortdauernden gemeinnützigen Zweck verbunden hatten (11 6 § 25). Das ALR nannte ferner - als Unterfall - die Stiftungen, deren Vermögen als Gut aufgefaßt wurde, das einer bestimmten Korporation zur

7 Vgl. etwa Beseler, Volksrecht und Juristenrecht, S. 158 ff; vgl. ferner die Übersicht bei Gier/ce, Genossenschaftstheorie, S. 2 und 3 mit zahlreichen Nachweisen. 8 Aus diesem Grunde wurden auch bei den Beratungen zum BGB "das Wechsel- und Handelsrecht und das dazugehörige Rechtsgebiet (Binnenschiffahrt, Versicherung, Verlagsvertrag, Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften)" aus der KodifIZierung des bürgerlichen Rechts ausgenommen; vgl. Mugdan, BGB Mat. I, S. 3. 9

Mugdan, BGB Mat. I, S. 397.

1. Kapitel Ausgangsfassung des § 266 StGB

25

Verwendung nach Maßgabe des Widmungszwecks zugewiesen war und deshalb einen abgesonderten Teil des Korporationsvermögens darstellte. 10 2. Privatgesellschaften ("societates'')

Demgegenüber setzten die sogenannten "erlaubten Privatgesellschaften" (11 6 §§ 1-24 ALR) einen Gesellschaftsvertrag voraus, durch den sich mehrere bestimmte Personen zur Erreichung eines gemeinsamen Zwecks durch Zusammenwirken der Kontrahenten verbanden. Für die interne Organisation galten die Vorschriften über Korporationen. Im Verkehr mit Dritten kam dem Gesellschaftsverhältnis jedoch keine Bedeutung zu; Dritten gegenüber wurden die Mitglieder als Teilnehmer "gemeinsamer" Rechte und Pflichten erachtet. Die Gesellschaft konnte nach außen nicht als juristische Person auftreten; eine staatliche Genehmigung war weder erforderlich noch möglich. 11 11. Handelsgesellschaften

Die Rechtsquelle für Handelsgesellschaften war im wesentlichen das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch von 1861, das durch Landesgesetz in den meisten Staaten des Deutschen Bundes eingeführt worden war, 12 mit Gründung des Norddeutschen Bundes allgemeine Geltung erlangt hatte und durch Deklaration vom 19.5. 1871 als Reichsrecht übernommen wurde. 13 Die "Handelsgesellschaften" waren im zweiten Buch des ADHGB geregelt. Das Gesetz unterschied folgende Formen: - die offene Handelsgesellschaft (Art. 85 - 149) - die Kommanditgesellschaft (Art. 150 - 172) - die Kommanditgesellschaft auf Aktien (Art. 173 - 206) - die Aktiengesellschaft (Art. 207 - 249). Das dritte Buch des ADHGB nannte ferner: - die stille Gesellschaft (Art. 250 - 265)

10

Mugdan, BGB Mat. I, S. 396.

11

Mugdan, BGB Mat. I, S. 398; Mat. 11, S. 330.

12 Zuerst in Preußen durch Gesetz vorn 24. 6.1861 (G.S. S. 449) mit Wirkung vorn 1. 3.1862. Zur Entstehungsgeschichte dieses Gesetzes vgI. Koch, ADHGB, Vorbericht S. 4 - 6. 13

Zur Geschichte des Entwurfs Koch, ADHGB, Vorbericht S. 4 - 6.

26

1. Teil Historisches Material

- die Vereinigung zu einzelnen Handelsgeschäften für gemeinschaftliche Rechnung (Art. 266 - 270).

Der Unterteilung in zwei Bücher sowie der Reihenfolge der Regelungen lag eine präzise gesetzgeberische Vorstellung über die Systematik des Gesellschaftsrechts zugrunde. DieAufteilung in verschiedene Bücher diente der Trennung zwischen Handelsgesellschaften im eigentlichen Sinne und anderen Vereinigungen. Die Reihenfolge der Regelungen im zweiten Buch orientierte sich im wesentlichen an der organisationsrechtlicher Struktur der Gesellschaften. In der offenen Handelsgesellschaft habe man einen Handlungsfonds vor sich mit allseitiger persönlicher Vertretung, in der stillen Gesellschaft 14 einen Handlungsfonds mit persönlicher Vertretung (Komplementär) neben einer Anteilsberechtigung ohne persönliche Vertretung (Kommanditisten); in der stillen Gesellschaft auf Aktien fInde sich ein Handlungsfonds mit persönlicher Vertretung neben einer Anteilsberechtigungohne persönliche Vertretung aber mit genossenschaftlicher Organisation. Die Aktiengesellschaft endlich biete einen Handlungsfonds ohne alle persönliche Vertretung bloß mit einer genossenschaftlich organisierten Anteilsberechtigung. 15 Die Regelung der Verhältnisse der einzelnen Gesellschaften entsprach dem heute noch bekannten Grundmuster. 1. Die offene Handelsgesellschaft

Die offene Handelsgesellschaft war der Betrieb eines Handelsgewerbes durch zwei oder mehrere Personen unter einer Firma bei unbeschränkt persönlicher Haftung der Gesellschafter (Art. 85 ADHGB). Die oHG wurde schon damals nicht als juristische Person angesehen, obwohl in Art. 91 ADHGB vom Eigentum "der Gesellschaft" gesprochen wurde. Gemeint war nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers die "Gesamtheit der Gesellschafter"; lediglich aus sprachlichen Gründen wurde diese Formulierung gewählt: es hatte sich der Begriff "Gesellschaftsvermögen" nicht "Gesellschaftervermögen" eingebürgert. 16

14 Gemeint ist die Kommanditgesellschaft, die auch "französische stille Gesellschaft" (von "Associe en commandite") genannt wurde im Gegensatz zur "deutschen stillen Gesellschaft"; vgl. Koch, ADHGB, Drittes Buch, Erster Titel Anm. 1.

15

Koch, ADHGB, Art. 150 Anm. 1; Hervorhebungen ebendort.

16

Koch, ADHGB, Art. 91 Anm. 7.

1. Kapitel Ausgangsfassung des § 266 StGB

27

2. Die Kommanditgesellschaft

Die Kommanditgesellschaft setzte, ähnlich wie heute, den Betrieb eines Handelsgewerbes unter gemeinschaftlicher Firma voraus, an der sich ein oder mehrere Gesellschafter nur mit Vermögenseinlagen beteiligten, während bei einem oder mehreren Gesellschaftern die Beteiligung nicht in dieser Weise beschränkt war (Art. 150 Abs. 1 ADHGB). Die Kommanditgesellschaft galt als Gesellschaftsform, die ihrer juristischen Einordnung nach der offenen Handelsgesellschaft nahestand. Dies wurde insbesondere dadurch deutlich gemacht, daß die Kommanditgesellschaft nach Art. 150 Abs. 2 ADHGB bei Vorhandensein mehrerer persönlich haftender Gesellschafter "in Ansehung ihrer zugleich eine offene Handelsgesellschaft" war. 3. Die Kommanditgesellschaft auf Aktien

Die Kommanditgesellschaft auf Aktien als Mischform unterschied sich theoretisch von der Aktiengesellschaft - wie heute - im wesentlichen dadurch, daß neben den beschränkt auf die Einlage haftenden Inhabern der Namensaktien (Kommanditisten) noch persönlich haftende Gesellschafter vorhanden waren. Der praktisch wesentliche Unterschied bestand jedoch bis 1870 darin, daß die Gründung einer KGaA unbeschränkt möglich, die Gründung einer Aktiengesellschaft hingegen von einer staatlichen Genehmigung abhängig war. 4. Die Aktiengesellschaft

Die Aktiengesellschaft schließlich war wie heute eine Gesellschaft, an der sich sämtliche Gesellschafter nur mit Aktien beteiligen, ohne persönlich für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft zu haften (Art. 207 Abs. 1 ADHGB). Sie konnte bis 1870 nach Art. 208 Abs. 1 ADHGB "nur mit staatlicher Genehmigung errichtet werden" (sog. Konzessionssystem); dieses System wurde später aufgrund der Aktiennovelle des Norddeutschen Bundes 17 durch das System der Normativbestimmungen abgelöst. 18

17

vom 11. 6. 1870, BGBt. vom 25. 6. 1870 Nr. 2 S. 375 ff, in Kraft getreten am 9. 7. 1870.

18 Diese regelten nur noch die zwingenden Voraussetzungen, die von den Gründern beachtet werden mußten, damit die Aktiengesellschaft handelsrechtlich eingetragen werden konnte; durch Eintragung wurde die Aktiengesellschaft dann rechtlich existent vgl. im einzelnen Schwan, Das neue Aktienrecht,S.1; Weidner,Strafrechtliche Verantwortlichkeit deraktienrechtlichen Organe, S.2.

28

1. Teil Historisches Material

5. Sonstige Vereinigungsfonnen Die Vereinigungen im dritten Buch galten nicht als Handelsgesellschaften, denn ihnen fehlten die beiden Charakteristika eines "gemeinsamen Handlungsfonds" und einer "gemeinsamen Firma". 19 Die ("deutsche") stille Gesellschaft sowie die Vereinigung zu einzelnen Handelsgeschäften wurden aufgenommen, um einem praktischen Bedürfnis Rechnung zu tragen: es handelte sich um Beteiligungsformen, die sich in der Wirtschaftswirklichkeit herausgebildet hatten. Der Vollständigkeit und der Klarstellung halber wurden sie deshalb auch gesetzlich geregelt. Das Gesetz stellte klar, daß es sich bei der stillen Gesellschaft, die auch heute noch im HGB (§§ 230 - 237) entsprechend geregelt ist, nur um die Beteiligung an dem Handelsgewerbe eines anderen mit einer Vermögenseinlage handelte, die für den stillen Gesellschafter nur einen Anspruch auf Beteiligung an Gewinn und Verlust begründete (Art. 250 ADHGB). Auch die Regelung der "Vereinigung zu einzelnen Handelsgeschäften für gemeinschaftliche Rechnung" erschöpfte sich in der Klarstellung, daß solche Verbindungen nicht unter die für Handelsgesellschaften geltenden Regelungen fielen. 2O III. Genossenschaften

Nach § 1 des Bundesgesetzes betreffend die privatrechtliche Stellung der Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften vom 4. Juli 1868, 21 das durch Deklaration vom 19. 5. 1871 als Reichsrecht übernommen wurde, waren Genossenschaften "Vereine, welche bei nicht geschlossener Mitgliederzahl die Förderung des Kredits, des Erwerbs oder der Wirthschaft ihrer Mitglieder mittels gemeinschaftlichen Geschäftsbetriebes bezwecken (Genossenschaften)". Charakteristikum waren die Solidarhaftung der Genossen sowie - die später kritisierte und beseitigte - Einzelhaftung jedes Genossen gegenüber den Gläubigern. Die entscheidende Regelung bestand jedoch darin, den Genossenschaften Rechtsfähigkeit und den Status einer "juristischen Person" zu verleihen, wobei dieser Begriff als solcher - bewußt - nicht verwendet wurde, weil dieser Ausdruck von der Rechtswissenschaft (noch) zu verschieden

19

Koch, ADHGB, Zweites Buch, 2. Titel Anm. 1; Drittes Buch, Erster Titel Anm. 1.

20

Koch, ADHGB, Art. 266 Anm. 20.

21

NBBGBI. Nr. 42

1. Kapitel Ausgangsfassung des § 266 StGB

29

aufgefaßt wurde. 22 Die Genossenschaft konnte selbständige Rechte und Pflichten haben, Eigentum und andere dingliche Rechte an Grundstücken erwerben und vor Gericht klagen und verklagt werden (§ 17). Organe waren der Vorstand, der Aufsichtsrat und die Generalversammlung (§§ 22, 24). IV. Sozialversicherungsrechtliche Organisationen 1. Privatrechtliehe Organisationsfonnen

Die ersten Kassen, die die gegenseitige Unterstützung ihrer Mitglieder für den Fall der Krankheit bezweckten, beruhten auf freier Übereinkunft. Sie waren Versichemngsvereine auf Gegenseitigkeit. Durch zahlreiche Reichs- und Landesgesetze wurde ihnen nach und nach der Status juristischer Personen verliehen. 23 Die organisationsrechtlichen Voraussetzungen sowie die Rechte und Pflichten der Versicherungsträger und der Versicherten waren in den jeweiligen Gesetzen, jedoch nicht für alle Versicherungszweige einheitlich geregelt. Daneben hatte sich die Rechtsform der Betriebskrankenkasse entwickelt, die durch Krankenversicherungsgesetz vom 15. 6. 1883 24 den Status einer juristischen Person erhielt (§ 64 i. V. m. § 25), jedoch an den Bestand des Betriebes gebunden war (§ 68). Gleiches galt - mit Modifikationen - für Baukrankenkassen (§ 72 Abs. 2). Das Unfallversicherungswesen war weitgehend genossenschaftlich organisiert. Die für Betriebsunfälle haftenden Unternehmer vereinigten sich zunächst freiwillig, später aufgrund rechtlicher Verpflichtung zu Bemfsgenossenschaften , die die Versicherung der haftpflichtigen Unternehmer auf Gegenseitigkeit bezweckten. 25 Weitere Versicherungsträger waren die Knappschaftsvereine als Träger der Versicherung der Bergleute. Die Knappschaftsvereine, Knappschaftskassen

22

ParisiuslCrüger, GenG, 5. Aufl., § 17 Anm. 1 "Zur Geschichte des § 17".

23 Vgl. z. B. § 5 des Gesetzes über die eingeschriebenen Hülfskassen vom 7. 4.1876 (RGBI., 125); Gesetz betreffend die Invaliditäts- und Altersversorgung vom 22. 6. 1889 (RGBI. 97).

24

RGBI., 73 ff.

25 VgI. § 9 des Reichs-Unfallversicherungs-Gesetzes vom 6. 7. 1884 (RGBI. 69); § 13 des Gesetzes betreffend die U nfall- und Krankenversicherung der in land- und forstwirthschaftlichen Betrieben beschäftigten Personen vom 5. 5. 1886 (RGBI. 132); § 12 des Gesetzes betreffend die Unfallversicherung der bei Bauten beschäftigten Personen vom 11. 7. 1887 (RGBI. 287).

1. Teil Historisches Material

30

und knappschaftlichen Krankenkassen unterlagen bis zum Inkrafttreten des Reichsknappschaftsgesetzes 26 den Landesgesetzen; ihre Rechtsverhältnisse zeichneten sich innerhalb Deutschlands durch eine "außerordentliche Buntscheckigkeit" aus. v Soweit private Unternehmen das Versicherungsgeschäft betrieben, läßt sich bis zum Inkrafttreten des Versicherungsaufsichtsgesetzes 28 kein einheitliches System feststellen. Die Gesetze reichten in vielfältigen Abstufungen von einem strengen Konzessionsystem bis zum völlig freien Gewährenlassen, von strengen Anforderungen an Rechtsform, Verfassung und Vermögensverwaltung bis zum völligen Fehlen verwaltungsrechtlicher Bestimmungen über den Geschäftsbetrieb von Versicherungsunternehmungen. Selbst innerhalb einzelner Länder war die Rechtslage zum Teil nicht einheitlich. Insgesamt waren die Verhältnisse so wenig geordnet, daß sich einzelne Bundesstaaten auf dem Gebiet des Versicherungsrechts wechselseitig als Ausland behandelten. 29 2. Öffentlich-rechtliche Organisationsjonnen

Neben privatrechtlichen Formen der Versicherungsorganisation fanden sich öffentlich-rechtliche in Gestalt der Orts- und Gemeindekrankenkassen, die nach heutiger KlassifIzierung als selbständige Anstalten des öffentlichen Rechts einzuordnen waren: Sie konnten unter ihrem Namen Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen, vor Gericht klagen und verklagt werden; die Haftung war jedoch auf das Vermögen der Kasse beschränkt (§ 25 Abs. 2 Krankenversicherungsgesetz). Teilweise übernahm das Reich bzw. der Bundesstaat selbst die Rolle des Versicherungsträgers. Für die Beamten und Arbeiter der Reichs- und Staatsbetriebe trat "an die Stelle der Berufsgenossenschaft das Reich beziehungsweise der Staat, für dessen Rechnung die Verwaltung geführt wird". 30 In

26

vom 23. 6. 1923 (RGBI. 431).

v Vgl. die "Besondere Begründung" zum Entwurf eines ReichsknappschaCtsgesetzes in Verh. des Reichstages, 1920/22, Nr. 4394 S. 35. 28

Gesetz über die privaten Versicherungsunternehmungen vom 12. 5. 1901 (RGBI.,139).

29 Vgl. die Übersicht in der Begründung zum Entwurf eines Gesetzes über die privaten Versicherungsunternehmungen, Steno Ber. über die Verh. d. RT, 10. Legislaturperiode, 11. 1900/02, Erster Anlagenband, Anl. Nr. 5, S. 167 Cf. 30 § 2 Abs.1 U. 2 des Gesetzes über die Ausdehnung der Unfall- und Krankenversicherung vom 28. 5. 1885 (RGBI., 159 Cf).

1. Kapitel Ausgangsfassung des § 266 StGB

31

diesem Falle wurden "die Befugnisse und Obliegenheiten der Genossenschaftsversammlung und des Vorstandes der Genossenschaft durch Ausführungsbehörden wahrgenommen" 31 B. Anwendunsgprobleme des § 266 StGB bei ungetreuem Verhalten zum Nachteil von Gesellschaften Soweit ersichtlich hatte sich die höchstrichterliche Rechtsprechung aufgrund der Rechtslage von 1871 bis 1884, dem Jahr in dem die erste spezialgesetzliche Untreuevorschrift eingeführt wurde, 32 nur mit Untreuefragen beim Betrieb von Aktiengesellschaften, 33 eingetragenen Genossenschaften 34 und offenen Handelsgesellschaften 3S zu befassen. In diesem Zusammenhang standen drei Problemkreise im Vordergrund. I. Täterqualifikation

Organe von Verbänden oder Gesellschaften waren - mit Ausnahme des Verwalters einer Stiftung - in den Katalogen der tauglichen Täter einer Untreue nach den Ziffern 1 und 3 des § 266 Abs. 1 StGB nicht aufgeführt. Die Aufzählungen galten jedoch als abschließend. 36 Es wurde deshalb allein § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB als anzuwendende Norm in Betracht gezogen. Damit stellte sich als erstes - auch in allen Entscheidungen vorrangig diskutiertes - Problem die Frage, ob die handelnden Organe jeweils die geforderte Qualität eines ''Bevollmächtigten'' im Sinne des § 266Abs. 1 Ziff. 2 StGB besaßen. Diese Frage wurde - teils ausführlich, teils implizit - behandelt und mit unterschiedlichen Ergebnissen beantwortet für:

31 § 2 Abs. 3 des Gesetzes über die Ausdehnung der Unfall- und Krankenversicherung (wie Anm. vor). 32

Art. 249 ADHGB; siehe Anhang Rz. 2.1.

33

KgI0bTrib, Oppenhoffs Rspr. Bd. 16,767; 19, 130 und 547; RGSt 3, 344 ff; 7,279; 9, 249.

34

RGSt 3, 35; 5, 4.

3S

RGSt 7, 18, 20.

36

Ganz einhellige Ansicht; vgJ. nur EbennayerlLobe/ Rosenberg, 4. Aufl., § 266 Anm. 7 m.

w. N.; Kohlrausch, 29. Aufl., § 266 Anm. 2a. 5 NeUe.

32

1. Teil Historisches Material

- Vorstand und Vorstandsmitglieder von Vereinen, 37 Genossenschaften und Aktiengesellschaften 38 - Gesellschafter (-Geschäftsführer) einer offenen Handelsgesellschaft

39

- Mitglieder von Aufsichts- bzw. Verwaltungsrat einer Aktiengesellschaft 40 - ''faktische'' Geschäftsführer einer Aktiengesellschaft. 41

Die Ergebnisse hingen von der - später heftig umstrittenen 42 - Frage ab, wie der Begriff des "Bevollmächtigten" generell zu verstehen sei. Die ursprünglichen Auslegungsbemühungen sollen hier in ihrem Bezug zu gesellschaftsrechtlichen Organen vorgestellt werden. 1. Geschäftsführende Organe

Bereits in den frühen Entscheidungen deutet sich eine Zweigleisigkeit der Entwicklung an, die sich an den Archetypen der "universitas" und der "societas" ausrichtete, nunmehr unterschieden nach juristischen Personen und Personengesellschaften. a) Vorstände juristischer Personen

Das Obertribunallegte in seiner ersten einschlägigen Entscheidung § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB dahin aus, daß diese Ziffer für "Bevollmächtigte aller Art"

37

KgI0bTrib, Oppenhoffs Rspr. 16, 762.

38

KgI0bTrib, Oppenhoffs Rspr. 16, 762; 19, 130; 19,547; ROSt 3, 35, 40; 3, 344; 7, 279.

39

ROSt 7, 18, 20.

40

ROSt 7, 279; 9, 249.

41

ROSt 9, 249.

42

Siehe dazu unten Teil 1, 2. Kapitel, B I 2.

1. Kapitel Ausgangsfassung des § 266 StGB

33

Geltung habe. Deshalb begründe auch die "BesteUung" zum Vorstand eines Vereins die SteUung als Bevollmächtigter desselben. 43 Während das Obertribunal in der Folge ebenso fraglos judizierte, daß "die Person oder die Personen des Vorstandes der Aktien-Gesellschaft in der Bezeichnung 'Bevollmächtigte' selbstverständlich mitbegriffen werden", 44 setzte sich das Reichsgericht mit dieser Frage breiter auseinander. 45 Es sah für § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB als erforderlich an, daß "ein Vollmachtsauftrag im Sinne des § 5 I. 13 preuß. ALR, d. h. ein Auftrag erteilt ist, ein Geschäft für den Auftraggeber und statt desselben zu betreiben". Da nach Art. 277 Abs. 1 ADHGB der Vorstand dasjenige Organ sei, das die GeseUschaft nach außen hin zu vertreten habe, liege in der Wahl eines Mitgliedes des Vorstandes und der Annahme der Wahl der Abschluß eines Vertrages nach § 5 I. 13 ALR. 46 Für den Vorstand der eingetragenen Genossenschaft ging das Reichsgericht in früheren Entscheidungen lediglich beiläufig auf § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB ein und setzte - wie schon das Preußische Obertribunal - die Bevollmächtigteneigenschaft eines Vorstandsmitglieds schlicht voraus. 47 Vorstand und Vorstandsmitglieder wurden also von der Rechtsprechung im Ergebnis einhellig als Bevollmächtigte "der Gesellschaft" eingestuft, jedenfalls soweit es sich um Gesellschaften handelte, deren Charakter als juristische Personen außer Frage stand. b) Geschäftsführende Gesellschafter von Personengesellschaften

Den Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft, der nach den Bestimmungen des (in der Entscheidung im Wortlaut wiedergebenen) GeseUschaftsvertrages zur Verfügung über das Gesellschaftsvermögen befugt war, stufte das Reichsgericht als "Vertreter der GeseUschaft" ein. 48 In Fällen, in denen er unbefugt zum eigenen Vorteil über Gesellschaftsvermögen verfügte, nahm das Reichsgericht jedoch Unterschlagung und nicht Untreue an, weil das Ge-

43

KgI0bTrib, Oppenhoffs Rspr. 16, 762.

44

Oppenhoffs Rspr. 19, 130.

45

RGSt 7, 279.

46

RGSt 7, 279, 280.

47

RGSt 3, 35, 40; 5, 4, 7.

48

RGSt 7, 19, 20.

1. Teil Historisches Material

34

sellschaftervermögen wegen der Gesamthandsbindung für den einzelnen Gesellschafter "fremd" bleibe und eine eigennützige Verfügung deshalb rechtswidrige Aneignung fremder Vermögensstücke sei. Obwohl Art. 95 ADHGB einen verfügungsberechtigten Gesellschafter (nur) zur Zinszahlung für unbefugte Geldentnahme verpflichtete, hielt das Reichsgericht eine strafrechtliche Ahndung daneben für möglich. 49 Soweit dieser Entscheidung ein verallgemeinerungsfähiger Standpunkt zur Frage der Tätertauglichkeit von Gesellschaftern einer oHG entnommen werden kann, läßt sich feststellen, daß deren Bevollmächtigteneigenschaft als davon abhängig begriffen wurde, wie der Gesellschaftsvertrag die Kompetenzen zwischen den Gesellschaftern verteilte. In der Literatur wurde, soweit ersichtlich, die Eigenschaft von Geschäftsführungsorganen als "Bevollmächtigte" der Gesellschaft, bzw. der Gesamtheit der Gesellschafter i. S. d. § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB nicht in Frage gestellt.so 2. Aufsichts- und Kontrollorgane Kontrovers beurteilt wurde hingegen die Bevollmächtigteneigenschaft von Aufsichtsorganen, die für körperschaftlich verfaßte Gesellschaften vorgesehen waren. Die Rechtsprechung sah Aufsichts- und Verwaltungsratsmitglieder ebenfalls als "Bevollmächtigte der Gesellschaft, also der Aktionäre in ihrer Gesamtheit, wenn auch nicht der einzelnen Aktionäre" an. 51 Die einschlägige Entscheidung stützte sich im wesentlichen auf die Bestimmungen des Handelsgesetzbuches, die den Aufsichtsrat "in einem Falle" - gemeint war die Führung von Prozessen gegen Vorstandsmitglieder (Art. 226, 194 HGB) - kraft Gesetzes zur Vertretung nach außen ermächtigten. Deshalb sei der Aufsichtsrat auch bei Ausübung des ihm zustehenden Überwachungsrechts "Bevollmächtigter", denn es komme nicht darauf an, ob der Aufsichtsrat die Rechte der Gesellschaft nach außen hin oder innerhalb der Gesellschaft gegenüber anderen Organen geltend mache. 52

49

RGSt 7, 19, 21.

so Frassati ('Z5tW 15 < 1895 >,409,415), der gelegentlich rur eine abweichende Ansicht zitiert wird, berichtet lediglich von diesbezüglichen Zweifeln, die jedoch durch die angegebenen Entscheidungen des Obertribunals sowie des Appellationsgerichts Dresden (ebd. Fußn. 3) nicht belegt werden. 51

RGSt 7, 279, 280, 281.

52

RGSt 7, 279, 280.

1. Kapitel Ausgangsfassung des § 266 StGB

35

Anders, als in der dem Wortlaut nach weitreichenden und teils auch mißverständliche Entscheidung des Reichsgerichts zur Tätertauglichkeit von Organen einer Aktiengesellschaft,53 wurde in der Literatur deutlich zwischen Geschäftsjühnm8f- ("Verwaltun8f"-) Organen undAufsichtsorganen unterschieden. Letztere hielt man nur ausnahmsweise für taugliche Untreuetäter. Da ihre Tätigkeit nur überwachender, also nicht, wie für erforderlich gehalten, rechtsgeschäftlicher Art sei, könnten sie nur dann und nur in dem Umfang als "Bevollmächtigte" angesehen werden, in dem sie von den eng begrenzten Befugnissen zu Handlungen mit Rechtswirkungen nach außen Gebrauch machten. 54

3. Auswirkung irregulärer Aufgabenteilung in der Satzung In der bereits zitierten, für die Beurteilung der Bevollmächtigteneigenschaft von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern einer Aktiengesellschaft grundlegenden, Entscheidung des Reichsgerichts stellte sich zugleich erstmals die Frage, wie sich das Verhältnis der Organe zueinander auf die strafrechtliche Beurteilung ihrer einzelnen Aktionen auswirkte. 55 In dem zu entscheidenden Fall war dem Aufsichtsrat durch Gesellschaftsvertrag für bestimmte Verfügungen über Gesellschaftsvermögen die Befugnis vorbehalten, den Vorstand bindende Beschlüsse zu fassen. Während die erste Instanz diesen Umstand zum Anlaß genommen hatte, die Vorstandsmitglieder bei der Durchführung solcher Beschlüsse als "gewissermaßen nur Werkzeuge des Aufsichtsrats" und mithin nicht als "Bevollmächtigte" einzuordnen, 56 hob das Reichsgericht die Entscheidung in diesem Punkte auf. Es stellte darauf ab, daß die Vorstandsmitglieder kraft Gesetzes Bevollmächtigte der Gesellschaft seien und entschied, daß "durch Gesellschaftsvertrag rechtwirksam Bestimmungen, welche das Strafrecht ändern, nicht getroffen werden" können.57

4. ''Faktische'' Organe Das Reichsgericht ordnete in einer späteren Entscheidung den Vorsitzenden des Verwaltungsrats einer Aktiengesellschaft, der nach Ablauf der Amtszeit des Vorstandes die Geschäftsführung der Gesellschaft an sich gezogen und

53

RGSt 7, 279.

54

Ammon, Untreue, S. 66 ff m.w.N ..

55

RGSt 7, 279.

56

RGSt 7, 279, 282.

57

RGSt 7, 279, 282.

36

1. Teil Historisches Material

keine Neuwahl veranlaßt hatte, als "negotiorum gestor" ein. SB Es hatte im Rahmen des Tatbestandes der Unterschlagung zu untersuchen, ob wirksam Eigentum der Gesellschaft an eingenommenen Geldern begründet wurde und deshalb die (unbefugt) entnommenen Gelder "fremd" waren. SO} In diesem Zusammenhang lehnte es die "Bevollmächtigteneigenschaft" des Verwaltungsratsvorsitzenden und (faktischen) Geschäftsführers ab. Der Umstand, daß dieser Teil seiner Geschäftsführung nachträglich vom Vorstand genehmigt wurde, mußte trotz rückwirkender Kraft dieser Genehmigung für die strafrechtliche Beurteilung außer Betracht bleiben, da es nur auf die Besitz- und Eigentumslage im Zeitpunkt der Tat ankam. 60 Im konkreten Fall führte diese Auslegung zur Straflosigkeit, so daß eine "Strafbarkeitslücke" für faktische Organe entstand, die als unbefriedigend empfunden wurde. 11. Tatobjekt - Die Beschränkung des § 266 Abs. 1 ZilT. 2 StGB auf "Forderungen und Vermögensstücke" In fast allen Entscheidungen zu § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB, die sich auf gesellschaftsrechtliche Fallkonstellationen beziehen, ist die Frage nach der Bevollmächtigteneigenschaft eng verknüpft mit der Frage nach der dinglichen Rechtslage in Ansehung des veruntreuten Vermögens oder unterschlagener Sachen. 61 Die Ursache dafür ist in dem Merkmal des § 266 Abs. 1 Ziff.2 StGB, der Verfügung über "Forderungen oder andere Vennögensstücke", zu sehen. Aus dieser Einschränkung sowie der Entstehungsgeschichte des § 266 StGB leitete das Reichsgericht her, daß § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB lediglich als Ergänzung der Vorschriften über die Unterschlagung von Bedeutung sei. Das Gesetz bezwecke allein, die Fälle unter den Begriff der Untreue zu stellen, die nur deshalb nicht als Unterschlagung erfaßt werden könnten, weil der Gegenstand der Verfügung entweder keine körperliche Sache, sondern eine Forderung, oder zwar eine Sache sei, diese sich aber nicht im Besitz bzw. Gewahrsam des Täters befmde. 62

SB

ROSt 9, 248, 252.

SO}

ROSt 9, 249, 252.

60

ROSt 9, 249, 252 f.

61

ROSt 3, 35, 36 f; 3, 344, 346 f; 5, 4, 6 f; 7, 18, 20; 7, 93, 94; 9, 248, 251 f; 10, 385, 386.

62

ROSt 10, 72, 73.

1. Kapitel Ausgangsfassung des § 266 StGB

37

Erste Konsequenz dieser Auslegung war, daß unbefugte Verfügungen grundsätzlich zuerst 63 - und häufig nur 64 - unter dem Aspekt der Unterschlagung, nicht jedoch der Untreue beurteilt wurden. Für Organe von Vereinigungen bedeutsamer freilich war die Konsequenz, daß die Belastung eines Vermögens mit einer Verbindlichkeit keine im Sinne des § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB nachteilige Verfügung sein konnte. 65 Ein wesentlicher Teil der eigenverantwortlichen Tätigkeit von bevollmächtigten Organen gerade wirtschaftlich tätiger Gesellschaften fiel dadurch aus dem Anwendungsbereich des § 266 StGB heraus. Die Literatur teilte die Ansicht der Rechtsprechung zum Merkmal "Forderungen und Vermögensstücke" und schloß sich der Auffassung an, daß die Belastung des (Gesamt-) Vermögens mit einer Verbindlichkeit kein Anwendungsfall des § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB sei. 66 111. Die "absichtliche" Benachteiligung als Problem der Tathandlung Das Reichsgericht hatte schon sehr früh die Frage zu klären, was unter dem Begriff "Absicht" in § 266 Abs. 1 Ziff. 1 und 2 StGB zu verstehen sei. Nachdem es sich zunächst darauf festgelegt hatte, daß zur Erfüllung dieser Voraussetzung der direkte Vorsatz ausreiche, 67 judizierte es im Zusammenhang mit den Pflichten des Vorstands einer Aktiengesellschaft, daß schon die Vorstellung des rechtswidrigen Erfolges als möglich und der "auf diesen Erfolg wenigstens eventuell gerichtete" Wille dem Merkmal der Nachteilszufügungsabsicht genügten. 68

Wiederum für unternehmerisch tätige Gesellschaften von weitreichender Bedeutung war die Konsequenz, daß die Nachteilszufügungsabsicht immer erst dann sicher ausgeschlossen werden konnte, wenn der Täter "gerade diesen Erfolg vermeiden wollte". (fJ Die "Fälle in der Mitte ... zwischen diesen beiden Extremen" - nach heutiger Terminologie würde man sie unter dem Stichwort

63

So RGSt 3, 35; 7, 18; 9, 248; deutlich RGSt 10, 385, 387.

64

RGSt 5, 4; 7, 93.

65

Vgl. Ammon, Untreue, S. 66 ff m. w. N.

66

Vgl. Ammon, Untreue, S. 66 ff m. w. N.

67

RGSt 1, 172,174; 329, 330.

68

RGSt 7, 279, 283.

(fJ

RGSt 7, 279, 283.

38

1. Teil Historisches Material

"kaufmännische Risikogeschäfte" zusammenfassen - waren gerade die besonders umstrittenen, deren Lösung das Reichsgericht der Literatur überließ. 70 Die Rechtswissenschaft stellte sich teils - im Gegensatz zur reichsgerichtlichen Rechtsprechung, jedoch in Übereinstimmung mit einigen obergerichtlichen Entscheidungen 71 - auf den Standpunkt, das Wort "absichtlich" in § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB sei "im gewöhnlichen Sinne des Wortes" zu verstehen. Es sei kein Grund ersichtlich, es als Tatbestandsmerkmal auf den dolus eventualis zurückzuführen. 72 Vielmehr müsse der Nachteil im Bewußtsein der Rechtsverletzung 73 und mit dem Willen auf seine Hervorbringung 74 zugefügt werden. Die Kritiker dieser Ansicht verteidigten die Rechtsprechung des Reichsgerichts vor allem mit dem Argument, eine restriktive Interpretation des subjektiven Elements begünstige die Unzulänglichkeit des § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB, die "äußerst empfmdlichen Übelstände, die an der Börse bei den Gesellschaftsvorständen hervorgetreten seien", wirksam zu bekämpfen. 75 Es müsse deshalb ausreichen, wenn der Nachteil mit dolus eventualis zugefügt werde, auch wenn dadurch der Anwendungsbereich des § 266 StGB auf objektiv nachteilige, jedoch kaufmännisch zweckmäßige Verfügungen ausgedehnt werde. Dieses unerwünschte Ergebnis sollte dann im Schuldbereich korrigiert werden können. Die Benachteiligung einer Gesellschaft in Ausübung eines (auch nur vermeintlichen) Rechtes oder in Erfüllung einer (auch nur vermeintlichen) Pflicht sollte - "natürlich in gewissen Grenzen" 76 - mit Rücksicht auf den Grundsatz von Treu und Glauben die Schuld entfallen lassen. 77

70

RGSt 7, 279, 283.

71

KgI0bTrib, Oppenhoff Rspr. 12, 1771; 13, 14; 20, 176.

72

MerkeI, in v.Holtzendorff, Handbuch, Band 3, S. 783; Band 4, S. 441.

73

KgI0bTrib, Oppenhoffs Rspr. 20, 176.

74

KgI0bTrib, Oppenhoffs Rspr. 13, 14.

75

Frassati, 'ZStW 15 (1895), S. 421.

76

Stenglein/Appelius/Kleinjeller, S. 170.

77

Frassati, 'ZStW 15 (1895), S. 423.

1. Kapitel Ausgangsfassung des § 266 StGB

39

c. Zusammenfassung - Die Enumeratüon tauglicher Untreuetäter ließ eine Anwendung des § 266 Abs. 1 Ziff. 1 und 3 StGB auf gesellschaftsrechtliche Organe und ihrer Mitglieder nicht zu. Die Vorschrift bot nur mit dem Begriff des "Bevollmächtigten" im Sinne des § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB eine Kategorie an, unter die sich gesellschaftsrechtliche Organe und ihre Mitglieder subsumieren ließen. Die handels- und gesellschaftsrechtlichen Verhältnisses waren jedoch zu differenziert und zu speziell, als daß sich in allen Fällen befriedigende und vor allem einheitliche Auslegungs- undAnwendungsregeln entwickeln ließen, nach denen die unterschiedlich strukturierten Organe als "Bevollmächtigte" ihrer - ebenfalls unterschiedlich verfaßten - Gesellschaften beurteilt werden konnten. Weitgehend unangefochten stand als Aussage nur fest, daß jedenfalls geschäftsführende Organe korporativ verfaßter Gesellschaften Guristischer Personen) die Voraussetzungen des § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB erfüllten. - Eine zweite auf die Fassung des § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB zurückzuführende Restriktion der Anwendbarkeit auf gesellschaftsrechtliche Organe lag in der Beschreibung der Tathandlung als "Verfügung über Forderungen und Vermögensstücke" . Der im Handels- und Wirtschaftsleben praktisch be deut samste Fall der (treuwidrigen) Belastung mit einer Verbindlichkeit ließ sich darunter nicht subsumieren. - Schließlich führte die Voraussetzung absichtlicher Benachteiligung in ein interpretatorisches Dilemma. Sie galt denjenigen als zu eng, die eine wirksame Bekämpfung der Untreue in wirtschaftlichen Zusammenhängen forderten. Die deshalb vorgeschlagene extensive Auslegung ließ dann aber keine klare Grenzziehung zu den noch nicht als strafwürdig empfundenen nur riskanten Verhaltensweisen zu. Die wenig befriedigende Situation wurde noch dadurch verkompliziert, daß das Handels- und Gesellschaftsrecht selbst im fluß war. Daraus resultierten einerseits zusätzliche Schwierigkeiten rechtlicher Art bei der Anwendung des § 266 StGB, auf die im Zusammenhang mit der Darstellung der Spezialtatbestände im folgenden Kapitel eingegangen werden soll. Andererseits bewirkte die zum Teil ungezügelte Entwicklung der späten Zeit der Industriealisierung eine Reihe von Mißständen, deren Bekämpfung gerade mit den Mitteln des Strafrechts als wünschenswert erschien. Die im folgenden Kapitel dargestellte Entwicklung beruht auf diesen beiden Aspekten.

2. Kapitel

Einführung und Entwicklung gesellschafts rechtlicher Untreuetatbestände in der Zeit von 1876 bis 1933 Die skizzierten Probleme der Anwendung des § 266 StGB auf Organe von Vereinigungen und Gesellschaften, die Begrenzung auf Vermögensstücke sowie das Erfordernis der Nachteilszufügungsabsicht waren der Anlaß für den Gesetzgeber, in Spezialgesetzen besondere Straftatbestände zu schaffen, die diese Beschränkungen nicht oder jedenfalls nur teilweise enthielten. Dieser Weg wurde eingeschlagen, weil "die deliktischen Erscheinungen" auf den Gebieten des Handels- und Versicherungsrechts mit dem Charakter der betreffenden Gesellschaften zu eng verknüpft waren, "als daß sie in den Rahmen des auf allgemeine bürgerliche Rechtsverhältnisse angelegten Strafgesetzbuches eingezwängt werden" konnten. 1 Dabei ging es zunächst nur darum, Mißstände zu bekämpfen, die als besonders gefährlich oder sozialschädlich aufgefallen waren und deshalb klarstellender Regelung bedurften 2 oder den Anwendungsbereich des § 266 a. F. auf unstreitig bislang nicht erfaßte Tätergruppen auszudehnen. 3 Ausgangspunkt war immer die spezielle Materie des entsprechenden Gesetzes, der sich die Strafvorschriften unterordneten. Ein geschlossenes strafrechtssystematisches Konzept lag der Entwicklung, wie gerade ihr Beginn zeigt, nicht zu Grunde.4

1

Frassati, 'ZBtW 15 (1895), S. 414.

2 Diesem Entstehungsgrund sind etwa die Vorschriften des Aktienrechts zuzuordnen; siehe unten in diesem Kapitel Alt. b). 3 In diese Kategorie lassen sich etwa die Untreuetatbestände einordnen, die ungetreues Verhalten versicherungspflichtiger Arbeitgeber zum Nachteil der Versicherten unter Strafe stellten; siehe dazu unten in diesem Kapitel A 11 2.

4 Anders interpretierte offenbar Hellmuth Mayer (Untreue, S. 74 ff) die geschichtliche Entwicklung. Die Entwicklung der nebenstrafrechtlichen Tatbestände diente ihm als eines der tragenden Argumente für die Begriindung seiner "Treubruchstheorie". Er meint nämlich, der Geschichte entnehmen zu können, dem Gesetzgeber habe ein Begriff der Untreue "vorgeschwebt", der "als Vermögensbeschädigung mit irgendwelchen Mitteln bei der Erledigung

2. Kapitel Gesellschaftsrechtliche Untreuetatbestände

41

Soweit in der späteren Entwicklung Vereinheitlichungstendenzen erkennbar werden, lassen sie sich eher auf die legislatorische Technik zurückführen, schon bestehende Vorbilder zu übernehmen, als daß sie Indiz für eine systematische Entwicklung des Untreuestrafrechts wären. Die adäquate Darstellungsform wäre von daher eine historisch-chronologische Aufzeichnung der Entwicklung. Wenn hier dennoch eine klassifIzierende Darstellung gewählt wird, so nicht, um der Entwicklung aus der Retrospektive bestimmte Tendenzen zu unterlegen, sondern um mit Blickrichtung auf die heutige Situation das Bild der Probleme zu skizzieren, die die gesellschaftsrechtliche Untreue in Bezug auf TäterqualifIkation (Beziehungen Täter/Vermögen und Täter/Opfer), Tathandlung und Schutzobjekt (Beziehung Opfer / Vermögen) von jeher aufwarf und deren entwicklungsgeschichtliche Lösungen Spiegelbild der fall typischen Probleme sind, deren Lösung heute in vollem Umfang dem § 266 StGB überlassen wird. A. Täterqualifikation

Die TäterqualifIkation wurde und wird durch die Beziehung des Täters zum geschützten Vermögen(sträger) definiert. Bei den besonderen Tatbeständen der gesellschaftsrechtlichen Untreue lassen sich grobzweiAnen von Beziehungen feststellen: die Beziehung des tauglichen Täters zu der Organisation, in die er eingebunden ist, und die Beziehung zu Einzelpersonen und ihrem Vermögen, die ihrerseits - sei es als Gläubiger, sei es als Mitglieder - zu der vom Täter repräsentierten Organisation in Beziehung stehen. I. Untreue zum Nachteil von Organisationen Betrachtet man die Entwicklung der nebenstrafrechtlichen Untreuebestimmungen bis 1933 als Block, so lassen sich in Bezug auf die Kategorisierung der tauglichen Täter einer Untreue zum Nachteil einer Organisation wiederum zwei Stränge unterscheiden: die Organ untreue und die Untreue auf Grund bestimmt umschriebener anderer Sonderbeziehungen zum geschützten Vermögen oder ihrem Träger.

aufgetragener Geschäfte unter Bruch eines besonderen Vertrauensverhältnisses" umschrieben werden könne.

42

1. Teil Historisches Material

1. Organuntreue

Da sich die Tatbestände jeweils nur auf den Geltungsbereich des Spezialgesetzes bezogen und die jeweiligen organisationsrechtlichen Besonderheiten auch in den Strafbestimmungen ihren Niederschlag fanden, sollen die einzelnen Tatbestände im folgenden branchenspezijisch zusammengefaßt dargestellt werden. a) Sozialversicherungsrecht

Die - auch zeitlich - erste Gruppe der Untreuetatbestände des Nebenstrafrechts läßt sich rechtstechnisch als Erweiterung der Katalogfassung des § 266 Abs. 1 Ziff. 1 und 3 StGB erfassen. Nach Aufzählung der Organe bzw. ihrer Mitglieder wurde unmittelbar auf § 266 StGB verwiesen. 5 Dabei wurde die TäterqualifIkation mit Blick auf § 266 Abs. 1 Ziff. 1 und 3 StGB teilweise in zwei Stufen geregelt: Es wurde zunächst der Haftungsumfang der aufgezählten Organmitglieder so charakterisiert, daß sie "der Genossenschaft", 6 "der Kasse", 7 "der Versicherungsanstalt" 8 oder "dem Versicherungsträger" 9 haften "wie Vormünder ihren Mündeln". 10 Mit dieser Gleichsetzung wurde die materielle Legitimation für eine Unterwerfung der genannten Organe unter die Strafvorschrift des § 266 Abs. 1 Ziff. 1 StGB geschaffen, dessen Handlungsbeschreibung weiter reichte als die der Ziffer 2 und gerade nicht auf "Verfügung über Forderungen und andere Vermögensstücke" beschränkt war. In einem zweiten Schritt wurde dann - anfangs unter erneuter Aufzählung der einzelnen Organe und ihrer Mitglieder, später durch Verweisung - bestimmt,

5 § 34 Abs. 2 HilfskassenG vom 7.4.1876 (Anhang Rz. 19.1.1»; § 42 Abs. 3 KrankenversG vom 15.6. 1883 (Anhang Rz. 4.1); § 26 Abs. 2 UnfaliversG vom 6. 7. 1884 (Anhang Rz. 18.1.1); § 31 Abs. 2 land- und forstwirtseh. UnfaliversG vom 5.5. 1886 (Anhang Rz. 18.2.1); § 32 Abs. 2 SeeunfaliversG vom 13. 7. 1887 (Anhang Rz. 18.4.1); § 59 Abs. 2 InvaliditätsversG vom 22. 6. 1889 (Anhang Rz. 5.1). 6 § 26 Abs. 1 UnfaliversG (Anhang Rz. 18.1.1); § 45 GewerbeunfaliversG vom 30. 6. 1900 (Anhang Rz. 18.1.2); § 31 Abs. 1 land- und forstwirtsch. UnfaliversG vom 5. 5. 1886 (Anhang Rz. 18.2.1) und § 47 des vorgen. Gesetzes in der Fassung vom 30. 6. 1900 (Anhang Rz. 18.2.2); § 32 Abs. 1 SeeunfaliversG vom 13. 7. 1887 (Anhang Rz. 18.4.1) und § 45 des vorgen. Gesetzes in der Fassung vom 30. 6. 1900 (Anhang Rz. 18.4.2).

7

§ 42 Abs.1 KrankenversG (Anhang Rz. 4.6).

8

§ 59 Abs. 1 InvaliditätsversG (Anhang Rz. 5.1).

9

§ 23 Abs. 1 S. 1 RVO vom 19. 7. 1911 (Anhang Rz. 15.1).

10

Hervorhebungen von Verf.

2. Kapitel Gesellschaftsrechtliche Untreuetatbestände

43

daß diese Personen der Bestimmung des § 266 StGB unterliegen, wenn sie "absichtlich zum Nachteil" der entsprechenden Organisationen handeln. Alle Versicherungsträger, deren Vermögen durch besondere Tatbestände gegen Untreue geschützt waren, waren korporativ verfaßt und rechtsfähig. Als taugliche Täter qualifIZierten die ersten Versicherungsgesetze in der geschilderten Weise folgende Personen: - Mitglieder des Vorstandes; 11 - Mitglieder des Ausschusses; 12 - Mitglieder des Aufsichtsrats; 13 _ Vertrauensmänner; 14 - Mitglieder einer örtlichen Verwaltungsstelle; IS - Liquidatoren. 16 Die Liste zeigt, daß eine deutliche Trennung zwischen geschäftsführenden und aufsichtsführenden Organen nicht durchgehalten wurde. Teils wurde die Strafdrohung auf geschäftsführende Organe beschränkt: die Mitglieder des Vorstandes, die Vertrauensmänner 17 sowie die Mitglieder einer örtlichen Verwaltungsstelle. 18 Teils wurde sie auf aufsichtsführende Organe wie den

11 § 42 KrankenversG (Anhang Rz. 4.6); § 59 InvaliditätsversG (Anhang Rz. 5.1); § 26 UnfallversG (Anhang Rz. 18.1.1); § 31 land- und forstwirtsch. UnfallversG (Anhang Rz. 18.2.1); § 32 SeeunfallversG (Anhang Rz. 18.4).

12

§ 59 InvaliditätsversG (Anhang Rz. 5.1).

13

§ 59 InvaliditätsversG (Anhang Rz. 5.1).

14 § 59 InvaliditätsversG (Anhang Rz. 5.1); § 26 UnfallversG vom 6. 7. 1884 (Anhang Rz. 18.1.1) sowie § 45 in der Fassung vom 30. 6. 1900 (Anhang Rz. 18.1.2); § 31 land- und forstwirtsch. UnfallversG vom 5. 5. 1886 (Anhang Rz. 18.2.1) sowie § 47 in der Fassung vom 30. 6. 1900 (Anhang Rz. 18.2.2); § 32 SeeunfallversG vom 13. 7. 1887 (Anhang Rz. 18.4.1) sowie § 45 in der Fassung vom 30. 6. 1900 (Anhang Rz. 18.4.2).

IS

§ 34 Abs. 1 Hilfskassengesetz vom 1. 6. 1884 (Anhang Rz. 19.1.2).

16 § 106 des Gesetzes über die privaten Versicherungsuntemehmungen vom 12. 5. 1901 (Anhang Rz. 19.2.1). 17 Die Vertrauensmänner waren "örtliche Genossenschaftsorgane", d. h. die geschäftsführenden Organe örtlich abgegrenzter Sektionen der jeweiligen Genossenschaften; vgI. etwa § 19 Abs. 1 i. V. m. § 23 Abs. 2 UnfallversG vom 6. 7. 1884.

18 Deren Geschäftsführungsbefugnisse waren jedoch in der Regel gesetzlich beschränkt. V gI. etwa §§ 19a und b des HilfskassenG in der Fassung vom 1. 6. 1884: Erhebung, Verwahrung und Anlage von Beiträgen bis zur Höhe einer durchschnittlichen halben Jahresausgabe, vorbehaltlich anderweitiger Verfügung des Vorstandes.

44

1. Teil Historisches Material

Aufsichtsrat und den Ausschuß 19 ausgedehnt. Teils wurden darüber hinaus die Liquidatoren als geschäftsführende Organe eines in Liquidation befmdlichen Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit bzw. einer Versicherungsgesellschaft auf Aktien ausdrücklich genannt. Soweit das nicht der Fall war, war man sich jedoch darüber einig, daß die im übrigen genannten Organe auch nach Beschluß über die Auflösung der durch sie vertretenen "Kasse" als Liquidatoren der Strafdrohung unterlagen. 2D Eine Begründung für die unterschiedliche Reichweite der versicherungsrechtlichen Untreuetatbestände in den einzelnen Versicherungsgesetzen läßt sich den Materialien nicht entnehmen. Beginnend mit dem Invalidenversicherungsgesetz begnügten sich die späteren Fassungen der Versicherungsgesetze (Reichsversicherungsordnung, durch Verweisung auf sie auch das Reichsknappschaftsgesetz, das Angestelltenversicherungsgesetz, das Versicherungsaufsichtsgesetz sowie das Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung) damit, "die Mitglieder der Organe" 21 bzw. "die Mitglieder des Vorstandes oder des Aufsichtsrats oder ähnlichen Organs" 22 der Strafdrohung wegen Untreue zu unterwerfen, ohne die Tätergruppen noch gesondert aufzuschlüsseln. b) Handelsrecht

Art. 249 der Aktiennovelle vom 18. 7. 1884 13 wurde als eine erste Untreuevorschrift in das Handelsgesetzbuch eingefügt. Sie bezog sich auf den Schutz des Vermögens von Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien, also - wie im Sozialversicherungsrecht - solcher Organisationen,

19 § 19 Hilfskassengesetz in der Fassung vom 1. 6. 1884 bestimmte, daß dem Vorstand "zur Überwachung der Geschäftsleitung ein Ausschuß zur Seite gesetzt werden" konnte, der durch die Generalversammlung zu wählen war. 20 RG v. 20. 9. 1886, Reger VII, S. 384; Petersen, Krankenversicherungsgesetz, 6. Aufl., § 42 Anm. 6 b.

21 § 93 InvalidenversG vom 13. 7. 1899 (Anhang Rz. 5.3); § 23 RVO (Anhang Rz. 15.1, 15.7, 15.10); § 268 des Gesetzes über die Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vom 16. 7. 1927 (Anhang Rz. 6.1). 22 § 106 des Gesetzes über die privaten Versicherungsunternehmen vom 12.5.1901 (Anhang Rz. 19.2.1); in späteren Fassungen heißt es dann sogar nur noch "oder einer ähnlichen Stelle"; vgl. § 135 des Gesetzes über die Beaufsichtigung der privaten Versicherungsunternehmungen und Bausparkassen vom 6. 6. 1931 (Anhang Rz. 7.1 und 19.2.4).

13 In der Fassung vom 18. 7. 1884; diese sowie die insoweit gleichlautenden Nachfolgetatbestände siehe Anhang Rz. 2.1 - 2.6.

2. Kapitel Gesellschaftsrechtliche Untreuetatbestände

45

denen Rechtsfähigkeit verliehen war. Auch gesetzestechnisch entsprachen sie den späteren Fassungen der versicherungsrechtlichen Tatbestände: die tauglichen Täter wurden in Anlehnung an § 266 Abs. 1 Ziff. 1 und 3 StGB abschließend aufgezählt. Ein Motiv für die Einführung dieser Straftatbestände war es, genau die Schwierigkeiten zu beheben, die die Anwendung des § 266 StGB auf den aufgeführten Personenkreis bereitete. Es sollte "zweifelsfrei" 2A feststehen, daß "persönlich haftende Gesellschafter, Mitglieder des Aufsichtsrats und Liquidatoren einer Kommanditgesellschaft auf Aktien" und "Mitglieder des Vorstandes und des Aufsichtsrats und Liquidatoren einer Aktiengesellschaft" Adressaten dieser Untreuevorschrift sein sollten. Erst 1933 wurde § 81a GmbHG eingeführt, :15 der die Untreue als "Geschäftsführer, Liquidator oder Mitglied eines Aufsichtsrats oder eines ähnlichen Organs" zum Nachteil der GmbH unter Strafe stellte, obwohl die Notwendigkeit, einen besonderen Tatbestand zu schaffen angesichts der gleichzeitigen Neuregelung des § 266 StGB weniger einsichtig war, als unter Geltung des § 266 StGB a. F .. 26 Soweit rekonstruiert werden kann, wollte der Gesetzgeber auf die besondere generalpräventive Wirkung der in den Gesellschaftsgesetzen normierten Untreuebestimmungen nicht verzichten und mit dem § 81a einen Tatbestand in das GmbHG einfügen, "wo bisher eine besondere Untreuebestimmung fehlte und schmerzlich vermißt wurde.,,27 c) Genossenschaftsrecht

Im Jahre 1889 wurde mit § 140 des Gesetzes betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften 28 eine dem Art. 249 HGB wortgleiche Untreuenorm für "Mitglieder des Vorstandes, des Aufsichtsrats und Liquidatoren" einer Genossenschaft eingeführt. Auch diese Vorschrift schützte das Vermögen einer juristischen Person vor schädigendem Verhalten derselben Organtypen, wie Art. 249 HGB sie für die Aktiengesellschaft aufführte.

2A

Ygl. Busch, Arch. f. deutsch. Handelsr., Bd. 44, S. 380.

:15

Durch Gesetz vom 26. 5. 1933 (Anhang, Rz. 11.1).

26

Darauf weist selbst Schäfer (DJZ 1933, 795) hin, der als "Autor" dieses Gesetzes gilt.

27

Schäfer, DJZ 1933, S. 795.

28 § 140 des Gesetzes betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften vom 1. 5. 1889 (Anhang Rz. 10.1).

1. Teil Historisches Material

46

2. Sonstige täterqualijizierende Beziehungen zur Organisation Die nebenstrafrechtlichen Untreuebestimmungen dehnten die Strafbarkeit teils über die Organe hinaus auf besondere Tätergruppen aus, die auf Grund der organisationsrechtlichen Eigenarten der betreffenden Körperschaft oder Gesellschaft Zugriff auf deren Vermögen hatten. Im Versicherungsrecht sind in diesem Zusammenhang vor allem die Strafbestimmungen zu nennen, die sich auf Betriebs- oder Fabrikkassen beziehen. Deren organisatorische Sonderstellung (Verwaltung unter Verantwortlichkeit des Betriebs- bzw. Fabrikinhabers, jedoch unter Absonderung des Kassenvermögens) machte eine Reihe auch organisationsrechtlich eigenartiger Regelungen notwendig, weil die Verantwortung gerade nicht (nur) bei den "Organen" lag. Die Strafbestimmungen nannten deshalb neben den Organen auch folgende Personen: - Rechnungs- und Kassenführer; 29 - geschäftsleitende Beamte und Angestellte der Kassen und Kassenverbände; 30 - Arbeitgeber (in der Eigenschaft als Leiter einer Betriebskrankenkasse). 31 Diese Personen zeichneten sich dadurch aus, daß sie, ohne von einer General- oder Vollversammlung der Genossen bzw. Kassen- (Vereins-) Mitglieder gewählt worden zu sein, kraft eigener Kompetenz (Arbeitgeber als Errichter einer Betriebskrankenkasse) oder im Wege der Delegation ehrenamtlich (Rechnungs- und Kassenführer) oder kraft Anstellungsvertrages (geschäftsleitende Angestellte) besondere Befugnisse hinsichtlich der Vermögensverwaltung ihrer Kasse besaßen. Für den Arbeitgeber als Errichter oder Leiter einer Betriebskasse war eine KlarsteIlung geboten, weil seine Position als "Bevollmächtigter" der Kasse i. S. d. § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB zweifelhaft war. Seine Verantwortlichkeit und die Grundlagen seiner Befugnisse konnten nicht in allen Fällen auf eine "Bevollmächtigung" oder einen Auftrag zurückgeführt werden. Er war für die

29

§ 42 KrankenversG (Anhang Rz.4.1).

30 § 535 RVO (Anhang Rz. 15.3); § 189 Abs. 2 RKnappschG vom 23. 6. 1923 (Anhang Rz. 14.1) sowie § 233 Abs. 2 der Fassung vom 1. 7. 1926 (Anhang Rz. 14.2).

31

wie Fn. vor.

2. Kapitel Gesellschaftsrechtliche Untreuetatbestände

47

Errichtung des Statuts selbst verantwortlich, nahm also insoweit die Aufgaben des Gründers der Kasse wahr, die ihrerseits den Status einer juristischen Person erlangte. 32 Je nach Statut konnte er darüber hinaus "geborenes" Mitglied des Vorstandes oder Vorsitzender der Generalversammlung sein. 33 Die Verantwortlichkeit für die Geschäftsführung traf ihn kraft Gesetzes. Für die übrigen genannten Personen hätte die Bevollmächtigteneigenschaft im Sinne des § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB auch ohne besondere Regelung unmittelbar aus der Übertragung des entsprechenden Aufgabenkreises hergeleitet werden können. Hier lag das Problem jedoch darin, daß bei den Betriebskassen der "Auftraggeber" (Arbeitgeber als verantwortlicher Leiter) des "Bevollmächtigten" und der zu betreuende Vermögensinhaber ("die Betriebskrankenkasse") personenverschieden sein konnten. Dies hätte zu Schwierigkeiten bei der unmittelbaren Anwendung des § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB führen können, weil danach im Einzelfall auf ein abgeleitetes Bevollmächtigungsverhältnis abzustellen gewesen wäre (Befugnis des Arbeitgebers als Bevollmächtigter der Kasse zur Erteilung von Untervollmachten in Abgrenzung zum Recht des Arbeitgebers, in dieser Eigenschaft andere für sich selbst zu bevollmächtigen).

3.

~usar.nr.nenfassung

Gegen Organuntreue war durch nebenstrafrechtliche Untreuetatbestände nur das Vermögen solcher Organisationen geschützt, die korporativ verfaßt waren und den Status einer juristischen Person besaßen. Untreue zum Nachteil von Organisationen konnten nach den Spezialbestimmungen des Nebenstrafrechts folgende Tätergruppen begehen:

- Mitglieder von Geschäftsführungsorganen - Mitglieder von Kontrollorganen - Liquidatoren - geschäftsleitende Angestellte - Rechnungs- und Kassenführer.

Keiner der zuvor skizzierten Tatbestände nannte jedoch alle Tätergruppen, obwohl die Organisationen, für deren Organe die jeweiligen Spezialtatbestände galten,jeweils über alle vorgenannten Kategorien von Organen verfügten. Die Inkonsistenz der Tatbestände kann, da auch sonstige sachliche Gründe für eine

32

§ 64 Abs. 1 i. V. m. § 25 KrankenversG v. 15. 6. 1883.

33

Vgl. etwa § 64 Zirr. 1 - 3 KrankenversG vom 15.6. 1883.

6 NeUe,

1. Teil Historisches Material

48

Differenzierung nicht erkennbar sind, nur damit erklärt werden, daß ihnen kein geschlossenes theoretisches Konzept zu Grunde lag. Es blieb deshalb in Bezug auf die jeweils nicht genannten Tätergruppen der Rechtsprechung und Literatur überlassen, die offenen Fragen zu klären. 34 - Wurden lediglich geschäftsführende Organe, nicht aber Kontrollorgane in den einschlägigen Tatbeständen als taugliche Täter genannt, war deren Strafbarkeit nach der Spezialnorm zweifelhaft. Es mußte entschieden werden, ob der Spezialtatbestand anwendbar war oder ob, wenn nicht, auf § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB zurückgegriffen werden konnte, 35 um zu vermeiden, daß gerade die vervollständigenden Untreuenormen zu neuen Friktionen führten, wenn sie als abschließend begriffen wurden. - Soweit Mitglieder der Geschäftsführungs- und Kontrollorgane ausdrücklich genannt waren, stellte sich das Problem der strafrechtlichen Haftung ihrer Stellvertreter, die in den Katalog nicht aufgenommen waren. Soweit Liquidatoren nicht aufgeführt wurden, war die Frage zu beantworten, ob sie als geschäftsführende Organe der in Liquidation befmdlichen Gesellschaften, Genossenschaften, Vereine oder Anstalten unter die entsprechenden Spezialgesetze fielen oder ob für sie auf § 266 StGB zurückzugreifen war. Die gleiche Frage war für geschäftsleitende Angestellte zu lösen, soweit sie nicht ausdrücklich genannt waren. - Ungelöst blieb schließlich in allen Tatbeständen auch die Frage, ob faktische Organe als taugliche Täter in Betracht zu ziehen waren. Das Problem fächerte sich auf in die Frage der Tätertauglichkeit von Mitgliedern der Organe einer Gesellschaft in Gründung sowie nach den rechtlichen Wirkungen unwirksamer Bestellungs- oder Wahlakte und unwirksamer oderfehlerhafter Anstellungsverträge auf die Eigenschaft als Organ der geschützten Organisation.

34 Auf die in Rechtsprechung und Literatur zu diesen Problemen entwickelten Lösungen wird im Zusammenhang mit der Darstellung des Verhältnisses der Spezialtabestände zu § 266 StGB eingegangen; dazu unten Teil 1, 3. Kapitel, B 11.

35

So die Rechtsprechung; näher dazu unten Teil 1, 3. Kapitel, B 11.

2. Kapitel Gesellschaftsrechtliche Untreuetatbestände

49

11. Untreue zum Nachteil natürlicher Personen Schützten die zuvor skizzierten Tatbestände des Nebenstrafrechts die Körperschaft oder Gesellschaft vor schädigendem Verhalten ihrer Organe oder sonst Verantwortlichen, so wurde in einigen Fällen davon abweichend das Handeln zum Nachteil nicht der Organisation, sondern ihrer Mitglieder pönalisiert. Auch diese Tatbestände lassen sich zunächst nach Tätergruppen (Organe, sonstige täterqualiftzierende Beziehungen) unterteilen. 1. Organuntreue

a) Allgemeine Organe

Lediglich im Gesetz über die Beaufsichtigung der privaten Versicherungsunternehmungen und Bausparkassen 36 fand sich eine Vorschrift, die eine spezielle Handlungsweise der allgemeinen Organe zum Nachteil von Bausparern, also einzelner Personen, unter Strafe stellte: Vorstandsmitglieder, persönlich haftende Gesellschafter, Geschäftsführer und Liquidatoren machten sich strafbar, wenn sie zum Nachteil eines oder mehrerer Bausparer bei der Zuteilung von Baudarlehen vom Geschäftsplan abwichen (§ 136 Abs. 1 VAG). Die Vorschrift stellt insofern eine Besonderheit dar, als sie ein zweistufiges Treueverhältnis der Organe voraussetzt: Die Organe "der Bausparkasse" als juristischer Person hätten nach dem bisher bereits erkennbaren allgemeinen Muster der speziellen Untreuevorschriften als "Bevollmächtigte" nur dieser, nicht aber ihren Mitgliedern gegenüber treuepflichtig sein können. § 136 Abs. 1 VAG erklärt sich aber vor dem Hintergrund des Fehlens einer dem heutigen § 14 StGB entsprechenden allgemeinen Norm. Sie trug folgendem Grundgedanken Rechnung: Der Geschäftsplan hatte anzugeben, unter welchen Voraussetzungen Baudarlehen zugeteilt werden und wann die Zuteilung erfolgt (§ 116 Abs. 2 Nr. 4 VAG). Er schaffte deshalb in diesem Punkt einen Vertrauenstatbestand für die Bausparer im Verhältnis zur Bausparkasse, auf den sie ihre eigenen fmanziellen und vermögensrechtlichen Planungen und Transaktionen einrichten konnten. Die Bausparer sollten hier also offenbar nicht in ihrer rechtlichen Position als Mitglieder der Bausparkasse, sondern als deren Gläubiger geschützt werden. Das aber heißt auch, daß die Organe in ihrer Eigenschaft als Vertreter "der Bausparkasse" für ein bestimmtes

36

Vom 6. 6. 1931 (Anhang Rz. 7.2).

50

1. Teil Historisches Material

treuwidriges Verhalten eben dieser Kasse zum Nachteil ihrer Gläubiger der Strafdrohung ausgesetzt wurden. Soweit daneben in § 136 Abs. 1 VAG 1931 "Bevollmächtigte" der Bausparkasse als taugliche Täter der speziellen Untreuehandlung genannt wurden, sollte damit nicht auf § 266 Abs. 1 Ziff 2 StGB (Bevollmächtigtenuntreue) Bezug genommen werden. Vielmehr erschien die Aufnahme dieser Personenkategorie in die Aufzählung der tauglichen Täter notwendig, um auch im Inland tätige Leiter ausländischer Versicherungsunternehmen erfassen zu können, deren Hauptbevollmächtigte nicht notwendig zu den übrigen in § 136 Abs. 1 VAG aufgezählten Organen gehörten. 37 b) Spezielle Organe

Im Hypothekenbankgesetz vom 13. 7. 1899 gab es keine Vorschrift, die ungetreues Verhalten der allgemeinen Organe zum Nachteil der Bank oder ihrer Teilhaber unter Strafe stellte. Diese war auch entbehrlich, denn Hypothekenbanken konnten nur in der Rechtsform der Aktiengesellschaft oder der Kommanditgesellschaft auf Aktien betrieben werden (§§ 1, 2 HypbankG), deren Organe ohnehin der Strafvorschrift des (damaligen) Art. 249 ADHGB bzw. des (nachfolgenden) § 312 HGB 38 unterlagen. In § 36 HypbankG 39 wurden jedoch "Treuhänder, die absichtlich zum Nachtheile der Pfandbriefgläubiger handeln," der Bestrafung nach § 266 des Strafgesetzbuchs unterworfen. Der Treuhänder war ein besonderes Kontrollorgan, das "nach Anhörung der Hypothekenbank" von der Aufsichtsbehörde bestellt wurde (§ 29 HypbankG). Er war verpflichtet, darauf zu achten, daß "die vorschriftsmäßige Dekkung für die Hypothekenpfandbriefe jederzeit vorhanden" war (§ 30 HypbankG). Hypotheken und Wertpapiere sowie das zur Deckung der Hypothekenpfandbriefe bestimmte Geld waren unter "Mitverschluß der Bank" von ihm zu verwahren (§ 31 HypbankG). Zur Erfüllung seiner Aufgaben standen ihm überdies eine Reihe von Informations- und Einsichtsrechten zu, die im wesentlichen den Kontrollbefugnissen der Aufsichtsbehörde (§ 4 HypbankG) entsprachen. Da sich die Ansprüche der Pfandbriefgläubiger gegen das Vermögen der Bank richteten und die Deckungsreserven der Bank der vorrangigen (§ 35 HypbankG) Befriedigung dieser Gläubiger dienen sollten, begründete ein Verstoß

37

Vgl. Fromm/Goldberg, VAG, § 136 Anm. 2 i. V. m. § 140 Anm. 2 I.

38

Anhang Rz. 2.1 und 2.2.

39

Anhang Rz. 12.1.

2. Kapitel Gesellschaftsrechtliche Untreuetatbestände

51

gegen die Deckungsvorschriften zwar immer die Gefahr der Entwertung der Ansprüche der Pfandbriefgläubiger, nicht aber zwingend auch eine Gefahr für das (sonstige) Vermögen der Bank selbst. Der Treuhänder war also ein spezielles Organ, dessen Funktion darin bestand, die Vermögensinteressen derjenigen Gläubiger der Bank wahrzunehmen, denen gegenüber "die Bank" selbst - nach heutiger Terminologie - vermögensbetreuungspflichtig war. Dieselbe Konstruktion wurde 1933 in das Schiffsbankgesetz aufgenommen.4o Eine dem Vorbild des Hypothekenbankgesetzes entsprechende Regelungsstruktur wies auch das Versicherungsaufsichtsgesetz von 1931 auf. 41 In § 138 VAG wurden als taugliche Täter einer Untreue zum Nachteil von Versicherten genannt: - Treuhänder, die zur Überwachung eines Deckungsstocks bestellt sind und - ihre Stellvertreter.42 Auch bei diesen Personen handelte es sich um besondere Kontrollorgane, die dem Treuhänder nach § 29 HypbankG nachgebildet waren. Sie wurden mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde von dem Aufsichtsrat bestellt. Ihre Aufgabe bestand darin, die Geschäftsführung des Vorstandes in Ansehung der Prämienreserven zu kontrollieren; der Vorstand durfte unbeschadet seiner Geschäftsführungsbefugnisse über die Prämienreserven nur mit Zustimmung des Treuhänders verfügen. 43 Da die Ansprüche der Versicherten sich zwar gegen die Versicherung aber auf den Prämienreservefonds richteten, 44 berührte ein Verstoß gegen die Vorschriften über die Anlage von Prämienreserven und deren ordnungsgemäße Verwendung immer die Vermögensinteressen der Versicherten selbst, nicht aber in jedem Fall auch die Vermögensinteressen der Bausparkasse bzw. des Versicherungsvereins.

40

Anhang Rz. 17.1.

41

In der Fassung vom 6. 6. 1931 (RGB!., 315).

42

§ 138 (Anhang Rz. 19.2.6).

43

Vgl. die zusammenfassende Darstellung der ReChtslage in RT-Drucks. 1930, Nr. 848, S.

18 f.

44 Die Materialien verhalten sich insoweit allerdings unklar; teils wird von einer "Beteiligung" der Versicherten an dem Reservefonds gesprochen (Begr. zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die privaten Versicherungsuntemehmungen, RT-Drucks. 1930, Nr. 848, S. 18), teils ist nur von den Ansprüchen der Versicherten gegenüber dem Prämienreservefonds die Rede (a.a.O.). - Die früheren Fassungen des VAG behandelten die Versicherten lediglich im Konkursfall alsbevorrechtigte "Gläubiger" des Prämienreservefonds (vgl. dazu die Begründung zum Entwurf eines Versicherungsaufsichtsgesetzes, RT-Drucks. 1900, Nr. 5).

52

1. Teil Historisches Material

In diesen Regelungszusammenhang gehört ferner § 136 Abs. 2 VAG 45, der Vertrauensleute der Bausparkassen oder Mitglieder eines Ausschusses nach § 119 VAG unter Strafe stellte, wenn sie ganz allgemein zum Nachteil von Bausparern handelten. c) Zusammenfassung

Zusammenfassend lassen sich diese Regelungen wie folgt charakterisieren: Die Konstruktion des Treuhänders im Hypotheken- und Schiffsbankgesetz sowie im Versicherungsaufsichtsgesetz trug zum einen der Tatsache Rechnung, daß die Vermögensinteressen juristischer Personen möglicherweise mit denen ihrer Mitglieder, jedenfalls aber denen ihrer Gläubiger nicht zwangsläufig parallel laufen, sondern im Einzelfall sogar miteinander kollidieren können. Der Treuhänder war das Organ, das nur im Interesse der Versicherten und Bausparer bzw. der Pfandbriefgläubiger und nur zur Wahrung ihrer Vermögensinteressen bestellt wurde, während die Geschäftsführungs-und Kontrollorgane im übrigen - jedenfalls in erster Linie - der Bank, der Bausparkasse oder dem Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit verpflichtet waren. Zum anderen nahm der Treuhänder aber auch Aufgaben wahr, die an sich der staatlichen Aufsicht oblagen, indem er durch dauernde Überwachung präventiv tätig wurde, wo die Aufsichtsbehörden erst einschreiten konnten, wenn Schäden bereits eingetreten waren.46 Die Untreuebestimmungen für Treuhänder sind auf dem Hintergrund dieser organisationsrechtlichen Aufgabenzuweisung zu verstehen. Ihre Funktion wies Ähnlichkeit mit denjenigen Aufgaben auf, die von den Tätern der in § 266 Abs. 1 Ziff. 3 StGB genannten Gruppe wahrgenommen wurde. 47 Besonderer Vorschriften bedurfte es, weil der Treuhänder dort nicht aufgeführt war, § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB nicht angewandt werden konnte, denn der Treuhänder war nicht unmittelbar durch die Gläubiger oder Versicherten beauftragt oder bevollmächtigt worden, und weil eine dem heutigen § 14 Abs. 2 Ziff. 2 StGB entsprechende Regelung fehlte. Die Tatsache, daß im Straftatbestand des Güngeren) Versicherungsaufsichtsgesetzes - im Gegensatz zum Hypothekenbankgesetz - die Stellvertreter des

45

Anhang Rz. 19.2.5.

46

RT-Drucks. 1930, Nr. 848, S. 18f.

47

Siehe oben Einleitung zu Teil 1.

2. Kapitel Gesellschaftsrechtliehe Untreuetatbestände

53

Treuhänders ausdrücklich genannt wurden, obwohl auch dort die Bestellung eines Vertreters für den Treuhänder vorgeschrieben war (§ 29 Abs. 1 HypbankG), kann hier als Indiz dafür verwendet werden, daß die älteren Untreuevorschriften sich in der Praxis alsbald als lückenhaft erwiesen hatten. Die Vertreter des Treuhänders nach dem Hypothekenbankgesetz waren noch über den Weg einer - bedenklichen - extensiven Auslegung in den Anwendungsbereich der Vorschrift aufgenommen worden.

2. Sonstige täterqualijizierende Beziehungen Der Vollständigkeit halber sei schließlich noch eine letzte Kategorie von untreueverwandten Tatbeständen aufgeführt, die zwar in keinem unmittelbaren Bezug zur gesellschaftsrechtlichen Untreue mehr steht, auf die jedoch als Interpretationshilfe für die übrigen Tatbestände gelegentlich zurückgegriffen wird.

a) Sozialversichenmgsrecht Die nur dem Versicherungsrecht eigene, auf Gesetz beruhende Verpflichtung der Arbeitgeber, für den Versicherten und in dessen (Vermögens-) Interesse die (zu diesem Zweck vom Einkommen einbehaltenen oder vom Arbeitnehmer erhaltenen) Beiträge zur Sozialversicherung zu leisten, war strafrechtlich durch § 266 StGB nicht abgesichert. Diese Pflicht ließ sich weder auf eine "Bevollmächtigung" durch den Arbeitnehmer oder den Versicherungsträger zurückführen, noch konnte sie als gesetzlicher Auftrag verstanden werden, über "Forderungen und Vermögensstücke" des (Versicherten oder Versicherers) zu verfügen. Da auch § 263 StGB nicht anwendbar war, 48 weil es an einer irrtumsbedingten Verfügung des Arbeitnehmers oder des Versicherungsträgers fehlte, wurden dafür selbständige Tatbestände geschaffen, die teilweise im heutigen § 266a StGB aufgegangen sind. 49 Die täterschaftsbegründende "Sonderbeziehung" zum (Vermögen des) Versicherten bestand in dem Arbeitsverhältnis und setzte weiter voraus, daß der Arbeitgeber entweder auf Grund gesetzlicher Verpflichtung Beitragsteile (zur Versicherung des Arbeitnehmers) vom Lohn abgezogen bzw. einbehalten oder

48

vgI. RGSt 33, 342; Petersen, KrankenversG, § 82b Anm. 1 a).

49

Anhang Rz. 1.7.

1. Teil Historisches Material

54

von seinem Arbeitnehmer zum Zwecke der Zahlung an den Versicherungsträger erhalten hatte. 50

b) Börsenrecht Schließlich wurden in das Börsen- und in das Depotgesetz 51 weitere untreueverwandte Vorschriften aufgenommen. Sie setzten zunächst eine bestimmte handelsrechtliche Eigenschaft des Täters voraus; Täter konnte nur sein der - Kommissionär (§ 79 bzw. 95 BörsG;52 § 9 bzw. 34 DepotG 53) oder - Kilufmann (§ 9 bzw. 34 DepotG). Die Beziehung zum "Auftraggeber" wurde im Börsengesetz darüber hinaus so definiert, daß an der Bevollmächtigteneigenschaft im Sinne des § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB an sich kein Zweifel hätte bestehen können: - Der Kommissionär mußte vom Kommittenten einenAuftrag zum Abschluß oder zur Abwicklung eines Geschäftes erhalten haben (§ 79 bzw. 95 BÖrsG). Mit der Einführung dieser Vorschriften wurde daher nicht primär bezweckt, etwaige Zweifel an der Tätertauglichkeit des Kommissionärs auszuräumen, 54 sondern die Lücke zu schließen, die sich daraus ergab, daß die "Verfügung" in § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB auf "Forderungen und Vermögensstücke des Auftraggebers" beschränkt war. Anders lagen die Verhältnisse im Depot-Gesetz. Dort wurde eine täterschaftsbegründende Sonderbeziehung vorausgesetzt, die wie folgt definiert war: - Der Kommissionär mußte für den Kommittenten Wertpapiere in Besitz genommen haben (§ 9 bzw. 34 DepotG).

50 Vgi. § 82b KrankenversG vom 10. 4. 1892 (Anhang Rz. 45); § 149 InvalidenversG vom 22. 6. 1889 (Anhang Rz. 5.2), später §§ 533 (Anhang Rz. 15.2, 15.6, 15.8, 15.14) und 1492 RVO (Anhang Rz. 155, 15.9); § 270 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vom 16. 7. 1927 (Anhang Rz. 6.2).

51 Die hier der Übersichtlichkeit wegen dem Handelsrecht im weitesten Sinne zugerechnet werden. 52

§ 79 BörsG vom 22. 6. 1896 (Anhang Rz. 8.1), seit 27.5. 1908 § 95 (Anhang Rz. 8.2 - 8.4).

53 § 9 des Gesetzes betreffend die Pflichten der Kaufleute zur Aufbewahrung fremder Wertpapiere vom 5. 7. 1896 (Anhang Rz. 9.1), seit 4. 2. 1937 § 34 (Anhang Rz. 9.2 - 9.4). 54

Vgi. Steno Ber. über die Verh. d. RT, 9. Legislaturperiode, Band 151, Anlage 14, S. 33.

2. Kapitel Gesellschaftsrechtliehe Untreuetatbestände

55

- Dem Kaufmann mußten Wertpapiere zur Verwahrung oder als Pfand übergeben worden sein (§ 9); in den späteren Fassungen (§ 34) hieß es "anvertraut" sein. Diese Vorschrift sollte diejenigen Fälle erfassen, die nicht unter § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB fielen, weil es an einem Auftrag des Wertpapierinhabers oder einer wirksamen Bevollmächtigung als Grundlage des Verwahrungsverhältnisses fehlte. S5 Als "Strafbarkeitslücke" wurde dieser Umstand deshalb gewertet, weil auch der Unterschlagungstatbestand nicht in allen Fällen eingriff. So ging der Gesetzgeber davon aus, daß etwa die (treuwidrige) Verpfändung von Wertpapieren durch den Depotinhaber keine Zueignung im Sinne des § 246 StGB darstelle. 56 3. Zusammenfassung

Die Gruppe der Untreuevorschriften zum Schutze natürlicher Personen in ihrer Eigenschaft als Teilhaber, Mitglieder, Destinatäre oder Gläubiger einer Organisation (zusammenfassend im folgenden "Anspruchsberechtigte" genannt) weist nur eine grobe gemeinsame Linie auf. - Ungeschriebene Prämisse des § 136 Abs. 1 VAG war, daß die täterqualifizierende Beziehung zum Organisationsvermögen (Organeigenschaft) nicht schon per se auch eine täterqualifizierende Beziehung zum Vermögen natürlicher Personen impliziert, die zu der Organisation in vermögensrechtlicher Beziehung stehen. Einer speziellen Strafvorschrift zum Schutze von Bausparern hätte es nicht bedurft, wenn die Organeigenschaft immer auch - nach heutiger Terminologie - eine Vermögensbetreuungspflicht gegenüber den Anspruchsberechtigten der vom Täter vertretenen Organisation begründete. - Die Untreuevorschriften, die eine täterschaftsbegründende Beziehung zwischen speziellen Organen und den Anspruchsberechtigten herstellen (§§ 136 HypbankG, 138 VAG, 136 Abs. 2 VAG), beruhten auf demselben Grundgedanken. Dabei kann dahinstehen, ob die Konstruktion eines besonderen Treuhänders, dessen Aufgabe - zusammengefaßt - in der Überwachung der Geschäftspolitik zum Schutze Dritter bestand, ein gesellschaftsrechtlich gelungener Weg war, das generelle Problem der Divergenz der Vermögensinteressen einer Organisation und ihrer Anspruchberechtigten zu lösen. Indem jedoch die Verantwortung für den Schutz der Vermögens-

S5

Vgl. Steno Ber., a.a.O., S. 37.

56

Vgl. Steno Ber., a.a.O., S. 36 f.

56

1. Teil Historisches Material

interessen Dritter bereits nach den organisationsrechtlichen Regeln einem besonderen Organ übertragen wurde, konnte diese Verantwortung jedenfalls strafrechtlich in hinreichend bestimmter Weise sanktioniert werden. Die gesellschaftsrechtlich - hier versicherungsrechtlich - vorgeprägte Funktionsbeschreibung kann daher in diesen Fällen unmittelbar als Maßstab und Bezugsgröße auch für den strafrechtlichen Ptlichtenkatalog herangezogen werden, durch den die untreuespeziflsche Sonderbeziehung zum geschützten Vermögen geprägt wird. - Die §§ 9, bzw. 34 DepotG und 79 bzw. 95 Börsengesetz unterscheiden sich von der zuvor beschriebenen Konstruktion in technischer Hinsicht dadurch, daß sie neben der Bezeichnung der handelsrechtlichen Eigenschaft des Täters eine konkrete Beschreibung der Sonderbeziehung zwischen ihm und dem geschädigten Vermögen (-sinhaber) aufführen. Sie gehören deshalb in den Zusammenhang des Untersuchungsgegenstandes, weil die Beschreibung dieser Sonderbeziehung ein Indiz dafür sein könnte, daß nicht (erst) Rechtsbeziehungen des Täters zum geschützen Vermögen oder seinem Inhaber, sondern schon faktische Zugriffs- oder erleichterte Schädigungsmöglichkeiten eine untreuespeziflsche Beziehung begründen können. - Im übrigen lassen die Tatbestände dieselben Schwächen erkennen, wie die im vorhergehenden Abschnitt behandelten Regelungen über die allgemeine Organuntreue zum Nachteil der Organisationen selbst: 57 Die Frage nach der strafrechtlichen Haftung des Vertreters blieb - jedenfalls im Hypothekenbankgesetz - extra legem zu klären. Offen war ferner auch hier das Problem der Auswirkungen von Rechtsfehlern bei Gründung der juristischen Person sowie von Rechtsfehlern bei der Bestellung des Treuhänders auf seine Tätertauglichkeit. B. Tathandlungsbeschreibungen in ihrer Wechselbezüglichkeit zur Täterqualifikation Kategorisiert man die Untreuevorschriften des Nebenstrafrechts nach ihren Handlungsbeschreibungen, so lassen sich nach dem Kriterium der Bestimmtheit zwei Gruppen bilden: - Tatbestände, deren Handlungsbeschreibung der unbestimmten Fassung der Ziffern 1 und 3 StGB des § 266 StGB entsprach ("absichtlich zum Nachteil handeln");

57

Siehe oben in diesem Kapitel die Zusammenfassung zu A I 3.

2. Kapitel Gesellschaftsrechtliche Untreuetatbestände

57

- Tatbestände, deren Handlungsbeschreibung spezifischere Begehungsmodalitäten enthielt. I. Unbestimmte Handlungsbeschreibung 1. Handeln ''zum Nachteil"

In den weitaus meisten der genannten Tatbestände erschöpft sich die Beschreibung der Tathandlung wie in § 266 Abs. 1 Ziff 1 und 3 StGB darin, daß der Täter "zum Nachteil des ... (geschützten Vermögensträgers) handelt". Sinn dieser offenen Handlungsbeschreibung war es in allen Fällen, die Friktionen zu vermeiden, zu denen die Beschränkung des § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB geführt hatte, 58 der eine "Verfügung über Forderungen oder andere Vermögensstücke" voraussetzte. Die Gründe für die Erweiterung des Bereichs inkriminierter Verhaltenweisen waren kriminalpolitischer Art. Die Straftatbestände wurden als Instrumente zur Bekämpfung des GrÜDdungsschwindels, 59 in einigen Fällen zum Schutze der Öffentlichkeit als Ersatz für Konzessionszwang, einer als zu streng empfundenen Form der staatlichen Aufsicht, 60 sowie in anderen Fällen als Ergänzung zum Konzessionszwang eingeführt. 61 Zur Erreichung dieser Zwecke wurde es für geboten gehalten, die Tathandlung der des § 266 Abs. 1 Ziff. 1 StGB anzugleichen, damit insbesondere die Belastung des zu betreuenden Vermögens mit einer Verbindlichkeit oder Schuld strafrechtlich geahndet werden konnte, die von § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB nicht erfaßt wurde. 62

58 Zu § 140 GenG: Richter, GenG, 2. Aufl., S. 151; zu Art. 294 HGB (Aktiennovelle): Frassati, ZStW 15 (1895), S.417; Busch, Arch. f. deutsch. Handelsr., Bd. 44, S. 380; zu § 42 KrankenversG: Petersen, KrankenversG, 6. Aufl., § 42 Anm. 6; zu § 23 RVO: RT-Drucks. 1909/1911, Nr. 340, Begr. zu § 20 des Entwurfs.

59 V g1. die statistischen Angaben in den Steno Ber. d. RT von 1884, S. 37 zum Problem des GTÜndungsschwindels bei Aktiengesellschaften; für Genossenschaften vgl. RT·Drucks. 1888/89, Nr. 28, Begr. zu § 125 des Entwurfs (= § 140 GenG). 60 Vgl. für Aktiengesellschaften Rosenfeld, Strafrechtliche Stellung der Organe der Aktiengesellschaft, S. 11 m.w.N.; vgI. ferner dazu Schmalz, Verfassung der Aktiengesellschaft, S.36; vgl. für die Genossenschaften Maurer, Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften, Vorbem. zum Neunten Abschnitt: Strafbestimmungen. 61

Vgl. für das Versicherungsaufsichtsgesetz RT-Drucks. 1900/02, Nr. 5, S. 171 f,202.

62

Siehe oben Teil I, 1. Kapitel B 11.

58

1. Teil Historisches Material

Es erwies sich jedoch bald, daß der Gesetzgeber mit dieser offenen Formulierung nicht nur die Probleme der Fassung des § 266 Abs. 1 Ziff. 1 und 3 StGB übernommen, 63 sondern weitere geschaffen hatte. Nach dem Wortlaut der Bestimmungen stellte jedes Handeln zum Nachteil der Organisation eine tatbestandsmäßige Handlung dar. Da also besondere Handlungsmodalitäten nicht erforderlich waren, reichte zur Erfüllung des Tatbestandes jede Vemrsachung des Taterfolges aus. Um die damit einhergehende Reichweite der Tatbestände einzuschränken, konzentrierten sich die Bemühungen zunächst darauf, den Taterfolgzu präzisieren und enger zu fassen. So wurde nach anfänglichen Meinungsverschiedenheiten Einigkeit darüber erzielt, daß "zum Nachteil" handeln gleichbedeutend war mit "Vermögensbeschädigung" herbeiführen, 64 daß also nicht schon etwa jede Rufschädigung als Taterfolg ausreichte, also auch nur rufschädigendes Verhalten den Tatbestand nicht erfüllen konnte. 6S - Dieser Weg erwies sich jedoch als nur begrenzt tauglich, die Reichweite der Tatbestände zu beschneiden. Die positive Defmition des "Nachteils" als Taterfolg im Sinne des § 266 StGB sowie im Sinne der ihm nachgebildeten Vorschriften blieb weitgehend offen. Die Frage nach dem Vermögensbegriff und der Bestimmung des Vermögensnachteils gehörte zu den fortdauernd diskutierten Problemen auch des Untreuestrafrechts. 66 2. Konturiemngsbemühungen in Rechtsprechung und Literatur - das "Wesen der Untreue" Die unbestimmte Fassung des "Handelns" zum Nachteil des geschützten Fremdvermögens war und ist das Kernproblem des Untreuestrafrechts. Man war sich zwar einig, daß die Verursachung einer Vermögensbeschädigung notwendige Bedingung für eine Untreue war; gestritten wurde jedoch darüber, ob diese Bedingung auch hinreichte. Wenn die Erfolgsverursachung als tatbestandsmäßiges Verhalten zu indifferent war, dann konnten Versuche, den Begriff des ungetreuen "Handelns" zu konturieren, sich nur auf die Beziehung

63

Dazu sogleich unter 2.

64 RGSt 14,404; 16, 77 (mit ausführlicher Begründung für den Vormund; § 266 Abs. 1 Ziff. 1); 27, 40; Allfeld, Lehrbuch, 15. Aufl., S. 486; Frank, § 266 Anm. IV; Hälschner, Gemeines Deutsches Strafrecht, Bd. 11, S. 393; lisZl, Lehrbuch, § 136 11; Olshausen, 11. Aufl., § 266 Anm. 2a; Prie), Aktienrechtliche Untreue, S. 24; Schäl/gen, Strafrechtliche Verantwortlichkeit der Organe einer AG, S. 15 ff; Stenglein/Appelius/Kleinjel/er, § 312 HGB, Anm. 3; zu § 146 GenG: RGSt 49,364; 53, 173.

6S So aber Ammon, S. 44 f; ebenso Fuld, GS Bd. 39, S. 435; gegen ihn Frassati, ZStW 15 (1889), S. 417 f sowie H. Mayer, Untreue S. 143 (insbesondere Anm. 1), 144 f. 66

Dazu unten in diesem Kapitel C I.

2. Kapitel Gesellschaftsrechtliche Untreuetatbestände

59

stützen, in der der Täter zum benachteiligten Vermögen stehen mußte. Die jeweiligen tatbestandlichen Beschränkungen des Täterkreises auf Personen, die zu dem geschützten Vermögen in einer besonderen Beziehung standen, legte es nahe, die Tathandlung mit dieser Beziehung zu verknüpfen. Damit aber war die Frage aufgeworfen, worin der gemeinsame Nenner aller Beziehungen bestand, die die in § 266 Abs. 1 Ziff. 1 und 3 StGB abschließend aufgeführten Tätergruppen zu dem von ihnen zu "betreuenden" Vermögen unterhielten. Zum Problem wurde die Frage vor allem für den Begriff des "Bevollmächtigten" in § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB, der seinerseits offen und deshalb - unter Rückgriff auf die in den Absätzen 1 und 3 erfaßten Beziehungen - auslegungsbedürftig war. Dieser Fragenkreis wurde in die Frage nach dem "Wesen der Untreue" gekleidet und von zwei gegensätzlichen Standpunkten aus mit "Mißbrauch" einerseits und andererseits mit "Treubruch" beantwortet. Nach der im Schrifftum verbreiteten, 67 auf Binding 68 zurückgehenden Mißbrauchstheorie lag die Untreue in der Schädigung fremden Vermögens durch Mißbrauch einer dem Täter eingeräumten rechtlichen Machtstellung über dieses Vermögen. Für den Bevollmächtigtenbegriff folgte daraus, daß zwischen Täter und Vermögensinhaber ein rechtsgeschäftlich wirksames Vertretungsverhältnis bestehen mußte. Die Tathandlung des Mißbrauchs konnte dann nur darin bestehen, daß von dieser Macht Gebrauch gemacht wurde, obwohl nach dem Inhalt der Rechtsbeziehungen zwischen dem Vermögensinhaber und dem Täter nicht in dieser Weise gehandelt werden durfte. Die Treubruchstheorie wurde in zwei Spielarten vertreten, der rein strafrechtlichen ff} (auch Pflichtverletzungstheorie genannt) und der zivilrechtlich

67 Vgl. etwa Carrier, Untreue; Frank, 18. Aufl., Anm. 1 zu § 266; GerlantI, 2. Aufl., S. 649; Grünhut, RG-Festgabe Bd. V, 1929, S. 116 ff.; Hegler, Arch. für Rechts- und Wirtschaftsphil0sophie, 1910, S. 152; Leopold, Untreue, S. 58; Lisv/Schmidl, 25. Aufl., S. 654 f; Oberstadt, Untreue, S. 28 ff. 68

Lehrbuch, Besonderer Teil, 2. Aufl. 1902, 1. Band, S. 396 ff.

ff} So vor allem das Reichsgericht. Ursprünglich hatte es einen zivilrechtlichen Bevollmächtigtenbegriff (§ 266 Abs. 1 Ziff. 2) vertreten (RGSt 3, 283; RG Rspr. 4, 393; RGSt 7, 377). Ob es davon bereits in der Entscheidung RGSt 14, 184 abgerückt ist (so Zoller, Untreuebegriff, S. 16), wird wohl zu Recht bezweifelt (vgl. Terwey, Gestaltung der Untreuebestimmungen, S. 16 Anm. 1). Jedenfalls legte das RG seinen Entscheidungen die rein strafrechtliche Treubruchstheorie beginnend mit RGSt 20, 262 zu Grunde; vgl. RGSt 31, 436; 32, 26; 38,363; 41, 265; 58, 391; 61, 1; 61, 228, 230; 62, 15; ebenso H. Mayer Untreue, 1926, S. 244 ff; Allfeld, Lehrbuch, 8. Aufl., S. 485; Engelhardt, Untreue, S. 11; Konrad, Untreue des Bevollmächtigten, S. 7, 20, 21.

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1. Teil Historisches Material

gebundenen 70 (auch Geschäftsführungstheorie genannt). Ihr gemeinsamer Ansatz war, daß das Wesen der Untreue in einer Verletzung der dem Täter aus dem Innenverhältnis zum Vermögensinhaber obliegenden Pflicht zur Vermögensfürsorge bestehe. Die beiden Varianten unterschieden sich hinsichtlich des Bevollmächtigtenbegriffs in den Anforderungen an das Innenverhältnis. Während die Geschäftsführungstheorie nur eine nach bürgerlichem Recht gültige Rechtspflicht zur Fürsorge über das fremde Vermögen gelten ließ, erklärte die strafrechtliche Treubruchstheorie die zivilrechtliehe Gestaltung und Bewertung des Innenverhältnisses für bedeutungslos; sie sah jedes tatsächliche Vertrauensverhältnis als ausreichend an, das für den Täter eine Treuepflicht begründete. Für die Tathandlungsollte es nach beiden Varianten hinreichen, daß sie in einem inneren Zusammenhang mit dieser Pflicht stand und eine rein tatsächliche Verletzung dieses Innenverhältnisses darstellte. Dieser grundlegende theoretische Dissens wirkte sich notwendig auch auf die Auslegung der nebenstrafrechtlichen Untreuebestimmungen aus. Zwar ging es dort nicht in erster Linie um die Interpretation des "Bevollmächtigtenbegriffs", denn die Art der Beziehung zwischen dem Vermögensträger und dem möglichen Untreuetäter war materiell durch Bezugnahme auf die im jeweiligen Gesetz geregelte Organeigenschaft, technisch durch Enumeration der tätertauglichen Organe vorgegeben. Vielmehr wurde der Rekurs auf die theoretische Grundposition zum "Wesen der Untreue" hier wegen der offenen Handlungsbeschreibungen notwendig, die die Frage nach der für die Untreue generell notwendigen typischen Verletzungsweise aufwarf. Es versteht sich deshalb, daß sich in den Anforderungen an die Tathandlung einer Untreue nach den nebenstrafrechtlichen Bestimmungen die beiden gegensätzlichen Grundhaltungen widerspiegelten.

a) Die Interpretation der Tathandlung nach der Mißbrauchstheorie Ausgehend von einem Vergleich der veruntreuenden Unterschlagung mit der (Bevollmächtigten-) Untreue fanden die Vertreter der Mißbrauchstheorie zu der Differenzierung, daß der in beiden Delikten pönalisierte Vertrauensbruch zum einen ein enges Verhältnis zu der fremden Sache (§ 246 StGB), zum anderen ein enges Verhältnis zufremden Rechten (§ 266 StGB) voraus-

70 Freudenthai, in: Vergleichende Darstellung, BT Bd. 8, S. 116 ff; Draheim, Untreue und Unterschlagung, S. 65, 68; J. Pfeiffer, Die Untreue im zukünftigen Reichsstrafgesetzbuch, S. Hf, 77 ff; Olshausen, 11. Aufl., § 266 Anm. 1; Beling, Grundzüge, 11. Aufl., § 57 (S. 86); Berner, Lehrbuch, 18. Aufl., § 155 (S.591); Hlilschner, Das gemeine deutsche Strafrecht, II Teil, S. 393; v. Hippel, Lehrbuch, S. 263; Schütze, Lehrbuch, S. 478 ff.

2. Kapitel Gesellschaftsrechtliche Untreuetatbestände

61

setze. 71 Daraus folge, daß der Täter der Untreue in der Lage sein müsse, "von Rechts wegen über fremdes Vermögen verfügen zu können." 72 Diesen Ansatz faßte Grünhut 73 in der Formel zusammen: "Untreue ist ein Überschreiten des rechtlichen Dürfens im Rahmen des rechtlichen Könnens." Im einzelnen wurden von diesem Ansatz aus zwei Voraussetzungen aufgestellt, denen das tatbestandsmäßige Handeln des Täters genügen mußte. aa) Handeln in Ausübung der Befugnisse

Konnte der Mißbrauch nur in Ausübung der dem Täter eingeräumten Außenvollmacht begangen werden, mußte der Täter in der Eigenschaft ("als ... ") handeln, die das Gesetz - § 266 Abs. 1 Ziff. 1 bis 3 StGB - zur Charakterisierung der Täterpersönlichkeit im Tatbestand verwendet. 74 Also mußte auch der Täter einer Organuntreue nach einer gesellschaftsrechtlichen Sondernorm "als" Organ, das heißt in Ausübung der durch die OrgansteIlung eingeräumten Befugnisse gehandelt haben. Diese Voraussetzung hatte folgende Konsequenzen: - Eine damals vieldiskutierte Fallgestaltung war die, daß Mitglieder von Organen juristischer Personen persönlich mit der von ihnen vertretenen Gesellschaft sie selbst begünstigende, die Gesellschaft jedoch schädigende Geschäfte tätigten. Nach der Mißbrauchstheorie war ihr "Handeln" nicht tatbestandsmäßig, denn die Organe traten der Gesellschaft in diesen Fällen "als" Privatleute gegenüber, handelten also gerade nicht "als Organe". 75

71

Frank, 18. Aufl., § 266 Anm. I und III.

72

Binding, I S. 397 (HelVorhebungen von Verf.).

73

RG-Festgabe V, S. 125.

74 Vgl. eingehend LiSZl/Schmidt, 25. Aufl., § 136 2.11 (S. 655), der, soweit ersichtlich, die Anwendung der Mißbrauchstheorie ausdrücklich auch auf alle nebenstrafrechtlichen Bestimmungen anwendet (a.a.O., S. 656 f). - Im übrigen wurde die Auswirkung des Theorienstreits auf die Interpretation der Tathandlung in den nebenstrafrechtlichen Vorschriften in der Spezialliteratur kaum diskutiert. Man begnügte sich mit einer Wiedergabe des Standpunktes der Rechtsprechung (dazu unten S. 65 mit Nachweisen in Fn. 93). Eine Ausnahme bildet nur die Kommentierung von Staub/Pinner, HGB, 14. Aufl., § 312 Anm. 6 und 10, der sich jedoch im Ergebnis gegen die Mißbrauchstheorie aussprach.

75 So zu § 312 HGB vor allem Alsberg, in: Festschr. für Pinner, S. 227 unter Berufung auch auf RG, JW 1932 Sp. 2279.-( In der zitierten Entscheidung wurde erwogen, ob nicht gerade dieser Fall das Reichsgericht dazu veranlassen müsse, seine grundsätzlich gegenteilige, auf der Treubruchstheorie basierende Haltung (dazu unten S. 68 ff) aufzugeben, weil der Tatbestand der Untreue überdehnt werde, wenn jedes Handeln als Privatmann von ihm erfaßt werde.)

62

1. Teil Historisches Material

- Eine rechtlich nicht, noch nicht oder nicht mehr existente juristische Person (sog. nichtige Gesellschaft) schied prinzipiell aus dem Kreis geschützter Vennögensträger aus. Wenn sie rechtlich nicht existent war, war sie rechtlich auch nicht handlungsfähig und konnte deshalb die erforderliche rechtsgeschäftlieh wirksame Beziehung zum möglichen Untreuetäter nicht herstellen. Die Vertreter der Mißbrauchstheorie lösten dieses Problem dadurch, daß sie sich auf die (gesellschaftsrechtliche) Fiktion der Existenz einer (nichtigen) Gesellschaft 76 beriefen.77 Auf diese Weise wurde ein Gebilde konstruiert, das zu jeder Zeit rechtsgeschäftlieh wirksam handeln konnte. - "Faktische Organe" (Fehlen eines wirksamen Wahl- oder Bestellungsaktes) konnten nicht Täter einer Untreue zum Nachteil der Gesellschaft sein. 78

Ihnen fehlte die sowohl für die Sondertatbestände als auch für § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB erforderliche rechtsgeschäftliehe Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen; und die nur tatsächlich gegebene Möglichkeit, den Machtgeber zu schädigen, reichte gerade nicht aus. Schädigende Handlungen solcher "Organe" fielen deshalb nicht unter den Tatbestand der Untreue. BloßeAnfechtbarkeit des Bestellungsakts sollte dagegen keinen Einfluß auf die Tätertauglichkeit des Organs haben. 79

- Für Beginn und Ende der täterschaftsbegründenden Rechtsbeziehung waren ausschließlich gesellschaftsrechtliche Regeln maßgebend. Die Beziehung begann mit dem Zeitpunkt, zu dem die Wahl oder Bestellung wirksam wurde und endete mit der Niederlegung des Amtes. 80 Etwaige vor- oder nachwirkenden Pflichten reichten den Vertretern der Mißbrauchstheorie als täterschaftsbegrÜDdende Beziehung zur Gesellschaft oder ihrem Ver76 Eine Aktiengesellschaft etwa wurde (zivilrechtlich) im Interesse der Verkehrssicherheit als bestehend fingiert, konnte nur auf Grund einer gegen sie zu richtenden Klage mit Wirkung ex nunc (Gierke, Handelsrecht und Schiffahrtsrecht, S. 289) beseitigt werden und wurde, beginnend mit diesem Zeitpunkt, zur Liquidationsgesellschaft (§ 311 Abs. 1 HGB). 77

Staub/Pinner, HGB, 14. Aufl., § 309 Anm. 12.

78 Brand, HGB, § 312 Anm. 2a; Goldschmit, Aktiengesellschaft, § 312 (HGB), Anm. 8; Den., Aufsichtsrat, S. 191; LehmannlRing, § 312 Anm. 2; Makower, HGB, § 312 Anm. I. 79

Wie Anm. vor; außerdem H. Mayer, Untreue, S. 140.

80 LehmannlRing, HGB, § 312 Anm. 2; Makower, HGB, § 312 Anm. 1; Rabben, Strafrecht im Aktiengesetz, S. 120; Schöllgen, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 6, 10; Stenglein/Appelius/KleinfeIler, § 312 Anm. 2.

2. Kapitel Gesellschaftsrechtliche Untreuetatbestände

63

mögen nicht aus; folglich konnte auch deren Verletzung kein tatbestandsmäßiges Handeln sein. bb) Rechtsgeschäftliches Handeln

Aus dem Verständnis der Untreue als Mißbrauch rechtlicher Vertretungsmacht folgte ferner, daß es sich im Falle positiven Tuns um rechtsgeschäjtliches Handeln, im Falle der Unterlassung - so wurde vertreten - um die Nichtvornahme solcher Rechtsgeschäfte handeln mußte, deren Vornahme dem Täter auf Grund des der Vertretungsmacht zugrundeliegenden Rechtsverhältnisses pflichtmäßig oblag. 81 - Konsequenz dieser Voraussetzung war vor allem, daß die Untreue nicht - wie vom Standpunkt der Treubruchstheorie aus vertreten - durch Aneignung von Vermögensstücken des Machtgebers begangen werden konnte. Unterschlagungen konnten also nur über § 246 StGB geahndet werden und wurden von den Spezialvorschrijten - wie von § 266 StGB - nicht erfaßt. - Weitere und geseUschaftsrechtlich interessantere Konsequenz war, daß Kontrollorgane, obwohl sie dem Wortlaut nach unter die geseUschaftsschützenden Tatbestände fielen, nur in Ausnahmefällen mißbräuchlich handeln konnten, denn ihre nur überwachende und kontrollierende Tätigkeit konnte nicht als ''rechtsgeschäftliches'' Handeln eingeordnet werden. 82 cc) Mißbrauch durch Unterlassen

Forderte man mit der Mißbrauchstheorie, daß im Falle positiven Tuns rechtsgeschäftliches Handeln in Ausübung der Befugnisse vorliegen mußte, wurde es schwierig, das Unterlassen als tatbestandsmäßiges Verhalten zu erfassen. Hellmuth Mayer hat den Vertretern der Mißbrauchstheorie zu Recht entgegengehalten, daß man durch Untätigkeit eine Vollmacht nicht "miß"brauchen könne, 83 also schlichtes Nichthandeln weder als Gebrauchmachen von der Befugnis noch als rechtsgeschäftliches Handeln eingeordnet werden könne. Nach der Mißbrauchstheorie hätte Untreue durch Unterlassen also richtigerweise gar nicht möglich sein können.

81

So üsU/Schmidl, 25. Aufl., S. 655.

82 Darauf weisen etwa Slaub/Pinner (HGB, 14. Aufl., § 312 Anm. 10) sowie H. Mayer (Untreue, S. 77) hin, verwenden dieses Ergebnis jedoch als Einwand gegen die Mißbrauchstheorie. 83

H.Mayer, Untreue, S. 113 f

7 Nelle.

1. Teil Historisches Material

64

Die Mißbrauchstheorie schied ein Unterlassen jedoch nicht aus, 84 sondern verlangte die Nichtvornahme solcher Rechtsgeschäfte, deren Vornahme dem Täter gerade auf Grund des der Vertretungsmacht zugrundeliegenden Rechtsverhältnisses oblag. 8S Der Bereich tatbestandsmäßigen Unterlassens wurde damit recht eng gefaßt. So fielen insbesondere die damals diskutierten Fälle der Erfüllungsvereitelung bzw. der Nichteinziehungvon Fordemngen sowie die Nichterfüllung einer eigenen Schuld gegenüber dem Machtgeber als Untreue aus. 86 b) Die Interpretation der Tathandlung nach der Treubmchstheorie

Das Reichsgericht hatte sich bereits im ersten Band seiner Entscheidungen in Strafsachen zu der Auffassung bekannt, daß das "Wesentliche der Untreue" (nach § 266 StGB) "der Vertrauensbruch" sei, die "Verletzung der besonderen Pflicht zur Treue". 8:1 Nicht das obligatorische Rechtsverhältnis als solches unterlag nach dieser Ansicht dem strafrechtlichen Schutz, sondern das Vertrauen des Machtgebers, das auf der Gegenseite die Pflicht begründe, sich des Vertrauens würdig zu zeigen und Treue zu halten. 88 Danach bestimmte sich auch der Rahmen tatbestandsmäßigen Handelns: es mußte "treuwidrig" sein, das heißt, in einem inneren Zusammenhang mit dieser Pflicht stehen und diese rein tatsächlich verletzen. 19 aa) Der "innere Zusammenhang" mit der Treuepflicht

Die Anforderungen, die die Treubruchstheorie im einzelnen an die Tathandlung stellte, lassen sich im ersten Schritt nur vor dem Hintergrund erfassen, daß sie sich als Gegenmodell zur Mißbrauchstheorie verstand. Es war ihr

84 Binding Lehrbuch Bd. 1, S. 401; Frank, § 266 Anm. III; EbmnayerILobe/Rosenberg, § 266 Anm. 2; Gerland, S. 518 Nr. 5.

8S So v. lisztlSchmidt, 25. Aufl., S. 655; ebenso Frank, § 266 Anm. III; Gerland, S. 518; Leopold, Untreue, S. 24, 26 CC. 86

VgI. zu diesen Fallgestaltungen H. Mayer, Untreue, S. 115, S. 283 Cf.

8:1

RGSt 1, 172,329 (HeIVorhebungen von Verf.).

88 So 19

Prieß, Aktienrechtliche Untreue, S. 13.

Siehe die Nachweise in Fn. 69 und 70.

2. Kapitel Oesellschaftsrechtliche Untreuetatbestände

65

Anliegen, gerade deren Restriktionen zu vermeiden. 90 Die Tathandlung wurde aus der Perspektive der Treubruchstheorie deshalb zunächst durch die Voraussetzungen definiert, die nicht vorliegen müssen. (1) Kein Handeln in Ausübung der Befugnisse

Die erste - auch von der Rechtsprechung in dieser Weise negativ formulierte - Voraussetzung bestand darin, daß der Täter nicht in Ausübung seiner Befugnisse zu handeln brauchte; er brauchte also - bezogen auf gesellschaftsrechtliche Untreuetatbestände - nicht "als" Organ zu handeln. 91 Danach sollte es nur darauf ankommen, daß die Organeigenschaft dem Betreffenden "ganz allgemein die Verpflichtung (sc. auferlegt), nicht absichtlich zum Nachteil (der Gesellschaft)" zu handeln". 92 Kam es also nach dem prinzipiellen Ansatz der Treubruchstheorie nur auf die Existenz eines Treueverhältnisses an und setzte die Tathandlung nicht voraus, daß der Täter seine Pflichten "in Ausübung von Befugnissen" verletzte, konnte strafrechtlich auch die "Organeigenschaft" des Täters unabhängig davon festgestellt werden, ob er als Funktionsträger (geseUschafts-) rechtlich wirksam gewählt oder bestellt war. Die Frage nach der Wirksamkeit der rechtlichen Grundlagen der Organeigenschaft war daher für die Anwendung einer U ntreuevorschrift aus der Perspektive der Treubruchstheorie gegenstandslos. "Organ" konnte auch derjenige sein, der nicht oder nicht wirksam bestellt war und die Funktion nur faktisch ausübte. 93 Auch er konnte tatbestandsmäßig handeln, wenn er seine aus diesem Treueverhältnis resultierende "ganz allgemeine Verpflichtung" verletzte, keinen Schaden zu verursachen. Unerheblich wurden damit auch Fragen nach den (zivil-) rechtlich fIxierten Zeitpunkten für Beginn und Ende der Amtsführung, denn in jedem Falle begann oder endete die strafrechtliche Haftung, sobald oder solange ein tatsächliches Vertrauensverhältnis bestand. Unter dieser Voraussetzung konnte

90 Deutlich Prieß, Aktienrechtliche Untreue, S. 12, 13; sie hält den Vertretern der Mißbrauchstheorie vor, sie hätten ihren eigenen Ansatz niemals daraufhin überprüft, ob die enge Ausdeutung des Untreuetatbestandes auch den besonderen Aufgaben gerecht werde, die (etwa) die aktienrechtliche Untreue zu erfüllen habe. Stelle man auf Sinn und Zweck der jeweiligen Oesellschaftsgesetze ab, so könnten diese Vorschriften ihr Ziel nicht erreichen, wenn sie nach der Mißbrauchstheorie interpretiert würden. 91

ROSt, 136, 137; 36, 69; 38, 363, 364; 48, 356.

92

ROSt 26, 136, 137 (Hervorhebungen von Verf.).

93

Dazu näher unten Teil 1, 3. Kapitel A III.

66

1. Teil Historisches Material

also auch die Verletzung vor- odernachwirkender Treuepflichten tatbestandsmäßiges Handeln sein. 94

(2) Die "Unablöslichkeit" der Organeigenschaft In einem zweiten Schritt wendete die Rechtsprechung den Umstand, daß ein Handeln "als" Organ nicht erforderlich war, ins Positive, indem sie die "Unablöslichkeit der Organeigenschaft" postulierte und daraus den Schluß zog, daß ein Organ die von ihm zu betreuende Gesellschaft durch "jedwede Handlung" in tatbestandsmäßiger Weise schädigen könne. 95 Anlaß war die bereits geschilderte Fallkonstellation einer Schädigung der Gesellschaft durch Vertragsschluß mit ihr. 96 Dazu hieß es, ein Vorstand könne diese (seine) Eigenschaft nicht plötzlich ablegen und als Privatmann auftreten. 97 Ihm hafte "die Eigenschaft eines Organs ... unablöslich an"; die Eigenschaft äussere sich daher - vom Standpunkt des § 140 GenG 98 aus gewürdigt - auch dann, wenn er nicht als Organ der Genossenschaft tätig werde. 99 Diese grundlegende Entscheidung bezog sich zunächst nur auf Vorstände und Aufsichtsratsmitglieder von Genossenschaften, 100 wurde später aber auch für die entsprechenden Organe von Aktiengesellschaften 101 sowie für Krankenkassenvorstände 102 fortgeschrieben. Das Schrifttum griff den Ansatz überwiegend auf. Die gesellschaftsrechtlichen Kommentatoren legten indessen den Schwerpunkt ihrer Ausführungen in der Regel auf die zivil- oder gesellschaftsrechtlichen Probleme und verhielten sich bei der Auseinandersetzung mit der spezifisch strafrechtlichen Theoriediskussion eher zurückhaltend. Häufig wurde daher die Rechtslage

94

ROSt 17, 241, 243.

95

ROSt 26, 136, 137.

96

Siehe oben in diesem Kapitel B I 2.

97

ROSt 48, 35.

98

Anhang Rz. 10.1; später: § 146 OenO (Anhang Rz. 10.2).

99

ROSt 26, 136, 137 (Hervoehebung im Original).

100

ROSt 26, 136, 137; 58, 391, 392.

101

ROSt 36, 69.

102 ROSt 38, 363, 364; 48, 356; vgl. auch RO, JW 1925, Sp. 992; RO Recht 1929, Ne. 46; RO Recht 1930, Ne. 823.

2. Kapitel Gesellschaftsrechtliche Untreuetatbestände

67

nur unter Hinweis auf die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung referiert. 103 Soweit sich die Literatur mit dem Theorienstreit und seinen Konsequenzen für die Interpretation der nebenstrafrechtlichen Untreuevorschriften inhaltlich stellungnehmend auseinandersetzte, folgte sie der Treubruchstheorie, in der Regel mit der Begründung, diese führe zu sachgerechteren Ergebnissen. 104 bb) Die rein "tatsächliche Einwirkung" auf das fremde Vermögen

Konnte ein Organ, solange ihm diese Eigenschaft unablöslich anhaftete, die Gesellschaft durch "jedwede Handlung" schädigen, war damit gleichzeitig der Verzicht auf die von der Mißbrauchstheorie geforderte Voraussetzung rechtsgeschäftlichen Handelns ausgesprochen. 105 So machte die Rechtsprechung in ihren grundlegenden Entscheidungen unter Hinweis auf die Unablöslichkeit der Organ eigenschaft die Organmitglieder für jede vermögensschädigende Handlung schlechthin haftbar, 106 indem sie positiv feststellte, es reiche die "rein tatsächliche Einwirkung" auf das Vermögen aus, solange sie nur schädigende Folgen hatte. Dies führte für die Auslegung aller gesellschaftsrechtlichen Untreuetatbestände, in welchem Gesetz sie auch placiert waren, zu folgenden Konsequenzen: - Es wurde unerheblich, welche Funktion der Täter innerhalb der Gesellschaft ausübte. Auf die Unterscheidung zwischen geschäftsführenden Organen mit Befugnis zu rechtsgeschäftlicher Vertretung und nur überwachenden oder

103 So vor allem: Brodmann, Aktienrecht, § 312 HGB, Anm. 2; Staub/Pinner, HGB, 12. u. 13. Aufl., § 312 Anm. 4 u 5; WameyeriKoppe, HGB, Kommentierung zu § 312; Goldschmit, HGB, § 312 Anm. 5; Jadesohn, Recht und Handel 1926, S. 291 ff; Manes/Hagen, Gesetz über die privaten Versicherungsuntemehmungen,2.Aufl., Erl.zu § 110; Petersen, Krankenversicherungsgesetz, 6. Aufl., § 42 Anm. 6d; KoenigeiPetersen, Gesetz über die privaten Versicherungsunternehmungen, 3. Aufl., Kommentierung zu § 110; Parisius/Grüger, GenG, 5. Aufl. und Parisius/Crager/Citron, 12. Aufl., jeweils § 146 Anm. I; LanglWeidmüller, GenG, 24. und 25. Aufl., jeweils § 146, Anm. 1. 104 Prieß, Aktienrechtliche Untreue, S. 12 f; mit ausführlicherer Begründung H. Mayer, Untreue, S. 167 ff.

105 RGSt 26, 136, 137; 36,69, 71; 48, 356.- Ebenso Stenglein/Appelius/Kleinjeller, Anm. zu § 140 GenG i. V. m. Anm. 2a zu Art 249 HGB; vgl. ferner die Angaben in Fußn. 65 u. 90. 106

RGSt 26, 136; 36, 69; 38, 363, 364; 48, 356.

68

1. Teil Historisches Material

kontrollierenden Organen kam es nicht an, denn jedes Organ handelte tatbe-

standsmäßig, wenn es absichtlich einen Nachteil verursachte.

107

- Mit dem Verzicht auf das Erfordernis rechtsgeschäftlichen Handelns fielen auch Unterschlagungen unter die spezialgesetzlichen Untreuevorschriften, denn jede Aneignung von Vermögensstücken durch Mitglieder der Organe der Gesellschaft war eine rein tatsächliche, benachteiligende Einwirkung auf deren Vermögen. cc) Die "Pflichtwidrigkeit" des Handeins

Die Beschreibung der tatbestandsmäßigen Handlung nur als "treuwidrig" mit den zuvor geschilderten Konsequenzen geriet infolge ihrer Konturlosigkeit in Kollision mit dem zunächst nur in § 2 StGB, später auch in Art. 116 Weimarer Reichsverfassung verankerten Bestimmtheitsgmndsatz. 108 Es ist kaum ein Zufall, daß die Frage nach der Bestimmtheit erst in der Diskussion der nebenstrafrechtlichen Untreuevorschriften als Problem begriffen wurde, nicht aber schon im Kernstrafrecht. Es lag und liegt in der Natur einer Handelsgesellschaft, daß sie Vermögen zweckhaft einsetzt und diesen Zweck auch durch Handlungen mit unmittelbar vermögensmindernder Wirkung verfolgen kann, die erst langfristig Vermögensmehrung erwarten lassen. Schon deshalb konnte im handels- und gesellschaftsrechtlichen Bereich nicht jede Verursachung eines Vermögensnachteils als tatbestandsmäßige Untreue gelten, ohne daß es zu Wertungswidersprüchen kommen mußte. Versuche, dieses Problem durch eine spezifischere Definition des Vermögensnachteils für das kaufmännische Betätigungsfeld zu lösen, galten als gescheitert. 109 Als ein Kriterium, daß die tatbestandsmäßige Nachteilszufügung - auch im Sinne des § 266 Abs. 1 Ziff. 1 und 3 StGB - vom tatbestandslosen (kaufmännischen) Handeln abgrenzen sollte, wurde schließlich die Pflichtwidrigkeit \10

107 Aufschlußreich ist, daß schon in der Grundsatzentscheidung zur Unablöslichkeit der Organeigenschaft die allgemeinen Auslegungsgrundsätze ausdrücklich und unterschiedslos für "Vorstand und Aufsichtsrat" (RGSt 26, 136, 137) entwickelt wurden, obwohl die Frage nur für den Vorstand entscheidungserheblich war. 108

Vgl. dazu eingehend H. Maya, Untreue, S. 182 - 187.

109

SlallblPinner, HGB, 12. u. 13. Autl., § 312 Anm. 8; Prieß, Aktienrechtliche Untreue, S.

28 f. 110

S. 176.

RGSt 66, 365; 69, 203; Kohlrallseh, StGB, 29. Autl., § 266 Anm. 1; H. Mayer, Untreue,

2. Kapitel Gesellschaftsrechtliche Untreuetatbestände

69

der Handlung gefunden. Anlaß für diese Einschränkung war aber nicht die Fassung des § 266 StGB, sondern es waren die Sachprobleme, die sich bei Anwendung der nebenstrafrechtlichen Untreuebestimmungen stellten. l1l Gehörte die l'l7ichtwidrigkeit der Handlung zum Tatbestand, setzte dieser denknotwendig das Bestehen einer "Amtspflicht" 112 voraus, die durch die Handlung des Täters verletzt werden konnte. Die Einordnung des Merkmals "Amtspflicht" war freilich unter den Vertretern der Treubruchstheorie ebenso umstritten, wie die Frage nach dem Gegenstand dieser Pflicht. Teils wurde die "Amtspflicht" mit der allgemeinen Treuepflicht gleichgesetzt. 113 Andere unternahmen den Versuch, die Pflicht aus dem spezifischen Aufgabenkreis der jeweiligen Organe herzuleiten und sie darauf zu beziehen. 114 Nach wieder anderer Ansicht sollte dieses Merkmal nicht schon für die tatbestandsmäßige Handlung, sondern erst für die Absicht der Nachteilszufügung Bedeutung gewinnen: diese setze eine "bewußte Pflichtverletzung" voraus. 115 Hellmuth Mayer schließlich verwies die Feststellung des Umfangs und der Grenzen der Pflicht in den Fragenkomplex des "richterlichen Ermessens", denn sie seien nur nach "Treu und Glauben" zu beurteilen. 116 dd) Treubruch durch Unterlassen

Ganz grundsätzlich wurde die Möglichkeit, eine Untreue durch Unterlassen zu begehen, von den Vertretern der Treubruchstheorie nicht in Frage gestellt. 117

111 RGSt 66, 365 (zu § 312 HGB); Prieß, Aktienrechtliche Untreue, S. 28 f.Staub/Pinner, HGB, 14. Aufl., § 312 Anm. 11; LanglWeidmüller, GenG, 24. Aufl., § 146 Anm. 5.

112 Diesen Begriff prägte H. Mayer, Untreue, S. 182 u. 187 als Oberbegriff für Pflicht der in den verschiedenen Tatbeständen angesprochenen unterschiedlichen Funktionsträger und Organe. 113

1hies, Bevollmächtigtenuntreue, S. 7.

114

Prieß, Aktienrechtliche Untreue, S. 31.

115

Brodmann, Aktienrecht, § 312 Anm. 2c.

116

So im Ergebnis ausdrücklich H. Mayer, Untreue, S. 187.

117 RGSt 19,80; 184 (186); 30, 191; RG GA 36, S. 400; RG, LZ 1914, S. 955 Nr. 22; 1916, S. 1479 Nr. 24; RG JW 1911, S. 507 Nr. 10; RG, Recht 1914, Nr. 865; Binding Lehrbuch Bd. I, S. 401; Frank, § 266 Anm. III; EbermayerlLobelRosenberg, § 266 Anm. 2; Gerland, S. 518 Nr. 5; H. Mayer, Untreue, S. 168 ff.

70

1. Teil Historisches Material

Dabei schlug sich die damalige Kontroverse über generelle unterlassungsdogmatische Fragen 118 zwar in konstruktiv unterschiedlichen Begründungen, nicht aber im Ergebnis nieder. 119 - Teils wurde angenommen, es handele sich bei der Untreue nach § 266 Abs. 1 Ziff. 1 StGB und den gesellschaftsrechtlichen Untreuevorschriften (auch) um "echte" Unterlassungsdelikte. Gemeint war, daß sie als Tatbestände zu verstehen seien, hinter denen ein gesetzlich geregeltes "echtes Gebot" (hier: die Treue -"Ptlicht") stehe, dessen Verletzung, sei es durch Handeln, sei es durch schlichte Untätigkeit, den Tatbestand bilde. 120 - Soweit dagegen die Ansicht vertreten wurde, § 266 StGB könne nur als "unechtes" Unterlassungsdelikt konstruiert werden, galt ebenfalls jede Vermögensschädigung, auch durch Unterlassen, als rechtswidrige Untreue nach § 266 Abs. 1 Ziff. 1 StGB oder den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften, weil und soweit sie "treuepflichtwidrig", also rechtsptlichtwidrig war. 121 Teils wurde dies ausdrücklich damit begründet, daß die in diesen Vorschriften genannten Treueverhältnisse "Garantiepositionen" des Täters begründeten, deren Verletzung durch Unterlassen das tatbestandsmäßige Unrecht darstellte. 122 In der Literatur zu den nebenstrafrechtlichen Untreuetatbeständen war man sich jedenfalls im Ergebnis - ausnahmslos - darüber einig, daß eine Ver-

118 Vgl. dazu Welp, Vorangegangenes Tun als Grundlage einer Handlungsäquivalenz, S. 61 ff, 66 ff, 70 ff. 119 Vgl. nur die Zusammenfassung des Streitstandes bei H. Mayer, Untreue, S. 169 - 171 mit zahlreichen Nachweisen.

120 So H. Mayer, Untreue, S. 168 u. a. mit der Begründung (zu § 266 Abs. 1 StGB), schon die actio tutelae habe den Vormund für jede pflichtwidrige Unterlassung haftbar gemacht; es wäre "sinnlos, die vorsätzliche Unterlassung nicht zu bestrafen, wenn man die Verletzung der Pflichten eines Vormundes strafen" wolle. Das gelte "ganz besonders für die Leiter juristischer Personen" (S. 169). Man habe daher zu Recht "von Anfang an die Unterlassung als in der Handlung inbegriffen" angesehen (S. 169). 121 So etwa Frank (18. Aufl., § 266 Anm. 111) auf der Grundlage der formellen Rechtspflichttht!Orie, die jedes Unterlassen für tatbestandsmäßig hielt, wenn der Erfolg bei Vornahme der unterlassenen Handlung ausgeblieben wäre und die erst die Rechtswidrigkeit der Tat davon abhängig machte, daß die Unterlassung eine Rechtspflicht zur Erfolgsabwendungverletzte (Frank, § 1 Anm. IV).

122 So beispielsweise Binding, Normen, Bd. H, S. 552 f, auf der Grundlage der von Nagler (GS 111, S.l ff) begründeten "Garantenlehre". Diese fordertefürdie (tatbestandliche) Gleichstellung von Handeln und Unterlassen eine GarantensteIlung des Täters und verstand darunter ein "besonderes Pflichtverhältnis ... , vermöge dessen der Täter zur Abwendung des tatbestandsmäßigen Erfolges berufen oder bestellt worden ist" (Nagler, GS 111, S. 59; Hervorhebung im Original).

2. Kapitel Gesellschaftsrechtliche Untreuetatbestände

71

letzung der "Amtspflicht" des Täters 123 durch Untätigkeit "einer Schädigung durch positive Handlung gleichzustellen" 124 sei. 125 c) Zusammenfassung

Die gesellschaftsrechtlichen Untreuetatbestände, deren Funktion darin liegen sollte, die Schwächen des § 266 StGB bei der Anwendung auf handels-, gesellschafts- und wirtschaftsrechtliche Organisationen und Sachverhalte auszugleichen, konnten diese Aufgabe nur begrenzt erfüllen. - Die Übernahme der Technik des § 266 Abs. 1 Ziff. 1 und 3 StGB (abschließende Aufzählung der tauglichen Täter und offene Handlungsbeschreibung), dessen Handlungsunrecht nur im Wechselspiel mit den ungeklärten Konturen des Bevollmächtigtenbegriffs in § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB und der dahinter stehenden Frage nach dem "Wesen der Untreue" interpretiert werden konnte, führte dazu, daß sich in den nebenstrafrechtlichen Tatbeständen der Problemschwerpunkt auf die Eingrenzung der untreuespezifischen Tathandlung verlagerte. Die unbestimmten Handlungsbeschreibungen waren die "offene Flanke", zu deren Schließung auch hier auf das "Wesen der Untreue" zurückzugreifen war. - Der Streit über dieses Wesen erfaßte damit notwendig die gesamte Auslegung der Tatbestände des gesellschaftsrechtlichen Nebenstrafrechts. Die Konsequenzen ließen sich nicht auf unterschiedliche Anforderungen beschränken, die an die Tathandlung zu stellen waren, sondern erfaßten mittelbar auch die Definition des Täterkreises . Weil das Handeln nach dem Wortlaut nur als Verursachen des tatbestandlichen Erfolges verstanden werden konnte, der Erfolg ("Nachteil") seinerseits zu indifferent war, um den Anwendungsbereich auf das gebotene Maß zu beschneiden, mußten die das Handlungsunrecht spezifizierenden Bedingungen in der "Tätereigenschaft" gesucht werden. Charakterisierte man diese durch die "Befugnis zu rechtsgeschäftlichem Handeln", war damit eine eng umrissene Handlungs123

Siehe oben Seite 69.

124

H. Mayer, Untreue, S. 168.

125 Brodmann, Aktienrecht, § 312 HGB, Anm. 2; Staub/ Pinner, HGB, 12. u. 13. Aufl., § 312 Anm. 4 u 5; WameyeriKoppe, HGB, Kommentierung zu § 312; Goldschmil, HGB, § 312 Anm. 5; Jadesohn, Recht und Handel 1926, S. 291 ff; Manes/Hagen, Gesetz über die privaten Versicherungsunternehmungen, 2. Aufl., Erl. zu § 110; Pelersen, Krankenversicherungsgesetz, 6. Aufl., §42Anm. 6d; KoenigeiPetersen, Gesetz über die privaten Versicherungsunternehmungen, 3. Aufl., Kommentierung zu § 110; Parisius/CTÜger, GenG, 5. Aufl. und Parisius/CTÜger/Citron, 12. Aufl., jeweils § 146 Anm. 1; LanglWeidmaller, GenG, 24. und 25. Aufl., jeweils § 146, Anm. 1.

1. Teil Historisches Material

72

defInition vorgegeben. Charakterisierte man die Tathandlung ihrem Wesen nach als "Verletzung einer besonderen Treuepflicht", war als handlungsbeschränkendes Kriterium zwar die Pflichtwidrigkeit zu ermitteln, jedoch nur um den Preis einer Ablösung der Tätereigenschaft von den (übrigen) zivilrechtlichen Regeln des Gesetzes, in das die Untreuevorschrift eingebettet war: strafrechtlich wurde die Organeigenschaft durch die Existenz einer "Treuepflicht" konstituiert. 11. Spezifische Handlungsbeschreibungen Die Untreuetatbestände oder untreueähnlichen Vorschriften des Nebenstrafrechts, deren Handlungsunrecht durch spezifischere Begehungsmodalitäten gekennzeichnet war, bilden keinen geschlossenen Block und sind weiter zu unterteilen. 1. Handeln zum Nachteil "bei der Ausführung eines Auftrages

oder der Abwicklung eines Geschäfts"

§ 95 Abs. 1 Ziff. 2 BörsG 126 stellte den Kommissionär unter Strafe, der "bei der Ausführung eines Auftrages oder bei der Abwicklung eines Geschäfts absichtlich zum Nachteil des Kommittenten handelt".

Mit der Übernahme der weiten Fassung "zum Nachteil handeln" sollte zunächst eineAusdehnung des Schutzbereichs erreicht werden. Die Einführung des § 95 Abs. 1 Ziff. 2 BörsG wurde ausdrücklich damit begründet, daß die BevolImächtigtenuntreue nach § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB für Kommissionsgeschäfte keinen hinreichenden Schutz gewähre, weil sie auf Verfügungen über "einzelne, bestimmte Vermögensstücke des Auftraggebers" beschränkt war. 127 Trotz Lozierung der Vorschrift im Börsengesetz sollte sie nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers deshalb nicht nur auf Börsenkommissionsgeschäfte anwendbar sein, sondern für "alle Kommissionäre nach Art. 360 HGB" 128 gelten. 129

126

Hier in der Fassung vom 27. 5. 1908 (Anhang Rz. 8.2).

127 Begr. zu § 74 des Entwurfs eines Börsengesetzes, Steno Ber. über die Verh. d. RT, Bd. 151, Anl. 14, S. 33.

128

= § 383 HGB i. d. F. v. 1. 1. 1900

129

Steno Ber. über die Verh. d. RT, Bd. 151, Anl. 14, S. 33.

2. Kapitel Gesellschaftsrechtliche Untreuetatbestände

73

Durch die Beziehung der benachteiligenden Tathandlung auf die Ausführung "des Auftrags" oder die Abwicklung "des Geschäfts" sollten hingegen die tatbestandsmäßigen Handlungen eingeschränkt werden. Die Beschränkung erschien notwendig, weil Kommissionäre in der Regel nicht nur für einen Kommittenten tätig wurden und werden. Ohne diese Einschränkung hätte auf der Grundlage der damals herrschenden Treubruchstheorie jede tatsächliche Einwirkung auf das Vermögen des Kommittenten ausgereicht; der Kommissionär hätte sich also schon dann strafbar gemacht, wenn die ordnungsgemäße Ausführung eines Auftrages wirtschaftliche Folgen zeitigte (beispielsweise Kursveränderungen), die bewirkten, daß der Auftrag eines anderen Kommittenten zu ungünstigeren Bedingungen abgewickelt werden mußte (Ankauf zu höheren bzw. Verkauf zu ungünstigeren Kursen). 130 Es mußte und sollte deshalb schon im Tatbestand ausgeschlossen werden, daß solche Handlungen pönalisiert werden, die sich bei recht- und pflichtmäßiger Ausführung eines Auftrages mittelbar nachteilig auf das Vermögen eines anderen Kommittenten auswirken. 13l § 95 BörsG kann als Versuch des damaligen Gesetzgebers verstanden werden, die zwar erwünschte, aber rechts politisch zugleich bedenkliche Ausweitung des Handlungsunrechts durch Rückgriff auf die täterschaftsbegründende Beziehung auf das sachlich gebotene Maß zu beschränken.

Die Treubruchstheorie unterlief jedoch diese Ansätze einer Restriktion der Tathandlung des § 95 Abs. 1 Ziff. 2 BÖrsG. Das Reichsgericht stellte fest, daß "bei" Abwicklung oder Ausführung eines Auftrages nicht bedeuten sollte, "bei auftragsgemäßer Ausführung", denn "das Abgehen von dem Auftrag des Kommittenten oder das Handeln gegen die mit dessen Auftrag irgendwie zusammenhängenden Interessen" sei gerade "eine notwendige Voraussetzung für den Begriff der ungetreuen Ausführung des empfangenen Auftrags". 132 Bedurfte es nur eines Handelns gegen die mit dem Auftrag zusammenhängenden Interessen des Kommittenten, brauchte der Kommissionär nicht, wie es vom Standpunkt der Mißbrauchstheorie aus erforderlich gewesen wäre, 133 rechtsgeschäftlich gehandelt zu haben. Auch die Unterlassensstrafbarkeit

130 Dieses Beispiel wird in den Materialien ausdrücklich angeführt (Sten. Ber. über die Verh. d. RT, Bd. 151, Anl. 14, S. 33).

13l

Anm. wie vor; vgl. ferner WennuthlBrendel, BörsG, § 79 Anm. 3.

132

RGSt 34, 375; ebenso Nußbaum, BörsG, § 95 Anm. III b) 1 (Hervorhebung im Original).

133 Deren Vertreter sich mit § 95 BörsG jedoch, soweit ersichtlich, nicht befaßt haben; vgl. auch entsprechende Kritik bei Prieß, Aktienrechtliche Untreue, S. 12f.

74

1. Teil Historisches Material

bereitete deshalb keine Schwierigkeiten; 134 für § 95 Abs. 1 Ziff. 2 BörsG stand unangefochten fest, daß auch die Nachteilszufügung durch Unterlassen der (rechtzeitigen) Auftragsausführung begangen werden konnte. 135 Mit diesem Kunstgriff wurden diejenigen Fälle, die nach der ratio legis gerade nicht als Untreue erfaßt werden sollten, wieder in den Anwendungsbereich des § 95 Abs. 1 Ziff. 2 BörsG einbezogen. Infolge der von den Vertretern der Treubruchstheorie ferner vorgenommenen Vermengung von objektiven Voraussetzungen des Untreuetatbestandes mit dem Merkmal der "Absicht", Nachteil zuzufügen, 136 wurde die tatbestandliche Beschränkung der Handlung in den späteren Kommentierungen zu § 95 BörsG nur noch als Eingrenzungskriterium für die "absichtliche" Schädigung verstanden. Die nur mittelbare Benachteiligung eines Kommittenten durch ordnungsgemäße Ausführung des Auftrages eines anderen Kommittenten sollte lediglich eine nicht "absichtliche" im Sinne des § 95 Abs. 1 Ziff. 2 BörsG sein. 137

2. Die "rechtswidrige Verfügung" In § 9 DepotG 138 wurde die "rechtswidrige Verfügung" eines Kaufmanns oder Kommissionärs über Wertpapiere unter Strafe gestellt, die er für einen anderen verwahrte, als Pfand besaß oder in Besitz genommen hatte. Diese Vorschrift sollte einerseits den Tatbestand des § 246 StGB ergänzen, 139 der nicht alle Fälle der Verpfändung fremder Sachen, hier Wertpapiere, erfaßte, sofern im Zeitpunkt der Verpfändung kein Zueignungswille vorlag, weil der Täter die tatsächliche Möglichkeit und die Bereitschaft zum jederzeitigen Ersatz hatte. 140 Es sollten also zunächst diese zweifelhaften Unterschlagungsfälle mit dem Begriff der (objektiv) rechtswidrigen Verfügung erfaßt werden. Ferner standen die zivilrechtlichen Eigentumsverhältnisse an den ver-

134

Siehe dazu oben 1. Teil, 2. B. I. b) dd)

135 RG, JW 1939, Sp. 936; RGSt 70, 161; Nußbaum, BörsG, § 95 Anm. III b) 1.; Rehm/ Trumpier (Schmidt-Emsthausen), BörsG, § 95 Rdnr. 13.

136

Siehe oben Teil 1, 1. Kapitel B III.

137

So RehmlTrumpler (Schmidt-Emsthausen), BörsG, § 95 Anm. 13.

138 Gesetze betreffend die Pflichten der Kaufleute zur Aufbewahrung fremder Wertpapiere, hier in der Fassung vom 5. 7. 1896 (Anhang S. 26). 139

Steno Ber. über die Verh. d. RT, Bd. 151, Anlage 14 S. 36 f.

140

RGSt 2, 402; 5, 304; 7, 351, 352; 14, 242; 21, 366.

2. Kapitel Gesellschaftsrechtliche Untreuetatbestände

75

wahrten Wertpapieren nicht immer zweifelsfrei fest; insoweit sollte das Merkmal "fremd" in § 246 StGB durch eine sachlich darüber hinausgehende, im übrigen aber hinreichend konkrete Beschreibung der Beziehung des Täters zu dem angegriffenen Vermögensstück ersetzt werden. 141 Außerhalb der Unterschlagungsfälle sollte die Vorschrift die Bevollmächtigtenuntreue nach § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB ebenfalls in zweifacher Hinsicht ergänzen. Da § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB eine Verfügung über Forderungen und Vermögensstücke des "Auftraggebers" verlangte, war er unanwendbar, wenn zwischen Wertpapierinhaber und Depositär nur ein Verwahrungsverhältnis aber kein wirksamer "Vollmachtsvertrag" bestand. 142 Insofern umschrieb § 9 DepotG die Beziehung zwischen Täter und "anvertrautem" Vermögensstück zwar konkreter als durch den Begriff "Bevollmächtigter" (der Täter mußte als Kaufmann oder Kommissionär Wertpapiere "für einen anderen verwahren, als Pfand besitzen oder in Besitz genommen haben"), sachlich aber weiterreichend. Als "Verfügung" im Sinne des § 9 DepotG galt jede rechtliche Anordnung, durch die das Vermögensstück oder die Beziehung zu ihm tatsächlich geändert wurde. 143 Insofern wurde das Merkmal der "Verfügung" nicht anders als bei § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB interpretiert. § 9 DepotG verlangte jedoch die "Rechtswidrigkeit" der Verfügung, verzichtete dafür aber im Unterschied zu § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB darauf, daß der Täter "absichtlich zum Nachteil" des Auftraggebers verfügt haben mußte. Mit dem Merkmal der "Rechtswidrigkeit" sollte erreicht werden, daß den Täter eine etwaige Ersatzbereitschaft, die die Nachteilszufügungsabsicht ausgeschlossen hätte, nach § 9 DepotG nicht entlasten konnte. Wann indessen eine Verfügung objektiv rechtswidrig sein sollte, blieb auch im Verlaufe der weiteren Diskussion offen. Diese Voraussetzung wurde in erster Linie als subjektives Merkmal problematisiert: Es solle klarstellen, "daß auf Seiten des Täters sowohl eine vorsätzlich rechtswidrige Handlung, wie das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit dieser Handlung vorliegen muß." 144 Im Lichte dieser Auslegung stellt sich deshalb die "Einschränkung" der Tathandlung nur als Korrelat für den Verzicht auf eine Erfolgsbeschreibung

141

Steno Ber. über die Verh. d. RT, Bd. 151, Anlage 14 S. 36.

142

Steno Ber. über die Verh. d. RT, Anlage 14, S. 37.

143

Frank, StGB, 18. Aufl., § 266 Anm. 1II.

144

Riesser/Bemsrein, Das Bankdepotgesetz, 5. Aufl., 1928, § 9 Anm. ALe) ß) m. w. N. (Her-

vorhebung von Verf.).

1. Teil Historisches Material

76

dar. § 9 DepotG muß daher im Ergebnis als eine Vorschrift mit offener Handlungsbeschreibung eingeordnet werden. Freilich steht diese Vorschrift wie auch schon für § 95 BörsG festgestellt wurde 145 - , für den Versuch des Gesetzgebers, das Unrecht der Handlung durch ihre Koppelung an eine konkreter beschriebene Beziehung des Täters zum anvertrautem Vermögen "eines anderen" zu konturieren. 3. Die "Abweichung vom Geschäftsplan "

Die Straftatbestände des Versicherungsaufsichtsgesetzes 146 enthielten als Handlungsbeschreibung die Abweichung vom Geschäftsplan bei der Zuteilung von Baudarlehen (§ 136 Abs. 1 VAG) oder bei der Gewinnverteilung, der buchungs- oder verwaltungstechnischen Behandlung von Deckungsrücklagen, der Anlage von Geldbeständen und dem Abschluß nicht vorgesehener Geschäfte (§ 135 Abs. 1 Ziff. 1 - 4 VAG). Nur im ersten Fall muß bei den geschützten Rechtsgutsträgern, den Bausparern, ein Nachteil eingetreten sein, in den übrigen Fällen erschöpfte sich der Tatbestand in der Beschreibung der bei Strafe verbotenen Handlungen. Es bietet sich daher an, diese Vorschriften differenziert zu behandeln. a) Benachteiligende Abweichungen § 136 VAG wurde als Sonderfall der Untreue eingeordnet, 147 galt also als Delikt zum Schutz des Vermögens. Sollte die Abweichung vom Geschäftsplan einen (Vermögens-) Nachteil für einen Bausparer verursachen können, dann setzt dies voraus, daß der Geschäftsplan selbst einen Bezug zum Vermögen des einzelnen Bausparers herstellte.

Der Geschäftsplan nach § 5 VAG hatte eine DoppeIfunktion. Er bildete zunächst die Grundlage für die Erteilung der Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb durch die Aufsichtsbehörde. Er, sowie alle Änderungen waren genehrnigungsbedürftig. Seine Funktion bestand unter diesem Aspekt darin, die Aufsichtsbehörde in den Stand zu setzen, "die Versicherungsgeschäfte, deren Betrieb beabsichtigt ist, nach der rechtlichen und wirtschaftlichen Seite hin zu beurteilen und sich namentlich auch die Überzeugung davon zu

145

Siehe oben in diesem Kapitel B 11 1.

146

Hier in der Fassung vom 6. 6. 1931 (Anhang S. 60 fl).

147

Vgl. Fromm/Goldberg, VAG, § 136 Anm. 3 I m. w. N.

2. Kapitel Gesellschaftsrechtliche Untreuetatbestände

77

verschaffen, daß durch die Verfassung und die geldlichen Geschäftsunterlagen der dauernde Bestand einer Unternehmung und ihre dauernde Leistungsfähigkeit hinreichend gesichert ist." 148 Nach Erteilung der Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb sollte der Geschäftsplan die Aufsichtsbehörde in den Stand setzen, eine "klare Abgrenzung der erlaubten Geschäfte" vorzunehmen. 149 Der Geschäftsplan sollte aber andererseits auch für die einzelnen Bausparer eine zuverlässige Grundlage für eigene Vermögensdispositionen bilden. Er hatte nämlich zugleich festzulegen, unter welchen Voraussetzungen Baudarlehen zugeteilt werden sollten und - vor allem - wann die Zuteilung erfolgen sollte (§ 116 Abs. 2 Ziff. 4 VAG). Da § 136 Abs. 1 VAG eine benachteiligende Abweichung vom Geschäftsplan (nur) "bei der Zuteilung von Baudarlehen" unter Strafe stellte, konnte nur eine Abweichung von denjenigen Positionen des Geschäftsplans tatbestandsmäßig sein, die sich auf die Vergabebedingungen bezogen. Das aber heißt, daß die strafbewehrten Handlungen durch Verweisung auf diese Punkte des Geschäftsplans sehr bestimmt gefaßt waren: es reichte eine Abweichung von den Bestimmungen des Geschäftsplans nach § 116 Abs. 2 Nr. 4 VAG, die sich auf die Zuteilung von Baudarlehen bezogen. § 136 VAG kann daher als eine Vorschrift verstanden werden, die das Handlungsunrecht methodisch dadurch bestimmt umschrieb, daß sie auf einen außerhalb des Tatbestandes jonnalisierten Katalog von Pflichten des Täters verwies, die das Gesetz diesem im Interesse der von ihm zu betreuenden einzelnen Vennögensinhaber auferlegte.

b) Vennögensgejährdende Abweichungen § 135 VAG richtete sich an Organmitglieder oder Mitglieder einer "ähnlichen Stelle". Für sie galt schon die allgemeine Untreuevorschrift des § 142 VAG, die das absichtliche Handeln zum Nachteil des Versicherungsträgers oder der Bausparkasse unter Strafe stellte. Nach der ratio des § 135 VAG, wie sie sich auf Grund der Gesetzesmaterialien darstellt, dürfte es sich um die Regelung von Vorfeldtatbeständen zur Organuntreue handeln, die weder den Eintritt eines (endgültigen) Vermögensnachteils noch einer konkret nachteiligen Vermögensgefährdung verlangten, sondern (abstrakt) vermö-

148 Begr. zu § 135 ( = § 106 des Entwurfs), Steno Her. über die Verh. d. RT, Bd. 450, Anl. 848, S. 23. 149

Steno Ber. über die Verh. d. RT, Bd. 450, Anl. 848, S. 23.

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1. Teil Historisches Material

gensgefährdende Handlungen zum Nachteil einer Versicherungsaktiengesellschaft, eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit (§ 135 Abs. 1 VAG) oder einer Bausparkasse (§ 135 Abs. 2 VAG) pönalisierten. § 135 VAG stellte die Verletzung bestimmter Einzelpflichten unter Strafe, die aus dem Kreis der allgemeinen Pflicht der Organe, "mit dem ihnen anvertrauten Vermögen vorschriftsgemäß und gewissenhaft zu verfahren", 150 ausgestanzt waren. Sämtliche in § 135 Abs. 1 Ziff. 1 - 4 VAG genannten Handlungen (satzungswidrige Gewinnverteilung; buchungs- und verwaltungstechnische Fehlbehandlung der Deckungsrücklagen; satzungswidrige Geldanlage; Betrieb geschäftsplanwidriger Geschäfte) bezogen sich auf den Geschäftsplan und seine Bestandteile nach § 5 VAG. Dieser diente - mit Ausnahme der Zuteilungsrichtlinien 151 - dem Schutz des (Vermögens-) Bestandes der Versicherungsgesellschaft selbst. Die Strafbewehrung der Einhaltung dieser Richtlinien für den Betrieb der Versicherungsgeschäfte ließ sich also mit ihrem vermögensschützenden Charakter legitimieren. Diefür den Vermögensbestand (mindestens abstrakt) gefährlichen "Abweichungen" konnten daher als strafbewehrte Handlungen durch Verweisung auf diese Punkte des Geschäftsplans recht bestimmt benannt werden. § 135 VAG kann daher ebenfalls als eine Vorschrift verstanden werden, die das Handlungsunrecht methodisch dadurch bestimmt umschrieb, daß sie - durch ausdrückliche Verweisung - auf außerhalb des Tatbestandes fonnalisierte Pflichten des Täters als Organ Bezug nahm, die Gesetz oder Satzung diesem im Interesse der von ihm zu betreuenden Gesellschaft auferlegten. Organeigenschaft und SpezifIzierung der Tathandlungen reichten aus, das Unrecht zu begründen; auf den Eintritt eines Nachteils kam es danach nicht mehr an.

4. Vorenthalten von Versicherungsbeiträgen oder Nichtverwendung von Arbeitsentgelt für Versicherungszwecke § 270 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung undArbeitslosenversicherung, 152 § 338 des Angestelltenversicherungsgesetzes, 153 § 82b des Gesetzes betref-

ISO Steno Ber. über die Verh. d. RT, Bd. 189, An!. 5, S. 202 zu §§ 105 bis 113 VAG 1901. 151

Siehe dazu oben 3 a).

152

Anhang Rz. 6.4.

153

Hier in der Fassung vom 28. 5. 1924 (Anhang Rz. 3.2)

2. Kapitel Gesellschaftsrechtliche Untreuetatbestände

79

fend die Krankenversicherung der Arbeiter, 154 § 182 des Gesetzes betreffend die Invaliditäts- und Altersversorgung, l5S §§ 533, 1492 RVO 156 sowie der darauf verweisende § 233 des Reichsknappschaftsgesetzes 157 stellten in unterschiedlichen Formulierungen das "Vorenthalten" (§ 270 AFG, § 82b ArbKrankenversG, § 533 RVO) von Beitragsteilen, die Arbeitgeber ihren Beschäftigten einbehalten oder von ihnen erhalten hatten, oder deren "Nichtverwendung für die Versicherung" (§ 338 AngVersG, § 182 InvalidenversG, § 1492 RVO) unter Strafe. Bestraft werden sollte nur die Hinterziehung desArbeitnehmeranteils an den Beiträgen zur jeweiligen Sozialversicherung. Hintergrund war, daß der Arbeitgeber insoweit "quasi als Treuhänder" des Arbeitnehmers fungierte. 158 Die Tathandlung lag - unbeschadet der beiden verschiedenen Formulierungstypen - in einem Unterlassen, nämlich der "unterlassenen Erfüllung der Zahlungsverpflichtung". 159 Die Pflicht zur Abführung der Beitragsteile war in den einschlägigen Gesetzen jeweils ausdrücklich geregelt und zwar einschließlich der Ermittlung der Fälligkeitstermine. Die verschiedenen in den Gesetzen verwendeten Begriffe der "Nichtverwendung" und des "Vorenthaltens" wurden inhaltsgleich verstanden. Der Begriff des "Vorenthaltens" ließ es seinem Wortlaut nach zu, auch die fahrlässige Nichtzahlung der Beitragsteile zum Fälligkeitstermin darunter zu fassen. Da indessen nur die vorsätzliche Nichterfüllung der Zahlungspflichten gemeint war, verwendeten die Gesetze teilweise den Begriff der "Nichtverwendung". Er galt als der geeignetere Begriff, um klarzustellen, daß eine "bewußte Pflichtverletzung", also vorsätzliches Verhalten, gefordert sei. In der Sache selbst bestand kein Unterschied. Sowohl unter "Vorenthalten" als auch unter "Nichtverwenden" wurde die pflichtwidrige, nicht rechtzeitige oder unvollständige Abführung fälliger Beitragsteile an den jeweiligen Versicherungsträger verstanden. 160

154

Anhang Rz. 45.

l5S

Hier in der Fassung vom 19. 7. 1899 (Anhang Rz. 5.4).

156

Anhang Rz. 15.2 und 155.

157

Anhang Rz. 14.3.

158

Vgl. dazu Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, § 533 RVO Anm. 4.

159 RG in ArbVersorg, 1895, S. 267; Petersen, KrankenversG, 6. Aufl., § 82b Anm. 8 c (unter Berufung auf unveröffentlichte Entscheidungen des Landgerichts Hamburg) sowie Anm. 8 d. 160

Vgl. die Nachweise bei Sch6nefelder/Kranz/ Wanka, AFG, § 225 Rdnr. 4 u. 6

8 Nelle,

80

1. Teil Historisches Material

5. Zusammenfassung

Die Untreue- oder untreue ähnlichen Bestimmungen, die sich durch eine schärfere Konturierung des Handlungsunrechts auszeichneten, verfolgten das Ziel, spezielle Probleme zu lösen, die sich aus den handels- und versicherungsrechtlichen Beziehungen ergaben, in die der Täter gestellt war. - Die Fassung des § 95 BörsG versuchte dem Umstand Rechnung zu tragen, daß der Komissionär bei seiner Tätigkeit typischerweise in Pflichtenkollisionen geriet. Das objektive Handlungsunrechts wurde deshalb in Abhängigkeit von der konkreten täterschaftsbegründenden Beziehung defIniert. Diese Gesetzestechnik erreichte ihr Ziel jedoch nicht, weil sie in Spannung zum Untreueverständnis der Treubruchstheorie geriet und letztere den Rang eines übergreifenden Interpretationsansatzes beanspruchte. - Die Tatmodalitäten des § 9 DepotG sind auf das Bemühen zurückzuführen, eine kriminalpolitisch begründete Ausweitung untreuähnlichen Verhaltens wieder auf das Maß des § 266 StGB in seinem "Wesen" als Treubruch zurückzuschneiden. Das Merkmal "rechtswidriger Verfügung" war unter diesem Aspekt modal ebenso farblos wie die "Ptlichtwidrigkeit" der Schädigung im Kontext der Treubruchstheorie. - Ein methodisch und inhaltlich abgesetztes Modell lag nur den Untreuetatbeständen des Versicherungsaufsichtsgesetzes zu Grunde. Deren "Verletzungshandlungen" besaßen deshalb sehr präzise Konturen, weil sie auf ganz spezielle, außer halb des Tatbestandes normierte, vermögensbezogene Ptlichtenkataloge verwiesen. Deshalb und auf Grund einer sehr präzisen Bezeichnung der tätertauglichen Organe war es überdies möglich, für einige Formen vermögensgefährdenden Verhaltens auf den Erfolgseintritt als (zusätzlich) unrechtseinschränkendes Kriterium zu verzichten.

2. Kapitel Gesellschaftsrechtliche Untreuetatbestände

81

c. Die Rolle des Benachteiligten I. Zum "Nachteilsbegriß"

Alle Untreuevorschriften des Kern- wie des Nebenstrafrechts verlangten einen "Nachteil", der als Bezeichnung für den tatbestandsmäßigen Erfolg aufgefaßt wurde. 161 Ausgenommen sind die zuvor behandelten Untreueoder untreueverwandten Tatbestände (§ 9 DepotG, §§ 135, 136 Abs. 1 VAG, §§ 270 AFG, 82b ArbKrankenversG, 533 RVO), deren Erfolg in der spezifischeren Umschreibung der Vermögensverletzung enthalten war. Da die gesellschaftsrechtlichen Untreuetatbestände den Ziffern 1 und 3 des

§ 266 Abs. 1 StGB nachgebildet worden waren, wurde auch der Begriff des Nachteils auf den des § 266 StGB zurückgeführt. Seine Interpretation war

deshalb Grundlage für das entsprechende Verständnis der gesellschaftsrecht lichen Straftatbestände. Es war daher klar, daß es sich nicht um irgendeinen, sondern um einen Vennögensnachteil handeln mußte. 162 Sucht man in Rechtsprechung und Literatur nach positiven Definitionen, wird man auf den Begriff des Schadens in § 263 StGB verwiesen. 163 Der Kern der Aussage läßt sich mit den Worten des Reichsgerichts wie folgt zusammenfassen:

161 Einhellige Ansicht; grundlegend RGSt 27, 39, 40, betr. Art. 249 HGB; vgl. ferner Ebermayer/Lobe/Rosenberg, 4. Aufl., § 266 Anm. 3; Frassati, ZStW 15, S. 417; LehmannlRing, HGB, 2. Aufl., § 312 Anm. 3b; Prieß, Aktienrechtliche Untreue, S. 23; Schöl/gen, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 16 jew. m. w. N.. - Der Hinweis von Tiedemann (in Scholz, GmbHG, 6. Aufl., vor § 82 Rdnr. 11), es sei teilweise unter Berufung auf die Aktienrechtsnovelle von 1884 vertreten worden, daß für ein "Handeln zum Nachteil" bereits Handeln mit Nachteilsvorsatz ausreiche, ohne daß der Nachteil objektiv eingetreten sein müsse, ist unzutreffend. Pinner, der hierfür zitiert wird (Staub/Pinner (AktG, 12./13. Aufl., § 312 Anm. 1), geht an der genannten Stelle nur auf die Entstehungsgeschichte "der Strafbestimmungen des Aktienrechts" (generell) ein. In diesem Zusammenhang wird lediglich mitgeteilt, daß durch die Novelle 1884 der Strafschutz ausgedehnt worden sei und "insbesondere ... nicht nur der vollendete Betrug, sondern das betrügIiche ... Gebaren, das betrügerische Handeln ohne Rücksicht auf den täuschenden oder schädigenden Erfolg" bestraft werden sollte. In Bezug auf § 312 HGB vertritt Pinner hingegen unter Anm. 9 ausdrücklich: "Der Nachteil, d. h. die Vermögensbeschädigung oder Vermögensgefährdung muß eingetreten sein. Ist dies nicht der Fall, so liegt lediglich strafloser Versuch vor." 162

RGSt 16, 77; 58, 398; 61, 211; H. Mayer, Untreue, S. 143 ff; Frank, 18. Aufl., § 266 Anm.

III. 163 So EbermayerlLobelRosenberg, 4. Aufl., § 266 Anm. 3; Frank, 18. Aufl., § 266 Anm. III: "Die Untreuehandlung muß in jedem Fall eine das Vermögen beschädigende sein .... Über den Begriff des Vermögens siehe § 263Anm. V."; v. Liszt/Schmidt, 25. Aufl., S. 655: "Zur Vollendung (sc. der Untreue) ist ... eingetretene Vermögensbeschädigung (wie beim Betrug; unten § 139 11) erforderlich."

82

1. Teil Historisches Material

"Die Worte .. .'zum Nachteil handeln' ... haben dieselbe Bedeutung wie die Worte 'das Vermögen beschädigen' in § 263 StGB." 164 Soweit darüber hinaus zum Begriff des Nachteils speziell in § 266 StGB in der Rechtsprechung Stellung bezogen wurde, geschah dies durch Einzelfallentscheidungen, die den (allgemeinen) Schadensbegriff für Son-derprobleme des § 266 StGB bzw. der nebenstrafrechtlichen Untreuetatbestände modifizierten. Die damals diskutierten Problemfelder sollen hier nur kurz umrissen werden. Ausgeklammert bleibt die Theoriediskussion zum Vermögens- und Schadensbegriff. Die Darstellung orientiert sich an dem wirtschaftlichen Vermögensund Schadensbegriff der Rechtsprechung, 165 auf den auch das gesellschaftsrechtliche Schrifttum zu den nebenstrafrechtlichen Untreuetatbeständen überwiegend rekurrierte. 166 Nach diesem Ansatz war unter Vermögen - in der zu § 263 StGB entwikkelten DefInition - "die Summe der geldwerten Güter einer Person" zu verstehen. 167 Einen Schaden nahm die Rechtsprechung an, wenn "nach und infolge der Verfügung ... das Gesamtvermögen einen geringeren Wert hat als vorher." 168 Auf der Basis wirtschaftlicher Beurteilung wurden auch Vermögensgefährdungen unter der Voraussetzung als Schaden gewertet, daß "die Gefahr einen Grad angenommen hat, der den Vermögenswert der Vermögensobjekte bereits in der Gegenwart herabmindert." 1(1} Insbesondere zwei Aspekte dieses Verständnisses von Vermögen und Schaden führten in seiner Übertragung auf den Begriff des "Nachteils" im Sinne des § 266 StGB zu unbefriedigenden Ergebnissen: das Saldierungsprinzip und die Einbeziehung der Vennögensgejährdung in den Schadensbegriff. Für § 266 StGB blieb unklar, welche Positionen zu saldieren waren. Hatten für die Schadensermittlung im Rahmen des § 263 StGB Schdensersatzan-

161

RGSt 14, 401, 404. - Ebenso RGSt 16, 77, 8I.

165 RGSt, 44, 230; 47, 67; 53, 194; RG LZ 1919, 338; RG, JW 1926, 586; RG, Recht 1927, Nr. 1534; RG, JW 1931, 794. 166

Vgl. die Darstellung bei Grünhut, RG-Festgabe Bd. V, S. 116 ff m. zahlr. Nachw..

167

Grundlegend RGSt 44, 230, 233 (HelVorhebung von Verf.).

168 So ausdrücklich RGSt 74, 129; in RGSt 16, 1, 3 hieß es knapper, Schaden sei "Verminderung des Gesamtwertes des Vermögens". 1(1}

RG, Recht 1927, Nr. 1534; ebenso RGSt 38, 266; 53, 194; RG, JW 1926,586; 1931, 794.

2. Kapitel GesellschaftsrechtIiche Untreuetatbestände

83

sprüche des Vermögensinhabers gegen den Täter und (nachträgliche) Wiedergutmachungsleistungen als Kompensationsfaktoren außer Betracht zu bleiben, 170 so sollte dies für § 266 StGB nur begrenzt gelten. Ein Schadensersatz- oder Ausgleichsanspruch, der dem Opfer auf Grund der Untreuehandlung gegen den Täter zustehe, sollte dann geeignet sein, die Vermögensminderung auszugleichen, wenn der Täter jedeneit ersatzbereit sei und eigene flüssige Mittel dafür bereithalte. 171 Bei der Anwendung der gesellschaftsrechtlichen Untreuetatbestände stellte sich ferner in der Praxis heraus, daß die spezifischen Verhältnisse, die aus der Teilnahme der Gesellschaften und Organisationen am Wirtschaftsverkehr und aus ihrer unternehmerischen Zwecksetzung resultierten, eine weitere Differenzierung erforderlich machten. Es war zu klären, inwieweit nicht auch andere Vorteile kompensationsfähig waren. Mußte man nämlich isoliert auf die konkrete Untreuehandlung ("Verfügung") und ihre Auswirkungen auf das Vermögen abstellen, ergab sich keine Möglichkeit, das Ergebnis wirtschaftlich zusammenhängender Handlungen auch unter dem Aspekt des Nachteils zusammenfassend zu beurteilen. 172 Geschäftliche Aufwendungen ohne unmittelbaren Gegenwert etwa stellten sich danach zwingend als Handlungen dar, die einen nicht kompensierbaren Nachteil für das zu betreuende Gesellschaftsvermögen verursachten. 173 Die Einbeziehung der Vennögensgefährdung in den Schadensbegriff wurde somit zur Ursache für die Problematik des sogenannten "kaufmännischen Risikogeschäfts". War schon jede konkrete Vennögensgefährdung ein Nachteil, dann galt es, entweder den Gefährdungsbegriff unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten für unternehmerisch tätige Gesellschaften zu modifizieren oder andere Maßstäbe zu fmden, solches für

170

RG, JW 1903, 326; JW 1929, 1054; RGSt 68, 374.

171 Unveröffentlichte Entscheidung des RG vom 30.11. 1911, I 1079/11, zitiert bei Ebe171layerlLobel Rosenberg, 4. Aufl., § 266 Anm. 3 (die ihrerseits jedoch dieser Ansicht unter Hinweis auf die gegenteilige Rechtsprechungzu § 246 StGBablehnend gegenüberstehen); später ausdrücklich

auch RG, JW 1937, 168; RGSt 73, 283, 285.

172 Formal wurde dieses Prinzip aufrechterhalten ( so ausdrücklich RG, JW 1936, 882) inhaltlich aber kasuistisch durchbrochen; vgl. RGSt 49, 358, 364; 75, 227,230; RG, Recht 1928, Nr.2617; RG, HRR 1929, 59; RG, JW 1934, 2923 Nr. 29; RGSt 75, 227,230. 173 Vgl. die Zusammenstellung bei Staub/Pinner, 14. Aufl., § 312 Anm. 17, der u. a. folgende Maßnahmen darunter faßt: Reklame, Informationsreisen, Ausstellungen oder Experimente, Regulierung von streitigen Ansprüchen aus Kulanzgrunden oder Verkauf von Waren unter Marktpreis aus Wettbewerbsgründen. - Gleiches galt erst Recht für soziale Aufwendungen - "auf Sitte und Anstand beruhende Schenkungen" (Staub/Pinner, a.a.O.) - wie Kranzspenden für verstorbene Belegschaftsmitglieder, Gewährung von Unterstützungen in Unglücksfällen, Stiftungen zu Wohlfahrtszwecken, Veranstaltungen für die Belegschaft oder zur Hebung des sozialen Ansehens der Gesellschaft etc..

1. Teil Historisches Material

84

Unternehmen "normale" Verhalten aus den jeweiligen Tatbeständen herauszunehmen. Es ließ sich nämlich nicht leugnen, daß jedem kaufmännischen Geschäft mehr oder weniger ein Risikomoment eigen ist. 174 11. Funktion des Vermögensträgers für die Unrechtsvertypung der Untreue Bereits diese grobe Skizze des Diskussionsstandes zum Begriff des Nachteils hat gezeigt, daß die dort auftretenden Fragen eng mit der "Person" des Benachteiligten, d. h. seinen wirtschaftlichen und organisatorischen Verhältnissen verknüpft waren. Diese Fragen lassen sich als allgemeines Problem der Schadensermittlung (etwa des "individuellen Schadenseinschlages") bei den Vermögens delikten nur unvollkommen erklären. Der eigentliche untreuespezifische Problemkatalog (Auswahl der Kom pensationsfaktoren; Risikogeschäfte) rückt nämlich nicht so sehr die Person des Benachteiligten in den Mittelpunkt als vielmehr seine Rolle - die Funktion -, die ihm bei der Unrechtsvertypung der Untreue zukommt. 1. § 266 StGB

Der Grund dafür tritt offen zu Tage, wenn man zunächst vom Wortlaut des

§ 266 StGB als dem Prototyp aller übrigen Untreuenormen ausgeht: Der Nachteil mußte in § 266 Abs. 1 Ziff. 1 StGB den dem Täter "anvertrauten Personen oder Sachen", in § 266 Abs. 1 Ziff. 2 dem "Auftraggeber" des Bevollmächtigten und in § 266 Abs. 1 Ziff. 3 denjenigen entstanden sein, "deren

Geschäfte sie (sc. die zuvor genannten Tätergruppen) besorgen." Alle diese Formulierungen defmierten die zu benachteiligenden Vermögensträger durch ihre Beziehung zum Täter. Der Rückgriff auf diese Beziehung zwischen Täter und Vermögensträger diente dabei erkennbar in erster Linie der Eingrenzung derjenigen Vermögensmasse, die allein Gegenstand des treuwidrigen Angriffs sein konnte. Diese Vermögensmasse - ihr Wert oder ihr Bestand - war notwendig immer auch mindestens die (rechnerische) Ausgangsgröße für die Schadensermittlung.

174

Fuld, OS Bd. 37, S. 435.

2. Kapitel Gesellschaftsrechtliche Untreuetatbestände

85

2. Gesellschafts- und handelsrechtliche Untreuetatbestände

zum Schutze natürlicher Personen

Die gesellschaftsrechtlichen Untreuetatbestände gingen nun teils andere methodische Wege, das angegriffene Vermögen mit Hilfe der Person des Benachteiligten zu individualisieren. Soweit nicht an die Beziehung zwischen Täter und Vermögensträger angeknüpft werden konnte, weil eine direkte Beziehung nicht bestand, wurde der Umweg über die Organisation gewählt. Die Vermögensträger wurden durch ihre spezifische (Rechts-) Beziehung zu derjenigen Organisation charakterisiert, zu der auch der Täter - sei es als allgemeines, sei es als spezielles Organ 175 - in der täterschaftsbegründenden Beziehung stand. Hierher gehört etwa § 136 Abs. 1 und Abs. 2 VAG 176, der als Benachteiligte "die Bausparer" benannte. Gleiches gilt für §§ 36 HypbankG 177 und 37 SchiffsbankenG 178 ("die Pfandbriefgläubiger") und § 138 VAG 179 ("die Versicherten"). Es versteht sich, daß nicht irgendein beliebiger "Bausparer", "Pfandbriefgläubiger" oder "Versicherter" gemeint war, sondern nur derjenige, der sein Vermögen bei derselben Bausparkasse, Bank oder Versicherungsgesellschaft angelegt hatte, zu der auch der Täter in der geforderten Sonderbeziehung stand. Besonders deutlich wird die Intention, durch Bezeichnung des (geschützten) Vermögensträgers das angegriffene Vermögen zu erfassen, bei denjenigen Normen, die zusätzlich noch die Vermögensteile benannten, die im Rahmen der Beziehung allein angegriffen werden konnten. Dazu gehört die Nichtabführung einbehaltener oder erhaltener Beitragsteile zur Sozialversicherung im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses (Beziehung zwischen Täter = Arbeitgeber und Vermögensträger = Arbeitnehmer). 180 Dazu gehören auch die §§ 79 181 bzw. 95 BörsG 182 und die §§ 9 bzw. 34 DepotG 183, die jeweils

175

Dazu oben in diesem Kapitel A 11 1 b).

176

Anhang Rz. 19.2.5.

177

Anhang Rz. 12.1.

178

Anhang Rz. 17.1.

179

Anhang Rz. 19.2.6.

180 § 82b KrankenversG v. 10. 4. 1892 (Anh. Rz. 4.5); § 149 InvaliditätsversG v. 22. 6. 1889 (Anh. Rz. 5.2), später §§ 533 und 1492 RVO (Anh. Rz. 15.2 und 15.5); § 270 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung v. 16. 7. 1927 (Anh. Rz. 6.2).

181

BörsG v. 22. 6. 1896 (Anh. Rz. 8.1).

86

1. Teil Historisches Material

die (Rechts-) Beziehung zwischen Täter und Vermögensinhaber zugleich mit Blick auf die Vermögensgegenstände charakterisierten (Kommissionsvertrag, VerwahrungsverhäItnis, Pfand). 3. Gesellschaftsrechtliche Untreuetatbestände zum Schutz "der" Gesellschaft

Dagegen benutzten die gesellschaftsrechtlichen Untreuetatbestände im engeren Sinne (zum Nachteil von Organisationen) die Beziehung des Täters zur Organisation nur zur Kennzeichnung des tauglichen Täterkreises und benannten den benachteiligten Vermögensträger noch einmal ausdrücklich und - dem Wortlaut nach - unabhängig davon. Der Nachteil mußte eingetreten sein bei "der Gesellschaft" (§ 312 HGB und Vorläufer 184; später auch § 81a GmbHG 185 ), "der Genossenschaft" (§ 146 GenG und Vorläufer 186; § 26 UnfallversG und Nachfolger 18'), "der Reichsanstalt" (§ 270 AFG und Vorläufer 188), "der Deutschen Rentenbank" (§ 53 RentenbankVO 189), "dem Versicherungsträger" (§ 23 RVO 190 und Vorläufer 191). Obwohl in diesen Vorschriften der "Benachteiligte" isoliert genannte wurde, wurde freilich - zu Recht - niemals bezweifelt, daß es sich um genau diejenige "Gesellschaft" etc. handeln mußte, dessen Organ der Täter war. Das heißt, daß auch in diesen Fällen die angegriffene Vermögensmasse durch die Beziehung des Täters zum Vermögensinhaber - hier der Gesellschafteingegrenzt wurde.

182

in der Fassung v. 27. 5. 1908 (Anh. Rz. 8.2).

183 § 9 des Gesetzes betreffend die Pflichten der Kaufleute zur Aufbewahrung fremder Wertpapiere v. 5. 7. 1896 (Anh. Rz. 9.1), seit dem 4. 2. 1937 § 34 (Anh. Rz. 9.2). Siehe zu diesen Vorschriften auch oben in diesem Kapitel A 11 2. b).

184

Anhang Rz. 2.2.

185

Anhang Rz. 11.1.

186

Anhang Rz. 10.2

187

Anhang Rz. 18.1.1.

188

Anhang Rz. 6.2.

189

Anhang Rz. 16.1.

190

Anhang Rz. 15.10.

191

Anhang Rz. 15.1, 15.7.

2. Kapitel Gesellschaftsrechtliche Untreuetatbestände

87

111. "Die" Gesellschaft als Benachteiligte Streitig war indessen die Frage, wann von einem Schaden "der" Organisation gesprochen werden konnte. "Die" Organisationen, die als zu benachteiligende Vermögensträger genannt wurden, zeichneten sich nämlich infolge der Tatsache, daß es sich zugleich um den organisatorischen Zusammenschluß einer Mehrzahl von individuellen Vermögensträgern handelte, durch "Mehrschichtigkeit" 192 ihrer Vermögensverhältnisse aus. Diese stellte jeweils vor das Problem einer genauen Analyse der Frage, ob ein Nachteil "bei" der Gesellschaft oder nur "bei" ihren Teilhabern oder Dritten eingetreten war. Dieses Problem wurde allerdings in der strafrechtlichen Diskussion in die Frage umformuliert, wessen Vermögensinteressen geschädigt sein mußten, damit von einem "Nachteil der Gesellschaft" gesprochen werden konnte. Man war sich zwar weitgehend darüber einig, daß eine unmittelbare Schädigung des Vermögens der jeweils genannten Organisationen jedenfalls und immer ausreichte; gestritten wurde nur darüber ob und inwieweit es sich dabei um eine notwendige Voraussetzung handelte. 1Q3 Sachlich handelte es sich bei dieser Fragestellung also darum, ob und bis ZU welchen Grenzen sich die gesellschafts rechtlichen Untreue tatbestände ausdehnend auch als Normen zum Schutze des Vermögens der einzelnen Gesellschafter oder Teilhaber interpretieren ließen. Ursprünglich orientierte man sich ausschließlich am Wortlaut der einschlägigen Vorschriften und verlangte eine unmittelbare Schädigung des Vermögens der jeweils genannten Organisation. 1Q4 Mehrere Entwicklungsstränge führten jedoch später zu einer Aufweichung der streng wortlautbezogenen Auslegung. An deren Ende stand die Aussage, die Untreuetatbestände (vornehmlich) der Handels- und Genossenschaftsgesetze schützten neben dem Vermögen der Gesellschaften bzw. Genossenschaften auch das Vermögen der Aktionäre 195 (Genossen, 196 Gesellschaf-

192

Begriffsbildung bei Klug, AktG Großkommentar, 2. Aufl., 1965, § 294 Anm. 5.

193 So etwa zwar nicht ausdrücklich aber der Sache nach Frassati, ZStW 15 (1895), S. 414 ff; Fuld, GS Bd. 37, S. 434: "Der Nachteil darf ... nicht gegen ein individuelles Interesse, sondern

er muß gegen das gesellschaftliche Interesse verübt worden sein" (Hervorhebung im Orginal); ebenso RGSt 14, 401, 404 zu § 34 HilfskassenG.

194 Frassali, ZStW 15 (1895), S. 414 ff; Fuld, GS Bd. 37, S. 434; ebenso RGSt 14, 401, 404 zu § 34 HilfskassenG.

195 H. Mayer, Untreue, S. 202f, 207; Ebener, Untreue, S. 44, 45 zu § 312 HGB a.F.; Rabben, Strafrecht im Aktiengesetz, S. 18;

1. Teil Historisches Material

88

ter 197), das der Gläubiger beitnehmer. 199

198

und darüber hinaus das Vermögen der Ar-

Auf eine detailliertere Wiedergabe der Argumentation soll hier verzichtet werden. Darauf wird an späterer Stelle ohnehin zurückzugreifen sein. 200 Sie ist nämlich Grundlage für die heute noch häufig zu lesende These, die Abschaffung der spezialgesetzlichen Untreuetatbestände habe unter anderem deshalb eine Lücke hinterlassen, weil sie - im Gegensatz zu § 266 StGB eine andere, weitergehende Schutzrichtung gehabt hätten. 201 IV. Funktion des Vermögensträgers für den Schutzbereich des (deutschen) Untreuestrafrechts

Es mag auf den ersten Blick erstaunen, daß der Geltungsbereich des deutschen Untreuestrafrechts von der Person des Vermögensträgers hätte beeinflußt werden sollen, denn die Regelungen des deutschen internationalen Strafrechts orientierten sich damals 202 - wie auch heute wieder 203 - am

1Q6

H. Mayer, Untreue, S. 208f; Ebener, Untreue, S. 48.

197

Ebener, Untreue, S. 48.

198 H. Mayer, Untreue, S. 203, 205; Prieß, Aktienrechtliche Untreue, S. 21; Rabben, Strafrecht im Aktiengesetz, S. 18; Rehm, Bilanzen, S. 522. - Auf diesem Gedanken beruht auch die Rechtsprechung des Reichsgerichts zur Untreue in den Fällen, in denen so hohe Dividenden ausgezahlt wurden, daß das Grundkapital angegriffen wurde; vg!. RGSt 49, 363; RG GA Bd. 40, S. 55; RG Recht 1915, Nr. 2193.

199 Jedenfalls, weil und soweit sie zugleich Gläubiger der Gesellschaft sind; vgl. die Nachw. in Anm. vor; dagegen jedoch Grünhut, RG-Festgabe, S. 116 ff; Bendix, JW 1931, 176 ff. 200

Siehe unten Teil 3, Kapitel I.

201 BGHSt 3, 23, 25; 3, 32, 39; Klug, in Großkommentar zum AktG, 2. Aufl., § 294 Anm. 5 im Anschluß an Gadow/Heinichen/Schmidt, Großkommentar zum AktG, § 294 Anm. 15; Klug, in Hachenburg, GmbHG, § 81a Anm. 1; U. Hirsch, Strafrechtliche Haftung der Arbeitnehmervertreter, S. 35; Seher, Aktienrechtliche Untreue, S. 32; Schnellenbach, Änderungen im Aktienstrafrecht, S. 28. 202 § 3 StGB (in der Fassung vom 15. 5. 1871, RGB!. 127): "Die Strafgesetze des Deutschen Reiches finden Anwendung auf alle im Gebiete desselben begangenen strafbaren Handlungen, auch wenn der Täter ein Ausländer ist." 203 Das Territorialitätsprinzip wurde auf Grund der GeltungsbereichsVO (v. 6. 5. 1940, RGB!. 1,754) bis zum Inkrafttreten des 2. StrRG (v. 13. 7.1973, BGB!.I, 909, am I. 1. 1975) durch das "aktive Personalitätsprinzip" ersetzt, das an die Staatsangehörigkeit des Täters anknüpft.

2. Kapitel Gesellschaftsrechtliche Untreuetatbestände

89

Territorialitätsprinzip. 204 Danach fmdet inländisches Recht auf alle im Inland begangenen Taten Anwendung. Das bedeutete jedenfalls im Grundsatz, daß für die Reichweite des § 266 StGB nicht nur die Nationalität des Täters unerheblich war, sondern auch die des Opfers, sofern nur die Tat als solche im Inland begangen wurde. Auch für alle diejenigen gesellschaftsrechtlichen Untreuetatbestände, die dem Schutz des Vermögens natürlicher Personen dienten, lOS ergaben sich insoweit keine Besonderheiten. Soweit sich in dieser Hinsicht hätten Zweifel ergeben können, wurden sie sogar mit dem ausdrücklichen Ziel ihrer Vermeidung durch klarstellende gesetzliche Regelungen beseitigt. Auf diese Intention geht etwa die Nennung des "Bevollmächtigten" in § 136 Abs. 1 VAG 1931 206 zurück. Diese Täterkategorie wurde in den Katalog der Vorschrift aufgenommen, um gerade die nicht unter die spezifisch deutschen Organbezeichnungen fallenden Leiter ausländischer Versicherungsunternehmen im Inland miterfassen zu können. 207 Anders verhielt es sich indessen bei den Untreuetatbeständen, die speziell dem Schutz des Vermögens der jeweils genannten Gesellschaft bzw. Körperschaft dienten. Ihr Schutzbereich 208 war beschränkt auf Untreue zum Nachteil inländischer Gesellschaften. 209 Begründet wurde dies mit der Lozierung der Untreuevorschriften in demjenigen Gesetz, das die Verhältnisse einer Kapitalgesellschaft, Genossenschaft etc. nach deutschem, und eben nur deutschem, Recht regelte. 210 Das aber hieß, daß eine im Inland begangene "U ntreue" der Organe - auch deutscher Organmitglieder - einer ausländischen Kapitalgesellschaft zu deren

204

Olshausen, 10. Aufl., § 3 Anm. 1.

205

Siehe dazu oben in diesem Kapitel A 11.

206

Anhang Rz. 19.2.5.

207

Siehe dazu oben l.Teil, 2.Kap. A.l.a)

208 Es mag dahinstehen, ob es sich beim Schutzbereich um eine Frage des internationalen Strafrechts oder um ein "tatbestandsimmanentes" Problem handelt, das der Anwendbarkeit der Regeln des internationalen Strafrechts vorgelagert ist (Schönke/SchröderiEser, StGB, Vorbem. vor §§ 3-7, Rdnr. 13 m. w. N.).

209 Zu § 312 HGB: RGSt 68, 210, 211; zu § 294 AktG 1937: Gadow/Heinichen/Schmidr, Vorbem. zum Zweiten Teil "Strafvorschriften", Rdnr. 6; Teichmann/Koehler, AktG 2. Aufl., § 294 Anm. 1; zu § 81a GmbHG: RG, JW 1934, 2067; Baumbach, GmbHG, § 81a Anm. 2A. 210

So deutlich RGSt 68, 210, 211.

90

1. Teil Historisches Material

Nachteil zwar möglicherweise nach § 266 StGB geahndet werden konnte, 211 nicht aber den deutschen gesellschaftsrechtlichen Untreuenormen unterfiel. 212 D. Zusammenfassung

Die zur Behebung der Anwendungsschwierigkeiten des § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB a. F. eingeführten gesellschaftsrechtlichen Untreuetatbestände lassen sich allenfalls nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner kategorisieren. - Als taugliche Täter nannten alle Strafvorschriften zum Schutze von Organisationen oder abgesonderten Vermögensmassen die regulären Geschäftsführnngs- bzw. Verwaltungsorgane. Keiner der Tatbestände nannte die Versammlung der Gesellschafter bzw. Anteilseigner als möglichen Täter. Darüber hinaus überschneiden sich die Kreise. Teils wurden zusätzlich auch die Kontroll- bzw. Überwachungsorgane genannt, in einigen Fällen (zusätzlich) die Liquidatoren oder (zusätzlich) die Vertreter der regulären Organe und schließlich (daneben) Funktionsträger mit besonderen Aufgaben. 213 - Der Katalog untreueverwandter Tatbestände läßt sich ferner nach Vorschriften aufschlüsseln, die dem Schutz des Vemlögens einzelner dienen. In dieser Kategorie ist vor allem die Gruppe der speziellen Treuhänder von Interesse, deren Aufgabe innerhalb einer Organisation darin bestand, das Vermögen der Destinatäre oder Gläubiger der Organisation zu schützen. Auch hier wurden jedoch die tauglichen Täter nicht einheitlich aufgelistet; teils wurden die Vertreter ausdrücklich genannt, teils nicht. - Darüber hinaus gehören in diese Kategorie die speziellen Strafvorschriften des Sozialversicherungs- und des Börsen, sowie Depotgesetzes, die - ähnlich wie § 266 StGB - den Täter durch die Sonderbeziehung zu dem Vermögensträger oder seinem Vermögen definierten. 214 - Der Tathandlung nach lassen sich die SpeziaItatbestände in zwei Rubriken einordnen: Tatbestände mit offener Handlungsbeschreibung und solche, die

211 Zum "verbleibenden gesellschaftsrechtlichen Regelungsgehalt des § 266 StGB" siehe unten Kap. 3. 212 So ausdrücklich Gadow/Heinichen/Schmidt, Vorbem. zum Zweiten Teil "Strafvorschriften", Rdnr. 6.

213

Siehe dazu oben in diesem Kapitel A I.

214

Siehe dazu oben in diesem Kapitel A 11.

2. Kapitel Gesellschaftsrechtliche Untreuetatbestände

91

spezifische Begehungsmodalitäten nannten. Die Tatbestände, deren Handlungsunrecht nur damit umschrieben war, daß die Täter "zum Nachteil gehandelt" haben mußten, bildeten den neuralgischen Punkt der Diskussion um das "Wesen der Untreue". Ihre Interpretation hing - wie die des § 266 StGB selbst - davon ab, ob man die Untreue ihrem Wesen nach als Treubruch oder als Mißbrauch verstand. Diese Kategorie von Tatbeständen wird daher auch für die Auslegung der beiden "Tatbestände" des § 266 StGB heutiger Fassung und ihre Anwendung auf gesellschaftsrechtliche Sachverhalte im Mittelpunkt der Auseinandersetzung zu stehen haben. 215 - Die übrigen Tatbestände lassen sich hinsichtlich der Tathandlung nicht auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Teils wurde für das Handeln zum Nachteil ein ausdrücklicher Maßstab vorgegeben (der Geschäftsplan), im übrigen wurde das Handlungsunrecht, unbeschadet der Formulierungen im einzelnen, als Unterlassen beschrieben. 216 - Der Vennögensnachteil, den als Erfolg im wesentlichen diejenigen Spezialtatbestände nannten, deren Handlungsbeschreibung offen war, wurde von zwei Diskussionsebenen beeinflußt: - dem Streit um den Begriff des "Vennögens" bzw. "Vermögensschadens" im Strafgesetzbuch generell, der nach bis heute fortwirkender Rechtsprechung und überwiegender Ansicht für Betrug und Untreue identisch zu bestimmen sein soll; - den untreuespezijischen Fragen, die mit dem generellen Vermögens- und Schadensbegriff aufgeworfen wurden, also der Frage - nach der Kompensierbarkeit eingetretener Nachteile durch anderweitige Vorteile; - nach der Einbeziehung der Vermögensgejährdung in den Begriff des Schadens im Verhältnis zum kaufmännischen Risiko, das Vertreter und Organe speziell handelsrechtlicher Gesellschaften für diese im Rahmen ihrer Tätigkeit (notwendig) eingehen mußten und durften. Die Fragen wurden erst relativ spät thematisiert; eine einheitliche Linie hatte sich bis zum Inkrafttreten des § 266 StGB heutiger Fassung nicht herausgebildet. 217

215

Siehe dazu oben in diesem Kapitel B I.

216

Siehe dazu oben in diesem Kapitel B 11.

217

Siehe dazu oben in diesem Kapitel C I.

1. Teil Historisches Material

92

- In allen Tatbeständen diente die Nennung des benachteiligten Vermögensträgers zum einen als Pol, zu dem die untreuerelevante Beziehung des Täters bestehen mußte und zum anderen zur Individualisierung derjenigen Vermögensmasse, die durch das tatbestandsmäßige Handeln benachteiligt werden mußte. Bei den durch geseUschaftsrechtliche Tatbestände geschützten juristischen Personen galt zwar "die Gesellschaft" als derjenige Vermögensträger, zu dem der Täter in einer ganz bestimmten Beziehung stehen mußte - er mußte "Organ" sein -, indessen sollten jedenfalls "auch" Vermägensinteressen benachteiligungsfähig sein, die andere (natürliche) Personen "an" der Gesellschaft hatten. 218

218

Siehe dazu oben in diesem Kapitel C H.

3. Kapitel

Der verbleibende gesellschaftsrechtliche Regelungsgehalt des § 266 StGB Der Überblick über die Spezialtatbestände hat zwar gezeigt, welche der spezifisch gesellschaftsrechtlichen Konstellationen durch besondere Vorschriften gegen Untreue geschützt waren. Das Bild bleibt jedoch unvollständig, wenn man nur sein Positiv betrachtet; das Negativ ist ebenso aufschlußreich und notwendig für das Verständnis der Entwicklung der gesellschaftsrechtlichen Untreue und der Untreue generell. Auf der Negativseite blieb der Bereich der Untreue für diejenigen Organisationsformen problematisch, für die es keine spezialgesetzlichen Straftatbestände gab: öffentlichrechtliche Institutionen, Vereine, Personengesellschaften (wie die oHG, KG, BGB-Gesellschaft) etc.. Diese Fragen werden im folgenden als solche des originären Anwendungsbereichs des § 266 StGB darzustellen sein. Ferner behielt § 266 StGB als Auffangtatbestand für solche Konstellationen Bedeutung, die sich zwar im Bereich der von den Spezialtatbeständen geregelten Organisationen abspielten, jedoch davon nicht ausdrücklich erfaßt wurden. Dazu gehören etwa die Gruppen der dort jeweils nicht als mögliche Täter genannten Organe, deren Mitglieder oder Stellvertreter. Ferner gehören die Fälle hierher, in denen die rechtliche Existenz der geschützten Organisation selbst oder die Wirksamkeit der Bestellung, Wahl etc. ihrer Organe zweifelhaft waren. 1

1

Siehe dazu oben Teil 1, 2. Kapitel, A I 3.

l.Teil Historisches Material

94

A. Originärer Anwendungsbereich des § 266 Abs. 1 Zifr.2 StGB

I. Die Amtsuntreue Die Amtsuntreue gilt zwar als eine der Wurzeln des Untreuestrafrechts; 2 sie ist jedoch völlig in § 266 StGB aufgegangen, denn seit 1871 lassen sich keine Tatbestände mehr feststellen, die als spezielle Untreuetatbestände charakterisiert werden könnten. Einen Bezug zum öffentlichen Recht wiesen allerdings die in § 266 Abs. 1 Ziff. 1 StGB genannten täterschaftsbegrÜDdenden (Rechts-) Beziehungen auf. "Vormünder, Kuratoren, Güterpfleger, Sequester, Massenverwalter, Vollstrecker letztwilliger Verfügungen und Verwalter von Stiftungen" hatten gemeinsam, daß sie in einer Rechtsbeziehung zu den jeweiligen Vermögensinhabern stehen mußten. Ihre (weitere) gemeinsame Eigenschaft bestand darin, daß es sich in allen diesen Fällen - wie Hellmuth Mayer es formulierte - um "Verwaltungsverhältnisse mit einem öffentlich-rechtlichen Einschlag" 3 handelte. Ihre Erfassung und ihre Zusammenfassung in Ziffer 1 ist historisch damit zu erklären, daß die dort aufgeführten Funktionsträger ihre rechtliche Gestalt zu einer Zeit erhielten, die zwar den Verwaltungsvertrag, nicht aber den Gedanken der Geschäftsführung oder Vertretung kannte. 4 Das preußische Allgemeine Landrecht faßte diese Gruppen untreuetauglicher Täter - nach Ausscheidung der Beamten (§ 1330) - zusammen (§ 1331 ff) und entwarf so auch die Grundlage für die entsprechende, kasuistische Strafvorschrift im Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund. Auch die in § 266 Abs. 1 Ziff. 3 StGB aufgeführten Untreuetäter gehörten nicht zu den Beamten, sondern zu den freien Gewerbetreibenden. Zwar handelte es sich ausschließlich um solche Gewerbetreibende, die öffentlich vereidigt waren und deren Angaben in gewissem Umfang öffentlichen Glauben genossen (§ 36 Abs. 2 GewO); als Untreue sollte indessen nicht die Verletzung dieser "publizistischen Pflichten" 5 erfaßt werden, sondern die (bewußte) Benachteiligung des Auftraggebers unter Verletzung der Vertragspflicht. Dies wurde ganz allgemein daraus gefolgert, daß § 266 Abs. 1 Ziff. 3 StGB nur die 2 Zur Geschichte vgl. H. Mayer, Untreue S. 11 ff, 33 Cf, 46; J(jngsley, Untreuerecht, S. 27 ff m. w. N. S. 33 Fußn. 48; Dunkel, Vermögensbetreuungspflicht, S. 89; Ouo, Struktur, S. 310; Sannwald, Mißbrauchs- und Treubruchstatbestand, S. 18 f; Segall, Geschichte und Strafrecht, S. 164; Wrede, Die Untreue von der Peinlichen Gerichtsordnung bis zum Strafgesetzbuch, S. 30 ff. 3

H. Mayer, Untreue, S. 127; Meyer, Lehrbuch, S. 513; eingehend Pfeiffer, Untreue, S. 9/10.

4

Vgl. die Übersicht über die Entwicklung bis zum ALR bei Pfeiffer, Untreue, S. 10 - 11.

5

H. Mayer, Untreue, S. 68.

3. Kapitel Gesellschaftsrechtliche Regelung

95

Benachteiligung des Kontrahenten ("deren Geschäfte sie besorgen") unter Strafe stellte, nicht aber (auch) eine Verletzung der öffentlichen Pflichten oder eine Schädigung des öffentlichen Intersses verlangte. 6 Da die Ziffern 1 und 3 des § 266 Abs. 1 StGB als abschließende Kataloge galten, 7 konzentrierte sich auch die Frage der Amtsuntreue auf § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB. 1. Beamte als "Bevollmächtigte"

§ 266 StGB Abs. 1 Ziff. 2 StGB warf mithin die Frage auf, ob ein Beamter g - nach heutigem Sprachgebrauch Beamte und "Amtsträger" 9 - unter die in Ziff. 2 genannte Kategorie der "Bevollmächtigten" fiel.

Soweit die Antwort als davon abhängig begriffen wurde, ob eine "Vollmacht" grundsätzlich auch auf öffentlichem Recht beruhen könne, bejahte die h. M. die Bevollmächtigteneigenschaft. 10 Die Einordnung einer Norm als öffentlichrechtlich oder zivilrechtlich könne auf ihre Eignung als Grundlage für eine Bevollmächtigung keinen Einfluß haben. 11 Dies wurde damit begründet, die Zuordnung geltender Gesetze zu einem der Rechtsgebiete habe lediglich klassifikatorischen Wert und bilde, jedenfalls solange die Abgrenzung im einzelnen

6

H. Mayer, Untreue, S. 67 f; EbermayerlLobelRosenberg, § 266 Anm. 2.

7

Siehe oben Einleitung zu Teil 1.

g Der Begriff ist in diesem Zusammenhang rein strafrechtlich zu verstehen. In der älteren Literatur und Rechtsprechung wird bei der Erörterung der Amtsuntreue häufig ausdrücklich hervorgehoben, daß aus § 266 StGB kein eigenständiger Beamtenbegriff hergeleitet werden könne, sondern vielmehr die für die Amtsdelikte geltende, auf strafrechtliche Funktionen zugeschnittene Definition auch der Untersuchung der Anwendbarkeit des § 266 auf diesen Personenkreis zugrundezulegen sei; vgl. nur H. Mayer, Untreue, S. 256 und RGSt 15, 41, 42. Danach waren Beamte alle Beamten im staatsrechtlichen Sinne und die sogenannten Amtsträger, die staatliche Dienste ausüben ohne förmliche Anstellung nach den Bestimmungen des Beamtenrechts; st. Rspr.; RGSt 39, 232, 233 f; 60, 139 f; 75, 396; BGHSt 2, 396, 397 f; 12, 89.

9 Vgl. zu der Entwicklung dieses Begriffs und seinen historischen Wurzeln Welp, Festschr. f. Lackner, S. 761 ff. 10 Lediglich Frank (15. Autl., § 266 Anm. 11, 2) verneint eine Einbeziehung des Beamten in den Anwendungsbereich des § 266 Ziff. 2 StGB mit der Begründung, die öffentlich-rechtliche Natur des Beamtenverhältnisses stehe dem entgegen; ähnlich auch EbennayerlLobelRosenberg, 4. Autl., 1929, § 266 Anm. 11. 11

H. Mayer, Untreue, S. 93, 254 ff.

9 NeUe.

96

I.Teil Historisches Material

umstritten sei, keine taugliche Grenze für Zwecke des Strafrechts. 12 Teils wurde auch ausdrücklich auf die Tatbestandssystematik des § 266 StGB und insbesondere darauf verwiesen, daß in Abs. 1 Ziffer 1 Personen als potentielle Täter einer Untreue zum Nachteil des ihrer Fürsorge anvertrauten Vermögens genannt wurden, die jedenfalls ihre Befugnisse kraft öffentlichen Rechts erhalten hatten. 13 Die Frage, ob ein Beamter "Bevollmächtigter" sein könne, wurde in Rechtsprechung und Literatur jedoch aus anderen Gründen im Ergebnis kontrovers beurteilt. a) Auffassung der Lehre

Die Lehre vertrat den Standpunkt, es verbiete sich, im Verhältnis des Staates zu seinen Beamten von Auftraggeber und Bevollmächtigten zu sprechen; 14 dies widerspreche "schon dem einfachen Sprachgefühl". 15 Neben dem Wortlautargument wurde auch angeführt, es fehle an einem Auftraggeber, 16 und das öffentlichrechtliche Gewaltverhältnis des Beamten sei von einem privatrechtlichen Dienstverhältnis grundsätzlich verschieden. 17 Gerade die Abgrenzung der Ziff. 1 mit ihrer Gruppe von Tätern, deren Beziehung zum geschützten Vermögen (sträger) sich auf öffentlichrechtliche Befugnisgrundlagen stützte, von den "Bevollmächtigten" in Ziff. 2 stehe einer Einreihung der (übrigen) Beamten in die Gruppe der (privaten) Bevollmächtigten entgegen. 18 § 266 StGB könne aus diesem Grunde für die Ausübung hoheitlicher Befugnisse keinesfalls, wenn überhaupt, dann nur für privatrechtliches (fiskalisches) Handeln auf Grund besonderer Übertragungsakte gelten. 19 Schließ-

12

H. Mayer, Untreue, S. 255.

13

RGSt 15, 41, 42.

14 Frank, 15. Aufl., § 266 Anm. 11, 2; Ammon, Untreue, S. 67 ff; Draheim, Untreue und Unterschlagung, S. 25; Konrad, Untreue des Bevollmächtigten, S. 29; Binding, Lehrb. Bd. 1, S. 399; Carner, Untreue, S. 17; Leopold, Untreue, S. 31; 01 Freudenthal, Untreue in vergleichender Darstellung, BT Bd. 8, S. 109; H. Mayer, Untreue, S. 256 f; Olshausen, § 266 Anm. 6a; Schwartz, § 266 Anm. 4a.

15

H. Mayer, Untreue, S. 256.

16

So Binding, Lehrbuch Bd. 1, S. 399.

17

Ebennayer/LobelRosenberg, § 266 Anm. 11.

18

EbennayerlLobe/Rosenberg, § 266 Anm. 11.

19

Siehe dazu Kern, JW 1926, 990.

3. Kapitel Gesellschaftsrechtliche Regelung

97

lich, so wurde eingewandt, gelte für Beamte das Sonderstrafrecht der §§ 331 ff StGB, insbesondere die (damaligen) §§ 350, 351 StGB, das gerade keinen Untreue-, wohl aber einen Unterschlagungstatbestand enthalte. 2D b) Auffassung in der Rechtsprechung

Die Rechtsprechung, die zunächst wie selbstverständlich davon ausgegangen war, daß auch ein Beamter im Verhältnis zum Staat Bevollmächtigter im Sinne des § 266 Ziff. 2 StGB sein könne, 21 sah sich auf Grund der ablehnenden Haltung im Schrifftum zunehmend unter Begründungszwang. Sie rechtfertigte in späteren Entscheidungen ihren Standpunkt im wesentlichen mit zwei Argumentationsketten. Zum einen berief sie sich darauf, daß sich im 28. Abschnitt, Titel 2 (Verbrechen im Amte) keine dem § 266 StGB entsprechende Vorschrift fmde, so daß die Untreue "in dem mit einer besonderen Treupflicht verbundenen Beamtenverhältnisse" nur disziplinarisch geahndet werden könne, während Nichtbeamte, die eine Treuepflicht verletzten, "der härteren öffentlichen Strafe anheimfallen". Dies könne nicht in der Absicht des Gesetzgebers gelegen haben, umso weniger, als er in Art. 156 I. 13 ALR eine Regelung vorgefunden habe, die als Bevollmächtigte auch solche Personen behandelte, die zur Besorgung gewisser Angelegenheiten öffentlich bestellt waren. 22. Der zweite Begründungsansatz fußte auf den frühen Entscheidungen zur gesellschaftsrechtlichen Untreue. Insbesondere um Vorstände eingetragener Genossenschaften 23 und Vorstände sowie Aufsichtsräte von Aktiengesellschaften 24 als Bevollmächtigte erfassen zu können, hatte das Reichsgericht den Begriff des "Bevollmächtigten im Sinne des § 266 Ziff. 2 StGB" entwickelt. Danach galt als Bevollmächtigter "derjenige, dem die Vornahme von Rechtgeschäften für eine andere Person übertragen und eine Verfügungsgewalt namens derselben eingeräumt ist". 25 Soweit die Ausführung derartiger

20

So wohl H.Mayer, Untreue, S. 257.

21

RG Rspr. Bd. 4, S. 683; Bd. 8, S. 694.

22 So RGSt 15, 41, 42, die erste Entscheidung, die sich mit dieser Frage ausführlich auseinandersetzte.

23

RGSt 3, 35.

24

RGSt 7, 279.

25

RGSt 3, 285; 7, 377,; 11, 241; 13, 195.

98

l.Teil Historisches Material

Geschäfte "zu den Befugnissen und Pflichten eines übertragenen Amtes" gehörten, 26 sah die Rechtsprechung keine Schwierigkeiten, auch Beamte als Bevollmächtigte zu beurteilen. Bis zum Inkrafttreten des § 266 StGB n. F. am 1. 6. 1933 hielt das Reichsgericht, teils unter Hinweis auf die ablehnende Haltung im Schrifttum ausdrücklich, Z1 im übrigen ohne weitere Diskussion an dieser Rechtsprechung fest. 28

2. Untreuehandlungen Die für wirtschaftlich tätige Organisationen problematische Fallgruppe der Belastung des anvertrauten Vermögens mit einer Verbindlichkeit stellte sich für Amtsträger in dieser Form nicht. Die im übrigen streitige Frage nach der Qualität der Untreuehandlung, die von Mißbrauchs- und Treubruchstheorie unterschiedlich beantwortet wurde, 1!i spielte für die Diskussion der Amtsuntreue insofern keine große Rolle, als ohnehin nur die Rechtsprechung und (sonstige) Vertreter der Treubruchstheorie von der Bevollmächtigteneigenschaft des Beamten ausgingen. Bei der Beurteilung der Tatbestandsmäßigkeit treuwidrigen Verhalten von Amtsträgern ging man daher weitgehend fraglos davon aus, daß jede "rein tatsächliche" Einwirkung auf das fremde Vermögen 30 ausreichte, sofern dieses Verhalten "pflichtwidrig" war. 31 Gegenstand der Rechtsprechung waren im rein Tatsächlichen 32 vor allem Verwendung von Geldern, die in amtlicher Eigenschaft angenommen worden waren, für eigene Zwecke, 33 Zahlungsanweisungen aus anderen als den dafür

26

RGSt 15, 41.

Z1

So RGSt 65, 101; 61, 1,4; 65, 401; LZ 1926, S. 55.

28 RGSt 63, 186; RG JW 1934, 2773 Nr. 14; RGSt 64, 43; RG JW 1935, 530 Nr. 34; RGSt 66, 289; RG JW 1935, 943 Nr. 27; RGSt 69, 220.

1!i

Siehe dazu oben Teil 1, 2. Kapitel B I.

30

Dazu oben l.Teil, 2.Kap. B.1.2.b)cc)

31

Dazu oben 1.Teil, 2.Kap. B.1.2.b)cc)

32 Vgi. dazu die Auswertung der reichsgerichtlichen Rechtsprechung bei Neye, Untreue im öffentlichen Dienst, S. 15 f. 33

RGSt 69, 333; 70, 53.

3. Kapitel GesellschaftsrechtIiche Regelung

99

vorgeschriebenen Titeln, 34 Kreditgewährung ohne hinreichende Sicherheiten 3S oder Auftragsvergabe ohne vorherige Ausschreibung. 36

3. Nachteil Hinsichtlich der benachteiligenden Wirkung der treuwidrigen Verfügung sind in Rechtsprechung und Literatur des hier untersuchten Zeitraumes keine Besonderheiten zu fmden, die die Anwendbarkeit des § 266 StGB speziell auf Amsträger betreffen. 11. Untreue gegenüber (anderen) Vereinigungen und Gesellschaften Anders als bei der Amtsuntreue wurde - soweit ersichtlich - die Frage weder gestellt noch als problematisch empfunden, ob die Existenz spezieller (gesellschaftsrechtlicher) Untreuetatbestände eine Sperrwirkung in Bezug auf Organe anderer, vergleichbarer Organisationen entfalten könne. 37 Die Diskussion beschränkte sich auf tatbestandsinterne Probleme: die Defmition von "Bevollmächtigung" in § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB und die Frage danach, wer "Auftraggeber" war. Im Ergebnis wurde dabei nicht unterschieden, ob die "Auftraggeber" derjenigen Organe, deren TäterqualifIkation als "Bevollmächtigte" in Frage stand, juristische Personen oder (Personen-) Gesellschaften waren. 38 Ausgangspunkt war die zwischen den Vertretern der Mißbrauchs- und der Treubruchstheorie unstreitige Aussage, daß Rechtsgrundlage eines Vollmachtsverhältnisses im Sinne des § 266 Abs. 1 Ziff. 1 StGB auch ein Gesellschaftsvertrag sein könne. 39 Typisch für die Ableitung dieser These ist folgende Aussage:

34

RG Rspr. 4, 683; RGSt 15,41,43.

3S

RGSt 61, 1.

36

RGSt 63, 186.

37

Nur andeutungsweise allerdings H. Mayer, Untreue, S. 242 und 301.

38 So werden in den einschlägigen Entscheidungen Begriffe wie "Genossenschaft", "Verein", "Gesellschaft" wahllos nebeneinander gebraucht; vgl. etwa RGSt 3, 35; RG GA 40 (1892), 55. 39

RGSt 23, 315; 43, 432; R. Schmidl, Grundriß des Deutschen Strafrechts, 2. Aufl., S. 215.

100

1.Teil Historisches Material

"Auf Gesellschaftsvertrag beruht z. B. die inhaltlich an sich geregelte Bevollmächtigteneigenschaft beim vertretungsberechtigten Gesellschafter und Liquidator sowohl der. Gesellschaft des bürgerlichen Rechts, als auch der offenen Handelsgesellschaft. Auch die sonst inhaltlich geregelten Vollmachten der Vorstände juristischer Personen wie der Aktiengesellschaft, Genossenschaften, eingetragene Vereine u.s.w. sind hierher zu rechnen, da auch ihre Berufung letztlich in freier Weise erfolgt." 40 Dennoch lassen sich die Stellungnahmen in Rechtsprechung und Literatur danach unterscheiden, ob der "Auftraggeber" eine juristische Person oder eine Personengesellschaft war, da die Begründungen für die Bevollmächtigteneigenschaft, von dem obengenannten Ansatz abgesehen, differenzierter waren. 1. Organe juristischer Personen als deren ''Bevollmächtigte''

Die Vertreter der Mißbrauchstheorie hielten "gesetzlich bestellte Bevollmächtigte", wie z. B. Personen, denen eine Organstellung kraft Gesetzes zum Zwecke der Vermögensverwaltung zugewiesen war, nicht für solche im Sinne des § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB, denn es fehle der Auftraggeber, "dessen Auftrag der Bevollmächtigte mißachtet, dessen Vermögen er geschädigt hat." 41 Dem im Gesetz verwendeten Begriff "Auftraggeber" sei nämlich zu entnehmen, daß die Vertretungsmacht auf einem freien Willensakt des Vollmachtgebers, auf einem Rechtsgeschäft, beruhen müsse. 42 Soweit auf dem Boden der Mißbrauchstheorie daher teilweise die Ansicht vertreten wurde, die gesetzliche Regelung der Vertretungjuristischer Personen führe dazu, daß die Vertretung eine "gesetzliche" sei, 43 schieden die Organe als Bevollmächtigte aus.

40

Dieterich, Untreue, S. 41.

41

Binding, Lehrbuch, S. 399; ebenso Dieterich, Untreue, S. 41.

42 Carner, Untreue, S. 11; Leopold, Untreue, S. 28; Oberstadt, Untreue, S. 43 jeweils gegen die um die Jahrhundertwende noch vertretene Wortlautinterpretation, nach der nur ein "Auftrag" im zivilrechtlich-technischen Sinne Grundlage der Bevollmächtigung auch im Sinne des § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB sein konnte (so etwa Aschauer, Untreue, S. 20; Grunow, Untreue der Bevollmächtigten, S. 19; Konrad, Untreue des Bevollmächtigten, S. 22). 43 Binding, Lehrbuch, S. 399; Ammon, Untreue, S. 61; Carner, Untreue, S.12; H. Meyer, Lehrbuch, S. 499. - H.Mayer (Untreue, S. 89) nahm u. a. diesen Aspekt der Mißbrauchstheorie zum Anlaß, den Begriff der "gesetzlichen Vertretung" als solchen in Frage zu stellen. Denn das rein fonnale Verständnis dieses Begriffes werfe die ernsthafte Frage auf, "ob nicht alle diese sogenannten Vertreter in Wahrheit keineswegs fremde, sondern vielmehr eigene Rechte, wenn auch in fremdem Interesse ausübten".

3. Kapitel Gesellschaftsrechtliche Regelung

101

Dennoch konnten die Vertreter der Mißbrauchstheorie sich den Ergebnissen der Rechtsprechung des Reichsgerichts, die im folgenden dargestellt wird, überwiegend anschließen. Begründung dafür war, daß einegesetzliche Regelung der Vertretung etwas anderes sei als "gesetzliche Vertretung". Auch die gesetzlich geregelte Ermächtigung der Organe und der Umfang ihrer Geschäftsführungsbefugnis beruhe letztlich auf Rechtsgeschäften, nämlich den Gesellschaftsverträgen, Wahlen oder Anstellungsverträgen. 44 Da das Reichsgericht sich in seinen frühen Entscheidungen in seiner Haltung zu den theoretischen Grundlagen der Untreue noch nicht festgelegt hatte, zeichnen sich diese Entscheidungen durch eine gewisse Variationsbreite in den Begründungsansätzen für die Annahme einer "Bevollmächtigung" von Organen juristischer Personen aus, die teils offenbar darauf abzielten, den Bedenken der Vertreter der Mißbrauchstheorie Rechnung zu tragen. Im Ergebnis wurden die von der Rechtsprechung entwickelten Aussagen zu Untreue von Organen juristischer Personen außerhalb des spezialgesetzlich geregelten Bereichs - von den oben angeführten Bedenken der Vertreter der Mißbrauchstheorie abgesehen - jedoch nicht bestritten. Die einzelnen Fallgruppen können daher im folgenden auf der Grundlage der reichsgerichtlichen Entscheidungen dargestellt werden.

a) Vereine In mehreren Entscheidungen befaßte sich das Reichsgericht mit Fragen der Untreue des Vorstandes eines rechtsfähigen Vereins. 4S Der rechtsfähige Verein gilt und galt bereits damals als Prototyp der juristischen Person. 46 Aus diesem Grunde kann die Untreue von Vereinsorganen, -mitgliedern und sonstigen "Bevollmächtigten" zum Nachteil des Vereins als typische Konstellation verstanden werden. Die genannten Entscheidungen stimmten freilich nur im Ergebnis und nur in einem Punkt überein: Der Vorstand eines Vereins war Bevollmächtigter im Sinne des § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB, jedoch nicht aufgrund der gesetzlichen

44

Dieterich, Untreue, S. 41; Oberstadt, Untreue, S. 45 f.

4S RG Rspr. Bd. 5 (1883), 15, sowohl eine Genossenschaft als auch einen rechtsfähigen "Vorschußverein" betreffend; RG Rspr. Bd. 8 (1886), 575, eine als rechtsfähiger Verein organisierte Innung betreffend. RGSt 23 (1892), 97; RG GA Bd. 48 (1901), S. 443 jeweils Vereine betreffend.

46

VgI. dazu StolI, RG-Festgabe Bd. 11, S. 49, 74.

102

l.Teil Historisches Material

Regelung des Befugnisse eines Vorstandes,

47

sondern auf Grund der

Übertragung dieses Amtes durch Wahl 48 beziehungsweise auf Grund des Anstellungsvertrages nach den Regeln der Vereinssatzung. 49

Setzten sich die Entscheidungen anfangs noch teilweise mit Fragen der Wirksamkeit der Wahl oder Bestellung so oder damit auseinander, ob die Wahl der treuwidrigen Verfügung vorangegangen sein mußte, S1 so entfielen diese Diskussionspunkte, nachdem das Reichsgericht sich offen auf den Boden der Treubruchstheorie gestellt hatte. Denn nach der Treubruchstheorie, reichte es, wie bereits mehrfach dargelegt, daß ein "Treueverhältnis" vorlag. Täter konnte danach "ohne Rücksicht auf die zivilrechtliche Gestaltung der in Betracht kommenden Rechtsbeziehungen" jeder sein, dem "eine Vertrauens- oder Machtstellung eingeräumt (sc. war), die es ihm ermöglicht, tatsächlich oder rechtlich über die Vermögensstücke des Auftraggebers zu verfügen." S2 Eine einheitliche Linie fehlte anfangs ebenfalls bei Lösung der Frage, wer "Auftraggeber" der Vorstände war, der Verein als juristische Person oder die Gesamtheit seiner Mitglieder. Als "Auftraggeber" wurde in den zeitlich früheren Entscheidung die "unter diesem Namen bestehende juristische (fingierte) Person" S3, bzw. der (Vorschuß-) Verein angesehen. 54 Aus diesem Grunde wurde etwa Vorstandsmitgliedern Untreue zur Last gelegt, die entgegen der Satzung aber in Ausführung eines Beschlusses der Generalversammlung einen Teil des Innungs- ss bzw. Vereinsvermögens 56 unter die Mitglieder verteilt hatten. Später beurteilte das Reichsgericht jedoch gelegentlich den Vorstand eines rechtsfähigen Vereins "wegen der ihm kraft Vereinssatzung oder Anstellungsvertrages zukommenden Rechte und Pflichten als Bevollmächtigten des Vereins, genauer der Mitglieder"; es sei daher "der Gesammtheit aller Ver-

47

RG Rspr. Bd. 5, 15; Bd. 8,575, 576; RG GA 48 (1901), 443, 444.

48

RG Rspr. Bd. 8, 575, 576; RGSt 38, 363; RG Ga 40 (1892), 55, 56.

49

RG GA 48 (1901), 443, 444.

so RG GA 48 (1901), S. 443,444. S1

RGSt 38, 363, 364.

S2

RGSt 63, 407; ebenso RGSt 61, 78, 80; 62, 58, 59/60; RG Recht 1928, 676.

53

RG Rspr. Bd. 8, 575, 577 betreffend eine Innung.

54 RG Rspr. Bd. 5, 15, 17; RGSt 23, 97; ebenso RGSt 3, 35, 40 für den Vorstand einer Gewerbekasse e.G. vor Inkrafttreten des § 146 GenG ..

ss RG Rspr. Bd. 8, 575. 56

RGSt 23, 97.

3. Kapitel Gesellschaftsrechtliche Regelung

103

einsmitglieder die Eigenschaft eines 'Auftraggebers'" beizumessen. S7 Die Rechtsprechung vereinheitlichte sich insoweit erst, als sie dazu überging, auf Entscheidungen zur Untreue von Organen juristischer Personen zu verweisen, 58 die sich freilich auf die Spezialtatbestände bezogen. YJ b) GmbH

Für die GmbH ist zu unterscheiden zwischen (vertretungsberechtigten) Gesellschaftern und Geschäftsführern. Die Rechtsprechung befaßte sich ausgiebig mit den Grundlagen und dem Umfang der Befugnisse von Gesellschaftern und Geschäftsführern zunächst überwiegend unter dem Aspekt der Pflicht zur Anmeldung zum Handelsregister, der Pflicht zur Konkursanmeldung und den Vergehen nach § 240 KO. 60 Die Frage der Bevollmächtigteneigenschaft von GmbH-Organen stellte sich dem Reichsgericht, soweit ersichtlich, erstmals in der Konstellation übermäßiger Entnahmen durch den Alleingesellschaftergeschäftsführer einer GmbH. 61 In der Entscheidung wurde - beiläufig und selbstverständlich davon ausgegangen, daß der Geschäftsführer einer GmbH tauglicher Täter einer Untreue im Sinne des § 266 Abs. 1 und 2 StGB sein könne. 62 Begründet wurde diese Ansicht lediglich mit dem Hinweis auf eine Entscheidung, die die Bevollmächtigteneigenschaft der Vorstandsmitglieder einer Gewerbekasse e.G. 63 betraf. Die Eigenschaft als (AlIein-) Gesellschafter wurde allerdings offenbar nicht als hinreichende Täterqualifikation für § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB angesehen. Insoweit stellt das Urteil lediglich fest, daß das Gesellschaftsvermögen als solches ihm fremd bleibe und er sich durch Aneignung gemäß § 246 StGB strafbar machen könne, "ähnlich wie dies hinsichtlich des Gesellschafters einer offenen Handelsgesellschaft im Hinblick auf § 266 Abs. 2 StGB wiederholt

S7

RG, GA 48 (1901), 443, 444.

58

RGSt 23, 97, 98; vgl. auch die Nachweise zum folgenden Abschnitt "GmbH".

YJ

Vgl. dazu den Teil 1, 2. Kapitel C.

60

RGSt 37, 324; 39, 217; 40, 191; 40, 285; 41, 309.

61

RGSt 42, 278.

62

RGSt 42, 278, 282.

63

RGSt 38, 363.

104

l.Teil Historisches Material

angenommen" worden sei. 64 Die Frage, ob der Alleingesellschafter in seiner Eigenschaft als Organ ("Gesellschafterversammlung") möglicherweise Bevollmächtigter der GmbH sein konnte, legte sich das Reichsgericht nicht vor. Es beließ es bei dem Hinweis, daß unberechtigte Entnahmen nach § 242 oder § 246 StGB, "oder wenn er (sc. der Alleingesellschafter) gleichzeitig Geschäftsführer war, nach § 266 Abs. 1 Nr. 2 StGB strafbar sein konnten." 6S Die scharfe Trennung zwischen der GmbH als juristischer Person und ihrem Vermögen einerseits und der Summe der Gesellschafter andererseits hielt das Reichsgericht auch in anderen Zusammenhängen durch. So sah es etwa bei einer der GmbH drohenden Zwangsvollstreckung den Alleingesellschaftergeschäftsführer nicht als den Vollstreckungsschuldner an, der sich durch Beiseiteschaffen von Vermögensstücken der GmbH nach § 288 StGB der Vollstrekkungsvereitelung schuldig machen konnte. 66 2. Organe von Personengesellschaften als deren ''Bevollmächtigte''

Soweit ersichtlich sind Gegenstand höchstrichterlicher Entscheidungen zur Untreue die Verhältnisse der offenen Handelsgesellschaft, 67 der Kommanditgesellschaft 68 und der Gesellschaft bürgerlichen Rechts @ gewesen.

a) oHG Auch und erst recht für Personengesellschaften stellte sich die Frage, ob Organe in dieser Eigenschaft überhaupt Bevollmächtigte und wenn ja, wessen Bevollmächtigte sie sein konnten. Die Rechtsprechung entwickelte ihr Ergebnis in zwei Schritten. Am Anfang stand die Frage, ob das Vermögen der Gesellschaft als Gesamthandsvermögen

64 RGSt 42, 278, 283. - Die zitierten Belege (RGSt 7, 18; 19, 271; 23, 315) betreffen in der Tat ausnahmslos Entscheidungen zur Frage der Bevollmächtigteneigenschaft von Gesellschaftern einer offenen Handelsgesellschaft; siehe Fußn. 67. 6S

RGSt 42, 278, 284.

66

RGSt 60, 234, 235.

67

RGSt 7, 18; 19, 271; 23, 315; 26, 246; 27, 11; 42, 227; 45, 387; 45, 398; 47, 90.

68

RGSt 18, 123.

@

RGSt 43, 55; 61, 336.

3. Kapitel GesellschaftsrechtIiche Regelung

105

für den einzelnen Gesellschafter "fremd" (im Sinne des § 246 StGB) sem konnte. Das Reichsgericht stellte dazu fest: "Das Vermögen der offenen Handelsgesellschaft steht den Handelsgesellschaftern in ihrer Gesamtheit ungetrennt zu, es ist abgesondert von dem Vermögen der einzelnen Gesellschafter. Dem praktischen Resultate nach ist das Verhältnis dasselbe wie bei der Aktiengesellschaft, deren Vermögen etwas anderes ist als das Vermögen der Aktionäre wie das Vermögen jeder Korporation etwas anderes ist als das Vermögen der Korporationsglieder. Hier wie dort können die einzelnen Forderungen wie Schulden gegen das Gesamtvermögen haben, es können ihnen dingliche Rechte an Sachen zustehen, welche der Gesamtheit gehören, und für die Gesamtheit können solche Rechte an Sachen der einzelnen begründet sein." 70 Stand somit fest, daß die offene Handelsgesellschaft als quasi-juristische Person zu behandeln war, war in einem zweiten Schritt nur noch zu klären, inwieweit die auf der gesetzlichen Vetretungsregel beruhenden Befugnisse des einzelnen Gesellschafters als Vollmacht oder Auftrag im Sinne des § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB qualiflziert werden konnten. Das Reichsgericht ging darauf in späteren Entscheidungen ein und judizierte, für ein Bevollmächtigungsverhältnis reiche es aus, daß die gesetzliche Vertretungsbefugnis Folge eines anderen, weitergehende Rechte und Pflichten begründenden Vertrages, hier des Gesellschaftsvertrages, sei. Daß der einzelne Gesellschafter "vertretungsberechtigtes Organ" 71 sei, stehe der Annahme nicht entgegen, ihn als Bevollmächtigten, sowohl der Gesellschaft "als vermögensrechtlich selbständigem Rechtssubjekt" als auch "mittelbar der anderen Gesellschafter" zu behandeln. 72 Speziell diese Konstellation wurde jedoch in der Literatur kontrovers beurteilt. Einige Vertreter der Mißbrauchstheorie sahen die (gesetzliche) Vertretungsbefugnis des von der Vertretung nicht (ausdrücklich) ausgeschlossenen Gesellschafters einer offenen Handelsgesellschaft nicht als Fall der Bevollmächtigung an, weil es sich dabei um "gesetzliche Vertretung" handele. 73 Die übrigen Vertreter der Mißbrauchstheorie wie auch die ganz herrschende Lehre

70

RGSt 7, 18, 20.

71

RGSt 19, 271, 272 (Hervorhebung im Orginal).

72 RGSt 19, 271, 272; ebenso für Gesellschafter, die sich kraft Vereinbarung zu Liquidatoren einer oHG bestellt hatten RG Rspr. Bd. 10, 201, 202.

73 Binding, Lehrbuch, S. 399; Ammon, Untreue, S. 61; Carner, Untreue, S. 12 Nr. 2; Engelhard, Untreue, S. 22.

106

l.Teil Historisches Material

argumentierten jedoch mit der Möglichkeit eines Ausschlusses der Gesellschafter von der Vertretung (nach § 125 HGB a. F.). Bestehe diese Möglichkeit, so könne aus dem Umstand, daß im Gesellschaftsvertrag von ihr nicht Gebrauch gemacht worden sei, der Schluß gezogen werden, daß den Gesellschaftern die Vertretungsmacht durch (konkludente) rechtsgeschäftliche Erklärung übertragen sei. 74 War der einzelne Gesellschafter zugleich Bevollmächtigter "der Gesellschafter", lag der Einwand nahe, daß er in dieser Eigenschaft dann auch sein eigener Auftraggeber sei. Diesen Einwand entkräftete das Reichsgericht mit dem Argument, der einzelne Gesellschafter könne auch die Tätigkeiten, die er (zugleich) im eigenen Interesse wahrnehme, nur aus dem Gesellschaftsvertrag ableiten, also nur kraft dieser Ermachtigung für sich und die anderen tätig werden. 75 "Auftraggeber" war danach (immer) die Gesellschaft, verstanden als die Summe aller Gesellschafter. b)KG

Das Reichsgericht hatte sich mit den Verhältnissen einer Kommanditgesellschaft - ebenso wie bei der offenen Handelsgesellschaft - zunächst nur in einem Fall der Unterschlagung zu befassen. 76 Es judizierte, daß die für eine offene Handelsgesellschaft in der Rechtsprechung entwickelten strafrechtlichen Grundzüge auf die Kommanditgesellschaft übertragbar seien. Auch diese stelle "nach innen wie nach außen eine von den individuellen Personen der Beteiligten verschiedene Gesellschaft" dar, die als solche ein "selbständiges Rechtssubjekt für den Erwerb von Rechten wie für die Eingehung von Verbindlichkeiten" sei. n Das Reichsgericht gab eindeutig zu erkennen, daß es die für die oHG geltenden Grundsätze in vollem Umfang auf die KG übertragen wissen wollte: "In verstärktem Maße treffen daher alle rechtlichen Gesichtspunkte zu, welche das Reichsgericht bezüglich der offenen Handelsgesellschaften und

74 So ausdrücklich auf dem Boden der Mißbrauchstheorie Oberstadt, Untreue, S. 45; ebenso Frank, 15. Aufl., § 266 Anm. 11, 2; Schwartz, § 266 Anm. 4a; Konrad, Untreue des Bevollmächtigten, S. 26; Leopold, Untreue, S. 29; H. Mayer, Untreue, S. 242.

75

ROSt 23, 315, 316.

76

ROSt 18, 123.

n ROSt 18, 123, 124.

3. Kapitel Gesellschaftsrechtliche Regelung

107

des Verhältnisses der einzelnen Gesellschafter zum Gesellschaftsvermögen anerkannt hat. 78 Danach war jedenfalls der geschäftsführende Komplementär Bevollmächtigter der Gesellschaft. In einer späteren Entscheidung ging es dann um die Bevollmächtigteneigenschaft des Kommanditisten, der auf Grund besonderer Absprachen vertretungsberechtigt war. Das Reichsgericht sah insoweit die Erteilung der Prokura als erforderlich an. 79 c) BGB-Gesellschajt In gleicher Weise verfuhr die Rechtsprechung mit der Lösung von Untreuefragen für den Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts nach §§ 705 ff BGB. Sie erklärte auch hier die für die offene Handelsgesellschaft aufgestellten Grundsätze für maßgebend. Das Gesellschaftsvermögen der BGB-Gesellschaft wurde danach als Gesamthandsvermögen von dem Vermögen der einzelnen Gesellschafter getrennt gesehen. Jeder Gesellschafter war kraft Gesellschaftsvertrages Bevollmächtigter "der Gesellschaft" und mittelbar der einzelnen Gesellschafter. 80 Diesem Ergebnis wurde in der Literatur teilweise mit der Begründung widersprochen, die BGB-Gesellschaft besitze keine eigene Rechtspersönlichkeit; der einzelne Gesellschafter könne deshalb immer nur Bevollmächtigter der anderen Mitgesellschafter sein. 81 d) Gemeinschaft Für Gütergemeinschaften schließlich nahm das Reichsgericht - in einem obiter dictum - ebenfalls auf die Rechtsprechung zur offenen Handelsgesellschaft und zur BGB-Gesellschaft Bezug. Bei der Ähnlichkeit der Rechtsstellung des Ehemannes als Verwalter des Gesamtgutes (§§ 1443 ffBGB) mit derjenigen des geschäftsführenden Gesellschafters im Verhältnis zu den Mitge-

78

RGSt 18, 123, 124.

79

RG JW 55, 1574.

80

RGSt 43, 55, 56/57.

81 So ausdrücklich Oberstadt (Untreue, S. 46), nachdem er freilich zuvor die Gesellschafter der offenen Handelsgesellschaft als Bevollmächtigte "der Gesellschaft" eingeordnet hatte.

108

l.Teil Historisches Material

sellschaftern, liege es nahe, auch hier von einem "Vollmachtsverhältnis" auszugehen. 82 3. Untreuehandlungen

Insofern die Tathandlung nach § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB in einer Verfügung über Forderungen oder Vermögensstücke "desAuftraggebers" bestehen mußte, ließ der gewählte Ansatz schlüssige Lösungen zu. Alle in Betracht kommenden Vereinigungen und Gesellschaften wurden in Ansehung ihrer Fähigkeit, "Auftraggeber" sein zu können, ohne Unterschied als "eigene Rechtspersönlichkeiten" angesehen. Danach war es konsequent, ihnen jedenfalls strafrechtlich auch die Fähigkeit zuzuschreiben, Träger von Vermögen sein zu können. Ihnen konnten also Forderungen und Vermögensstücke zustehen, über die der Täter treuwidrig verfügen konnte. Im übrigen aber warf insbesondere die Beschränkung der ungtreuen Handlungen auf Verfügungen "über Forderungen und Vennögensstücke" Sonderprobleme für die Beurteilung von Untreuehandlungen zum Nachteil von Organisationen auf. Läßt man den grundsätzlichen Streit über das "Wesen der Untreue" außer Betracht, der sich in unterschiedlichen Anforderungen an die rechtliche Qualität der "Verfügung" als Mißbrauch oder als Verletzung der Treuepflicht niederschlug, stellte sich bei treuwidriger Benachteiligung von Gesellschaften ferner die "Pflichtwidrigkeit" als Element der Tathandlung nach der Treubruchstheorie als besonders problematisch dar. a) Belastung des Vennögens mit einer Verbindlichkeit

Die Belastung des Vermögens des Auftraggebers mit einer Verbindlichkeit ließ sich, wie bereits gezeigt, 83 nicht unter Verfügungen über "Forderungen und Vermögensstücke" subsumieren. Diese Grenze des § 266 Abs. 1 Ziff.2 StGB, zu deren Aufhebung für Aktiengesellschaften, Genossenschaften, Banken und Versicherungsträger die Spezialtatbestände eingeführt worden waren, 84 wurde gerade bei der Untreue zum Nachteil von Handelsgesellschaften und Wirtschaftsvereinen nicht nur als sachwidrig empfunden, sondern als Quelle ungerechtfertigter Ungleichbehandlung. Denn diese Gesellschaften bzw. Vereine waren gegen (treuwidrige) Belastungen mit einer Verbindlichkeit

82

ROSt 66, 371/372.

83

Siehe oben Teil 1, 1. Kapitel B 11.

84

Siehe oben Teil 1, 2. Kapitel, B I.

3. Kapitel Gesellschaftsrechtliche Regelung

109

in gleichem Maße anfällig, wie diejenigen, die durch gesellschaftsrechtliche Strafvorschriften davor geschützt wurden. Diese "Ungleichbehandlung" galt als "ein vom kriminalpolitischen Standpunkt aus unmögliches Ergebnis". &5 Es versteht sich, daß dieses Unbehagen Anlaß für verschiedene Versuche war, die Grenzen der Tathandlung des § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB zu umgehen oder zu unterlaufen. Die Rechtsprechung griff zu diesem Zweck, soweit der Fall dies eben zuließ, auf etwaige Verkörperungen der Verbindlichkeit (Wechselakzepte; 86 Schuldverschreibungen; 8:1 Schecks 88) zurück. Sie entschied zunächst, daß ein Wechselakzept - jedenfalls als Papier - vor Begebung, also noch in der Hand des Akzeptanten, ein Vermögensstück desselben sei. 89 Dieser Rückgriff auf die körperliche Substanz des Wertpapiers erlaubte es, die Begebung solcher Wertpapiere als Verfügung über Vermögensstücke der Gesellschaft zu erfassen. 90 Voraussetzung war jedoch jeweils, daß die Ausstellung bzw. das Akzept im Namen der Gesellschaft und in (zvilrechtlich) wirksamer Vertretung der Gesellschaft vorgenommen worden war, damit vor Begebung ein Vermögensstück "der Gesellschaft" zustandekam. 91 - Die Übertragung dieser Konstruktion auf Schecks führte zu dem kuriosen Ergebnis, daß ein Gesellschaftsvorstand zwar Untreue begehen konnte, wenn er Schecks auf die Gesellschaft ausstellte und sich die Beträge gu·(schreiben ließ, solange die Gesellschaft über ein Bankguthaben verfügte, nicht jedoch, wenn das Konto der Gesellschaft bereits im Soll stand. Dann sollte nur die Belastung mit einer

&5

Zoller, Untreuebegriff, S. 27; ähnlich Klee, ZBHR 1926, 335.

86

RGSt 66, 206.

8:1 So

88

in einem obiter dictum RGSt 42, 227, 229; anders jedoch RGSt 13, 376.

RG, JW 1925, S. 146 Nr. 7.

89 Grundlegend RGSt 10, 385, 387: "Daß das Wechselaccept des (sc. Auftraggebers) bis zur Begebung als ein (sc. ihm) gehöriges Vermögensstück anzusehen ist, unterliegt keinem Bedenken. Eine Schuldobligation des Acceptanten wird erst durch die Begebung geschaffen. Bis dahin ist das Accept ein Wertobjekt des Acceptanten, über welches dieser im Geschäftsverkehre zum eigenen Vorteile disponieren kann und dessen Wert für den Acceptanten sich gerade dadurch manifestiert, daß derselbe durch die Begebung mit einer Schuld in Höhe der Wechselsumme belastet wird." Ebenso RGSt 13, 376; 23, 315. 90

So für die oHG: RGSt 26, 246, 248; 23, 315, 317; für die GmbH: RGSt 66, 206.

91 Daran scheiterte die Verurteilung wegen Untreue in einem Fall, in dem der für eine oHG zeichnende Aussteller und Akzeptant von der Vertretung der Gesellschaft ausgeschlossen war, RGSt 42, 227.

110

I.Teil Historisches Material

Vebindlichkeit vorliegen, 92 es sei denn, es wäre ein besonders eingeräumter und deshalb als Vermögensbestandteil in Rechnung zu stellender Kredit in Anspruch genommen worden. 93 In der Literatur wurde dieser Lösungsweg überwiegend kritisiert. Wechselakzepte seien Verpflichtungsurkunden; falle die Belastung eines Vermögens mit einer Verbindlichkeit aus dem Anwendungsbereich des § 266 Abs. 1 Ziff. StGB heraus, dann bleibe als "Vermögensstück" nur der Papierstoff der Wechselurkunde. Dieser sei als solcher aber nicht "hinreichend werthaltig, um ihn dem "Vermögen" zuzurechnen. 94 Auf eine Schuldverschreibung hingegen lasse sich die Argumentation der Rechtsprechung zum Wechselakzept schon deshalb nicht übertragen, weil sie unter keinem denkbaren Gesichtspunkt zum Aktiwermögen des Schuldners gerechnet werden könne, solange er sie noch in Händen halte. Auch hier bleibe allenfalls die Urkunde als solche, die indessen mit Rücksicht auf ihren geringen Papierwert als selbständiger Vermögenswert ausscheide. 9S b) Die ''Statutenwidrigkeit'' der Verfügung

Wie bereits im Zusammenhang mit den besonderen Untreuetatbeständen dargelegt wurde,versuchten die Vertreter der Treubruchstheorie, die Konturlosigkeit der Untreuehandlung, die sich aus ihrem Ansatz ergab, durch das Merkmal der Pflichtwidrigkeit der Handlung einzugrenzen. 96 Da die Pflichtwidrigkeit als generelles restriktives Kriterium eingeführt wurde, galt es auch für § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB, obwohl diese Vorschrift nicht ein "Handeln" sondern ein "Verfügen" zum Nachteil des Auftraggebers verlangte. 97

92 RG JW 1925, S. 146 Nr. 7 m. Anm. Alsberg; RG JW 1927, S. 1862 Nr. 42; ebenso EbermayerlLobelRosenberg,§ 266Anm. 20 unter Hinweis auf eine unveröffentlichte Entscheidung des Reichsgerichts vom 7. 7. 1924 (Il 504/24). 93

RG JW 1927, S. 2218 Nr. 35 und S. 3010 Nr. 25.

94 Binding, Lehrbuch, S. 401; Freudenthal, Untreue, S.,I11; Ammon, Untreue, S. 74 ff; Draheim, Untreue, S. 31; Engelhardt, Untreue, S. 39; Konrad, Untreue des Bevollmächtigten, S. 36 ff; H. Mayer, Untreue, S. 264; Oberstadt, Untreue, S. 52.

9S Engelhardt, Untreue, S. 39; Konrad, Untreue des Bevollmächtigten, S. 37 und Oberstadt, Untreue, S. 52. 96

Dazu oben l.Teil, 2.Kap. B.I.2.b)cc)

97

Siehe dazu oben Teil 1, 2. Kapitel, B Il 2.

3. Kapitel Gesellschaftsrechtliche Regelung

111

War Untreue zum Nachteil von Organisationen nach § 266 Abs. 1 Ziff.2 StGB zu beurteilen, wurde der Maßstab für die Pflichtwidrigkeit unklar. Anders als bei den gesellschaftsrechtlichen Untreuetatbeständen, die selbst Bestandteil eines "Gesellschaftsgesetzes" waren, konnten hier die Pflichten eines Organs nicht selbstverständlich durch Rückgriff auf die zivilrechtlichen Regelungen der Rechte und Pflichten von "Organen" im Verhältnis zur Gesellschaft und im Verhältnis zueinander definiert werden. Soweit die Rechtsprechung auf diese Frage einging, läßt sich eine einheitliche Linie nicht feststellen. So wurde in einigen Fällen darauf abgestellt, daß die inkriminierte Handlung "statutenwidrig" war. 98 In einzelnen dieser Fälle hatten Vorstandsmitglieder von Vereinen zunächst Beschlüsses der Generalversammlung herbeigeführt, in denen die ihnen später zur Last gelegten Verfügungen beschlossen worden waren. 99 Das Reichsgericht beurteilte diese Verfügungen dennoch als Untreue, weil die Beschlüsse als solche statutenwidrig 100 bzw. nichtig 101 waren, mithin auch die Ausführungsakte gegen die Satzung verstießen. 102 Als zusätzliche Begründung fmdet sich in einer der früheren Entscheidungen der Hinweis, Beschlüsse der Generalversammlung könnten den Tatbestand ausschließen, jedoch nur soweit, wie die Generalversammlung ihrerseits nach der Satzung zur Fassung des entsprechenden Beschlusses befugt gewesen sei. 103 Hingegen wird in einer anderen Entscheidung darauf abgestellt, daß das betreffende Vorstandsmitglied den Beschluß erschlichen habe. Da das Wesentliche der Untreue der Vertrauensbruch sei, stehe es einem Handeln gegen den Willen des Auftraggebers gleich, wenn der Betreffende den Willen in betrügerischer Weise bestimmt habe. 104 4. Nachteil

In Bezug auf die Nachteiligkeit der Verfügung stellten sich unter dem Aspekt, daß der benachteiligte Vermögensträger eine Organisation war, keine anderen Probleme als die, die bereits im Zusammenhang mit den Spezi-

98

RG Rspr. Bd. 5, 15.

99

RG Rspr. Bd. 8, 575; RGSt 23, 97; 38, 363.

100

RG Rspr. Bd. 8, 575; RGSt 23, 97.

101

RGSt 38, 363.

102

RG Rspr. Bd. 8, 575, 577; RGSt 23, 97, 99.

103

RG Rspr. Bd. 8, 575, 577.

104

RGSt 38, 363, 366/367.

\0 Nolle,

112

l.Teil Historisches Material

alvorschriften genannt wurden. lOS Insbesondere Fragen des kaufmännischen Risikogeschäfts in Verbindung mit dem Grundsatz der Einzelsaldierung wurden für § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB mit denselben Argumenten ausgetragen. 106 IH. Die Sonderfälle der "faktischen Gesellschaft" und der "faktischen Organe" Zweifelhaft war auch die Anwendung des § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB auf diejenigen "Organe", die nicht wirksam bestellt oder deren "Auftraggeber" (noch) nicht rechtlich existent waren. Folgte man der Mißbrauchstheorie, war erforderlich, daß die Vereinigung oder Gesellschaft als solche rechtlich existent, d. h. rechtlich wirksam gegründet war, denn sonst war sie nicht (rechtlich) handlungsfähig und konnte das Bevollmächtigungsverhältnis nicht wirksam begründen. Es war danach ferner notwendig, daß das als Untreuetäter in Betracht kommende Organ bzw. Organmitglied wirksam als solches bestellt und "bevollmächtigt" war. 107 Rechtsprechung und herrschende Lehre sahen in der Frage der "Faktizität" der Bevollmächtigung auf der Grundlage der Treubrnchstheorie kein Problem, denn für eine strafrechtlich gültige Bevollmächtigung reichte auch die Übertragung der Vertretungsbefugnis durch (zivilrechtlich) unwirksames Rechtsgeschäft aus. !O8 Faktische Organe konnten danach ohne weiteres "Bevollmächtigte" ihrer Vereinigung oder Gesellschaft sein. - Ob auf dem Boden der Treubruchstheorie Gedenfalls) die juristische Person oder Personengesellschaft als solche rechtlich existent sein mußte oder ob auch die "Faktizität" des Auftraggebers ausreichen sollte, läßt sich indessen nicht eindeutig ermitteln. Es fmdet sich lediglich ein Hinweis auf eine unveröffentlichte Entscheidung des Reichsgerichts. Danach sollte der Gesellschaftsvertrag als Grundlage für eine Vollmacht des Vorstandes einer GmbH nur unter der Voraussetzung herangezogen werden können, daß die GmbH "rechtmäßig begründet" war. 109

105

Siehe dazu oben Teil 1, 2. Kapitel C I.

106

Siehe dazu insbesondere RG Recht 1928, Nr. 2617; JW 1936, 882.

107 So etwa Frank, 15. Aufl., § 266 Anm. 11 2; im Ergebnis wohl auch RGSt 38, 363, 364/365 allerdings ohne Begründung. 108

EbermayerILobe/Rosenberg, § 266 Anm. 12.

109 So nach EbermayerILobe/Rosenberg, § 266 Anm. 11 die Entscheidung RG 1111098/09 vom 3. 3. 1910.

3. Kapitel Gesellschaftsrechtliche Regelung

113

B. § 266 Abs. 1 ZilT.2 StGB als "AulTangtatbestand" Die besonderen gesellschaftsrechtlichen Untreuetatbestände enthielten jeweils einen Katalog untreuetauglicher Organe, der jedoch, wie dargelegt, in der Regel die Organe der jeweiligen Gesellschaft nicht vollständig erfaßte. HO Schon deshalb stellte sich bei Untreuefällen zum Nachteil von Organisationen oder ihrer Mitglieder, für die es einen besonderen Tatbestand gab, die Frage, ob die dort nicht ausdrücklich genannten Organe, ihre Mitglieder oder Vertreter unter die Strafdrohung des besonderen Gesetzes fielen oder ob auf sie § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB anzuwenden war. Um diese Frage wurde darüber hinaus deshalb besonders lebhaft gestritten, weil von ihrer Antwort zugleich der Bereich strafbaren Verhaltens abhing, denn § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB war in seiner Handlungsbeschreibung enger gefaßt ("Verfügung über Forderungen oder Vermögensstücke") als die gesellschaftsrechtlichen U ntreuetatbestände ("zum Nachteil handeln" 111). 112 Dogmatisch ließ sich die Fragestellung in zwei Unterfragen aufschlüsseln: - Sind die Täterkataloge der gesellschaftsrechtlichen Untreuetatbestände abschließend? - Wie verhalten sich die Sondertatbestände zu § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB? I. Die Ausdehnung der Täterkataloge in Rechtsprechung und Literatur

Das Bild der Meinungen und ihrer Begründungen in Rechtsprechung und Literatur ist deshalb unübersichtlich, weil die Fragestellungen nicht auseinandergehalten wurden. Die Standpunkte lassen sich daher überwiegend nur vom Ergebnis her erschließen. 1. Darstellung

Die These, die Kataloge der gesellschaftsrechtlichen Untreuetatbestände enthielten eine abschließende Aufzählung tauglicher Täter, wurde - soweit ersichtlich - nirgends ausdrücklich, wohl aber verschlüsselt aufgestellt durch Bezugnahme auf § 266 Abs. 1 Ziff. 1 StGB:

HO

Siehe oben Teil 1, 2. Kapitel, A I 3.

111

Siehe dazu oben Teil 1, 2. Kapitel B I 1.

H2

Dazu etwa Mannheim, JW 1929, 1054.

114

I.Teil Historisches Material

Die besonderen nebenstrafrechtlichen Untreuetatbestände stellen eme "Ausdehnung" 113, "Erweiterung" 114 oder "Ergänzung" 1lS des Kreises tauglicher Untreuetäter in § 266 Abs. 1 Zif/. 1 StGB dar. 116 Der Täterkatalog in § 266 Abs. 1 Ziff. 1 StGB war nach ganz einhelliger Auffassung abschließend. Wenn somit die besonderen gesellschaftsrechtlichen Vorschriften die Regelungsstruktur des § 266 Abs. 1 Ziff. 1 StGB übernahmen und dessen Technik kopierten, indem sie ihrerseits die tauglichen Täter - durch Aufzählung der Organe - katalogartig erfaßten, wäre es folgerichtig gewesen, auch ihre Kataloge als abschließend zu beurteilen. Dennoch wurde im Ergebnis ebenso einmütig ein differenzierender Standpunkt vertreten: - Mitglieder von Organen außerhalb des Kreises der in den Gesellschaftsgesetzen genannten Organtypen - wie etwa Mitglieder eines Verwaltungrrates einer Aktiengesellschaft 117 - fielen nicht unter die Sondertatbestände, auch wenn sie in der Satzung vorgesehen waren. - Die Sondertatbestände waren zwar nur auf solche Organe anzuwenden, die in der Norm, bzw. dem Gesetz, auf das sie sich beziehen, aufgezählt wurden. Auch ohne ausdrückliche Nennung sollten sie, jedoch über ihren Wortlaut hinaus, jedenfall~ die Vertreter der ordentlichen Organe bzw. Organmitglieder 118 und Liquidatoren 119 erfassen. Sie sollten ferner anzuwenden sein auf Organe faktischer Gesellschaften 120 und faktische Organe wirksam gegründeter Gesellschaften. 121

113

Dieterich, Untreue, S. 64 f; Oberstadt, Untreue, S. 65.

114

Aschhauer, Untreue, S. 43 f; Ebener, Untreue, S. 26.

115

StaublPinner, HGB, 14. Aufl., § 312 Anm. 1.

116

ParisiuslClÜgerlCrecelius, GenG, 12. Aufl., § 146 Anm. 1b.

117

StaublPinner, HGB, 14. Aufl., § 312 Anm. 4; Horrowitz, in Festschr. für Pinner, S. 470.

118 RG, LZ 1914, S. 398 Nr. 17; H. Mayer, Untreue, S. 135 ff; Ebener, Untreue, S. 26 ff; StaublPinner, HGB, 14. Aufl., § 312 Anm. 4; Stenglein, § 312 HGB Anm. 2. 119 RG, Rspr. Bd. 10, 201; StaublPinner, 14. Aufl., § 312 Anm. 4; Oberstadt, Untreue, S. 46; a. A. Freudenthai, Untreue, S. 124. Nicht eindeutig RGSt 19, 184, 185/186 insoweit als dort § 266 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB als einschlägiger Tatbestand genannt wird. 120

RGSt 34, 412; 43, 407, 415/416; StaublPinner, HGB, 12./13. Aufl., § 312 Anm. 1.

121 RGSt 16, 269, 271; SraublPinner, HGB, 12./13. Aufl., § 312 Anm. 4; Srenglein, § 312 HGB Anm. 6; LehmannlRing, § 312 HGB Anm. 2; ParisiuslClÜgeri Cirron, GenG, § 146 Anm. 1.

3. Kapitel Gesellschaftsrechtliche Regelung

115

Für Vertreter und Liquidatoren wurde dieses Ergebnis damit erreicht, daß man den Vertreter, wenn er für die Gesellschaft handelte, ohne weiteres als Organ (-mitglied) erfassen konnte und daß man den Liquidator als das geschäftsführende Organ der betreffenden Gesellschaft in Liquidation ansah. 122 Die Einbeziehung faktischer Gesellschaften und faktischer Organe hingegen beruhte auf den Grundannahmen der Treubruchstheorie. 2. Kritik

Bei näherer Betrachtung standen die gefundenen Ergebnisse in Widerspruch zu dem aufgestellten Grundsatz, die Sondertatbestände seien als Ergänzungen des § 266 StGB zu verstehen. Geht man von der Identität der Tathandlungsbeschreibungen in § 266 Abs. 1 Ziff. 1 StG B und den gesellschaftsrechtlichen Sondertatbeständen mit offener Handlungsbeschreibung 123 ("zum Nachteil handeln") aus, so waren letztere in der Tat als Vorschriften zu interpretieren, die lediglich den Kreis der tauglichen Täter erweiterten. 124 Genauer hätte man freilich sagen müssen, daß sie den Kreis geschützter Beziehungen zwischen Täter und Vermägensinhaber um die der Organe zu ihren Gesellschaften erweiterten. Handelte es sich bei den besonderen gesellschaftsrechtlichen Tatbeständen jedoch um Ergänzungen zu § 266 Abs. 1 Ziff. 1 StGB, die deshalb notwendig geworden waren, weil dessen Katalog die tauglichen Täter abschließend aufzählte, 125 dann waren diese Ergänzungen ihrerseits abschließend und hätten nicht ausdehnend auf andere Organe angewendet werden dürfen. 126 Insbesondere faktische Organe hätten nicht darunter fallen können, wenn man konsequent dieselben strengen Maßstäbe angelegt hätte, die Rechtsprechung

122 Anders allerdings RGSt 19, 184. Dort wurde der Liquidator einer Genossenschaft als Untreuetäter nach § 266 Abs. 1 Zifl. 1 StGB angesehen, mit der Begründung, er sei der Sache nach (ebenfalls) ein amtlich bestellter Masseverwalter. 123

Siehe dazu oben Teil 1, 2. Kapitel B I 1.

124 Siehe dazu für § 312 Prieß, Aktienrechtliche Untreue S. 45; für § 146 GenG Parisius / CrügeriCitron, § 146 Anm. 1. - Insoweit tifft RGSt 19, 184 den richtigen Sachzusammenhang mit der Annahme, der Liquidator einer Genossenschaft sei "Masseverwalter" im Sinne des § 266

Abs. 1 Ziff. 1 StGB. 125

EbermayerlLobe/ Rosenberg, 4. Aufl., § 266 Anm. 7 m. w. N.; Kohlrausch, 29. Aufl., § 266

Anm.2a.

126 Mit Ausnahme selbstverständlich derjenigen Vorschriften, die ausdrücklich "ähnliche Organe" als Täter nannten, wie etwa § 135 VAG in der Fassung vom 6. 6. 1931 (Anhang S. 60).

l.Teil Historisches Material

116

und Literatur zu § 266 Abs. 1 Ziff. 1 StGB entwickelt hatten. Danach setzte Untreue nach Ziff. 1 eine "gültige Machtstellung" voraus; es galt der Satz, daß "die Wirkungslosigkeit der Bestellung ... dem Schutzverhältnis nach Nr. 1 seine strafrechtliche Bedeutung" entzog. 127 So konnte sich etwa der "Vormund" (§ 266 Abs. 1 Ziff. 1 StGB), dessen Bestellung nichtig 128 oder bereits aufgehoben war, 129 nicht (mehr) nach § 266 Abs. 1 Ziff. 1 StGB und überdies auch nicht wegen Bevollinächtigtenuntreue nach § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB strafbar machen. Mit der extensiven Interpretation der gesellschaftsrechtlichen Untreuetatbestände wurde also der Rahmen gesprengt, den sich Rechtsprechung und Literatur - zu Recht - für die Interpretation des § 266 Abs. 1 Ziff. 1 StGB gezogen hatten. § 266 Abs. 1 Ziff. 1 StGB konnte weder mit Hilfe des Treubruchsgedankens auf nur "faktische" Betreuungsverhältnisse der dort genannten Art ausgedehnt werden, noch konnte in diesen Fällen auf die Bevollinächtigtenuntreue als allgemeineres Delikt zurückgegriffen werden. All dies sollte für die nachgebildeten "Ergänzungen" zu § 266 Abs. 1 Ziff. 1 StGB nicht gelten. 11. Das Verhältnis der Untreuetatbestände zueinander 1. Darstellung

Ganz überwiegend wurde das Verhältnis der gesellschaftsrechtlichen Untreuetatbestände zur Bevollmächtigtenuntreue als Gesetzeskonkurrenz beurteilt. Die gesellschaftsrechtlichen Sondertatbestände galten als leges speciales 130 im Verhältnis zur Bevollinächtigtenuntreue nach § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB als lex generalis. Diese Prämisse ebnete den Weg, auch diejenigen Organe, die trotz extensiver Interpretation der Täterkataloge nicht mehr unter die gesellschaftsrechtlichen Untreuetatbestände subsumiert werden konnten, jedenfalls in den durch

lZ7

EbennayerlLobe/Rosenberg, 4. Aufl., § 266 Anm. 9; Kohlrausch, 29. Aufl., § 266 Anm. 2.

128

ROSt 45, 309.

129

ROSt 45, 434, 435.

130 ROSt 37, 25, 26; 47, 38, 45; 61, 341, 345; 62, 31, 33; ROZ 87, 306; Aschhauer, Untreue, S. 44; Dieterich, Untreue, S. 64 f; H. Mayer, Untreue, S. 308; Oberstadt, Untreue, S. 65; EbermayerlLobelRosenberg, 4. Aufl., § 266 Anm. 22; Frank, 18. Aufl., § 266 Anm. VIII; Kohlrausch, 29. Aufl., § 266 Anm. 7; Brodmann, Aktienrecht, § 312 HOB, Anm. 29; Goldschmit, § 312 HOB, Anm. 4; Stenglein, § 312 HOB Anm. 10.

3. Kapitel Oesellschaftsrechtliche Regelung

117

die Formulierung des § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB gezogenen Grenzen noch wegen Untreue haftbar zu machen. Für diese wie auch für sämtliche Mitglieder der Unternehmensverwaltung unterhalb der Organebene (z. B. Prokuristen, Handlungsbevollmächtigte, Angestellte etc.) blieb es damit jedenfalls bei § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB als (einzig) anwendbarer Untreuevorschrift. !3l 2. Kritik

Gesetzeskonkurrenz setzte auch nach damaligem Verständnis voraus, daß sämtliche Tatbestandsmerkmale des allgemeineren Gesetzes in dem besonderen enthalten sind. 132 Das traf auf das Verhältnis der Bevollmächtigtenuntreue nach § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB und diejenigen gesellschaftrechtlichen Sondertatbeständen nicht zu, die eine offene Handlungsbeschreibung enthielten. Da § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB mit der engeren Handlungsbeschreibung "Verfügung über Forderungen und Vermögensstücke" nur einen Ausschnitt der nach den besonderen Untreuetatbeständen strafbaren Handlungen erfaßte, fiel nicht jede etwa nach § 312 HGB strafbare Handlung (z. B. Belastung mit einer Verbindlichkeit oder Falschbuchungen 133) auch unter § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB. Die "spezielleren" Tatbestände griffen also in diesem Punkt weiter als die angeblich "generelle" Bevollmächtigtenuntreue. 134 Mit Blick auf die Tathandlung war daher das Verhältnis genau umgekehrt: nicht die Bevollmächtigtenuntreue, sondern die gesellschaftsrechtlichen Untreuetatbestände waren die allgemeineren Gesetze. Die These von der Gesetzeskonkurrenz dürfte sich daher sachlich wohl eher darauf gestützt haben, daß der Begriff des "Bevollmächtigten", wie er vor allem von der Rechtsprechung entwickelt wurde, 135 als der Oberbegriff für die in den gesellschaftsrechtlichen Untreuevorschriften genannten Tätergruppen zu gelten habe. Jedoch traf schon diese Annahme zwar auf den größten Teil,

131 Vgl. die Aufzählung möglicher Bevollmächtigter i. S. d. § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StOB bei Ebennayerl Lobe/Rosenberg, 4. Aufl., § 266 Anm. 11. 132

Vgl. etwa Me;.ger, Lehrbuch, 1931, S. 471.

133

So etwa RO JW 1929, 1054 m. Anm. Mannheim.

134 So als erster FreudenthaI, Untreue, in: Vergleichende Darstellung des Deutschen und Ausländischen Strafrechts, BT, Bd. VIII, 1906, S. 124 f. Seine Thesen sind jedoch offenbar über einen längeren Zeitraum in Vergessenheit geraten, bzw. nicht zur Kenntnis genommen worden.Erneut dann Prieß, S. 45, ihr folgend StaublPinner, 14. Aufl., § 312 HOB Anm. 24. 135

Siehe dazu oben Teil 1, 1. Kapitel B I.

118

I.Teil Historisches Material

nicht aber auf alle speziellen täterschaftsbegründenden Sonderbeziehungen zu. 136 Die Annahme, § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB sei lex generalis stand überdies in Widerspruch zu der Beurteilung des Verhältnisses der verschiedenen Untreuetatbestände innerhalb des § 266 StGB zueinander. Dort wurde die Möglichkeit, die Bevollmächtigtenuntreue sei der allgemeinere Tatbestand gegenüber den Tatbeständen der Ziffern 1 und 3, nicht diskutiert. 137 Wäre man - sei es auch nur stillschweigend - von dieser Annahme ausgegangen, hätte man in allen den Fällen, in denen eine Verurteilung wegen Untreue nach § 266 Abs. 1 Ziff. 1 oder 3 StGB deshalb ausschied, weil die täterschaftsbegründende "Machtstellung" nicht wirksam zustandegekommen war, auf die Bevollmächtigtenuntreue zurückgreifen dürfen und müssen. Diese Möglichkeit wurde indessen ausdrücklich ausgeschlossen. 138 Wenn daher die Bevollmächtigtenuntreue im Verhältnis zur § 266 Abs. 1 Ziff. 1 und 3 StGB nicht als das allgemeinere Delikt gelten konnte, dann war dies auch im Verhältnis zu den gesellschaftsrechtlichen Untreuetatbeständen nicht möglich, wenn - und weil - diese lediglich Ergänzungen zu § 266 Abs. 1 Ziff. 1 StGB 139 waren. Die Annahme von Gesetzeskonkurrenz zwischen der Bevollmächtigtenuntreue und den gesellschaftsrechtlichen Untreuvorschriften ließ sich also dogmatisch nicht halten. Wenn daran dennoch einhellig festgehalten wurde, kann man dies, wie damals Pinner 140, als "verwunderlich" bezeichnen. Es darf vermutet werden, daß sich hinter den "Konkurrenzargumenten" ein kriminalpolitisches Ziel verbarg: Es ging um den Versuch, die extensive Handlungsbeschreibung der gesellschaftsrechtlichen Untreuenormen - und damit auch der Untreue nach § 266 Abs. 1 Ziff. 1 und 3 StGB - mit der übergreifenden Täterbeschreibung als "Bevollmächtigter" zu kombinieren.

136 Die in den versicherungsrechtlichen Tatbeständen genannten besonderen "Organe" etwa konnten gerade nicht alle zugleich auch als "Bevollmächtigte" definiert werden; siehe dazu oben Teil 1, 2.Kap. A.ll.1. 137 Andeutungsweise, soweit ersichtlich nur, Kohlrausch, 29. Aufl., § 266 Anm. 2 für einen nicht wirksam vereidigten Auktionator nach § 266 Abs. 1 Ziff. 3, der "noch unter Ziff. 2 fallen könnte." 138

Siehe oben 1. Teil, 3.Kap. B.H.

139

Siehe oben Teil 1, 3.Kap.B.I.

140

in Staub/Pinner, 14. Aufl. § 312 HGB Anm. 24.

3. Kapitel Gesel\schaftsrechtIiche Regelung

119

c. Zusammenfassung § 266 StGB behielt als kernstrafrechtliche Untreuevorschrift einen eigenen - "originären" -Anwendungsbereich für Untreue zum Nachteil solcher "Kollektivopfer", deren Verhältnisse nicht Gegenstand einer besonderen Untreuenorm waren.

- Streitig wurde nur die Eigenschaft von Beamten als Bevollmächtigten im Sinne des § 266 Abs. 1 Ziff. 1 StGB beurteilt. Die Literatur lehnte die Anwendung dieser Norm auf Beamte im wesentlichen mit der Begründung ab, sie sei auf öffentlichrechtliche Rechtsverhältnisse nicht zugeschnitten; die Amtsdelikte hätten als (abschließendes) Sonderstrafrecht für Beamte zu gelten. - Die Rechtsprechung ordnet hingegen auf der Grundlage der Treubruchstheorie Beamte als Bevollmächtigte im Verhältnis zum Staat ein. - Außerhalb des eindeutigen Geltungsbereichs gesellschaftsrechtlicher Sondertatbestände wurde - im wesentlichen unstreitig - für folgende Konstellationen das Verhältnis eines Bevollmächtigten einer Gesellschaft angenommen:

wirksam bestellte und "faktische" Organe im Verhältnis zu juristischen Personen (eingetragener Verein, GmbH); 141 wirksam bestellte und "faktische" Organe im Verhältnis zu Personengesellschaften, verstanden als "Gesamtheit der Gesellschafter" (oHG, KG, GbR); 142 - Ungeklärt war, wonach sich die "Pflichtwidrigkeit" der Tathandlung einzelner Organe auf der Grundlage der Treubruchstheorie bemaß, etwa wenn alle Organe zusammenwirkten ("Statutenwidrigkeit") oder Beschlüsse des übergeordneten Organs erschlichen wurden. - Als "kriminalpolitisch ... unmögliches Ergebnis" wurde die Beschränkung der Tathandlung auf "Verfügung über Forderungen und Vennögensstücke" einer Gesellschaft beurteilt, gemessen an der weiten Handlungsbeschreibung "zum Nachteil handeln" in den Sondertatbeständen zum Schutze des Vermögens (anderer, in ihren Verhältnissen aber vergleichbarer) Gesellschaften. Diese Beschränkung haUe zur Folge, daß die benachteiligende Belastung mit einer Verbindlichkeit als Tathandlung ausschied. Um die Ungleichbe-

141

Siehe oben in diesem Kapitel A 11 1.

142

Siehe oben in diesem Kapitel A 11 2.

120

1.Teil Historisches Material

handlung gleichgelagerter Fälle soweit wie möglich zurückzudrängen, versuchte die Rechtsprechung die Grenzen des § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB auszudehnen. Wenn immer der Fall dies eben zuließ, wurden Belastungen mit einer Verbindlichkeit in Verfügungen über verkörperte Vermögensstücke (Wechselakzepte, Schuldverschreibungen, Schecks etc.) umgedeutet, freilich um den Preis, daß das Papier als solches an die Stelle des Aktivvermögens trat. 143 Da die gesellschaftsrechtlichen Untreuetatbestände Teile des bereits zuvor auf Gesellschaften und ihre Organe ausgedehnten Anwendungsbreich des § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB regelten, gewann die Bevollmächtigtenuntreue im Verhältnis zu ihnen die Bedeutung eines Au!fangtatbestandes. Diese Lösung führte jedoch zu folgenden - zusätzlichen - Friktionen: - Die Spezialtatbestände wurden als "Ergänzungen" des Katalogs der Untreuetäter in § 266 Abs. 1 Ziff. 1 StGB eigeordnet, jedoch, anders als dieser, nicht für abschließend gehalten. Es wurde daher für möglich gehalten, auch diejenigen Organe unter den Sondertatbestand zu subsumieren, die dort nicht ausdrücklich genannt waren. 144 - Anders als § 266 Abs. 1 Ziff. 1 StGB, dessen Sperrwirkung es auch ausschloß, dort zwar genannte Täter, deren Bestellung jedoch (zivilrechtlieh) unwirksam war, als "Bevollmächtigte" unter § 266 Abs 1 Ziff. 2 StGB zu fassen, sollten die gesellschaftsrechtlichen Tatbestände nicht in dieser Weise abschließend sein. - Die parallele Anwendbarkeit der Sondertatbestände und der Bevollmächtigtenuntreue wurde auf Konkurrenzebene erreicht und gelöst: der Sondertatbestand galt als lex specialis zu § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB. Im Schrifttum wurde freilich deutlich gemacht, daß diese These dogmatisch unhaltbar war. Zwar konnte der Begriff des "Bevollmächtigten" als (der allgemeinere) Oberbegriff gelten, jedoch war die Handlungsbeschreibung in § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB im Verhältnis zu den gesellschaftsrechtlichen Tatbeständen die engere, mithin die "speziellere". 145 - Im übrigen ergab sich aus dem Nebeneinander der Sondertatbestände und des § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB als "Auffangtatbestand" dieselbe Ungleichbe-

143

Dazu oben 1.Teil, 3.Kap. A.II.3.a)

144

Siehe oben in diesem Kapitel B I 1.

145

Siehe oben in diesem Kapitel BIlL

3. Kapitel Gesellschaftsrechtliche Regelung

121

handlung gleichartiger Fälle wie für den originären Anwendungsbereich des § 266 StGB. Denjenigen Organen und Organmitgliedem, auf die das "spezielle" Gesetz angewendet werden konnte, war die Belastung des (Gesellschafts-) Vermögens mit einer Verbindlichkeit - als rein tatsächlich schädigendes Verhalten 146 - bei Strafe verboten; für alle übrigen Organe und Bevollmächtigten unterhalb der Organebene war dasselbe Verhalten nicht strafbewehrt.

146

Dazu oben l.Teil, 2.Kap. B.I.2.b )bb)

Zusammenfassung der Ergebnisse des ersten Teils 1. § 266 StGB war für die Anwendung auf handels- und gesellschaftsrechtlich geprägte Verhältnisse nicht zugeschnitten. Absatz 1 Ziff. 3 bezog sich ausschließlich auf Gewerbetreibende, die auf die Beachtung der Vorschriften für die Ausübung ihres Gewerbes öffentlich verpflichtet bzw. vereidigt waren. Die abschließende Aufzählung möglicher Untreuetäter in Absatz 1 Ziff. 1 umfaßte zwar auch "Verwalter von Stiftungen"; die Stiftung war indessen die einzige Personenvereinigung, die ausdrücklich genannt war. Da eine analoge Anwendung dieser Ziffer nicht in Betracht kam, konnten Organe aller sonstigen Körperschaften oder Gesellschaften nur als "Bevollmächtigte" im Sinne des § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB erfaßt werden. Ursprünglich behandelte die Rechtsprechung (geschäftsführende) Organe juristischer Personen als "Bevollmächtigte der Körperschaft" und geschäftsführungsberechtigte Gesellschafter einer Personen (-handels-) gesellschaft als "Vertreter der Gesellschaft". Aufsichtsorgane wurden hingegen wegen ihrer nur überwachenden Tätigkeit nicht grundsätzlich als Bevollmächtigte eingeordnet, sondern nur ausnahmsweise dann, wenn sie die Gesellschaft nach außen vertraten. Die Tathandlung des § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB beschränkte sich auf Verfügungen über "Forderungen und Vermögensstücke". Nach übereinstimmender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur ließ sich die - wirtschaftlich besonders gefährliche - Belastung mit einer Verbindlichkeit darunter nicht subsumieren. 2. Diese Grenzen des § 266 StGB waren Anlaß für den Gesetzgeber, eine Vielzahl von Sondertatbeständen einzuführen, die unmittelbar in diejenigen Gesetze aufgenommen wurden, die auch die (zivil-) rechtlichen Verhältnisse der jeweiligen Gesellschaft regelten. Sie lassen sich in zwei Gruppen einteilen: Untreue zum Nachteil von Gesellschaften (im weitesten Sinne) und Untreue zum Nachteil natürlicher Einzelpersonen. a) Die Vorschriften, die Untreue zum Nachteil von Gesellschaften unter Strafe stellten, betrafen ausschließlich solche Gesellschaften, denen der Status

Zusammenfassung

123

einer juristischen Person verliehen war. Technisch waren diese Vorschriften dem § 266 Abs. 1 Ziff. 1 StGB nachgebildet und wurden deshalb als dessen "Ergänzungen" verstanden. Adressaten waren ihre Organe. Diese wurden indessen zum Teil pauschal als "Organe" bezeichnet, mit der Folge, daß auch Aufsichtsorgane darunter fielen. Ob dies auch für die jeweils obersten Organe (Gesellschafter- bzw. Mitgliederversammlungen) gelten sollte, läßt sich nicht feststellen. Teilweise waren die Organe mit ihrer jeweiligen Funktionsbezeichnung auch im einzelnen aufgelistet, jedoch in den wenigsten Fällen vollständig. b) Vorschriften, die Untreue zum Nachteil natürlicher Personen unter Strafe stellten und sich an Organe einer Gesellschaft als Adressaten richteten, fanden sich im Versicherungsaufsichtsgesetz, im Hypothekenbankgesetz und im Schiffsbankgesetz. Soweit allgemeine Organe als taugliche Täter genannt wurden, trugen die Vorschriften dem Umstand Rechnung, daß es eine dem - heutigen - § 14 StGB entsprechende Strafausdehnungsvorschrift nicht gab und die künftigen Ansprüche der Bausparer bzw. Versicherten gegen die Gesellschaft durch besondere Verwaltungsvorschriften geschützt waren, deren Beachtung den Organen der Gesellschaft aufgegeben war. - Soweit sie sich an spezielle Organe ("Treuhänder") richteten, handelte es sich um solche Organe, die bereits zur Überwachung der Geschäftspolitik im Interesse der Gläubiger bestellt und mit besonderen Befugnissen ausgestattet waren. 3. Die Tathandlung wurde - von wenigen Ausnahmen abgesehen - in den gesellschaftsrechtlichen Tatbeständen "offen" umschrieben; esreichteein "Handeln" zum Nachteil der Gesellschaft. a) Ziel dieser offenen Handlungsbeschreibung war es, gerade die Restriktionen zu vermeiden, die mit der Formulierung des Verfügens über Forderungen und Vermögensstücke in § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB verbunden waren. Damit war zwar erreicht, daß auch Belastungen mit einer Verbindlichkeit als ungetreues Handeln pönalisiert wurden; jedoch wurden die Tatbestände dadurch konturlos und im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz problematisch. Die in erster Linie zur Klärung der Anforderungen an den - ebenfalls unbestimmten - Begriff des "Bevollmächtigten" entwickelten Theorien, die Mißbrauchs- und die Treubmchstheorie, stellten infolge ihres prinzipiell unterschiedlichen Verständnisses vom "Wesen der Untreue" auch unterschiedliche Anforderungen an die Tathandlung. Über diesen Weg fand die Theoriediskussion daher auch Eingang in die Interpretation der gesellschaftsrechtlichen Untreuetatbestände.

124

1. Teil Historisches Material

Die Mißbrauchstheorie sah nur solche Handlungen als tatbestandsmäßig an, die der einzelne Funktionsträger "als" Organ, also in Ausübung seiner Befugnisse vorgenommen hatte. Sie verlangte ferner rechtsgeschäftliches Handeln und schied damit einerseits Unterschlagungsfälle aus dem Anwendungsbereich der Sondernormen aus. Mittelbar wirkte sie sich indessen auch auf die DefInition der Tätereigenschaft insofern aus, als alle Organe, die nicht rechtsgeschäftlieh wirksam bestellt waren, auch nicht als wirksam bevollmächtigt galten und daher nicht in Ausübung von (wirksam erteilten) Befugnissen handeln konnten. Ebensowenig konnte in tatbestandsmäßiger Weise gegen vor- oder nachwirkende Pflichten aus dem Organverhältnis verstoßen werden. Die Treubruchstheorie, die vor allem die Rechtsprechung prägte, verlangte hingegen nur eine "treuwidrige" Schädigung. Darunter konnte jede rein tatsächliche Einwirkung auf das anvertraute Vermögen fallen - einschließlich Unterschlagungen. Ferner brauchte, wenn jede tatsächliche Schädigung ausreichte, die Handlung nur in "innerem Zusammenhang" zum Treueverhältnis zu stehen; für Organe von Gesellschaften wurde daraus gefolgert, daß jede Schädigung tatbestandsmäßigwar , denn die Organeigenschaft galt als "unablöslich". Die einzige Bedingung, die von der Treubruchstheorie im Interesse des Bestimmtheitsgrundsatzes gefordert wurde, bestand in der "Pflichtwidrigkeit" des HandeIns. Freilich führte dies nur dazu, daß die Unklarheiten auf die Ebene der "Pflicht" verlagert wurden. - Auch die Interpretation der gesellschaftsrechtlichen Untreuetatbestände nach der Treubruchstheorie hatte Konsequenzen für die Bestimmung der Tätereigenschaft: strafrechtlich war für die Organeigenschaft die Existenz einer Treuepflicht konstitutiv. Danach kam es zum einen auf die Unterscheidung zwischen geschäftsführenden und kontrollierenden Organen nicht an; heide waren gleichermaßen "treuepflichtig". Außerdem kamen sowohl gewählte aber noch nicht bestellte (künftige), als auch bereits abberufene oder nur faktisch tätige Organe als Täter in Betracht. b) Bestimmt umschriebene Tathandlungen fanden sich im Versicherungsaufsichtsgesetz. Technisch wurde die Bestimmtheit dadurch erreicht, daß die Tatbestände (bestimmte) benachteiligende oder gefährdende Abweichungen vom Geschäftsplan unter Strafe stellten, also auf einen in dem Gesetz selbst an anderer Stelle formalisierten Katalog von Handlungspflichten rekurrierten. 4. Die Funktion des Benachteiligten inerhalb der Tatbestandsstruktur bestand bei den Untreuenormen zum Schutze individueller natürlicher Vermögensinhaber darin, die Vermögensmasse zu individualisieren, zu der der Täter einerseits in der geforderten Beziehung stehen und bei der andererseits der Nachteil eingetreten sein mußte.

Zusammenfassung

125

Soweit hingegen "die Gesellschaft" als Benachteiligte genannt wurde, wurde zwar als selbstverständlich vorausgesetzt, daß die "Treuepflicht" im Verhältnis zur Gesellschaft bestehen mußte ("Unablöslichkeit der Organeigenschaft"). Es wurde jedoch darüber gestritten, "wessen" Vermögen geschädigt sein mußte, nur oder auch das der juristischen Person oder (auch) das der Gesellschafter oder sogar ihrer Gläubiger. 5. Alle speziellen Untreuetatbestände zum Schutze von "Gesellschaften" waren in ihrem Anwendungsbereich dadurch beschränkt, daß sie sich nur auf Gesellschaften bezogen, deren Rechtsverhältnisse in dem Gesetz geregelt wurden, dessen Bestandteil diese Normen waren. Das bedeutet, daß nur Untreue zum Nachteil inländischer Gesellschaften strafbar war, nicht aber zum Nachteil von Körperschaften oder Kapitalgesellschaften ausländischen Rechts, selbst wenn die Tat im Inland und von einem Deutschen begangen wurde. 6. Neben den Spezialtatbeständen behielt § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB für (Organ-) Untreue zum Nachteil solcher Gesellschaften Bedeutung, zu deren Schutz keine besonderen Vorschriften eingeführt worden waren. - Dabei handelte es sich um die öffentlichrechtlichen Körperschaften. Die sogenannte Amtsuntreue konnte also nur erfaßt werden, wenn Beamte als "Bevollmächtigte" zu gelten hatten. Die Frage wurde streitig behandelt. Während die Rechtsprechung Beamte als Bevollmächtigte einordnete, lehnte die Literatur dies überwiegend ab. - Den für Fragen dieser Untersuchung wesentlichen Bereich bildeten die privatrechtlichen Körperschaften (e. V. und GmbH) und die Personen-(handels)gesellschaften. Für diese Bereiche behielt die ursprüngliche Rechtsprechung aus der Zeit, als § 266 StGB die einzige Untreue norm war, im wesentlichen ihre Berechtigung: als "Auftraggeber" wurde "die Gesellschaft" angesehen, soweit sie juristische Person war; bei Personengesellschaften galt die "Gesamtheit der Gesellschafter" als Auftraggeber. Hinsichtlich der Organeigenschaft wirkten sich allerdings auch in diesem Bereich die unterschiedlichen Auffassungen vom "Wesen der Untreue" aus. Es reichte das tatsächliche "Treueverhältnis", wenn man - mit der Rechtsprechung - der Treubruchstheorie folgte, und es war eine rechtsgeschäftlich oder gesellschaftsvertraglich wirksame Bestellung nötig, wenn man der Mißbrauchstheorie den Vorzug gab. - Nicht beseitigt werden konnte auf diese Weise die Beschränkung des treuwidrigen Verhaltens auf Verfügungen über "Forderungen und Vermögensstücke". Die Existenz gesellschaftsrechtlicher Untreuetatbestände beein-

126

1. Teil Historisches Material

flußte indessen die Interpretation insoweit, als die Ungleichbehandlung wirtschaftlich gleichartiger Sachverhalte als sachwidrig empfunden wurde. Es war nicht einzusehen, warum etwa die Belastung einer Kommanditgesellschaft auf Aktien mit einer Verbindlichkeit für deren geschäftsführenden Gesellschafter als Untreue strafbar sein sollte, während sie für den geschäftsführenden Gesellschafter einer KG straflos blieb. Die Rechtsprechung versuchte diese Zerrungen im Gesamtbild der Untreue dadurch auszugleichen, daß sie die Beschränkungen des § 266 StGB zu unterlaufen suchte. Trotz einer Reihe gekünstelter Konstruktionen gelang dies jedoch nur unvollkommen. 7. § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB behielt ferner Bedeutung als Auffangtatbestand für alle diejenigen Organe und Funktionsträger, die in besonderen Untreuetatbeständen nicht aufgeführt waren. Obwohl diese Tatbestände als "Ergänzungen zu § 266 Abs. 1 Ziff. 1 StGB" galten, wurden sie - anders als dieser - nicht als abschließend begriffen. Es ließen sich deshalb teilweise auch die dort nicht genannten Organe schon unter die Spezialtatbestände subsumieren, wenn man mit der Treubruchstheorie das Treueverhältnis als wesentlich ansah. Darüber hinaus wurden diese Tatbestände - ebenfalls anders als § 266 Abs. 1 Ziff. 1 StGB - auch im Verhältnis zu § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB nicht als abschliessend begriffen; ihre Existenz entfaltete also kein Sperrwirkung. Die Sondertatbestände galten als leges speciales im Verhältnis zu § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB, der als lex generalis eingeordnet wurde. Dieser Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses wurde im Schrifttum mit dem Argument entgegengetreten, daß zwar der Begriff des "Bevollmächtigten" in § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB - jedenfalls in der Gestalt, die die Treubruchstheorie ihm verliehen hatte - als Oberbegriff gelten konnte, daß aber in Ansehung des Handlungsunrechts die gesellschaftsrechtlichen Tatbestände die allgemeineren waren.

Zusammefassend stellt sich daher die Geschichte der Untreue als als ein Wechselspiel zwischen modiftzierender Interpretation der kemstrafrechtlichen Untreuenonn einerseits und gesetzlicher Modifikation der Untreue im Nebenstrafrecht für (bestimmte) Organisationsformen andererseits dar. In der Rückschau fällt auf, daß die Entwicklung Schritt für Schritt auf einen übergreifenden Untreuetatbestand zulief, der sich als Kombination aus den jeweils weitestgehenden Voraussetzungen darstellte. Sie näherte sich diesem gedachten und teils ausdrücklich geforderten Tatbestand von zwei Seiten aus an: - Der Begriff des "Bevollmächtigten" in § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB bot den Ansatz, die täterschaftsbegründende Sonderbeziehung zwischen einer Person

Zusammenfassung

127

und dem angegriffenen Vermögen möglichst umfassend zu deftnieren. Der "Bevollmächtigte" entwickelte sich von daher zum "Protoyp" des Untreuetäters. - Mit der Handlungsbeschreibung "Handeln zum Nachteil" fand sich - zunächst nur in § 266 Abs. 1 Ziff. 1 und 3 StGB, später auch in den gesellschaftsrechtlichen Untreuenormen - eine Vertypung des Handlungsunrechts vor, das sich in der jeder modalen Beschränkung entkleideten Verursachung eines Vermögensschadens erschöpfte. Die "Benachteiligung" wurde zum Prototyp des Handlungsunrechts. Die Gesetzgebung führte zu sukzessiver Ausdehnung der Untreue, indem für bestimmte Organisationen in der Handlungsbeschreibung entsprechend weit gefaßte Sondertatbestände geschaffen wurden, die sich freilich in ihrer formalen Konstruktion als Erweiterungen der Kataloge des § 266 Abs. 1 Ziff. 1 und 3 StGB verstanden. Die Motive für ihre Einführung bestanden zwar auch in der Beseitigung der Unsicherheit darüber, ob die Organe der betreffenden Vereinigungen und Gesellschaften unter den Begriff des "Bevollmächtigten" gefaßt werden konnten. Wie gezeigt, hatte die Rechtsprechungjedoch bereits vor ihrer Einführung die Anwendbarkeit des § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB auf die besonderen Tätergruppen im wesentlichen bejaht. Konsequenz dieser zeitlichen Abfolge war es, daß die in diesen Normen genannten Tätergruppen mittels historischer Interpretation zwanglos als Unterfälle von Bevollmächtigten begriffen werden konnten. Dieser Umstand dürfte auch dafür verantwortlich gewesen sein, daß die Täterkataloge der gesellschaftsrechtlichen Untreuetatbestände nicht mit derselben Strenge als abschließend gehandhabt wurden, wie die des § 266 Abs. 1 Ziff. 1 und 2 StGB. 1 Als entscheidend für die gesellschaftsgesetzlichen Normierungen der Untreue muß deshalb das weitere Motiv gelten, den Bereich inkriminierter Handlungen ausdehnen zu können. Zu Recht wurde in der späteren Diskussion, wie auch in den Materialien zur jeweiligen Einführung zusätzlicher Sondertatbestände deren eigentliche Bedeutung unter dem zweiten Aspekt gewürdigt: Die (gesellschaftsrechtliche) Untreue sollte von den Restriktionen der Handlungsbeschreibung des § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB befreit werden. 2

1

Siehe oben S. 115 ff.

2 Vgl. dazu etwa Prieß, Aktienrechtliche Untreue, S. 45, betr. § 312 HGB; Parisius/CriJger, GenG, 12. Aufl., § 146 Anm. Ib. 11 Nelles

128

1. Teil Historisches Material

Die Realisierung dieses Konzeptes durch den Gesetzgeber, insbesondere das Nebeneinander von gesellschaftsrechtlichen Tatbeständen mit weiter Handlungsbeschreibung und dem auf Grund seiner weiten Täterbeschreibung gesellschaftsrechtlich relevanten § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB mit enger Handlungsbeschreibung, brachte jedoch die Anwendung der Untreuetatbestände auf gesellschaftsrechtliche Sachverhalte in eine merkwürdige Schieflage: Strukturell und sachlich gleichartige Sachverhalte mußten ungleich behandelt werden. Die Auswege aus diesem Dilemma führten dazu, daß die Täterkataloge der gesellschaftsrechtlichen Vorschriften in Orientierung an dem materiellen Gehalt des "Bevollmächtigtenbegriffs" ausgeweitet wurden. § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB war also insoweit der tatbestandsexterne Maßstab für die tatbestandsinterne "Gleichbehandlung" gesellschaftsgesetzlich nicht genannter Tätergruppen. Umgekehrt bildete die offene Handlungsbeschreibung der gesellschaftsrechtlichen Untreuetatbestände den Maßstab für die Gleichbehandlung von Organen solcher Gesellschaften, deren Vermögen nicht durch spezielle Untreuetatbestände geschützt war. Dort wurde, "dem praktischen Bedürfnisse folgend", der "Geltungsbereich der strafbaren Untreue" nach § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB durch weitgehende Vernachlässigung der Handlungsmodalitäten ausgedehne

3

RGSt 69, 58, 59.

Teil 2

Diskussion gesellschaftsbezogener Untreueprobleme des geltenden Rechts - Darstellung und Kritik Die Situation bis zur Einführung des § 266 StGB vom 26. 5. 1933 konnte nur als eine fortschreitende Entwicklung im Zusammenhang erfaßt werden, weil die Probleme, die die Fälle "gesellschaftsrechtlicher Untreue" aufwarfen, durch die Existenz des § 266 StGB a. F. mit seinen Beschränkungen und das Nebeneinander der unterschiedlich strukturierten Spezialtatbestände bedingt waren. Da die Neufassung des § 266 StGB vom 26. Mai 1933 in ihren tatbestandlichen Voraussetzungen heute noch geltendes Recht ist, 1 lassen sich auch die Entwicklungsschritte ab 1933 rückblickend erschließen, weil und soweit sie in die Interpretation des heutigen § 266 StGB eingegangen sind. Mit Inkrafttreten der Neufassung des § 266 StGB vom 26. 5. 1933 brach die Entwicklung des gesellschafts rechtlichen Untreuestrafrechts nicht abrupt ab. Die bisherigen Spezialtatbestände galten unverändert und unbeeinflußt von der Existenz des neuen § 266 StGB weiter. Es wurde sogar gleichzeitig mit der Reform des § 266 StGB eine weitere Spezialvorschrift, der § 81a GmbHG, 2 eingeführt. Im Jahre 1937 noch wurde im Zuge der grundlegenden Reform des Aktienrechts bei Einführung des AktG 1937 mit § 294 AktG die spezielle Untreuevorschrift für Organe der Aktiengesellschaft in das neue Gesetz übernommen. 3 Alle diese Vorschriften beeinflußten aber bis zu ihrer Beseitigung auch die Interpretation des § 266 StGB. Die Diskussion gesellschaftsbezogener Untreueprobleme setzt deshalb voraus, daß die aktuelle Gesetzeslage umrissen wird, wie sie sich infolge der 1 Die nachfolgenden Änderungen beschränkten sich im wesentlichen auf die im Zusammenhang dieser Untersuchung nicht - oder nur am Rande behandelten - Rechtsfolgen, die Regelbeispiele für einen besonders schweren Fall und das Antragserfordemis; zu den Änderungen im einzelnen siehe Anhang Rz. 1.3 bis 1.6.

2

Anhang Rz. 11.1.

3

Anhang Rz. 2.6.

130

2.Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

Aufhebung der Sondertatbestände heute darstellt. Ausgangspunkt kann (heute) nur (noch) § 266 StGB selbst sein. Sein Anwendungsbereich ist nach Wortlaut und grammatikalischer Struktur zunächst aufzuklären. Es sind also die Prämissen zu erörtern, die die Diskussionsbasis für die Präzisierung der gesellschaftsbezogenen Fragestellungen zur Untreue bilden. - Das erste Kapitel ist der Klärung dieser Grundlagen vorbehalten. In den bei den folgenden Kapiteln sollen dann die Aussagen in Rechtsprechung und Literatur zu den als gesellschaftsspezifisch ermittelten Problemen der Untreue gesichtet und analysiert werden. Dabei geht es im wesentlichen um die Fragen, "wer" (Personenvereinigungen oder ihre Mitglieder) Opfer einer Untreue sein kann und "wer" im Verhältnis zu welcher Personenvereinigung Täter einer Untreue sein kann. Die im zweiten Kapitel referierten Aussagen zur Frage, wer Opfer einer Untreue sein kann, werden nach dengesellschaftsrechtlichen Vertypungen der in die Diskussion einbezogenen Formen von Zusammenschlüssen geordnet, denn diese bilden die Fallgruppen, auf die sich die strafrechtlichen Stellungnahmen beziehen. An die Darstellung der Behandlung dieser "Fallgruppen" in Rechtsprechung und Literatur wird sich eine Analyse der Aussagen anschließen. Die Kritik wird neben intrasystematischer Folgerichtigkeit der Einzelaussagen den Aspekt der Widerspruchsfreiheit zwischen gesellschaftsrechtlicher und strafrechtlicher Beurteilung der Benachteiligungsfähigkeit von Gesellschaften berücksichtigen. In paralleler Weise wird dann im dritten Kapitel die Diskussion zur Frage entwickelt, wer im Verhältnis zu welcher Gesellschaft Täter einer Untreue sein kann. Die Äußerungen dazu können freilich nicht losgelöst von den Standpunkten erfaßt werden, die die Autoren in der grundsätzlichen und streitigen Frage einnehmen, ob § 266 StGB - in allen seinen Varianten - eine Vermögensbetreuungspflicht des Täters voraussetzt und wie diese zu definieren ist. Da es für die Analyse der gesellschaftsspezifIschen Aussagen zur Untreuetäterschaft einer gesicherten Basis bedarf, ist die Grundsatzdiskussion im Rahmen dieser Untersuchung bereits hier zu führen. Sie ist jedenfalls bis zu der Zwischenentscheidung voranzutreiben, ob eine Vennögensbetreuungspflicht gefordert ist oder nicht.

1. Kapitel

Gesetzliche Grundlagen und Diskussionsansatz A. Gesellschaftsbezogener Geltungsbereich des § 266 StGB

I. Der Geltungsbereich des § 266 StGB unter Berücksichtigung der Motive Das den § 266 StGB a.F. ändernde Gesetz vom 26. 5. 1933 \ durch das § 266 StGB n.F. eingeführt wurde, wurde auf der Grundlage des "Ermächti-

gungsgesetzes" 2 als Gesetz der Reichsregierung erlassen. 3 Es liegt weder ein Entwurf dieses Gesetzes mit authentischer Begründung vor, noch gibt es daher Aufzeichnungen von Debatten in Kommissionen, Ausschüssen oder dem Parlament. Die Motive des Gesetzgebers wurden und werden daher im wesentlichen aus zwei Quellen erschlossen, "dem geschichtlichen Zusammenhang" 4 und veröffentlichten Stellungnahmen einerseits des (damaligen) Ministerialdirektors im Reichsjustizministerium Ernst Schäfer, S dem die Neufassung zumeist zugeschrieben wird, 6 und andererseits von Pfundner und Neubert, 7 deren literarische Äußerungen ebenfalls den "Materialien" 8 zugerechnet werden.

1

RGBl. I, S. 295 ff.

2

Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich vom 24. 3. 1933, RGBI. I, S. 141 ff.

3

RGBI. I, S. 295: "Die Reichsregierung hat das folgende Gesetz beschlossen .. .".

4

H. Mayer, ZBIHR 1933, S. 145; Dunkel, Vermögensbetreuungspflicht, S. 55 ff.

S

DJZ 1933, Sp. 789 ff.

6 Schwinge/Siebert, Das Neue Untreuestrafrecht, S. 12; Schobert, Untreue, S. 5; zweifelnd Dunkel, Vennögensbetreuungspflicht, S. 57.

7

PfundnerlNeubert, Das neue Reichsrecht, 11 c 6.

8

Vgl. Heimann-Trosien, JZ 1976, S. 550.

132

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

1. Die Motive bei Schäfer

Bei Schäfer fmden sich zwei Anhaltspunkte dafür, daß § 266 StGB als allgemeine Untreuenorm gedacht war, die alle - auch die gesellschaftsgesetzlich bereits geregelten - Fälle der Untreue erfassen sollte. Zunächst heißt es ganz allgemein: "Die neue Fassung des § 266 StGB versucht, ... einen von aller Kasuistik befreiten Tatbestand der Untreue aufzustellen, der bewußt weitgezogen und geeignet ist, die Fälle der strafwürdigen, treuwidrigen Vermögensschädigung möglichst lückenlos zu erfassen .... Diese Fassung ist zweifellos sehr weit und ist, wie gesagt, bewußt weit gezogen, um das Schiebertum und die Korruption mit dem gebotenen Nachdruck bekämpfen zu können." 9 Schäfer nimmt jedoch darüber hinaus auch ausdrücklich Stellung zur Reichweite des (neuen) § 266 StGB im Verhältnis zu den (damals vorhandenen) gesellschaftsgesetzlichen Tatbeständen: "Der Tatbestand des § 266 ist so weit gefaßt, daß man durch ihn wohl sämtliche Fälle der Untreue, die sich in sonstigen Gesetzen (§ 212 HGB, § 195 Börsenges. 10 usw.) fmden, als mitumfaßt ansehen darf. Gleichwohl hat der Gesetzgeber alle diese in anderen Gesetzen bestimmten Untreuebestimmungen nicht aufgehoben, da er aufihre generalprävenierende Wirkung nicht verzichten wollte. Die Novelle hat die Strafrahmen dieser Sonderbestimmungen ... angepaßt ... und ... für das Gesetz, betr. die GmbH, wo bisher eine besondere Untreuebestimmung fehlte und schmerzlich vermißt wurde, durch Einfügung eines § 81 a eine solche Bestimmung neu geschaffen." 11

Diese Motive sprechen sich also klar dafür aus, daß § 266 StGB in der neuen Gestalt, die er auch heute noch im wesentlichen besitzt, "allgemeine" Geltung beanspruchen und im Verhältnis zu den noch vorhandenen Sondertatbeständen lex generalis sein sollte.

9

Schäfer, DJZ 1933, Sp. 794 unten, 795 oben.

10 Bei diesen Paragraphenangaben kann es sich nur um Druckfehler handeln; gemeint sind offenbar die §§ 312 HGB und 95 BörsG. 11

Schäfer, DJZ 1933, Sp. 795.

1. Kapitel Grundlagen und Diskussionsansatz

133

2. Die Reform des § 266 StGB im ''geschichtlichen Zusammenhang" Soweit die Motive für die Neufassung des § 266 StGB aus "dem geschichtlichen Zusammenhang" erschlossen wurden und werden, 12 wird in erster Linie die Reformdiskussion berücksichtigt. Dem liegt die Vorstellung zu Grunde, daß die Neufassung das Fazit aus dieser Diskussion gezogen hat. Einen ersten Änderungsvorschlag enthielt der "Vorentwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch", den eine vom Reichsjustizamt bestellte Sachverständigenkommission im Jahre 1909 vorgelegt hatte. 13 Der Entwurf sah in § 277 eine Untreuevorschrift folgender Fassung vor: "Wer absichtlich das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, daß er die ihm durch Gesetz oder Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis mißbraucht, wird ... bestraft".

An diesem Vorschlag orientierten sich alle nachfolgenden (amtlichen) Kommissions entwürfe 1\ deren Untreuebestimmungen sich davon im wesentlichen nur in den Anforderungen an den subjektiven Tatbestand unterschieden. IS In der Zielrichtung liefen diese Entwürfe darauf hinaus, eine umfassende, abstrakte Beschreibung aller tauglichen Untreuetäter zu entwickeln, um einerseits die Unzuträglichkeiten der Katalogfassungen des § 266 Abs. 1 Ziff. 1 und 3 StGB - und damit inzidenter auch der Sondertatbestände - aufzulösen und andererseits den Begriff des "Bevollmächtigten" damit zu harmonisIeren. Diese Entwürfe standen jedoch insoweit im Gegensatz zu der Tendenz, die sich in der Praxis als herrschend herauskristallisiert hatte, als sie sachlich der Mißbrauchstheorie verhaftet waren. Unter Befugnis sollte nur die (zivil-) rechtlich wirksam begründete verstanden werden; rein tatsächliche Handlungen sollten nicht tatbestandsmäßig sein können. Wegen dieser tatbestandlichen

12

H. Mayer, ZBIHR 1933, 145.

13

Hrsg. 1909 in Berlin.

14 § 367 des Kommissionsentwuifs 1913 (in: Entwürfe zu einem Deutschen Stragesetzbuch 1. Teil: Entwurf der Strafrechtskommission (1913), Berlin 1921; § 377 des Entwuifs 1919 (in: Entwürfe zu einem Deutschen Strafgesetzbuch - 2. Teil: Entwurf 1919, Berlin 1921; § 314 der Reichsratsvorlage 1925 (in: Amtlicher Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs nebst Begründung - 1. Teil: Entwurf, Berlin 1925; § 348 Abs.1 der Reichsragsvorlage vom 19. 5. 1927 (RT-Drucks. III 1924 - 27, Nr. 3390).

IS

Vgl. dazu im einzelnen die Analyse von Dunkel, Vermögensbetreuungspflicht, S. 67 - 71.

134

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

Einschränkungen stieß schon der Entwurf von 1909 auf heftige Kritik, die sich in dem Gegenentwurf von 1911 artikulierte. 16 Dessen § 322 lautete: "Wer fremdes Vermögen dadurch beschädigt, daß er die ihm durch Gesetz oder Rechtsgeschäft auferlegte Pflicht zur Wahrung der Interessen dieses Vermögens verletzt, wird ... bestraft." Die (Treue-) Pflicht sollte danach das entscheidende täterschaftsbegründede Kriterium sein, die - wie die Treubruchstheorie ohnehin postulierte - durch jede tatsächliche Handlung verletzt werden konnte. Der Gegenentwurf enthielt nur insofern ein Zugeständnis an die Mißbrauchstheorie, als die (Treue-) Pflicht durch Gesetz oder Rechtsgeschäft (zivil-) rechtlich wirksam begründet sein sollte. Im übrigen entsprach die vorgeschlagene Bestimmung dem Modell, dem sich Rechtsprechung und herrschende Meinung bereits durch Auslegung des § 266 a. F. StGB weitgehend angenähert hatten. Diese Tendenz setzte sich letztlich auch in den amtlichen Entwürfen durch und wurde schließlich in der Reichstagsvorlage von 1927 durch einen Abs. 2 zu dem vorgeschlagenen § 348 StGB aufgefangen. Dort hieß es: "Ebenso wird bestraft, wer ... Geld oder anderes Gut, das ihm anvertraut ist oder das er für einen anderen empfangen hat, zum Nachteil des Berechtigten für sich oder einen anderen verwendet." 17 Der Vorschlag verzichtete auf jede (zivil-) rechtlich wirksame Bindung zwischen Täter und Vermögensinhaber. 18 Damit endet die nachvollziehbare Reformdiskussion. Streit bestand danach im wesentlichen darüber, wie die täterschaftsbegründende Eigenschaft inhaltlich zu defInieren sein sollte. Dieser Aspekt kann hier indessen noch außer Betracht bleiben, 19 denn er spielt für die Frage nach dem Geltungsbereich der (zu reformierenden und) reformierten Untreuenorm des Kernstrafrechts im Verhältnis zu den Sondertatbeständen keine Rolle. Dafür ist allein maßgebend, daß allen Reformentwürfen die gemeinsame Tendenz zu Grunde lag, eine abstrakte Beschreibung aller Untreuetäter zu entwickeln, also § 266 StGB als Lex generalis zu formulieren.

16

Gegenentwurf zum Vorentwurf eines deuiSchen Strafgesetzbuches, Berlin 1911.

17 RT-Drucks. III, 1924 - 27, Nr. 3390; wortgleich auch der § 348 in dem Entwurf von Kahl aus dem Jahre 1930, RT-Drucks. V, 1930, Nr. 395. 18

Begr. zu E 1927, RT-Drucks. III, 1924 - 27, Nr. 3390, S. 179, 180.

19

Dazu unten in diesem Teil, 3. Kapitel A.

1. Kapitel Grundlagen und Diskussionsansatz

135

Es wäre allerdings zu kurz gegriffen, wenn man die Motive für die neue Fassung des § 266 StGB nur im Kontext der Reformdiskussion ausloten wollte. Die Anwendungsprobleme des § 266 StGB a. F. sind insofern zu berücksichtigen, als sie den Anlaß und den Hintergrund dafür bildeten, daß die Reformdiskussion überhaupt und schon so früh einsetzte. Jedenfalls das Reichsgericht sah in einer seiner ersten Entscheidung zu § 266 StGB n. F. die eigentlichen Ursachen für die Änderung - also das "Motiv' des Gesetzgebers - darin, daß "die neue Fassung des § 266 StGB ... die dem bisherigen Untreueparagraphen anhaftenden Mängel und Lücken zu beseitigen (sc. sucht), indem sie die gesetzgeberische Folgerung aus den Ergebnissen der neueren Rechtsprechung des Reichsgerichts zieht, die - dem praktischen Bedürfnis folgend den Geltungsbereich der strafbaren Untreue immer mehr erweitert hatte." 20 Diese Annahme wird gestützt durch die Tatsache, daß sich letztlich die der Treubruchstheorie - als der praktisch herrschenden Theorie - verbundenen Entwürfe durchgesetzt hatten und § 266 StGB nach den AusführungenSchäjers jedenfalls auch "in Anlehnung an die Treubruchstheorie und die in der Rechtsprechung zur Geltung gelangten Tendenzen" formuliert worden sein soll. 21 Diese Tendenzen hatten sich jedoch in der Praxis überwiegend an Hand gesellschaftsrechtlich geprägter Fälle herauskristallisiert. Die Einführung und Entwicklung der gesellschaftsrechtlichen Untreuetatbestände stellt sich, wenn man den wechselseitigen Rückgriff auf die Voraussetzungen des § 266 StGB und der Spezialtatbestände berücksichtigt, 22 letztlich, wenn nicht als Ursache, so doch als begünstigender Faktor für eine generelle Ausweitung des Untreuestrafrechts dar. Sie hatte dazu geführt, daß sich aus dem Kreis der - bereits zuvor weit definierten - Bevollmächtigten eine immer größer werdende Untergruppe von Tätern herausschälte, deren Handlungen in einem größeren Umfang pönalisiert wurden, als dies nach § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB möglich war. Gleiches galt für die in § 266 Abs. 1 und 3 StGB aufgezählten Personengruppen ohnehin. Dem stand eine immer begrenzter werdende Zahl von Tätern gegenüber, deren Handlungen, trotz gleichartiger Befugnisse, nach § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB in geringerem Umfang unter Strafe gestellt waren. In diesen historischen Zusammenhang gestellt, wird erklärlich, warum und daß auch die Harmonisierung aller Untreuetatbestände in einer Kernvorschrift

20

RGSt, 69, 58, 59. (Hervorhebungen von Verf.).

21

Schäfer, DJZ 1933, Sp. 795.

22

Dazu oben Teil 1, 2. Kapitel Bund 3. Kapitel B.

136

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

zu den entscheidenden Anliegen der Neufassung gehörte und diese nicht nur - wie gewöhnlich zu lesen ist - auf dem Bestreben beruhte, die Mißbrauchsund die Treubruchstheorie in einer Norm zusammenzufassen. 23 Danach kann vorausgesetzt werden, daß sich jedenfalls aus der Perspektive der Motive auch an dem Verhältnis des § 266 StGB zu den Sondertatbeständen insoweit nichts ändern sollte, als diese nach den zitierten "Tendenzen" ohnehin nur leges special es waren. 2A § 266 StGB ist demnach bereits mit dem Anspruch eingeführt worden, die generelle und alle Spezialfälle erfassende Norm sein zu sollen. Es ergeben sich daher aus dem ursprünglichen Nebeneinander von kern- und nebenstrafrechtlichen Untreuetatbeständen keine Anhaltspunkte dafür, daß Untreue zum Nachteil von Gesellschaften aus dem Anwendungsbereich des § 266 StGB ausgenommen sein sollte. 11. Der Geltungsbereich des § 266 StGB unter Berücksichtigung der Aufbebungsgesetze Ist Untreue zum Nachteil von Gesellschaften immer (auch) ein Anwendungsfall des § 266 StGB (n. F.) gewesen, so ist es auf den ersten Blick für dessen Geltungsbereich unerheblich, ob daneben zunächst fortgeltende Spezialtatbestände später aufgehoben wurden oder nicht. Ihre Existenz hat den Anwendungsbereich des § 266 StGB sachlich nicht beschränkt; es bleibt jedoch denkbar, daß ihr Wegfall eine Ausdehnung seines Geltungsbereichs zur Folge hat. Wie identische Begriffe im Kontext unterschiedlicher Normen verschieden interpretierbar sind, so kann sich möglicherweise auch der Sinn einer kompletten Norm wandeln, wenn sich ihr Kontext ändert. 25 Es könnte deshalb die in Rechtsprechung und Literatur gelegentlich anzutreffende Argumentation richtig sein, § 266 StGB habe alle Untreuefälle erfassen sollen und müsse deshalb heute ausdehnend so interpretiert werden, daß er alle Fälle erfasse, die unter die zwischenzeitlich aufgehobenen Spezialtatbestände gefallen seien. Auf dieser Prämisse beruht etwa die Behauptung, § 266 StGB habe "gläubigerschützende" Funktion, weil und soweit (z. B.) § 294 AktG oder § 81 a GmbHG auch die Aufgabe gehabt hätten, Gläubigerver-

23

Siehe dazu ausführlich unten 3. Kapitel AI und A IV.

2A

Siehe dazu jedoch die Kritik oben Teil 1, 3. Kapitel, BIll.

25 Vgl. dazu das von HeJsper (Vorschriften der Evolution für das Recht, S. 35) zitierte Beispiel des § 2 UStG, dessen im Wortlaut unveränderte Legaldefinition des "Unternehmers" allein dadurch einen anderen Sinn gewann, daß das Bruttoumsatzsteuerrecht durch das MehlWertsteuersystem abgelöst wurde.

1. Kapitel Grundlagen und Diskussionsansatz

137

mögen zu schützen. 26 Für den Geltungsbereich des § 266 StGB ist es daher eine methodisch vorrangige Frage, ob und gegebenenfalls wie sich auf seine Interpretation die Tatsache auswirken kann oder auswirkt, daß die gesellschaftsrechtlichen Spezialtatbestände aufgehoben beziehungsweise neu gefaßt wurden. 1. Aufhebungsgesetze als auslegungsfähige Nonnen

Auch Änderungs- und Aufhebungsgesetze sind Gesetze. Soweit sie nicht selbst aufgehoben, geändert oder durch Neuregelungen ersetztwerden,gehören sie zum positiven Bestand des geltenden Rechts. Sie sind daher prinzipiell nicht anders zu behandeln, als sonstige Normen auch. Das heißt auch, daß sie grundsätzlich auslegungs fähig sind. Dieser Satz wird in Bezug auf die Aufhebung speziell strafrechtlicher Gesetze zwar nicht ausdrücklich aufgestellt, jedoch als selbstverständlich vorausgesetzt. ZT 2. Wortlaut der die Sondertatbestände aufhebenden Nonnen

Die Streichungen der gesellschaftsgesetzlichen Untreuetatbestände begannen im Jahre 1963.

26 So für Aktiengesellschaften der Ansatz bei Schneider, Untreue nach dem neuen Aktienrecht, S. 1, 38 ff, 109 ff; andeutungsweise auch Seher, Aktienrechtliche Untreue, S. 1 - 3. - So ferner das tragende Argument für den Anwendungsbereich des § 266 StGB auf Untreue zu Lasten einer GmbH bei BGH, wistra 1989, 23 = StrVert 1989, 107.

ZT Beispiele für die Notwendigkeit und die Art und Weise der Auslegung von Aufhebungsgesetzen finden sich etwa in den frühen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs. Dort ging es um die Auswirkungen der Aufhebung nationalsozialistischer (Straf-) Gesetze durch das Kontrollratsgesetz Nr. 11 oder sonstiges Besatzungsrecht auf die Gültigkeit verbleibender Normen. Vgl. etwa BGHSt 1, 275, 276f; 9, 390,392 zu den Folgen der Aufhebung des (nationalsozialistischen) § 2 b StGB (Einschränkung des Analogieverbots) auf die Zu lässigkeit einer Wahlfeststellung; ferner BGHSt 20, 81 zur Unzulässigkeit der Anwendung der §§ 223 ff StGB auf freiwillige Sterilisation nach Aufhebungdes (nationalsozialistischen) § 226 b StGB (Strafbarkeit der Zerstörung der Zeugungs- oder Gebärfähigkeit eines anderen mit dessen Einwilligung). Ähnliche Fragen stellten sich auch später, beispielweise bei der Auslegung der Vorschriften des EGStGB vom 2. 3. 1974 (BGBl. 1,469) über die Umgestaltung der Raubtatbestände; vgl. BGHSt (GS) 26, 167 zur Zulässigkeit der Anwendung des § 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB 1975 (gefährlicher Raub) auf einen Fall des "Straßenraubes" (§ 250 Abs. 1 Nr.3 StGB a. F.). Die Frage wurde dem Großen Senat vorgelegt, weil der 1. Senat der Auffassung war, Straßenraub sei "ersatzlos weggefallen" (BGH a.a.O., S. 169), so daß sich die Anwendung der neugestalteten Qualifikationstatbestände schon deshalb ebenso verbiete, wie die Anwendung des früheren, während der vorlegende 2. Senat den "Straßenraub" im konkreten Fall als "gefährlichen Raub" im Sinne der Neufassung beurteilen und lediglich die frühere Vorschrift als das "mildere Gesetz" anwenden wollte.

138

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

Im Zuge der Vereinheitlichung des Bankrechts wurden § 36 HypothekenbankG 28 und § 37 SchiffsbankG 29 "gestrichen". Es folgte im Jahre 1965 die "Aufhebung" des § 294 AktG 30. Durch das Erste Gesetz zur Reform des Strafrechts (1. StrRG) vom 25. 6. 1969 31 wurden die §§ 81a GmbHG 32 und 146 GenG 33 "aufgehoben", im Jahre 1972 die §§ 135 Abs. 2, 136 VAG für Bausparkassen 34 und im Jahre 1974 durch das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch (EGStB) vom 2. 3. 1974 3S die §§ 138 und 142 VAG für private Versicherungsunternehmungen. 36 In allen Fällen enthalten die Aufhebungsgesetze ihrem Wortlaut nach keinen Hinweis darauf, daß die entfallenden Strafgesetze durch einen anderen Tatbestand - hier § 266 StGB - in vollem Umfang ersetzt werden sollten. 3. Die Motive für die Aujhebungsgesetze

Ein anderes Bild ergibt sich möglicherweise aus den Materialien zu den hier interessierenden Änderungsgesetzen, deren Bestandteil die Vorschriften über die Aufhebung der gesellschaftsrechtlichen Untreuevorschriften sind. Sie lassen keinen Zweifel daran, daß der Gesetzgeber von einer Reichweite des § 266 StGB ausging, die den bisherigen Anwendungsbereich der aufgehobenen Vorschriften in vollem Umfang abdeckte. Im einzelnen ergibt sich folgendes Bild: Während der Regierungsentwurf zur Änderung des Hypothekenbankgesetzes nur eine Modifizierung des § 36 HypbankG vorsah (falsche Angaben über 28 Fünftes Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Hypothekenbankgesetzes vom 14. 1.1963, BGBI. I, 13 (Anhang Rz. 12.2). 29 Aufgehoben durch Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Schiffsbankgesetzes vom 8. 5. 1963, BGBI. I, 293 (Anhang Rz. 17.2).

30 Durch Einführung des Aktiengesetzes 1965 vom 6. 9. 1965, BGBI. I, 1089, das keine Untreuevorschrift mehr enthielt (Anhang Rz. 2.8). 31

BGBI.I, S. 645.

32

Anhang Rz. 11.2.

33

Anhang Rz. 10.4.

34

Durch das Gesetz über Bausparkassen vom 16. 11. 1972, BGBI. I, 2097 (Anhang Rz.7.3).

3S

BGBI. I, 469 ff.

36

Anhang Rz. 19.2.11.

1. Kapitel Grundlagen und Diskussionsansatz

139

Deckungsgrundlagen und unbefugte Herausgabe von Deckungswerten), 37 übernahm der Bundestag den wie folgt begründeten Vorschlag des Wirtschaftsausschusses, die Vorschrift zu streichen: "Der Rechtsausschuß hat § 36 nicht mehr für erforderlich gehalten, weil sich die Bestrafung des Treuhänders aus § 266 StGB auch ohne eine ausdrückliche Bezugnahme seit der Neufassung des Un-treuetatbestandes im Jahre 1930 ergebe. Der Wirtschaftsausschuß hat sich dieser Auffassung angeschlossen." 38 Die Begründung für die Aufhebung des § 37 SchiffsbankG nimmt darauf Bezug: "Der Ausschuß hat diese Vorschrift aus denselben Gründen ersatzlos gestrichen, aus denen die entsprechende Bestimmung im HypothekenbankG gestrichen worden ist.. 39 § 294 AktG wurde mit folgender Begründung aufgehoben:

"Da der gesamte Anwendungsbereich des § 294 AktG 1937 bereits durch den allgemeinen Untreuetatbestand des § 266 StGB mitumfaßt sein dürfte und auch nach § 266 StGB eine Bestrafung mit Gefängnis, in besonders schweren Fällen mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren möglich ist, erscheint § 294 AktG 1937 entbehrlich. Die Erwägung, daß einer Sondervorschrift über die aktienrechtliche Untreue eine größere generalpräventive Wirkung zukommen könnte, dürfte für sich allein die Beibehaltung des § 294 AktG nicht rechtfertigen. Im übrigen gilt § 266 StGB auch heute schon auf dem Gebiet des Aktienrechts, wenn die Untreuehandlungvon einem Täter began-

37 Art. I Nr. 27 des Entwurfs, BT-Drucks. IV/624 mit Begründung S. 22: "§ 36 ist seinerzeit in das HypothekenbankG eingefügt worden, um die Unsicherheit darüber zu beseitigen, ob sich ein Treuhänder, der absichtlich zum Nachteil der Pfandbriefgläubiger handelt, nach § 266 StGB strafbar macht. Das Bedürfnis für einen strafrechtlichen Schutz der Deckungsvorschriften, die den Kern des Pfandbriefrechts ausmachen, besteht auch heute noch; er ist im Interesse des Vertrauens der Öffentlichkeit in die Sicherheit der Pfandbriefe geboten. Die Beibehaltung einer Strafbestimmung würde sich auch bei einer Änderung des Untreuetatbestandes im Sinne des § 263 des Entwurfs eines Strafgesetzbuches (Drucks. 2150 der 3. Wahlperiode) nicht erübrigen." 38 Schrift!. Bericht des Wirtschaftsausschusses, BT-Drucks. IV /736, S. 3 (falsche Jahresangabe im Original).

39

Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. IV/847, S. 3.

140

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

gen wird, der nicht Mitglied des Vorstands oder des Aufsichtsrats oder Abwickler ist." 40 Zur Aufhebung des § 81a GmbHG heißt es: "Die bisherige Untreuevorschrift des § 81a soll aufgehoben werden, da die dort beschriebene Tathandlung bereits von § 266 StGB erfaßt wird." 41 Auf diese Argumentation wird zur Begründung für die Aufhebung des § 146 GenG durch dasselbe Gesetz Bezug genommen. 42 Die §§ 138 und 142 VAG wurden mit folgender Begründung aufgehoben: "Der bisherige § 138 als Sonderfall der Untreue ist entbehrlich. Die in der Vorschrift beschriebenen Verhaltensweisen werden von § 266 StGB erfaßt. Die Treuhänder und ihre Stellvertreter sind nach § 70, also kraft Gesetzes, verpflichtet, den Deckungsstock im Interesse der Versicherten zu überwachen; sie haben somit fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen. Die Aufhebung des § 138 steht in Einklang mit dem Bestreben der neueren Gesetzgebung und des Entwurfs, besondere Untreuevorschriften in strafrechtlichen Nebengesetzen zu beseitigen." 43 Die Begründung zur Aufhebung des § 142 VAG nimmt darauf Bezug.

44

Zusammengefaßt enthält die Begründung für die Aufhebung aller genannten Sonderbestimmungen die Feststellung, daß die Vorschriften überflüssig (geworden) sind, weil sie keinen über § 266 StGB hinausgehenden, eigenständigen Regelungsgehalt (mehr) haben. Diese Begründung beruht auf der - zutreffenden oder unzutreffenden - Annahme, die Anwendungsfälle der aufgehobenen Vorschriften seien auch vor ihrer Aufhebung bereits Anwendungsfälle des § 266 StGB gewesen.

40 Begründung zum Regierungsentwurf des Aktiengesetzes vom 6. 9. 1965, abgedruckt bei Kropff, Aktiengesetz, S. 498. 41 Schriftlicher Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, BT-Drucks. V /4094, S.56. 42 Schriftlicher Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, BT-Drucks. V/4094, ebenfalls S. 56. 43

BT-Drucks. 7/550, S. 413.

44

BT-Drucks. 7/550, S. 414.

1. Kapitel Grundlagen und Diskussionsansatz

141

4. Die systematische Begrenzung der Regelungen eines Ändernngsgesetzes

Aufuebungsgesetze stehen systematisch im Zusammenhang mit zwei Gesetzen. Die Aufuebungsnorm selbst ist einmal im Kontext des gesamten Ändernngsgesetzes zu beurteilen. Zum anderen ist ihre regelnde Wirkung auf das System des jeweils ausdrücklich geänderten Gesamtgesetzes beschränkt, dessen Norm aufgehoben wird. Insoweit - aber auch nur insoweit - können auch die Materialien für die Interpretation der betroffenen Gesetze aufschlußreich sein. Im Hinblick auf diese systematische Begrenzung der Änderungsgesetze ist es daher methodisch unzulässig, den (früheren) Regelungsgehalt einer durch Gesetz aufgehobene Norm für die Bestimmung der Reichweite eines anderen Gesetzes heranzuziehen, das außerhalb des eindeutig definierten und ausdrücklich genannten Regelungsgegenstandes liegt: Die Aufhebungsgesetze betreffen das namentlich zitierte, aufgehobene Gesetz und nur dieses. Noch weniger können die Motive für die Aufhebung eines Gesetzes als solche "regelnd" wirken. Danach steht als Regelungsgehalt der Aufhebungsgesetze fest, daß die Spezialtatbestände zwar als solche ersatzlos entfallen sollen, die Streichung aber die bestehenden Gesetze unberührt läßt. Es verbietet :!ich also, ihnen einen weitergehenden Regelungsgehalt etwa des Inhalts zu unterlegen, § 266 StGB müsse die aufgehobenen Vorschriften in vollem Umfang ersetzen. Denkbar ist freilich, daß der Gesetzgeber sich in seinen Motiven geirrt hat und nicht alle Anwendungsfälle der jeweils aufgehobenen Norm (auch) unter § 266 StGB subsumierbar waren. Dann aber wären lediglich die Entscheidungsgrundlagen für die Aufhebung "falsch" gewesen. Die mangelnde Stichhaltigkeit einer Gesetzesbegründung kann indessen jedenfalls im Strafrecht nicht dazu führen, daß ein anderes Strafgesetz über die Grenzen hinaus ausgedehnt wird, die der Bestimmtheitsgrundsatz vorgibt. Es ist daher methodisch unzulässig, § 266 StGB nur mit Rücksicht auf die Motive für die Aufhebung von Sondertatbeständen ausdehnend zu interpretieren, wenn es anders nicht möglich wäre, deren (frühere) AnwendungsfäUe als Untreue zu bestrafen. Ebenso wenig können freilich (nur) bestimmte - früher gesondert geregelte - Einzelfälle aus dem Anwendungsbereich des § 266 StGB ausgenommen werden, mit der Begründung, sie wären auch früher schon nicht strafbar gewesen und die fortgeltenden Aufhebungsgesetze ließen einen Ersatz der aufgehobenen Sondernorm durch § 266 StGB nicht zu. Konkret heißt das beispielsweise, daß die eingangs erwähnte These, § 266 StGB habe gläubigerschützende Funktion, nur aus § 266 StGB selbst begründet werden dürfte und müßte. Sie wäre falsch, wenn sie ausschließlich darauf ge-

142

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

stützt würde, die früheren Sondertatbestände (etwa § 294 AktG 1937 45 oder 46) hätten die Möglichkeit zur Bestrafung gesellschaftsrechtlicher Pflichtverletzungen der Organe auch zum Nachteil der Gläubiger eröffnet. Diese Argumentation wäre methodisch unzulässig, weil sie gegen (fortgeltende) Aufhebungsgesetze verstieße. § 81a GmbHG

III. Auswirkungen der Änderungsgesetze auf den Geltungsbereich des § 266 StGB Zu untersuchen bleibt, ob die Modifizierung früherer Spezialtatbestände und ihre Einführung in das Strafgesetzbuch den Geltungsbereich des § 266 StGB beeinflussen könnten. Die §§ 225 AFG, 150 AngVersG, 233, 234 ReichsknappschG und 529, 1428 RVO wurden durch das Zweite Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität vom 15.5.1986 47 aufgehoben und durch eine generelle Vorschrift, den § 266a StGB, ersetzt. Diese Gesetzesänderung beruht zum einen auf dem - teils auch bei den Aufhebungsgesetzen anklingenden - Motiv der Bereinigung des Strafrechts 48 und trägt der Forderung Rechnung, das in den verschiedenen Sozialversicherungsgesetzen verstreute "Beitragsstrafrecht" 49 zu konzentrieren. 50 Inhaltlich beruht sie zum anderen auf dem Bestreben, die versicherungsrechtlichen Straftatbestände zu harmonisieren und die (nach altem Recht) "untreueähnliche"

45 So aber der Ansatz bei Schneider, Untreue nach dem neuen Aktienrecht, S. 1, 38 ff, 109 ff; andeutungsweise, wenn auch im Rahmen kriminalpolitischer Argumentation, Seher, Aktienrechtliche Untreue, S. 1 - 3.

46 So aber das tragende Argument in BGH, wistra 1989, 23 = StrVert 1989, 107; dort wird die Auffassung, Entnahmen aus dem GmbH-Vennögen seien trotz Zustimmung aller Gesellschafter als Nachteilszufügung durch Untreue einzuordnen, damit begründet, dies sein schon "in der Rechtsprechung zu § 81a GmbHG, dessen Anwendungsbereich nach Aufhebung der Vorschrift (Art. 51 Nr. 1 des 1. StRRG vo, 25. 6. 1969) vom Untreuetatbestand (§ 266 StGB) mit umfaßt wird (vgl. Erster Schriftlicher Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsrefonn, BT-Drucks. V /4094, S. 56), wiederholt anerkannt worden." 47 BGBI. 1,721; zur Entstehungsgeschichte vgl. den Überblick bei Möhrenschlager,wistra 1986, S. 123 ff. 48

RegE des EGStGB, BT-Drucks. 7/550, S. 432 zu Art. 233 Nr. 21.

49

So Granderath, OB-Beilage 1986, Nr. 18, S. 10.

50

Zu den Refonnforderungen siehe Weber, Festschr. f. Dreher, S. 555, 569.

1. Kapitel Grundlagen und Diskussionsansatz

143

Beitragsvorenthaltung 51 von der (neugeschaffenen) Schädigung "der Solidargemeinschaft" durch Beitragshinterziehung 52 abzugrenzen. Das bedeutet, daß die in § 266a Abs. 1, 3, 4 und 5 StGB getroffenen Regelungen, deren geschütztes Rechtsgut nach Klarstellung durch den Gesetzgeber das Beitragsaufkommen der Sozialversicherungsträger und der Bundesanstalt für Arbeit sein soll, 53 keine - auch keine mittelbaren - Regelungen über die Reichweite des § 266 StGB treffen. Die Änderungen könnten allenfalls den Schluß auf die stillschweigend gesetzte Prämisse zulassen, § 266 StGB schütze nur das Individual-Vermögen. Auch diese Annahme, wollte man sie so unterstellen, könnte indessen den Geltungsbereich des § 266 StGB nicht unmittelbar betreffen; § 266 StGB ist - wie das Änderungsgesetz selbst zunächst aus sich heraus auszulegen. Ähnlich verhält es sich allerdings auch mit § 266a Abs. 2 StGB, dem nach der Gesetzesbegründung die Aufgabe zufallen soll, eine Lücke im Vermögensstrafrecht zu schließen. 54 Diese soll darin bestanden haben, daß der allgemeine Untreuetatbestand nicht auf das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer anwendbar gewesen sei, 55 weil sich aus dem Arbeitsverhältnis keine Vermögensbetreuungspflicht 56 ergebe. Unterstellt man die Richtigkeit dieser vom Gesetzgeber zugrundegelegten Rechtsansicht und versteht man deshalb § 266a (Abs. 2) StGB als "Ergänzung zu § 266 StGB", 57 so können auch daraus allenfalls Rückschlüsse für die Interpretation des § 266 StGB gezogen werden, etwa der, daß § 266 StGB in all seinen Varianten eine Vermögensbetreuungspflicht voraussetze. Dies zu klären, gehört aber nicht zum unmittelbaren Regelungsgehalt eines Gesetzes, das sich auf Einführung bzw. Änderung einer anderen Norm bezieht, sondern ist Gegenstand der Auslegung des § 266 StGB selbst. Stellt sich generell oder auch nur für besondere Fälle heraus, daß die Rechtsansicht irrig war, konkret also etwa,

51

BGHSt 2,187; BGH, BB 1964, S. 262; BGH, VersR 1980, S. 487; VersR 1987, S. 958.

52 Bericht des Rechtsausschusses vom 19. 2. 1986, BT-Drucks. 10/5058, S. 31; Manens, wistra 1986, S. 155.

53 Wie Fn. 52; siehe auch Granderath, DB-Beilage 1986 Nr. 18, S. 10; 1iedemann (JZ 1986, S. 874) nennt als Schutzgut "das System der Sozialversicherung". 54

BT-Drucks. 10/318, S. 26 CC.

55 RegE, BT-Drucks. 10/318, S. 30; Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 10/5058, S. 31; vgl. auch Granderath, DB-Beilage 1986 Nr. 18, S. 11; U. Weber, NStZ 1986, S. 487.. 56

1903.

So etwa BGHSt 6, 314; OLG Köln, NJW 1967, S. 836; OLG Braunschweig, NJW 1976, S.

57 Möhrenschlager, 12 Nelles

wistra 1986, S. 126.

144

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

daß § 266 StGB entweder keine Vermögensbetreuungspflicht als allgemeines Tatbestandsmerkmal fordert oder - wenn doch - auch Arbeitsverhältnisse darunter fallen, dann ergäben sich allenfalls Überschneidungen des GeItungsbereichs, die dann als Konkurrenzprobleme zu lösen und lösbar wären. IV. Zusammenfassung und Konsequenzen für den weiteren Untersuchungsgang § 266 StGB ist die generell-abstrakte Norm, nach der aktuell auch alle Fälle "gesellschaftsrechtlicher Untreue" zu beurteilen sind. Dies setzt voraus, daß der RegelungsgehaIt des § 266 StGB ebenfalls "generell" ermittelt wird und nicht mit Rücksicht auf die Besonderheiten dieser FaUkonstellationen interpretiert werden darf.

Dazu kann es zweckmäßig und zulässig sein, die in sich abgeschlossene Entwicklung der Spezial- und Sondertatbestände retrospektiv als (historisches) Auslegungskriterium heranzuziehen. Sie darf aber nicht als Argument benutzt werden, § 266 StGB über seinen Wortlaut hinaus auszudehnen. Gleiches gilt für die Tatsache, daß sie aufgehoben wurden, weil sie im Hinblick auf § 266 StGB als überflüssig galten. Ihre Aufhebung (bzw. Änderung) durch Gesetz ist (fort-) geltendes Recht. Die nach wie vor wirksamen Aufhebungs- und Änderungsgesetzen treffen gerade keine Regelung zu § 266 StGB; es wäre daher methodisch verfehlt, ihnen verbindliche Anordnungen über die Beschränkung oder Erweiterung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 266 StGB entnehmen zu wollen. Für den weiteren Untersuchungsgang folgt daraus, daß Gegenstand der Interpretation ausschließlich § 266 StGB selbst ist. Weil diese Norm zwischen dem individuellen, natürlichen Rechtssubjekt "Mensch" als Vermögensinhaber und "Gesellschaften" als Träger von Vermögen nicht differenziert, ist zunächst der Nachweis zu führen, daß die individuelle oder organisationsrechtliche "Persönlichkeit" des Opfers für den Anwendungsbereich des § 266 StGB von Bedeutung ist. (Auch) als Begründung dafür führt der Hinweis auf die unterschiedlichen historischen Wurzeln der Untreue nicht weiter. Die Einführung einer weitgehend von den Fesseln früherer Fassungen befreiten, übergreifenden Untreuevorschrift sollte die Probleme, die aus den differenzierenden Regelungen resultierten, ja gerade lösen. Die "Lösung" bestand und besteht indessen darin, daß die Probleme der Anwendbarkeit des § 266 StGB auf Vermägensinhaber jeden Typs und Täter jeden Typs dem Rechtsanwender zur Lösung überlassen sind.

1. Kapitel Grundlagen und Diskussionsansatz

145

B. Ansätze für gesellschaftbezogene Fragestellungen aus dem Wortlaut des § 266 StGB Grundlage der Analyse des § 266 StGB ist sein Wortlaut und seine grammatikalische Struktur. Da diese zugleich die Grenze zulässiger Interpretation bilden, soUen im folgenden nur solche Aussagen entwickelt bzw. zusammengestellt werden, die danach zum sicheren - und unstreitigen - Kern der Auslegung des § 266 StGB gehören. I. Das in § 266 StGB vorausgesetzte Beziehungsgefüge § 266 StGB enthält seiner Konstruktion nach zwei Kategorien von Voraussetzungen, die es erfordern, auch die "Opferpersönlichkeit" in den Blick zu nehmen. Dabei handelt es sich zum einen um dasAngriffsobjekt "Vennögen"; zum anderen handelt es sich um die Gestaltung der täterschajtsbegründenden Beziehung zwischen dem Täter und dem Vermögen, beziehungsweise dessen Inhaber.

1. Das "Opfervennögen" als Angriffsobjekt der Untreue § 266 StGB setzt - das ist unstreitig 58 - für alle Begehungsvarianten als Taterfolg einen Nachteil voraus, der - auch das ist heute unstreitig 59 - in einem Vennögensnachteil bestehen muß. Der Teilsatz, der die Erfolgsbeschreibung beinhaltet, lautet: "und dadurch dem ... Nachteil zufügt."

Zur Individualisierung des Vennögens, das durch die verschiedenen, in § 266 StGB umschriebenen tatbestalldlichen Verhaltensweisen benachteiligt sein muß, bedient sich dieser grammatikalisch vollständige Satz eines Dativobjekts, das als solches nur aus einem Demonstrativpronomen ("dem") besteht. Isoliert gelesen, ließe der Satz also die (gedankliche) Ergänzung des Dativobjekts etwa in der Weise zu, daß "dem Vermögen" Nachteil zugefügt werden muß. Der Satz enthält jedoch in der grammatikalischen Funktion eines Attributs für das Dativobjekt einen Relativsatz ("dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat"), aus dem sich - mindestens und insoweit unstreitig - ergibt, daß es sich

58 Dunkel, Vennögensbetreuungspllicht, S. 35 m. w. N; Hübner, LI(, § 266 Rdnr. 5, 89, 94; Lackner,§ 266Anm.5; MaurachlSchroeder,BT /1, S. 439; SchönkeISchröderILenckner,§ 266 Rdnr. 39; Samson, SI(, § 266 Rdnr. 2, jew. m. w. N..

59 Anders noch die von nationalsozialistischen Ideen getragenen Stellungnahmen von Dahm, DR 1941, S. 1882; Ders., in Günner, Das kommende deutsche Strafrecht, S. 445, 448/449, 450.

146

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

bei dem als Dativobjekt im Satz stehenden Demonstrativpronomen um ein Personalpronomen handelt. Gemeint ist mit dem Satz also nicht, daß ein Nachteil bei "dem" Vermögen, sondern daß ein Vermögensnachteil bei "demjenigen" = "jemandem" eingetreten sein muß. Diese Voraussetzung steht außer Streit und gehört zum gesicherten Bestand des § 266 StGB. Sie steht als solche unabhängig davon fest, ob dem Relativsatz noch weitere, für sämtliche Modalitäten der Untreue geltende Voraussetzungen entnommen werden können. (jJ Damit ist die erste Aufgabe umschrieben, die bei der Anwendung des § 266 StGB auf Fälle der "gesellschaftsrechtlichen Untreue" zu bewältigen ist: es ist zu klären, ob "Gesellschaften" überhaupt Inhaber von Vermögen sein können und wenn ja, welche und unter welchen Voraussetzungen. Dafür kann es freilich nicht genügen, (nur) die Gesellschaften mit Rechtssubjektsqualität zu ermitteln und - ähnlich wie in den früheren Sondertatbeständen - kasuistisch aufzuzählen. Da § 266 StGB gerade keine spezielle Charakteristik des Vermögensinhabers vorgibt, müssen die Bedingungen für die Fähigkeit und Eigenschaft eines Subjektes, Inhaber von Vermögen zu sein, grundsätzlich analysiert und für den gesamten Anwendungsbereich des § 266 StGB auch generell definiert werden. Erst dann ist eine Basis geschaffen, auf die sich eine etwa erforderliche Differenzierung von Gesellschaften nach ihrer Fähigkeit stützen ließe, Vermögensinhaber sein zu können. 2. Die täterschaftsbegründellde Beziehung

Der Schwerpunkt der theoretischen Diskussion über Struktur und Voraussetzungen des § 266 StGB liegt heute bei der Frage, wie die Beziehung des Untreuetäters zum geschädigten Vermögen beschaffen sein muß. Konkret dreht sich die Auseinandersetzung darum, ob § 266 StGB zwei Tatbestände (den "Mißbrauch" und den "Treubruch") enthält, die jeweils unterschiedliche Anforderungen an die Qualität der Beziehung zwischen Täter und Vermögen stellen, oder ob § 266 StGB als Strafgesetz zu verstehen ist, dessen einheitlicher Unrechtstypus in der Verletzung einer Vermögensbetreuungspflicht des Täters besteht. bl Unstreitig ist indessen, daß beide Alternativen des § 266 StGB eine spezifische Beziehung des Täters zum angegriffenen und geschädig-

60

Dazu unten in diesem Teil, 3. Kapitel, A.

b!

Dazu näher unten in diesem Teil, 3. Kapitel A.

1. Kapitel Grundlagen und Diskussionsansatz

147

ten Vermögen und/oder seinem Inhaber verlangen, die für die Untreue in allen ihren Varianten den Charakter eines "Sonderdeliktes" 62 begründet. Diese Beziehung ist in der ersten (der "Mißbrauchs"-) Alternative gesetzlich (mindestens und unstreitig) in der Weise umschrieben, daß dem Täter "durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft" die "Befugnis" "eingeräumt" sein muß, "über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten". - In der zweiten (der "Treubruchs"-) Alternative ist gefordert, daß dem Täter "kraft Gesetzes, behördlichen Auftrags, Rechtsgeschäfts oder eines Treueverhältnisses" die "Pflicht" obliegt, "fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen". Ferner wird - jedenfalls für die Treubruchsalternative im wesentlichen unstreitig 63 - zur näheren Bestimmung dieser Pflicht, als einer Vennögensbetreuungspflicht, der Relativsatz ergänzend herangezogen: "dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat". Es soll nun an Hand des Wortlauts und der grammatikalischen Bezüge die gesetzestechnische Konstruktion danach aufgeschlüsselt werden, aus welchen Elementen sich die Beschreibung der Beziehungen jeweils zusammensetzt. Ziel ist es herauszufmden, ob sich alle Tatbestandsvarianten auf eine gemeinsame Struktur zurückführen lassen, innerhalb derer das Opfer in seiner individuellen oder organisationsrechtlichen Existenz dieselbe Funktion besitzt. a) Täter als Subjekt der Beziehung

Alle Beschreibungen gehen von einem gemeinsamen subjektiven Pol der Beziehung aus. Dieser ist durch das Interrogativpronomen "wer", das sich grammatikalisch auf alle Varianten bezieht, als Person gekennzeichnet. Bei dieser Person kann es sich als Adressat eines Strafgesetzes nur um em schuldfähiges Individuum, also eine natürliche Person handeln. b) Grundlagen der Beziehung

Eine weitere Gemeinsamkeit aller Beschreibungen besteht darin, daß die Basis der Beziehung den Ausgangspunkt ihrer Konstruktion bildet. Alle 62 BGHSt 26, 53; 13, 330, 331; OLG München, JZ 1977, S. 408, 411; Dreherffröndle, § 266 Rdnr. 15; Eser, Strafrecht IV, Fall 17 A73; Hübner, LK, § 266 Rdnr. 80; Lackner, § 266 Anm. 2a; MaurachISchroeder,J5f/2 § 47, A 6; Olto, Grundkurs, § 54, I 1; SchönkelSchröderllenckner, § 266, Rdnr. 52 jew. m. w. N. 63 Anders soweit ersichtlich nur Schlüchler, JuS 1984, S. 675 ff; dazu näher unten in diesem Teil, 3. Kapitel, A 11 3. c).

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2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

Varianten setzen bestimmte, die Beziehung begründende Entstehungstatbestände voraus ("durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft" und "kraft Gesetzes, behördlichen Auftrags, Rechtsgeschäfts oder eines Treueverhältnisses"). Die Parallelität der Positionen "Gesetz", "behördlicher Auftrag" und "Rechtsgeschäft", als für alle Varianten hinreichende Grundlagen der Beziehung, läßt es zu, diese dem "Treueverhältnis" gegenüberzustellen. Wenn letzteres nur für die sogenannte "Treubruchsvariante" genügen soll, um die erforderliche Beziehung des Täters zu begründen, nicht aber für die "Mißbrauchsvariante" muß sich dieses "Verhältnis" von allen übrigen "Verhältnissen" unterscheiden. Das aber heißt, daß alle übrigen Grundlagen (mindestens) eine Gemeinsamkeit aufweisen müssen, die dem "Treueverhältnis" nicht eigen ist. Versucht man das Differenzierungskriterium vom "Treue"-Verhältnis her zu entwickeln, müßte das Spezifikum eines solchen Verhältnisses bekannt sein. Dieses kann nicht in der Eigenschaft gefunden werden, eine Treuepflicht zu begründen, denn diese Eigenschaft müssen alle genannten Grundlagen besitzen, soweit sie in die Treubruchsvariante eingestellt sind. Das Gesetz setzt in der zweiten Variante ja gerade voraus, daß der Täter etwa auch "kraft Gesetzes" verpflichtet sein kann, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen und zu betreuen. - Deshalb bietet es sich an, nach dem gemeinsamen Element der übrigen Grundlagen zu suchen, das dem Treueverhältnis fehlt. Das "Gesetz" ist eine generell-abstrakte Norm, während der "behördliche Auftrag" eine konkret-individuelle Einzelfallregelung beinhaltet und das "Rechtsgeschäft" inter partes rechtssetzend wirkt. "Gesetz", "behördlicher Auftrag" und "Rechtsgeschäft" haben insofern (nur) eine offensichtliche Gemeinsamkeit: es handelt sich um Nonnen. Im Gegenschluß folgt daraus, daß das Treuverhältnis, da es sich von diesen Grundlagen der täterschaftsbegründenden Beziehung unterscheiden soll, diese Eigenschaft nicht besitzt. Wenn es nicht "Norm" ist, kann es nur etwas "Faktisches" sein. Soweit daher die genannten Grundlagen der täterschaftsbegründenden Beziehung dieselbe charakterisieren, steht dem "Treu verhältnis " die Gruppe der "Rechtsbeziehungen" gegenüber. Es läßt sich daher festhalten, daß § 266 als Grundlagen einer täterschaftsbegründenden Beziehungfür die Mißbrauchsvariante nur ein "Rechtsverhältnis" ausreichen läßt, während in der Treubruchsvariante Rechts- und Treueverhältnisse gleichrangig nebeneinander stehen.

1. Kapitel Grundlagen und Diskussionsansatz

149

c) Der Gegenpol der Beziehung § 266 StGB ist nun in einem Punkte auffällig unklar und uneinheitlich formuliert: Zu wem oder was muß der Täter eigentlich in Beziehung stehen? In Betracht kommt eine Beziehung zwischen dem Täter und dem (zu betreuenden) Vermögen oder eine Beziehung zwischen dem Täter und dem (zu betreuenden) Vermögensinhaber.

Schlüsselt man die Voraussetzungen des § 266 StGB, die die täterschaftsbegründende Beziehung kennzeichnen, einmal unabhängig von der üblicheIWeise gezogenen Grenze zwischen Mißbrauch und Treubruch nur danach auf, "wozu" der Täter in Beziehung stehen muß, so ergibt sich folgendes Bild. aa) Beziehung Täter - Vermögen

Die (Mißbrauchs-) Voraussetzung: "durch Gese~ behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen", spricht dafür, daß eine (rechtlich begründete) Beziehung des Täters (nur) zum fremdem Vermögen bestehen muß. Deren Grundlage kann zwar auch in einer Beziehung zwischen Täter und Vermögensinhaber (Rechtsgeschäft) bestehen, muß es aber nicht, denn "durch Rechtsgeschäft" heißt nicht, daß es sich nur um Rechtsgeschäfte zwischen dem Vermögensinhaber und dem Täter handeln könnte. Ferner ist offensichtlich, daß auch Gesetze oder ein behördlicher Auftrag die Beziehung des Täters herstellen können. So verstanden, würde also diese Variante des § 266 StGB eine Beziehung zwischen dem Täter und dem Vermögen voraussetzen. Die Beziehung zwischen dem Täter und dem Vermögensinhaber wäre dann nur als rechtlicher Reflex der Tatsache zu verstehen, daß der Täter in einem Rechtsverhältnis zu - für ihn - "fremdem" Vermögen stehen muß. bb) Beziehung Täter - Opfer

Hingegen wird in der (ebenfalls für den Mißbrauch geltenden) Formulierung: "durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, einen anderen zu verpflichten", angedeutet, daß die (rechtlich begründete) Beziehung zwischen dem Täter und dem "anderen" bestehen muß, weil er gerade in Beziehung zu ihm "befugt" sein muß. Grundlage dieser Beziehung kann nun freilich nicht nur ein Rechtsgeschäft zwischen bei den, sondern

150

2. Teil GeselIschaftsbezogene Untreueprobleme

auch zwischen dem Täter und einem Dritten sein oder auch hier ein behördlicher Auftrag oder eine unmittelbar gesetzliche Regelung dieser Beziehung. Gemeint wäre dann, daß die normativen Wirkungen dieser Rechtsgrundlagen das Verhältnis zwischen Täter und Vermögensinhaber betreffen, indem sie zwischen beiden die Verteilung der Rechte und Pflichten im Umgang mit demselben Vermögen regeln. Für eine so verstandene Beziehung spricht auch die für die Treubruchsalternative generell vorausgesetzte "Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen". Schon durch den Begriff "Pflicht" wird die Möglichkeit ausgeschlossen, daß es sich um eine Beziehung zwischen Täter und Vermögen (-sobjekten) handeln könnte. Eine Person kann nur gegenüber anderen Personen oder Institution verpflichtet sein, nicht gegenüber Sachen. Die "Pflicht" (einer Person), etwas zu tun oder zu unterlassen, ist ohne das Korrelat "Recht" (eines anderen), die Erfüllung dieser Handlungs- oder Unterlassungpflicht zu verlangen, nicht denkbar. 64 Ferner ist in dem Begriff "fremde Vermögensinteressen" ein subjektiver Bezug angelegt: "Vermögen" ist gegenständlich, "Vermögensinteressen" sind subjektiv. 65 Es muß sich demnach um eine Beziehung handeln, die den Täter an die "Interessen" einer anderen Person, nämlich die des Opfers, bindet. Stellt man schließlich noch auf die Grundlagen der "Pflicht" ab, so spricht hier auch die zusätzliche Variante des "Treueverhältnisses" für eine Beziehung zwischen Täter und Opfer, die lediglich den Umgang mit dem Opfervermögen betrifft. Schon sprachlich kann mit "Treue"- Verhältnis" keine Beziehung zwischen Person und Gegenständen, also auch gegenständlich verstandenem Vermögen, gemeint sein. Der Begriff ließe sich auf solche Verhältnisse allenfalls bildhaft übertragen. Es ist aber auszuschließen, daß der ohnehin problematische Begriff des "Treueverhältnisses" im Gesetz auch noch in metaphorischer Bedeutung verwendet worden sein sollte. ce) Dreiecksbeziehung

Die Ungereimtheiten lösen sich auf, wenn man die Beziehung zwischen Täter und Vermögen einerseits und Täter und Opfer andererseits um die

64 Hadding, JZ 1986, S. 927 f; Larenz, BGB AT § 12 I (S. 184 t); Nelson, System der philosophischen Rechtslehre (1920), S. 17,67 f; H. H. Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, S. 166 ff.

65

So zu zutreffend Hübner, LK § 266 Rdnr. 21.

1. Kapitel Grundlagen und Diskussionsansatz

151

Beziehung ergänzt, in der das Opfer zu dem (benachteiligten) Vermögen stehen muß: es muß "sein" Vermögen sein. 66 Man kann dann entweder sagen: Aus der Qualität der Beziehung, die das Opfer zu dem (angegriffenen) Vermögen hat und der Qualität der Beziehung, die der Täter zu demselben Vermögen hat, ergibt sich als Resultat die Verteilung der Rechte und Pflichten zwischen beiden in Bezug auf das Vermögen - als Beziehung zwischen Täter und Opfer. Mit derselben Berechtigung läßt sich dann aber auch folgende Gleichung aufstellen: Aus der Qualität der Beziehung, die das Opfer zu dem (angegriffenen) Vermögen hat und einer Beziehung zwischen Täter und Opfer, die die Begründung von Rechten oder Pflichten des Täters in Bezug auf dasselbe Vermögen zum Gegenstand hat, ergibt sich die Art der Beziehung des Täters zu dem Vermögen. Es handelt sich in beiden Fällen nur um unterschiedliche Ausdrucksweisen zur Definition desselben Beziehungsgefüges. § 266 StGB verwendet - wie gezeigt - beide Formen, das geforderte Beziehungsgefüge zu definieren.

Einmal wird die Beziehung zwischen Täter und Vermögen und die zwischen Opfer und Vermögen definiert ("durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen"). Daraus ergibt sich als Beziehung zwischen Täter und Opfer: sie müssen in einer Rechtsbeziehung (Gesetz behördlicher Auftrag, Rechtsgeschäft) zueinander stehen, die dem einen die volle Inhaberschaft an diesem Vermögen zuweist (für den Täter "fremd") und dem anderen das Recht einräumt, mit Wirkung für den Inhaber darüber zu verfügen. Zum anderen definiert das Gesetz die Beziehung zwischen Täter und Opfer und Opfer und Vermögen ("durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, einen anderen zu verpflichten"). Daraus ergibt sich als Beziehung zwischen Täter und Vermögen: er muß rechtlich wirksam, das heißt mit Wirkung für den Inhaber des Vermögens, das für ihn fremde Vermögen mit einer Verbindlichkeit belasten können. Schließlich definiert das Gesetz die Beziehung zwischen Täter und Opfer: dem Täter muß "kraft Gesetzes, behördlichen Auftrags, Rechtsgeschäfts oder eines Treueverhältnisses" die Pflicht obliegen, "fremde Vermögensinteressen" , also die des Opfers, "wahrzunehmen". Diese ergänzt es um die Beziehung des Opfers zu dem Vermögen: es muß "Vermögensinteressen" haben und benach-

66

Siehe oben in diesem Kapitel B I 1.

152

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

teiligungsfähiges "Vermögen". Daraus ergibt sich für die Beziehung zwischen Täter und Vermögen: Es muß sich bei dem angegriffenen Vermögen um ein Vermögen handeln, an dem das Opfer ein "Interesse" hat, um ein Vermögen auf das der Täter - wie auch immer - einwirken kann, im Verhältnis zum Opfer aber nur in bestimmter Weise - oder in bestimmter Weise nicht - einwirken darf. Diese Analyse der Gesetzestechnik unter dem Aspekt der Beziehungen läßt es zu, bereits allgemeine Aussagen über die täterschaftsbegründende Beziehung zu treffen, die für alle Varianten des § 266 StGB gelten: Zwischen Täter und Opfer muß eine Beziehung bestehen, aus der sich "Befugnisse" und "Pflichten" für den Täter herleiten. Das aber heißt nichts anderes, als daß diese Beziehung zwischen bei den regelnd wirken muß. Rechtsquelle dieser Regelungen ist zum einen die "Rechtsbeziehung" zwischen beiden ("Gesetz, behördlicher Auftrag, Rechtsgeschäft"). Das Gesetz setzt aber zum anderen in dem Begriff "Treueverhältnis" als Gegenbegriff zum "Rechtsverhältnis" voraus, daß es Beziehungen zwischen Personen geben kann, die zwar als solche nicht rechtlich begründet wurden, deren Existenz jedoch regelnde Wirkung entfaltet, setzt also voraus, daß faktische Verhältnisse zur Rechtsquelle inter partes werden können.

Die Beziehung des Täters zum Vennögen reflektiert danach nur die gegenständliche Beschränkung der Regelungen, die zwischen Täter und Vermögensinhaber bestehen müssen: es muß sich um Regelungen handeln, die die Verteilung der Rechte und Pflichten an demselben Vermögen zum Gegenstand haben. Dies ist freilich nur in der MißbrauchsaIternative und auch dort nur für eine der möglichen Beziehungen (Verfügungsbefugnis) ausdrücklich und unmittelbar verlangt. Im übrigen ergibt sich dieses Erfordernis jedoch mittelbar daraus, daß es sich um eine Beziehung handeln muß, die es dem Täter ermöglicht, das "fremde" Vermögen (als Gegenstand der Verfügungsbefugnis), das Vermögen "eines anderen" (als Gegenstand der Verpflichtungsbefugnis oder das Vermögen desjenigen zu benachteiligen, "dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat" (als Gegenstand der Vermögensbetreuungspflicht im Sinne der Treubruchsalternativen). Akzeptiert man nämlich, daß der Satz "und dadurch dem ... Nachteil zufügt" im oben dargelegten Sinne erfolgsbeschreibendes Merkmal aller Begehungsformen des § 266 StGB ist, dann ergibt sich - auch das ist in Rechtsprechung und Literatur jedenfalls im Grundsatz unstreitig - aus diesem Teilsatz zwingend, daß der Schaden bei dem Vennögen eingetreten sein muß, auf das sich die Beziehung des Täters ihrem Gegenstande nach richtet. Dieser - unstreitige - Gehalt des vollständigen Teilsatzes, der die Erfolgsbeschreibung beinhaltet ("und dadurch dem, dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat, Nachteil zufügt"), wird häufig auch in der Weise

1. Kapitel Grundlagen und Diskussionsansatz

153

umschrieben, daß er "die Identität des betreuten und des geschädigten Vermögensinhabers" 67 verlange sowie die "Gleichheit des verletzten und des betreuten Vermögensinteresses" 68 Die Beziehung zwischen Täter und Vermögen stellt sich danach nur als Funktion der zwischen ihm und dem Opfer geltenden Regelungen dar. Damit ist zwar die Gesetzestechnik abstrakt aufgehellt; jedoch können und sollen über Art und Inhalt der Beziehungen bei dieser Vorgehensweise noch keine konkreteren Aussagen getroffen werden. Speziell die Beziehungen zwischen Täter und Opfer und die zwischen Täter und Vermögen stehen im Brennpunkt der Auseinandersetzung in Wissenschaft und Praxis, auch wenn sie nicht immer deutlich als zwei getrennte Ausschnitte desselben Beziehungsgefüges behandelt, sondern gemeinhin als Problem der "Tätertauglichkeit" diskutiert werden. (ß 3. "Mißbrauchen" und "Verletzen" der Pflicht

Die Tathandlung der Mißbrauchsalternative wird mit Hilfe der allgemein akzeptierten Formel definiert, es müsse sich um ein "Überschreiten des rechtlichen Dürfens im Rahmen des rechtlichen Könnens" handeln. Gilt diese Defmition auch als noch relativ bestimmt, so bleibt doch die Frage, wie und nach welchen Kriterien die Grenzen des "rechtlichen Dürfens" zu bestimmen sind. Diese dem "Innenverhältnis" zwischen Täter und Vermögensinhaber zugewiesene Frage, betrifft eine Facette der jeweils konkreten Beziehung TäterIOpfer und kann deshalb abstrakt nicht weiter aufgeschlüsselt werden. Wohl aber läßt sich das logische Verhältnis der zwischen Täter und Opfer bestehenden Beziehung einerseits und der Deftnition der Tathandlung andererseits erhellen. Die Tathandlung ist als Blankett formuliert: "Miß"-brauch oder "Fehl"-gebrauch ist der im Verhältnis zum Opfer "falsche" Gebrauch einer Rechtsmacht. Da in der Mißbrauchsalternative die Beziehung zwischen Täter und Opfer eine Rechtsbeziehung ist, kann "falscher" Gebrauch nur bedeuten: im Verhältnis zum Opfer unerlaubter Gebrauch. Die Definition eines Ver-

67 Hübner, LK § 266 Rdnr. 89; Schönke/SchröderiLenckner, § 266 Rdnr. 47; Samson, SK, § 266 Rdnr. 1 jew. m. w. N.. 68

Hübner, LK, § 266 Rdnr. 89, 94;



Etwa unter Verwendung der Begriffe "tauglicher" oder "untauglicher" Täter (Hübner, LK,

§ 266 Rdnr. 35; Schönke/SchröderlLenckner, § 266 Rdnr. 13; 25).

154

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

haltens als "unerlaubt" fällt in die logische Kategorie der aktiven Negation 70; das bedeutet, daß das "Unerlaubte" ohne das "Erlaubte" nicht gedacht werden kann. Die Festlegungvon "Erlaubtem" und "Unerlaubtem" ist aber gerade Gegenstand der Rechtsbeziehung zwischen Täter und Opfer. Die DefInition der Tathandlung ist daher eine Funktion dieser Beziehung. Die Beschreibung des Handlungsunrechts in der Treubruchsalternative als "Verletzung" der spezifIschen Vermögensbetreuungspflicht wird allgemein als die weiche Stelle des § 266 StGB angesehen. Nun hängt aber auch hier die Frage, welche Verhaltensweisen als Verletzung einer Pflicht einzuordnen sind, in erster Linie davon ab, welche Verhaltensweisen pflichtgemäß wären. Die Gesetzestechnik ist insofern dieselbe wie in der Mißbrauchsvariante: Pflichtverletzung ist die aktive Negation der Pflichtbefolgung. Was Gegenstand der Pflicht ist, bestimmt sich nach der zwischen Täter und Opfer begründeten Beziehung und den zwischen ihnen gültigen (rechtlichen oder faktischen) Verhaltensimperativen, die die Grundlage der Pflicht bilden (Gesetz, behördlicher Auftrag, Rechtsgeschäft oder Treueverhältnis). 71 Das aber heißt, daß auch die DefInition möglicher Verletzungshandlungen abstrakt bleiben muß, weil diese ebenso vielgestaltig sind wie Art und Zahl der denkbaren pflichtbegründenden Beziehungen zwischen Täter und Opfer. Die DefInition der Tathandlung ist daher auch in der Treubruchsalternative eine Funktion der Beziehung zwischen Täter und Opfer. 11. Konsequenzen für den Zuschnitt der gesellschaftsbezogenen Fragen Es wurde bereits festgestellt, daß die erste und grundsätzliche Frage für die Anwendung des § 266 StGB auf "Untreue zum Nachteil von Gesellschaften" darauf gerichtet ist, ob und welche Gesellschaften überhaupt (benachteiligungsfähige ) Vermögensinhaber sein können. 72 Die Voraussetzungen, die § 266 StGB für die täterschaftsbegründende Beziehung einer Person zu dem "Vermögen" eines anderen aufstellt, setzen ihrerseits weitere Eigenschaften des benachteiligungsfähigen Vermögensinhabers voraus: Es muß sich um ein Subjekt im weitesten Sinne handeln, das neben Vermögen auch Vermögensinteressen haben kann. Es muß ferner in

70 Zum Unterschied zwischen aktiver und passiver Negation Elster, in Watzlawick, Erfundene Wirklichkeit, S. 163 ff.

71

Ähnlich Sax, JZ 1977, S. 663 CC.

72

Siehe oben in diesem Kapitel B I 1.

1. Kapitel Grundlagen und Diskussionsansatz

155

der Lage sein, zu einer natürlichen Person - dem Täter - Rechtsbeziehungen zu unterhalten oder in faktische Beziehungen zu treten, die zwischen beiden regelnd wirken. Die beiden zentralen Problemfelder der gesellschaftsrechtlichen Untreue lassen sich - vereinfacht - in die Fragen kleiden: "Wer kann Opfer einer Untreue sein?" und: "Aufgrund welcher Beziehungen kann eine Person im Verhältnis zum jeweiligen Opfer(typ) Täter einer Untreue sein?". Die Fragen sind in dieser Form freilich recht grob zugeschnitten und im Zuge der weiteren Untersuchung zu präzisieren. Sie sollen dennoch zunächst so gestellt bleiben, weil die Probleme der gesellschaftsrechtlichen Untreue in Rechtsprechung und Literatur im wesentlichen unter diesen beiden Aspekten behandelt werden. Es bietet sich daher an, auch die den beiden folgenden Kapiteln vorbehaltene Übersicht über den Meinungsstand daran zu orientieren.

2. Kapitel

Aussagen zur Frage "Wer kann Opfer sein?" Die Aussagen zur Opferqualität sollen in zwei Schritten behandelt werden: Zunächst werden die Aussagen dargestellt, geordnet nach den Kategorien "Tauglichkeit" oder "Untauglichkeit" von Gesellschaften, Vermögensinhaber sein zu können. In einem zweiten Schritt sollen sie kritisch ausgewertet werden. A. Darstellung des Meinungsbildes I. Zur Strukturierung der Übersicht 1. Prämissen und Diskussionsansätze

Zur Qualität desjenigen, der als taugliche Bezugsgröße für die Zuordnung von Vermögen und Vermögensinteressen in Betracht kommt, läßt sich dem Wortlaut des Gesetzes nur entnehmen, daß es sich - allgemein und abstrakt formuliert - um ein Subjekt handeln muß. Weitere Hinweise auf die Qualität dieses Subjekts enthält das Gesetz nicht. Stünde fest, daß ein "Personal"pronomen nur für eine "Person" stehen kann, das heißt nach dem natürlichen Sprachgebrauch für "Mensch" oder "individuelle Einzelpersönlichkeit", stünde auch fest, daß eine Untreue zum Nachteil von Gesellschaften, Verbänden oder sonstigen Institutionen als solchen nicht möglich wäre. Untreue könnte in diesen Fällen nur durch Schädigung von (Teil-) Vermögen begangen werden, das sich einem menschlichen Individuum positiv zuordnen ließe. Diese Konsequenz wird in Rechtsprechung und Literatur nicht gezogen. 1 Es wird vorausgesetzt, daß neben natürlichen Personen auch Körperschaften und oder Gesellschaften Inhaber von Vermögen sein können.

1

Dazu im einzelnen der folgende Abschnitt.

2. Kapitel Aussagen zum Opfer

157

Diese Annahme ist zwar nicht selbstverständlich, liegt aber in der Tradition des Untreustrafrechts. Insofern stützt sie sich (nur) auf die geschichtliche Entwicklung als gesicherte Basis. Es hat schließlich eine Reihe von Untreuetatbeständengegeben, die ausdrücklich dem Schutze des Vermögensjuristischer Personen dienten. 2 Von jeher wurde § 266 StGB a. F. auf Untreue zum Nachteil jedenfalls körperschaftlich organisierter Gesellschaften und Vereinigungen angewendet. 3 Streitig war - und ist es noch heute -, ob Untreue auch unmittelbar zum Nachteil personengesel/schaftlich verfaßter Organisationen möglich ist. 4 Gestritten wird also nur (noch) darüber, welche Anfordenmgen an eine Organisation gestellt werden müssen, um sie als "Subjekt" der Zuordnung von Vermögen bezeichnen zu können. Zu Recht legt sich die Rechtsprechung bei der Entscheidung konkreter Fälle möglicher gesellschaftsrechtlicher Untreue deshalb die Frage vor: "Wer von den Beteiligten ist Inhaber des Vermögens?". Der Schwerpunkt dieser Frage liegt auf dem "wer". Rechtsprechung und Literatur diskutieren das Problem der Vermögenszuordnung in erster Linie unter dem Aspekt der für Vermögensinhaberschaft erforderlichen Subjektqualiät. Innerhalb des Tatbestandes des § 266 StGB wird die Frage an der Voraussetzung "fremd" oder dem Wort "dem" festgemacht, dessen Vermögensinteressen der Täter zu betreuen hat. Die Diskussion leidet freilich darunter, daß sie auf verschiedenen Ebenen geführt wird. Teils wird die Frage im Zusammenhang mit der Beziehung des Täters zum betreuten Vermögen ("fremd") angesprochen, teils nur auf die Variante des "Treueverhältnisses" (Vermögensbetreuungspflicht des Täters gegenüber der Person des Vermögensinhabers) im Rahmen des Treubruchstatbestandes bezogen. Es ist deshalb zunächst ein Raster zu entwickeln, nach dem die unsystematischen, weil einzelfallbezogenen, Äußerungen in Rechtsprechung und Literatur sortiert werden können. 2. Opfertypologie

Dafür bieten sich, wenn es um die strafrechtliche Beurteilung gesel/schaftsrechtlicher Fallkonstellationen geht, zwei Ansätze: Man kann die Fälle nach gesellschaftsrechtlichen Kategorien ordnen und ihre Beurteilung aus strafrecht2

Siehe oben Teil 1, 2. Kapitel, A I.

3

Siehe oben 1. Teil, 1. Kapitel, Bund 3. Kapitel.

4

Siehe oben 1. Teil, 3. Kapitel, A H.

158

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

licher Perspektive darstellen, oder man kann die strafrechtlichen Beurteilungskriterien induktiv ermitteln, um sie dann als Ordnungsraster für die Darstellung zu benutzen. Die Wahl des Vorgehens ist davon abhängig, wie sich die beiden Klassiflzierungssysteme methodisch zueinander verhalten. Es geht in dieser Untersuchung darum, die strafrechtlichen Beurteilungskriterien dafür zu ermitteln, wer Inhaber von Vermögen sein kann. Diese verhalten sich zu einem konkreten Fall wie eine "Maßeinheit" zum "gemessenen Gegenstand". Der zu beurteilende - "zu messende" - Gegenstand besteht grundsätzlich in allen denkbaren Lebenssachverhalten. Diese Arbeit befaßt sich aber nur mit einem Ausschnitt daraus, nämlich den Fällen, an denen Gesellschaften beteiligt sind. Für die konkrete Untersuchung sind daher die gesel/schaftsrechtlichen Fal/gestaltungen der Gegenstand der strafrechtlichen "Messung". - Es ist also, wenn man Aussagen über das "Opfer" nach Fällen typisieren will, methodisch nicht nur zulässig, sondern zweckmäßig, diese Typisierungen nach denjenigen Regeln vorzunehmen, die den zu beurteilenden Fall geprägt haben, bevor er zu einem Strafrechtsfall wurde. Das aber heißt hier, daß die Fallgruppen nach gesel/schaftsrechtlichen Rubrizierungen zu bilden sind. Die Wahl dieses Vorgehens impliziert nicht, daß gesellschaftsrechtliche Begriffsbildungen dem Strafrecht vorgegeben wären. Erst recht soll damit nicht postuliert sein, daß das Strafrecht diese zu übernehmen hätte. Für die Frage nach der Akzessorietät des Strafrechts ist also hier nichts weiter vorausgesetzt als der Befund, daß das Strafrecht Lebenssachverhalte vorfindet, die durch außerstrafrechtliche Regelungen vorgeformt sind 5 und daß diese sich nach ihren Vorformungen kategorisieren lassen.

a) Klassifizierungen nach dem Recht der Personen vereinigungen Da das Thema Untreue zum Nachteil von "Gesellschaften" nicht strikt auf Gesellschaften im engeren Sinne beschränkt ist, 6 fallen auch solche Institutionen darunter, die in ihrer Struktur und in ihren Rechtsverhältnissen nicht dem zivilen sondern dem öffentlichen Recht unterfallen.

5 So jüngst auch Otto (Jura 1989, S. 329), der zu Recht auf den Unterschied zwischen der Frage nach den AnknüpjUngstatsachen für die strafrechtliche Beurteilung und der Frage nach den Methoden der Begriifsbildung hinweist. 6

Siehe oben Einleitung.

2. Kapitel Aussagen zum Opfer

159

aa) Gesellschaftsrecht im engeren Sinne Personenvereinigungen werden im Gesellschaftsrecht nach zwei grundlegenden Kriterien eingeteilt, nach der Struktur ihrer Organisation und nach dem Zurechnungssubjekt für das Vermögen der Personenvereinigung. 7 Es liegt auf der Hand, daß das zweite Kriterium für die Einteilung der Fallgruppen deshalb von besonderem Interesse ist, weil die strafrechtliche Fragestellung auf denselben Aspekt zielt - freilich aus strafrechtlicher Sicht. Unter Berücksichtigung der Fähigkeit, Vermögen haben zu können, unterscheidet das Gesellschaftsrecht zwischen der Gesamthandsgemeinschajt und der juristischen Person.

(1) ''Juristische Personen" Die juristische Person des Privatrechts ist eine Gesellschaft im weiteren Sinne, der das Gesetz Rechtsfähigkeit verliehen hat. Das bedeutet, daß "die juristische Person" ein "Rechtssubjekt" und grundsätzlich ohne Rücksicht auf die hinter ihr stehenden natürlichen Personen selbständiger Zuordnungs punkt für Rechte und Pflichten ist. 8 - Diese Rechtsfähigkeit verleiht das Gesetz regelmäßig (nur) solchen Gesellschaften im weiteren Sinne, die ihrer Struktur nach zu den Körperschaften gehören. Körperschaften sind Personenvereinigungen, die auf eine große Zahl von Mitgliedern und darauf ausgelegt sind, daß ihr Bestand das Einzelmitglied überdauert. 9 Sie bedürfen eines Namens, einer Satzung und für sie handelnder Organe. Die Begriffe "juristische Persone" und "Körperschaft" sind indessen nicht synonym, denn es gibt sowohl körperschaftlich organisierte Vereinigungen, die nicht juristische Personen sind (z.B. der nicht rechtsfähige Verein 10), als auch juristische Personen, die nicht Körperschaften sind (z. B. die rechtsfähige Stiftung 11). Für die gesellschaftliche Rubrizierung der Fallgestaltungen folgt daraus, daß "juristische Personen", nämlich solche Gesellschaften, denen das Gesellschaftsrecht die Fähigkeit zuspricht, Vermögen haben zu können, eine Klasse von

7

Dazu Kühler, Gesellschaftsrecht, S. 20 u. 27.

8 Kühler, Gesellschaftsrecht, S. 30 f m. w. N. 9

Kühler, Gesellschaftsrecht, S. 23.

10

§ 54 Abs. 1 i. V. m. §§ 705 ff BGB.

11

§ 82 BGB.

13 Nelle,

160

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

Fällen bilden, deren strafrechtliche Beurteilung darzustellen sein wird. Im einzelnen fallen darunter folgende Rechtsformen: -

der eingetragene Verein (e.V.); 12 die Stiftung; 13 die Aktiengesellschaft (AG); 14 die Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA); IS die Genossenschaft (e.G.); 16 die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH); 17 der Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (VVaG); 18 (2) "Gesamthandsgemeinschajten"

Die zweite Klasse wäre demgegenüber die "Gesamthandsgemeinschaft" . Die juristisch-konstruktiven Elemente der Gesamthand gehört zu den umstrittenen Fragen des Gesellschaftsrechts. 19 Sie steht konstruktiv zwischen der juristischen Person und dem gesetzlichen Schuldverhältnis einer "Bruchteilsgemeinschaft", 20 als deren wichtigster Fall das Miteigentum 21 gilt. 22 Die Gesamthandsgemeinschaft ist von daher aus zwei Richtungen eingegrenzt. Abweichend von den Verhältnissen einer juristischen Person steht bei der Gesamthandsgemeinschaft das Gesellschaftsvermögen nicht der Gesellschaft, sondern den Gesellschaftern "zur gesamten Hand" zu. Auf der anderen Seite ist sie keine Bruchteilsgemeinschaft. Diese bezeichnet die gemeinsame Berechtigung mehrerer Personen an einem Vermögen, bei der jeder Teilhaber

12

§§ 21 _ 23 BGB.

13

§§ 80, 86 BGB

14

§ 1 AktG.

15

§ 278 AktG.

16

§ 17 GenG.

17

§ 13 GrnbHG.

18

§ 7 VAG.

19

Vgl. dazu Flume, Personengesellschaft, S. 78 ff.

20

§§ 741 _ 758 BGB.

21

§§ 1008 ff BGB

22

Flume, Personengesellschaft, S. 110 ff; Kübler, Gesellschaftsrecht, S. 28 f.

2. Kapitel Aussagen zum Opfer

161

ein durch eine rechnerische Quote (den "Bruchteil") bestimmter Anteil zusteht, über den er frei verfügen kann. Z3 Bei der Gesamthandsgemeinschaft sind zwar ebenfalls alle Gesellschafter Berechtigte des Vermögens; der einzelne Gesellschafter kann aber über seinen Anteil am ganzen Gesellschaftsvermögen nicht frei verfügen. Zwingend ist die Regel insofern, als der Anteil am Gesellschaftsvermögen nicht ohne die GesellschaftersteIlung übertragen werden kann. Ebensowenig kann der einzelne Gesellschafter über seinen "Anteil" an den einzelnen zum Gesellschaftsvermögen gehörenden Gegenständen 24 verfügen. Schließlich zeichnet sich die Gesamthandsgemeinschaft durch die nicht dispositive Regel aus, daß kein Gesellschafter die Teilung des Gesamthandsvermögens verlangen kann, sondern nur die Möglichkeit der Kündigung hat, die zur Auszahlung seines Liquidationsanteils führt. 2S Ihrer Struktur nach sind Gesamthandsgemeinschaften in der Regel Personengesellschaften, zu denen als Untergruppe die Personenhandelsgesellschaften gehören. Sie sind nach dem Prinzip der "Selbst organschaft" organisiert, d. h. sie bedürfen im Grundsatz keines Namens, 26 keiner Verfassung und keiner Organe. Tl Die Begriffe Personengesellschaft und Gesamthandsgemeinschaft sind indessen nicht identisch, da auch Körperschaften Gesamthandsgemeinschaften sein können (der nicht eingetragene Verein) und Personengesellschaften sich auch zum Zweck der gemeinschaftlichen Verwaltung von Bruchteilsvermögen zusammenschließen können. 28 Gesamthandsgemeinschaften sind (regelmäßig 29): - die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR); 30 - der nicht rechtsfähige Verein; 31

Kiibler, Gesellschaftsrecht, S. 28.

Z3 24

Insofern ist bereits streitig, ob es einen solchen "Anteil" überhaupt gibt; vgI. dazu Reinhardtl

Schultz, Gesellschaftsrecht, Rz. 38 ff. 2S

VgI. die Übersicht bei Kiibler, Gesellschaftsrecht, S. 29 - 30.

26

Eingeschränkt für die oHG und die KG, die einer "Firma" bedürfen §§ 17, 19, 105, 161

Tl

Kübler, Gesellschaftsrecht, S. 22.

28

Vgl. Kiibler, Gesellschaftsrecht, S. 29.

HGB.

29 Da die Regeln des Gesellschaftsrechts weitgehend dispositiv sind, können etwa Gesellschafter einer GbR in Ansehung des Vermögens auch eine Bruchteilsgemeinschaft vereinbaren; vgI. dazu Kiibler, Gesellschaftsrecht, S. 54. 30

§ 719 BGB.

31

§§ 54 S. 1 i.V.m. 719 BGB

162

2. Teil Oesellschaftsbezogene Untreueprobleme

- die offene Handelsgesellschaft (oHG); - die Kommanditgesellschaft (KG). 33

32

bb) Öffentlich-rechtliche Organisationsjonnen Auch das öffentliche Recht kennt juristische Personen (Körperschaften; selbständige Anstalten; Stiftungen sowie Zusammenschlüsse in den Rechtsformen des Privatrechts), die sich im Bezug auf die Fähigkeit, Zurechnungssubjekte von "Vermögen" sein zu können, von denen des Privatrechts nicht unterscheiden. Wohl aber gehorchen sie, was ihre Organisationsstruktur angeht, eigenständigen Regeln. Sie in all ihren Gestaltungsformen in die Untersuchung einzubeziehen, hieße eine Vollständigkeit anzustreben, die nicht erreicht werden kann. Es müßte dann jeweils das Organisationsrecht des Bundes und das davon verschiedene der Länder sowie der Gemeinden einschließlich des innerhalb dieser Gebietskörperschaften wieder unterschiedlich geregelten Rechts der Anstalten, das Recht der Personalkörperschaften etc. mit berücksichtigt werden. Dennoch kann der Bereich der Untreue zum Nachteil "der öffentlichen Hand" nicht völlig ausgeklammert werden, weil sich aus der Behandlung einzelner Fälle aus diesem Bereich möglicherweise Erkenntnisse über die grundsätzliche Haltung in Rechtsprechung und Literatur zur Beurteilung juristischer Personen als Vermögensinhaber ergeben. Der Falltyp "öffentliche Hand" wird deshalb sozusagen als Auffangtyp für Hintergrundmaterial mitzuführen sein.

b) Ergebnis für die "Opjertypologie" Die erste Unterscheidungslinie, die nach dem Recht der Personenvereinigungen vorgegeben ist, ist die zwischen juristischen Personen und Personenmehrheiten ohne eigene Rechtspersönlichkeit. Es wird also zunächst darzustellen sein, wie Rechtsprechung und Literatur deren Qualität als Vermögensinhaber im Sinne des § 266 StGB beurteilen. - Eine zweite Grenzziehung ist zwischen der "öffentlichen Hand" in all ihren Gliederungen und Erscheinungsformen einerseits und privatrechtlich organisierten Vermögensträgern vorzunehmen.

32

§ 105 Abs. 2 HOB.

33

§ 161 Abs. 2 HOB.

2. Kapitel Aussagen zum Opfer

163

11. Differenzierung zwischen juristischen Personen und Zusammenschlüssen ohne eigene Rechtspersönlichkeit 1. Verallgemeinemde Stellungnahmen a) Obergerichtliche Rechtsprechung

In der obergerichtlichen Rechtsprechung läßt sich als weitgehend durchgehaltenes Kriterium für die Beurteilung "desjenigen", der Inhaber von Vermögen sein kann, die Eigenschaft einer "eigenen Rechtspersönlichkeit" 34 feststellen. Im Grundsatz wird deshalb in der Rechtsprechung wie folgt differenziert: "Kapitalgesellschaften sind als eigene Rechtspersönlichkeiten nicht mit der Gesamtheit ihrer Gesellschafter identisch. Deshalb kann sogar der Alleingesellschafter einer Kapitalgesellschaft dieser gegenüber Untreue begehen." 35 Hingegen sollen bei Zusammenschlüssen ohne eigene Rechtspersönlichkeit die einzelnen Gesellschafter 36 oder Mitglieder 37 Träger des Vermögens sein. b) Literatur

Auch die Literatur teilt diesen Ansatz ganz überwiegend. Ausgangspunkt ist dabei in der Regel die Fragestellung, ob und in welchen Fällen das Vermögen einer Gesellschaft für einen (der) pflichtwidrig handelnden Gesellschafter ''fremd'' ist. Da insoweit als gesichert vorausgesetzt wird, daß die Vermögenszugehörigkeit sich nach materiellem Recht, nicht nach wirtschaftlichen Ge-

34 BGH Urt. v. 24. 2. 1976 - 1 StR 602/75: "Der Bundesgerichtshof ... hebt darauf ab, daß die GmbH sich als eigene Rechtspersönlichkeit darstellt".

35 So die - soweit ersichtlich - erste Entscheidung des BGH, die nach Aufhebung des § 81a GmbHG (in einem obiter dictum) zur Anwendung des § 266 StGB auf ungetreues Verhalten eines GmbH-Geschäftsführers Stellung nahm: Urt. v. 2. 2. 1968 - 2 StR 630/67. 36 So (allerdings noch in Bezug auf § 81a GmbHG) BGHSt 3, 23, 25 für die noch nicht eingetragene GmbH in Gründung; für die Gesellschafter einer KG: BGHSt 34, 221, 222f; BGH b. Holtz, MDR 1987, 623; BGH wistra 1984, 71 f; BGHSt 19, 174, 175/176: "Die Kommanditgesellschaft ist, wie die offene Handelsgesellschaft, nach einhelliger Meinung keine juristiSChe Person. Träger ihrer Rechte und Pflichten sind die persönlich haftenden Gesellschafter (vgl. u. a. BGHZ 34, 293, 296)". 37 BGHSt 8, 254, 255 in Bezug auf die FDJ: "Auszugehen ist ... ferner davon, daß (das Geld), zumindest soweit sein Besitz in Betracht kommt, zum Vermögen der FDJ gehörte, oder falls diese kein Vermögensträger sein kann, Gesamtvermögen der FDJ-Mitglieder war"; (ähnlich noch einmal BGH a.a.O., S. 259);

164

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

sichtspunkten beurteile, 38 gilt es als zwingend, daß juristische Personen, also Gebilde mit "eigener Rechtspersönlichkeit", Vermögensinhaber sein können. 39 c) Gegenpositionen Die grundsätzliche Gegenposition nimmt, soweit ersichtlich, nur Labsch 40 ein, der die These vertritt, die Fremdheit der Vermögensinteressen sei rein wirtschaftlich zu bestimmen, so daß das Vermögen einer juristischen Person mit dem Vermögen der Summe ihrer Teilhaber identisch sei. 41 Ein anderes Abgrenzungskriterium für die Eigenschaft, Vermögensinhaber zu sein, wählt auch das Landgericht Bonn 42 und ihm folgend Schäfer. 43 Konkret geht es ihnen um die Frage, ob eine Kommanditgesellschaft Inhaber von Vermögen sein kann. Ihrer Auffassung nach ist nicht der (hier fehlende) Status als juristische Person entscheidend, sondern der Umstand, daß (und ob) eine gesonderte Haftungsmasse besteht, die der Personenhandelsgesellschaft als "eigenes Vermögen" zugeordnet werden kann.

38 BGHSt 1, 187; OLG Celle, NJW 1959, 496; Hübner, LK § 266 Rdnr. 22; Blei, 11, S. 258; Müller-Gugenberger (Schmid), Wirtschaftsstrafrecht, § 26 Rdnr. 18; SchönkelSchröderiLenckner, 23. Aufl., § 266 Rdnr. 6. 39 Kohlmann in Hachenburg, Großkomm. GmbHG, 7. Aufl., Vorbem. § 82 Rdnr. 40; MüllerGugenberger (Schmid), Wirtschaftsstrafrecht, § 26 "Treuepflicht-Verletzungen", Rdnr. 3 ("Bei der Untreue zum Nachteil juristischer Personen ist geschütztes Rechtsgut das Vermögen der selbständigen juristischen Person.") und Rdnr. 56 ("Träger des gesch ützten Vermögensinteresses ist die juristische Person und nicht ihre Gesellschafter."); Olto, JZ 1985, 74; Reiß, wistra 1989, S. 81, 83; im Grundsatz auch Samson, SK § 266 Rdnr.40; ausführlich Schulte, NJW 1984, 1671; Ders., NJW 1983, 1773; Tiedemann, Kommentar zum GmbH-Strafrecht, Erläuterungen der§§ 8285 GmbHG, Sonderausgabe aus Scholz, GmbHG, 6. Aufl., 1981, Vorb. § 82 Rdnr. 15. 40 Labsch, wistra 1985, Hf, 7; Ders., JuS 1985, 602, 604. - Für eine "strafrechtliche DurchgriffsIehre" im schweizerischen Untreuestrafrecht auch Bucher, Festschr. f. Schultz, S. 165 ff.

41 Differenzierend SchönkelSchröderlLenckner, § 266 Rdnr. 21; Samson, SK, § 266 Rdnr. 41; Wehleie, Bankrott und Untreue, S. 15 - 23, die den Teilhabern als "wirtschaftlichen Vermögensinhabern" jedenfalls die Befugnis zubilligen, rechtlich wirksam in eine Schädigung einwilligen zu können. 42

LG Bonn, NJW 1981, 469.

43

Schäfer, NJW 1983, 2850.

2. Kapitel Aussagen zum Opfer

165

2. Konsequenzen für den Anwendungsbereich des § 266 StGB

Wichtigste Konsequenz des Ansatzes der Rechtsprechung und herrschenden Ansicht ist, daß natürliche Personen, die an den genannten juristischen Personen als Gesellschafter, Teilhaber, Aktionäre oder Mitglieder beteiligt sind, in Ansehung des Vermögens streng von der juristischen Person getrennt werden und jeder einzelne wie auch die Summe der Teilhaber als von der juristischen Person personenverschiedener Vermögensträger behandelt werden muß. Die Personenverschiedenheit der juristischen Person von der Summe ihrer Teilhaber ist zugleich der tragende Grund, aus dem die Rechtsprechung (auch) dem Einverständnis aller Teilhaber in eine Schädigung des Vermögens der juristischen Person weder tatbestandsausschließende noch rechtfertigende Wirkung beimißt. 44 Da sie nicht Inhaber des geschützten Rechtsguts seien, fehle es ihnen an der für die Wirksamkeit des Einverständnisses erforderlichen Dispositionsbefugnis. Das soll selbst dann gelten, wenn alle Anteile an einer juristischen Person in der Hand einer natürlichen Person vereinigt sind, so daß auch der alleinige Gesellschafter und Geschäftsführer, der die Funktion aller Organe der juristischen Person auf sich vereinigt, dieselbe durch ungetreues Verhalten schädigen kann. 45 Vorwiegend diese Konsequenz ist es freilich auch, die die Vertreter der Gegenposition zu ihrer abweichenden Beurteilung veranlaßt hat. So will etwa Labsch mit der "wirtschaftlichen Beurteilung" der Fremdheit von Vermögen einer juristischen Person im Verhältnis zu ihren Teilhabern in erster Linie erreichen, daß deren Einwilligung den Tatbestand der Untreue bei Schädigungen und sogar Aushöhlungen der Gesellschaft ausschließen kann. 46 Schäfer hingegen will umgekehrt die Konsequenz fehlender Dispositionsbefugnis der Teilhaber einer juristischen Person auch für Personengesellschaften nutzbar machen, d. h. dort die Einwilligungsfähigkeit der Gesellschafter beschneiden, indem er "die Gesellschaft" als Vermögensinhaberin beurteilt. 47 44 BGH wistra 1987, 216 = b. Holtz MDR 1987, 623; BGH wistra 1986, 69; BGHSt 32, 39, 40; 30, 127, 128; 3, 24, 25. - Offen ist lediglich, ob dies generell gilt oder erst dann, wenn in eine Schädigung des Stammkapitals (für die GmbH § 30 GmbHG) eingewilligt wird; so in derTendenz neuerdings offenbar BGH wistra 1989, S. 23.

45 BGHSt 34, 379, 384 unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung seit BGHSt 3, 24, 25 m. w. N.; BGH wistra 1986, 262; 1983, 71; zweifelnd, aber im Ergebnis offengelassen: OLG Düsseldorf, wistra 1987, 354, 355. 46 Labsch, wistra 1985, 7; Die von Labsch zur Stützung dieses Ergebnisses ferner angeführte (eigentliche) Begriindung, in diesen Fällen liege das Einverständnis auch "der Gesellschaft", handelnd durch ihr oberstes Organ, die Gesellschafterversammlung, vor, wird an späterer Stelle zu behandeln sein; siehe dazu unten in diesem Teil, 3. Kapitel, B.

47

Schäfer, NJW 1983, 2850.

166

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

3. Beurteilung der einzelnen Fonnen gesellschaftsrechtlicher Zusammenschlüsse Die folgende Zusammenstellung soll eine Übersicht über diejenigen Organisationen und Rechtsformen ermöglichen, zu denen vorwiegend die Rechtsprechung Stellung genommen hat und deren Eigenschaft, Vermögensinhaber sein zu können, an dem Kriterium der "eigenen Rechtspersönlichkeit" gemessen wurde.

a) "Vennögensträger" mit eigener Rechtspersönlichkeit In der Rechtsprechung sind im einzelnen folgende Arten von Organisationen als selbständige Vermögensträger im Sinne des § 266 StGB eingeordnet worden, zu deren Nachteil eine Untreue möglich sein soll:

_ Aktiengesellschaften; 48 - Kommanditgesellschaften auf Aktien; 49 - Gesellschaften mit beschränkter Haftung; so _ Genossenschaften; SI _ eingetragene Vereine; 52 _ Stiftungen; 53

48 BGH, wistra 1988, 227; BGH Urt. v. 25. 5. 76 - 1 StR 858/75; bis Urt. v. 12. 8. 1958 - 5 StR 181/58: § 294 AktG. 49

BGH wistra 1986, 69.

so BGHSt 34,379,384,386 = wistra 1987,334 = MDR 1987, 950; BGH wistra 1987,65 = MDR 1987,156; BGHSt 28, 371, 372f; BGH wistra 1986, 218; BGH NStZ 1984,119 = MDR 1984,277 = wistra 1984, 71; BGH wistra 1983, 118, 119; BGH wistra 1982, 148, 149; BGH Urt. v. 2.2.1968 - 2 StR 630/67 (obiter dictum); für eine als gemeinnützig anerkannte GmbH: BGH wistra 1986, 25. Ebenso, allerdings noch zu § 81a GmbHG: Urt. v. 18. 10. 1956 -2 StR 434/56; Urt. v. 12. 1. 56 - 3StR 626/54 = BGHSt 9, 203; Urt. v. 5. 10. 1954 - 2 StR 447/53 = BGHSt 6,315; ferner BGH Urt. v. 24.3.1955 - 4 StR 529/54 sowie Urt. v. 22.5. 1954 - 1 StR 451/53. SI BGH Urt. v. 23. 1. 1973 - 1 StR 625/72; dort ist zwar nur von der "Volksbank" die Rede, jedoch läßt sich aus dem Umstand, daß diese der Prüfung durch den "Badischen Genossenschaftsverband" unterlag, rückschließen, daß die Bank in der Rechtsform der Genossenschaft organisiert war; ähnlich BGH wistra 1985, 190ff für eine Raiffeisenbank; deutlicher in Bezug auf die Wiedergabe der Rechtsform: BGH NJW 1979, 1512. S2 BGH wistra 1987,137 (gemeinnütziger e. V.); BGH NJW 1975, 1234 (Bundesliga); BGHSt 5, 187, 190 (Verein als Unternehmen und Arbeitgeber); ferner BGH Urt. v. 18.4. 1961 - 1 StR 602/60 (DFG); Urt. v. 2. 4.1958 - 2 StR 106/58; Urt. v. 30. 9. 1954 - 4 StR 137/54; Urt. v. 14. 4. 1954 - 1 StR 565/53 Gew. e. V.).

53 BGHSt 31,232, 233f 565/53.

= wistra 1983, 149 (Pfarrpfründestiftung); Urt. v. 14.4.1954 -1 StR

2. Kapitel Aussagen zum Opfer

167

- sowie eine (ausländische) Organisation, deren Rechtsform nur insofern mitgeteilt wird, als von ihr als "Körperschaft" gesprochen wird. 54 Die Beurteilung dieser hier aufgezählten Organisationsformen wird in der Rechtsprechung indessen nicht ausnahmslos durchgehalten. Das OLG Stuttgart ss etwa hat eine Untreue zum Nachteil der Gläubiger einer "Gesellschaft" 56 darin gesehen, daß ein externer Sanierer Gelder von einem Anderkonto, nicht an die Gläubiger auszahlte, sondern seine Honorarforderung davon beglich und den Rest des Guthabens an den Geschäftsführer der Gesellschaft überwies. Diese Gelder hatten Dritte zur Sanierung der Gesellschaft zur Verfügung gestellt; das vorgeschlagene Moratorium war jedoch nicht zustandegekommen. In der Entscheidung heißt es, der Angeklagte habe sich gegenüber den Gläubigern zur Wahrnehmung ihrer Vermögensinteressen verpflichtet und diese Pflicht durch Auszahlung der Gelder an sich selbst verletzt. Daß die Gelder "noch nicht Vermögen der Gläubiger waren und unwiderlegt auch nicht der Gesellschaft gehörten, ist für den Treubruchstatbestand des § 266 StGB unerheblich." 57 - In dieser Entscheidung wird das Erfordernis der Identität zwischen zu betreuendem und benachteiligtem Vermögensträger in der Weise unterlaufen, daß nur der zu betreuende Vermögensinhaber identifiziert und für den Nachteil der Zugriff auf ein "irgendwie" abgesondertes Vermögen ohne Rücksicht auf seine Zuordnung zu einem Träger als ausreichend erachtet wird. Als Durchbrechung der Linie strenger Trennung zwischen dem Vermögen einer juristischen Person und dem ihrer Anteilseigner läßt sich auch ein Urteil des OLG Koblenz einordnen, das sich im Rahmen von Zuständigkeitsfragen damit zu befassen hatte, an welchem Ort der Erfolg einer Untreue eingetreten war. 58 Unmittelbar geschädigte Vermögensinhaberin war in dem zu entscheidenden Fall eine brasilianische Gesellschaft mit beschränkter Haftung ("Limitada"), an die der Angeklagte als Angestellter der deutschen Muttergesellschaft, einer GmbH, "ausgeliehen" YJ war. Das OLG Koblenz nahm gleichwohl die (Tatort-) Zuständigkeit eines deutschen Gerichts an, weil bei

54

BGHSt 8, 149 ("Jewish Restitution Successor Organisation").

ss OLG Stuttgart, wistra 1984, 114 f. 56

Deren Rechtsform wird in der Entscheidung nicht mitgeteilt.

57

OLG Stuttgart, wistra 1984, 115.

58

OLG Koblenz, wistra 1984, 79.

YJ

OLG Koblenz, wistra 1984, SO.

168

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

"wirtschaftlicher Betrachtungsweise" mit der Schädigung der TochterfIrma in Brasilien auch eine Schädigung der in Deutschland ansässigen MutterfIrma verknüpft sei, denn die Limitada habe sich "im lOO%-igen Eigentum der GmbH" befunden. 60 Das heißt nun aber nichts anderes, als daß die GmbH Alleingesellschafterin der Limitada war. Das OIG Koblenz hat also in diesem Falle den Alleingesellschafter als (mittelbar geschädigten) Inhaber des Vermögens der (unmittelbar geschädigten) juristischen Person beurteilt. Im Ergebnis hat es mithin den Teilhaber, nicht die juristische Person, als Vermögensinhaber eingestuft. Gegenteilig und insofern konsequent auf der Linie des Bundesgerichtshofs hat hingegen das OLG Frankfurt entschieden, indem es die treuwidrige Schädigung der lOO%-igen ausländischen (monegassischen) Tochtergesellschaft einer deutschen GmbH durch einen Repräsentanten, der nicht im Dienste der deutschen Muttergesellschaft stand, als Auslandstat beurteilte. 61 b) Zusammenschlüsse ohne eigene Rechtspersönlichkeit aa) Rechtsprechung

Kehrseite des Grundsatzes, daß (nur) Organisationen mit eigener Rechtspersönlichkeit, also juristische Personen, selbständige Träger von Vermögen sein können, ist die Aussage, daß Untreue zum Nachteil von Gesellschaften ohne eigene Rechtspersönlichkeit als solche nicht, wohl aber durch Schädigung des Vermögens ihrer Gesellschafter möglich sei. 62 So führt der BGH etwa in Bezug auf eine Kommanditgesellschaft deutlich aus, "daß die Kommanditgesellschaft, anders als die Gesellschaft mit beschränkter Haftung, keine eigene Rechtspersönlichkeit besitzt und die Schädigung des Gesamthandsvermögens der Kommanditgesellschaft nur insoweit bedeutsam ist, als sie gleichzeitig das Vermögen der Gesellschafter berührt." 63 Danach ist weder die Gesellschaft Trägerin des Vermögens noch die Gesamtheit der Gesellschafter, sondern es sind die einzelnen Gesellschafter. Die wichtigste Konsequenz ist die, daß ein (pflichtwidrig handelnder) Gesellschafter nur die übrigen Mitgesellschafter, nicht aber sich selbst in strafbarer

so.

60

OLG Koblenz, wistra 1984,

61

OLG Frankfurt, wistra 1989, S. 112

62

BGH, NStZ 1984, S. 119 (LS) = wistra 1984, S. 71; BGH, wistra 1984, S. 226.

63

BGHSt 34, 221, 222f = wistra 1987, 100 = JR 1988, 32.

= NJW 1989, S. 675.

2. Kapitel Aussagen zum Opfer

169

Weise schädigen kann. In dieser Weise wurde etwa entschieden, daß der Kommanditist einer GmbH & Co KG, der als Geschäftsführer der GmbH "die KG" schädigt, in seiner Eigenschaft als Kommanditist keinen Nachteil erleiden könne; vielmehr handele es sich insoweit um "straflose Selbstschädigung" und nicht um Untreue. 64 Die Konstruktion hat ferner Konsequenzen für die Frage nach dem Inhaber der Dispositionsbejugnis, also die Frage nach tatbestandsausschließender oder

rechtfertigender Wirkung einer Einwilligung in das treuwidrige und/oder schädigende Verhalten. In den meisten angeführten Entscheidungen wird die Frage, wer Inhaber des Vermögens ist, überhaupt nur aus diesem Grunde aufgeworfen und ausführlich erörtert. Sind alle Gesellschafter mit der Schädigung einverstanden, soll es an der Pflichtwidrigkeit, mithin an der Tatbestandsmäßigkeit des schädigenden Verhaltens fehlen. 65 Bei Einwilligung nur eines Gesellschafters in das ungetreue und schädigende Verhalten scheidet Untreue (nur) zu dessen Nachteil aus; sie soll aber möglich bleiben zu Lasten der übrigen Gesellschafter. 66 Daraus folgt, daß in Fällen der Untreue zu Lasten von Gesellschaften ohne eigene Rechtspersönlichkeit die Frage des Einverständnisses auch nur eines einzelnen Gesellschafters fast regelmäßig entscheidungserheblich ist, denn sie ist jedenfalls für die Schadenshöhe und damit mittelbar für die Strafzumessung relevant. 67 Darüber hinaus führt die fehlende Eigenschaft der Personengesellschaft, Vermögensinhaberin sein zu können, im Einzelfall dazu, daß die Verfolgung einer Untreue zu Lasten des Mitgesellschafters von einem Strafantrag abhängig

64 BGH, wistra 1987,216,217; ebenso für den Mitgesel1schafter einer offenen Handelsgesel1schaft BGH wistra 1987, 218 = bei Holtz, MDR 1987, 624.

65 So für die GmbH in Gründung BGHSt 3, 23, 25: "Dieses Einverständnis (sc. der Mitgesel1schafter in das ungetreue Verhalten ihres Gesel1schafter-Geschäftsführers) wäre zwar belanglos für die Zeit nach der Eintragung der Gesel1schaft ins Handelsregister; denn nach der vom Senat gebilligten Rechtsprechung des Reichsgerichts schließt das Einverständnis der Gesel1schafter eine Untreue gegenüber der mit eigener RechtspeISÖnlichkeit ausgestatteten Gesel1schaft nicht aus (RGSt 42,278; 71, 353). Das gilt aber nicht für die vorhergehende Zeit, in die die als Untreue angesehenen Handlungen ... fallen. Die bis zur Eintragung bestehende Gründungsgesellschaft entbehrte der eigenen Rechtspersönlichkeit (§ 11 GmbHG). Träger ihrer Rechte und Pflichten waren die einzelnen Gesel1schafter. Ihnen war der Angeklagte treuverpflichtet. Waren sie mit seinen Handlungen einverstanden, so waren diese nicht pjlichtwidrig: 66 BGHSt 34, 221, 223 wistra 1984, 71 und 226. 67

= wistra 1987, 100, 101 = JR 1988, 32f; BGH StrVert 1988, 14; BGH,

Unter diesem Aspekt behandelt bei BGH, wistra 1987, 216, 217.

170

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

ist, wenn - wie für eine offene Handelsgesellschaft entschieden 68 - der (allein) geschädigte Mitgesellschafter Angehöriger im Sinne des § 266 Abs. 3 in Verbindung mit § 247 StGB ist. (1) Gesellschafter als Vennögensinhaber

Die Eigenschaft, Träger von Vermögen sein zu können, mit der Folge, daß als Vermögensinhaber nur die einzelnen Gesellschafter in Betracht zu ziehen sind, haben Rechtsprechung und herrschende Meinung im einzelnen folgenden Organisationsformen abgesprochen: - Kommanditgesellschaften, unabhängig davon, ob der Komplementär eine natürliche oder juristische Person (GmbH & Co KG) ist; fi) - offene Handelsgesellschaften; 70 - GmbH in Gründung; 71 - stille Gesellschaften. 72 (2) "Die Gesellschaft" als Vennögensinhaberin

Die dargelegten grundsätzlichen Linien der Rechtsprechung bei der Beurteilung der Eigenschaft von Gesellschaften, Vermögensinhaber sei zu können, werdenjedoch auch in Bezug aufPersooeogesellschaften - ähnlich wie bereits für die Judikatur zur Trennung zwischen der juristischen Person als Vermögensinhaberin und ihren Teilhabern aufgezeigt - nicht bruchlos durch-

68

BGH, wistra 1987, 218

= bei Holtz, MDR 1987, 624.

fi) BGH, wistra 1986, 67; wistra 1984, 226; wistra 1984, 71 f = NStZ 1984, 119; Bescht. v. 31. 1. 1984 - 5 StR 885/83; in Bezug auf Konkursdelikte auch BGHSt 19, 174, 175/176: "Die Kommanditgesellschaft ist, wie die offene Handelsgesellschaft, nach einhelliger Meinung keine juristische Person. Träger ihrer Rechte und Pflichten sind die persönlich haftenden Gesellschafter (vgl. u. a. BGHZ 34, 293, 296); ebenso Müller-Gugenberger (Schmid), § 26 Rdnr. 62.

70

BGH wistra 1987, 218

= bei Holtz, MDR 1987, 624.

71 BGHSt 3, 23, 25: "Die bis zur Eintragung bestehende Gründungsgesellschaft entbehrte der eigenen Rechtspersönlichkeit (§ 11 GmbHG). Träger ihrer Rechte und Pflichten waren die einzelnene Gesellschafter. Ihnen war der Angeklagte treueverpflichtet. " - Merkwürdigerweise wird eingangs dennoch darauf hingeweisen, daß § 266 StGB nicht anzuwenden sei, sondern der damals noch geltende § 81a GmbHG, der ein Handeln "zum Nachteil der Gesellschaft" verlangte (siehe Anhang S. 30); ebenso Kohlmann, JA 1980, 228, 234; Müller-Gugenberger (Schmid), § 26 Rdnr.60;

72

BGH, wistra 1987, 24 (hier als Beteiligungsgesellschaft an einer KG).

2. Kapitel Aussagen zum Opfer

171

gehalten. An ihnen wird zwar v~bal festgehalten, die Umsetzung auf den einzelnen Fall ist jedoch, wie folgenden Entscheidungen belegen, nicht immer konsequent. So hat der BGH in einem Fall eine Innengesellschaft bürgerlichen Rechts, also eine Personengesellschaft, bestehend aus einer GmbH und einer natürlichen Person als "wirtschaftliche" Inhaberin von Vennögensgegenständen eingeordnet und im Ergebnis offengelassen, bei wem der Schaden eingetreten ist. 7J Ferner wurden Gewerkschaften (ihre Gliederungen und der DGB) 74 sowie Parteien 75 als Vermögensinhaber beurteilt, obwohl sie nicht rechtsfähige Vereine sind. Die Vermögensfähigkeit von Parteien und Gewerkschaften ließe sich allenfalls mit deren besonderem Status als jedenfalls aktiv parteifähiger Organisation 76 begründen. Dann wäre freilich nicht erklärlich, warum dies nicht auch für Personenhandelsgesellschaften gelten sollte. Nimmt man die Gründe der zivilrechtlichen Judikatur für die Anerkennung der Parteifähigkeit hinzu, wird die strafrechtliche Grenzziehung zwischen tauglichen und untauglichen Vermögensinhabern nach dem Kriterium der "eigenen Rechtspersönlichkeit" insgesamt in Frage gestellt, denn es käme nicht auf die Rechtsfähigkeit, sondern auf die (körperschaftliche) Organisationsform an. Parteien und Gewerkschaften gelten nämlich im Zivilrecht als das klassische Beispiel dafür, daß auch der nicht rechtsfähige Verein "eine körperschaftliche Organisation mit einer selbständigen Vereinsgewalt (sc. aufweist) und sich insoweit grundlegend von einer Gesellschaft unterscheidet." 77 Schließlich scheint die Rechtsprechung auch in der Beurteilung der Fähigkeit zur Vermögensinhaberschaft einer GmbH & Co KG zu schwanken. In einer unveröffentlichten Entscheidung des 5.Strafsenats heißt es: "Zwar trifft es zu, daß der Angeklagte als alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der GmbH & Co KG nicht berechtigt war, Vermögensbestandteile der Kommanditgesellschaft ohne angemessene Gegenleistung in sein Privatvermögen

7J BGH Urt. v. 20. 5. 1981 - 3 StR 94/81: "Der durch die Untreue verursachte Vermögensschaden ist in Höhe der entnommenen Beträge, wenn nicht allein bei der GmbH, so jedenfalls bei der zwischen ihr und D bestehenden Gesellschaft eingetreten;" (insoweit nicht abgedruckt in BGHSt 30, 127, 128).

74

BGHSt 2, 324 f.

7S

BGH, wistra 1986, 256.

76

BGHZ 42, 210; 50, 235.

77

BGHZ 13, 5, 11; Kübler, Gesellschaftsrecht, S. 131.

172

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

zu überführen. Auch wenn ihm Insichgeschäfte (§ 181 BGB) gestattet waren, durfte er weder anderen noch sich willkürlich Vermögen der Gesellschaft zuschieben." 78 Der Alleingesellschafter-Geschäftsführer einer Einmann-GmbH & Co KG soll danach offenbar "die Kommanditgesellschaft" schädigen können. Ausdrücklich anders geht lediglich das Landgericht Bonn in Bezug aufPersonenhandelsgesellschaften vor. 79 Aus den §§ 124,129 Abs. 4,161 Abs. 2 HGB und mithin dem Umstand, daß die Stellung sowohl der oHG als auch der KG als Gesamthand weitgehend der einer eigenständigen juristischen Person angenähert sei, folgert es, "das Gesellschaftsvermögen" sei auch für den einzelnen Gesellschafter Fremdvermögen. Das LG Bonn spricht also den Personenhandelsgesellschaften - jedenfalls im Verhältnis zu ihren Gesellschaftern - die Fähigkeit zu, Trägerin eigenen Vermögens sein zu können. bb) Literatur

In der Literatur ist die Frage nach dem Inhaber des Vermögens einer Personengesellschaft erst in jüngster Zeit thematisiert worden. So vertritt Reiß die Ansicht, vermögensschädigende Maßnahmen (im Sinne des § 266 StGB), die ohne die nach dem Gesellschaftsrecht erforderliche Zustimmung aller Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaftvorgenommen würden, seien insgesamt als Untreue zu werten, da das Vermögen als Gesamthandsvermögen gerade nicht bruchteilsmäßig den einzelnen Mitgliedern der Gruppe zugerechnet werde. 80 Darin ist implizit die Aussage enthalten, daß zwar (auch strafrechtlich) nicht "die" Gesellschaft Inhaberin des Vermögens sein soll, sondern das Vermögen auch im Strafrecht, den gesellschaftsrechtlichen Regeln folgend, der Gesamtheit aller Gesellschafter als "Gesamthand", nicht aber den einzelnen Gesellschaftern anteilig zuzuordnen sei. 81

78

BGH Urt. v. 13. 2. 1979 - 5 StR 814/78.

79 LG Bonn, NJW 1981, S.469. Ausdrücklich (noch) anders auch die Literatur; dazu der folgende Abschnitt. 80

Reiß, wistra 1989, S. 85, 86.

81 So für das österreichische Recht mit entsprechender Argumentation OGH SSt 51/46 ÖJZ-LSK 1981/10; zustimmend Olscher, GesRZ 1988, S. 20, 22/23.

=

2. Kapitel Aussagen zum Opfer

173

III. Die "öffentliche Hand" als Vermögensinhaberin

Es gilt heute als selbstverständlich, daß § 266 StGB auch die sogenannte Amtsuntreue umfaßt, also auch staatliches Vermögen in seinen Schutzbereich fällt. 82 Ursprünglich erhobene Einwände dagegen, die vor allem in die Richtung gingen, Sinn und Zweck des § 266 StGB n. F. sei es, den privatrechtlichen Vermögensverkehr zu schützen, so daß staatliches Vermögen allenfalls in der Gestalt des Fiskus geschützt sei, 83 haben sich nicht durchgesetzt. Anders hingegen als bei der Umsetzung der Voraussetzungen des § 266 StGB auf gesellschaftsrechtliche Konstellationen, wird bei der Schädigung staatlichen Vermögens in der Regel die Frage nicht aufgeworfen, "wer" der jeweils geschädigte Inhaber des "staatlichen" Vermögens ist und ob es sich dabei um eine selbständige juristische Person des öffentlichen oder des Privatrechts handelt oder um unselbständige Gliederungen. Offenbar scheint man der Auffassung zu sein, daß "die öffentliche Hand", in welcher Form auch immer, Trägerin von Vermögen sein kann. Es soll im folgenden deshalb lediglich ein Überblick über öffentlich-rechtliche Organisationen und Institutionen gegeben werden, in Bezug auf deren Vermögen in Rechtsprechung und Literatur benachteiligendes, ungetreues Verhalten für möglich gehalten wurde. Als Vermögensträger wurden folgende körperschaftlich, also als juristische Personen des öffentlichen Rechts organisierte, staatliche Gliederungen eingeordnet: - "der Bund"; 84 - "das Land"; &5 - "der Landkreis"; 86

82 BGHSt 2, 169; 13, 315; 18, 312; BGH, NJW 1953, 33; NJW 1953, 1924; NJW 1954, 1616; NJW 1955, 508; NJW 1957, 191; NJW 1961, 1171; NJW 1972, 1059; BGH LM § 266 StGB Nr. 22; BGH, MDR 1954, 399; BGH, GA 1954, 312; GA 1956, 122; ferner Neye, Untreue im öffentlichen Dienst, 1981, S. 19 mit weiteren Hinweisen auf unveröffentlichte Entscheidungen. 83 So vor allem Schwinge/Sieben, Das neue Untreuestrafrecht, S. 59; ihnen folgend Leiner, Untreue, S. 67; Westphal, Untreue S. 26; Schober, Untreue, S. 14; Klein, Untreue S. 17. 84 BGH, wistra 1987, 27; BGH Urt. v. 18. 4. 1961-1 StR 602/60; in Gestalt des Fiskus: BGHSt 24,326,327 durch zu niedrige feststetzung von Steuern (obiter dictum); Hauptzollamt: BGHSt 5,61,65. &5 BGH, wistra 1982, 230; BGH Urt. v. 8. 10. 1957 -1 StR 310/57; BGH Urt. v. 23. 9. 19525 StR 161/53.

86

BGHSt 32, 203, 208 (obiter dictum).

174

-

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

"der Landschaftsverband"; In "die Gemeinde"; 88 "die Universität"; 89 "der AStA" als "öffentlichrechtliche Körperschaft mit Zwangsmitgliedschaft". 90

Als selbständige Vermögensträger wurden bislang ferner die als (selbständige) Anstalten organisierten juristischen Personen öffentlichen Rechts bewertet: _ Landesbanken; 91 _ Kreissparkassen; 92 - (Gemeinde-) Sparkassen, Girokassen. 93 Ferner werden folgende unselbständig organisierte Verwaltungseinheiten oder -gliederungen als geschädigte Vermögensträger genannt: - "Verwaltungsstelle für Reichs- und Staatsvermögen"; 94 - die Bundesforschungsanstalt als "unselbständige Anstalt des Bundes"; 95 - "die Eisenbahnen des Saarlandes"; 96 - "die Kraftfahrstaffel der Polizei"; 97

In

BGH, wistra 1986, 260, 261 = NStZ 1986, 455 (als Schulträger).

88 als Fiskus (Bauherrin): BGH, wistra 1987, 68; BGH Urt. v. 20. 2. 1981 - 2 StR 644/80; BGHSt 4,170,171; als Hoheitsträger, Inhaberin von Gebührenansprüchen: BGHSt 3, 289, 293 f; Gemeindekasse: BGHSt 2, 169, 171. 89

BGH Urt. v. 30. 7. 75 -3 StR 27/28/75.

90

BGHSt 30, 247, 248.

91

BGHSt 31, 264, 288 (Poullain-Urteil; Freispruch aber aus subjektiven Gründen bestätigt).

92

BGH Urt. v. 8. 5. 1953 - 2 StR 95/52.

93 BGH Urt. v. 14.5. 1986 - 2 StR 854/84; BGH, wistra 1984, 230; BGH b. Holtz, MDR 1979, 636f; BGH Urt. v. 22. 3. 1060 - 1 StR 606/59; BGH, Sparkasse 1960, 147 und 393; Urt. v. 22. 6. 1954 - 1 StR 451/53; BayObLGSt 1965, 88. 94

BGH Urt. v. 28. 9. 1954 - 5 StR 203/54;

9S

BGH Urt. v. 18.4. 1961 -1 StR 602/60.

96

BGHSt 13, 315 ff, ohne Angabe von Rechtsfonn; Täter aber "Beamter".

97

BGHSt 4, 236, 237, 240f.

2. Kapitel Aussagen zum Opfer

- "das Forstamt"; 98 - gemeindliche Einrichtungen wie "Kurmittelhaus"

175

99

oder "Konzerthalle".

100

IV. Negativkategorien Die Auswertung wäre unvollständig, wenn sie nicht auch diejenigen Äußerungen in Rechtsprechung und Literatur berücksichtigte, die sich nicht an der organisations- und gesellschaftsrechtsrechtlichen Typenbildung orientieren, also aus dem hier vorausgesetzten Ordnungsraster herausfallen. 1. Funktionsbezeichnungen

Eine Gruppe dieser Äußerungen zur Subjektsqualität des Vermögensinhabers, der durch Untreue geschädigt werden kann, betrifft Zusammenhänge, in denen "der Vermögensinhaber" ohne Rücksicht auf Rechts- oder Organisationsformen personalistisch oder antropomorph behandelt wird. Das verbindende Element dieser Äußerungen besteht allein darin, daß in Bezug auf den Vermögensträger nicht von diesem selbst gesprochen wird. Stattdessen wird seine jeweilige wirtschaftliche Funktion in den Vordergrund gestellt oder es werden Bezeichnungen gewählt, die auf die (Rechts-) Beziehung zwischen Täter und Vermögensinhaber abstellen. Häufig verwendete Funktionsbezeichnungen für den (geschädigten) Vermögensinhaber, über dessen Rechts- und Organisationsform keine weiteren Angaben gemacht werden, sind etwa: - "die Bank", 101 - "die Firma", 102 _ "das Unternehmen". 103

98

BGH Urt. v. 27. 11. 1956 -5 StR 310/56;

99

BGHSt 18, 312, 313.

100

BGH, wistra 1985, 69.

101

BGHSt 24, 386; BGH, NJW 1979, 1512; BGH Urt. v. 15. 6. 1967 - 1 StR 516/66.

102

BGHSt 20, 143; BGH LM § 266 Nr. 21; BGH, wistra 1983, 71.

103 BGHSt 12,207; OLG Koblenz, MDR 1968,779 (das "Versandhausuntemehmen"); OLG Hamm, NJW 1978, 1809 ("der SB-Großmarkt"). 14 Nelle.

176

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

In Bezug auf die Qualität dieser "Subjekte", Vermögensträger sein zu können, sagen diese Formulierungen wenig aus. Lediglich die Tatsache, daß Bezeichnungen dieser Art werden gewählt, läßt Rückschlüsse zu. Offenbar wird voraussetzungslos unterstellt, daß ein in solchen Funktionen am Rechtsund Wirtschaftsleben teilnehmendes Gebilde selbstverständlich auch Zuordnungssubjekt für zu betreuendes und geschädigtes Vermögen sein kann. Ebenfalls vielfach ohne Rücksicht auf Rechts- oder Organisationsform des Vermögensinhabers, der allenfalls in der Sachverhaltswiedergabe mit gesellschaftsrechtlichen Zusätzen oder Umschreibungen versehen wird, werden Bezeichnungen gewählt, die seine Rolle im Verhältnis zum Täter in den Vordergrund stellen. Dazu gehören etwa: _ "der Arbeitgeber", 104 _ "der Geschäftsherr", lOS _ "der Auftraggeber", 106 - "die Mandantin". Hier wird also aus dem Umstand, daß derjenige, der zum Täter rechtliche oder tatsächliche Beziehungen unterhält, die für den Täter eine Pflicht zur Betreuung von Vermögensinteressen begründen sollen, ohne weitere Zwischenschritte gefolgert, daß er auch "Vermögensinhaber" ist. Mittelbar läßt die Wahl solcher Bezeichnungen daher den Schluß zu, daß die Fähigkeit, zu Dritten in (zivil-) rechtliche Beziehungen zu treten, als hinreichendes Indiz auch für die Fähigkeit gilt, Träger von Vermögen sein zu können. 2. Isolierte Vennögensmassen

Eine zweite Gruppe von Stellungnahmen zur Qualität des Vermögensinhabers in Rechtsprechung und Literatur zeichnet sich dadurch aus, daß sie sich auf Untreue zum Nachteil isolierter Vermögensmassen beziehen, ohne daß diese einem Subjekt zugeordnet werden. Sie gehören vor allem deshalb hierher, weil der Annahme, daß Untreue auch zum Nachteil isolierter, nur objektiv und ohne Bezug zu irgendeiner natürlichen oder juristischen Person oder einer Betriebseinheit einzugrenzender Vermögensmassen möglich sein könnte, ein grundsätzlich anderes Verständnis des § 266 StGB zugrundeliegt. Seine Vereinbarkeit mit dem personalistischen Wortlaut (" ... dem, dessen

104

1809.

BGH Urt. v. 15. 1. 1953 - 3 StR 686/52; BGH, wistra 1988, 232; OLG Hamm, NJW 1978,

lOS

BGH LM § 266 StGB Nr. 21.

106

BGH NJW 1960, 1629.

2. Kapitel Aussagen zum Opfer

177

Vermögensinteressen er zu betreuen hat, Nachteil zufügt") wäre noch zu beweisen. Als solche Vermögensmasse wird in Rechtsprechung und Literatur teilweise

"die Konkursmasse" genannt und als benachteiligtes "Vermögen" eingeord-

net. 107 Hier bleibt unklar, ob "der, dessen" Vermögensinteressen zu betreuen sind, "die Gläubiger" sein sollen - einzeln oder in ihrer Gesamtheit 108 - , ob die Konkursmasse Vermögen "des Gemeinschuldners" sein soll, dem gemäß § 6 KO lediglich das Verfügungs- und Verwaltungsrecht entzogen ist 109 oder ob es sowohl den Gläubigern als auch dem Gemeinschuldner, 110 wenn ja, in welchem Verhältnis, zugeordnet sein soll oder ob es sich gar um Vermögen des Konkursverwalters handelt. 111

Ähnlich verhält es sich mit dem "Gläubiger-Fonds", der immer häufiger im Zusammenhang mit Sanierungskonzepten eine Rolle spielt. 112 In der bereits zitierten Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart 113 wird ein solcher Fonds unbeschadet seiner rechtlichen oder wirtschaftlichen Zuordnung zu einem Inhaber wie eine isolierte Vermögensmasse behandelt. Das Betreuungsverhältnis wird zwar auf einen Personenkreis (die Gläubiger) bezogen, das Vermögen aber weder diesem noch sonst wem positiv zugeordnet. Folge ist auch in diesen Fällen, daß die in § 266 StGB angelegte synallagmatische Verknüpfung zwischen zu "betreuendem" Vermögen und benachteiligtem Vermögensträger praktisch aufgegeben wird. 114

107 BGHSt 15, 342 mit insoweit gleichlautender Anmerkung von Martin, LM § 266 Nr. 36 und Schröder, JR 1961, 268. 108 Darauf deutet BGH MDR 1978, 747 hin; ausdrücklich ablehnend noch RGSt 39, 383 zu § 266 StGB a. F. (der das Identitätserfordernis und damit die Notwendigkeit einer positiven Zuordnung von Vermögen zu einer Person noch deutlicher formulierte in dem Erfordernis der Verfügung über ein "Vermögensstück des Auftraggebers") mit der Begründung, daß "ein Rechtserwerb der Gläubiger an dem die Konkursmasse bildendend Vermögen nicht stattfindet" (S.385).

So BGH Urt. v. 13. 11. 1973 - 1 StR 405/73; ablehnend RGSt 39, 383, 384.

109

110 So ist wohl Hübner, LK § 266 Rdnr. 57, zu verstehen; unklar, aber möglicherweise auch in diese Richtung weisend BGH Urt. v. 13. 11. 1973 - 1 StR 405/73. 111

So noch RGSt 26, 106.

112

Zu dieser Praxis und ihrer Häufigkeit allgemein BlankenburglRichter, wistra 1982, 222 ff.

113

wistra 1984, 114; siehe zu den Einzelheiten des Sachverhalts dieser Entscheidung oben

S. 171.

114 Dies wird besonders deutlich in der Anmerkung von Richter (wistra 1984, 97 f) zu der Entscheidung des OLG Stuttgart.

178

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

In der Literatur fmden sich, freilich in anderen Zusammenhängen, Hinweise darauf, daß solche "Gläubiger-Fonds" Sonderformen von "Sanierungsgesellschaften" zugeordnet werden (können). Diese sind jedoch in der Regel Gesellschaften bürgerlichen Rechts, bestehend aus den Gläubigern des zu sanierenden Unternehmens. Sie können freilich im Einzelfall auch als juristische Personen organisiert sein. 1lS

v. Zusammenfassung Den Aussagen in Rechtsprechung und Literatur liegt, von vereinzelten Gegenstimmen abgesehen, im wesentlichen folgende Linie zu Grunde: - Juristische Personen - strafrechtlich in der Regel Gesellschaften mit "eigener Rechtspersönlichkeit" genannt - sind Vermögensinhaber und deshalb als solche durch Untreue benachteiligungsfähig. - Gesellschaften ohne eigene Rechtspersönlichkeit sind nicht Inhaber von Vermögen im Sinne des § 266 StGB; das Vermögen wird auch nicht der "Gesamthandsgemeinschaft" zugeordnet, sondern es steht - strafrechtlich jedem einzelnen Gesellschafter als "sein" anteiliges Vermögen zu. - Auch staatliches Vermögen fällt unter den Schutz des § 266 StGB. Bei der Zuordnung zu einer öffentlichrechtlichen Institution wird in der Regel nicht nach Rechtsformen differenziert. Sowohl selbständige und rechtsfähige Organisationseinheiten als auch abhängige, nicht als juristische Personen verfaßte Verwaltungs- oder Betriebseinheiten werden unterschiedslos als Vermögensinhaber behandelt. - In den Fällen, in denen als Täter weder ein Gesellschafter oder Teilhaber noch ein Organ (-mitglied) des oder der benachteiligten Vermögensinhaber(s) in Betracht kommt, messen Rechtsprechung und Literatur der Gesellschaftsform keine Bedeutung zu, sondern bezeichnen den Vermögensinhaber häufig nach seiner wirtschaftlichen Rolle (Bank, Unternehmen etc.) oder durch seine Beziehung zum Täter (Arbeitgeber, Geschäftsherr etc.). - Eine weitere Gruppe von Aussagen bezieht sich auf geschädigte Vermögensmassen (Konkursmasse, Gläubiger-Fonds), ohne daß der oder die Vermögensinhaber oder Vermögensinteressenten eliminiert werden, zu denen

IlS R. Müller in Belke/Oehmichen (Hrsg), Wirtschaftskriminalität, S. 55; Müller-Gugenberger (Bieneck), § 75 Rdnr. 24.

2. Kapitel Aussagen zum Opfer

179

die täterschaftsbegrÜDdende Beziehung herstellbar sein soll oder konkret hergestellt wurde. B. Auswertung

I. Der abstrakte Gehalt der Aussagen zur Benachteiligungsfähigkeit von Personenvereinigungen Die Aussagen der Rechtsprechung und herrschenden Literaturauffassungen lassen sich vereinfacht auf folgende Formeln bringen: 1. Im Verhältnis zu Nicht-Gesellschaftern oder Nicht-Teilhabern gilt jede Organisation, gleich welcher Rechtsform, als Vermögensinhaber , solange nicht mindestens ein Gesellschafter oder Teilhaber an der Tathandlung beteiligt ist oder zu dem schädigenden Verhalten eines anderen seine Zustimmung erteilt hat.

2. Schädigt ein geschäftsführungsberechtigter Gesellschafter oder Teilhaber die von ihm vertretene Organisation, ist nach deren Rechtsform zu differenzieren: - Handelt es sich um eine juristische Person, gilt diese als Vermögensinhaber. Nur bei ihr kann der (volle) Schaden eintreten. Da nur die juristische Person Inhaberin der Dispositionsbefugnis ist, kann die Gesamtheit aller Teilhaber über dieses Vermögen auch nicht in der Weise verfügen, daß sie wirksam in eine ( mißbräuchliche) Verfügung oder ( treuwidrige) Pflichtverletzung des Täters einwilligt. - Handelt es sich um eine nicht rechtsfähige (Personen-) Gesellschaft, gelten die einzelnen Gesellschafter als Inhaber des Vermögens in Form ihres anteiligen (Gesamthands-) Vermögens. Der Schaden kann nur bei dem jeweiligen Gesellschafter als Individuum eintreten. Jeder einzelne Gesellschafter kann durch Einverständniserklärung die "Mißbräuchlichkeit" einer Verfügung oder die "Pflichtwidrigkeit" einer sonstigen Einwirkung auf das Vermögen beseitigen, jedoch nur mit Wirkung für sich und sein (anteiliges) Vennögen. 11. Analyse des Argumentationsmusters Richtiger Ansatz ist, daß nach der Struktur des § 266 StGB nur die Schädigung eines für den Täter ''fremden'' Vennögens tatbestandsmäßig sein kann und

180

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

dieses Vermögen Gedenfalls dann für ihn) "fremd" ist, wenn es positiv "jemandem" anderen zugeordnet werden kann. Zu Recht legt sich daher die Rechtsprechung immer dann (freilich auch nur dann), wenn als Täter eine Person in Betracht kommt, die an der benachteiligten Organisation beteiligt ist, die ausdrückliche Frage vor: "Wer von den Beteiligten ist Inhaber des Vermögens?" Grundlegend für die Beantwortung dieser Frage sind die Entscheidungen BGHSt 3, 23 und BGHSt 3, 32, auf die sich die Rechtsprechung bis heute beruft, obwohl sie zu dem aufgehobenen § 81a GmbRG ergingen. Dort heißt es: "... nach der vom Senat gebilligten Rechtsprechung des Reichsgerichts schließt das Einverständnis der Gesellschafter eine Untreue gegenüber der mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestatteten Gesellschaft nicht aus .... Das gilt aber nicht für die vorhergehende Zeit ... Die bis zur Eintragung bestehende GrÜTIdungsgesellschaft entbehrte der eigenen Rechtspersönlichkeit (§ 11 GmbRG). Träger der Rechte und Pflichten waren die einzelnen Gesellschafter. Ihnen war der Angeklagte treuverpflichtet." 116 Wenig später wird die Frage nach der Benachteiligungsfähigkeit einer GmbR nur noch mit folgendem Satz begründet: "Die Gesellschaft besaß eigene Rechtspersönlichkeit (§ 13 GmbRG). Maßgebend ist allein, daß das Gesetz die Gesellschaft mbH mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestattet und weder ihre Organe noch ihre Gesellschafter berechtigt hat, das Vermögen der Gesellschaft willkürlich preiszugeben." 117 Setzt man die Einzelaussagen in den beiden zitierten Entscheidungen, auf die alle späteren ausdrücklich oder konkludent zurückgehen, in ihre logische Beziehung zueinander, so lautet der erste Satz: Um Vermögen haben zu können, bedarf es der eigenen Rechtspersönlichkeit. 118 Diese Aussage postuliert also die Eigenschaft "Person" als notwendige Bedingung für die Fähigkeit, Vermögen haben zu können. Diese Behauptung wird nicht begründet. Die erste Ableitung aus diesem Postulat lautet: Juristische Personen besitzen diese eigene Rechtspersönlichkeit, also sind sie Vermögensinhaber. 119 Diese

116

BGHSt 3, 23, 25 (Hervorhebungen von Verf.).

117

BGHSt 3, 32, 40 (Hervorhebungen von Verf.).

118

BGHSt 3, 32, 40.

119

BGHSt 3, 32,40; BGH Urt. v. 2. 2. 1968 - 2 StR 630/67; Urt. v. 24. 2. 1976 - 1 StR 602/75.

2. Kapitel Aussagen zum Opfer

181

Ableitung beruht auf dem logisch unzulässigen Schluß vom Vorliegen (nur) der notwendigen Bedingung auf den Eintritt der Folge. Der zweite Satz lautet: Juristische Personen sind als eigene Rechtspersönlichkeiten Vermögensinhaber "unter Ausschluß ihrer Teilhaber". 120 Aus dem ersten und dem zweiten Satz wird für Personengesellschaften die Aussage abgeleitet: Da eine eigene Rechtspersönlichkeit notwendig ist und und Personengesellschaften diese nicht besitzen, können sie nicht Vermögensinhaber sein. Aber ihre Gesellschafter sind eigene Rechtspersönlichkeiten, also ist jeder einzelne Gesellschafter Inhaber des (anteiligen) Vermögens. 121 III. Methodische Kritik

Der Rechtsprechung unterläuft zunächst ein Fehler, der als Verstoß gegen die methodischen Gn.mdregeln der Gesetzesanwendung klassifiziert werden kann:

Sie beantwortet die fallbezogene Subsumtionsfrage, ohne die entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen ausgelegt zu haben. Die Antwort auf die Frage: "Wer ist Vermögensinhaber?" setzt voraus, daß die Bedingungen bekannt sind, unter denen jemand Vermögensinhaber sein kann. Das Postulat einer "eigenen Rechtspersönlichkeit" läßt sich allenfalls als Aussage zu den Spezial tatbeständen rechtfertigen, deren übergreifende Gemeinsamkeit darin bestand, daß sie nur Geweils bestimmte) juristische Personen als Vermögensinhaber schützten. Für die Auslegung des § 266 StGB hätte diese Aussage aber begründet werden müssen. Das bedeutet, daß zunächst die - abstrakten - Kriterien entwickelt werden müssen, die ein "jemand" ("dem, dessen") 122 erfüllen muß, damit ihm Vermögen zugeordnet werden kann. Das ist bislang nicht geschehen. - Es hätten ferner die Kriterien, wiederum abstrakt, defIniert werden müssen, nach denen sich die Zuordnung von Vermögen zu einem Inhaber beurteilt. Die Interpretation der gesetzlichen Voraussetzung ("dem, dessen"), die in der Funktion eines "Possessiv"pronomens die Notwendigkeit des "Habens" von (benachteiligungsfähigem) Vermögen anzeigt, steht also ebenfalls aus.

120

BGHSt 3, 32, 40; BGH Vrt. v. 2. 2. 1968 • 2 StR 630/67; Vrt. v. 24. 2. 1976 - 1 StR 602/75.

121

BGHSt 3, 23, 25.

122

Siehe oben Seite 141 f.

182

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

Freilich enthält das Postulat der "eigenen Rechtspersönlichkeit" eine implizite Aussage über die Zuordnungskriterien: um Vermögen haben zu können, bedarf es der Rechtsfähigkeit. So formuliert, indiziert diese Forderung, daß die Beziehung zwischen einem Inhaber und seinem Vermögen eine Rechtsbeziehung zu sein hätte. Damit ließe sich auch der zweite Satz erklären, daß das Vermögen einer eigenen Rechtspersönlichkeit dieser unter Ausschluß ihrer Teilhaber zusteht. Der Satz ist konkret in Bezug auf eine GmbH aufgestellt worden. Er ließe sich begründen, wenn man die §§ 13, 14, 29 GmbHG heranzieht: danach steht das Gesellschaftsvermögen der GmbH zu; die Gesellschafter sind auf ihren Geschäftsanteil und die Gewinne verwiesen. In verallgemeinerter Form lautete die Begründung dann: Für die Zuordnung von Vermögen zu einer Kapitalgesellschaft - oder generell einer juristischen Persön - sind die für diese geltenden gesellschaftsrechtlichen Normen maßgebend. Mit dieser Interpretation der Aussage des BGH stünden freilich die Konsequenzen in Widerspruch, die die Rechtsprechung und der überwiegende Teil des Schrifttums aus dem Postulat der "eigenen Rechtspersönlichkeit" für Personengesellschaften ziehen. Logisch korrekt ist noch die Ableitung, die Personengesellschaft könne schon deshalb kein Vermögen haben, weil sie nicht eigene Rechtspersönlichkeit, also nicht juristische Person sei. Sollen für die Zuordnung des Vermögens die gesellschaftsrechtlichen Normen maßgebend sein, dann müßte aber, da die Gesellschafter Inhaber des Vermögens "zur gesamten Hand" sind, auch strafrechtlich "die Gesamthand", also die Gesamtheit der Gesellschafter, Vermögensinhaber sein. Diesen Schluß ziehen Rechtsprechung und herrschende Meinung indessen nicht. Ein Grund für den diskussionslosen Ausschluß der Möglichkeit, "die Gesamthandsgemeinschaft" könnte Inhaber personengesellschaftlich gebundenen Vermögens sein, könnte darin liegen, daß die klassifikatorischen Funktionen des Begriffs der "eigenen Rechtspersönlichkeit", der im Strafrecht als Synonym für "juristische Person" verwendet wird, nicht gesehen werden. Innerhalb der Materie des Gese//schaftsrechts dient der Begriff dazu, die beiden "Archetypen des Personenverbandes" 123 (Körperschaften und Personengesellschaften) in Bezug auf ihre Fähigkeit voneinander zu unterscheiden, Inhaber von Vermögen sein zu können. Der Begriff "juristische Person" wird deshalb in diesem Bezugsrahmen als Gegenbegriff zur "Gesamhandsgemein-

123

Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, 1980, S. 88, 89; StolI, RG-Festgabe 11, S. 49, 74.

2. Kapitel Aussagen zum Opfer

183

schaft" verwendet, der die Oualität als juristische Person gerade fehlen soll. 124 Nur innerhalb dieses gesellschaftsrechtlichen Bezugsrahmens gilt gesellschaftsrechtlich der Satz, daß nur "juristische Personen" (Körperschaften) Zuordnungssubjekte von Vermögen sein können, Personengesellschaften hingegen nicht; sie sind als Gesamthandsgemeinschaften insofern "Nicht-juristisehe-Personen" . Im Kontext der allgemeinen Personenlehre wird der Begriff "juristische Person" nun dazu benutzt, die verschiedenen Klassen von Personen zu unterscheiden, nämlich die "natürlichen" und die "juristischen". Das kommt bereits in der systematischen Gliederung des ersten Abschnitts des BGB, der mit "Personen" überschrieben ist, klar zum Ausdruck: Dieser Abschnitt ist in die beiden Titel "natürliche Personen" und "juristische Personen" unterteilt. In diesem Bezugsrahmen ist also die "juristische Person" der Gegenbegriff zur "natürlichen Person". Mit der Formel von der "eigenen Rechtspersönlichkeit" hat nun die Rechtsprechung die beiden Funktionen des Begriffs "juristische Person" verwischt. Sie hat das gesellschaftsrechtliche Gegensatzpaar. - juristische "Person" ./. Gesamthandsgemeinschaft übersetzt als - juristische "Person" . /. "Nicht-juristische-Person". Dann hat sie daraus und aus dem personenrechtlichen Gegensatzpaar: - "juristische" Person ./. "natürliche" Person infolge eines unzulässigen Wechsels der Bezugsrahmen das neue Begriffspaar. - juristische "Person" ./. "natürliche" Person gebildet und damit - jedenfalls - die Gesamthandsgemeinschaften aus den weiteren Überlegungen eliminiert. Infolge dieses Verfahrens haben sich Rechtsprechung und herrschende Meinung einerseits dem Zwang entzogen, zu begründen, ob und warnm nur "Personen" im Sinne der allgemeinen Personenlehre Zuordnungssubjekte von Vermögen im Sinne des § 266 StGB sein können. Auf der anderen Seite haben sie dadurch, in methodisch unzulässiger Weise, die - immerhin diskutable Möglichkeit ausgeschlossen, daß mehrere natürliche Einzelpersonen, die je für sich die Oualität einer "eigenen Rechtspersönlichkeit" besitzen, gemeinsam Zuordnungssubjekt von Vermögen sein könnten. Damit ist für das Untreuestrafrecht zugleich der Weg verbaut, zwischen "Gesamthand" und "Bruchteilsgemeinschaft" differenzieren zu können. Während das Reichsgericht jedenfalls diese Differenzierungsmöglichkeit noch erkannte und die Frage aufwarf, wer

124

Siehe oben A I 2).

184

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

unter Berücksichtigung der gesamthänderischen Bindung des Gesellschaftsvermögens als Inhaber des Vermögens einer Personengesellschaft anzusehen ist 125, beurteilt der Bundesgerichtshof die Personengesellschaften strafrechtlich so, als wären sie Bruchteilsgemeinschaften. Auf methodisch nicht überzeugende Weise wird damit insgesamt schon die theoretische Möglichkeit ausgeschlossen, verschiedene (zivilrechtliche) Formen der Beteiligung mehrerer an Rechten und Sachen auch strafrechtlich differenzierend behandeln zu können. IV. Ergebnis

Als Ergebnis bleibt die Aussage, daß Gedenfalls) natürliche Personen Zuordnungssubjekte für Vermögen sein können. Diese Aussage kann mit Rücksicht auf die Verwendung eines Personalpronomens in § 266 StGB ("dem, dessen")

vernünftigerweise nicht in Frage gestellt werden und ist daher zu akzeptieren.

Die Aussage hingegen, daß als Inhaber von Vermögen auch juristische Personen, also alle "Personen im Sinne der Personen/ehre" in Betracht kommen, wird als Prämisse gesetzt. Als solche wird sie nicht begründet. Sie kann aber auch nicht als widerlegt gelten und ist daher diskutabel. Die weiitere Aussage, daß Inhaber von Vermögen nur entweder eine juristische Person oder eine natürliche Person sein kann, beruht auf methodisch unzulässigem Ausschluß der Möglichkeit, daß auch mehrere Personen Inhaber desselben Vermögens sein können. Es bleibt denkbar, daß auch andere soziale Einheiten Zuordnungssubjekte von Vermögen sein können. Ein Indiz dafür liefert die Rechtsprechung selbst, indem sie sich ganz unbefangen solcher Begriffe wie "Bank", "Unternehmen" oder "Firma" jedenfalls dann bedient, wenn nach Lage des Falles eine etwaige (Mit-) Inhaberschaft des Täters an dem angegriffenen Vermögen von vornherein ausscheidet. Diese Möglichkeiten können daher für die weitere Untersuchung nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Es bleibt also zu untersuchen, ob und unter welchen Voraussetzungen auch Personenmehrheiten oder andere Institutionen Zuordnungssubjekte von Vermögen im Sinne des § 266 StGB sein können.

125 RGSt 7, 18, 20: "Das Vermögen der offenen Handelsgesellschaft steht den Handelsgesellschaftem in ihrer Gesamtheit ungetrennt zu, es ist abgesondert von dem Vermögen der einzelnen Gesellschafter"; ebenso RGSt 19, 271; 23, 315, 316. Für die Kommanditgesellschaft (RGSt 18, 123, 124; RG JW 55, 1574) und die BGB-Gesellschaft (RGSt 43, 55, 56f) wurde auf diese Grundsätze ausdrücklich Bezug genommen. Siehe dazu im einzelnen auch oben Teil 1, 3. Kapitel

A.

2. Kapitel Aussagen zum Opfer

185

Die Lösungen hängen davon ab, wie sich die grundsätzliche Frage nach der Subjektivität des Inhabers von Vermögen und der Zuordnung von Vermögen zu einem Inhaber im Rahmen des § 266 StGB beantwortet.

3. Kapitel

Aussagen zur Frage "Auf Grund welcher Beziehung kann eine Person Täter sein?" Die Frage, wer Opfer einer Untreue sein kann, konnte insofern voraussetzungslos beantwortet werden, als sich das Erfordernis eines Zuordnungssubjekts für das angegriffene Vermögen als Problem der gesamten Untreuevorschrift darstellt. Für die Frage danach, welche (gesellschaftsrechtlichen) Beziehungen zwischen Täter und Opfer in Rechtsprechung und Literatur als täterschaftsbegründend eingeordnet wurden, stellt sich jedoch als zusätzliche Vorfrage die, ob und gegebenenfalls wie zwischen täterschaftsbegründenden Beziehungen im Sinne der Mißbrauchs- und solchen im Sinne der Treubruchsalternative zu unterscheiden ist. Es gilt noch immer als weitgehend selbstverständliche Sprachregelung, daß

§ 266 Abs.1 StGB heutiger Fassungzwei Tatbestände enthält: den Mißbrauchs-

und den Treubruchstatbestand. Ist diese Zweiteilung zwingend, dann sind auch die Untreuefälle mit gesellschaftsrechtlichen Bezügen differenzierend zu behandeln und aufgeschlüsselt nach Mißbrauchs- und Treubruchsuntreue zu untersuchen. A. Zur Differenzierung zwischen Mißbrauchs- und

Treubruchsuntreue

Das Problem der Tatbestandsstruktur des § 266 StGB enthält ein Fragendas sich aus lebhaft umstrittenen Einzelfragen zusammensetzt. Sachlich geht es um die Frage, ob den Regelungen des § 266 StGB ein einheitlicher Unrechtskern zugrunde liegt, der sich in dem Erfordernis einer einheitlich zu interpretierenden Vermögensbetreuungspflicht und ihrer Verletzung äußert, oder nicht. Soweit dies verneint wird, geht es um das Verhältnis der beiden, dann als selbständige Tatbestände zu begreifenden Varianten der Untreue zueinander (Konkurrenzfragen). Methodisch liegt dem Problem hingegen die bünde~

3. Kapitel Aussagen zum Täter

187

Frage zu Grunde, ob die Interpretation des § 266 StGB von der- vorauszusetzenden - Vorgabe auszugehen hat, daß die Vorschrift zwei Tatbestände enthalte, oder ob umgekehrt die einzelnen Elemente des § 266 StGB zunächst aus sich heraus nur unter Berücksichtigung des Wortlautes, der grammatikalischen, systematischen und funktionalen Bezüge zu interpretieren sind. Verfolgt man den zweiten Weg, wäre die Beurteilung der Tatbestandsvarianten als "selbständige Tatbestände" allenfalls eine Konsequenz der inhaltlichen Auslegung der einzelnen Voraussetzungen und Varianten der Gesamtvorschrift. I. Das "Zwei-Tatbestände-Konzept" und seine Begründung

Die Annahme, § 266 Abs. 1 StGB enthalte zwei (selbständige) Tatbestände, geht zurück auf die ersten Stellungnahmen und Abhandlungen zu § 266 StGB in der Zeit nach Inkrafttreten der Neufassung. Da authentische Gesetzesmaterialien fehlten, 1 hatten die frühen literarischen Bemühungen um die Erfassung der neuen Vorschrift wegweisenden Charakter, an dem sich Rechtsprechung und Literatur in der Folge orientierten. Das Konzept entwickelte sich in zwei Schritten. 1. Das ursprüngliche ''Drei-Tatbestände-Modell''

Die wissenschaftlichen Abhandlungen, die sich mit § 266 StGB unmittelbar nach Inkrafttreten der Neufassung befaßten, gingen davon aus, daß § 266 StGB drei Einzeltatbestände enthalte, "die sich innerlich vollkommen fremd" seien. 2 Unterschieden wurden: - derMißbrauchstatbestand (seinem Wesen nach notwendig an das Zivilrecht gebunden); - der zivilrechtlich gebundene Treubmchstatbestand (Verletzung einer kraft Gesetzes, behördlichen Auftrags oder Rechtsgeschäfts zivilrechtlich gültigen Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen);

1

Siehe dazu oben in diesem Teil, 1. Kapitel A I.

2 Leiner, Untreue, Diss. Köln 1934, S. 62 unter Bezugnahme auf die Diskussion "in der Sitzung des Strafrechtsausschusses vom 24. 1. 1930"; Dieterich, Untreue, Diss. Tübingen, 1933, S. 84 f; Schoben, Untreue, Diss. Erlangen 1935, S. 9 ff; Schwinge/Sieben, Das neue Untreuestrafrecht, S. 19; zustimmend Ger/and, JW 1933, Sp. 2944; Weslphal, Untreue und Unterschlagung, Diss. Tübingen 1936, S. 15; Schlosky (in: Deutsches Strafrecht, 1938, S. 184) geht von zwei "Mischtatbeständen" aus, deren zweiter wieder in zwei "Untertatbestände" zerfallen soll (S. 229).

188

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

- der rein strafrechtliche oder tatsächliche Treubruchstatbestand (Verletzung einer kraft eines tatsächlichen Treueverhältnisses bestehenden Pflicht,

fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen).

3

Diese Ansicht nahm für sich die Intention "des Gesetzgebers" in Anspruch. Gemeint waren die Äußerungen des Ministerialdirektors Ernst Schäfer, 4 dem dieAutorenschaft für die Gesetzesformulierung zugeschrieben wurde. 5 Dieser hatte erklärt, daß "die neue Fassung des § 266 versucht, in Verwertung und Kombinierung der Grundgedanken bei der Theorien (sc. der Mißbrauchs- und der Treubruchstheorie), ein.en von aller Kasuistik befreiten allgemeinen Tatbestand der Untreue aufzustellen, der bewußt weitgezogen und geeignet ist, die Fälle der strafwürdigen, treuwidrigen Vermögensschädigung möglichst lückenlos zu erfassen." 6 Diese Äußerung wurde so verstanden, daß die Neufassung alle zur Bevollmächtigtenuntreue des § 266 StGB a. F. vertretenen Theorien in sich vereinigen sollte. 7 Deshalb hätten nicht nur die Mißbrauchstheorie und die Treubruchstheorie in der Vorschrift ihren Niederschlag gefunden, sondern die Mißbrauchstheorie und zwei voneinander zu unterscheidende Varianten der Treubruchstheorie. 8 Man ging davon aus, daß § 266 StGB rein "äußerlich" zwar nur in zwei Tatbestände - den Mißbrauchs- und den Treubruchstatbestand - unterteilt sei. Sei es allerdings Zweck der Neufassung, eine Bestrafung auch dann zu ermöglichen, wenn eine zivilrechtlich gültige Pflicht zur Interessenwahrnehmung nicht bestehe, sei für den zweiten, den Treubruchstatbestand, eine sachlich begründete Zweiteilung vorgegeben: Er enthalte einen Tatbestand, der ein zivilrechtlich begründetes und einen der nur ein rein tatsächliches Treueverhältnis voraussetze. 9

3

Schwinge/Sieben, S. 19.

4

DJZ 1933, Sp. 789 ff.

5

Schwinge/Sieben, Das neue Untreuestrafrecht, S.12; Schoben, Untreue, S. 5; siehe auch Fn.

34. 6

Schäfer, DJZ 1933, Sp. 789, 794.

7 So ausdrücklich Schwinge/Sieben, Das neue Untreuestrafrecht, S. 19; Leiner, Untreue, S. 61; Dielerich, Untreue, S. 84; selbst noch Dunkel, Vermögensbetreuungspflicht, S. 56. 8

Dazu oben Teil 1, 2. Kapitel, B I 2.

9

Schwinge/Sieben, Das neue Untreuestrafrecht, S. 18.

3. Kapitel Aussagen zum Täter

189

2. Das ''Zwei-Tatbestände-Modell''

Die Lehre von den zwei Tatbeständen, die in § 266 StGB enthalten sein sollen, geht auf dieselben Wurzeln zurück. Ausgangspunkt war, daß der neue § 266 StGB - insoweit unbestritten - den Theoriendualismus von Mißbrauchsund Treubruchsgedanken durch Kombination beider in einem Straftatbestand überwinden sollte. Daraus wurde unmittelbar nach Inkrafttreten des neuen § 266 StGB, teils noch zurückhaltend formuliert, der Schluß gezogen, § 266 StGB enthalte zwei "Voraussetzungen" 10 oder § 266 StGB fasse "die sämtlichen unter den Begriff der strafrechtlichen Untreue fallenden Tatbestände in zwei Gruppen zusammen". 11 Peschke 12 sprach nur von zwei "Begehungsweisen", die der § 266 StGB enthalte, den "Mißbrauch", über fremdes Vermögen zu verfügen und die "Verletzung der Pflicht", fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen. Ganz überwiegend wurde jedoch angenommen, § 266 StGB enthalte einen "Mißbrauchs- und einen Treubruchstatbestand" . 13 Stellt man auf die dogmatische Einordnung der zugrundeliegenden Theorien ab, so konnte das Zwei-TatbeständeModell für sich in Anspruch nehmen, daß die Treubruchstheorie nach ganz herrschender Ansicht als eine in sich geschlossene, nur in Teilaspekten modifizierte Theorie zum "Wesen der Untreue" bewertet wurde. Der Treubruchsgedanke wurde als das übergreifende - auch Pflichtverletzungs- und Geschäftsführungstheorie einigende - Band angesehen. 14 Sie stand deshalb der Mißbrauchstheorie als geschlossener Block gegenüber.

10

Peschke, DJZ 1933, Sp. 1098.

11

Schneider-Neuenburg, JW 1933, 1701, 1704.

12

DJZ 1933, Sp. 1098.

13

Die Begriffe "Mißbrauchstatbestand" und "Treubruchstatbestand" wurden erstmals von

Sieben(JW 1933, S. 2244) eingeführt; vgi. ferner Schäfer DJZ 1933, Sp. 794; Schneider-Neuenburg, JW 1933, 1701, 1704; Dahm, ZStaatsW 95 (1935), S. 283, 290; Kohlrausch, Festschr. für Schlegelberger, S. 203, 205; Schlosky, in: Deutsches Strafrecht, 1938, S. 184; Kingsley, Untreuerecht, Diss. Basel 1934 (veröffentlicht 1945), S. 124. - Aus dem Nachkriegsschrifttum: Bruns, NJW 1954, 857, 858; H. Mayer, in: Materialien zur Strafrechtsreform Bd. 1, 1954, S. 336; Hebler, in: Wirtschaftsdelikte, S. 193, 195; HeinilZ, Festschr. für H. Mayer, S. 433. 14 Kingsley, Untreuerecht, S. 46. Das räumten selbst einige der Autoren ein, die das "DreiTatbestände-Modell" verfochten; vgi. etwa Schwinge/Sieben, Das neue Untreuestrafrecht, S. 8; Srralenheim, Untreue, S. 14. - Nur vereinzelte Stimmen in der Literatur hatten die zivilrechtlich gebundene Treubruchstheorie (Geschäftsführungstheorie) als eigenständigen Erklärungsansatz eingestuft; so etwa Olshausen, 11. Aufl., § 266 Anm. 1; Kurek, Untreue, S. 11.

190

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

3. Konsequenzen für die Interpretation der Voraussetzungen des § 266 StGB Ging man davon aus, daß in der Neufassung des § 266 StGB (mindestens) diese beiden Theorien über "das Wesen der Untreue" ihren gesetzlichen Niederschlag gefunden hatten, deren Standpunkte als prinzipiell unvereinbar galten, waren folgerichtig auch die Tatbestandsvarianten des § 266 StGB als unvereinbar zu beurteilen. Konsequenz konnte danach nur sein, daß es sich um zwei unabhängig nebeneinander stehende Tatbestände handelte. Es konnte freilich nicht unverborgen bleiben, daß die Voraussetzungen dieser "selbständigen Tatbestände" ihrem Wortlaut nach auf einen und denselben Sachverhalt kumulativ anwendbar waren oder daß gar einer der Tatbestände "nach Belieben" hätte ausgesucht werden können. 15 Dieses Problem sachlicher Überschneidungen der tatbestandlichen Voraussetzungen wurde überwiegend als (ausschließliches) Konkurrenzproblem behandelt. a) "Subsidiarität" des Treubruchstatbestandes Die Lösung des so deftnierten Konkurrenzproblems wurde von Schwinge / Siebert vorgezeichnet, die dem § 266 StGB drei Tatbestände unterlegten. Ihre Deduktion lautete: Sollte die Neufassung die Unvollkommenheiten und Lücken des bisherigen Rechts ausfüllen, dann könne der Anordnung der Tatbestände - also ihrer Reihenfolge in der Vorschrift - nur entnommen werden, daß der Geweils) nachfolgende Tatbestand bestim.mt sei, die Lücken des vorhergehenden zu schließen. Falle also ein konkreter Sachverhalt nicht unter den Mißbrauchstatbestand, sei der zivilrechtlich gebundene Treubruchstatbestand dazu da, diese Fälle aufzufangen; versage auch dieser, sei der (strafrechtliche) Treubruchstatbestand anwendbar. 16 Dieses Stufenverhältnis wurde von den Vertretern des Zwei-TatbeständeKonzepts übernommen 17 und als Subsidiarität bezeichnet. 18

15 Leiner, Untreue, S. 65 f; Schwinge/Sieben, Das neue Untreuestrafrecht, S. 19. - Soweit ersichtlich leugnete nur Schoben (Untreue, S. 9) Überschneidungsmöglichkeiten mit der Begründung, in jedem konkreten Sachverhalt "überwiege" entweder die Verletzung einer zivilrechtlichen Vertretungsbefugnis oder die Verletzung einer Treuepflicht. 16

Schwinge/Sieben, Das neue Untreuestrafrecht, S. 19; ebenso Leiner, Untreue, S. 65/66.

17 RGSt 69, 58, 59; 70, 205, 207; Crort, Die neue Untreuebestimmung, S. 4 f; Schlosky, in: Deutsches Strafrecht, S. 229: "Der zweite Tatbestand gilt nur hilfsweise."

3. Kapitel Aussagen zum Täter

191

Auch in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs - jedenfalls bis zur Scheckkartenentscheidung - setzte sich dieses Verständnis noch fort, 19 wie es auch im Nachkriegsschrifttum weitere Anhänger fand. 20 b) Selbständige Interpretierbarkeit der Tatbestandsmerkmale

Diese als Konkurrenzlösung verpackte Grundannnahme über die Struktur des § 266 StGB hatte freilich erhebliche Konsequenzen für das Verständnis der Voraussetzungen bei der Tatbestände: Waren die Tatbestände selbständig, durfte auch jedes einzelne Merkmal im Kontext des jeweiligen Tatbestandes selbständig ausgelegt werden. aa) Vennögensbetreuungspflicht

Bekannt sind die Konsequenzen für die Frage, ob die Beziehung des Mißbrauchstäters zu dem angegriffenen Vermögen sich in der Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, erschöpft oder ob sie - wie der in einen Kumulativsatz eingebettete Relativsatz, "und dadurch dem, dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat", andeutet (zusätzlich) eine Vermögensbetreuungspflicht voraussetzt. (1) Ausschließliches Charakteristikum des Treubruchstatbestandes

Diejenigen Autoren, die noch heute den Standpunkt vertreten, der Mißbrauchstatbestand bestehe ausschließlich in dem Mißbrauch einer dem Täter eingeräumten Verfügungs- oder Verpflichtungsbefugnis, wenn dieser zu einem Vermögensschaden beim Befugniserteiler geführt habe, berufen sich in erster Linie auf die Selbständigkeit der beiden Tatbestände. 21 Sie führen als (ein) 18 So schon Schwinge/Sieberl, Das neue Untreuestrafrecht, S. 19; !.einer, Untreue, S. 66; ebenso Ger/and, JW 1933, S. 2943 f; Croll, Die neue Untreuebestimmung, S. 5 f. 19 BGH, NJW 1953, S. 1600, 1601; NJW 1954, S. 1616 f; OLG Oldenburg, OGHSt 2, 45 f; OLG Celle, NJW 1959, S. 496, 497;

20 Anl, Festschr. f. Bruns, S. 371; Gribbohm, JuS 1965, S. 389; Samson, Strafrecht 11, Fall 2, S. 23; Schönke/Schröderl!.enckner, § 266 Rdnr. 2; Terwey, Untreuebestimmungen im Strafrechtsentwurf, S. 47; Tredemann, JZ 1975, S. 693; ZirpinslTerslegen, Wirtschaftskriminalität, S. 688; 21 Am in: Festschrift für Bruns, S. 382; Bocke/mann, BT I, § 1811 (S. 138); Heimann-Trosien, JZ 1976, S. 549 ff,551; Ono, Grundkurs, BT. § 54 11 3c (S. 251);Preisendam;, § 266 Anm. 11 2; Samson, SI(, § 266 Rdnr. 13; Schröder, JZ 1972, S. 707; Weise, Mißbrauchsuntreue auf der Grundlage des Bundesliga-Skandals, S. 172 ff. - Deutlich Labsch, Jura 1987, S, 346: "Die 'Vermögensbetreuungspflicht' ... ist ... in der ersten Alternative identisch mit der Pflicht, die 15 NeUes

192

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

Argument (neben anderen) an, die erste Alternative des § 266 StGB werde zu einem letztlich überflüssigen Unterfall der zweiten, wenn man für beide eine Pflicht fordere, fremde Vermögensinteressen zu betreuen, und diese Pflicht identisch interpretiere. 22 Das widerspreche dem Gesetz, das gerade die Aufgliederung in zwei sich ergänzende Tatbestände vorgebe. 23 (2) Differenzierende Interpretation des Betreuungsverhältnisses

Der dualistischen Betrachtung sind schließlich auch diejenigen Aufassungen verhaftet, die zwar dem Wortlaut und dem grammatikalischen Kumulativbezug des Relativsatzes vordergründig Rechnung tragen, indem sie einräumen, daß für beide Untreuevarianten ein Betreuungsverhältnis vorausgesetzt sei, die dieses jedoch für beide Varianten unterschiedlich defInieren. 24 Innerhalb dieser differenzierenden Ansichten wird es zum Teil als ausreichend für eine Vermögensbetreuungspflicht des Mißbrauchstäters angesehen, daß ihm die Vertretungs- oder Verpflichtungsmacht "aufgrund eines Vertrauensverhältnisses eingeräumt" wurde, 2S bzw. daß die Rechtbeziehung im Innenverhältnis Treueelemente rechtlicher oder tatsächlicher Natur aufweise. 26 Andere Autoren stellen darauf ab, ob "die im Außenverhältnis wirksame Befugnis zur Erfüllung einer im Interesse des Geschäftsherrn liegenden Aufgabe" eingeräumt worden sei. r7 Wieder andere schließlich beschränken die Vermögensbetreuungspflicht des Mißbrauchstäters darauf, eingeräumte Befugnis nicht zu mißbrauchen .... Die Vorschrift enthält zwei sich selbständig und alternativ gegenüberstehende Tatbestände.' (Hervorhebungen im Original). Zurückhaltend hatte Labsch früher (Untreue, S. 209, 211, 291 ff) freilich noch gemeint, nach der Scheckkartenentscheidung (BGHSt 24, 386) sei aus rechtspolitischen, verfassungsrechtlichen und pragmatischen Gründen eine Rückkehr zum 'traditionell verstandenen Mißbrauchstatbestand ... nicht möglich' (S. 214 f). 22

So Ouo, Grundkurs, S. 252.

23 Bockelmann, BT, S. 138; Ouo, Grundkurs, BT, § 54 11 3 a (S. 251); Ders., Bargeldloser Zahlungsverkehr, S. 100 f; Preisendan1., § 266Anm. I; Samson, SI(, § 266 Rdnr. 2; Ders., Strafrecht 11, 4. Aufl., 1983, S. 93 (Fall 9).

24 So mit im einzelnen unterschiedlicher Begründung und unterschiedlichen Ergebnissen Bringewat, GA 1973, S. 353ff, 360; Haft, BT § 2811 1 (S. 213); Holzmann, Bauträgeruntreue, S. 126 f; Maurach/ Schroeder, BT I, § 47 Alb) (S. 443); Ouo, Grundkurs BT, § 54 lI2 (S, 259); Sieber, Computerkriminalität, S. 241 ff; Ders., Nachtrag 1980, S. 2/17. 2S

Eser, IV, Nr. 17 A 41 (S. 187); Sieber, Computerkriminalität, S. 244 f.

26

Bringewat, GA 1973, S. 353 ff, 363.

r7

Lenckner in Schönke/Schröder, § 266 Rdnr. 11; Seelmann, JuS 1982, S. 914 ff, 917.

3. Kapitel Aussagen zum Täter

193

daß ihm mit der Befugnis der selbständige Umgang mit fremdem Vermögen übertragen werde, der ihm im Innenverhältnis nicht unbeschränkt erlaubt sei. 28 Nun werden die verschiedenen Interpretationsinhalte nicht (nur) damit erklärt und begründet, daß § 266 StGB zwei selbständige Tatbestände enthalte. Vielmehr beruhen die (varüerenden) Begründungen - "auf einen Generalnenner gebracht" 29 - auf der These, die Pflicht zur Fürsorge für fremdes Vermögen diene allein der Eingrenzung des Treubruchstatbestandes, um diesen vor einer Kollision mit Art. 103 Abs. 2 GG zu bewahren. 30 Da sich dieses Problem für den hinreichend konturierten Mißbrauchstatbestand nicht stelle, sei es unzulässig, die Eingrenzung auch in ihn hineinzutragen. 31 Diese Begründungen setzen jedoch - stillschweigend - voraus, daß die unterschiedliche Interpretation desselben Wortes ("betreuen") 32 zulässig ist. Die methodische Legitimation, wenn es eine solche gibt, kann allenfalls darin gefunden werden, daß derselbe Begriff in demselben (Teil-) Satz Bestandteil zweier selbständiger Tatbestände ist. Offen stellt - und beantwortet - nur Bringewat diese Frage, indem er sich für die Zulässigkeit einer solchen Auslegung darauf beruft, daß "auch sonstige über das Strafrecht verstreute gleichlautende Begriffe teleologisch im Licht des jeweiligen gesetzlichen Tatbestandes unterschiedlich interpretiert" werden. 33 Akzeptiert man diese - unausgesprochene Prämisse nicht, ist damit auch allen anderen Erklärungen und Begründungen für ein gespaltenes Verständnis der Vermögensbetreuungspflicht der Boden entzogen.

bb) Gespaltener Vennögensbegriff Welche Folgen die bedingungslose Annahme zweier selbständiger Tatbestände innerhalb des § 266 StGB haben kann, zeigt sich ferner an einem - zu Recht - in Vergessenheit geratenen Versuch, auch das zu betreuende Ver-

28 0"0, Grundkurs, BT, § 54 112 (S. 259); Ders., Zahlungsverkehr, S. 101; ebenso Holzmann, Bauträgeruntreue, S. 127. 29

Hübner, LI(, § 266 Rdnr. 10.

30 So

die Zusammenfassung der Argumentation bei Hübner, LI(, § 266 Rdnr. 10.

31

Blei, JA 1973, S. 605; siehe auch Fn. 26.

32

Darauf weist Hübner, LI(, § 266 Rdnr. 10 zu Recht hin.

33

Bringewal, GA 1973, 362; ebenso Dunkel, GA 1977, S. 336.

194

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

mögen für beide Tatbestände unterschiedlich zu interpretieren. Kahn 34 argumentiert, der Begriff "fremde Vermögensinteressen" (in der Treubruchsvoraussetzung "Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen") spreche für ein rein wirtschaftliches Verständnis des Vermögens im Treubruchstatbestand. Vermögensinteressen seien fremd, wenn sie den "Bestandteil eines wirtschaftlich einem anderen gehörenden Vermögens bilden und dem freien Verfügungsrechte des Täters entzogen" seien. 3S "Fremdes Vermögen" als Voraussetzung des Mißbrauchstatbestandes sei demgegenüber zwar auch alles, "was im wirtschaftlichen Sinne zum Vermögen dazugehört"j es sei aber darüber hinaus erforderlich, daß es. für den Täter "auch juristisch fremd" sei. 36 Auch diese schon in sich unschlüssige These beruht darauf, daß die Wiederholung des Begriffs in dem Relativsatz ("dem dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat") entweder nicht zur Kenntnis genommen oder von vornherein, als Merkmal eines "selbständigen" Treubruchstatbestandes, nur auf diesen bezogen wurde. 37 11. Die Lehre von der "Einheit der Untreuebestimmung" Das grundsätzliche GegenmodeU zum zuvor skizzierten "Zwei-TatbeständeKonzept" ist in der Annahme angelegt, daß die "Untreuebestimmung eine Einheit" bildet. 38 Diese Theorie, als "neue Lehre" bezeichnet, 39 die sich erst auf Grund der Scheckkartenentscheidung des Bundesgerichtshofs 40 und infolge der literarischen Auseinandersetzungen mit ihr "von heute auf morgen" 41 herausgebildet haben soU, ist alles andere als "neu". Auch sie hat frühe Vorläufer, die teils unter der "Billigflagge" von Konkurrenzüberlegungen segelten, teils - zu Unrecht - in Vergessenheit geraten sind.

34 Vermögensbegriff bei den Vermögensdelikten des StrafgesetzbUChes, Diss. Köln 1936, S. 33 - 37.

3S

Kahn, a.a.O. S. 34 unter Berufung auf SehneiderNeuenburg, GA Bd.

36

Kahn, Vermögensbegriff, S. 36.

n, S. 328.

37 Die methodischen Grundlagen seiner Theorie bleiben bei Kahn unaufgeklärt (Vermögensbegriff, S. 35 einerseits und S. 36 andererseits). 38

So formuliert bei Mauraeh, BT, 5. Aufl., § 39 11 A (S. 339).

39

So vor allem Labseh, Untreue, S. 83 ff.

40

BGHSt 24, 386.

41

!.abseh, Jura 1987, S. 344.

3. Kapitel Aussagen zum Täter

195

1. Mißbrauch als Unter/all des Treubruchstatbestandes ("Spezialität")

Recht bald, nachdem sich das "Zwei-Tatbestände-Konzept" durchzusetzen begann, ging das Reichsgericht, das diesen Ansatz zunächst aufgegriffen hatte, 42 dazu über, den Mißbrauchstatbestand als Unterfall des Treubruchstatbestandes einzuordnen. 43 Grund hierfür war die "nahezu vollständige Überdeckungdes Mißbrauchstatbestandesdurch den Treubruchstatbestand". 44 Das Verhältnis der beiden Tatbestände zueinander wird von den Vertretern dieser Ansicht als "Spezialität" bezeichnet. 4S Zwar sollte es nach dieser Bewertung der Konkurrenzverhältnisse - wie schon nach der Subsidiaritätsthese 46 - erst zulässig sein, aus dem Treubruchstatbestand zu bestrafen, wenn die Voraussetzungen des Mißbrauchstatbestandes nicht vorlagen, 47 jedoch waren die Prämissen andere. Der Mißbrauchstatbestand konnte nur dann als "formalrechtlich schärfer umrissener" Unterfall des Treubruchstatbestandes 48 verstanden werden, wenn letzterer für den Unrechtstypus beider Tatbestände charakteristisch war. Der Treubruchsgedanke mußte also (konkludent) zum übergreifenden Prinzip des gesamten § 266 StGB erhoben werden, wenn die Annahme in sich schlüssig sein sollte, daß der Mißbrauchstatbestand ein (ausgestanzter) Unterfall 49 des Treubruchstatbestandes sei. Deshalb stellt sich diese "Konkurrenz"-Lehre, obwohl sie formal dem "Zwei-Tatbestände-Konzept" verhaftet blieb, als der erste Schritt dar, "den" § 266 StGB als materiell geschlossenes System zu begreifen.

42

Siehe oben Fn.17.

43

Etwa RGSt 73, 283, 284.

44

So Kohlrausch, Festschrift für Schlegelberger, S. 205 f; ebenso bereits Stanner, Untreue,

S.27.

4S RGSt 73, 283, 284. - Sie soll dann vorliegen, wenn mehrere Strafgesetze, die denselben Sachverhalt erfassen, sich dadurch unterscheiden, daß das eine Gesetz eines oder mehrere Begriffsmerkmale des anderen enger begrenzt und spezieller ausgestaltet; RGSt 14, 386; 60, 122; Geerds, Konkurrenz, S. 193; ScMnke/SchriJder/Stree, Vorbem. vor §§ 52 ff Rdnr. 110.

46

Siehe oben S. 190.

47 Schürer, Untreue, S. 23; vgI. ferner Winter, Regelung der Untreue, S. 13 m.w.N.; so ausdrücklich später noch OLG Hamm, NJW 1968, S. 1940; ebenso Dreher, 33. Aufl., § 266 Anm. 1; Maurach, BT, 5. Aufl., § 39 11 A (S. 339); D. Mryer, JuS 1973, S. 216. 48

339). 49

So die spätere Lesart bei Maurach BT 4. Aufl., § 39 A 11 (S. 323); 5. Aufl., § 39 A 11 (S. Habner, LK § 266 Rdnr. 17.

196

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

2. Konsequenzen für die Interpretation der Voraussetzungen des § 266 StGB a) Die "Vertretungsmacht" des Mißbrauchtatbestandes als Regelbeispiel für das "Treueverhältnis" Der Gedanke, daß "die Untreuebestimmung eine Einheit" bildet, so wurde zunächst von Hellmuth Mayer aufgegriffen 51 und dazu herangezogen, den Treubruchstatbestand "auf ein seiner Tragweite entsprechendes Maß zu beschränken." 52 Der Treubruchstatbestand ergänze den Mißbrauchstatbestand lediglich; seine Funktion bestehe darin, auch Pflichtverletzungen im Innenverhältnis und Unterlassungen miteinzubeziehen. Darum müsse der Begriff des "Treueverhältnisses" gegenüber fremdem Vermögen in Anlehnung an die "Vertretungsmacht" des Mißbrauchstatbestandes ausgelegt werden. 53 Ziel dieses Auslegungsbemühens war es, den Treubruchstatbestand, der "nicht die Anforderungen einer ausreichenden Tatbestandsbestimmtheit" erfülle, S4 schärfer zu umreißen. Es ging (noch) nicht darum, die gesamte Vorschrift des § 266 StGB in ihrer Struktur zu erfassen und jede ihrer Voraussetzungen im Kontext der Norm zu interpretieren. Insofern weist zwar der Ansatz auf die Existenz eines möglicherweise geschlossenen Konzeptes hin; die hier geschilderte Auffassung zog daraus aber nur halbherzige Konsequenzen. Sie postulierte zwar die Einheit der Untreuebestimmung, nutzte diesen Ansatz aber in Wahrheit dazu, den Mißbrauch als Prototyp der Untreue hinzustellen, indem sie aus ihm Erkenntnisse für den Treubruch ableitete. Eine einheitliche Interpretation hätte dazu genötigt, auch ein umgekehrtes Abhängigkeitsverhältnis der bei den Alternativen in die Untersuchung einzubeziehen.

so Welzet, Lehrbuch, S. 386. 51 H. Mayer, ZBIHR 1933, S. 145 ff; Ders., GS 104 (1934), S. 100 ff, 125, dort insbes. Fn 1; schon früher Ders., Untreue, S. 121f, 175, 187f. 52

So formuliert es Maurach, BT 5. Aufl., 1969, § 39 11 A (S. 339).

53

Welzel, Lehrbuch, S. 386; Duo, Struktur, S. 321.

S4

Welzel, Lehrbuch, S. 386.

3. Kapitel Aussagen zum Täter

197

b) ''Keine Untreue ohne Treubruch"

Den ersten Versuch, § 266 StGB losgelöst von der Vorgabe zu interpretieren, die Vorschrift umfasse zwei Tatbestände, unternahm Kurek. 55 Seine Ergebnisse decken sich zwar mit denen der späteren Scheckkartenentscheidung des Bundesgerichtshofs; sie sind jedoch bei Kurek - im Gegensatz zum Bundesgerichtshof, der seinen Standpunkt sachlich nicht begründet, 56 - Ergebnisse einer sorgfältig entwickelten Argumentation. Sein Konzept soll deshalb im Zusammenhang dargestellt werden. aa) Die Argumentation von Kurek

Mit dem Ziel, das "Treueverhältnis" zu konkretisieren und dadurch den weiten Treubruchtatbestand zu legitimieren, griff Kurek zwar auf die historische Entwicklung des Untreuestrafrechts zurück, stellte aber den Wortlaut des § 266 StGB in den Vordergrund: S1 Untreue in der Mißbrauchs- wie in der Treubruchsvariante sei nur gegeben, wenn der Täter denjenigen schädige, "dessen Vermögensinteressen er zu betreuen" habe. Kurek interpretierte diesen Relativsatz in der Weise, daß der Täter denjenigen benachteiligen müsse, "gegenüber dessen Vermögensinteressen ihm eine Treupflicht" obliege; folglich sei "das Treuverhältnis unerläßlich Voraussetzung der Untreuetäterschaft." 58 Diese These ist nicht etwa als Tribut an ein nationalsozialistisches Strafrechtsverständnis zu werten. Trotz einiger - damals wohl notwendigerterminologischer Konzessionen stellte sich Kurek vielmehr in seinem rechtsstaatlichen Vorverständnis dazu in Gegensatz, indem er auf dem Bestimmtheitsgrundsatz beharrte. 59

55

Die Untreue in ihrem Verhältnis zur Unterschlagung, Diss. Gießen 1942.

56

Dazu im folgenden unter bb).

S1

Kurek, Untreue, S. 17 - 19.

58

Kurek, Untreue, S. 22/ 23 (Hervorhebung von Verf.).

59 So begrüßt etwa Dahin (ZStaatsW 1935, S. 290) aus nationalsozialistischer Sicht die Tatsache, daß der Treubruchsgedanke "um den Preis einer weitgehenden Auflockerung, man kann fast sagen, einer Auflösung des Tatbestandes" in § 266 StGB gesetzliche Anerkennung gefunden habe. - Kurek hingegen hält aus eben diesem Grunde eine "nähere Bestimmung" der Voraussetzungen des Treubruchstatbestandes für erforderlich (Untreue, S. 30).

198

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

IWrek begründete sein Ergebnis historisch mit dem Nachweis, daß die zu

§ 266 StGB (a. F.) entwickelte und dem § 266 StGB (n. F.) zugrundeliegende

Treubruchstheorie zum Teil in sich widersprüchlich vertreten worden sei. Es sei bereits inkonsequent gewesen, einerseits (mit der Mißbrauchstheorie) eine rechtsgeschäftliche Bevollmächtigung (ohne Treueverhältnis) für § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB (a. F.) ausreichen zu lassen, andererseits aber gerade mit der Begründung, die Vorschrift strafe den Treubruch, die sonstigen Fälle (nicht rechtsgeschäftlicher Bevollmächtigung) darunter zu fassen. 60 Die Ausdehnung des § 266 Abs. 1 Ziff. 2 StGB (a. F.) würde als Ergebnis einer widerspruchsfreien Ableitung nur dann legitim gewesen sein, wenn die für den Unrechtstypus entscheidende Verletzung eines Treueverhältnisses zugleich - dann aber einschränkend - auch für den Mißbrauch einer (rechtsgeschäftlichen) Vollmacht gefordert worden wäre. 61 In grammatikalischer Hinsicht gingIWrek von der Wendung aus, daß bestraft werde, wer durch Mißbrauch einer Verfügungsbefugnis oder Verletzung einer Rechtspflicht dem, "dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat, Nachteil zufügt". Sie beziehe sich auf beide Tatbestandsalternativen des § 266 StGB und könne deshalb nur eine einheitliche Bedeutung besitzen. Aufgrund dieses "klaren Wortlauts" könne "kein Zweifel daran bestehen", daß Täter der Mißbrauchsuntreue und der Treubruchsuntreue nur sein könne, wer fremdes Vermögen zu "betreuen" habe, daß mit anderen Worten in beiden Fällen "ein Treuverhältnis unerläßliche Voraussetzung" sei. 62 "Treueverhältnis" sei als Tatbestandsvoraussetzung jedoch zu unbestimmt und müsse inhaltlich unter Berücksichtigung der Normstruktur genauer defIniert werden. Aus der Tatsache, daß der Täter "fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen" habe, könne nur gefolgert werden, daß das Treueverhältnis ein solches vermögensfürsorgerischer Alt sein müsse. Es gelte der Satz: "Allgemeines Treueverhältnis plus Vermögensfürsorgepflicht = strafrechtliches oder durch § 266 StGB 'geschütztes' Treueverhältnis." 63 Wichtigste Konsequenz dieses Satzes se~ daß das Vorliegen eines allgemeinen Treueverhältnisses allein niemals die Strafbarkeit des § 266 StGB zu begründen vermöge; es müsse stets eine Pflicht zur Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen hinzukommen. Umgekehrt reiche die Existenz einer Vermögensfürsorgepflicht

60

Kurek, Untreue, S. 18.

61

Kurek, Untreue, S. 19.

62

Kurek, Untreue, S. 21; im Ansatz schon ebenso Schürer, Untreue, S. 23.

63

Kurelc, Untreue, S. 31.

3. Kapitel Aussagen zum rater

199

für die Untreue täterschaft nicht aus, wenn diese Verpflichtung nicht auf einem Treueverhältnis beruhe. 64 Erst aus dieser Inhaltsanalyse leitete Kurek dann seine Aussage zum "Konkurrenz" -VerhältnisderTatbestandsalternativenab: DerTreubruchstatbestand könne nicht "subsidiärer" Auffangtatbestand sein, weil der in ihm kodifizierte Treubruchsgedanke die gesamte Vorschrift übergreife. Vielmehr werde in der Mißbrauchsalternative ein Fall gesondert geregelt, der bereits von dem allgemeinen - dem Treubruchstatbestand - erfaßt sei; insoweit enthalte die Mißbrauchsalternative den "spezielleren" Tatbestand. 65

bb) Das Scheckkartenurteil des Bundesgerichtshofs Der BGH charakterisiert die Struktur des § 266 StGB in seinem Urteil vom 26. 7. 1972 66 mit folgendem Satz: "Wie schon aus dem Wortlaut des § 266 StGB hervorgeht, setzen beide üblicherweise als Mißbrauchs- und Treubruchstatbestand bezeichnete Alternativen dieser Bestimmung voraus, daß der Täter fremde Vermögensinteressen von einiger Bedeutung zu betreuen hat. An einer solchen Vermögensfürsorgepflicht fehlt es im Verhältnis des Scheckkarteninhabers zu seiner Bank oder Sparkasse." 67 Soweit sich die Entscheidung an dieser Stelle zur Begründung auf Vonnahme 68, Sennekamp (R und Zahmt 70 beruft, belegen diese Zitate allenfalls die Aussage, esbestehe keine Vermögensfürsorgepflicht des Scheckkarteninhabers gegenüber der Bank. Die genannten Autoren hatten diese Frage freilich nur für den Treubruchstatbestand erörtert, den sie mit dieser Begründung ablehnten, nachdem sie den Mißbrauchstatbestand bereits wegen fehlender rechtsgeschäftlicher Vollmacht des Scheckkarteninhabers hatten scheitern lassen. Der Satz, (auch) die Mißbrauchsalternative setze voraus, daß "der Täter

64

Kurek, Untreue, S. 31.

65

Kurek, Untreue, S. 70, 73, 75; ebenso Scharer, Untreue, S. 23.

66

BGHSt 24, 386.

67

BGHSt 24, 387.

68

NJW 1971, S.443.

(R

MDR 1971, S. 638.

70

NJW 1972, S. 277 und NJW 1972, S. 1095.

200

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

fremde Vermägensinteressen von einiger Bedeutung zu betreuen" habe, steht also als reine Behauptung in der Entscheidung. Sie wird auch durch den Hinweis auf den Wortlaut des § 266 StGB nicht plausibler, weil der Leser des Gesetzes vergeblich nach dem Merkmal "fremde Vermägensinteressen von einiger Bedeutung" fahndet. Die Rechtsprechung hat dessenungeachtet an diesem einmal aufgestellten Satz festgehalten 71 und es der Literatur überlassen, Begründungen dafür zu entwickeln, auf die sie dann selbst wieder unter Berufung auf eine "herrschende Meinung" (auch in der Grundsatzfrage) zurückgriff. 72 Weder im Scheckkartenurteil noch in den ihm folgenden Entscheidungen ist noch von der "Tatbestandsqualität" der Mißbrauchs- und Treubruchsalternative die Rede. Legt man den Wortlaut der Scheckkartenentscheidung zugrunde, dürfte es sich nach Auffassung des Senats bei den "Alternativen dieser Bestimmung" um unselbständige Modalitäten eines Tatbestandes handeln. Dafür spricht auch das Urteil des BGH im sogenannten Bundesliga-Skandal; dort hat der 4. Senat es ausdrücklich dahinstehen lassen, "ob tatsächlich (nur) der Treubruchstatbestand oder (auch) der Mißbrauchstatbestand erfüllt" sei, 73 ein Vorgehen, daß sich verboten hätte, wenn die Alternativen im Verhältnis eines spezielleren zum allgemeinen Delikt zueinander stünden. Der Große Senat in Strafsachen hat hingegen - in einem obiter dictum darauf hingewiesen, daß vor Verurteilung aus einem der beiden Tatbestände des § 266 StGB in Abweichung von der in der Anklageschrift gewählten Alternative ein rechtlicher Hinweis nach § 265 StPO erforderlich sei. 74 Er hat mit anderen Worten befunden, daß Mißbrauchs- und Treubruchsalternative im Verhältnis zueinander jeweils "ein anderes Strafgesetz" (§ 265 Abs. 1 StPO) sind. Indessen ist dieses gelegentlich als Beleg für die Selbständigkeit der

71 OLG Hamm, NJW 1977, S. 1834 Cf; OLG Köln, NJW 1978, S. 713 ff; OLG Hamburg, NJW 1983, S. 768; zuletzt BGHSt 33, 244, 250 (Kredtitkartenentscheidung); OLG Köln, StrVert 1989, 66 f. 72 So

73

etwa OLG Köln, NJW 1978, S. 713, 714.

BGH, NJW 1975, S. 1234.

74 BGHSt 26, 167,174. Im Grundsatz auch BGH b. Miebach, NStZ 1988, 449, jedoch mit der Einschränkung, die genaue Bezeichnung der Begehungsformen sei "in den Fällen des § 266 StGB jedenfalls dann nicht erforderlich, wenn ... nach Anklageschrift und Eröffnungsbeschluß der Verfahrensgegenstand eindeutig festgelegt und der Lebenssachverhalt im wesentlichen so geschildert ist, wie er im Urteil festgestellt wurde."

3. Kapitel Aussagen zum Täter

201

Tatbestände angeführte Argument 7S schon wenig aussagekräftig für die Frage, ob § 266 StGB (überhaupt) zwei Tatbestände enthält. Sie besagt jedenfalls nichts darüber, wie sie sich zueinander verhalten. Der Begriff des "anderen Strafgesetzes" ist nämlich im Kontext des § 265 StPO unter Berücksichtigung seines Normzwecks, eine "unfaire Überraschung" des Angeklagten zu verhindern, 76 im weitesten Sinne zu verstehen. Die Hinweispflicht soll gerade nicht auf die Fälle beschränkt sein, in denen ein anderer oder weiterer gesetzlicher "Tatbestand" in Betracht kommt. Sie wird vielmehr schon dann ausgelöst, wenn nur zwischen mehreren" andersartigenErscheinungsformen" derselben Straftat gewechselt wird. 77 Zwar wurde gelegentlich in der Rechtsprechung die "andersartige Erscheinunfsorm" in der Weise interpretiert, daß es sich dabei um wesensmäßig andere Begehungsformen handeln müsse, die als andersartige Tatbestände zu bezeichnen wären; 78 jedoch hat der 1. Senat 79 im Anschluß an eine in der strafverfahrensrechtlichen Literatur verbreitete Ansicht 80 und unter ausdrücklicher Aufgabe seines früher vertretenen Standpunktes 81 entschieden, daß auch unbenannte Strafschärfungsgründe (Regelbeispiele) zu den "anderen" Erscheinungsformen einer Straftat gehören und deshalb die Hinweispflicht auslösen, obwohl sie gerade keine selbständigen Straftatbestände, sondern nur Strafzumessungsregeln enthalten. 82 ce) Rezeption und Begründung in der neueren Literatur

Die Scheckkartenentscheidung hat auf breiter Basis eine Umkehr des methodischen Zugriffs auf die Analyse des § 266 StGB bewirkt. Der Streit um 7S Vgl. Eser, Strafrecht IV, S. 183 (Fall 17, A 10); Schönke/SchröderiCramer,18. Aufl., § 266 Rdnr.2.

76

Kleinknecht/Meyer, StPO, § 265 Rdnr. 1.

77

BGHSt 23, 95, 96; 25, 287, 288f.

78 So etwa BGH Urt. v. 17.7. 1962 - 1 StR 266/62. Konsequenz wäre, daß etwa § 211 StGB soviele verschiedene Tatbestände enthielte wie Mordmerkmale; vgl. dazu BGHSt 23, 95, 96. 79

BGH, NJW 1980, S. 714.

80 Gollwitzer in: Löwe/Rosenberg, 23. Aufl., § 265 Rdnm. 43, 44; Arzt, JuS 1972, 516, 517; WesseIs, in: Festschrift für Maurach, 1972, S. 308. 81

in NJW 1977, S. 1830.

82 Auf der sachlich unzutreffenden Gleichsetzung eines "anderen Strafgesetzes" im Sinne des § 265 StPO mit einem anderen "Tatbestand" beruht auch die Folgerung von Schönke/Schröder/Lenckner (§ 266 Rdnr. 2), § 266 StGB enthalte zwei Tatbestände, obwohl Lenclmer in der Sache eine vereinheitlichende, beide "Tatbestände" übergreifende Interpretation dieser Vorschrift verfolgt; dazu unten 3. c).

202

2. Teil GesellschaCtsbezogene Untreueprobleme

die Struktur und die Auslegung des § 266 StGB hat sich zu einer Auseinandersetzung in erster Linie mit der inhaltlichen Frage entwickelt, ob neben dem schon immer als gemeinsam für beide Tatbestände geltenden Erfordernis der Nachteilszufügung ein weiteres, für heide Alternativen gleichermaßen geltendes Tatbestandsmerkmal in dem Relativsatz enthalten ist, "dem, dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat."

(1) Zur Vennögensbetreuungspflicht des Mißbrauchstäters Im Ergebnis hat die Literatur ganz überwiegend den Standpunkt des Bundesgerichtshofs übernommen. Danach soll das Charakteristikum der Mißbrauchsalternative nach wie vor darin bestehen, daß der Täter eine ihm eingeräumte Verfügungs- oder Verpflichtungsbefugnis mißbraucht und dadurch eine Vermögensbeschädigung des Berechtigten bewirkt. Die Tathandlung wird - in Anlehnung an die Definition der (früheren) Mißbrauchstheorie 83 - weiterhin schlagwortartig als Überschreitung rechtlichen Dürfens im Rahmen rechtlichen Könnens umschrieben. 84 Darüber hinaus muß den Befugnisinhaber jedoch eine Vermögensbetreuungspflicht treffen,8S die er durch Überschreiten des rechtlichen Dürfens verletzt. Gestritten wird freilich noch darüber, wie die Vermögensbetreuungspflicht inhaltlich zu bestimmen ist. Überwiegend wird postuliert, daß die Vermögensbetreuungspflicht des Mißbrauchstäters der des Treubruchstäters entsprechen müsse. Deshalb hätten die - im einzelnen wiederum uneinheitlich beurteilten - Kriterien und Definitionen maßgebend zu sein, die in Rechtsprechung und Literatur zu

83

Siehe dazu oben Teil 1, 2. Kapitel, B I 2.

84 Hübner, LK § 266 Rdnm. 59, 70; Lackner, § 266 Anm. 3 b); Wesse/.s, BT 11, § 18 11 3 (S. 143 f).

8S Benfer, BT I, Rdnr. 671; Dunkel, Vermögensbetreuungspflicht, S. 105f, 128, 215 ff; Ders., GA 1977, S. 329 ff (336, 339); &er, IV Nr. 17 a 11 Cf (s. 183); Gössel, JR 1978, S. 469 ff, 473; Hübner, LK § 266 Rdnm. 5,9,14-17; Ders., JZ 1973, S. 407 ff, 410; Kohlmann, JA 1980, S. 228 ff, 229; Kohlmann/Brauns, Fehlleitung öffentlicher Mittel, S. 62; Krey, BT 11, S. 167, 170; Lackner, § 266 Anm. 2 b); D. Meyer, JuS 1973, S. 214ff, 215; Neye, Untreue, S. 34, Fn.I90; Schmidhäuser, BT 11/60 ff; Schreiber/Beutke, JuS 1977, S. 656 ff, 657; Seebode. JZ 1973, S. 117 ff, 119f; Vonnbaum, JuS 1981, S. 18ff, 20f; U. Weber, LH 4, Rdnm. 73, 84, 103; Wesse/.s, BT 11, § 18 11 (S. 142 Cf); Wentzel, Scheckkartenverfahren, S. 247 ff; Wieczorek, BT, S. 191.

3. Kapitel Aussagen zum Täter

203

Inhalt und Umfang der Treuepflicht des Treubruchstäters entwickelt worden sind. 86 Teilweise wird unter Berufung auf den Standpunkt der Rechtsprechung dazu vertreten, die Vermögensbetreuungspflicht habe unter Berücksichtigung der spezifischen Beziehungen des Mißbrauchstäters zu dem betreuten Vermögen einen von der (Treubruchs-) Treuepflicht verschiedenen Inhalt; es reiche die befugnisimmanente Betreuungspflicht aus. 1fT Diese Stellungnahmen stehen jedoch trotz verbalen Bekenntnisses zur Rechtsprechung nicht in Einklang mit deren methodischem Ansatz einer einheitlichen Interpretation des § 266 StGB. Sie sind vielmehr - wie oben dargelegt - dem (alten) "Zwei-TatbeständeKonzept" verhaftet. 88 Diese Auffassungen stehen und fallen deshalb mit der Antwort auf die Frage, welcher Ansatz der methodisch richtige oder überzeugendere ist. Gleiches gilt selbstverständlich erst recht für die Ansicht, als deren aktueller Stimmführer Labsch gelten darf, die ausdrücklich gegen eine einheitliche Interpretation und für die These eintritt, der Mißbrauchstatbestand setze lediglich die Pflicht voraus, die eingeräumte Befugnis nicht zu mißbrauchen; 89 § 266 StGB enthalte "zwei sich selbständig und altemativ gegenüberstehende Tatbestände." 90 Schließlich gehen einige literarische Äußerungen insofern über den Ansatz der Rechtsprechung hinaus, als sie zwar grundsätzlich einer einheitlichen Interpretation der Untreue, ausgehend von einer bei den Alternativen gemeinsamen Vennögensbetreuungspflicht, zustimmen, jedoch daraus weiterreichende 86 So BGHSt 24, 386 ff; Dunkel, Vermögensbetreuungspflicht, S. 217ff, 236; Ders., GA 1977, S. 339; Hübner, LK § 266 Rdnrn. 9, 10, 14; Krey, BT 1I, S. 167, 170; Schmidhiluser, BT 11/62; Schreiber/Beulke, JuS 1977, S. 657; Seebode, JR 1973, S. 119; U. Weber, LH 4, Rdnrn. 73, 106; Wentzel, Scheckkartenverfahren, S. 251.

1fT So mit im einzelnen unterschiedlicher Begründung und teils unterschiedlichen Ergebnissen Bringewal, GA 1973, S. 353 ff, 360; Ders., NStZ 1983, S. 458; Geppert, JK, StGB, § 263/15; Haft, BT § 28 1I 1 (S. 213); Holzmann, Bauträgeruntreue, S. 126 f; Maurach/Schroeder, BT I, § 47 A Ib) (S. 443); Ouo, Grundkurs, BT, § 54 112 (S, 259); Seelmann, JuS 1982, S. 917; Sieber, Computerkriminalität, S. 241 ff; Ders., Nachtrag, S. 2/17; Steinhilper, Jura 1983, S. 408. 88 Auszunehmen sind die Ansichten, die zwar - wie etwa Schönke/Schröder/Lenckner (§ 266 Rdnr. 2) unter Hinweis auf § 265 StPO - von 'zwei Tatbeständen" ausgehen, diese aber als gleichrangige 8egehungsalternativen eines übergreifend zu interpretierenden Untreuetatbestandes einordnen wie Sax (JZ 1977, S. 663 ff) und Schlüchter (JuS 1984, S. 675 ff); dazu unten 3. b). 89 lAbsch, Untreue, S. 212, 305 ff; Ders., Jura 1987, S. 343 ff; ebenso Schlüchter, JuS 1984, S. 676 f, 680; siehe ferner die Nachweise oben Fn. 22 - 24. 90

lAbsch, Jura 1987, S. 347 (Hervorhebungen im Original).

204

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

Konsequenzen ziehen. Für die Mißbrauchsalternative erschöpfe sich die Fragestellung nicht darin, ob den Täter eine (zusätzliche) Vermögensbetreuungspflicht treffen müsse. Man müsse (dann) auch die Tathandlung anders als nach der überkommenen Mißbrauchstheorie interpretieren. So wird teils gefordert, es sei das Dogma aufzugeben, Mißbrauch sei nur durch rechtsgeschäftliches Handeln möglich. 91 Hinreichend sei schon, wenn "der Täter von dem Geschädigten eine Rechtsstellung eingeräumt erhalten hat, die ihm die Möglichkeit eröffnet, fremdes Vermögen in rechtsgültiger Weise zu beeinträchtigen". 92 Deutlicher formuliert es Arzt, der ausdrücklich die herkömmliche Auffassung, nach der der Mißbrauch die "Schädigung des Opfers durch rechtlich bindendes Geschäft mit einem Dritten" voraussetzt, 93 für zu eng befmdet. 94 Seiner Ansicht nach soll es ausreichen, wenn derjenige, dem eine entsprechende Befugnis eingeräumt ist, den Vertretenen in Ausübung dieser Befugnis durch "irgendein" rechtsgeschäftliches Handeln schädigt. 95 (2) Zum Charakter der Alternativen als "Tatbestände"

Es liegt in der Konsequenz einer einheitlichen Interpretation des § 266 StGB, die beide Alternativen als "Erscheinungsformen gleichgearteten Unrechts" 96 wertet, Mißbrauchs- und Treubruchsuntreue nicht als selbständige Tatbestände zu beurteilen. Die Mißbrauchsalternativen gelten deshalb nach diesem Ansatz als "ausgestanzte Unterfälle, eine präzis gestaltete Erscheinungsform der Treubruchstatbestände, denen sie zwar logisch untergeordnet, 97 rechtswertend aber gleichgeordnet" sind. 98 Es wäre, so wird zusätzlich

91

Schröder, JZ 1972, S. 707, 708.

92 Schröder, JZ 1972, S. 708 f; D. Meyer, JuS 1973, S. 214 ff, 216; ähnlich Blei, JA 1972, S. 790 ff, 79l.

93 So die h. M., vgl. BGHSt 5, 61, 63; DreherfIröndle, § 266 Rdnr. ??; Jagusch LK, 8. Aun., § 266 Anm. 2b); Hübner, LK, 9. Aun., § 266 Rdnrn. 59, 70; Lackner, § 266 Anm. 3b); Maurach, BT, 5. Aun., § 39 11 1 b) (S. 340); WesseIs, BT 11, § 18 II3 (S. 1431). 94

Ant, Bruns-Festschrift, S. 365 ff, 378.

95

Ant, Bruns-Festschrift, S. 365ff, 376.

96 BGHSt (GS) 26, 167, 174; zustimmend Hübner, LK, § 266 Rdnr. 17; Ders., JZ 1973, S. 420: "Zusammenführung der Mißbrauchs- und Treubruchsuntreue in einem Tatbestand"; ebenso Dunkel, Vermögensbetreuungspflicht, S. 106 (Fn. 1). 97

Verhältnis der ·Subordination"; Klug, ZStW 68 (1956), S. 404.

98 Hübner, LK, § 266 Rdnr. 17. vgl. ferner BGH, JR 1983, S. 515; DreherlTröndle, § 266 Rdnr. 1; Kohlmann, JA 1980, S. 228; Lackner, § 266 Anm. 7; WesseIs, BT 2 ,§ 18, I 2 (S. 167).

3. Kapitel Aussagen zum Täter

205

argumentiert, auch derjenige, der die in der Mißbrauchsalternative beschriebene Art der Pflichtverletzung begehe, der Untreue schuldig, wenn diese nicht eigens ausformuliert worden wäre. 99 Mißbrauch und Treubruch sind daher im Verhältnis zueinander nach dieser Ansicht weder "andere Strafgesetze" im Sinne des § 265 StPO, noch bedarf es der Entscheidung, in welchem "Konkurenzverhältnis" sie zueinander stehen, denn Mißbrauchs- und Treubruchsuntreue können nach diesem Ansatz nicht begrifflich unterschieden werden. Sie sind danach nämlich "derselben Wurzel entsprossen, ineinander verwoben". 100 Der Mißbrauch hat innerhalb dieses Untreuekonzepts nur die Funktion eines klarer ausformulierten Beispiels für den umfassenderen Treubruchstatbestand. 101 Mißbrauchs- und Treubruchsuntreue können daher in Fortsetzungszusammenhang begangen werden. Ein Wechsel zwischen beiden Alternativen ist wie ein Wechsel innerhalb einer Tatbestandsart zu behandeln. Dieser Beurteilung scheint auch die Rechtsprechung zuzuneigen, wenn sie den Treubruchstatbestand anwendet, ohne zuvor die Mißbrauchsformen klar ausgeschieden zu haben. 102 3. Die Lehre vom (fiktiven) übergreifenden Untreuetatbestand

Einem einheitlichen Verständnis des § 266 StGB sind schließlich auch diejenigen Ansichten zuzurechnen, die zwar von verschiedenen Voraussetzungen des Mißbrauchs und des Treubruchs ausgehen, jedoch die Vermögensbetreuuungspflicht, die für alle Begehungsformen als notwendig erachtet wird, anders interpretieren als die davon zu unterscheidende spezifische "Pflicht fremde Vermögens interessen wahnunehmen," die ( nur) den Treubruch kennzeichnen soll.

99 100

Hübner, LK, § 266 Rdnr. 17. Hübner, LK § 266 Rdnr. 17.

101 Hübner, LK, § 266 Rdnr. 17; Dunkel, Vermögensbetreuungspflicht, S. 99, 105; Ders. GA 1977, S. 336; Schmidhäuser, BT 11/60; Wessels, BT 2, § 18 I 2 (S. 167/168). 102 BGH, NJW 1975, 1234; BGH, NJW 1977, 443, 444. - Vgl. auch die entsprechende Argumentation bei Hübner, LK, § 266 Rdnr. 18.

206

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

a) Die Auffassung von Sax Sax 103 setzt anders als Rechtsprechung und Literatur der neueren Zeit nicht in erster Linie beim Wortlaut des § 266 StGB an, sondern bei der "einzigartigen Struktur des Treubruchstatbestandes" als Pflichtverletzungsdelikt. 104 Nicht die "Pflicht" zur Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen soll danach das Primäre sein, sondern die besondere PflichtensteIlung als die die Pflicht erst bedingende Grundlage. Sax sucht den Schlüssel zum Verständnis dieser Vorschrift in den "Prototypen unzweifelhaft zur Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen Verpflichteter", nämlich "Geschäftsführef7J von Unternehmen und Verwaliern von Vermögensmassen". Aus dem "Besonderen" ihrer Stellung sucht er dann "das verallgerneinenmgsfähige Wesentliche" der Beziehung des Untreuetäters zu fremdem Vermögen zu ermitteln. lOS Insofern steht Sax ganz in der Tradition der Diskussion über das "Wesen" der U ntreue, das ihm zur Harmonisierung der Alternativen dient; sein Ansatz ist insofern die Mißbrauchsidee, als er seine Theorie vom "typischen Mißbrauchstäter" aus entwickelt. Sax sieht "das Kriterium für eine untreueerhebliche besondere Pflichtenstellung" in der "besonderen Macht über das fremde Vermögen", die den Tätern im "besonderen Vertrauen in ihre Redlichkeit" eingeräumt worden sei. 106 Diese untreuetypische (Macht-) Stellung des Täters in Bezug auf fremde Vermögenswerte ist das Primäre und beide Alternativen einigende Band; die entsprechende Pflicht zur Vermögensfürsorge ist nur ihr Resultat. Der (gemeinsame) Kern des Untreue unrechts soll in dem schädigenden Mißbrauch dieser besonderen Macht liegen. 107

Danach ist der Mißbrauch nur eine exemplarische Gestaltung dieses übergreifenden Untreuetatbestandes; der Treubruch soll die verbleibenden denkbaren Fälle des "Machtmißbrauchs" erfassen. Da insofern auch der Treubruch nur Unterfall sei, seien beide Alternativen nur als Unterfälle einer übergreifenden Untreue zu verstehen sein. 108

103

JZ 1977, S. 663 ff, 702 ff, 743 ff.

104

Sax, JZ 1977, S. 664.

lOS

Sax, JZ 1977, S. 665 (Hervorhebungen im Original).

106

Sax, JZ 1977, S. 665 f.

107

Sax, JZ 1977, S. 702.

108

Sax, JZ 1977, S. 665 f.

3. Kapitel Aussagen zum Täter

207

b) Die Auffassung von Schlüchter Ferner gehört in diesen Zusammenhang die Ansicht von Schlüchter. 109 Im Einklang mit der Rechtsprechung und der herrschenden Lehre setzt auch sie für die Interpretation des § 266 StGB bei der Voraussetzung an: "dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat". Damit sei zwar grammatikalisch zwingend vorgegeben, daß die Pflicht zur Vermögensbetreuung den Mißbrauchs- und den Treubruchstäter treffen müsse; indessen erschöpfe sich diese Pflicht für beide gleichermaßen in der Verpflichtung, "auf das Vermögen nur zweckhaft einzuwirken". llO Die (besondere) Pflicht zur Fürsorge für fremdes Vermögen, die den Treubruchstäter - im Gegensatz zum Mißbrauchstäter treffen müsse, leite sich nicht aus diesem Relativsatz her, sondern sei bereits in dem Begriff des "Wahrnehmens" ("Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen") angelegt, der nur in der Treubruchsalternative verwendet wird. Ethymologisch fundiert weist Schlüchter nach, daß dieser Begriff nicht modal farblos ist, sondern auch im Sinne "verantworlichen FÜfsorgens" verstanden werden kann. 111

Schlüchters Konzept läuft also - wie das von Sax - auf einen übergreifenden Tatbestand hinaus, der freilich - insoweit anders Sax - unmittelbar in § 266 StGB normiert ist und in zwei (gleichrangigen) Begehungsformen verwirklicht werden kann. 112 c) Die Auffassung von Lenckner

AuchLenckner 113 entnimmt dem Relativsatz: "dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat", ein für beide "Tatbestände" erforderliches Betreuungsverhältnis. Es soU darin bestehen, "daß dem Täter [remdnützige Dispositionsbefugnisse eingeräumt sind." 114

109

JuS 1984, S. 675 ff.

llO

Schlachter, JuS 1984, S. 6n.

111

Schlachter, JuS 1984, S. 676/6n.

112 ·So gesehen, heben sich der Mißbrauchs- und Treubruchstatbestand dann gleichsam aus einem gemeinsamen Becken der Betreuungspflicht in verschiedenen Richtungen heraus.· (Schlachter, JuS 1984, S. 676 Fn. 17). 113

Schönke/SchröderiLenckner, § 266 Rdnr. 2.

114

Schönke/SchröderlLenckner, § 266 Rdnr. 2 (Hervorhebung im Original).

16 Nelle.

208

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

Dieser These liegt freilich kein theoretisch geschlossenes Konzept zu Grunde, sondern das Bemühen, ein gesetzestechnisch und kriminalpolitisch zweckmäßiges Ergebnis zu erzielen. Einerseits wird - insofern "gesetzestechnisch" - vorausgesetzt, daß der Mißbrauchstatbestand nicht zu einem "im Grunde überflüssigenSpezialfall des (umfassenderen) Treubruchstatbestands" werden dürfe. Andererseits, so postuliert Lenckner, sei zu vermeiden, "daß eine Übertragung der Vermögensfürsorgepflicht im Sinne der 2. Alternative auf die 1. Alternative dort zu Strafbarkeitslücken führe oder dazu zwinge, bei der Treupflicht der zweiten Alternative auf wesentliche Merkmale zu verzichten". 115 III. Zusammenfassung der divergierenden Sachaussagen Die sachlichen Differenzen zwischen den dargestellten Meinungsblöcken bestehen im wesentlichen darin, daß die Annahme, § 266 StGB enthalte einen einheitlichen Unrechtskern, entweder die Treubruchsidee zum beherrschenden Kriterium der Untreue erklärt und für alle Tatbestandsformen des § 266 StGB eine Vermögensbetreuungspflicht des Täters verlangt, oder den § 266 StGB von der Mißbrauchsidee her erschließt und den (Rechts-) Machtmißbrauch zum allen Alternativen gemeinsamen untreuetypischen Unrechtskern erklärt. Dem steht als sachliches Gegenmodell der Block der Auffassungen gegenüber, die Mißbrauch und Treubruch als selbständige Tatbestände mit jeweils eigenem typischen Unrechtsgehalt, nämlich dem "Mißbrauch" einer Befugnis und dem "Treubruch" in Form der Verletzung einer Vermögensbetreuungspflicht, beurteilen. IV. Methodenproblem als Ursache der Divergenzen Vergleicht man die Entwicklung der Diskussion, wird deutlich, daß der eigentliche Unterschied nicht in den Ergebnissen liegt, zu denen die jeweiligen Ansichten über die Tatbestandssystematik und die einzelnen Voraussetzungen des § 266 StGB führen, sondern in dem Weg, auf dem sie erzielt werden. Auf der einen Seite wird - aus der zeitnäheren Befassung mit der damals noch neuen Vorschrift verständlich - die (subjektive) gesetzgeberische Intention in den Vordergrund gestellt. Ihr wird eine bestimmte Tatbestandssystematik ("Zwei-Tatbestände-Konzept") entnommen. Dies geschieht in der Weise, daß das gesetzgeberische (Neben-) Ziel, nämlich den beiden widerstreitenden

115

Schönke/SchröderlLenckner, § 266 Rdnr. 2 (Hervorhebung von Verf.).

3. Kapitel Aussagen zum Täter

209

Grundauffassungen über das Wesen der Untreue Rechnung zu tragen, und der historisch-genetische Normzweck, "Korruption undSchiebertum" möglichst lückenlos zu bekämpfen, als gleichrangige Auslegungskriterien herangezogen werden. Die Auslegung der Voraussetzungen im einzelnen orientiert sich dann an dieser Vorgabe. Demgegenüber wird heute die Vorschrift zunächst aus sich heraus analysiert. Die historische Vorgabe zweier theoretisch unvereinbarer und selbständig konstruierter Tatbestände hat ihre axiomatische Bedeutung als Interpretationsraster verloren hat. Statt dessen stehen Wortlaut, Wortsinn, 116 grammatikalische und syntaktische Verknüpfungen sowie Sinn und Zweck der Vorschrift im Vordergrund der wissenschaftlichen Durchdringung des § 266 StGB. Die Beurteilung des Verhältnisses der Normalternativen zueinander ("Tatbestände" oder "verschiedenartige Erscheinungsformen desselben Unrechts") ist danach nicht Voraussetzung sondern Resultat der Auslegung der Vorschrift. 1. Notwendigkeit und Ergiebigkeit einer Methodendiskussion

Nun entspricht es allgemein akzeptierter Erkenntnis, daß jedes Auslegungsergebnis in nicht unerheblichem Maße von der Wahl der Auslegungsmethode abhängt. 117 Beruhen aber gegensätzliche Standpunkte in der Sachfrage auf unterschiedlichen Methoden ihrer Begründung, dann nötigt dieser Umstand zu einem Wechsel der Diskussionsebene. Kann in einer Auseinandersetzung über Sachfragen keine Einigkeit erzielt werden und liegt die Ursache dafür darin, daß die Diskussionspartner ihre Ergebnisse auf methodisch unterschiedlichen Wegen gewinnen, ist es naheliegend, wenn nicht zwingend, die Diskussion auf der (nächsthöheren) Ebene der Methodenwahl fortzusetzen, um dort nach einem Konsens zu suchen. Die Diskussion ist freilich dann entbehrlich, wenn von vornherein ausgeschlossen werden muß, daß auf diesem Wege eine sichere Entscheidungsbasis gewonnen werden könnte. Auf dem Ausschluß dieser Möglichkeit fußen die Ergebnisse der jüngsten monografischen Auseinandersetzung mit dem Tatbestand des § 266 StGB und seinen Strukturen. 118

116

Mit dieser Differenzierung etwa Vormbaum, JuS 1981, S. 713.

117 Engisch, Einführung, S. 82; &ser, VOIVerständnis und Methodenwahl, S. 123; Grünhul, Begriffsbildung, S. 15; Mennicken, Gesetzesauslegung, S. 106; Naucke, in: Festschrift für Engisch, S. 274, 278; Sieben, Gesetzesauslegung, S. 38. 118

LAbseh, Untreue (§ 266 StGB). Grenzen und Möglichkeiten einer neuen Deutung. 1983.

210

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

Labsch befindet auf Grund einer "übergreifenden Betrachtung aller Beweisführungsbemühungen ... ohne Übertreibung... , daß die Argumentation ... auf der Stelle tritt." 119 Als Ursache diagnostiziert er, daß die Deduktionen "an geradezu beliebiger Umkehrbarkeit" litten. 120 Er zieht daraus den Schluß, daß sich "mit der heute gängigen Methodik der Gesetzesauslegung' keine der Auffassungen "zwingend" aus § 266 StGB ableiten lasse. Die Entscheidung des Streites verweist Labsch deshalb auf die Ebene einer "rechtspolitischen Zweckmäßigkeitsüberprüfung', 121 die ihm letztlich den Weg dazu eröffnet, zwar den Treubruchstatbestand im Ergebnis für verfassungswidrig zu erklären, 122 den Anwendungsbereich der Mißbrauchsuntreue aber auszudehnen. lZ3 Es ist jedoch verfehlt die Unergiebigkeit einer Diskussion über die Methode begründungslos vorauszusetzen. 124 Die exemplarische Vorführung der Umkehrbarkeit einer Ableitung kann die einerseits erforderliche Analyse der Methoden nicht ersetzen. Deshalb ist es andererseits unschlüssig, die "Beliebigkeit" der Argumentation zu behaupten, ohne die der Argumentation zugrundeliegende Methode zu berücksichtigen. Labsch bleibt überdies den Nachweis schuldig, daß und ob der Prüfungsmaßstab "rechtspolitischer Zweckmäßigkeit", an dem er selbst seine Untersuchung methodisch ausrichtet, ein legitimes Auslegungs- und Beurteilungskriterium ist. Das kann jedenfalls dann mit guten Gründen bezweifelt werden, wenn die "rechtspolitische" Zielsetzung, an der sich die "Zweck"-mäßigkeit des Auslegungsergebnisses orientieren soll, - wie bei Labsch - "in allererster Linie" 125 darin besteht, "Strafbarkeitslücken zu vermeiden". 126

119

Labseh, Untreue, S. 95.

120

Labseh, Untreue, S. 95.

121

Labseh, Untreue, S. 95.

122

Labseh, Untreue, S. 189 ff, 199 ff.

lZ3

Dazu unten Fn. 125.

124 Labseh, Untreue, S. 96. Labsch beruft sich zwar auf Lackner, § 266 Anm. 2 b), der diese Beurteilung jedoch nur bis zur 15 Auf!. aufrechterhalten hat. 125

Labseh, Jura 1987, S. 345.

126 Labsch (Jura 1987, S. 345) stützt seine These, der (selbständige) Mißbrauchstatbestand erfordere keine Vermögensbetreuungspflicht, u.a. auf folgende Kritik an der Gegenansicht: "Wie das Kreditkartenurteil (sc. BGHSt 33, 244 fl) exemplarisch belegt hat, wurden durch diese Sicht gravierende Strajbarkeitslüc1ren aufgerissen, die völlig unnötig den Ruf nach einem Eingreifen des Gesetzgebers haben laut werden lassen. In anderen Fällen - so beim Scheckkartenmißbrauch wird die Rechtsprechung zur Vermeidung der unerwfJnschlen Strajbarkeitslücken ZU dogmalisch unvertretbaren Argumentationen gezwungen." (Hervorhebungen von Verf.) Vg1. ferner die Überschrift: "Auftretende Strajbarkeitslücken und ihre Hinnehmbarkeit" bei Labseh, Untreue S. 115.

3. Kapitel Aussagen zum Täter

211

Zuzugeben ist freilich, daß auch bei einer Entscheidung auf der Ebene der Auslegungsmethoden von "zwingenden" Ergebnissen 127 nicht gesprochen werden kann. Nun können aber überall dort, wo es um Fragen geht, die nicht mit mathematischer oder rhetorischer Logik beantwortet werden können, "zwingende" Ergebnisse nicht vorkommen. Auslegung ist generell ein Verfahren, das immer Raum für Meinungsverschiedenheiten läßt. Diese Tatsache ist aber nicht darauf zurückzuführen, daß die "heute gängige Methodik der Auslegung" versagt; sie liegt vielmehr in der Natur der Erkenntnisgewinnung durch Auslegung selbst, solange Auslegungsziele und -verfahren als solche streitbefangen und - wie Engisch wohl zu Recht meint 128 - als echte Grundsatzprobleme nie endgültig lösbar sind. Insofern kann nur die bessere Plausibilität des methodischen Vorgehens den Ausschlag geben. Es ist deshalb zunächst herauszuarbeiten, auf welchen methodischen Prämissen die beiden unterschiedlichen Ansätze zur Interpretation des § 266 StGB jeweils beruhen. Die Entscheidung - auch in der Sache - hängt dann davon ab, welcher der Ansätze der methodisch überzeugendere ist. 2. Analyse und Kritik

Der Blick auf die methodischen Unterschiede in der Argumentation wird verstellt, wenn man den Streitstand nur ergebnisorientiert darlegt und zu kritisieren versucht. Wie sich gegensätzliche Sachstandpunkte in methodischer Hinsicht unterscheiden, kann nur beurteilt werden, wenn man die jeweiligen Ableitungsverfahren bis auf ihre Prämissen zurückverfolgt. a) Die Prämissen des "Zwei-Tatbestände-Konzepts"

Die Prämisse des Zwei-Tatbestände-Konzeptes lautet - einfach gesprochen: Der Gesetzgeber hat die (frühere) Mißbrauchs- und die Treubruchstheorie in einer Vorschrift zusammenfassen wollen. Weil beide unvereinbar waren, sind auch die daraufjeweils zurückgehenden Unrechtsvertypungen unvereinbar und deshalb als "zwei" Tatbestände zu begreifen; die Auslegung hat sich an dieser Vorgabe auszurichten. Die Argumentation bedient sich des Mittels der "historischen Auslegung", das als solches zum Kanon der anerkannten Auslegungsmethoden gehört. 127

Labseh, Untreue, S. 96.

128

Engisch, Einführung, Anm. 106.

212

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

Methodisch und sachlich "richtige" Ergebnisse vermag dieses Verfahren freilich nur zu erzielen, wenn die behaupteten Äußerungen des (historischen) Gesetzgebers, auf die es rekurriert, tatsächlich gefallen sind. Wer historische Fakten "erfmdet", kann nicht für sich in Anspruch nehmen, richtige Lehren aus der Geschichte gezogen zu haben. aa) Der ''Wille des Gesetzgebers"

Es wäre zu einfach, sich hier auf die Tatsache zurückzuziehen, daß es keine authentischen Materialien zur Novelle des § 266 StGB vom 26. 5. 1933 gibt, weil dieser Vorschrift kein reguläres Gesetzgebungsverfahren voraufgegangen ist. 129 War nämlich die Verabschiedung eines Gesetzes durch die Reichsregierung ein (damals) rechtmäßiges und zulässiges Verfahren, dann können und dürfen an Stelle parlamentarischer Protokolle oder sonst fIXierter Stellungnahmen der am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten eben nur Äußerungen herangezogen werden, die aus dem "Apparat" der Reichsregierung in ihrer Eigenschaft als Gesetzgeber stammen. Jedenfalls methodisch ist es deshalb nicht zu beanstanden, wenn auf die publizierte Stellungnahme eines damaligen Ministerialdirektors im Reichsjustizministerium - hier: Ernst Schäfer 130 zurückgegriffen wird, der nach Angaben von Zeitzeugen zum Kreise der Verfasser des Untreuetatbestandes gehört haben dürfte. 131 Dessen Äußerung, die den Dreh- und Angelpunkt für die Annahme bildet,

§ 266 StGB enthalte zwei Tatbestände, 132 lautet: "Die neue Fassung des § 266 StGB versucht, in Verwertung und Kom-

binierung der Grundgedanken beider Theorien, einen von aller Kasuistik befreiten allgemeinen Tatbestand der Untreue aufzustellen, der bewußt weitgezogen und geeignet ist, die Fälle der strafwürdigen, treuwidrigen Vermögensschädigung möglichst lückenlos zu erfassen. Die Fassung nimmt in ihrer ersten Alternative den Grundgedanken der sog. Mißbrauchstheorie auf, indem sie, in Anlehnung an § 348 E, denjenigen bedroht, der 'vorsätzlich die ihm durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen

129

Siehe dazu oben in diesem Teil, 1. Kapitel A I.

130

DlZ 1933, Sp. 789 ff.

131

Schwinge/Sieben, Das neue Untreuestrafrecht, S. 12, Fn. 6.

132 Ant, in Festsehr. f. Bruns, S. 366, 367; Bringewat, GA 1973, S. 360; Kirchner, bei Olshausen, Ergänzungsband, § 266 Anm. 2; Ouo, Struktur, S. 310; Schröder, JZ 1972, S. 708; Schwan, § 266 Anm. 1 A, B ; Seebode, JR 1973, S. 117; Sieber, Computerkriminalität, S. 242.

3. Kapitel Aussagen zum Täter

213

zu verpflichten, mißbraucht'. In der zweiten Alternative bedroht die Neufassung, in Anlehnung an die Treubruchstheorie und die in der Rechtsprechung zur Geltung gelangten Tendenzen, auch denjenigen mit Strafe, der 'vorsätzlich die ihm kraft Gesetzes, behördlichen Auftrags, Rechtsgeschäfts oder eines Treueverhältnisses obliegende Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, verletzt und dadurch dem, dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat, Nachteile zufügt.' Diese Fassung ist zweifellos sehr weit und ist, wie gesagt, bewußt weit gezogen, um das Schiebertum und die Korruption mit dem gebotenen Nachdruck bekämpfen zu können." 133

Schäfers Erläuterungen sind so gefaßt, daß sie für jede Auffassung in Anspruch genommen werden können. Es läßt sich etwa argumentieren, Schäfer habe von "einem allgemeinen Untreuetatbestand" 134 aber den Mißbrauchsbzw. Treubruchs-"Alternativen" gesprochen. Auf der anderen Seite läßt sich mit guten Gründen behaupten, daß tatsächlich zwei Tatbestände gemei~t gewesen seien, nämlich die von Schäfer jeweils wörtlich zitierten. Das aber hätte auch die - von niemandem ernstlich in Erwägung gezogene - Konsequenz, daß der Teilsatz: "und dadurch dem, dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat, Nachteile zufügt", insgesamt Tatbestandsmerkmal ausschließlich des Treubruchstatbestandes wäre: zum Tatbestand der Untreue durch Mißbrauch würde dann der Nachteil nicht gehören. 135 Es kann darauf verzichtet werden, weitere Varianten zur Auslegung des Schäferschen Textes vorzuführen. Es genügt zunächst die Feststellung, daß die legislatorischen Absichtserklärungen keineswegs eine so eindeutige Festlegung enthalten, wie die Verfechter des "Zwei-Tatbestände-Konzepts" vorgeben. Bei weiteren "Quellen" 136, die gelegentlich herangezogen werden, handelt es sich bereits um nachträgliche, interpretatorische Äußerungen, die als Rechtsauffassungen auch dann unverbindlich sind, wenn sie in (späteren) Gesetzgebungsverfahren zur Vorbereitung von Reformgesetzen gefallen sind. 137

133

Schäfer, DJZ 1933, Sp. 794 unten bis Sp. 795 oben.

134

Darauf stellt etwa Wetzet, Lehrbuch, § 56 B, S. 386 ab.

135 Gegen eine solche Interpretation spricht auch die Äußerung von PfundnerlNeuberr, Das neue Reichsrecht, II c 6, die ebenfalls den "Materialien" zugerechnet werden (vgl. HeimannTrosien, JZ 1976, S. 550); dort heißt es, mit dem Worten ·zu betreuen hat" seien die beiden vorausgehenden Tatbestände (Verfügungsbefugnis und Treuepflicht) zusammengefaßt. 136 Etwa Dahm, Prot. der 47. Sitzung der Strafrechtskommission v. 20. 9. 1934, S. 19; Begr. zu § 445 E StGB 1936/37, S. 273; Schwinge/Sieberr, Das neue Untreustrafrecht, S. 17/18. 137

Hübner LK, § 266 Rdnr. 6: "(irrige) Rechtsansichten".

214

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

Der erste Einwand gegen das "Zwei-Tatbestände-Konzept" ist deshalb der, daß seine Ableitung aus der Entstehungsgeschichte auf brüchiger Tatsachengrundlage steht. 138 bb) Zur Maßgeblichkeit der Vorstellungen des historischen Gesetzgebers

Ein weiterer Einwand richtet sich gegen das Auslegungsverfahren in seiner Zielrichtung. Die historische Argumentation, die der Ableitung zugrundeliegt, ist darauf gerichtet, § 266 StGB entsprechend den (subjektiven) Zielvorstellungen des Gesetzgebers auszulegen. Ihnen wird eine bestimmte Tatbestandssystematik entnommen. Dies geschieht in der Weise, daß das gesetzgeberische (Neben-) Ziel, nämlich den beiden widerstreitenden Grundauffassungen über das Wesen der Untreue Rechnung zu tragen, und der historisch-genetische Normzweck, "Korruption und Schiebertum" möglichst lückenlos zu bekämpfen, als gleichrangige Auslegungskriterien herangezogen werden. Die Frage nach der Maßgeblichkeit der Vorstellungen des historischen Gesetzgebers wird in der Methodenlehre auf zwei verschiedenen Abstraktionsebenen diskutiert. Zum einen wird die Frage unter dem Aspekt des generellen Zieles der Auslegung von Gesetzen aufgeworfen. Auf dieser Ebene sind die beiden in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts ausgebildeten grundsätzlichen Auslegungstheorien angesiedelt, die subjektive 139 und die objektive Theorie. 140 Die subjektive, auch "Willenstheorie" genannte Auffassung hält die Erforschung des historisch-psychologischen Willens des Gesetzgebers für das Ziel jeder Auslegung, 141 während die objektive Theorie, auch Theorie der immanenten Gesetzesdeutung genannt, die Erschließung des dem Gesetz selbst innewohnendenSinnes in seinem "objektiven", zeitüberdauernden Gehalt

138 So auch Hübner, LK, § 266 Rdnm. 6 - 9; zu den weiteren Einzelheiten der Entstehungsgeschichte und den "mittelbaren" Quellen siehe Dunkel, Vermögensbetreuungspflicht, S. 54 ff.

139 Savigny, System, S. 213; Windsc!leid, Lehrbuch der Pandekten, § 21; Bierling, Juristische Prinzipienlehre IV, S. 23Off; Heck, Gesetzesauslegung, S. 59; Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, §§ 126 ff. 140 Binding, Handbuch I, S. 450 ff; Wach, Handbuch des deutschen Zivilprozeßrechts I, S. 254 ff; Kohler, Grünhuts Ztschr, Bd. 13, S. 1 ff; vgl zu den verschiedenen Spielarten der objektiven Theorie und deren Vertreter Engisch, Einführung, S. 89 und Anm. 96a, sowie Laren.. , Methodenlehre, S. 31 ff. 141 Sie wird heute noch vertreten etwa von Enneccerusl Nipperdey, BGB AT, 1. Bd., 15. Aufl., 1959, S. 325; Naucke, Betrug, S. 184 ff; Ders., Festschr. f. Engisch, S. 274, 280; modifizierend Engisch, Festschr. f. Sauer, S. 230 ff; Bindokal, JZ 1969, S. 545.

3. Kapitel Aussagen zum Täter

215

anstrebt. 142 Auf dieser Ebene ist die Diskussion mit der rechtsphilosophischen Frage nach der Wandelbarkeit des Rechts eng verknüpft: Wer mit der subjektiven Theorie der historischen Authentizität die höhere Bedeutung beimißt, muß angesichts gewandelter Wertvorstellungen gesetzesähnliches Richterrecht zulassen. 143 Wer hingegen dieser Form einer Rechtsfortbildung außerhalb parlamentarischer Normenkontrolle keinen Raum geben will, muß dem Gesetzestext "objektiv" gegenüberstehen und den jeweiligen Zeitbedarf in das Gesetz hineininterpretieren. 144 Obwohl der Streit im Grundsatz noch immer nicht endgültig entschieden ist, 145 läßt sich feststellen, daß Grundlage der heute gängigen Auslegungslehren die objektive Theorie ist, wenn sie freilich auch in den verschiedensten ModifIkationen und Spielarten vertreten wird. 146 Als Ziel der Auslegung im Sinne "objektiver" und "sozialer Wertungsjurisprudenz" 147 gilt die Ermittlung des "immanenten, vernünftigen Sinnes der Gesetzesworte". 148 Hierfür spricht, daß "der Wille" der Volksvertretung als solcher keine unmittelbar greifbare Realität und im Einzelfall nicht zuverlässig zu ermitteln ist. 149 Ferner ist die notwendige Anpassung des Gesetzes an veränderte Zeitumstände, -anschauungen und -erkenntnisse auf der Grundlage der subjektiven Theorie nur möglich, wenn die Judikative legitimiert ist, das als statisch begriffene Gesetz eigenständig - durch Richterrecht - fortzubilden. Eine entsprechende Legitimation ist aber vor allem im Hinblick auf den Nullum-

142 VgI. aus dem neueren Schrifttum Tröndle, LK § 2 Rdnr. 26; Mezger-Blei, AT, S. 27; Wessels, AT, S. 5; Bockelmann, AT, S. 19; Welzel, Lehrbuch, S. 22; German, Probleme und Methoden der Rechtsfindung, S. 76, 98; Schmidhäuser, Rdnr. 5/35; Hirsch, JR 1966, S. 338 Fn. 34; Zippelius, Methodenlehre, S. 29, 3l. 143 Die streng subjektive Theorie ist als Grundlage des common law im anglo-amerikanischen Rechtskreis herrschend; vgI dazu Fikent.scher 11, Kap. 13 VI 5 und III, S. 665. 144

Vgl. Fikent.scher IV, S. 361; Engisch, Einführung, S. 88 ff.

145 Wie Engisch behauptet, wird sich das ganze Problem "wie alle echten Grundsatzprobleme nie endgültig ... lösen lassen" (Einführung Anm. 106). 146 Auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 11, 126 ff; 130 ff) hat sich grundsätzlich für die objektive Auslegung entschieden. Insgesamt ist die Rechtsprechung jedoch nicht einheitlich; vgI. dazu die Übersicht bei Fikent.scher III, S. 666 ff m. zahlr. Nachw.. 147

Zu dieser Begriffsbildung Pawlowsld, Methodenlehre, Rdnrn. 144 und 151 ff.

148

Engisch, Einführung, Anm. 106 b.

149

S.37.

Engisch, Einführung, S. 95; Bockelmann, AT, S.19; Mennicken, Ziel der Gesetzesauslegung,

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

216

crimen-Satz verfassungsrechtlich nur schwer zu begründen. ISO Schließlich darf jedenfalls dem parlamentarischen Gesetzgeber unterstellt werden, daß er die Wandelbarkeit der Verhältnisse und die darauf beruhende Erforderlichkeit zeitgemäßer Interpretation der von ihm geschaffenen Vorschriften kennt und deshalb von vornherein billigt, wenn nicht gar bezweckt. 151 Die Entscheidung ist mithin im Grundsatz für eine "geltungszeitliche objektive Auslegung" 152 gefallen. Damit ist der zweite Einwand gegen die Ableitung des "Zwei-TatbeständeKonzept" vorgezeichnet: sie basiert auf der methodischen Prämisse, daß § 266 StGB mit dem Ziel auszulegen sei, den Intentionen des historischen Gesetzgebers Rechnung zu tragen, und zwar unabhängig davon, ob diese in Wortlaut, Wortsinn und Syntax der Vorschrift ihren Niederschlag gefunden haben. In Wahrheit bezieht sich diese Auslegung nicht auf den Gegenstand "Norm", sondern auf den Gegenstand "gesetzgeberische Absicht". Der Wille des historischen Gesetzgebers kann aber nur als Auslegungsmittel von Bedeutung sein, weil und soweit er eines von mehreren Kriterien ist, den objektiv-materiellen Gehalt des Gesetzes zu ermitteln. Zugunsten des Zwei-Tatbestände-Konzepts ließe sich deshalb allenfalls noch anführen, daß der "Wille des Gesetzgebers" als Auslegungsmittel Vorrang vor allen anderen hätte. Sieht man davon ab, daß die Methodendiskussion über die Rangfolge der Auslegungsmittel mit der - hier bereits entschiedenen - grundsätzlichen Frage nach dem Auslegungsziel verknüpft ist, 153 besteht Einigkeit darüber, daß Wortlaut und Wortsinn einer Nonn zugleich Ausgangspunkt und Grenze der Auslegung sind (= grammatikalische Auslegung). 154 Ist der Wortlaut nicht eindeutig und läßt er verschiedene Bedeutungsvarianten zu, geben die weiteren Kriterien den Ausschlag: Es ist zunächst der Bedeutungszusammenhang des Gesetzes heranzuziehen (= logische und systematische Auslegung) und dann

ISO Engisch, Einführung, S. 91, 96; Baumann, AT, S. 157; Germann, Probleme und Methoden der Rechtsfindung, S. 76, 98; BGHSt 10, 375, 376. 151

Cramer, Vermögensbegriff, S. 32.

152

Engisch, a.a.O.

153 Zu Recht wird deshalb auch darauf hingewiesen, daß die Diskussionsebenen häufig nicht klar unterschieden und die Begriffe "Auslegungstheorie", "Auslegungsmethode", "Auslegungslehre" etc. mehrdeutig verwendet und teilweise auf das Auslegungsziel, teilweise auf die Auslegungsmittel bezogen werden; so etwa Engisch, Einführung, Anm. 107; Fikemscher III, S. 663 f.

154

Larenz, S. 329; Fikentscher, III, S. 670; BGHZ 46, 74, 76.

3. Kapitel Aussagen zum Täter

217

erst, soweit Unklarheiten bleiben, auf die Regelungsabsicht des Gesetzgebers einzugehen (= historische Auslegung), um die Auslegung vorzuziehen, die dem gesetzgeberischen Zweck der betreffenden Norm am ehesten gerecht wird. Dort schließlich, wo auf diesen Wegen noch keine zweifelsfreie Antwort gefunden werden kann, geben objektiv-teleologische Kriterien den Ausschlag (= teleologische Auslegung). ISS Sie sind insofern objektiv, als sie davon unabhängig sind, ob "der Gesetzgeber" sich der Bedeutung der von ihm geschaffenen Regelung bewußt war. Es geht hierbei vor allem darum, die Strukturen des geregelten Sachbereichs, tatsächliche Gegebenheiten und die hinter der Regelung stehenden rechtsethischen Prinzipien (geschützten Rechtsgüter u.ä) zu erfassen und für das Verständnis der Vorschrift selbst nutzbar zu machen. 156 - Die Ansätze des "Zwei-Tatbestände-Konzepts" kehren diese Rangfolge um und lassen sich also auch von daher methodisch nicht rechtfertigen. Wenn man nun diese Bedenken für unbegründet halten wollte, bleibt ein weiterer Einwand, der sich gegen die inhaltliche Argumentation "mit" dem Willen des Gesetzgebers richtet: Wer den subjektiven Standpunkt einnimmt, wird regelmäßig mit der Schwierigkeit konfrontiert, die realen Vorstellungen eines (kollektiven) historischen Gesetzgebers zu ermitteln. Sieht man von diesem generellen Problem subjektiver Interpretation einer Norm ab, so bliebe jedoch eine im Zusammenhang mit der Genesis des § 266 StGB relevante weitere methodische Frage zu lösen. Es ist klären, ob es für die Sinnermittlung des Gesetzes auf die subjektiven, Tatbestand und Rechtsfolge unmittelbar betreffenden Gebotsvorstellungen des Gesetzgebers, die von ihm verfolgten "Zwecke", also die näheren und ferneren Wirkungen seiner Anordnungen, oder auf seine grundsätzlichen Leitvorstellungen ankommen soll. 157 Hat man sich mit der "objektiven Theorie" grundsätzlich für das Ziel einer zeitüberdauernden, gegenwartsnahen Auslegung von Normen entschieden, kann es bei der Ermittlung des Willens des historischen Gesetzgebers inhaltlich nicht nur auf die gebotsunmittelbaren - eher technischen - Vorstellungen des Gesetzgebers ankommen, sondern auf die von ihm verfolgten Zwecke, die ihrerseits grundsätzlich nur vor dem Hintergrund der legislatorischen Leitideen zuverlässig analysiert werden können. Da Gesetzgebungsakte realiter von einem Bündel komplexer Vorstellungen getragen sind, kann es

155

Nach Larenz, 5. Aufl., Kap. 4, 2 (S. 305 ff).

156

Vgl. dazu eingehend Larenz, Methodenlehre, S. 319 ff.

157

Engisch, Einführung, S. 97/98.

218

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

mit anderen Worten auch in der historischen Rückschau nicht nur auf einen Einzelaspekt der gesetzgeberischen Normvorstellungen ankommen. Einen solchen Einzelaspekt erhebt aber das "Zwei-Tatbestände-Konzept" zum grundsätzlichen Erklärungsansatz für die gesamte Untreuevorschrift. Dies ist umso weniger akzeptabel, als es sich dabei nur um eine Vorstellung handelt, die nicht den Normbefehl und die mit ihm verfolgten Ziele betrifft, sondern nur um das Motiv, durch die Formulierung der Norm eine Theoriediskussion aufzulösen. cc) Zwischenergebnis

Die Annahme, § 266 StGB enthalte (deshalb) zwei selbständige und miteinander unvereinbare Tatbestände, weil der Gesetzgeber diese Struktur durch Rückgriff auf die früheren Mißbrauchs- und Treubruchstheorien vorgegeben habe, vermag methodisch nicht zu überzeugen. Daher beruht auch die sachliche Konsequenz, § 266 StGB müsse und dürfe deshalb so ausgelegt werden, daß der Mißbrauchstatbestand keine oder eine vom Treubruchstatbestand verschiedene Vermögensbetreuungspflicht des Täters voraussetze, auf unschlüssiger Ableitung. b) Prämissen der Lehre vom "einheitlichen Unrechtskern "

Durch Zurückweisung der methodischen Ansätze des Zwei-TatbeständeKonzepts ist inzident die Entscheidung gefallen, daß die sogenannte "neue Lehre" jedenfalls methodisch richtig ansetzt, indem sie zunächst die geschriebene Norm zum Gegenstand ihrer Auslegungsbemühungen macht. aa) "Grammatikalische" Auslegung

Kern der Aussage der "neuen Lehre" ist, daß der Relativsatz "dem, dessen Vermögensinteressen er (der Täter) zu betreuen hat", sich grammatikalisch aufbeide ("und dadurch, dem, dessen ..."), in ihren sonstigen Voraussetzungen zuvor freilich unabhängig voneinander formulierten, Tatbestandsvarianten bezieht. 158

158

Vgl. die Deduktion bei Dunkel, Vermögensbetreuungspflicht, S. 33 ff.

3. Kapitel Aussagen zum Täter

219

Setzt man die Regeln der Grammatik der deutschen Sprache, wie sie im Duden fixiert sind, 159 als gegeben voraus, dann ist nur der Bezug des Teilsatzes, "und dadurch dem ... Nachteil zufügt", zweideutig. Dieser ergänzt gleichrangig die Reihe ebenfalls gleichrangiger 160 Disjunktivsätze (Wer ... mißbraucht oder die ... Pflicht ... verletzt ... "). Er kann daher inhaltlich entweder auf beide vorhergehenden Disjunktivsätze bezogen werden oder aber nur auf den letzten, also den Satz, der die Treubruchsvoraussetzungen formuliert. Bezieht man ihn nur auf den zweiten Teilsatz, hieße dies, daß die Zufügung eines Nachteils zwar Tatbestandsmerkmal der Treubruchsalternative wäre, das tatbestandliche Unrecht des Mißbrauchs sich hingegen in der Tathandlung erschöpfte, ohne daß es eines benachteiligenden Erfolgs beim Vermögensinhaber bedürfte. So aber versteht - zu Recht - niemand die Satzreihe. 161 Wer aber einen Vermögensschaden als Erfolg und die Identität des (geschädigten) Vermögensinhabers mit dem Inhaber des zu betreuenden Vermögens als Voraussetzung für aUe Begehungsformen der Untreue akzeptiert, hat damit zwingend auch akzeptiert, daß der Satz: "und dadurch ... ", eine kumulative Ergänzung für beide vorhergehenden Teilsätze enthält. Dieses Zwischenergebnis wird auch von denjenigen Autoren noch als "richtig" konzediert, die sachlich der Auffassung sind, § 266 StGB fordere nur für die Treubruchsalternative eine Vermögensbetreuungspflicht des Täters, nicht aber für die Mißbrauchsalternative. 162 Das Element im Satzgefüge des § 266 StGB, um dessen Aussage sich der sachliche Streit im Kern dreht, ist der Relativsatz, "dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat". Dieser ist als Relativsatz in der syntaktischen Funktion eines Attributsatzes in seinen Trägersatz ("und dadurch dem ... Nachteil zufügt") eingebettet 163 und diesem gegenüber nachrangig. 164 Er

159

Duden, Grammatik, Rz. 771 u. 774 und 1400.

160 Insofern falsch Heimann-Trosien (JZ 1976, S. 550), der behauptet, "nach sprachlichlogischen Grundsätzen" ergebe sich das Verhältnis von Über- und Unterordnung aus der Reihenfolge der Teilsätze. 161 Mit Ausnahme von Dahm (DR 1941, S. 1882 und in: Gürtner, Das kommende deutsche Strafrecht, S. 445, 448/449, 450), dem diese Auslegung als Vehikel für die nationalsozialistische Idee von der Untreue als eines Verratstatbestandes dient.

162

Ausdrücklich Labseh, Jura 1987, S. 345.

163 (Auch) das verkennt Heimann-Trosien (JZ 1976, S. 550), wenn er meint, es handele sich um einen Relativsatz, "der unmittelbar an den vorangehenden Treubruchstatbestand anknüpft". (Hervorhebung von Verf.) 164

Vgl. dazu die Regeln bei Duden, Grammatik, Rz. 1338 bis 1344.

220

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

teilt daher in der übergeordneten Verbindung das Schicksal des Trägersatzes. Wenn sich daher der Trägersatz als Satz auf zwei vorhergehende Sätze bezieht, dann gilt dies selbstverständlich für den gesamten Satz einschließlich seiner Attribute, seien sie auch als Relativsatz gestaltet. Das bedeutet auch, daß damit alle diejenigen Interpretationsbemühungen um § 266 StGB, die diesen grammatikalischen Sachverhalt bestreiten, 165 falsch sind. bb) Systematische Interpretation

Methodische Prämisse der Lehre vom einheitlichen Unrechtskern ist ferner, daß dasselbe Wort ("betreuen") innerhalb einer Vorschrift nicht zwei verschiedene Bedeutungen haben kann. 166 Auch diese Prämisse kann vernünftigerweise nicht bezweifelt werden. Die gegenteilige Argumentation von Bringewat 167 beruht - wie Hübner nachgewiesen hat 168 - auf einem Denkfehler: Bringewat schließt aus dem Umstand, daß ''gleichlautende'' Wörter auch sonst im Kontext verschiedener Tatbestände unterschiedlich interpretiert werden, daß dies auch für dasselbe - eben nicht nur das gleiche - Wort zulässig ist. 3. Ergebnis

Festzuhalten ist als Zwischenergebis danach (nur), daß der Ansatz, auf den sich die Annahme einer alle Begehungsformen des § 266 StGB übergreifenden Vermögensbetreuungspflicht stützt, der methodisch überzeugendere ist. Nicht beantwortet ist damit freilich die Frage, wie diese Vermögensbetreuungspflicht inhaltlich zu definieren ist. Insofern bleiben nach dem bisher gefundenen Ergebnis folgende Interpretationsmöglichkeiten diskutabel:

- Die Pflicht zur "Betreuung" fremder Vermögensinteressen ist identisch mit der (treubruchsspezifIschen) Pflicht zur "Wahrnehmung" fremder Vermögensinteressen; folglich muß auch den Mißbrauchstäter eben diese (treu-

165

Heimann-Trosien, JZ 1976, S. 549 Cf; Schröder, JZ 1972, S. 707 ff.

166

Hübner, LK, § 266 Rdnr. 11.

167

Bringewat, GA 1973, S. 362 ff; Ders., NStZ 1983, S. 458.

168

Hübner, LK, § 266 Rdnr. 11.

3. Kapitel Aussagen zum Täter

221

bruchsspezifIsche) Pflicht treffen; 1(9 die (treubruchsspezifIsche) Pflicht zur Vermögensbetreuung ist danach das Wesentliche oder das "Kernstück des gesetzlichen Tatbestandes". 170 - Die "Pflicht zur Betreuung fremder Vermögensinteressen" ist Resultat einer Beziehung zwischen dem Täter und fremdem Vermögen, nicht ihre Grundlage. Der fragliche Relativsatz bringt das Verallgemeinerungsfähige - das "Wesentliche" - dieser in den verschiedenen Varianten des § 266 StGB umschriebenen Beziehungen zum Ausdruck. Es besteht darin, daß den Untreuetätern "im besonderen Vertrauen in ihre Redlichkeit eine besondere Macht über das fremde Vennögen eingeräumt ist." 171 - Mit dem Begriff des "Wahrnehmens" fremder Vermögensinteressen wird eine spezifische Vermögensbetreuungspflicht des Treubruchstäters vorausgesetzt, nämlich "das fremde Vermögen in seiner Dynamik zu wahren, indem er sich die Ziele des Geschäftsherrn zu eigen macht." 172; der fragliche Relativsatz enthält danach als Voraussetzung für alle Begehungsformen des § 266 StGB die (zusätzlich einschränkende 173) Pflicht des Täters, "auf das Vermögen nur zweckhaft einzuwirken" 174 - Das in dem fraglichen Relativsatz für alle Begehungsformen geforderte Betreuungsverhältnis besteht darin, daß dem Täter "jremdnützige Dispositionsbefugnisse eingeräumt sein müssen". 175

1(9 So Rspr. und h. M; vgI. BGHSt 24, 386, 387; BGH, NJW 1984, S. 2539 m. Anm. Otto; OLG Hamburg, NJW 1983, S. 768; OLG Hamm, NJW 1977, S. 1834, 18351 1836; OLG Köln, NJW 1978, S. 713 m. Anm. Gössel; dazu auch Vonnbaum, JuS 1981, S. 21 m. w. N.; OLG Hamm, NJW 1984, S. 1633; Dreherffröndle, § 266 Rdnr. 1; Dunkel, Vermögensbetreuungspflicht, S. 236; Eser, Strafrecht IV, Nr. 17 A 41; Hübner, LK, § 266 Rdnr. 5; Krey, BT 11, S. 164; Lackner, § 266 Anm. 2b; Maurach/SchroederlMaiwald, BT I, S. 442; Offennann, wistra 1986, S. 56; Schmidhlluser, 11, S. 133; Seelmann, JuS 1982, S. 1982, S. 917; Wessels, BT/2, S. 161. 170

Hübner, LK, § 266 Rdnr. 5.

171 Sax,

JZ 19n, S. 666 (Hervorhebung im Original).

6n.

172

Schlüchter, JuS 1984, S.

173

So dürfte Schlüchter (JuS 1984, S. 676 Fn. 17) wohl zu verstehen sein.

174

Schlüchter, JuS 1984, S.

175

So Schönke/SchröderlLenckner, § 266 Rdnr. 2.

6n.

222

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

v. Basisdefinition ffir die Subsumtion gesellschaftsrechtlicher Beziehungen

Auf der Ebene abstrakter Interpretation des § 266 StGB würde nunmehr unter Auseinandersetzung mit den skizzierten Auffassungen zu untersuchen sein, wie die in allen Tatbestandsvarianten geforderte Pflicht des Täters, fremde Vermögensinteressen zu betreuen, inhaltlich defIniert werden muß. Wenn jedoch die spezielle Perspektive der Benachteiligung von Gesellschaften durch Untreue für die Aufhellung der in § 266 StGB angelegten und geforderten Beziehungen einschließlich ihrer inhaltlichen Prägungen Gewinn versprechen soll, dann ist es geboten, zuvor diejenigen speziellen Äußerungen in Rechtsprechung und Literatur auszuwerten, die sich mit den (gesellschaftsrechtlichen) Beziehungen eines (potentiellen) Untreuetäters zum Vermögen "seiner" Gesellschaft befassen. Das setzt freilich voraus, daß mit den bisher gewonnenen Ergebnissen zur DefInition der täterschaftsbegründenden Beziehungen schon eine hinreichend verläßliche Basis für die Subsumtion gesellschaftsrechtlicher Fallgestaltungen geschaffen ist. Fest steht bislang nur, daß sowohl ein Täter der Mißbrauchs- als auch der Treubruchsalternative in Beziehungen zum geschützten Vermögen bzw. zu seinem Inhaber stehen muß, deren gemeinsames Element darin besteht, daß er ("fremde" bzw. "dessen") "Vermögensinteressen zu betreuen hat". Diese Voraussetzung ist mithin für alle Tatbestandsvarianten gefordert. Auch alle gesellschaftsrechtlichen Beziehungen müssen daher, wenn sie täterschaftsbegründend sein sollen, dieses Charakteristikum aufweisen. Es steht ferner fest, daß zwischen der Beziehung des Täters zum Vermögen und/oder seinem Inhaber und den daraus erst resultierenden Pflichten des Täters zu differenzieren ist. Beide Größen sind methodisch zu trennen. 17b Sie verhalten sich zueinander wie Ursache und Wirkung oder Grund und Folge. Da es (häufIg) möglich ist, von einer Aussage über die Folge auf eine Aussage über den Grund rückzuschließen, können Aussagen darüber, wer in gesellschaftsrechtlichen Zusammenhängen "vermögenbetreuungspflichtig" ist, auch als allgemeinere Aussagen darüber verstanden werden, welche dieser Beziehungen täterschaftsbegründend sind. Die Einsicht, daß Täter einer Untreue in allen ihren Varianten nur sein kann, wer zu dem Vermögen und seinem Inhaber in einer besonderen

176

Darin ist Sax (JZ 1977, S. 665) zuzustimmen; siehe im einzelnen oben S. 149 Cf.

3. Kapitel Aussagen zum Täter

223

Beziehung steht und wer verpflichtet ist, dessen Vermögensinteressen zu betreuen, kann daher als Basisdeftnition der täterschaftsbegrÜDdenden Beziehung gelten. Sie läßt es jedenfalls zu, Rechtsprechung und Literatur unter dem Aspekt durchzumustern, welcheArten gesellschaftsrechtlicher Beziehungen nach aktuellem Verständnis täterschaftsbegrÜDdend sein sollen, und zwar unabhängig davon welcher Tatbestandsalternative des § 266 StGB sie jeweils zuzuordnen sind. Es können und sollen deshalb die gerichtlichen und literarischen Äußerungen über die Qualität der Beziehungen eines Untreuetäters konkret zu einer Gesellschaft und ihrem Vermögen dieser Rohdeftnition zugeordnet und ausgewertet werden, bevor die abstrakte Deftnition der Voraussetzungen des § 266 StGB weiter entwickelt wird. B. Beziehungen zu Gesellschaften und ihrem Vermögen als Gegenstand strafrechtlicher Beurteilung

Gegenstand strafrechtlicher Beurteilung und folglich Bezugspunkt der Aussagen zu den täterschaftsbegründenden Beziehungen in gesellschaftsrechtlichen Fällen sind die gesellschaftsrechtlich vorgeformten Sachverhalte. 177 In der Literatur sind bislang nur Einzelaspekte der gesellschaftsrechtlichen Untreue behandelt worden; grundsätzlichere Fragen werden nur gestreift. 178 Auch die Rechtsprechung hat sich - freilich ihrer Aufgabe entsprechend - mit Rechtsfragen der Untreue in gesellschaftsrechtlichen Zusammenhängen nur in Bezug auf konkrete Fallgestaltungen auseinandergesetzt. Die Kompilation der Sachaussagen erfordert daher ein Ordnungsraster, das hier - wie schon bei der Auswertung von Rechtsprechung und Literatur zur Frage der Vermögensfähigkeit von Gesellschaften 179 - nur in der Vertypung von Fällen bestehen kann, die das Gesellschaftsrecht vorgibt. Es sind daher zunächst auf der Grundlage gesellschaftsrechtlicher Regeln Fallgruppen zu bilden.

177

Siehe dazu oben in diesem Teil, 2. Kapitel A I.

178 Ein Beispiel findet sich etwa bei Schilfer, NJW 1983, 2&50: "Die Erfüllung des Tatbestandes hängt somit für den hier interessierenden Problemkreis von den Fragen ab, ob 1. die KG im Verhältnis zum Täter eine "andere" ist, die "fremdes Vermögen" oder "fremde Vermögensinteressen" hat und 2. welche Beziehungen zwischen dem Täter, d. h. dem Komplementär der KG, und der Gesellschaft oder den Mitgesellschaftem, den Kommanditisten, bestehen." Ähnlich auch Jaeger, KO, §§ 209, 210 Rdnr. 19. 179

Oben in diesem Teil, 2. Kapitel A I.

17 Nelle,

224

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

I. Zur Differenzierung zwischen Innen- und Außenbeziehungen

Alle Zusammenschlüsse einzelner Personen zu einer Personenvereinigung 180 verfügen über eine Organisation, die ihre interne und externe Handlungsfähigkeit herstellt. Die Verteilung der Rechte und Pflichten der an der Personenvereinigung beteiligten oder für sie handelnden Personen im Verhältnis zur Personenvereinigung oder ihren (übrigen) Mitgliedern richtet sich gesellschaftsrechtlich in erster Linie nach der gewählten Organisationsform. Nach den für sie geltenden gesetzlichen und vertraglichen Regeln bestimmt sich die Binnenstruktur; das heißt, diese legt die (Innen-) Beziehungen der Beteiligten zueinander und zur Vereinigung fest. Das Gesellschaftsrecht kennt zwei große Klassen von Organisationsformen: die Körperschaften und die Personengesellschaften. 181 Deren interne Beziehungsgeflechte müssen daher auch strafrechtlich jeweils gesondert unter dem Aspekt behandelt werden, wer in Beziehung zur Personenvereinigung oder ihren (übrigen) Mitgliedern Täter einer Untreue sein kann. Alle Personenvereinigungen können aber als solche oder in Gestalt der Gesamtheit ihrer Mitglieder auch in rechtsgeschäftliche oder tatsächliche Beziehung zu Dritten treten, also zu Personen, die nicht zur Organisation der Gesellschaft im weitesten Sinne gehören. Auch die so hergestellten Beziehungen - Außenbeziehungen - kommen grundsätzlich als Grundlagen einer Untreuetäterschaft in Frage, und zwar in zweifacher Hinsicht. Es kann der "Dritte" möglicher Täter einer Untreue zum Nachteil der Personenvereinigung sein. Es ist aber auch denkbar, daß "die Personenvereinigung" im Verhältnis zu dem Dritten vermögensbetreuungspflichtig ist. Dann stellt sich freilich die Frage, ob und welchen der für sie handelnden natürlichen Personen die täterschaftsbegründende Beziehung (nach § 14 StGB) zugerechnet werden kann. Da die zivilrechtlichen Regeln für die Innen- und Außenbeziehungen einer Personenvereinigung nicht (vollständig) deckungsgleich sind und die strafrechtlichen Probleme dieser beiden Gruppen von Beziehungen mindestens in Teilbereichen unterschiedlich gelagert sind, werden auch die Aussagen der strafrechtlichen Rechtsprechung und Literatur zur Untreuetäterschaft nach diesen bei den Kategorien zu unterscheiden sein.

180 So der im Gesellschaftsrecht gebräuchliche Oberbegriff für alle Formen von Körperschaften und Gesellschaften; vgl. Hueck, Gesellschaftsrecht, S. 1; Kabler, Gesellschaftsrecht, S. 1; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S. 3. 181

Siehe oben in diesem Teil, 2. Kapitel A I (S. 158 fl).

3. Kapitel Aussagen zum Täter

225

11. Zur Differenzierung zwischen Körperschaften und Personengesellschaften Im Untreuestrafrecht geht es jedoch nicht um irgendwelche Beziehungen zwischen Personen und Gesellschaften, sondern um die vennögensrelevanten. Es ist daher neben der "Verfassung" einer Personenvereinigung als Körperschaft oder Personengesellschaft auch darauf abzustellen, ob diese im Sinne des Gesellschaftsrechts Inhaberin von Vermögen sein kann oder nicht. Die Beziehungen der Beteiligten zu dem gemeinschaftlichen Vennögen und die Beziehungen Dritter zu dem Vennögen der Personenvereinigung werden nicht nur davon beeinflußt, wie die Vereinigung organisiert ist, sondern auch davon, ob sie juristische Person oder Gesamthandsgemeinschaft ist. Die gesellschaftsrechtlichen Grenzziehungen zwischen Körperschaften und Personengesellschaften einerseits und andererseits zwischen juristischen Personen und Gesamthandsgemeinschaften verlaufen allerdings nicht parallel. 182 Es ergäben sich danach als Anküpfungsfälle für die strafrechtliche Frage nach der täterschaftsbegründenden Qualität von Innen- und Außenbeziehungen jeweils vier gesellschaftsrechtlich zu unterscheidende Konstellationen: Die Beziehungen der Beteiligten zu dem (gemeinschaftlichen) Vermögen innerhalb (Innenbeziehungen) und zu (Außenbeziehungen) - einer körperschaftlich verfaßten und rechtsfähigen Vereinigung Guristische Person), - einer körperschaftlich verfaßten aber nicht rechtsfähigen Vereinigung (nicht eingetragener Verein als Gesamthandsgemeinschaft), - einer nicht körperschaftlich verfaßten aber rechtsfähigen Vereinigung (Stiftung), - einer personengesellschaftlich organisierten Gesamthandsgemeinschaft. Es fragt sich jedoch, ob eine so differenzierte Aufschlüsselung für Zwecke dieser Untersuchung erforderlich ist. Die Begriffe "Körperschaft" und "Personengesellschaft" lassen sich auch als Bezeichnung für einen idealtypischen Gegensatz und nicht als zwei sich gegenseitig ausschließende Tatbestände verstehen. 183 In diesem Sinne ist es legitim, Körperschaften - dem Regelfall entsprechend - mit juristischen Personen gleichzusetzen und Personengesellschaften - ebenfalls dem Regelfall entsprechend - mit Gesamthandsgemeinschaften. Behält man im Auge, daß es sich um (fall-) typische Gestaltungen handelt, kann auch die strafrechtliche Beurteilung der Innenbeziehungen und

182

Siehe oben in diesem Teil, 2. Kapitel A I.

183

Kübler, Gesellschaftsrecht, S. 22.

226

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

der Außenbeziehungen jeweils getrennt nur nach Körperschaften ( = juristische Personen) und Personengesellschaften (= Gesamthandsgemeinschaft) vorgenommen werden. III. Ordnungsraster

Für die Sichtung und Auswertung der Rechtsprechung und Literatur, betreffend die in Betracht kommenden "Täter" einer Untreue zum Nachteil von Gesellschaften oder Gesellschaftern, werden daher folgende Fallkategorien zugrundegelegt:

- Außenbeziehungen - Beziehungen Dritter zu einer Körperschaft und zu einer Personengesellschaft; - Beziehungen einer Körperschaft oder Personengesellschaft zu Dritten (speziell zu Gläubigern); - Innenbeziehungen - Beziehungen zwischen den Mitgliedern untereinander und/oder zu ihrer Gesellschaft, jeweils getrennt nach Körperschaften und Personengesellschaften; - Beziehungen zwischen den Organen oder Funktionsträgem einer Personenvereinigung zu dieser oder ihren Mitgliedern, jeweils getrennt nach Körperschaften und Personengesellschaften. Der Darstellung der strafrechtlichen Beurteilung dieser einzelnen Beziehungsarten wird jeweils eine zusammenfassende Skizze der sie betreffenden gesellschaftsrechtlichen Regeln vorangestellt werden. C. Darstellung des Meinungsbildes in Rechtsprechung und Literatur I. Außenbeziehungen 1. Gesellschajtsrechtliche Regelungen

Außenbeziehungen, insbesondere die Frage, zu wem ein Dritter in vermögensrelevanter Beziehung stehen kann, zur Gesellschaft als solcher oder zur Gesamtheit ihrer Gesellschaft, werden im Gesellschaftsrecht danach entschieden, ob die Gesellschaft eine juristische Person ist oder nicht.

3. Kapitel Aussagen zum Täter

227

Die Rechtssubjektivität (einer Körperschaft) besteht nach Auffassung im Gesellschaftsrecht gerade darin, daß sie als eigener Zuordnungspunkt für Rechte und Pflichten dient: die rechtsfähige Organisation ist Eigentümerin der zum Gesellschaftsvermögen gehörenden Sachen; sie ist Gläubigerin der Forderungen, Inhaberin sonstiger Rechte, Schuldnerin der von ihr eingegangenen Verbindlichkeiten und Klägerin oder Beklagte im gerichtlichen Verfahren. 184 Ihr Vermögen ist auch im Verhältnis zu ihren Mitgliedern verselbständigt. Dies haben keine direkte, sondern nur eine durch die Mitgliedschaft vermittelte Beziehung zum Gesellschaftsvermögen (sog. "Trennungs prinzip"); das bedeutet, daß dem einzelnen Mitglied weder die Aktiva "der" Gesellschaft zustehen noch die Passiva "der" Gesellschaft Verbindlichkeiten des einzelnen Mitglieds sind. - Dieses Trennungsprinzip wird im Zivilrecht nicht schrankenlos durchgehalten. Es ermöglicht nämlich dem einzelnen Individuum, durch Inkorporierung seiner wirtschaftlichen Aktivitäten zwischen sich und die davon betroffenen Interessen Dritter einen "Schleier" oder schützenden Schirm zu legen. In Fällen, die sich zusammenfassend mit dem Schlagwort des "institutionellen Mißbrauchs" bezeichnen lassen, kann deshalb dieser "Schleier" ausnahmsweise mittels der vom Richter angeordneten "Durchgriffshaftung" durchstoßen, das Trennungsprinzip also durchbrochen werden. 1&5 Als Regel gilt aber, daß die Außen beziehungen juristischen Personen nur zwischen "der" Körperschaft und Dritten, beziehungsweise umgekehrt (nur) zwischen einem Dritten und "der" Körperschaft bestehen. Die Aktiva und Passiva einer Gesamthandsgemeinschajt stehen, im Gegensatz dazu, nicht "der" Gesellschaft zu, sondern den Gesellschaftern zur gesamten Hand. Praktisch bedeutsam ist dies für Forderungen Dritter gegen die Gesellschaft: sie sind Forderungen gegen die Gesellschafter. 186 Unterschiedlich geregelt ist für die einzelnen Formen der Personengesellschaften nur die Frage, in welchem Umfang die Gesellschafter haften, ob allein mit dem gemeinsamen (Gesellschafts-) Vermögen (so Kommanditisten der KG) oder

184

Vgl. die zusammenfassende Darstellung bei lUibler, Gesellschaftsrecht, S. 30 ff.

1&5 Zur - umstrittenen - Zulässigkeit der Durchgriffshaftung, den im einzelnen streitigen Voraussetzungen und den möglichen Alternativen korrigierender Rechtsanwendung in diesen Fällen vgl. die zusammenfassende Darstellungbei ReinhardtlSchultz, Gesellschaftsrecht, Rz. 851863 m. w. N.; lUibler, Gesellschaftsrecht, § 23.

186

Kübler, Gesellschaftsrecht, S. 29, 31.

228

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

zugleich mit ihrem jeweiligen Privatvermögen (so die Regel die Gesellschafter einer GbR, einer oHG und den Komplementär einer KG). 187 Als Regel gilt daher, daß dieAußenbeziehungen bei Personengesellschaftern zwischen "den Gesellschaftern" als Gesamthandsgerneinschaft und Dritten bestehen, beziehungsweise umgekehrt (nur) zwischen einem Dritten und "den Gesellschaftern" in ihrer gesellschaftsrechtlichen Verbundenheit. 2. Strafrechtliche Beurteilung a) "Dritte" in Beziehung zu einer Körperschaft oder Gesellschaft

Für diesen Typ von "gesellschaftsrechtlichen" Beziehungen kann an die Darstellung der Auffassungen zur Benachteiligungsfähigkeit von Gesellschaften durch Untreue angeknüpft werden. 188 Wann immer ein Dritter das Vermögen einer Körperschaft oder sonst gesellschaftlich gebundenes Vermögen schädigt, messen Rechtsprechung und Literatur der Gesellschaftsfonn keine Bedeutung zu. 189 Sie gehen daher auch bei der Frage nach der täterschaftsbegründenden Beziehung des Dritten zu dem Gesellschaftsvermögen ausschließlich von den allgemeinen Anfordenmgen an die Vennögensbetreuungspflicht aus, lassen also gesellschaftsrechtsspezifischeBindungen des Vermögens im Verhältnis zu Dritten außer Betracht. Körperschaften und Personengesellschaften werden in diesen Fällen unterschiedslos "antropomorph" behandelt. Ein prominentes Beispiel für diese Art des Vorgehens ist etwa die Scheckkartenentscheidung. Der Inhaber einer Scheckkarte ist Kunde einer Bank, nicht jedoch möglicher Mitinhaber ihres Vermögens, in welcher Rechtsform die Bank auch organisiert sein mag. 190 Die Probleme, die sich hier stellen, werden deshalb unabhängig davon diskutiert, ob man sich "die Bank" als eine natürliche Einzelperson vorstellt, auf deren Vermögen der Scheckkarteninhaber infolge der spezifischen vertraglichen oder auch faktischen Zugriffsmöglichkeit einwirken kann, oder als organisierte Rechtsperson.

187

Kübler, Gesellschaftsrecht, S. 31.

188

Oben in diesem Teil, 2. Kapitel A IV.

189

Nachweise oben in diesem Teil, 2. Kapitel, S. 176 - 177, Fn. 101 - 107.

190 BGHSt 24, 386 ff: "untauglicher" Täter; Schröder,JZ 1972, 706, 708; Heimann-Trosien, JZ 1976,549,551: "tauglicher" Täter; siehe auch die Nachweise zur Diskussion des Scheckkartenurteils in diesem Kapitel A, II 2 bb) und cc).

3. Kapitel Aussagen zum Täter

229

Gleiches gilt etwa für alle Personen, die auf Grund anderer (vertraglicher) Beziehungen etwa als Anlageberater, 191 Steuerberater, 192 Rechtsberater, 193 Notare 194 etc. für eine Gesellschaft tätig sind und die in Rechtsprechung und Literatur als taugliche Täter einer Untreue zum Nachteil des Unternehmens eingeordnet werden. Auch diese Beziehungen werden in ihrer Struktur unabhängig davon analysiert, ob der Inhaber des betreuten Vermögens aus einem natürlichen Individuum, mehreren natürlichen Personen in ihrer gesellschaftsrechtlichen Verbundenheit, einer juristische Person oder einer mit den Begriffen "Firma", "Betrieb" oder "Unternehmen" etc. benennbaren Organisation besteht. b) ''Die Gesellschaft" in Beziehung zu Dritten

Die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Personengesellschaft oder eine Körperschaft in einer täterschaftsbegründenden Beziehung zu Dritten stehen kann, wird in Rechtsprechung und Literatur nur für eine ganz spezielle Fallkonstellation und dort auch nur indirekt behandelt. Schädigt eine Körperschaft ihr Vermögen durch einverständliches Handeln aller Gesellschafter und ihrer Organe, dann soll - jedenfalls - der Vorstand bzw. Geschäftsführer eine Untreue zum Nachteil der Gesellschaft begehen können; das Einverständnis aller Gesellschafter soll- jedenfalls - keine tatbestandsausschließende Wirkung haben. Darin sind sich höchstrichterliche Rechtsprechung und Literatur - von wenigen Ausnahmen abgesehen 195_ weitgehend einig. 196 Aufschlußreich für die Beurteilung der Beziehungen einer Körperschaft zu Dritten sind nur die Begründungen für diese Lösung. Teilweise wird argumentiert, die Gesellschafterversarnmlung könne jedenfalls dann nicht wirksam

191 vgl. etwa BGH, NJW 1977, 2259; Hübner, LK § 266 Rdnr. 54; Lampe, GA 1987, S. 249; Oua, Bankentätigkeit, S. 83; v. Ungem-Srrenberg, ZStW 88 (1976), S. 653, 692 f. 192

Hübner, LK, § 266 Rdnr. 57 Stichwort "Steureberatung" .

193

Siehe dazu Hübner, LK, § 266 Rdnr. 54 Stichwort "Anwaltsvertrag".

194

Hübner, LK, § 266 Rdnr. 57 Stichwort "Notariat".

195 Labsch,JuS 1985, S. 602, 606; Ders., wistra 1985, S. 8; Orea, JZ 1985, S. 74 Fn. 164; Samsan, SK, § 266 Rdnr. 41; Schänke/ SchröderlLenckner, § 266 Rdnr. 21; Winkelbauer, wistra 1986 S. 18.

196 BGH, GA 1979, 313; wistra 1983, 71; OLG Stuttgart, MDR 1978, 593; DreherfTröndle, § 266 Rdnr. 14; Hübner, LK, § 266 Rdnr. 87; Lackner, § 266 Anm. 7; Schneider, Untreue nach dem neuen Aktiengesetz, S. 88; Tledemann, in Scholz, GmbHG, 6. Aufl., vor § 82 Rdnr. 17.

230

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

zustimmen, wenn und weil durch die Geschäftsführungsmaßnahme G/äubigerinteressen geschädigt würden. Dem liegt folgende Ableitung zu Grunde: Wenn § 266 StGB auch gläubigerschützende Funktion hat, dann darf die Gesell-

schaftergesamtheit über ihr Vermögen oder das Vermögen ihrer Gesellschaft keine Verfügungen treffen oder Maßnahmen ergreifen, durch die die Vermögensinteressen der Gläubiger geschädigt werden. Grund für die Annahme, § 266 StGB könnte (auch) das Vermögen der Gläubiger einer juristischen Person - speziell einer GmbH - schützen, ist, daß dem früheren § 81a GmbH eine solche Schutzrichtung unterlegt wurde, 197 die von einigen Autoren heute auf § 266 StGB übertragen wird. 198 Die "gläubigerschützende" Funktion des § 266 StGB würde danach darin bestehen, daß Vermögensinteressen Dritter an dem Vermögen einer juristischen Person vor dem Zugriff durch deren Organe prinzipiell geschützt ist. Ob eine Beziehung zwischen der Gesellschaft und ihren Gläubigern besteht, die den Anforderungen einer Vermögensbetreuungspflicht im Sinne des § 266 StGB entspricht, ist danach kein Thema mehr: offenbar soll allein die Existenz als juristische Person und die Existenz beliebiger vetraglicher Beziehungen zu Dritten ausreichen, um für die Gesamtheit der Gesellschafter und Organe eine Vermögensbetreuungspflicht zugunsten der Gläubiger zu begründen. Die Haltung der Rechtsprechung ist dagegen unklar. Verbal bekennt sich der BGH teils ausdrücklich dazu, daß § 266 StGB keine gläubigerschützende Funktion habe, 199 teils hält er - auch in späteren Entscheidungen - lediglich den Gesichtspunkt des Gläubigerschutzes für "ohne Bedeutung" 200 oder "nicht maßgeblich" 201 und behandelt die Frage als offen. 202 Teils stützt er seine Entscheidung sachlich auf diesen Gesichtspunkt, etwa wenn er judiziert, die Anteilseigner einer GmbH dürften über deren Vermögen "schon im Interesse der Gesellschaftsgläubiger" nur im Rahmen des GmbH-Gesetzes

197 BGH GmbHRd 1954, 75 m. zust. Anm. Schneider, Klug, in Hachenburg, GmbHG (6. Aufl.), § 81a Anm. 1.

198 Kohlmann, in Hachenburg, GmbHG (7. Aufl.), Vorbem. § 82 Rdnr. 40; differenzierend Ders., in Festschr. f. Werner, S. 398 (mittelbarer Gläubigerschutz und nur bis zu der durch 30 GmbHG gezogenen Grenze). 199 So deutlich BGHSt 28, 371, 373: 'Während die Bankrottbestimmungen die Konkursmasse im Interesse der gesamten Gläubigerschaft sichern sollen, dient § 266 StGB allein dem Schutz des Vermögensinhabers." (Hervorhebung von Verf.); ferner BGHSt 30, 127.

200

BGHSt 3, 32, 40.

201 BGHSt 34, 379, 386; BGH Urt. v. 24. 2. 1976 - 1 StR 602/75 unter Bezugnahme auf das Urteil v. 2. 2. 1968 - 2 StR 630/67, das indessen kein Wort zu dieser Frage enthält. 202

BGHSt 34, 379, 386.

3. Kapitel Aussagen zum Täter

231

verfügen. 203 - Soweit tragende Begründung in der Rechtsprechung nur ist, daß das (geschädigte) Vermögen der Gesellschaft "als eigener Rechtspersönlichkeit" zustehe, wird die Analyse vermögensfürsorgerischer Beziehungen zwischen der Körperschaft und ihren Gläubigern dadurch umgangen. Für Personengesellschaften sind entsprechende Fallkonstellationen, soweit ersichtlich, bisher nicht als Problem des § 266 StGB gesehen, sondern nur unter dem Aspekt der explizit gläubigerschützenden Bankrottdelikte beurteilt worden. 204 Untreueprobleme wurden dort nur dann gesehen, wenn nicht alle Gesellschafter zugestimmt hatten 205 oder einer der Gesellschafter - wie bei der GmbH & Co - als juristische Person nach den oben dargelegten, für diese geltenden Grundsätzen nicht wirksam zustimmen konnte. 2D6 11. Innenbeziehungen 1. Gesellschaftsrechtliche Regelungen

Die Binnenstrukturen der körperschaftlich verfaßten juristischen Personen und der personengesellschaftlich organisierten Gesamthandsgemeinschaften unterscheiden sich grundlegend voneinander. a) Körperschaftliche Organisation aa) Beziehungen der Mitglieder untereinander und zur Gesellschaft

Nach dem in unserer Rechtsordnung geltenden System der Normativbestimmungen 2lJ7 entstehen juristische Personen in der Regel erst mit Eintragung

203 BGH, wistra 1983, 71. - Deutlich und in der Aufdeckung der wohl eigentlichen Gründe ehrlicher BGH Urt. v. 11. 9. 1979 - 1 StR 394/79 (S. 10/11): Das "Vorhandensein der GmbH in der Frage des Mißbrauchs im Sinne des § 266 StGB (sc. ist) nicht nur, wie das Landgericht meint, eine "formale Situation". Die gesetzlichen Bestimmungen über die Erhaltung des Gesellschaftsvermögens bezwecken auch den Schutz der Gläubiger der Gesellschaft. Es geht nicht an, daß sich der alleinige Gesellschafter auf die Vorteile der Vermögenstrennung durch die GmbH beruft, wenn es um seine Haftung geht, andererseits aber Vermögensvermischung geltend macht, wenn er der GmbH willkürlich wirtschaftliche Werte zum eigenen Vorteil entzieht." 204

BGH,wistra 1984, 226; BGH b. Achenbach NStZ 1988. 100; BGH, wistra 1989, 264, 266.

205

BGH StrVert 1988, 14 m. Anm. Weber.

206

BGH, wistra 1984, 71.

2lJ7

Dazu Soergel/Sieberr/Schulze-v.Lasaulx, vor § 21 Rdnr. 17.

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

232

ins Handels-, Vereins- oder Genossenschaftsregister. Da die Eintragungsvoraussetzungen zunächst geschaffen werden müssen, sind rechtsfähige Personenvereinigungen in der Regel das Produkt eines gesetzlich vorgeschriebenen Entstehungsprozesses. Erforderlich ist in jedem Fall, daß die Gründer die Satzung (das Statut, den Gesellschaftsvertrag) mit dem gesetzlichen Mindestinhalt formgerecht beschlossen 208 und einen Vorstand (Geschäftsführer) bestellt haben, der das Eintragungsverfahren zu betreiben hat. 209 Nach Eintragung, also mit Verselbständigung der juristischen Person, bildet die Satzung die Grundlage für die Beziehung der Mitglieder zueinander: die Rechte und Pflichten der Mitglieder werden Rechte und Pflichten gegenüber dem Verband.

210

Welche Pflichten ein einzelnes Miglied oder die Gesamtheit der Mitglieder gegenüber der Körperschaft haben, ist in Bezug speziell auf das Gesellschaftsvermögen davon abhängig, ob ein eigenständiges, vom Interesse der Gesellschafter abweichendes Gesellschaftsinteresse gegenüber den Mitgliedern angenommen werden kann. Die Frage ist im Gesellschaftsrecht ungeklärt und Gegenstand lebhaften Streites. 2ll Die Rechtsprechung des Gesellschaftsrechtssenats des Bundesgerichtshofs steht dieser Annahme eher ablehnend gegenüber. 212 Im Gesellschaftsrecht wird allerdings die Frage diskutiert, ob ein Mitglied bzw. Teilhaber, der die Mehrheit der Anteile an der Körperschaft auf sich vereinigt ("Mehrheitsaktionär"; "Großaktionär"), den übrigen Mitgliedern gegenüber ("Minderheitsaktionäre", "Kleinaktionäre") zur "Treue" verpflichtet ist. 213 Soweit dies bejaht wird, wird freilich klargestellt, daß es sich um eine Durchbrechung des Trennungsprinzips handelt.

208

§§ 57 ff BGB, 23 ff AktG, 5 ff GenG, 2 ff GmbHG.

209

§§ 59 ff BGB, 30 u. 36 AktG, 9 ff GenG, 6 f GmbHG.

210

Reinhardt/Schultz, Gesellschaftsrecht, Rz. 31.

211 Vgl. die umfassende Darstellung bei Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S. 357 ff. m. w. N. sowie die Übersicht bei Kübler, Gesellschaftsrecht, S. 171 ff (für die AG). 212

BGHZ 31, 258, 278; 95, 330, 340; BGH, NJW 1974. 1088 f; NJW 1984,1037.

213 Eine "Treuepflicht" nehmen im Bereich des Zivilrechts an: BGHZ 14, 38; 18, 356; Lutter, JZ 1976, S. 225 - 233; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S. 95. - Gegen eine besondere Treuepflicht und für Bindung nur an die generellen Verhaltensstandards des § 242 BGB: Kübler, Gesellschaftsrecht, S. 183 m. w. N.; Reinhardt/Schultz, Gesellschaftsrecht, Rdnr. 442.

3. Kapitel Aussagen zum Täter

233

bb) Organe Auch wenn alle Körperschaften über je eigene Organe verfügen, lassen sich doch Kategorien bilden, die sich auf die Rechte und Pflichten des jeweiligen Organtyps gegenüber der Körperschaft und ihrem Vermögen beziehen. Typ ''Vorstand''

Alle juristischen Personen des Privatrechts besitzen Organe vom Typ ''Vorstand'', die freilich unterschiedlich benannt werden. Die betreffenden Funktionsträger werden bei der GmbH als "Geschäftsführer" bezeichnet 214 und haben bei der KGaA keine besondere Bezeichnung, denn die Funktion wird von den "persönlich haftenden Gesellschaftern" wahrgenommen. 215 In allen übrigen Fällen heißen sie "Vorstand". 216 Die Zusammenfassung dieser Organe zu einem Typ rechtfertigt sich, trotz teils unterschiedlicher und darüber hinaus disponibler 217 Regelung ihrer Befugnisse, damit, daß sie Dritten gegenüber rechtserheblich für die juristische Person handeln. Ihre Handlungen werden als solche der juristischen Person angesehen, ihr also "zugerechnet". 218 Typisch für die Kennzeichnung dieser Funktionen des Organtyps Vorstand sind gesetzliche Formulierungen der Art, der "Vorstand vertrete die juristische Person gerichtlich und außergerichtlich". 219 Die Geschäftsführungsbefugnis- also die Handlungsbefugnis im Innenver hältnis - kann davon abweichend geregelt werden. Sie kann durch Satzung beschränkt 220 oder an die Zustimmung anderer Organe gebunden werden. 221 Das ist für die verschiedenen juristischen Personen in unterschiedlichem Maße möglich; teilweise ist der Spielraum gering, um zu vermeiden, daß Funk-

214

§ 6 GmbHG

215

§§ 278 Abs. 2 AktG i. V. m. 161 Cf HGB

216 Vgl. für den e. V.: § 26 BGB, für die AG: §§ 76 ff ktG, für die e.G.: § 9 enG, für die Stiftung: §§ 86 S. 1 i. V. m. 26 BGB, für den WaG: § 29 VAG. 217 Für den e.V. (§ 26 Abs. 2 S. 2 BGB) und die Stiftung (§§ 86 i. V. m. 26 Abs. 2 S. 2 BGB) kann die Satzung die Handlungsmöglichkeiten beschränken; die Beschränkungen sind beim e.V. durch Eintragung in das Vereinsregister publik zu machen (§ 70 BGB). 218

Vgl. die Darstellung bei lohn, Organisierte Rechtsperson, S. 117 ff.

219

§ 78 Abs. 1 AktG.

220

Z.B. nach §§ 82 Abs. 2 AktG, 27 Abs. 1 S. 2 GenG.

221

Z. B. § 111 Abs. 4 AktG.

234

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

tionsträger mit nach außen nicht beschränkbarer Vertretungsmacht Innenverhältnis zu "Marionetten" anderer Organe werden. 122

lIll

Der Vorstand kann nun aus mehreren Personen bestehen, muß es aber nicht. 2Z3 Daraus ergeben sich für das Strafrecht eine Reihe zusätzlicher Probleme. Teils gehören sie in den Regelungskomplex Täterschaft/Teilnahme und sind daher für die hier anzustellende Untersuchung auszuklammern. 224 Teils gehören sie insofern unmittelbar zur Frage der Beziehung zwischen Organ und Körperschaft im Sinne des § 266 StGB, als jeweils nur die Beziehung eines Menschen (des "Täters") zum geschützten Vermögen und seinem Inhaber gemeint sein kann. Diese Beziehung muß aber, wenn der einzelne Mitglied eines Organs - "Funktionsträger" 225 - ist, nicht zwingend identisch sein mit der, die das Organ als Ganzes zur Körperschaft unterhält. Dennoch können auch diese Fragen hier nicht untersucht werden. Ob mehrere Personen "den Vorstand" bilden und in welcher Weise diese ihre Kompetenzen gegeneinander abzugrenzen haben, ist der Regelung durch Satzung vorbehalten. Es kann nicht Aufgabe dieser strafrechtlichen Untersuchung sein, alle gesellschaftsrechtlich zulässigen Möglichkeiten der Gestaltung von Vorständen und der internen Verteilung von Kompetenzen unter den einzelnen Vorstandsmitgliedern im Hinblick auf strafrechtliche Konsequenzen zusammenzustellen. Auch der Rückgriff auf die gesetzlichen Regelungen für den Fall, daß die Satzung zwar einen mehrköpfigen Vorstand vorsieht, jedoch die Kompetenzen der einzelnen Vorstandsmitglieder nicht regelt, führt nicht weiter, weil sie nicht einheitlich sind. So sieht das Gesetz zwar überwiegend für diese Fälle das Prinzip der Gesamtvertretung vor; 226 für den e. V. ist die Frage nicht gesetzlich geregelt, wird aber nach herrschender Ansicht im Zivilrecht damit beantwortet, daß

122 Für die AG schreibt deshalb § 76 AktG vor: "Der Vorstand hat unter eigener Verantwortung die Gesellschaft zu leiten." - Ebenso § 27 Abs. 1 S. 1 GenG; anders beim e. V., für den § 27 Abs. 3 BGB gemäß § 40 BGB abdingbar ist. - Anders auch für Geschäftsführer der GmbH, der den Beschränkungen der Satzung unterliegt (§ 37 Abs. 1 GmbHG) und den Gesellschaftern gegenüber weisungsabhängig sind (§§ 51a, b GmbHG). 2Z3 Mit Ausnahme des Vorstandes einer e.G., für den gem. § 24 Abs. 2 S. 1 GenG ein mindestens zweigliederiger Vorstand vorgeschrieben ist.

224

Siehe Einleitung IV.1.b)

225

So die Terminologie von lohn, Organisierte Rechtsperson, S. 76.

226 So bei der AG (§ 78 Abs. 2 S. 1 AktG), der GmbH (§ 35 Abs. 2 S. 2 GmbHG) und dem VVaG (§§ 34 VAG i. V. m. 78 Abs. 2 S. 1 AktG).

3. Kapitel Aussagen zum Täter

235

das Tätigwerden der Mehrheit der Vorstandsmitglieder ausreicht; 2Z1 für die KGaA ist. hingegen vorgesehen, daß jeder einzelne persönlich haftende Gesellschafter allein handeln kann. 228 Für Zwecke dieser Untersuchung soll daher von dem gesetzlichen Regelfall des einköpfigen Vorstandes ausgegangen werden. Für die strafrechtliche Beurteilung der Beziehungen zwischen Organ und Körperschaft wird also jeweils unterstellt werden, daß "das geschäftsführende Organ" aus nur einem Funktionsträger besteht, um dessen Täterqualifikation im Sinne des § 266 StGB es geht. Typ ''Mitgliederversamm/ung''

Für alle juristischen Personen des Privatrechts mit Ausnahme der Stiftung ist ferner ein Organ des Typs "Mitgliederversammlung" obligatorisch. Auch hier varüert die Bezeichnung; es handelt sich beim e. V. um die "Mitgliederversammlung", 229 bei der AG und der KGaA um die "Hauptversammlung", 230 bei der e.G. um die "Generalversammlung", 231 bei der GmbH um die "Gesellschafterversammlung" 232 und beim VVaG um die "oberste Vertretung". 233 Bei der Stiftung, die keine Mitglieder kennt, sondern deren Initiator sich mit der Gründung der juristischen Person ein für alle mal des (über die Schaffung der Satzung hinausgehenden) Einflusses entäußert, kann es ein derartiges Organ nicht geben. Dieser Organtyp dient unmittelbar dazu, den Einfluß der Initiatorengruppe auf die Geschicke der Körperschaft zu organisieren. Bei ihm liegen daher alle im Rahmen der rechtlichen Existenz der juristischen Person in Betracht kommenden Kompetenzen, soweit sie nicht durch Gesetz oder Satzung den geschäftsführenden Organen zugewiesen sind. 234 Soweit es weitere interne

2Z1

Soergel/Siebert/Schultze-v.Lasaulx, § 26 Rdnr. 13 m. w. N..

228

§§ 278 Abs. 2 AktG i. V. m. 125 bs. 1 HGB.

229

§ 32 BGB.

230

§§ 118 ff bzw. 285 ff AktG.

231

§ 43 GenG.

232

§ 48 GmbHG.

233

§ 36 VAG.

234

lohn, Organisierte Rechtsperson, S. 122 f.

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

236

Kontrollorgane gibt, bleiben im Verhältnis zu diesen regelmäßig die grundsätzlicheren Entscheidungen (mindestens Satzungsänderungen 235 und Entscheidung über Auflösung und Fortbestehen 236) dem mitgliederbestimmten Organtyp vorbehalten. Deswegen wird das Organ vom Typ Mitgliederversammlung als das oberste Organ einer juristischen Person angesehen. Ob die Mitgliederversammlung als Organ (zivilrechtlich) verpflichtet ist, eingeständige (Vermögens-)interessen der Körperschaft zu respektieren oder wahrzunehmen, hängt, wie bereits für die Rechtslage des einzelnen Mitgliedes dargestellt, 237 von der ungeklärten Frage ab, ob es ein eigenständiges, vom Interesse der Gesamtheit der Mitglieder unabhängiges Gesellschaftsinteresse gibt. Typ ''Aufsichtsrat''

Daneben verfügen einige juristische Personen notwendig, einige fakultativ, über einen zweites (internes) Organ vom Typ "Aufsichtsrat". Gesetzlich vorgeschrieben ist der Aufsichtsrat für die AG, 238 die KGaA, 239 den VVaG 240 und die eG,241 für die GmbH (ausnahmsweise) dann, wenn sie Trägerin eines Betriebes ist, der dem Mitbestimmungsgesetz unterfällt. 242 Im übrigen können solche Organe ("Beiräte", "Verwaltungsräte") durch Satzung eingerichtet werden. 243 Der Organtyp Aufsichtsrat wird von den Mitgliedern nur repräsentativ und oft nur teilweise beeinflußt. Ihm sind Entscheidungen anvertraut, die der laufenden Geschäftsführung näherst ehen, diese kontrollieren oder sogar

235 §§ 119 Abs. 1 Ziff. 5 AktG, 16 Abs. 1 GenG, 53 GmbHG; anders beim e. V., da § 33 BGB gemäß § 40 dispositiv ist.

236

§§ 41 S. 1 BGB, 119 Abs. 1 Ziff. 8 AktG, 78 Abs. 1 GenG, 60 Abs. 1 Ziff. 2 GmbHG.

237

Siehe oben Nachw. in Fn. 211, 212.

238

§§ 95 ff AktG.

239

§ 287 AktG.

240

§ 35 VAG.

241

§ 9 Abs. 1 GenG.

242

§ 77 Abs. 1 BetrVG 1952, § 129 BetrVG 1972.

243 z. B. § 52 GmbHG, der für die Befugnisse eines solchen Organs bei Fehlen entsprechender Bestimmungen in der Satzung auf für den Aufsichtsrat der AG geltende Vorschriften verweist.

3. Kapitel Aussagen zum Täter

237

betreffen. 244 Außenvertretungsmacht besitzt ein solches Organ allenfalls im Verhältnis zum Vorstand, soweit dessen Funktionsträger der juristischen Person als Privatpersonen gegenüberstehen. 2AS b) Personengesellschaften aa) Beziehungen der Gesellschafter untereinander und zum Gesellschaftsvennögen

Grundlage der Beziehungen der Gesellschafter einer Personengesellschaft zueinander und zur Gesellschaft ist der Gesellschaftsvertrag. Die Gründung einer Personengesellschaft führt dazu, daß sie innerhalb des vereinbarten (Geschäfts-) Bereichs nicht mehr jeder für sich und in eigener Zuständigkeit handeln, sondern eine Organisation bilden. In den Organisations zweck müssen wenigstens ansatzweise die Interessen aller Beteiligten eingehen; 2A6 für Personenhandelsgesellschaften ist der Zweck darüber hinaus typisiert und beschränkt auf den Betrieb eines vollkaufmännischen Handelsgewerbes. Da die Existenz der Gesellschaft im Prinzip von der fortgesetzten Zugehörigkeit aller ihrer Gesellschafter abhängt, ist die (rechtliche) Bindung des einzelnen Gesellschafters an die (in der Personenvereinigung zusammengefaßten) Mitgesellschafter eng und intensiv. Der einzelne Gesellschafter soll nach gesellschaftsrechtlichem Verständnis nicht nur zu dem verpflichtet sein, was Gesetz oder Gesellschaftsvertrag ihm ausdrücklich vorschreiben oder was § 242 BGB von jedem Bürger im Verkehr mit anderen erwartet; ihn soll vielmehr die "darüber hinaus gehende Pflicht" treffen, "die Interessen der Gesellschaft wahrzunehmen und alles zu unterlassen, was diese Interessen beeinträchtigt". 2A7 Diese (gesellschaftsrechtlich) als "Treuepflicht" bezeichnete Pflicht trifft indessen den einzelnen Gesellschafter nicht im Verhältnis zur Person jedes einzelnen Mitgesellschafters; der Begriff soll vielmehr die Bindung des Gesellschafters an den vereinbarten gemeinsamen Zweck und die Funktionsbedürfnisse der zu seiner gemeinsamen Verfolgung geschaffenen Organisation bezeichnen.

244

VgI. § 111 Abs. 4 AktG.

2AS

VgI. etwa §§ 112 AktG, 39 Abs. 1 GenG.

2A6 Anderenfalls versagt das Recht jedenfalls einer GbR die Wirksamkeit mit der Begründung, sie stelle eine Umgehung der einfacheren und der Lage der Beteiligten angemesseneren Rechtsfiguren wie etwa Schenkung, Garantievertrag o. ä. dar; vgI. Ballerstedt, JuS 1963, 255; Staudinger/Keßler, Vorbem. § 705 Rdnr. 76. 2A7

Kübler, Gesellschaftsrecht, S. 23.

238

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

Gesellschaftsrechtlich gibt es daher in einer Personengesellschaft keine Rechte und Pflichten begründende Beziehung des einzelnen Gesellschafters zu "der Gesellschaft" als ihm gegenüber eigenständigem Rechtssubjekt. Ebenso wenig lassen sich aber die Beziehungen der Gesellschafter untereinander in eine Reihe voneinander unabhängiger (Rechts-) Beziehungen jedes Gesellschafters zu jedem anderen Mitgesellschafter auflösen. Die Rechte und Pflichtenjedes einzelnen Gesellschafters sind auf alle (übrigen) Mitgesellschafter - teils deshalb auch "die Gesellschaft" genannt - zu beziehen. 248

bb) Das Prinzip der "Selbstorganschaft" Personengesellschaften verfügen nach herrschender Ansicht im Gesellschaftsrecht nicht über "Organe" im eigentlichen Sinne, sondern sind nach dem Prinzip der Selbstorganschaft organisiert. 249 Für die GbR sieht das Gesetz als Regel vor, daß die Vertretung (nach außen) allen Gesellschaftern gemeinschaftlich obliegt. Dies ergibt sich daraus, daß die Vertretungsmacht im Zweifel an die Geschäftsführungsbefugnis gekoppelt ist (§ 714 BGB) und letztere wiederum im Zweifel allen Gesellschaftern gemeinsam zusteht (§ 709 Abs. 1 BGB). Legte man diesen Regelfall einer Typenbildung zu Grunde, die strafrechtlich unter dem Aspekt der Untreue beurteilt werden soll, dann stünde bereits fest, daß Untreue zum Nachteil der Gesellschafter oder der Gesellschaft, begangen durch ein "Organ", praktisch ausgeschlossen wäre. Decken sich nämlich (Gesamt-) Geschäftsführungsbefugnis und (Gesamt-) Vertretungsmacht, dann sind nur alle Gesellschafter gemeinschaftlich handlungs- und entscheidungsfähig. Da sie zugleich - wenn man der herrschenden Ansicht folgte 2SO jedenfalls gemeinschaftlich Inhaber des Vermögens sind, könnten ihre gemeinschaftlichen Handlungen immer nur tatbestandslose Selbstschädigung sein. Die gesetzlichen Regelungen der Verhältnisse der GbR sind aber dispositiv und lassen vielfältigen Gestaltungsspielraum; es ist daher auch möglich, Vertretungsbefugnis und Geschäftsführungsbefugnis unabhängig von einander zu

248 Kübler, Gesellschaftsrecht, S. 23; Reinhardtl Schultz, Gesellschaftsrecht, Rz. 60 ff; lohn, Organisierte Rechtsperson, S. 151 ff. 249

Kübler, Gesellschaftsrecht, S. 22.

2SO

Siehe dazu oben in diesem Teil, 2. Kapitel A II (S. 168 ff).

3. Kapitel Aussagen zum Täter

239

organisieren oder Dritte als Bevollmächtigte einzusetzen usw.. 251 Allerdings sieht das Gesetz in §§ 715 i. V. m. 712 Abs. 1 BGB vor, daß einem Gesellschafter die Vertretungsmacht nur in Verbindung mit der Geschäftsführungsbefugnis entzogen werden kann. Diese Regelung wird als (zusätzliches) Indiz dafür gewertet, daß das Gesetz prinzipiell die (internen) Handlungsbefugnisse mit den (externen) Handlungsmöglichkeiten kongruent halten will. 252 Die herrschende Auffassung im Zivilrecht ordnet die (externe) Handlungsmöglichkeit der oder des vertretungsberechtigten Gesellschafters nicht als organschaftliche Vertretung, sondern als Fall der rechtsgeschäftlichen Vertretung der Gesellschafter durch den jeweils Handelnden ein. 2S3 "Organe" der Personengesellschaft gibt es danach nicht. 2S4 Die Gegenposition beruft sich darauf, daß weder die Monopolisierung bestimmter Kompetenzen noch die erschwerte Entziehbarkeit (aus wichtigem Grund) in das Bild gewillkürter Vertretung paßt und nimmt deshalb an, daß auch die GbR über eine notwendige Handlungsorganisation verfügt, d. h. erst durch Organe handlungsfähig wird. 2SS Danach lassen sich die geschäftsführungsberechtigten Gesellschafter einer GbR auch als Organe bezeichnen .. Auch für die Organisation der oHG geht das HGB - wie das BGB - davon aus, daß Geschäftsführung und Vertretung grundsätzlich Sache aller Gesellschafter ist (§§ 114 Abs. 1, 125 Abs. 1 HGB), läßt aber wie das BGB abweichende Gestaltungen im Gesellschaftsvertrag zu. 2S6 Zulässig ist danach 251

Vgl. SoergeIISiebenISchultze-v.Lasaulx, § 714 Rdnr. 3.

252

John, Organisierte Rechtsperson, S. 155 f.

2S3

SoergeIISiebenISchultze-v-Lasaulx, § 714 Rdnr. 1; PalandtfIhomas, § 714 Anm. 1 jew. m.

w.N..

2S4 Deutlich BGHZ 45,311,312, wo die Anwendbarkeit des § 31 BGB auf eine GbR mit der Begründung abgelehnt wurde, diese sei "zu wenig körperschaftlich organisiert, als daß man die für sie handelnden Gesellschafter als ihre Organe bezeichnen könnte". 2SS Flume, Festschr. f. Raiser, S. 39; grundlegend Den., ZHR 136, 177 ff; John, Organisierte Rechtsperson, S. 160 f; ReinhardtISchult1., Gesellschaftsrecht, Rz. 37 u. 43; andeutungsweise auch einige Autoren, die im Prinzip der h. M. folgen, aber die allgemeine Vollmacht dervertretungsberechtigten Gesellschafter als (bewußt in Anführungszeichen gesetzte) "organschaftliche" bezeichnen (SoergeIlSiebenISchultze-v. Lasaulx, § 714 Rdnr. 1), um sie von der Bevollmächtigung Dritter durch diese Gesellschafter abgrenzen zu können, die dann etwa als "Sondervollmacht" bezeichnet wird (so StaudingerlKeßler, § 714 Rdnr. 4 u. 8). 2S6 Gesellschaftsrechtlich umstritten ist lediglich, ob das Prinzip der Selbstorganschaft zwingend ist (so etwa BGHZ 26, 330, 333; 33, 105, 107; 51, 198, 200). Teilweise wird auch die sogenannte "Drittorganschaft" für zulässig gehalten (so etwa John, Organisierte Rechtsperson, S. 271 ff m. w. Nachw. und Reinhardtl Schultz, Gesellschaftsrecht, Rdnr. 167 - 180, ebenfalls m. zahlr. Nachw.). Darunter wird die Übertragung der Geschäftsführungsbefugnis und der Vertre-

18 Nelle.

240

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

jedenfalls die Übertragung der Geschäftsführung auf einen einzelnen Gesellschafter. Geht man davon aus, daß dieser nicht für die Gesellschafter, sondern für "die oHG" (§ 124 HGB) auftritt, handelt es sich (auch) bei der Vertretung der oHG "in Wahrheit um eine organschaftliche Vertretung, die sich im Prinzip kaum von der des vertretungsberechtigten Gesellschafters einer GmbH unterscheidet." '1S1 Die Vertretungsmacht, wem immer sie nach Gesellschaftsvertrag eingeräumt ist, kann - insofern abweichend von den Regelungen des BGB - nach außen nicht beschränkt werden (§ 126 Abs. 2 HGB), wohl aber ist die Geschäftsführungsbefugnis beschränkbar. Ist keine Regelung getroffen, so sieht § 116 HGB vor, daß sie sich auf alle Handlungen erstreckt, die der gewöhnliche Betrieb des Handelsgewerbes der Gesellschaft mit sich bringt; darüber hinausgehende Handlungen bedürfen der Entscheidung eines besonderen Gremiums, das aus sämtlichen Gesellschaftern besteht. Die oHG hat daher, wenn nicht der unpraktikable und daher kaum praktisch werdende Fall der vollen Kongruenz von Gesamtgeschäftsführung und Gesamtvertretungvorliegt, regelmäßigmindestens einengeschäftsfühnmgs- und vertretungsberechtigten Gesellschafter und die Gesellschajterversammlung, der bestimmte Funktionen vorbehalten sind (Gesellschafterbeschlüsse, § 119 HGB). Ihr bleibt die Entscheidung über ungewöhnliche Geschäfte (§ 116 Abs. 2 HGB), die Entscheidung über die Aufteilung der Kompetenzen, wie Vertretungsmachtund Umfang der Geschäftsführungsbefugnisse (§ 117HGB), Wettbewerbsverbote (§§ 112,113 HGB) Erhöhung oder Verringerung von Kapitalanteilen (§ 122 Abs. 2 HGB) etc. vorbehalten. Die Eigenart der KG gegenüber der oHG besteht darin, daß in ihr auf personengesellschaftlicher Grundlage zwei Gruppen von Gesellschaftern vereinigt sind, der oder die persönlich unbeschränkt haftende(n) Komplementär(e) und der oder die Kommanditist(en), die auf die von ihnen übernommene Einlage beschränkt haften. Die Komplementäre erscheinen als die eigentlichen Unternehmer, so daß das Gesetz damit die Regel verbindet, daß dem voll haftenden Komplementär die verantwortliche geschäftliche Leitung (Geschäftsführung) und die Vertretung zufallen (§ 170 HGB). Nach der Regel des § 125 HGB steht jedem Komplementär Alleinvertretungsmacht zu. Die Kommanditisten sind dagegen im wesentlichen auf ihre Informations- und Kontrollrechte verwiesen. Dieser Verteilung des Einflusses entspricht, daß sich

tungsmacht auf eine Person verstanden, die nicht zum Kreise der Gesellschafter gehört. '1S1

Reinhardl/Schull7., Gesellschaftsrecht, Rz. 113.

3. Kapitel Aussagen zum Täter

241

die Geschäftsführungsbefugnis des Komplementärs ebenso wie bei der oHG auf alle Handlungen erstreckt, die der gewöhnliche Betrieb des Handelsgewerbes mit sich bringt (§§ 161 Abs. 2, 116 HGB). Bei außergewöhnlichen Betriebsvorgängen bedarf er hingegen der Zustimmung aller Gesellschafter, also auch der Kommanditisten. Diese Regelorganisation ist weitgehend dispositiv. Daß Kommanditisten Vollmachten in beliebigem Umfang erteilt werden können, steht außer Streit. Es kann aber auch die Geschäftsführung einem Kommanditisten übertragen werden, sogar unter Ausschluß des Komplementärs. 158 Vor allem bei den sogenannten Publikums-Kommanditgesellschaften sehen die Gesellschaftsverträge überdies häufig eine verbandsmäßige Binnenorganisation, also etwa weitere Aufsichts- oder Kontrollorgane, eine "Hauptversammlung", einen Vorstand o. ä. vor. 259 Vergleicht man die Binnenstrukturen der Personengesellschaften, so läßt sich jedenfalls als gemeinsames Merkmal die Existenz von geschäftsführenden Personen feststellen, die für "die" Gesellschaft (oHG, KG) oder die "Gesamtheit der Gesellschafter" (GbR) nach außen vertretungsbrechtigt und nach innen geschäftführungsbefugt sind, ohne mit der Gesamtheit aller Gesellschafter identisch zu sein. Ferner sind bei allen Personengesellschaften bestimmte Entscheidungen der

Gesamtheit der Gesellschafter vorbehalten (unentziehbare Kontrollrechte,

§§ 716 BGB, 118, 166 HGB; Verteilung von Gewinn und Verlust, §§ 121, 168 HGB etc.).

2. Strafrechtliche Beurteilung a) Beziehungen der Mitglieder von Personenvereinigungen untereinander und zur Personenvereinigung aa) Mitglieder von Körperschaften untereinander Die Frage, inwieweit Teilhaber einer als juristische Person verfaßten Gesellschaft einander vermögensbetreuungspflichtig sind, wird nicht grundsätzlich angegangen.

158

RGZ 166, 65, 68; BGHZ 45, 204, 205 f.

259

Vgl. dazu Reinhardl/SchullZ, Gesellschaftsrecht, Rz. 265 - 267.

242

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

Diskutiert wird nur die besondere Konstellation eines Mehrheitsaktionärs in Beziehung zu Minderheitsaktionären. Geilen etwa beklagt, daß die Aufhebung des § 294 AktG zu einer "diffusen Ausweitung der Untreuestrafbarkeit" im Aktienrecht geführt habe. So habe zum Beispiel "die bekannte zivilrechtliche Diskussion um die Treuepflicht des Aktionärs, insbesondere des Großaktionärs, eine jetzt auch strafrechtliche Dimension" erhalten. 260 Inhaltlich ist auf dieses Problem - soweit ersichtlich - bisher nur Schneider eingegangen. 261 Er stellt fest, daß die (zivilrechtliche) Treuepflicht des Aktionärs, wenn man ihre Existenz unterstellen wolle, 262 für sich allein keine Vermögensfürsorgepflicht der Aktionäre begründen könne. Dauer, Art und Umfang der Tätigkeit eines Aktionärs entsprächen nämlich nicht den Anforderungen, die die Rechtsprechung (zu § 266 StGB) an ein vermögensfürsorgerisches Rechtsverhältnis stelle. 263 Anderes gelte nur für den Großaktionär. Jedoch leite sich dessen Vermögensbetreuungspflicht nicht aus der (allgemeinen) gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht her, sondern sei Resultat seiner Herrschaftsmacht, die sich in seinem Einfluß auf die "Geschicke der Gesellschaft" äußere. Freilich nimmt Schneider insoweit kein Vermögensbetreuungsverhältnis in Beziehung zu den Minderheitsaktionären, sondern in Beziehung zur Aktiengesellschaft an. 204 Zu den Beziehungen der Gesellschafter einer GmbH untereinander findet sich nur eine - und nur recht unklare - Stellungnahme: Ansatz ist, daß ein Mehrheitsgesellschafter die ihm den Minderheitsgesellschaftern gegenüber obliegende (zivilrechtliche ) Treuepflicht dadurch verletzen kann, daß er in eine benachteiligende Geschäftsführungsmaßnahme einwilligt. 265 Strafrechtlich zieht Vonnemann daraus (nur) die Konsequenz, daß ein solcher "Beschluß" des Mehrheitsgesellschafters anfechtbar sei und deshalb seine Ausfühnll1g

260

Geilen, Aktienstrafrecht, Vorhem. § 399 Rdnr. 12.

261

Schneider, Untreue nach dem neuen Aktienrecht, S. 65 f.

262 Eine "Treuepflicht" nehmen im Bereich des Zivilrechts an: BGHZ 14,38; 18,356; Luller, JZ 1976, S. 225 - 233; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S. 95. - Gegen eine besondere Treuepflicht und für Bindung nur an die generellen Verhaltensstandards des § 242 BGB: Kübler, Gesellschaftsrecht, S. 183 m. w. N.; Reinhardr/Schlllrz, Gesellschaftsrecht, Rdnr. 442.

263

Schneider, Untreue nach dem Neuen Aktienrecht, S. 66.

204

Schneider, Untreue nach dem neuen Aktienrecht, S. 67.

265 Vonnemann, GmbHRd 1988, S. 333 unter Berufung auf Rechtsprechung und h. M. zum GmbH-Recht (Nachweise bei Vonnemann, a.a.O., Fn. 52 - 54).

3. Kapitel Aussagen zum Täter

243

durch den Geschäftsführer eine im Verhältnis zwischen diesem und der GmbH treuwidrige Handlung darstelle. 266 Zusammenfassend läßt sich daher nur feststellen, daß die zivilrechtliche Treuepflicht für nicht generell geeignet gehalten wird, eine täterschaftsbegründende Sonderbeziehung zwischen den Mitgliedern einer körperschaftlich verfaßten Gesellschaft zu begründen. Denkbar bleibt die Annahme einer Vermögensbetreuungspflicht des Mehrheitsgesellschafters; freilich ist unklar, ob damit gemeint sein soll, daß diese im Verhältnis zu den Minderheitsgesellschaftern oder im Verhältnis zur Körperschaft bestehen soll. bb) Mitglieder einer Körperschaft in Beziehung zu dieser

Grundsätzliche Stellungnahmen finden sich in der strafrechtlichen Diskussion nicht. Der Problemkreis, für den die Frage nach der Beziehung zwischen den Mitgliedern und der Körperschaft als relevant behandelt wurde, ist der der "Einwilligung" aller Teilhaber in eine die Gesellschaft schädigende Geschäftsführungsmaßnahme. Ist die Körperschaft vermöge ihrer "eigenen Rechtspersönlichkeit" Inhaberin des Gesellschaftsvermögens, dann können zwischen ihr und ihren Gesellschaftern - anders als bei der Personengesellschaft - grundsätzlich Beziehungen bestehen, die als "Vermögensbetreuungspflicht" eingestuft werden könnten. 267 Dies wird freilich selten deutlich ausgesprochen. Das hängt mit der Verquickung mit der Frage nach den Voraussetzungen eines tatbestandsausschließenden Einverständnisses aller Mitglieder einerseits zusammen; andererseits betreffen die gerichtsnotorischen Fälle, die deshalb auch literarisch vorrangig bearbeitet werden, in der Regel Ein-Mann-Gesellschaften (die GmbH als solche 268 oder als Komplementärin einer GmbH & Co KG 28.1) oder (sonstige) Konstellationen, in denen der (mit Zustimmung des Minderheitsgesellschafters) handelnde (Mehrheits-) Gesellschafter zugleich als Ge-

266

Vonnemann, GmbHRd 1988, S. 334.

267 Für die GmbH: Richter, GmbHRd 1984, S. 137 ff, 144/145: "Den Gesellschaftern kommt als Inhabern des Dispositionsrechts über das Gesellschaftsvermögen auch eine eigene nach § 266 StGB relevante Treuepflicht gegenüber der GmbH zu." - Ausdrücklich offengelassen bei Ulmer, Festschr. f. Pfeiffer, S. 855. 268

BGH wistra 1989, 23; BGH wistra 1985, 159.

28.1

BGH wistra 1984, 71; BGH wistra 1987, 100; BGH, wistra 1987, 217.

244

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

schäftsführer tätig wurde. Z70 Für diese Fälle wird der Satz aufgestellt, daß die Zustimmung aller Mitglieder die Pflichtwidrigkeit der Geschäftsführungsmaßnahme nicht ausschließe, wenn und soweit "die Zustimmung unter Mißbrauch der Gesellschafterstellung erteilt wird" Z7i

In keinem der Fälle ist indessen ausdrücklich dazu Stellung bezogen worden, ob die Gesamtheit der Teilhaber als solche oder in ihrer Eigenschaft als "oberstes Organ der Gesellschaft" Z72 selbst "vermögensbetreuungspflichtig" gegenüber der Körperschaft ist oder nicht. Diese Festlegung wird sorgfältig vermieden. Stattdessen werden unverfängliche Formulierungen verwendet. So heißt es etwa, die Gesamtheit der Gesellschafter sei zwar oberstes Organ, "die Gesellschaft hat aber ihnen gegenüber Eigeninteressen"; Z73 "das Gesellschaftsvermögen (sc. sei) grundsätzlich gegenüber Verfügungen der Gesellschafter sakrosankt"; Z74" die Gesamtheit der Gesellschafter (sc. komme) an ihr Vermögen nur über die Liquidation heran". Z75 An anderer Stelle wird jeweils die Position des handelnden (Allein- oder Mehrheitsgesellschafters) "als Geschäftsführer" herausgestellt und mitgeteilt, "strafrechtlich ohne Bedeutung und wirkungslos (sei) jedenfalls die gesetzwidrige oder selbst ungetreue Zustimmung von Organen des Geschäftsherrn, und zwar auch, wenn es sich um den geschäftsführenden Alleingesellschafter einer GmbH" handele. Z76 Immerhin deutet der letzte Satz an, daß die Zustimmung aller Teilhaber "ungetreu" sei kann, setzt also jedenfalls - unter welchen Voraussetzungen und in welchen Fällen auch immer - als möglich voraus, daß die Beziehungen zwischen ihnen und der Gesellschaft als Vermögensbetreuungspflicht beurteilt werden, wenn und soweit sie "als Organ" handeln. Die einzige eindeutige Aussage zur gegenteiligen Beurteilung findet sich bei Labseh. Er schließt es aus, daß der Alleingesellschafter (= alle Gesellschafter)

Z70 Für die GmbH: BGHSt 34, 379 (Familien-GmbH); BGHSt 3, 32, 40; 9, 203, 216; BGH Vrt. v. 24. 2. 1976 - 1 StR 602/75; für (den alleinigen persönlich haftenden Gesellschafter einer) KGaA: BGH, wistra 1986, 69; ebenso Hübner, LK § 266 Rdnr.55 Stichwort 'Kommanditgesellschaft auf Aktien". Z7i So im amtlichen Leitsatz BGHSt 34, 379; weitere Nachweise zur entsprechenden ständigen Rechtsprechung in dieser Entscheidung S. 384 - 388. Z72

BGH Vrt. v. 24. 2. 1976 - 1 StR 602/75.

Z73

BGH Vrt. v. 24. 2. 1976 - 1 StR 602/75.

Z74

Kohlmann, Festschr. f. Wemer, S. 396.

Z75 BGHSt 3, 32, 40; 9, 203, 216; ebenso Schäfer (NJW 1983, 2850), der eben diese Aussage auch auf die KG übertragen will. Z76

BGHSt 34, 379, 385;

3. Kapitel Aussagen zum Täter

245

einer GmbH diese durch Untreue benachteiligen kann. Seine Begründung geht freilich zugleich schon von einer der Rechtsprechung auch im Grundsatz widersprechenden Prämisse aus: die Fremdheit der Vermögensinteressen sei wirtschaftlich zu bestimmen, so daß der Alleingesellschafter - folglich auch die Gesamtheit aller Gesellschafter - nicht fremde, sondern eigene Vermögensinteressen wahrnehme. zn Zusammenfassend zeichnet sich der Streitstand durch unklare Haltungen und mangelnde Festlegung aus. Nur zwei Autoren formulieren ihre Standpunkte eindeutig, kommen sachlich aber zu entgegengesetzten Aussagen: die Gesamtheit der Mitglieder einer Körperschaft ist dieser gegenüber generell vermögensbetreuungspflichtig Z78 beziehungsweise generell nicht vermögensbetreuungspflichtig. Z79 cc) Gesellschafter einer Personengesellschaft untereinander

Grundsätzliche Stellungnahmen zur Frage, ob Gesellschafter einer Personengesellschaft untereinander betreuungspflichtig sind, fmden sich nicht. Die Frage wurde für die GbR nur problematisiert im Zusammenhang mit den sogenannten "Tippgemeinschaften". Nur wenn es sich dabei um Gesellschaften (bürgerlichen Rechts) handele, könne eine Vermögensbetreuungspflicht angenommen werden, 280 nicht aber, wenn sich Spieler nur lose und ohne rechtliche Bindung untereinander zusammengeschlossen hätten. 281 Hübner etwa nennt unter der Rubrik "vermögensfürsorgerische Rechtsverhältnisse" 282 ohne weitere Zusätze nur: "die Gesellschaften des bürgerlichen Rechts." 283 Bei genauerer Analyse sowohl der (zitierten) Entscheidungen als auch der Kommentierungen zeigt sich jedoch, daß nicht die Beziehungen zwischen den Gesellschaftern einer GbR als "vermögensfürsorgerisch" ein-

zn Labsch, wistra 1985, . 7. Z78

Richter, GmbHRd 1984, S. 137, 144.

Z79

Labsch, wistra 1985, S. 7.

280 Erstmals RGSt 43, 55, 56 jedoch noch zu 266 Abs. 1 Nr. 2 StGB a. P.; BayObLG, NJW 1971,1664; Hübner, LK, § 266 Rdnr.52 Stichwort "Tippgemeinschaft"; Schönke/SchröderiLenkcner, § 266 Rdnr. 25. 281

Aus diesem Grunde ablehnend BGH LM § 266 Nr. 19.

282

Lk § 266 Überschrift vor Rdnr. 53.

283

Hübner, LK, § 266 Rdnr. 55 Stichwort "Gesellschaft".

246

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

geordnet werden. Es ging vielmehr darum, festzustellen, ob die handelnde Person "geschäftsführendes" Mitglied der Wettgemeinschaft war. Die untreuerelevante Beziehung wurde also nicht in den (gesellschaftsvertraglichen) Beziehungen der Gesellschafter untereinander gesehen, sondern nur in der Beziehung des die Geschäfte führenden Gesellschafters im Verhältnis zu den übrigen. Dieser Typ von Beziehungen fällt aber in die Kategorie "Organe / Gesellschaft / Gesellschafter". Anders ist nur eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs einzuordnen, die freilich in den hier einschlägigen Gründen nicht veröffentlicht ist. 284 Es handelt sich um dieselbe Entscheidung, in der - abweichend von der generellen Linie - eine BGB-Gesellschaft (bestehend aus einer GmbH und einer natürlichen Person "D") als "wirtschaftliche Inhaberin" von Vermögen beurteilt wurde. 28S Dort heißt es, nachdem die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Zusammenschlusses zu einer BGB-Gesellschaft festgestellt sind: "Es liegt auf der Hand, daß die vom Angeklagten vertretene GmbH bei dieser Sachlage kraft eines Treueverhältnisses verpflichtet war, die mit ihrer Geschäftstätigkeit zusammenhängenden Vermögensinteressen der mit D bestehenden Gesellschaft wahrzunehmen. Sie durfte deshalb ... Gelder sowie die Kundenschecks, die wirtschaftlich zum Gesel/schaftsvennögen jener Gesellschaft gehörten, nur für deren Zwecke ... verbrauchen." 286

Man kann nach dem Zusammenhang und der Sachverhaltsschilderung allerdings vermuten, daß es sich im konkreten Fall um eine stille Gesellschaft oder sogenannte Innengesellschaft handelte. Bei einer solchen Konstruktion steht das ganze Gesellschaftsvermögen rechtlich dem tätigen Gesellschafter zu; der stille Gesellschafter ist nur mit einer Einlage beteiligt, aus der ihm nur schuldrechtliche Ansprüche auf Gewinnbeteiligung und Rückgewähr seines Anteils nach Beendigung des Gesellschaftsverhältnisses entstehen. 2IfI In diesem Fall geht auch das Zivilrecht davon aus, daß das Gesellschaftsvermögen zwar rechtlich dem tätigen Gesellschafter, wirtschaftlich aber beiden zusteht, der stille Gesellschafter also Vermögensinteressen an dem Gesellschaftsvermögen hat, die der rechtlich nach außen allein handlungsfähige tätige Gesellschafter zu betreuen hat.

284 BGH Urt. v. 20. 5. 1981 - 3 StR 94/81, S. 7 - 11; veröffentlicht sind nur die Seiten 12 15 des Urteils, die sich auf Bankrott beziehen (BGHSt 30, 127).

28S

Siehe dazu oben S. 171.

286

BGH Urt. v. 20. 5. 1981 - 3 StR 94/81 S. 10 (Hervorhebungen von Yerf.).

2IfI

Kübler, Gesellschaftsrechts, S. 26 und 27.

3. Kapitel Aussagen zum Täter

247

Das gleiche diffuse Bild ergibt sich, wenn man Entscheidungen und Stellungnahmen für Personenhandelsgesellschaften sichtet. Auch "die offene Handelsgesellschaft" und "die Kommanditgesellschaft" werden von Hübner je als "vermögensfürsorgerisches Rechtsverhältnis" beurteilt, 288 ohne daß er die Beziehungen genauer aufschlüsselt. Die (dort) zitierte Entscheidung des Reichsgerichts zu den Verhältnisses einer offenen Handelsgesellschaft ~ nimmt hingegen differenzierter Stellung, indem sie ausdrücklich darauf abstellt, daß die Täterin nach dem Gesellschaftsvertrag "die Geschäfte der Gesellschaft zu führen" hatte und "daher durch den Gesellschaftsvertrag verpflichtet (sc. war), die Vermögensinteressen ihres Mitgesellschafters zu wahren." 290 Danach scheint es so zu sein, als sei die Vermögensbetreuungspflicht eines Gesellschafters im Verhältnis zu den übrigen davon abhängig, daß (und ob) er geschäftsfühnmgsberechtigt ist. 291 Ausführlicheres Material fmdet sich für die Kommanditgesellschaft. Danach soll ein Kommanditist in Beziehung zu den Mitkommanditisten vermögensbetreuungspflichtig sein und diese Pflicht verletzen, wenn er für die KG vereinbarte und vereinnahmte Provisionen nicht abführt, sondern als Privateinlagen verbucht. 292 Die Fallgestaltung deutet freilich auch hier darauf hin, daß nicht die allgemeine gesellschaftsvertragliche "Treuepflicht" 293 als das entscheidende Element angesehen wurde, sondern die im konkreten Fall vereinbarte (zusätzliche) Befugnis des Kommanditisten, Geschäfte für die KG abzuschließen.

288

Hübner, LK, § 266 Rdnr. 55.

~ RGSt 73, 299, 300. 290

RGSt 73, 299, 300 (Hervorhebung von Yerf.).

291 Darauf deutet auch die Kommentierung von Schlinlce/ SchröderlLenckner (§ 266 Rdnr. 25) hin, unter Hervorhebung, (nur) den "geschäftsführenden Gesellschafter einer Personen gesellschaft gegenüber seinen Mitgesellschaftem" nennt. - Soweit ersichtlich hat sich der BGH mit Untreuefragen im Rahmen einer oHG nur in einem FaU befaßt (BGH wistra 1987, 218 = b. Holtz, MDR 1987" 624), in dem es indessen nur um die Frage ging, inwieweit einzelne Teilakte einer fortgesetzten Handlungverfolgbar sind, wenn ein (für erforderlich gehaltener) Strafantrag (hier des Bruders, der alleiniger Mitgesellschafter der oHG war,) fehlt. 292

BGH, wistra 1986, 67.

293 So die gesellschaftsrechtliche Bezeichnung für den Aspekt der gegenseitigen Bindung der GeseUschafter, sich einander die generelle Förderung des vereinbarten Gesellschaftszwecks zu schulden; vgI. Kßbler, Gesellschaftsrecht, S. 48 m. w. N.

248

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

dd) Gesellschafter einer Personengesellschaft in Beziehung zu dieser

Der Diskussionsstand zur Frage, inwieweit die einzelnen Gesellschafter einer Personengesellschaft zu "ihrer Gesellschaft" in einer täterschaftsbegründenden Beziehung nach § 266 StGB stehen, entspricht spiegelbildlich dem zur Frage der Betreuungspflichten der Gesellschafter untereinander. Das hängt unmittelbar damit zusammen, daß die Personengesellschaft (überwiegend) nicht für tauglich befunden wird, Inhaberin von Vermögen sein zu können. Zweifelhaft bleibt daher in diesem Zusammenhang nur, ob alle Gesellschafter gemeinsam der "Gesellschaft" gegenüber betreuungspflichtig sind. Diese Frage ist, folgt man der Rechtsprechung, die das Vermögen einer Personengesellschaft den einzelnen Gesellschaftern anteilig zuweist, 294 gegenstandslos. Kann jeder einzelne Gesellschafter über seinen Anteil ohne jede Bindung im Innenverhältnis verfügen und seinen Anteil unabhängig von den Anteilen der Mitgesellschafter beliebig "schädigen", dann ist Konsequenz, daß alle Gesellschafter gemeinsam immer nur in Bezug auf "ihr Vermögen" handeln können. Untreue scheidet daher schon aus diesem Grunde begrifflich aus; BS Betreuungspflicht ist in Bezug auf eigenes Vermögen, an dem nur eigene Vermögensinteressen bestehen, nicht denkbar. Andere Vorentscheidungen in der Grundfrage, wer Inhaber des Vermögens einer Personengesellschaft sei, führen auch hier zu anderen Konsequenzen. Schäfer etwa hält "die KG" für tauglich, Vermögensinhaberin zu sein, weil sie eine der juristischen Person angenäherte Rechtsform darstelle. :l96 Das LG Bonn weist darauf hin, daß Gleiches für die oHG gelte. m Danach soll, so deutet Schäfer an, ein Gesellschafterbeschluß, der nach § 138 BGB sittenwidrig ist, Untreue aller Gesellschafter zum Nachteil ihrer Gesellschaft sein können. B8

Im übrigen sind diese Konstruktionen nur darauf angelegt, eine Vermögensbetreuungspflichtdergeschäftsfühnmgsberechtigten Gesellschafterim Verhältnis

294

Siehe oben in diesem Teil, 2. Kapitel.

BS

BGH wistra 1984, 71; BGH, wistra 1987, 100; BGH, wistra 1987,217; Schönke/Schröderl-

Lenckner, § 266 Rdnr. 21; Winke/bauer, wistra 1986, S. 18. B6 SeMfer, NJW 1983, 2&50

ff.

m

LG Bonn, NJW 1981, 469.

B8

Schäfer, NJW 1983, S. 2&52.

3. Kapitel Aussagen zum Täter

249

zur KG bzw. zur oHG zu begründen und auszuschließen, daß dieser sich bei schädigenden Handlungen auf das Einverständnis aller Gesellschafter berufen kann. ~

Nach Reiß, der das Vermögen einer Personengesellschaft den Gesellschaftern "zur gesamten Hand" zuweist, 300 sind die Gesellschafter jedenfalls in ihrer Gesamtheit keine tauglichen Täter einer Untreue im Verhältnis zur Gesellschaft, denn, gemeinschaftlich handelnd, können sie nur eigenes Vermögen schädigen. Wohl aber soll der einzelne Gesellschafter der "Gesamthand" gegenüber vermögensbetreuungspflichtig sein, soweit er geschäftsführend tätig wird. 301 b) Organe in Beziehung zur Personen vereinigung aa) Geschäftsführende Organe (1) Körperschaften

Der Organtyp "Vorstand" gilt im Untreuestrafrecht als der Prototyp des Mißbrauchstäters schlechthin. 302 Freilich ist bei seiner Behandlung nicht immer deutlich akzentuiert worden, zu "wem" das Organ in der Beziehung steht, die als vermögensfürsorgerisch bewertet wird. Soweit dies jeweils klargestellt wurde, ergibt sich indessen ein völlig homogenes Bild: der Vorstand ist in Beziehung auf die juristischen Person und ihr Vermögen betreuungspflichtig. Im einzelnen wurde dies entschieden und literarisch vertreten für die Beziehungen: - Vorstand - Verein; 303

~ Mit dieser Tendenz ausdrücklich Schäfer, NJW 1983, S. 2852; in der Sache auch LG Bonn, NJW 1981, 469. 300

Reiß, wistra 1989, S. 85/86.

301

Reiß, wistra 1989, S. 86.

302 Vgl. Sax, JZ 1977, S. 665, der daran seine Theorie zur Vermögensbetreuungspflicht ausrichtet.

303 BGH LM, Nr. 1 (1975) = NJW 1975, 1234; BGH, wistra 1987, 137 f; Habner, LI(, § 266 Rdnr. 58; Lampe, GA 1987, S. 248; Samson, SK § 266 Rdnr. 28; SchänkelSchröderlLenckner, § 266 Rdnr.8.

250

-

2. Teil Oesellschaftsbezogene Untreueprobleme

Vorstand - Aktiengesellschaft; 304 Vorstand - Genossenschaft; 305 Geschäftsführer - GmbH; 306 Vorstand - Stiftung. 307

(2) Personengesellschaften Wie bereits bei der Darstellung der Beziehungen der Gesellschafter einer Personengesellschaft untereinander aufgedeckt wurde, gehen Rechtsprechung und Literatur wie selbstverständlich davon aus, daß jedenfalls der geschäftsführende Gesellschafter einer Personengesellschaft in einer täterschaftsbegründenden Beziehung zum Gesellschaftsvermögen steht. Unklar bleibt allerdings, ob ihn die Vermögensbetreuungspflicht im Verhältnis zu jedem einzelnen Mitgesellschafter trifft, oder ob er der Gesamtheit - der "Gruppe" 308 - der Gesellschafter gegenüber zur Betreuung des Gesellschaftsvermögens verpflichtet sein soll. Für die GbR scheint die Rechtsprechung - in den Fällen der "Tippgemeinschaft" - eine Vermögensbetreuungspflicht des geschäftsführenden Gesellschafters in Beziehung zur Gruppe der (übrigen) Mitgesellschafter angenommen zu haben. 309 Wie sich bereits bei der Sichtung des Materials zur strafrechtlichen Beurteilung der Beziehung zwischen den Gesellschaftern einer oHG gezeigt hat, wurde in allen Fällen von der Rechtsprechung und der herrschenden Ansicht in der Literatur eine Vermögensbetreuungspflicht bejaht, soweit es sich um geschäftsführende Gesellschafter handelte. Die untreuerelevante Beziehung

304

BOH, wistra 1988, 227; BGH, Urt. v. 23, 1, 1973 - 1 StR 625/73; vorn 25. 5. 1976 - 1 StR

858/75; Hübner, LK, § 266 Rdnr. 55; Lampe, GA 1987, S. 248; Samson, SK, § 266 Rdnr. 17;

Schönke/SchröderlLenckner, § 266 Rdnr. 25. 305

BOH Urt. v. 13. 11. 1973 - 1 StR 405/73.

306 BGHSt 34, 379; BGH, StrVert 1989, 105; BGH, wistra 1987, 65; 1986,25 und 262; 1984, 71; 1983,71; BOH b. Holtz, MDR 1979, 465; 1976,806; OLG Hamm, NStZ 1986, 119 m. Anm. Molketin; Hübner, LK, § 266 Rdnr. 55; Schönke/Schröder/Lenckner, § 266 Rdnr. 25; 1iedemann in Scholz, GmbHG, vor § 82 Rdnr. 17. 307

BGH LM Nr. 16.

308

So die Bezeichnung von Flume, ZHR 136, 177, 189.

309

Siehe oben in diesem Kapitel S. 245 f.

3. Kapitel Aussagen zum Täter

251

wurde jedoch zwischen ihm und den einzelnen Mitgesellschaftern gesehen. 310 Daraus folgt im Umkehrschluß, daß die Rechtsprechung keine Beziehung des geschäftsführungsberechtigten Gesellschafter zu "der oHG" herstellt. Diese Sicht entspricht dem Ansatz der Rechtsprechung, Personengesellschaften nicht als Vermögensinhaber im Sinne des § 266 StGB zu beurteilen. Anders könnten nur die Stellungnahmen der höchstrichterlichen Rechtsprechungzur Vermögensbetreuungspflichtdesgeschäftsführenden Gesellschafters einer KG zu verstehen sein. Sie beziehen sich sämtlich auf die Konstellation der GmbH & Co. In einigen von ihnen wird die untreuerelevante Beziehung zwischen der geschäftsführenden GmbH und "der KG" hergestellt. Die Entscheidungen lassen jedoch keinen eindeutigen Schluß darauf zu, daß diese Aussagen wörtlich gemeint sind. Zunächst heißt es im Jabre 1976 noch sehr unklar, der Geschäftsführer habe "die unternehmerischen Vermögensinteressen der Kommanditgesellschaft" verletzt, während an späterer Stelle der Entscheidung ausgeführt wird, der Angeklagte habe durch sein Verhalten "nicht der ihm den Mitgesellschaftern (der KG) gegenüber obliegenden Pflicht zur Vermögensfürsorge" entsprochen. 311 In späteren Entscheidungen heißt es, der Angeklagte sei "als faktischer Geschäftsführer der KG zur Wahrnehmung ihrer Vermögensinteressen verpflichtet" gewesen und durch Verletzung dieser Pflicht habe er "der KG Nachteile zugefügt". 312 Wieder später hat der BGH dann ausdrücklich offengelassen, "ob sich die Tat als Untreue gegenüber der nicht mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestatteten KG darstellt." 313 Eindeutige Voten fmden sich nur in der Literatur - soweit dieses Problem überhaupt aufgegriffen wird. Dort wird teils dezidiert darauf hingewiesen, daß der geschäftsführende Gesellschafter nicht den einzelnen Gesellschaftern, 314 sondern der "Personengruppe" 315 gegenüber betreuungspflichtig sei. Schäfer hält den geschäftsführenden Gesellschafter von Personenhandelsgesellschaften für betreuungspflichtig in Beziehung zu "der oHG" beziehungsweise "der

310

Fälle. 311

Siehe oben in diesem Kapitel S. 245 ff mit ausführlicher Darstellung der entschiedenen BGH Vrt. v. 7. 4. 1976 - 2 StR 640/75 (Hervorhebungen von Yerf.).

312 BGH, Vrt. v. 25. 9. 1979 - 1 StR 702/78 (insoweit nicht abgedruckt in NJW 1980, 845); in den Formulierungen ähnlich auch BGH Vrt. v. 23. 10. 1979 - 1 StR 156/79. 313 BGH Beschl. vom 24. 10. 1980 - 2 StR 495/80. Die Frage wurde offengelasen, weil im konkreten Fall der Nachteil schon bei der Komplementär-GmbH festgestellt wurde. 314

Reiß, wistra 1989, S. 86; Schäfer, NJW 1983, S. 2851.

315

Reiß, wistra 1989, 86.

252

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

Kommanditgesellschaft". 316 Dies ist Ziel und Folge seiner These, daß die KG im Verhältnis zu ihren Gesellschaftern wie eine juristische Person zu behandeln sei. 317 Schäfer beruft sich dabei unter anderem zur Begründung auf ein Urteil des BGH, das indessen eine andere Fallkonstellation zum Gegenstand hat. Dort ging es um die Frage, ob "die KG" einem Kommanditisten gegenüber betreuungspflichtig ist, der der Gesellschaft ein zweckgebundenes Darlehn gewährt hatte. 318 In dem Fall war der Kommanditist nicht in dieser Eigenschaft betroffen, sondern hatte als Privatmann mit "der KG" oder eben "den Gesellschaftern der KG" (sich selbst eingeschlossen) kontrahiert. Es war daher in dem zu entscheidenden Fall eine ganz andere Beziehung zu prüfen, nämlich die zwischen der KG und einem Dritten. bb) Typ "Gesel/schafterversammlung" (1) Körperschaften

Zum Typ "Mitgliederversammlung" finden sich nur vereinzelte Stellungnahme in der Literatur, die sich mit anderen Körperschaften als der GmbH befassen. Weise etwa geht auf Untreue durch die Mitgliederversammlung eines e. V. ein. Nach seiner Ansicht kann die Mitgliederversammlung im Verhältnis zum Verein jedenfalls nicht "pflichtwidrig" handeln. Er geht davon aus, daß sie das oberste Organ des Vereins sei, das den "Gesamtwillen der Mitglieder" bilde. Die Mitgliederversammlung ist seiner Auffassung nach berechtigt, selbst satzungswidrige Beschlüsse mit verbindlicher Wirkung zu fassen, da sie für Satzungsänderungen unter Einschluß der die Geschäftsführung betreffenden Richtlinien zuständig sei. Auf die Einhaltung von Förmlichkeiten könne es dabei nicht ankommen; auch bei formlosem Einverständnis mit bestimmten (satzungswidrigen) Maßnahmen sei der Wille der Mitgliederversammlung (als faktische Änderung der Satzung) ausschlaggebend. 319

Indirekt - unter dem Aspekt tatbestandsausschließender Wirkung eines Hauptversammlungsbeschlusses für das Handeln des Vorstandes - befaßt sich . 316 Schäfer, NJW 1983, S. 2851. Im Ergebnis hält Schäfer den Komplementär einer Kommanditgesellschaft doch für betreuungspflichtig, jedoch über den Weg des § 14 StGB; er leitet aus dem Kontrollrecht des Kommanditisten (§ 166 HGB) und seinem Gewinnauszahlungsanspruch (§§ 167 ff HGB) her, daß "die KG" ihren Kommanditisten betreuungspflichtig sei. 317

Siehe auch schon oben für die oHG.

318

BGH, MDR 1969,533,534.

319

Weise, Finanzielle Beeinflussungen von sportlichen Wettkämpfen., S. 186 ff.

3. Kapitel Aussagen zum Täter

253

Schneider mit derselben Frage für Aktiengesellschaften. 320 Er kommt zum Ergebnis, daß die Geschäftsführung des Vorstandes auch im Interesse von Gesellschaftsgläubigern und Arbeitnehmern beschränkt sei und die "subjektive Auffassung" der Hauptversammlung keinen Einfluß darauf habe, was "objektiv als eine ordnungsgemäße Geschäftsführung unter Berücksichtigung aller beteiligten Interessen zu verstehen" sei. 321 Auch im übrigen wird die Frage, inwieweit die Gesamtheit der Mitglieder einer juristischen Person in ihrer Eigenschaft als deren "oberstes Organ" zu dieser in vermögensfürsorgerischer Beziehung steht, nicht explizit, sondern nur mittelbar und nicht von ungefähr ausschließlich für die GmbH diskutiert, 322 dort vor allem für die in Vennögensverfall geratene GmbH. Daher ist die Diskussion einerseits überfrachtet mit Fragen der Gläubigerbenachteiligung und dem Verhältnis von Untreue und Konkursdelikten. Darüber hinaus wird die Analyse der vermögensfürsorgerische Beziehung erschwert, weil "die Gesellschafterversammlung" und der "Geschäftsführer" häufig personenidentisch sind (Alleingesellschafter-Geschäftsführer der Ein-Mann-GmbH). Schließlich wird die Fragestellung dadurch verzerrt, daß die Beziehung zwischen Gesellschafterversammlung und GmbH nicht, wohl aber die Kompetenzverteilung zwischen Gesellschafterversammlung und Geschäftsführer thematisiert wird; es geht mit anderen Worten auch hier fast immer nur darum, ob und in welchem Umfang ein "Gesellschafterbeschluß", der die inkriminierten Handlungen des Geschäftsführers billigt, im Innenverhältnis zwischen Geschäftsführer und GmbH die "Pllichtwidrigkeit" der Maßnahme entfallen läßt. Stellungnahmen in der Literatur zur GmbH Eine eindeutige Stellungnahme zu der hier angeschnittenen Frage, ob "die Gesellschafterversammlung" im Verhältnis zur GmbH taugliche Täterin einer Untreue sein kann, gibt Labsch 323 ab, wenn er meint, die Gesellschafter seien wirtschaftlich als Inhaber des Gesellschaftsvermögens einzuordnen und

320

Schneider, Untreue nach dem neuen Aktienrecht, S. 89 ff.

321

Schneider, Untreue nach dem neuen Aktienrecht, S. 90.

322 Anders im schweizerischen Recht; dort wirft infolge einer sehr geringen Mindestkapitalgrenze und auf Grund liberaler Aktienrechtstradition die AG diejenigen strafrechtlichen Probleme auf, die sich beu uns für die GmbH stellen (Einmann-AG; Haftungsbeschränkung auf relative geringe Einlagen; relativ hohe Anzahl von Konkursen etc.); vgl. dazu eingehend Bucher, Festschr. f. Schultz, S. 165 ff.

323

JuS 1985, S. 118.

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

könnten schon von daher nicht in einer untreuespezifischen Beziehung zu fremdem Vermögen (der Gesellschaft) stehen. Zu demselben Ergebnis kommt auch Vonnemann, 324 jedoch mit anderer Argumentation. Er meint, wenn die Gesellschafter, dem in den §§ 37 Abs. 1, 43 Abs. 3 S. 3, 45 Abs. 1 GmbHG zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers entsprechend, in Angelegenheiten der Geschäftsführung "leitend oder beherrschend die Geschicke der GmbH (mit-) bestimmen", indem sie entsprechende Beschlüsse fassen, übten sie keine fremdbezogene Macht aus, sondern artikulierten als oberstes Willensbildungsorgan autonom das Interesse der Gesellschaft. Es fehle daher bereits an fremdbezogener Machtausübung. Allerdings will Vonnemann gleichwohl einem Einverständnis der Gesellschafter die tatbestandsausschließende Wirkung für eine Untreue des Geschäftsführers dann versagen, wenn der Gesellschafterbeschluß gegen § 30 GmbHG (Stammkapitalerhaltung) verstößt. 325 Ähnlich äußert sich Reiß, 326 der erklärt, die GmbH müsse sich auch gesetzwidrige Beschlüsse ihrer Gesellschafter im Rahmen des § 266 StGB zurechnen lassen; ihr Vermögen werde insoweit - nicht anders als bei natürlichen Personen - vor vermögensschädigenden Maßnahmen (gemeint sind hier selbstschädigende Maßnahmen bzw. Maßnahmen mit Einverständnis des Vermögensinhabers) nicht geschützt. Das heißt im Klartext, daß die Gesellschafterversammlung als solche keine Untreue zum Nachteil der GmbH begehen kann. 3Z7 Diese These wird aber dadurch konterkariert, daß Reiß auch erklärt, die Vermögensbindung sei auf die Gesellschaft, nicht auf die Gesellschafter bezogen; es bestehe daher "kein Anlaß, etwa die Eigentumsdelikte für unanwendbar zu halten, wenn alle Gesellschafter gemeinsam gegen den Willen der Geschäftsleitung sich Sachen der GmbH" zueigneten. 328 Muß sich die GmbH jedes - auch sittenwidrige - Einverständnis ihrer Gesellschafter zurechnen lassen, dann müßte sie dies auch, wenn die Gesellschafter einer "Wegnahme" oder "Zueignung" ihrer Gegenstände durch die Gesellschafter zustimmten; die Eigentumsdelikte wären dann bei einverständlichem Handeln aller Gesellschafter unanwendbar. Was bliebe, wäre eine Untreue

324

Vonnemann, GmbHRd 1988, S. 332.

325

Vonnemann, GmbHRd 1988, S. 333.

326

Reiß, wistra 1989, S. 84.

3Z7 Dieser Auffassung scheint auch SchönkelSchröderl Lenckner (§ 266 Rdnr. 21) zu sein, der juristische Personen als "Geschäftsherm" einordnet, dessen Einverständnis die Pflichtwidrigkeit beseitigt und dafür den "Gesamtwillen der Gesellschafter" für maßgeblich erklärt. 328

Reiß, wistra 1989, S. 83.

3. Kapitel Aussagen zum Täter

255

des Geschäftsführers zum Nachteil der GmbH, wenn und weil er die Wegnahme nicht unterbunden hätte - es sei denn, man wollte bereits die die GmbH schädigende Zustimmung der Gesellschafterversammlung als treuwidrig beurteilen. Einen differenzierenden Standpunkt nimmt Kohlmann ein, der meint, das Gesellschaftsvermögen sei als Sondervermögen einer juristischen Person der Disposition der Gesellschafter(versammlung) entzogen, "soweit es zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlich ist." Der "Schutzbereich des § 266 StGB" ende dort, wo "die Pflicht der Gesellschafter zur Erhaltung des Stammkapitals" aufhöre. 329 - Diese Äußerung scheint für die Annahme zu sprechen, daß die Gesellschafterversammlung eine Vermögensbetreuungspflicht in Beziehung zur Gesellschaft und dort nur in Bezug auf das Stammkapital trifft. 330 Ausdrücklich schließlich bekennt sich Richter zu der Ansicht, den Gesellschaftern komme "als Inhabern des Dispositionsrechts über das Gesellschaftsvermögen auch eine eigene nach § 266 StGB relevante Treuepflicht gegenüber der GmbH zu". 331 Ansätze in der Rechtsprechung zur GmbH

Die Aussagen der Rechtsprechung können nur im Rückschluß aus ihrer Haltung in der Einverständnis/rage ermittelt werden. Die Rechtsprechung hat den Grundsatz aufgestellt und hält an ihm nachdrücklich fest, daß ein Einverständnis aller Gesellschafter die Pflichtwidrigkeit einer Schädigung von Gesellschaftsvermögen durch den Geschäftsführer nicht zu beseitigen vermag. 332 Teilweise wird dies einschränkend in der Weise formuliert, daß die Zustimmung jedenfalls dann unbeachtlich sei, wenn sie gesetzwidrig sei 333 oder gegen die Grundsätze eines ordentlichen Kaufmanns

329

Kohlmann, Festschr. f. Werner, S. 397.

330 Im Ergebnis folgt Ulmer (Festschr. f. Pfeiffer, S. 853 ff) der differenzierenden Ansicht von Kohlmann, läßt jedoch ausdrücklich offen, ob die Gesellschafterversammlung im Verhältnis zur GmbH vermögensbetreuungspflichtig ist (S. 855); zustimmend auch lipps, NJW 1989, S. 502 ff. 331

Richter, GmbHRd 1984, S. 137 ff.

332 BGHSt 34,379; BGH wistra 1986, 262; wistra 1984, 71; wistra 1983, 71; b. Holtz, MDR 1979, 806; BGH, GA 1979, 313. 333

BGH Urt. v. 29. 1. 1964 - 2 StR 485/63.

19 Nelle.

256

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

verstoße. 334 Der BGH selbst hat seinen Ansatz jüngst relativiert, indem er eine Zustimmung der Gesellschafterversammlung im Grundsatz für tauglich erklärt hat, die Ptlichtwidrigkeit schädigender Maßnahmen des Geschäftsführers zu beseitigen; er hat freilich offengelassen, ob dies auch dann gilt, wenn der Gesellschafterbeschluß gegen § 30 GmbHG verstößt. 33S In diesem Ansatz steckt die implizite Aussage: Die GmbH ist auch gegenüber der Gesellschafterversammlung eine "eigene Rechtpersönlichkeit" . Die Gesellschafterversammlung ist aus strafrechtlicher Sicht nicht befugt, Maßnahmen anzuordnen, die das Gesellschaftsvermögen schädigen. - Mehr als diese Aussage läßt sich der Rechtsprechung nicht entnehmen. (2) Personengesel/schajten

Ob und in welchem Umfang die Gesellschafterversammlung als solche in Beziehung zur Gesellschaft vermögensbetreuungsptlichtig sein kann, ist für die Rechtsprechung zur oHG keine sinnvolle Fragestellung, da sie jeden einzelnen Gesellschafter als Inhaber des (anteiligen) Vermögens der Gesellschaft beurteilt. Kann daher dieser sein anteiliges Vermögens schon nicht durch Untreue schädigen, so können es alle gemeinschaftlich - als "Gesellschafterversammlung" ebensowenig. Die Frage wird daher von der Rechtsprechung nur im Zusammenhang mit der Wirkung eines Einverständnisses aller Gesellschafter auf das - möglicherweise - treuwidrige Verhalten eines einzelnen (geschäftsführungsberchtigten) Gesellschafters behandelt. Dort gilt für die Rechtsprechung der Satz: Ist der Geschäftsherr eine Personengesellschaft, so entscheiden ihre Gesellschafter. 336 In diesem Punkt stimmt ihr auch die Literatur fast einmütig zu.

334

337

Eine

OLG Stuttgart, OLGSt § 266 S. 45; OLG Hamm, wistra 1985, 158.

335 BGH, wistra 1989, 23. - Eine jüngst ergangene Entscheidung (BGH, wistra 1989, 264,267) deutet allerdings an, daß der BGH diese Grenze ziehen will; in der Entscheidung wird die Verurteilungeines GmbH-Geschäftsführers wegen Untreue u. a. mit der Begründungaufgehoben, eine Vermögensgefährdung "über das Stammkapital der GmbH hinaus" habe das Landgericht rechtsfehlerfrei ausdrücklich ausgeschlossen.

336

BGH, wistra 1984, 71; 1987, 100; 1987,217.

337 Schönke/Schröder/Lenckner, § 266 Rdnr. 21; Winkelbauer, wistra 1986, 18; Reiß, wistra 1989, S. 85/86; dort sind freilich dem Seitenumbruch einige Zeilen zum Opfer gefallen. Nach dem Manuskript, das mir Herr Dr. Reiß freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat, lautet die vollständige Passage: "Eine gegenüber allen Gesellschaftern mit eigenständiger Verantwortung zur Wahrung eigenständiger GesellschaJtsinteressen ausgestattete FremdgeschäJtsfohrung gibt es nicht. Daher ist es selbstverstl1ndlich, daß bei einverstl1ndlichem Handeln aller Gesellschafter eine

3. Kapitel Aussagen zum Täter

257

Ausnahme bildet insofern nur das Landgericht Bonn 338 und ihm folgend Schäfer, 339 die Personenhande/sgesellschaften strafrechtlich wie juristische Personen behandeln und deshalb, unter Übernahme der in der höchstrichterlichen Rechtsprechung dazu entwickelten Grundsätze, eine vermögensfürsorgeTische Beziehung auch zwischen der Gesellschafterversammlung und "der oHG" annehmen wollen. Für die Gesellschafterversammlung und ihre Beziehung zur KG stellt sich das Bild in Rechtsprechung und Literatur vom prinzipiellen Zugang her genauso dar, wie für die oHG. Eine vermögensfürsorgerische Beziehung der "Gesellschafterversammlung" zu "der KG" besteht nicht. Soweit der BGH die Zustimmung aller Kommanditgesellschafter, also der "Gesellschafterversammlung", in eine schädigende Geschäftsführungsmaßnahme für irrelevant, weil treuwidig, erklärt hat, 340 hängt dies nicht damit zusammen, daß er die KG anders behandelt als die oHG. Hintergrund ist vielmehr, wenn man sich die entschiedenen Sachverhalte näher ansieht, daß es sich um Fälle handelt, in denen die Komplimentärin eine GmbH war. Da die GmbH selbst in eine Schädigung ihres Vermögens nach ständiger Rechtsprechung nicht einwilligen kann, soll sie dazu, insoweit konsequent, auch dann nicht imstande sein, wenn sie (zugleich) als Komplementärin gesellschaftsrechtlich in eine KG eingebunden ist. 341 Von dieser gesellschaftsrechtlichen Konstellation der GmbH und Co. abgesehen, sollen also nach dem Ansatz der Rechtsprechung die Gesellschafter einer KG prinzipiell keine tauglichen Untreuetäter sein, wenn sie über ihr (anteiliges) Vermögen verfügen. Sie sind es erst recht dann niet, wenn alle Gesellschafter gemeinsam über ihr(e) Vermögen (-santeile) verfügen. Das muß nach der Argumentation der Rechtsprechung nicht notwendig in einer Gesellschafterversammlung und in Form eines Gesellschafterbeschlusses geschehen; sie sind selbst dann keine tauglichen Untreuetäter, wenn sie gesondert und unabhängig voneinander in die Schädigung des Vermögens "ihrer" Gesellschaft einwilligen. Nur die GmbH soll offenbar dann, wenn sie die Rolle einer Personengesellschafterin ein-

Untreuehandlung nicht in Betracht kommt." (Die Hervorhebungen markieren die in der Veröffentlichung fehlenden Teile.) 338

NJW 1981, 649.

339

NJW 1983, 2850 ff.

340

Siehe die Nachweise in Fußn. 332.

341 Anders jüngst BGH, wistra 1989, 264, 266: "Rechtlich ergibt sich ... kein Unterschied für die Zustimmung des Komplementärs, ob dieser seinerseits eine Gesellschaft oder eine natürliche Person ist."

258

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

nimmt, sich selbst gegenüber in dieser Eigenschaft treuepflichtig werden können. cc) Typ ''Aufsichtsrat''

Als taugliche Untreuetäter werden in der Literatur auch Organe vom Typ "Aufsichtsrat" aufgeführt. 342 Die Begründung ist unklar. Hübner beruft sich dafür auf ein Urteil des Reichsgerichts in Zivilsachen. Dieses erging jedoch (indirekt) zu § 294 AktG a. F. 343 und kann deshalb für die Interpretation des § 266 StGB nicht unmittelbar herangezogen werden. Gleiches gilt für ein Urteil des Bundesgerichtshofs, 344 das Hübner an Stelle einer Begründung als weiteren Beleg anführt. 345 Es betrifft die Rechtslage nach § 81a GmbHG und ist deshalb ebenfalls nicht auf die Rechtslage nach § 266 StGB übertragbar. 346 Lenckner nimmt auf ein Urteil des OLG Hamm Bezug, 347 wo es indessen in einem obiter dictum nur heißt: "Im Falle vorheriger Zustimmung der Aufsichtsratsmitglieder wird im übrigen zu untersuchen sein, ob diese nicht selbst als ungetreu, weil mit den Zwecken der Gesellschaft und den oben beschriebenen Wirtschaftsgrundsätzen unvereinbar zu qualifIzieren ist; das würde die Zustimmung kraftlos machen." 348 Auch hier scheint es eher um das Problem der tatbestandsausschließenden Wirkung eines Einverständnisses zu gehen. -Deutlicher äußert sich Schneider, nach dessen Ansicht die "Bestellung zum Aufsichtsrat der Gesellschaft für das einzelne Mitglied dieses Gremiums eine rechtsgeschäftliche Treueverpflichtung" begründet. 349 Ihm dient als Begründung indessen wieder nur die Angabe einer Fundstelle; er beruft sich auf Schönke/Schröder 350 in der sich auch nichts anderes findet, als diese Behauptung. Allerdings bietet Schneider eine differenzierende Beurteilung an. Er trennt zwischen Entscheidungen des Aufsichtsrates, bei deren Umsetzung die Aufsichtsratsmitglieder im Sinne mißbräuchlicher Ausübung ihrer Befugnis-

342

Hübner, LI(, § 266 Rdnr. 55; SchönkelSchröderi Lenckner, § 266 Rdnr. 25.

343

RGZ 81, 332, 335.

344

BGHSt 9, 203, 210.

345

Hübner, LK, § 266 Rdnr. 55.

346

Siehe dazu oben in diesem Teil, 1. Kapitel, A 11, III.

347

SchönkeISchröder/Lenckner, § 266 Rdnr. 25.

348

OLG Hamm, NStZ 1986,119.

349

Schneider, Untreue nach dem neuen Aktienrecht, S. 44.

350

15. Aufl., § 266 Anm. 9, 29.

259

3. Kapitel Aussagen zum Täter

se handeln können und der Aufsichtstätigkeit. Für die Fälle, in denen der Aufsichtsrat, wie etwa bei Abschluß von Anstellungsverträgen mit dem Vorstand der Gesellschaft, als Vertretungsorgan tätig wird, verweist Schneider auf die Parallele zur Täterqualifikation des Vorstandes. 351 Im Übrigen sieht er den Kern des Problems bei der Frage der Abgrenzung von Befugnissen und Pflichten des Aufsichtsrats, die diesen als möglichen Täter des Mißbrauchsoder nur des Treubruchstatbestandes qualifizieren. 352 Diese Differenzierung ist jedoch auf der Grundlage der hier entwickelten Basisdefmition 353 unerheblich. 111. Zusammenfassung Die Aussagen der Rechtsprechung und herrschenden Ansicht m der Literatur lassen sich vereinfacht auf folgende Formel bringen: 1. Tritt eine Personenvereinigung in rechtliche oder geschäftliche Beziehung zu Dritten (Außenbeziehungen), kann die Beziehung des Dritten zu ihr und ihrem Vermögen für diesen eine Vermögensbetreuungspflicht begründen. Im Verhältnis zu ihm werden Personenvereinigungen jeder Rechtsform unterschiedslos wie individuelle Vermögensinhaber behandelt. Die Kriterien, nach denen sich die Frage beantwortet, ob die Beziehung des Dritten zum Vermögen der Personenvereinigung eine solche im Sinne des § 266 StGB ist, sind keine anderen als die, die auch auf die Beziehung zweier natürlicher Individuen als Täter und Opfer angewendet werden. 2. Hingegen wird für die umgekehrte Richtung - mögliche Vermögensbetreuungspflicht einer Personenvereinigung oder ihrer Gesellschafter in Bezug auf das Vennögen Dritter - differenziert. Den Mitgliedern und Organen von Körperschaften soll es untersagt sein, das Vermögen der juristischen Person zu schädigen, wenn und weil dadurch Interessen Dritter, die zu der Körperschaft in Geschäftsbeziehung stehen ( Gläubigerinteressen verletzt werden. Konstruktiv wird dies dadurch erreicht, daß eine Vermögensbetreuungspflicht des geschäftsführenden Organs im Verhältnis zum Vermögen der Körperschaft postuliert wird, die auch dann verletzbar sein soll, wenn alle Mitglieder der juristischen Person (Gesellschafterversammlung) der Schädigung zustimmen. - Personengesellschafter sollen dagegen ohne Rücksicht auf die Interessen von Gläubigern der Gesellschaft über ihr Vermögen verfügen können; etwaige OI

351

Schneider, Untreue nach dem neuen Aktienrecht, S. 48.

352

Schneider, Untreue nach dem neuen Aktienrecht, S. 4448.

353

Siehe oben S. 222.

Ol

),

260

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

Verletzungen von Gläubigerinteressen sind ausschließlich nach den §§ 283 ff StGB zu beurteilen. 3. Personengesellschafter sind untereinander generell nicht vermögensbetreuungspflichtig, sondern nur soweit sie als Funktionsträger für die (übrigen) Gesellschafter tätig werden. 4. Mitglieder einer Körperschaft sind untereinander nicht vermögensbetreuungspflichtig, können es aber im Verhältnis zur juristischen Person sein. Eine Vermögensbetreuungspflicht soll etwa den Mehrheitsgesellschafter treffen; gleiches soll für alle Gesellschafter in ihrer Funktion als Gesellschafterversammlung gelten, jedenfalls in der Weise, daß sie die Pflichtwidrigkeit einer schädigenden Geschäftsführungsmaßnahme nicht durch Einverständnis beseitigen können. 5. Geschäftsführende Organe einer juristischen Person sind dieser gegenüber uneingeschränkt vermögensbetreuungspflichtig. - Geschäftsführende Gesellschafter einer Personengesellschaft sind den einzelnen (Mit-) Gesellschaftern gegenüber vermögensbetreuungspflichtig. - Gegen diese These werden von zwei unterscl1iedlichen Ansätzen aus Einwände erhoben: einerseits wird gefordert, daß Personenhandelsgesellschaften wie juristische Personen zu behandeln seien und deshalb die Vermögensbetreuungspflicht geschäftsführender Gesellschafter auf das Vermögen "der Gesellschaft" zu beziehen sei; andererseits wird eingewandt, es handele sich bei Personengesellschaften um eine Personengruppe, der das Gesellschaftsvermögen zur gesamten Hand zustehe; geschäftsführende Gesellschafter seien daher nicht den einzelnen Gesellschaftern, sondern der Gesamthand gegenüber zur Betreuung ihres Vermögens verpflichtet.

6. Die Gesamtheit der Gesellschafter einer Personengesellschaft unterliegt - ebensowenig wie jeder einzelne Gesellschafter - keiner Vermögensbetreuungspflicht in Bezug auf das Gesellschaftsvermögen. - Die Gesellschafterversammlung einer juristischen Person ist hingegen, obwohl sie deren oberstes Organ ist, nicht befugt, Gesellschaftsvermögen zu schädigen. Die Konstruktion ist unklar und umstritten. Es bleibt offen, ob lediglich die für ein wirksames Einverständnis notwendige Dispositionsbefugnis fehlt oder ob gesellschaftsgesetzliche Beschränkungen eine Vermögensfürsorgepflicht der Gesellschafterversammlung in Bezug auf das Gesellschaftsvermögen begründen sollen. 7. Aufsichtsorgane, die typischerweise (nur) zur Binnenorganisation einer Körperschaft gehören, sollen vermögensbetreuungspflichtig in Bezug auf das Vermögen der juristischen Person sein.

3. Kapitel Aussagen zum Täter

261

D. Auswertung Die Analyse der herrschenden Ansicht zur Frage, wer Opfer einer Untreue sein kann, hat gezeigt, daß die Rechtsprechung die "Gesamthandsgemeinschaft" ausgeklammert und nicht begründet hat, warum von den Personenvereinigungen nur juristische Personen Inhaber von Vermögen sein können und dies auch im Verhältnis zu ihren Teilhabern sind. Für die Frage, wer Täter einer Untreue zum Nachteil von Gesellschaften sein kann, kehrt dieser Ansatz spiegelbildlich wieder bei der Frage, "wem" gegenüber Gesellschafter, Teilhaber oder Organe betreuungspflichtig sind. I. Analyse der Argumentation zu den Außenbeziehungen 1. Vennögensbetreuungspflichtige Dritte

Bei der Beurteilung der Außenbeziehungen, soweit es sich um etwaige Vermögensbetreuungspflichten Dritter in Beziehung zur Gesellschaft handelt, steht die Argumentation insofern in Einklang mit gesellschaftsgesetzlichen Vorgaben und Anschauungen, als auch die strafrechtliche Rechtsprechung Gesellschaften als nach außen geschlossene Organisationen beurteilt. Wenn hier nicht nach Rechtsformen differenziert wird, dann deshalb, weil als selbstverständlich vorausgesetzt wird, daß es nicht darauf ankomme. Allerdings wird die Frage nicht explizit gestellt und auch nicht beantwortet, warum es (auch) strafrechtlich auf die Rechtsform in diesen Fällen nicht ankommen soll. Für die Beurteilung der problematischen Fälle gesellschaftsrechtlicher Untreue könnte es jedoch aufschlußreich sein, sich Rechenschaft darüber abzulegen. Denkbar wäre zum einen, daß die Benennung von sozialen Einheiten als Vermögensinhaber wörtlich gemeint sein könnte, die Rechtsprechung sich also in diesen Fällen ausdrücklich dazu bekennen wollte, daß jede beliebige soziale Einheit taugliches Zuordnungssubjekt von Vermögen sein kann. Dagegen spricht indessen, daß sie dies sogar bei solchen Einheiten ablehnt, denen die (Zivil-) Rechtsordnung - wie etwa den Personenhandelsgesellschaften jedenfalls Teil-Identität zuschreibt, indem sie einen eigenen "Namen" (Firma), also ein Identifizierungsmerkmal fordert. 354

354

Siehe oben in diesem Teil, 2. Kapitel, B "Auswertung".

262

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

Die Argumentation könnte jedoch dann schlüssig sein, wenn ihr folgende theoretische Konstruktion zugrundeläge: Die Rechtsform einer organisierten (sozialen) Einheit ist nicht deshalb unerheblich, weil jede beliebige Organisation Zuordnungssubjekt von Vermögen sein kann, sondern nur dann, wenn die von einer Person zu betreuenden Vennögensinteressen an einer mehreren Personen zuzuordnenden Vermögensmasse zwingend identisch sind. Es gibt nach dem Wortlaut des § 266 StGB keinen vernünftigen Zweifel daran, daß eine natürliche Person Inhaber von Vermögen sein kann und eine natürliche Person Vermögensinteressen haben kann. lSS Es kann ferner keinen vernünftigen Zweifel daran geben, daß eine natürliche Person gleichzeitig mehrere täterschaftsbegründende Beziehungen im Sinne des § 266 StGB unterhalten, also im Verhältnis zu mehreren natürlichen Personen und deren Geweiligem) Vermögen vermögensbetreuungspflichtig sein kann. Anlageberater, Steuerberater, Rechtsberater, Notare etc. würden brotlos, wollte man das Gegenteil postulieren. Schließlich ist es immerhin möglich, daß mehrere Personen (A, Bund C), denen ein Vermögensgegenstand, gleich ob nach Bruchteilen, zur gesamten Hand oder wie auch immer, zugeordnet ist, ein völlig gleichgerichtetes Vermögensinteresse haben, dessen Wahrnehmung sie gemeinsam einer anderen Person (D) anvertrauen und das diese durch eine einzige Handlung verletzt. In diesem Falle stünde fest, daß D jeder dieser Personen gegenüber zur Betreuung ihrer Vermögensinteressen verpflichtet wäre; es stünde fest, daß die Tathandlung dieselbe wäre und es stünde die Gesamtschadenssumme fest. Damit stellt sich nur noch die Frage, ob in einem solchen Fall die Tathandlung nur einmal unter § 266 StGB subsumierbar ist (Untreue durch Pflichtverletzung und Zufügung eines Nachteils bei A, Bund C in Höhe des Gesamtschadens) oder - das wäre die Alternative - ob D durch die "eine Handlung dasselbe Gesetz mehrmals verletzt" hat (durch Benachteiligung je von A, Bund C in Höhe eines Drittels des Gesamtschadens). Auch im zweiten Fall läge aber nach § 52 StGB nur eine Untreue "in gleichartiger Idealkonkurrenz" vor. Diese Ableitung vermag also befriedigend zu erklären, daß es auf das Ergebnis der strafrechtlichen Beurteilung keinen Einfluß hat, ob durch eine konkrete Handlung, die ein gleichgerichtetes Vermögensinteresse mehrerer Personen verletzt, deren anteiliges Vermögen je anteilig oder deren Gesamtvermögen insgesamt geschädigt wird, sofern die - strafzumessungsrelevante Höhe des Nachteils in bei den Fällen identisch ist.

355

Siehe oben in diesem Teil, 2. Kapitel 8 (S. 201).

3. Kapitel Aussagen zum Täter

263

Das aber heißt, die Rechtsprechung setzt voraus, daß mehrere Personen jedenfalls ein identisches oder gleichgerichtetes Vennögensinteresse haben können. 2. Vennögensbetreuungspflicht gegenüber Dritten

Soweit in der Literatur ausdrücklich, in der Rechtsprechung ansatzweise, behauptet wird, die Gesellschafter einer juristischen Person dürften weder als solche noch in ihrer Gesamtheit als oberstes Organ der Gesellschaft das Vermögen der juristischen Person schädigen, weil § 266 StGB - insoweit als Nachfolger des § 81a GmbHG - auch gläubigerschützende Funktion habe, steckt darin implizit die Aussage, die Gesellschafter seien, jedenfalls auch, den Gesellschaftsgläubigern gegenüber vermögensbetreuungspflichtig. Indessen ist schon die Annahme, § 266 StGB habe auch "gläubigerschützende Funktion", indiskutabel. Zum einen beruht sie auf der methodisch unzulässigen Argumentation mit dem Schutzbereich aufgehobener Gesetze. 356 Zum anderen ist sie offenkundig zirkulär. Vorausgesetzt, daß das durch

§ 266 StGB geschützte Rechtsgut "das Vermögen" ist, so ergibt sich daraus nichts für die Frage "wessen" Vermögen geschützt wird. § 266 StGB individua-

lisiert das vom Täter zu betreuende (und von ihm geschädigte) Vermögen nur durch die Beziehung zu seinem Inhaber ("dem, dessen"). 3S7 Zu diesem Inhaber oder zu dessen Vermögen muß der Täter in der spezifischen Beziehung des § 266 StGB stehen. Die Behauptung nun, § 266 StGB habe "gläubigerschützende" Funktion, setzt das erst zu Begründende als schon begründet voraus. § 266 StGB hat nur insoweit "gläubigerschützende" Funktion, als die Beziehung zwischen einer Person (dem Täter) und ihrem Gläubiger den Anforderungen an die täterschaftsbegründende Beziehung des § 266 StGB genügt. Wollte man in das "Schutzgut" des § 266 StGB bereits die geschützten Beziehungen aufnehmen, müßte man konsequenterweise alle untreuetaugIichen Beziehungen, die zwischen einem Täter und einem (individualisierten) Vermögen bestehen können, in gleicher Weise berücksichtigen: § 266 StGB hätte dann auch etwa "mandantenschützende", "arbeitgeber- oder arbeitnehmerschützende", "gemeinschuldnerschützende", "erbenschützende" Funktion u.s.w.. So verstanden, wird aber die Benennung des Schutzgutes funktionslos.

356

Siehe dazu im einzelnen oben in diesem Teil, 1. Kapitel A 11.

357

Siehe dazu oben in diesem Teil, 1. Kapitel, B I 1.

264

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

Die Behauptung, § 266 StGB habe "gläubigerschützende" Funktion sucht also nur als bewiesen vorauszusetzen, was erst bewiesen werden muß, daß nämlich eine Beziehung zwischen Schuldner und Gläubiger schlechthin täterschaftsbegründend ist. Wäre das der Fall, dann könnte dies selbstverständlich nicht nur für bestimmte Tätergruppen gelten, also etwa für die Fälle, in denen "der Schuldner" eine Gesellschaft oder Körperschaft ist, sondern müßte generelles Auslegungskriterium für § 266 StGB sein. Bekanntlich ist aber die offene Frage gerade die, welche Beziehungen täterschaftsbegründend sind, also auch, ob die schlichte Beziehung Schuldner/Gläubiger überhaupt darunter fallen kann. Der ganz überwiegende Teil der Literatur hat deshalb zu Recht die Argumentation mit dem Gläubigerschutz verworfen. 358 11. Argumentation zur Betreuungspflicht geschäftsftihren der Gesellschafter von Personengesellschaften Die Rechtsprechung geht für Personengesellschaften davon aus, daß geschäftsführende Gesellschafter nicht der "Gruppe" und ihrem gesamthänderisch gebundenen Vermögen betreuungspflichtig sind, sondern jedem einzelnen Gesellschafter in Bezug auf sein anteiliges Vermögen. Die strafrechtliche Rechtsprechung definiert also das personengesellschaftsrechtliche Beziehungsgefüge so, als habe jeder einzelne Gesellschafter, nur für sich und seinen Vermögensanteil handelnd, denjeweils anderen - beziehungsweise nur einen einzelnen geschäftsführenden Gesellschafter - beauftragt, seine Geschäfte zu führen, und rechtsgeschäftlich bevollmächtigt, (nur) über seinen Anteil zu verfügen. Konsequenz ist, daß strafrechtlich der (zivilrechtliche) Treuhandcharakter der Geschäftsführung im Verhältnis zur Gesellschaftergesamtheit 359 in mehrere Einzel(rechts)beziehungen aufgelöst wird, die den geschäftsführenden Gesellschafter nur an die Interessen der jeweils einzelnen Gesellschafter bindet. In diesem Punkt stellt sich damit die strafrechtliche Beurteilung in Widerspruch zur gesellschaftsrechtlichen. Die strafrechtliche Konstruktion widerspricht jedoch noch in einem weiteren Punkt der gesellschaftsrechtlichen, wenn sie davon ausgeht, daß jeder einzelne Gesellschafter rechtlich wirksam einer Schädigung seines anteiligen Vermögens

358 Labsch, JuS 1985, S. 602, 606; Ders., wistra 1985, S. 8; Otto, JZ 1985, S. 74 Pn. 164; Samson, SI(, § 266 Rdnr. 41; Schänke! SchräderiLenckner, § 266 Rdnr. 21; Winke/bauer, wistra 1986 S. 18. 359 Arg. aus §§ 713, 664 - 670 BGB; vgl. Esser, Schuldrecht 11, S. 181 fund 282 f m.w.N.; Kübler, Gesellschaftsrecht, S. 53.

3. Kapitel Aussagen zum Täter

265

zustimmen kann. Da dieser Befugnis strafrechtlich keine Grenzen gezogen werden, könnte der einzelne Gesellschafter auch in die völlige Aufgabe, Veräußerung oder Vernichtung seines anteiligen Vermögens jedenfalls strafrechtlich wirksam einwilligen. Zivilrechtlich ist es dem einzelnen Gesellschafter einer Personengesellschaft dagegen nicht möglich, über seinen Anteil am Gesellschaftsvermögen zu verfügen. 360 Damit kann er ebensowenig - nur für sich und allein handelnd - dem geschäftsführenden Gesellschafter durch Erteilung von "Vollmacht" rechtlich wirksam die ihm selbst nicht zustehende Rechtsmacht übertragen, über seinen Anteil zu verfügen. Die Widersprüche wären nicht weiter beunruhigend, wenn das Strafrecht damit lediglich darauf verzichtete, ein (nur) zivilrechtlich unerlaubtes Verhalten auch zu bestrafen. Indessen ist in der Annahme, der jeweils geschäftsführende Gesellschafter sei nur den einzelnen Gesellschaftern in Bezug auf ihr anteiliges Vermögen betreuungspflichtig eine - versteckte - Normfalle angelegt. Besteht die Betreuungspflicht (nur) gegenüber den einzelnen Gesellschaftern als Individuen, dann kann der geschäftsführende Gesellschafter diese Pflicht prinzipiell auch dadurch verletzen, daß er Handlungen vornimmt, die zwar der Gesellschaft als Gesamthandsgemeinschaft und dem Gesamthandsvermögen förderlich sind, aber der Weisung nur eines einzelnen Gesellschafters widersprechen. Erreicht wird dieses wertungswidersprüchliche Ergebnis dadurch, daß die Rechtsprechung die zivilrechtliche Bindung der Gesellschafter an den von ihnen gemeinsam definierten Gesel/schajtszweck, und das für eine Gesellschaft konstitutive gemeinsame Interesse aller Gesellschafter an der Erreichung dieses Ziels 361 strafrechtlich in individuelle Vennögensinteressen auflöst. Im Innenverhältnis zum einzelnen Gesellschafter, dessen Vermögensinteressen der geschäftsführende danach zu betreuen hätte, wäre dann die im Interesse aller Gesellschafter zivilrechtlich gebotene Handlung bei Strafe verboten. Diese Konsequenz - mag man ihr auch entgegenhalten, daß sie kaum praktisch werden dürfte - beseitigt jedenfalls die theoretische Legitimation für die Annahme, der geschäftsführende Gesellschafter sei nur jedem einzelnen Gesellschafter einer Personengesellschaft im Sinne des § 266 StGB vermögensbetreuungspflichtig. Als Zwischenergebnis kann - verallgemeinernd - festgehalten werden, daß die zivilrechtliehe Bindung mehrerer Personen an ein gemeinsames Interesse

360 Für die GbR § 719 BGB; für die oHG §§ 105 Abs. 2 HGB, 719 BGB; für die KG §§ 161 Abs. 2, 105 Abs. 2 HGB, 719 BGB.

361

Kübler, Gesellschaftsrecht, S. 45.

266

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

bei der Definition des strafrechtlich zu betreuenden Vermögensinteresses zu berücksichtigen ist. Anderenfalls könnte derjenige, der zivilrechtlich verpflichtet ist, dieses gemeinsame Interesse zu betreuen, strafrechtlich der gegenteiligen Pflicht ausgesetzt werden.

111. Argumentation zur Vermögensbetreuungspflicht der Organe juristischer Personen Dagegen steht die Annahme, Organe vom Typ Vorstand und vom Typ Aufsichtsrat seien grundsätzlich" der Gesellschaft als eigener Rechtspersönlich keit" gegenüber zur Vermögensbetreuung verpflichtet, in Einklang mit den gesellschaftsgesetzlichen Vorgaben. Unklar bleibt hier allerdings, wer die (konkreten) Vermögensinteressen definiert - und damit zugleich, wie der (abstrakte) Begriff "Vermögensinteresse" als tatbestandlich vorausgesetztes Element der Beziehung zwischen Täter und Vermögen beziehungsweise Täter und Opfer zu definieren ist. Die Antwort kann nicht lauten: "die eigene Rechtspersönlichkeit", denn diese ist als solche nicht handlungsfähig. Gesellschaftsrechtlich kommen in Betracht Gesetz, Satzung oder Beschlüsse der Gesellschafterversammlung als oberstem Organ. Die Rechtsprechung befaßt sich nur mit zwei dieser Möglichkeiten: Gesetz oder Gesellschafterbeschlüsse. 1. Der Einfluß von Gesellschafterbeschlüssen auf die Vennögensinteressen der Gesellschaft

Indem sie Gesellschafterbeschlüssen die Wirksamkeit versagt, ein das Gesellschaftsvermögen schädigendes Verhalten des Geschäftsführers zu legitimieren, hat sie diesen strafrechtlich das Recht und die Macht abgesprochen, die Vermögensinteressen der Körperschaft (für diese) zu formulieren. Danach steht nicht nur das Vermögen einer juristischen Person dieser im Verhältnis zu ihren Teilhabern allein zu; auch die Vermögensinteressen bestimmen sich unabhängig von ihnen. Damit wird der Sache nach im Strafrecht festgeschrieben, was im Gesellschaftsrecht allenfalls zurückhaltend gefordert wird: ein eigenständiges - vom Interesse der Gesellschafter abweichendes - Gesellschaftsinteresse. Ulmer wertet dies als "überraschende ... Diskrepanz zwischen privat- (gesellschafts-) rechtlicher und strafrechtlicher Wertung, wobei abweichend von sonstigen Wertungsunterschieden nicht die privat-, sondern die strafrechtliche Wertung

3. Kapitel Aussagen zum Täter

267

strenger ausfällt." 362 Diese freundlich formulierte Feststellung läßt sich - kritisch formuliert - als sachlich zutreffende Erkenntnis einordnen, daß das Strafrecht auch für Organe einer juristischen Person eine Normfalle bereithält. Indem sie den Geschäftsführer (einer GmbH) einerseits auf die Betreuung der selbständigen Vermögensinteressen (der GmbH) verpflichtet, verbietet sie ihm bei Strafe, zivilrechtlich zulässigen und für ihn verbindlichen Weisungen der Gesellschafterversammlung nachzukommen. Insofern verkennt die strafrechtliche Rechtsprechung - wie Zöllner ihr vorgeworfen hat - daß der Geschäftsführer nichts anderes ist als der "Knecht der Gesellschafter". 363 Der methodische Kunstgriff, mit dem die Rechtsprechung dieses Ergebnis erreicht, entspricht - vice versa - dem, durch den sie den geschäftsführenden Personengesellschafter in dieselbe Situation stellt. Hier sperrt sie das Vermögensinteresse der juristischen Person hermetisch gegen jeden Einfluß der Gesellschafter und schafft damit eine strafrechtliche Bindung des Geschäftsführer an die Interessen der Gesellschaft, während er zivilrechtlich verpflichtet ist, die von der Gesellschafterversammlung defmierten Interessen in Form von Weisungen zu befolgen. Ihm wird also bei Strafe verboten, was ihm zivilrechtlich erlaubt oder sogar geboten ist. Dabei wird die Tatsache mißachtet, daß die Funktion der Gesellschafterversammlung zivilrechtlich gerade darin besteht, "den Einfluß der Initiatorengruppe zu sichern", 364 also auch die Vermögensinteressen der Beteiligten zu harmonisieren. - Dort (bei den Personengesellschaften) sperrt die Rechtsprechung das Vermögensinteresse der einzelnen Gesellschafter gegen jeden Einfluß eines zivilrechtlich bereits harmonisierten gemeinsamen (Vermögens-) Interesses der Gesellschafter ab und schafft damit eine Vielzahl von Einzelinteressen, denen der geschäftsführende Gesellschafter jeweils verpflichtet sein soll.

2. Die Grenze des § 30 GmbHG Soweit in der Literatur dem Grundsatz nach eine Parallelität zwischen Gesellschaftsrecht und Strafrecht in der Weise hergestellt wird, daß ein Einverständnis der Gesellschafterversammlung immerhin strafrechtlich wirksam die Pflichtwidrigkeit eines gesellschaftsschädigenden Verhaltens des Geschäftsführers entfallen lassen soll, wird jedoch teilweise auf die Grenze des § 30 GmbHG verwiesen. Diese Argumentation wäre nur dann schlüssig, wenn in

362

Ulmer, Festschr. f. Pfeiffer, S. 854.

363

Zöllner, Schranken mitgliedschaftIichen Stimmrechts, S. 22 Fn. 14.

364

lohn, Organisierte Rechtsperson, S. 121.

268

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

dieser Vorschrift - mindestens - ein dem Einfluß der Gesellschafter entzogenes Vermögensinteresse "der Gesellschaft" festgeschrieben würde. Das aber ist gesellschaftsrechtlich zweifelhaft. Die Kapitalerhaltungsregeln haben in erster Linie die Funktion, für einen Haftungsfonds im Interesse der Gesellschaftsgläubiger zu sorgen und ihn gegen Beeinträchtigungen zugunsten der Gesellschafter zu schützen (arg. aus § 31 Abs. 2, 3 GmbHG). Das wird zwar gesellschaftsrechtlich dadurch erreicht, daß "das Vermögen" der juristischen Person in bestimmten Grenzen vor dem Zugriff ihrer Gesellschafter geschützt wird; 365 zweifelhaft bleibt aber, ob schon deshalb auch ein "Vermögensinteresse" der Gesellschaft gesetzlich fixiert ist. Selbst wenn dies so wäre, stünde jedoch noch nicht fest, daß der Geschäftsführer und I oder die Gesellschafter dieses Vermögensinteresse der Gesellschaft auch "zu betreuen" hätten. Ihnen ist lediglich untersagt, das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Vermögen an die Gesellschafter auszuzahlen, beziehungsweise sich auszahlen zu lassen. Zivilrechtliche "Verbote" können jedoch nicht unbesehen in das Strafrecht übernommen werden. Vielmehr sind sie daraufhin zu überprüfen, ob sich ihr "Schutzzweck" mit demjenigen deckt, dessen Verletzung auch durch den konkreten Straftatbestand pönalisiert werden soll. Es ist also - mit anderen Worten - in der Diskussion offen gelassen worden, ob gesellschaftsrechtliche Normen, die Vermögensinteressen Dritter schützen, schon deshalb geeignet sind, für die Gesellschaft, ihre Gesellschafter oder ihre Organe eine gesetzliche Pflicht zu begründen, fremde Vermögensinteressen, nämlich die der durch die entsprechende Norm geschützten Personen, zu betreuen. Dieser Aufgabe hat sich die Rechtsprechung bislang völlig, die Literatur weitgehend entzogen. Dies ist um so erstaunlicher, als die Bemühungen um eine Konturierung der Treubruchsalternative gerade auf der Erkenntnis beruhen, daß das Gesetz "unmöglich ... im Sinn gehabt haben (sc. kann), durch Pönalisierung des ganzen Schuldrechts und Abstrafen jedes Vertragsbruchs das Wirtschaftsleben zu stören und in Unruhe zu halten." 366

365

So Ulmer, Festsehr. f. Pfeiffer, S. 860.

366

Peschke, DJZ 1933, 1099 f; Hübner, LK, § 266 Rdnr. 25 m. w. N.

3. Kapitel Aussagen zum Täter

269

IV. Zusammenfassung Die Diskussion hat als weitgehend gesichertes Ergebnis nur erbracht, daß mehrere Personen ein gleichgerichtetes Vermögensinteresse haben können, das von einer einzelnen Person betreut werden kann. Soweit indessen gesellschaftsrechtlich gleichgerichtete Interessen vorgegeben sind (Gesamthand) oder Regeln zur Harmonisierung gegensätzlicher Interessen bestehen GuristischePerson / Gesellschafterversammlung) , wird dies in der strafrechtlichen Diskussion nicht respektiert. Unter Mißachtung der dort geltenden Beziehungen werden vielmehr Einzelinteressen oder gegenläufige Interessen postuliert, denen dieselbe Person (Geschäftsführer) gleichzeitig verpflichtet sein soll. Die Konsequenz ist, daß strafrechtlich verboten wird, was gesellschaftsrechtlich erlaubt ist. Soweit das Gesellschaftsrecht dagegen von einem Interessengegensatz ausgeht (Gesellschafter/Gläubiger) und eine Konfliktregelung (Schutz der Gläubigerinteressen durch Verfügungsbeschränkungen) trifft, wird diese gesellschaftsrechtliche Regelung strafrechtlich bewehrt, und dabei das Beziehungsgefüge des § 266 StGB (Identität von zu Betreuendem und Geschädigtem) außer Acht gelassen.

Zusammenfassung der Ergebnisse des zweiten Teils 1. Der Zuschnitt der Fragestellungen, von denen die Anwendung des § 266 StGB auf Schädigung von Gesellschaften abhängt, beruht auf folgenden Interpretationsansätzen: 1

a) § 266 StGB ist die einzige Norm, nach der Untreue zum Nachteil von Gesellschaften zu beurteilen ist. Sie ist methodisch unabhängig davon zu interpretieren, welche Reichweite die aufgehobenen Spezialgesetze hatten. 2 b) § 266 StGB individualisiert seinem eindeutigen Wortlaut nach das angegriffene Vermögen durch seine Zuordnung zu einem Inhaber. Es ist deshalb für die Anwendung des § 266 StGB auf treuwidrige Schädigung von "Gesellschaften" die Frage vorrangig, ob Gesellschaften als solche, wenn ja welche, oder ob deren Gesellschafter oder Teilhaber Inhaber des "Gesellschaftsvermögens" sind. Vereinfacht lautet die Frage: "Wer kann Opfer einer Untreue sein?" 3 c) § 266 StGB setzt für alle Varianten voraus, daß der Täter in einer besonderen Beziehung zu dem angegriffenen Vermögen und seinem Inhaber steht. Der Wortlaut und die grammatikalischen Bezüge der Vorschrift lassen es zu, aus den Einzelelementen eine allen Varianten gemeinsame Grundstruktur zu abstrahieren. 4 - Alle Beziehungen des Täters zum angegriffenen Vermögen und/ oder seinem Inhaber bedürfen einer Grundlage, die für alle Varianten nur in einem Rechtsverhältnis zwischen Täter und Opfer und für die sogenannte Treu-

1

Dazu das 1. Kapitel.

2

1. Kapitel, A.

3

1. Kapitel, B I 1.

4

1. Kapitel B I 2.

Zusammenfassung

271

bruchsvariante darüber hinaus auch in einem Treueverhältnis bestehen kann. 5 - Es muß eine Beziehung zwischen dem Vermögensinhaber und dem Täter bestehen. Diese Beziehung ist ihrem Gegenstand nach auf den Umgang mit demselben Vermögen gerichtet. Daraus folgt, daß sie für alle Varianten des § 266 StGB mindestens einer identischen Bedingung genügen muß: sie muß zwischen Täter und Opfer die Rechte und Pflichten in Ansehung des Vermögens verteilen, insoweit also regelnd wirken. Die "Befugnisse" und "Pflichten" des Täters in Bezug auf das Vermögen und die Vermögensinteressen sind daher eine Funktion der Beziehung zwischen ihm und dem Opfer. 6 - Die tatbestandsmäßigen Handlungen des § 266 StGB sind im Gesetz negativ formuliert. "Miß"-brauch und Pflicht-"Verletzung" stellen sich logisch als aktive Negation des "rechten" Gebrauchs oder des "pflichtgemäßen" Gebrauchs der Macht zum Umgang mit dem Vermögen dar, die dem Täter durch die Beziehung zum Vermögensinhaber und im Verhältnis zu diesem zusteht. 7 Die zweite, für die Anwendung des § 266 StGB auf Untreue zum Nachteil von Gesellschaften zentrale Frage lautet daher vereinfacht: "Auf Grund welcher Beziehungen kann eine Person im Verhältnis zum jeweiligen Opfer Täter einer Untreue sein?" 2. Die Stellungnahmen in Rechtsprechung und Literatur zur Frage, wer Opfer einer Untreue sein kann, 8 beziehen sich aufgesellschaftsrechtlich typisierbare Fälle. Das Strafrecht trifft in diesen Zusammenhängen notwendig auf Lebenssachverhalte, die bereits Gegenstand außerstrafrechtlicher Regelungen waren, also geregelt sind. a) Das Gesellschaftsrecht klassifiziert Personenvereinigungen nach ihrer Fähigkeit, Vermögen haben zu können, und unterscheidet danach zwischen "juristischen Personen" (= Fähigkeit, eigenes Vermögen haben zu können)

5

1. Kapitel B I 2. b).

6

1. Kapitel B I 2. c).

7

1. Kapitel B I 3.

8

Dazu das 2. Kapitel.

20 NeU..

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

272

und "Gesamthandsgemeinschaften" (= Zuordnung des Vermögens zu den Gesellschaftern zur gesamten Hand). 9 b) Nach dem Ergebnis der Materialsichtung 10 liegt den Aussagen in Rechtsprechung und Literatur im wesentlichen, von vereinzelten Gegenstimmen abgesehen, folgende Linie zu Grunde: - Juristische Personen sind Vermögensinhaber und deshalb als solche durch Untreue benachteiligungsfähig. - Gesellschaften ohne eigene Rechtspersönlichkeit sind nicht Inhaber von Vermögen im Sinne des § 266 StGB; das Vermögen wird auch nicht der "Gesamthandsgemeinschaft" zugeordnet, sondern es steht- strafrechtlich jedem einzelnen Gesellschafter anteilig als "sein" Vermögen zu. - Auch staatliches Vermögen fällt unter den Schutz des § 266 StGB. Es wird nicht danach differenziert, ob die benachteiligte staatliche Organisationseinheit als juristische Person organisiert ist oder ob es sich um eine unselbständige Verwaltungs- oder Betriebseinheit handelt. - In den Fällen, in denen als Täter weder ein Gesellschafter oder Teilhaber noch ein Organ (-mitglied) des oder der benachteiligten Vermögensinhaber in Betracht kommt, messen Rechtsprechung und Literatur der Gesellschaftsform keine Bedeutung zu, sondern bezeichnen den Vermögensinhaber häufig nach seiner wirtschaftlichen Rolle (Bank, Unternehmen etc.) oder durch seine Beziehung zum Täter (Arbeitgeber, Geschäftsherr etc.). - Eine weitere Gruppe von Aussagen bezieht sich auf geschädigte Vermögensmassen (Konkursmasse, Gläubiger-Fonds), ohne daß der oder die Vermögensinhaber oder Vermögensinteressenten eliminiert werden, zu denen die täterschaftsbegründende Beziehung herstell bar sein soll oder konkret hergestellt wurde. c) Diese Aussagen wurden nach den Kriterien der (logischen) Schlüssigkeit ihrer Ableitungen und ihren möglichen Widersprüchen zum Gesellschaftsrecht ausgewertet. 11 Ergebnis ist: 12

9

2. Kapitel A I 2 a).

10

2. Kapitel A 11 - A V; siehe auch die Zusammenfassung unter A VI.

11

2. Kapitel 8.

12

2. Kapitel B 111.

Zusammenfassung

273

- Nur die Aussage, eine natürliche Person könne Inhaber von Vermögen im Sinne des § 266 StGB sein, ist richtig und unanfechtbar. - Die Aussage, Gesellschaften "mit eigener Rechtspersönlichkeit" könnten auch im Sinne des § 266 StGB Inhaber von Vermögen sein, ist diskutabel, aber nicht schlüssig begründet. - Die Aussage, Inhaber des Vermögens einer Gesamthandsgemeinschaft sei strafrechtlich jeder einzelne Gesellschafter und nur in Bezug auf seinen Anteil am Gesellschaftsvermögen, beruht auf methodisch unzulässigem und sachlich nicht diskutiertem Ausschluß der Gesamthandsgemeinschaft als möglicher Inhaberin von Vermögen auch im Sinne des § 266 StGB. Die Aussage ist ferner deshalb anfechtbar, weil sie Gesamthandsgemeinschaften strafrechtlich wie Bruchteilsgemeinschaften behandelt. Sie begründet dadurch die Gefahr, daß die strafrechtliche Beurteilung der die Machtverteilung regelnden Beziehung zwischen Vermögensinhaber und dem Täter in Kollision gerät zu den zwischen ihnen geltenden zivilrechtlichen Regelungen. 3. Der Analyse der Aussagen zur Frage, wer auf Grund welcher Beziehungen zu einer Gesellschaft als Täter einer Untreue zu deren Nachteil in Betracht kommt, 13 geht davon aus, daß die gesellschaftsbezogenen FallgestaItungen nicht differenziert nach mißbrauchsbegründenden und treubruchsbegründenden Beziehungen zu untersuchen sind. a) Die täterschaftsbegründende Beziehung ist für alle Begehungsvarianten des

§ 266 StGB durch den Teilsatz des § 266 StGB charakterisiert: "und dadurch

dem, dessen Vermögensinteressen er zu betreuen haL.".

14

- Die streitig geführte Diskussion über die Anforderungen an die Beziehung zwischen Täter und Vermögen (hier verkürzend "Vermögensbetreuungspflicht" genannt) beruht auf unterschiedlichen methodischen Prämissen, nämlich der Vorstellung, § 266 StGB gebe zwei Tatbestände vor, die deshalb isoliert interpretierbar seien, und der Vorstellung, § 266 StGB beziehe sich auf einen "einheitlichen Unrechtskern" und sei deshalb einheitlich zu interpretieren. 15

13

Dazu das 3. Kapitel.

14

3. Kapitel A.

15

3. Kapitel A I - III.

2. Teil Gesellschaftsbezogene Untreueprobleme

274

- Das Zwei-Tatbestände-Konzept beruft sich methodisch zu Unrecht auf den Willen des Gesetzgebers. 16 Damit ist das ( einzige) Argument entkräftet, das einer einheitlichen Interpretation des § 266 StGB und insbesondere seines umstrittenen Teilsatzes "dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat", entgegengesetzt wurde. - Dieser Teilsatz, der sich grammatikalisch auf alle Varianten des § 266 StGB bezieht, kann nur eine für alle Varianten identische Bedeutung haben. § 266 StGB setzt also eine "Vermögensbetreuungspflicht" für alle Tatbestandsvarianten voraus. 17 b) Die Stellungnahmen in Rechtsprechung und Literatur zur Frage, wer auf Grund welcher Beziehungen Täter einer Untreue zum Nachteil welcher Gesellschaften sein kann, 18 lassen sich auf der Grundlage dieser Rohdefinition als mittelbare Aussagen zur Qualität von (Rechts-) Beziehungen verstehen, die eine Vermögensbetreuungspflicht begründen können, denn sie beziehen sich jeweils unmittelbar auf gesellschaftsrechtlich 19 vorgeprägte Sachverhalte. 20 c) Die Stellungnahmen setzen sich, soweit eine einheitliche Linie erkennbar ist, entweder in Widerspruch zum Gesellschaftsrecht oder in Widerspruch zu dem in § 266 StGB vorausgesetzten Beziehungsgefüge zwischen Täter, Opfer und Vermögen. 21 - Weitgehend gesichertes Ergebnis ist nur, daß eine einzelne Person auch gegenüber mehreren (anderen) Personen zur Betreuung ihrer Vermögensinteressen verpflichtet sein kann, wenn diese ein gleichgerichtetes Vermögensinteresse haben. - Sowei tindessen gesellschafts rechtlich gleichgerichtete Interessen vorgegeben sind (Gesamthand) oder Regeln zur Harmonisierung gegensätzlicher Interessen bestehen GuristischePerson/Gesellschafterversammlung), wird

10

3. Kapitel A IV 2.

17

3. Kapitel A IV 2. b).

18

3. Kapitel C.

19

3. Kapitel B.

20 Der Stand der sowohl gesellschafts- als auch untreuestrafrechtlich vielfältig aufgefächerten Ansichten ist als Ergebnis der Sichtung von Rechtsprechung und Literatur am Ende des Abschnitts C im 3. Kapitel zusammengefaßt; oben S. 259 ff.

21

3. Kapitel D.

Zusammenfassung

275

dies in der strafrechtlichen Diskussion nicht respektiert. Unter Mißachtung der gesellschaftsrechtlichen Regelungen werden vielmehr Einzelinteressen oder gegenläufige Interessen postuliert, denen dieselbe Person (Geschäftsführer) gleichzeitig verpflichtet sein soll. Die Konsequenz ist, daß strafrechtlich verboten wird, was geseIlschaftsrechtIich erlaubt ist. - Soweit das Gesellschaftsrecht dagegen von einem Interessengegensatz ausgeht (Gesellschafter/Gläubiger) und eine Konfliktregelung (Schutz der Gläubigerinteressen durch Verfügungsbeschränkungen) trifft, wird diese geseIlschaftsrechtliche Regelung strafrechtlich bewehrt, und dabei das Beziehungsgefüge des § 266 StGB außer Acht gelassen. Es wird also in diesen Fällen stralbare Untreue für möglich gehalten, obwohl es an einem Tatbestandsmerkmal des § 266 StGB fehlt: die geforderte Identität von zu Betreuendem und Geschädigtem besteht nicht.

Teil 3

Der Benachteiligte als Zuordnungssubjekt für Vermögen - Implikationen der Vermögensbegriffe Auf Grund der bisherigen Untersuchungsergebnisse steht fest, daß die Frage, "wer" Inhaber von Vermögen sein kann, sowohl für die generelle Interpretation des § 266 StGB als auch für seine Anwendung auf gesellschaftsrechtlich vorgeformte Fallkonstellationen vorrangig ist. Zum einen hat die Analyse der sprachlichen Struktur des § 266 StGB ergeben, daß das Beziehungsgefüge des § 266 StGB ohne die Feststellung und Individualisierung eines Vermögenssubjekts (des "Opfers") nicht erschlossen werden kann. 1 Die Auswertung der Stellungnahmen zur täterschaftsbegründenden Beziehung zu einer (geschädigten) Gesellschaft hat zum anderen deutlich gemacht, daß die strafrechtlich hergestellten Beziehungen den gesellschaftsrechtlichen Regelungen mit der Konsequenz widersprechen, daß der als "tätertauglich" befundende Einzelne gegensätzlichen Normbefehlen ausgesetzt wird. 2 Als Grund für dieses nicht nur strafrechtlich inakzeptable Ergebnis hat sich ferner ergeben, daß die Frage, wer Inhaber von Vennögen sein kann, bislang unvollständig diskutiert wurde und daß bereits die Ergebnisse dieser Diskussion mit den gesellschaftsrechtlichen Regeln nicht harmonieren. 3 Der bisherige Befund stellt daher vor die Aufgabe, die Frage, "wer" Inhaber von Vermögen sein kann, grundSätzlicher anzugehen. Ihre Beantwortung setzt voraus, daß die notwendigen Mindestbedingungen bekannt sind, die § 266 StGB für die Fähigkeit postuliert, "Subjekt" von Vermögen sein zu können. Das erste Kapitel dient der Ermittlung dieser abstrakten Kriterien und ihrer methodischen Absicherung.

1

Siehe oben Teil 2, 1. Kapitel B I.

2

Siehe oben die Zusammenfassung zu Teil 2, 3. Kapitel C IV.

3

Siehe oben die Zusammenfassung zu Teil 2, 2. Kapitel B III.

3. Teil Der Benachteiligte als Zuordnungssubjekt

277

Im zweiten Kapitel werden dann die Bedingungen untersucht, die sich aus der umgekehrten Perspektive ergeben. Es werden also die verschiedenen Vermögenstheorien unter dem Aspekt gesichtet, welche Aussagen sie zum "Vermögen" (als zuzuordnendem Objekt), seiner "Zuordnung" und dem "Subjekt" ermöglichen, dem ein so verstandenes Vermögen jeweils zugeordnet werden kann.

1. Kapitel

Vermögenszuordnung als Sitz des Problems Die Rolle, die § 266 StGB dem Vermögensinhaber zuweist, besteht in erster Linie darin, daß seine Benennung dasjenige Tatbestandsmerkmal ist, das der Konkretisierung des Angriffsobjektes einer Untreue dient. Dies war bereits eines der Ergebnisse der Analyse des in § 266 StGB vorausgesetzten Beziehungsgefüges. 1 Muß der Taterfolg an einem Vermögen eingetreten sein, das einem bestimmten Inhaber zugeordnet ist, dann gewinnt der Begriff des Vermögensinhabers dogmatisch eine erfolgseinschränkende Bedeutung. Das heißt mit Rücksicht auf die limitative Funktion des Taterfolges zugleich, daß der Begriff des Vermögensinhabers innerhalb des § 266 StGB eine unrechtseinschränkende Größe ist. 2 Eine Definition, die den Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatzes genügt, ist daher unerläßlich. Es soll deshalb zunächst versucht werden, aus dem Wortlaut und der inneren Systematik des § 266 StGB weitere Aufschlüsse darüber zu gewinnen, welche Eigenschaften oder Fähigkeiten der Verletzte besitzen muß.

1

Siehe oben Teil 2, 1. Kapitel B 1.

2 So die herrschende Auffassung zur Rolle des Erfolges; vgl. die Zusammenfassung bei SchönkelSchröderlLenckner, Vorbem. §§ 13 ff Rdnr. 57 f m. w. N.. - Gleiches gilt freilich auch dann, wenn man sich auf den Standpunkt der sogenannten "monistisch-subjektiven Unrechtslehre" stellt (etwa Kaufmann, Festschr. f. Wetzei, S. 410 fl), die dem Erfolg nur Bedeutung als Manifestation begangenen Unrechts zuweist, die lediglich das Stralbedürfnis zu begründen vermag.

1. Kapitel Vennögenszuordnung

279

A. Die Charakteristisierung des Verletzten durch den Wortlaut des § 266 StGB

I. Attribute des Verletzten

Elemente des § 266 StGB, die Aufschluß darüber geben, "wer" Verletzter sein kann, sind die Voraussetzungen "fremdes Vermögen", "einen anderen zu verpflichten", und "dem, dessen Vermögensinteressen er (der Täter) zu betreuen hat". 1. Die Merkmale ''fremd'' und "einen anderen"

Die Voraussetzungen "fremdes Vermögen" und "einen anderen" verwendet das Gesetz in erster Linie zur Kennzeichnung des Verhältnisses von Täter und Angriffsobjekt. Der Täter muß befugt sein, über "fremdes Vermögen" zu verfügen, "einen anderen" zu verpflichten, oder er muß verpflichtet sein "fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen."Angriffsobjekt des § 266 StGB kann danach nur ein für den Täter ''fremdes'' Vennögen sein. Daraus folgt zunächst nur die banale Einsicht, daß niemand sein eigenes Vermögen oder seine eigenen Vermögensinteressen in der nach § 266 StGB vorausgesetzten Weise schädigen kann; es kann also nicht Täter der Untreue sein, wer Inhaber des geschützten Vermögens ist. 3 Zugleich ist darin jedoch auch eine negative Aussage über den Vermögensinhaber enthalten: er darf nicht mit dem Täter identisch sein. 2. Die Voraussetzung "dem, dessen Vennögensinteressen"

Aus diesem Teilsatz, der sich, wie bereits nachgewiesen wurde, auf alle Varianten des § 266 StGB bezieht,4 ergeben sich eine Reihe positiver Anforderungen an das geschädigte Subjekt. Das Gesetz verwendet ein Personalpronomen ("dem"), um sprachlich zu umschreiben, wo der (Vermögens-) "Nachteil" als Erfolg der Tathandlung eingetreten sein muß. Die untersuchte Voraussetzung des § 266 StGB verlangt also die positive Zuordnung von Vennögen zu 'Jemandem". 5 Dadurch trifft

3

50 auch BGH Urt. v. 2. 10. 1981 - 2 5tR 544/81; Schulte, NJW 1983,1774.

4

Dazu ausführlich Teil 2, 3. Kapitel, A IV 2. b).

5

Dazu oben Teil 2, 1. Kapitel B I.

280

3. Teil Der Benachteiligte als Zuordnungssubjekt

das Gesetz zugleich eine Aussage über diesen "jemand": es setzt voraus, daß es sich um ein Subjekt handelt, das fähig ist, Vermögen "haben" zu können. Das Pronomen, das für den Inhaber des benachteiligten Vermögens steht, wird durch einen attributiven Relativsatz erläutert. Dieser wird durch ein Possessivpronomen ("dessen") eingeleitet. Der (benachteiligte) Vermögensinhaber wird dadurch mit demjenigen Subjekt identifiziert, dessen "Vermögensinteressen" der Täter zu betreuen hat. Geht man zunächst nur vom Wortlaut aus und unterstellt man, daß der Begriff "Vermögen" nicht notwendig kongruent sein muß mit "Vermögensinteressen", so bedeutet dies, daß nicht nur das angegriffene "Vermögen", sondern auch die zu betreuenden "Vermögensinteressen" auf dasselbe Subjekt zu beziehen und durch es definiert sind. Unmittelbar wird durch den genannten Teilsatz der Inhaber von Vermögen und zu betreuenden Vermögensinteressen als die gemeinsame Bezugsgröße gekennzeichnet, durch die das (Ausgangs-) Vermögen oder die Vermögensinteressen als Objekt der tatbestandlichen Angriffsmodalitäten und das benachteiligte (End-) Vermögen definiert werden. Zugleich läßt er aber Rückschlüsse auch auf die Qualität des Vermögensinhabers zu: Es muß sich um ein Subjekt handeln, das neben Vermögen auch Vermögensinteressen "haben" kann. Da diese Bedingungen kumulativ vorliegen müssen, ist das Subjekt also dadurch beschreibbar, daß es (mindestens) Vermögen und Vermögensinteressen haben können muß. 11. Rückschlüsse aus den täterschaftsbegründenden Voraussetzungen auf die Qualität des Vermögensinhabers 1.

"Rechtsverhältnisse'~

"Treueverhältnisse"

§ 266 StGB charakterisiert eine Katgeorie von möglichen Beziehungen zwischen dem Täter und dem Vermögensinhaber durch die Grundlagen "Gesetz, behördlicher Auftrag oder Rechtsgeschäft". Damit ist vorausgesetzt, daß jedenfalls "Rechtsverhältnisse" zwischen dem Täter und dem Vermögensinhaber Grundlage der täterschaftsbegründenden Beziehung sein können. 6 Diese Voraussetzung läßt den Rückschluß zu, daß als Vermögensinhaber solche Subjekte in Frage kommen, die "fähig" sind, Partner eines Rechtsverhältnisses zu sein.

6

Siehe dazu oben Teil 2, 1. Kapitel, B I 2.

1. Kapitel Vennögenszuordnung

281

Die Fähigkeit, Subjekt von Rechtsverhältnissen sein zu können, stellt freilich insofern keine notwendige Bedingung dar, als das etwaige Fehlen dieser Fähigkeit die Möglichkeit unberührt läßt, ein "Treueverhältnis" begründen zu können, das als alternative Voraussetzung der sogenannten Treubruchsvariante ausreichend wäre. "Subjekt" von Vermögen könnte danach jedenfalls (auch) sein, wer ein "Treueverhältnis" zu einer natürlichen Person (dem Täter) eingehen kann. Die Alternativen lassen daher nur folgende Aussage über die Qualität des Vermögensträgers zu: Er muß entweder fähig sein, Partner eines Rechtsverhält niss es zu sein oder er muß Partner eines Treueverhältnisses sein können. Wäre die Aussage insgesamt richtig, würde das bedeuten, daß das Gesetz mit denselben Worten ("dem, dessen") zwei verschiedene Klassen möglicher Subjekte von Vermögen bezeichnete. 2. ''zu betreuen hat"

Diese alternativen Bedingungen könnten jedoch dann weiter reduziert werden, wenn aus der gesetzlichen Voraussetzung, daß der Täter die "Vermögensinteressen" des Geschädigten "zu betreuen" haben muß, herzuleiten wäre, daß zwischen dem Täter und dem Vermögenssubjekt immer auch (zusätzlich) ein faktisches "Treueverhältnis" bestehen muß. Wäre das der Fall, dann wäre die Fähigkeit, Treueverhältnisse eingehen zu können, notwendige Bedingung dafür, daß ein Subjekt zu den durch Untreue betroffenen Vermögensinhabern gehören kann. Es könnten dann nur solche Subjekte Vermögensinhaber im Sinne des § 266 StGB sein, die entweder die Fähigkeit besitzen, Rechtsverhältnisse und Treueverhältnisse einzugehen, oder solche, die nur die Fähigkeit haben Treueverhältnisse zu begründen. Nun steht zwar fest, daß der Teilsatz, der die Voraussetzung einer "Vermögensbetreuungspflicht" aufstellt, für alle Varianten des § 266 StGB gilt. Die Frage, wie dieses Merkmal inhaltlich zu definieren ist, wurde indessen offengelassen. 7 Hier kann sie jedoch in mindestens einem Punkt nicht offen bleiben. Stünde nämlich fest, daß die kumulative Voraussetzung einer "Vermögensbetreuungspflicht" mit dem "Treueverhältnis" identisch ist, und stünde fest, daß dieses, wie teilweise vertreten wird, eine Beziehung zwischen dem Täter und dem Vermögensinhaber fordert, die von tatsächlich entgegengebrachtem

7

Siehe dazu oben Teil 2, 3. Kapitel, A IV.

282

3. Teil Der Benachteiligte als Zuordnungssubjekt

Vertrauen getragen ist,

8 müßte das Vermögenssubjekt notwendig über die Fähigkeit verfügen, Vertrauen zu schenken. Da die Fähigkeit zu vertrauen eine spezifisch menschliche Eigenschaft ist, könnten Inhaber von Vermögen im Sinne des § 266 StGB dann nur Menschen sein, sei es einzeln oder als Gruppe.

Ob tatsächlich für alle Varianten des § 266 StGB ein von tatsächlichem Vertrauen getragenes Verhältnis zwischen dem Täter und dem Vermögensinhaber verlangt ist, läßt sich allein aus dem Wortlaut des § 266 StGB nicht entscheiden. Auch diejenigen Autoren, die diese Voraussetzung postulieren, argumentieren nicht wortlautbezogen, sondern mit dem geschützten Rechtsgut des § 266 StGB, das ihrer Auffassung nach in dem Vermögen und zusätzlich in dem individuellen Vertrauensverhältnis bestehen soll. 9 111. Zwischenergebnis Die Wortlautinterpretation hat für die Charakterisierung des Verletzten ergeben, daß er folgende notwendige Bedingungen kumulativ erfüllen muß: - Er darf mit dem Täter nicht identisch sein. - Er muß fähig sein, Vermögen und Vermögensinteressen zu "haben". - Er muß Partner der täterschaftsbegründenden Beziehung( en) sein können. Welche Anforderungen sich aus der letztgenannten Voraussetzung im einzelnen ergeben, läßt sich nach dem Wortlaut des § 266 StGB nicht abschließend beantworten. B. Teleologische Interpretationsansätze Lassen Wortlaut und (innere) Systematik der Norm keine eindeutige Defmiti on ihrer einzelnen Elemente zu, ist zu untersuchen, ob und wie historische oder telelogische Erwägungen diese Lücken schließen können. Als teleologische Auslegung bezeichnet man üblicherweise die Auslegung nach Sinn und Zweck des Gesetzes, nach der ratio legis. 10 Im Strafrecht wird

8 Schönke/SchröderiCramer(18. Aufl.), § 266 Rdnr. 1; &er, Strafrecht IV, 2. Aufl., Fall 17 Rdnrn. A 2, A 6, All; Luthmann, NJW 1960,419,420; D. Meyer, MDR 1971, 893,894; Ders., JuS 1973, 214, 215. 9

Siehe Fn. 8.

10 Coing, Auslegungsmethoden, S. 19f; Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 74, 77, 80; Germann, Probleme und Methoden der Rechtsfindung, S. 80.

1. Kapitel Vennögenszuordnung

283

der Zweck des Gesetzes in der Regel durch das "geschützte Rechtsgut" benannt. Teleologische Argumentation mit dem geschützten Rechtsgut setzt seine Kenntnis voraus. Es wäre also zunächst zu diskutieren, wie das geschützte Rechtsgut zu ermitteln ist, um dann nach diesen methodischen Vorgaben das konkret durch § 266 StGB geschützte Rechtsgut feststellen zu können. Dies würde freilich voraussetzen, daß auf die Grundlagen der Rechtsgutslehre in weitaus breiterem Umfang eingegangen werden müßte, als es im Rahmen dieser Arbeit möglich ist. Es soll deshalb zur Beschränkung der Diskussion spezifischer angesetzt werden. Den Ausgangspunkt sollen die Antworten bilden, die in Rechtsprechung und Literatur bisher auf die Frage nach dem geschützten Rechtsgut des § 266 StGB gegeben wurden. Dieses Vorgehen hat den Vorteil, daß auf das jeweils konkludent oder ausdrücklich zugrundegelegte Vorverständnis über Begriff und Funktion des "Rechtsgutes" nur soweit einzugehen ist, als die Auseinandersetzung mit diesen Aussagen es erfordert. I. Darstellung der verschiedenen Auffassungen zum geschützten Rechtsgut des § 266 StGB 1. "Das Vennögen" als geschütztes Rechtsgut

Als weitgehend herrschend hat sich die Ansicht durchgesetzt, das geschützte Rechtsgut des § 266 StGB sei "das Vermögen". 11 Im Einklang mit der herrschenden Meinung sieht sich auch Hübner, obwohl er das geschützte Rechtsgut mit dem Zusatz charakterisiert: "das fremder Hand anvertraute Vermögen". 12 Tragend ist das systematische Argument, § 266 StGB gehöre mit dem Betrug, der nach allgemeiner Ansicht ebenfalls nur das Vermögen schütze, zu einem und demselben Abschnitt des Strafgesetzbuches. Die Ansicht grenzt sich im übrigen nur noch negativ durch Zurückweisung anderer Beurteilungsansätze ein.

11 DreherrIröndle, § 266 Rdnr. 1; Joeeks, Zur Vennögensverfügung beim Betrug, S. 63 f; !Abseh, Untreue, S. 57, 156; !Aekner, § 266 Anm. 1; Lenekner in Schönke/Schröder, § 266 Rdnr. 1; Mauraeh/ Sehroeder, BT I, S. 439; Samson SK § 266 Rdnr. 1; Wessels, BT 2, S. 162. 12

Habner, LK, § 266 Rdnr. 19 (Hervorhebung von Verf.).

3. Teil Der Benachteiligte als Zuordnungssubjekt

284

2. Untreue als "Ve"atstatbestand"

Die sogenannte "Verratstheorie" 13 wurzelt in nationalsozialistischer Anschauung, 14 die die Untreue als den klassischen Verratstatbestand ansah. Sie wird von der herrschenden Meinung daher - schon insoweit zu Recht als überholt beurteilt. Der "Verratstheorie" ist darüber hinaus auch durch Reformen des § 266 StGB der Boden entzogen. Unmittelbar nach der Neufassung des Untreuetatbestandes ließ sich diese Theorie noch auf eine systematische Begründung stützen: § 266 StGB in der Fassung vom 26. 5. 1933 regelte als besonders schweren Fall unter anderem, daß "der Täter besonders arglistig gehandelt hat". 15 Den Strafschärfungsgrund meinte man nur dann als legitim erklären zu können, wenn durch den Grundtatbestand jedenfalls der Schutz vor "einfachem" Vertrauensbruch mit intendiert war. Dieses Argument ist infolge der Bereinigung des § 266 StGB durch das Dritte Strafrechtsänderungsgesetz vom 4. 8. 1953 16 hinfällig geworden. Es bleibt jedoch ein historisches Argument, das ins Auge fällt, wenn man die "Verratstheorie" in der gemäßigteren Sprache des Reichsgerichts liest: Man muß ... "neben dem Wortlaut den Zweck beachten, den der Gesetzgeber mit der Änderung der Untreue-Bestimmung verfolgt hat; man wollte im Kampf gegen "Schiebertum" und "Korruption" den strafrechtlichen Schutz von Treu und Glauben im Verkehr sowie die Sicherung des gegenseitigen Vertrauens in Handel und Wandel erweitern und verstärken." 17 Dieser Zweck wurde mit der Einführung des § 266 StGB tatsächlich verfolgt. 18

13 Dahm, bei Gürtner, BT (2. Aufl.), S. 445, 449, 452; Klee und Freisler in Prot. der 48. Sitzung der Strafrechtskommission vom 29. 1. 1934. 14

So Hübner, LK § 266 Rdnr. 19.

15

Anhang Rz. 1.3.

16

Anhang Rz. 1.4.

17

RGSt 69, 58, 61 (Hervorhebungen von Verf.).

18 Schäfer, DJZ 1933, 789, 795; siehe zu den Motiven ausführlich oben Teil 2, 1. Kapitel A I und 3. Kapitel A IV 2. a).

1. Kapitel Vennögenszuordnung

285

3. Vennögen und Vertrauen als geschützte Rechtsgüter

Auf dieses Argument stützt sich eine heute noch vertretene Ansicht, die die Untreue unter Berufung auf die Entstehungsgeschichte als Delikt zum Schutze des Vermögens und des Vertrauens als eines zusätzlichen Rechtsgutes versteht. 19 Die genannte Ansicht wird in zwei Spielarten vertreten, 20 von denen eine ganz offensichtlich auf die gesellschaftsrechtlichen Untreuebestimmungen zurückgeht. a) Das individuelle Vertrauensverhältnis zwischen Täter und Opfer als zusätzliches Rechtsgut

Teilweise wird das zweite Schutzgut des § 266 als das "besondere Vertrauensverhältnis" bezeichnet, das zwischen dem Täter und dem Träger des geschützten Vermögens bestehe und das der Täter durch Untreue immer auch verletze. 21 Diese Variante bezieht sich ausdrücklich nur auf § 266 StGB und stützt sich auf folgende gedankliche Ableitung: Mit dem Scheckkartenurteil habe der Bundesgerichtshof - zu Recht - für beide Tatbestandsalternativen des § 266 StGB das Bestehen eines Betreuungsverhältnisses verlangt. Diese Forderung könne zwar schon aus dem Wortlaut des § 266 StGB hergeleitet werden, sei aber konsequent erst dann, wenn man den "Mitschutz der Vertrauensstellung" als Schutzzweck des § 266 StGB anerkenne. 22

19 Zu § 266 StGB unmittelbar: Schönke/ Schröder/Cramer, (18. Aul1.), § 266 Rdnr. 1 (ausdrücklich aufgegeben in der 19. Aul1.); Dunkel, Vennögensbetreuungspflicht, S. 112 sowie S. 41,109 ff, 169; Ders., GA 1977, S. 334 f; Eser, IV, 3, Fall 17; Luthmann, NJW 1960, 420; D. Meyer, MDR 1971, S.894; Ders., JuS 1973, S. 215.

20 Gemeinhin wird diese These als eine geschlossene Auffassung vom Rechtsgut der Untreue wiedergegeben (vgl. etwa Hübner, LK § 266 Rdnr. 19; Samson, SK, § 266 Rdnr. 1; Schönke/Schröder/Lenckner, § 266 Rdnr. 1). 21 Schönke/Schröder/Cramer(18. Aul1.) § 266 Rdnr. 1; Eser, Strafrecht IV, 2. AUI1., Fall 17 Rdnrn. A 2, A 6, A 11; Luthmann, NJW 1960,419,420; D. Meyer, MDR 1971, 893, 894; Ders., JuS 1973, 214, 215.

22 So ausführlich Eser, IV, Fall 17 Rdnr. A 11; mit der gleichen Tendenz Luthmann, aaO; Meyer, aaO.

286

3. Teil Der Benachteiligte als Zuordnungssubjekt

b) Das Vertrauen in die Redlichkeit des Rechts- und Wirtschaftsverkehrs als zusätzliches Rechtsgut Die zweite Variante der Auffassung vom doppelten Rechtsgut des § 266 StGB besteht in der Annahme, außer dem Vermögen sei das "Vertrauen in die Redlichkeit des Rechts- und Wirtschaftsverkehrs" geschützt. 23 In diese These sind nun ausdrücklich Überlegungen eingeflossen, die zu den früheren gesellschaftsrechtlichen Untreuetatbeständen angestellt wurden. Die Ansicht ist, soweit ersichtlich, von Eberhard Schmidt vorbereitet worden, der zu § 294 AktG ausführte, dieser schütze nicht einseitig und ausschließlich das "Kapitalinteresse", also das Gesellschaftsvermögen selbst - dagegen spräche schon Abs. 3! - 2A, sondern auch Aktionäre und Gläubiger, also Personen, denen gegenüber sich die Verwaltungsträger als "Treuhänder" fühlten. 25 Mit dem Hinweis auf Abs. 3 kehrt hier das Argument wieder, der qualifizierte Fall "besonderer Arglist" setze den Schutz einfachen Vertrauens durch den Grundtatbestand voraus.

Klug, der die Ansicht vom doppelten Rechtsgut (auch) für § 81a GmbHG übernahm, führte als weitere Begründung an, daß die GmbH-Untreue - anders als die Untreue nach § 266 StGB - auch dann nicht zum Antragsdelikt werde, wenn sie sich - wie bei einer Familien-GmbH denkbar - gegen Angehörige richte. Der Grund dafür, daß diese Privilegierung bei der GmbHrechtlichen Untreue nicht in Betracht komme, liege darin, daß neben dem Vermögen die Redlichkeit des Rechts- und Wirtschaftsverkehrsgeschützt werde. 26 4. Zusammenfassung Blickt man nur auf die Ergebnisse, stehen sich heute im wesentlichen zwei Positionen zum geschützten Rechtsgut des § 266 StGB gegenüber: § 266 StGB

23

Bockelmann, ZStW 79 (1967), 28 ff, 32 f; Dunkel, GA 1977, 329, 334.

2A § 294 Abs. 3 AktG (Anh. Rz 2.6) war wortgleich mit § 266 Abs. 3 StGB i. d. F. v. 26. 5. 1933 (Anh. Rz 1.3); gemeint ist also auch hier das "besonders arglistige" Handeln als Regelbeispiel für einen schweren Fall. Die Verwendung dieses Arguments begründet die Verwandtschaft zur "Verratstheorie" (oben S. 284).

25

AktG, Großkommentar (1. Auf(. 1939), § 294 Anm. 15; (Hervorhebungen ebendort).

26 GmbHG, Großkommentar (fruher. Hachenburg), 6. Auf(. 1959, Bd. 2, § 81a Anm. 1; ebenso Klug, AktG, Großkommentar (2. Auf(. 1965), § 294 Anm. 4.

1. Kapitel Vermögenszuordnung

287

schützt nur ein Rechtsgut und zwar das Vermögen, und: § 266 StGB dient dem Schutz eines doppelten Rechtsgutes, Vermögen und Vertrauen. Betrachtet man die beiden Auffassungen jedoch unter dem Aspekt der zu ihrer Begründung herangezogenen Argumentationsmethode, stehen sich folgende Positionen gegenüber: Die herrschende Ansicht ermittelt das geschützte Rechtsgut durch Schluß vom aktuellen, positiven Normenbestand des StGB und seiner systematischen Verknüpfung auf die einzelne Norm. Die Gegenansicht argumentiert in erster Linie historisch, indem sie das geschützte Rechtsgut als Endglied einer Kette einzelner Entwicklungsschritte ansieht, die auf das urspünglich erklärte gesetzgeberische Ziel der "lückenlosen Bekämpfung von Korruption und Schiebertum" zurückgeht. 11. Kritik

Die Entscheidung der Frage, welche der vorgestellten Ansichten das geschützte Rechtsgut des § 266 StGB zutreffend beschreibt, hängt also davon ab, welche Argumentationsmethode für die Ermittlung des "Rechtsgutes" heranzuziehen ist. Die Entscheidung über den einzuschlagenden methodischen Weg setzt ihrerseits voraus, daß die vorgelagerte Frage geklärt ist, welches Erkenntnisanliegen sich hinter der Frage nach dem geschützten Rechtsgut verbirgt. 1. Methodischer Ansatz

Es ist inhaltlich nachgewiesen und historisch belegt, daß der Rechtsgutsbegriff mehrdimensional ist, also Bedeutung hat (te) als (Untersuchungs-) Gegenstand der Rechtstheorie, als (kriminal-) politisches Theorem (Legitimation, Aufgaben und Folgen des Strafrechts schlechthin) und als methodisches Instrument für die ("teleologische") Auslegung und Anwendung des positiven Rechts. v Weil der Rechtsgutsbegriff vielfältig ist, war und ist er unterschiedlichsten geisteswissenschaftlichen Einflüssen ausgesetzt, die in den Auffassungen über seine Struktur und seine Funktion ihre Spuren hinterlassen haben. Deshalb läßt sich (heute) die Funktion der Rechtsgutsverletzungslehre in dogmatischen Zusammenhängen nicht immer scharf von ihrem kriminalpolitischen Gehalt trennen. Dennoch ist zunächst von der theoretischen Trennbarkeit dieser Funktionen auszugehen und zu überprüfen, in welchem Umfang das "geschützte Rechtsgut", was immer man inhaltlich darunter zu verstehen

v Amelung, ReChtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft, S. 10 ff. 21 Nelles

288

3. Teil Der Benachteiligte als Zuordnungssubjekt

hat, als Kriterium für die Auslegung und Anwendung einer existenten Norm überhaupt von Bedeutung ist. a) Das Rechtsgut als Auslegungskriterium

Rein formal bedeutet Rechtsgut zunächst nichts anderes als "rechtlich geschütztes Gut". Konstitutiv dafür ist also immer eine gesetzgeberische Entscheidung. 28 Insoweit bezieht sich der Bedeutungsgehalt des Begriffs "Rechtsgut" auf einen positiv-rechtlichen Befund, 29 dessen Existenz hier zunächst vorausgesetzt wird. 30 Auf dieser Ebene hat der Rechtgutsbegriff lediglich die Funktion eines Auslegungskriteriums für die Norm im Ganzen und ihre Merkmale im einzelnen. Der Erkenntnisgewinn, den die Ermittlung des "rechtlich geschützten Gutes" für die Auslegung einer Norm verspricht, ist deshalb eng mit methodischen Fragen verknüpft und hängt davon ab, welchen Stellenwert die teleologische Argumentation als solche innerhalb des methodischen Konzepts für die Analyse von Strafgesetzen besitzt. Die allgemeine Methodenlehre sieht die (objektiv-) teleologische Auslegung als ein Verfahren an, die Fragen zu beantworten, die nach grammatikalischer, logisch-systematischer und historischer Auslegung offengeblieben sind. Dabei gehe es vor allem darum, "die Strukturen des geregelten Sachbereichs, tatsächliche Gegebenheiten und die hinter der Regelung stehenden rechtsethischen Prinzipien (geschützten Rechtsgüter u.ä)" zu erfassen und für das Verständnis der Vorschrift selbst nutzbar zu machen. 31 Vorausgesetzt die zitierten "Strukturen des geregelten Sachbereichs" und die "hinter der Regelung stehenden rechtsethischen Prinzipien" lassen die "positiv-rechtliche" Festlegung eines Strafgesetzes auf den Schutz eines bestimmten oder mehrerer bestimmter Rechtsgüter zu, so steht damit auch im Strafrecht ein geeignetes Kriterium zur Lösung dogmatischer Fragestellungen zur Verfügung. Dieses Verfahren ist überdies bereits mit allgemeinen dogmati-

28

Amelung, Rechtgüterschutz, S. 303.

29

Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 5 f; Rudolphi, SK, vor § 1 Rdnr. 4.

30 Rudolphi, SK, vor § 1 Rdnr. 4 spricht in diesem Zusammenhang von der "formell-teleologischen Funktion" des Begriffs.

31

Vgl. dazu eingehend Larenz, Methodenlehre, S. 319 ff.

1. Kapitel Vennögenszuordnung

289

sehen Grundlagen des Strafrechts zu sehr verwoben, als daß sich seme Legitimität vernünftigerweise noch bezweifeln ließe. 32 Teleologischer Argumentation sind im Strafrecht jedoch Grenzen gesetzt. Sie kann nach allgemein-methodischem Verständnis grundsätzlich als Mittel eingesetzt werden, die Reichweite einer einzelnen Norm in beliebiger Richtung extensiv wie restriktiv zu bestimmen. Da jedoch Gedenfalls) für das Strafrecht der Wortlaut die äußerste Grenze zulässiger Interpretation bildet (Art. 103 Abs. 2 GG) können alle weiteren Auslegungsverfahren in Bezug auf diese Grenze ausschließlich einschränkend eingesetzt werden. Die Bedeutung der Rechtsgutslehre in ihrer "formell-teleologischen Funktion" besteht deshalb darin, teleologische Auslegung von Straftatbeständen dadurch zu ermöglichen, daß sie die Grenzen notwendiger und zulässiger teleologischer Auslegung absteckt. Das "geschützte Rechtsgut" darf also nur als Kriterium für die Entscheidung zwischen mehreren Auslegungen benutzt werden, die nach dem Wortlaut der Vorschrift möglich sind. 33 b) Das Rechtsgut als Auslegungsprodukt

Da das konkrete Schutzgut einer Strafnorm in den Tatbeständen in der Regel gerade nicht ausdrücklich benannt und allenfalls in der Erfolgsbeschreibung einzelner Tatbestände angedeutet wird, kann das rechtlich geschützte Gut als "positiv-rechtlicher" Befund selbst erst Ergebnis eines Auslegungsvorganges sein. Das geschützte Rechtsgut ist also nicht nur Auslegungsmittel, sondern zugleich Auslegungsprodukt. Damit würde das Rechtsgut, wollte man zu seiner Ermittlung auf denselben Bestand an auszulegenden Sätzen und denselben Kanon von Auslegungsmitteln zurückgreifen, zu einer reflexiven Größe: Das geschützte Rechtsgut wäre unter anderem Produkt der Auslegung einer Norm, deren Inhalt erst mit Hilfe des geschützten Rechtsgu-

32 So setzt etwa § 226a StGB sachgedanklich die Existenz von Rechten voraus, auf deren strafrechtlichen Schutz ihr Inhaber verzichten kann. Auch die allgemein akzeptierte Zulässigkeit der Verallgemeinerung des Gedankens rechtfertigender Einwilligung (BGHSt 17, 360; RGSt 44, 41; DreherlTröndLe, Vor § 32 Rdnr. 3b m.w.N; Lackner, StGB, vor § 32 Anm. II 5; DöLling, GA 1984, 83) beruht auf der Annahme, "daß für die Rechtsordnung kein Anlaß besteht, Rechtsgütem Strafschutz zu gewähren, die ihr Träger bewußt dem Zugriff Dritter preisgegeben hat" (Schönke/SchröderiLenckner, Vorbem. §§ 32 ff Rdnr. 33). Die Möglichkeit tatbestandsausschliessender oder rechtfertigender Einwilligung hängt also generell davon ab, daß man anerkennt, daß sich der jeweiligen Strafbestimmung ein "Rechtsgut" entnehmen läßt, dessen Schutz durch die Nonn intendiert ist und daß einzelne Rechtsgüter disponibel und so konkret gefaßt sind, daß sie einem bestimmten "Rechtsgutsträger" zugeordnet werden können. 33

Vonnbaum, Strafrechtlicher Schutz des Strafurteils, S. 67.

290

3. Teil Der Benachteiligte als Zuordnungssubjekt

tes bestimmt wurde. Die Folge wäre, daß teleologische Auslegung zirkelschlüssig und deshalb ein Instrument der Beliebigkeit wäre. Dieser Zirkel ließe sich auflösen, wenn das geschützte Rechtsgut mit anderen Methoden ermittelt werden könnte. Da aber der gesamte Kanon bekannter und methodisch legitimer Auslegungsverfahren schon für die Interpretation des positiven Normbestandes einsetzbar ist, 34 ist keine davon abweichende zusätzliche Methode ersichtlich, die der Ermittlung des geschützten Rechtsgutes vorbehalten wäre. Es bleibt daher nur der Weg, bei der Ermittlung des geschützten Rechtsgutes gerade diejenigen - zweifelhaften Merkmale einer Norm nicht zu berücksichtigen, für deren Interpretation das geschützte Rechtsgut erst benötigt wird. Teleologische Argumentation ist danach nichts anderes als der Schluß aus bekannten Elementen einer Norm, ihren systematischen Bezügen und ihren Motiven auf ein Gut, verstanden als "werthafte Funktionseinheit", die durch Wertentscheidung des Gesetzgebers zum "Rechtsgut" geworden ist, 35 um dieses materiale Kriterium dann für die Auslegung (der übrigen Elemente) der Norm einsetzen zu können.36 2. Zum geschützten Rechtsgut des § 266 StGB a) Das Vennögen in seiner Gesamtheit als geschütztes Rechtsgut

Nach dem Wortlaut 37 und der historische Entwicklung 38 des § 266 StGB steht fest, daß § 266 StGB als Taterfolg für jede der Tatbestandsvarianten einen "Nachteil" verlangt, der in einem Vennögensnachteil bestehen muß. Da ferner die Beschreibung der Tathandlungsvarianten des Mißbrauchens einer Befugnis, über fremdes "Vermögen" zu verfügen und des Verletzens der Pflicht zur Wahrnehmung "fremder Vermögensinteressen" deutliche Vermögensbezüge

34

Zu den Auslegungszielen und Auslegungsverfahren oben Teil 2, 3. Kapitel, A IV.

35 Rudolphi, SK vor § 1 Rdnr. 8; Ol/O, in Müller-Dietz, Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik, S. 8. Auch Amelung (Rechtsgüterschutz, S. 358 ff, 370, 394) weist darauf hin, daß sich die Frage nach dem "Sinn und Zweck" einer Norm, gekleidet in die Frage nach dem "geschützten Rechtsgut" nicht unter Hinweis auf ihre soziale Funktion beantworten lasse. Die eigentlichen Vorzüge seines funktionsanalytischen Vorgehens sieht Amelung selbst auf vordogmatischer kriminalpolitischer - Ebene. Es ermögliche bessere Objektivierbarkeit der Sozialschädlichkeit des unter Strafe gestellten Verhaltens, indem der Gesetzgber auf die Erkenntnisse und Erkenntnisinstrumentarien der Sozialwissenschaften verwiesen wird (Amelung a.a.O., S. 371). 36

Ähnlich Vonnbaum, Strafrechtlicher Schutz des Strafurteils, S. 7l.

37

Dazu oben Teil 2, 1. Kapitel B I l.

38

Siehe oben die Einleitung zu Teil 1; ferner Teil 1, 2. Kapitel C I.

1. Kapitel Vermögenszuordnung

291

aufweisen, kann nicht ernstlich bezweifelt werden, daß das Angriffsobjekt der Untreue jedenfalls (auch) das Vermögen und § 266 StGB insofern Delikt zum Schutze des Vermögens ist. Dieses Ergebnis steht nun freilich auch nicht im Streit. Streitig und zu entscheiden ist vielmehr, ob die Vorschrift ausschließlich vermögensschützenden Charakter hat oder ob sie ein zweites Rechtsgut und, wenn ja, welches schützt. Der Frage soll in der Weise nachgegangen werden, daß zunächst geprüft wird, ob der Wortlaut und die Lozierung des § 266 StGB, auf die sich die herrschende Ansicht beruft, die Annahme eines zusätzlichen Rechtsgutes ausschließt, denn dann wäre jede weitere Auseinandersetzung mit den abweichenden Aufassungen entbehrlich. b) Die Argumentation für die Ausschließlichkeit des Vennögensschutzes aa) Wortlautargumentation

Der Wortlaut des § 266 StGB schlösse nur dann eindeutig den Schutz eines zweiten Rechtsgutes aus, wenn die Tatbestandsalternativen so disparat wären, daß der Vermögensschutz als kleinster gemeinsamer Nenner des insgesamt einheitlichen Tatbestandes 39 übrigbliebe. Das ist umgekehrt dann nicht der Fall, wenn die Erfolgsbeschreibung sowohl für den Mißbrauchs- als auch den Treubruchstatbestand, in den die Alternativen des § 266 StGB nach herkömmlicher Terminologie unterteilt werden, ein weiteres gemeinsames Element umfaßt, das als Hinweis auf ein zweites Rechtsgut verwendbar wäre. Dieses könnte in dem Relativsatz" ... dem, dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat" enthalten sein. Da dieser Teilsatz jedoch gerade dasjenige Element enthält, dessen Aussage mit Hilfe teleologischer Argumentation geklärt werden soll, kann es für die Ermittlung des geschützten Rechtsgutes weder positiv noch negativ berücksichtigt werden, ohne daß das Verfahren zirkulär würde. Es kann also auch nicht als Argument gegen einen Ausschluß weiterer Rechtsgüter verwendet werden.

39

Siehe dazu oben Teil 2, 3. Kapitel, A IV 3.

292

3. Teil Der Benachteiligte als Zuordnung:ssubjekt

bb) Systematische Argumentation

Als das tragende Argument für ihre Ansicht, § 266 StGB schütze ausschließlich das Vermögen, führt die herrschende Ansicht dessen Placierung im 22. Abschnitt des StGB: "Betrug und Untreue" an. 40 Die Stringenz dieser Beweisführung ist jedoch in mehrfacher Hinsicht zweifelhaft. Sie setzt voraus, daß die einzelnen Abschnitte des Besonderen Teils des StGB unter dem Aspekt des Rechtsgüterschutzes klassiftziert sind; sie setzt voraus, daß Betrug eine ausschließlich vermögensschützende Norm ist, und sie setzt schließlich voraus, daß (nur) deshalb für § 266 StGB gleiches gelten müsse. (1) Stellenwert systematischer Argumentation im Strafrecht

Der Besondere Teil der geltenden Strafrechtskodiftkation erhebt nicht den Anspruch, nach einem geschlossenen logisch-systematischen System gegliedert zu sein, schon gar nicht unter dem Gesichtspunkt des Rechtsgüterschutzes. 41 Versuche, den Besonderen Teil nach einem einheitlichen klassifikatorischen System durchzustrukturieren, sind selbst in der Reformdiskussion an der Vielzahl denkbarer Bezugsebenen für die Anordnung von Straftatbeständen gescheitert. 42 Eine Klassifikation der Straftatbestände nach geschützten Rechtsgütern kann ferner schon deshalb nicht vorausgesetzt werden, weil die "werthaften Funktionseinheiten "43, um deren Schutz Willen der Gesetzgeber Strafgesetze erlassen hat, ebenso wandelbar sind, wie das Sozialsystem selbst. Selbst wenn also unterstellt werden dürfte, daß (ursprünglich) der Aspekt des Rechtsgüterschutzes das ausschlaggebende Kriterium für die Gruppierung der Tatbestände im Besonderen Teil des StGB gewesen sein sollte, bedeutet dies nicht, daß von dem heute vorgefundenen Normenbestand ein ebenso geschlossenes Rechtsgütersystem abgezogen werden könnte, es sei denn, man ginge für die teleologische Auslegung von nur historischer Bestimmung des Rechtsgutes aus, was ein Widerspruch in sich wäre.

40 DreherfTröndle, § 266 Rdnr. 1; Joecks, Zur Vermögensverfügung beim Betrug, S. 63 f; Labseh, Untreue, S. 57, 156; Lackner, § 266 Anm. 1; Schönke/SchröderlLenckner, § 266 Rdnr. 1; Maurach/ Schroeder, BT I, S. 439; Samson SK § 266 Rdnr. 1; Wessels, BT 2, S. 162.

41 Anders Dunkel, Vermögensbetreuungspflicht, S. 40 unter fälschlicher Berufung auf Schneidwin, in Mal. zur Strafrechtsreform, S. 174 und Maurach, ibd., S. 231 ff.

42 Maurach, Mat. zur Strafrechtsreform, S. 231 ff; Schneidewin, Mat. zur Strafrechtsreform, S.174; 43

Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 371.

1. Kapitel Vermögenszuordnung

293

(2) Die Systematik des 22. Abschnitts des StGB

Selbst wenn man sich mit der herrschenden Ansicht auf den Standpunkt stellen wollte, daß die Zusammenfassung von Betrug und Untreue in einem Gesetzesabschnitt ein Indiz für identische Schutzrichtungen sein kann, folgt daraus also nicht zwingend, daß nur das Vermögen als Ganzes geschütztes Rechtsgut des § 266 StGB sein kann und muß. Die herrschende Ansicht zieht als Vergleichsgröße (nur) den Betrug heran und behauptet dazu, dieser schütze ausschließlich das Vermögen. Richtig daran ist nur, daß die herrschende Ansicht zu § 263 StGB ebenfalls behauptet, daß dieser ausschließlich das Vermögen schützt. 44 Nahezu unverändert ist jedoch in diesem Abschnitt seit 1871 der Versicherungsbetrug (§ 265 StGB) mit geregelt, dessen vermögensschützender Charakter zwar unbestritten ist, der aber nach herrschender Ansicht "die soziale Leistungsfähigkeit des dem allgemeinen Nutzen dienenden Versicherungswesens" als zweites Rechtsgut schützen soll. 4S Mit dem 1. WiKG

46

wurde der 22. Abschnitt um den Subventionsbetrug,

§ 264 StGB, und den Kreditbetrug, § 265b StGB, 47 erweitert. Geschütztes Rechtsgut des § 264 StGB soll nach herrschender Ansicht die "Planungs- und

Dispositionsfreiheit der öffentlichen Hand im Wirtschaftsbereich" sein. 48 Für diesen Tatbestand wird darüber gestritten, ob er (überhaupt) auch das Vermögen des Subventionsgebers schütze. 49 Dagegen ist für den Kreditbetrug zwar unbestritten, daß geschütztes Rechtsgut das Vermögen als Ganzes

44 st. Rspr., RGSt 74, 167, 168; BGHSt 3, 99, 102; 7, 197, 198; 16,220,221; 321, 325; 367, 372. Blei, BT § 60 11; Schönke/SchriJder/Cramer, § 263 Rdnr. 1; Dreher fTröndle, § 261 Rdnr. 1; lAckner, § 263 Anm. 2; lAckner, LK, § 263 Rdnr. 4; Maurach/ Schroetkr I, § 46 1 C; Samson, SK, § 263 Rdnr. 1; Wessels, BT 2, § 13 1 jew. m. w. N.

45

RGSt 67, 109; BGHSt 11, 398; 25, 261; lAckner, LK, § 265 Rdnr. 1 m. w. N. in Fußn. 3.

46

vom 29. 7. 1976, BGBI. I, 2034.

47 Vorläufer war § 50 KWG vom 5. 12. 1934 (RGBI. I, 1203), der anläßlich der Neufassung des KWG vom 10. 7. 1961 (BGBI. I, 881) beseitigt worden war.

48 OLG Karlsruhe, Nny 1981, 1383; OLG Hamburg, NStZ 1984, 218; TIedemann, LK, § 264 Rdnr. 8 m. w. N.; a. A. Gössel, wistra 1985, 129. 49 Bejahend lAckner, LK, § 264 Rdnr.l, § 263 Rdnm. 171, 176; Schönke/Schröder/Lenckner, § 264 Rdnr. 1.

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3. Teil Der Benachteiligte als Zuordnungssubjekt

ist, jedoch soll § 265 b StGB daneben das "Funktionieren der Kreditwirtschaft als solcher" schützen. so Das 2. WiKG 51 schließlich ergänzte den Betrug um eine Reihe weiterer verwandter Tatbestände. Geschütztes Rechtsgut des Computerbetruges, § 263a StGB, soll in erster Linie das Individualvermögen, darüber hinaus jedoch auch das "wirtschaftliche Allgemeininteresse im Hinblick auf die Bedeutung des Einsatzes von Computern" sein. 52 Hingegen soll der Kapitalanlagenbetrug, § 264a StGB, erst sekundär den Schutz individueller Vermögensinteressen (der Kapitalanleger) bezwecken und in erster Linie "das Vertrauen der Allgemeinheit in den Kapitalmarkt" schützen. 53 Zieht man hier zunächst ein Zwischenfazit, so ist festzustellen, daß Betrug und die betrugsähnlichen Vermögensdelikte im 22. Abschnitt des StGB, die nur dem Schutz eines Rechtsgutes dienen sollen, die Ausnahme bilden. Das systematische Argument, dieser "Abschnitt" des Strafgesetzbuches regele (nur) Vermögensdelikte, vermag daher die Annahme, (auch) § 266 StGB schütze ausschließlich das Vermögen, nicht zu begründen. Etwas anderes könnte sich jedoch dann ergeben, wenn man für die Beurteilung des geschützten Rechtsguts der Untreue nur den Unterabschnitt der Untreue und der untreueverwandten Tatbestände heranzieht, die durch das 2. WiKG in den 22. Abschnitt eingefügt wurden. Zum geschützten Rechtsgut des § 266a StGB (Veruntreuung von Arbeitsentgelt) kann auf eindeutige und klarstellende Hinweise des Gesetzgebers zurückgegriffen werden: Seine Absätze 1 und 3 bis 5 sollen das "Interesse der Solidargemeinschaft an der Sicherstellung des Aufkommens der Mittel für die Sozialversicherung und die Bundesanstalt für Arbeit" schützen. 54 Absatz 2

so RegE, BT-Drucks. 7/3441, Begr. S. 17, 18; Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsrefonn, BT-Drucks. 7/5291, S. 14; 1iedemann, LI