Hinterbliebenengeld: Zugleich ein Beitrag zur Zivilrechtsordnung als Rechtszuweisungsordnung [1 ed.] 9783161618079, 9783161621505, 3161618076

Mit der Einführung des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld in das Haftungsrecht im Jahr 2017 hat der Gesetzgeber einer lan

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Hinterbliebenengeld: Zugleich ein Beitrag zur Zivilrechtsordnung als Rechtszuweisungsordnung [1 ed.]
 9783161618079, 9783161621505, 3161618076

Table of contents :
Cover
Titel
Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
Einführung
A. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld – ein Novum in der Rechtsordnung
B. Hintergrund: Die Entstehungsgeschichte des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld
I. Die Gesetzeslage vor Einführung des Hinterbliebenengelds
1. Der Ausnahmecharakter immateriellen Schadensersatzes
2. Die Erwägungen der Gesetzesverfasser hinsichtlich immaterieller Schäden
II. Rechtspolitische Gründe für die Einführung des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld
1. Wertungswidersprüche
a) Der Wegfall des Rechtssubjekts bei Tötung und die daraus resultierende Haftungslücke
b) Kommerzialisierung immaterieller Güter
2. Unglücksfälle
3. Der Blick über die Grenzen und die Harmonisierung der Rechtsordnungen
III. Gesetzgebungsverfahren
1. Kapitel: Die dogmatische und systematische Einordnung des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld in das Gefüge des Haftungsrechts
A. Die Rechtsposition hinter dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld
I. Die Zivilrechtsordnung als Rechtszuweisungsordnung
1. Grundstrukturen der Rechtszuweisungsordnung
2. Kritik am Geltungsanspruch des überkommenen privatrechtlichen Systembaus
a) Die praktische Überholtheit der Rechtszuweisungsdoktrin für die moderne Rechtsanwendung
b) Die Rechtszuweisungsordnung als Relikt vergangener Zeiten
3. Alternativen zum überkommenen Ordnungssystem
a) Das Rechtsverhältnis als zentrales Element der Privatrechtsordnung
b) Die Lehre vom Institutionenschutz
c) Das Konzept der privaten Rechtsdurchsetzung oder „private law enforcement“
d) Die Imperativentheorie – ein Gegenentwurf zum überkommenen Ordnungssystem
e) Peukerts Lehre vom Zuweisungsgehalt
f) Das einseitig „anspruchsfixierte Denken“
g) Die ökonomische Analyse des Rechts
4. Gründe für den anhaltenden Geltungsanspruch der Rechtsposition als zentrales Element der Privatrechtsordnung
5. Folgen für das Hinterbliebenengeld
II. Die Zuweisung einer Rechtsposition durch die objektive Ordnung
1. Die Zuweisung absoluter und relativer Rechte
a) Absolute Rechte
aa) Merkmale einer absoluten Rechtsposition
(1) Die Zuordnungs- und die Ausschlussfunktion
(2) Die sozialtypische Offenkundigkeit
(a) Die sozialtypische Offenkundigkeit kraft Bezugsgegenstands
(b) Die sozialtypische Offenkundigkeit kraft umfassender Beschreibung
(c) Kritik am Erfordernis der sozialtypischen Offenkundigkeit
(3) Zusammenfassung
bb) Die Zuordnungsentscheidung des Gesetzgebers
cc) Die Darstellungsformen der Zuordnung
(1) Die Schöpfung oder Erweiterung subjektiver Rechtspositionen durch Schutzgesetze
(a) Die Begründung der rechtlichen Relevanz eines (neuartigen) eigenständigen Interesses durch eine Norm
(b) Die Statuierung bloßer unselbständiger Positionen
(c) Zwischenergebnis
(2) Die Erweiterung subjektiver Rechtspositionen durch Verkehrspflichten
(3) Zwischenergebnis
b) Relative Rechte
c) Ergebnis Entstehung von Substanzrechten
2. Die Rolle der Rechtsprechung bei der Zuweisung
a) Die grundsätzliche Frage nach der Zuordnungskompetenz der Gerichte
b) Die Anforderungen an die Zuordnungsentscheidung der Gerichte
c) Die bisherige Rolle der Rechtsprechung beim „Angehörigenschmerzensgeld“
3. Ergebnis
III. Ansätze zur Bestimmung der Rechtsposition
1. Leben
2. Art. 6 GG
a) Die Geltung des Art. 6 GG im Zivilrecht
b) Der Schutzbereich des Art. 6 GG
c) Bedeutung für den Anspruch auf Hinterbliebenengeld
3. Gesundheit
4. Körperverletzung des Hinterbliebenen aufgrund einer Verschmelzung von Opfer und Bezugsperson
5. Das seelische Wohlbefinden
6. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht als Substanzrecht des Hinterbliebenengelds
a) Eckdaten zur Entstehung des zivilrechtlichen Persönlichkeitsrechts
b) Bisherige Überlegungen zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht als Substanzrecht eines „Angehörigenschmerzensgeldanspruchs“
aa) Befürworter
bb) Gegner
cc) Zwischenfazit
c) Der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
aa) Die verschiedenen Fallgruppen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
bb) Der Kernbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Persönlichkeitsrechts
cc) Die besondere persönliche Nähebeziehung als Bestandteil der persönlichkeitsrechtlichen Privatsphäre
dd) Der Einfluss von Art. 8 Abs. 1 EMRK
(1) Die Bedeutung der EMRK für das nationale Recht
(2) Der Schutzbereich des konventionsrechtlichen Privatlebens
ee) Zwischenergebnis
d) Die besondere Nähebeziehung als zivilrechtliche Rechtsposition
aa) Die Zuweisungsentscheidung der Nähebeziehung
(1) Die Nähebeziehung in der Privatrechtsordnung
(a) Die besondere Nähebeziehung im Allgemeinen Gleichbehandlungsrecht – die Rechtsfigur der assoziierten Diskriminierung
(b) Bedeutung der assoziierten Diskriminierung für den Anspruch auf Hinterbliebenengeld?
(c) Die Nähebeziehung im Zusammenhang mit dem postmortalen Persönlichkeitsschutz
(aa) Die Entwicklung des postmortalen Persönlichkeitsschutzes
(bb) Die Problematik des postmortalen Persönlichkeitsschutzes in der Rechtszuweisungsordnung
(cc) Bedeutung der Nähebeziehung für den postmortalen Persönlichkeitsschutz und den Anspruch auf das Hinterbliebenengeld
(d) Zwischenfazit
(2) Die Anerkennung der Nähebeziehung durch die Schutznorm selbst
(3) Der Einfluss der Entstehungsgeschichte des allgemeinen Persönlichkeitsrechts für die besondere Darstellungsform der Zuordnung
bb) Umfassender Schutz vor Einwirkungen – Die Ausschlussfunktion der Nähebeziehung
cc) Die sozialtypische Offenkundigkeit der Nähebeziehung
dd) Zwischenergebnis
e) Die Besonderheiten des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und ihre Vereinbarkeit mit dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld
aa) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht – ein „Rahmenrecht“?
bb) Die Dispositionsbefugnis
f) Ergebnis zum Allgemeinen Persönlichkeitsrecht
IV. Ergebnis
B. Systematische Einordnung – der Anspruch auf Hinterbliebenengeld als Ausnahmevorschrift?
I. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld als Ausnahme vom „Grundsatz der Unmittelbarkeit“?
1. Grundlagen des deutschen Haftungsrechts
a) Das Tatbestandsprinzip
b) Das „Dogma vom Gläubigerinteresse“
c) Der Unmittelbarkeitsgrundsatz
d) Begründung für das vom Gesetzgeber gewählte Modell des Haftungsrechts
aa) Der Grund für die Unterscheidung reiner Vermögensschäden und solcher, die aus der Verletzung eines Rechtsguts resultieren
bb) Die Haftungsbegrenzung bei immateriellen Schäden
cc) Fazit
e) Erforderlichkeit der dogmatischen Zweiteilung des deliktischen Verletzungstatbestands?
aa) Unmittelbare und mittelbare Verursachung einer Rechtsverletzung
bb) Die Kritik am aktuellen Meinungsstand
(1) Die Verfehltheit der Gleichsetzung von Rechts- und Integritätsverletzung als tatbestandsmäßigen Verletzungserfolg
(2) Die einheitliche dogmatische Grundlage von mittelbaren und unmittelbaren Rechts(guts)verletzungen
cc) Zwischenergebnis
2. Präzisierung wichtiger Begrifflichkeiten
a) Psychisch vermittelte Schäden
aa) Schockschäden und Fernwirkungsschäden
bb) Kritische Analyse
cc) Lösungsvorschlag
b) Erst- und Zweitgeschädigter
c) Drittschaden
aa) Der mittelbar Geschädigte
bb) Die Rechtsfigur der Drittschadensliquidation
3. § 844 Abs. 1 und 2 BGB als Ausnahmevorschriften zu den herkömmlichen haftungsrechtlichen Grundsätzen
a) Systematik
b) Normzweck
aa) Vermeidung eines Wertungswiderspruchs
bb) Weitergehender Regelungsgehalt von § 844 Abs. 1 und 2 BGB
(1) § 844 Abs. 1
(2) § 844 Abs. 2 als Schutzrecht einer Rechtsposition
(a) Die Unterhaltsforderung als (absolute) Rechtsposition?
(aa) Die Lehre vom deliktischen Schutz der Forderung
(bb) Einwendungen gegen die Lehre vom deliktischen Schutz der Forderung und ihre Entkräftung
(cc) Die Unterhaltsforderung als Rechtsposition des § 844 Abs. 2 BGB
(aaa) Der absolute Charakter der Unterhaltsforderung
(bbb) Eingriff in die Forderungsinhaberschaft durch Tötung des Unterhaltsschuldners?
(dd) Zwischenergebnis
(b) § 844 Abs. 2 BGB als Schutzrecht für das aus dem „familienrechtlichen Band“ begründete Recht auf Unterhalt
(c) Zwischenergebnis
c) Ergebnis
4. § 844 Abs. 3 BGB als Anspruchsgrundlage für einen Drittschaden?
a) Der Hinterbliebene als mittelbar Geschädigter?
b) Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld als gesetzlich geregelter Fall der Drittschadensliquidation?
c) Zwischenergebnis
II. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld als Schutz für eine eigene subjektive Rechtsposition
III. Ergebnis
C. Die Funktion des Hinterbliebenengelds
I. Die verschiedenen Funktionen des Schadensersatzrechts und ihre Bedeutung für das Hinterbliebenengeld
1. Die Ausgleichsfunktion
2. Die Genugtuungsfunktion bei immateriellen Schäden
a) Die Genugtuung beim „Schmerzensgeld“ gem. § 253 Abs. 2 BGB
b) Die Genugtuung bei einer Entschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
aa) Die Genugtuungsfunktion bei § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG
bb) Die Genugtuungsfunktion im AGG
cc) Fazit
c) Zwischenergebnis
d) Kritik an der Genugtuungsfunktion
3. Die Präventionsfunktion
II. Rückführung des Hinterbliebenengelds zur Ausgleichsfunktion
III. Ergebnis
2. Kapitel: Wertungswidersprüche und Anwendungsfragen des § 844 Abs. 3 BGB
A. Wertungswidersprüche des Hinterbliebenengelds
I. Kein vertraglicher Anspruch auf Hinterbliebenengeld
1. Das Hinterbliebenengeld de lege lata
2. Kritik
a) Notwendigkeit eines vertraglichen Anspruchs auf Hinterbliebenengeld?
b) Gründe für eine Beschränkung des Hinterbliebenengelds auf das Deliktsrecht?
3. Fazit und weiterführende Überlegungen
II. Kein Anspruch auf Hinterbliebenengeld bei Überleben des Primärverletzten
B. Fragen in der praktischen Anwendung
I. Die Bedeutung der einzelnen Tatbestandsmerkmale
1. Der Hinterbliebene
2. Das besondere persönliche Näheverhältnis
3. Das seelische Leid
II. Die Bemessung des Hinterbliebenengelds
1. Wortlaut des § 844 Abs. 3 BGB
2. Anhaltspunkte in der Gesetzesbegründung
3. Ansätze in der Literatur
a) Höhenvorstellungen
b) Kriterien für die Bemessung
4. Die Bemessung in anderen europäischen Ländern
5. Die Bemessung des LG Tübingen
III. Folgefragen
1. Konkurrenz des Hinterbliebenengelds zu anderen denkbaren Ansprüchen
a) Das Verhältnis von Hinterbliebenengeld und Schockschaden
b) Konkurrenz zu einem eigenen Schmerzensgeldanspruch des Primärverletzten
c) Das Verhältnis von § 844 Abs. 3 zu § 823 Abs. 1 BGB
2. Das Verhalten des Erstverletzten und seine Auswirkungen auf das Hinterbliebenengeld
a) Die Anrechenbarkeit eines Mitverschuldens des Verstorbenen
b) Vertragliche Haftungsausschlüsse
c) Tötung auf Verlangen
3. Die Übertragbarkeit der Forderung aus dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld
a) Die Vererbbarkeit der Forderung
b) Die Abtretbarkeit der Forderung aus dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld
4. Die versicherungsrechtlichen Besonderheiten beim Hinterbliebenengeld
a) Die Einstandspflicht der Haftpflichtversicherung
b) Das Hinterbliebenengeld und die gesetzliche Unfallversicherung
aa) Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Nichtanwendung der Haftungsausschlüsse nach §§ 104 ff. SGB VII bei Schockschäden und ihre Übertragung auf das Hinterbliebenengeld
bb) Übertragung der Argumentation auf das Hinterbliebenengeld
IV. Auswirkungen der Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld an anderer Stelle in der Rechtsordnung
1. Ersatz für jegliche Gefühlsschäden?
2. Entschädigung bei jeglicher Beeinträchtigung einer besonderen Nähebeziehung?
3. Der umfassende Schutz durch die „Trias der Haftungssysteme“
Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
Prüfungsschema § 844 Abs. 3 BGB
Literaturverzeichnis
Sachregister

Citation preview

Studien zum Privatrecht Band 113

Teresa Tomas-Keck

Hinterbliebenengeld Zugleich ein Beitrag zur Zivilrechtsordnung als Rechtszuweisungsordnung

Mohr Siebeck

Teresa Tomas-Keck, geboren 1988; Studium der Rechtswissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin und an der Sapienza Università di Roma; 2014 Erstes Staatsexamen; 2017 Zweites Staatsexamen; Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Arbeitsrecht an der Freien Universität Berlin; 2022 Promotion; Richterin in Stuttgart.

ISBN 978-3-16-161807-9 / eISBN 978-3-16-162150-5 DOI 10.1628/978-3-16-162150-5 ISSN 1867-4275 / eISSN 2568-728X (Studien zum Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2023 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden. Printed in Germany.

Meinen Eltern

Vorwort Diese Arbeit entstand während meiner Zeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin. Sie wurde dort im Wintersemester 2020/21 eingereicht und im Sommersemester 2022 als Dissertation angenommen. Die mündliche Doktorprüfung fand am 10. Juni 2022 statt. Ganz herzlich bedanken möchte ich mich an erster Stelle bei meinem Doktorvater Prof. Dr. Felix Hartmann, LL.M. (Harvard) für die umfassende Betreuung dieser Arbeit, seine wertvollen Anregungen und die gewährte wissenschaftliche Freiheit. Die Jahre an seinem Lehrstuhl und die zahlreichen Gespräche mit ihm haben mich fachlich, darüber hinaus aber auch persönlich sehr bereichert. Prof. Dr. Olaf Muthorst danke ich herzlich für die Anfertigung des Zweitgutachtens. Meinen Kollegen Dr. Jacob Haller, Thomas Höppel und Dr. Mattias Prange danke ich für den vielfältigen fachlichen und menschlichen Austausch sowie für die schöne gemeinsame Zeit am Fachbereich. Von Herzen danken möchte ich zudem meinem Mann, Marius Keck, für seine Geduld, seine Zuversicht und seinen unschätzbaren Rückhalt während der gesamten Dauer meiner Promotion. Schließlich gilt mein besonderer Dank meinen Eltern, die mich bei der Verfolgung meiner Ziele stets unterstützt und liebevoll gefördert haben. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Freiburg, im April 2023

Teresa Tomas-Keck

Inhaltsübersicht Vorwort ...................................................................................................... VII Inhaltsverzeichnis ....................................................................................... XI

Einführung ................................................................................................ 1 A. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld – ein Novum in der Rechtsordnung .......................................................................................... 3 B. Hintergrund: Die Entstehungsgeschichte des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld ................................................................................. 7

1. Kapitel: Die dogmatische und systematische Einordnung des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld in das Gefüge des Haftungsrechts ........................................................................................17 A. Die Rechtsposition hinter dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld ..........19 B. Systematische Einordnung – der Anspruch auf Hinterbliebenengeld als Ausnahmevorschrift? ....................................................................... 131 C. Die Funktion des Hinterbliebenengelds ................................................. 189

2. Kapitel: Wertungswidersprüche und Anwendungsfragen des § 844 Abs. 3 BGB ........................................................................ 209 A. Wertungswidersprüche des Hinterbliebenengelds .................................. 211 B. Fragen in der praktischen Anwendung .................................................. 223

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse ......................... 263 Literaturverzeichnis ................................................................................... 267 Sachregister ............................................................................................... 289

Inhaltsverzeichnis Vorwort ...................................................................................................... VII Inhaltsübersicht ........................................................................................... IX

Einführung ................................................................................................. 1 A. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld – ein Novum in der Rechtsordnung ............................................................................. 3 B. Hintergrund: Die Entstehungsgeschichte des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld .................................................................... 7 I.

Die Gesetzeslage vor Einführung des Hinterbliebenengelds ................... 7

1. Der Ausnahmecharakter immateriellen Schadensersatzes.......................... 7 2. Die Erwägungen der Gesetzesverfasser hinsichtlich immaterieller Schäden ............................................................................... 8 II. Rechtspolitische Gründe für die Einführung des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld ...............................................................................10 1. Wertungswidersprüche .............................................................................10 a) Der Wegfall des Rechtssubjekts bei Tötung und die daraus resultierende Haftungslücke .................................................................10 b) Kommerzialisierung immaterieller Güter .............................................12 2. Unglücksfälle ...........................................................................................13 3. Der Blick über die Grenzen und die Harmonisierung der Rechtsordnungen ................................................................................14 III. Gesetzgebungsverfahren ........................................................................16

1. Kapitel: Die dogmatische und systematische Einordnung des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld in das Gefüge des Haftungsrechts .........................................................................................17

XII

Inhaltsverzeichnis

A. Die Rechtsposition hinter dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld ..........................................................................19 I.

Die Zivilrechtsordnung als Rechtszuweisungsordnung ...........................19

1. Grundstrukturen der Rechtszuweisungsordnung .......................................19 2. Kritik am Geltungsanspruch des überkommenen privatrechtlichen Systembaus ..............................................................................................24 a) Die praktische Überholtheit der Rechtszuweisungsdoktrin für die moderne Rechtsanwendung ............................................................24 b) Die Rechtszuweisungsordnung als Relikt vergangener Zeiten..............25 3. Alternativen zum überkommenen Ordnungssystem ..................................27 a) Das Rechtsverhältnis als zentrales Element der Privatrechtsordnung ...27 b) Die Lehre vom Institutionenschutz ......................................................28 c) Das Konzept der privaten Rechtsdurchsetzung oder „private law enforcement“ .......................................................................................30 d) Die Imperativentheorie – ein Gegenentwurf zum überkommenen Ordnungssystem ..................................................................................33 e) Peukerts Lehre vom Zuweisungsgehalt ................................................37 f) Das einseitig „anspruchsfixierte Denken“ ............................................39 g) Die ökonomische Analyse des Rechts ..................................................42 4. Gründe für den anhaltenden Geltungsanspruch der Rechtsposition als zentrales Element der Privatrechtsordnung .........................................43 5. Folgen für das Hinterbliebenengeld ..........................................................45 II. Die Zuweisung einer Rechtsposition durch die objektive Ordnung .........46 1. Die Zuweisung absoluter und relativer Rechte .........................................47 a) Absolute Rechte ...................................................................................47 aa) Merkmale einer absoluten Rechtsposition .....................................48 (1) Die Zuordnungs- und die Ausschlussfunktion .........................48 (2) Die sozialtypische Offenkundigkeit ........................................49 (a) Die sozialtypische Offenkundigkeit kraft Bezugsgegenstands ...........................................................50 (b) Die sozialtypische Offenkundigkeit kraft umfassender Beschreibung ....................................................................51 (c) Kritik am Erfordernis der sozialtypischen Offenkundigkeit ...............................................................52 (3) Zusammenfassung...................................................................54 bb) Die Zuordnungsentscheidung des Gesetzgebers ............................54 cc) Die Darstellungsformen der Zuordnung ........................................57 (1) Die Schöpfung oder Erweiterung subjektiver Rechtspositionen durch Schutzgesetze ....................................58

Inhaltsverzeichnis

XIII

(a) Die Begründung der rechtlichen Relevanz eines (neuartigen) eigenständigen Interesses durch eine Norm ..59 (b) Die Statuierung bloßer unselbständiger Positionen ..........60 (c) Zwischenergebnis .............................................................61 (2) Die Erweiterung subjektiver Rechtspositionen durch Verkehrspflichten ...................................................................61 (3) Zwischenergebnis ...................................................................62 b) Relative Rechte ....................................................................................63 c) Ergebnis Entstehung von Substanzrechten ...........................................65 2. Die Rolle der Rechtsprechung bei der Zuweisung ....................................65 a) Die grundsätzliche Frage nach der Zuordnungskompetenz der Gerichte .........................................................................................66 b) Die Anforderungen an die Zuordnungsentscheidung der Gerichte .......68 c) Die bisherige Rolle der Rechtsprechung beim „Angehörigenschmerzensgeld“ ............................................................69 3. Ergebnis ...................................................................................................70 III. Ansätze zur Bestimmung der Rechtsposition ..........................................70 1. Leben .......................................................................................................70 2. Art. 6 GG .................................................................................................73 a) Die Geltung des Art. 6 GG im Zivilrecht .............................................74 b) Der Schutzbereich des Art. 6 GG .........................................................75 c) Bedeutung für den Anspruch auf Hinterbliebenengeld .........................77 3. Gesundheit ...............................................................................................78 4. Körperverletzung des Hinterbliebenen aufgrund einer Verschmelzung von Opfer und Bezugsperson ...................................................................82 5. Das seelische Wohlbefinden.....................................................................84 6. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht als Substanzrecht des Hinterbliebenengelds................................................................................85 a) Eckdaten zur Entstehung des zivilrechtlichen Persönlichkeitsrechts ....86 b) Bisherige Überlegungen zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht als Substanzrecht eines „Angehörigenschmerzensgeldanspruchs“........88 aa) Befürworter ...................................................................................89 bb) Gegner...........................................................................................93 cc) Zwischenfazit ................................................................................95 c) Der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts....................96 aa) Die verschiedenen Fallgruppen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts .....................................................................97 bb) Der Kernbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Persönlichkeitsrechts .....................................................................99

XIV

Inhaltsverzeichnis

cc) Die besondere persönliche Nähebeziehung als Bestandteil der persönlichkeitsrechtlichen Privatsphäre ....................................... 101 dd) Der Einfluss von Art. 8 Abs. 1 EMRK ........................................ 103 (1) Die Bedeutung der EMRK für das nationale Recht ............... 103 (2) Der Schutzbereich des konventionsrechtlichen Privatlebens . 104 ee) Zwischenergebnis ........................................................................ 106 d) Die besondere Nähebeziehung als zivilrechtliche Rechtsposition....... 106 aa) Die Zuweisungsentscheidung der Nähebeziehung ....................... 107 (1) Die Nähebeziehung in der Privatrechtsordnung..................... 108 (a) Die besondere Nähebeziehung im Allgemeinen Gleichbehandlungsrecht – die Rechtsfigur der assoziierten Diskriminierung .......................................... 108 (b) Bedeutung der assoziierten Diskriminierung für den Anspruch auf Hinterbliebenengeld? ................................ 110 (c) Die Nähebeziehung im Zusammenhang mit dem postmortalen Persönlichkeitsschutz ................................ 111 (aa) Die Entwicklung des postmortalen Persönlichkeitsschutzes .................................................................. 112 (bb) Die Problematik des postmortalen Persönlichkeitsschutzes in der Rechtszuweisungsordnung .............. 114 (cc) Bedeutung der Nähebeziehung für den postmortalen Persönlichkeitsschutz und den Anspruch auf das Hinterbliebenengeld .................................... 115 (d) Zwischenfazit ................................................................. 117 (2) Die Anerkennung der Nähebeziehung durch die Schutznorm selbst ................................................................. 117 (3) Der Einfluss der Entstehungsgeschichte des allgemeinen Persönlichkeitsrechts für die besondere Darstellungsform der Zuordnung ...................................................................... 118 bb) Umfassender Schutz vor Einwirkungen – Die Ausschlussfunktion der Nähebeziehung ................................ 119 cc) Die sozialtypische Offenkundigkeit der Nähebeziehung .............. 122 dd) Zwischenergebnis ........................................................................ 124 e) Die Besonderheiten des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und ihre Vereinbarkeit mit dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld ................ 124 aa) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht – ein „Rahmenrecht“? ....... 124 bb) Die Dispositionsbefugnis ............................................................. 128 f) Ergebnis zum Allgemeinen Persönlichkeitsrecht................................ 129 IV. Ergebnis............................................................................................... 129

Inhaltsverzeichnis

XV

B. Systematische Einordnung – der Anspruch auf Hinterbliebenengeld als Ausnahmevorschrift? ........................ 131 I.

Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld als Ausnahme vom „Grundsatz der Unmittelbarkeit“? .......................................................................... 131

1. Grundlagen des deutschen Haftungsrechts ............................................. 133 a) Das Tatbestandsprinzip ...................................................................... 133 b) Das „Dogma vom Gläubigerinteresse“ ............................................... 134 c) Der Unmittelbarkeitsgrundsatz .......................................................... 136 d) Begründung für das vom Gesetzgeber gewählte Modell des Haftungsrechts ................................................................................... 137 aa) Der Grund für die Unterscheidung reiner Vermögensschäden und solcher, die aus der Verletzung eines Rechtsguts resultieren . 138 bb) Die Haftungsbegrenzung bei immateriellen Schäden ................... 140 cc) Fazit ............................................................................................ 141 e) Erforderlichkeit der dogmatischen Zweiteilung des deliktischen Verletzungstatbestands? ..................................................................... 142 aa) Unmittelbare und mittelbare Verursachung einer Rechtsverletzung ......................................................................... 142 bb) Die Kritik am aktuellen Meinungsstand....................................... 145 (1) Die Verfehltheit der Gleichsetzung von Rechts- und Integritätsverletzung als tatbestandsmäßigen Verletzungserfolg ................................................................. 146 (2) Die einheitliche dogmatische Grundlage von mittelbaren und unmittelbaren Rechts(guts)verletzungen......................... 147 cc) Zwischenergebnis ........................................................................ 148 2. Präzisierung wichtiger Begrifflichkeiten ................................................ 148 a) Psychisch vermittelte Schäden ........................................................... 149 aa) Schockschäden und Fernwirkungsschäden .................................. 149 bb) Kritische Analyse ........................................................................ 152 cc) Lösungsvorschlag ........................................................................ 154 b) Erst- und Zweitgeschädigter .............................................................. 156 c) Drittschaden....................................................................................... 156 aa) Der mittelbar Geschädigte ........................................................... 157 bb) Die Rechtsfigur der Drittschadensliquidation .............................. 158 3. § 844 Abs. 1 und 2 BGB als Ausnahmevorschriften zu den herkömmlichen haftungsrechtlichen Grundsätzen .................................. 160 a) Systematik ......................................................................................... 161 b) Normzweck........................................................................................ 163 aa) Vermeidung eines Wertungswiderspruchs ................................... 163 bb) Weitergehender Regelungsgehalt von § 844 Abs. 1 und 2 BGB .. 165 (1) § 844 Abs. 1 .......................................................................... 165

XVI

Inhaltsverzeichnis

(2) § 844 Abs. 2 als Schutzrecht einer Rechtsposition ................ 166 (a) Die Unterhaltsforderung als (absolute) Rechtsposition? . 167 (aa) Die Lehre vom deliktischen Schutz der Forderung .. 167 (bb) Einwendungen gegen die Lehre vom deliktischen Schutz der Forderung und ihre Entkräftung ............. 169 (cc) Die Unterhaltsforderung als Rechtsposition des § 844 Abs. 2 BGB ................................................... 174 (aaa) Der absolute Charakter der Unterhaltsforderung ...................................... 174 (bbb) Eingriff in die Forderungsinhaberschaft durch Tötung des Unterhaltsschuldners? ....... 176 (dd) Zwischenergebnis ................................................... 178 (b) § 844 Abs. 2 BGB als Schutzrecht für das aus dem „familienrechtlichen Band“ begründete Recht auf Unterhalt ........................................................................ 178 (c) Zwischenergebnis ........................................................... 180 c) Ergebnis ............................................................................................. 181 4. § 844 Abs. 3 BGB als Anspruchsgrundlage für einen Drittschaden? ..... 181 a) Der Hinterbliebene als mittelbar Geschädigter? ................................. 181 b) Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld als gesetzlich geregelter Fall der Drittschadensliquidation?...................................................... 183 c) Zwischenergebnis .............................................................................. 187 II. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld als Schutz für eine eigene subjektive Rechtsposition ..................................................................... 187 III. Ergebnis............................................................................................... 188

C. Die Funktion des Hinterbliebenengelds ..................................... 189 I.

Die verschiedenen Funktionen des Schadensersatzrechts und ihre Bedeutung für das Hinterbliebenengeld ............................................... 190

1. Die Ausgleichsfunktion .......................................................................... 190 2. Die Genugtuungsfunktion bei immateriellen Schäden ............................ 192 a) Die Genugtuung beim „Schmerzensgeld“ gem. § 253 Abs. 2 BGB ... 192 b) Die Genugtuung bei einer Entschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ............................................... 196 aa) Die Genugtuungsfunktion bei § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG ............................................................. 196 bb) Die Genugtuungsfunktion im AGG ............................................. 197 cc) Fazit ............................................................................................ 199 c) Zwischenergebnis .............................................................................. 199

Inhaltsverzeichnis

XVII

d) Kritik an der Genugtuungsfunktion .................................................... 199 3. Die Präventionsfunktion ......................................................................... 202 II. Rückführung des Hinterbliebenengelds zur Ausgleichsfunktion ............ 205 III. Ergebnis............................................................................................... 207

2. Kapitel: Wertungswidersprüche und Anwendungsfragen des § 844 Abs. 3 BGB ......................................................................... 209 A. Wertungswidersprüche des Hinterbliebenengelds................... 211 I.

Kein vertraglicher Anspruch auf Hinterbliebenengeld ......................... 211

1. Das Hinterbliebenengeld de lege lata ..................................................... 211 2. Kritik ..................................................................................................... 212 a) Notwendigkeit eines vertraglichen Anspruchs auf Hinterbliebenengeld? ......................................................................... 212 b) Gründe für eine Beschränkung des Hinterbliebenengelds auf das Deliktsrecht?................................................................................ 216 3. Fazit und weiterführende Überlegungen ................................................. 217 II. Kein Anspruch auf Hinterbliebenengeld bei Überleben des Primärverletzten .................................................................................. 218

B. Fragen in der praktischen Anwendung....................................... 223 I.

Die Bedeutung der einzelnen Tatbestandsmerkmale ............................. 223

1. Der Hinterbliebene ................................................................................. 223 2. Das besondere persönliche Näheverhältnis ............................................. 224 3. Das seelische Leid .................................................................................. 227 II. Die Bemessung des Hinterbliebenengelds ............................................ 228 1. Wortlaut des § 844 Abs. 3 BGB ............................................................. 229 2. Anhaltspunkte in der Gesetzesbegründung ............................................. 230 3. Ansätze in der Literatur .......................................................................... 231 a) Höhenvorstellungen ........................................................................... 231 b) Kriterien für die Bemessung .............................................................. 232 4. Die Bemessung in anderen europäischen Ländern .................................. 237 5. Die Bemessung des LG Tübingen .......................................................... 238 III. Folgefragen ......................................................................................... 242

XVIII

Inhaltsverzeichnis

1. Konkurrenz des Hinterbliebenengelds zu anderen denkbaren Ansprüchen ............................................................................................ 242 a) Das Verhältnis von Hinterbliebenengeld und Schockschaden ............ 242 b) Konkurrenz zu einem eigenen Schmerzensgeldanspruch des Primärverletzten................................................................................. 244 c) Das Verhältnis von § 844 Abs. 3 zu § 823 Abs. 1 BGB ..................... 245 2. Das Verhalten des Erstverletzten und seine Auswirkungen auf das Hinterbliebenengeld ............................................................................... 245 a) Die Anrechenbarkeit eines Mitverschuldens des Verstorbenen .......... 246 b) Vertragliche Haftungsausschlüsse ...................................................... 247 c) Tötung auf Verlangen ........................................................................ 248 3. Die Übertragbarkeit der Forderung aus dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld ............................................................................... 249 a) Die Vererbbarkeit der Forderung ....................................................... 249 b) Die Abtretbarkeit der Forderung aus dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld ........................................................................... 250 4. Die versicherungsrechtlichen Besonderheiten beim Hinterbliebenengeld ............................................................................... 253 a) Die Einstandspflicht der Haftpflichtversicherung ............................... 253 b) Das Hinterbliebenengeld und die gesetzliche Unfallversicherung ...... 254 aa) Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Nichtanwendung der Haftungsausschlüsse nach §§ 104 ff. SGB VII bei Schockschäden und ihre Übertragung auf das Hinterbliebenengeld ........................................................ 256 bb) Übertragung der Argumentation auf das Hinterbliebenengeld ..... 258 IV. Auswirkungen der Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld an anderer Stelle in der Rechtsordnung .............. 259 1. Ersatz für jegliche Gefühlsschäden? ....................................................... 259 2. Entschädigung bei jeglicher Beeinträchtigung einer besonderen Nähebeziehung? ..................................................................................... 261 3. Der umfassende Schutz durch die „Trias der Haftungssysteme“............. 261

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse .......................... 263 Prüfungsschema § 844 Abs. 3 BGB ............................................................ 266 Literaturverzeichnis .................................................................................... 267 Sachregister ................................................................................................ 289

Einführung

A. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld – ein Novum in der Rechtsordnung Am 22. Juli 2017 ist das Gesetz zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld in Kraft getreten.1 Eine Reihe neu eingefügter Vorschriften, darunter § 844 Abs. 3 BGB, statuieren, dass Hinterbliebene, die in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis zu einer getöteten Person standen, für das zugefügte seelische Leid von dem Ersatzpflichtigen eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen können.2 Hintergrund der neuen Regelung war eine langwährende juristische Diskussion über die Einführung eines „Angehörigenschmerzensgelds“, der durch eine Reihe dramatischer Ereignisse, die viele Todesopfer forderten,3 besonderer Auftrieb verliehen wurde.4 Hinzu trat der Umstand, dass Deutschland im Vergleich

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Gesetz vom 17.07.2017, BGBI. I. 2017, S. 2421. Die Regelung findet sich wortgleich auch in § 10 Abs. 3 StVG; § 5 Abs. 3 HaftPflG; § 7 Abs. 3 ProdHaftG; § 86 Abs. 3 AMG; § 32 Abs. 4 S. 5 und 6 GenTG; § 12 Abs. 3 UmweltHG; § 28 Abs. 3 AtG; § 35 Abs. 3 LuftVG. 3 Z.B. das ICE-Unglück von Eschede am 03.06.1998; der Absturz der Concorde am 25.07.2015; das Love-Parade-Unglück am 24.10.2010; der Absturz der Germanwings-Maschine am 24.03.2015; das Eisenbahnunglück von Bad Aibling am 09.02.2016 sowie das Busunglück auf der A9 in Oberfranken am 03.07.2017. 4 Das Angehörigenschmerzensgeld war Thema des Arbeitskreises I des 50. Verkehrsgerichtstags in Goslar 2012, https://deutscher-verkehrsgerichtstag.de/media//Editoren/Dokum entationen/50.%20Dokumentation%20VGT%202012.pdf (Stand: 27.07.2022); des 66. Deutschen Juristentags 2006 in Stuttgart (vgl. Wagner, Gutachten A zum 66. DJT 2006, S. 62 ff.); des 45. Deutschen Juristentags 1964 in Karlsruhe (vgl. Stoll, Gutachten zum 45. DJT 1964, Bd. I Teil 1, S. 145); vgl. ferner auch den Gesetzesentwurf des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz, abrufbar unter: https://www.justiz.bayern.de/media/pdf/gesetze/gesetzentwurf a ngehoerigenschmerzensgeld.pdf (Stand: 27.07.2022); siehe zur Entwicklung der rechtspolitischen Diskussion über die Einführung eines Angehörigenschmerzensgelds die Zusammenfassung bei Behr, Schmerzensgeld und Hinterbliebenengeld, S. 209 ff.; vgl. ferner auch Hoppenstedt/Stern, ZRP 2015, 18; für die Einführung eines Anspruchs auf Angehörigenschmerzensgeld sprachen sich u.a. aus: Ch. Huber, NZV 2012, 5 ff.; Jaeger/Luckey, Das neue Schadensersatzrecht, Rn. 79; Jeinsen, zfs 2008, 61, 63; Schwintowski/C. Schah Sedi/M. Schah Sedi, zfs 2012, 6; Staudinger, NJW 2006, 2433, 2435; ders., DAR 2012, 280, 282 ff.; Stürner, DAR 1986, 7, 11; Wagner, ZEuP 2015, 869, 883; Wenter, ZfSch 2012, 243 ff.; Wiese, Recht und Staat 294/295, S. 60; v. Gierke, Deutsches Privatrecht III, S. 970 Fn. 60; dagegen etwa: Diederichsen, DAR 2011, 122, 124; Dressler, DAR 1996, 81; Jansen, ZEuP 2001, 30, 60 f.; Katzenmeier, JZ 2002, 1029, 1034 f.; G. Müller, VersR 1995, 489, 494. 2

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A. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld – ein Novum in der Rechtsordnung

mit anderen EU-Staaten als rückständig galt,5 weil die deutsche Rechtsordnung eine Entschädigung Hinterbliebener für ihr seelisches Leid zuvor nicht vorsah.6 Ein eigener Schadensersatzanspruch wurde Angehörigen nur ausnahmsweise im Falle eines „Schockschadens“ gewährt,7 bei dem eine psychisch vermittelte Gesundheitsbeeinträchtigung angenommen wird, die bei einem Dritten durch die Verletzungshandlung beim Primärverletzten eingetreten ist.8 Das setzt jedoch voraus, dass die Beeinträchtigung beim Dritten echten Krankheitswert hat, d.h. ein pathologisch fassbarer Gesundheitsschaden i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB gegeben ist, der nach Art und Schwere über das hinausgeht, was Nahestehende in derartigen Fällen normalerweise an Beeinträchtigung erleiden.9 Die oft nicht leichten Nachteile für das Allgemeinbefinden, die erfahrungsgemäß mit einem tief empfundenen Trauerfall verbunden sind, konnten hingegen keine selbstständige Grundlage für einen Schadensersatzanspruch bilden.10 Gerade mit Blick auf die Entwicklung der Kommerzialisierung immaterieller Schäden sah man die strenge Handhabung der Gerichte jedoch zunehmend als wertungswidersprüchlich an, und es mehrten sich die Stimmen, welche die Einführung eines „Angehörigenschmerzensgelds“ forderten.11 Wenn sogar die entgangene Urlaubsfreude einen Ersatzanspruch auslöst12 oder auch der Nutzungsausfall eines Kfz,13 dann hinterlasse es einen schlechten Beigeschmack, wenn eine Entschädigung bei Verlust eines geliebten Menschen verwehrt werde.14

5 Über die Entwicklung des Angehörigenschmerzensgelds in Europa Janssen, ZRP 2003, 156 ff.; vgl. auch Burmann/Jahnke, NZV 2017, 401, 402; Hoppenstedt/Stern, ZRP 2015, 19; Kuhn, FS Jaeger, S. 345, 348; Wagner, FS Stürner, S. 231, 236 ff.; krit. Brand, Karlsruher Forum 2016, S. 76. 6 Anlässlich des Zweiten Schadensänderungsgesetzes zum 01.08.2002 hatte der Gesetzgeber die Einführung eines allgemeinen Angehörigenschmerzensgeldes noch ausdrücklich abgelehnt; vgl. hierzu G. Müller, DAR 2002, 540, 543; J. Neuner, JuS 2013, 577, 583; BTDrs. 18/11615, S. 1. 7 Vgl. BGH, NJW 1989, 2317; BGHZ 56, 163 = NJW 1971, 1883; siehe hierzu auch Grüneberg, Palandt BGB, Vorb v § 249 Rn. 40; Wagner, NJW 2017, 2641; BT-Drs. 18/11615, S. 6 f. 8 Wagner, MüKo BGB, § 823 Rn. 214; vgl. auch Katzenmeier, JZ 2017, 869, 871. 9 BGHZ 56, 163, 164 ff. = NJW 1971, 1883, 1884 f.; KG Berlin, NZV 2005, 315; kritisiert wurde an dieser Rechtsprechung u.a., dass hauptsächlich wohlhabende Personen in den Genuss der Zahlungen kämen, da diese eher einen Rechtsanwalt und einen Psychiater aufsuchten und die Trauer zu inszenieren verstünden, vgl. nur Ch. Huber, NZV 2012, 5, 10. 10 So noch ausdrücklich BGHZ 56, 163, 166 = NJW 1971, 1883, 1885. 11 Vgl. zur Schutzbedürftigkeit immaterieller Güter umfassend Schubert, Wiedergutmachung, S. 107 ff., 628 ff.; Jaeger/Luckey, Schmerzensgeld, 8. Aufl., Rn. 470; Jeinsen, zfs 2008, 61 ff.; Schwintowski/C. Schah Sedi/M. Schah Sedi, zfs 2012, 6 ff.; Staudinger, NJW 2006, 2433, 2435. 12 Vgl. § 651 f. Abs. 2 BGB. 13 Däubler, NJW 1999, 1611; Ch. Huber, NZV 2012, 5, 10; Jaeger/Luckey, Schmerzensgeld, 8. Aufl., Rn. 470. 14 Vgl. Ch. Huber, NZV 2012, 5, 10.

A. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld – ein Novum in der Rechtsordnung

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Im ersten Moment mag diese rechtspolitische Betrachtung einleuchtend klingen. Bei weiterer Überlegung und mit Blick auf die Grundstrukturen des deutschen Haftungsrechts wird jedoch deutlich, dass der Anspruch auf Hinterbliebenengeld der Systematik des deutschen Deliktsrechts nicht ohne Weiteres entspricht. Die neue Vorschrift bringt daher sowohl systematische und dogmatische Probleme mit sich als auch daran anschließend eine Reihe praktischer Anwendungsfragen, die es zu beantworten gilt. Die dogmatischen Bedenken gründen sich dabei vor allem darauf, dass in einer Rechtszuweisungsordnung die Gewährung eines Anspruchs als Schutzrecht zwingend die Verletzung einer zugewiesenen Rechtsposition voraussetzt.15 Welche subjektive Rechtsposition dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld zugrunde liegt, ist aufgrund der gegenständlichen Dreipersonenkonstellation jedoch nicht ohne Weiteres ersichtlich. Dies führt dazu, dass der neue Anspruch verbreitet als Ausnahmeregelung erachtet wird, die aus rechtspolitischen Gründen einen Bruch mit den herkömmlichen Grundsätzen erlaube und eine eigene Rechtsverletzung des Hinterbliebenen entbehrlich mache.16 Ob ein solcher Systembruch aber tatsächlich geboten ist und welche Folgen die Einführung des neuen Anspruchs auch an anderer Stelle in der Privatrechtsordnung mit sich bringt, bedarf einer näheren Untersuchung. Insofern hat der Gesetzgeber mit der Einführung des Hinterbliebenengelds zwar der Diskussion um die Notwendigkeit einer Entschädigung für Trauerleid ein Ende bereitet. Geblieben ist indessen die Frage nach der Einordnung des neuen Anspruchs in das bisherige Gefüge des Haftungsrechts.17 In dieser Arbeit soll daher untersucht werden, wie sich der zum Teil als „Fremdkörper“18 bezeichnete Anspruch auf Hinterbliebenengeld in die Systematik der Zivilrechtsordnung als Rechtszuweisungsordnung eingliedert. Zudem sollen Antworten auf die Fragen gefunden werden, die sich in der praktischen Rechtsanwendung stellen. So ist einerseits unklar, warum nicht auch ein vertraglicher Anspruch auf Hinterbliebenengeld gewährt wird19 oder warum eine schwere Verletzung der nahestehenden Person zur Anspruchsbegründung de lege lata nicht ausreicht20. Andererseits lassen sich etwa auch das Verhältnis von Schockschadensersatz und Hinterbliebenengeld zueinander21 sowie weitere An15 So in Zusammenhang mit dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld auch Köndgen, Karlsruher Forum 2016, S. 90. 16 Vgl. etwa Balke, SVR 2018, 207; O. Becker, JA 2020, 96; Diederichsen, DAR 2011, 122; Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 26; ders., VersR 2020, 385; Katzenmeier, JZ 2017, 869, 871; Walter, MedR 2018, 213. 17 So auch Köndgen, Karlsruher Forum 2016, S. 89. 18 So etwa Katzenmeier, JZ 2017, 869, 871; ders., JZ 2002, 1029, 1035; G. Müller, Karlsruher Forum 2016, S. 82; dies., VersR 2017, 322; Steffen, FS Odersky, S. 723, 730: a.A. Wagner, MüKo BGB, § 844 Rn. 97; ders., NJW 2017, 2641, 2642, der den Anspruch für „nicht systemwidrig, sondern konsequent und rechtspolitisch überzeugend“ hält; ähnlich auch Ch. Huber, JuS 2018, 744, 745. 19 Siehe hierzu: Kap. 2, A.I. 20 Siehe hierzu: Kap. 2, A. II. 21 Siehe hierzu: Kap. 2, B.III.1.

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A. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld – ein Novum in der Rechtsordnung

spruchskonkurrenzen22, die Frage nach versicherungsrechtlichen Einstandspflichten23 oder auch die Frage nach der Übertrag- und Vererbarkeit der Forderung aus dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld24 erst mit Gewissheit über Art und Inhalt der geschützten Rechtsposition klären.25 Ziel dieser Arbeit ist es daher, einen Beitrag zum besseren dogmatischen Verständnis des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld zu leisten (1. Kapitel), um so aufkommende praktische Probleme auf einem dogmatisch schlüssigen Fundament lösen zu können (2. Kapitel). Zum besseren Verständnis der Regelung soll zuvor jedoch noch ein näherer Blick auf die Entstehungsgeschichte des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld und die rechtspolitischen Argumente für dessen Einführung geworfen werden.

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Siehe hierzu: Kap. 2, B.III.2 f. Siehe hierzu: Kap. 2, B.III.4. 24 Siehe hierzu: Kap. 2, B.III.3. 25 Vgl. zu den Auswirkungen allgemein auch Köndgen, Karlsruher Forum 2016, S. 89 f. 23

B. Hintergrund: Die Entstehungsgeschichte des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld I. Die Gesetzeslage vor Einführung des Hinterbliebenengelds Vor Einführung des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld galt der Tod eines nahen Angehörigen als Schicksalsschlag, und die hierdurch verursachte Trauer und das seelische Leid waren weitgehend entschädigungslos hinzunehmen.1 Grund hierfür war der Umstand, dass der historische Gesetzgeber es als anstößig und zudem wenig praktikabel erachtete, einen Nichtvermögensschaden in Geld aufwiegen zu lassen2 und das BGB bei seinem Inkrafttreten dem Ersatz dieser Schäden daher mit starker Zurückhaltung gegenüberstand.3 Die eng gezogenen Grenzen für Ersatzansprüche bei immateriellen Einbußen lockerten sich im Laufe der Zeit zwar ein Stück weit.4 Jedoch sind immaterielle Schäden auch heute noch lediglich ausnahmsweise, in ausdrücklich vom Gesetz angeordneten Fällen, zu ersetzen.5

1. Der Ausnahmecharakter immateriellen Schadensersatzes Im Grundsatz gilt im BGB ein umfassender Schadensbegriff.6 Ein Schaden ist demnach jede unfreiwillige Einbuße, die jemand aufgrund eines Ereignisses an rechtlich anerkannten Rechtsgütern und Interessen erleidet.7 Von diesem natürlichen Schadensbegriff werden daher sowohl Vermögenseinbußen als auch

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Vgl. BT-Drs. 18/11397, S. 8. Vgl. Protokolle II, S. 1247 = Mugdan II, S. 517; Jaeger/Luckey, Schmerzensgeld, Rn. 547. Siehe zu den Erwägungen des Gesetzgebers in diesem Zusammenhang auch sogleich ausführlich unter: Einführung, B.I.2. 3 Schubert, Wiedergutmachung, S. 1. Eine Ausnahme bildeten lediglich jene Ansprüche, die bereits lange Zeit in der Rechtspraxis verwurzelt waren und bereits im Partikularrecht des 19. Jahrhunderts anerkannt waren. Hierzu zählten insbesondere das in § 847 Abs. 1 BGB a.F. kodifizierte „Schmerzensgeld“ sowie das in § 1300 BGB a.F. geregelte Kranzgeld, vgl. Motive II, S. 800 f. = Mugdan II, S. 446 f.; vgl. auch Odersky, Schmerzensgeld, S. 11. 4 Diederichsen, DAR 2011, 122. 5 Für die anschließende Entwicklung des immateriellen Schadensersatzes siehe Schubert, Wiedergutmachung, S. 1 ff. 6 Pflüger, Schmerzensgeld, S. 11; Wagner, Gutachten A zum 66. DJT 2006, S. 12. 7 Eckert, Schuldrecht AT, Rn. 884; Wagner, Gutachten A zum 66. DJT 2006, S. 13; vgl. zum Schadensbegriff auch R. Neuner, AcP 133 (1931), 277. 2

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B. Hintergrund: Die Entstehungsgeschichte des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld

Nichtvermögenseinbußen erfasst.8 Körperliche Schmerzen, Beeinträchtigungen des körperlichen und seelischen Wohlbefindens, aber auch Beeinträchtigungen der Lebensfreude oder des Freizeitgenusses zählen als immaterielle Einbußen zu den Nichtvermögensschäden.9 Hinsichtlich der Naturalrestitution gem. § 249 Abs. 1 BGB differenziert das Gesetz daher nicht zwischen materiellen und immateriellen Schäden.10 Die Unterscheidung der beiden Schadensarten wird jedoch im Rahmen der Schadenskompensation in Geld deutlich.11 Während Ersatz für einen materiellen Schaden regelmäßig auch in Geld gefordert werden kann,12 ist eine Geldentschädigung wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, nur in den durch das Gesetz bestimmten Fällen vorgesehen; § 253 Abs. 1 BGB.13 § 253 Abs. 1 BGB beschränkt somit eine Entschädigung in Geld, die gem. § 251 Abs. 1 BGB dann vorgesehen ist, wenn eine Naturalrestitution nicht möglich ist, für Nichtvermögensschäden.14 Im Grundsatz sind daher nur Vermögensschäden in Geld zu ersetzen, während immaterielle Schäden, auch wenn diese aufgrund der Verwirklichung eines gesetzlichen Tatbestands entstanden sind, nur ausnahmsweise in den gesetzlich vorgesehenen Fällen zu kompensieren sind. Neben den in § 253 Abs. 2 BGB genannten ersatzfähigen immateriellen Schadensarten existiert heute zudem ein von der Rechtsprechung entwickelter, allgemein anerkannter Entschädigungsanspruch gem. § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG für immaterielle Schäden wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.15

2. Die Erwägungen der Gesetzesverfasser hinsichtlich immaterieller Schäden Die beschriebene gesetzgeberische „Regel-Ausnahme-Entscheidung“ geht auf Erwägungen des historischen Gesetzgebers zurück. Einerseits waren sich die Gesetzesverfasser bereits bei Inkrafttreten des BGB der Inkommensurabilität im-

8 Eckert, Schuldrecht AT, Rn. 886; Pflüger, Schmerzensgeld, S. 11; Wagner, Gutachten A zum 66. DJT 2006, S. 12; a.A. noch Mommsen, Zur Lehre von dem Interesse, § 1 S. 3 ff., der die Pflicht zum Schadensersatz auf Vermögensschäden beschränkt sah. 9 Pflüger, Schmerzensgeld, S. 11; vgl. auch Schiemann, Staudinger BGB, Vorbem zu § 249 Rn. 46, § 253 Rn. 13. 10 Schubert, Wiedergutmachung, S. 12. 11 Schubert, Wiedergutmachung, S. 12. 12 Zwar ist der Geldersatz nach der Regelung des § 249 BGB eigentlich die Ausnahme; in der Praxis hat sich das Regel-Ausnahmeverhältnis jedoch umgekehrt, weshalb ein Schaden zumeist durch Geldleistung ausgeglichen wird, vgl. Oetker, MüKo BGB, § 249 Rn. 320. 13 Nichtvermögensschäden sind seit dem am 01.08.2002 in Kraft getretenen 2. Schadensersatzrechtsänderungsgesetz nicht mehr in § 847 BGB a.F., sondern in § 253 BGB geregelt. 14 Schiemann, Staudinger BGB, § 253 Rn. 1. 15 BGHZ 13, 334 = NJW 1954, 1404; BGHZ 26, 349 = NJW 1958, 827; BGH, NJW 1996, 984, 985 – Caroline; BGH, NJW 1991, 1532 f.; BGHZ 160, 298, 300 = NJW 2005, 215, 216; BGHZ 215, 117 = NJW 2017, 3004; BVerfGE 34, 269 ff. = NJW 1973, 1221 ff.

I. Die Gesetzeslage vor Einführung des Hinterbliebenengelds

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materieller Schäden bewusst, so dass sie sich, um die „Rechenbarkeit“16 des Schadensrechts in größtmöglichem Umfang zu wahren, im Kern gegen ein Schätzungsermessen des Richters bei immateriellen Schäden entschieden.17 Denn eine allgemeine richterliche „Souveränität“ bei der Schadensbemessung sei durch den Revisionsrichter kaum überprüfbar, weshalb diese als höchst bedenklich eingestuft wurde.18 Zum anderen verwies man auf die Vorschriften im StGB über die Buße19 und darauf, dass es dem modernen deutschen Rechts- und Sittlichkeitsbewusstsein widerspreche, einen ideellen Schaden in Geld aufzuwiegen20. Aus einer Entschädigung in Geld, insbesondere für Persönlichkeitsverletzungen, „würden nur die schlechten Elemente Vorteil ziehen, Gewinnsucht, Eigennutz und Begehrlichkeit würden gesteigert und aus unlauteren Motiven zahlreiche schikanöse Prozesse angestrengt werden“.21 Diese Gründe des historischen Gesetzgebers gelten heute jedoch weitgehend als überholt. Die Buße nach § 188 StGB a.F. als alternative Lösung ist längst abgeschafft,22 und für den wichtigsten Fall immateriellen Schadensersatzes – dem sogenannten „Schmerzensgeld“ für Beeinträchtigungen der Rechtsgüter Körper, Gesundheit, Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung – sieht § 253 Abs. 2 BGB die Möglichkeit einer billigen Entschädigung vor.23 Für die meisten anderen immateriellen Schäden hat der Gesetzgeber aber weiterhin an dem prinzipiellen Ausschluss einer Ersatzfähigkeit festgehalten. Sofern das Gesetz nicht ausdrücklich eine abweichende Regelung enthält, ist der Ersatz eines Nichtvermögensschadens daher ausgeschlossen.24 Dies gilt auch für Entschädigungsansprüche bei 16

Brand, BeckOGK BGB, 01.08.2020, § 253 Rn. 4. Motive II, S. 22 f. = Mugdan II, S. 12; Schiemann, Staudinger BGB, § 253 Rn. 1. 18 Motive II, S. 22 f. = Mugdan II, S. 12; Odersky, Schmerzensgeld, S. 11; Schiemann, Staudinger BGB, § 253 Rn. 1. 19 Motive II, S. 23 = Mugdan II, S. 12. 20 Protokolle II, S. 1247 = Mugdan II, S. 517; vgl. auch Diederichsen, DAR 2011, 122. Insofern folgte man im Grunde einem Gedanken Kants, der formulierte: „Im Reiche der Zwecke hat alles entweder einen Preis oder eine Würde. Was einen Preis hat, an dessen Stelle kann auch etwas anderes als Äquivalent gesetzt werden; was dagegen über allen Preis erhaben ist, das hat eine Würde.“, zitiert nach Medicus, ZGS 2006, 203, 204; Katzenmeier, Stellungnahme zum Gesetzesentwurf BT-Drs. 18/11397, S. 2, abrufbar unter: https://www.bundestag. de/resource/blob/504384/37362a756dc16528c77a675cde4b430d/katzenmeier-data.pdf (Stand: 27.07.2022). 21 Protokolle II, S. 1247 = Mugdan II, S. 517; Schiemann, Staudinger BGB, § 253 Rn. 1; vgl. auch Diederichsen, DAR 2011, 122; Katzenmeier, JZ 2002, 1029, 1030. 22 Schiemann, Staudinger BGB, § 253 Rn. 1. 23 Schiemann, Staudinger BGB, § 253 Rn. 2 f. § 253 Abs. 2 BGB entspricht weitgehend § 847 Abs. 2 a.F. Ein grundlegender Unterschied ergibt sich jedoch daraus, dass durch die Platzierung in § 253 BGB nunmehr auch vertragliche Ersatzansprüche oder Ansprüche wegen Verwirklichung mancher Gefährdungshaftungstatbestände auf immaterielle Schäden gerichtet sein können. 24 Zur Entwicklung der Kommerzialisierung immaterieller Güter und ihrer Ersatzfähigkeit als Grenzfall zum immateriellen Schadensersatz siehe sogleich unter: Einführung, B.II.1.b). 17

10 B. Hintergrund: Die Entstehungsgeschichte des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld Verletzungen des Lebens, welches zwar in § 823 Abs. 1 BGB, nicht jedoch in § 253 Abs. 2 BGB aufgeführt ist.25

II. Rechtspolitische Gründe für die Einführung des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld Die Einführung des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld, welche die Ersatzfähigkeit eines weiteren immateriellen Schadens mit sich bringt, beruht insbesondere auf rechtspolitischen Erwägungen. Einerseits empfand man die Rechtsordnung aus verschiedenen Gründen als wertungswidersprüchlich (1.), was gerade mit Blick auf die dramatischen Ereignisse mit vielen Todesopfern in der Vergangenheit deutlich werde (2.). Zum anderen zeigt auch der Blick in andere EU-Staaten, dass Deutschland in dieser Hinsicht eine gewisse Außenseiterrolle zukam (3.).

1. Wertungswidersprüche a) Der Wegfall des Rechtssubjekts bei Tötung und die daraus resultierende Haftungslücke Bis zur Einführung des Hinterbliebenengelds sah das Gesetz also keine ausdrückliche Regelung einer Geldentschädigung für seelisches Leid bei Verlust einer nahestehenden Person vor. Aber auch sonst schienen der Gewährung eines „Trauerschmerzensgelds“ zwei Grundprinzipien des nationalen Haftungsrechts entgegenzustehen: zum einen das im Deliktsrecht geltende Tatbestandsprinzip, das eine Haftung auf Rechtsgutsverletzungen begrenzt und damit eine Haftung für Schäden des bloß mittelbar Geschädigten ausschließt,26 und zum anderen die bereits beschriebene Beschränkung der Geldentschädigung für immaterielle Schäden.27 Bei konsequenter Anwendung dieser beiden Haftungsgrundsätze führte der Wegfall der Rechtsfähigkeit des in seinem Rechtsgut Leben verletzten Getöteten im Vergleich zu anderen Schadensfällen zu einer Haftungslücke.28 Der Widerspruch, der dadurch aufzutreten schien, dass Angehörige nur im Falle eines vor dem Tod entstandenen Schmerzensgeldanspruchs des Primäropfers aufgrund einer Körperverletzung etwas erben würden, während die noch dramatischere Lebensverletzung zugunsten des Schädigers nahezu folgenlos bliebe, führte unter anderem dazu, dass das Verlangen nach einer gesetzlichen Regelung lauter wurde.29

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Jaeger/Luckey, Schmerzensgeld, Rn. 547. Siehe zu den Grundlagen des deutschen Haftungsrechts ausführlich: Kap. 1, B.I.1. 27 Vgl. hierzu auch Schramm, Haftung für Tötung, S. 16. 28 Vgl. hierzu auch O. Becker, JA 2020, 96; Schramm, Haftung für Tötung, S. 16. 29 Siehe nur Stoll, Haftungsfolgen, S. 359 f.; Stahmer, Nichtvermögensschäden bei Tötung, S. 187; Wagner, Karlsruher Forum 2016, S. 99. 26

II. Rechtspolitische Gründe für die Einführung des Hinterbliebenengelds

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Besonders von Seiten der ökonomischen Analyse des Rechts wurde zudem vorgebracht, es stelle sich als nur schwer erträglicher Wertungswiderspruch heraus, dass die Verletzung des höchsten Rechtsguts Leben schadensrechtlich im Wesentlichen als Verlust der Unterhaltsquelle qualifiziert werde.30 Der Wert, den das familiäre Umfeld des Verstorbenen seinem Leben beimesse, würde so vom geltenden Recht nicht erfasst.31 Insbesondere unter Bezugnahme auf eine Präventions- und Steuerungsfunktion des Privatrechts sei es nicht nachvollziehbar, dass der Schädiger im Falle der Verletzung einer Person enorme Geldsummen zahlen muss, im Falle der Tötung aber keine „Sanktion“ gegeben sei.32 Dies könne in mancher Ausnahmesituation sogar zu einem Mordanreiz führen.33 Da diese Umstände nicht weiter hingenommen werden könnten, sei es Aufgabe der Rechtsordnung, einen Anreiz für sorgfältiges Verhalten zu setzen, wozu auch die Verpflichtung zur Zahlung eines Hinterbliebenengelds diene.34 Zudem sei ein Anspruch auf Hinterbliebenengeld volkswirtschaftlich deshalb sinnvoll, weil Angehörige ihre Mühen für den Zuspruch einer Entschädigung im Rahmen der Schockschadenrechtsprechung nicht mehr in den Nachweis einer Krankheit investieren müssten.35 Denn Ersatz für sein Leid bekomme dann nicht mehr nur „der wohlsituierte Bürger, der sich auf die Couch des Psychiaters legt, durch seelische Wellnesseinrichtungen tingelt und Psychopharmaka schluckt“,36 sondern auch der weniger gut aufgestellte Hinterbliebene, der ebenso trauert, derartige Therapien aber deshalb nicht in Anspruch nimmt, „weil er alle Hände voll zu tun hat“,37 oder sich einen Rechtsanwalt nicht leisten kann.38 Auch insofern, so meinte man, stünde der oftmals als kalt empfundenen Rechtsordnung eine „solche Geste“ gut an.39 30 Vgl. Adams, Ökonomische Analyse, S. 174 ff.; Merten, Bewertung des menschlichen Lebens, S. 101 f.; Schäfer/Ott, ökonomische Analyse, S. 410 ff.; kritisch hingegen Wagner, Gutachten A zum 66. DJT 2006, S. 61 f., der in diesem Zusammenhang noch auf das Strafrecht verwies. 31 Merten, Bewertung des menschlichen Lebens, S. 102, 261. 32 Vgl. Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 62; Stahmer, Nichtvermögensschäden bei Tötung, S. 187 ff. 33 Merten, Bewertung des menschlichen Lebens, S. 102. 34 Merten, Bewertung des menschlichen Lebens, S. 261; Kötz/Wagner, Deliktsrecht, Rn. 740; in diesem Sinn wohl auch v. Mayenburg, VersR 2002, 278, 282; Schäfer/Ott, ökonomische Analyse, S. 410 ff.; konsequenterweise müsste dann eigentlich eine Zahlungspflicht des Schädigers unabhängig davon entstehen, ob ein Getöteter Hinterbliebene hinterlässt oder nicht – denn das Interesse, welches eine Person an der Verhütung ihres Todes hat, besteht unabhängig von ihrer sozialen Situation, siehe hierzu Stahmer, Nichtvermögensschäden bei Tötung, S. 217. 35 Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 32; Kadner Graziano, RIW 2015, 549, 553. 36 So Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 32 mit Verweis auf OLG Köln, Urteil v. 18.12.2006 – 16 U 40/60 –, juris. 37 So Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 32 mit Verweis auf OLG Naumburg, NJW-RR 2005, 900. 38 Ch. Huber, NZV 2012, 5, 10. 39 Hoppenstedt/Stern, ZRP 2015, 18, 21.

12 B. Hintergrund: Die Entstehungsgeschichte des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld b) Kommerzialisierung immaterieller Güter Der restriktive Ansatz des Gesetzgebers sah sich jedoch auch aus weiteren Gründen starker Kritik ausgesetzt. Denn anders als früher ist die Schutzbedürftigkeit immaterieller Güter heute weitgehend anerkannt.40 Zudem führte die fortschreitende Kommerzialisierung dazu, dass Geldentschädigungen für Einbußen geleistet werden, deren Grenzen zu immateriellen Schäden verschwimmen. Nach der Rechtsprechung ist es für die Annahme eines Vermögensschadens heute ausreichend, dass „[...] ein Lebensgut im Verkehr in gewisser Weise ,kommerzialisiert‘ ist, d.h. durch entsprechende Vermögensaufwendungen ,erkauft‘ werden kann [...]“,41 weshalb unter „Kommerzialisierung“ heute die Käuflichkeit eines (immateriellen) Gutes zu Marktpreisen verstanden wird.42 Dies führt dazu, dass beispielsweise der Genuss eines Badeurlaubs43 oder einer Seereise,44 aber auch die Möglichkeit des Gebrauchs eines eigenen Kraftfahrzeugs45 als käufliche Güter eingeordnet werden und deren Ausfall im Haftungsfall daher als materieller Schaden nach den allgemeinen Vorschriften zu ersetzen ist.46 Dass hier die Konturen zwischen eigentlich nicht vorgesehenem Ersatz für immaterielle Schäden und ersatzfähigen Vermögensschäden verschwimmen,47 liegt auf der Hand und wird zudem auch daran deutlich, dass der Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung wegen entgangener Nutzung des eigenen Pkw sogar innerhalb der Richterschaft des Bundesgerichtshofs (BGH) als „Grenzfall zum immateriellen Schadensersatz“48 bezeichnet wurde.49 Nun kann bezüglich der Trauer in Folge des Todesfalls eines nahen Angehörigen nicht von einem Marktwert der Trauer und infolgedessen auch nicht von einer Kommerzialisierung des seelischen Leids ausgegangen werden.50 Die be-

40 Jaeger/Luckey, Schmerzensgeld, Rn. 547; vgl. auch Katzenmeier, Stellungnahme zum Gesetzesentwurf BT-Drs. 18/11397, S. 2, abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource/ blob/504384/37362a756dc16528c77a675cde4b430d/katzenmeier-data.pdf, (Stand: 27.07. 2022). 41 BGHZ 63, 98 = NJW 1975, 40; vgl. auch Oetker, MüKo BGB, § 249 Rn. 41 ff. 42 Vgl. hierzu grundlegend Grunsky, Begriff des Vermögensschadens, S. 34 ff., insbes. S. 36; Eckert, Schuldrecht AT, Rn. 893; Wagner, Gutachten A zum 66. DJT 2006, S. 24 f. 43 BGHZ 63, 98 = NJW 1975, 40. 44 BGH, NJW 1956, 1234. 45 BGHZ 40, 345 = NJW 1964, 542. 46 Vgl. hierzu Wagner, Gutachten A zum 66. DJT 2006, S. 24 f. 47 So Odersky, Schmerzensgeld, S. 11; vgl. hierzu auch Ströfer, Kommerzialisierung, S. 65 ff. m.w.N. 48 So die Richterin am BGH (6. Zivilsenat) Diederichsen, in: DAR 2011, 122. 49 Jaeger/Luckey, Schmerzensgeld, Rn. 547. 50 In diese Richtung aber wohlgemerkt die Stellungnahme des Deutschen Richterbundes Nr. 4/17 vom Jahr 2017, die bereits in ihrem Tenor (Abschnitt A) von einer „Kommerzialisierung persönlicher Schicksalsschläge“ spricht, abrufbar unter: https://www.bundestag.de/r esource/blob/503280/5dfcf8877b4637da47bbff2f2772e21b/drv jost-data.pdf (Stand: 27.07. 2022).

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schriebene Entwicklung führte aber dazu, dass es in der Literatur vermehrt als untragbarer Wertungswiderspruch empfunden wurde, dass die Verzweiflung und Leere, die bei den Hinterbliebenen im Falle eines Unfalltods eines geliebten Menschen entsteht, entschädigungslos hingenommen werden musste, während der Verzicht auf den Urlaub oder den Pkw entschädigungsfähig sein soll.51 Auch diese Wertung der Rechtsordnung erwecke daher den Eindruck, „dass umso eher finanzielle Kompensation geschuldet [werde], je banaler die Rechtsverletzung [sei].“52 Auch zur Schließung dieser untragbaren „Gerechtigkeitslücke“ sei daher die Einführung eines „Angehörigenschmerzensgelds“ dringend erforderlich.53

2. Unglücksfälle Dieser soeben beschriebene und verbreitet als ungerecht empfundene Zustand geriet mehr noch in die Kritik und damit in den Fokus der Diskussion, als sich eine Reihe dramatischer Unglücksfälle ereignete, die viele Todesopfer forderten und eine hohe Präsenz in den Medien erfuhren. Bereits nach dem Absturz der Concorde am 25. Juli 2000 wies Schmid darauf hin, wie veraltet das deutsche Schadensersatzrecht sei.54 Da die Opfer des Flugzeugabsturzes größtenteils bereits fortgeschrittenen Alters waren und daher nur wenige unterhaltsberechtigte Kinder hinterließen, die ihre Einbußen nach § 844 Abs. 2 BGB ersetzt verlangen könnten, sei nach der Wertung des deutschen Rechts nahezu kein ersatzfähiger Schaden entstanden.55 Geradezu polemisch war deshalb auch von einer „Tötung zum Nulltarif“56 die Rede, sofern man von den vergleichsweise trivialen Beerdigungskosten absähe, die nach § 844 Abs. 1 BGB geschuldet waren.57 Abgesehen von den juristischen Stimmen, die sich für die Einführung eines „Angehörigenschmerzensgelds“ stark machten, zeigten aber auch weite Teile in der Bevölkerung wenig Verständnis dafür, dass enge Familienmitglieder ihr seelisches Trauerleid entschädigungslos hinzunehmen hatten.58

51 Vgl. v. Bar, FS Deutsch, S. 27, 43; Hoppenstedt/Stern, ZRP 2015, 18, 20; Ch. Huber, NZV 2012, 5, 10; Odersky, Schmerzensgeld, S. 11; Vorndran, ZRP 1988, 293, 294. 52 Hoppenstedt/Stern, ZRP 2015, 18, 20. 53 In diese Richtung etwa J. Neuner, JuS 2013, 577, 583; Wiedemann/Spelsberg-Korspeter, NZV 2012, 471. 54 Schmid, VersR 2002, 26, 28 f. 55 Im Vergleichswege wurde letztlich dennoch die Mehrzahl der Hinterbliebenen entschädigt, da durch den angesteuerten Zielflughafen New York ein sog. „American-RiskFaktor“ ins Feld geführt werden konnte. Hierdurch konnte eine Haftungssumme erreicht werden, die über den europäischen Haftungsbeiträgen liegt und für die in Deutschland gar keine Anspruchsgrundlage besteht. Siehe hierzu Jaeger/Luckey, Schmerzensgeld, Rn. 549; Schmid, VersR 2002, 26, 29. 56 Diederichsen, DAR 2011, 122, 124. 57 Wagner, JZ 2004, 319, 325. Eine solche Sichtweise lässt die Sanktionsfunktion im Strafrecht freilich unberücksichtigt, vgl. Röthel, Staudinger BGB, § 844 Rn. 2. 58 Jaeger/Luckey, Schmerzensgeld, Rn. 549.

14 B. Hintergrund: Die Entstehungsgeschichte des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld Vertreter der Ansicht, dass dieser Zustand so nicht hinnehmbar sei und das dringende Bedürfnis bestehe, den Angehörigen auch bei einem Unfalltod eine Entschädigung zu gewähren, sahen sich zudem durch die freiwilligen Zahlungen einiger größerer Unternehmen nach schrecklichen Unglücken bestärkt. So zahlte beispielsweise die Deutsche Bahn AG den Erben der Opfer des ICE-Unglücks von Eschede, unter Betonung der Freiwilligkeit, je 30.000 Euro.59 Auch die Lufthansa AG bot den Angehörigen der Opfer des Flugzeugabsturzes der Germanwings-Maschine in den französischen Alpen im März 2015 neben der materiellen Entschädigung auch ein pauschales Schmerzensgeld i.H.v. 25.000 Euro an. Zwar wurde dieses von den Hinterbliebenen der Höhe nach als gänzlich unzureichend abgelehnt.60 Allein aufgrund solcher Angebote und Zahlungen schlussfolgerte man jedoch, dass ein generelles Bedürfnis für einen solchen Anspruch nicht von der Hand zu weisen sei und der Gesetzgeber daher dringend tätig werden müsse.61

3. Der Blick über die Grenzen und die Harmonisierung der Rechtsordnungen Im Gegensatz zu Deutschland kannten die Rechtsordnungen anderer europäischer Länder schon lange einen Anspruch für eine immaterielle Entschädigung beim Tod eines nahen Angehörigen.62 So gehört eine solche Regelung u.a. in Belgien, England, Frankreich, Griechenland, Luxemburg, Italien, Spanien und der Schweiz schon länger zum Standard.63 Aber auch in Schweden64 und Österreich65 erkannten die Gerichte bereits um die Jahrtausendwende einen Entschädigungsanspruch für Trauerschäden infolge des Todes nahestehender Personen an.66 Zwar sind die gesetzlichen Regelungen dieser Staaten keinesfalls einheitlich,67 jedoch führte der europaweite Vergleich dazu, dass man Deutschland vor-

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Schmid, VersR 2002, 26, 28; Jaeger/Luckey, Das neue Schadensersatzrecht, Rn. 79. Jaeger/Luckey, Schmerzensgeld, Rn. 553. 61 Jaeger/Luckey, Schmerzensgeld, Rn. 551. 62 Luckey, SVR 2012, 1. 63 Siehe die Länderberichte bei Kadner Graziano, IPRax 2006, 307, 308 ff.; Luckey, FS Ch. Huber, S. 351, 352. Zur Rechtslage in Italien siehe zudem die umfassende, rechtvergleichende Arbeit von Behr, Schmerzensgeld und Hinterbliebenengeld, S. 1 ff. et passim. Für einen internationalen Vergleich siehe die Tabelle von Karl-Heinz Danzl, abgedruckt bei Karner, FS Danzl, S. 87, 91, die auch Länder wie Brasilien, Südkorea oder China als Länder ausweist, in denen ein „Trauerschmerzensgeld“ anerkannt ist. 64 Entscheidung des Högsta Domstolen v. 17.10.2000, in: Nytt Jurisdisk Arkiv 2000, 521 – zitiert nach Klinger, NZV 2005, 290 Fn. 5; Janssen, ZRP 2003, 156, 158; Kadner, Graziano, ZEuP 2002, 834, 849. 65 Österr. OGH, Urteil v. 16.05.2001 – 2 Ob 84/01v = NZV 2002, 26; Janssen, ZRP 2003, 156, 169; Kadner Graziano, ZEuP 2002, 834, 840 ff. 66 Behr, Schmerzensgeld und Hinterbliebenengeld, S. 210 f. 67 Vgl. Backu, DAR 2001, 587 ff.; Jaeger/Luckey, Schmerzensgeld, Rn. 547; kritisch daher auch Katzenmeier, JZ 2017, 869, 873. 60

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warf, den Anschluss an die internationale Entwicklung verpasst zu haben,68 und der Bundesrepublik daher eine Außenseiterstellung zukomme.69 Dieser Zustand führe beispielsweise dazu, dass im Straßenverkehr die Frage nach der Ersatzfähigkeit eines Trauerschadens davon abhänge, auf welcher Seite der Grenze sich der tödliche Unfall ereignete,70 was insbesondere bei ausländischen Unfallbeteiligten zu Unverständnis führen könne.71 Letztlich sprach für die Einführung des Hinterbliebenengelds in Deutschland auch eine Empfehlung des Ministerkomitees des Europarats,72 welcher bereits in den Grundsätzen 13 und 19 des Beschlusses (75) 7 vom 14. März 1975 zur Harmonisierung der Rechtsordnungen eine Entschädigung für Angehörige im Falle der Körperverletzung oder Tötung ihrer Angehörigen empfahl.73 Zudem forderte auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) wiederholt, die nationalen Rechtsordnungen müssten gem. Art. 13 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) nahen Angehörigen eines Getöteten jedenfalls bei einer möglichen staatlichen Mitverantwortung für den Todesfall einen zivilrechtlichen Geldanspruch einräumen.74 Insofern war nicht von der Hand zu weisen, dass die Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld jedenfalls einen kleinen Beitrag zur Harmonisierung der innereuropäischen Rechtsordnungen leisten würde.75

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So ausdrücklich Janssen, ZRP 2003, 156, 159. Vgl. Brand, FS Jaeger, S. 191, 198; Frank, FS Stoll 2001, S. 143, 156; Hacks, NJW 1975, 1450, 1452; Ch. Huber, NZV 2012, 5 f.; Jaeger/Luckey, Schmerzensgeld, S. 141; Janssen, ZRP 2003, 156, 159; Kadner Graziano, RIW 2015, 549; Klinger, NZV 2005, 290 f.; Lieberwirth, DAR 1966, 179, 181; Luckey, FS Ch. Huber, S. 351, 353; Odersky, Schmerzensgeld, S. 21; Scheffen, NZV 1995, 218 f.; Schips, Schmerzensgeld, S. 141; Schwintowski/C. Schah Sedi/M. Schah Sedi, zfs 2012, 6; Stoll, Haftungsfolgen, S. 359 f., 362; Schubert, Karlsruher Forum 2016, S. 30 m.w.N. in Fn. 141; Wagner, Gutachten A zum 66. DJT 2006, S. 63 f. 70 Hoppenstedt/Stern, ZRP 2015, 18, 20; Wiedemann/Spelsberg-Korspeter, NZV 2012, 471; zur Problematik grenzüberschreitender Unfälle in diesem Zusammenhang siehe Kuhn, SVR 2012, 288. 71 Kuhn, SVR 2012, 288, 289. Dieses Unverständnis wurde zudem besonders deutlich am Falle der 21-jährigen Studentin Giulia Minola, die bei der Love Parade 2010 in Duisburg zu Tode kam. So hätte nach Ansicht der Mutter die deutsche Haftpflichtversicherung besser gänzlich von einem Schadensersatz absehen sollen, anstatt ihr ein nach italienischem Verständnis lächerliches Angebot von 2.000 Euro zu machen und sie auf diese Weise neben ihrem Leid auch noch zu verhöhnen. Siehe hierzu Wenter, zfs 2012, 243, 248; Behr, Schmerzensgeld und Hinterbliebenengeld, S. 2. 72 Vgl. Scheffen, NZV 1995, 218. 73 Entschließung (75) 7 des Ministerkomitees des Europarats vom 14.03.1975, Bekanntmachung vom 05.02.1976, BGBl. 1976 II, S. 323, 325. 74 BT-Drs. 18/11397, S. 8, 14 mit Verweis auf EGMR, Urteil v. 17.03.2005, Bubbins ./. Großbritannien, Nr. 50196/99, Rn. 166 ff.; EGMR, Urteil v. 03.04.2001, Keenan ./. Großbritannien, Nr. 27229/95, Rn. 125 ff.; § 844 Abs. 3 BGB findet auch auf Amtshaftungsansprüche gem. § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG Anwendung, BT-Drs. 11/397, S. 7. 75 Kritisch hingegen Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 34, der den Gesetzgeber besonders für seine Begriffswahl „Hinterbliebenengeld“ kritisiert. Hiermit sei dasselbe Phänomen 69

16 B. Hintergrund: Die Entstehungsgeschichte des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld

III. Gesetzgebungsverfahren All diese Erwägungen führten schließlich dazu, dass sich auch die Politik aufgefordert sah, tätig zu werden. Insbesondere nach dem Absturz der GermanwingsMaschine am 24. März 2015 verstärkte sich die Forderung nach einer gesetzlichen Regelung erneut, und es zeichnete sich ab, dass ein Anspruch auf „Angehörigenschmerzensgeld“ Ende 2015, wie bereits im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD vom 16. Dezember 2013 vereinbart,76 ins Gesetzgebungsverfahren gehen sollte.77 Der sodann von der Fraktion der CDU/CSU und SPD eingebrachte Gesetzesentwurf wurde am 18. Mai 2017 einstimmig im Deutschen Bundestag angenommen.78 Durch das Gesetz zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld vom 17. Juli 2017, welches am 21. Juli 2017 verkündet wurde und am 22. Juli 2017 in Kraft getreten ist,79 ist nunmehr eine angemessene Entschädigung für das seelische Leid der Hinterbliebenen vorgesehen. Die neue Vorschrift ist in § 844 Abs. 3 BGB geregelt und lautet: „(3) Der Ersatzpflichtige hat dem Hinterbliebenen, der zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis stand, für das dem Hinterbliebenen zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld zu leisten. Ein besonderes persönliches Näheverhältnis wird vermutet, wenn der Hinterbliebene der Ehegatte, der Lebenspartner, ein Elternteil oder ein Kind des Getöteten war.“

Eine wortgleiche Regelung wurde zudem in jene Gesetze eingefügt, die bei Erfüllung eines Gefährdungshaftungstatbestands den Ersatz eines Personenschadens vorsehen.80 Ein Anspruch auf Hinterbliebenengeld besteht daher nunmehr auch nach § 86 Abs. 3 Arzneimittelgesetz, § 28 Abs. 3 Atomgesetz, § 32 Abs. 4 Gentechnikgesetz, § 7 Abs. 3 Produkthaftungsgesetz, § 12 Abs. 3 Umwelthaftungsgesetz, § 10 Abs. 3 Straßenverkehrsgesetz und § 5 Abs. 3 Haftpflichtgesetz. Zudem erstreckt sich die Bestimmung auf die Passagierschadenshaftung im Eisenbahn-, Schienen- und Seeverkehr81 sowie auf § 35 Abs. 3 Luftverkehrsgesetz ggf. i.V.m. dem Warschauer und dem Montrealer Abkommen. gemeint, welches in anderen Ländern mit Begriffen wie Angehörigenschmerzensgeld oder Hinterbliebenen- bzw. Angehörigengenugtuung beschrieben würde (vgl. Österreich und die Schweiz), weshalb der rechtsvergleichenden Diskussion bzw. der Harmonisierung des Schadensrechts kein Gefallen getan sei. Siehe hierzu auch Frank, FamRZ 2017, 1640. 76 So hieß es im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD vom 16.12.2013, S. 102 „Menschen, die einen nahen Angehörigen durch Verschulden eines Dritten verloren haben, räumen wir als Zeichen der Anerkennung ihres seelischen Leids einen eigenständigen Schmerzensgeldanspruch ein, der sich in das deutsche System des Schadensrechts einfügt.“, abrufbar unter: https://archiv.cdu.de/system/tdf/media/dokumente/koalitionsvertrag 1.pdf?file=1 (Stand: 27.07.2022). 77 Jaeger/Luckey, Schmerzensgeld, Rn. 556. 78 Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 18/234, TOP 30a, 23748 (C). Vgl. hierzu auch Katzenmeier, JZ 2017, 869, 870. 79 BGBl. I 2017, 2421. 80 Jaeger/Luckey, Schmerzensgeld, Rn. 559. 81 BT-Drs. 18/11397, S. 9.

1. Kapitel

Die dogmatische und systematische Einordnung des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld in das Gefüge des Haftungsrechts Mit der Einführung des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld besteht nunmehr kein Zweifel, dass seelisches Leid und Trauer bei Verlust einer besonders nahestehenden Person in Geld zu entschädigen sind. Ungeklärt bleibt jedoch, wie sich der neue Anspruch in die Rechtszuweisungsordnung einfügt. Im Folgenden geht es daher darum, die Rechtsposition hinter dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld als zentrales Element in der Rechtszuweisungsordnung zu ermitteln (A.). Dafür werden zunächst die Grundstrukturen der Rechtszuweisungsordnung aufgezeigt und ihr fortwirkender Gültigkeitsanspruch verteidigt (I.). Im Anschluss werden die Mechanismen herausgearbeitet, denen sich der Gesetzgeber klassischerweise bedient, um Rechtspositionen zuzuweisen (II.). Hierauf aufbauend soll sodann die konkrete Rechtsposition hinter § 844 Abs. 3 BGB ermittelt werden (III.). In einem weiteren Abschnitt (B.) erfolgt eine systematische Einordnung des Anspruchs auf Grundlage der geltenden Haftungsprinzipien. Dabei wird auch untersucht, ob es sich beim Anspruch auf Hinterbliebenengeld um eine Ausnahme handeln könnte, die mit dem tradierten System bricht (I.) oder ob sich der Anspruch nicht doch in die bisherige Systematik einfügen lässt (II). Im letzten Abschnitt geht es sodann um die Erörterung der Funktion des Hinterbliebenengelds (C.), die als unmittelbar mit der Entschädigung verfolgtes Ziel einen wesentlichen Aspekt der Regelung bildet.

A. Die Rechtsposition hinter dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld Zur Erörterung der Rechtsposition des Hinterbliebenen ist zunächst ein Blick auf die Strukturen der privatrechtlichen Rechtszuweisung und Rechtsentstehung zu werfen, deren Grundzüge im Folgenden skizziert werden. Dieser deduktive Ansatz soll den Weg für die weiteren Untersuchungen ebnen und eine tiefere Analyse der dogmatischen Zusammenhänge des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld ermöglichen.

I. Die Zivilrechtsordnung als Rechtszuweisungsordnung 1. Grundstrukturen der Rechtszuweisungsordnung Bei der Zivilrechtsordnung handelt es sich um eine Rechtszuweisungsordnung.1 In einer solchen werden subjektive Rechtspositionen2 zugewiesen, die es dem Einzelnen3 ermöglichen, sich in dem geschaffenen Rechtskreis frei zu entfalten und eigene Interessen zu verfolgen.4 Diese Zuordnungsentscheidung und die damit einhergehende Abgrenzung zwischen den einzelnen Rechten dient der Verwirklichung der größtmöglichen Freiheit eines Privatrechtssubjekts in der Gesellschaft und der Anerkennung dieser Freiheit durch die Rechtsordnung.5 Eine 1 Vgl. hierzu Bernhard, FS Picker, S. 83, 103 ff.; Bader, Diskriminierungsschutz, S. 36; F. Hartmann, commodum, S. 22; dens, in BeckOGK BGB, 01.07.2020, § 687 Rn. 33; Hoffmann, Zession, S. 35 ff.; Katzenstein, Haftungsbeschränkungen, S. 142; Lobiger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtungen, S. 89; Malitzky, Begriff des subjektiven Rechts, S. 4 ff.; Ost, Zuordnung, S. 27 ff.; Picker, FS Canaris I, S. 1001, 1017; dens., JZ 2010, 541, 546 f.; dens., FS Medicus, S. 311, 317; dens., FS Lange, S. 625, 680 ff.; Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 9, 64; Wollin, Störerhaftung, S. 31. 2 Der Terminus der Rechtsposition wird teilweise auch durch die Begriffe Substanzrecht, Zuordnungsposition oder Primärrecht ersetzt, weicht inhaltlich jedoch nicht von diesen ab; siehe hierzu etwa Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 66. 3 Gemeint sind sowohl natürliche als auch juristische Personen; vgl. zum Begriff des Rechtssubjekts in diesem Zusammenhang Coing, FS Dölle, S. 25, 27 ff. 4 Savigny, System I, § 52 S. 331 f.; vgl. auch Windscheid, Actio, S. 3; v. Tuhr, Allgemeiner Teil I, § 1 I 1, S. 54 f.; Wolf/Neuner, AT, § 20 Rn. 7; Picker, ZfPW 2015, 385, 387; Bernhard, FS Picker, S. 83 ff. 5 Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 104; Wollin, Störerhaftung, S. 30.

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A. Die Rechtsposition hinter dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld

Rechtsposition kann sich einerseits aus einer Zuweisungsentscheidung der Rechtsordnung in Form einer absoluten oder relativen Rechtsposition ergeben. Andererseits können relative Rechtspositionen auch durch den Willen eines Privatrechtssubjekts bzw. durch ein Rechtsgeschäft entstehen.6 Zur Sicherung der zugewiesenen Rechtspositionen ist zusätzlich die Statuierung von Schutzmechanismen durch die Rechtsordnung erforderlich, welche es dem Privatrechtssubjekt ermöglichen, seine Rechtssphäre und seine Freiheit zu schützen.7 Bei diesen Schutzmechanismen handelt es sich um Schutzrechte, die in Form von Ansprüchen, seien sie schadensersatzrechtlicher, (quasi-)negatorischer oder bereicherungsrechtlicher Natur, bestehen und durch ihr Zusammenwirken einen lückenlosen, sich ergänzenden „Rundumschutz“8 der Rechtspositionen bieten.9 Diese Schutzrechte wiederum können in ein dichotomisches System eingeordnet werden: Sie teilen sich auf in rechtsfortsetzende und rechtsverwirklichende Schutzrechte.10 Letztere zeichnen sich dadurch aus, dass sie fester Bestandteil der Rechtsposition sind und von dieser nicht abgespalten werden können. Ein rechtsverwirklichendes Schutzrecht stellt beispielsweise der Vindikationsanspruch nach § 985 BGB dar, welcher nach allgemeiner Ansicht nicht ohne die zugehörige Rechtsposition abgetreten werden kann11. Gleiches gilt für § 1004 BGB (analog).12 Ein rechtsfortsetzendes Schutzrecht, wie beispielsweise § 823 Abs. 1 BGB, begründet bei Verletzung einer Rechtsposition hingegen seinerseits eine neue übertragbare Rechtsposition in Form einer Schadensersatzforderung, welche auf eine Vermögensverschiebung gerichtet ist.13 Erst durch diese Schutzrechte wird der Zweck einer Rechtsposition erfüllt, denn ohne sie würde das eingeräumte Recht dem Zugriff Dritter frei ausgesetzt und das Recht nicht dem Privatrechtssubjekt, sondern vielmehr der Allgemeinheit freigegeben.14 Eine Zu6 Coing, FS Dölle, S. 25, 27; vgl. hierzu auch Hoffmann, Zession, S. 38; Katzenstein, Haftungsbeschränkungen, S. 144 f.; siehe zu den verschiedenen Entstehungsmöglichkeiten einer Rechtsposition unter: Kap. 1, A.II. 7 Hoffmann, Zession, S. 35 ff.; Picker, ZfPW 2015, 385, 387; zum Teil werden die subjektiven Rechtspositionen auch als Primärrechte und die Schutzrechte als Sekundärrechte bezeichnet, vgl. hierzu z.B. Raiser, JZ 1961, 465, 466; Peukert, Güterzuordnung, S. 54 f. 8 F. Hartmann, BeckOGK BGB, 01.07.2020, § 687 Rn. 33; Picker, FS Canaris II, S. 579, 613; ders., FS Bydlinski, S. 275, 314. 9 Siehe zu diesem „Rundumschutz“ durch die „Trias der Haftungssysteme“ Picker, AcP 183 (1983), 369, 511 ff.; ders., JZ 2010, 541, 546; ders., FS Lange, S. 625, 684 f.; Bernhard, FS Picker, S. 83, 104; Gebauer, Jura 1998, 128, 132; F. Hartmann, commodum, S. 22; Katzenstein, Haftungsbeschränkungen, S. 143; Lobinger, AcP 216 (2016), 28, 98; vgl. auch Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 237. 10 Hoffmann, Zession, S. 56 ff.; ders., Jura 2014, 71. 11 Thole, Staudinger BGB, § 985 Rn. 4; anders noch Motive III, S. 399 = Mugdan III, S. 222 f. 12 Vgl. BGHZ 60, 235, 240 = NJW 1973, 703, 704; Hoffmann, Zession, S. 60. 13 Vgl. hierzu und zu der Unterscheidung zwischen Rechtsverwirklichung und Vermögensverschiebung ferner die Untersuchung bei Hoffmann, Zession, S. 62 ff. m.w.N.; zur Forderung als Rechtsposition siehe zudem ausführlich unter: Kap. 1, B.I.3.b)bb)(2)(a). 14 Vgl. Hoffmann, Zession, S. 36.

I. Die Zivilrechtsordnung als Rechtszuweisungsordnung

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weisung ist somit bedingt durch die Existenz von Schutzrechten, weil die Rechtsposition des Individuums sonst nicht bestehen könnte.15 Die Rechtszuweisungsordnung wird daher ergänzt durch die Rechtsschutzordnung.16 Konsequenterweise setzt die Gewährung eines Anspruchs als ein solcher Schutzmechanismus daher eine Bedrohung oder Verletzung einer zugewiesenen subjektiven Rechtsposition voraus.17 Dies erscheint auch deshalb einleuchtend, weil es andernfalls schwer zu rechtfertigen wäre, dass einem Rechtssubjekt ein Recht zustehen soll, kraft dessen es seinerseits einen unkonsentierten Zugriff auf die Rechtsposition eines anderen vornehmen darf.18 Denn genau dies geschieht bei der Durchsetzung eines Schadensersatzanspruchs. Der Anspruch beinhaltet seinerseits einen Eingriff des Rechtsinhabers in eine Rechtsposition des Haftenden,19 welcher jedoch legislatorisch gerechtfertigt ist. Knüpft eine Schutznorm ihre Rechtsfolgen an die „Verletzung“ (§ 823 Abs. 1 BGB) oder die „Beeinträchtigung“ (§ 1004 Abs. 1 BGB [analog]) eines Rechts, rechtfertigt das Gesetz die Freiheitsbeschränkung des anderen damit, dass er seinerseits fremde Rechte beeinträchtigt oder verletzt hat.20 Der Anspruch stellt allein das Mittel dar, um der Rechtsverletzung zu begegnen.21 Allein aus dem Vorhandensein eines durch Gesetz statuierten Anspruchs kann daher auf die Existenz einer Rechtsposition des Anspruchinhabers, die es zu beschützen gilt, geschlossen werden.22 Statuiert die Zivilrechtsordnung einen bislang unbekannten deliktischen Anspruch, ist folglich davon auszugehen, dass der Anspruchsinhaber selbst in einer ihm zugewiesenen Rechtsposition verletzt sein muss und diese Rechtsposition neben dem deliktischen Schutz auch negatorisch und bereicherungsrechtlich rundum geschützt wird. Welche Rechtsposition jedoch beim Anspruch auf Hinterbliebenengeld verletzt ist, ergibt sich nicht ohne Weiteres aus dem Gesetzeswortlaut und bedarf daher einer umfassenden Erörterung.

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Reinhardt, JZ 1961, 713, 716. Picker, FS Canaris I, S. 1001, 1032. 17 Bernhard, FS Picker, S. 83, 103 ff.; F. Hartmann, commodum, S. 22; Hoffmann, Zession, S. 37 m.w.N. in Fn. 16; Picker, FS Canaris I, S. 1001, 1032; ders., FS Canaris II, S. 579, 605; für die Gegenauffassungen siehe unter: Kap. 1, A.3. 18 Hoffmann, Zession, S. 39. 19 Hoffmann, Zession, S. 38; Picker, ZfPW 2015, 385, 402. 20 Wollin, Störerhaftung, S. 33; Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 92 ff. 21 Braun, AcP 205 (2005), 127, 135. 22 v. Gierke, Privatrecht I, S. 255; J. Schmidt, Aktionsberechtigung, S. 17 f.; F. Hartmann, commodum, S. 22; Hoffmann, Zession, S. 37 f.; Picker, FS Canaris I, S. 1001, 1032; besonders eingehend auch ders., FS Schilken, S. 85, 94: “Das für die geltende Ordnung konstitutive Zusammenspiel von Rechtszuweisung und Rechtsschutz folgt damit der ebenso einfachen wie plausiblen Regel, dass jedem auf Abwehr, Wiedergutmachung oder Abschöpfung gerichteten Anspruch als Schutzgut eine Rechtsposition vorausliegen muss, die kraft ihrer inhaltlichen Gestaltung gerade das konkrete Schutzbegehren gerade gegenüber dem konkreten Gegner legitimiert“. 16

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A. Die Rechtsposition hinter dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld

a) Abstrakt kann eine Rechtsposition sowohl ein subjektives Recht, die Berechtigung am Rechtsgut23, als auch ein rechtliches Interesse sein,24 weshalb die regelmäßig im Deliktsrecht vorgenommene Unterscheidung zwischen diesen für den Erkenntnisgewinn der konkreten Rechtsposition hinter dem Hinterbliebenengeld keine Rolle spielt. Der Begriff der Rechtsposition beschreibt vielmehr den gesamten Rechtskreis eines Rechtssubjekts und ist daher für die hier angestrebten Untersuchungen vorzugswürdig.25 Strikt zu trennen von den Rechtspositionen sind jedoch die Schutzrechte, da diese in einer Rechtszuweisungsordnung eine andere Aufgabe haben, auch wenn dies im allgemeinen Sprachgebrauch nicht immer deutlich wird.26 Besonders im Deliktsrecht wird der Begriff des subjektiven Rechts jedoch gerne als Synonym für die geschützte Rechtsposition als auch für das zugehörige Schutzrecht verwendet.27 Und auch darüber hinaus herrscht über die Bedeutung des Begriffs des „subjektiven Rechts“ kein allgemeiner Konsens,28 weshalb im Rahmen dieser Arbeit auf diesen Terminus verzichtet werden soll. Als Synonym für die subjektive Rechtsposition soll vielmehr die Terminologie des Substanzrechts herangezogen werden.29 b) Ist damit umzeichnet, was abstrakt-generell unter einer subjektiven Rechtsposition zu verstehen ist, stellt sich die Frage nach der konkreten Ausgestaltung der jeweils geschützten Rechtspositionen. Dies erweist sich jedoch oftmals als

23 Dazu, dass die Rechtsordnung auch Rechte an den Rechtsgütern Körper und Gesundheit analog § 903 BGB zuweist, siehe Stoll, AcP 162 (1963), 203, 227; Bernhard, FS Picker, S. 83, 102. Wird im Folgenden daher von Rechtsgütern gesprochen, meint dies zugleich die Berechtigung am Gut. 24 Hoffmann, Zession, S. 39; siehe hierzu auch Malitzky, Begriff des subjektiven Rechts, S. 20 ff.; Peukert, Güterzuordnung, S. 47. 25 Vgl. zu den verschiedenen Begriffen etwa Peukert, Güterzuordnung, S. 63. 26 Hoffmann, Zession, S. 36. Dabei ist jedoch die Relativität der beiden Figuren zu erwähnen: „Substanzrechte“ und „Schutzrechte“ sind nicht ausschließlich der einen oder der anderen Kategorie zuzuweisen, in dem Sinne, dass diese nach ihrem naturgegebenen Wesen nur eines von beidem sein könnten. Vielmehr sind sie beide rein funktional zu verstehen und somit, je nachdem welche Aufgabe sie im konkreten Einzelfall erfüllen, entweder als „Substanz-“ oder als „Schutzrechte“ einzuordnen. Ein Anspruch wie z.B. § 823 Abs. 1 BGB ist somit zum einen „Schutzrecht“, zum anderen ist er seinerseits wieder Grundlage für eine verwertbare Rechtsposition in Form der Forderung. Vgl. hierzu ausführlich Picker, ZfPW 2015, 385, 403. 27 Vgl. etwa Funcke, actio quasinegatoria, S. 143; Peukert, Güterzuordnung, S. 56; Picker, ZfPW 2015, 385, 402 f.; siehe auch Raiser, JZ 1961, 465, 466; v. Thon, Subjektives Recht, S. 216 ff. 28 Vgl. zur Diversität und Schwierigkeit der Begriffsbestimmung ausführlich Ost, Zuordnung, S. 6 ff.; Malitzky, Begriff des subjektiven Rechts, S. 1 ff. 29 So auch Bader, Diskriminierungsschutz, S. 37; Bernhard, FS Picker, S. 83, 103 f.; Bruns, FS Nipperdey, S. 3, 5 Fn. 14; Haller, Digitale Inhalte, S. 74; F. Hartmann, commodum, S. 22; Hoffmann, Zession, S. 40; Jacobs, Feststellungsverfahren, S. 189; Katzenstein, Haftungsbeschränkungen, S. 142; Okuda, AcP 164 (1964), 536, 546; Picker, FS Lange, S. 625, 680; ders., FS Bydlinski, S. 275, 313; ders., FS Canaris II, S. 579, 608; ders., JZ 2010, 541 546; Prange, Schutzpflichtverletzungen, S. 222; Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 66a.

I. Die Zivilrechtsordnung als Rechtszuweisungsordnung

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schwierig, weil nicht immer auf den ersten Blick zu erkennen ist, auf welche Rechtsposition sich eine Schutznorm bezieht. Als Beispiel seien § 823 Abs. 2 und § 826 BGB angeführt: Jeweils handelt es sich zweifelsohne um Schutzrechte. Die zugrundeliegenden Rechtspositionen bleiben bei der Lektüre der Normen jedoch verborgen. Da aber das Schutzrecht auf die Verletzung oder Bedrohung einer Rechtsposition reagiert, bleibt festzuhalten, dass in einem ersten Schritt die grundlegende Frage zu beantworten ist, mit welchem Inhalt und in welchem Umfang das durch die Anspruchsgrundlage zu schützende Substanzrecht seinem Inhaber exklusiv zugewiesen ist.30 Erst im Anschluss daran können die technischen Fragen der Voraussetzungen eines Anspruchs geklärt werden. Insofern ist von einem Vorrang des Substanzrechts gegenüber dem Schutzrecht auszugehen.31 Diese allgemeingefasste Aussage erlangt aktuell beim Anspruch auf Hinterbliebenengeld erhebliche Relevanz. Bevor nämlich die Klärung der technischen und durchaus praktisch relevanten Belange dieses neuen Schutzrechts sinnvoll erfolgen kann, muss zur Vermeidung von Widersprüchen in der Privatrechtsordnung eine dogmatisch zufriedenstellende Feststellung einer klar konturierten Rechtsposition, die den Schutz empfangen soll, erfolgen.32 Erst dann kann erschlossen werden, wie sich der Anspruch auf Hinterbliebenengeld in die bisherige Dogmatik und Systematik des Privatrechts einfügt.33 Dabei handelt es sich auch nicht lediglich um ein akademisches Glasperlenspiel. Vielmehr hat die Frage nach der eigenen Rechtsposition des Hinterbliebenen erhebliche Konsequenzen für eine Reihe praktischer Fragen. Ist eine eigene Rechtsposition verletzt, kann dies beispielsweise Auswirkung auf versicherungsrechtliche Fragen,34 Anspruchskonkurrenzen35 oder je nach ihrem konkreten Inhalt auch auf die Vererblichkeit der sich aus dem Anspruch ergebenden Forderung haben.36 Auch wird es erst möglich, den Anspruch auf Hinterbliebenengeld in das bisherige System des Schadensrechts einzugliedern,37 wenn Klarheit darüber besteht, wofür die Entschädigung letztlich gewährt wird. Die Feststellung der Rechtsposition muss daher ein erstes Ziel dieser Untersuchung sein. 30 So auch Katzenstein, Haftungsbeschränkungen, S. 142; Picker, FS Canaris I, S. 1001, 1032; ders., FS Canaris II, S. 579, 581; ders., ZfPW 2015, 385, 402; vgl. auch Wilhem, Sachenrecht, Rn. 66a ff., 237. 31 So auch Katzenstein, Haftungsbeschränkungen, S. 182; Picker, FS Lange, S. 625, 680 ff.; Wollin, Störerhaftung, S. 32. 32 So lässt sich ohne Klarheit über die konkrete Rechtsposition des Hinterbliebenen beispielsweise nicht schlüssig erklären, warum nicht auch andere Gefühlsschäden ersatzfähig sein sollten, siehe hierzu unter: Kap. 2, B.IV. 1. 33 Zur Aufgabe der Praxis den Anspruch auf Hinterbliebenengeld in das bisherige System einzuordnen etwa Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 29. 34 Siehe hierzu: Kap. 2, B.III.4. 35 Siehe hierzu: Kap. 2, B.III.1. 36 Siehe hierzu: Kap. 2, B.III.3.a); vgl. zu den Auswirkungen allgemein auch Köndgen, Karlsruher Forum 2016, S. 89 f. 37 Siehe hierzu: Kap. 1, B.

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A. Die Rechtsposition hinter dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld

2. Kritik am Geltungsanspruch des überkommenen privatrechtlichen Systembaus Freilich ist die Doktrin der Rechtszuweisungsordnung nicht frei von Zweifeln und Angriffen abweichender Deutungssysteme.38 Die Kritik speist sich dabei hauptsächlich aus zwei Aspekten, die eng miteinander verbunden sind.39 a) Die praktische Überholtheit der Rechtszuweisungsdoktrin für die moderne Rechtsanwendung Der Geltungsanspruch des Rechtszuweisungsgedankens wird mit der Begründung in Abrede gestellt, dass eine Rechtsordnung, die sich aus subjektiven Rechtspositionen zusammensetzt, nicht mehr geeignet sei, die sich aus etablierten Rechtsfiguren ergebenden modernen Folgerungen zu erfassen.40 Als Beispiel werden u.a. die Haftung aus culpa in contrahendo,41 das Prinzip von Treu und Glauben, aber auch die steigende Bedeutung der Grundrechte für das Privatrecht genannt, welche sich nicht mit dem Gedanken der Rechtszuweisung erklären ließen.42 Aufgrund seiner Untauglichkeit, praktische Probleme zu lösen, sei das Ordnungsprinzip nicht mehr als maßgeblich zu erachten und darüber hinaus sogar als hinderlich für die „moderne Arbeit“ abzutun.43 Diese Kritik läuft nun allerdings darauf hinaus, dass die praktische Rechtsfortbildung über die Gültigkeit eines Systems entscheiden soll. Dabei müssen sich einzelne juristische Figuren gerade umgekehrt auf Grundlage des Rechtssystems erklären lassen.44 Ein Wechsel der Gültigkeitsentscheidungskompetenz vom System zur Rechtsfortbildung ist jedoch deshalb problematisch, weil das damit verbundene Aufbrechen des überkommenen Systems mit erheblichen Konsequen-

38 Bereits Savigny zweifelte, ob das Rechtsverhältnis oder die Rechtsposition die Grundlage des Privatrechts darstellt, entschied sich jedoch für letzteres, vgl. dazu Coing, subjektives Recht, S. 19, 22; vgl. hierzu auch die ausführliche Darstellung von Hoffmann, Zession, S. 41 ff.; Schapp, Das subjektive Recht, S. 130; Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 99. 39 Siehe hierzu und zum Folgenden Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 98 ff., der die Kritik am Ordnungsmodell als im Wesentlichen auf „zwei Säulen“ gestützt sieht. 40 Coing, FS Dölle, S. 25, 32; Raiser, Zukunft, S. 8 ff.; kritisch hierzu Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 98 ff. 41 Wohlgemerkt erfolgte diese Kritik bereits zu einer Zeit vor der Schuldrechtsreform 2002, in der die c.i.c. noch nicht im BGB geregelt war. 42 Coing, FS Dölle, S. 25, 30 ff.; Wiethölter, Rechtswissenschaft, S. 195 ff. Heute ließen sich diese Beispiele wohl noch um den Anspruch auf Hinterbliebenengeld ergänzen, bei welchem eine Rechtsposition des Hinterbliebenen auf den ersten Blick ebenso keine Rolle mehr zu spielen scheint. 43 So Wiethölter, Rechtswissenschaft, S. 195, 200, der für diese „alte[n] Systemsäule[n]“ im Vermögensrecht keinen Platz mehr sieht. Ähnlich auch Wieacker, Sozialmodell, S. 27. Kritisch hierzu Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 99 mit Fn. 27. 44 Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 98.

I. Die Zivilrechtsordnung als Rechtszuweisungsordnung

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zen für den Geltungsanspruch der Privatrechtsordnung einhergeht. Ein solcher Wechsel birgt nicht nur die Gefahr, die Hürde für weitere Systembrüche auch an anderer Stelle herabzusetzen und ein in sich stimmiges System marode zu machen.45 Denn wenn die bürgerliche Rechtsordnung an mancher Stelle nicht mehr geeignet ist, gegenwärtige, moderne Sachverhalte zu lösen und somit eine richterliche Anwendung des überkommenen Systems nicht mehr gewährleistet ist, wird das Vertrauen in die Allgemeingültigkeit – mit Recht – soweit erschüttert, dass die Zivilrechtsordnung ihren Zweck, die Konsequenzen für das eigene Handeln absehen zu können und damit einen kalkulierbaren Handlungsfreiraum zu sichern,46 nicht mehr gewährleisten kann. Die damit einhergehende Rechtsunsicherheit sollte jedoch vermieden werden. Zudem ist fraglich, ob die Rechtszuweisungsordnung tatsächlich nicht in der Lage ist, die genannten Rechtsfiguren zu fassen. Der Einwand muss sich daher durchaus entgegenhalten lassen, dass er den mit erheblichen Konsequenzen bzw. Risiken verbundenen Wechsel der Entscheidungskompetenz zu einem Zeitpunkt vollziehen will, in dem sich der Verdacht der Unvereinbarkeit „moderner Arbeit“ mit dem Ordnungssystem noch nicht einmal erhärtet hat.47 Der Wechsel ist auf dieser Grundlage daher keinesfalls erforderlich, vielmehr soll der Versuch unternommen werden, aktuelle juristische Fragestellungen auch heute noch auf Grundlage des überlieferten Ordnungssystems zu beantworten. b) Die Rechtszuweisungsordnung als Relikt vergangener Zeiten Die zweite zu nennende Kritik sieht die Ordnungsstruktur aufgrund eines zeitlichen und sozialpolitischen Aspekts als Ausdruck einer historisch überholten Wirklichkeit und eines historisch überwundenen Denkens und Wertens an. Hiernach sei die Rechtszuweisungsordnung ein Relikt aus dem 19. Jahrhundert und Symbol für die Freiheits- und Rationalitätsbedürfnisse der jungen Wirtschaftsgesellschaft jener Zeit,48 in der eine einzige Klasse das gesamte Sozialmodell ohne Rücksicht auf andere Gesellschaftsklassen an sich riss und dominierte.49 Das überkommene System gründe daher auf der durch die Emanzipation des Dritten Standes und die Vorreiterstimmung der industriellen Revolution hervorgerufene

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Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 99. Vgl. zu diesem Zweck der Rechtsordnung Picker, AcP 183 (1983), 369, 472 f.; dens., FS Canaris I, S. 1001, 1034 f. 47 Vgl. Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 98 f., der den Versuch einer dogmatischen Einordnung der juristischen Figuren noch bei weitem nicht als beendet erachtet und daher von einer Aufgabe des überkommenen Systems zur „Unzeit“ spricht. 48 Raiser, JZ 1961, 465, 465; Wieacker, Sozialmodell, S. 6 ff., 16, 25; vgl. auch Coing, FS Dölle, S. 25, 28 f., der eine enge Verbindung des Privatrechtssystems mit der Philosophie und dem Gesellschaftsmodell der Aufklärung annimmt; siehe hierzu auch die Ausführungen bei Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 99 f. 49 Wieacker, Sozialmodell, S. 6, 16; siehe hierzu ausführlich Repgen, soziale Aufgabe, S. 24 ff. 46

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A. Die Rechtsposition hinter dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld

Freiheitsphilosophie sowie den damals aktuellen „wirtschaftsliberalen ökonomischen Schulen“50 und könne nicht mehr dem Geist der Gegenwart oder gar der Wirklichkeit entsprechen.51 Eine neue Marschroute in Abweichung der Gegebenheiten im 19. Jahrhundert sei hingegen darin zu sehen, dass die heutige, deutlich kooperativere Gesellschaft auf einem Sozialmodell beruhe, nach dem die Gesellschaft nicht aus einem Aggregat von Subjekten bestehe, sondern vielmehr eine Vereinigung an Rechtsgenossen bilde, die einander eng verbunden seien.52 Die Konsequenzen, die ein solches Verständnis mit sich bringt, sind jedoch nicht zu verkennen. Wie Lobinger zutreffend anmerkt, müsste zur Überwindung der angeblichen Schwächen des Systembaus anstelle des Zeitgeists des 19. Jahrhunderts auf „das Ethos unserer Zeit“ zurückgegriffen werden.53 Denn die Lücke, die dadurch entsteht, dass ein durchaus bedeutender Bereich des Systems als überholt erachtet wird und daher an Gültigkeit verliert, müsste in irgendeiner Weise geschlossen werden. Die konkrete Ausgestaltung des „Ethos“, welches dann wohl als juristische Erkenntnisquelle heranzuziehen wäre, ist jedoch nicht definiert und aufgrund seiner Bedeutungsweite so unterschiedlich interpretierbar, dass auch hier eine prognostizierbare Ordnung mit erkennbaren Konsequenzen des eigenen Handelns nicht mehr gewährleistet sein wird.54 Dass hierdurch eine Unsicherheit entsteht, die das System ins Wanken bringt, braucht nicht erneut unterstrichen zu werden. Bevor aber die Gegner des herkömmlichen Privatrechtsverständnisses diese Schwachstelle nicht beseitigen können, vermag es auch diese Kritik letztlich nicht, den Geltungsanspruch der Rechtszuweisungsordnung zu erschüttern. Zudem ist dieser Kritik zu entgegnen, dass die Rechtszuweisungsordnung durchaus in der Lage ist, den sich – in der Tat – stets wandelnden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen zu begegnen. Eine große Anpassungsfähigkeit des Systems ergibt sich bereits daraus, dass Inhalt und Reichweite einer Rechtsposition – abgesehen von einem Kernbestand – niemals in gleicher naturrechtlicher Weise feststehen.55 Aber auch über den Inhaber einer Rechtsposition ist letztlich wenig ausgesagt. Insofern stellt sich das Denken in Rechtszuweisungen weniger als Relikt vergangener Zeiten als vielmehr als zeitlos heraus.

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Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 100. So etwa Wieacker, Sozialmodell, S. 10 f., 25 ff. 52 Wieacker, Sozialmodell, S. 25. 53 Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 100 f. 54 Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 104 f. 55 Vgl. Bernhard, FS Picker, S. 83, 111, der in der Ermittlung des Inhalts subjektver Rechte, der „immer auch einem kulturellen Wandel unterworfen [sei]“, die „ureigenste Aufgabe“ der Rechtswissenschaft erblickt. 51

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3. Alternativen zum überkommenen Ordnungssystem Ausgehend von den dargestellten Kritikpunkten, aber auch unter Zugrundelegung eines gänzlich anderen Verständnisses der Privatrechtsordnung wird diese abweichend vom Gedanken der Rechtszuweisung in der Literatur verschieden verstanden und konzeptualisiert. Die Auffassungen reichen dabei von der Abwertung der Bedeutung einer subjektiven Rechtsposition bis hin zur totalen Negation der Existenz von Substanzrechten. Im Folgenden sollen die verschiedenen Konzepte einmal skizziert und ihre Überzeugungskraft überprüft werden.56 a) Das Rechtsverhältnis als zentrales Element der Privatrechtsordnung Nach den Verfechtern einer von Coing begründeten Lehre wird der Gedanke der Rechtszuweisung nicht als zentrales Element des bürgerlichen Rechts, sondern nur als ein Element mehrerer, sich gegenseitig ergänzender Faktoren betrachtet.57 Als Grundlage des Privatrechts wird daher, wie bereits von Savigny überlegt und sodann aber verworfen, nicht die Rechtsposition, sondern das Rechtsverhältnis erachtet.58 Begründet wird dies damit, dass das Privatrecht nicht nur eine Abgrenzungsfunktion habe, sondern primär auch die Zusammenarbeit und Kooperation zwischen Privatrechtssubjekten ermöglicht.59 Im Ergebnis sei das subjektive Recht daher erst „etwas Sekundäres“, während im Vordergrund die Gesamtbeziehung der Parteien stehe.60 Einer solchen Gewichtung der Bedeutung von Rechtsverhältnis und Rechtsposition innerhalb der Privatrechtsordnung ist jedoch entgegenzusetzen, dass die Rechtsordnung zwar auch die Kooperation zwischen Privatrechtssubjekten ermöglichen soll, es bei diesen Rechtsverhältnissen im Kern jedoch auch darum geht, Rechtspositionen zu schaffen, zu koordinieren und zu schützen.61 Schließen beispielsweise zwei Rechtssubjekte einen Vertrag, so wird hierdurch zwar ein Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten begründet, im Kern geht es aber auch hier um die Zuordnung relativer Rechtspositionen.62 Die Privatrechtsordnung kann daher nicht auf den koordinierenden Aspekt als zentrales Element verzichten,63 vielmehr bleibt die Rechtsposition auch innerhalb eines Rechtsverhältnisses das zentrale Element.64

56 Siehe für das Folgende auch die ausführliche und instruktive Darstellung von Hoffmann, Zession, S. 40 ff. 57 Vgl. Coing, FS Dölle, S. 25, 34; dens., subjektives Recht, S. 23. 58 Coing, subjektives Recht, S. 19 f.; Raiser, summum ius summa iniuria, S. 145, 147. 59 Coing, FS Dölle, S. 25, 34; vgl. auch Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S. 48 f. 60 Coing, subjektives Recht, S. 22. 61 So auch Hoffmann, Zession, S. 41; vgl. hierzu auch die Kritik bei Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 97. 62 Siehe zu den relativen Rechtspositionen ausführlich auch unter: Kap. 1, A.II.1.b). 63 Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 97 ff. 64 Hoffmann, Zession, S. 41.

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A. Die Rechtsposition hinter dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld

b) Die Lehre vom Institutionenschutz Die Lehre vom Institutionenschutz geht auf den Gedanken Raisers zurück, dass Rechtsinstitute als ein Anschluss der Rechtsordnung an jene Lebensverhältnisse zu begreifen seien, die von mancher soziologischen Schule als gesellschaftliche „Institutionen“ herausgearbeitet wurden.65 Ein Rechtsinstitut verfolge daher die Aufgabe, Strukturen des gesellschaftlichen Lebens aufrechtzuerhalten und zu gestalten und weniger, privatnützige Rechtspositionen zu schaffen.66 Der Rechtsschutz der Person bestehe nicht nur in der Anerkennung persönlicher Rechtsstellungen und sich daraus ergebender subjektiver Rechtspositionen,67 sondern werde auch dort gewährleistet, wo der Einzelne in „größere individuelle Ordnungen“ eingefügt sei.68 Neben die Rechtsposition als Systemgedanke trete daher das Rechtsinstitut kraft objektiven Rechts zur Entfaltung und Sicherung des gesellschaftlichen Lebens.69 Nach Raiser besteht die Rechtsordnung daher sowohl aus positiv zugewiesenen Rechtskreisen als auch aus solchen Rechtspositionen, die lediglich als Effekt eines reinen Ausschlusses entstehen.70 Diese Mischung ergebe sich daraus, dass Rechtsgüter und subjektive Rechte sowie rechtliche Interessen unterschiedlich zu betrachten seien. Lediglich Rechtsgüter und subjektive Rechte entstünden durch eine Zuordnungsentscheidung, während rechtliche Interessen bloß als Reflex eines Ausschlusses geschützt würden, welcher den Zweck verfolge, anerkannte privatrechtliche Institutionen zu schützen.71 Der Gedanke des Institutionsschutzes wird dabei grundsätzlich als Ergänzung neben dem Schutz von Substanzrechten in der Form angeführt, dass eine enge Verflechtung zwischen Individualschutz und privatem Institutionsschutz bestehe.72 Eine scharfe Trennung zwischen jenen ein Substanzrecht schützenden Schutzrechten und den Verhaltensnormen, die innerhalb eines Ordnungsgefüges als „Spielregeln für das Zusammenleben“73 fungieren, sei jedoch nicht möglich. Veranschaulicht werden kann diese Lehre mit einem Blick auf §§ 823 Abs. 1 und Abs. 2 BGB. Während § 823 Abs. 1 BGB auch nach dem Gedanken des Institutionenschutzes als Schutzrecht eines Rechtsguts und damit einer Rechtsposition erachtet wird, müsse § 823 Abs. 2 BGB nicht zwingend ein Substanzrecht zu Grunde liegen.74 Vielmehr würden durch § 823 Abs. 2 BGB Verhaltensweisen 65

Raiser, summum ius summa iniuria, S. 145, 147. Raiser, JZ 1961, 465, 466. 67 Raiser bezeichnet diese als primäre subjektive Rechte, während Schutzrechte als sekundäre Rechte zu benennen seien. 68 Raiser, JZ 1961, 465, 472, siehe hierzu auch Ost, Zuordnung, S. 51 ff. 69 Raiser, summum ius summa iniuria, S. 145, 148, 159. 70 Raiser, summum ius summa iniuria, S. 145, 159. 71 Raiser, JZ 1961, 465, 472; zustimmend etwa Loewenheim, ZHR 135 (1971), 97, 124; vgl. auch Gaul, AcP 168 (1968), 27, 46 f.; Jauernig, JuS 1971, 329, 331 f. 72 Vgl. Hoffmann, Zession, S. 48. 73 So Raiser, JZ 1961, 465, 472. 74 Vgl. Reinhardt, JZ 1961, 713, 716 f.; v. Tuhr, Allgemeiner Teil I, § 1 I 2, S. 54 f. Siehe ferner 66

I. Die Zivilrechtsordnung als Rechtszuweisungsordnung

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sanktioniert,75 welche die Existenz privatrechtlicher Institutionen gefährden. Der dabei entstehende Individualschutz sei bloß unbezweckte Folge.76 § 823 Abs. 2 BGB sei daher nicht zwingend ein Schutzrecht einer subjektiven Rechtsposition, sondern vielmehr Teil einer überindividuellen Ordnung und ein Instrument des privaten Institutionenschutzes.77 Die Existenz von Substanzrechten wird folglich auch nach dieser Lehre nicht bestritten, ein vollumfänglicher Geltungsanspruch des Ordnungssystems aber abgelehnt. Stimmt man diesem Ansatz zu, bedeutet dies in der Konsequenz, dass ein unkonsentierter Zugriff auf den Rechtskreis eines anderen in Form der Durchsetzung eines Anspruchs auch ohne vorherige Verletzung einer Rechtsposition möglich sein soll.78 Zwar könne es eine subjektive Rechtsposition nicht ohne einen zugehörigen Schutzanspruch geben; dieser Satz lässt sich nach Raiser aber nicht umkehren. Vielmehr sei es möglich, dass einem Rechtssubjekt ein deliktischer Schadensersatzanspruch als bloßer Reflex des Schutzes privatrechtlicher Institutionen zusteht.79 Nach diesem Ansatz wäre es daher denkbar, § 844 Raiser, summum ius summa iniuria, S. 145, 154 f., der als Beispiel u.a. das Recht des Besitzes gem. §§ 858 ff. BGB nennt, der in erster Linie der Institution des Rechtsfriedens diene und daher nicht über § 823 Abs. 1, sondern besser über § 823 Abs. 2 BGB geschützt werden sollte (S. 158). Diese Annahme wird insbesondere dann vertreten, wenn das Schutzgesetz nicht lediglich ein in § 823 Abs. 1 BGB genanntes Substanzrecht konkretisiert, vgl. hierzu Hoffmann, Zession, S. 46; J. Schmidt, Aktionsberechtigung, S. 37 ff. 75 Vgl. Reinhardt, JZ 1961, 713, 716 f.; v. Tuhr, Allgemeiner Teil I, § 1 I 2, S. 55. 76 Vgl. hierzu Raiser, JZ 1961, 465, 470 ff.; Hubmann, Persönlichkeitsrecht, S. 141, v. Tuhr, Allgemeiner Teil I, § 1 I 2, S. 55 f. mit Fn. 7. 77 Raiser, summum ius summa iniuria, S. 145, 158 f.; Loewenheim, ZHR 135 (1971), 97, 124. 78 So etwa Ost, Zuordnung, S. 54; Raiser, JZ 1961, 465, 472; v. Tuhr, Allgemeiner Teil I, § 6 V, S. 150; a.A. aber Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil I, S. 432. 79 Beispiele substanzrechtsloser Ansprüche finden sich nach Raiser im Eherecht. So bedürfe es keines „subjektiven Rechts“ des einen Ehegatten am anderen (so aber noch M. Wolff, Enneccerus-Kipp-Wolff FamR, § 31 II, S. 98: „Die Ehe ist ein Familienrechtsverhältnis, kraft dessen jeder Gatte am anderen ein absolutes, d.h. gegen jedermann wirksames Personenrecht [Herrschaftsrecht an fremder Person] erlangt.“), um die Frage zu klären, ob dem einen Ehegatten Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche gegen einen dritten Ehestörer zuzubilligen seien. Verletzt sieht Raiser hier keine subjektive Rechtsposition, die als „sonstiges Recht“ nach § 823 Abs. 1 BGB geschützt sein könnte, sondern die durch Art. 6 GG und weitere zivil- und strafrechtliche Vorschriften geformte Institution der Ehe. Ein Verstoß gegen diese (§§ 172 ff. StGB a.F. [Ehebruch]) konkretisierenden Normen sei ein Verstoß gegen ein Schutzgesetz und begründe daher Ansprüche des gestörten Ehegatten nach § 823 Abs. 2 BGB, vgl. Raiser, JZ 1961, 465, 470. Zwar ist Raiser insoweit zuzustimmen, als dass es kein Substanzrecht des einen Ehegatten am anderen geben kann, in der Konsequenz muss dies jedoch dazu führen, dass es heute auch keinen Unterlassungs- oder Schadensersatzanspruch gegen den Ehegatten oder den Ehestörer gibt (so im Ergebnis auch BGHZ 23, 215 = NJW 1957, 670; BGH, NJW 1956, 1149). Etwas anderes gilt lediglich für den räumlich-gegenständlichen Bereich der Ehe, welcher jedoch als Substanzrecht allgemein anerkannt ist und als „sonstiges Recht“ i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB deliktischen Schutz erfährt, vgl. D. Schwab, Familienrecht, Rn. 146.

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A. Die Rechtsposition hinter dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld

Abs. 3 BGB als eine Regelung einzuordnen, die lediglich eine weitere Spielregel zum geordneten Zusammenleben aufstellt und daher keine eigene Rechtsgutsverletzung des Hinterbliebenen verlangt. Auch dieser Ansatz Raisers vermag es jedoch nicht, gegen die Rechtsposition als zentrales Element der Privatrechtsordnung anzukommen. Auch der Institutionenschutz besteht nicht seiner selbst wegen, sondern dient letztlich dem Individualschutz.80 Denn auch die durch Schutzgesetze aufgestellten Verhaltensvorschriften dienen nicht primär dem Schutz von Institutionen. Auch sie legen vielmehr die Grenzen der Rechtspositionen fest und sind Mittel der Zuordnung, weshalb ein Verstoß gegen ein durch Schutzgesetz aufgestelltes Verbot mit einem Eingriff in eine Rechtsposition einhergeht.81 Auch wenn also der Institutionenschutz als Element der Privatrechtsordnung verstanden werden will, kann dieser der subjektiven Rechtsposition ihre Rolle als zentrales Element nicht streitig machen, sondern muss in der Bedeutung letztendlich hinter dieser zurücktreten. c) Das Konzept der privaten Rechtsdurchsetzung oder „private law enforcement“ Der Gedanke des private enforcement82 ist eng mit der Theorie des Institutionenschutzes verbunden, geht jedoch insoweit über diese Lehre hinaus, als dass neben dem Schutz privatrechtlicher Institutionen die Förderung originärer Gemeinwohlbelange im Vordergrund steht.83 Von Bedeutung ist dieser Ansatz insbesondere im Wirtschaftsrecht,84 jedoch wird er auch im Rahmen des allgemeinen Deliktsrechts diskutiert.85 Die Theorie des private law enforcement geht im Kern davon aus, dass der Individualschutz in dem Bereich, in dem keine positive Zuweisung erfolgt, das Ziel habe, eine punktuelle Instrumentalisierung des Privatrechtssubjekts zugunsten von Allgemeinwohlbelangen herbeizuführen.86

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Canaris, FS Larenz II, S. 27, 46. Zur Rolle der Schutzgesetze in der Rechtszuweisungsordnung siehe ausführlich unter: Kap. 1, A.II.1.a)cc)(1). 82 Der Begriff des private enforcement stammt aus dem US-amerikanischen Recht, welches den Ansatz der privaten Normdurchsetzung maßgeblich inspirierte, siehe hierzu C. Kern, ZZPInt 12 (2007), 351, 372 ff.; Poelzig, Normdurchsetzung, S. 51 ff. 83 Hoffmann, Zession, S. 45. 84 Für das Wirtschaftsrecht siehe ausführlich Poelzig, Normdurchsetzung, S. 11 ff. 85 Wagner, AcP 214 (2014), 602, 606 lässt deutlich die Tendenz verlauten, den Gedanken der privatrechtlichen Verhaltenssteuerung auch im allgemeinen Zivilrecht gelten lassen zu wollen; Poelzig, Normdurchsetzung, S. 33 ff. sieht allerdings im allgemeinen Deliktsrecht noch den Schutz von Individualinteressen im Vordergrund, die Durchsetzung objektiven Rechts sei hingegen erwünschte Nebenfolge. Siehe zur Entwicklung des private law enforcement in Europa insbesondere hinsichtlich der Durchsetzung von Verbraucherinteressen auch C. Kern, ZZPInt 12 (2007), 376 ff. 86 „Der Gesetzgeber entscheidet sich, bestimmte Allgemeinwohlbelange mit Mitteln des Privatrechts durchzusetzen“, Hellgardt, Regelsetzung im Privatrecht, S. 121, 134; vgl. auch Raiser, summum ius summa iniuria, S. 145, 154 f. 81

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Auch hier dient zur Veranschaulichung ein Blick auf § 823 Abs. 1 und 2 sowie § 826 BGB.87 § 823 Abs. 1 BGB wird erneut in Einklang mit der hier vertretenen Auffassung als Schutzrecht eines Substanzrechts verstanden.88 Die §§ 823 Abs. 2 und 826 BGB hätten hingegen den Zweck, gemeinwohlschädliches Verhalten zu unterbinden und als Durchsetzungsmechanismus des Öffentlichen Rechts zu fungieren.89 So ergebe sich die Verhaltenspflicht bei § 826 BGB allein aus dem allgemeinen Gebot, das eigene Handeln in Einklang mit den guten Sitten zu halten.90 Der Schadensersatzanspruch habe daher auch keine Ausgleichsfunktion,91 sondern diene vielmehr als „Belohnung“92 für denjenigen, der privat das gemeinwohldienliche Recht durchsetzt.93 Anklang findet eine solche Konzeptualisierung des Privatrechts insbesondere deshalb, weil es im Zeitalter der sich auf europäischer Ebene immer weiter harmonisierenden Rechtsordnungen helfe, die Durchsetzung von Unionsrecht in den Mitgliedsstaaten zu ermöglichen.94 In der deutschen Rechtsordnung hat jedoch das Öffentliche Recht die Aufgabe, zu Gunsten des Allgemeinwohls zu regulieren, dem deutschen Vermögensrecht hingegen ist eine solche Aufgabe zumindest im Grundsatz fremd.95 Zwar soll mit dieser Aussage nicht in Abrede gestellt werden, dass auch die Zuweisung individueller Freiheiten dem Gemeinwohl zu Gute kommen und insofern eine überindividuelle Bedeutung haben kann.96 Zumindest im Grundsatz dient das Privatrecht jedoch der individuellen Freiheitssphäre und das Öffentliche Recht dem Gemeinwohl.97 Ein privatrechtliches Schadensersatzrecht, das die Verfol87

Vgl. auch Hoffmann, Zession, S. 46 f. So auch Poelzig, Normdurchsetzung, S. 33. 89 Vgl. etwa Schmidt-Aßmann, Öffentliches Recht und Privatecht, S. 7, 11; vgl. ferner auch Hoffmann-Riem, Öffentliches Recht und Privatrecht, S. 261, 277 ff., der sogar in einem Vorgehen nach § 1004 BGB die Durchsetzung öffentlichen Rechts gesichert wissen will. 90 Vgl. Reinhardt, JZ 1961, 713, 717. 91 Siehe zu den Funktionen der Ersatzansprüche unter: Kap. 1, C.I. 92 So treffend Hoffmann, Zession, S. 46; Picker, FS Schilken, S. 85, 91. 93 Vgl. Buxbaum, Wege der privaten Rechtsdurchsetzung, S. 95; für das US-amerikanische Recht vgl. ferner Reimann, Bitburger Gespräche 2008/I, S. 130. 94 So der EuGH z.B. für das Wettbewerbsrecht in der Sache Courage v. Crehan, Urteil v. 20.09.2001, Rs. C-453/99, in der er deutlich darauf hinweist, dass ein Schadensersatzanspruch, der grundsätzlich von jedermann geltend gemacht werden kann, die Durchsetzungskraft der europäischen Wettbewerbsregeln erhöht und eine Schadensersatzklage vor den nationalen Gerichten daher „wesentlich zur Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs in der Gemeinschaft beitragen [könne]“. Vgl. auch Poelzig, Normdurchsetzung, S. 257; Reimann, Bitburger Gespräche 2008/1, S. 106; Wagner, Gutachten A zum 66. DJT 2006, S. 18 f.; vgl. ferner auch B. Hess, JZ 2011, 66, 70 f. 95 Hoffmann, Zession, S. 48; a.A. Hellgardt, Regelsetzung im Privatrecht, S. 121, 133; wohl auchWagner, AcP 214 (2014), 602, 606; ders., AcP 206 (2006), 352, 447 ff. 96 Vgl. hierzu Picker, FS Lange, S. 625, 676. 97 Hoffmann, Zession, S. 48 mit Fn. 88: Davon ist sogar dann auszugehen, wenn man mit den Verfechtern einer ökonomischen Analyse des Rechts argumentiert, dass im Grunde auch die persönliche Freiheit des Rechtssubjekts dem Allgemeinwohl diene, da eine persönliche Freiheit zu einer effizienten Ressourcenallokation führe (so etwa Eidenmüller, Effizienz, S. 333 ff.). 88

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gung von Allgemeinwohlbelangen bezweckt, stellt hingegen einen Fremdkörper im bürgerlichen Recht dar.98 Zudem dürfte, was insbesondere bereits Hoffmann in seiner umfangreichen Analyse deutlich gemacht hat,99 schlicht kein Bedürfnis bestehen, Privatpersonen zur Durchsetzung öffentlicher Belange einzusetzen. Hilfreich mag eine solche Handhabung mangels eines eigenen Verwaltungsapparats noch für den Vollzug europarechtlicher Vorschriften erscheinen,100 auf nationaler Ebene verfügt der Staat jedoch über ausreichend administrative Mittel, um auf die Hilfe einzelner Rechtssubjekte verzichten zu können.101 Es ist ohnehin zweifelhaft, ob eine zivilrechtliche Durchsetzung öffentlicher Belange, gerade mit Blick auf die Gerichtskosten langwieriger Zivilprozesse, wirklich ressourcensparend ist oder ob eine privatgerichtliche Durchsetzung den Staat nicht ebenso finanziell belastet wie die Aufrechterhaltung eines funktionierenden Verwaltungsapparats.102 Zudem dürfte es dem Allgemeinwohl wenig dienlich sein, wenn die Rechtsdurchsetzung einer Person überlassen wird, die einerseits primär eigene Interessen verfolgen wird und zum anderen nicht über eine entsprechende Ausbildung verfügt.103 Eine Benachteiligung entstünde zudem daraus, dass im Öffentlichen Recht der Amtsermittlungsgrundsatz gilt, weshalb die Verwaltung grundlegend bei der Sachverhaltsklärung mitwirken kann.104 Auch würde das Prozessrisiko verlagert und die Privatperson der Gefahr ausgesetzt, im Falle eines insolventen Schuldners auf den Prozesskosten sitzen zu bleiben.105 Zudem erweist sich die Dispositionsmaxime im Zivilprozessrecht nur insoweit als schlüssig, als es um die Durchsetzung von Individualinteressen geht.106 Es wäre wenig vertrauenswürdig, die Entscheidung, ob Recht zum Schutz von Gemeinwohlbelangen überhaupt durchgesetzt werden soll, in die Hände eines Laien zu übergeben, der zudem auf die Verfolgung dieser Gemeinwohlbelange durch Abschluss eines für ihn vorteilhaften und risikoarmen Prozessvergleichs verzichten könnte.107 Auf der anderen Seite bergen die in Aussicht gestellten Gewinne im Falle eines Obsiegens auch das Risiko einer übermäßigen Prozessfreudigkeit, bei der es im Grunde dann nicht mehr um die Durchsetzung von Allgemeinwohlbelangen geht.108 Insgesamt sind daher wenig Gründe dafür ersichtlich, die Tra-

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So auch H.P. Westermann, AcP 208 (2008), 140, 177. Siehe hierzu die ausführliche Argumentation bei Hoffmann, Zession, S. 49 f. 100 Siehe hierzu ausführlich für das Wirtschaftsrecht Poelzig, Normdurchsetzung, S. 255 ff., 284; C. Kern, ZZPInt 12 (2007), 351, 376 ff.; Wagner, AcP 206 (2006), 352, 446 f. 101 Hoffmann, Zession, S. 49; a.A. Wagner, AcP 206 (2006), 352, 446, der in der privaten Rechtsdurchsetzung eine erhöhte Effizienz sieht. 102 So auch Reimann, Bitburger Gespräche 2008/I, S. 146 Fn. 197; Hoffmann, Zession, S. 49. 103 Hoffmann, Zession, S. 49; a.A. aber Wagner, AcP 206 (2006), 352, 446 ff. 104 Hoffmann, Zession, S. 49. 105 Hoffmann, Zession, S. 49; H.P. Westermann, AcP 208 (2008), 140, 177. 106 Vgl. Gaul, AcP 168 (1968), 27, 51; Hoffmann, Zession, S. 50. 107 Hoffmann, Zession, S. 50; vgl. auch H.P. Westermann, AcP 208 (2008), 140, 177 f. 108 Reimann, Bitburger Gespräche 2008/I, S. 131. 99

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dition der staatlichen Durchsetzung öffentlicher Belange grundlegend zu ändern.109 Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass auch das Zivilprozessrecht de lege lata nicht mit dem Gedanken der privaten Rechtsdurchsetzung von Gemeinwohlbelangen harmonisiert, sondern primär auf die Durchsetzung subjektiver Rechtspositionen und ihrer Schutzrechte zugeschnitten ist. Zudem kann der Ansatz der privaten Rechtsdurchsetzung für den Anspruch auf Hinterbliebenengeld bereits deshalb keine Rolle spielen, weil die Regelung nicht der Durchsetzung öffentlicher Belange dienen soll, sondern der Anerkennung des individuellen Leids des Hinterbliebenen110. Der Hinterbliebene erhält die Entschädigung nicht als „Belohnung“, weil er im Interesse der Allgemeinheit Recht durchsetzt, sondern als Ausgleich für seine eigenen individuellen Einbußen.111 d) Die Imperativentheorie – ein Gegenentwurf zum überkommenen Ordnungssystem Ganz anders wurde die Privatrechtsordnung von den Verfechtern der strengen Imperativentheorie112 konzeptualisiert, da sie gänzlich auf Rechtspositionen verzichtet.113 Zwar kann die Imperativentheorie heute weitgehend als überwunden betrachtet werden, dennoch lohnt sich für ein tieferes Verständnis eine knappe Auseinandersetzung mit dieser Theorie. (1) Nach der Imperativentheorie hat die Privatrechtsordnung lediglich eine Ausschlussfunktion, welche ausschließlich negativ verbietet oder gebietet und nicht dem Privatrechtssubjekt positiv Freiheiten einräumt.114 Erlaubende Rechtssätze wie die §§ 903 ff. BGB werden zwar anerkannt, hierbei handle es sich jedoch lediglich um Ausnahmen von den grundsätzlichen Verboten zugunsten des Begünstigten.115 Die Existenz von Substanzrechten wird hingegen vollumfänglich in Abrede gestellt, denn das Recht bestehe lediglich aus Imperativen. Subjektive Rechte begründeten sich nur aus verbietenden oder ausschließenden, objektiven

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So im Ergebnis auch Reimann, Bitburger Gespräche 2008/I, S. 146. So zumindest BT-Drs. 18/11397, S. 1, 10. 111 Siehe zur konkreten Funktion des Hinterbliebenengelds auch noch ausführlich unter: Kap. 1, C. 112 Vgl. für den Begriff der strengen Imperativentheorie Ost, Zuordnung, S. 29. 113 Die Imperativentheorie war vor allem um die Jahrhundertwende sehr verbreitet und geht in ihrer strengen Form zurück auf Thon, Subjektives Recht, S. 1 ff.; Bierling, Grundbegriffe II, S. 7 ff., 307 ff.; Lenel, Exceptionen, S. 4 ff.; vgl. hierzu auch die Darstellung bei Ost, Zuordnung, S. 29 f. mit Fn. 16. 114 Thon, Subjektives Recht, S. 2 ff., 288. Innerhalb der Imperativentheorie gibt es allerdings viele verschiedene Abweichungen, die es bisweilen schwierig machen, von „der Imperativentheorie“ zu sprechen. Im Kern gehen sie jedoch darauf zurück, dass der Grundstock des Rechts aus Imperativen bestehe; vgl. hierzu eingehend Ost, Zuordnung, S. 29 ff. 115 Vgl. Ost, Zuordnung, S. 30 Fn. 17. 110

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Rechtssätzen, nur diesen komme Normcharakter zu.116 Nach der Imperativentheorie ist die Freiheit in Form einer Verhaltensberechtigung folglich nicht als wesentlicher Inhalt der Rechtsnormen anzusehen, sondern vielmehr als ihre bloße Folge.117 Die Verhaltensberechtigung entstehe lediglich als „Loch im Zentrum des Normenkreises“118, der aus imperativen Rechtsnormen gezeichnet werde.119 Oder mit anderen Worten, das Recht des einen entstehe nur als Reflex der Pflicht des anderen.120 (2) Eine solche Konzeptualisierung des Privatrechts wird zum Teil in Abkehr eines naturrechtlich geprägten Rechtsgutsdenkens damit erklärt, dass die Imperative alleine im Dienste des Gemeinwohls zu sehen seien, weshalb das Individuum seine Freiheit konstitutiv vom Staat herleite.121 In der Konsequenz stellt ein solches Privatrechtsverständnis der Rechtsordnung jedoch ihren natürlichen Entstehungsprozess in Abrede. Eine Rechtsordnung, die alleine aus Imperativen zugunsten des Gemeinwohls besteht, wird kaum natürlich gewachsen sein, sondern vielmehr das Ergebnis einer „juristischen Spielerei“ darstellen.122 Dass die Rechtsposition jedoch zentrales Element der Zivilrechtsordnung ist, haben auch bereits die Gesetzesverfasser gesehen, weshalb sich der Grundsatz der Zuweisung subjektiver Rechte auch bereits in den Motiven und Protokollen der ersten und zweiten Kommission wiederfindet. Insbesondere für die Regeln der unerlaubten Handlung stellte die Zuweisung subjektiver Rechte bereits damals den Leitgedanken dar. Ausdrücklich liegt der Zweck des Deliktsrechts darin, „die Rechtskreise der Einzelnen, innerhalb derer sie ihre individuelle Freiheit entfalten und ihre Interessen verfolgen dürfen, voneinander abzugrenzen“.123 Die strenge Imperativentheorie, die das Aufstellen von Verhaltensregeln als reinen Selbstzweck erachtet, ist daher kaum mehr mit diesem Privatrechtsverständnis zu vereinbaren.124 116

Vgl. Ost, Zuordnung, S. 30; siehe hierzu auch Zullinger, Forderungsrechte, S. 113 ff. Aicher, Eigentum, S. 53, 68 Fn. 15; Kelsen, Rechtslehre, S. 132 f.; Thon, Subjektives Recht, S. 292. 118 So die Kritik von Binding, Abhandlungen I, S. 539; ders., KrVJS 21 (1879), 542, 563. 119 Hoffmann, Zession, S. 42; J. Schmidt, Aktionsberechtigung, S. 25. 120 Kelsen, Rechtslehre, S. 133. 121 Kelsen, Rechtslehre, S. 33 ff., 43; Irti, GS Kelsen, S. 3, 6; vgl. zur Lehre Kelsens eingehend Haas, FS Hruschka, S. 453, 454, 461 ff.; Hoffmann, Zession, S. 42; vgl. auch Fezer, Teilhabe, S. 273 ff. 122 So auch Ost, Zuordnung, S. 30. 123 Protokolle II, S. 2711 = Mugdan II, S. 1073; vgl. Larenz/Canaris, SchuldR BT II, § 75 I S. 350; Picker, ZfPW 2015, 385, 387. 124 Siehe hierzu auch Zullinger, Forderungsrechte, S. 115, der anführt, dass wohl auch die Freude des Käufers deutlich getrübt würde, gelänge es, ihm bei der ersten Ausfahrt mit dem frisch erstandenen Wagen verständlich zu machen, dass er nicht in seinem Wagen, sondern stattdessen in einem „Loch im Zentrum des Normenkreises“ sitze. Treffend stellt Zullinger fest, dass jener Sachverhalt, der gemeint ist, wenn jemand eine Sache als die „seinige“ bezeichnet, unter Zugrundelegung der Imperativentheorie begrifflich nicht angemessen erfasst werden kann. 117

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Auch diesem Privatrechtsverständnis ist somit entgegenzuhalten, „dass das Bürgerliche Recht ein System der Rechte und nicht der Pflichten ist“.125 Pflichten entstehen aufgrund fremder Rechtspositionen. Auch die Pflichtverletzung i.S.d. § 280 Abs. 1 S. 1 BGB verweist auf die Verletzung eines Forderungsrechts (§ 241 Abs. 1 BGB), welches durch ein Leistungsversprechen entstanden ist,126 oder auf die Verletzung eines anderen Substanzrechts (§ 241 Abs. 2 BGB).127 Versteht man das Privatrecht hingegen als rein pflichtenorientierte Verhaltensordnung, würde es letztlich zu Öffentlichem Recht und das Individuum zum Vertreter der Allgemeinheit.128 Die Anerkennung der Zuordnungsfunktion des Privatrechts erscheint daher als denklogische Notwendigkeit, um eine Entwertung des Einzelnen in der Gesellschaft zu vermeiden.129 (3) Ein anderer Teil der Verfechter der Imperativen Theorie geht davon aus, dass nicht der Staat für die Freiheit des Privatrechtssubjekts verantwortlich ist, sondern die Freiheit vielmehr natürliches Element des Menschen sei.130 Die Rechtsordnung gehe daher von einer „Vermutung der Freiheit“ aus, erlaubende Normen wie § 903 BGB seien überflüssig131 und der Genuss eines Gutes niemals Inhalt des Rechts.132 In der Konsequenz bestünden daher rechtsfreie Räume, in denen alles erlaubt ist, was nicht verboten ist.133 Freiheitsgewährende subjektive Rechte würden hingegen lediglich in den Bereichen relevant, in denen die Freiheit durch eine übergeordnete Verbotsnorm aufgehoben ist, diese Freiheit teilweise aber wieder hergestellt werden soll.134 125 Hoffmann, Zession, S. 43; so auch bereits Windscheid, Actio, S. 3 „Die Rechtsordnung ist die Ordnung der Rechte“; vgl, ferner auch Braun, AcP 205 (2005), 127, 132 f.; Wollin, Störerhaftung, S. 30; Schur, Sorgfalt, S. 109 f. 126 Siehe für die Entstehung von Rechtspositionen: Kap. 1, A. II. 127 Hoffmann, Zession, S. 43 Fn. 53. 128 Braun, AcP 205 (2005), 127, 133; Hoffmann, Zession, S. 42; Schapp, JZ 1993, 637, 642. In einer solchen Angleichung des Rechts sieht Kelsen jedoch weniger ein Problem, vielmehr sei das Privatrecht „nicht minder der Schauplatz der politischen Herrschaft [...] wie das in Gesetzgebung und Verwaltung erzeugte öffentliche Recht“ (Kelsen, Rechtslehre, S. 287). Siehe hierzu auch die Kritik von Irti, GS Kelsen, S. 3, 7 f., 9, welcher der Meinung ist, es gäbe keine Auflösung des Zivilrechts im Öffentlichen Recht als vielmehr eine Ausdehnung des Staates auf beide Rechtsgebiete. 129 Hoffmann, Zession, S. 42; Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 103; so auch schon Ost, Zuordnung, S. 18. 130 Thon, Subjektives Recht, S. 292 f.; Aicher, Eigentum, S. 52; Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 187; Schulz-Schaeffer, Das subjektive Recht, S. 49. 131 Aicher, Eigentum, S. 52; Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 109; Schulz-Schaeffer, Das subjektive Recht, S. 52; vgl. auch Malitzky, Begriff des subjektiven Rechts, S. 5; Zullinger, Forderungsrechte, S. 113. 132 „Insofern ist die Vorstellung eines ,subjektiven Rechts zum Verhalten‘ sinnlos, weil sie etwas Selbstverständliches und ohnehin Geltendes zum Inhalt hat“, Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 187; Thon, Subjektives Recht, S. 288. 133 Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 187; Schulz-Schaeffer, Das subjektive Recht, S. 52; vgl. hierzu auch ausführlich Malitzky, Begriff des subjektiven Rechts, S. 5. 134 Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 187 f.

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Auch diese Theorie vermag jedoch nicht zu überzeugen. Nach ihr bestünde quasi eine Art allgemeingültige Generalfreiheit, was wiederum einer „Art Generalzuweisung von Rechtspositionen“ gleichkäme.135 Denn jedenfalls für eine grundsätzliche Anerkennung subjektiver Rechtspositionen dürfte es keinen großen Unterschied bedeuten, ob diese aufgrund eines allgemeinen Rechtssatzes oder auf einzelne Zuweisungsentscheidungen zurückzuführen sind.136 Das Heranziehen der generellen Freiheit dieser Auffassung steht folglich aber auch im Widerspruch mit der sonst wesentlichen Kernaussage der Imperativentheorie, die Rechtsordnung enthalte überall dort rechtsfreie Räume, wo keine Ge- bzw. Verbotsnormen vorhanden sind.137 Denn in der Freiheit im Sinne einer Abwesenheit von Ge- bzw. Verboten ist letztlich keine außerrechtliche Erscheinung, sondern vielmehr die rechtliche Anerkennung einer natürlichen Freiheit zu sehen.138 Für rechtsfreie Räume ist dann aber kein Platz mehr.139 Darüber hinaus erscheint auch der Gedanke – sogar in unserer heutigen liberalistisch geprägten Gesellschaft – hinterfragungswürdig, dass dem Einzelnen alles erlaubt sein soll, was ihm nicht verboten ist.140 Es ist vielmehr von dem Grundsatz auszugehen, „dass der Einzelne seine Freiheit nicht trotz des Rechts, sondern durch das Recht und die rechtliche Anerkennung der zugewiesenen Freiheitsräume verwirklicht“141. Auch ist es in unserer heutigen liberalen und freiheitlich organisierten Gesellschaft schwer vorstellbar, Imperative nur ihrer selbst willen zu statuieren. Vielmehr besteht der legitime Anspruch eines jeden Privatrechtssubjekts, Freiheiten nur dann durch Imperative einzuschränken, wenn dies gerechtfertigt ist.142 Gerade diese Rechtfertigung ist jedoch im Schutz der zuvor zugeordneten Rechtspositionen zu sehen. Irgendein überindividuelles Interesse genügt hingegen nicht.143 Letztlich bleibt die Imperativentheorie auch eine Antwort auf die Frage schuldig, warum eine Person im Gegensatz zu allen anderen von einem Imperativ ausgenommen sein soll, wenn dies nicht auf die Zuordnungsentscheidung eines Freiheitsraums zurückgeht. Eine solche Ausnahme kann lediglich positiv angeordnet werden.144 Festzuhalten ist nach dem Gesagten daher, dass auch die Imperativentheorie nur mit großen dogmatischen Unstimmigkeiten auf die Anerkennung von Rechtspositionen verzichtet, weshalb ein System gänzlich ohne Freiheitsräume letztlich nicht überzeugen kann.

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Hoffmann, Zession, S. 43. So auch Hoffmann, Zession, S. 43. 137 So auch Hoffmann, Zession, S. 43; Portmann, Wesen, Rn. 52. 138 Portmann, Wesen, Rn. 52. 139 Portmann, Wesen, Rn. 52. 140 Hoffmann, Zession, S. 44. 141 Hoffmann, Zession, S. 44. 142 Hoffmann, Zession, S. 44. 143 Picker, FS Schilken, S. 85, 90. 144 J. Schmidt, Aktionsberechtigung, S. 26 f.; zustimmend Hoffmann, Zession, S. 44. 136

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e) Peukerts Lehre vom Zuweisungsgehalt Auch die Lehre vom Zuweisungsgehalt, die ursprünglich im Rahmen des Bereicherungsrechts entwickelt wurde,145 geht davon aus, dass sich die Privatrechtsordnung nicht ausschließlich anhand zugewiesener Rechtspositionen erfassen lasse. Vielmehr soll es neben ausschließlich zugewiesenen Rechtskreisen auch Rechte geben, die durch einen bloßen Ausschluss schadensersatzrechtlich geschützt werden, jedoch nicht in dem Sinne positiv zugewiesen seien, dass ihre Verletzung auch eine bereicherungsrechtliche Haftung nach sich ziehen würde.146 Als Beispiel wird das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb genannt, welchem als Rechtsposition ohne Zuweisungsgehalt der Schutz der §§ 812 ff. BGB verwehrt wird.147 Auch nach diesem Ansatz enthält die Privatrechtsordnung folglich Schutzrechte, denen keine Substanzrechte zu Grunde liegen.148 Losgelöst vom Bereicherungsrecht entwickelte Peukert aus dieser Lehre ein umfassendes System der Güterzuordnung, welches die zugewiesene Rechtsposition als zentrales Element ebenso in Abrede stellt. Da sich die Rechtsordnung nicht ausschließlich anhand von Rechtspositionen erklären lasse, soll es nach Peukert sowohl positiv zugewiesene Rechtspositionen geben als auch lediglich rechtlich geschützte Interessen, die über keinen fest definierten Schutzbereich verfügen und die sich daher lediglich im Zustand der Verletzung denken ließen und zudem nicht statischer, sondern dynamischer Natur seien. Peukert verwendet zur Unterscheidung dieser Rechte die Begriffe der „positiven Freiheit“ und in Abgrenzung hierzu den der inhaltsoffenen „negativen Freiheit“ oder des „leeren Raums“.149 Beide zusammen könnten durch den Oberbegriff der Rechtsposition zusammengefasst werden.150 Als Beispiel für rein negativ geschützte rechtliche Interessen nennt auch Peukert die § 823 Abs. 2 und § 826 BGB, soweit diese lediglich das Vermögen als solches schützen, da dieses nicht als positiv zugewiesenes subjektives Recht zu qualifizieren sei.151 Darüber hinaus seien aber auch das 145 Die Lehre geht in ihrem Ursprung zurück auf Wilburg, Die Lehre von der ungerechtfertigten Bereicherung, S. 27 ff.; vgl. Peukert, Güterzuordnung, S. 426 m.w.N.; siehe hierzu auch die Kritik Hoffmanns am bereicherungsrechtlichen Grundverständnis der Lehre vom Zuweisungsgehalt, in: Zession, S. 54 f. 146 Vgl. BGHZ 107, 117 ff. = NJW 1990, 52 ff.; zur Theorienentwicklung ausführlich Ellger, Bereicherung, S. 148 ff., 368 ff.; S. Lorenz, Staudinger BGB, § 812 Rn. 23; Mestmäcker, JZ 1958, 521, 524 f.; Peukert, Güterzuordnung, S. 426 f., 446 m.w.N.; M. Schwab, MüKo BGB, § 812 Rn. 287 ff. 147 Vgl. BGHZ 71, 86, 98 = NJW 1978, 1377, 1379; Mestmäcker, JZ 1958, 521, 524 f. 148 Als Beispiel für substanzrechtslose Schutzrechte werden auch hier die §§ 823 Abs. 2, 826 BGB genannt. Schließlich könne man mit Blick auf § 823 Abs. 2 BGB nicht davon ausgehen, dass jemand ein Recht habe, nicht betrogen zu werden, vgl. Peukert, Güterzuordnung, S. 885 m.w.N.; a.A. Picker, FS Schilken, S. 85, 100. 149 Peukert, Güterzuordnung, S. 881 f. (Zitat S. 882). 150 Peukert, Güterzuordnung, S. 61 ff. 151 Peukert, Güterzuordnung, S. 528.

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deliktisch geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht und das postmortale Persönlichkeitsrecht, das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb sowie das Sonderdeliktsrecht aus § 3 UWG lediglich negative, im Ausschluss Dritter begründete Rechte.152 Diese Unterscheidung spielt vor allem an zwei Stellen eine wichtige Rolle. Zum einen könnten lediglich die primären subjektiven Rechte (im Sinne der „positiven Freiheit“) übertragen werden, zum anderen bestehe bezüglich der Ausgestaltung der ausschließlichen Rechte ein Monopol des Gesetzgebers,153 während die Judikative durch Rechtsfortbildung lediglich im Rahmen der negativen Freiheiten die Grenzen ausweiten könne154. Im Ergebnis gilt nach Peukert daher ein strenger Numerus clausus der zuweisbaren Substanzrechte, der eine Rechtsfortbildung auf diesem Gebiet nicht zulasse. Überträgt man dieses Privatrechtsverständnis auf den Anspruch auf Hinterbliebenengeld und stellte sich heraus, dass dem Anspruch lediglich eine „inhaltsoffene negative Freiheit“ zugrunde liegt, so könnte man die Suche nach dem konkreten Inhalt des Substanzrechts bereits mit dem Argument beenden, dass sich das geschützte Interesse nur im verletzten Zustand denken lasse, und ein Zutageführen des Inhalts des Rechts daher nicht notwendig bzw. mangels Existenz eines solchen positiven Rechts gar nicht möglich sei. § 844 Abs. 3 BGB würde dann möglicherweise dem Schutz eines lediglich „rechtlichen Interesses“ dienen, das sich eben nur im verletzten Zustand, als seelisches Trauerleid, denken lasse. Die grundlegenden Bedenken, die auftreten, wenn man die Rechtszuweisung als Kernelement der Privatrechtsordnung in Abrede stellt, kann jedoch auch Peukerts Lehre vom Zuweisungsgehalt nicht aus dem Weg räumen. Wie auch die Imperativentheorie155 vermag sie es bereits nicht, eine Erklärung dafür zu bieten, wie ein Ausschluss ohne vorherige Zuweisung überhaupt möglich sein soll.156 Zweckfreie Anordnungen, welche willkürlich ausgesprochen werden, bedrohen mangels nachvollziehbarer Anknüpfungspunkte vielmehr die Rechtssicherheit und führen zu erheblichen Problemen in der Rechtsanwendung.157 Zudem dürfte es für den Schädiger keinen Unterschied machen, ob er einen positiven oder einen negativen Freiheitsraum verletzt, da er sich in beiden Fällen schadensersatzpflichtig macht.158 Diese Unterscheidung wirkt daher eher künstlich als gebo152

Peukert, Güterzuordnung, S. 83 f., 858. Peukert, Güterzuordnung, S. 715, der diese These auf Art. 14 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 S. 2 GG aufbaut. 154 Peukert, Güterzuordnung, S. 881 f. 155 Auf die Vergleichbarkeit der „negativen Freiheit“ eines Rechts ohne Zuweisungsgehalt nach der Lehre Peukerts und dem Verständnis der Imperativentheorie weist Hoffmann, Zession, S. 53 f. zutreffend hin: Nach der Imperativentheorie zeichnen sich zuweisungsfreie Rechtskreise lediglich durch Ausschlussrechte aus. Die Rechtskreise existieren lediglich als rechtsfreier Raum, „als Loch im Zentrum des Normenkreises“ oder im Sinne Peukerts eben als „negative Freiheit“, als „leerer Raum“. 156 So auch Hoffmann, Zession, S. 53. 157 Hoffmann, Zession, S. 54. 158 Hoffmann, Zession, S. 54. 153

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ten.159 Ferner bleibt auch unklar, warum die „positive Freiheit“ an das Merkmal der Übertragbarkeit geknüpft werden sollte und Körper, Gesundheit oder Freiheit folglich als „negative Freiheiten“ zu qualifizieren wären, die mangels bereicherungsrechtlichen Schutzes insgesamt weniger Schutz als das Eigentum erfahren würden.160 f) Das einseitig „anspruchsfixierte Denken“ Letztlich lässt sich eine weitere Entwicklung sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur ausmachen, die weniger als „Theorie des Privatrechtsverständnisses“ zu verstehen ist als vielmehr als allgemeine Tendenz in der modernen Rechtsanwendung. Gemeint ist das anspruchsfixierte Denken des Rechtsanwenders.161 Fragen wie die, wann etwa eine Verletzung der Rechtsposition vorliegt, werden bei den Tatbestandsvoraussetzungen der einzelnen Anspruchsgrundlagen von Fall zu Fall aufs Neue untersucht und nicht etwa im Rahmen der Frage nach dem Umfang und den Grenzen des zugewiesenen Rechts. Deutlich wird dies am Paradebeispiel des Eigentums.162 Die Verletzung dieses absoluten Rechts wird bei den einzelnen Tatbestandsmerkmalen überprüft und nicht, was stimmig wäre, zunächst im Rahmen der §§ 903 ff. BGB.163 Dabei rückt bei der Frage, ob ein Anspruch nach § 823 Abs. 1 BGB vorliegt, die Verletzung des Substrats ins Zentrum der Betrachtung.164 Die Verletzung am Gegenstand wird automatisch zur Rechtsverletzung. Die Substanzverletzung wird zur Eigentumsverletzung, die Integritätsverletzung zur Körperverletzung.165 Den Mittelpunkt der Betrachtung bildet dabei der Schaden und nicht, was systemkonform wäre, die Verletzung der Rechtsposition.166 Auch nach dieser Handhabung steht die subjektive Rechts159

Hoffmann, Zession, S. 54. Hoffmann, Zession, S. 55. 161 Picker, FS Canaris II, S. 579, 580; vgl. auch Schiemann, GesR 2018, 69, 70, der im Vergleich zur Lage um 1900 eine erhebliche Änderung des dogmatischen Rahmens sieht, die sich dadurch zeige, dass die Verletzung von Lebensgütern und subjektiven Rechten keine übergeordnete Bedeutung mehr habe. 162 Die Theorie der Rechtszuweisung wird immer wieder am Beispiel des Eigentums erläutert, weshalb dieses auch als „Prototyp“ eines Substanzrechts bezeichnet wird, Hoffmann, Zession, S. 57; vgl. auch Picker, FS Canaris II, S. 579, 580 ff., der von „Demonstrationsobjekt“ oder dem „plastischsten Beispiel“ spricht. 163 Picker, FS Canaris II, S. 579, 582. 164 Picker, FS Canaris II, S. 579, 582; Bernhard, FS Picker, S. 83, 86 weist darauf hin, dass das Erfordernis des Verletzungserfolgs an der Substanz sogar als Axiom der Haftung erachtet werde. 165 Bernhard, FS Picker, S. 83, 89. 166 Vgl. etwa Wandt, Gesetzliche Schuldverhältnisse, S. 283 Rn. 17: „Das Eigentum wird dadurch verletzt, dass eine Sache zerstört oder beschädigt wird“. Ein prominentes Beispiel für diese Handhabung findet sich zudem in der viel diskutierten Fleet-Entscheidung, BGHZ 55, 153 = NJW 1971, 886, in welcher der BGH über einen Schadensersatzanspruch der Klägerin zu entscheiden hatte: Infolge unterlassener Instandhaltungsmaßnahmen durch die beklagte Bundesrepublik war ein Teil der Ufermauern eines als Wasserstraße gewidmeten Fleets ein160

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A. Die Rechtsposition hinter dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld

position daher nicht mehr im Zentrum der Betrachtung, diese wird vielmehr vom Substrat als zu schützendem Objekt abgelöst. Dies mag daran liegen, dass das Vorhandensein eines Schadens das natürliche Judiz stimuliert. Die Konzentration hierauf birgt jedoch die Gefahr, dass das spontane Gerechtigkeitsempfinden die Systematik des Rechts ignoriert.167 Das deutsche BGB beinhaltet keine deliktische Generalklausel,168 nach der im Ausgangspunkt jeder Schaden zu ersetzen wäre. Dient § 823 Abs. 1 BGB als Haftungsnorm, ist nur der Schaden relevant, der aus einer Rechtsverletzung entstanden ist; ein Verletzungserfolg am Substrat ist dabei jedoch nicht zwingend erforderlich.169 Deutlich wird ein solcher Schaden zwar, sobald eine im Eigentum des Gläubigers stehende Sache durch Zerstörung der Substanz beeinträchtigt oder unbrauchbar wird, notwendig ist dies jedoch nicht. Es sind weitere Möglichkeiten denkbar, die eine Eigentumsverletzung auch ohne Substanzverletzung begründen können. Als Beispiel seien Nutzungs- und Verwendungszweckstörungen genannt. In diesen Fällen wird eine naturalistische Unterscheidung zwischen Sach- und Vermögensschäden mangels Substanzverletzung erschwert,170 weshalb gestürzt. Die zur Vermeidung weiteren Übels provisorisch und vorübergehend aufgebaute Stützung bewirkte, dass das Fleet an dieser Stelle nicht mehr befahren werden konnte. Infolgedessen waren ein Schiff der Klägerin eingesperrt und drei andere an der Weiterfahrt und der Erreichung ihres Ziels gehindert. Lediglich für das gänzlich eingeschlossene Schiff sprach der BGH der Klägerin einen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB wegen einer Eigentumsverletzung zu, da hier jegliche Nutzung des Schiffs unmöglich geworden war. Die Erwägungen Pickers an dieser Stelle machen jedoch deutlich, dass die Differenzierung zwischen gänzlich eingesperrtem Schiff und nur an der Erreichung ihres Ziels gehinderter Schiffe ein weiteres Beispiel dafür ist, dass der BGH vom bloßen Vorhandensein eines Schadens auf eine Haftung geschlussfolgert hat. Unter Beachtung des Systems der Rechtszuweisung würde dieses Ergebnis voraussetzen, dass „die individuelle Nutzungsentscheidung des Eigentümers als Teil seiner Rechtsmacht“ zu betrachten wäre und „folglich die zu ihrer Verwirklichung verwendeten oder eingeplanten Gegebenheiten der Umwelt dem Inhalt seines Eigentums zugerechnet würden“ (Picker, ZfPW 2015, 385, 41). Dies führt jedoch zu weit: Die Gegebenheiten der Umwelt zählen nicht zur Nutzungsberechtigung des Eigentümers, weshalb der BGH auch einen Schadensersatzanspruch gem. § 823 Abs. 1 BGB für das eingeschlossene Schiff hätte ablehnen müssen. Zum deliktischen Eigentumsschutz bei Störung der Sach- und Umweltbeziehungen vgl. ferner Picker, JZ 2010, 541 ff.; Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 66a; siehe zur Problematik einer erfolgsbezogenen Haftung auch Bernhard, FS Picker, S. 83, 85 ff.; Reinhardt, JZ 1961, 713, 719. 167 Picker, JZ 2010, 541, 547. 168 Auch wenn eine solche Generalklausel im Ersten Entwurf zum BGB noch vorgesehen war, vgl. Motive II, S. 725 = Mugdan II, S. 404 f. 169 Bernhard, FS Picker, S. 83, 101 ff.; vgl. zur Verdeutlichung den von Picker in AcP 176 (1976), 28, 76 geschilderten Fall, dass einem Grundstückseigentümer Gewinn entgeht, da das bereits angebahnte Verkaufsgeschäft deshalb platzt, weil der angrenzende Nachbar entgegen nachbarschützender Baurechtsvorschriften schuldhaft ein störendes Gebäude errichtet. Für die Anwendung von § 823 BGB ist kein Verletzungserfolg in der Form einer Verschattung oder ähnliches erforderlich, um den entgangenen Gewinn als Schaden geltend machen zu können. 170 Bernhard, FS Picker, S. 83, 90 f.

I. Die Zivilrechtsordnung als Rechtszuweisungsordnung

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eine genaue Prüfung des Inhalts und der Grenzen des Rechts besonders wichtig wird. Anderenfalls gelangt man zu Einzelfallentscheidungen, bei welchen der entstandene Schaden von Fall zu Fall aufs Neue juristisch bewertet wird. Trotz des Hinweises darauf, dass es sich um einen primären Vermögensschaden handle oder nicht, bliebe unklar, ob die den Schaden verursachende Handlung das fremde Recht verletzt hat oder nicht.171 Die lückenhafte Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Inhalt des Rechts führt im Ergebnis aber dazu, dass Ansprüche verweigert werden, die zu gewähren wären und umgekehrt Ansprüche gewährt werden, obwohl es an einer Rechtsverletzung fehlt. Im Grunde unterscheidet sich der Nachteil des eingesperrten Schiffs im Fleet-Fall172 nämlich nicht von dem Nachteil, den ein im Stau feststeckender PKW erleidet.173 Dennoch wird bei ersterem verbreitet eine Eigentumsverletzung angenommen, bei letzterem hingegen nicht. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass es für eine Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB nicht auf einen Verletzungserfolg am Objekt ankommt, sondern an einer „Verletzung der rechtlichen Integrität“174. Nicht die körperliche Verletzung ist von Bedeutung, sondern die faktische Rechtsusurpation.175 Dass der Frage nach dem Inhalt des subjektiven Rechts nicht die gebührende Bedeutung beigemessen wird, zeigt sich auch bereits bei dem neuen Anspruch auf Hinterbliebenengeld. Dies wird dadurch deutlich, dass die Literatur regelmäßig davon ausgeht, der Anspruch würde allein für das erlittene seelische Leid gewährt.176 Ob die Rechtsordnung dem Rechtssubjekt jedoch eine entsprechende Rechtsposition zuweist, wird gar nicht erst überlegt,177 die Frage nach dem rechtlichen Inhalt nur selten gestellt. Teilweise geschieht dies sogar bei vollem Bewusstsein mit Verweis darauf, dass es in den letzten Jahren zur Ausweitung der Ersatzfähigkeit immaterieller Einbußen gekommen sei, und zwar unabhängig davon, ob eine Rechtsverletzung gegeben sei oder nicht.178 Da es folglich für die Entschädigung immaterieller Einbußen nicht mehr zwingend auf eine Rechtsverletzung ankomme, sei eine solche auch beim Anspruch auf Hinterbliebenengeld entbehrlich, weshalb sich der Anspruch problemlos in die Rechtsordnung integrieren lasse.179 Eine solche Sichtweise beinhaltet jedoch erhebliche Auswirkungen auf das geltende Ordnungssystem, die es zunächst noch zu durchdenken gilt.

171

Vgl. hierzu Bernhard, FS Picker, S. 83, 91. Siehe die Schilderungen des Fleet-Falls in diesem Abschnitt in Fn. 166. 173 Bernhard, FS Picker, S. 83, 91. 174 Bernhard, FS Picker, S. 83, 101. 175 Picker, neg. Beseitigungsanspruch, S. 50; ders., NJW 2015, 2304, 2305. 176 So Preinser, BeckOGK BGB, 01.08.2020, § 1360 Rn. 203. 177 Siehe hierzu auch unter: Kap. 1, B.I.1.e)bb)(1). 178 So etwa Schubert, Karlsruher Forum 2016, S. 28. 179 Schubert, Karlsruher Forum 2016, S. 31. 172

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A. Die Rechtsposition hinter dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld

g) Die ökonomische Analyse des Rechts Auch die Vertreter einer ökonomischen Analyse des Rechts konzentrieren sich auf eine Schadensvermeidung. Ihrer Ansicht nach liegt die Aufgabe der §§ 823, 826 BGB in der Unterscheidung zwischen kompensationswürdigen und nicht kompensationswürdigen Schäden.180 Schutznormen dienten vor allem der Verhaltenssteuerung, ihre Funktion sei auch hiernach primär in die Zukunft gerichtet.181 Die Androhung von Ersatzpflichten habe daher vor allem die Funktion, dem Adressaten einen Anreiz zur Schadensvermeidung zu vermitteln, wobei es jedoch nicht um ein Maximum an Prävention gehen soll, sondern, „dem Paradigma der Ökonomie als Wissenschaft vom effizienten Einsatz knapper Güter“182 entsprechend, um ein effizientes Maß an Schadensvermeidung. Dies bedeute, dass der Sorgfaltsaufwand zur Vermeidung von Schäden nur so lange auszudehnen sei, bis die Kosten für eine weitere Sorgfaltsmaßnahme die hierdurch zusätzlich zu vermeidenden Schadenskosten übersteigen.183 Zwar stimmten die Anforderungen an das Schadensersatzrecht mit dem Ansatz der Totalreparation im Sinne eines Ausgleichsprinzips überein, da die volle Kompensation aller Nachteile den richtigen Sorgfaltsanreiz setze.184 In klar definierten Ausnahmen sei aber auch ein suprakompensatorischer Schadensersatz möglich, um die erwünschte Anreizwirkung zu erzielen.185 Auch ein solches Verständnis, das die Zivilrechtsordnung primär als Verhaltensordnung auffasst, greift letztlich aber zu kurz. Das Ziel, das Verhalten der Rechtssubjekte untereinander zu regulieren, bildet nicht den zentralen Zweck der Zivilrechtsordnung. Vielmehr geht ihre Funktion deutlich darüber hinaus und begründet in der Folge, ohne dass dies der Selbstzweck wäre, auch eine Verhaltensordnung: Eine auf Rechtszuweisung beruhende freiheitliche Rechtsordnung wird zum Schutz von Gütern und bestimmter Werte aufgestellt, was in der effektiven Durchsetzung jedoch zugleich erfordert, dass sie ihrerseits Ausschluss- und damit Verhaltensgebote gegenüber Dritten begründet.186 Die Zivilrechtsordnung als Rechtszuweisungsordnung lehnt ein verhaltensregulierendes Element folglich nicht ab, es wird jedoch nicht als zentrales Element der Rechtsordnung, sondern vielmehr als bloßes Mittel zum Zweck der Aufrechterhaltung der dem Individuum zugewiesenen Rechtsposition verstanden und als solches auch anerkannt.

180

Vgl. Wagner, Gutachten A zum 66. DJT 2006, S. 20. Kötz/Wagner, Deliktsrecht, Rn. 59 ff.; Schäfer/Ott, ökonomische Analyse, S. 150 ff. 182 Wagner, Gutachten A zum 66. DJT 2006, S. 20. 183 Wagner, Gutachten A zum 66. DJT 2006, S. 20. 184 Wagner, Gutachten A zum 66. DJT 2006, S. 21 m.w.N. in Fn. 58. 185 So Wagner, Gutachten A zum 66. DJT 2006, S. 23, der als Beispiel u.a. jene Situation schildert, in der nicht alle Geschädigten die ihnen zustehenden Ersatzansprüche geltend machen. Sofern der Schädiger in dieser Situation insgesamt – über sämtliche Fälle hinweg – nicht auf eine höhere Haftungssumme in Anspruch genommen wird, sei eine Überkompensation im Interesse wirksamer Verhaltenssteuerung gerechtfertigt. 186 So auch Picker, ZfPW 2015, 385 mit Fn. 62. 181

I. Die Zivilrechtsordnung als Rechtszuweisungsordnung

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Dass Verhaltensgebote nicht als systembestimmende Bezugspunkte gelten können, zeigt beispielsweise ein Blick auf den Vindikationstatbestand gem. § 985 BGB oder die „Zustandshaftung“ nach § 1004 BGB, welche kein Verhalten des Haftenden erfordern und somit auch ohne Verhaltenssteuerung durch das Gesetz eintreten.187 Auch das Ziel der Verhaltenssteuerung kann die Rechtsposition als zentrales Element daher nicht ersetzen, sondern nur ergänzen.

4. Gründe für den anhaltenden Geltungsanspruch der Rechtsposition als zentrales Element der Privatrechtsordnung Die Gründe, die es erforderlich machen, auch für das Gesetz zur Einführung des Hinterbliebenengelds noch am tradierten Systembau der Privatrechtsordnung anzusetzen, sind vielfältig. Das erste Argument entspringt der Überlegung, dass sich ohne den Gedanken zugewiesener Freiheitsräume bereits nicht erklären ließe, warum einem Einzelnen erlaubt sein soll, was allen anderen untersagt ist.188 Warum darf ein Einzelner mit einer Sache verfahren, wie er will, wenn dies allen anderen nicht gestattet ist? Es bliebe unklar, warum ein Rechtssubjekt auf Kosten eines anderen die ihm zu Gute kommenden Ansprüche durchsetzen darf, wenn er selbst nicht in seiner Freiheit verletzt oder zumindest bedroht ist. Bei der Durchsetzung eines Anspruchs handelt es sich schließlich seinerseits um einen unkonsentierten Zugriff des Anspruchstellers auf eine Rechtsposition des Anspruchsgegners, welchem es jedoch aufgrund der Legitimierung durch die Rechtsordnung an der Widerrechtlichkeit fehlt. Warum dies ohne vorherige Verletzung oder Gefährdung einer Rechtsposition des Anspruchstellers legitim sein sollte, lässt sich bei einem nicht übereinstimmenden Eingriff in eine Rechtsposition nicht rechtfertigen.189 Zweckfreie Imperative können eine solche zivilrechtliche Belastung eines Privatrechtssubjekts ebenso wenig rechtfertigen wie allgemeinformulierte Institutionen- oder Gemeinwohlbelange. Zudem ist die Abgrenzung individueller Freiheitsrechte notwendig, um einer Entwertung des Einzelnen in der Gesellschaft entgegenzuwirken190 und Rechtsunsicherheiten zu vermeiden. Ohne die Anerkennung von subjektiven Rechtspositionen gäbe es eben diese Freiheit für den Einzelnen von Rechts wegen nur noch innerhalb eines grundrechtlichen Mindestschutzes.191 Dies würde jedoch auch bedeuten, dass der Richter gerade vor dem Hintergrund eines politischen Privatrechts keinen wohldefinierten privatnützigen Freiheitsraum mehr zu berücksichtigen hätte. Vielmehr würde der „politische Richter“ im Auftrag der

187

Picker, ZfPW 2015, 385 mit Fn. 62. J. Schmidt, Aktionsberechtigung, S. 26 f. 189 So auch Hoffmann, Zession, S. 38. 190 Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 103 f. 191 Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 104 f. 188

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A. Die Rechtsposition hinter dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld

Schaffung einer guten Ordnung agieren und das Recht im Sinne dieser anwenden.192 In jedem nicht grundrechtlich definierten Bereich bestünden Rechtsinterpretationsfreiheiten, die der Richter zur Aufrechterhaltung der „guten Ordnung“, was auch immer er genau hierunter verstehen mag, nutzen könnte. Für das Privatrechtssubjekt bedeutete dies folglich, dass subjektive Freiheitsräume nur soweit bestünden, wie der Richter es zur Durchsetzung oder Aufrechterhaltung der „guten Ordnung“ für erforderlich halten würde.193 Dies käme jedoch geradezu einer faktischen Abschaffung substantieller Freiheiten gleich, denn Freiheit erfüllt nur dann ihre Funktion, wenn ihr Umfang und ihre Grenzen für den Inhaber erkennbar und prognostizierbar sind. Ist dies nicht der Fall, könnte der Einzelne nur mutmaßen, welcher Politik – welchem Richter – zur Aufrechterhaltung welcher Ordnung – sein Handeln entspricht.194 Die individuelle Freiheit wäre dann aber zugunsten größerer Gestaltungsspielräume staatlicher Kompetenz weitgehend eingeschränkt.195 Der Richter wäre ermächtigt, auf außerjuristische Erkenntnisquellen wie Politik, Soziologie, Philosophie und Ökonomie zurückzugreifen oder sogar zur eigenmächtigen aktiven Mitgestaltung der „guten Ordnung“ überzugehen.196 Er wäre insofern frei und könnte im Ergebnis nach eigenem rechtspolitischem Empfinden entscheiden. Ein nach eigenem Gutdünken Recht sprechender Richter handelt aber nicht mehr nur unabhängig, sondern vielmehr willkürlich.197 Verkompliziert würde eine solche Rechtsfindung zusätzlich dadurch, dass es auch innerhalb dieser Erkenntnisquellen verschiedene Richtungen gibt, die zu unterschiedlichsten Ergebnissen führen können, weshalb von einer „Rechtssicherheit“ letztlich nicht viel übrig bleiben würde. Auch birgt eine Abkehr vom Gedanken der Rechtszuweisung deshalb die Gefahr einer Willkürjustiz, weil es für den praktischen Rechtsanwender gerade dann von Bedeutung ist, auf erprobte Grundsätze zurückgreifen zu können, wenn neu eingeführte Gesetze Fragen in ihrer Anwendung aufwerfen. Herrscht Unklarheit darüber, welche dogmatischen Grundsätze anzuwenden sind und kann weder der Richter noch der Rechtsanwalt auf etablierte Grundsätze zurückgreifen, führt dies zu Rechtsunsicherheit und damit letztlich zum Versagen des Rechts.198 Genau diese praktischen Fragen sind aber unabwendbar, da kein Gesetz, und sei es noch so gelungen formuliert, in der Lage sein wird, jedwede Fallkonstellation aus sich heraus zu lösen. Vielmehr wird ein Rückgriff auf Dogmatik, Systematik und etablierte Auslegungsregeln immer von außerordentlicher Wichtigkeit bleiben. Wie sonst soll der Richter wissen, wem er eigentlich für was genau und von wem Geld zusprechen soll? Nur wenn auch Klarheit darüber

192

Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 104 f. Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 104 f. 194 Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 104 f. 195 Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 104 f. 196 Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 105 f. 197 BVerfGE 49, 304, 322 = NJW 1979, 305, 307; Peukert, Güterzuordnung, S. 88. 198 Bader, Diskriminierungsschutz, S. 35 Fn. 1. 193

I. Die Zivilrechtsordnung als Rechtszuweisungsordnung

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besteht, ob der geldwerte Anspruch als Schadensersatz für die Verletzung einer bestimmten Rechtsposition zugesprochen werden soll, lässt sich beispielsweise beantworten, in welchem Umfang Ersatz zu gewähren ist,199 ob auf eine Versicherung für die Erfüllung des Anspruchs zurückgegriffen werden kann200 oder ob der Anspruch vererbbar sein soll.201 Die Abhängigkeit des Schutzes von der Rechtsposition liegt somit dem geltenden Privat- und Zivilrecht als fundamentale Wertungs- und Gestaltungsmaxime zugrunde.202 Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass mit der Überzeugung des herkömmlichen Ordnungssystems als Grundlage des Bürgerlichen Rechts eine juristisch-dogmatische Arbeit zur Lösung der zu erwartenden praktischen Probleme des Gesetzes zur Einführung des Hinterbliebenengelds nur auf der Grundlage eben dieses Ordnungsprinzips erfolgen kann.

5. Folgen für das Hinterbliebenengeld Für den Anspruch auf Hinterbliebenengeld als Schutzrecht bedeutet dies, dass die Existenz einer klar konturierbaren Rechtsposition mit einer dogmatisch haltbaren Begründung gegeben sein muss. Denn ein Anspruch auf eine „angemessene Entschädigung“ kann nur demjenigen zustehen, dessen Rechtsposition verletzt ist.203 Es stellt sich nach dem Gesagten also nicht die Frage nach der Existenz einer subjektiven Rechtsposition, die hinter dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld steht,204 sondern lediglich nach ihrem konkreten Inhalt und Umfang. Denn alleine aus der Existenz des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld lässt sich auf das Vorhandensein einer subjektiven Rechtsposition rückschließen.205 Wie wichtig das Zutageführen dieser Rechtsposition ist, wird auch beim Hinterbliebenengeld in seinem ganzen Ausmaß deutlich. Es ist für den praktischen 199

Köndgen, Karlsruher Forum 2016, S. 90. Dies ist insbesondere deshalb erwähnenswert, weil der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung lediglich von einer Anerkennungsfunktion des Hinterbliebenengelds spricht, vgl. BT-Drs. 18/11397, S. 1, 10. Eine Versicherung wird jedoch lediglich für entstandene Schäden und nicht für eine Anerkennung aufkommen. Siehe hierzu unter: Kap. 2, B.III.4.a). 201 So sind Ansprüche wegen Verletzung der Gesundheit beispielsweise vererblich, Ansprüche wegen Verletzung des ideellen Teils des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach höchstrichterlicher Rechtsprechung hingegen nicht. Siehe hierzu ausführlich unter: Kap. 2, B.III.3.a). 202 Picker, FS Schilken, S. 85, 92. 203 Hoffmann, Zession, S. 36, 56. 204 Vor Einführung des Anspruchs gab es an der Existenz einer solchen Rechtsposition noch erhebliche Zweifel, vgl. etwa Lobinger, Karlsruher Forum 2016, S. 95; Looschelders, Karlsruher Forum 2016, S. 105 f.; vgl. auch die Anhörung des Deutschen Anwaltsvereins (DAV) im Deutschen Bundestag, Sitzung des Ausschusses für Verkehrsrecht und Zivilrecht im April 2017, https://www.bundestag.de/ausschuesse/ausschuesse18/a06/anhoerungen/stell ungnahmen/502716, (Stand: 27.07.2022). 205 Vgl. Hoffmann, Zession, S. 38; Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil I, S. 432; a.A. Raiser, JZ 1961, 465, 467. 200

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A. Die Rechtsposition hinter dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld

Rechtsanwender zunächst unklar, wofür das Hinterbliebenengeld eigentlich genau gezahlt werden soll.206 Das seelische Leid, auf welches die Norm Bezug nimmt, beschreibt für sich keine Rechtsposition, sondern vielmehr eine Empfindung, die aus der Verletzung einer Rechtsposition herrührt. Die „Seele“ stellt jedoch kein Recht dar, sondern ist vielmehr mit einem immateriellen Gut vergleichbar.207 Die Erkenntnis über die durch die Anspruchsnorm geschützte Rechtsposition braucht es aber, um allgemeine Kriterien für die praktische Anwendung des Anspruchs entwickeln zu können und um bei Zweifelsfragen auf bereits vorhandene Rechtsgrundsätze zurückgreifen zu können. Ein nach freiem Ermessen berechnetes Geld, mit dem Befriedigung in der Bevölkerung erreicht werden soll, stellt keine dogmatisch zufriedenstellende Lösung dar und kann das Prinzip der individuellen Freiheit im Privatrecht nicht ersetzen. Insofern vermag das durchaus ehrbare Ziel des Gesetzgebers, das seelische Leid im Trauerfall anzuerkennen,208 das Erfordernis einer dogmatischen Herleitung nicht zu ersetzen.

II. Die Zuweisung einer Rechtsposition durch die objektive Ordnung Da Schutzrechte von Substanzrechten zu unterscheiden sind und sich aus dem Wortlaut des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld nicht eindeutig ergibt, welches Substanzrecht geschützt wird, gilt es dieses zu ermitteln. Um diese Feststellung jedoch treffen zu können, ist vorgelagert zu klären, wie die Zuweisung einer subjektiven Rechtsposition erfolgt und welche Kriterien hierbei von Relevanz sind. Erst wenn hierüber Klarheit herrscht, sind die verschiedenen möglichen Rechtspositionen, die hinter dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld als Schutzrecht stehen könnten, zu überprüfen. Im Ergebnis dieser Untersuchungen soll dann eine Aussage darüber getroffen werden, welche Rechtsposition hinter dem neuen Anspruch steht. In einem ersten Schritt soll daher untersucht werden, wie eine Rechtsposition einem Privatrechtssubjekt zugewiesen werden kann.

206 Vgl. etwa H. J. Schwab, DAR 2018, 284, 285, der davon ausgeht, dass der Anspruch auf Hinterbliebenengeld weder eine Rechtsgutsverletzung noch einen Schaden beim Hinterbliebenen voraussetzt. 207 So auch das LG Tübingen in seinem Urteil v. 17.05.2019 – 3 O 108/18, Rn. 93 –, juris. 208 BT-Drs. 18/11397, S. 1, 10.

II. Die Zuweisung einer Rechtsposition durch die objektive Ordnung

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1. Die Zuweisung absoluter und relativer Rechte Durch die Zuordnungsentscheidung des Gesetzgebers können sowohl absolute als auch relative Rechtspositionen entstehen, welche sich in ihrer Beziehung zu ihrer Umwelt unterscheiden.209 Die Unterscheidung zwischen absoluten und relativen Rechten stammt aus der Pandektistik.210 Seither gelten als absolute Rechte solche, die gegenüber jedermann wirken und deren Inhalt entsprechend von jedermann zu beachten ist.211 Relative Rechte hingegen stellen das Korrelat individueller Verpflichtungen dar und binden daher auch nur den jeweils Verpflichteten.212 Auch relative Rechtspositionen können in Form von gesetzlichen Forderungsrechten durch den Gesetzgeber zugewiesen werden.213 Oftmals bildet das Gesetz bei der Zuweisung relativer Rechtspositionen aber nur den Rahmen, hinzutreten muss ein privatautonomer Willensakt, meist in Form eines Vertrages.214 Woran eine Zuordnungsentscheidung des Gesetzgebers zu erkennen ist, soll im Folgenden näher aufgeschlüsselt werden. a) Absolute Rechte Der Begriff des absoluten Rechts wird herkömmlich für eine Gruppe von Rechtspositionen gebraucht, die dem Eigentum in gewisser Weise ähnlich sind.215 Bereits in den Motiven des BGB wurde diese Beschreibung zur Erläuterung des dinglichen Rechts verwendet216 und wird nunmehr auch im Zusammenhang mit anderen Rechten gebraucht.217 Wesensmerkmal des absoluten Rechts ist es, dass sich das Schutzrecht nicht auf eine bestimmte Person beschränkt, sondern gegen jedermann richtet.

209 Der Unterschied zwischen absoluten und relativen Rechten ist jedoch kein unvermittelter Gegensatz, vielmehr sind auch Kombinationen der einen und der anderen Art möglich. So richtet sich das elterliche Sorgerecht nur soweit gegen Dritte, als dass das Kind den Eltern nicht entzogen werden darf. Und auch das Forderungsrecht hat neben einer relativen auch eine absolute „Dimension“ und ist insoweit von Dritten zu respektieren, Hoffmann, Jura 2014, 71, 74; vgl. auch bereits v. Gierke, Deutsches Privatrecht I, S. 258 Fn. 6; siehe zur absoluten „Dimension“ des Forderungsrechts ausführlich unter: Kap. 1, B.I.3.b)bb)(2)(a). 210 Siehe hierzu Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 132 f. mit Fn. 2 ff.; vgl. auch Fabricius, AcP 160 (1961), 273, 277; Henn, Drittschadensliquidation, S. 185; Jansen, Haftungsrecht, S. 462 f. 211 Braun, AcP 205 (2005), 127, 133; Wagner, MüKo BGB, § 823 Rn. 188; vgl. auch Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 3. 212 Braun, AcP 205 (2005), 127, 133; Henn, Drittschadensliquidation, S. 185. 213 Zum absoluten Bereich einer Forderung siehe unter: Kap. 1, B.I.3.b)bb)(2)(a). 214 F. Hartmann, commodum, S. 22. 215 Wollin, Störerhaftung, S. 35. 216 Motive III, S. 2 = Mugdan III, S. 1. 217 Vgl. z.B. für das Namensrecht als absolutes Recht BGH, GRUR 2006, 957; für das Markenrecht BGHZ 191, 19, 24 = GRUR 2011, 1038, 1039 sowie für das Urheberrecht BGHZ 185, 330, 335 f. = GRUR 2010, 633, 634 f.

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A. Die Rechtsposition hinter dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld

aa) Merkmale einer absoluten Rechtsposition (1) Die Zuordnungs- und die Ausschlussfunktion Kennzeichnend für eine absolute subjektive Rechtsposition ist, dass die Position einerseits eine Zuordnungs- und andererseits eine Ausschlussfunktion hat.218 Diese beiden Komponenten werden für das Eigentum beispielhaft in § 903 BGB beschrieben, in dem es heißt, der Eigentümer einer Sache kann mit dieser grundsätzlich „nach Belieben verfahren [Zuordnungskomponente] und andere von jeder Einwirkung ausschließen [Ausschlusskomponente]“.219 Diese Charakteristika des Eigentums gelten jedoch für alle in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechtsgüter und sind als Maßstab auch für „sonstige Rechte“ anzulegen.220 Als Beispiel sei hier das Namensrecht genannt, das als „sonstiges Recht“ unstreitig anerkannt ist und bei welchem sich die Ausschlusskomponente, vergleichbar den §§ 903 ff. BGB für das Eigentum, unmittelbar aus § 12 BGB ableiten lässt.221 Eine absolute Rechtsposition hat also die Eigenschaft, dass jedermann verpflichtet ist, den Freiheitsraum des Inhabers zu respektieren und nicht zu verletzen.222 In den Motiven des BGB heißt es hierzu: „Es liegt im Begriffe eines solchen [absoluten] subjektiven Rechtes, daß jeder Dritte es achten muß und nicht verletzen darf“.223 Insofern liegt in der Berechtigung, die durch die Zuweisung eingeräumt wird, zugleich auch ihre Ausschlussfunktion.224 Denn eine Zuweisung ist ohne Ausschluss nicht denkbar.225 Eine bereits zugeordnete absolute Rechtsposition wirkt daher gegenüber jedermann, und es obliegt der Rechtsordnung, diesen Bereich des Einzelnen umfänglich zu schützen.

218 Canaris, FS Steffen, S. 85, 90; Hager, Staudinger BGB, § 823 Rn. B 124; Larenz/Canaris, SchuldR BT II, § 76 I S. 374; Wagner, MüKo BGB, § 823 Rn. 303. 219 Larenz/Canaris, SchuldR BT II/2, § 76 I S. 373. 220 Braun, AcP 205 (2005), 127, 135; Larenz/Canaris, SchuldR BT II/2, § 76 I S. 374; vgl. auch Katzenstein, Haftungsbeschränkungen, S. 142. 221 Fabricius, AcP 160 (1961), 273, 287; Heinrich, Soergel BGB, § 12 Rn. 195; Säcker, MüKo BGB, § 12 Rn. 167. Diese funktionale Gemeinsamkeit der Rechte erkennt auch der moderne Gesetzgeber an, indem er sie als „ausschließliches Recht“ bezeichnet, vgl. etwa § 15 Abs. 1, 2 UrhG, § 28 Abs. 1 DesignG, §§ 14 Abs. 1, 15 Abs. 1 MarkG; vgl. ferner die Beschreibung in § 11 GebrMG, § 9 PatG; siehe hierzu auch Wollin, Störerhaftung, S. 36. 222 Wagner, MüKo BGB, § 823 Rn. 304. 223 Motive II, S. 726 = Mugdan, S. 405. 224 Canaris, FS Steffen, S. 85, 90; zur Durchsetzung dieses Ausschlusses ist der Rechtsinhaber mit Abwehrbefugnissen gegenüber Dritten ausgestattet (§ 1004 BGB [analog]). A.A. Hammen, AcP 199 (1999), 591, 599 f., welcher der Ansicht ist, aus der Zuordnung an sich ließe sich noch nicht schließen, „wem gegenüber der Gläubiger zu dieser Entscheidung zuständig ist.“ Als Argument führt er an, dass dann jedes subjektive Recht Ausschlussfunktion haben müsste, was – man fragt sich warum – nicht sein könne. 225 Dieser Satz lässt sich genauso gut umdrehen, weil sich auch ein Ausschluss ohne Zuweisung nicht rechtfertigen lässt, vgl. Malitzky, Begriff des subjektiven Rechts, S. 4.

II. Die Zuweisung einer Rechtsposition durch die objektive Ordnung

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(2) Die sozialtypische Offenkundigkeit Darüber hinaus werden an absolute Rechtspositionen, insbesondere wenn diese als „sonstiges Recht“ i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB geschützt werden, teilweise besondere Anforderungen gestellt. Grundsätzlich können Substanzrechte rechtliche Interessen, Rechtsgüter und subjektive Rechte sein.226 Mit Blick auf die in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechte ist jedoch zu hinterfragen, ob ein solches Verständnis des gesamten Rechtskreises nicht zu weit reicht. § 823 Abs. 1 BGB nennt zwar ausdrücklich auch das „sonstige Recht“ und ermöglicht somit den Schutz weiterer, nicht ausdrücklich genannter Rechtspositionen. Wäre damit jedoch jegliches Vermögensinteresse geschützt, käme das „sonstige Recht“ einer „großen Generalklausel“ gleich. Auch wären die weiteren deliktischen Anspruchsklauseln §§ 823 Abs. 2, 824, 825, 826, 839 BGB überflüssig, da nach § 823 Abs. 1 BGB bereits jede Verletzung rechtlich geschützter Interessen ersatzfähig wäre.227 In weiten Teilen der Literatur wird daher, wenn die Haftung nicht an einen Verstoß gegen eine die Grenzen der Handlungsfreiheit festlegende Verhaltensregel geknüpft ist,228 als zusätzliches Kriterium die sozialtypische Offenkundigkeit einer Rechtsposition gefordert.229 Dieses Kriterium beinhaltet, dass aufgrund einer generellen Wahrnehmbarkeit des betreffenden Rechtsguts auf den Schutz des zugehörigen Rechts geschlossen werden kann, wodurch zur Respektierung der Handlungsfreiheit des potentiellen Schädigers eine Warnfunktion entfaltet wird.230 Diese Offenkundigkeit des fremden Rechts sei maßgeblich dafür, dass dem Eingriffsverbot Vorrang vor dem Freiheitsinteresse einzuräumen sei.231 In den Protokollen heißt es hierzu: „Man brauche bei seinem Thun und Lassen auf die rechtlich geschützten Interessen der Anderen nur soweit zu achten, als man bei ordnungsgemäßer Sorgfalt erkennen müsse, daß dieselben dadurch gefährdet würden“.232

226

Siehe hierzu bereits oben: Kap. 1, A.I.1. Fabricius, AcP 160 (1961), 273, 289 ff. 228 Gemeint sind Verkehrspflichten und Schutzgesetze, vgl. Bernhard, FS Picker, S. 83, 106 f.; Katzenstein, Haftungsbeschränkungen, S. 183; siehe zur Aufgabe der Verhaltensvorschriften sogleich noch ausführlich unter: Kap. 1, A.II.1.a)cc). 229 Grundlegend Fabricius, AcP 160 (1961), 273, 289 ff., welcher das Merkmal der sozialtypischen Offenkundigkeit aus zweierlei Gründen für sinnvoll erachtet: Einerseits könne so die Begrenzungsfunktion des Deliktsrechts bei den „sonstigen Rechten“ gewährleistet werden und andererseits biete dieses Kriterium eine Grundlage dafür, dass zum Teil auch Forderungen über § 823 Abs. 1 BGB geschützt werden könnten, sofern sie das Merkmal der sozialtypischen Offenkundigkeit aufweisen; zust. Larenz/Canaris, SchuldR BT II/2, § 76 I S. 355, 374 f., § 80 I S. 491; vgl. auch Canaris, FS Steffen, S. 85, 93; dens., FS Larenz II, S. 27, 31; Esser/Weyers, Schuldrecht II/2, § 55 I 2 b), S. 163; Henn, Drittschadensliquidation, S. 196; Krebs, Sonderverbindung, S. 81 ff., 486; Picker, AcP, 183 (1983), 369, 480 f.; dens., JZ 1987, 1041, 1054; kritisch hingegen Medicus, FS Steffen, S. 333, 335. 230 Larenz/Canaris, SchuldR BT II, § 76 I S. 374. 231 Picker, AcP 183 (1983), 369, 478. 232 Protokolle II, S. 2714 = Mugdan II, S. 1074. 227

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A. Die Rechtsposition hinter dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld

Fehlt es aber an der Erkennbarkeit, wie beispielweise beim nur schwer greifbaren Vermögensinteresse oder der allgemeinen Handlungsfreiheit, sind diese Rechte zu Gunsten der allgemeinen Handlungsfreiheit des potentiellen Schädigers vom Schutz des § 823 Abs. 1 BGB ausgeschlossen.233 Diese rechtlichen Interessen ohne sozialtypische Erkennbarkeit sind dann nur vor bestimmten Eingriffen, d.h. unter weiteren Voraussetzungen geschützt. Im Falle des Vermögensinteresses muss gem. § 826 BGB sittenwidrig und vorsätzlich in die Rechtsposition eingegriffen werden, so dass es hier zwar nicht auf eine sozialtypische Offenkundigkeit, über das Vorsatzelement wohl aber auf eine subjektive Erkennbarkeit einer Schädigung im konkreten Einzelfall ankommt.234 Denn die Handlungsfreiheit des Schädigers wird über § 826 BGB nur insoweit eingeschränkt, als dieser auch in Bezug auf die Schädigung zumindest mit bedingtem Vorsatz handelt.235 Fraglich ist jedoch, wann eine Rechtsposition als sozialtypisch offenkundig anzusehen ist. (a) Die sozialtypische Offenkundigkeit kraft Bezugsgegenstands Die sozialtypische Offenkundigkeit ist problemlos Eigenschaft einer Rechtsposition, wie der unsichtbaren Grenze der allgemeinen Handlungsfreiheit eine sichtbare Grenze korrespondiert.236 Liegt ein gegenständlich fassbares Gut vor, macht dieses zumindest im Kern deutlich, dass hier ein privatnützig geschützter Bereich vorliegt. Blickt man auf das Eigentum als weitgehend ausgestaltetes Recht, wird schnell deutlich, dass der potentielle Schädiger hier gedanklich aufgrund der Wahrnehmbarkeit des körperlichen Substrats auf die mit dem Eigentum einhergehenden Rechte des Berechtigten schließen kann.237 Nicht weniger eindeutig verhält es sich auch bei den in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechtsgütern Leben, Körper, Gesundheit oder Freiheit.238 Auch hier kann davon ausgegangen werden, dass sich jedermann dessen bewusst ist, dass er einen Menschen, der in seiner Gestalt sinnlich wahrnehmbar ist, nicht in seiner Integrität beeinträchtigenoder in seiner Freiheit beschränken darf.239 Zwar mag das Substrat der Freiheit oder der Gesundheit mangels eines sinnlich wahrnehmbaren Gutes nicht so einfach sichtbar sein, jedoch sind diese Güter so eng mit dem Dasein des Menschen verbunden, dass sie aufgrund unserer gesellschaftlichen Prägung wie selbstverständlich als schützenswerte Interessen erkannt werden.240

233 Larenz/Canaris, SchuldR BT II, § 76 I S. 374; zum Fehlen der sozialtypischen Offenkundigkeit bei reinen Vermögensinteressen vgl. ferner Picker, AcP 183 (1983), 369, 481. 234 In diese Richtung auch Prange, Schutzpflichtverletzungen, S. 182 Fn. 655. 235 Vgl. zu den Anforderungen an den Vorsatz Wagner, MüKo BGB, § 826 Rn. 26. 236 Bernhard, FS Picker, S. 83, 105. 237 Dazu, dass die Grenzen einer Rechtsposition aber auch dann nicht immer eindeutig sind, wenn ein körperliches Substrat gegeben ist, siehe sogleich unter: Kap. 1, A.II.1.a.cc). 238 Dazu, dass die Rechtsordnung dem Einzelnen auch eine Berechtigung an diesen Rechtsgütern zuweist, siehe nur Bernhard, FS Picker, S. 83, 102. 239 Fabricius, AcP 160 (1961), 273, 289 f. 240 Fabricius, AcP 160 (1961), 273, 291.

II. Die Zuweisung einer Rechtsposition durch die objektive Ordnung

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Insofern genügt es für die Offenkundigkeit der Berechtigung eines Einzelnen auch, dass der potentielle Schädiger die Rechtsposition mittels einfacher „Gedankenreflexion“241 erkennen kann. Die sozialtypische Offenkundigkeit setzt folglich keine Verkörperung des Gutes voraus.242 Sie ist nicht bloß „real naturwissenschaftlich“ zu verstehen, sondern „geistig-soziologisch“ und auch anhand des Kulturbewusstseins einer Gesellschaft zu ermitteln.243 Keine Rolle spielt hingegen, ob der potentielle Schädiger erkennen kann, wer der Rechtsinhaber ist.244 Die Vorhersehbarkeit der Verletzung muss sich nicht auf einen konkreten Rechtsinhaber beziehen. Dies überrascht auch aufgrund der Überlegung nicht, dass ein zerstörerisches Einwirken auf ein Substrat auch dann nicht von der Handlungsfreiheit gedeckt sein kann, wenn der Handelnde nicht weiß, in wessen Eigentumsrecht er eingreift. (b) Die sozialtypische Offenkundigkeit kraft umfassender Beschreibung Nicht immer jedoch ist ein wahrnehmbares Bezugsobjekt vorhanden, das die Gedankenreflexion in Gang setzen könnte.245 Fehlt es an einem Bezugsobjekt und sind daher aufgrund der fehlenden sichtbaren tatsächlichen Grenzen auch die Grenzen zwischen Rechtsposition und allgemeiner Handlungsfreiheit unsichtbar, entstehen auch für den Gesetzgeber regelungstechnische Probleme.246 Dem Gesetzgeber fehlt es dann an den sprachlichen Möglichkeiten, kurz und knapp einen grundsätzlichen Ausschluss Dritter zu Gunsten eines Berechtigten zu statuieren und lediglich ausnahmsweise eine Einwirkung zuzulassen (wie etwa beim Eigentum gem. §§ 903, 906 BGB). Bei nicht gegenständlichen, nicht wahrnehmbaren Gütern kann die Offenkundigkeit jedoch dadurch hergestellt werden, dass die Berechtigung, die einem Einzelnen monopolisiert eingeräumt wird, umfassend umschrieben wird.247 Dieser Regelungstechnik bedient sich beispielsweise das Patentrecht, bei welchem der Inhalt des Rechts nicht aus sich heraus erkenntlich ist.248 Die sozialtypische Offenkundigkeit eines Patentrechts wird daher erst mit der genauen Beschreibung seines Inhalts in der Patentrolle hergestellt.249

241

Fabricius, AcP 160 (1961), 273, 291. Fabricius, AcP 160 (1961), 273, 294. 243 Fabricius, AcP 160 (1961), 273, 294. 244 Fabricius, AcP 160 (1961), 273, 296. 245 Das zugeordnete Gut muss keinesfalls immer körperlich sein, vgl. S. Gottwald, Persönlichkeitsrecht, S. 184; Wollin, Störerhaftung, S. 31; auch Zitelmann, Internationales Privatrecht I, S. 51, wies darauf hin, dass das Objekt eines subjektiven Rechts nur den „Beziehungspunkt“ bezeichnet; vgl. ferner Kannowski, Staudinger BGB, Vorbem zu § 1 Rn. 20. 246 Bernhard, FS Picker, S. 83, 105. 247 Bader, Diskriminierungsschutz, S. 149; Bernhard, FS Picker, S. 83, 105 f., 108; Picker, FS Canaris I, S. 1001, 1026; Zech, unkörperliche Güter, S. 2. 248 Bernhard, FS Picker, S. 83, 106. 249 Fabricius, AcP 160 (1961), 273, 301; Bernhard, FS Picker, S. 83, 106. 242

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A. Die Rechtsposition hinter dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld

Der entscheidende Unterschied zwischen Gütern mit Bezugsobjekt und solchen, die nicht ohne Weiteres wahrnehmbar sind, ist somit nicht rein strukturell, sondern auch regelungstechnischer Art.250 Nur jene Güter, bei denen die Grenzen zwischen allgemeiner Handlungsfreiheit und zugewiesenem Rechtsraum nicht ohne Weiteres sichtbar oder mittels Gedankenreflexion erkenntlich sind, bedürfen zwingend ihrer näheren Umschreibung.251 Ergibt sich die sozialtypische Offenkundigkeit nicht oder nur unzureichend aus dem Bezugsgegenstand der Rechtsposition, ist daher ein Blick auf die Rechtsordnung zu werfen und festzustellen, ob und inwieweit die in Frage stehende Position in der Rechtsordnung anerkannt ist. Denn soweit die Rechtsordnung eine subjektive Berechtigung anerkennt, kann ihr Schutz letztlich weder an Deskriptions- noch Determinationsschwierigkeiten scheitern.252 (c) Kritik am Erfordernis der sozialtypischen Offenkundigkeit Andere Teile der Literatur verzichten jedoch ganz auf die Erkennbarkeit der Rechtsposition mittels Bezugsobjekt oder Gedankenreflexionen. Nach ihrer Ansicht ist es nicht erforderlich, dass eine Rechtsposition aufgrund eines sinnlich wahrnehmbaren Bezugsgegenstandes nach außen erkennbar ist.253 Dies werde gerade am Beispiel der Immaterialgüterrechte deutlich, bei welchen Einigkeit darüber herrscht, dass es sich bei diesen um absolute Rechtspositionen handelt, obwohl es an einer sinnlichen Wahrnehmbarkeit fehle.254 Das Urheberrecht beispielsweise entsteht durch das Hervorbringen einer persönlichen geistigen Schöpfung, und zwar ohne dass es wie das Patentrecht einer öffentlichen Registrierungspflicht unterliegt, welche die Existenz anschaulich machen könnte.255 Darüber hinaus eigne sich das Merkmal der sozialtypischen Offenkundigkeit für die Bestimmung einer Rechtsposition schon deshalb nicht, weil es sich hierbei nicht um einen statischen Zustand handle, sondern um eine Eigenschaft, die grundlegend davon abhängig sei, was die Rechtsordnung als absolute Rechtsposition anerkennt.256 Diese Argumentation überzeugt jedoch schon deshalb nicht, weil ein Urheberrecht durchaus einen sinnlich wahrnehmbaren Bezugspunkt aufweist: Durch das Urheberrecht wird ein Recht an einem „Werk“ zugewiesen, das in irgendeiner Form Ausdruck nach außen gefunden haben muss und damit auch nicht mehr

250

Bernhard, FS Picker, S. 83, 106. Bader, Diskriminierungsschutz, S. 149; Bernhard, FS Picker, S. 83, 105, welcher dies am Beispiel des Patentrechts deutlich macht. 252 Picker, FS Canaris I, S. 1001, 1027. 253 Medicus, FS Steffen, S. 333, 335 f.; Spindler, BeckOGK BGB, 01.08.2020, § 823 Rn. 159; Wagner, MüKo BGB, § 823 Rn. 305. 254 Wagner, MüKo BGB, § 823 Rn. 305; zu den Immaterialgüterrechten als „sonstiges Recht“ vgl. auch Larenz/Canaris, SchuldR BT II, § 76 II S. 392. 255 Vgl. Wagner, MüKo BGB, § 823 Rn. 305. 256 Wagner, MüKo BGB, § 823 Rn. 305. 251

II. Die Zuweisung einer Rechtsposition durch die objektive Ordnung

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gänzlich der Wahrnehmung entzogen sein wird. Das Urheberrecht schützt nicht die Idee als solche, sondern das durch persönliche geistige Schöpfung hervorgebrachte Werk, vgl. § 2 Abs. 2 UrhG.257 Damit ein Urheberrecht also überhaupt entstehen kann, muss der Urheber seiner Idee eine durch menschliche Sinne wahrnehmbare Form geben.258 Eine physische Verfestigung oder Dauerhaftigkeit des Werkes ist zwar gerade nicht erforderlich. Dies wird am Beispiel des § 2 Abs. 1 Nr. 3 UrhG deutlich, wonach auch pantomimische Werke einschließlich der Tanzkunst geschützt sind. Jedoch sind diese Werke mit den Augen sinnlich wahrnehmbar, genauso wie ein gesungenes Lied, das nicht in Notenschrift auf dem Papier geschrieben steht, zumindest durch das Gehör wahrnehmbar ist. Insofern kann es zwar an einer gegenständlichen Verkörperung fehlen, dafür ist jedoch von der jeweiligen allgemein sinnlich wahrnehmbaren Form auf das Vorhandensein eines Rechts zu schließen.259 Lässt man diese generelle Wahrnehmbarkeit für das Vorhandensein der sozialtypischen Offenkundigkeit nicht ausreichen, so wird diese auch durch die unmittelbar befugnisorientierte Beschreibung seines Inhalts in §§ 11 ff. UrhG hergestellt.260 Soweit angeführt wird, die sozialtypische Offenkundigkeit eigne sich als Abgrenzungskriterium auch deshalb nicht, weil dies maßgeblich davon abhänge, was die Rechtsordnung als „sonstiges Recht“ anerkenne,261 liegt auch hierin kein Widerspruch zur Gegenauffassung. Auch die Vertreter der sozialtypischen Offenkundigkeit lassen eine positive Beschreibung des sonstigen Rechts durch die Rechtsordnung ausreichen. Es wird jedoch davon ausgegangen, dass die sozialtypische Offenkundigkeit bei fehlender oder nicht ausreichender Wahrnehmbarkeit mittels umfassender Beschreibung hergestellt wird.262 Im Ergebnis schließen sich die beiden Auffassungen daher nicht aus. Zumindest dürfte es keinen Unterschied begründen, ob man die sozialtypische Offenkundigkeit durch die Beschreibung in der Rechtsordnung entstehen lässt oder ob man auf diesen Begriff verzichtet, aber dennoch eine solche Beschreibung fordert.

257

Bullinger, Wandtke/Bullinger, UrhG, § 2 Rn. 19. Bullinger, Wandtke/Bullinger, UrhG, § 2 Rn. 19. 259 Anders verhält es sich beispielsweise mit dem Patentrecht, welches erst mit der Eintragung des Patents in die Patentrolle und der Bekanntmachung der Anerkennung sozialtypisch offenkundig und damit über § 823 Abs. 1 BGB geschützt wird, vgl. Fabricius, AcP 160 (1961), 273, 301; Bernhard, FS Picker, S. 83, 106. 260 Vgl. Bernhard, FS Picker, S. 83, 105; das gleiche gilt auch für die §§ 1–3, 6 ff. AGG, welche eine fehlende sozialtypische Offenkundigkeit mangels Bezugsgegenstandes jedenfalls „ausgleichen“, Bader, Diskriminierungsschutz, S. 149. Nichts anderes ist zudem auch für die §§ 19 ff. AGG anzunehmen. 261 Wagner, MüKo BGB, § 823 Rn. 305. 262 Vgl. Bernhard, FS Picker, S. 83, 105. 258

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A. Die Rechtsposition hinter dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld

(3) Zusammenfassung Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Merkmale einer absoluten Rechtsposition die Zuordnung der Rechtsposition, ihre Ausschlussfunktion und, soweit die Haftung nicht an den Verstoß gegen eine Verhaltensregel oder an ein Willenselement geknüpft ist, die sozialtypische Offenkundigkeit sind. Letzteres Merkmal ist in seiner einfachsten Form aufgrund eines wahrnehmbaren Bezugsgegenstands anzunehmen oder bei eng mit dem Menschen verbundenen Rechten, wenn diese mittels einer einfachen Gedankenreflexion zu erkennen sind. Fehlt es gänzlich an einer wahrnehmbaren Form, kann die Offenkundigkeit auch durch eine umfassende Beschreibung der Befugnisse in der Rechtsordnung hergestellt werden. bb) Die Zuordnungsentscheidung des Gesetzgebers Es stellt sich die Frage, wie sich eine Zuordnungsentscheidung des Gesetzgebers, die zur Entstehung der Rechtsposition führt, gestaltet. Da ohne ein Schutzrecht eine Rechtsposition nicht bestehen kann,263 erscheint es zunächst naheliegend, dass die Zuordnungsentscheidung durch die Einführung eines Anspruchs erfolgt.264 Insofern führt Canaris an, der Zuweisungsgehalt würde durch das Deliktsrecht bestimmt.265 Im Blickfeld zu behalten ist jedoch, dass Substanzrechte von ihren Schutzrechten zu trennen sind266 und dass die Rechtsordnung die Zuordnungsentscheidung außerhalb des Schutzrechts und systematisch vor den einzelnen instrumentalen Regelungen in Form von Ansprüchen fällt.267 Eine Rechtsposition erhält nicht, weil sie deliktsrechtlich geschützt ist, auch bereicherungsrechtlichen und negatorischen Schutz, sondern sie erhält den gesamten Rundumschutz, soweit sie von der Rechtsordnung als subjektive Herrschaftsbefugnis anerkannt ist.268 Bei Ansprüchen handelt es sich hingegen um reine Schutz- und nicht um Zuweisungsregelungen, weshalb diese die Rechtspositionen weder konkretisieren noch modifizieren oder gar zuordnen.269 Es ist nicht das geschützte Recht, das von Schutz-

263

Hoffmann, Zession, S. 37. Auch nach Thon, Subjektives Recht, S. 18 entstehen subjektive Rechte durch die bloße Aussicht auf einen Anspruch. 265 Larenz/Canaris, SchuldR II/2, § 69 I S. 170; in diese Richtung auch Steffen, RGRK BGB, § 823 Rn. 6. 266 Hoffmann, Zession, S. 36. 267 Bernhard, FS Picker, S. 83, 100 f., 104, 109 spricht von “vordeliktisch zugewiesenen Rechten“; Katzenmeier, AcP 203 (2003), 79, 112 f.; Katzenstein, Haftungsbeschränkungen, S. 142, 182 f.; ders., Jura 2004, 1, 5; Koebel, NJW 1955, 1337, 1338; Picker, FS Canaris II, S. 579, 587 f., 608 ff.; ders., FS Lange, S. 625, 680 ff.; ders., ZfPW 2015, 393; Reinhardt, JZ 1961, 713, 715 f. 268 Picker, FS Canaris I, S. 1001, 1034. 269 Fraenkel, Tatbestand, S. 40; in diese Richtung auch Katzenstein, Haftungsbeschränkungen, S. 182. Lediglich für die aus dem Schutzrecht (z.B. aus § 823 oder § 812 BGB) ent264

II. Die Zuweisung einer Rechtsposition durch die objektive Ordnung

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norm zu Schutznorm neu bestimmt wird; dieses bildet vielmehr den gemeinsamen Nenner der verschiedenen Haftungsnormen. Es sind die verschiedenen Auswirkungen eines Eingriffs und die sich hieraus ergebenden verschiedenen Schutzmechanismen, die variieren.270 So werden beispielsweise der Umfang und die Ausgestaltung des Eigentums in den §§ 903 ff. BGB festgelegt, § 1004 BGB, § 823 Abs. 1 und §§ 812 ff. BGB dienen hingegen auf unterschiedliche Weise der Verteidigung.271 Eine Rechtszuweisung durch das Deliktsrecht würde hingegen zu dem widersprüchlichen Ergebnis führen, dass Eingriffe in eine Rechtsposition zwar einen Schadensersatzanspruch nach sich ziehen, eine Abwehr der Grenzüberschreitung der Rechtsposition im Vorhinein oder während des Eingriffs jedoch nicht notwendigerweise negatorisch abgewehrt werden könnte.272 Auch würde es „freirechtlich geschöpften Sanktionspostulaten“ gleichkommen und so diametral zur gesetzlichen Programmatik verlaufen, wenn der Schutzbereich der Schutzgüter durch rechtspolitische Zwecke der Haftungsvorschrift mit determiniert würde.273 Die Aussage Canaris’ kann daher nur so verstanden werden, dass die Zuerkennung schadensrechtlichen Schutzes durch § 823 Abs. 1 BGB die vorgelagerte Anerkennung der Rechtspositionen voraussetzt, welche daher in § 823 Abs. 1 BGB ausdrücklich genannt werden.274 Auch die Rechtsgüter Körper und Gesundheit werden in den §§ 223, 224 ff. StGB und vielen weiteren Regelungen ausdrücklich anerkannt und in § 823 Abs. 1 BGB dennoch aufgeführt.275 Die Anerkennung einer Rechtsposition sollte daher jedenfalls vorzugsweise außerhalb des Deliktsrechts erfolgen. Dies gilt insbesondere auch für die „sonstigen Rechte“.276 Auch das „sonstige Recht“ darf kein Einfallstor für eine unbegrenzte Ausweitung des Deliktsrechts sein, sondern erfährt eine Einschränkung dadurch, dass die zu schützende Rechtsposition außerhalb des Deliktsrechts bestimmt wird.277 Nimmt stehende Forderung fungiert das Schutzrecht wiederum als Zuweisungsnorm, vgl. Picker, FS Schilken, S. 85, 93. Dies gilt jedoch nicht für die durch den Anspruch geschützten Substanzrechte. 270 Picker, ZfPW 2015, 385, 393; Pfister, JZ 1976, 156, 157. 271 Picker, FS Bydlinski, S. 275, 313. 272 Picker, ZfPW 2015, 385, 393; so aber Heck, SchuldR, § 148 Nr. 2, S. 449, nach dessen Ansicht die in § 823 Abs. 1 BGB ausdrücklich genannten Rechtsgüter „Leben, Körper, Gesundheit und Freiheit“ beachtet werden sollen, und zwar unabhängig davon, „ob im übrigen Recht der Schutz gewährt ist oder nicht“. 273 Picker, ZfPW 2015, 385, 393. 274 So auch Katzenstein, Haftungsbeschränkungen, S. 142; Deutsch, JZ 1963, 385, 389. 275 Zur Aufgabe der Schutzgesetze im System der Rechtszuweisung und der Rolle von § 823 Abs. 2 BGB siehe unter: Kap. 1, A.II.1.a)cc)(1). 276 Nach Picker, ZfPW 2015, 385, 388 sollte Gegenstand des deliktischen Rechtsschutzes die subjektive Berechtigung sein, die das objektive Recht einem Einzelnen zuweist; vgl. ferner Deutsch, JZ 1963, 385, 388; Wagner, MüKo BGB, § 823 Rn. 302; zumindest für die „sonstigen Rechte“ auch Heck, SchuldR, § 148 Nr. 4, S. 450. 277 Vgl. für die Anforderungen an „sonstige Rechte“ Wagner, MüKo BGB, § 823 Rn. 303 ff.

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A. Die Rechtsposition hinter dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld

man beispielsweise das elterliche Sorge- und Umgangsrecht in den Blick, das zumindest in Teilen als absolutes „sonstiges Recht“ anerkannt ist,278 so wird dieses in den §§ 1626 ff. BGB näher bestimmt und die Wirkung gegenüber jedermann in § 1632 BGB festgelegt.279 Danach steht es auch den Eltern zu, die Herausgabe des Kindes von jedem zu verlangen, der es den Eltern oder einem Elternteil widerrechtlich vorenthält (Abs. 1), und den Umgang des Kindes auch mit Wirkung für und gegen Dritte zu bestimmen (Abs. 2). Mit der Zuordnungsentscheidung wird zudem zugleich ein Rechtswidrigkeitsurteil gefällt.280 Rechtswidrig ist insoweit alles, was im Widerspruch zu einer Rechtsposition steht, denn mit der Anerkennung einer Rechtsposition geht das Gebot der Nichtverletzung und Nichtbedrohung dieses Rechtsraums bereits einher.281 Insofern ist jede nach § 823 Abs. 1 BGB tatbestandsmäßige und rechtswidrige Handlung für sich schon rechtswidrig, da eine solche Handlung eine konkretisierte subjektive Rechtsposition, die auch außerhalb der genannten Vorschrift besteht, verletzt, ohne dass es hierfür auf das Schutzrecht ankommen würde.282 § 823 Abs. 1 BGB weist daher weder zu noch statuiert die Regelung die Rechtswidrigkeit. Die Norm schützt vielmehr jede absolute Rechtsposition mit einem Schadensersatzanspruch, sofern noch ein subjektives Verschulden hinzutritt.283 Für das Hinterbliebenengeld als Novum im Deliktsrecht ist daher die Schlussfolgerung zu ziehen, dass die gesuchte Rechtsposition jedenfalls auch außerhalb von § 844 Abs. 3 BGB bestehen muss, wenn es sich bei der Vorschrift nicht lediglich um eine Verhaltensnorm aufgrund einer rechtspolitischen Entscheidung handeln soll.284 278 BGHZ 111, 168, 172 = NJW 1990, 2060, 2061; Wandt, Gesetzliche Schuldverhältnisse, S. 297 Rn. 40. Siehe zum elterlichen Sorgerecht und seiner relativen und absoluten „Dimension“ bereits oben in Kap. 1, A. Fn. 209. 279 v. Gierke, Deutsches Privatrecht III, S. 891 Rn. 38; Wagner, MüKo BGB, § 823 Rn. 302; Wandt, Gesetzliche Schuldverhältnisse, S. 297 Rn. 40; BGHZ 111, 168 = NJW 1990, 2060. 280 Katzenstein, Haftungsbeschränkungen, S. 142, 182 f.; Reinhardt, JZ 1961, 713, 716. 281 Fraenkel Tatbestand, S. 40; Katzenstein, Haftungsbeschränkungen, S. 183. 282 Fraenkel, Tatbestand, S. 40; Picker, ZfPW 2015, 385, 395; Reinhardt, Karlsruher Forum 1961, S. 6. 283 Reinhardt, JZ 1961, 713, 716; Katzenstein, Haftungsbeschränkungen, S. 182 f., Fn. 202; insofern darf der subjektive Verschuldensvorwurf nicht mit dem objektiven Rechtswidrigkeitsurteil vermischt werden. Zudem sei darauf hingewiesen, dass es natürlich nicht bei allen schadensersatzrechtlichen Normen auf ein subjektives Verschulden ankommt, wie ein Blick auf die Gefährdungshaftungstatbestände zeigt. Bei der Gefährdungshaftung, die auch für das Hinterbliebenengeld eine wichtige Rolle spielt, genügt für einen Schadensersatzanspruch bereits der Eingriff in die geschützte Rechtsposition. Die Rechtsordnung erlaubt hier ein an sich gefährliches und deshalb eigentlich zu verbietendes Verhalten und statuiert zum Ausgleich eine verschuldensunabhängige Haftung, vgl. Esser, Gefährdungshaftung, S. 90, 103 ff.; ders., SchuldR BT II, § 114 I, S. 476; Teichmann, Jauernig BGB, vor § 823 Rn. 10; vgl. zur Gefährdungshaftung ferner auch Deutsch, NJW 1992, 73 f. 284 Zur Kritik an jenen Auffassungen, die dem Zivilrecht (zumindest teilweise) eine primäre Verhaltenssteuerung beimessen, siehe bereits oben: Kap. 1, A.I.3.

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cc) Die Darstellungsformen der Zuordnung Steht einmal fest, dass die Zuordnung einer Rechtsposition grundsätzlich nicht durch den Tatbestand der Haftungsnorm bestimmt wird, stellt sich die Frage, wie der Gesetzgeber seine Entscheidung zum Ausdruck bringt. Die Zuordnung der Rechtsposition kann auf verschiedene Art und Weise dargestellt werden. Zum einen durch die positive Benennung substanzieller, einem einzelnen Rechtssubjekt exklusiv zugewiesener Bereiche.285 Zum anderen aber auch durch die Einführung besonderer Verhaltensvorschriften.286 Diese Unterscheidung des Gesetzgebers in der Darstellung wird anhand der §§ 903 ff. BGB oder der §§ 11 ff. UrhG einerseits und der einzelnen, durch Schutzgesetze zugewiesenen und durch § 823 Abs. 2 BGB geschützten Substanzrechte andererseits deutlich. In beiden Fällen werden Rechtspositionen beschrieben und zugewiesen. Auf welche Methode der Zuweisung der Gesetzgeber zurückgreift, ist dabei alleine eine Frage der jeweils deutlicheren Anschaulichkeit, beinhaltet in der Sache jedoch keinen Unterschied.287 Ist es dem Gesetzgeber möglich, die geschützten Rechte zu beschreiben und wie im Beispiel des § 823 Abs. 1 BGB explizit zu benennen,288 erübrigt sich die schwierigere Darstellung des geschützten Rechts durch die Statuierung von Verhaltensanordnungen.289 Sofern aber Rechtspositionen geschützt werden, deren klare Benennung wegen ihrer fehlenden Greifbarkeit oder wegen ihres nicht vollumfänglichen Schutzes gegen jede Art denkbarer Verletzungen wenig anschaulich wäre, erfolgt die Zuweisung durch die Statuierung einzelner Verhaltensweisen, die für die Existenz des Substanzrechts erforderlich sind bzw. die zur Vermeidung von Beeinträchtigungen verboten sein müssen.290 Als Beispiel für ein solches Verbot zur Vermeidung der Beeinträchtigung einer Rechtsposition dient der Schadensersatzanspruch gem. § 823 Abs. 2 BGB. Hier erfolgt die klare Bezeichnung der geschützten Substanzrechte aus Praktikabilitätsgründen nicht, da sie sich aufgrund ihrer Vielfältigkeit nicht zu scharf abgrenzbaren Positionen, deren substanzielle Bereiche durch einen Begriff beschrieben werden könnten, zusammenfassen lassen.291

285

So z.B. die §§ 903 ff. BGB für das Eigentum. Fraenkel, Tatbestand, S. 42 f.; Katzenstein, Haftungsbeschränkungen, S. 183; Picker, AcP 178 (1978), 499, 502. 287 Picker, AcP 178 (1978) 499, 502; ders., FS Lange, S. 625, 681; Larenz/Canaris, SchuldR II/2, § 69 I S. 170; vgl. auch Fraenkel, Tatbestand, S. 42 f. 288 Bei den in § 823 Abs. 1 BGB explizit genannten Rechtspositionen handelt es sich um bereits „etablierte“ Positionen, die der Gesetzgeber unter einen Begriff zusammenfassen kann; vgl. hierzu auch Katzenstein, Haftungsbeschränkungen, S. 185 Fn. 214; Picker, FS Lange, S. 625, 683 f. 289 Katzenstein, Haftungsbeschränkungen, S. 183. 290 Katzenstein, Haftungsbeschränkungen, S. 183; Picker, AcP 178 (1978), 499, 502. 291 Malitzky, Begriff des subjektiven Rechts, S. 26 ff.; Hoffmann, Zession, S. 47; J. Schmidt, Aktionsberechtigung, S. 39 ff.; Picker, FS Lange, S. 625, 681; ders., AcP 183 (1983), 369, 400 Fn. 101. 286

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A. Die Rechtsposition hinter dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld

Die Zuordnungsentscheidung kann folglich bei sozialtypisch offenkundigen und etablierten Rechtspositionen durch das positive Beschreiben der Rechte erfolgen oder andererseits durch die Statuierung von Verhaltensregelungen. Allerdings müssen auch die positiv normierten Inhaltsbestimmungen nicht abschließend sein. Auch die gesetzlichen Regelungen der Zuordnung beim Eigentum, der am umfangreichsten geregelten Rechtsposition, sind nicht vollständig, was dadurch deutlich wird, dass immer wieder die Frage nach der Reichweite dieser Rechtsposition im Einzelfall gestellt wird.292 In den nicht positiv statuierten Bereichen des Substanzrechts sind der genaue Inhalt, Umfang und die Reichweite daher aus den allgemeinen Bestimmungen, d.h. aus der Rechtsordnung im Übrigen, näher zu ermitteln.293 Dies ergibt sich bereits aus dem Erfordernis der Widerrechtlichkeit.294 (1) Die Schöpfung oder Erweiterung subjektiver Rechtspositionen durch Schutzgesetze Die Anerkennung einer subjektiv rechtlichen Position kann also auch durch die Statuierung bestimmter Verhaltensvorschriften dargestellt werden. Diese wiederum können als Schutzgesetze ausgestaltet werden, die durch ihren drittschützenden Zweck mittelbar Rechtspositionen begründen.295 Denn ein Schutzgesetz ist eine Norm, die nach Zweck und Inhalt zumindest auch auf den Schutz von Individualinteressen vor einer näher bestimmten Art der Verletzung ausgerichtet ist.296 Dabei genügt es nicht, dass der Individualschutz objektiv durch das Befolgen der Norm als Reflex erreicht wird, vielmehr muss der Individualschutz im Aufgabenbereich der Norm liegen.297 Schutzgesetze sind daher dogmatisch und sachlich nicht nur auch, sondern primär Zuweisungsnormen, welche innerhalb des Konglomerats rechtlicher Interessen konkrete vermögens- oder personenorientierte Belange zugunsten eines Einzelnen isolieren.298 Schutzgesetze verfol-

292 Vgl. nur BGHZ 55, 153 = NJW 1971, 886 – Fleet-Fall; BGHZ 41, 123 = NJW 1964, 720 – Bruteier-Fall; BGH, NJW 2015, 1174 – Raststätten-Fall; vgl. zu letzterer Entscheidung auch Picker, NJW 2015, 2304; vgl. zu dieser Problematik ferner auch Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 66a. 293 Vgl. Stoll, AcP 162 (1963), 203, 211 ff., der ausführt, § 823 Abs. 1 BGB sei ein offener Tatbestand, der „nach Maßgabe der allgemeinen Bestimmungen über den Schutzbereich der absoluten Rechte und der ihnen gleichgestellten Rechtsgüter ausgefüllt werden [muß]“. So auch Fraenkel, Tatbestand, S. 40 f.; Katzenstein, Haftungsbeschränkungen, S. 142; Pfister, JZ 1976, 156, 157 f. 294 Stoll, AcP 162 (1963), 203, 211. 295 Bernhard, FS Picker, S. 83, 109; Picker, FS Lange, S. 625, 680 f.; ders., AcP 178 (1978), 28, 499, 502. 296 Vgl. BGHZ 112, 1 = NJW 1993, 1580. 297 Vgl. BGHZ 112, 1 = NJW 1993, 1580. 298 Picker, FS Lange, S. 625, 680; ders., FS Schilken, S. 85, 96; Bernhard, FS Picker, S. 83, 107; dazu, dass letztlich alle Rechtspositionen auf zwei Säulen zurückgehen – Persönlichkeitsund Vermögensrechte – vgl. etwa Bernhard, FS Picker, S. 83, 108.

II. Die Zuweisung einer Rechtsposition durch die objektive Ordnung

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gen nicht nur den Zweck, dem Privatrechtssubjekt Abwehrrechte einzuräumen, sondern kreieren zu allererst die zu schützende Position. Die Abwehr erfolgt dann beispielsweise durch § 823 Abs. 2 BGB. Keine Rolle spielt es dabei, ob es sich bei den Schutzgesetzen um privatrechtliche299, europarechtliche300 oder öffentlich-rechtliche Normen301 handelt. Auch das Öffentliche Recht kann insofern eine privatrechtliche Zuordnung leisten302, soweit eine Norm die Anforderungen an ein Schutzgesetz nach innerstaatlichem Recht erfüllt, Art. 2 EGBGB. Die Schaffung subjektiv-rechtlicher Rechtspositionen durch die Statuierung von Schutzgesetzen kann sich dabei auf zwei Arten vollziehen: entweder durch die Begründung der rechtlichen Relevanz eines neuartigen eigenständigen Interesses durch eine Norm ((a)) oder durch die Statuierung bloßer unselbständiger Positionen ((b)). (a) Die Begründung der rechtlichen Relevanz eines (neuartigen) eigenständigen Interesses durch eine Norm Durch das Einführen einer neuen Norm kann eine gänzlich neue subjektive Rechtsposition geschaffen werden, die sich nicht in den Katalog der bereits etablierten und in § 823 Abs. 1 BGB genannten Substanzrechte eingliedern lässt.303 Soweit ein Schutzgesetz die in § 823 Abs. 1 BGB genannten Positionen nicht lediglich konkretisiert oder materiell erweitert, wirkt es eigenständig rechtszuweisend.304 Als Beispiel sind jene Normen zu nennen, die oft als Schutzgesetze anerkannt sind und durch welche bisher indifferente tatsächliche Interessen zu rechtlich relevanten Belangen befördert werden.305 Diese rechtlich relevanten Belange erlangen dadurch die rechtliche Gleichwertigkeit mit den etablierten subjektiven Rechtspositionen. In Verbindung mit § 823 Abs. 2 BGB schützen sie das Substanzrecht dann schadensersatzrechtlich. Vermehrt finden sich solche Schutzgesetze im Strafrecht normiert. Als Beispiel sei auf § 202a StGB verwiesen, der das Ausspähen von Daten unter Strafe stellt und als Schutzgesetz in Frage kommt.306 Sofern nicht davon ausgegangen wird, dass sich das Eigentumsrecht (analog) auch auf Daten erstreckt,307 sind diese nicht bereits durch § 823 Abs. 1 299 So zählen zu den privatrechtlichen Schutzgesetzen beispielsweise § 858 BGB, Verbotene Eigenmacht; § 907 BGB, Gefahr drohende Anlage; § 909 BGB, Schädigung des Nachbargrundstücks und viele mehr, siehe nur Wagner, MüKo BGB, § 823 Rn. 593 ff. m.w.N. 300 So wird beispielsweise Art. 108 Abs. 3 AEUV als Schutzgesetz zugunsten der Wettbewerber des Beihilfeempfängers erachtet, vgl. Wagner, MüKo BGB, § 823 Rn. 594. 301 Z.B. § 22 Abs. 1 Nr. 1, 2 BImSchG, vgl. BGHZ 112, 1 = NJW 1993, 1580; für weitere Beispiele vgl. Sprau, Palandt BGB, § 823 Rn. 62 ff.; Wagner MüKo BGB, § 823 Rn. 597. 302 Siehe hierzu ausführlich Picker, FS Lange, S. 625, 680. 303 Picker, FS Lange, S. 625, 681. 304 Katzenstein, Haftungsbeschränkungen, S. 185. 305 Picker, FS Lange, S. 625, 681. 306 Wagner, MüKo BGB, § 823 Rn. 596; Spickhoff, unkörperliche Güter, S. 233, 238. 307 Für eine analoge Anwendung aber etwa Kuschel, Erwerb, S. 165 ff., 178; a.A. Haller, Digitale Inhalte, S. 79.

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A. Die Rechtsposition hinter dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld

BGB geschützt.308 Vielmehr ist das „Datengeheimnis“309 ein neues, mit der Digitalisierung auftauchendes Interesse, welches mit der Einführung des Schutzgesetzes als Rechtsposition zugewiesen wurde und nunmehr durch § 823 Abs. 2 BGB zivilrechtlichen Schutz erfährt. Nicht anders ist § 303a StGB zu beurteilen. Auch hierbei handelt es sich um ein Schutzgesetz,310 das mit seiner Einführung das „Interesse des Berechtigten an der unversehrten Verwendbarkeit von Daten“311 als Rechtsposition zuweist, die sodann durch § 823 Abs. 2 BGB geschützt wird.312 Des Weiteren spielen die Schutzgesetze auch bei der Zuordnung „reiner“ Vermögensinteressen eine wesentliche Rolle. Reine Vermögensinteressen werden durch das BGB – anders als die in § 823 Abs. 1 BGB aufgeführten Rechte – nicht prinzipiell als umfassende Rechtspositionen zugewiesen.313 Jedoch werden sie für das Deliktsrecht dann relevant, wenn ein Schutzgesetz zugunsten eines Einzelnen alle anderen von der Einwirkung auf dieses Interesse ausschließt. Durch die Statuierung vermögensschützender Schutzgesetze, wie beispielsweise den Betrugstatbestand gem. § 263 StGB, wird folglich auch das Vermögen seinem Träger als subjektive Rechtsposition zugeordnet. Soweit aber eine Zuordnung erfolgt ist, ist das Gebot der Nichtverletzung auch auf diese Vermögensinteressen zu erstrecken und jedes Verhalten als rechtswidrig einzustufen, das entweder wegen seiner abstrakten Gefährlichkeit für das geschützte Interesse oder wegen dessen konkreter Bedrohung nicht mehr „erlaubbar“ erscheint.314 Der deliktische Schutz, der zur Verwirklichung der Rechtsposition erforderlich ist, erfolgt dann wiederum über § 823 Abs. 2 BGB. Verletzt ein schädigendes Verhalten eine auf diese Weise zugewiesene Vermögensrechtsposition, ist diese subjektive Berechtigung daher nicht weniger schützenswert als andere absolute Rechtspositionen.315 (b) Die Statuierung bloßer unselbständiger Positionen Darüber hinaus können Schutzgesetze aber auch die bloße Erweiterung bereits bestehender Freiheitsräume bewirken und dadurch zur Konkretisierung oder Inhaltsbestimmung einer bereits vorhandenen subjektiven Rechtsposition bei-

308

Mit diesem Hinweis auch Baus, Verwendungsbeschränkungen, S. 26. Zum Rechtsgut „Datengeheimnis“ siehe Graf, MüKo StGB, § 202a Rn. 2. 310 Zur Schutzgesetzeigenschaft von § 303a StGB vgl. OLG Dresden, NJW-RR 2013, 27, 309

28. 311

Wieck-Noodt, MüKo StGB, § 303a Rn. 2. Vgl. auch Hoffmann, JZ 2019, 960, 964, der mit Recht darauf hinweist, dass eine gem. § 303a StGB zugewiesene privatrechtliche Rechtsposition nur so weit reicht, als auch der strafrechtliche Schutz vorhanden ist. Ein umfassendes zivilrechtliches „Dateneigentum“ lässt sich aus § 303a StGB nicht herleiten. So aber Hoeren, MMR 2013, 486 ff. 313 Zur grundsätzlichen Entscheidung des Gesetzgebers, dem Vermögen den allgemeinen Deliktsschutz zu verwehren, siehe Larenz/Canaris, SchuldR BT II/2, § 75 I S. 354 ff. 314 Picker, AcP 183 (1983), 369, 464. 315 Vgl. auch Katzenstein, Haftungsbeschränkungen, S. 197. 312

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tragen.316 In diesen Fällen begründen Schutzgesetze folglich lediglich unselbständige Positionen, die sich einer bereits vorhandenen und anerkannten Rechtsposition, wie zum Beispiel dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (§§ 185 ff. StGB) oder der Gesundheit (z.B. §§ 223 f. StGB) zuordnen lassen. Aufgrund dieses sachlich konkretisierenden Effekts stellen diese Schutzgesetze dogmatisch auch inhaltsbestimmende Regelungen dar, welche lediglich bereits Vorhandenes präzisieren oder die bis dahin bestehenden Grenzen einer subjektiven Rechtsposition ausdehnen.317 Wird eine unselbständige, durch ein Schutzgesetz zugewiesene bzw. erweiterte Rechtsposition verletzt, ist folglich bereits § 823 Abs. 1 BGB einschlägig, da das Schutzgesetz lediglich die Präzisierung oder Erweiterung des Umfangs einer in § 823 Abs. 1 BGB explizit genannten Rechtsposition bewirkt.318 (c) Zwischenergebnis Im Ergebnis wird deutlich, dass die Zuweisungsfunktion der primäre Effekt aller Schutzgesetze ist.319 Die Unterscheidung beider Arten von Schutzgesetzen ist jedoch für die Frage von Relevanz, ob § 823 Abs. 1 BGB und/oder § 823 Abs. 2 BGB Anwendung findet.320 Letzteres wird nur dann der Fall sein, wenn das Schutzgesetz eine neue originäre Rechtsposition schafft, da das Substanzrecht andernfalls auch unter den Katalog des § 823 Abs. 1 BGB zu fassen sein wird.321 Nur bei der Zuordnung und Anerkennung bisher nicht zugewiesener Substanzrechte werden diese erstmals mit dem gesetzlichen Schutz durch § 823 Abs. 2 BGB ausgestattet, ohne dass es zu einer Verdopplung des Schutzes kommt.322 (2) Die Erweiterung subjektiver Rechtspositionen durch Verkehrspflichten Ähnlich wie mit den Schutzgesetzen verhält es sich auch mit den Verkehrspflichten. Auch diesen kommt funktional die Aufgabe zu, die Handlungsfreiheit zu

316

Picker, FS Lange, S. 625, 681; ders., NJW 2015, 2304, 2306; Bernhard, FS Picker, S. 83,

107. 317 Picker, FS Lange, S. 625 ff., 681 f., der als Beispiel für solche unselbständigen Schutzgesetze nachbarschützende bauplanungs- und bauordnungsrechtliche Vorschriften nennt, da diese kein neues Substanzrecht schaffen, sondern vielmehr dingliche Rechte des Nachbarn, insbesondere das Eigentum, als Schutzobjekt haben. Picker führt an, dass es sich bei diesen Normen daher um „die §§ 903 ff. BGB ergänzenden Eigentumsinhaltsbestimmungen“ handle. Indem sie dem Nachbarn gezielt entsprechende Begünstigungen gewähren, erfolgt auch inhaltlich eine Abgrenzung der Eigentumssphären. Über die katastermäßigen Grundstücksgrenzen hinaus erfolgt für den einen Eigentümer eine Eigentumsbeschränkung innerhalb seines Grundstücks, während dieser Beschränkung entsprechend das Eigentum des Nachbarn über dessen Grundstücksgrenzen hinaus erweitert wird. 318 Vgl. Picker, FS Lange, S. 625, 683 f. 319 Picker, FS Lange, S. 625, 683. 320 Fraenkel, Tatbestand, S. 42; Picker, FS Lange, S. 625, 683. 321 Picker, FS Lange, S. 625, 683. 322 So auch Katzenstein, Haftungsbeschränkungen, S. 197.

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Gunsten Einzelner einzuschränken oder gar aufzuheben, sofern das Verhalten wegen seines räumlich-zeitlichen Abstands nicht bereits wegen der sozialtypischen Offenkundigkeit der Rechtsposition im Widerspruch zu dieser steht.323 Auch ihre Aufgabe ist es, Rechtspositionen über ihren originären Bereich hinaus zu erweitern oder zu konkretisieren.324 Dabei begründet es keinen Unterschied, ob eine Verkehrspflicht durch ein Gesetz statuiert oder durch den Richter aufgedeckt wird.325 Dogmatisch unterscheiden sich die Verkehrspflichten daher nicht von den Verhaltenspflichten, die dem Rechtssubjekt durch Schutzgesetze auferlegt werden.326 Und auch inhaltlich werden sie sich weitgehend decken, da die Schutzgesetze oftmals das statuieren, was der Richter im jeweiligen Fall auch den Verkehrspflichten im Rahmen von § 823 Abs. 1 BGB entnommen hätte, könnte er nicht auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. dem Schutzgesetz zurückgreifen. Bei der Ermittlung der Rechtsposition, die durch die Verkehrspflicht erweitert werden soll, ist daher, wie auch bei den Schutzgesetzen, nach dem „Normzweck“ zu fragen. Es ist zu fragen, wer gegen welche Gefahr in welchem Interesse geschützt sein soll.327 Erst wenn dieser Inhalt feststeht, geht es um die Reichweite des Rechtsschutzes nach § 823 Abs. 1 BGB, § 1004 BGB (analog) oder §§ 812 ff. BGB. (3) Zwischenergebnis Zusammenfassend ist daher zu konstatieren, dass für die Ermittlung der konkreten Zuordnungsentscheidung einer Rechtsposition entweder eine Bestandsaufnahme der positiv statuierten Einzelbefugnisse erforderlich ist, denn sofern diese ausdrücklich geregelt sind, bestimmen sie den Freiheitsraum des Einzelnen.328 Fehlt hingegen eine ausdrückliche, normative Einräumung von Befugnissen des Rechtspositionsinhabers ganz oder nur in Teilen, so muss die Rechtsposition anhand von Schutzgesetzen oder Verkehrspflichten ermittelt werden. Im Grundsatz gilt dabei, dass die Zuordnung außerhalb des Deliktsrechts, in den allgemeinen Bestimmungen und allgemeingültig getroffen wird und folglich auch das Rechtswidrigkeitsurteil eines Verhaltens außerhalb der Schutznorm gefällt wird. Dies gilt auch dann, wenn die Schutznorm das zu verteidigende Recht ausdrücklich nennt.329

323 Bernhard, FS Picker, S. 83, 107; a.A. Kötz/Wagner, Deliktsrecht, Rn. 129, welche die Verkehrspflichten lediglich als Synonym für die allgemeinen Sorgfaltsgebote des § 276 Abs. 2 BGB erachten. Die Verkehrspflichtverletzung sei daher auch „bloß ein anderer Name für Fahrlässigkeit“ (Rn. 128). 324 Bernhard, FS Picker, S. 83, 107. 325 Bernhard, FS Picker, S. 83, 108; Katzenstein, Haftungsbeschränkungen, S. 185; siehe zur Bedeutung des Richterrechts sogleich unter: Kap. 1, A.II.2. 326 Katzenstein, Haftungsbeschränkungen, S. 185, 198. 327 Bernhard, FS Picker, S. 83, 108. 328 Vgl. hierzu auch Wagner, MüKo BGB, § 823 Rn. 302. 329 Katzenstein, Haftungsbeschränkungen, S. 182; vgl. auch Reinhardt, JZ 1961, 713, 715 f.

II. Die Zuweisung einer Rechtsposition durch die objektive Ordnung

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b) Relative Rechte Des Weiteren können auch relative Rechtspositionen in Form eines Rechts aus einer Forderung durch eine Zuordnungsentscheidung des Gesetzgebers entstehen.330 Verletzt der Schädiger beispielsweise schuldhaft fremdes Eigentum, so ist die daraus resultierende Schadensersatzforderung, die gem. § 823 Abs. 1 BGB entsteht, dem Anspruchsinhaber zugewiesen.331 Dasselbe gilt für eine nach §§ 812 ff. BGB entstehende Forderung. Insofern können Schutzrechte also auch als Zuweisungsnormen fungieren.332 In dieser Funktion scheint daher der Begriff des „sekundären (Schutz-)Substanzrechts“333 passend. Aber auch andere Normen fungieren als Rechtszuweisungsnormen und treffen Zuordnungsentscheidungen, die dem Gläubiger die Befugnis einräumen, vom Schuldner eine bestimmte Leistung zu verlangen. Gem. §§ 1601 ff. BGB sind in gerader Linie Verwandte beispielsweise verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren. Auch hier wird daher die Handlungsfreiheit des Unterhaltsschuldners zugunsten des Unterhaltsgläubigers ein Stück weit eingeschränkt und somit eine Zuordnungsentscheidung getroffen. Der Schuldner verliert im Umfang des Forderungsrechts seine Freiheit, nicht zu leisten, während der Gläubiger die Freiheit erlangt, die Leistung vom Schuldner zu fordern.334 Insofern weist das Forderungsrecht dem Gläubiger ein Herrschaftsrecht über die Leistungshandlung des Schuldners zu.335 Auch das Recht aus der Forderung ist daher ein relatives Substanzrecht, das dem Gläubiger zugewiesen ist und welches ihm ein beschränktes Herrschaftsrecht über den Schuldner einräumt.336 330 Vgl. zur Unterscheidung eines relativen Rechts aus der Forderung und eines absoluten Rechts an einer Forderung unter: Kap. 1, B.I.3.b)bb)(2)(a). 331 Picker, FS Canaris I, S. 1001, 1017 Fn. 41. 332 Vgl. Picker, FS Schilken, S. 85, 93. Dies gilt jedoch nicht für die rechtsverwirklichenden Schutzrechte wie z.B. § 1004 Abs. 1 BGB (analog) oder § 985 BGB, da diese Schutzmechanismen nicht zur Entstehung eines Forderungsrechts führen. Siehe hierzu auch bereits oben: Kap. 1, A.I.1. 333 Hoffmann, Zession, S. 64. 334 Hoffmann, Zession, S. 96. 335 Diese Einordnung der Forderung geht zurück auf Savigny, System I, § 53 S. 338 ff.; ders., Obligationenrecht I, § 2, S. 4 ff.; vgl. auch Baron, Pandekten, § 208, S. 411 f.; Fabricius, AcP 160 (1961), 273, 301; Hoffmann, Zession, S. 99; G. Neuner, Wesen, S. 63; Windscheid, Pandekten II, § 250 S. 1 ff. Dieses Herrschaftsrecht geht freilich nicht so weit, dem Gläubiger ein Recht am Schuldner i.S.e. Leibeigenschaft zuzuordnen. Die Obligation besteht daher nicht über die Person im Ganzen, wohl aber über einzelne Handlungen des Schuldners, vgl. auch insoweit Savigny, Obligationenrecht I, § 2 S. 4 ff. Auch insoweit kritisch hingegen Larenz, SchuldR AT I, § 2 II S. 16; Ost, Zuordnung, S. 115, welcher drastisch formuliert, die Rechtsordnung mache den Schuldner nicht Untertan des Gläubigers. 336 Wenn Ost, Zuordnung, S. 114, ff., 127 daher einwendet, der Schuldner könne nur der Rechtsordnung und nicht dem Gläubiger untergeordnet sein, weshalb die Möglichkeit des Rechtszwangs nicht Ausdruck des Gläubigerrechts sei, sondern der Herrschaft des Rechts, ist auch an dieser Stelle auf die Funktion der Privatrechtsordnung zu verweisen. Denn diese verfolgt mit der Anerkennung von Rechtspositionen und der Möglichkeit der zwangsweisen

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A. Die Rechtsposition hinter dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld

Insbesondere werden relative Rechtspositionen aber auch durch Vertragsschluss zugewiesen.337 Die Zivilrechtsordnung stellt dann nur das Gerüst zur Verfügung, in welchem es den Vertragspartnern ermöglicht wird, ihren Willen zur Vereinbarung von Leistungspflichten privatautonom zu verwirklichen.338 Auch diese Rechtsposition entsteht insoweit als Forderungsrecht entsprechend der einzelnen Modalität inter partes und genießt als solche ebenso umfassenden Schutz.339 Spiegelbildlich der Anspruchstrias zum Schutz der absoluten Rechtspositionen340 bilden für die relativen Rechtspositionen die §§ 280 ff., § 285 BGB und ein „vertraglicher“ Unterlassungsanspruch das Schutzsystem der Rechtsposition des jeweiligen Gläubigers gegenüber dem Schuldner.341 Der Vertrag schafft zwischen den Parteien folglich eine Sonderordnung, welche die allgemeine Zuordnung ergänzt oder gar ersetzt.342 Im Ergebnis gewährleistet die Zivilrechtsordnung aber unabhängig von der personellen Reichweite der verschiedenen Rechtspositionen einen im Ergebnis deckungsgleichen „Rundumschutz“ gegen die verschiedenen Formen von Rechtsverletzungen.343 Für den Anspruch auf Hinterbliebenengeld erscheint es jedoch fraglich, ob die relativen Substanzrechte und ihr Rundumschutz von Bedeutung sind. Zwar herrscht an dieser Stelle der Untersuchung noch keine Klarheit darüber, welche Rechtsposition durch das Hinterbliebenengeld geschützt wird. § 844 Abs. 3 BGB greift als deliktische Schutznorm jedoch in den Jedermannsverkehr ein, ohne dass hierfür eine gesetzliche oder vertragliche Sonderverbindung erforderlich wäre.344

Durchsetzung von Pflichten keinen Selbstzweck zur Durchsetzung öffentlicher Belange oder zum Schutze des „Instituts“ Forderung. Vielmehr eröffnet die Rechtsordnung diese Möglichkeit ausschließlich zur Verwirklichung des Rechtskreises des Schuldners, vgl. Hoffmann, Zession, S. 98 f. 337 Katzenstein, Haftungsbeschränkungen, S. 143; Picker, FS Canaris II, S. 579, 614 f.; ders., JZ 1987, 1041, 1044. 338 F. Hartmann, commodum, S. 22. 339 Picker, JZ 1987, 1041, 1044; ders., Canaris I, S. 1001, 1030 f.; Hoffmann, Zession, S. 37. 340 Vgl. hierzu oben: Kap. 1, A.I.1. 341 Picker, FS Canaris II, S. 579, 615; ders., Canaris I, S. 1001, 1030; ders., AcP 183 (1983), 369, 513 f.; F. Hartmann, commodum, S. 23. 342 Katzenstein, Haftungsbeschränkungen, S. 143. 343 Zu diesem Automatismus eines umfassenden Schutzes jeder anerkannten Rechtsposition Picker, FS Lange, S. 625, 686; F. Hartmann, commodum, S. 24; Katzenstein, Haftungsbeschränkungen, S. 143; diesen Rundumschutz verkennend hingegen Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, Rn. 709, die die Behauptung aufstellen, was deliktsrechtlich geschützt sei, müsse nicht auch bereicherungsrechtlichen Schutz erfahren; so auch Peukert, Güterzuordnung, S. 446 m.w.N.; siehe hierzu bereits oben: Kap. 1, A.I.3.e). 344 Zur Frage, ob entgegen der gesetzgeberischen Entscheidung neben dem deliktischen Schutzrecht der Hinterbliebenen auch ein vertraglicher Anspruch geboten ist, siehe ausführlich unter: Kap. 2, A.I.

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c) Ergebnis Entstehung von Substanzrechten Die Untersuchung hat gezeigt, dass Substanzrechte entweder aus dem objektiven Recht entstehen können oder als relative Berechtigung aufgrund einer privatautonomen Willensbetätigung der Vertragspartner. Die Schutzrechte hingegen entspringen der Rechtsordnung in Form eines gesetzlichen Normenbefehls.345 Gerade bei der Zuweisung der Rechtsposition durch die objektive Ordnung gibt es jedoch verschiedene Vorgehensweisen des Gesetzgebers, die damit zusammenhängen, wie „griffig“ eine Rechtsposition erfasst bzw. beschrieben werden kann. Zudem kann durch das Aufstellen von Verhaltensregeln eine bereits etablierte Rechtsposition erweitert oder ein neu aufkommendes Interesse rechtlich zugewiesen werden. Der Umstand, ob es sich um eine neue Rechtsposition oder eine bloße Erweiterung einer bereits bestehenden Rechtsposition handelt, entscheidet darüber, ob die Norm über § 823 Abs. 1 oder § 823 Abs. 2 BGB deliktisch geschützt wird.

2. Die Rolle der Rechtsprechung bei der Zuweisung Nach dem bisherigen Ergebnis der Untersuchung entsteht eine Rechtsposition in erster Linie durch eine Zuordnungsentscheidung des Gesetzgebers. Zwar können Rechtspositionen auch durch Verkehrspflichten und damit unter maßgeblicher Beteiligung der Rechtsprechung erweitert bzw. konkretisiert werden.346 Geht es aber um die Zuordnung eines neuen Guts, obliegt die Zuordnungsentscheidung grundsätzlich dem Gesetzgeber. Dieser hat nach dem rechtsstaatlichen Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 3 GG) bei auftretender Unvollständigkeit der Güter- und Interessenzuordnung mit einem neuen Ausschließlichkeitsrecht zu reagieren.347 Eine solche Unvollständigkeit der vorhandenen kodifizierten Zuordnungsentscheidungen tritt beispielsweise dann auf, wenn aufgrund der sich ständig weiterentwickelnden Informations- und Kommunikationstechnologien neue Güter geschaffen werden, deren Zuordnung zu einem Privatrechtssubjekt sich nicht bereits aus den vorhandenen gesetzlichen Regelungen ergibt.348 Es vergeht jedoch regelmäßig eine gewisse Zeitspanne, bis der Gesetzgeber mit neuer Rechtsetzung auf moderne Veränderungen in der Umwelt reagieren kann und wird, sofern er dies überhaupt möchte.349 Genau in dieser Situation werden die Gerichte immer wieder angerufen. Dabei deuten einige Entscheidungen in der

345

F. Hartmann, commodum, S. 22. Auch nach Bernhard, FS Picker, S. 83, 108 macht es keinen Unterschied, ob Verkehrspflichten, welche subjektive Rechte erweitern, „in Gesetzesform gegossen oder vom Richter gefunden werden“. 347 Peukert, Güterzuordnung, S. 3. 348 Paradebeispiel hierzu ist die Frage nach der Zuordnung eines Rechts an Daten, vgl. Haller, Digitale Inhalte, S. 74 ff. 349 Peukert, Güterzuordnung, S. 3. 346

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Rechtsentwicklung darauf hin, dass auch die Gerichte die Kompetenz der Zuordnung für sich in Anspruch nehmen und aussprechen, wem in welchem Umfang alleinige Befugnisse zukommen.350 Zwar ist die Kompetenz der Judikative wegen des anderen Aufgabenbereichs (Art. 20 Abs. 3 Alt. 3 GG) grundsätzlich streng von jener der Legislative zu trennen; dennoch sind die Zivilgerichte nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht zwingend daran gehindert, den Schutz mancher Ausschließlichkeitsrechte weiter auszubauen.351 a) Die grundsätzliche Frage nach der Zuordnungskompetenz der Gerichte Ob die Gerichte jedoch auch ermächtigt sind, nicht nur die Grenzen vorhandener Rechtspositionen neu festzusetzen, sondern darüber hinaus neue Rechtspositionen zu schaffen, ist Gegenstand juristischer Diskussion. So wird diskutiert, ob ein Numerus clausus der Ausschließlichkeitsrechte besteht, was beinhalten würde, dass nur der Gesetzgeber, nicht aber die Rechtsprechung befugt wäre, weitere solcher Rechte anzuerkennen.352 Das mag vor allem vor dem Hintergrund einleuchtend erscheinen, dass es bereits an einer Ermächtigungsgrundlage der Gerichte fehlen wird, Recht abstrakt-generell festzusetzen.353 Denn das deutsche Recht besteht nicht aus Präjudizien, sondern aus Gesetzesrecht, das in erster Linie durch die Legislative gesetzt wird.354 Legislative und Judikative unterscheiden sich in ihrer Kompetenz aber grundlegend. Die Judikative spricht konkret individuelle Urteile darüber, was im Zeitpunkt der Entscheidung rechtens ist (Art. 92 ff. GG),355 während die Legislative zum Erlass generell-abstrakter Regelungen ermächtigt ist (Art. 77, 80 GG).356 Zwar statuiert § 31 BVerfGG von 350 Vgl. nur das Schacht-Brief-Urteil des BGH (BGHZ 13, 334 = NJW 1954, 1404), in welchem das Gericht erstmals ein privatrechtliches allgemeines Persönlichkeitsrecht aufdeckte; vgl. ferner auch die Entscheidung BGHZ 3, 270 = NJW 1952, 660, in welcher der BGH das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb anerkannte. Siehe zur Rechtszuweisung durch die Rechtsprechung auch Bernhard, FS Picker, S. 83. 107. 351 Vgl. z.B. für das allgemeine Persönlichkeitsrecht ausdrücklich BVerfG, NJW 2006, 3409, 3410 – Marlene. 352 Wagner, Gutachten A zum 66. DJT 2006, S. 38 f.; ders., MüKo BGB, § 823 Rn. 302; zur Frage eines Numerus clausus der Immaterialgüterrechte Ohly, FS Schricker, S. 105, 106, 115; zum Numerus clausus im Sachenrecht siehe Motive III, S. 3 = Mugdan III, S. 2, in denen es heißt: „Der Grundsatz der Vertragsfreiheit, welcher das Obligationsrecht beherrscht, hat für das Sachenrecht keine Geltung. Hier gilt der umgekehrte Grundsatz: Die Beteiligten können nur solche Rechte begründen, deren Begründung das Gesetz zulässt. Die Zahl der dinglichen Rechte ist daher notwendig eine geschlossene“; vgl. hierzu auch Peukert, Güterzuordnung, S. 793. 353 Eine Richterrechtsetzung in Form von Normsetzung ist nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung nicht verfassungskonform; Picker, JZ 1984, 153, 154 m.w.N in Fn. 11; siehe zu den Kompetenzen der drei Gewalten Huster/Rux, BeckOK GG, Art. 20 Rn. 160. 354 Picker, JZ 1984, 153, 158; Peukert, Güterzuordnung, S. 19. 355 RGZ 129, 246, 248: „Ein Urteil bringt nicht Rechte zur Entstehung, sondern stellt nur fest, was Rechtens ist.“ Vgl. ferner Peukert, Güterzuordnung, S. 19; Picker, JZ 1984, 153, 155. 356 Peukert, Güterzuordnung, S. 18.

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dieser grundsätzlichen Gewaltenteilung eine Ausnahme für Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, diese ergibt jedoch nur vor dem Hintergrund Sinn, dass den Entscheidungen der niederen Gerichte keine abstrakt-generelle Wirkung zukommt.357 Fraglich ist jedoch, ob eine derart scharfe Abgrenzung wirklich möglich ist oder ob es in einem bestimmten Rahmen nicht doch den Gerichten obliegt, Rechtspositionen zuzuweisen.358 Gerade der Blick auf die mittlerweile etablierte Rechtsprechung, insbesondere im Rahmen von § 823 Abs. 1 BGB und der Frage nach den „sonstigen Rechten“, zeigt, dass die Rechtsprechung wesentlich bei der Zuordnung bestimmter Güter oder zumindest beim Zutageführen mancher bis dahin verborgener Rechte mitgewirkt hat.359 Keinesfalls richtig erscheint es nämlich, davon auszugehen, dass jede Lückenfüllung durch die Rechtsprechung zugleich eine gegen geltendes Verfassungsrecht verstoßende Usurpation gesetzgeberischer Kompetenzen darstellt.360 Vielmehr sollte es in diesem Bereich grundsätzlich die Möglichkeit einer richterlichen Rechtsfortbildung praeter legem geben. Dies erscheint deshalb sinnvoll, weil die bereits normierten gesetzgeberischen Regelungen der Zuordnung nicht abschließend vollständig sind, sondern sich auch hier immer wieder Zuordnungsprobleme stellen.361 Insbesondere bei der regelmäßig aufkommenden Problematik der Reichweite der Zuordnungsentscheidung treten grundlegende Fragen auf.362 Darüber hinaus stellt sich nicht selten die Frage nach dem „Ob“ der subjektiven Zuordnung einer Rechtsposition.363 Dies liegt zum einen daran, dass in der modernen Welt, nicht zuletzt aufgrund des enormen technischen Fortschritts, immer neue Güter oder Interessen auftauchen, bei denen zunächst fraglich ist, ob und wie diese einem Individuum zuzuweisen sind.364 Zum anderen können aber auch bereits vorhandene Güter erst ins Bewusstsein treten, weshalb sich die Frage danach, ob einem Einzelnen ein Recht zuzuordnen und die Rechtsposition anzuerkennen ist, immer wieder neu stellt.365 Jedenfalls seit der Rechtsprechung zum

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So auch Peukert, Güterzuordnung, S. 18. Ablehnend Peukert, Güterzuordnung, S. 880 f., 884, der den Gerichten lediglich eine Kompetenz zur Ausweitung „negativer Freiheitsräume“ im Sinne eines bloß abgrenzenden deliktsrechtlichen Schutzes zuspricht; kritisch Hoffmann, Zession, S. 55. 359 Vgl. auch hier nur die verschiedenen Fallgruppen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, z.B. bei Specht-Riemenschneider, BeckOGK BGB, 01.08.2020, § 823 Rn. 1130 ff. 360 Ohly, FS Schricker, S. 105, 118. 361 Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 232, der nicht einmal die Regelungen für das Sachenrecht als vollumfänglich abschließend erachtet. 362 Wilhelm, Sachenrecht, S. 232. 363 Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 233. 364 Vgl. hierzu Haller, Digitale Inhalte, S. 74 ff. 365 Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 233, der als Beispiel für diese Entwicklung auf das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Recht am räumlich-gegenständlichen Bereich der Ehe als sonstige Rechte i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB sowie auf die Frage der Zuordnung von Internet-Domains verweist. 358

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A. Die Rechtsposition hinter dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld

allgemeinen Persönlichkeitsrecht kann es letztlich keinen Zweifel mehr daran geben, dass auch die Richterrechtsetzung längst Bestandteil der geltenden Rechtsordnung ist.366 Sowohl für die Frage nach der Reichweite einer bereits bestehenden Rechtsposition als auch hinsichtlich der Zuordnung eines eigenständigen Interesses ist daher davon auszugehen, dass ein offener Prozess der Konkretisierung und Herausarbeitung absoluter Rechte im juristisch-dogmatischen Bereich aufgrund eines Zusammenspiels von Gesetzgebung, Rechtspraxis und Rechtswissenschaft erkennbar und ebenso erstrebenswert ist.367 Das reine Festhalten an Gesetzesrecht ist zum einen wenig funktional, da der Gesetzgeber keinesfalls jede denkmögliche Konstellation gesetzlich regeln kann und er zudem regelmäßig zeitlich nicht schnell genug auf die Veränderungen oder Neuerungen in der Umwelt reagieren wird. Reagiert der Gesetzgeber jedoch auf Veränderungen, positiviert er zum Teil ohnehin nur das, was zuvor bereits in der Rechtswissenschaft erkannt und von der Rechtspraxis anerkannt wurde.368 Insofern ist also durchaus auch von einer Zuordnungskompetenz der Gerichte auszugehen. b) Die Anforderungen an die Zuordnungsentscheidung der Gerichte Selbstverständlich muss sich der gerichtliche Zuordnungsprozess im Rahmen des rechtlich Möglichen vollziehen. Die richterliche Zuordnungsentscheidung muss ihrerseits auf formales Recht rückführbar sein bzw. mit der durch die Legislative geschaffenen verfassungsrechtlichen Ordnung in Einklang stehen (Art. 97 GG). Auch die Rechtsfortbildung darf sich daher nur in den verfassungsrechtlich gebotenen Grenzen von Rechtsstaats-, Demokratie- und Gewaltenteilungsprinzip vollziehen.369 Diese Grenzen sind jedenfalls dann überschritten, wenn es sich um eine contra-legem-Entscheidung des Gerichts handelt.370

366 Zur Einordnung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als zivilrechtliche Rechtsposition vgl. auch Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 231. 367 Vgl. zu diesem Wechselspiel der juristischen Disziplinen auch Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 232 ff. 368 Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 235; vgl. auch v. Gamm, GRUR 1978, 453 f. mit konkreten Beispielen aus dem Bereich des Wettbewerbs- und Immaterialgüterrechts. 369 Wank, Rechtsfortbildung, S. 88 ff.; ders., Die Auslegung von Gesetzen, S. 35; siehe hierzu auch Bydlinski, Einheit und Folgerichtigkeit, S. 40, der die richterliche Bindung an Gesetz als selbstverständlich und sich bereits aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit und Rechtsidee überhaupt ergebend erachtet. 370 Wann eine solche contra-legem-Entscheidung anzunehmen ist, darüber besteht wiederum keine Einigkeit, vgl. hierzu beispielsweise J. Neuner, Rechtsfindung, S. 132, der eine contra-legem-Entscheidung annimmt „[...] wenn die Regelungsabsicht des historischen Gesetzgebers missachtet wird, sofern diese mit dem möglichen Wortsinn der Gesetzesnorm noch vereinbar ist oder im Wege der Analogie oder Restriktion durchgesetzt werden könnte“; a.A. Bydlinski, Einheit und Folgerichtigkeit, S. 47 ff., der in einem solchen Verständnis der contralegem-Entscheidung die Überbewertung der Regelungsabsichten des Gesetzgebers sieht – eine Rechtsfortbildung sei vielmehr erst dann unzulässig, wenn das Ergebnis gegen den Wort-

II. Die Zuweisung einer Rechtsposition durch die objektive Ordnung

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Daneben haben die Gerichte aber auch darauf zu achten, die professionelle Basis des Rechtsanwenders – die Dogmatik – nicht zu missachten. Denn ohne Dogmatik fehlt es der richterlichen Entscheidung am Fundament, ohne das ein allgemeiner Geltungsanspruch nur schwer zu rechtfertigen ist. Damit die Richterrechtsschöpfung der Disziplin daher nicht ihren Bezugspunkt nimmt,371 bleibt es auch innerhalb verfassungsrechtlicher Grenzen erforderlich, dass die Gerichte bei der Ermittlung des Inhalts offener Rechtspositionen die Dogmatik im Blick behalten und beispielsweise nach vergleichbaren Rechtspositionen Ausschau halten. Im Ergebnis sollte so eine unter dogmatischen Gesichtspunkten nachvollziehbare Entscheidung vorliegen, die dem Rechtsanwender die Möglichkeit gibt, hieran anknüpfend auch künftig die Rechtslage einschätzen zu können. c) Die bisherige Rolle der Rechtsprechung beim „Angehörigenschmerzensgeld“ Die Gerichte haben einen Anspruch auf „Angehörigenschmerzensgeld“ vor Einführung des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld konsequent verneint und es unterlassen, Erwägungen über eine mögliche Rechtsposition der Angehörigen anzustellen.372 Insofern gestaltet sich die vorliegende Thematik diametral zu den bisherigen Fällen, welche die Gerichte in Zusammenhang mit der Aufdeckung von Rechtspositionen beschäftigten. Denn es geht nicht darum, ein neu aufkommendes, als schützenswert empfundenes Phänomen unter bereits vorhandene Normen zu subsumieren und zu schützen, sondern andersherum, ein bereits durch eine neue Norm geschütztes, aber noch verborgenes Interesse zu ermitteln. Es geht nicht darum zu klären, ob eine Rechtsposition überhaupt vorhanden ist und wie diese mittels der vorhandenen Haftungssysteme geschützt werden kann, sondern darum, die mit Einführung des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld durch den Gesetzgeber bereits anerkannte, aber bisher unbekannte Rechtsposition herauszufiltern, zu benennen und in das Bewusstsein des Rechtsanwenders zu rufen. Da der Gesetzgeber die Rechtsposition jedoch nicht weiter beschrieben hat, bleibt es wohl auch hier Aufgabe der Gerichte, mit Hilfe der Wissenschaft ihren Teil bei der Zuordnung bzw. bei der Aufdeckung der konkreten Rechtsposition zu leisten.

laut und die hiermit übereinstimmende Regelungsabsicht des Gesetzgebers verstößt. Das BVerfG stellt in seinem Marlene-Beschluss hingegen klar: „Die Gerichte dürfen sich bei der Rechtsfortbildung nicht dem vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck des Gesetzes entziehen. Angesichts des beschleunigten Wandels der gesellschaftlichen Verhältnisse und der begrenzten Reaktionsmöglichkeiten des Gesetzgebers sowie der offenen Formulierungen zahlreicher Normen gehört aber die Anpassung des geltenden Rechts an veränderte Verhältnisse zu den Aufgaben der Dritten Gewalt. Dies gilt insbesondere bei zunehmendem zeitlichem Abstand zwischen Gesetzesbefehl und richterlicher Einzelfallentscheidung“, BVerfG, NJW 2006, 3409 – Marlene. 371 Diese Befürchtung äußert Picker, JZ 1988, 1, 3. 372 Vgl. hierzu Klinger, NZV 2005, 290 ff.; Luckey, SVR 2012, 1 ff.; Katzenmeier, JZ 2017, 869, 871 m.w.N. in Fn. 46.

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A. Die Rechtsposition hinter dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld

3. Ergebnis Die bisherige Untersuchung hat ergeben, dass eine Rechtsposition in erster Linie durch den Gesetzgeber zugewiesen wird, eine Zuweisung aber auch im Rahmen der Rechtsordnung durch privatautonomen Willen oder mit Hilfe der Rechtsprechung erfolgen kann. Diese gewonnenen Erkenntnisse bilden die Grundlage für eine methodologisch saubere Suche nach der hinter dem Hinterbliebenengeld stehenden Rechtsposition.

III. Ansätze zur Bestimmung der Rechtsposition Nachdem nun die wichtigsten Zuweisungskriterien herausgearbeitet wurden, gilt es die gefundenen Erkenntnisse an mögliche geschützte Rechtspositionen anzulegen und so zu einem in sich schlüssigen Ergebnis zu gelangen. Einige Rechtspositionen waren in Zusammenhang mit dem Hinterbliebenengeld bereits im Gespräch oder sind in anderem Zusammenhang aus der Rechtsprechung bekannt, so dass es lediglich um die Erweiterung der Grenzen einer bereits bestehenden Rechtsposition gehen würde. Denkbar ist aber auch, dass eine gänzlich neue Rechtsposition geschaffen wurde.

1. Leben Wer rechtswidrig einen Menschen tötet, verletzt das durch § 823 Abs. 1 BGB geschützte Rechtsgut „Leben“ und begeht eine unerlaubte Handlung. Auch wenn diese Rechtsposition daher zunächst auch für das Hinterbliebenengeld naheliegend erscheint, immerhin ist nach dem Wortlaut die Tötung der nahestehenden Person erforderlich, ist das „Leben“ im Ergebnis nicht geeignet, die durch den Anspruch auf Hinterbliebenengeld geschützte Rechtsposition zu sein. Zwar spricht für eine solche Annahme zunächst, dass der Gesetzgeber mit der Einführung des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld zugleich der Forderung des EGMR Rechnung tragen wollte, „die nationale Rechtsordnung müsse nach Art. 13 EMRK nahen Angehörigen eines Getöteten jedenfalls bei einer möglichen staatlichen Mitverantwortung für den Todesfall auch einen zivilrechtlichen Geldanspruch einräumen (EGMR, Urteil vom 17.03.2005, Bubbins ./. Großbritannien, Nr. 5016/99, Rn. 166 ff.; EGMR, Urteil vom 03.04.2001, Keenan ./. Großbritannien, Nr. 27229/95, Rn. 125 ff.)“.373 Denn in beiden zitierten Entscheidungen ging es um das Recht auf Leben nach Art. 2 EMRK des jeweils Verstorbenen, welches in beiden Fällen auf äußerst tragische Weise unter Mitverantwortung der Staatsgewalt verletzt wurde. Nach nationalem Recht ist die Verletzung des Lebens jedoch nicht ohne Weiteres geeignet, Ansprüche der Hin-

373

BT-Drs. 18/11397, S. 8.

III. Ansätze zur Bestimmung der Rechtsposition

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terbliebenen zu begründen. Zudem kann der Forderung des EGMR auch über einen Anspruch der Hinterbliebenen wegen einer eigenen Rechtsverletzung Rechnung getragen werden. Einigkeit besteht darüber, dass es beim Anspruch auf Hinterbliebenengeld nicht darum gehen kann, das Leben des Verstorbenen zu ersetzen.374 Abgesehen von verfassungsrechtlichen Problemen, die sich im Hinblick auf die Würde des Menschen stellen würden, wollte man das Leben des Verstorbenen kommerzialisieren und in Geld bemessen, scheitert ein solcher Ansatz auch aufgrund der folgenden Überlegungen: In einer Rechtszuweisungsordnung sind die Schutzrechte dem Inhaber des verletzten Substanzrechts zugewiesen.375 Eine Aufspaltung von Substanz- und Schutzrechten ist nicht möglich, denn das würde den Zweck der Schutzrechte vereiteln, die Freiheit des Rechtsinhabers zu gewährleisten. Das Leben ist jedoch alleine der getöteten Person zugeordnet und damit schon kein Rechtsgut des nach § 844 Abs. 3 BGB anspruchsberechtigten Hinterbliebenen.376 Da dem Hinterbliebenen jedoch nunmehr ein eigener, originärer Anspruch zusteht,377 ist eine eigene Rechtsposition des Hinterbliebenen erforderlich. Aus diesem Grund kann es sich auch nicht um einen ursprünglich beim Getöteten entstandenen und sodann übergegangenen Anspruch handeln.378 Ein aus übergegangenem Recht konstruierter Anspruch des Hinterbliebenen wäre unter verschiedenen Gesichtspunkten dogmatisch unsauber. Denn Lebensverletzung bedeutet Tötung,379 weshalb der Anspruch erst mit dem Tod der nahestehenden Person und nicht bereits mit der Verletzungshandlung entsteht. Da die Rechtsfähigkeit einer natürlichen Person jedoch mit ihrem Tod endet,380 kann der An374 Vgl. nur BT-Drs. 18/11397, S. 14; Fechner, DRiZ 2017, 84; Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 33; Kadner Graziano, Hinterbliebenengeld, S. 189; Krämer, zfs 2016, 421; G. Müller, VersR 2017, 321, 323; Röthel, Jura 2018, 235; Wagner, NJW 2017, 2641, 2645. 375 Hoffmann, Zession, S. 56; vgl. hierzu auch bereits oben: Kap. 1, A.I.1. 376 Vgl. auch Schiemann, GesR 2018, 69, 72. 377 Kadner Graziano, Hinterbliebenengeld, S. 188. 378 Zur Vererbbarkeit eines noch beim Verstorbenen entstanden Schmerzensgeldanspruchs siehe Leipold, MüKo BGB, § 1922 Rn. 51; dazu grundlegend auch BGHZ 138, 388 = NJW 1998, 2741, 2742; OLG Düsseldorf, Urteil v. 12.10.2011 – 18 U 216/10 = BeckRS 2013, 18320. 379 So Zimmermann, Der § 823 des BGB, S. 17. 380 Eine ausdrückliche Regelung über die Beendigung der Rechtsfähigkeit mit Eintritt des Todes findet sich in § 1 BGB nicht. Zwar war ursprünglich im Entwurf des § 1 BGB noch der Satzteil „und endet mit dem Tode“ vorgesehen (vgl. Schönberger, Postmortaler Persönlichkeitsschutz, S. 10). Dieser wurde jedoch gestrichen, weil man ihn für überflüssig erachtete, da dies bereits im Entstehungszeitpunkt des BGB als selbstverständlich vorausgesetzt wurde, vgl. Motive I, S. 28 = Mugdan I, S. 371; siehe hierzu ferner auch Bamberger, BeckOK BGB, § 1 Rn. 20; Schmitt, MüKo BGB, § 1 Rn. 23; vgl. zum damaligen Verständnis der rechtlichen Relevanz des Todes auch Savigny, System II, § 63 S. 17: „Der Tod, als Gränze der natürlichen Rechtsfähigkeit, ist ein so einfaches Naturereignis, daß derselbe nicht, so wie die Geburt, eine genauere Festlegung seiner Elemente nöthig macht“. A.A. wohl aber Larenz/Canaris, SchuldR BT II, § 76 II S. 377, die davon ausgehen, dass sich aus der Verletzung des Rechtsguts „Leben“ i.S.v. § 823 Abs. 1 BGB Ansprüche nach Maßgabe der §§ 844–846 BGB ergeben.

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A. Die Rechtsposition hinter dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld

spruch beim Getöteten gar nicht erst entstehen.381 Es gilt: „Der Tod [schließt] die Schadensbilanz ab“.382 Vermeiden ließe sich dies zwar mit der „Zaubermacht“ des Juristen, welcher die Fähigkeit besitzt, Sekunden, die es in der Wirklichkeit nicht gibt, zu fingieren, um so als gerecht empfundene Ergebnisse zu erzielen.383 Mittels dieses Mechanismus wäre es daher auch möglich, eine logische Sekunde vor dem Tod zu fingieren, in der ein Anspruch wegen des Verlusts des Lebens des Verstorbenen entsteht, welcher sodann auf die Hinterbliebenen übergeht.384 Jedoch würde ein solcher Schadensersatzanspruch im Falle der Verletzung des Lebens dem Getöteten nur noch abstrakt, in Form einer Fürsorge für seine Hinterbliebenen, zu Gute kommen.385 Ein tatsächlicher Ausgleich als Mittel der Rechtsfortsetzung wäre hingegen nicht möglich. Zudem müsste ein Anspruch zum Schutz des Lebens in der Konsequenz eigentlich unabhängig davon entstehen, ob der Getötete besonders nahestehende Personen hinterlässt oder nicht.386 Der Anspruch müsste unabhängig von dem Vorliegen persönlicher Beziehungen des Getöteten auf die Erben übergehen, auch wenn diese den Erblasser nicht einmal persönlich kannten. Ferner erscheint eine solche Betrachtungsweise auch unter weiteren Aspekten wenig schlüssig: Das Schutzrecht wird nicht nur einmal beim Verstorbenen aktiviert und die dadurch entstandene Schadensersatzforderung sodann an die Erben vererbt (§ 1922 BGB), was zur Folge hätte, dass sich alle Hinterbliebenen eine Entschädigung teilen müssten. Vielmehr addieren sich die einzelnen Ansprüche

381 Hager, Staudinger BGB, § 823 Rn. B 2; Jaeger/Luckey, Schmerzensgeld, Rn. 528; Kilian, AcP 169 (1969), 443, 447 Fn. 20; Looschelders, Schuldrecht BT, § 60 Rn. 2; G. Müller, VersR 2017, 321, 322; dies., VersR 2006, 1289, 1290; Röthel, Jura 2018, 235; Stoll, Haftungsfolgen, S. 359; Schubert, Karlsruher Forum 2016, S. 28; Zimmermann, Der § 823 des BGB, S. 17; vgl. auch BT-Drs. 18/11615, S. 1. 382 Stoll, Haftungsfolgen, S. 359; ähnlich auch Katzenmeier, JZ 2017, 869, 870; Medicus, ZGS 2006, 103; vgl. auch BGH, NJW 2004, 2894, 2895. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass das bereits gezeugte, aber ungeborene Leben, der Nasciturus, bereits Träger von Rechten sein kann, obwohl dieser ebenso wenig i.S.d. § 1 BGB rechtsfähig ist (vgl. hierzu Spickhoff, MüKo BGB, § 1 Rn. 28 ff. mit zahlreichen Beispielen). Die Lage ist insofern eine andere, als dass es möglich ist, dem künftigen Menschen Rechte zu geben, die ihm künftig zu Gute kommen. Der Verstorbene wird hingegen niemals mehr Inhaber von Rechten sein können, vgl. v. Blume, AcP 12 (1914), 367, 370 f. 383 Brand, Karlsruher Forum 2016, S. 77; zu den Möglichkeiten des Juristen, die Entstehung von Ansprüchen beim Getöteten zu konstruieren, siehe Schubel, AcP 198 (1998), 1, 30. 384 Brand, Karlsruher Forum 2016, S. 77; Stahmer, Nichtvermögensschäden bei Tötung, S. 35; vgl. hierzu auch Adams, Ökonomische Analyse, S. 178 ff., der den „monetären Wert“ des menschlichen Lebens sodann mit dem 6-fachen des Bruttosozialprodukts pro Kopf bemessen möchte (für das Jahr 1983 angegeben mit 150.000 DM) und die Ersatzpflicht sodann unter Berücksichtigung der adäquaten Kausalität und eines Mitverschuldens im Einzelfall mindern möchte (S. 182). 385 Schramm, Haftung für Tötung, S. 317. 386 Stahmer, Nichtvermögensschäden bei Tötung, S. 217.

III. Ansätze zur Bestimmung der Rechtsposition

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der Hinterbliebenen,387 sofern die Voraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB für jeden Einzelnen vorliegen, und können den Schädiger in der Summe teurer zu stehen kommen. Auch muss sich der Kreis der Erben und der nach § 844 Abs. 3 BGB Berechtigten nicht zwangsläufig decken. Es ist durchaus denkbar, dass die verstorbene Person einen Lebenspartner hinterlässt, der mangels Eheschlusses nach der gesetzlichen Erbfolge leer ausgehen würde. Fehlt es auch an einer letztwilligen Verfügung zugunsten des Partners (§§ 1937, 1941 BGB) und ist dieser aber in der Lage, die besondere Nähebeziehung in einem Prozess darzulegen und zu beweisen, so würde der Partner nach § 844 Abs. 3 BGB durchaus eine Entschädigung erhalten, nach § 1922 i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB hingegen nicht.388 Des Weiteren stünde eine solche Lösung auch in Konflikt mit § 253 Abs. 2 BGB, da hier das Rechtsgut „Leben“ nicht aufgeführt ist und der Getötete wegen des Verlusts seines Lebens daher im Grunde auch keine Geldentschädigung für seinen immateriellen Schaden verlangen kann, § 253 Abs. 1 BGB.389 Letztlich läuft eine Herleitung des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld aus übergegangenem Recht aber ohnehin auch dem Zweck des Hinterbliebenengelds zuwider, das persönlich erlebte seelische Leid mit einem Anspruch zu berücksichtigen.390 Denn eine beim Verstorbenen entstandene Forderung würde unabhängig von den persönlichen Verhältnissen und einer tatsächlich erlebten Trauer auf die Hinterbliebenen übergehen.391 Auf das seelische Leid käme es dann gar nicht an. Im Ergebnis ist das Leben des Verstorbenen als Rechtsposition abzulehnen.

2. Art. 6 GG Denkbar erscheint es auch, die Rechtsposition des Hinterbliebenen aus Art. 6 GG abzuleiten.392 Nach Art. 6 GG stehen Ehe und Familie unter dem besonderen 387

Wagner, NJW 2017, 2641, 4645. Zum selben Ergebnis dürfte man zudem in jener Fallkonstellation gelangen, in der die verstorbene Person die nahestehende Person enterbt hatte. Allein aus der Enterbung lassen sich nämlich noch keine zwingenden Rückschlüsse auf die Beendigung der besonderen Nähebeziehung i.S.d. § 844 Abs. 3 BGB ziehen. 389 Jaeger/Luckey, Schmerzensgeld, Rn. 527; Röthel, Jura 2018, 235, 236; Stahmer, Nichtvermögensschäden bei Tötung, S. 100 f.; Wagner, NJW 2017, 2641. Zudem bliebe fraglich, worin der Schaden des Verstorbenen genau zu sehen sein soll. Geht man davon aus, dass der Verlust des Lebens schadensrechtlich nicht messbar ist und dass mit dem Tod jegliche Leiden der Menschen enden, fehlt es, anders als bei einer Körper- oder Gesundheitsverletzung, auch an einem (immateriellen) Schaden des Verstobenen. Dazu, dass der Tod dem Leiden des Geschädigten ein Ende bereitet und mit Eintritt des Todes auch die Schadensbilanz abgeschlossen ist, vgl. Schubert, Karlsruher Forum 2016, S. 30; BGH, NJW 1998, 370, 371; KG Berlin, VersR 1997, 327 f. 390 Vgl. BT-Drs. 18/11397, S. 1, 8. 391 So auch Schubert, Karlsruher Forum 2016, S. 31. 392 So etwa Gontard, DAR 1990, 377 f.; vgl. hierzu auch die Überlegungen von Ch. Huber, NZV 2012, 5, 11; Klinger, NZV 2005, 290, 293; Schips, Schmerzensgeld, S. 157; Schramm, Haftung für Tötung, S. 339; Staudinger, DAR 2012, 280, 284; Vorndran, ZRP 1988, 293 ff. 388

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A. Die Rechtsposition hinter dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld

Schutz staatlicher Ordnung. Garantiert wird nicht nur das Institut der Ehe an sich, vielmehr gebietet die Verfassung als verbindliche Wertentscheidung einen umfassenden Schutz von Ehe und Familie auch im Privatrecht.393 Die Störung der besonders geschützten Institution der Ehe und der Familie kann daher möglicherweise auch im Privatrecht ein Schutzrecht in Form eines Anspruchs nach sich ziehen.394 Ein Schaden könnte in der durch die Verletzung der Perpetuierung des gegenwärtigen Familienzustands ausgelösten seelischen Trauer zu sehen sein.395 Bei diesen Überlegungen ergeben sich jedoch zunächst zwei Fragen: Zum einen ist zu untersuchen, ob eine zivilrechtliche Rechtsposition unmittelbar aus der Verfassung begründet werden kann, und zum anderen ist fraglich, ob sich der Begriff des Hinterbliebenen mit dem personellen Schutzbereich des Art. 6 GG deckt oder ob der Kreis der durch § 844 Abs. 3 BGB Berechtigten nicht weiter zu ziehen ist. a) Die Geltung des Art. 6 GG im Zivilrecht Art. 6 GG konstituiert zu allererst ein Abwehrrecht gegen den Staat vor Eingriffen in den besonders geschützten Bereich von Ehe und Familie.396 Eine unmittelbar im Privatrecht geltende Wirkung, ein zivilrechtliches Recht auf Ehe und Familie, begründet dieser Artikel hingegen nicht.397 Da Grundrechte insoweit keine unmittelbare Drittwirkung im zivilen Rechtsverkehr entfalten, sind die Institution der Ehe und die Familie auch nicht umfänglich als „sonstiges Recht“ i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB zu qualifizieren.398 Allerdings steht es dem Gesetzgeber frei und es kann sogar seine Pflicht sein, einfachgesetzliche Regelungen zu erlassen, die durch ihre unmittelbare Geltung zwischen Privatpersonen einen umfassenden Schutz der Grundrechte auch auf privatrechtlicher Ebene gewährleisten. Grundsätzlich ist es daher möglich, dass der Anspruch auf Hinterbliebenengeld nunmehr dem Schutz der Ehe und Familie dient und nunmehr auch immaterielle Schäden aufgrund der Verletzung des Familienrechts für ersatzfähig erklärt.

393 Vgl. BVerfGE 6, 55, 72 = NJW 1957, 417; BVerfGE 55, 114, 126 = NJW 1981, 107; BVerfGE 105, 313, 346 = NJW 2002, 2543; BVerfGE 124, 199, 224 f. = NJW 2010, 1439, 1441. 394 Gontard, DAR 1990, 375, 377; zur Frage, ob eine zunächst nur relativ bestehende Rechtsposition wie die Ehe in mancher Hinsicht mit Drittschutz versehen werden soll, vgl. Smid, JuS 1984, 101 ff. 395 In diese Richtung Klinger, NZV 2005, 290, 293. 396 Zur Wirkung der Grundrechte siehe auch unter: Kap. 1, A.II.6.c)bb). 397 Gontard, DAR 1990, 375, 377; zur Frage der Bedeutung der Grundrechte für die Rechtszuweisung generell vgl. Bader, Diskriminierungsschutz, S. 43 f. 398 Gontard, DAR 1990, 375, 377; vgl. auch Wagner, MüKo BGB, § 823 Rn. 341; etwas anderes gilt jedoch für das elterliche Sorgerecht aus Art. 6 Abs. 2 GG, welches in Teilen als „sonstiges Recht“ i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB anerkannt ist, vgl. etwa Wagner, MüKo BGB, § 823 Rn. 302; BGHZ 111, 168, 172 = NJW 1990, 2060, 2061.

III. Ansätze zur Bestimmung der Rechtsposition

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b) Der Schutzbereich des Art. 6 GG Sachlich schützt Art. 6 GG die Ehe als Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft399 sowie die Familie als Lebens-, Wirtschafts- und Erziehungsgemeinschaft.400 Der Staat ist daher auch verpflichtet, für die materiellen und immateriellen Grundlagen eines Familienlebens Vorsorge zu treffen,401 wobei die familiäre „Emotionseinheit“ immer mehr Bedeutung erlangt.402 In personaler Hinsicht schützt Art. 6 GG die auf Dauer angelegte403 „verweltlichte“ bürgerliche Ehe404 und die engere Familie, ohne dass diese auf einer Ehe beruhen muss405. Die Ehe als kulturell geprägte,406 nicht im Grundgesetz definierte Institution, ist auf eine einfachgesetzliche Inhaltsbestimmung angewiesen, bei welcher der Gesetzgeber über einen gewissen Spielraum verfügt und insoweit auch den Wandel des Eheverständnisses in der Gesellschaft berücksichtigen kann.407 Bis heute wird jedoch am Begriffsverständnis aus der Zeit der Verfassungsgebung festgehalten, was insbesondere die Verschiedengeschlechtlichkeit der Eheleute zur Voraussetzung macht.408 Der Spielraum des Gesetzgebers reiche nicht so weit, als dass er die Ehe gänzlich nach den sich stetig wandelnden gesellschaftlichen Auffassungen ausgestalten könnte.409 Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) gehört „zum Gehalt der Ehe, wie er sich ungeachtet des gesellschaftlichen Wandels und der damit einhergehenden Änderungen ihrer rechtlichen Gestaltung bewahrt und durch das Grundgesetz seine Prägung bekommen hat, [...], dass sie die Vereinigung eines Mannes mit einer Frau zu einer auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft ist, begründet auf freiem Entschluss unter Mitwirkung des Staates.“410 Dieses verfassungsrechtliche Eheverständnis hat sich auch nicht dadurch geändert, dass mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts am 1. Oktober 2017 nunmehr auch die Eheschließung gem. § 1353 Abs. 1 S. 1 BGB

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BVerfGE 66, 84 = NJW 1984, 1523. Badura, Maunz/Dürig GG, Art. 6 Rn. 60, 62. 401 BVerfGE 55, 114 = NJW 1981, 107; BVerfGE 40, 121 = NJW 1975, 1691; Badura, Maunz/Dürig GG, Art. 6 Rn. 7, 67. 402 BVerfGE 76, 1 = NJW 1988, 626; BVerfGE 80, 81, 91 = NJW 1989, 2195; Gröscher, Dreier GG I, Art. 6 Rn. 3; Schramm, Haftung für Tötung, S. 340. 403 BVerfGE 105, 313 = NJW 2002, 2543; BVerfGE 112, 50, 65 = NJW 2005, 1413, 1415. 404 BVerfGE 31, 58, 83 = NJW 1971, 1509, 1513; BVerfGE 53, 224 = NJW 1980, 689. 405 BVerfGE 45, 104 = NJW 1978, 33. 406 Siehe zur kulturellen Prägung Uhle, kulturelle Identität, S. 259 ff. 407 Uhle, BeckOK GG, Art. 6 Rn. 2. 408 Uhle, BeckOK GG, Art. 6 Rn. 2; v. Coelln, Sachs GG, Art. 6 Rn. 6. Das Merkmal der Geschlechtsverschiedenheit war in Art. 119 Abs. 1 S. 2 WRV noch genannt und wurde auch vom Parlament vorausgesetzt, vgl. die im Parlament besprochenen Entwürfe, abgedruckt in JöR n.F.1 (1951), S. 92, 93 ff. („Die Ehe als die rechtmäßige Form der dauernden Lebensgemeinschaft von Mann und Frau“). 409 Uhle, BeckOK GG, Art. 6 Rn. 2. 410 BVerfGE 105, 313, 345 = NJW 2002, 2543, 2547 m.w.N. 400

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für homosexuelle Paare möglich ist.411 Solange es nicht zu einer entsprechenden Verfassungsänderung kommt, falle die gleichgeschlechtliche Ehe nur unter den zivilrechtlichen Ehebegriff, nicht jedoch unter den Schutz von Art. 6 GG.412 Diese Erweiterung des einfachgesetzlichen Ehebegriffs war verfassungsrechtlich nur deshalb möglich, da hierdurch der verfassungsrechtliche Ehebegriff nicht ausgestaltet und auch nicht tangiert wurde.413 Bereits 2002 hatte das BVerfG entschieden, dass es dem Gesetzgeber nicht genommen sei, „für die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft Rechte und Pflichten vorzusehen, die denen der Ehe gleich oder nahe kommen“.414 Denn dem „Institut der Ehe drohen keine Einbußen durch ein Institut, das sich an Personen wendet, die miteinander keine Ehe eingehen können“.415 Begründet wird das starre Festhalten am überkommenen verfassungsrechtlichen Ehebegriff damit, dass die Ehe den besonderen Schutz durch die Verfassung nicht wegen der Heterosexualität oder ausschließlich wegen der Verantwortungsübernahme füreinander genieße, sondern in Hinblick auf die potentiell aus der Heirat hervorgehenden Nachkommen.416 Ferner knüpft auch der Begriff der Familie an die bürgerlich-rechtliche Institution an,417 wobei diese – mehr als die verrechtlichte Ehe – an faktischen Elementen zu bestimmen ist.418 Nach allgemeiner Auffassung ist unter Familie daher die umfassende Gemeinschaft von Eltern und ihren Kindern zu verstehen. Hiervon umfasst ist auch die Beziehung zwischen einem nichtehelichen Kind und seinen Eltern sowie zwischen Stief-, Adoptiv- und Pflegekindern,419 sofern eine sozial-familiäre Beziehung besteht.420 Auch hält der Schutz der Familie grundsätzlich bis in das Erwachsenenalter an.421 Jüngst hat das BVerfG zudem entschieden, dass nunmehr auch die Mehr-Generationen-Familie unter den Schutz von Art. 6 GG fällt, weshalb auch nahe Verwandtschaftsverhältnisse, insbesondere die Bindung zwischen Großeltern und Enkelkindern, vom Schutzbereich erfasst sind.422 Ausgeklammert sind jedoch die nichteheliche, kinderlose Lebensgemeinschaft, die elternlose Geschwisterbeziehung und jede andere Form enger

411 So v. Coelln, Sachs GG, Art. 6 Rn. 6.; Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 748; vgl. zum Erfordernis der Geschlechterverschiedenheit auch Uhle, BeckOK GG, Art. 6 Rn. 4. 412 Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 748, 752. 413 Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 752. 414 BVerfGE 105, 313 = NJW 2002, 2543. 415 BVerfGE 105, 313 = NJW 2002, 2543. 416 v. Coelln, Sachs GG, Art. 6 Rn. 6. Diese Argumentation ist deshalb wenig überzeugend, weil es heute auch gleichgeschlechtlichen Paaren möglich ist, Kinder zu bekommen oder zu adoptieren. 417 BVerfGE 6, 55 = NJW 1957, 417. 418 Uhle, BeckOK GG, Art. 6 Rn. 14; v. Coelln, Sachs GG, Art. 6 Rn. 15. 419 BVerfGE 18, 97 = NJW 1964, 1563. 420 BVerfGE 108, 82 = NJW 2003, 2151. 421 BVerfGE 57, 170 = NJW 1981, 1943. 422 BVerfGE 136, 382 = NJW 2014, 2853; v. Coelln, Sachs GG, Art. 6 Rn. 16 mit Fn. 115 m.w.N.

III. Ansätze zur Bestimmung der Rechtsposition

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und emotionaler Beziehungen.423 Diese stehen lediglich unter dem Schutz von Art. 2 Abs. 1 GG.424 c) Bedeutung für den Anspruch auf Hinterbliebenengeld Die durch § 844 Abs. 3 BGB geschützte Rechtsposition lässt sich nicht abschließend aus Art. 6 GG herleiten. Dies ergibt sich bereits daraus, dass der personelle Schutzbereich des Freiheitsrechts und der nach § 844 Abs. 3 BGB anspruchsberechtigte Personenkreis nicht identisch sind. Zwar deckt sich der personelle Schutzbereich des Art. 6 GG in weiten Teilen mit den Anspruchsberechtigten des Hinterbliebenengelds, letztlich bleibt er jedoch hinter diesen zurück: Art. 6 GG schützt lediglich die Ehe in ihrer verweltlichten bürgerlichen Form, nicht hingegen die gleichgeschlechtliche Ehe nach § 1353 Abs. 1 BGB, die eingetragene Lebenspartnerschaft oder die nichteheliche Lebensgemeinschaft.425 Dies hindert den Gesetzgeber zwar nicht daran, die gleichgeschlechtliche Ehe mit denselben Privilegien und demselben Schutz auszustatten,426 steht jedoch der Annahme entgegen, § 844 Abs. 3 BGB verwirkliche den privatrechtlichen Schutz von Art. 6 GG. Zum einen gewährt § 844 Abs. 3 BGB ausdrücklich auch dem Lebenspartner einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld, zum anderen ist davon auszugehen, dass der „Ehegatte“ i.S.v. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB im Einklang mit der Zivilrechtsordnung nunmehr auch den gleichgeschlechtlichen Ehepartner umfasst und dieser in den Genuss der Vermutungsregelung gelangt. Darüber hinaus sollen auch Hinterbliebene, die mit dem Getöteten in einer Beziehung lebten, dabei aber weder verheiratet waren noch gemeinsame Kinder hatten, eine Entschädigung nach § 844 Abs. 3 BGB erhalten, sofern sie ihre Nähebeziehung beweisen können.427 Insofern kommt es für § 844 Abs. 3 BGB lediglich auf die tatsächlich gelebte soziale Beziehung an.428 Art. 6 Abs. 1 GG könnte für das Hinterbliebenengeld daher überhaupt nur dann eine Rolle spielen, sofern es um den Verlust eines andersgeschlechtlichen Ehegatten oder eines Familienmitglieds geht. Für die anderen nach § 844 Abs. 3 BGB berechtigten Personen lässt sich aus Art. 6 Abs. 1 GG hingegen keine Rechtsposition ableiten. Dass es sich jedoch um eine einheitliche Rechtsposition

423

Vgl. v. Coelln, Sachs GG, Art. 6 Rn. 17. Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 752. 425 Letztere erfüllt insbesondere deshalb nicht den Ehebegriff, weil sie, auch wenn sie sich im Einzelfall als dauerhafte Beziehung erweist, nicht auf eine Unauflöslichkeit angelegt ist, Uhle, BeckOK GG, Art. 6 Rn. 9; vgl. BVerfGE 87, 234, 265 = NJW 1993, 643, 646; BVerfGE 112, 50, 65 = NJW 2005, 1413, 1415; 426 BVerfGE 105, 313 = NJW 2002, 2543. 427 Zur Vermutungs- und Beweislastregelung des § 844 Abs. 3 BGB siehe unter: Kap. 2, B.I.2. 428 BT-Drs. 18/11397, S. 13; Balke, SVR 2018, 207, 208; O. Becker, JA 2020, 96, 100; Bredemeyer, ZEV 2017, 690, 691; Jaeger, VersR 2017, 1041, 1052; Katzenmeier, JZ 2017, 869, 875. 424

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handeln sollte, die durch den Anspruch bei den Rechtsinhabern geschützt wird, ergibt sich bereits daraus, dass § 844 Abs. 3 BGB eine Differenzierung zwischen verschiedenen geschützten Rechtspositionen nicht zu entnehmen ist. Im Ergebnis ist ein unmittelbar aus der Verfassung abgeleitetes Recht der Ehe und Familie als Schutzgut des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld daher abzulehnen. Die Frage, ob der Verlust einer nahestehenden Person durch Tötung in den sachlichen Schutzbereich von Art. 6 GG eingreift, erübrigt sich daher an dieser Stelle.

3. Gesundheit Ferner wird überlegt, das Rechtsgut „Gesundheit“ i.S.v. § 823 Abs. 1 BGB abweichend von der bisherigen Schockschadenrechtsprechung weiter zu definieren,429 um auf diese Weise auch das seelische Wohlbefinden mit dem Gesundheitsbegriff zu erfassen. Im Ergebnis läge so eine eigene Gesundheitsverletzung beim Hinterbliebenen vor. Gegen eine solche Sichtweise spricht nicht bereits die klare Abgrenzbarkeit des juristischen Gesundheitsbegriffs. Denn das Rechtsgut Gesundheit ist in seinem Kernbereich zwar wohl definiert, in seinen Randzonen aber unsicher und vage.430 Dies gilt insbesondere für den Schutzbereich der psychischen Gesundheit.431 Zwar besteht mittlerweile Einigkeit darüber, dass physische und psychische Gesundheit gemeinsam einen gesunden Menschen ausmachen;432 welche besonderen Anforderungen an die Intensität der Beeinträchtigung bei einer psychischen Erkrankung zu stellen sind, ist allerdings weiterhin Gegenstand juristischer Diskussion.433 Nach weiter Auffassung liegt eine Gesundheitsverletzung bereits in dem Hervorrufen oder Steigern eines vom Normalzustand der körperlichen Funktion abweichenden Zustandes.434 Insofern genügt jede kleine Störung innerer Lebensvorgänge, wie das Hervorrufen von Blässe, das Verursachen von Herzklopfen, Zittern, Unbehagen oder auch Trauer, um von einer Gesundheitsverletzung auszugehen.435 Noch weiter reicht sogar die Definition der Weltgesundheitsorgani429 Vgl. hierzu Hager, Karlsruher Forum 2016, S. 119; Ch. Huber, NZV 2012, 5, 10; Katzenmeier, JZ 2002, 1029, 1035; ders., Stellungnahme zum Gesetzesentwurf BT-Drs. 18/11397, S. 1, abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/504384/37362a756dc16528c 77a675cde4b430d/katzenmeier-data.pdf (Stand: 27.07.2022); Pflüger, Schmerzensgeld, S. 40 ff.; Stahmer, Nichtvermögensschäden bei Tötung, S. 103. 430 Wagner, MüKo BGB, § 823 Rn. 191. 431 Spickhoff, Karlsruher Forum 2007, S. 51. 432 BGH, NJW 1989, 2317; vgl. zur psychischen Gesundheitsverletzung auch Walter, MedR 2018, 213, 214. 433 Vgl. etwa Jaeger, VersR 2017, 1041, 1044; Looschelders, Schuldrecht BT, § 60 Rn. 7. 434 Möllers, Rechtsgüterschutz, S. 35 ff.; Weimar, MDR 1970, 565; vgl. auch Brüggemeier, Deliktsrecht, Rn. 191, der den weiten Gesundheitsbegriff selbst aber ablehnt; aus der Rechtsprechung vgl. BGHZ 114, 284, 289 = NJW 1991, 1948, 1949. 435 Vgl. hierzu Karczewski, Schockschäden, S. 51; Park, Schockschäden, S. 16; Selb, JZ 1972, 122, 124.

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sation, die unter Gesundheit den „Zustand völligen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit oder Gebrechen“436 versteht. Folgt man diesen weiten Definitionen, bestünden keine Schwierigkeiten, auch das seelische Wohlbefinden unter den Gesundheitsbegriff zu subsumieren und in der seelischen Trauer um eine nahestehende Person den aus der Verletzung resultierenden Schaden zu erachten. Dass jedoch nicht jede kleine Unannehmlichkeit als Verletzung der Gesundheit im haftungsrechtlichen Sinne angesehen werden kann, zeigt bereits der Umstand, dass bei einer derart weiten Begriffsbestimmung die Handlungsfreiheit eines potentiellen Schädigers übermäßig beeinträchtigt würde.437 Empfindungen wie Unbehagen oder Herzklopfen gehören zu den normalen Gefühlsregungen eines Menschen und treten auch im Alltag auf. Die Minderung jeglichen körperlichen oder seelischen Wohlbefindens kann daher nicht ausreichen, um einen haftungsrechtlich relevanten Vorgang auszulösen, weshalb eine Gesundheitsverletzung, egal ob psychisch oder physisch bedingt, begrifflich in Zusammenhang mit Krankheit zu setzen ist.438 Einleuchtend erscheint es daher, für die Auslotung der Grenzen des juristischen Gesundheitsbegriffs nicht nur auf die Abwesenheit jeglicher psychischer oder physischer Beeinträchtigungen abzustellen, sondern vielmehr auf den Stand der Medizin zurückzugreifen. Nach engerer Ansicht versteht man unter einer Gesundheitsverletzung daher „eine Störung der physischen, psychischen oder mentalen Befindlichkeit eines Menschen mit Krankheitscharakter“439. Und da Krankheit Gegenstand medizinischer Forschung ist und diese das grundsätzliche Verständnis von Krankheit impliziert, ist für die Bestimmung des Krankheitswerts zunächst eine medizinische Beurteilung von Bedeutung.440 Letztlich ist Krankheit daher als Synonym für einen Gesundheitsschaden im haftungsrechtlichen Sinne zu verstehen. Überzeugend erscheint eine solche Begriffsauslegung auch deshalb, weil es in den meisten Fällen der Gesundheitsverletzung um die Erstattung von Heilbehandlungskosten geht, welche nach medizinischen Kriterien entstehen.441

436 Siehe die Präambel zur Verfassung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vom 22.07.1946, abrufbar unter: https://www.who.int/about/governance/constitution (Stand: 27.07.2022): „Health is a state of complete physical, mental and social well-being and not merely the absence of desease or infirmity.“; Übersetzung abgedruckt bei Möllers, Rechtsgüterschutz, S. 31 f.; vgl. auch Kötz/Wagner, Deliktsrecht, Rn. 137; Spickhoff, Karlsruher Forum 2007, S. 51; Park, Schockschäden, S. 17. 437 In diese Richtung auch v. Hippel, NJW 1965, 1890, 1891 ff.; Park, Schockschäden, S. 17; Weimar, MDR 1963, 887, 888; ders., MDR 1964, 987. 438 So auch Park, Schockschäden, S. 16; R. Lang, Normzweck, S. 144 „ein reiner Gefühlsschaden oder ein bloßer Unfallschreck ohne weitere Folgen reichen nicht aus“. 439 Larenz/Canaris, SchuldR BT II/2, § 76 II S. 377; vgl. auch Deubner, JuS 1971, 622, 623; Wagner, MüKo BGB, § 823 Rn. 204. 440 Deubner, JuS 1971, 622, 623; Park, Schockschäden, S. 17; Steffen, RGRK BGB, § 823 Rn. 10. 441 Larenz/Canaris, SchuldR BT II/2, § 76 II S. 378.

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Uneinigkeit herrscht zwischen Rechtsprechung442 und Teilen der Literatur443 jedoch auch darüber, ob eine psychische Beeinträchtigung neben einem medizinischen Verständnis „auch nach der allgemeinen Verkehrsauffassung als Verletzung des Körpers oder der Gesundheit betrachtet [werden muss]“444. Ziel dieser zusätzlichen Voraussetzung ist es, auch jene medizinisch fassbaren, psychisch vermittelten Gesundheitsverletzungen aus der Haftungsbegründung auszuklammern, soweit sie nach Art und Schwere nicht über das hinausgehen, was normalerweise bei tief empfundener Trauer aufzutreten pflegt.445 Auch wenn diese Empfindungen medizinisch fassbar würden, stellten seelische Erschütterung, Schrecken, Schmerz, Verzweiflung, andauernde Leistungsminderung und sogar Depressionen nach der Verkehrsauffassung keine Gesundheitsverletzung i.S.d. § 823 BGB dar.446 Kritiker befürchten hingegen, dass mit diesem Maßstab eine laienhafte „Alltagstheorie“ anstelle eines „medizinisch-fachwissenschaftlichen Urteils“ gesetzt würde.447 Zudem erscheint die Begründung des BGH, soweit er dieses Ergebnis

442 So in Bezug auf Schockschäden BGHZ 56, 163, 165 f. = NJW 1971, 1883, 1884; bestätigt in BGH, NJW 1989, 2317, 2318 m.w.N. 443 Siehe etwa Jaeger/Luckey, Schmerzensgeld, Rn. 356; Spickhoff, Karlsruher Forum 2007, S. 54; Wagner, MüKo BGB, § 823 Rn. 218; Schiemann, Staudinger BGB, § 249 Rn. 46; vgl. ferner Larenz/Canaris, SchuldR BT II/2, § 76 II S. 377, wobei Canaris der Rechtsprechung letztlich insoweit zustimmt, als dass er davon ausgeht, dass sich der Rechtsbegriff Gesundheit nur insoweit an dem medizinischen Gesundheitsbegriff zu orientieren habe, sofern sich dieser nicht weg vom herkömmlichen Sprachgebrauch entwickle. Nur wenn diese Entwicklung auf neuen Erkenntnissen beruhe, welche auch ein schadensersatzrechtliches Umdenken erforderlich machten, müsse weiter an der medizinischen „Gesundheit“ festgehalten werden. 444 So in Bezug auf Schockschäden BGHZ 56, 163, 165 = NJW 1971, 1883, 1884; bestätigt in BGH, NJW 1984, 1405; BGH, NJW 1989, 2317, 2318 m.w.N.; zustimmend etwa Steffen, RGRK BGB, § 823 Rn. 11; Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 3 X, S. 148 ff.; zweifelnd hingegen Spickhoff, Karlsruher Forum 2007, S. 54; Schiemann, Staudinger BGB, § 249 Rn. 46; Wagner, MüKo BGB, § 823 Rn. 216. 445 BGHZ 56, 163, 165 f. = NJW 1971, 1883, 1884 f.; BGH, NJW 1989, 2317; vgl. ferner Grüneberg, Palandt BGB, Vorb v 249 Rn. 40; R. Lang, Normzweck, S. 144. 446 Vgl. BGHZ 56, 163, 165 ff. = NJW 1971, 1883, 1884 f.; BGH, NJW 1984, 1405; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1996, 214; siehe ferner auch die recht deutlichen Worte des OLG Stuttgart, NJW-RR 1989, 477, 478, nach welchem auch „Kreislaufkollapse bei Verdacht auf nächtliche Tachykardien (Beschleunigung des Herzschlags), eine Schilddrüsendysfunktion […] und eine deutliche Depression zwar massive Folgen, aber ebenso wie Schlafstörungen, Alpträume, Weinkrämpfe, Angst, Hilflosigkeit und Verzweiflung […], wochenlange Arbeitsunfähigkeit und monatelange Leistungsminderung, allgemeine Beeinträchtigung der Lebensfreude und anhaltende Übersensibilität“ keine Belastungen darstellen, die über „normale Belastungen“ hinausgingen. Da sich in diesen Symptomen lediglich das allgemeine Lebensrisiko verwirkliche, sei eine Entschädigung nicht gerechtfertigt. Aus der Literatur vgl. Jaeger, VersR 2017, 1041, 1045; Steffen, RGRK BGB, § 823 Rn. 11. 447 Ekkenga/Kunz, Soergel BGB, Vor § 249 Rn. 156; Schiemann, Staudinger BGB, § 249 Rn. 46; Spickhoff, Karlsruher Forum 2007, S. 54.

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auf den Schutzzweck der Norm stützt,448 schon deshalb nicht zufriedenstellend, weil diese Argumentation keine Erklärung dafür bietet, warum psychische Gesundheitsverletzungen enger zu interpretieren sein sollten als physische.449 Solange es darum geht, Bagatellschäden auszuklammern, ist dies an sich keine Frage der Rechtsgutsverletzung und damit der Haftungsbegründung, sondern der Ersatzfähigkeit des Schadens und folglich der Schadensfolgen. Eine tatbestandsmäßige Rechtsgutsverletzung i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB kann zweifelsohne auch dann vorliegen, wenn es aufgrund ihrer Geringfügigkeit an einem hervorgerufenen Schaden fehlt.450 Auch der Faustschlag gegen den Kopf verursacht eine Gesundheitsverletzung und erfüllt bei Verschulden den haftungsbegründenden Tatbestand der unerlaubten Handlung. Dies gilt auch dann, wenn das „durchtrainierte“ Opfer den Schlag ohne irgendwelche Folgen verkraftet und es daher an einem Schaden fehlt.451 Führt der Schlag jedoch zu Kopfschmerzen, einer Wunde oder platzt sogar das Trommelfell, so resultiert aus der Gesundheitsverletzung auch ein Gesundheitsschaden.452 Für die hier aufgeworfene Problematik bringt die Unterscheidung jedoch letztlich keinen Erkenntnisgewinn.453 Denn es wird bereits nicht der medizinischfachwissenschaftlichen Einschätzung entsprechen, normaler Trauer einen Krankheitswert beizumessen.454 Nach dem aktuellen Klassifikationssystem medizinischer Diagnosen ICD-10 (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) erreicht die Trauerreaktion erst dann medizinische Relevanz, wenn diese zu einer Anpassungsstörung oder Depression führt und daher deutlich von einer normalen Trauerreaktion abweicht.455 Zwar wurde im Mai 2019 von der Weltgesundheitsorganisation entschieden, dass die „anhaltende Trauerstörung“ (prolonged grief disorder) künftig als eigenständige Krankheit in das Klassifikationssystem medizinischer Diagnosen (ICD 11) auf448

BGHZ 56, 163 = NJW 1971, 1883. Park, Schockschäden, S. 29. 450 Park, Schockschäden, S. 28. 451 Insofern dürfte unmittelbar einleuchten, dass aufgrund einer Gesundheitsverletzung zwei verschiedene Gesundheitsschäden eintreten können. Einerseits ein Gesundheitsschaden in Form eines immateriellen Schadens und andererseits in Form eines weiteren Vermögensschadens, z.B. durch Behandlungskosten oder Verdienstausfall, vgl. hierzu Park, Schockschäden, S. 30; Lipp, JuS 1991, 809, 810. 452 Lipp, JuS 1991, 809, 810. 453 Eine umfassende Auseinandersetzung mit der Problematik findet sich bei Park, Schockschäden, S. 14 ff. 454 Dörr, MDR 2015, 1209, 1213; Stiegler, Schock- und Trauerschäden, S. 12; auch Jaeger, VersR 2017, 1041, 1045, geht davon aus, dass jedenfalls eine Trauerphase von sechs Monaten als „natürliche“ Trauer und nicht als Krankheit anzusehen sei; ebenso Luckey, FS Ch. Huber, S. 351, 352. 455 Vgl. ICD 10 F43 ff.; diese Klassifikation wird von der WHO herausgegeben und gilt als wichtigstes, weltweit anerkanntes Diagnoseklassifikationssystem der Medizin. Vgl. zur Bedeutung des ICD 10 für die Gesundheitsverletzung im Privatrecht auch Schneider/Nugel, NJW 2014, 2977; Walter, MedR 2018, 213, 214; vgl. ferner auch BGH, NJW 2015, 2246, 2248. 449

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A. Die Rechtsposition hinter dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld

genommen werden soll.456 Diese Erkrankung setzt jedoch immer noch besondere Symptome für mindestens sechs Monate voraus, die über das hinausgehen, was Menschen normalerweise in der Trauerphase erleiden. Erforderlich sind intensiver Trennungsschmerz, die Schwierigkeit, eigenen Interessen nachzugehen, Bitterkeit und Wut sowie starke Einschränkungen im Alltag.457 Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld soll jedoch nicht nur dann gewährt werden, wenn Personen in besonderem Ausmaß unter der Tötung leiden, sondern auch dann, wenn die Trauerphase „normal“ verläuft. Diese seelische Trauer, welche einen Menschen in Folge des Todes einer nahestehenden Person überkommt und welche für einen Anspruch nach § 844 Abs. 3 BGB ausreichend ist,458 ist jedoch eine normale Reaktion459 und daher eher Ausdruck eines gesunden als eines kranken Menschen. Insofern kommt es für die hier aufgeworfene Fragestellung aufgrund des fehlenden Krankheitswerts gar nicht auf eine weitere Eingrenzung durch die Verkehrsauffassung an. Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass es sich bei seelischer Trauer aufgrund des Verlusts einer nahestehenden Person nicht um die Folge einer Gesundheitsverletzung handelt.460 Zwar mag es sich bei Trauer um eine seelische Einbuße handeln, diese ist jedoch nicht mit einem aus einer Gesundheitsverletzung hervorgerufenen Gesundheitsschaden gleichzusetzen.461

4. Körperverletzung des Hinterbliebenen aufgrund einer Verschmelzung von Opfer und Bezugsperson Im Ansatz ähnlich wird insbesondere von Schwintowski vertreten, dass die Verschmelzung von Opfer und enger Bezugsperson zu einer „natürlichen, psychischsozialen Einheit“ die unmittelbare Verletzung des Körpers und der Persönlichkeit des Hinterbliebenen selbst bewirke.462 Wird eine Person verletzt, verletze man 456 Das ICD-11, welches das ICD-10 ablöst, wurde nach 12-jähriger Entwicklungsarbeit im Mai 2019 von der WHO beschlossen und ist am 01.01.2022 in Kraft getreten, vgl. https://w ww.aerzteblatt.de/nachrichten/103394/Weltgesundheitsversammlung-beschliesst-die-ICD11 (Stand: 27.07.2022). 457 Vgl. ICD 11 6B42 (Version 09/2020), abrufbar unter: https://icd.who.int/browse11/l-m/e n#/http://id.who.int/icd/entity/1183832314 (Stand: 27.07.2022). 458 BT-Drs. 18/11397, S. 14, „Das Gesetz schränkt den Begriff des seelischen Leids bewusst nicht ein und sieht insbesondere kein Mindestmaß vor“. 459 Vgl. hierzu auch BGHZ 56, 163, 157 = NJW 1971, 1883, 1885; BGH, NJW 1989, 2317, 2318. 460 Dieses Ergebnis deckt sich auch mit der Gesetzesbegründung, wonach der Anspruch auf Hinterbliebenengeld unabhängig vom Nachweis einer medizinisch fassbaren Gesundheitsverletzung vorliegen soll, siehe BT-Drs. 18/11397, S. 8. 461 So ausdrücklich bereits das OLG Freiburg, JZ 1953, 704, 705; vgl. auch G. Müller, VersR 2017, 321, 324; Wagner, NJW 2017, 2641, 2642. 462 Schwintowski, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld, abrufbar unter: https://www.bundestag.de/ausschuesse/aus schuesse18/a06/anhoerungen/stellungnahmen/502716 (Stand: 27.07.2022); Schwintowski/

III. Ansätze zur Bestimmung der Rechtsposition

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folglich zugleich auch die „miteinander verschränkten“ Angehörigen, weil die körperliche Integrität des Opfers zugleich die körperliche Integrität des anderen sei.463 Diese These wird insbesondere mit Verweis auf eine neurobiologische Studie der Neurowissenschaftlerin und Psychologin Tania Singer vom Institut für Neurologie am University College of London464 weitervertieft.465 In dieser Studie wurde Probanden im Beisein ihrer Partner Schmerz zugefügt und mittels Messung der Gehirnströme festgestellt, dass Primär- und Sekundäropfer,466 sofern letzteres die Schmerzzufügung beim Partner mit ansehen musste, den Schmerz in ähnlicher Intensität verarbeiten.467 Hierauf Bezug nehmend geht Schwintowski davon aus, dass eine nahestehende Person unmittelbar mit der anderen Person „mitleidet“ und daher eine eigene Körperverletzung i.S.v. § 823 Abs. 1 BGB gegeben sei. Aufgrund der Körperverletzung sei auch der Haftungstatbestand des § 823 Abs. 1 BGB erfüllt, weshalb § 844 Abs. 3 BGB von dieser Lehre ausdrücklich eine rein klarstellende Funktion zugeschrieben wird.468 Diese Schlussfolgerungen erscheinen jedoch zu pauschal. Die Erkenntnisse der Studie beziehen sich lediglich auf jene Fälle, in denen der „Sekundärgeschädigte“ das Leid der nahestehenden Person mit ansehen muss. Ob dies jedoch auch bei sogenannten „Fernwirkungsschäden“469 der Fall sein wird, bleibt fraglich.470 Zudem hätte eine solche Sichtweise enorme Auswirkungen auf den Haftungsumfang auch bei einfachen Körperverletzungen. Will man so weit gehen, in der Verletzung des Körpers des einen zugleich die Verletzung der Integrität der nahestehenden Personen zu sehen, würde die Ersatzpflicht des Schädigers potenziert. Konsequent angewendet würde ein solcher Ansatz dazu führen, dass der Schädiger bei jeder Körperverletzung auch die immateriellen Einbußen der Angehörigen, welche mit der primär verletzten Person mitleiden, ersetzen muss. Eine so weitreichende Haftung würde jedoch zu einer unkalkulierbaren Erweiterung der Ersatzpflichten führen und ist daher abzulehnen.

C. Schah Sedi/M. Schah Sedi, zfs 2012, 6, 7; Schwintowski, Handbuch Schmerzensgeld, S. 100 f.; vgl. auch ders., VuR 2016, 18 ff. 463 Schwintowski/C. Schah Sedi/M. Schah Sedi, zfs 2012, 6, 7. 464 Singer, T./Seymour, B./O’Doherty, J./Kaube, H./Dolan, R. J./Frith, C. D., Science 303 (5661), S. 1157 ff., abrufbar unter: https://www.researchgate.net/publication/8687660 Empat (Stand: hy for Pain Involves the Affective But Not Sensory Components of Pain 27.07.2022). 465 Schwintowski, VuR 2016, 18 f. 466 Vgl. zu dieser Terminologie M. Fischer, VersR 2016, 1155, 1157. 467 Ch. Huber, FS Schwintowski, S. 920, 925. 468 Schwintowski, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld, S. 2, abrufbar unter: https://www.bundestag.de/ausschues se/ausschuesse18/a06/anhoerungen/stellungnahmen/502716 (Stand: 27.07.2022). 469 Der Begriff beschreibt die Situation, in der der Hinterbliebene den Unfallhergang nicht selbst miterlebt, sondern die Leiden erst durch die Nachricht vom Unfalltod hervorgerufen werden. Siehe hierzu auch unter: Kap. 1, B.I.2.a)aa). 470 So auch Ch. Huber, FS Schwintowski, S. 920, 925.

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A. Die Rechtsposition hinter dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld

Darüber hinaus unterscheiden sich die Fälle des Hinterbliebenengeldes von jenen der in Bezug genommenen Studie bereits dadurch, dass der Verlust einer nahestehenden Person nicht mit dem Verlust des eigenen Lebens gleichzusetzen ist. Ein „Mitsterben“ gibt es nicht. Insofern wäre in der Konstellation des Hinterbliebenengelds beim Verstorbenen das Rechtsgut Leben und beim Hinterbliebenen das Rechtsgut Körper verletzt. Es würden also zwei unterschiedliche Rechtsgüter betroffen, was sich auch mittels einer „Verschmelzung zu einer natürlichen, psychisch-sozialen Einheit“ nicht erklären ließe. Im Ergebnis kann daher nicht einheitlich davon ausgegangen werden, dass im Falle des Todes einer nahestehenden Person der Körper des Hinterbliebenen unmittelbar, in ähnlicher Intensität wie beim Primärverletzten, verletzt wird. Das Gedankenkonstrukt der „psychisch-sozialen Einheit“ stellt sich vielmehr als eine Art Kunstgriff dar, um ergebnisorientiert doch noch eine eigene Rechtsverletzung beim Hinterbliebenen herbeizuführen. Die Frage nach dem eigenen Recht des Hinterbliebenen, das durch die Tötung verletzt wird, lässt sich hiermit jedoch nicht zufriedenstellend beantworten.

5. Das seelische Wohlbefinden Kann die seelische Trauer nicht als Körper- oder Gesundheitsschaden erfasst werden, bleibt zu überlegen, ob nicht durch die Einführung des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld die Rechtsposition „seelisches Wohlbefinden“ als neue, eigenständige Rechtsposition geschützt wurde. So geht Schiemann davon aus, dass das seelische Leid an die Stelle der Gesundheitsverletzung trete und das Hinterbliebenengeld als Ausgleich für die schwere Störung des eigenen Gemütszustands gewährt werde.471 Auch Kadner Graziano sieht zumindest den Anknüpfungspunkt im seelischen Leid.472 Da es sich hierbei jedoch weniger um eine Rechtsposition als vielmehr um einen Schaden am Substrat „Seele“ handelt, ist vorgelagert auf ein „Recht am seelischen Wohlbefinden“473 abzustellen. Die Anerkennung eines solchen Rechts würde jedoch die Gefahr einer enormen Haftungserweiterung mit sich bringen.474 Es wäre nicht ohne Weiteres zu erklären, warum Einbußen am seelischen Wohlbefinden nur im Falle des Todes eines nahen Angehörigen von der Rechtsordnung bedacht werden sollten, sind doch unzählige Sachverhalte denkbar, in denen das seelische Wohlbefinden eines Menschen beeinträchtigt wird. So ruft mitunter auch der Tod einer lediglich entfernten Bekannten, die Ablehnung einer Bewerbung im Arbeitsleben, ein Streit unter Freunden oder einfach eine schlechte Nachricht eine Beeinträchtigung des see471

So etwa Schiemann, GesR 2018, 69, 72. Kadner Graziano, Hinterbliebenengeld, S. 188. 473 Ähnliche Überlegungen stellt auch Gontard, DAR 1990, 371 ff., 377 an, der davon ausgeht, dass durch den Tod das „Recht auf Glück“ beeinträchtigt würde. 474 Zur unbedingt zu vermeidenden Gefahr einer Gläubigerpotenzierung siehe unter: Kap. 1, B.I.1.d). 472

III. Ansätze zur Bestimmung der Rechtsposition

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lischen Wohlbefindens hervor. Zwar wäre ein Ersatz des immateriellen Schadens mangels ausdrücklicher Regelung in diesen Fällen immer noch nicht möglich (§ 253 Abs. 1 BGB). Geht man aber davon aus, dass es sich beim Recht am seelischen Wohlbefinden um ein absolutes Recht handeln muss und entstünde dem hierin Verletzten aufgrund der Beeinträchtigung beispielsweise ein Verdienstausfall, müsste durchaus darüber nachgedacht werden, ob er die Kosten als materiellen Schaden gem. §§ 823 Abs. 1, 249 ff. BGB ersetzt verlangen kann. Eine solche Ausuferung widerspräche jedoch dem Gebot eines klar umrissenen Tatbestands und würde die Tür zum Ersatz jeglicher „Gefühlsschäden“ ein Stück weiter öffnen.475 Zudem bliebe fraglich, wo in der Rechtsordnung eine derartige Zuweisung erfolgen sollte, denn letztlich gibt es kein tatbestandsmäßig-rechtswidriges Verhalten, das nicht auch ohne die Schutznorm bereits rechtswidrig wäre.476 Aus den allgemeinen Bestimmungen lässt sich eine solche Zuordnungsentscheidung jedoch nicht entnehmen. Es sind weder Normen ersichtlich, die das seelische Wohlbefinden in dieser Form als Rechtsposition ausgestalten, noch weist § 844 Abs. 3 BGB ein umfassendes Recht am seelischen Wohlbefinden zu. Im Ergebnis ist daher auch ein umfängliches Recht am seelischen Wohlbefinden als Rechtsposition abzulehnen.

6. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht als Substanzrecht des Hinterbliebenengelds Zu erörtern ist letztlich, ob in der besonderen Nähebeziehung zum Getöteten477 eine spezielle Ausprägung des eigenen allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Hinterbliebenen zu sehen ist, das durch die Tötung des Primärverletzten beim Hinterbliebenen selbst verletzt wird.478 Hierfür spricht beispielsweise der Wortlaut, nach dem nur diejenigen Personen, die in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis zum Hinterbliebenen standen, ersatzberechtigt sind. 475 Zum Gefühl als Schaden aus einer Persönlichkeitsverletzung allgemein siehe Mincke, JZ 1980, 86, 87; zur Frage der Ersatzfähigkeit eines Gefühlsschadens siehe Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 51 ff. 476 Vgl. Katzenstein, Haftungsbeschränkungen, S. 182. 477 Immer wieder tauchte in der Diskussion um das Hinterbliebenengeld die Nähebeziehung als ausschlaggebend für eine Anspruchseinräumung auf. So führte beispielsweise Schubert, Karlsruher Forum 2014, S. 36 an: Bei der „Einräumung eines Anspruchs auf Entschädigung für die Angehörigen [geht es] um die rechtliche Anerkennung einer zwischenmenschlichen Beziehung“; ähnlich auch Vorndran, ZRP 1988, 293, 294, der in der Tötung „die Zerstörung elementarer menschlicher Grundbeziehungen und [einen] dadurch bedingten Verlust an Zuwendung […]“ erblickt, der eines Ausgleichs bedürfe. Vgl. ferner auch Köndgen, Karlsruher Forum 2016, S. 90; Schramm, Haftung für Tötung, S. 32; ähnlich auch Pflüger, Schmerzensgeld, S. 282 ff. Bei all diesen Erwägungen blieb jedoch unerörtert, dass durch eine rechtliche Anerkennung der „zwischenmenschlichen Beziehung“ möglicherweise sogar eine Rechtsposition geschaffen worden sein könnte. 478 So im Ansatz bereits Jaeger, VersR 2017, 1041, 157; Looschelders, Karlsruher Forum 2016, S. 105 f.; Stahmer, Nichtvermögensschäden bei Tötung, S. 103.

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Bevor sich diese Untersuchung jedoch der Frage widmet, ob das allgemeine Persönlichkeitsrecht mit seinen Besonderheiten geeignet ist, das Substanzrecht des § 844 Abs. 3 BGB zu sein, und ob das besondere persönliche Näheverhältnis überhaupt vom Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gedeckt wird, sollen zum besseren Verständnis der weiteren Untersuchung einige Grundlagen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts angeführt werden. a) Eckdaten zur Entstehung des zivilrechtlichen Persönlichkeitsrechts Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist heute, auch wenn die Väter des BGB einen allgemeinen Schutz der menschlichen Persönlichkeit in Form eines absolut geschützten Rechtsguts bewusst nicht in die Zivilrechtsordnung aufgenommen haben und auch der Gesetzgeber bei der Reform des Schadensrechts im Jahr 2002 von einer Aufnahme des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ausdrücklich abgesehen hat,479 als absolutes Recht anerkannt und gesicherter Bestandteil der Privatrechtsordnung.480 Seine Grundlage besteht in einem Menschenbild, das jede einzelne Person als ein Wesen begreift, dem aus sich selbst heraus ein unbedingter Selbstwert zu eigen ist und dessen Existenz bereits seinen Zweck bildet.481 Mit diesem Verständnis des „Mensch-Seins“ geht das Bedürfnis einher, der Person eine selbstbestimmte Sphäre zur eigenen Entfaltung einzuräumen und daran das von jedermann einzuhaltende moralische Gebot zu knüpfen, diesen persönlichen Bereich der Person zu achten und zu respektieren.482 Rechtspolitisch wirft dieses moralisch schon lange geltende Gebot die Frage auf, inwieweit dem Schutz der Persönlichkeit auch zivilrechtliche Geltung einzuräumen ist.483 479 Siehe Begr. RegE, BT-Drs. 14/7752, S. 24 f., in welcher der Gesetzgeber die Kodifizierung eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts ausdrücklich auf künftige Reformen verschoben hat; vgl. hierzu auch Ebert, Erman BGB I, § 253 Rn. 15; kritisch dazu v. Mayenburg, VersR 2002, 278, 283; Spindler, BeckOK BGB, § 253 Rn. 24 f. 480 Dazu ausführlich Fuchs, Deliktsrecht, S. 41 ff.; Rixecker, MüKo BGB, Anhang zu § 12 Rn. 1; Wagner, ZEuP 2000, 200 ff.; auch der Gesetzgeber hat das allgemeine Persönlichkeitsrecht im Rahmen des Zivilrechts anerkannt, vgl. Begr. RegE, BT-Drs. 14/7752, S. 25; zur geschichtlichen Entwicklung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als subjektives Recht siehe ferner S. Gottwald, Persönlichkeitsrecht, S. 182; Scheyhing, AcP 158 (159/169), 503 ff. 481 Baston-Vogt, Persönlichkeitsrecht, S. 15; Hubmann, Persönlichkeitsrecht, S. 85 ff.; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 2 Rn. 2 ff., S. 21. 482 Sofern gegen einen absoluten Charakter des allgemeinen Persönlichkeitsrechts noch angeführt wurde, dass ein Interesse nur dann gegenüber jedermann wirken könne, sofern es „offenkundig und allgemein erkennbar“ sei und dies beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht fehle (so etwa noch Enneccerus/Lehmann, Schuldverhältnisse, S. 882; Schulz-Schaeffer, Das subjektive Recht, S. 136; Löffler, NJW 1959, 1, 3), hält man dem heute entgegen, dass ein Persönlichkeitswert insbesondere aufgrund der unheilvollen Erfahrungen während des Zweiten Weltkriegs und der „abendländischen Kulturanschauung“ Einzug in das allgemeine Bewusstsein gefunden habe und daher die erforderliche Offenkundigkeit kaum mehr zu leugnen sei; siehe hierzu Kannowski, Staudinger BGB, Vorbem zu § 1 Rn. 18; vgl. hierzu auch S. Gottwald, Persönlichkeitsrecht, S. 199. 483 Fuchs, Deliktsrecht, S. 41.

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Die Entscheidung der Gesetzesverfasser, nur besondere Persönlichkeitsrechte wie das Namensrecht oder das Urheberpersönlichkeitsrecht ausdrücklich zu kodifizieren und beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht auf die verhaltenssteuernde Funktion von Sitte und Moral zu vertrauen,484 zeigte sich im Laufe der letzten Jahrzehnte als nicht ausreichend, weshalb, mangels Tätigwerdens auf Seiten der Legislative, die Judikative aktiv die Grenzen des bestehenden Rechts zu Gunsten eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts neu festlegte bzw. die Existenz dieser zivilrechtlichen Rechtsposition in vielen kleinen Schritten immer weiter offenlegte.485 Nachdem auch aufgrund des sozialen und technischen Fortschritts die Schwächen des bestehenden allgemeinen Persönlichkeitsschutzes immer deutlicher wurden,486 leitete der BGH nach langem und kritischem Diskurs des Schrifttums durch sein Urteil vom 25. Mai 1954 („Schacht-Brief“) einen grundlegenden Paradigmenwechsel ein und setzte damit den Grundstein für die weitere Entwicklung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Das Gericht stellte in dieser Leitentscheidung klar, dass ein aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG abgeleitetes Recht auf Achtung der Würde und der freien Entfaltung der Persönlichkeit die Privatperson nicht nur vor Eingriffen durch den Staat schützt, sondern darüber hinaus auch ein zivilrechtliches, von jedermann im Privatrechtsverkehr zu achtendes absolutes Recht ist, welches den Schutz des § 823 Abs. 1 BGB genießt.487 Insofern deckte der BGH in dieser Entscheidung erstmals die bis dahin noch weitgehend verborgene Rechtsposition eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts auf und erfüllte damit zugleich Forderungen von Stimmen aus der Literatur, die bereits vor dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs für einen umfassenden privatrechtlichen Persönlichkeitsschutz eingetreten waren.488 Einen weiteren Meilenstein in der Entwicklung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bildet das Urteil des BGH vom 14. Februar 1958 („Herrenreiter“), in welchem erstmals eine billige Entschädigung in Geld für einen immateriellen Schaden, damals noch in Analogie zu § 847 BGB a.F., zugesprochen wurde.489

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Vgl. hierzu Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 2 Rn. 7, S. 22. Zur Rolle der Rechtsprechung bei der Ermittlung des Inhalts und der Grenzen einer subjektiven Rechtsposition siehe oben: Kap. 1, A.II.2. 486 Hierzu Larenz/Canaris, SchuldR BT II/2, § 80 I S. 492. 487 BGHZ 13, 334, 338 = NJW 1954, 1404, 1405; bestätigt durch BGHZ 24, 72 f. = NJW 1957, 1146 f. Diese Rechtsfigur erfuhr sowohl von der Literatur als auch von Seiten des BVerfG weitgehende Anerkennung. Es wurde teilweise zwar kritisiert, der BGH habe das Verhältnis zwischen Grundrechten und Staat falsch eingeordnet, denn die Grundrechte bilden in erster Linie Abwehrrechte gegen den Staat und können als solche zwar den Auftrag beinhalten, entsprechenden privatrechtlichen Schutz durch Ausgestaltung der Zivilrechtsordnung zu schaffen; eine unmittelbare Drittwirkung zwischen Privatpersonen existiert jedoch nicht, vgl. Larenz/Canaris, SchuldR BT II/2, § 80 I S. 493. 488 Zu erwähnen sind hier insbesondere v. Gierke und Kohler (vgl. etwa v. Gierke, Deutsches Privatrecht I, S. 702 ff.; Kohler, ArchBürgR 7 (1893), 94 ff. insb. für ein Recht an Briefen). 489 BGHZ 26, 349 = NJW 1958, 827. 485

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Später stellte der BGH jedoch nur noch auf eine generelle Wertentscheidung des Grundgesetzes ab, ohne sich einer solchen Analogie zu bedienen.490 Die Besiegelung des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts erfolgte schließlich im Jahre 1973, als das BVerfG diese Weiterentwicklung des kodifizierten Rechts in der Soraya-Entscheidung ausdrücklich als verfassungsrechtlich unbedenklich erachtete und bestätigte, dass eine Geldentschädigung wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auf Art. 1 und 2 Abs. 2 GG zurückgehe und auf Grundlage des § 823 Abs. 1 BGB gewährt werden könne.491 Heute besteht das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus einem komplexen Bündel verschiedener Einzelbefugnisse, die einerseits immaterielle, andererseits aber auch vermögenswerte Interessen seines Rechtsträgers gegen rechtswidrige Eingriffe von außen abschirmen.492 b) Bisherige Überlegungen zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht als Substanzrecht eines „Angehörigenschmerzensgeldanspruchs“ Der Ansatz, einen eigenen Anspruch Hinterbliebener bei Tod ihrer Angehörigen aus einem speziellen Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts abzuleiten, bestand bereits vor Einführung des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld. Durch weiteres Ausdehnen und Bestimmen der Grenzen des bereits gewohnheitsrechtlich anerkannten allgemeinen Persönlichkeitsrechts hätten die Gerichte möglicherweise einen solchen Anspruch aus eigener Kraft gewähren können.493 Denn wie das bereits gefundene Ergebnis zeigt, haben die Gerichte durchaus die Möglichkeit, im Rahmen ihrer Kompetenz die Grenzen subjektiver Rechtspositionen mitzugestalten.494 Die Gerichte haben es jedoch konsequent abgelehnt bzw. gar nicht erst erörtert, ob Angehörigen eine Geldentschädigung wegen Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts zustehen könnte.495 Allein im Falle eines Schockschadens wurde nahen Angehörigen aufgrund einer eigenen Gesundheitsverletzung ein geldwerter Anspruch zugesprochen.496 Dies könnte nunmehr je490

Vgl. hierfür z.B. BGHZ 35, 363 = NJW 1961, 2059 – Ginseng. BVerfGE 34, 269 = NJW 1973, 1221. 492 Siehe zur Zweispurigkeit des allgemeinen Persönlichkeitsrechts etwa Wagner, MüKo BGB, § 823 Rn. 420 ff. 493 Siehe hierzu Ch. Huber, NZV 2012, 5, 10 f. 494 Siehe oben: Kap. 1, A.II.2. 495 Siehe hierzu BGHZ 106, 28 = NJW 1989, 766. In diesem Fall hatte der BGH über die Kommerzialisierung der elterlichen Zuwendungen für ein schwer hirngeschädigtes Kleinkind zu entscheiden und verneinte dies mit Hinweis darauf, dass derartige Einbußen allenfalls in Form eines immateriellen Schadensersatzes berücksichtigungsfähig wären, es in diesem Falle aber nicht um einen solchen Anspruch ginge. Damit endete diese Überlegung, ohne näher darauf einzugehen, ob den Eltern möglicherweise ein immaterieller Schadensersatzanspruch zustehen könnte; siehe hierzu die Anmerkung von Kadner Graziano, ZEuP 1996, 148. 496 So ausdrücklich BGHZ 56, 163 = NJW 1971, 1883; eingehend auch OLG Freiburg, JZ 1953, 704. 491

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doch anders zu bewerten sein. Mit Einführung des Hinterbliebenengelds ist die Frage neu zu beantworten, ob der Gesetzgeber den Gerichten nun doch – zumindest unbewusst – aufgibt, ihre Rechtsprechung dahingehend zu ändern, dass durch den Tod einer besonders nahestehenden Person ein Anspruch auf Hinterbliebenengeld wegen der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Hinterbliebenen zu gewähren ist. aa) Befürworter In der Literatur wurde bereits vor der Einführung des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld mehrfach erwogen, Hinterbliebenen im Todesfall oder bei schwerster Schädigung naher Angehöriger einen Anspruch (damals noch bezeichnet als Angehörigenschmerzensgeld) wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu gewähren.497 Dieser Weg schien deshalb erstrebenswert, weil die Rechtsprechung das allgemeine Persönlichkeitsrecht bereits als „sonstiges Recht“ gem. § 823 Abs. 1 BGB anerkannt hatte, obwohl der Gesetzgeber trotz langjähriger Diskussion in diesem Bereich untätig geblieben war.498 Bereits 1996 befürwortete Kadner Graziano einen Anspruch auf Angehörigenschmerzensgeld aufgrund der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Angehörigen bei Tod oder schwerster Verletzung eines Familienmitglieds.499 Ein solcher Eingriff sei geeignet, die familiären Lebensverhältnisse, die Lebensplanung und Lebensgestaltung als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu stören, weshalb es sinnvoll sei, das Schmerzensgeld jenen Angehörigen zu gewähren, die das Leid selbst ertragen müssen.500 Diese Auffassung Kadner Grazianos geht zurück auf die Inspiration durch die obergerichtliche Rechtsprechung in der Schweiz.501 Bereits 1986 gewährte das Schweizer Bundesgericht einem Ehemann, dessen Frau bei einem Unfall schwere Behinderungen und Verletzungen erlitten hatte (irreversibler Hirnschaden und völlige Erblindung) und infolgedessen pflegebedürftig wurde, einen eigenen „Genugtuungsanspruch“.502 Das Gericht stützte diesen auf Art. 49 Obligationsrecht (OR), welcher im Falle 497 Befürwortend z.B. Kadner Graziano, ZEuP 1996, 135, 150; Looschelders, Karlsruher Forum 2016, S. 105 f.; ablehnend Gontard, DAR 1990, 375, 377; Pflüger, Schmerzensgeld, S. 127 ff. 498 Zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht als „sonstiges Recht“ ausführlich Larenz/Canaris, SchuldR BT II/2, § 80 I S. 491 ff.; zur Diskussion um die Einführung eines Angehörigenschmerzensgelds bereits oben: Einleitung, B.II. 499 Kadner Graziano, ZEuP 1996, 150 f.; bekräftigend ders., IPRax 2006, 307, 309; heute sieht Kadner Graziano den Anknüpfungspunkt des Hinterbliebenengelds im „seelischen Leid“, ohne die Frage nach der verletzten Rechtsposition weiter zu verfolgen, vgl. Hinterbliebenengeld, S. 188; vgl. hierzu auch unter: Kap. 1, A.III.5. 500 Kadner Graziano, ZEuP 1996, 152. 501 Kadner Graziano, ZEuP 1996, 142 f.; ders., IPRax 2006, 307, 309; vgl. auch Janssen, ZRP 2003, 156. 502 In der Schweiz spricht man nicht von Schmerzensgeldansprüchen, sondern von einem Anspruch auf Genugtuung, vgl. hierzu auch Kadner Graziano, Hinterbliebenengeld, S. 185.

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der widerrechtlichen Verletzung der Persönlichkeit einen Anspruch auf Leistung einer Geldsumme als Genugtuung vorsieht.503 Nach Art. 28 des schweizerischen Zivilgesetzbuchs (ZGB) handelt es sich beim Persönlichkeitsrecht um ein absolutes Recht, das nach Ansicht des schweizerischen Bundesgerichts auch die persönlichen Lebensverhältnisse einer Person und die enge Bindung zwischen einem Menschen und seiner Familie umfasst, weshalb im Falle einer schweren Verletzung eines nahen Angehörigen nicht lediglich eine reflexartige Betroffenheit den Anspruch begründe, sondern eine unmittelbare Rechtsgutsverletzung des Ehemanns selbst anzunehmen sei.504 An diese Rechtsprechung angelehnt leitete Kadner Graziano auch für das deutsche Recht einen Anspruch auf Angehörigenschmerzensgeld ab, jedoch ohne sich näher mit der Frage des Schutzbereichs des nationalen allgemeinen Persönlichkeitsrechts auseinanderzusetzen. Ähnlich wie das schweizerische Bundesgericht stellt Kadner Graziano auf die Verletzung der Lebensplanung und Lebensgestaltung des Hinterbliebenen ab, ohne jedoch Überlegungen dazu anzustellen, ob die „Lebensplanung“ oder „Lebensgestaltung“ von Personen in Zusammenhang mit ihren Angehörigen Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist. Im Gegensatz zum BGB finden sich im schweizerischen Zivilgesetzbuch eine Reihe ausgestaltender Vorschriften zum Persönlichkeitsrecht.505 Auch wenn in diesen nicht ausdrücklich von der „Lebensgestaltung“ die Rede ist, bieten diese doch zumindest eine Orientierung bei der Frage, wie weit der Schutzbereich dieses absoluten Rechts reicht. Ein Vergleich zum schweizerischen Recht ist auch deshalb naheliegend, weil der BGH bereits 1957 in seiner Entscheidung, in welcher er die „Umgrenzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts“ näher festlegte, darauf hinwies, dass der Rechtszustand des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ähnlich demjenigen in der Schweiz sei (Art. 28 ZGB und Art. 49 OR).506

503 Vgl. insoweit die Leitentscheidung des schweizerischen Bundesgerichts, Urteil v. 11.03.1986, BGE 112 II 220; vgl. hierzu Ch. Huber, FS Schwintowski, S. 920, 923; Spandl, Schmerzensgeld, S. 28 f. Im Falle des Todes eines Angehörigen sieht Art. 47 OR ausdrücklich einen Genugtuungsanspruch vor; vgl. hierzu auch Rötelmann, AcP 160 (1961), 366, 394. 504 Schweizerisches Bundesgericht vom 22.04.1986, BGE 112 II 220, S. 223; vgl. diese Entscheidung auch für die dogmatische Unterscheidung zwischen einem Anspruch auf Genugtuung wegen eines Todesfalls oder schwerster Verletzungen naher Angehöriger – ersteres wird in Art. 47 OR ausdrücklich geregelt, weshalb diese Vorschrift gegenüber dem allgemeineren Art. 49 OR, welcher einen Genugtuungsanspruch wegen der Verletzung der Persönlichkeit vorsieht, als speziellere Vorschrift erachtet wird. Zur Bedeutung der Unmittelbarkeit einer Rechtsverletzung siehe unter: Kap. 1, B.I.1.e). Zu Art. 28 ZGB generell Bohne, Götting/ Schertz/Seitz, Persönlichkeitsrecht, § 63 Rn. 1. 505 Vgl. Art. 11 A ff. ZGB. 506 BGHZ 24, 72, 78 = NJW 1957, 1146, 1147. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass das Schweizer Persönlichkeitsrecht die gesamte Rechtsstellung umfasst, weshalb beispielsweise nach Schweizer Zivilrecht auch der Ehebruch eine schadensersatzbegründende Persönlichkeitsrechtsverletzung ist; vgl. Schramm, Haftung für Tötung, S. 319 f. mit Fn. 179; Stahmer, Nichtvermögensschäden bei Tötung, S. 357.

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In eine ähnliche Richtung ging auch die Einschätzung von v. Jeinsen, der im Verlust eines nahestehenden Menschen aufgrund der emotionalen Nähe eine unmittelbare Beeinträchtigung der eigenen Lebensführung sah.507 Auch andere Ansichten in der Literatur gingen davon aus, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht als „sonstiges Recht“ durchaus geeignetes „Einfallstor“ für ein Angehörigenschmerzensgeld sei.508 Denn wenn der BGH bereits Schmerzensgelder bei unerwünschter Vergrößerung der Familie509 sowie dem Verlust einer Möglichkeit zur Familiengründung anerkenne,510 sei es nicht fernliegend, demjenigen den Schutz seines Persönlichkeitsrechts zuzusprechen, dem lediglich daran gelegen ist, seinen aktuellen Familienzustand vor Eingriffen Dritter zu bewahren.511 Innerhalb der Fallgruppen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sei dieser Bereich daher der „Freiheit der Familienplanung“ zugehörig und als solche schmerzensgeldbewehrte Rechtsposition.512 Zwar mögen diese Überlegungen zunächst einleuchtend erscheinen. Zu berücksichtigen ist an dieser Stelle jedoch, dass die dargetane Argumentation insoweit unzutreffend ist, als der BGH in den zitierten Entscheidungen genaugenommen kein Schmerzensgeld für die gescheiterte Familienplanung als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gewährt hat, sondern wegen einer Verletzung des Körpers, welche im Falle der ungewollten Vergrößerung der Familie damit begründet wurde, dass die Mutter einen Sterilisationseingriff zweimal vornehmen musste und auch die Schwangerschaft einen Eingriff in die körperliche Integrität bedeute.513 Ob sich ein Recht auf „Bestimmungsfreiheit bei der Familien- oder der Fortpflanzungsplanung“ aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ableiten lässt, hat der BGH hingegen offengelassen.514 Ähnlich entschied der BGH auch für den Verlust der Fortpflanzungsmöglichkeit, die durch eine schuldhafte Vernichtung eingefrorenen Spermas eines unfruchtbar gewordenen Mannes eingetreten war. Auch in diesem Fall ging der 507

V. Jeinsen, zfs 2008, 63; vgl. hierzu auch Jaeger, VersR 2017, 1041, 1057. Klinger, NZV 2005, 290, 291, 293. 509 So entschied der BGH in BGHZ 76, 259 = NJW 1980, 1452 beispielsweise, dass die Geburt eines Babys trotz eines fehlgeschlagenen Sterilisationseingriffs bei der Mutter eine Verletzung des Körpers als gesetzlich ausgeformter Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Mutter darstelle und somit einen Schmerzensgeldanspruch gegen den Arzt begründe. 510 In BGHZ 124, 52, 54 = NJW 1994, 127 entschied der BGH, dass einem Mann ein Schmerzensgeldanspruch wegen einer Körperverletzung zustehen kann, wenn Sperma, welches dieser einfrieren ließ, um sich trotz vorhersehbarer Unfruchtbarkeit die Möglichkeit zu erhalten, eigene Kinder zu haben, durch das Verschulden eines anderen vernichtet wird. 511 Klinger, NZV 2005, 290, 293. 512 Klinger, NZV 2005, 290, 293; kritisch hingegen S. Müller, Schmerzensgeldbemessung, S. 27. 513 BGH, NJW 1980, 1452, 1453 (insoweit nur teilweise in BGHZ 76, 259 abgedruckt); vgl. auch BGH, NJW 2008, 2846, 2847; zur ungewollten Schwangerschaft als Körperverletzung siehe ferner auch BGH, NJW 1995, 2407, 2408, in diesem Fall hatte der BGH einen Schmerzensgeldanspruch der Frau bejaht, weil diese aufgrund einer fehlgeschlagenen Sterilisation ihres Mannes schwanger geworden war. 514 BGHZ 76, 259, 261 = NJW 1980, 1452, 1453. 508

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BGH nicht, was durchaus auf Kritik gestoßen ist, von einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Ausgestaltung eines „Rechts auf Familienplanung“ aus, sondern begründete seine Entscheidung mit einer Verletzung der körperlichen Integrität des Mannes als gesetzlich ausgeformter Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.515 Der Umstand, dass das Rechtsgut Körper eine besondere Ausprägung des Persönlichkeitsrechts sei, rechtfertige eine derart extensive Auslegung des Körperverletzungstatbestands, weil Schutzgut des § 823 Abs. 1 BGB nicht die Materie sei, sondern „das Seins- und Bestimmungsfeld der Persönlichkeit, das in der körperlichen Befindlichkeit materialisiert ist“.516 Auch wenn der BGH seine Entscheidung, Ersatzansprüche in diesen Fällen zu gewähren, im Ergebnis also nicht auf die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als „sonstiges Recht“, sondern auf den gesetzlich ausformulierten Bereich des Körpers stützt, dürfte dieser Auffassung dennoch insoweit zuzustimmen sein, dass es nur noch ein kleiner Schritt bis zur haftungsrechtlichen Anerkennung zumindest der Eltern-Kind-Beziehungen für die Persönlichkeit sein dürfte. Denn es erscheint durchaus fragwürdig, für die Vernichtung von Sperma und das endgültige Entfallen der Fortpflanzungsfähigkeit Schmerzensgeld zu gewähren, im Falle des Verlustes eines bereits geborenen Kindes einen Entschädigungsanspruch aber abzulehnen. Nicht eindeutig auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht bezugnehmend äußert sich hingegen Schiemann zu der Frage, worauf der Richter bei der Bemessung des Hinterbliebenengelds abzustellen hat.517 Seine Äußerungen stehen aber dennoch in engem Zusammenhang mit diesem Recht. So zeigt sich Schiemann über das neue Hinterbliebenengeld deshalb nicht überrascht, weil der Gesetzgeber die Handhabung der Gerichte, sich mit der Rechtsprechung zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht über § 253 BGB a.F. hinwegzusetzen, stillschweigend billigte und es von Entschädigungen wegen Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts hin zu einem Anspruch auf Hinterbliebenengeld nicht mehr weit sei. Wohl in Abkehr von einem rechtskreisorientierten Denken geht er sodann aber davon aus, dass die „schwere Störung des Gemütszustandes“, die Trauer, als Schutzgut an die Stelle einer Gesundheitsverletzung trete und zugleich aber auch den Schaden bilde.518 Dass eine solche Vermischung von Rechtsverletzung und 515 BGHZ 124, 52 = NJW 1994, 127; zustimmend etwa Schnorbus, JuS 1994, 830, 834 f.; kritisch hingegen Laufs/Reiling, NJW 1994, 775 f., die in diesem Urteil die „Sprengung des Körperverletzungstatbestandes“ und zudem einen Beleg für die „fortschreitende Erosion des Haftpflichtrechts“ sehen. Ähnlich auch Rohe, JZ 1994, 465, 466. Teilweise wird zudem darauf verwiesen, der BGH habe diesen Weg nur deshalb gewählt, um eine Auseinandersetzung mit der „wrongful-life“-Rechtsprechung zu umgehen, nach welcher eine Geldentschädigung wegen Verletzung des „Rechts auf Familienplanung“ jedenfalls abgelehnt wurde (vgl. BGHZ 86, 240, 249 = NJW 1983, 1371, 1373), so Taupitz, NJW 1995, 745, 748; vgl. zu dieser Thematik ausführlich auch Voß, Vernichtung tiefgefrorenen Spermas, S. 8 ff. 516 BGHZ 124, 52 = NJW 1994, 127. 517 Schiemann, GesR 2018, 69 ff. 518 Schiemann, GesR 2018, 69, 72.

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Schaden nicht zu klaren Ergebnissen führt, wird sodann auch bei Schiemann deutlich, wenn er unmittelbar im Anschluss klarstellt, dass der Richter zur Ermittlung des Ausmaßes der Trauer in einer objektiv nachvollziehbaren Weise den Rang der persönlichen Nähebeziehung, welche durch die Tötungshandlung zerstört wurde, erfassen muss.519 Letztlich zeigt auch diese Argumentation doch, dass die Rechtsposition in der Nähebeziehung zu sehen sein muss. Deren Verletzung führt zu einem immateriellen Schaden in Form von Trauer und Leid. Um diesen jedoch bemessen zu können, muss der Richter an die Verletzung der Rechtsposition, die Nähebeziehung, anknüpfen. Auch in der jüngeren Zeit wird in der Literatur in Bezug auf § 844 Abs. 3 BGB erwogen, in der Beziehung zum Getöteten eine spezielle Ausprägung des eigenen allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Hinterbliebenen zu sehen, das durch den Tod des Primärgeschädigten beim Hinterbliebenen selbst verletzt wird. So stellt beispielsweise Jaeger in Zusammenhang mit dem Hinterbliebenengeld fest, dass durch den Tod eines nahen Angehörigen immer auch in das Persönlichkeitsrecht der Hinterbliebenen eingegriffen würde.520 Auch diese recht deutliche Aussage beschränkt sich jedoch auf die Feststellung einer Rechtsverletzung. Eine nähere Benennung des genauen Inhalts dieses Rechts erfolgt dabei nicht. bb) Gegner Zu einem das allgemeine Persönlichkeitsrecht als Rechtsgut des Angehörigenschmerzensgelds ablehnenden Ergebnis kommt hingegen Gontard, der in der seelischen Beeinträchtigung durch Kummer, Trauer und Leid keine Verletzung der Persönlichkeit des Menschen erkennt, sondern im Gegenteil diesen Empfindungen eine die Persönlichkeit prägende Wirkung beimisst.521 Auch diese Argumentation vermag unter Zugrundelegung des hier vertretenen Systemverständnisses jedoch nicht zu überzeugen. Zwar ist mit Gontard dahingehend übereinzustimmen, dass ein Angehörigenschmerzensgeld an eine Rechtsverletzung zu knüpfen ist. Jedoch gibt Gontard diesen Gedanken im Grunde dadurch wieder auf, dass er nach der Verletzung der Persönlichkeit durch die genannten Empfindungen fragt.522 Hierin liegt eine Abkehr von der Frage nach der Verletzung des Substanzrechts hin zur Frage nach einer Schädigung des Substrats.523 Es sind nicht Trauer 519

Schiemann, GesR 2018, 69, 72. Jaeger, jM 2020, 12, 15; ders., VersR 2017, 1041, 1057; vgl. ferner auch Looschelders, Karlsruher Forum 2016, S. 105 f.; Köndgen, Karlsruher Forum 2016, S. 90, der von der „psychischen Nähebeziehung“ als mögliche Rechtsposition spricht; a.A. Lobinger, Karlsruher Forum 2016, S. 95, der dies eher skeptisch sieht. 521 Gontard, DAR 1990, 375, 377; zustimmend Schips, Schmerzensgeld, S. 156. 522 So auch Schips, Schmerzensgeld, S. 156, der auch danach fragt, ob die Trauer das allgemeine Persönlichkeitsrecht verletzt; ähnlich auch Stahmer, Nichtvermögensschäden bei Tötung, S. 357 f. 523 Siehe zu der Problematik des Übergangs von der Frage nach der Verletzung des Substanzrechts hin zum Substrat eingehend Picker, ZfPW 2015, 385, 394 ff.; ausführlich hierzu auch bereits oben: Kap. 1, A.I.3.f. 520

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A. Die Rechtsposition hinter dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld

und Leid, welche die Persönlichkeit schädigen, vielmehr sind diese Einbußen das Resultat der Rechtsverletzung. Das Deliktsrecht dient aber nicht als Verbot der Verursachung eines Beschädigungserfolgs. Grund der Einstandspflicht ist nicht die Verletzung der physischen oder psychischen, sachlichen oder auch immateriellen Substrate eines Substanzrechts; diese sind nicht haftungsbegründender Bestandteil.524 Vielmehr ist nach einem Eingriff in den Rechtskreis des Individuums zu fragen, welcher in der vorliegenden Problematik auch durchaus denkbar ist. Der Eingriff erfolgt jedoch nicht durch das seelische Leid, sondern durch die zum Tode des nahen Angehörigen führende Handlung. Empfundene Trauer und Leid sind die Folge, die aus dem Entzug der nahestehenden Person herrührt, und bilden als solche nicht den Eingriff in die subjektive Rechtsposition, sondern den Schaden an der seelischen Integrität. Es scheint zwar geradezu in der Natur des Menschen zu liegen, die Beschädigung des psychisch-immateriellen Substrats des subjektiven Rechts als sichtbare Folge in den Mittelpunkt der Betrachtung zu stellen.525 Vorgelagert kommt es dennoch entscheidend darauf an, ob durch die zum Tode führende Handlung eine Verletzung der Nähebeziehung als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gegeben ist. Soweit Gontard argumentiert, die Trauer verletze nicht, sondern präge die Persönlichkeit,526 scheint dies zudem auch nicht mit dem Ziel des neuen Anspruchs vereinbar, das Leid der Hinterbliebenen anzuerkennen und zu lindern.527 Sieht man in der empfundenen Trauer keine negative Beeinträchtigung, sondern eine Prägung im Sinne einer Entwicklungsförderung, muss dies für die Hinterbliebenen wie Hohn klingen. Mit der gewünschten Anerkennung des seelischen Schmerzes dürfte eine solche Sichtweise wenig vereinbar sein. Auch Pflüger wendet sich in ihrer Monographie „Schmerzensgeld für Angehörige“, welche die Problematik bereits vor Einführung des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld untersuchte, aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken dagegen, ein Schmerzensgeld auf Grundlage des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu gewähren.528 Pflüger sieht bei der Überlegung, ob ein Angehörigenschmerzensgeld aufgrund eines Eingriffs in die tiefe Beziehung zwischen dem Getöteten und dem Angehörigen zu gewähren sei, das Problem bei § 253 Abs. 2 BGB, in welchem das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht genannt wird.529 Mit der Einführung eines Angehörigenschmerzensgelds mittels richterlicher Rechtsfortbildung durch Subsumtion unter ein erweitertes allgemeines Persönlichkeitsrecht ginge daher eine Verletzung der Lex-lata-Grenze des § 253 Abs. 1 BGB einher, weshalb die Einführung zur Vermeidung einer vollständigen Entwertung dieser Norm

524

Picker, ZfPW 2015, 385, 390 ff., 396; ders., FS Medicus, S. 311, 313. Hierauf weist Picker, ZfPW 2015, 385, 396 ausdrücklich hin; vgl. zu den „unkörperlichen Substraten“ allgemein Helle, Besondere Persönlichkeitsrechte, S. 24 f. 526 Gontard, DAR 1990, 375, 377. 527 Vgl. zu diesem Zweck des Gesetzes BT-Drs. 18/11397, S. 1, 8. 528 Pflüger, Schmerzensgeld, S. 128 ff. 529 Pflüger, Schmerzensgeld, S. 128 ff.; in diese Richtung auch Luckey, SVR 2012, 1, 2. 525

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lediglich de lege ferenda möglich sein sollte. Da § 253 Abs. 1 BGB sich ausdrücklich gegen die Entschädigung immaterieller Schäden in nicht gesetzlich geregelten Fällen wendet, sieht sie unter Erörterung eines möglicherweise „dynamischen Gesetzgeberwillens“530 im Ergebnis eine contra-legem-Entscheidung einer solchen Rechtsfortbildung als gegeben, da dies mit dem Gesetz nicht mehr vereinbar sei. Zwar sei in der Rechtsprechung des BGH, welche das allgemeine Persönlichkeitsrecht als „sonstiges Recht“ i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB anerkennt,531 bereits ein teilweises Außerkraftsetzen des § 253 Abs. 1 BGB zu sehen; durch die Einführung eines Angehörigenschmerzensgelds durch die Rechtsprechung würde die Norm allerdings in weitaus größerem Maße derogiert, woran auch die allgemeine Tendenz hin zu einer großzügigen Entschädigungsfreiheit immaterieller Schäden nichts ändern würde. Zur Vermeidung einer völligen Entwertung von § 253 Abs. 1 BGB dürfe die Rechtsprechung daher keinesfalls ein Angehörigenschmerzensgeld auf Grundlage des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gewähren.532 Diese Überlegungen dürften mit Einführung des § 844 Abs. 3 BGB jedoch hinfällig geworden sein. Da § 844 Abs. 3 BGB selbst „für das dem Hinterbliebenen zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld“ als Rechtsfolge bereithält, ist in § 253 Abs. 1 BGB kein Hindernis mehr zu sehen.533 § 844 Abs. 3 BGB sieht nunmehr einen gesetzlich geregelten Fall i.S.d. § 253 Abs. 1 BGB vor. Zudem ist ohnehin zweifelhaft, ob es eines Rückgriffs auf § 253 BGB überhaupt noch bedarf oder ob nicht § 844 Abs. 3 BGB alle relevanten Rechtsfolgen beinhaltet.534 cc) Zwischenfazit Da die Argumente, die zur Ablehnung einer Persönlichkeitsverletzung vorgetragen werden, nicht oder in Anbetracht der neuen Rechtslage nicht mehr zu überzeugen vermögen, die Befürworter einer Rechtsverletzung sich bisher jedoch damit begnügen, eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu bejahen, ohne den Inhalt dieses Rechts genauer zu betrachten,535 soll in einem nächs530 Vgl. zu „dynamischen“ Werteentscheidungen des Gesetzgebers, die eine Korrektur des Gesetzes ggfs. dann erlauben, wenn sich die tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse nach Erlass einer Norm entscheidend ändern, Looschelders/Roth, Juristische Methodik, S. 233 f. 531 Siehe nur BGH, NJW 1996, 984, 985 – Caroline; BGH, NJW 1991, 1532, 1533; BGH, GRUR 1994, 391, 392. 532 Pflüger, Schmerzensgeld, S. 130 f.; a.A. Kadner Graziano, ZEuP 1996, 15, der in einem Angehörigenschmerzensgeld wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gerade deshalb kein Problem sieht, da dieses nach der Rechtsprechung des BVerfG und des BGH zu den durch § 823 Abs. 1 BGB geschützten Rechtsgütern zählt, bei deren Verletzung eine Entschädigung auch immaterieller Schäden möglich sei. 533 Etwas anderes könnte sich allerdings für vertragliche Ansprüche ergeben. Siehe hierzu unter: Kap. 2, A.I. 534 Zur Rolle von § 844 BGB im Verhältnis zu den haftungsausfüllenden Normen der §§ 249 ff. BGB siehe unter: Kap. 1, B.I.3.a). 535 Vgl. etwa Ch. Huber, NZV 2012, 5, 10 f.

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A. Die Rechtsposition hinter dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld

ten Schritt das allgemeine Persönlichkeitsrecht in Bezug auf seinen Schutzbereich und seine Rechtsnatur genauer untersucht werden. Im Ergebnis soll dann eine Einschätzung darüber vorgenommen werden, ob diese subjektive Rechtsposition auch die besondere Nähebeziehung zwischen Personen umfasst. Ergibt die Untersuchung, dass die besondere persönliche Nähebeziehung zwischen Menschen von diesem erfasst wird (c)) und zudem den Anforderungen an eine deliktisch geschützte Rechtsposition gerecht wird (d)), könnte dieser spezielle Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, soweit dessen Besonderheiten dem nicht entgegenstehen (e)), die zugewiesene Rechtsposition des Hinterbliebenen sein. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld würde folglich dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als Substanzrecht dienen. Das Substrat könnte im seelischen Wohlbefinden (in Bezug auf das besondere persönliche Näheverhältnis) zu sehen sein, der Schaden im seelischen Trauerleid.536 c) Der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Welche Lebensbedingungen vom Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts umfasst werden, lässt sich aufgrund der „prismatischen Vielfältigkeit“537 des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auf keine subsumtionsfähige Formel bringen. Vielmehr handelt es sich um einen unbestimmten Tatbestand, den Rechtsprechung und Literatur stetig zu konkretisieren versuchen, um mittels herausgearbeiteter Konturen eine sicherere Rechtsanwendung zu gewährleisten.538 In Einklang mit der Rechtsprechung des BVerfG, welches klarstellte, dass „wegen der dargelegten Eigenart des allgemeinen Persönlichkeitsrechts [...] die Rechtsprechung des BVerfG, ebenso wie die des BGH, den Inhalt des geschützten Rechts nicht abschließend umschrieben [hat...],“539 kann jedoch keine der Darstellungen als abschließend angesehen werden. Vielmehr liegt die weitere Entdeckung und Aufdeckung der einzelnen Bereiche des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in der Natur dieser Rechtsfigur. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist daher grundsätzlich für die Entwicklung weiterer unbenannter Freiheitsrechte offen.540 Für die hier aufgeworfene Frage ist daher zu untersuchen, ob die besondere Nähebeziehung zwischen Menschen einem bereits bekannten Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zugeordnet werden kann oder ob möglicherweise eine neue Kategorie zu eröffnen ist. 536 In diese Richtung, freilich ohne dies in dieser Form auszusprechen, gehen auch die Erwägungen des LG Tübingen (Urteil v. 17.05.2019 – 3 O 108/18, Rn. 93 –, juris), welche zumindest erwähnen, dass das Hinterbliebenengeld für die Verletzung immaterieller Güter („der Seele oder Psyche“) gewährt werden könnte. Zur Bedeutung der Seele für das allgemeine Persönlichkeitsrecht siehe auch Hubmann, Persönlichkeitsrecht, S. 48 ff., 256. 537 Schmitt Glaeser, HStR VI, 2. Auflage, § 129 Rn. 10. 538 Siehe hierzu auch Fuchs, Deliktsrecht, S. 45. 539 BVerfGE 54, 148, 153 = NJW 1980, 2070, 2071. 540 Vgl. BVerfGE 65, 1, 41 = NJW 1984, 419, 421.

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aa) Die verschiedenen Fallgruppen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Die Vielfalt bereits anerkannter Schutzbereiche des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist groß. Stand zu Beginn der Entwicklung des privatrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts noch die Veröffentlichung einer sprachlichen Gedankenfestlegung in unveränderter Form im Zentrum der Betrachtung,541 zeigt die weitere Entwicklung, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht ein hierüber hinausreichendes umfassendes Recht ist. So sind nach der Rechtsprechung des BGH und des BVerfG auch die persönliche Ehre, das Verfügungsrecht über die Darstellung der eigenen Person,542 das Recht am eigenen Bild und am gesprochenen Wort,543 das Recht auf exakte Wiedergabe von Zitaten544 sowie die Privat-, Geheim- und Intimsphäre545 vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht umfasst.546 Zudem erfolgt in Zusammenhang mit dem Arbeitnehmerpersönlichkeitsrecht eine immer ausdifferenziertere Erörterung der verschiedenen Bestandteile des Schutzbereichs.547 Versucht man die verschiedenen Bestandteile des allgemeinen Persönlichkeitsrechts herauszuarbeiten und zu kategorisieren, um so die Nähebeziehung zwischen zwei Personen dem am besten passenden Bereich zuzuordnen, erweist sich dies jedoch als ebenso schwierig wie das Erfassen des Inhaltsumfangs des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als Ganzes.548 Dies liegt zum einen daran, dass die unterschiedlichen Autoren die durch die Rechtsprechung bereits aufgetanen Bestandteile unterschiedlich vielen Schutzbereichskategorien zuordnen und sich die einzelnen Kategorien bisweilen sowohl innerhalb eines Darstellungsversuchs als auch im Vergleich mit anderen Darstellungen überschneiden.549 Da ein Großteil 541 BGHZ 13, 443 = NJW 1954, 1404, aus dieser Entscheidung wird z.B. der Schutz „vor Entstellung und unwahren Behauptungen“ abgeleitet, so Larenz/Canaris SchuldR BT II/2, § 80 II S. 499; oder aber der „Ehren- und Identitätsschutz“, so Fuchs, Deliktsrecht, S. 47. 542 BGHZ 26, 349 = NJW 1958, 827; BVerfGE 35, 202 = NJW 1973, 1226 – Lebach. 543 BVerfGE 34, 238, 246 = NJW 1973, 891. 544 BVerfGE 34, 269, 282 f. = NJW 1973, 1221 – Soraya. 545 Vgl. etwa BVerfGE 27, 1, 6 = NJW 1969, 1707 – Mikrozensus; BVerfGE 27, 344, 350 f. = NJW 1970, 555 – Scheidungsakten; BVerfGE 32, 373, 379 = NJW 1972, 1123 – Arztkartei; BVerfGE 34, 238, 245 f. = NJW 1973, 891 – heimliche Tonbandaufnahme; BVerfGE 47, 46, 73 = NJW 1978, 807 – Sexualkundeunterricht; BVerfGE 49, 286, 298 = NJW 1979, 595 – Transsexuelle. 546 BVerfGE 54, 148, 154 = NJW 1980, 2070, 2071. 547 So ist als Bestandteil des Arbeitnehmerpersönlichkeitsrechts z.B. anerkannt der Schutz der Privatsphäre, der Datenschutz, der Beschäftigungsanspruch sowie die Begrenzung von Offenbarungspflichten und der Fragerechte, vgl. Preis, Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 611a BGB Rn. 619. 548 Vgl. zu dieser Problematik den Bericht von Zöllner, AcP 160 (1961), 538, 542 ff. über den Vortrag von Lukes (Münster); S. Gottwald, Persönlichkeitsrecht, S. 194; Hubmann, Persönlichkeitsrecht, S. 10. 549 Für eine Aufarbeitung des Schutzbereichs durch viele kleine Schutzbereiche vgl. Larenz/Canaris, SchuldR BT II/2, § 80 II S. 499 ff.; für eine Darstellung mit wenigen, dafür umfangreicheren Schutzbereichen siehe hingegen Fuchs, Deliktsrecht, S. 45 f. Zur Proble-

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der anerkannten Schutzbereiche die Nähebeziehung in der Form, in der sie durch den Anspruch auf Hinterbliebenengeld geschützt sein würde, aber ohnehin nicht umfassen wird, soll an dieser Stelle auf eine letztlich ohnehin nicht abschließende, umfängliche Kategorisierung der einzelnen Bereiche verzichtet werden. Es wäre wenig zielführend, den Versuch zu unternehmen, die Nähebeziehung mit Rechten am eigenen Wort, Bild oder mit dem vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht umfassten Ehranspruch einer Person in Einklang zu bringen. Ein Vergleich mit den Schutzbereichen dieser Gruppen ist aber auch dann für die hier aufgeworfene Fragestellung nicht weiterführend, wenn man in der Nähebeziehung eine neue, eigenständige Fallgruppe vermutet. Denn die genannten Fallgruppen erfassen vorwiegend die Konfliktlagen, die aus dem Wandel von der Industrie- zur Informationsgesellschaft entstehen.550 Die mit dieser Wandlung einhergehende kontinuierliche Weiterentwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien sowie die weltweite Vernetzung und Verbreitung von Informationen sorgt für ein erhöhtes Eindringungspotential in die persönliche Sphäre des Einzelnen,551 die ebenfalls eines Schutzes durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht bedarf. Andererseits wäre es an dieser Stelle aber auch noch zu früh, aus diesem Umstand die Schlussfolgerung zu ziehen, die Nähebeziehung könne kein Fall des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sein, weil eine solche Einordnung einer „Ähnlichkeitsprüfung“ mit den mediennahen Fallgruppen nicht standhalten würde.552 Bei einer solchen Betrachtung drängt sich doch vielmehr die Frage auf, ob es sich bei diesen aus der modernen Technologiewelt entstandenen Gruppen nicht vielmehr um besondere Bereiche handelt, die sich zwar aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ableiten, jedoch in eine bestimmte Richtung zielen – nämlich auf den Schutz vor Gefahren durch die Informations- und Technologiegesellschaft. Neben diesen Gruppen gibt es durchaus Bereiche, die nicht der medialen Entwicklung entspringen, wie z.B. das Recht auf Ehrschutz oder sexuelle Selbstbestimmung zeigt. Genauso ist es also denkbar, dass sich aus dem Kernbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ein Recht ableiten lässt, das nicht mit der technologischen Entwicklung in Zusammenhang steht: ein Persönlichkeitsrecht, das die Entwicklung und Entfaltung in zwischenmenschlicher, sozialer Weise anerkennt und schützt, ganz unabhängig von Technik und Medien. Es ist daher nach dem Kerngedanken des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu fragen, um zu sehen, ob die besondere Nähebeziehung zwischen Personen hiervon erfasst werden soll. matik allgemein und den verschiedenen Theorien zu Umschreibung des Privatrechtschutzes vgl. Schmitt Glaeser, HStR VI, 2. Auflage, § 129 Rn. 14 f., 30 f. 550 Gounalakis, AfP 1998, 10, 11. 551 Vgl. hierzu ausführlich Stürner, Gutachten A zum 58. DJT, S. 14 f.; vgl. auch Leutheusser-Schnarrenberger, FS für Engelschall, S. 13, 14. 552 So aber Pflüger, Schmerzensgeld, S. 145 f., die eine solche „Ähnlichkeitsprüfung“ für notwendig erachtet; ablehnend wegen der fehlenden Vergleichbarkeit mit den bisherigen Fallgruppen auch Behr, Schmerzensgeld und Hinterbliebenengeld, S. 230; Stahmer, Nichtvermögensschäden bei Tötung, S. 104.

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bb) Der Kernbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Persönlichkeitsrechts Da das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht allein als zivilrechtliche Rechtsposition zu betrachten ist, sich zivilrechtlicher und grundrechtlicher Persönlichkeitsschutz vielmehr gegenseitig beeinflussen553 und das zivilrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht letztlich aus den Grundrechten hergeleitet wird, soll im Folgenden auch ein Blick auf das verfassungsrechtliche Persönlichkeitsrecht geworfen werden. Auch wenn das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das verfassungsrechtliche Persönlichkeitsrecht nicht zwingend identisch sein müssen, ähneln sich die Schutzbereiche doch sehr.554 Zudem erweist sich der Blick auf das verfassungsrechtliche Persönlichkeitsrecht deshalb als sinnvoll, weil sich der grundrechtliche Persönlichkeitsschutz nicht in einem Abwehrrecht gegen den Staat erschöpft, sondern darüber hinaus auch Schutzpflichten des Staates für die Beziehungen der Bürger untereinander erfordern kann.555 Kein Zweifel besteht zwar daran, dass die primäre Funktion der Grundrechte darin besteht, „die Freiheitssphäre des Einzelnen vor Eingriffen der öffentlichen Gewalt zu sichern“556, der Staat tritt in seiner Funktion jedoch auch auf eine weitere Wirkungsebene: Er ist nicht nur „Grundrechtsgegner“, sondern auch „Grundrechtsschützer“.557 Eine deutliche Ausprägung dieser Schutzaufgabe sind der deliktsrechtliche Schutz gem. §§ 823 ff. BGB, die actio negatoria nach § 1004 BGB (analog) und der bereicherungsrechtliche Schutz gem. §§ 812 ff. BGB.558 Der Schutzauftrag kann zudem zu einer Regelungspflicht des Gesetzgebers führen, und zwar insbesondere dann, wenn eine mittelbare Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht durch die Gesetzesanwendung der Richter nicht gewährleistet ist.559 Insofern hat das verfassungsrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht jedenfalls auch Bedeutung für das privatrechtliche. Die Gerichte haben es in der Vergangenheit unterlassen, ein „Trauerschmerzensgeld“ über § 823 Abs. 1 BGB wegen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung als „sonstiges Recht“ zu gewähren.560 Denkbar ist daher, dass der Gesetzgeber mit der Einführung des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld auch einem sich aus 553 Kunig, Münch/Kunig GGK, Art. 2 Rn. 31; vgl. auch Murswiek/Rixen, Sachs GG, Art. 2 Rn. 67. 554 Zur Vergleichbarkeit der beiden Arten des Persönlichkeitsrechts siehe Jarass, NJW 1989, 857, 858; Boston-Vogt, Persönlichkeitsrecht, S. 25 f. 555 Stark, v. Mangoldt/Klein/Starck GGK, Art. 2 Rn. 83; zum verfassungsrechtlichen Schutzauftrag der Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 GG im speziellen siehe Rixecker, MüKo BGB, Anhang zu § 12 Rn. 2 ff. 556 BVerfGE 7, 198 = GRUR 1958, 254. 557 Phirtskhalashvili, Schutzpflichten, S. 17. 558 J. Neuner, Wolf/Neuner AT, § 3 Rn. 4. 559 Stark, v. Mangoldt/Klein/Starck GGK, Art. 2 Rn. 84; a.A. noch Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil I, S. 93 ff., die sich für eine unmittelbare und absolute Wirkung der Grundrechte aussprachen. 560 Siehe dazu bereits oben Kap. 1, A.II.2.c).

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Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG ergebenden Schutzauftrag nachgekommen ist und nunmehr eine einfachgesetzliche Regelung getroffen hat, die auch zwischen den Privatrechtssubjekten unmittelbare Anwendung findet. Ob er dies in dem Bewusstsein getan hat, den Inhalt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts im Privatrecht weiter zu konkretisieren und zu schützen oder nicht, ist dabei von untergeordneter Bedeutung. Auch in diesem Fall bleibt es Aufgabe der Rechtswissenschaft, bereits getroffene Regelungen des Gesetzgebers im Nachhinein noch zu analysieren und sowohl inhaltlich als auch dogmatisch aufzuarbeiten.561 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht leitet sich aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG ab und ergänzt die speziellen, benannten Freiheitsrechte, die teilweise ebenfalls Kernelemente der Persönlichkeit erfassen.562 Dabei stehen die beiden Artikel jedoch nicht in dem Sinne gleichgewichtig nebeneinander, dass beide eine ebenbürtige Bedeutung für das allgemeine Persönlichkeitsrecht hätten. Vielmehr wurzelt das allgemeine Persönlichkeitsrecht primär in Art. 2 Abs. 1 GG. Art. 1 Abs. 1 GG und der hierin verankerte Leitgedanke der Unantastbarkeit menschlicher Würde dient hingegen hauptsächlich als „Interpretationsrichtlinie“563.564 Dass Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG nicht gleichrangig nebeneinanderstehen können, ergibt sich auch daraus, dass in Art. 1 GG nicht eingegriffen werden kann, das allgemeine Persönlichkeitsrecht im Gegensatz dazu aber durchaus einschränkbar ist.565 Die Verbindung von Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG hat im Grundsatz jedoch die Aufgabe, „die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen zu gewährleisten, die sich durch die traditionellen konkreten Freiheitsgarantien nicht abschließend erfassen lassen“.566 Dabei soll insbesondere die Integrität der Persönlichkeit in geistig-seelischer Beziehung Schutz erlangen,567 und zwar gerade deshalb, weil unsere Werteordnung ihren Mittelpunkt in der sich innerhalb der sozialen Ordnung frei entfaltenden menschlichen Persönlichkeit und ihrer Würde findet.568 Um dies zu gewährleisten, beinhaltet die Grundform des allgemeinen Persönlichkeitsrechts das Recht auf Respektierung der Privatsphäre und des sozialen Geltungsanspruchs.569 Diese Kernelemente lassen sich auch auf das Privatrecht übertragen. 561

So auch Köndgen, Karlsruher Forum 2016, S. 89. Zu den die Persönlichkeit schützenden Grundrechten gehört beispielsweise die Meinungsfreiheit, vgl. BVerfGE 54, 148 = NJW 1980, 2070. 563 Murswiek/Rixen, Sachs GGK, Art. 2 Rn. 63. 564 Kunig, Münch/Kunig GGK, Art. 2 Rn. 30; Murswiek/Rixen, Sachs GGK, Art. 2 Rn. 63; vgl. BVerfGE 27, 344, 351 = NJW, 1970, 555. 565 Vgl. Kunig, Münch/Kunig GGK, Art. 2 Rn. 30. 566 BVerfGE 54, 148, 153 = NJW 1980, 2070; vgl. auch Murswiek/Rixen, Sachs GG, Art. 2 Rn. 60. 567 Kannowski, Staudinger BGB, Vorbem zu § 1 Rn. 18; Murswiek/Rixen, Sachs GG, Art. 2 Rn. 61; Stark, v. Mangoldt/Klein/Starck GGK, Art. 2 Rn. 86; vgl. ferner Rötelmann, AcP 160 (1961), 366, 379. 568 Murswiek/Rixen, Sachs GG, Art. 2 Rn. 60; vgl. auch Kannowski, Staudinger BGB, Vorbem zu § 1 Rn. 20 f. 569 Murswiek/Rixen, Sachs GG, Art. 2 Rn. 59. 562

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cc) Die besondere persönliche Nähebeziehung als Bestandteil der persönlichkeitsrechtlichen Privatsphäre Eine bedeutende Aufgabe des allgemeinen Persönlichkeitsschutzes liegt also darin, „die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen zu gewährleisten, die sich durch die traditionellen Freiheitsgarantien nicht vollständig erfassen lassen“.570 Kurz: das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt die Lebenssphäre als einen mehr oder weniger geschlossenen Bereich privater Lebensgestaltung, in den sich niemand „einzumischen“ hat.571 Dieser Bereich ist dabei nicht lediglich räumlich,572 als Ort, an dem der Einzelne sich zurückziehen und für sich sein kann, sondern auch thematisch zu verstehen.573 Dies bedeutet, dass dem menschlichen Individuum ein eigener Bereich zur persönlichen Entfaltung zur Verfügung steht, „in dem er seine Individualität entwickeln und wahren kann“574 und welcher sowohl dem Zugriff des Staates als auch privater Dritter entzogen ist.575 Gerade für den Schutz der Integrität des Menschen in Bezug auf den geistig-seelischen Zustand sind jedoch die Beziehungen eines Individuums zu besonders nahestehenden Angehörigen oder weiteren besonders nahestehenden Personen von gehobener Bedeutung.576 Der Mensch als soziales Wesen entwickelt seine Persönlichkeit nicht nur alleine für sich, in einem allein ihm zugewiesenen und geschützten Raum. Vielmehr entwickelt er sich gerade mit den ihn umgebenden, ihn prägenden Personen.577 Sind es zu Beginn eines Lebens die Eltern, die maßgeblich Einfluss auf die Entwicklung eines Neugeborenen oder eines Kindes nehmen, so spielen im Laufe eines Lebens auch die Geschwister, der Partner, Ehegatte und später auch die eigenen Kinder für die Persönlichkeitsentwicklung eine wichtige Rolle. Gerade der Kontakt, der Austausch und die gegenseitige Zuwendung nahestehender Menschen sind wesentlicher Bestandteil für diese Entwicklung.578 Auch aus diesem Grund sind jene

570

Vgl. BGHZ 201, 263, 269 = NJW 2014, 2190, 2191. Fuchs, Deliktsrecht, S. 46. 572 Beispielsweise der häusliche Bereich oder andere Örtlichkeiten, die sich der Einzelne schafft und bei denen er erkennbar davon ausgehen kann, dass er nicht den Blicken der Öffentlichkeit ausgesetzt wird. 573 Murswiek/Rixen, Sachs GG, Art. 2 Rn. 69; Schmitt Glaeser, HStR VI, 2. Auflage, § 129 Rn. 11. 574 BVerfGE 35, 202, 220 = NJW 1973, 1226, 1227. 575 Vgl. BVerfGE 35, 202, 220 = NJW 1973, 1226 1227; Murswiek/Rixen, Sachs GG, Art. 2 Rn. 69; als Beispiel hierfür gilt z.B. die Gestaltung des Geschlechtslebens (vgl. BVerfGE 47, 46, 73 = NJW 1978, 807, 809), das Recht auf Personenstand, welcher mit dem empfundenen Geschlecht übereinstimmt (BVerfGE 49, 286, 298 = NJW 1979, 595) oder auch private Tagebuchaufzeichnungen (BVerfGE 80, 367, 373 = NJW 1990, 563). 576 Vgl. zur Bedeutung sozialer zwischenmenschlicher Beziehungen als Bestandteil des Innenbereichs persönlicher Lebensgestaltung Schmitt Glaeser, HStR VI, 2. Auflage, § 129 Rn. 11. 577 Ähnlich auch Schramm, Haftung für Tötung, S. 323. 578 Ähnlich auch Schramm, Haftung für Tötung, S. 348. 571

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typischen Familienbindungen, die auf unserer gesellschaftlichen Ordnung beruhen, besonders durch das Gesetz geschützt.579 Der Mensch, und mag er sich auch noch so sehr als Individuum begreifen, ist letztlich als Einzelner nicht überlebensfähig, er kann sich in totaler Einsamkeit nicht entwickeln und entfalten.580 Das Persönlichkeitsrecht beinhaltet daher auch das „Recht des Menschen auf Selbstfindung im Alleinsein und in enger Beziehung zu ausgewählten Vertrauten“581. Auch deshalb ist die Vertraulichkeit der familiären Kommunikation unter den grundrechtlichen Schutz gestellt.582 Das endgültige Entziehen der Bezugsperson nimmt dem Hinterbliebenen jedoch gänzlich die Möglichkeit der wechselseitigen Hinwendung und kann daher ggf., insbesondere bei Kindern, sogar zur Verkümmerung der Persönlichkeit führen.583 Für den menschlichen Geist ist der kongeniale Geist, dem er sich mitteilen kann und von dem er gewertet, verstanden und gewürdigt wird, daher unabdingbar.584 Dabei spielt das Verwandtschaftsverhältnis nicht immer die ausschlaggebende Rolle. Auch in nichtehelichen Lebensgemeinschaften kann der Partner gleichermaßen relevant für die persönliche Entwicklung sein. Für die Persönlichkeitsentfaltung maßgebliche Aspekte wie gegenseitige Fürsorge, Zuwendung und Verantwortungsübernahme, die Verarbeitung von Rück- oder Schicksalsschlägen sowie anderes soziales Verhalten entwickeln sich ebenso auch in einer stabilen Zweierbeziehung.585 Insofern ist es durchaus möglich, nicht nur die Beziehung zwischen Eheleuten oder der in einer vergleichbaren Gemeinschaft lebenden Personen als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu erachten,586 sondern darüber hinaus jegliche besondere persönliche Nähebeziehung zu schützen, die für die Entwicklung der individuellen menschlichen Persönlichkeit von vergleichbarer Bedeutung ist. Solche Beziehungen als besonders wichtig für die Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit anzuerkennen und sie unter den Schutz der Rechtsordnung zu stellen, scheint daher durchaus angemessen.

579

Hubmann, Persönlichkeitsrecht, S. 265. Hubmann, Persönlichkeitsrecht, S. 51. 581 Steindorff, Persönlichkeitsschutz, S. 23; Jarass, NJW 1989, 857, 859. 582 BVerfGE 57, 170, 178 = NJW 1981, 1943; BVerfGE 42, 234 = NJW 1976, 1629. 583 Schramm, Haftung für Tötung, S. 323 f. 584 N. Hartmann, Das Problem, S. 173; Hubmann, Persönlichkeitsrecht, S. 53. 585 Schramm, Haftung für Tötung, S. 349. 586 Vgl. für die Beziehung zwischen Eheleuten oder die Beziehung von in einer eheähnlichen Partnerschaft lebenden Personen als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Stark, v. Mangoldt/Klein/Starck GGK, Art. 2 Rn. 108; ferner Hubmann, Persönlichkeitsrecht, S. 59, der in der Persönlichkeit die Vereinigung von Menschenwürde, Individualität und Personalität sieht, welche wiederum die Beziehung zu Mitmenschen beinhalte, S. 51 f. 580

III. Ansätze zur Bestimmung der Rechtsposition

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dd) Der Einfluss von Art. 8 Abs. 1 EMRK (1) Die Bedeutung der EMRK für das nationale Recht Bei der Untersuchung, ob das besondere persönliche Näheverhältnis zwischen Personen vom Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gedeckt wird, lohnt sich ferner ein Blick auf die EMRK. Auch Art. 8 Abs. 1 EMRK spricht von einem Recht auf Privatleben, welches zu einem Großteil durch die Rechtsprechung des EGMR definiert wurde und welches auch für die innerdeutsche Rechtsordnung von Bedeutung ist. Die EMRK hat als völkerrechtlicher Vertrag zwar keine unmittelbare Geltung in Deutschland, jedoch erlangt sie gem. Art. 59 Abs. 2 GG durch Zustimmung des Bundesgesetzgebers in einem förmlichen Gesetz innerstaatliche Gültigkeit.587 Diese Zustimmung hat der Bundesgesetzgeber erteilt, so dass die EMRK seit dem 3. September 1953 in Kraft ist und seither eine Rechtsquelle mit dem Rang eines einfachen Gesetzes darstellt,588 welcher als Völkerrecht jedoch eine bedeutende Rolle bei der Auslegung der gesamten Rechtsordnung zukommt.589 Insofern hat das BVerfG entschieden, dass die Regelungen der EMRK „Auslegungshilfen für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes“590 bereithalten, woraus folge, „dass die entsprechenden Texte [der EMRK] und Judikate [des EGMR] zur Kenntnis genommen werden und in den Willensbildungsprozess des zu einer Entscheidung berufenen Gerichts, der zuständigen Behörde oder des Gesetzgebers einfließen [sollen].“591 Die Bestimmungen der EMRK sind daher von aller staatlichen Gewalt zu berücksichtigen,592 und auch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG ist im

587 Hofmann, BeckOK Ausländerrecht, Art. 8 EMRK Rn. 3; für das ehemalige Gebiet der DDR erlangte die Konvention mit dem Beitritt zur Bundesrepublik am 03.10.1990 Geltung, siehe hierzu Frowein, Frowein/Peukert EMRK, Einführung Rn. 2. 588 Es ist umstritten, wie genau der EMRK die innerstaatliche Geltung verliehen wird. Nach der monistischen Theorie vollzieht sich die Übernahme ins innerstaatliche Recht aufgrund eines sog. Rechtsanwendungs- oder Vollzugsbefehls, bei welchem eine nationale Regelung die innerstaatliche Anwendung anordnet (vgl. BVerfGE 90, 286, 364 = NJW 1994, 2207, 2213). Nach der dualistischen Sichtweise wird hingegen durch einen Transformationsakt eine mit der völkerrechtlichen Regelung inhaltlich identische Regelung des innerstaatlichen Rechts geschaffen. Für die nationale Geltung als solche ergibt sich aus den verschiedenen Sichtweisen jedoch kein Unterschied, weshalb auf eine umfassendere Darstellung verzichtet werden kann; vgl. hierzu Heckötter, Bedeutung, S. 89. 589 BVerfGE 111, 307, 315 f. = NJW 2004, 3407, 3408 – Görgülü; BVerfG, NJW 2011, 1931; BVerfGE 128, 326 = JuS 2011, 854; vgl. auch BVerfG, NJW 2016, 1939, 1944; vgl. hierzu auch Rixecker, MüKo BGB, Anhang zu § 12 Rn. 22 f. 590 BVerfGE 111, 307, 317 = NJW 2004, 3407, 3408 – Görgülü. 591 BVerfGE 111, 307, 324 = NJW 2004, 3407, 3410 – Görgülü; zur Bedeutung der EMRK für das nationale Recht vgl. auch die Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages WD 3 – 3000 – 162/16, S. 3. 592 Meyer-Ladewig/Nettesheim, Meyer-Ladewig/Nettesheim/v. Raumer EMRK, Einleitung Rn. 18.

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Lichte von Art. 8 EMRK auszulegen. Zudem kann aufgrund der EMRK der Staat verpflichtet sein, für einen umfassenden Schutz des Privatlebens auch im Verhältnis von Personen untereinander zu sorgen und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.593 In der Wahl der erforderlichen Maßnahmen sind die Konventionsstaaten zwar frei, die Maßnahmen können aber durchaus im Erlass einfachgesetzlicher Regelungen liegen, die dann unmittelbar für Privatpersonen gelten.594 Auch entfalten die Entscheidungen des EGMR aufgrund ihrer durch die EMRK zugesprochenen Wirkung, vermittelt durch das Zustimmungsgesetz und aufgrund rechtsstaatlicher Verpflichtungen, Bindungswirkung auf nationaler Ebene (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 59 Abs. 2 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG).595 Die Urteile wirken im Prinzip zwar nur zwischen den Parteien und binden gem. Art. 46 EMRK die Konventionsstaaten. Tatsächlich erhält die Rechtsprechung jedoch über den Fall hinausgehende Bedeutung und ist als Auslegungshilfe der EMRK heranzuziehen.596 Insofern sind auch nach der Rechtsprechung des BVerfG597 die deutschen Gerichte verpflichtet, die EMRK, so wie sie vom EGMR ausgelegt und angewendet wird, ihrer Rechtsprechung zugrunde zu legen. Die Gerichte sind daher angehalten, die EMRK im Rahmen des methodisch Vertretbaren wie Bundesrecht zu berücksichtigen und Konflikte mit der EMRK zu vermeiden.598 Aufgrund dieses Einflusses der EMRK bei der Auslegung nationaler Gesetze können Art. 8 Abs. 1 EMRK und die Rechtsprechung des EGMR zur Erkenntniserzielung in der hier aufgeworfenen Rechtsfrage herangezogen werden. (2) Der Schutzbereich des konventionsrechtlichen Privatlebens In Art. 8 Abs. 1 EMRK heißt es: „Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz.“ Auffallend ist dabei zunächst, dass in diesem Artikel das Recht auf Privatleben ausdrücklich genannt wird. Was genau hierunter zu subsumieren ist, ist jedoch auch im Rahmen der EMRK noch nicht abschließend geklärt. Dies wiederum liegt daran, dass auch für den konventionsrechtlichen Begriff des Privatlebens keine abschließende Definition vorhanden ist.599 In der Grundform erfasst wird jedoch die körperliche und seelische Integrität einer Person600, welche auch 593 Vgl. etwa EGMR, NZA 2011, 277, 278; EGMR, NJW 2017, 2891 ff.; vgl. auch Specht, BeckOGK BGB, 01.08.2020, § 823 Rn. 1089 f. 594 EGMR, NZA 2017, 1443, 1445; EGMR, NJW 1985, 2075. 595 BVerfGE 111, 307, 322 f. = NJW 2004, 3407, 3408 – Görgülü; BVerfG, NJW 2011, 1931; vgl. hierzu Hofmann, BeckOK Ausländerrecht, Art. 8 EMRK Rn. 3. 596 V. Arnauld, Völkerrecht, § 9 Rn. 638. 597 BVerfGE 111, 307, 317 = NJW 2004, 3407, 3408 – Görgülü. 598 BVerfGE 111, 307 = NJW 2004, 3407 – Görgülü. 599 EGMR, 1985, Serie A, Bd. 91, S. 11 Nr. 22 – X u./Niederlande; EGMR, NJW 2002, 2851, 2853 – Pretty. 600 EGMR, NJW 2002, 2851, 2853 – Pretty.

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die physische und psychische Identitätsbildung und die Entwicklung von Sozialbeziehungen erfasst.601 Eine gewisse Leitrichtung erfährt dieses Recht zudem über die anderen in Art. 8 Abs. 1 EMRK aufgeführten Rechte. Das Recht auf Achtung des Privatlebens wird demnach als Oberbegriff angesehen, welches über die ebenfalls genannten Rechte auf Achtung des Familienlebens und der Korrespondenz eine gewisse Leitrichtung des Schutzauftrags erfahren soll.602 Auch bei diesen Rechten soll es sich um Ausprägungen des Rechts auf Privatsphäre handeln, welche aber wegen ihrer besonderen Bedeutung ausdrücklich genannt werden. Diese Systematik hindert nach Ansicht des EGMR jedoch nicht daran, den Schutzbereich auf weitere, vergleichbar gewichtige Bereiche auszudehnen.603 Dabei ist man sich dahingehend einig, dass das Privatleben nicht nur auf den inneren Bereich zu beschränken ist, in dem Sinne, dass jeder Einzelne sein Leben nach seinen eigenen Vorstellungen führen kann.604 Auch ist der Schutz nicht nur auf einen informationellen Bereich beschränkt, was die weiteren Aufzählungen an Rechten neben dem Recht auf Achtung der Korrespondenz deutlich machen. Vielmehr beinhaltet das Recht auf Achtung des Privatlebens auch das Recht des Einzelnen, Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen und fortzuentwickeln.605 Nach ständiger Rechtsprechung des EGMR schützt Art. 8 Abs. 1 EMRK daher eine Sphäre, innerhalb derer der Einzelne seine Persönlichkeit entwickeln und entfalten kann, was insbesondere über die Führung von Beziehungen zu anderen Menschen geschieht und geschehen darf.606 Aber auch nach Auffassung der Europäischen Kommission für Menschenrechte (EKMR) ist es Bestandteil des Privatlebens, „[…] Beziehungen zu anderen Menschen aufzunehmen und zu entfalten, insbesondere auf emotionaler Ebene, um der Entfaltung und Erfüllung der eigenen Persönlichkeit willen“.607 Dieser Bestandteil des Privatlebens, das Recht, Beziehungen mit anderen Personen zu führen und seine Persönlichkeit in diesen Beziehungen weiterzuentwickeln, geht im Rahmen des Art. 8 Abs. 1 EMRK weiter als das ausdrücklich geregelte Recht auf Eheschließung in Art. 12 EMRK, weshalb durch Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht nur die Beziehung zwischen Eheleuten, sondern darüber hinaus jede besonders enge zwischenmenschliche 601 EGMR, NJW 2002, 2851, 2853 – Pretty; EGMR, NZA 2011, 277, 278; EGMR, EuZA 2011, 407, 410; vgl. hierzu auch Meyer-Ladewig/Nettesheim, Meyer-Ladewig/Nettesheim/v. Raumer EMRK, Art. 8 Rn. 7. 602 Gaede, MüKo StPO, Art. 8 EMRK Rn. 1. 603 Gaede, MüKo StPO, Art. 8 EMRK Rn. 1; EGMR, NJW 2002, 2851, 2853. 604 Vgl. hierzu auch Bergmann, Menschenbild, S. 160. 605 Vgl. hierzu auch Bergmann, Menschenbild, S. 160; Bleckmann, Erichsen/Kollhosser/ Welp, Persönlichkeit, S. 13 f.; Meyer-Ladewig/Nettesheim, Meyer-Ladewig/Nettesheim/v. Raumer EMRK, Art. 8 Rn. 7. 606 EGMR, NJW 2002, 2851, 2853 – Pretty; EGMR, Urteil v. 25.09.2001 – 44787/98, Rn. 56 = BeckRS 2001, 164809; EGMR, NJW-RR 2018, 294, 295; vgl. auch Gaede, MüKo StPO, Art. 8 EMRK Rn. 9; Hofmann, BeckOK Ausländerrecht, Art. 8 EMRK Rn. 21. 607 EKMR, zit. nach EuGRZ 1976, 397, 398; vgl. auch Bergmann, Menschenbild, S. 156 f.

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Beziehung erfasst werden kann.608 Auch „eine über Jahre gelebte Gefühls- und Sexualbeziehung zweier Personen gehört zum Privatleben im Sinne dieser Vorschrift“.609 Das Recht auf Privatsphäre als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und das konventionsrechtliche Privatleben unterscheiden sich also darin, dass bei letzterem in der Rechtsprechung und Literatur ausdrücklich von der Beziehung zu anderen Menschen als Bestandteil des Privatlebens die Rede ist, während dies im Rahmen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nur vereinzelt der Fall ist. Aufgrund der Bedeutung der EMRK und der Rechtsprechung des EGMR sind aber auch die nationalen Regelungen entsprechend auszulegen, sei es auf grundrechtlicher oder privatrechtlicher Ebene. ee) Zwischenergebnis Die bisherige Untersuchung hat gezeigt, dass die besondere persönliche Nähebeziehung zwischen Personen als Bestandteil eines umfassenden Persönlichkeitsrechts anzusehen ist. Der Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG insbesondere unter Berücksichtigung des Art. 8 EMRK legt eine solche Auslegung nahe.610 Der Mensch entwickelt sich nicht nur für sich alleine, vielmehr erfolgt der Prozess der Persönlichkeitsentwicklung gerade in der Beziehung zu besonders nahestehenden Menschen oder in Bezug auf einzelne besonders vertraute Personen. Diese Beziehungen bilden die Grundlage einer aktiven Persönlichkeitsentwicklung. Die psychisch-seelische Integrität als Substrat des Persönlichkeitsrechts wird nämlich nur dann gewahrt bleiben, wenn zwischenmenschliche Beziehungen geführt werden, und dies unabhängig davon, ob ein formales Familienband besteht. Für die Entwicklung der Persönlichkeit kann jede zwischenmenschliche Beziehung von besonderer Bedeutung sein, sofern diese an Intensität und Bedeutung mit familiären Bindungen vergleichbar ist. d) Die besondere Nähebeziehung als zivilrechtliche Rechtsposition Ist somit festgestellt, dass der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auch die besondere Nähebeziehung zwischen zwei Menschen erfasst, bleibt noch zu überprüfen, ob dieser Bereich auch den zivilrechtlichen Anfor-

608

So auch Bergmann, Menschenbild, S. 156 f. EGMR, NVwZ 2011, 31; EGMR, Entsch. v. 10.05.2001 – 56501/00 – Antonio Mata Estevez/Spanien = BeckRS 2001, 165348. 610 Auf die Frage, ob darüber hinaus sogar eine Schutzpflicht des Gesetzgebers bestanden hat, diese Nähebeziehung auch schadensersatzrechtlich zu schützen, kommt es nunmehr nicht mehr an, da der Gesetzgeber eine derartige Regelung jedenfalls getroffen hat. Schramm, Haftungsbeschränkungen für Tötung, S. 334 f., lehnte eine derartige Pflicht des Gesetzgebers noch ab, da hier das Untermaß verfassungsrechtlichen Schutzes nicht betroffen sei. Dennoch hält auch Schramm eine solche Regelung mit Blick auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus verfassungsrechtlicher Sicht für wünschenswert (S. 335). 609

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derungen an eine Rechtsposition gerecht wird.611 Stellte man auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht als Ganzes ab, bestünde hier angesichts der Entwicklung zum „sonstigen Recht“ i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB kein Zweifel mehr. Eine Zuordnung kann auch durch öffentlich-rechtliche Normen erfolgen und dann durch die Rechtsprechung für das Privatrecht aufgedeckt werden.612 Jedoch muss ein Grundrecht nicht immer einheitlich behandelt werden. Es ist möglich, dass nur spezifische Bereiche absolut sind, was ein Blick auf Art. 6 Abs. 1 und 2 GG zeigt. Auch hier reicht der grundgesetzliche Schutz der Ehe bzw. des Elternrechts weiter.613 Als absolute Rechte i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB zumindest teilweise anerkannt sind jedoch nur der räumlich-gegenständliche Bereich der Ehe614 und die elterliche Sorge gem. §§ 1626, 1632 BGB615. Von Bedeutung ist daher die Frage, wie die besondere Nähebeziehung zivilrechtlich einzuordnen ist. Richtet man den Blick nur auf diesen spezifischen Bereich, so ist dieser zwar vom Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG sowie von Art. 8 EMRK grundsätzlich gedeckt; ob dieser Bereich jedoch auch im Privatrecht eine Zuordnungs- und Ausschlussfunktion (aa), bb)) innehat und sozialtypisch offenkundig ist (cc)), bedarf einer weiteren Analyse. aa) Die Zuweisungsentscheidung der Nähebeziehung Die Zuordnungsentscheidung wird grundsätzlich außerhalb des Deliktsrechts getroffen.616 Normen, die vergleichbar den §§ 903 ff. BGB die besondere Nähebeziehung ausdrücklich ausgestalten, oder zuweisende Verhaltensvorschriften in Form von Schutzgesetzen finden sich auf den ersten Blick jedoch nicht.617 Da, wie bereits dargetan, auch die Rechtsprechung ihren Beitrag bei der Zuordnung leisten kann,618 soll dennoch überprüft werden, ob und in welcher Form die beson-

611 Siehe zu den Anforderungen an eine deliktsrechtlich geschützte Rechtsposition bereits oben: Kap. 1, A.II.1.a)aa). 612 Siehe hierzu bereits oben: Kap. 1, A.II.2. 613 Amend-Traut, BeckOGK BGB, 01.07.2020, § 1626 Rn. 50; Badura, Maunz/Dürig GG, Art. 6 Rn. 107. 614 Gegen das Eindringen des „Ehe-Störers“ in den räumlich-gegenständlichen Bereich der Ehe besteht nach h.M. zumindest ein quasinegatorischer Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch nach § 1004 BGB analog, vgl. Wandt, Gesetzliche Schuldverhältnisse, S. 297 Rn. 40; siehe hierzu ferner auch Spindler, BeckOGK BGB, 01.08.2020, § 823 Rn. 178; Coing, JZ 1952, 688; a.A. hingegen Wagner, MüKo BGB, § 823 Rn. 301, der ein Abstellen auf den „räumlichgegenständlichen Bereich der Ehe“ für entbehrlich hält, weil auch eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts des betrogenen Ehegatten gegeben sei; ähnlich auch D. Schwab, Familienrecht, Rn. 146; Steindorff, Persönlichkeitsschutz, S. 24. 615 Vgl. BGHZ 111, 168, 172 = NJW 1990, 2060, 2061; Ch. Huber, MüKo BGB, § 1626 Rn. 8; Medicus/Lorenz SchuldR II, S. 484 Rn. 12; Spickhoff, Soergel BGB, § 823 Rn. 108. 616 Siehe hierzu bereits oben: Kap. 1, A.II.1.a)bb). 617 Zu den einzelnen Möglichkeiten, eine Rechtsposition zuzuweisen siehe oben: Kap. 1, A.II. 618 Siehe Kap. 1, A.II.2.

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dere Nähebeziehung in der Rechtsordnung bereits eine Rolle spielt und inwieweit sich die Gerichte einer solchen Rechtsposition bereits genähert haben. (1) Die Nähebeziehung in der Privatrechtsordnung (a) Die besondere Nähebeziehung im Allgemeinen Gleichbehandlungsrecht – die Rechtsfigur der assoziierten Diskriminierung In einem ersten Schritt scheint sich dabei ein Blick in das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zu lohnen. Auch das AGG dient nach breiter Ansicht in der Literatur dem Persönlichkeitsschutz,619 denn es hat Konstellationen zum Gegenstand, in denen das allgemeine Persönlichkeitsrecht besonders verletzlich erscheint.620 So hat zweifellos der Arbeitsmarkt für die Persönlichkeitsentfaltung des Individuums eine enorme Bedeutung. Für eine große Mehrheit der Bevölkerung ist der Arbeitsplatz die Grundvoraussetzung zur eigenen Selbstverwirklichung und Ausgangspunkt verschiedenster Überlegungen zur weiteren Lebensplanung und -gestaltung.621 Sogar kleine Entscheidungen, wie beispielsweise im Rahmen der Freizeitgestaltung, aber auch größere Entscheidungen bis hin zur Familienplanung werden von der Beschäftigungssituation und der damit einhergehenden wirtschaftlichen Lage abhängig gemacht.622 Hinzu tritt, dass eine längere Arbeitslosigkeit oder berufliche Stagnation das Selbstwertgefühl des Betroffenen oftmals erheblich auf die Probe stellt, weshalb es nicht überrascht, dass ein solcher Zustand „verheerende persönlichkeitsrechtsverletzende Folgen“623 haben kann.624 Insbesondere § 7 Abs. 1 AGG i.V.m. §§ 1, 3 AGG ist daher als eine das allgemeine Persönlichkeitsrecht konkretisierende Regelung zu verstehen,

619 Dazu ausführlich Bader, Diskriminierungsschutz, S. 87 f.; Jacobs, RdA 2009, 193, 194 f.; Thüsing, MüKo BGB, § 15 AGG Rn. 9; Deinert, Däubler/Bertzbach AGG, § 15 Rn. 79; Stein, Wendeling-Schröder/Stein AGG, § 15 Rn. 31; so jetzt für den Fall einer diskriminierenden Kündigung auch BAG, NZA 2014, 372; vorsichtiger hingegen noch das Urteil des BAG, NZA 2009, 945, 951, das letztlich jedoch lediglich eine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung i.S.e. „Herabwürdigens“ für nicht erforderlich hielt und wegen der eigenen Anspruchsgrundlage in § 15 Abs. 2 AGG eine Berücksichtigung der strengen Anforderungen an eine Entschädigung wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG für entbehrlich erachtet; vgl. ferner auch BAG, NZA 2010, 1129, 1131. Eine gänzliche Ablehnung des Persönlichkeitsrechts als Schutzgut des AGG konnte jedoch auch diesen Entscheidungen nicht entnommen werden. 620 F. Hartmann, Staudinger Eckpfeiler, Rn. B 8. 621 Bader, Diskriminierungsschutz, S. 110; vgl. auch Thees, Arbeitnehmer-Persönlichkeitsrecht, S. 79 ff. 622 Bader, Diskriminierungsschutz, S. 110. 623 Picker, Karlsruher Forum 2004, S. 89. 624 Bader, Diskriminierungsschutz, S. 111; vgl. auch Thees, Arbeitnehmer-Persönlichkeitsrecht, S. 79, welcher der Arbeit eine große Rolle bei der „Sinngebung der individuellen Existenz“ beimisst, welche zudem „den sozialen Geltungsanspruch gegenüber der Umwelt mitbestimm[e]“.

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welche die Grenzen zwischen Handlungsfreiheit und subjektiver Rechtsposition im Bereich der Arbeit festlegt.625 Aber auch eine Benachteiligung wegen eines verpönten Merkmals etwa bei Massengeschäften i.S.d. § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG wirkt besonders persönlichkeitsverletzend, weil die persönlichen Merkmale für den Vertragsabschluss hier normalerweise eigentlich keine Rolle spielen.626 Die vorgenommene Untersuchung soll sich jedoch keinesfalls vertieft mit dem AGG als Schutzgesetz dieses speziellen Bereichs des Persönlichkeitsrechts auseinandersetzen, dies würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen und zudem an der hier aufgeworfenen Fragestellung vorbeiführen. Jedoch soll die besondere Fallgruppe der assoziierten Diskriminierung näher betrachtet werden. Dies erscheint für die Erkenntnisgewinnung deshalb von Bedeutung, weil auch dort das Phänomen der Nähebeziehung bei der Anspruchsbegründung eine wichtige Rolle zu spielen scheint. Unter den Terminus der assoziierten Diskriminierung werden jene Fälle zusammengefasst, in denen eine Person benachteiligt wird, obwohl nicht sie selbst, sondern eine nahestehende Person Merkmalsträger ist.627 Beispielhaft wird in der Literatur der Fall erörtert, indem ein Vater wegen der Homosexualität seines Kindes nicht vom Arbeitgeber eingestellt wird.628 In einem solchen Fall stellt sich sodann die Frage, ob Vater oder Kind einen Anspruch gegen den Arbeitgeber haben sollten: das Kind als Merkmalsträger oder der Vater als Betroffener.629 Diese in der Literatur diskutierte Problematik erlangte im Jahr 2008 besondere Aktualität, als der Europäische Gerichtshof (EuGH) im sogenannten Coleman-Urteil über den Anspruch einer Mutter zu entscheiden hatte, die wegen der Behinderung ihres Kindes von ihrem Arbeitgeber benachteiligt worden war.630 Der EuGH bejahte einen Anspruch der Mutter unter Verweis auf den Wortlaut der Art. 1 und 2 der Richtlinie 2007/78/EG und der sich hieraus ergebenden Bestimmung, welche es ausreichen lasse, dass die Benachteiligung auf eine Behinderung zurückgeht. Insofern sei Bestimmung der Richtlinie, „[...] in Beschäftigung und Beruf jede Form der Diskriminierung aus Gründen einer Behinderung zu bekämpfen“631. Für eine unmittelbare Diskriminierung sei es daher nicht erforderlich, dass die Anspruchstellerin selbst eines der genannten Merkmale aufweise. Entschieden war damit also, dass jedenfalls der Mutter ein Anspruch zustehen soll. Weiterhin unklar blieb jedoch die Antwort auf die Frage, ob nach Ansicht des EuGH nun die Mutter oder das Kind Opfer der Diskriminierung wurde.632

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Bader, Diskriminierungsschutz, S. 269; vgl. auch Schubert, Wiedergutmachung, S. 93. F. Hartmann, Staudinger Eckpfeiler, Rn. B 8; Lobinger, AcP 216 (2016), 28, 90 f. 627 Bader, Diskriminierungsschutz, S. 266; F. Hartmann, Staudinger Eckpfeiler, Rn. B 12. 628 Vgl. etwa Däubler, Däubler/Bertzbach, § 1 AGG Rn. 97. 629 Bader, Diskriminierungsschutz, S. 266. 630 EuGH, Urteil v. 17.07.2008 – C-303/06 = NZA 2008, 932 ff. 631 EuGH, Urteil v. 17.07.2008 – C-303/06 = NZA 2008, 932, 934. 632 Kritisch daher insbesondere Sutschet, EuZA 2009, 245, 249.

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Zweifel an dieser Stelle wurzeln dabei vor allem in den Ausführungen des Generalanwalts Poiares Maduro,633 denen der EuGH im Ergebnis gefolgt ist und welche nahelegen, dass letztlich durch die Benachteiligung der Mutter das Kind verletzt würde.634 Bei privatrechtskonformem Verständnis müsste dann jedoch das Kind Anspruchsinhaber sein. Diesen Fall hatte der EuGH jedoch nicht zu entscheiden. Das Ergebnis der Coleman-Entscheidung, das ausdrücklich die Mutter als Anspruchsinhaberin ausweist, kann hingegen nur so in Einklang mit dem geltenden Systemverständnis gebracht werden, dass diese selbst in einem ihrer Rechte verletzt wurde.635 Nur demjenigen, der selbst in einem seiner Substanzrechte verletzt ist, kann ein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 1, 2 AGG als Schutzrecht zustehen. Es stellt sich jedoch die Frage, welche Rechtsposition der Nichtmerkmalsträgerin betroffen sein könnte. An dieser Stelle wird die Nähebeziehung zum Merkmalsträger relevant: Eine Persönlichkeitsrechtsverletzung der Nichtmerkmalsträgerin wird man nämlich nur dann annehmen können, sofern diese zum Merkmalsträger in einer besonderen Nähebeziehung steht.636 (b) Bedeutung der assoziierten Diskriminierung für den Anspruch auf Hinterbliebenengeld? Fraglich ist jedoch, inwieweit das soeben dargestellte Phänomen mit der hier untersuchten Nähebeziehung vergleichbar ist und ob sich hieraus Rückschlüsse auf eine Zuordnung ergeben. In den Fällen der assoziierten Diskriminierung liegt die anspruchsbegründende Verletzung nicht in der Zerstörung der Nähebeziehung in der Form, dass diese nicht mehr existent ist. Sie ist allein deshalb von Bedeutung, weil es bei der assoziierten Diskriminierung nicht nur darauf ankommen kann, dass der Anspruchsteller wie ein Merkmalsträger behandelt wird, sondern auch darauf, dass er das Merkmal als „eigenes“ empfindet. Dies wird jedoch nur im Falle einer engen emotionalen Bindung zum Merkmalsträger anzunehmen sein:637 Stehen Benachteiligter und Merkmalsträger in einem Näheverhältnis von gewisser Intensität zueinander,638 wird eine assoziierte Diskriminierung vom Benachteiligten 633

Schlussantrag vom 03.01.2008, EuGH, C-303/06. Sutschet, EuZA 2009, 245, 249. 635 F. Hartmann, Staudinger Eckpfeiler, Rn. B 12; ausführlich hierzu auch Bader, Diskriminierungsschutz, S. 268 ff. 636 Vgl. F. Hartmann, Staudinger Eckpfeiler, Rn. B 12; Bayreuther, NZA 2008, 986, 987; andere Tendenzen zeigen sich hingegen in der Rechtsprechung: vgl. EuGH, Urteil v. 16.07.2015 – C-83/14, CHEZ Razpredelenie Bulgaria AD Rn. 55 ff. In diesem Urteil ging es um eine Klägerin, welche sich gegen eine die Volksgruppe Roma diskriminierende Praxis eines Stromversorgers wehrte, ohne selbst dieser Volksgruppe zuzugehören. 637 Bader, Diskriminierungsschutz, S. 271. 638 Über die Anforderungen an die Intensität der Nähebeziehung liegen gegenwärtig noch keine gefestigten Erkenntnisse vor, für erste Ansätze vgl. aber Bader, Diskriminierungsschutz, S. 272. 634

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nicht grundlegend anders empfunden werden, als wenn er selbst Merkmalsträger wäre.639 Auch in den Fällen der assoziierten Diskriminierung bewirkt eine Nähebeziehung daher, dass jemand in seinem eigenen Persönlichkeitsrechtskreis verletzt werden kann, obwohl die im AGG genannten Merkmale eigentlich einer anderen Person anhaften. Wesentlicher Unterschied ist jedoch, dass zwar das Persönlichkeitsrecht, nicht aber in Form der Nähebeziehung Schutzgut des AGG ist – auch nicht bei einer assoziierten Diskriminierung. Das AGG determiniert weder die Nähebeziehung als Rechtsposition, noch schützt sie diese als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Durch das Empfinden einer eigenen Diskriminierung, obwohl ein Dritter Merkmalsinhaber ist, bewirkt diese lediglich, dass der Benachteiligte eben wegen dieser Nähebeziehung in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht im Bereich der Arbeit verletzt werden kann. Sie funktioniert quasi als eine Art Überleitung und erinnert in dieser Form an das Modell Schwintowskis, welcher aufgrund der „Verschmelzung“ sich nahestehender Personen davon ausgeht, dass die Verletzung der einen Person zugleich die Verletzung der anderen bewirke.640 Es ist somit davon auszugehen, dass die besondere Nähebeziehung zwar auch im allgemeinen Gleichbehandlungsrecht eine Rolle spielt, letztlich aber weder der Gesetzgeber noch die Gerichte an dieser Stelle eine Zuordnungsentscheidung getroffen haben. Mangels Vergleichbarkeit der Rolle der Nähebeziehung in den Fällen der assoziierten Diskriminierung und der hier untersuchten Rechtsposition lassen sich aus der Fallgruppe der assoziierten Diskriminierung daher keine Erkenntnisse für eine Zuordnung erzielen. (c) Die Nähebeziehung im Zusammenhang mit dem postmortalen Persönlichkeitsschutz Eine ähnliche Bedeutung der Nähebeziehung findet sich zudem bei Hubmann in Zusammenhang mit dem postmortalen Persönlichkeitsrecht.641 Dieser begründet die Zuordnung der zwischenmenschlichen Beziehungen (zumindest) naher Angehöriger zum Persönlichkeitsrecht mit Blick auf § 22 KUG, der seinerseits eine besondere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstellt.642 Ferner weist Hubmann darauf hin, dass es nach einer Entscheidung des BGH grundsätzlich zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht gehöre zu bestimmen, ob und wie das Andenken eines verstorbenen Angehörigen zu erhalten sei.643 Diese Auffassung werde durch die Regelung des § 22 S. 3 KUG gestützt, nach welcher Bildnisse nach dem Tod des Abgebildeten bis zum Ablauf von 10 Jahren nur mit Einwil-

639

So auch Bader, Diskriminierungsschutz, S. 271. Siehe hierzu bereits oben: Kap. 1, A.III.4. 641 Hubmann, Persönlichkeitsrecht, S. 267. 642 Fricke, Wandtke/Bullinger, UrhG, § 22 KUG Rn. 3. 643 Vgl. die Entscheidung des BGH, NJW 1959, 525 f., in welcher der BGH im Ergebnis jedoch einen Eingriff auf der Ebene der Interessenabwägung verneint. 640

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A. Die Rechtsposition hinter dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld

ligung der Angehörigen verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden dürfen. Hieraus sei zu schlussfolgern, „dass die persönliche Beziehung zu anderen, soweit sie nicht als selbständiges Recht anerkannt ist, durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht gegen Störungen und Beeinträchtigungen geschützt [sei]“.644 Insofern habe § 22 S. 3 KUG einen „Doppelcharakter“, da die Vorschrift sowohl das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Verstorbenen schütze als auch das des überlebenden Angehörigen ausgestalte.645 Dieser Ansatz Hubmanns ist aktuell auch deshalb interessant, weil auf diese Weise zumindest teilweise auch jenen dogmatischen Bedenken begegnet werden kann, die sich mit der Anerkennung des postmortalen Persönlichkeitsschutzes im Zivilrechtssystem ergeben. (aa) Die Entwicklung des postmortalen Persönlichkeitsschutzes Dass „das [allgemeine] Persönlichkeitsrecht […] über den Tod des ursprünglichen Rechtsträgers fort[wirkt]“,646 ist heute weitgehend anerkannt und beruht auf der Erkenntnis, dass immaterielle Belange den Tod eines Menschen überdauern können.647 Nach dem Bemühen einiger Instanzgerichte,648 mit dieser Erkenntnis auch rechtlich umzugehen, setzte sich der BGH erstmals 1968 im Fall Mephisto649 näher mit dem Wesen und den Voraussetzungen dieses Instituts auseinander. Geklagt hatte der Adoptivsohn und Alleinerbe des im Jahr 1963 verstorbenen Schauspielers Gustaf Gründgens gegen den Verlag des Buches „Mephisto – Roman einer Karriere“ von Klaus Mann auf Unterlassung der Verbreitung dieses Werks. Grund hierfür war der Umstand, dass der Sohn durch die Beschreibung des Protagonisten die Persönlichkeitsrechte seines Vaters verletzt sah. Der BGH kam in seiner Entscheidung zu dem Ergebnis, dass auf Grundlage der verfassungsrechtlichen Werteordnung, insbesondere nach der Anerkennung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, nicht davon ausgegangen werden könne,

644 645

Hubmann, Persönlichkeitsrecht, S. 267; ähnlich auch Reinhardt, AcP 153 (1954), 558. Hubmann, Persönlichkeitsrecht, S. 267 Fn. 34; zustimmend etwa Laufs, VersR 1972, 1,

9. 646 So stand es kurze Zeit nach der höchstrichterlichen Anerkennung eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts 1954 als obiter dictum in einem weiteren Urteil des BGH, siehe BGHZ 15, 249, 259 = GRUR 1955, 201, 205 – Cosima Wagner. Aber auch in der Literatur traf ein postmortaler Fortbestand weitgehend auf Zustimmung: vgl. Hubmann, JZ 1957, 521, 528; Koebel, NJW 1958, 936 f.; ablehnend mit Blick auf die „eigenartige[n] Erscheinung, daß echte Rechte persönlicher Natur keinen Rechtsträger haben“ hingegen May, NJW 1958, 2101, 2102 ff. 647 Eine wichtige Rolle bei dieser Erkenntnis spielte wohl die besondere Hervorhebung des Stellenwerts des Einzelnen in der Nachkriegszeit, welche zu dem Schluss führte: „[…] die schutzwürdigen Werte der Persönlichkeit überdauern die Rechtsfähigkeit ihres Subjekts, die mit dessen Tod erlischt.“, BGHZ 15, 249, 259 = GRUR 1955, 201, 204 – Cosima Wagner; vgl. hierzu Schönberger, Postmortaler Persönlichkeitsschutz, S. 6. 648 Vgl. hierzu Schönberger, Postmortaler Persönlichkeitsschutz, S. 6 mit Fn. 8 m.w.N. 649 BGHZ 50, 133 = GRUR 1968, 552 – Mephisto.

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dass der Schutz dieses Rechts zwingend mit dem Tod enden müsse.650 Vielmehr könne „die Rechtsordnung […] Gebote und Verbote für das Verhalten der Rechtsgenossen zum Schutz verletzungsfähiger Rechtsgüter auch unabhängig vom Vorhandensein eines lebenden Rechtssubjekts vorsehen und namentlich Unterlassungsansprüche […] durch jemanden wahrnehmen lassen, der nicht selbst Subjekt eines entsprechenden Rechts ist, wenn der ursprüngliche Träger dieses Rechts durch den Tod die Rechtsfähigkeit verloren hat.“651 Dies gelte gem. § 22 KUG und § 83 UrhG schon lange für die vermögenswerten Bestandteile besonderer, an sich übertragbarer Persönlichkeitsrechte652 und müsse daher nach der verfassungsrechtlichen Werteordnung des Grundgesetzes erst recht für den zwar nicht übertragbaren, aber ggf. ebenso bedeutsamen ideellen Teil des Persönlichkeitsrechts – hier das Ansehen des Verstorbenen – gelten.653 Den sich folglich im konkreten Fall ergebenen Unterlassungsanspruch der Angehörigen stütze das Gericht auf §§ 1004, 823 BGB i.V.m. Art. 2 und 1 GG.654 Die gegen dieses Urteil von Beklagtenseite eingereichte Verfassungsbeschwerde wurde vom BVerfG zurückgewiesen.655 Das BVerfG billigte die Entscheidung des BGH weitgehend und gelangte in seinem Urteil lediglich insoweit zu einem abweichenden Ergebnis, als eine Fortwirkung eines Persönlichkeitsrechts nach dem Tod einer Person zu verneinen sei, da Träger des Grundrechts nach Art. 2 Abs. 1 GG nur ein lebender Mensch sein könne. Art. 1 Abs. 1 GG gebiete es dem Staat aber dennoch, dem Einzelnen auch über den Tod hinaus Schutz gegen Angriffe auf die Menschenwürde zu gewähren; in dem Sinne sei dem Urteil des BGH daher zuzustimmen.656 Seither scheint das deutsche Privatrecht ein wohl einzigartiges657 juristisches Gebilde zu kennen: Rechtliche Ansprüche eines nicht rechtsfähigen Verstorbenen gegen lebende rechtsfähige Personen.658

650

BGHZ 50, 133, 136 = GRUR 1968, 552, 554 f. – Mephisto. BGHZ 50, 133, 137 = GRUR 1968, 552, 554 – Mephisto. 652 Vgl. zum Vermögenswert des Rechts am eigenen Bild BGHZ 20, 345, 352 = GRUR 1956, 427, 429. 653 BGHZ 50, 133, 137 f. = GRUR 1968, 552, 554 – Mephisto. 654 BGH, GRUR 1968, 522, 557 – Mephisto (insoweit nicht in BGHZ 50, 133 abgedruckt). 655 BVerfGE 30, 173 = NJW 1971, 1645 – Mephisto. 656 Vgl. BVerfGE 30, 173, 194 = NJW 1971, 1645, 1647 – Mephisto. 657 Allein in Österreich hat man sich der deutschen Rechtsprechung zum postmortalen Persönlichkeitsrecht angeschlossen, vgl. Rest, MR 2012, 113 ff.; Schnitzer, FS Maresch, S. 383, 384, der den Leichnam als Substrat des postmortalen Rechts des Toten betrachtet. In Frankreich wird ein solches Persönlichkeitsrecht mangels Rechtsfähigkeit der verstorbenen Person hingegen abgelehnt, jedoch wird das Andenken des Verstorbenen über das Persönlichkeitsrecht der Angehörigen mitgeschützt, vgl. hierzu Gleichauf, Das postmortale Persönlichkeitsrecht im internationalen Privatrecht, S. 204 ff., 261 ff., 275 f., 424 f. So auch in der Schweiz, vgl. hierzu eingehend Schönberger, Postmortaler Persönlichkeitsschutz, S. 8 mit Fn. 16, S. 52 ff. 658 In diese Richtung auch Schönberger, Postmortaler Persönlichkeitsschutz, S. 7 f. 651

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A. Die Rechtsposition hinter dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld

(bb) Die Problematik des postmortalen Persönlichkeitsschutzes in der Rechtszuweisungsordnung Es steht außer Frage, dass sich das Erfordernis einer konsistenten Verankerung des postmortalen Persönlichkeitsrechts in der bestehenden Systematik des Zivilrechts nicht mit Berufung auf den möglicherweise ehrbaren Zweck, die Achtung Verstorbener auch über deren Tod hinaus zu schützen, beseitigen lässt. Die im Folgenden noch näher aufzuzeigenden dogmatischen Bedenken bestehen daher auch dann, wenn der BGH sich in seiner fortlaufenden Rechtsprechungspraxis damit begnügt, auf seine Grundsatzentscheidung zu verweisen, und eine dogmatische Einordnung daher weiterhin für entbehrlich hält.659 Wie wenig zufriedenstellend das dogmatische Fundament dieser Rechtsfigur jedoch ist, ergibt sich aus den folgenden Erwägungen, die nicht alleine auf die fehlende Rechtsfähigkeit des Verstorbenen zurückzuführen sind. In einer Rechtszuweisungsordnung ist es, entgegen der Rechtsprechung des BGH, bereits denklogisch nicht möglich, einen Abwehranspruch gem. § 1004 BGB (analog) ohne zugehöriges Substanzrecht zu übertragen.660 Da der gegenständliche ideelle Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aufgrund seines höchstpersönlichen Charakters nach der Rechtsprechung des BGH aber nicht übertragen werden kann,661 muss in der Konsequenz auch ein Übergang des rechtsverwirklichenden Anspruchs nach § 1004 BGB auf die Erben oder Angehörigen ausscheiden. Dies gilt unabhängig von der Frage, ob eine Entstehung des Anspruchs nach § 1004 BGB (analog) bei einem Verstorbenen überhaupt denkbar ist. Auch unter lebenden Personen ist eine isolierte Übertragung des § 1004 BGB ohne zumindest teilweise Abspaltung des Substanzrechts nicht möglich.662 659 Vgl. etwa BGHZ 107, 385, 389 = NJW 1990, 1986, 1987 – Nolde; BGH, GRUR 1984, 907, 908 – Frischzellenkosmetik; Schönberger, Postmortaler Persönlichkeitsschutz, S. 17 m.w.N. 660 Siehe hierzu bereits oben: Kap. 1, A.I.1. 661 Vgl. BGHZ 215, 117, 122 = NJW 2017, 3004, 3005; BGHZ 201, 45, 48 = NJW 2014, 2871 f.; BGHZ 189, 65, 74 = NJW 2011, 2296, 2298. 662 Vgl. hierzu Hoffmann, Zession, S. 60; Henckel, AcP 174 (1974), 97, 126; vgl. für die negatorische Haftung in Bezug auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch Fritzsche, Unterlassungsanspruch, S. 449 f. Eine Unübertragbarkeit ist im Grundsatz zwar nicht für bereits entstandene Schadensersatzansprüche gem. § 823 BGB anzunehmen, da diese wiederum ein eigenes Substanzrecht zuweisen, welches grundsätzlich auch übertragen werden kann (vgl. hierzu bereits oben: Kap. 1, A.II.1.b)). Dies gilt nach der Rechtsprechung des BGH jedoch gerade nicht für monetäre Entschädigungsansprüche wegen einer Verletzung des ideellen Bereichs des (postmortalen) Persönlichkeitsrechts, weil die mit einem solchen Entschädigungsanspruch bezweckte Genugtuung bei dem Verstorbenen nicht mehr erreicht werden könne (vgl. BGHZ 201, 45, 51 = NJW 2014, 2871, 2872 f.; BGHZ 215, 117, 125 f. = NJW 2017, 3004, 3005 f.). Eine Verletzung des postmortalen Persönlichkeitsrechts führt nach der Rechtsprechung des BGH daher grundsätzlich nicht zu einer Geldentschädigung gem. § 823 BGB (vgl. nur BGHZ 165, 203, 206 = ZUM 2006, 211, 212 ff.; aus der Literatur vgl. Klass, Erman BGB I, Anhang zu § 12 Rn. 76). Siehe zur Nichtvererbbarkeit der Ersatzansprüche wegen ideeller Persönlichkeitsrechtsverletzungen auch unter: Kap. 2, B.III.3. a).

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Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus einer (entsprechenden) Anwendung von § 22 Abs. 3 KUG. Zwar wird in der Literatur vertreten, auch § 22 KUG regle lediglich den Achtungsanspruch der verstorbenen Person, welcher über den Tod hinaus dieser zugeordnet bleibe,663 so dass auf Grundlage dieser Regelung ein postmortaler Persönlichkeitsschutz durch Abwehransprüche gewährleistet werden könne, welcher jedoch von Angehörigen i.S.d. § 22 S. 4 KUG durchgesetzt werden müsse.664 Aus diesem Grund beinhalte § 22 S. 3 KUG (auch wenn zumindest der kommerzielle Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auch übertragen und vererbt werden kann665) letztlich weniger eine echte Rechtsnachfolge als vielmehr „eine besondere Art gesetzlicher Prozessstandschaft“.666 Doch auch diese Auffassung vermag die dogmatischen Bedenken nicht zu beseitigen: Prozessstandschaft bedeutet die Befugnis, ein fremdes Recht im eigenen Namen gerichtlich geltend zu machen. Die Fremdheit impliziert dabei jedoch, dass der Verstorbene selbst noch Rechtsträger ist – eine Annahme, die nach geltender Rechtslage nicht möglich ist.667 Zwar regelt das BGB in § 1 BGB lediglich den Beginn der Rechtsfähigkeit;668 dass diese dennoch mit dem Tode endet, gilt als gesicherte Erkenntnis.669 Letztlich ist es daher genauso wenig möglich, einen Verstorbenen als rechtsfähig zu qualifizieren, wie es unmöglich ist, einen Persönlichkeitsrechtsschutz ohne Träger eines Substanzrechts zu konstruieren. Zudem bliebe fraglich, wieso zu Gunsten eines Toten die Handlungsfreiheit eines Lebenden beschränkt werden dürfte, zumal es mangels Rechtsfähigkeit des Toten an einem vorherigen Eingriff in dessen Rechtskreis oder einer Bedrohung und damit an einer Legitimation für einen solchen Zugriff fehlen dürfte. (cc) Bedeutung der Nähebeziehung für den postmortalen Persönlichkeitsschutz und den Anspruch auf das Hinterbliebenengeld Hält man als Ergebnis fest, dass ein Schutz post mortem aus einem eigenen Recht des Verstorbenen wenig plausibel erscheint, kommt folglich nur noch ein (mit663 Beuthien, Persönlichkeitsgüterschutz, S. 83, 84, der davon ausgeht, dass es lediglich um einen Achtungsanspruch der verstorbenen Person geht, welcher auch über den Tod hinaus dieser zugeordnet bleibe. 664 Fritzsche, Unterlassungsanspruch, S. 449. 665 Vgl. BGHZ 143, 214, 220 = GRUR 2000, 709, 712 – Marlene Dietrich; Fricke, Wandtke/Bullinger UrhG, § 22 KUG Rn. 4; Wagner, MüKo BGB, § 823 Rn. 418. 666 Fritzsche, Unterlassungsanspruch, S. 449. 667 Schönberger, Postmortaler Persönlichkeitsschutz, S. 23; vgl. zu den verschiedenen Ansätzen, eine Lösung dieses Problems über die Konstruktion einer postmortalen (Teil-)Rechtsfähigkeit zu finden, dies., Postmortaler Persönlichkeitsschutz, S. 10 ff.; Gleichauf, Das postmortale Persönlichkeitsrecht im internationalen Privatrecht, S. 95 f. 668 Anders ist dies beispielsweise im schweizerischen Recht, in welchem eine ausdrückliche Regelung für Anfang und Ende der Rechtsfähigkeit vorhanden ist, siehe Art. 31 Abs. 1 ZGB „Die Persönlichkeit beginnt mit dem Leben nach der vollendeten Geburt und endet mit dem Tode“. 669 Siehe hierzu bereits oben: Kap. 1, A.III.1.

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telbarer) Schutz des Verstorbenen durch ein eigenes Schutzrecht der Angehörigen in Betracht. Zwar hat sich der BGH bereits mit der Überlegung auseinandergesetzt, ob durch die Herabwürdigung des Verstorbenen zugleich ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Angehörigen erfolgt, welcher sodann auch zu einer Geldentschädigung führen könnte.670 Nach Ansicht des BGH ist dies jedoch lediglich dann anzunehmen, wenn die Persönlichkeitssphäre des Dritten selbst betroffen wird.671 Ungenügend sei es hingegen, „wenn der Dritte sich wegen seiner engen Beziehung zum Dargestellten durch eine Berichterstattung, die ihn selbst weder ausdrücklich noch stillschweigend erwähnt, ,persönlich‘ betroffen fühlt.“672 Jedoch vermögen diese Ausführungen abermals ein dogmatisches Fundament nicht zu ersetzen. Einleuchtender erscheint zumindest unter dogmatischen Gesichtspunkten die Annahme Hubmanns, dass § 22 S. 3 KUG ein eigenes Persönlichkeitsrecht der Angehörigen derart ausgestalte, dass diese aufgrund ihrer Beziehung zum Verstorbenen durch dessen Darstellung eine eigene Verletzung erfahren.673 Insofern würde das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Angehörigen derart erweitert, dass es auch ein Recht der Achtung des Totengedenkens umfasst.674 Auf ein postmortales Persönlichkeitsrecht käme es dann nicht mehr zwingend an.675 Pietätloses Verhalten wäre demnach kein Verstoß gegen eine allgemeine Rechtspflicht zu Gunsten der Toten, es könnte aber durchaus einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht verwandter oder auch nahestehender Personen676 darstellen.677 670 Siehe BGHZ 165, 203, 211 = ZUM 2006, 211, 213 f. In diesem Fall ging es um die Frage, ob der Sohn durch die Ausstrahlung eines Filmbeitrags, in dem der Leichnam seiner Mutter zu sehen ist, in seinem eigenen Persönlichkeitsrecht verletzt wird und folglich eine Geldentschädigung verlangen kann. 671 BGHZ 165, 203, 211 f. = ZUM 2006, 211, 214. 672 BGHZ 165, 203, 213 = ZUM 2006, 211, 214. 673 Hubmann, Persönlichkeitsrecht, S. 267 Fn. 34; in diese Richtung auch Westermann, FamRZ 1969, 561, 567 ff.: „Klagebefugt sind […] alle diejenigen, die zum Verstorbenen in einer menschlichen Beziehung gestanden haben, die es rechtfertigt, sein Andenken als ihre persönliche Angelegenheit, mithin als Teil ihrer Persönlichkeitssphäre anzusehen.“; vgl. ferner auch v. Blume, AcP 112 (1914), 367, 370 ff.; Schönberger, Postmortaler Persönlichkeitsschutz, S. 45 f. m.w.N., der diese Auffassung als „Andenkenschutztheorie“ bezeichnet. 674 Schönberger, Postmortaler Persönlichkeitsschutz, S. 46. 675 So aber Hubmann selbst, der neben einem über § 22 Abs. 1 S. 3 KUG begründetes Persönlichkeitsrecht der Angehörigen auch noch vom Fortbestand eines postmortalen Persönlichkeitsrechts ausging, vgl. dens., Persönlichkeitsrecht S. 342. 676 Dazu, dass menschliche Beziehungen, die nicht auf ein Verwandtschaftsverhältnis i.S.d. § 22 S. 4 KUG beruhen, es verdienen, genauso bewertet zu werden, „sofern sie nur genügend eng sind“, und dazu, dass das „menschliche Verhältnis des Verstorbenen in den Mittelpunkt“ rücken sollte, Westermann, FamRZ 1969, 561, 568. 677 Westermann, FamRZ 1969, 561, 568; May, NJW 1958, 2101 ff., 2104; Schönberger, Postmortaler Persönlichkeitsschutz, S. 46; für eine solche Lösung wohl auch Gleichauf, Das postmortale Persönlichkeitsrecht im internationalen Privatrecht, S. 102. Vergleichbar stellt sich nach allgemeiner Auffassung auch die Rechtslage in der Schweiz dar. Dort scheidet

III. Ansätze zur Bestimmung der Rechtsposition

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Im Ergebnis bietet jedoch auch die Erklärung Hubmanns keine konsistente Erklärung dafür, warum die zwischenmenschliche Beziehung auf Seiten des Angehörigen das Schutzgut sein sollte. Diese wird durch das das Andenken des Toten gefährdende Verhalten überhaupt nicht beeinträchtigt. Vielmehr ist die Person, zu der die Beziehung bestand, bereits zuvor verstorben. Auch hier wird lediglich erneut deutlich, dass die Beziehung zwischen Personen eine Bedeutung für das allgemeine Persönlichkeitsrecht haben kann, und zwar in manchen Konstellationen in Form einer Überleitung. Auch im Rahmen des postmortalen Persönlichkeitsschutzes scheint es somit möglich, dass die Beziehung zwischen Personen bewirkt, dass eine Beeinträchtigung der einen Person bzw. des Achtungsanspruchs des Verstorbenen auch zu einer Verletzung bei den Angehörigen führen kann. Folgt man diesem Ansatz und geht man folglich davon aus, dass den Angehörigen durch das pietätlose Verhalten eine eigene Verletzung droht oder eine solche bereits vorliegt, ist es nur konsequent, wenn den Angehörigen des Verstorbenen Abwehransprüche nach § 1004 BGB zukommen,678 von denen der Verstorbene zweifelsohne, wenn auch nur als Nebenprodukt, mitprofitiert. Insofern ist der von Hubmann angeführte „Doppelcharakter“ der Norm also durchaus gegeben. Eine Zuweisung der Nähebeziehung erfolgt durch § 22 S. 3 KUG jedoch nicht. (d) Zwischenfazit In der Privatrechtsordnung finden sich weder Vorschriften, die das allgemeine Persönlichkeitsrecht in der Form der besonderen Nähebeziehung als Rechtsposition beschreiben, noch hat die Rechtsprechung diesen Bereich näher aufgezeigt. Insofern wäre es daher vorzugswürdig gewesen, wenn sich die Zuweisungsentscheidung in Einklang mit der Systematik des Deliktsrechts bereits aus anderen Rechtsnormen ergeben hätte. Dies hätte durch die Einführung einer gesetzlichen Regelung außerhalb des Deliktsrechts erfolgen können. (2) Die Anerkennung der Nähebeziehung durch die Schutznorm selbst Mit Einführung des § 844 Abs. 3 BGB besteht letztlich aber kein Zweifel an einer grundsätzlichen Zuordnung. Entscheidet sich der Gesetzgeber dazu, ein Schutzrecht zu Gunsten eines Interesses in das Deliktsrecht aufzunehmen, ist diese wegen Art. 31 Abs. 1 ZGB ein eigenes postmortales Recht des Verstorbenen aus, jedoch können sich die Angehörigen aufgrund ihres eigenen Persönlichkeitsrechts (Art. 28 ZGN) gegen Angriffe auf die Achtung des Verstorbenen zur Wehr setzen. Die zwischenmenschliche Beziehung zum Verstorbenen zählt hier zum geschützten Persönlichkeitsgut der Hinterbliebenen. Vgl. zur Rechtslage in der Schweiz Hausheer, FS Wiegand, S. 319, 328; aus der Rechtsprechung siehe BGE 101 II 177, 190 ff.; BGE 109 II 353, 359; BGE 104 II 225, 235 ff.; siehe hierzu ausführlich auch Schönberger, Postmortaler Persönlichkeitsschutz, S. 53 ff. 678 Da es sich dann jedoch um eine eigene Rechtsverletzung der Angehörigen handelt, müsste in der Konsequenz auch eine Geldentschädigung nach § 823 Abs. 1 BGB möglich sein. Vgl. auch Spickhoff, MüKo BGB, § 1 Rn. 57.

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A. Die Rechtsposition hinter dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld

Technik der Zuweisung zwar methodisch unsauber, weil Schutzvorschriften und Zuweisungsvorschrift grundsätzlich voneinander zu trennen sind.679 Geht der Gesetzgeber aber dennoch in der Weise vor, dass er eine neue Rechtsposition im Deliktsrecht schützt, hat er diese damit auch zu einer rechtlich relevanten Position erhoben, die zwingend auch außerhalb des Deliktsrechts den umfänglichen Schutz durch die anderen Schutzmechanismen erhalten muss. Insofern erweist es sich zwar als richtig, aber letztlich nicht weiterführend, wenn von der Literatur angeführt wird, im Falle des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld reagiere die Rechtsordnung „zwar nicht auf eine Rechtsgutsverletzung des Geschädigten“, wohl aber „auf die Verletzung eines Interesses, das durch die Neuregelung für rechtlich relevant erklärt wird“.680 Denn sofern ein Interesse für rechtlich relevant erklärt wird und in der Konsequenz den umfänglichen Schutz erhält, spielt die Unterscheidung zwischen Rechtsgütern und rechtlich relevanten Interessen keine Rolle mehr.681 Bei beiden handelt es sich um Rechtspositionen, die von der Rechtsordnung gleichermaßen für schützenswert befunden werden.682 Im Ergebnis ist daher davon auszugehen, dass § 844 Abs. 3 BGB die besondere Nähebeziehung als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gem. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG zu einer privatrechtlichen Rechtsposition erhebt, welche daher umfänglich, auch über das Deliktsrecht hinaus, von der Rechtsordnung anerkannt ist. (3) Der Einfluss der Entstehungsgeschichte des allgemeinen Persönlichkeitsrechts für die besondere Darstellungsform der Zuordnung Noch nicht beantwortet ist damit die Frage nach dem konkreten Inhalt der Rechtsposition. Wie bereits dargestellt, wurde das zivilrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht von der Rechtsprechung entwickelt bzw. aufgedeckt. Es ist bis heute ein Rechtsinstitut der Rechtsprechung, welches, obwohl der Gesetzgeber im Rahmen der Schuldrechtsmodernisierung die Möglichkeit gehabt hätte, nicht positiviert wurde.683 Insofern verwundert es letztlich nicht, dass sich keine Zuordnungsnomen in den allgemeinen Vorschriften finden. Dass der Gesetzgeber das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch nicht mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften in § 253 Abs. 2 BGB aufgenommen hat, untermauert vielmehr seine Intention, dieses Recht auch weiterhin unmittelbar aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG abzuleiten684 und die genaue Aus679

Siehe hierzu bereits oben: Kap. 1, A.II.1.a)bb). So aber Schubert, Karlsruher Forum 2016, S. 31; sich anschließend Katzenmeier, JZ 2017, 869, 871 f. 681 Siehe hierzu bereits oben: Kap. 1, A.I.1. 682 Vgl. Hoffmann, Zession, S. 39; siehe hierzu auch Malitzky, Begriff des subjektiven Rechts, S. 20 ff. 683 Eine Ausnahme bildet wie erwähnt das AGG, welches zumindest einen Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts regelt. 684 BT-Drs. 14/7752, S. 24 f.; vgl. auch v. Bar, Karlsruher Forum 2003, S. 11; Jaeger/Luckey, Schmerzensgeld, Rn. 589; S. Müller, Schmerzensgeldbemessung, S. 54. 680

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gestaltung der Rechtsprechung zu überlassen. Insofern ist es geradezu charakteristisch für die Zuordnung des privatrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts, dass diese nicht umfänglich durch die Privatrechtsordnung erfolgt, sondern sich vielmehr aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG ergibt und der genaue Inhalt von der Rechtsprechung aufgedeckt wird.685 Für weite Teile des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bestand daher, insbesondere nach der Anerkennung durch das BVerfG,686 auch gar kein Bedürfnis mehr, eine positive Regelung zu schaffen, weil die Gerichte bereits für einen ausreichenden Schutz gesorgt hatten. Dies gilt jedoch nicht für den spezifischen Bereich, der durch die Tötung einer nahestehenden Person beim Hinterbliebenen verletzt wird. Hier haben es die Gerichte bisher unterlassen, einen Anspruch wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Hinterbliebenen aus § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG zu gewähren, was den Gesetzgeber letztlich dazu bewogen haben dürfte, eine Regelung zum Schutz für diesen Bereich zu erlassen.687 Die konkrete Ausgestaltung der Nähebeziehung bleibt aber, wie es in der Natur des allgemeinen Persönlichkeitsrechts liegt, den Gerichten und der Wissenschaft überlassen.688 Insofern ist es in Zusammenhang mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht zumindest nicht neu, dass sich die Zuordnungsentscheidung nicht aus den allgemeinen Bestimmungen entnehmen lässt, sondern die konkrete Ausgestaltung Aufgabe der Rechtsprechung bleibt.689 bb) Umfassender Schutz vor Einwirkungen – Die Ausschlussfunktion der Nähebeziehung Nach herkömmlicher Auffassung ist es Merkmal einer absoluten Rechtsposition, dass diese von jedermann zu achten ist und der Positionsinhaber andere Rechtssubjekte vor jeder Einwirkung ausschließen kann.690 Nur der Rechtsinhaber darf frei über die Rechtsposition entscheiden, „nach Belieben verfahren“ und über ihre Verletzung und Gefährdung entscheiden.691 Dieses Merkmal verlangt bei der 685 Siehe zur Rolle der Rechtsprechung bei der Zuweisung von Rechtspositionen oben: Kap. 1, A.II.2. 686 BVerfGE 34, 269 = NJW 1973, 1221 ff. 687 Indem der Gesetzgeber diese Regelung nunmehr in § 844 BGB und nicht, wie oftmals gefordert in § 253 BGB eingefügt hat (vgl. Diederichsen, DAR 2011, 122), vermied er es folglich erneut, (unwissentlich) der Rechtsprechung in den Rücken zu fallen und einen monetären Anspruch wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in § 253 BGB zu verorten. 688 Dazu, dass es Aufgabe der Rechtsprechung bleibt, den Inhalt der besonderen Nähebeziehung zu bestimmen siehe Bredemeyer, ZEV 2017, 690, 691; Burmann/Jahnke, NZV 2017, 405 m.w.N. 689 Vgl. v. Gierke, Deutsches Privatrecht III, S. 891. 690 Vgl. Larenz/Canaris, SchuldR BT II/2, § 76 I S. 373; Wagner, MüKo BGB, § 823 Rn. 188; vgl. exemplarisch auch den Wortlaut von § 903 S. 1 BGB; siehe zur Ausschlussfunktion einer Rechtsposition allgemein oben: Kap. 1, A.II.1.a)aa)(1). 691 Larenz/Canaris, SchuldR BT II/2, § 76 I S. 374.

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besonderen Nähebeziehung jedoch genaueres Hinsehen: Zum einen sind für eine besondere Nähebeziehung immer mindestens zwei Personen erforderlich. Insoweit liegt es in der Natur dieser Rechtsposition, dass diese keine Ausschlusskomponente gegenüber jedermann hat, ein Exklusivbereich im Sinne eines Monopols also nicht vorliegt. Vielmehr kommt es auf eine gewisse Gegenseitigkeit der sich nahestehenden Personen an.692 Zum anderen ist die Nähebeziehung auf unterschiedlichste Art gefährdet. Auch durch das Eindringen Dritter, zum Beispiel durch die Geliebte des Ehemanns oder Partners, ist eine Bedrohung der Nähebeziehung denkbar, ohne dass dies umfänglich untersagt werden könnte. Gegen diese Bedenken lässt sich jedoch anführen, dass es dem Gesetz keineswegs fremd ist, dass mehrere Personen gemeinsam eine Rechtsposition begründen und zwischen diesen die Ausschlussfunktion keine Wirkung entfaltet. Selbst beim Paradebeispiel Eigentum ist dies möglich, was ein Blick auf §§ 1008 ff. BGB zeigt. Auch hier existiert die subjektive Rechtsposition des Miteigentums zwischen mindestens zwei Rechtssubjekten gemeinsam. Noch deutlicher dürfte diese Möglichkeit zudem am räumlich-gegenständlichen Ehebereich werden,693 bei dem es sich nach verbreiteter Ansicht um ein absolutes Recht handelt,694 das denklogisch jedoch lediglich zwischen zwei Personen gemeinsam entstehen kann. Aus diesen Beispielen ist daher der Schluss gerechtfertigt, dass das Erfordernis des „Jedermann-Ausschlusses“ nicht wörtlich zu verstehen ist, sondern nur die Rechtssubjekte erfasst werden, die nicht zumindest „Mitrechtspositionsinhaber“ sind. Ferner steht auch die Tatsache, dass die besondere Nähebeziehung nicht umfänglich vor jeder Einwirkung durch Dritte bewahrt werden kann, der prinzipiellen Ausschlusskomponente der Nähebeziehung nicht entgegen. Denn es ist nicht erforderlich, dass ein Recht „umfassend gegen jeden denkbaren Angriffsakt“695 geschützt wird.696 Auch das Eigentum ist, wie z.B. das Grundstück im Nachbarrecht, erheblichen zulässigen Einwirkungen ausgesetzt.697 Ferner gibt es sogar gesetzliche Regelungen, welche die Zuordnung zu einer Person ändern können, wofür der gutgläubige Erwerb ein Beleg ist.698 Insofern spiegelt die Aus-

692

Zu den konkreten Anforderungen an die Nähebeziehung siehe auch unter: Kap. 2,

B.I.2. 693 Zum räumlich-gegenständlichen Bereich der Ehe siehe z.B. Spindler, BeckOGK BGB, 01.08.2020, § 823 Rn. 178. 694 Nach anderer Ansicht handelt es sich auch beim räumlich-gegenständlichen Ehebereich um einen Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, vgl. etwa Coing, JZ 1952, 688, 690; Wagner, MüKo BGB, § 823 Rn. 301; a.A. etwa Baston-Vogt, Persönlichkeitsrecht, S. 462. Die rechtliche Einordnung des räumlich-gegenständlichen Ehebereichs ändert im Ergebnis jedoch nichts daran, dass auch dieses Recht nur in Verbindung mit dem Ehepartner entstehen kann. 695 v. Caemmerer, FS Deutscher Juristentag, S. 49, 90 Fn. 181. 696 Deutsch, JZ 1963, 385, 389; Pfister, JZ 1976, 156, 157. 697 Deutsch, JZ 1963, 385, 389; vgl. nur § 906 BGB. 698 Deutsch, JZ 1963, 385, 389; BGH, JZ 1956, 490.

III. Ansätze zur Bestimmung der Rechtsposition

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schlussfunktion immer nur die getroffene Zuordnungsentscheidung. Der Ausschuss ist Folge der Zuordnung.699 Nur so weit die Rechtsposition reicht, können auch andere von der Einwirkung ausgeschlossen werden.700 Sind die Grenzen einer Rechtsposition jedoch erreicht, gibt es keinen Anlass, einen Dritten weitergehend in seiner Handlungsfreiheit zu beschränken. Diese Grundsätze gelten selbstredend auch für eine besondere soziale Beziehung als geschützte Position. Zwar ist eine Störung der besonderen Nähebeziehung auch durch „eindringende Dritte“, beispielsweise den Geliebten oder die Geliebte in eine Paarbeziehung, denkbar, ohne dass der andere Teil der Beziehung dies mittels rechtlicher Schutzmechanismen untersagen könnte.701 Der Partner ist vielmehr – zumindest in rechtlicher Hinsicht – frei darin, sich neuen Beziehungen zu öffnen und diese zu leben, weshalb ein Ausschluss anderer vor „jeder Einwirkung“ letztlich nicht gegeben ist.702 Zu berücksichtigen ist jedoch, dass die Ausschlusskomponente nicht ohne die Zuordnungsentscheidung betrachtet werden kann und es in der Natur dieser Rechtsposition liegt, dass diese nur zwei Personen gemeinsam zugewiesen sein kann. Entscheidet sich der eine Teil freiwillig, die Beziehung zu gefährden oder aufzugeben, hat dies eben auch Konsequenzen für den anderen Positionsinhaber. Das Zerbrechen von Beziehungen ist Bestandteil des allgemeinen Lebensrisikos, weshalb das Recht nicht den unbegrenzten Fortbestand umfasst. Zudem zählt es zu den Besonderheiten des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, dass dieses nicht umfänglich vor jeglichem Eingriff bewahrt werden kann.703 Es ist vielmehr geradezu charakteristisch, dass sein Inhaber gewisse Beeinträchtigungen hinzunehmen hat und nicht jede Störung eine Verletzung bedeutet, die abgewehrt werden könnte.704 699 Pfister, JZ 1976, 156, 157; i.d.S. auch Canaris, FS Steffen, S. 85, 90; Larenz, SchuldR AT I, § 33 III S. 574; grundlegend insoweit auch schon Löbl, AcP 129 (1928), 257, 293 f. 700 Diese Sichtweise bietet beispielweise auch eine Erklärung dafür, weshalb der Eigentümer es grundsätzlich hinnehmen muss, dass z.B. sein Haus fotografiert wird (solange das Haus frei einsehbar ist und das Foto nicht verbreitet wird, vgl. Wagner, MüKo BGB, § 823 Rn. 226), eine Person sich hingegen nicht gegen ihren Willen ablichten lassen muss (vgl. BVerfG, NJW 2005, 883) – es ist die Reichweite der Zuordnung, die variiert. 701 Mit Ausnahme im Bereich des soeben erwähnten räumlich-gegenständlichen Ehebereichs. 702 Insofern sei darauf hingewiesen, dass die Rechtsposition der besonderen Nähebeziehung keinesfalls so weit reichen muss, dass der eine Teil gegenüber dem anderen ein Recht auf fortlaufende Integrität der Beziehung hat. Mit diesem Argument gegen einen Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts für familiäre Beziehungen etwa Baston-Vogt, Persönlichkeitsrecht, S. 462, der, was gar nicht erst bestritten werden soll, argumentiert, dass eine solche Pflicht zur Aufrechterhaltung einer privaten Lebensgemeinschaft eher eine Beeinträchtigung als eine Verstärkung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts begründen würde. Vgl. insofern zur Achtung der Entscheidungsfreiheit auch des „ausbrechenden“ Partners Esser, SchuldR BT II, § 107 II 2 b, S. 405. 703 Vgl. zu dieser Problematik für das allgemeine Persönlichkeitsrecht generell Löffler, NJW 1959, 1, 3 ff.; ähnlich auch Koebel, NJW 1955, 1337, 1338; Rötelmann, AcP 160 (1961), 366, 377. 704 S. Gottwald, Persönlichkeitsrecht, S. 190.

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A. Die Rechtsposition hinter dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld

Anders ist es jedoch bei einer Tötung der nahestehenden Person. Hier wird die Rechtsposition nicht freiwillig von einem Partner aufgegeben, sondern gänzlich und unwiederbringlich zerstört. Der Verlust einer nahestehenden Person durch fremdverursachten Tod ist deutlich einschneidender und kann als solcher nicht mehr dem allgemeinen Lebensrisiko zugeordnet werden, welches einfach hingenommen werden muss. Eine solcher Eingriff in die Nähebeziehung wiegt so schwer, dass auch die Ausschlussfunktion des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gegeben ist. Daraus ergibt sich, dass entsprechend der Zuordnungsentscheidung durch § 844 Abs. 3 BGB der Ausschlusscharakter der besonderen Nähebeziehung zumindest hinsichtlich der Einwirkung durch Tötung gegeben ist. Droht die Tötung einer Person, kann die besonders nahestehende Person vom Schädiger aufgrund ihrer Rechtsposition verlangen, die Tötung zu unterlassen, weil diese Tötung zugleich die Verletzung ihrer besonderen Nähebeziehung als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bedeuten würde. Dies ist nicht als zu weitreichend anzusehen. Vielmehr erscheint es geradezu zwingend, dass beispielsweise das Kind vom Schädiger verlangen kann, die Mutter nicht zu töten, weil das Kind durch diese Handlung selbst in seiner weiteren persönlichen Entwicklung beeinträchtigt würde. Im Ergebnis ist der Ausschlusscharakter der besonderen Nähebeziehung als Bestandteil des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts daher zu bejahen. cc) Die sozialtypische Offenkundigkeit der Nähebeziehung Nicht auf den ersten Blick ersichtlich ist die sozialtypische Offenkundigkeit der Nähebeziehung. Diese ist jedoch erforderlich, weil § 844 Abs. 3 BGB den Schutz anders als beispielsweise § 826 BGB nicht an eine subjektive Erkennbarkeit knüpft und auch sonst keine Verhaltensregel statuiert.705 Dass die Nähebeziehung für den Schädiger nicht sofort offensichtlich ist, liegt vor allem daran, dass es kein körperliches Substrat dieser Rechtsposition gibt, welches für den potentiellen Schädiger wahrnehmbar wäre.706 Jedoch bedeutet dies nicht, wie im Folgenden aufgezeigt werden soll, dass die sozialtypische Offenkundigkeit ohne Weiteres abzulehnen wäre.707 Für die Frage nach der Erkennbarkeit der Rechtsposition kommt es auf das zugrunde gelegte Verständnis der sozialtypischen Offenkundigkeit an. Insofern wurde bereits dargestellt, dass die Gedankenreflexion nicht 705

Siehe hierzu bereits oben: Kap. 1, A.II.1.a)aa)(2). Ein Stammbaum, ein Ehe-, Lebenspartner- oder Geburtenregister reichen für die Annahme eines äußeren Anzeichens nicht aus, weil der Schädiger diese Inhalte regelmäßig nicht kennen wird, vgl. Fabricius, AcP 160 (1961), 273, 318. Zudem soll es für die Nähebeziehung als Schutzgut, wie bereits dargestellt, gerade nicht auf ein formales Angehörigenverhältnis ankommen. 707 So für das allgemeine Persönlichkeitsrecht generell aber Rixecker, MüKo BGB, Anhang zu § 12 Rn. 12. 706

III. Ansätze zur Bestimmung der Rechtsposition

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lediglich durch die Wahrnehmung eines gegenständlich verkörperten Bezugsobjekts ausgelöst werden kann, sondern bei einem „geistig-soziologischen“ Verständnis auch aufgrund kultureller Prägung.708 Es genügt daher, dass der potentielle Schädiger aufgrund der Kulturauffassung mittels einfacher Gedankenreflexionen auf die berechtigten Interessen des Rechtsinhabers schließen kann.709 Die besondere Nähebeziehung ist aber zumindest objektiv für den potenziellen Schädiger erkennbar. Denn auch das durchschnittliche Rechtssubjekt wird aufgrund unseres Kulturbewusstseins alleine von der körperlich-geistigen Existenz des Menschen auf dessen Interessen schließen können und damit auch auf das Interesse am Bestand seiner sozialen Beziehungen.710 Auch diese sind unmittelbar mit der Existenz des Menschen als soziales Wesen verbunden und daher im Wege einfacher Gedankenreflexion erkennbar. Mit anderen Worten, der Totschläger wird damit rechnen müssen, dass er durch die Tötung eines Menschen auch in die persönlichen Verhältnisse der nahestehenden Personen eingreift.711 Zwar wird der Schädiger vor allem dann, wenn er die getötete oder verunfallte Person nicht kannte, die konkreten Nähebeziehungen nicht mittels Gedankenreflexion überblicken können; hierauf kommt es jedoch auch nicht entscheidend an. Für die Begründung der Schutzwürdigkeit eines Rechtsguts reicht es vielmehr aus, dass typischerweise vom Kundbarkeitszeichen auf das Vorhandensein eines Rechts geschlossen werden kann.712 Im Ergebnis ist somit davon auszugehen, dass eine sozialtypische Offenkundigkeit einer Nähebeziehung zwischen Personen anzunehmen ist.

708

Siehe hierzu bereits oben: Kap. 1, A.II.1.a)aa)(2)(a). Als Beispiel nennt Fabricius an dieser Stelle die „Ehre“, welche nicht gegenständlich verkörpert ist, deren Schutzwürdigkeit sich jedoch aus unserer kulturellen Auffassung über das Ehrgefühl einer Person ergibt, AcP 160 (1961), 273, 292; so ferner auch Hubmann, Persönlichkeitsrecht, S. 142, der zudem zu bedenken gibt, dass letztlich auch das Eigentum als solches nicht offenkundig ist. Zwar sei die Sache als solche für alle sichtbar, aber ob sie jemandem gehöre oder herrenlos ist, könne niemand erkennen. Auch die besondere Verbindung zwischen einer Person und einer Sache, die als Eigentum bezeichnet wird, ist als „geistiger Gehalt“ nicht sichtbar, aber aufgrund der Kulturauffassung allen bekannt. Nur für denjenigen, der in dieser Kultur aufgewachsen ist, sei es selbstverständlich, dass Sachen im Eigentum von jemandem stehen. 710 Vgl. Fabricius, AcP 160 (1961), 273, 294; in diese Richtung auch Weimar, MDR 1963, 887, 888. 711 In diese Richtung auch Schips, Schmerzensgeld, S. 152; Schramm, Haftung für Tötung, S. 378. 712 Fabricius, AcP 160 (1961), 273, 320, der an dieser Stelle darauf abstellt, dass auch bei den klassischen Rechten Fälle denkbar sind, in denen es an einer subjektiven Offenkundigkeit im Einzelfall fehle, wie z.B. wenn der Baggerführer bei Bodenarbeiten ein in der Erde verlegtes, nicht sichtbares Kabel beschädigt. 709

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A. Die Rechtsposition hinter dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld

dd) Zwischenergebnis Da die besondere Nähebeziehung sowohl eine Zuordnungs- als auch eine Ausschlussfunktion hat und zudem auch die sozialtypische Offenkundigkeit dieses Bereichs gegeben ist, ist sie als absolute Rechtsposition einzuordnen und zu schützen. e) Die Besonderheiten des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und ihre Vereinbarkeit mit dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld Steht nunmehr fest, dass auch das zivilrechtliche Persönlichkeitsrecht die zwischenmenschliche Nähebeziehung erfasst, bleibt noch zu überprüfen, ob das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch hinsichtlich seiner Rechtsnatur geeignete Rechtsposition des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld sein kann. Diese Frage stellt sich deshalb, weil das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach verbreiteter Auffassung einige Besonderheiten aufweist, deren Einklang mit der Anwendung des hier gegenständlichen Anspruchs zu überprüfen sind. aa) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht – ein „Rahmenrecht“? Eine dieser Besonderheiten ist die zugesprochene Eigenschaft als „Rahmenrecht“713. Aufgrund der generalklauselartigen Weite des allgemeinen Persönlichkeitsrechts könne nicht jede Verletzung dieses Rechts die Rechtswidrigkeit indizieren, was dazu führt, dass bei einem Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht eine umfassende Güter- und Interessenabwägung vorgenommen wird, um die Rechtswidrigkeit positiv feststellen zu können.714 Seit dieser gefestigten Rechtsprechung des BGH gilt es vielerorts als sichere Erkenntnis, dass ein widerrechtlicher Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht nur dann vorliegt, wenn die Würdigung aller Umstände des Einzelfalls und eine umfassende Güterund Interessenabwägung dieses Ergebnis decken.715 Diese Besonderheit sei in Zusammenhang mit dem Hinterbliebenengeld jedoch deshalb unpassend, weil es im Falle einer zum Tode eines Menschen führenden Handlung nicht auf eine Abwägung widerstreitender Interessen ankommen könne.716 Trennt man jedoch zwischen der Rechtsposition Leben der Bezugsperson und dem Interesse des Hinterbliebenen an der Nähebeziehung, ist zu – 713 Der Begriff dürfte auf Fikentscher zurückgehen, vgl. Larenz/Canaris, SchuldR BT II/2, § 80 III S. 518 Fn. 99; vgl. ferner Wagner, MüKo BGB, § 823 Rn. 417. 714 BGHZ 13, 334 = NJW 1954, 1404; siehe ferner BGHZ 35, 363 = NJW 1961, 2059; BGH, NJW 2010, 1533 ff.; BGHZ 199, 237 = NJW 2014, 2029; vgl. ferner Ehrmann, JuS 1997, 193, 196; Hager, Staudinger BGB, § 823 Rn. C 17; Wandt, Gesetzliche Schuldverhältnisse, S. 308 Rn. 60. In den Medienfällen, die für das allgemeine Persönlichkeitsrecht von gehobener Bedeutung sind, spielen hier insbesondere gegenläufige Interessen wie die allgemeine Meinungsfreiheit oder Pressefreiheit eine wichtige Rolle. 715 Vgl. Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, Rn. 615; Pflüger, Schmerzensgeld, S. 146; Specht-Riemenschneider, BeckOGK BGB, 01.08.2020, § 823 Rn. 1397 ff. 716 Pflüger, Schmerzensgeld, S. 147 f.; zustimmend Behr, Schmerzensgeld und Hinterblie-

III. Ansätze zur Bestimmung der Rechtsposition

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berücksichtigen, dass sich lediglich das Interesse des Hinterbliebenen und jenes des Verletzers gegenüberstehen. Dass durch die Verletzungshandlung zugleich das Leben der Bezugsperson beendet wird, ist für diese Interessenabwägung im Grunde nicht relevant. Allein aus der Koinzidenz der beiden Rechtsverletzungen folgt nicht, dass die Bedeutung des Rechtsguts Leben in die Interessenabwägung miteinfließen müsste. Zwar leuchtet es ein, dass die Tötung aufgrund der besonderen Bedeutung des menschlichen Lebens nicht mit anderen Interessen abwägbar ist. Die Handlungsfreiheit des Schuldners wird hier niemals überwiegen. Diese Gewichtung der Interessen ist jedoch nicht auf die Nähebeziehung als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts einerseits und das Interesse des Verletzers andererseits zu übertragen. Zudem wird bei genauerer Betrachtung deutlich, dass eine solche Interessenabwägung dem Persönlichkeitsrecht nicht zwingend immanent ist und sich das allgemeine Persönlichkeitsrecht gar nicht so sehr von anderen deliktsrechtlich geschützten Rechtspositionen unterscheidet wie oftmals angenommen. Das strikte Festhalten an der besonderen Relevanz der Interessenabwägung führt vielmehr zu einer Überhöhung dieser Besonderheit, die im Widerspruch zu ihrer entwicklungsgeschichtlichen Bedeutung steht.717 Es ist daher in Erinnerung zu rufen, warum die Voraussetzung eines überwiegenden Interesses überhaupt gefordert wird. Zum einen ist sie zur Beschränkung der „unüberschaubaren Weite“ des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erforderlich und zum anderen aufgrund der enormen Schwierigkeiten, die Grenzen zwischen dieser subjektiven Rechtsposition und der Handlungsfreiheit des Schädigers überhaupt wahrzunehmen.718 Der Zweck der Abwägung besteht lediglich darin, eine Ausuferung der Haftungen wegen des oftmals unterstellten generalklauselartigen Charakters des Persönlichkeitsrechts zu verhindern und die Grenzen des Erlaubten herauszuarbeiten.719 Weitergedacht bedeutet dies jedoch, dass die Interessenabwägung nur dann eine eigenständige Bedeutung haben kann, wenn es an einer Präzisierung auf Tatbestandsebene fehlt.720 Ist hingegen der Schutzbereich der Rechtsposition eindeutig und sozialtypisch offenkundig, ergibt sich bereits aus der Verletzung die Indikation der Rechtswidrigkeit.721 Jedenfalls in jenen Fällen, in denen eine gebenengeld, S. 230; in diese Richtung wohl auch Staudinger, DAR 2012, 280, 284, der ein „Angehörigenschmerzensgeld“ auf Grundlage des allgemeinen Persönlichkeitsrechts wegen dessen Eigenschaft als Rahmenrecht ablehnt. 717 So auch Bader, Diskriminierungsschutz, S. 148. 718 Bader, Diskriminierungsschutz, S. 149; Larenz/Canaris, SchuldR BT II/2, § 80 III S. 498. 719 So führt der BGH aus: „Gerade wenn eine sogenannte Güter- und Interessenabwägung stattfinden muß, ist die Grenze des Erlaubten nicht immer leicht festzustellen“, BGHZ 35, 363, 368 = NJW 1961, 2059, 2060. 720 So auch Larenz/Canaris, SchuldR BT II/2, § 80 III S. 498 f.; vgl. auch Katzenstein, Jura 2004, 1, 5. 721 Wiese, FS Duden, S. 719, 724; vgl. ferner auch Larenz/Canaris, SchuldR BT II/2, § 80 III S. 518; Hager, Staudinger BGB, § 823 Rn. C 17.

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A. Die Rechtsposition hinter dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld

setzliche Normierung besteht, welche die Position näher konkretisiert und die Grenzen des rechtlich Erlaubten festlegt, ist die Gefahr der Uferlosigkeit gebannt.722 Dies zeigt auch ein Blick auf die besonderen Persönlichkeitsrechte wie das Namensrecht oder das Urheberpersönlichkeitsrecht, bei welchen eine Abwägung entbehrlich ist. Für eine umfassende Güter- und Interessenabwägung bleibt dann weder ein Bedürfnis noch Raum, denn das Überschreiten der Grenzen des zugeordneten Rechts indiziert für sich bereits die Rechtswidrigkeit.723 Anders als befürchtet, stellt sich das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch nicht als eine verkappte Generalklausel heraus,724 die, um eine gänzliche Öffnung des Deliktsrechts zu verhindern, zusätzlicher Einschränkungen bedarf. Die Entwicklung des Persönlichkeitsrechts in den letzten Jahren hat vielmehr gezeigt, dass es sich um einzelne Gruppen handelt, die sich tatbestandlich durchaus fassen lassen.725 Auch wenn das Persönlichkeitsrecht stets offen für neue Bereiche ist und mit Einführung des Hinterbliebenengelds ein neuer hinzugetreten ist bzw. aufgedeckt wurde, hat sich die Befürchtung der unkontrollierten Ausweitung dieses Rechts bisher nicht bestätigt.726 Auch erscheint es fraglich, womit überhaupt begründet werden könnte, dass bei „sonstigen Rechten“ eine Güter- und Interessenabwägung erforderlich sein soll, wenn dies bei den anderen in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechtsgütern und Rechten nicht der Fall ist. Ein diese Ungleichbehandlung rechtfertigender Grund ist nicht ersichtlich. Es erscheint vielmehr erstrebenswert, die einzelnen Rechtspositionen bereits auf Tatbestandsebene so herauszuarbeiten, dass ein Eingriff die Rechtswidrigkeit indiziert und eine Interessenabwägung im Einzelfall vermieden werden kann. Insofern müssen Rechtspositionen nur klar definiert sein, damit die Struktur der automatischen Rechtswidrigkeit auch im Rahmen von § 823 Abs. 1 BGB beibehalten werden kann.727 Die Interessenabwägung ist somit nicht zwingende Voraussetzung bei der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, sondern vielmehr Mittel zur Vermeidung einer ausufernden Beschränkung der Handlungsfreiheit. Ist jedoch von vornherein klar, dass die Handlungsfreiheit hinter dem beeinträchtigten Schutzgut zurücktritt, bedarf es auch einer Güter- und Interessenabwägung nicht. Insofern ist die Güter- und Interessenabwägung dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht also nicht immanent.728 722

Bader, Diskriminierungsschutz, S. 101, 149. Larenz/Canaris, SchuldR BT II/2, § 80 III S. 518. 724 So aber noch Ehmann, JuS 1997, 193, welcher die Sorge äußerte, durch die Weite des allgemeinen Persönlichkeitsrechts würde letztlich der Rechtsanwender zum „Gesetzgeber“ befördert. Vgl. zur Abgrenzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als „vordringliche Aufgabe der Rechtswissenschaft auch Hubmann, Persönlichkeitsrecht, S. 155 ff. 725 Vgl. hierzu auch Wagner, MüKo BGB, § 823 Rn. 417. 726 So vor Einführung des Hinterbliebenengelds auch Larenz/Canaris, SchuldR BT II/2, § 80 III S. 519. 727 So auch Peukert, Güterzuordnung, S. 251. 728 Dies zeigt sich auch bei einem Blick auf das AGG, das ebenso das allgemeine Persön723

III. Ansätze zur Bestimmung der Rechtsposition

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Diese Auffassung steht zudem in Einklang mit Bestrebungen in der Literatur, die unterschiedlichen Schutzbereiche des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu einzelnen speziellen Persönlichkeitsrechten zu verdichten, die dann nicht mehr wie Rahmenrechte behandelt werden müssen, sondern wie die im Gesetz ausdrücklich genannten Rechtsgüter eingeordnet werden können.729 Denn auch bei den in § 823 Abs. 1 BGB ausdrücklich genannten Rechtsgütern Körper, Gesundheit und Freiheit handelt es sich lediglich um „partikulare Ausprägungen eines umfassenden Persönlichkeitsschutzes“,730 welche im Gegensatz zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht jedoch eine ausdrückliche Beschreibung erfahren haben. Aber auch wenn die Abwägung widerstreitender Interessen als zwingend notwendig vorausgesetzt wird, um die Rechtswidrigkeit der Verletzung festzustellen, steht dies der grundsätzlichen Annahme einer besonderen Nähebeziehung als Rechtsposition nicht entgegen. Die Handlungsfreiheit des potentiellen Schädigers, der die Nähebeziehung bedroht, wird jedoch lange Zeit überwiegen. Wie bereits dargestellt, gehört es zum allgemeinen Lebensrisiko, dass Beziehungen durch das Eindringen Dritter gefährdet oder zerstört werden. In diesen Fällen kann der Persönlichkeitsrechtsinhaber mangels Überwiegens seiner Interessen vom Schädiger weder Unterlassen noch Schadensersatz verlangen. Erfolgt der Eingriff jedoch durch Tötung,731 schlägt die Interessenabwägung zugunsten des Persönlichkeitsrechtsinhabers um und es kann aufgrund der Schwere des Eingriffs kein Zweifel mehr daran bestehen, dass sein Interesse gegenüber dem Freiheitsinteresse überwiegt und der Eingriff somit rechtswidrig ist. Ist die Grenze zwischen dem Überwiegen der Handlungsfreiheit und dem Überwiegen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts jedoch so deutlich oder gar auf einen Punkt zu reduzieren, erscheint es regelungstechnisch sinnvoll, diesen Punkt auch im Gesetz zu benennen und damit die ohnehin auf dasselbe Ergebnis hinauslaufende Einzelfallentscheidung vorwegzunehmen. Eine Abwägung ist daher nur erforderlich, sofern es an einer gesetzlichen Wertung fehlt.732 Im Falle des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld kann auf sie jedoch verzichtet werden.

lichkeitsrecht ausgestaltet. Auch hier ist im Falle einer Verletzung eine umfassende Güterund Interessenabwägung nicht erforderlich, vgl. Bader, Diskriminierungsschutz, S. 149. 729 Larenz/Canaris, SchuldR BT II/2, § 80 II S. 498 f., § 80 III S. 517 ff.; Wagner, MüKo BGB, § 823 Rn. 195, 417 zu einer Differenzierung nach Schutzgütern; vgl. für konkrete Beispiele auch J. Neuner, JuS 2015, 961 ff., insb. 966, 967; dens., ZfPW 2015, 257, 267 ff. 730 Vgl. Bernhard, FS Picker, S. 83, 108; Wagner, MüKo BGB, § 823 Rn. 195; so ausdrücklich auch Fuchs, Deliktsrecht, S. 41 f. 731 Ob nicht auch die schwere Verletzung der Bezugsperson ausreichend sein sollte, wird an anderer Stelle noch zu erörtern sein, siehe hierzu: Kap. 2, A.II. 732 So auch J. Neuner, ZfPW 2015, 257, 268.

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A. Die Rechtsposition hinter dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld

bb) Die Dispositionsbefugnis Ebenso wenig steht die Argumentation Pflügers der hier vorgenommenen Einordnung entgegen, ein Anspruch des Hinterbliebenen könne nicht wegen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung eingeräumt werden, weil der Rechtsinhaber bei den übrigen persönlichkeitsrechtlichen Fallgruppen darüber disponieren könne, ob und wie weit in seine Persönlichkeitsrechtssphäre eingegriffen werden darf.733 Eine solche Dispositionsbefugnis habe der Angehörige über die ihn lediglich reflexartig treffende Trauer und das seelisches Leid jedoch gerade nicht.734 Einerseits ist bereits fraglich, ob tatsächlich immer über das allgemeine Persönlichkeitsrecht disponiert werden kann.735 Zweifel an dieser grundsätzlichen Aussage rühren insbesondere daher, dass sich das allgemeine Persönlichkeitsrecht sowohl aus Art. 2 Abs. 1 GG als auch aus Art. 1 Abs. 1 GG zusammensetzt, die Würde des Menschen aber keinesfalls disponibel ist. Je nachdem, welcher Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts also betroffen ist und welcher Artikel im konkreten Fall in den Vordergrund rückt, wirkt sich dies daher auch auf die Reichweite der Disponibilität dieses Rechts aus. Zudem führt auch an dieser Stelle eine saubere Trennung zwischen Rechtsverletzung und Schaden zu einem abweichenden Ergebnis. Unabhängig davon, ob es jedem Bereich des Persönlichkeitsrechts anhaften muss oder nicht, dass das Individuum hierüber disponieren kann oder eben nicht, ist eine solche Kompetenz dem Rechteinhaber nicht so eindeutig verwehrt, wie es Pflüger insinuiert. Für den Anspruch auf Hinterbliebenengeld ist die Nähebeziehung zwischen Personen als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts relevant. Bezüglich dieses Bereichs ist daher nach der Dispositionsbefugnis zu fragen. Trauer und Leid bilden lediglich die Folge der Verletzung, so wie der Schaden lediglich die Folge einer Eigentumsverletzung ist. Über den Schaden ist jedoch nie zu disponieren, über die Rechtsposition möglicherweise schon. So verhält es sich auch hier. Eine Nähebeziehung mag zwar nicht kommerzialisierbar sein und die Disposition der nahestehenden Person kann auch nicht die Tötung als solche rechtfertigen. Letztlich steht es aber jeder Partei frei, über den Fortbestand der Nähebeziehung zu entscheiden. Die Nähebeziehung kann durch Scheidung, Trennung oder bloßes Distanzieren aufgegeben werden. Denn letztlich entscheidet jede Person ab einem gewissen Alter selbst über das „ob“ und das „wie“ der sie prägenden Beziehungen. Insoweit ist also auch in diesem Bereich von einer Dispositionsbefugnis auszugehen. Darüber hinaus trifft den Hinterbliebenen die Trauer auch nicht nur reflexhaft. Das see-

733 Als Beispiel führt Pflüger, Schmerzensgeld, S. 145 f. an, dass eine Person darüber bestimmen könne, ob Informationen in der Presse verbreitet werden. 734 Pflüger, Schmerzensgeld, S. 146; zustimmend Behr, Schmerzensgeld und Hinterbliebenengeld, S. 230. 735 Ablehnend für das Recht der Achtung der allgemeinen menschlichen Gleichwertigkeit i.S.d. AGG als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts etwa Bader, Diskriminierungsschutz, S. 379 f.; offengelassen bei Lobinger, AcP 216 (2016), 28, 100.

IV. Ergebnis

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lische Trauerleid ist vielmehr die Folge der Zerstörung der Nähebeziehung durch die Tötung und als solche ein unmittelbarer Schaden. f) Ergebnis zum Allgemeinen Persönlichkeitsrecht Die Untersuchung hat ergeben, dass mit der Tötung einer Person auch die soziale Beziehung zwischen Getötetem und einer besonders nahestehenden Person zerstört wird, welche Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist. Zwar lässt sich die besondere Nähebeziehung keiner der bereits herausgearbeiteten privatrechtlichen Fallgruppen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zuordnen, jedoch ist eine solche Fortentwicklung vom Kern dieses Rechts gedeckt und angesichts des offenen Schutzbereichs dieser Rechtsposition möglich und mit Blick auf Art. 8 Abs. 1 EMRK und den hier bestimmten Schutz des Privatlebens sogar wünschenswert.736 Um dieses Recht auch auf privatrechtlicher Ebene durchzusetzen, lag es am Gesetzgeber, hier regulierend einzuschreiten. Denn wie ein Blick auf die Rechtsprechung zeigt, war ein Schutz dieses Bereichs im Zivilrecht bislang nicht gegeben.737 Die besondere Nähebeziehung als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erfüllt zudem die Anforderung an eine zivilrechtliche Rechtsposition. Durch die Einführung von § 844 Abs. 3 BGB ist über Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG hinaus eine Zuordnungsentscheidung getroffen, die zugleich auch den Ausschluss Dritter enthält. Zudem kann alleine aus der Existenz des Menschen auf das Vorhandensein sozialer Beziehungen geschlossen werden, so dass auch die sozialtypische Offenkundigkeit dieser Rechtsposition gegeben ist. Etwaige Besonderheiten des allgemeinen Persönlichkeitsrechts stehen dieser Einordnung nicht entgegen.

IV. Ergebnis Die besondere Nähebeziehung als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erfüllt die Anforderungen an ein absolutes Recht und ist daher geeignet, die Rechtsposition hinter § 844 Abs. 3 BGB zu sein. Als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts handelt es sich um eine unselbständige absolute Rechtsposition,738 die auch die Anforderungen an ein „sonstiges Recht“ i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB erfüllt. Zwar handelt es sich bei § 844 Abs. 3 BGB nicht um ein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB; dennoch bewirkt die Statuierung des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld in den Gesetzen die Erweiterung eines bereits bestehenden Freiheitsraums, indem nach hier favorisierter Auffassung Inhalt 736

Vgl. auch Schramm, Haftung für Tötung, S. 323. Vgl. hierzu oben: Kap. 1, A.II.2.c). 738 Vgl. zu der Unterscheidung zwischen der Zuweisung neuer Rechtspositionen und der Erweiterung bereits bestehender Freiheitsräume oben: Kap. 1, A.II.1.a)cc)(1). 737

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A. Die Rechtsposition hinter dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld

und Grenzen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auch für das Privatrecht neu ausgelotet werden und bei Verletzung ein weiterer immaterieller Schaden zu ersetzen ist. Die besondere Nähebeziehung zwischen Personen ist daher geeignet, das Substanzrecht zu sein, das durch den Anspruch auf Hinterbliebenengeld geschützt wird. Wird in dieses Recht durch die Tötung der nahestehenden Person eingegriffen und entsteht hierdurch ein Schaden in Form von Trauer und seelischem Leid, ist dieser zu entschädigen.

B. Systematische Einordnung – der Anspruch auf Hinterbliebenengeld als Ausnahmevorschrift? Die bisherige Untersuchung hat ergeben, dass durch die Tötung einer besonders nahestehenden Person durchaus auch eine Rechtsverletzung beim Hinterbliebenen denkbar ist. Die Literatur1 und auch erste Urteile2 gehen jedoch davon aus, dass eine eigene Rechtsverletzung beim Hinterbliebenen gar nicht erforderlich ist, der Hinterbliebene vielmehr Dritter sei, welcher ausnahmsweise Geld für seine immateriellen Einbußen verlangen kann. Ausgangspunkt dieser Prämisse ist die Eingliederung des Anspruchs in § 844 BGB, dessen amtliche Überschrift bereits von „Ersatzansprüchen Dritter bei Tötung“ spricht. In einem nächsten Schritt wird sich diese Untersuchung daher der Frage nach dem vermeintlichen „Ausnahmecharakter“ des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld widmen. Gemeint ist, dass die Erforderlichkeit dieses Ausnahmecharakters auf den Prüfstand gestellt werden soll, um im Ergebnis eine Aussage darüber treffen zu können, ob eine Einordnung des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld als Drittschadensersatz wirklich die dogmatisch schlüssigste Lösung ist.

I. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld als Ausnahme vom „Grundsatz der Unmittelbarkeit“? Grundsätzlich gelten die §§ 823 ff. BGB nur für den in seinem Rechtsgut Verletzten, während mittelbare Schäden eines Dritten lediglich im Rahmen der §§ 844 f. BGB erstattungsfähig sein sollen.3 Der Ersatz mittelbarer Schäden ohne eigene 1 So deutlich etwa Balke, SVR 2018, 207, 208; O. Becker, JA 2020, 96; Burmann/Jahnke, NZV 2017, 401, 410, 413; Katzenmeier, JZ 2017, 869; H. J. Schwab, DAR 2018, 284, 285; Wenker, jurisPR-VerkR 16/2020 Anm. 1, C.; vgl. auch Schubert, Karlsruher Forum 2016, S. 31, welche die Ausnahme damit rechtfertigen will, dass „die Entschädigung ideeller Einbußen heute nicht mehr in jedem Fall von der Verletzung eines personenbezogenen Rechtsguts abhäng[e]“. 2 So etwa das LG Tübingen, Urteil v. 17.05.2019 – 3 O 108/18, Rn. 80 –, juris; vgl. auch die Entscheidung des LG München II, SVR 2020, 274, 275, in welcher sich das Gericht „hinsichtlich der Grundlagen“ dem LG Tübingen anschließt. Ferner geht auch das LG Koblenz in seinem Urteil v. 24.04.2020 – 12 O 137/19, Rn. 26 –, juris davon aus, dass eine eigene Rechtsverletzung beim Hinterbliebenen nicht erforderlich sei. 3 Ch. Huber, JuS 2018, 744; Katzenstein, AcP 203 (2003), 79, 112 Fn. 173; Medicus, FS

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B. Systematische Einordnung – der Anspruch als Ausnahmevorschrift?

Rechtsverletzung gilt dabei als Ausnahme.4 Erkennt man diese Ausnahme im Grundsatz an, könnte die Diskussion über die systematische Einordnung des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld mit der Begründung im Keim erstickt werden, der Gesetzgeber habe das Hinterbliebenengeld in § 844 Abs. 3 BGB eingefügt und somit zum Ausdruck gebracht, beim seelischen Trauerleid handle es sich um einen immateriellen Drittschaden des Hinterbliebenen, welcher ausnahmsweise ohne Rechts- oder Rechtsgutsverletzung beim Anspruchsinhaber zu ersetzen sei.5 Die Zweifel daran, ob mit der Akzeptanz einer solchen Ausnahme etwas gewonnen ist und ein solcher Bruch mit der Systematik im geltenden Schadensrecht die beste Lösung darstellt, lassen sich jedoch nicht einfach mit dem Argument beseitigen, beim Hinterbliebenengeld handle es sich eben um eine neue Anspruchskategorie im System des deutschen Haftungsrecht.6 Es ist für den Gesetzgeber nicht möglich, jegliche Rechtsfolge detailliert zu regeln, um so für Rechtssicherheit zu sorgen, weshalb eine dogmatische Einordnung des Anspruchs in bereits bekannte Kategorien vorzugswürdig ist.7 Ist eine Einordnung des Hinterbliebenengelds in das Gefüge des Schadensersatzrechts gelungen, kann bei Unklarheiten auf bereits etablierte Prinzipien zurückgegriffen werden, was im Ergebnis für mehr Rechtssicherheit sorgen wird.8 Bevor jedoch der Anspruch auf Hinterbliebenengeld hinsichtlich seiner Dogmatik und systematischen Einordnung näher untersucht werden soll, sei noch eine Präzisierung wesentlicher Grundsätze und Begrifflichkeiten zur Beschreibung relevanter Zusammenhänge vorgenommen. Dies ist insbesondere deshalb erforderlich, weil die in der aktuellen Diskussion verwendeten Begriffe nicht einheitlich gebraucht werden.9 So tauchen in der Fachliteratur zum Hinterbliebenengeld vielerorts die Termini unmittelbare Rechtsverletzung,10 psychisch ver-

Steffen, S. 333, 334; Peukert, Güterzuordnung, S. 243; Schramm, Haftung für Tötung, S. 99; Stahmer, Nichtvermögensschäden bei Tötung, S. 35, 98; BGH, NJW 2001, 971, 972; BGH, NJW 2003, 1040, 1041; BT-Drs. 18/11397, S. 8. 4 v. Hippel, NJW 1965, 1890; Medicus, FS Steffen, S. 333, 334; Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, § 117 IV Rn. 1716; Wandt, Gesetzliche Schuldverhältnisse, S. 276 Rn. 3, S. 423 Rn. 8. 5 Siehe BT-Drs. 18/11397, S. 8; Behr, Schmerzensgeld und Hinterbliebenengeld, S. 256; G. Müller, VersR 2017, 321, 322; Nugel, zfs 2018, 72, 74; Wagner, NJW 2017, 2641, 2642; dieser Platzierung zustimmend etwa auch Staudinger, NJW 2006, 2436; H. J. Schwab, DAR 2018, 284, 285 meint sogar, dass für einen Anspruch nach § 844 Abs. 3 BGB weder eine Rechtsverletzung noch ein Schaden erforderlich sei. 6 So aber Ch. Huber, VersR 2020, 385, 389; für einen Anspruch sui generis auch H. Lang/ Bucka, DAR 2020, 445, 446; Walter, MedR 2018, 213. 7 So auch Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 33. 8 Siehe hierzu noch ausführlich in Kapitel 2. 9 Vgl. zu dieser Problematik bereits die Entscheidung des OLG Freiburg, JZ 1953, 704. 10 Balke, SVR 2018, 207.

I. Der Anspruch als Ausnahme vom „Grundsatz der Unmittelbarkeit“?

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mittelte Beeinträchtigung,11 Schockschaden,12 Fernwirkungsschaden,13 Primärund Sekundärgeschädigter14 sowie mittelbar Geschädigter,15 Drittschaden16 und mittelbarer Schaden17 auf. Was genau diese Begriffe jedoch zum Ausdruck bringen und worin ihre Unterschiede liegen, tritt dabei nicht immer eindeutig zu Tage. Im Folgenden soll daher zunächst die Bedeutung dieser Begriffe und Rechtsfiguren geklärt werden (2.), um danach zu der Untersuchung zu gelangen, wie sich der Anspruch auf Hinterbliebenengeld in dieses Schadensgefüge einreiht. Hierfür empfiehlt sich zunächst der Blick auf einige grundlegende Prinzipien des geltenden Haftungsrechts (1.). Zudem erscheint es unter systematischen Gesichtspunkten sinnvoll, auch dem § 844 Abs. 1 und 2 BGB nähere Aufmerksamkeit zu schenken (3.).

1. Grundlagen des deutschen Haftungsrechts Im deutschen Privatrecht gibt es, wie bereits deutlich wurde, keine generelle Pflicht, jegliche Schäden zu ersetzen. Um jedoch eine klare Grenzziehung zwischen Ersatzpflicht und allgemeinem Lebensrisiko zu gewährleisten, ist die Einhaltung verschiedener Grundsätze und Prinzipien erforderlich. a) Das Tatbestandsprinzip Noch in der Anfangs- und frühen Entstehungsphase des BGB war die Idee der vollumfänglichen Schadenshaftung im Deliktsrecht Ausgangspunkt mancher Überlegungen.18 Jedoch setzte sich bereits in der 1. Kommission die Überzeugung durch, die Schadensersatzhaftung müsse begrenzt werden.19 Die Abgrenzung der Rechtskreise sollte nicht alleine in der Verantwortung des Tatrichters liegen, sondern anhand von Wertungskriterien bestimmt werden können.20 Es kam daher zu 11 Diederichsen, DAR 2011, 122, 123; vgl. auch Jahnke, Burmann/Heß/Hühnermann/ Jahnke, StVG, § 249 Rn. 90; aus der Rechtsprechung siehe LG Limburg/Lahn, SVR 2020, 346. 12 Balke, SVR 2018, 207, 209; Steenbuck, r+s 2017, 449, 452. 13 Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 27. 14 Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 25; Wagner, MüKo BGB, § 823 BGB Rn. 214; vgl. auch Kadner Graziano, Hinterbliebenengeld, S. 185, der die Termini Erst- und Zweitgeschädigter für sinnvoll erachtet. 15 Burmann/Jahnke, NZV 2017, 401, 408; Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 26. 16 Ahrens, Karlsruher Forum 2016, S. 73. 17 Brand, FS Jaeger, S. 191, 192. 18 Ausnahmen sollten nur dann gewährleistet sein, sofern der Schuldner ein besonderes Recht ausgeübt- oder im Rahmen seiner natürlichen Freiheit, in Übereinstimmung mit den guten Sitten, gehandelt habe, Jakobs/Schubert, Schuldverhältnisse III, S. 875; Larenz/Canaris, SchuldR BT II/2, § 75 S. 354. 19 Benöhr, Rechtsgeschichte und Privatrechtsdogmatik, S. 499, 537 f.; Peukert, Güterzuordnung, S. 244. 20 Vgl. Protokolle II, S. 2711 = Mugdan II, S. 1073 f.; Larenz/Canaris, SchuldR BT II/2, § 75 I S. 355.

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B. Systematische Einordnung – der Anspruch als Ausnahmevorschrift?

einem Verzicht auf eine schadensersatzrechtliche Generalklausel, was nach dem Willen des Gesetzgebers vor allem der Vermeidung ausufernder Schadensersatzansprüche und der Sicherung der allgemeinen Handlungsfreiheit eines jeden potentiellen Ersatzpflichtigen dient.21 Als Grundsatz des deutschen Privatrechts gilt daher, dass nur jene Schadensverursachung eine Ersatzpflicht mit sich bringt, die einen gesetzlichen Tatbestand verwirklicht.22 Dieser Grundsatz wird unter dem Begriff „Tatbestandsprinzip“23 zusammengefasst. Zur Vermeidung einer generellen Schadensersatzpflicht knüpfen die Tatbestände nicht an einen bloßen Schaden an, sondern an die Widerrechtlichkeit der Handlung, die sich aus einer Rechts- oder Rechtsgutsverletzung ergibt.24 b) Das „Dogma vom Gläubigerinteresse“25 Durch das Tatbestandsprinzip werden sowohl die Voraussetzungen einer Haftung als auch der Anspruchsberechtigte bestimmt. Wessen Schäden zu ersetzen sind, sagt das Gesetz hingegen nur ausnahmsweise.26 § 823 Abs. 1 BGB statuiert lediglich die Pflicht zum Ersatz des „daraus entstehenden Schadens“, woraus sich nicht zwangsläufig entnehmen lässt, dass nur die Schäden des Anspruchsberechtigten zu ersetzen sind.27 Der Wortlaut ließe es zu, dass der durch die Norm bestimmte Gläubiger auch die Schäden seiner Vertragspartner geltend macht. Auch der Wortlaut des § 249 Abs. 1 BGB steht dem nicht entgegen. Ließe man für diese Schäden eine einfache oder auch adäquate Kausalität ausreichen, sähe sich der Schädiger aufgrund möglicher vielfältiger geschäftlicher Beziehungen der Rechtssubjekte zueinander einem enormen Haftungsrisiko ausgesetzt.28 Zwar 21

Vgl. Motive II, S. 726 = Mugdan II, S. 405; Picker, AcP 183 (1983), 369, 476. Zum Tatbestandsprinzip allgemein siehe Esser/Schmidt, SchuldR AT I/2, § 34 I S. 258 ff.; Larenz, JuS 1965, 373, 374; ders., Schuldrecht I, § 27 I S. 421 ff.; Hammen, AcP 199 (1999), 591, 595; Henn, Drittschadensliquidation, S. 23; vgl. auch Motive II, S. 724 ff. = Mugdan II, S. 404 f. 23 Esser/Schmidt, SchuldR AT I/2, § 34 I S. 259 ff.; Schiemann, Staudinger BGB, Vorbem zu § 249 Rn. 49. 24 Jakobs/Schubert, Schuldverhältnisse III, S. 882; Peukert, Güterzuordnung, S. 244. 25 Siehe hierzu bereits v. Tuhr, GrünhutsZ, 25 (1898), 529, 535 ff. 26 Eindeutig ist der Wortlaut z.B. in § 391 Abs. 1 BGB. Dort ist der Schaden zu ersetzen, „den der andere Teil“ (Aufrechnungsgegner) erleidet. Oder in § 694 BGB, wonach der „dem Verwahrer entstehende Schaden“ zu ersetzen ist. Ähnlich eindeutig ist der Gesetzeswortlaut zudem in § 904 S. 2 BGB, § 1298 Abs. 1 S. 2 BGB, § 1787 Abs. 1 BGB, vgl. hierzu Traugott, Drittschadensliquidation, S. 14. 27 So etwa Wilburg, Jh.Jb. 82 (1932), 51, 101; nach Traugott, Drittschadensliquidation, S. 14 müsste § 823 Abs. 1 BGB für eine positivrechtliche Grundlage für das Dogma vom Gläubigerinteresse hingegen so formuliert sein: Der Schädiger ist „dem anderen zum Ersatz des diesem entstehenden Schadens verpflichtet“. 28 Henn, Drittschadensliquidation, S. 24. Anschaulich wird die Problematik der Schadenskumulation anhand des prominenten Lehrbuchfalls der verletzten Künstlerin (vgl. etwa Reinhardt, Drittschaden, S. 97 f.): S verursacht einen Verkehrsunfall, bei dem die berühmte Sängerin G so schwer verletzt wird, dass sie ein bereits geplantes Konzert absagen muss. Neben 22

I. Der Anspruch als Ausnahme vom „Grundsatz der Unmittelbarkeit“?

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wären diese Geschäftspartner durch die Haftungsnorm nicht Anspruchsinhaber, jedoch könnte der Gläubiger auch diese Schäden geltend machen. Im Ergebnis bestünde die nicht wünschenswerte Gefahr einer unkalkulierbaren Haftungssumme für den Schädiger fort, was es in jedem Falle zu vermeiden gilt. Nicht anders wäre die Situation zudem bei immateriellen Schäden gem. § 253 Abs. 2 BGB. Auch hier wird lediglich bestimmt, dass Schäden wegen der Verletzung der aufgezählten Rechtsgüter in Geld entschädigt werden können. Auch dieser Wortlaut ließe es daher zu, dass der an seinem Körper verletzte Gläubiger auch die immateriellen Einbußen seiner Angehörigen, welche mit ihm mitleiden, ersetzt verlangen kann. Da das Statuieren von Haftungstatbeständen alleine also noch nicht ausreicht, um die Einstandspflichten tatsächlich und nicht nur formal zu limitieren, wird das Tatbestandsmodell auf Haftungsebene durch das „Dogma vom Gläubigerinteresse“29 ergänzt.30 Dies beinhaltet, dass bei Verwirklichung eines Haftungstatbestands immer nur der Schaden zu ersetzen ist, welcher dem durch die Norm geschützten Rechtssubjekt erwächst, nicht jedoch die Schäden Dritter.31 Mit anderen Worten: Das Dogma vom Gläubigerinteresse besagt, dass der durch die Anspruchsnorm Berechtigte nur seinen eigenen Schaden ersetzt verlangen kann. Zur Begründung dieses Dogmas wird angeführt, man könne aus den Ausnahmevorschriften § 844 BGB und § 10 StVG den Umkehrschluss ziehen, dass der Gläubiger grundsätzlich nur seinen eigenen Schaden ersetzt verlangen kann.32 Das Dogma vom Gläubigerinteresse ist heute allgemein anerkannt.33 den Verletzungen an Körper und Gesundheit der Sängerin entstehen erhebliche finanzielle Einbußen beim Konzertveranstalter, bei an der Organisation der Veranstaltung beteiligten Subunternehmen, bei den das Konzert ausstrahlenden Fernsehsendern und bei beteiligten Marketingunternehmen. 29 v. Tuhr, GrünhutsZ, 25 (1898), 529, 536 ff.; eingehend zum Dogma des Gläubigerinteresses etwa Schiemann, Staudinger BGB, Vorbem zu § 249 Rn. 49. 30 Siehe hierzu auch Henn, Drittschadensliquidation, S. 24. 31 Büdenbender, JZ 1995, 920; Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 26; Kress, Allgemeines Schuldrecht, S. 293 ff.; Röthel, Jura 2018, 235; vgl. auch v. Caemmerer, ZHR 127 (1965), 241, 242, der hierin jedoch weniger ein Dogma als ein „rechtspolitisch gesundes Prinzip unserer Rechtsordnung“ erblickt, welches im Übrigen durchaus Ausnahmen vertrage. 32 Vgl. etwa Hagen, Drittschadensliquidation, S. 2 mit Fn. 4; Heck, SchuldR, § 16 Nr. 1 f., S. 51; Wiggert, Die Geltendmachung fremden Schadens, S. 28; a.A. etwa Traugott, Drittschadensliquidation, S. 15, der zutreffend darauf hinweist, dass diese Normen den Dritten einen eigenen Anspruch einräumen und daher nicht die Frage betreffen, wessen Schaden der Gläubiger ersetzt verlangen kann. 33 Die früheren Ansätze, etwa von Wilburg oder Reinhardt, den Kreis der Ersatzberechtigten auf andere Weise zu bestimmen, konnten sich hingegen nicht durchsetzen: Nach Wilburg, Jh.Jb. 82 (1932), 51 ff., 100 ff., sollte jede Person losgelöst von einer Rechtsinhaberschaft den Ersatz des Schadens verlangen können, den sie infolge der Verletzung einer Norm erlitt, welche gerade einen solchen Schaden verhindern soll; ähnlich auch Reinhardt, Drittschaden, insbes. S. 76 ff., nach dessen Auffassung ein Schaden dann ersatzfähig sei, sofern er auf die Beeinträchtigung der Genussmöglichkeit eines gesicherten Guts gründet, deren Bestand durch die verletzte Rechtspflicht gesichert sein sollte. Dabei sei es egal, ob dieser Scha-

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B. Systematische Einordnung – der Anspruch als Ausnahmevorschrift?

c) Der Unmittelbarkeitsgrundsatz Die Bedeutung der Unmittelbarkeit im Deliktsrecht hängt eng mit den dargestellten Grundsätzen des Haftungsrechts zusammen.34 Nach allgemeinem Verständnis beinhaltet der Unmittelbarkeitsgrundsatz, dass nur derjenige, der selbst in seinen Rechten oder Rechtsgütern verletzt und somit Adressat der Haftungsnorm ist, seinen eigenen Schaden aus der Verletzung ersetzt verlangen kann.35 Liegt bei einer dritten Person keine Rechts- oder Rechtsgutsverletzung vor, kann sie weder ihren Vermögensschaden noch ihren immateriellen Schaden nach der Haftungsnorm ersetzt verlangen.36 Insbesondere kann sie sich auch nicht auf die Tatsache berufen, der Schädiger habe die Voraussetzungen des Haftungstatbestands gegenüber einem anderen verwirklicht und diesen in seinen absoluten Rechten verletzt.37 Kurz: die Rechts- oder Rechtsgutsverletzung beim Primärverletzten kann nicht zur Haftungsbegründung für den Dritten „herangezogen“ werden. Da es also um eine eigene Verletzung an einem Rechtsgut und dem daraus entstandenen Schaden geht, wäre auch die Bezeichnung „Eigenverletzungsgrundsatz“38 überzeugend. Im Ergebnis verfolgt der Grundsatz der Unmittelbarkeit ebenso das Ziel, den Kreis möglicher Anspruchsberechtigter zu begrenzen und die Schadensabwicklung auf das in seinen eigenen Rechten verletzte Rechtssubjekt zu konzentrieren.39

den beim Gläubiger oder einem Dritten eintrete; vgl. für diese Gegenauffassungen ausführlich Hagen, Drittschadensliquidation, S. 93 ff.; siehe hierzu auch Bitter, Rechtsträgerschaft, S. 407 f.; Windelen, Haftungsinteresse, S. 15. 34 Der materiellrechtliche Unmittelbarkeitsgrundsatz steht in keiner Verbindung zum zivilprozessualen Unmittelbarkeitsgrundsatz oder der gleichlautenden strafrechtlichen Prozessmaxime. 35 Zum Grundsatz der Unmittelbarkeit beim „Angehörigenschmerzensgeld“ vgl. Deutsch/ Ahrens, Deliktsrecht, Rn. 636; Diederichsen, DAR 2011, 122; Katzenmeier, JZ 2017, 869, 870 m.w.N.; Kötz/Wagner, Deliktsrecht, Rn. 722; Röthel, Jura 2018, 235 sowie aus der Rechtsprechung BGH, NJW 1989, 2317, 2318. 36 Eichelberger, BeckOGK BGB, 01.08.2020, § 844 Rn. 3; Oetker, MüKo BGB, § 249 Rn. 281; BGHZ 7, 30 = NJW 1952, 1249. 37 Wagner, MüKo BGB, § 823 Rn. 215. So entschied auch der BGH in einem Fall, in dem er über die Klage eines Ehepaars zu entscheiden hatte, das wegen des Verlusts seines Sohnes eine bereits bezahlte Urlaubsreise nicht antreten konnte. Mangels eigener Rechtsgutsverletzung der Eheleute konnten diese ihren erlittenen Vermögensschaden trotz schuldhaft verursachter Tötung des Kindes nicht ersetzt verlangen, BGH, NJW 1989, 2317. 38 So treffend Röthel, Jura 2018, 235, 238. 39 Darüber hinaus ist der Grundsatz der Unmittelbarkeit nach Ansicht Wagners auch aus ökonomischer Sicht von Vorteil, da er eine kostengünstige Schadensabwicklung bedeute und auch die administrativen Kosten geringhalte. Durch die Beschränkung auf einen Gläubiger sähen sich die Gerichte nicht der Belastung durch viele verschiedene Prozesse ausgesetzt, die bei einer Aufsplitterung des Gesamtschadens drohen würden, MüKo BGB, § 826 Rn. 14, § 844 Rn. 1.

I. Der Anspruch als Ausnahme vom „Grundsatz der Unmittelbarkeit“?

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In Abgrenzung zum „Dogma des Gläubigerinteresses“ beinhaltet der Grundsatz der Unmittelbarkeit lediglich, dass auch der Dritte seine Einbußen nicht selbständig gegen den Schuldner geltend machen kann, was letztlich die logische Konsequenz des Tatbestandprinzips ist, da durch den Tatbestand einer Haftungsnorm bereits der Gläubiger festgelegt wird. So wesentlich der Unmittelbarkeitsgrundsatz auf den ersten Blick also auch erscheint, so wenig spektakulär ist im Grunde seine Existenz. Denn letztlich besagt der Unmittelbarkeitsgrundsatz nichts, was sich nicht bereits bei unbefangenem Herangehen an die Sache aus dem Tatbestandsprinzip selbst ergibt. Im Zusammenhang mit dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld findet dieser Grundsatz jedoch immer wieder gesonderte Erwähnung.40 Es wird davon ausgegangen, dass der Anspruch in Durchbrechung dieses Grundsatzes gewährt werde. Das heißt, dass der Hinterbliebene ausnahmsweise die Verletzung des „Lebens“ des Getöteten zur Haftungsbegründung heranziehen dürfe, um so doch seinen immateriellen Schaden ersetzt zu bekommen.41 d) Begründung für das vom Gesetzgeber gewählte Modell des Haftungsrechts Das Festhalten am Tatbestandsprinzip und seinen begleitenden Grundsätzen bringt auch aus heutiger Sicht enorme Vorteile mit sich. So dient es der Berechenbarkeit der Haftung und damit insbesondere dem Interesse des allgemeinen Rechtsverkehrs.42 Des Weiteren bleibt auch das Versicherungsrisiko überschaubar, was wiederum dem Wirtschaftsleben zu Gute kommt.43 Neben diesen dem alltäglichen Rechtsverkehr dienenden Vorteilen, die sich daraus ergeben, dass man Freiheitsräume des Handelnden wahrt,44 stellt sich jedoch die Frage, warum die Schäden aufgrund der genannten oder beschriebenen Rechtspositionsverletzung gegenüber einem reinen Vermögensschaden oder mancher immaterieller Schäden privilegiert werden. Warum werden nur Rechtsgüter und absolut ge-

40 So etwa bei Balke, SVR 2018, 207; O. Becker, JA 2020, 96; Diederichsen, DAR 2011, 122; Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 26; ders., VersR 2020, 385; Katzenmeier, JZ 2017, 869, 871; Walter, MedR 2018, 213. 41 In diese Richtung bereits Stahmer, Nichtvermögensschäden bei Tötung, S. 35, 102; Behr, Schmerzensgeld und Hinterbliebenengeld, S. 213 mit Hinweis darauf, dass auch eine Körperverletzung mit Todesfolge ausreicht. 42 Deutsch, Haftungsrecht, Rn. 56; Emmerich, Schuldrecht BT, S. 276 Rn. 4; für die historische Entwicklung siehe Keppmann, Tatbestände, S. 113 ff.; Peukert, Güterzuordnung, S. 244. 43 Henn, Drittschadensliquidation, S. 23. 44 Vgl. für die Wahrung der Handlungsfreiheit als Rechtfertigung für die Diskriminierung reiner Vermögenschäden etwa Larenz/Canaris, SchuldR BT II/2, § 75 I S. 356; Spindler, BeckOGK BGB, 01.08.2020, § 823 Rn. 4.

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B. Systematische Einordnung – der Anspruch als Ausnahmevorschrift?

schützte Rechte deliktisch vor Eingriffen geschützt, das Vermögen als solches45 oder gar jede persönliche Empfindsamkeit46 hingegen nicht? aa) Der Grund für die Unterscheidung reiner Vermögensschäden und solcher, die aus der Verletzung eines Rechtsguts resultieren Eine schlüssige Erklärung für den grundsätzlichen Ausschluss reiner Vermögensschäden im Deliktsrecht bietet Picker mit einer besonderen Analyse der Haftungssysteme. Entgegen der herkömmlichen Auffassung geht Picker durchaus von einem übergeordneten, überpositiven Grundsatz eines generellen Schädigungsverbots aus. Reine Vermögensschäden seien keinesfalls als weniger erheblich einzuordnen als Schäden, die aus der Verletzung eines absoluten Rechts resultieren, denn diese seien „für den Betroffenen i.d.R. gleich negativ“.47 Die Rechtsverletzung spielt nach seiner Ansicht daher erst in einem zweiten Schritt eine wichtige Rolle. Dass bereits die reine Schadenszufügung, sofern sie rechtswidrig und zurechenbar ist, ein Fehlverhalten darstellt, ergibt sich nach Picker bereits aus dem Leitprinzip der Rechtsanschauung, dem Gebot des „neminem laedere“.48 Dieses allgemeine Schädigungsverbot beinhalte auch, dass ein verursachter Schaden wieder gut zu machen sei, und stehe als allgemeiner Grundsatz an der Spitze der Pflichtenlehre, die ein friedliches und geordnetes Zusammenleben ermöglicht.49 Da nach dieser Begründung aber jegliche Restitutionsverpflichtung alleine wegen einer rechtswidrigen Schadensverursachung bestehen würde, wird es erforderlich, die sich in der logischen Konsequenz ergebenden umfänglichen Einstandspflichten aller denkbarer Schäden einzugrenzen.50 Dies ergibt sich daraus, dass mit jeder Haftung zugleich Ge- oder Verbote für den Einzelnen einhergehen,

45 Das Vermögen als solches stellt nach allgemeiner Ansicht auch kein „sonstiges Recht“ i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB dar, vgl. etwa RGZ 51, 92, 93; BGHZ 27, 137, 140 = NJW 1958, 1041, 1042; Hager, Staudinger BGB, § 823 Rn. B 192. Absoluter Natur ist nur der über Schutzgesetze zugewiesene oder über § 826 BGB geschützte Bereich, siehe hierzu bereits oben: Kap. 1, A.II.1.a)cc)(1)(a). 46 Anschaulich Katzenmeier, JZ 2017, 869, 871: Das Deliktsrecht hat nicht den Zweck, Schäden aus „jedem beliebigen Maß persönlicher Empfindsamkeit auszugleichen“. 47 Picker, JZ 1987, 1041, 1053; a.A. etwa Förster, BeckOK BGB, § 823 Rn. 2: „gewährt (wird) Schadensersatz für die Verletzung ausgewählter Rechte und Rechtsgüter von besonders hohem Rang“. 48 Picker, AcP 183 (1983), 369, 462. Das Gebot geht zurück auf das römische Recht und wurde auch schon von Kant vertreten, „Thue niemanden Unrecht (neminem laede)…“, Kant, Metaphysik der Sitten, Einleitung in die Rechtslehre, Eintheilung der Rechtslehre, A. Allgemeine Eintheilung der Rechtspflichten, 2) S. 37; eine umfassende Untersuchung zu der grundsätzlichen Frage des Geltungsanspruchs des „neminem laedere“ findet sich bei Henn, Drittschadensliquidation, S. 151 ff., 182 f., der diesen im Ergebnis bejaht. Zu den Grundlagen der Parömie alterum non laedere siehe ferner auch ausführlich Schiemann, JuS 1989, 345 ff. 49 Picker, AcP 183 (1983), 369, 462; ders., JZ 1987, 1041, 1049, 1051. 50 Picker, AcP 183 (1983), 369, 466.

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welche diesen wiederum erheblich in seiner Handlungsfreiheit einschränken.51 Um folglich einer für den Einzelnen unerträglichen Beschränkung seiner persönlichen Handlungsfreiheit entgegenzuwirken, sei es Aufgabe des Schadensrechts, die Gesellschaft und jeden Einzelnen vor einer übertriebenen Beschränkung der Betätigungsfreiheit zu bewahren. Dieses Ziel, haftungsfreie Räume zu schaffen, erreiche man jedoch nicht, so Picker, indem man nur wenige haftungsbegründende Faktoren akzeptiert, sondern durch ein System haftungsbegrenzender Tatbestände.52 Um nichts anderes handle es sich auch bei dem Tatbestand des § 823 Abs. 1 BGB, der die Begrenzung des generellen Schädigungsverbots dadurch bewirke, dass mit dem Erfordernis einer Verletzung eines dort enumerativ aufgezählten absoluten Rechts die Haftung auf die Schäden des Rechtsinhabers begrenzt wird.53 Aber auch bei § 826 BGB wird die Haftung für jegliche Schäden dadurch eingeschränkt, dass ein Ersatz nur im Falle einer vorsätzlichen und sittenwidrigen Verursachungsweise geschuldet ist. In diesem Falle wird eine Haftungsbegrenzung folglich durch die Fokussierung auf eine subjektive Komponente erreicht.54 Der Tatbestand dient als „Nadelöhr“, das passiert werden muss, um in den Genuss eines Ersatzanspruchs zu gelangen.55 Insofern dient die Haftungsbegrenzung durch den deliktischen Tatbestand dem Interesse des Schuldners vor einer unüberschaubaren Gläubigerpotenzierung und einem nicht kalkulierbaren Haftungsrisiko.56 Das „Nadelöhr“, die Verletzung einer Rechtsposition, muss deshalb passiert werden, um die Zahl der Gläubiger auf eine tragbare Größe zu beschränken.57 Nach Picker gilt daher ein System, in welchem die Haftung für eine zurechenbare Schadenszufügung den Grundsatz bildet und somit genau diametral zum herkömmlichen Verständnis ausgerichtet ist.58 Der Vorteil einer solchen Haftungskonzeption liegt dabei zum einen darin, dass sie eine schlüssige und zufriedenstellende Erklärung dafür bietet, dass bei Vorliegen einer vertraglichen Sonderbeziehung auch reine Vermögensschäden zu ersetzen sind, bei rein deliktischen Handlungen hingegen nicht. Der zentrale Unterschied liegt in der unbedingt zu vermeidenden Gefahr der Gläubigerpotenzierung. Droht eine solche wie im Falle einer vertraglichen Sonderverbindung, bei welcher das Haftungsrisiko von vornherein auf den Vertragspartner beschränkt ist, nicht, gibt es auch keinen tieferen Grund, einen für den Betroffenen „gleich negativen“ Vermögensschaden 51

Picker, AcP 183 (1983), 369, 471; ders., JZ 1987, 1041, 1052. Picker, JZ 1987, 1041, 1052; sich anschließend etwa Katzenstein, Haftungsbeschränkungen, S. 204; Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 36 ff.; Prange, Schutzpflichtverletzungen, S. 171 ff. 53 Picker, AcP 183 (1983), 369, 491 f.; nichts anderes gilt auch für § 823 Abs. 2 BGB, bei welchem die Begrenzung durch das Erfordernis der Schutzgesetzverletzung eintritt. 54 Vgl. Canaris, FS Larenz II, S. 27, 39; Prange, Schutzpflichtverletzungen, S. 173. 55 Picker, AcP 183 (1983), 369, 479. 56 Picker, JZ 1987, 1041, 1053. 57 Picker, JZ 1987, 1041, 1053; Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 36 ff. 58 Zum Grundsatz keiner generellen Schadensersatzpflicht siehe oben: Kap. 1, B.I.1.a). 52

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B. Systematische Einordnung – der Anspruch als Ausnahmevorschrift?

von der Haftung auszuklammern.59 Der Verletzung eines absoluten Rechts oder eines Schutzgesetzes bedarf es in diesem Fall daher nicht. Im Ergebnis ist die Entscheidung des BGB gegen einen umfassenden deliktsrechtlichen Vermögensschutz also „nicht von materialer Gerechtigkeit“,60 sondern „nur ein technisches Mittel der Haftungsbeschränkung“61.62 Die Haftungsbegrenzung ist dabei nicht Selbstzweck, sondern dienendes Element, die Gefahr der Gläubigerpotenzierung zu verhindern. Eines Rückgriffs auf den Unmittelbarkeitsgrundsatz bedürfte es nach dieser Lehre wohl nicht. Denn ohne dass weiterführende Erklärungen und Grundsätze erforderlich würden, macht der Ansatz Pickers deutlich, dass nur derjenige, der das „Nadelöhr“ passiert, seinen Schaden geltend machen kann. Für die Begrenzung der Gläubiger bzw. der Haftungssumme ist der Rückgriff auf den Unmittelbarkeitsgrundsatz daher nicht erforderlich.63 bb) Die Haftungsbegrenzung bei immateriellen Schäden Die Begrenzung der Haftung spielt jedoch nicht lediglich bei reinen Vermögensschäden eine Rolle, sondern insbesondere auch bei bloß reflexartig hervorgerufenen immateriellen Schäden, die beispielsweise dadurch entstehen, dass eine Person mit einer in ihrem Rechtsgut Körper verletzten Person mitleidet oder aus bloßer Nächstenliebe aufgrund des Leids anderer stark niedergeschlagen ist. Auch solche negativen Gefühle, die dem Menschen als soziales Wesen nicht fremd sind, lassen sich grundsätzlich unter den Begriff des immateriellen Schadens subsumieren,64 so dass bei uneingeschränkter Geltung des „neminem laedere“ im Ergebnis auch hier die Gefahr einer für den Schädiger unerträglichen Gläubigerpotenzierung drohen würde. Jedoch erfährt die Haftung für immaterielle Schäden bereits über § 253 Abs. 1 BGB eine Begrenzung. Denn diese Regelung stellt klar, dass für einen Schaden, der nicht Vermögensschaden ist, eine Entschädigung in Geld nur in den durch das Gesetz bestimmten Fällen gefordert werden kann. Diese gilt sogar, wie sich aus der Platzierung im allgemeinen Teil des Schuldrechts ergibt, in gleicher Weise für vertragliche und deliktische Ersatz-

59 Picker, JZ 1987, 1041, 1053 f.; ders., AcP 183 (1983), 369, 478 ff.; Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 37. 60 So aber Larenz/Canaris, SchuldR BT II/2, § 75 I S. 357. 61 So Picker, JZ 1987, 1041, 1051. 62 Kritisch Larenz/Canaris, SchuldR BT II/2, § 75 I S. 357, der dieser Entscheidung in „hohem Maße freiheitswahrenden Charakter“ beimisst. 63 Je nach Verständnis der tatbestandlichen Begrenzungsfunktion nach Picker dürfte dies auch für das Dogma vom Gläubigerinteresse gelten. Nach der bereits dargestellten Unterscheidung zwischen Dogma und Unmittelbarkeitsgrundsatz kommt es allerdings auch bei Ersterem nicht zu einer Gläubigerpotenzierung, da es hier allenfalls ein einziger Gläubiger ist, der die Schäden weiterer Subjekte geltend macht. Was im Ergebnis aber nichts daran ändert, dass die Haftungssumme gleichermaßen potenziert wird. 64 Siehe hierzu oben: Einleitung, B.I.1.

I. Der Anspruch als Ausnahme vom „Grundsatz der Unmittelbarkeit“?

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pflichten. Insofern kommt auch § 253 Abs. 1 BGB dem Interesse und der Handlungsfreiheit eines jeden potentiellen Schädigers zugute, indem die Vorschrift den Grundsatz des „neminem laedere“ zumindest für immaterielle Schäden insoweit aufhebt, dass diese nur ausnahmsweise in den gesetzlich angeordneten Fällen und nicht bereits aufgrund eines überpositiven Grundsatzes in Geld wiedergutzumachen sind.65 Zumindest für immaterielle Schäden ist daher fraglich, ob hier überhaupt von einem Gebot des „neminem laedere“ gesprochen werden kann.66 Jedoch ist auch in diesem Fall eine weitere Begrenzung der Haftung erforderlich. Denn die Gefahr der Haftungserweiterung wird allein durch § 253 Abs. 1 BGB nicht ausreichend vermieden. Auch der Wortlaut des § 253 Abs. 2 BGB ließe es zu, dass der in seiner Rechtsposition Gesundheit Verletzte auch die weiteren Nichtvermögensschäden Dritter geltend macht.67 Zudem begrenzt § 253 Abs. 1 BGB lediglich die monetäre Haftung wegen der grundsätzlichen Inkommensurabilität immaterieller Schäden.68 Soweit ein Nichtvermögensschaden jedoch durch Naturalrestitution ausgeglichen werden kann, bleibt ein solcher Anspruch von der Begrenzung des § 253 Abs. 1 BGB unberührt.69 Insofern erscheint hier eine Eingrenzung über das Dogma des Gläubigerinteresses und den Unmittelbarkeitsgrundsatz erforderlich. Ferner ist im Zusammenhang mit immateriellen Schäden jedoch zu beachten, dass solche Schäden aufgrund einer Persönlichkeitsverletzung, wie bereits festgestellt,70 nicht unter § 253 BGB fallen, die Rechtsfolgen sich vielmehr unmittelbar aus § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG ableiten lassen. Insofern greift die Begrenzungswirkung des § 253 Abs. 1 BGB folglich nicht bei allen immateriellen Schäden, so dass hier wiederum die Begrenzungsfunktion des Tatbestands gem. § 823 Abs. 1 BGB relevant werden könnte. cc) Fazit Der Ansatz der haftungsbegrenzenden Tatbestände bietet eine schlüssige Erklärung dafür, weshalb im Deliktsrecht nicht jegliche Vermögensschäden zu ersetzen sind. Ob sich das generelle Schädigungsverbot, welches auch die Wiedergutma-

65 Zum Grundsatz immateriellen Schadens als „außerordentliche[r] Rechtsbehelf“ vgl. v. Mayenburg, VersR 2002, 278, 280 f. 66 Es ist unklar, inwieweit immaterielle Schäden überhaupt vom Grundsatz des neminem laedere erfasst werden oder ob dieser auf rein wirtschaftliche Schäden begrenzt ist. Rein begrifflich sind jedenfalls auch Nichtvermögensschäden erfasst. Anders etwa Henn, Drittschadensliquidation, S. 151 f., der „lediglich rein körperliche und rein emotionale Schäden“ ausklammern will, weil dort die Frage nach dem Unwerturteil oftmals andere Ebenen berühre. Auch Picker, AcP 183 (1983), 369 ff. stellt sein System der Haftungsbegrenzung lediglich in Zusammenhang mit Vermögensschäden dar. 67 Siehe hierzu bereits oben: Kap. 1, B.I.1.b). 68 Vgl. Spindler, BeckOK BGB, § 253 Rn. 1 BGB 69 Spindler, BeckOK BGB, § 253 Rn. 4. 70 Siehe hierzu bereits oben: Einführung, B.I.1. sowie Kap. 1, A.III.6.d)aa)(3).

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B. Systematische Einordnung – der Anspruch als Ausnahmevorschrift?

chung der Schädigung beinhaltet,71 jedoch auch auf immaterielle Schäden erstreckt, ist fraglich. Im Ergebnis dürfte es letztlich aber ohnehin zu keinen allzu großen Diskrepanzen zwischen der Darstellung haftungsbegrenzender Tatbestände und der herkömmlichen Herangehensweise haftungsbegründender Tatbestände kommen. Dies gilt zumindest dann, wenn die Haftungsfreiheit dort ihr Ende findet, wo bislang die Haftungsbegründung ihre Grenze hatte.72 Ob die Haftungsbegrenzung im Ergebnis mittels Heranziehens des Dogmas vom Gläubigerinteresse, des Unmittelbarkeitsgrundsatzes oder des gedanklichen „Nadelöhrs“ erreicht wird, hat zumindest für die vorliegende Untersuchung keine weitergehende Bedeutung. Fest steht jedenfalls, dass zur Wahrung der Handlungsfreiheit eines jeden Einzelnen ein deliktischer Ersatzanspruch grundsätzlich nur demjenigen zusteht, der selbst in einem seiner eigenen Rechte verletzt ist. e) Erforderlichkeit der dogmatischen Zweiteilung des deliktischen Verletzungstatbestands? aa) Unmittelbare und mittelbare Verursachung einer Rechtsverletzung Nicht mit dem Grundsatz der Unmittelbarkeit zu verwechseln ist die Unterscheidung zwischen unmittelbarer und mittelbarer Verletzung einer Rechtsposition, die nach überwiegender Ansicht deshalb von Bedeutung sein soll, weil nicht immer alleine aus dem Verletzungserfolg auf die Widerrechtlichkeit der Verletzung geschlossen werden könne.73 Nicht jede für den Erfolg ursächliche Handlung widerspricht dem Recht und ist somit automatisch rechtswidrig.74 Der Messerverkäufer beispielsweise handelt nicht schon deshalb widerrechtlich, weil er ein Messer verkauft, mit dem anschließend ein Mord begangen wird, sondern nur, wenn erkennbar war, was der Käufer mit dem Messer im Schilde führt.75 Eine generelle Pflicht, alle äquivalent kausal verursachten Schäden wiedergutzumachen, existiert nach dieser Auffassung in der geltenden Privatrechtsordnung gerade nicht. Für die Widerrechtlichkeit sei somit nicht alleine der Erfolg maßgeblich, sondern auch die Art der Verursachung, weshalb zwischen unmittelbaren und mittelbaren Eingriffen zu differenzieren sei:76 Um eine unmittelbare Verletzung soll es sich etwa dann handeln, wenn sie ohne weitere Zwischenursache 71

Picker, JZ 1987, 1041, 1049, 1051. So auch Henn, Drittschadensliquidation, S. 148. 73 Grundlegend v. Caemmerer, FS Deutscher Juristentag, S. 49, 77 ff.; Deutsch, Haftungsrecht, Rn. 237 ff. m.w.N. So aber noch die früher vermehrt vertretene Lehre vom Erfolgsunrecht, die davon ausgeht, jedwede ursächlich herbeigeführte Rechts(guts)verletzung indiziere die Widerrechtlichkeit des Handelns. Siehe zu den verschiedenen Lehren auch sogleich. 74 Deutsch/Ahrens, Deliktsrecht, Rn. 79; eingehend auch Bernhard, FS Picker, S. 83, 110: „Nicht weil ein Verhalten für einen Schaden kausal wird, ist es rechtswidrig, sondern weil das Verhalten rechtswidrig ist, ist seine Kausalität rechtlich erheblich“. 75 Deutsch, Haftungsrecht, Rn. 237; Larenz/Canaris, SchuldR BT II/2, § 75 II S. 364. 76 Grundlegend hierzu v. Caemmerer, FS Deutscher Juristentag, S. 49, 77 f.; Deutsch, Haftungsrecht, Rn. 237 ff. m.w.N. 72

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direkt aus dem Verhalten des Täters entspringt77 und daher für sich genommen schon im Widerspruch zur Zuordnungsentscheidung des Gesetzgebers steht. In Erwägung zu ziehen seien dann nur noch etwaige Rechtfertigungsgründe.78 Wird aber die letzte zur Verletzung führende Ursache nicht vom potentiell Ersatzpflichtigen gesetzt, sondern beispielsweise durch ein äußeres Ereignis oder einen Dritten oder auch durch ein Verhalten des Geschädigten selbst, so soll eine mittelbare Verursachung der Verletzung vorliegen.79 Gleiches sei dann anzunehmen, wenn zwischen einem Geschädigten und dem Schädiger eine weitere Person steht, aus deren Verletzung oder Schaden erst die Verletzung des Rechtsguts des Geschädigten hervorgeht.80 Zur Verdeutlichung dient ein Fall, welchen das LG Augsburg im Jahr 1967 zu entscheiden hatte. In diesem ging es um einen Anspruch auf Schmerzensgeld der Ehefrau, die aufgrund eines unfallbedingten Potenznachlasses ihres Ehemannes und der daraus resultierenden Aufgabe der Geschlechtsgemeinschaft eine Gesundheitsschädigung erlitt.81 Das LG bejahte zwar das Vorliegen einer Gesundheitsverletzung bei der Frau, lehnte einen Anspruch gegen den Unfallverursacher im Ergebnis jedoch mit der Begründung ab, dass die Ehefrau nicht unmittelbar durch die schuldhafte Unfallverursachung in ihren Rechten verletzt worden sei, sondern erst dadurch, dass der Ehemann sich nicht mehr in der Lage sah, den Geschlechtsverkehr wie vor dem Unfall zu vollziehen. Erst durch das Dazwischentreten des Ehemannes sei es zu der Rechtsgutsverletzung der Ehefrau gekommen, weshalb diese nur mittelbar getroffen sei. Wie das Beispiel zeigt, sollen für eine mittelbare Verletzung einer Rechtsposition lediglich ein Verursachungsbeitrag und der Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs erforderlich sein;82 dazwischen können jedoch weitere Ursachen oder Handlungen liegen. In diesem Fall müsse daher, obwohl im Ergebnis die Beeinträchtigung eines Rechtsguts gegeben ist, noch die Verletzung einer Verkehrspflicht83 vorliegen, um von einer Rechtswidrigkeit des Eingriffs ausgehen zu können.84 Diese zusätzliche Haftungsbegrenzung sei erforderlich, da sonst wiederum

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Katzenstein, Haftungsbeschränkungen, S. 184; Larenz, FS Dölle, S. 169, 198 f. Larenz/Canaris, SchuldR BT II/2, § 75 II S. 363; a.A. Kötz/Wagner, Deliktsrecht, Rn. 107, die auch bei unmittelbaren Verletzungen eines absoluten Rechts eine gesonderte Pflichtwidrigkeit verlangen. 79 Deutsch/Ahrens, Deliktsrecht, Rn. 81 ff.; Oetker, MüKo BGB, § 249 Rn. 141; Park, Schockschäden, S. 42. 80 LG Augsburg, NJW 1967, 1513. 81 LG Augsburg, NJW 1967, 1513. 82 Katzenstein, Haftungsbeschränkungen, S. 184. 83 Vgl. zur Terminologie Sprau, Palandt BGB, § 823 Rn. 45; Kötz/Wagner, Deliktsrecht, Rn. 124 ff., die in der „Verkehrspflichtverletzung“ jedoch nur ein Synonym für Fahrlässigkeit i.S.d. § 276 Abs. 2 BGB erblicken (Rn. 128 f.); Wandt, Gesetzliche Schuldverhältnisse, S. 333 Rn. 111. 84 Zu diesem Ergebnis kommt sowohl die herrschende Kombinationslehre (vgl. etwa Larenz/Canaris, SchuldR BT II/2, § 75 II S. 369) als auch die Lehre vom Handlungsunrecht. 78

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die Handlungsfreiheit des potentiellen Schädigers unerträglich beschränkt würde.85 Insgesamt ist die Einordnung mittelbarer Verletzungen jedoch nicht abschließend geklärt.86 Einerseits besteht schon keine Einigkeit darüber, wann überhaupt von einer mittelbaren Verletzungshandlung auszugehen ist.87 So wird teilweise nicht nur auf eine Zwischenursache, sondern alternativ auch auf das Fehlen einer engen zeitlichen Verknüpfung zwischen Ursachensetzung und Verletzungserfolg abgestellt.88 Andererseits ist auch der Umgang mit einer als mittelbar eingeordneten Verletzungshandlung Gegenstand juristischer Diskussion. Dabei geht es um die Frage, ob eine mittelbare Beeinträchtigung für sich schon gar kein Eingriff sei89 oder ob es ggf. lediglich an der Rechtswidrigkeit fehlt.90 Zudem besteht nicht einmal Einigkeit darüber, dass zwischen den beiden Verletzungsmöglichkeiten überhaupt eine dogmatische Zäsur besteht.91 So fordert die beschriebene herrschende Kombinationslehre nur bei mittelbaren Eingriffen die Verletzung einer Verkehrspflicht zur Unrechtsbegründung.92 Die Lehre vom Handlungsunrecht hingegen setzt sich für eine dogmatische Gleichbehandlung beider Fallgruppen in dem Sinne ein, dass sowohl bei mittelbaren als auch bei unmittelbaren Eingriffen die Verletzung einer Verkehrs- bzw. Sorgfaltspflicht zu prüfen sei.93 Die Lehre vom Erfolgsunrecht stellt für beide Verletzungsformen auf die Frage der Adäquanz, Sozialadäquanz, den Schutzzweck oder das allgemeine Lebensrisiko ab.94 Und wieder andere verweisen darauf, dass es auf die Frage, welche dieser Lehren nun am überzeugendsten sei, im Ergebnis ohnehin nicht ankomme, da die verschiedenen Lehren letztlich alle auf dasselbe hinausliefen und sich mangels Klarheit darüber, wie die herausgearbeiteten Kriterien mit Leben zu füllen seien, ohnehin immer mehr annäherten.95 Wer 85

Stoll, AcP 162 (1962) 203, 214. Ein Überblick über den Stand der Lehre findet sich bei Larenz/Canaris, SchuldR BT II/2, § 75 II S. 364 ff. 87 Siehe zu dieser Problematik Schwitanski, Deliktsrecht, S. 151 ff. 88 Insofern wird hinterfragt, ob es tatsächlich einer Zwischenursache bedarf oder ob auch ein längerer Zeitablauf genügt, um die Unmittelbarkeit der Verletzung abzulehnen, so Deutsch, Haftungsrecht, Rn. 237 m.w.N.; vgl. hierzu Henn, Drittschadensliquidation, S. 191 Fn. 241 m.w.N. 89 Für eine Prüfung auf Tatbestandsebene etwa Canaris, FS Larenz, S. 27, 80; Medicus/ Petersen, Bürgerliches Recht, Rn. 647; Wilhelmi, Ermann BGB, § 823 Rn. 75 f. 90 Dafür v. Bar, Verkehrspflichten, S. 174 f.; ders., JuS 1988, 169, 173; zu den verschiedenen Ansichten der Lehre an dieser Stelle siehe Wagner, MüKo BGB, § 823 Rn. 5 ff. 91 Hierzu sogleich ausführlicher unter: Kap. 1, B.I.1.e)bb)(2). 92 Grundlegend v. Caemmerer, FS Deutscher Juristentag, S. 49, 75 ff.; ihm zustimmend etwa Larenz, FS Dölle, S. 169, 187 f.; Larenz/Canaris, SchuldR BT II/2, § 75 II S. 365 f.; Medicus/Lorenz SchuldR II, S. 464 Rn. 7; Stoll, AcP 162 (1963), 203, 229. 93 Diese Lehre geht zurück auf Nipperdey, Karlsruher Forum 1959, S. 3, 6; ders., NJW 1957, 1777 ff.; vgl. hierzu auch Kötz/Wagner, Deliktsrecht, Rn. 110; Wagner, MüKo BGB, § 823 Rn. 6, 21 f. 94 So etwa Teichmann, Jauernig BGB, § 823 Rn. 48 f. 95 Siehe nur Bernhard, FS Picker, S. 83, 85, 109, der auf das Kriterium der haftungsbe86

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nämlich zur Unrechtsbegründung die Verletzung einer Sorgfaltspflicht verlangt und diese in der Vorhersehbarkeit des Erfolgs sieht, dürfte nicht allzu weit entfernt von jenen argumentieren, die im Rahmen der Schutzzwecklehre auf die Vorhersehbarkeit des tatbestandsmäßigen Erfolgs abstellen, oder jenen anderen, die dies im Rahmen der Adäquanzprüfung tun.96 bb) Die Kritik am aktuellen Meinungsstand Nun erschöpft sich die Kritik am aktuellen Meinungsstand jedoch nicht darin, dass keine Trennschärfe zwischen den jeweils herausgearbeiteten Kriterien zu erkennen sei. Vielmehr gilt es noch einen weiteren Gesichtspunkt ins Feld zu führen, der Erfolgs-, Handlungs- und Kombinationslehre gleichermaßen betrifft. Die dargestellten Lehren sind sich nämlich in einem entscheidenden Punkt einig, auf den Bernhard zutreffend hinweist: Sie gehen alle ganz selbstverständlich davon aus, dass die Verletzung in einer nachteiligen Veränderung des Zustands einer Sache oder des Körpers liegen soll.97 Der Verletzungserfolg, die Rechtsverletzung, wird dabei nicht in der die Grenze überschreitenden Handlung an sich, sondern in Einklang mit der Umgangssprache in der Verletzung der Integrität – der gebrochenen Hand, der Wunde am Bein, der zerstörten Sache etc. – gesehen, sofern diese äußerlich feststellbaren Veränderungen einen adäquaten Schaden darstellen.98 Gerade in der Verletzbarkeit der Substanz, so meint man, liege der Grund des besonderen Schutzes.99 Zwar sind auch nach diesen Ansichten Verletzungsformen anerkannt, die keine Beeinträchtigung der Integrität mehr erfordern – man denke an Nutzungsbeeinträchtigungen oder Verwendungszweckstörungen – und bei welchen eine naturalistische Unterscheidung zwischen Vermögens- und Sachschäden immer weiter normativiert wird. Jedoch geht es hierbei vor allem darum zu begründen, warum manche Vermögensschäden noch als Sach- oder Körperverletzungserfolge zu qualifizieren sind und somit ersetzt werden müssen.100 Gelingt dies nicht, handelt es sich lediglich um primäre Vermögensschäden, die nach all diesen Lehren nicht über § 823 Abs. 1 BGB zu ersetzen sind. gründenden Kausalität ganz verzichtet und auch die Kriterien der anderen Lehren für wenig zielführend erachtet. Letztlich komme es nur darauf an, ob das Verhalten des Schädigers in den Rechtsraum eines anderen eingreift, denn auch Verkehrspflichten und Schutzgesetze dienten dazu, subjektive Rechte zu erweitern, weshalb das korrespondierende subjektive Recht immer schon dann verletzt sei, wenn gegen die Pflicht verstoßen wird. Vgl. auch Sprau, Palandt BGB, § 823 Rn. 24. 96 Bernhard, FS Picker, S. 83, 85. 97 Bernhard, FS Picker, S. 83, 85. Dazu, dass „Verletzung“ und „Schaden“ alleine schon deshalb voneinander zu unterscheiden sind, weil sich die Verletzung nur auf das Recht bzw. Rechtsgut bezieht, während der Schaden die negative Veränderung des materiellen oder auch immateriellen Gutes darstellt, welche sich aus der Verletzung ergibt, vgl. Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, S. 431; Park, Schockschäden, S. 7. 98 Bernhard, FS Picker, S. 83, 85 f. m.w.N. 99 Vgl. etwa Löwisch, Deliktsschutz, S. 95 ff. 100 Vgl. hierzu Bernhard, FS Picker, S. 83, 91.

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Legt man jedoch auch dieser Problematik den tradierten Gedanken der Rechtszuweisung zu Grunde, ergeben sich, wie zu zeigen sein wird, zwei grundlegende Abweichungen. Erstens ist, wie auch bereits aufgezeigt,101 der Verletzungserfolg am Substrat keine zwingende Tatbestandsvoraussetzung und zweitens sind unmittelbare und mittelbare Verletzungen letztlich auf eine einheitliche dogmatische Grundlage zurückzuführen. (1) Die Verfehltheit der Gleichsetzung von Rechts- und Integritätsverletzung als tatbestandsmäßigen Verletzungserfolg Setzt man voraus, dass eine subjektive Rechtsposition über § 823 Abs. 1 BGB geschützt wird, sofern sie sozialtypisch offenkundig ist,102 so kann für einen Anspruch nach § 823 Abs. 1 BGB die Verletzung des körperlichen Substrats schon deshalb nicht erforderlich sein, weil es bei einigen Rechtspositionen bereits an einem gegenständlichen Bezugsobjekt, das beschädigt werden könnte, fehlt. Bei anderen spiegelt das Substrat wiederum nur den Kern, während das Recht erheblich weiter reicht. So liegt beispielsweise eine Eigentumsverletzung nicht nur dann vor, wenn der Schädiger einen fremden Gegenstand zerstört, sondern auch dann, wenn er ihn ohne Einverständnis des Rechtsinhabers, sei es auch nur vorübergehend, an einen anderen Ort verbringt. Springt dem Eigentümer deshalb ein potentieller Käufer ab und kann er den Gegenstand später nicht mehr gewinnbringend verkaufen, erleidet er einen Schaden, dessen Ersatzfähigkeit nach § 823 Abs. 1 BGB durchaus diskussionswürdig erscheint.103 Denn nach § 903 BGB hat der Eigentümer die Befugnis, über den Belegenheitsort seiner Sache zu entscheiden und jeden anderen von der Einwirkung auszuschließen.104 Ohne dass es also auf eine Verletzung an der Sachsubstanz ankäme, liegt mit dem Verbringen der Sache ohne Einverständnis des Eigentümers bereits eine Handlung vor, die im Widerspruch zum Herrschaftsrecht des Eigentümers steht. Insofern wird das Schutzrecht also auch dann aktiviert, wenn einerseits zwar ein Substrat besteht, aber eine Rechtsverletzung vorliegt, die den Zustand des Gegenstands gar nicht verschlechtert. Resultiert aus dieser Verletzung ein Schaden und handelte der Schädiger schuldhaft, muss auch ein Ersatz nach § 823 Abs. 1 BGB gewährleistet sein. Darüber hinaus kann eine Verletzung auch dann gegeben sein, wenn ein gegenständliches Bezugsobjekt der Rechtsposition überhaupt nicht existiert. Als Beispiel diene das Urheberrecht: Dieses kann auch an Werken entstehen, die

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Siehe hierzu bereits oben: Kap. 1, A.I.3.f). Vgl. zum Kriterium der sozialtypischen Offenkundigkeit oben: Kap. 1, A.II.1.a)aa)(2). 103 Vgl. Bernhard, FS Picker, S. 83, 94 f. 104 Zu einem anderen Ergebnis käme wohl Schaub, Prütting/Wegen/Weinreich BGB, § 823 Rn. 31, die zugunsten einer scharfen Abgrenzung zum primären Vermögensschaden davon ausgeht, dass der Ersatzanspruch nach § 823 Abs. 1 BGB weniger weitreichend sei als die umfassende Herrschafts- und Nutzungsbefugnis des Eigentümers nach § 903 BGB. 102

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nicht fixiert wurden und somit keinen körperlichen Bezugsgegenstand aufweisen.105 Die sozialtypische Offenkundigkeit wird nicht nur durch das Substrat hergestellt, sondern kann auch durch Gedankenreflexion oder die positive Beschreibung einzelner Befugnisse erreicht werden.106 Zwar wird sich in einigen Fällen die Rechtsverletzung mit der Verletzung am Substrat decken, die Verletzung am Gut ist aber nicht die einzige Möglichkeit, die Grenzen der Handlungsfreiheit zu überschreiten.107 Ein Grund, weshalb bei manchen absoluten Rechten die Substanzverletzung erforderlich sein soll und bei manchen nicht, ist nicht ersichtlich. Insbesondere ist die Verletzung der Substanz eines in § 823 Abs. 1 BGB aufgeführten absoluten Rechtsguts auch nicht deshalb als zwingende Voraussetzung eines deliktischen Ersatzanspruchs zu erachten, weil in der Verletzbarkeit der Substanz der Grund für den besonderen Schutz der aufgeführten Güter gegenüber dem Vermögen zu sehen ist. Reine Vermögensschäden werden nicht deshalb vom Schutz des § 823 Abs. 1 BGB ausgeklammert, weil sie für den Betroffenen weniger gravierend sind, sondern deshalb, weil der Schutz des gesamten Vermögens über § 823 Abs. 1 BGB die Gefahr einer unüberschaubaren Gläubigerpotenzierung nach sich ziehen würde.108 Sofern aber ein Schaden aus der Verletzung eines absoluten Rechts resultiert, ohne dass es zu einer Substanzverletzung gekommen ist, scheint mangels Gefahr einer Gläubigerpotenzierung kein Grund ersichtlich, warum dieser Vermögensschaden nicht auch nach § 823 Abs. 1 BGB ersatzfähig sein sollte. Vielmehr ergibt sich dies bereits aus dem Grundsatz des neminem laedere.109 Insofern sind also auch reine Vermögensschäden ersatzfähig, sofern sie aus der Verletzung einer anerkannten Rechtsposition hervorgehen.110 (2) Die einheitliche dogmatische Grundlage von mittelbaren und unmittelbaren Rechts(guts)verletzungen Geht man zudem davon aus, dass sowohl die positive Beschreibung einer Rechtsposition als auch das Aufstellen von Verhaltenspflichten eine Form der Darstellung der Zuordnungsentscheidung ist,111 wird eine strikte Trennung zwischen mittelbaren und unmittelbaren Verletzungen im Grunde entbehrlich. § 823 Abs. 1 BGB ist dann als dogmatisch einheitlicher Tatbestand anzusehen; die mittelbare oder unmittelbare Verletzung lediglich als unterschiedliche Form der Beschreibung deliktischen Unrechts.112 In beiden Fällen gilt es, vorgelagert den Inhalt der 105 So beispielsweise bei einem improvisierten Musikstück, welches nur ein einziges Mal gespielt wurde, vgl. Bullinger, Wandtke/Bullinger, UrhG, § 2 Rn. 20. 106 Siehe hierzu oben: Kap. 1, A.II.1.a)aa)(2). 107 Bernhard, FS Picker, S. 83, 106. 108 Siehe hierzu bereits oben: Kap. 1, B.I.1.d)aa). 109 Bernhard, FS Picker, S. 83, 95. 110 So auch Bernhard, FS Picker, S. 83, 95. 111 Siehe zu den verschiedenen Formen der Zuweisung bereits oben: Kap. 1, A.II.1.a)cc). 112 Katzenstein, Haftungsbeschränkungen, S. 184 f.

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B. Systematische Einordnung – der Anspruch als Ausnahmevorschrift?

Rechtsposition und damit die Grenze der allgemeinen Handlungsfreiheit zu ermitteln. Bei unmittelbaren Verletzungen wird bereits durch die Anschaulichkeit der subjektiven Rechtsposition deutlich, dass das Verhalten aufgrund der offensichtlich zutage tretenden Gefährdung oder Bedrohung der Rechtsposition im Widerspruch zur selbigen steht und welches Ver- oder Gebot hierdurch verletzt ist.113 Bei mittelbaren Rechtsgutsverletzungen ist, wie bei den Schutzgesetzen, die Normzwecklehre heranzuziehen und im Einzelfall zu fragen, wer in welchem Interesse gegen welche Gefahr geschützt sein soll, um den genauen Inhalt der Rechtsposition zu ermitteln.114 Im obigen Falle des Messerverkäufers ist dann von vornherein klar, dass der Verkauf des Messers keine Handlung darstellt, die in den Rechtskreis des späteren Opfers eingreift; dies gilt zumindest dann, wenn das Vorhaben des Käufers nicht erkennbar war und somit auch kein Verstoß gegen eine Verkehrspflicht gegeben ist. Mangels Rechtskreisverletzung durch den Verkäufer käme es dann auf die vielen verschiedenen Möglichkeiten zur Beschränkung der Haftung auf Tatbestandsebene nicht an.115 Auch die Verhaltenspflichten sind daher entgegen der herrschenden Meinung keine „Zurechnungsoder Begrenzungsfiguren“, sondern Zuweisungsfiguren.116 Auch sie bestimmen den Inhalt einer Rechtsposition. cc) Zwischenergebnis Im Ergebnis ist daher Folgendes festzuhalten: Für die Haftung ist die Verletzung des Substrats weder bei unmittelbaren noch bei mittelbaren Verletzungen erforderlich. Entscheidend ist alleine, ob der Handelnde schuldhaft die Grenze zwischen Betätigungsfreiheit und Rechtsposition überschreitet und ob aus dieser Rechtsverletzung ein Schaden resultiert. Daraus folgt zudem, dass auch aus dem bloßen Vorhandensein eines Verletzungserfolgs nicht auf eine Rechtsverletzung geschlossen werden kann. § 823 Abs. 1 BGB ist daher als dogmatisch einheitlicher Tatbestand zu begreifen, bei welchem lediglich die Art der Darstellung des begangenen Unrechts variieren kann.117

2. Präzisierung wichtiger Begrifflichkeiten In der aktuellen Diskussion zum Hinterbliebenengeld werden immer wieder Begriffe eingeführt und wie selbstverständlich verwendet, ohne dass diesen eine einheitliche Bedeutung zukäme. Dies erschwert nicht nur die wissenschaftliche Auseinandersetzung, sondern auch die Anwendung der Regelung in der Praxis, so dass in der Folge Unsicherheiten zu erwarten sind. In einem nächsten Schritt wird daher eine Präzisierung relevanter Begrifflichkeiten vorgenommen. 113

Katzenstein, Haftungsbeschränkungen, S. 184. Bernhard, FS Picker, S. 83, 108. 115 Bernhard, FS Picker, S. 83, 110 f. 116 Bernhard, FS Picker, S. 83, 107; siehe hierzu bereits oben: Kap. 1, A.II.1.a)cc)(2). 117 Katzenstein, Haftungsbeschränkungen, S. 185. 114

I. Der Anspruch als Ausnahme vom „Grundsatz der Unmittelbarkeit“?

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a) Psychisch vermittelte Schäden aa) Schockschäden und Fernwirkungsschäden Es ist in der Rechtsprechung und auch in der Literatur weitgehend anerkannt, dass eine Rechtsgutsverletzung keiner physischen Eiwirkung bedarf, sondern auch psychisch vermittelt werden kann.118 Gemeint sind jene Fälle, in denen eine Person aufgrund einer Unfallbeteiligung,119 durch das Mitansehenmüssen eines tödlichen Unfalls oder aufgrund der Todesnachricht eines nahen Angehörigen einen psychischen Gesundheitsschaden erleidet.120 Die beiden letztgenannten Fälle werden in Rechtsprechung und Literatur unter dem Begriff „Schockschaden“ diskutiert.121 Auch bei den „Schockschäden“ soll es um mittelbar verursachte Beeinträchtigungen gehen, bei denen die herrschende Meinung aufgrund eines Gesundheitsschadens von einer Rechtsverletzung ausgeht und die Ersatzfähigkeit des Schadens unter Zurechnungsaspekten zu klären versucht.122 Dabei ist man sich heute weitgehend darüber einig, dass der Zweitgeschädigte, sofern er eine eigene Rechtsgutsbeeinträchtigung erleidet,123 selbst „unmittelbar Geschädigter“ ist und nicht, wie früher teilweise vertreten, bloß „mittelbar Geschädigter“.124 Im

118 Vgl. RGZ 133, 270 272 ff.; RGZ 157, 11; BGH, NJW 1971, 1883, 1884 (insoweit nicht in BGHZ 56, 163 abgedruckt); BGH, NJW 1991, 747, 748; OLG Freiburg, JZ 1953, 704; v. Caemmerer, DAR 1970, 283, 291; Diederichsen, DAR 2011, 122; Schiemann, Staudinger BGB, § 249 Rn. 29. 119 Vgl. hierzu etwa BGHZ 218, 220 = NJW 2018, 3250. 120 Wagner, MüKo BGB, § 823 Rn. 214. 121 Die Anerkennung von Schockschäden geht zurück auf ein Urteil des OLG Hamburg v. 20.05 1903, SeuffA 60, Nr. 54, S. 100 ff. (zitiert nach Heldermann, Schockschäden Dritter, S. 20; Stiegler, Schock- und Trauerschäden, S. 17) sowie auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts vgl. RGZ 133, 270 und RGZ 157, 11. Der BGH bejahte die Ersatzfähigkeit des Schockschadens erstmals im Jahr 1965 (BGH Urteil v. 09.11.1965 – VI ZR 260/63) und entwickelte daraufhin in dem Grundsatzurteil von 1971 die bis heute gültigen Grundsätze für den Schmerzensgeldanspruch Schockgeschädigter auf Grundlage von § 823 Abs. 1 BGB (BGHZ 56, 163 = NJW 1971, 1883); vgl. hierzu ausführlich Stahmer, Nichtvermögensschäden bei Tötung, S. 83 f.; Stiegler, Schock- und Trauerschäden, S. 17. Neuerdings wendet der BGH die Grundsätze zum Schockschaden auch auf Fälle an, in denen das haftungsbegründende Ereignis kein Unfall, sondern ein ärztlicher Behandlungsfehler ist, vgl. BGHZ 222, 125 = NJW 2019, 2389. 122 Spickhoff, Karlsruher Forum 2007, S. 55; S. Müller, Schmerzensgeldbemessung, S. 27. 123 Vgl. insoweit z.B. die Entscheidung des BGH, NJW 2015, 2246, 2248, in welcher der Senat ausdrücklich darauf hinweist, dass „nicht jede psychisch vermittelte Beeinträchtigung der körperlichen Befindlichkeit [ausreicht], um einen Schadensersatzanspruch eines dadurch nur „mittelbar“ Geschädigten im Falle der Tötung […] eines Dritten auszulösen“. 124 Grundlegend BGHZ 56, 163, 168 = NJW 1971, 1883, 1884; jedoch ist die Rechtsprechung hinsichtlich der Begriffsverwendung nicht einheitlich, vgl. etwa BGHZ 193, 34 = DAR 2012, 251; siehe aus der Literatur ferner Bischoff, MDR 2017, 739, 741; v. Caemmerer, DAR 1970, 283, 291; Oetker, MüKo BGB, § 249 Rn. 285; Schiemann, Staudinger BGB, § 249 Rn. 44; Schips, Schmerzensgeld, S. 143; Wagner, MüKo BGB, § 823 Rn. 215; a.A. noch: v.

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B. Systematische Einordnung – der Anspruch als Ausnahmevorschrift?

Grunde geht es nach der Terminologie der herrschenden Meinung also um einen mittelbar Verletzten, aber unmittelbar Geschädigten.125 Dies erscheint unter dem Aspekt plausibel, dass ein deliktischer Schadensersatzanspruch bei Fehlen einer eigenen Rechtsgutsverletzung schon nach allgemeinen Grundsätzen nicht in Betracht kommt. Liegt im Einzelfall jedoch eine psychisch vermittelte Gesundheitsbeeinträchtigung vor, wird überprüft, inwieweit diese unter den Schutz der Haftungsnorm fällt und wann sie dem allgemeinen Lebensrisiko zuzurechnen sei.126 Dabei grenzt die Rechtsprechung anhand einer unmittelbaren Beteiligung am Unfallgeschehen und eines Verwandtschaftsverhältnisses ab: Liegt eine vom Schädiger aufgezwungene unmittelbare Beteiligung vor127 oder aber eine „enge personale Verbundenheit“128 zwischen Erst- und Zweitgeschädigtem und geht die Gesundheitsbeeinträchtigung über das hinaus, was ein Angehöriger normalerweise im Todesfalle erleidet,129 geht die Rechtsprechung von einem Zurechnungszusammenhang aus. In beiden Fällen liege daher eine ersatzfähige Gesundheitsverletzung vor. Dagegen verneint der BGH den haftungsrelevanten Zusammenhang, wenn eine psychisch vermittelte Gesundheitsbeeinträchtigung eines Polizisten zwar Krankheitswert erreicht, diese Beeinträchtigung jedoch lediglich auf das Miterleben eines Unfallgeschehens als Beobachter zurückzuführen ist und die Person selbst nicht unmittelbar am Unfallhergang beteiligt war.130 Eine durch bloßes

Hippel, NJW 1965, 1890, 1891; Lieberwirth, Schmerzensgeld, S. 31; Park, Schockschäden, S. 39; Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 27; ders., JuS 2018, 744, der auch in den Fällen des Schock- und Fernwirkungsschadens eine Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes sieht. Zur Bedeutung des „mittelbar Geschädigten“ unter: Kap. 1, B.I.2.c)aa). 125 In diese Richtung auch das OLG Freiburg, JZ 1953, 704. 126 Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 27 m.w.N. in Fn. 8. 127 Vgl. etwa BGH, NJW 1986, 777, 779; BGH, NJW 1993, 1523, 1524; siehe hierzu auch Heß/Burmann, NJW-Spezial 2006, 303; Wandt, Gesetzliche Schuldverhältnisse, S. 351 Rn. 145 mit Fn. 317. 128 Vgl. hierzu ausdrücklich BGHZ 163, 209 = NJW 2005, 2614; BGHZ 193, 34, 37 = NJW 2012, 1730, 1731. 129 Vgl. hierzu auch die Anmerkung von Elsner zu BGHZ 172, 263 in: NJW 2007, 2764, 2766. Nicht ausreichend für einen Schockschaden soll nach BGHZ 56, 163, 65 = NJW 1971, 1883, 1884 jedenfalls sein: „ein starkes negatives Erlebnis, das Empfindungen wie Schmerz, Trauer und Schrecken hervorruft“ und das „physiologische Abläufe und seelische Funktionen in oft sehr empfindlicher Weise stört“, auch wenn dies „medizinisch fassbare Auswirkungen“ hat. Damit ist freilich nicht geklärt, warum nicht wie sonst jede psychische Gesundheitsbeeinträchtigung zu einem Ersatzanspruch führt. Das Erfordernis einer besonders qualifizierten Erkrankung lässt sich unter Zurechnungsgesichtspunkten jedenfalls nicht hinreichend begründen; so auch Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 29. Vgl. zum Erfordernis einer besonders erheblichen Gesundheitsverletzung in diesen Fällen auch die Kritik bei Schramm, Haftung für Tötung, S. 151 ff. m.w.N. 130 Prototypisch: BGHZ 193, 34 = NJW 2007, 2764 (Anm. Elsner); so auch Heß/Burmann, NJW-Spezial 2006, 303, 304; kritisch Ekkenga/Kuntz, Soergel BGB, Vor § 249 Rn. 157.

I. Der Anspruch als Ausnahme vom „Grundsatz der Unmittelbarkeit“?

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Miterleben des Unfalls hervorgerufene Gesundheitsbeeinträchtigung einer Person sei Teil des allgemeinen Lebensrisikos und daher dem Unfallverursacher nicht mehr zuzurechnen.131 Innerhalb der Schockschadensfälle lässt sich zudem eine abgrenzbare Untergruppe ausmachen, die verbreitet unter dem Begriff „Fernwirkungsschaden“132 zusammengefasst wird. Dieser beschreibt jenen Gesundheitsschaden, den eine Person nach der Übermittlung der Todesnachricht eines Angehörigen erleidet.133 Die eigene Namensgebung dieses Unterfalls des Schockschadens leitet sich daraus ab, dass die geschädigte Person bei dem zum Tode des Angehörigen führenden Ereignis nicht anwesend sein musste, sondern die bloße Benachrichtigung ausreichen kann, um einen Ersatzanspruch auszulösen.134 Von einem Schockschaden (im engeren Sinne) wird hingegen gesprochen, wenn der zweitgeschädigte Angehörige das Unfallgeschehen unmittelbar miterlebt hat.135 Diese Unterscheidung ist neuerdings auch deshalb von Relevanz, weil die Rechtsprechung bei einer lediglich durch Benachrichtigung vermittelten Beeinträchtigung nunmehr noch strengere Anforderungen an die Gesundheitsbeeinträchtigung stellt als bei einem unmittelbaren Miterleben oder gar einer direkten Beteiligung am Unfallhergang.136 Zusammenfassend lässt sich daher festhalten, dass der psychisch vermittelte Schaden den Oberbegriff bildet. Auch bei einem Schockschaden handelt es sich um einen psychisch vermittelten Schaden, der jedoch ein Angehörigenverhältnis und eine qualifizierte Gesundheitsbeeinträchtigung voraussetzt. Dabei werden die Voraussetzungen an die Gesundheitsbeeinträchtigung nach neuster Entwicklung noch strenger, wenn diese lediglich durch die Benachrichtigung vom Unfalltod als sogenannter Fernwirkungsschaden ausgelöst wird.

131 BGHZ 172, 263, 268 = NJW 2007, 2764, 2766; a.A. wohl Oetker, MüKo BGB, § 249 Rn. 153. 132 Der Begriff des Fernwirkungsschadens in diesem Zusammenhang geht zurück auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts, vgl. RGZ 157, 11, 13. 133 BGH, NJW 1971, 1883, 1884 (insoweit nicht in BGHZ 56, 163 abgedruckt); vgl. auch Ch. Huber, VersR 2020, 385. 134 Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 27; vgl. auch BGH, NJW 1971, 1883, 1884 m.w.N. (insoweit nicht in BGHZ 56, 163 abgedruckt). 135 Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 27. 136 BGH, NJW 2015, 2246, 2248; BGH, NJW 2015, 1451 mit insoweit abl. Anm. von Thora; kritisch hierzu auch Wagner, MüKo BGB, § 823 Rn. 217, der darauf hinweist, dass die Feststellung, ob überhaupt eine Gesundheitsverletzung vorliegt, letztlich unabhängig davon getroffen werden sollte, ob der Zweitgeschädigte unmittelbar am Unfallgeschehen beteiligt war oder nicht. Zudem kann die Abgrenzung zwischen einem Miterleben und einer bloßen Benachrichtigung im Einzelfall durchaus schwierig sein, vgl. zu dieser Abgrenzungsproblematik etwa Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 28.

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B. Systematische Einordnung – der Anspruch als Ausnahmevorschrift?

bb) Kritische Analyse Nach dem Ergebnis der bisherigen Untersuchung lässt sich die Kritik am Umgang mit mittelbaren und unmittelbaren Verletzungen auch auf die Rechtsfigur des Schockschadens übertragen. Bevor nämlich mit der herrschenden Meinung die Frage nach der Zurechnung und damit einhergehend die Kriterien des Rechtswidrigkeitszusammenhangs, der Kausalität, der Adäquanz, des Schutzzwecks etc. besprochen werden können, stellt sich die entscheidende Frage nach dem Inhalt des subjektiven Rechts.137 Denn letztlich geht es nicht entscheidend um den irgendwie gearteten Verletzungserfolg am Substrat, der unmittelbar oder auch mittelbar oder psychisch vermittelt hervorgerufen werden kann, sondern um die Frage, ob das Handeln des Schädigers die Grenzen der Handlungsfreiheit überschreitet und so in den fremden Rechtsraum des Geschädigten eingreift.138 Stehen aber die Grenzen des Rechtskreises fest und ist geklärt, ob das Handeln des Schädigers diese Grenze überschritten hat, ist zweifelhaft, ob die Zurechnung anhand der Adäquanz- oder Schutzzwecklehre im Unrechtstatbestand gesondert geprüft werden muss.139 Nicht zielführend scheint unter diesem Blickwinkel daher die Abgrenzung zwischen Schadensersatzpflicht und allgemeinem Lebensrisiko nach der Schwere des Gesundheitsschadens, welche die Rechtsprechung im Rahmen der Schutzzwecklehre vornimmt.140 Die Frage, ob im Ergebnis eine Gesundheitsbeeinträchtigung im medizinischen Sinn oder auch nach den strengeren Kriterien der Verkehrsauffassung gegeben ist,141 betrifft letztlich nicht die Frage nach der Überschreitung der Handlungsfreiheit zu Lasten des Rechtskreises des Schockgeschädigten, sondern nach dem Ausmaß des Schadens bzw. nach der Schwere des Erfolgs. Weshalb die Schwere des Verletzungserfolgs aber als Abgrenzungskriterium für die Haftung herangezogen werden sollte, leuchtet nicht ein und ergibt sich auch für psychisch vermittelte Verletzungen nicht aus der Rechtsordnung.142 Auch im Rahmen der psychisch vermittelten Beeinträchtigung sollte daher zunächst überprüft werden, ob die Verletzungshandlung auch in den Rechtskreis 137

Vgl. Picker, Karlsruher Forum 2007, S. 121. Vgl. hierzu Bernhard, FS Picker, S. 83, 103; in diese Richtung auch bereits Fraenkel, Tatbestand, S. 34, 163. 139 Ausdrücklich ablehnend Bernhard, FS Picker, S. 83, 111. 140 Vgl. nur den Leitsatz in BGHZ 56, 163 = NJW 1971, 1883: „Die seelische Erschütterung (,Schockschaden‘) durch die Nachricht vom tödlichen Unfall eines Angehörigen begründet einen Schadensersatzanspruch gegen den Verursacher des Unfalls nicht schon dann, wenn sie zwar medizinisch erfaßbare Auswirkungen hat, diese aber nicht über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgehen, denen nahe Angehörige bei Todesnachrichten erfahrungsgemäß ausgesetzt sind. Der Schutzzweck des § 823 Abs. 1 BGB deckt nur Gesundheitsschädigungen, die nach Art und Schwere diesen Rahmen überschreiten“; siehe zum Schutzzweck des § 823 Abs. 1 BGB ferner auch BGHZ 218, 220 = NJW 2018, 3250, 3251 m.w.N. 141 Siehe zu den unterschiedlichen Anforderungen an eine Gesundheitsverletzung bereits oben: Kap. 1, A.III.3. 142 Fraenkel, Tatbestand, S. 164. 138

I. Der Anspruch als Ausnahme vom „Grundsatz der Unmittelbarkeit“?

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des Zweitgeschädigten eingreift. Ausschlaggebend ist, ob der Schädiger durch sein Verhalten auch der schockgeschädigten Person gegenüber eine Rechtsverletzung begangen hat. Ergibt sich diese nicht bereits aus der Anschaulichkeit des Rechts und der Überschreitung seiner offenkundigen Grenzen, ist zu fragen, ob der Schädiger ein Schutzgesetz oder eine Verkehrspflicht verletzt hat, welche die Grenzen der Rechtsposition über den Körper als sichtbares Substrat hinaus erweitert.143 Gerade beim Fernwirkungsschaden erscheint dies jedoch fraglich. Verursacht der Schädiger beispielsweise einen Unfall, bei dem der Fahrer eines PKW zu Tode kommt, und erleidet die Witwe daraufhin einen Schock, ergibt sich der Eingriff in den Rechtskreis der Witwe noch nicht daraus, dass die Handlung des Schädigers im Widerspruch zu ihrem „Gesundheitsrechtskreis“ stand. Der Inhalt des Gesundheitsrechts dürfte nicht so weit reichen, Personen, die nicht am Unfall beteiligt waren, als Opfer einer Körper- oder Gesundheitsverletzung anzusehen,144 auch wenn im Ergebnis ein Gesundheitsschaden vorliegt. Noch deutlicher wird dies bei dem erst kürzlich entschiedenen Fall des BGH, in welchem das Unfallereignis in einem ärztlichen Behandlungsfehler begründet lag.145 Es erscheint doch sehr weitreichend, davon auszugehen, dass ein Arzt durch seine Behandlung in die Gesundheit aller Angehörigen seines Patienten eingreift, auch wenn diese aufgrund eines Behandlungsfehlers einen Schock erleiden.146 Eine solche Sichtweise müsste genaugenommen dazu führen, in jeder fehlerhaften Behandlung zugleich eine Gesundheitsverletzung aller nahestehender Personen des Patienten zu sehen und zwar unabhängig davon, ob diese einen Schockschaden erleiden oder nicht. Denn die Frage nach dem Vorliegen eines Schadens ist genaugenommen Teil des haftungsausfüllenden Tatbestands und daher erst im Falle einer Rechtsverletzung von Bedeutung. Im Ergebnis müsste ein Ersatzanspruch des Schockgeschädigten daher mangels Eingriffs in die Gesundheit, obwohl im Ergebnis eine Gesundheitsbeeinträchtigung vorliegt, eigentlich verneint werden.147 143 Siehe zu den Verkehrspflichten als Rechtszuweisungsmechanismen bereits oben: Kap. 1, A.II.1.a)cc)(2). 144 Fraenkel, Tatbestand, S. 163. 145 BGHZ 222, 125 = NJW 2019, 2389. 146 Etwas anderes würde sich bei einem tödlichen Haftungsereignis womöglich dann ergeben, wenn man davon ausginge, die §§ 211, 212, 222 StGB seien auch dazu bestimmt, die Angehörigen vor Beeinträchtigungen ihrer Gesundheit aufgrund einer Tötung zu schützen, so dass diese strafrechtlichen Normen auch das Gesundheitsrecht der Angehörigen erweitern und seinen Inhalt entsprechend festlegen. Im Ergebnis wäre dann auch eine Haftung für Schockschäden über § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. diesen strafrechtlichen Normen denkbar. Ob der Schutzzweck dieser Normen aber so weit reicht, bleibt fraglich und soll hier nicht weiter erörtert werden. 147 Nach Fraenkel, Tatbestand, S. 34, 163 f. soll daher eine Haftung bei Schockschäden Dritter gänzlich ausscheiden, weil nicht in den Rechtskreis des Dritten eingegriffen wurde. Ein Recht des einen an der Unversehrtheit des anderen soll es nach Fraenkel gerade nicht geben. Diese Fälle seien daher vergleichbar mit denjenigen Fällen, bei denen eine Rechtsverletzung durch die Beseitigung eines schützenden Zustands herbeigeführt wird, dessen Aufrechterhaltung nach dem Inhalt des Rechts aber nicht verlangt werden kann (S. 164).

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B. Systematische Einordnung – der Anspruch als Ausnahmevorschrift?

cc) Lösungsvorschlag Lehnt man eine Gesundheitsverletzung bei Schockschäden ab und soll dennoch ein Ersatzanspruch gewährt werden, so ist dieses Ergebnis nur damit zu begründen, dass ein Eingriff in eine andere Rechtsposition gegeben sein muss. Denkbar wäre daher auch, dass das Verhalten des Schädigers in den Schockschadensfällen zwar nicht in die Gesundheit der Angehörigen, wohl aber in ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht als sonstiges Recht eingreift. Auch der BGH unterscheidet danach, ob eine Person selbst am Unfallgeschehen beteiligt war oder lediglich aufgrund des Beobachtens oder der Todesnachricht eine Beeinträchtigung erlitten hat. Diese Differenzierung, die im Ergebnis durchaus zutreffend sein mag, hat ihren Grund möglicherweise jedoch nicht in der Reichweite des Schutzzwecks des § 823 Abs. 1 BGB,148 sondern im jeweils verletzten Rechtskreis. Im Fall einer eigenen Beteiligung am Unfallgeschehen ist ein Eingriff in die Gesundheit nämlich durchaus denkbar. Es leuchtet ein, dass ein Verkehrsteilnehmer zur Verhinderung einer Gesundheitsverletzung von den anderen Verkehrsteilnehmern ein entsprechendes Verhalten verlangen kann, so dass hier eine Verhaltenspflicht anzunehmen ist,149 die den Rechtskreis entsprechend erweitert. Dieser Fall ist daher weniger problematisch. Im Fall des Schock- bzw. Fernwirkungsschadens erscheint es hingegen möglich, die verletzte Rechtsposition nicht, wie von der herrschenden Ansicht angenommen, in der Gesundheit, sondern ebenso in der Nähebeziehung und damit im allgemeinen Persönlichkeitsrecht zu sehen, das durch die schädigende Handlung (unmittelbar) verletzt wird. Diese Überlegung wird im Grunde auch durch die Rechtsprechung des BGH gestützt, der den Ersatzanspruch in den Schockschadensfällen von einem Angehörigenverhältnis oder zumindest von einer personalen Sonderbeziehung abhängig macht,150 ohne dass dies dem Gesetz in irgendeiner Form zu entnehmen wäre. Auch nach Ansicht des BGH dient bei derartigen Schadensfällen „die enge personale Verbundenheit dazu, den Kreis derer zu be148 Siehe zum Schutzzweck des § 823 Abs. 1 BGB in diesem Zusammenhang bereits oben: Kap. 1, B.I.2.a)bb). 149 So auch Schips, Schmerzensgeld, S. 151 f., der eine solche Verkehrspflicht sogar auch bei bloßem Miterleben des Unfallgeschehens annimmt, weil eine Pflicht zur Schonung von Leib und Leben für sämtliche Personen bestehe, die in einem räumlichen Zusammenhang mit dem schädigenden Ereignis stehen. 150 Zur besonderen Bedeutung der „personalen Sonderbeziehung“ bei Schockschäden vgl. auch Karczewski, Schockschäden, S. 71 f., 392. Zu der Frage, ob lediglich Angehörige im formellen Sinne einen Anspruch auf Ersatz ihres Schockschadens haben sollten oder ob nicht jede vergleichbare Beziehung ausreichen sollte, siehe Schramm, Haftung für Tötung, S. 155 m.w.N., die sich im Ergebnis dafür ausspricht, auf ein Angehörigenverhältnis im klassischen Sinne zu verzichten, weil die Intensität der Beziehung nicht notwendig in Zusammenhang mit der Verwandtschaft stehen muss (S. 157). In diese Richtung auch Oetker, MüKo BGB, § 249 Rn. 153, der auch die Verlobte und die Lebensgefährtin mit einbeziehen will. Vgl. ferner auch Behr, Schmerzensgeld und Hinterbliebenengeld, S. 223; Park, Schockschäden, S. 179.

I. Der Anspruch als Ausnahme vom „Grundsatz der Unmittelbarkeit“?

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schreiben, die den Integritätsverlust des Opfers als Beeinträchtigung der eigenen Integrität und nicht als ,normales‘ Lebensrisiko der Teilnahme an den Ereignissen der Umwelt empfinden“.151 Fehlt eine solche Verbundenheit, ist ein Anspruch auf Ersatz der erlittenen Beeinträchtigung hingegen auch für eine das Unfallgeschehen beobachtende Person mangels Rechtsverletzung ausgeschlossen, obwohl die gesundheitlichen Folgen im Einzelfall ebenso gravierend für diese Person sein können.152 Zwar wird auch die personale Sonderbeziehung von der herrschenden Ansicht lediglich als weiteres Kriterium zur Haftungsbegrenzung im Rahmen der Frage nach dem Schutzzweck des § 823 Abs. 1 BGB herangezogen, jedoch zeigt diese besondere Handhabung zumindest, dass hier ein Unterschied zu den anderen Fallgruppen gegeben sein muss. Dieser Unterschied liegt möglicherweise jedoch nicht in der Reichweite der Zurechnung eines Verletzungserfolgs in Abhängigkeit von einer personalen Sonderbeziehung, sondern im verletzten Rechtskreis selbst. Erleidet eine unmittelbar an einem Unfall beteiligte Person einen Schock, ist dieser das Resultat aus einer Handlung, welche in ihren Rechtskreis der Gesundheit eingegriffen hat. War die Person aber gar nicht beteiligt, liegt auch kein Eingriff in ihren Rechtskreis vor, es sei denn, durch die zum Tode führende Handlung wird die Nähebeziehung zwischen ihr und der unmittelbar verletzten Person aufgehoben und dadurch ihr eigenes Persönlichkeitsrecht verletzt. Auch bei den Schockschäden liegt der Schaden im seelischen Leid, das besonders stark ausgeprägt sein kann und daher pathologisch fassbar wird. Krankheit muss jedoch nicht zwingend die Folge einer Gesundheits- oder Körperverletzung sein.153 Sie ist auch, insbesondere bei seelischen Beeinträchtigungen, als Schaden aufgrund einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts denkbar. Die Praxis des

151 BGHZ 193, 34, 37 = NJW 2012, 1730, 1731; vgl. ferner auch BGHZ 163, 209 = NJW 2005, 2614; vgl. aus der Literatur auch Steffen, RGRK BGB, § 823 Rn. 11: „Ersatzberechtigt ist, wer dem Gefahrenbereich des Primärereignisses unmittelbar ausgesetzt gewesen ist oder wer aufgrund einer personalen Sonderbeziehung zu dem Unfallopfer bei wertender Betrachtung in der Schutzrichtung der Norm mitsteht, weil er den Integritätsverlust des Opfers als Beeinträchtigung der eigenen Integrität empfindet.“; kritisch hingegen Dörr, MDR 2015, 1209, 1212: „Es erschließt sich nicht, weshalb dieselbe psychische Erkrankung, die nachweisbar adäquat kausal auf ein Verkehrsunfallereignis zurückzuführen ist, nur dann eine mit den Mitteln des Deliktsrechts zu kompensierende Schadensqualität besitzt, wenn der Geschädigte in einer personalen Beziehung zum Primärunfallopfer steht.“; kritisch hinsichtlich der Voraussetzung eines Angehörigenverhältnisses ferner auch Zwickel, NZV 2015, 214, 217. 152 Vgl. den soeben geschilderten Fall des beobachtenden Polizeibeamten, BGHZ 172, 263 = NJW 2007, 2764. 153 Vgl. BGHZ 193, 34 = NJW 2012, 1730. In dieser Entscheidung hat der BGH eine Gesundheitsbeeinträchtigung für möglich gehalten, die durch die Tötung des Hundes der Klägerin und damit im Grunde durch eine Eigentumsverletzung hervorgerufen wurde (vgl. § 90a BGB). Dass der BGH einen Schmerzensgeldanspruch mit Verweis auf das allgemeine Lebensrisiko im Ergebnis abgelehnt hat, steht dem nicht entgegen. Zur Frage, ob auch bei Verletzung eines Haustiers eine Entschädigung geleistet werden sollte, siehe unter: Kap. 2, B.IV. 1.

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B. Systematische Einordnung – der Anspruch als Ausnahmevorschrift?

BGH, in diesen Fällen entweder eine unmittelbare Beteiligung oder ein Angehörigenverhältnis zu verlangen, erscheint daher zwar mit Blick auf die Begründung fraglich, im Ergebnis aber durchaus zutreffend. b) Erst- und Zweitgeschädigter In der bisherigen Untersuchung wurde deutlich, dass es durch ein und dieselbe Handlung des Schädigers mehrere beeinträchtigte Rechtssubjekte geben kann: in der hier zugrundeliegenden Problematik einmal denjenigen, der durch das schädigende Ereignis sein Leben verloren hat (Erstgeschädigter), und einmal die Person, die hierdurch beispielsweise in ihrer Gesundheit beeinträchtigt oder in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt wurde (Zweitgeschädigter). Insofern handelt es sich um ein Doppeldelikt,154 bei dem durch eine Handlung zwei unterschiedliche Rechtsgüter bei unterschiedlichen Personen betroffen werden. In Zusammenhang mit dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld werden diese Termini jedoch auch dann gebraucht, wenn davon ausgegangen wird, dass der Überlebende keine eigene Rechtsverletzung erlitten hat, sondern lediglich auf andere Art und Weise eine Beeinträchtigung, z.B. einen mittelbaren Schaden, hinzunehmen hat.155 Der Terminus „Erstgeschädigter“ steht somit für die in ihrem Rechtsgut Leben verletzte Person, während der „Zweitgeschädigte“ entweder selbst durch eine eigene Rechtsverletzung betroffen sein kann oder lediglich in irgendeiner Art und Weise eine Beeinträchtigung erfahren haben muss. In letzterem Fall ist der Zweitgeschädigte zugleich auch mittelbar Geschädigter.156 Im Hinblick auf eine strikte Trennung zwischen Verletzung einer Rechtsposition in der Haftungsbegrenzung und dem eingetretenen Schaden im haftungsausfüllenden Tatbestand erscheinen jedoch die Begriffe „Erst- und Zweitverletzter“ sachgerechter, sofern die Verletzung einer Rechtsposition gegeben ist. Auf die Begriffe des „Erst- und Zweitgeschädigten“ soll in dieser Konstellation daher verzichtet werden.157 c) Drittschaden Ein Drittschaden liegt vor, wenn keine eigene Rechtsverletzung des Dritten gegeben ist, dieser aber trotzdem einen Schaden erlitten hat (damnum sine iniuria).158 Diese Drittschäden sind, soweit es aus den Protokollen hervorgeht,159 im 154 Grundlegend zum Doppeldelikt Steffen, RGRK BGB, § 823 Rn. 474 ff.; Stoll, Recht und Staat 364/364, S. 28 ff. 155 So z.B. Kadner Graziano, Hinterbliebenengeld, S. 185; zur Bedeutung des mittelbaren Schadens sogleich. 156 Zur Bedeutung des „mittelbar Geschädigten“ siehe sogleich unter: Kap. 1, B.I.2.c)aa). 157 Zudem bestehen Zweifel daran, ob die getötete Person überhaupt einen Schaden erleidet oder ob die Schadensbilanz nicht vielmehr mit dem Tod endet, siehe hierzu bereits oben in Kap. 1, A. Fn. 389. 158 Vgl. Wagner, MüKo BGB, § 823 Rn. 215. 159 Vgl. Protokolle II, S. 598 ff. = Mudgan II, S. 517 f.

I. Der Anspruch als Ausnahme vom „Grundsatz der Unmittelbarkeit“?

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Grundsatz bewusst nicht im BGB geregelt160 und, wie sich mit Blick auf die haftungsbegrenzende Funktion der Tatbestände oder den Grundsatz der Unmittelbarkeit oder das Dogma vom Gläubigerinteresse ergibt, auch nicht ersatzfähig. Dennoch werden solche Schäden im Wege der Rechtsfortbildung zum Teil erstattet.161 Zu unterscheiden sind hierbei der nicht ersatzfähige Drittschaden des mittelbar Geschädigten (aa)) und die Fälle der sogenannten Drittschadensliquidation (bb)).162 aa) Der mittelbar Geschädigte Mittelbar Geschädigter ist jener,163 der Schäden erleidet, die nicht durch eine eigene Rechtsverletzung hervorgerufen werden und die neben den Schaden eines unmittelbar in seiner Rechtsposition Verletzten treten.164 Im Falle der verunglückten Sängerin ist beispielsweise der Konzertveranstalter lediglich mittelbar Geschädigter.165 Diese Schäden sind schon deshalb haftungsrechtlich nicht mehr relevant, weil die Haftungsvoraussetzungen bereits bei der Prüfung der Tatbestandsverwirklichung ausgeschlossen werden.166 Der nur mittelbar Geschädigte hat seinen Schaden grundsätzlich selbst zu tragen.167

160 Als gesetzlich geregelte Ausnahme von diesem Grundsatz werden immer wieder die §§ 844, 845 BGB benannt, vgl. etwa Odersky, Schmerzensgeld, S. 14. 161 Zu den Fällen der Drittschadensliquidation siehe sogleich unter: Kap. 1, B.I.2.c)bb). 162 Weitere Ausnahmen sind mit den Grundsätzen über den Vertrag mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter und über die Vertrauenshaftung gem. § 311 Abs. 3 BGB im Bereich der vertragsähnlichen Schuldverhältnisse anerkannt, vgl. hierzu Gomille, Jura 2017, 619. Diesen am Tatbestandsprinzip ansetzenden Erweiterungen der Ersatzberechtigten kommt für die hier aufgeworfene Problemstellung jedoch keine tiefere Bedeutung zu; sie werden an dieser Stelle daher bewusst ausgeklammert. 163 Auch an dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass der mittelbar Geschädigte nicht gleichzusetzen ist mit dem „mittelbar Verletzten“. Jemand kann in der Terminologie der h.M. „mittelbar Verletzter“ sein (sofern man an der Unterscheidung zwischen unmittelbarer und mittelbarer Verletzung überhaupt festhalten möchte) und trotzdem auch unmittelbar Geschädigter. Anders etwa noch Fabricius, AcP 160 (1961), 273, 302; Lieberwirth, Schmerzensgeld, S. 30 f. 164 Vgl. RGZ 64, 344, 345; RGZ 97, 87 89; BGHZ 7, 30 = NJW 1952, 1249; Park, Schockschäden, S. 39; zu den verschiedenen Schädigungsformen siehe ferner OLG Freiburg, JZ 1953, 704 f. 165 Siehe zu diesem Beispiel bereits oben in Kap. 1, B. Fn. 28. 166 Da es bei einem mittelbar Geschädigten folglich an einer Rechtsverletzung fehlt, ist eine Person, die im Rahmen der Schockschadensfälle eine Gesundheitsverletzung erleidet, nicht hierunter zu fassen. Liegt eine Gesundheitsverletzung des Angehörigen vor, ist es unzutreffend, von einem durch bloßen „Reflex“ mitleidenden „mittelbar Geschädigten“ zu sprechen. So aber Brand, FS Jaeger, S. 191, 192; Wiggert, Die Geltendmachung fremden Schadens, S. 1. 167 Denck, Schadensersatzansprüche Dritter, S. 2; Oetker, MüKo BGB, § 249 Rn. 281.

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B. Systematische Einordnung – der Anspruch als Ausnahmevorschrift?

Hervorzuheben ist an dieser Stelle auch, dass die Terminologie des mittelbar Geschädigten und des mittelbaren Schadens168 nicht kongruent ist.169 Bei einem mittelbaren Schaden kann durchaus eine Verletzung an einem geschützten Recht des Geschädigten vorliegen, jedoch tritt ein weiterer Schaden zusätzlich an einem anderen Rechtsgut170 oder erst mit zeitlicher Verzögerung ein.171 Wichtige Beispiele sind der entgangene Gewinn und der Nutzungsausfall.172 Diese Schäden sind grundsätzlich genauso zu ersetzen wie unmittelbare Schäden, z.B. Herstellungs- bzw. Heilbehandlungskosten.173 Wird bei einem Unfall ein Mietwagen zerstört, kann der Eigentümer Ersatz für die Herstellungskosten (unmittelbarer Schaden) und für den entgangenen Gewinn wegen der gescheiterten Weitervermietung (mittelbarer Schaden) verlangen. Die Differenzierung zwischen unmittelbarem und mittelbarem Schaden ist dem Gesetz jedoch weder bekannt noch in der Sache von Bedeutung.174 Entscheidend für die Untersuchung des Hinterbliebenengelds ist jedoch nicht die Unmittelbarkeit oder Mittelbarkeit des Schadens, sondern allein die Unmittelbarkeit bzw. Mittelbarkeit der Person des Geschädigten175. Nicht die Mittelbarkeit der Betroffenheit ist entscheidend, sondern die Verletzung eines geschützten Rechts.176 bb) Die Rechtsfigur der Drittschadensliquidation Auch bei der Drittschadensliquidation geht es nach überwiegender Ansicht um einen Drittschaden. Die Drittschadensliquidation regelt jene Fallkonstellationen, bei denen der Inhaber der verletzten Rechtsposition und der Dritte, dem der Schaden aus dieser Verletzung erwächst, auseinanderfallen. Mit anderen Worten 168 Auch diese Terminologie ist wiederum uneinheitlich: Neben den herkömmlichen Begriffen „mittelbarer“ und „unmittelbarer“ Schaden wird auch von „Rechtsgut-“ und „Folgeschaden“ (Deutsch, Haftungsrecht, Rn. 788 f.), „Objekt-“ und „Vermögensfolgeschaden“ (Larenz, SchuldR AT I, § 27 II S. 429) oder von „Verletzungs- und Folgeschaden“ (Schiemann, Staudinger BGB, Vorbem § 249 Rn. 44) gesprochen; siehe hierzu auch Oetker, MüKo BGB, § 249 Rn. 99; Rinne, Mittelbarer Schaden, S. 2 ff. 169 Vgl. dazu Lieberwirth, Schmerzensgeld, S. 30 f.; Oetker, MüKo BGB, § 249 Rn. 101, 285; anders aber noch Medicus, Unmittelbarer und mittelbarer Schaden, S. 18, der unter einem mittelbaren Schaden noch einen Drittschaden versteht. 170 Oetker, MüKo BGB, § 249 Rn. 99; vgl. auch Park, Schockschäden, S. 28. So ist beispielsweise auch dann von einem mittelbaren Schaden auszugehen, wenn die schuldhafte Tötung der Mutterhündin zum Verhungern der Welpen führt. 171 Vgl. Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 2 III, S. 62 m.w.N.; Park, Schockschäden, S. 35. 172 Oetker, MüKo BGB, § 252 Rn. 2; Pardey, Geigel, Haftpflichtprozess, Kapitel 8 Rn. 1. 173 Deutsch/Ahrens, Deliktsrecht, Rn. 622; Ekkenga/Kuntz, Soergel BGB, Vor § 249 Rn. 89; Grüneberg, Palandt BGB, Vor § 249 Rn. 15; Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 2 III, S. 62; Oetker, MüKo BGB, § 249 Rn. 99 m.w.N.; Schiemann, Staudinger BGB, Vorbem § 249 Rn. 43 f. 174 Oetker, MüKo BGB, § 249 Rn. 99 ff. 175 So auch Lieberwirth, Schmerzensgeld, S. 30 f.; Oetker, MüKo BGB, § 249 Rn. 101, 285. 176 v. Schroeter, Jura 1997, 343.

I. Der Anspruch als Ausnahme vom „Grundsatz der Unmittelbarkeit“?

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treffen trotz Verwirklichung eines Deliktstatbestands die negativen Folgen aus dieser Verletzung nicht den Inhaber der geschützten Rechtsposition, sondern einen Dritten.177 Die bekanntesten Fallgruppen einer solchen Schadensverlagerung wurden von Tägert178 entwickelt und dienen noch heute der Abgrenzung von „normalen“ Schadensfällen.179 Zu nennen sind hier die Fallgruppe der „mittelbaren Stellvertretung“180, der obligatorischen Gefahrentlastung sowie die Obhuts- und „Zessionsfälle“.181 Als Beispiel sei ein Fall der obligatorischen Gefahrentlastung beim Versendungskauf angeführt, in welchem ein Fußgänger aus Unachtsamkeit den Lieferanten eines Druckers zu Fall bringt und dieser dadurch zerstört wird. Handelt es sich bei dem Drucker um einen Kaufgegenstand, der mangels Übergabe gem. § 929 S. 1 BGB noch im Eigentum des Verkäufers steht und ist der Kaufpreis wegen der Gefahrtragungsregel aus § 447 Abs. 1 BGB trotz des Untergangs vom Käufer zu entrichten. So erleidet zwar der Verkäufer als Eigentümer keinen Schaden, wohl aber der Käufer.182 Zweifelsohne erfüllt der Fußgänger den Tatbestand des § 823 Abs. 1 BGB, und auch ein von dieser Schutznorm grundsätzlich erfasster Schaden liegt durch den nicht mehr funktionstüchtigen Drucker vor. Dennoch scheint trotz der Verwirklichung des haftungsbegrenzenden Tatbestands und der zurechenbaren Verursachung des Schadens keine Pflicht zum Ausgleich, weder gegenüber dem Gläubiger noch gegenüber dem Dritten, zu bestehen. Liegt eine derartige Schadensverlagerung vor, erlaubt es die Drittschadensliquidation dem Rechtsgutsinhaber unter bestimmten Voraussetzungen, den Schaden des Dritten zu liquidieren.183 Der damit verbundene Bruch des sonst einstimmig anerkannten Grundsatzes vom Dogma des Gläubigerinteresses184 wird als 177 Zu diesem Ergebnis gelangt man zumindest unter Zugrundelegung des hier vertretenen Differenzschadensbegriffs. Befürworter eines normativen Schadensbegriffs bejahen hingegen auch in diesen Fällen einen eigenen Schaden des Verletzten. Die Problematik des Drittschadens wird so vermieden. Siehe dazu auch Büdenbender, JZ 1995, 920, 926 m.w.N. 178 Der Begriff der „Schadens- oder Gefahrverlagerung“ geht zurück auf die Abhandlung Tägerts, Drittschaden, S. 35 f., in welcher diese als ein dem Nichteintritt des Schadens beim Anspruchsinhaber entsprechender Schadenseintritt bei einem Dritten definiert wird (S. 35). 179 Die Herausbildung der Fallgruppen soll jedoch nicht dahingehend verstanden werden, dass eine Drittschadensliquidation in anderen vergleichbaren Fallgestaltungen ausscheiden muss, vgl. Kollhosser, AcP 166 (1966), 277, 303 ff.; Oetker, MüKo BGB, § 249 Rn. 290. 180 Als praktischer Ausgangsfall der Drittschadensdiskussion diente die Korkholz-Entscheidung des Oberappellationsgerichts Lübeck, SeuffA 11, Nr. 36, S. 47 ff. u. Nr. 84, S. 109 ff. Hier ging es, vereinfacht dargestellt, um eine verschuldete Leistungsverzögerung des vom Kommissionär beauftragten Schiffers, welche zu einer verspäteten Lieferung der Ware und so zu einem Verzugsschaden beim Kommittenten führte. 181 Siehe hierzu mit einer umfassenden Darstellung zu den Fallgruppen der Drittschadensliquidation nur Henn, Drittschadensliquidation, S. 28 ff. et passim. 182 Vgl. zu dieser Fallkonstellation auch Wiggert, Die Geltendmachung fremden Schadens, S. 2, 29. 183 Büdenbender, Drittschadensliquidation, S. 68 f. 184 Büdenbender, Drittschadensliquidation, S. 68 f.; siehe zu diesem Dogma bereits oben: Kap. 1, B.I.1.b).

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B. Systematische Einordnung – der Anspruch als Ausnahmevorschrift?

Nothilfe zur Vermeidung eines sonst von jeglicher Haftung freiwerdenden Schädigers hingenommen.185 Denn derartige Ergebnisse werden sowohl von der Rechtsprechung als auch von der Literatur weitgehend einhellig als untragbar empfunden,186 weshalb sie trotz prinzipiellen Festhaltens an dem eher restriktiven Tatbestandsprinzip zu korrigieren seien.187 Eine dogmatische Rechtfertigung für diese Ausnahme ist jedoch nicht ohne Weiteres ersichtlich, weshalb die Drittschadensliquidation als eine der problematischsten Rechtsfortbildungen innerhalb des Schadensersatzrechts gilt.188 Sie gilt als „Kunstgriff“ zur Erreichung eines als gerechter empfundenen Ergebnisses, der eine Stütze im Gesetz jedoch vermissen lässt.189 Der Unterschied zwischen der Rechtsfigur der Drittschadensliquidation und den Fällen eines mittelbar Geschädigten liegt somit darin, dass es bei der erstgenannten um eine Schadensverlagerung geht: Der Dritte erleidet an Stelle des unmittelbar Verletzten den Schaden aus der Rechtsverletzung.190 In den gewöhnlichen Beispielen eines mittelbar Geschädigten hingegen tritt neben den Schaden des Verletzten noch ein weiterer Schaden, weshalb der Schaden in der Summe erweitert wird.191

3. § 844 Abs. 1 und 2 BGB als Ausnahmevorschriften zu den herkömmlichen haftungsrechtlichen Grundsätzen Aus systematischen Gesichtspunkten liegt es nahe, den Regelungskontext des neuen § 844 Abs. 3 BGB näher zu betrachten. Die bereits zuvor bestehenden Regelungen in Absatz 1 und 2 der Vorschrift werden immer wieder als gesetzliche Ausnahmevorschrift zu den dargetanen Grundsätzen deklariert.192 Nach § 844 185 Vgl. Gomille, Jura 2017, 619; J. Neuner, JZ 1999, 126, 131; Oetker, MüKo BGB, § 249 Rn. 289; Wiggert, Die Geltendmachung fremden Schadens, S. 2. 186 Vgl. etwa Köndgen, Karlsruher Forum 1998, S. 14, der jedoch mit Recht darauf hinweist, dass dieses Ungerechtigkeitsempfinden noch keine dogmatische Begründung für die Rechtsfigur der Drittschadensliquidation liefert, sondern vielmehr eine Problembeschreibung darstellt. 187 Bereits v. Tuhr, GrünhutsZ, 25 (1898), 529, 549. 188 Siehe hierzu Henn, Drittschadensliquidation, et passim, der den überzeugenden Versuch unternimmt, zumindest einzelne Fälle der verlagerten Drittschäden über einen Direktanspruch des Geschädigten zu lösen, und insoweit letztlich die Notwendigkeit der Drittschadensliquidation in Abrede stellt. Siehe ferner Stamm, AcP 203 (2003), 366, 386 ff., 398, welcher für die Fälle der obligatorischen Gefahrentlastung einen Direktanspruch über eine analoge Anwendung von § 844 BGB herleitet und im Übrigen auf die Drittschadensliquidation verzichten möchte. 189 Büdenbender, Drittschadensliquidation, S. 68. 190 Vgl. zu dieser Unterscheidung Kollhosser, AcP 166 (1966), 277, 303; J. Neuner, JZ 1999, 126, 131. 191 Canaris, Lücken im Gesetz, S. 156 ff. 192 Vgl. nur Wagner, NJW 2017, 2641, 2642: „[…] gem. § 844 BGB [sind] auch mittelbar betroffene Sekundäropfer aktivlegitimiert“.

I. Der Anspruch als Ausnahme vom „Grundsatz der Unmittelbarkeit“?

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Abs. 1 BGB hat im Falle der Tötung der Ersatzpflichtige die Kosten der Beerdigung demjenigen zu ersetzen, welchem die Verpflichtung obliegt, diese Kosten zu tragen. Gem. § 844 Abs. 2 S. 1 BGB hat der Ersatzpflichtige einem Dritten, dem infolge der Tötung das Recht auf Unterhalt entzogen wurde, durch Entrichtung einer Geldrente insoweit Schadensersatz zu leisten, als der Getötete während der mutmaßlichen Dauer seines Lebens zur Gewährung des Unterhalts verpflichtet gewesen wäre. Bereits der Wortlaut von § 844 Abs. 2 S. 1 BGB macht deutlich, dass es sich hierbei nicht um einen Unterhaltsanspruch, sondern um einen Schadensersatzanspruch der Hinterbliebenen handelt.193 a) Systematik Obwohl § 844 BGB in das Deliktsrecht eingegliedert ist, wird teilweise vertreten, bei den §§ 844–846 BGB handle es sich um Sonderregelungen für den haftungsausfüllenden Tatbestand, welche den allgemeinen Schadensersatzregelungen der §§ 249 ff. BGB vorgingen bzw. diese ergänzten.194 Diese Annahme wird aus der systematischen Stellung nach den §§ 842, 843 BGB geschlossen, welche den schadensrechtlichen Grundsätzen der §§ 249 ff. BGB entsprechen bzw. diese konkretisieren.195 Zudem spreche der Wortlaut des Gesetzes für eine solche Sichtweise, da der für den Tod des Primärgeschädigten Verantwortliche bereits als „Ersatzpflichtige[r]“ bezeichnet wird, woraus der Schluss zu ziehen sei, dass eine Pflicht zur Erstattung bzw. Zahlung bereits ohne § 844 Abs. 1 und 2 BGB gegeben sein muss.196 Für die Haftungsbegründung seien daher immer noch die §§ 823 ff. BGB ausschlaggebend,197 wegen § 844 BGB sei aber ausnahmsweise der mittelbare Drittschaden zu ersetzen.198 § 844 BGB spielt jedoch nicht nur auf haftungsausfüllender Ebene eine Rolle. Vielmehr beinhalten die einzelnen Absätze anders als die §§ 249 ff. BGB selbständige Ansprüche, die sowohl Tatbestand als auch Rechtsfolge statuieren.199 Zwar mag § 844 Abs. 1 und 2 BGB auch haftungsausfüllende Elemente enthalten, wes193 Motive II, S. 788 = Mugdan II, S. 440; Preisner, BeckOGK BGB, 01.08.2020, § 1360 Rn. 89; vgl. auch RGZ 55, 24, 30 f.; RGZ 151, 101, 103; BGH, NJW 1974, 1373; kritisch hingegen Schubel, AcP 198 (1998), 1, 30, 32, nach dessen Ansicht es sich eher um einen Erwerbsschaden des Verstorbenen handelt, der zumindest partiell ersatzfähig sein soll; vgl. hierzu auch Röckrath, VersR 2001, 1197, 1203. 194 Eichelberger, BeckOGK BGB, 01.08.2020, § 842 Rn. 5; Sprau, Palandt BGB, Einf v § 823 Rn. 24; Stamm, AcP 203 (2003), 366, 388 f.; Wagner, MüKo BGB, § 843 Rn. 1 f.; Witschen, JZ 2018, 490, 491; vgl. auch Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 38, der sich dafür ausspricht, die gesamten §§ 842 bis 844 BGB aus dem Deliktsrecht herauszulösen und in den § 249 ff. BGB zu integrieren; ähnlich auch Röckrath, VersR 2001, 1197, 1203 f. 195 Zum Verhältnis von § 842, § 843 und §§ 249 ff. BGB siehe Spindler, BeckOK BGB, § 842 Rn. 1, § 843 Rn. 1. 196 Vgl. Henn, Drittschadensliquidation, S. 133. 197 Siehe hierzu Drees, Schadensberechnung, S. 3. 198 Meckbach, Ansprüche bei Tötung, S. 6; Witschen, JZ 2018, 490, 491. 199 Meckbach, Ansprüche bei Tötung, S. 6.

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B. Systematische Einordnung – der Anspruch als Ausnahmevorschrift?

halb es nicht zwingend eines Rückgriffs auf §§ 249 ff. BGB bedarf. Dass es sich jedoch um selbständige Ansprüche handelt, die unmittelbar in der Person des Berechtigten entstehen,200 ergibt sich bereits aus der amtlichen Überschrift, in welcher von „Ersatzansprüche[n] Dritter bei Tötung“ die Rede ist. Nach verbreiteter Ansicht handelt es sich bei § 844 BGB daher um eine kodifizierte Ausnahme vom Unmittelbarkeitsgrundsatz,201 die dem mittelbar geschädigten Dritten ohne eigene Rechtsverletzung eigene Schadensersatzansprüche einräumt.202 Teilweise wird in der Literatur auch angenommen, bei § 844 BGB handle es sich um eine Ausnahmevorschrift vom Dogma vom Gläubigerinteresse,203 was aber deshalb weniger überzeugend ist, weil die Norm dem Dritten einen eigenen Anspruch einräumt.204 Wessen Schäden der Gläubiger ersetzt verlangen kann, regelt § 844 BGB hingegen nicht. Da der Grundsatz vom Gläubigerinteresse jedoch besagt, dass der in seinem Rechtsgut Verletzte nicht die Schäden Dritter geltend machen kann, wären bis zur Gewährung eines eigenen Anspruchs des Dritten nach § 844 BGB einige gedankliche Zwischenschritte erforderlich. Zunächst müsste der Getötete selbst die Berechtigung erhalten, den Schaden des Hinterbliebenen einzufordern. Diese Berechtigung müsste dann auf die nach § 844 BGB Ersatzberechtigten übergeleitet werden, weshalb § 844 BGB, sofern der Übergang nicht bereits nach § 1922 BGB erfolgt ist, eine Doppelfunktion zukommen müsste: zum einen die Durchbrechung des Dogmas und zum anderen die Überleitung des zunächst beim Getöteten entstandenen Anspruchs.205 Letztlich vermag eine solche Konstruktion jedoch schon deshalb wenig zu überzeugen, weil bei der getöteten Person ohne größeren Begründungsaufwand schon kein Anspruch mehr entstehen kann.206 Unabhängig davon, ob es sich bei § 844 Abs. 1 und 2 BGB um eine Ausnahme vom Unmittelbarkeitsgrundsatz oder vom Dogma des Gläubigerinteresses handelt, wäre die einzige verletzte Rechtsposition aber jedenfalls das Leben des Ge200 v. Gierke, Deutsches Privatrecht III, S. 968; Pardey, Geigel, Haftpflichtprozess, Kapitel 8 Rn. 5; Röthel, Staudinger BGB, § 844 Rn. 3; so auch bereits RGZ 69, 186, 187. 201 Diederichsen, DAR 2011, 122; Röthel, Jura 2018, 235, 238; Rogler, Stiefel/Maier AKB, § 844 Rn. 8; Theda, DAR 1985, 10; Wenker, VersR 1998, 557. 202 Denck, Schadensersatzansprüche Dritter, S. 2, 126; Karczewski, Schockschäden, S. 49; Park, Schockschäden, S. 42; Pfeiffer, AcP 205 (2005), 795, 799; Röthel, Staudinger BGB, § 844 Rn. 3, 23; Spindler, BeckOK BGB, § 844 Rn. 9; Wagner, MüKo BGB, § 844 Rn. 2; ders., NJW 2017, 2641, 2643; BGHZ 7, 30 = NJW 1952, 1249. 203 Hagen, Drittschadensliquidation, S. 2 mit Fn. 4; Henn, Drittschadensliquidation, S. 133 Fn. 523 m.w.N.; Stamm, AcP 203 (2003), 366, 388 f.; so hinsichtlich § 845 BGB auch Lange, Schadensersatz, § 8 I S. 276 ff. 204 Traugott, Drittschadensliquidation, S. 15. 205 Anders Stamm, AcP 203 (2003), 366, 389, der davon ausgeht, dass sich die Frage der Überleitung des Anspruchs nicht mehr stelle, da § 844 BGB dem Geschädigten einen originären Anspruch einräume. Letztlich liegt dann aber die Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes näher. 206 Vgl. hierzu Hager, Staudinger BGB, § 823 Rn. B 2; siehe zur Beendigung der Rechtsfähigkeit auch oben: Kap. 1, A.III.1.

I. Der Anspruch als Ausnahme vom „Grundsatz der Unmittelbarkeit“?

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töteten und § 844 BGB daher eine Norm, die ausnahmsweise den mittelbar Drittgeschädigten zum Anspruchsberechtigten deklariert. Und obwohl diese Regelungen schon im gemeinen Recht aufgrund Gerichtsgebrauchs anerkannt waren,207 führt der hier zugelassene Bruch mit den allgemeinen haftungsrechtlichen Grundsätzen dazu, dass die Norm bis heute als „Fremdkörper“208 im deutschen Haftungsrecht erachtet wird.209 b) Normzweck Handelt es sich bei einer Vorschrift aber um einen „Fremdkörper“, stellt sich die Frage, warum der Gesetzgeber es für notwendig erachtet hat, eine solche Ausnahmevorschrift gesondert in das BGB aufzunehmen, obwohl die Regelungen mit den allgemeinen Grundsätzen nicht vereinbar erscheinen.210 aa) Vermeidung eines Wertungswiderspruchs Wie aufgezeigt gilt grundsätzlich, dass Direktansprüche Angehöriger gegen den Schädiger mangels eigener Rechtsgutsverletzung abzulehnen sind. Im Falle des Überlebens des Primärverletzten besteht für eine Abweichung aber auch keine Notwendigkeit, da dieser „in der ihm gebührenden Entschädigung zugleich die Mittel empfängt, um dem benachteiligten Dritten gerecht zu werden“.211 Überlebt der Primärverletzte, kann dieser folglich aus der ihm zustehenden Entschädigung weiterhin Unterhalt an seine Unterhaltsgläubiger leisten, weshalb das Forderungsrecht des Angehörigen nicht tangiert wird und diese somit keinen Vermögensschaden erleiden. Beerdigungskosten entstehen erst gar nicht. Anders ist dies jedoch im Falle des Todes des Unterhaltsschuldners. Der Tod des Erstverletzten führt zum Wegfall dieses Rechtssubjekts und damit auch zum Wegfall der aus dem Sachverhalt entstandenen Ersatzansprüche.212 Ohne eine Ausnahmeregelung würde sich der grundsätzliche Ausschluss von Ersatzansprüchen mittelbar Geschädigter für den Schädiger daher als finanzieller „Glücksfall“213 erweisen, weil die Tötung privatrechtlich folgenlos bliebe,214 während sich der Schädiger im Falle des Überlebens des Primärverletzten mögli207 Zur Entstehungsgeschichte von § 844 BGB siehe die umfassende Untersuchung von Denck, Schadensersatzansprüche Dritter, S. 122. 208 So ausdrücklich Luckey, SVR 2012, 1, 5. 209 Katzenmeier, JZ 2002, 1029, 1035; ders., JZ 2017, 869, 871 m.w.N. 210 Der Ausnahmecharakter dieser Norm wird stets betont, so etwa bei Röthel, Staudinger BGB, § 844 Rn. 2; Sprau, Palandt BGB, § 844 Rn. 1; Wagner, MüKo BGB, § 844 Rn. 1. 211 Motive II, S. 795 = Mugdan II, S. 444. 212 Röthel Staudinger BGB, § 844 Rn. 2, 24; Wagner, MüKo BGB, § 844 Rn. 1; vgl. hierzu ferner Kilian, AcP 169 (1969), 443, 447 Fn. 20; kritisch hingegen Röckrath, VersR 2001, 1197, 1203, der in § 844 Abs. 2 BGB eine Vorschrift sieht, die den Erwerbsschaden des Getöteten partiell für ersatzfähig erklärt; so auch Schubel, AcP 198, (1998), 1, 30. 213 Wagner, MüKo BGB, § 844 Rn. 1; ders., JZ 2004, 319, 326. 214 Siehe auch Stamm, AcP 203 (2003), 366, 388.

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B. Systematische Einordnung – der Anspruch als Ausnahmevorschrift?

cherweise erheblichen Schadensersatzansprüchen ausgesetzt sähe. Dies sei nicht nur system-, sondern auch verfassungswidrig, weil ein zivilrechtlicher Mindestschutz des Rechtsguts Leben nicht gewährleistet wäre.215 Zwar bestünde ein zivilrechtlicher Unterlassungsanspruch des Getöteten, sein Leben nicht zu verletzen; die Missachtung dieses Rechts bliebe zivilrechtlich jedoch ohne Sanktion.216 Die Hinterbliebenen hingegen müssten gem. §§ 1968, 1615 Abs. 2 BGB die Beerdigungskosten tragen und verlören zudem ihre gesetzlichen Alimentationsansprüche (§§ 1601 ff., 1615 Abs. 1, 1360a Abs. 3, 1361 Abs. 4 BGB) und damit ihren familienrechtlich zugebilligten Lebensstandard.217 Zur Vermeidung dieses als untragbar empfunden Ergebnisses statuiere § 844 BGB daher entsprechende Ausnahmen: § 844 Abs. 1 BGB räumt demjenigen einen Erstattungsanspruch gegen den Ersatzpflichtigen ein, welchem die Verpflichtung obliegt, die Beerdigungskosten für den Verstorbenen zu tragen. § 844 Abs. 2 BGB verpflichtet den Ersatzpflichtigen, die gesetzlichen Unterhaltsansprüche eines Dritten zu befriedigen, die dieser sonst gegen den Getöteten geltend machen könnte. Beide Ansprüche schützten im Ergebnis daher ein wirtschaftliches Interesse der Hinterbliebenen und vermieden zudem, dass es an einem Anspruchsinhaber für die nach § 823 Abs. 1 BGB angeordnete Ersatzpflicht im Falle einer Tötung fehle218. Denn § 823 Abs. 1 BGB räume zwar einen Schadensersatzanspruch wegen der Verletzung des Rechtsguts Leben ein; dieser würde ohne § 844 aber ins Leere laufen.219 Zwar könne dem Getöteten der hier statuierte Schadensersatzanspruch bereits denklogisch nicht mehr zugutekommen. Zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen, darüber ist man sich einig, bestimme das Gesetz aber ausnahmsweise, dass auch der mittelbar geschädigte Dritte aufgrund seiner Vermögenseinbußen ersatzberechtigt sein soll.220 Die §§ 844 f. BGB seien daher

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Schramm, Haftung für Tötung, S. 315. Lediglich im seltenen Fall, dass bereits eine Verurteilung zur Unterlassung vorlag, könnte der Täter bei Zuwiderhandlung zur Zahlung eines Ordnungsgelds oder zu Ordnungshaft gem. § 890 ZPO verurteilt werden, vgl. Schramm, Haftung für Tötung, S. 315. Im Falle einer vorsätzlichen Zuwiderhandlung dürfte diese Sanktion neben der zu erwartenden strafrechtlichen Sanktion jedoch ohnehin kaum ins Gewicht fallen. 217 Der Anspruch erschöpft sich freilich in dem gesetzlich geschuldeten Minimum des Unterhalts, weshalb lediglich freiwillige Leistungen nicht erfasst werden, vgl. Schramm, Haftung für Tötung, S. 104; vgl. auch Esser/Schmidt, SchuldR AT I/2, § 34 II S. 261 f., die der Meinung sind, bei § 844 Abs. 1 und 2 BGB handle es sich „um ein Stück Sozialrecht im zivilistischen Gewand, das auf die typische wirtschaftliche Abhängigkeit von Unterhaltsberechtigten im Familienverband Rücksicht nimmt […]“. 218 Röthel, Staudinger BGB, § 844 Rn. 2, 24; Schubel, AcP 198, (1998), 1, 30. 219 Röthel, Staudinger BGB, § 844 Rn. 2, 24; Schubel, AcP 198, (1998), 1, 30; a.A. beispielsweise von Bar, Karlsruher Forum 2016, S. 118, der das Leben nicht für ein zivilrechtlich geschütztes Rechtsgut hält, sondern die Aufnahme in § 823 Abs. 1 BGB als ein offenkundiges Redaktionsversehen erachtet. So auch Zimmermann, Der § 823 des BGB, S. 17, der die Auflistung des „Lebens“ in § 823 Abs. 1 BGB für einen „seltsame[n] Lapsus calami“ hielt. 220 Vgl. Esser/Schmidt, SchuldR AT I/2, § 34 II S. 261 f.; vgl. ferner auch v. Schroeter, Jura 1997, 343, 344. 216

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nicht nur mit der Grundkonzeption des Haftungsrechts vereinbar, sondern trügen sogar entscheidend zur „inneren Folgerichtigkeit der deliktischen Gesamtregelung“ bei.221 Der Zweck alleine heiligt bekanntlich aber nicht die Mittel. Soll daher ein Bruch mit der herkömmlichen Systematik des Haftungsrechts vermieden werden, müssen sich auch die Regelungen in § 844 BGB in Einklang mit dem tradierten System konzeptualisieren lassen. bb) Weitergehender Regelungsgehalt von § 844 Abs. 1 und 2 BGB (1) § 844 Abs. 1 Bei näherer Begutachtung liegt in der Vermeidung von Wertungswidersprüchen jedoch nicht die einzige Regelungsfunktion des § 844 Abs. 1 BGB, was bei gedanklicher Ausblendung der Norm erkennbar wird: Will man den Vermögensschaden, der in der Höhe der Beerdigungskosten entstehen soll, wie üblich über die Differenzhypothese ermitteln,222 zeigen sich bereits bei der Begründung eines Schadens erhebliche Schwierigkeiten.223 Die Beerdigungskosten wären schließlich auch bei normalem Verlauf der Dinge angefallen, vermutlich bloß zu einem späteren Zeitpunkt (Reserveursache), weshalb der Verpflichtete im Grund nicht mehr bezahlen muss, als er ohnehin hätte aufwenden müssen.224 Insofern ist fraglich, ob der nach § 844 Abs. 1 BGB Anspruchsberechtigte tatsächlich eine wirtschaftliche Schlechterstellung erfahren hat. Zwar muss auch im Falle einer Reserveursache zumindest der Schaden ersetzt werden, der durch den früheren Eintritt bedingt ist (Verfrühungsschaden).225 Im Falle der Beerdigungskosten dürfte es jedoch regelmäßig keinen allzugroßen Unterschied machen, ob die Kosten heute oder erst zu einem späteren Zeitpunkt zu bezahlen sind. Diese Problematik hat auch der historische Gesetzgeber erkannt und § 844 Abs. 1 BGB daher primär als „schadensbegründende“ Norm ins Gesetz aufgenommen.226 Ohne die Rege-

221 Röthel, Staudinger BGB, § 844 Rn. 2; Schramm, Haftung für Tötung, S. 23; Schubel, AcP 198 (1998) 1, 30. 222 Diese geht zurück auf Mommsen, Zur Lehre von dem Interesse, § 1 S. 3 ff.; vgl. zum Schadensbegriff ferner Bydlinski, Schadensverursachung, S. 24 ff.; H.A. Fischer, Der Schaden, S. 7 ff., 22; Zeuner, AcP 163 (1964), 380 ff. 223 Henn, Drittschadensliquidation, S. 133. 224 Eichelberger, BeckOGK BGB, 01.08.2020, § 844 Rn. 25, 62; Henn, Drittschadensliquidation, S. 133; Medicus, ZGS 2006, 103; vgl. zu den Auswirkungen einer Reserveursache allgemein Oetker, MüKo BGB, § 249 Rn. 209 ff., insb. 213, sowie aus der Rechtsprechung OLG Hamm, NJW-RR 2018, 984, 986. 225 Die Berücksichtigung einer Reserveursache verhindert, dass der Geschädigte infolge des zum Schadensersatz führenden Ereignisses besser steht, als wenn das Ereignis nicht eingetreten wäre (Verbot der Besserstellung), siehe hierzu Oetker, MüKo BGB, § 249 Rn. 213; OLG Düsseldorf, NJW-RR 2010, 1105, 1108; OLG Hamm, NJW-RR 2018, 984, 986. 226 „So ist die Bestimmung des Abs. 1 […] eine positive“, Motive II, S. 775 = Mugdan II, S. 433; siehe hierzu auch Henn, Drittschadensliquidation, S. 133.

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lung sei ein Schaden beim Verpflichteten wegen der stets anfallenden Zahlungspflicht nach den allgemeinen Grundsätzen nicht herzuleiten,227 so dass es ohne § 844 Abs. 1 BGB zwar einen in seinem Rechtsgut Leben Verletzten gäbe, aber überhaupt keinen Schaden (iniuria sine damno). Unvollständig ist es daher, § 844 Abs. 1 BGB lediglich als Ausnahmevorschrift zugunsten des mittelbar Geschädigten zu qualifizieren. Der Ersatzanspruch des Verpflichteten stellt vielmehr auch eine auf Billigkeitserwägungen fußende,228 die Ersatzfähigkeit der ohnehin anfallenden Beerdigungskosten begründende Regelung dar.229 Insofern ist der „positive Charakter der Bestimmung“230 besonders hervorzuheben. Denn der Regelungsgehalt des § 844 Abs. 1 BGB geht im Grunde so weit, einem Dritten ohne eigene Rechtsverletzung und ohne Schaden einen Anspruch einzuräumen, was letztlich die Frage aufwirft, ob hier überhaupt noch von einem Schadensersatzanspruch die Rede sein kann. Fehlt es nämlich sowohl an einer Rechtsverletzung als auch an einem Schaden, ist fraglich, ob es sich bei § 844 Abs. 1 BGB überhaupt um ein herkömmliches Schutzrecht handelt oder ob die Regelung nicht eher einen „Kostenerstattungsanspruch“ für vorgezogene Beerdigungskosten statuiert, welcher denjenigen, der sonst zum Tragen dieser Aufwendungen gesetzlich verpflichtet ist,231 von dieser Pflicht befreit, ohne dass der Schädiger den Einwand erheben kann, dass diese Kosten später ohnehin entstanden wären.232 Handelt es sich bei § 844 Abs. 1 BGB daher gar nicht um einen Schadensersatzanspruch, bricht diese Norm auch nicht zwingend mit den dargestellten haftungsrechtlichen Grundsätzen. Die Platzierung inmitten des Deliktsrechts bleibt gleichwohl fraglich. (2) § 844 Abs. 2 als Schutzrecht einer Rechtsposition Auch wenn sich Literatur und Rechtsprechung dahingehend einig zu sein scheinen, dass es sich bei § 844 Abs. 2 BGB ebenso um eine Ausnahmevorschrift handelt, ist an dieser Stelle noch nicht abschließend geklärt, dass es sich überhaupt um einen Drittschadensersatzanspruch handelt. Denkbar wäre hingegen auch, dass der Anspruch auf die Verletzung einer Rechtsposition beim Hinterbliebenen selbst reagiert und sich damit als Schutzrecht doch in das System integriert. 227 Motive II, S. 775 = Mugdan II, S. 433; siehe hierzu auch Jakobs/Schubert, Schuldverhältnisse III, S. 1035. 228 Motive II, S. 775 = Mugdan II, S. 433; Eichelberger, BeckOGK BGB, 01.08.2020, § 844 Rn. 25; v. Schroeter, Jura 1997, 343, 344. 229 Henn, Drittschadensliquidation, S. 134; vgl. auch Eichelberger, BeckOGK BGB, 01.08.2020, § 844 Rn. 62 m.w.N., der den Regelungsinhalt von § 844 Abs. 1 BGB darin sieht, die Reserveursache ausnahmsweise für unerheblich zu erklären. 230 Jakobs/Schubert, Schuldverhältnisse III, S. 1035. 231 Vgl. zur Ersatzfähigkeit der in Zusammenhang mit der Beerdigung getätigten Aufwendungen etwa Eichelberger, BeckOGK BGB, 01.08.2020, § 844 Rn. 54 f. 232 So etwa H. J. Schwab, DAR 2018, 284, 285 mit Fn. 18; Luckey, Prütting/Wegen/Weinreich BGB, § 844 Rn. 1.

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(a) Die Unterhaltsforderung als (absolute) Rechtsposition? Als Rechtsposition des Hinterbliebenen, die durch die Tötung des Unterhaltsschuldners verletzt wird, kommt zunächst die Unterhaltsforderung selbst in Betracht.233 (aa) Die Lehre vom deliktischen Schutz der Forderung Diese Hypothese beruht auf der Überlegung, dass auch eine Forderung als Rechtsposition zumindest in Teilen über das Deliktsrecht geschützt werden kann. Zwar berechtigt die Forderung ihren Inhaber nur inter partes die Leistung zu fordern, so dass sich die Frage, ob das Recht aus der Forderung deliktischen Schutz erhalten sollte, mangels absoluter Rechtsnatur dieses Teils der Forderung nicht stellt.234 Diskussionsgegenstand ist jedoch seit jeher der deliktische Schutz eines Eingriffs in die „Forderungszuständigkeit“235 oder – sprachlich treffender – in die „Forderungsinhaberschaft“236.237 Allein das Recht an der Forderung ist Gegenstand eines möglichen deliktischen Schutzes.238 So wird gefragt, ob die Forderung in einzelnen Bereichen – namentlich dann, wenn die Inhaberschaft der Forderung direkt betroffen ist – als „sonstiges Recht“ über § 823 Abs. 1 BGB zu schützen sei.239 Dabei gilt als Grundvoraussetzung, dass nicht lediglich auf den Forderungsgegenstand oder den Schuldner eingewirkt wird, sondern unmittelbar auf die Forderung selbst.240 Es ist erforderlich, dass der Schädiger sich eine Rechtsmacht anmaßt, welche, wie etwa das Verfügungsrecht, ausschließlich dem Forderungsinhaber zugewiesen ist.241 Zwar sind Forderungen gegen Verfügungen des Nichtberechtigten weitgehend immun, weil ein gutgläubiger Erwerb in der

233 So etwa Weimar, MDR 1963, 887, 888, der im selben Satz jedoch betont, dass es sich bei der Forderung nicht um ein absolutes Recht handelt. 234 Picker, FS Canaris I, S. 1001, 1016. 235 C. Becker, AcP 196 (1996), 439, 470 f.; Larenz/Canaris, SchuldR BT II/2, § 76 II S. 397; vgl. auch Dörner, Relativität, S. 61 ff.; Henckel, AcP, 174 (1974) 97, 135; Koziol, Forderungsrechte, S. 140 ff., 161; Löwisch, Deliktsschutz, S. 23, 81; Stoll, AcP 162 (1963), 203, 212. 236 Picker, FS Canaris I, S. 1001, 1004 f.; ähnlich auch bereits Canaris, FS Steffen, S. 85, 90, 96; Mincke, JZ 1984, 862, 865. 237 Die Frage nach dem deliktischen Schutz des Forderungsrechts stellt eine der „ältesten deliktsrechtlichen Kontroversen“ dar, so Canaris, FS Steffen, S. 85. 238 H. C. Ficker, FS H. G. Ficker, S. 152, 179 f.; Picker, FS Canaris I, S. 1001, 1005 ff., insb. 1016. Diese Begriffswahl soll jedoch nicht suggerieren, dass die Forderung nicht nur Rechtsposition, sondern auch der Gegenstand der Zuordnung (vergleichbar der Sache als Gegenstand des Eigentums) sei, vgl. C. Becker, AcP 196 (1996), 439, 459. Ein „Eigentum an der Forderung“ ist ebenso abzulehnen, so aber noch Bähr, Jh.Jb. 1 (1857), 351 ff., 483; Leonhard, Allgemeines Schuldrecht, S. 11, 60 ff.; vgl. hierzu auch Hoffmann, Zession, S. 105 Fn. 149; Rehbein, Verletzung, S. 197 ff. 239 Henn, Drittschadensliquidation, S. 270. 240 So z.B. Canaris, FS Steffen, S. 85, 96; ähnlich auch v. Gierke, Deutsches Privatrecht III, S. 893 Fn. 44. 241 Canaris, FS Steffen, S. 85, 96.

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Regel ausgeschlossen sein wird, so dass es mangels Schadens des Forderungsinhabers ohnehin nicht zu einem deliktischen Schutz kommt.242 Eine wichtige Ausnahme enthält jedoch § 407 BGB für den Fall der Annahme einer Leistung des redlichen Schuldners durch den Zedenten oder § 2367 BGB für den Fall, dass der Schuldner an den Scheinerben leistet und zu Lasten des richtigen Erben dennoch von der Leistungspflicht befreit wird.243 Wie diese Regelungen zeigen, können Dritte durchaus unmittelbar auf die Forderung einwirken und diese zum Erlöschen bringen, indem sie die geschuldete Leistung zwar unberechtigt, aber dem Gläubiger gegenüber wirksam entgegennehmen. Hauptanwendungsfälle der Lehre über einen deliktischen Schutz der Forderung sind daher die Einziehung der Forderung durch einen Nichtberechtigten gem. der schuldnerschützenden Vorschriften § 407 und § 2367 BGB. Eine bloße Zerstörung des Forderungsgegenstands, z.B. des Schenkungsgegenstands, und die damit verbundene mögliche mittelbare Anspruchsvernichtung nach § 275 Abs. 1 BGB wird hingegen nicht hiervon erfasst.244 Zwar führt auch die Zerstörung des Leistungsgegenstands unter Umständen zum Untergang des Forderungsrechts, so dass auch in diesen Fällen der Forderungsinhaber gleichermaßen geschädigt wird.245 In der Verletzung des Forderungsgegenstands liegt jedoch kein positiver Eingriff in eine absolute Rechtsposition des Forderungsinhabers, weil die Verletzung des Forderungsgegenstands die nur relativ zugeordneten Substrate des Rechts betrifft.246 Für diese relativen Rechte wird der Schutz 242 Wagner, MüKo BGB, § 823 Rn. 330. Ein Eingriff in das Recht an der Forderung wird zwar auch bereits dann anzunehmen sein, wenn sich ein Dritter der Herrschaft über die Leistungsinhaberschaft berühmt, indem er behauptet, der Inhaber der Forderung zu sein, vgl. Ost, Zuordnung, S. 133 f. Für einen deliktischen Schadensersatzanspruch fehlt es dann jedoch noch an einem Schaden, vgl. Hoffmann, Zession, S. 105 Fn. 151. 243 Hager, Staudinger BGB, § 823 Rn. B 163; Wagner, MüKo BGB, § 823 Rn. 330. 244 Koziol, Forderungsrechte, S. 172 ff. 245 Gerade mit diesem Argument wendet sich Medicus, FS Steffen, S. 333, 341 ausdrücklich gegen eine solche Differenzierung, da es im Ergebnis keinen Unterschied mache, ob die Forderung aufgrund einer Verfügung oder wegen § 275 BGB untergeht, weshalb ein rechtserheblicher Unterschied der beiden Fälle von vornherein ausgeschlossen sei. Gerade umgekehrte Schlüsse aus dieser Gleichheit des Effekts ziehen so manche Befürworter eines deliktischen Forderungsschutzes. So wird mit demselben Argument und unter Hinweis darauf, dass es nicht unter die Handlungsfreiheit falle, die Abwicklung fremder Schuldverhältnisse zu stören, auch die Haftung für die Verletzung des Forderungssubstrats bejaht, vgl. etwa C. Becker, AcP 196 (1996) 439, 471, 488 ff.; ähnlich Löwisch, Deliktsschutz, S. 62 ff., 66 f., 78 ff., 88; Mincke, JZ 1984, 862, 865; so zumindest auch für vorsätzliche Verletzungen des Rechts durch Einwirkung auf das Substrat H. C. Ficker, FS H. G. Ficker, S. 152, 181. 246 Dies liegt daran, dass der Forderungsgegenstand bzw. die Rechte daran nicht dem Forderungsinhaber durch die Rechtsordnung zugewiesen sind, vgl. Picker, FS Canaris I, S. 1001, 1006, 1014 ff. Insofern liegt zwar ein Schaden vor, dieser resultiert aber nicht aus der Verletzung einer dem Gläubiger zugeordneten Rechtsposition. Zu der Frage, ob in den Fällen der Drittschadensliquidation bei zufälliger Interessenverlagerung möglicherweise bereits das „Eigentümerinteresse“ vor dem tatsächlichen Eigentum auf den Dritten übergeht, mit der Folge, dass bei Zerstörung des Substrats zumindest dieser Bereich durch das Deliktsrecht

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jedoch über die §§ 280 ff., 285 BGB und einen vertraglichen Unterlassungsanspruch gewährleistet.247 Gleiches gilt in jenen Fällen, in denen ein Dritter auf den Schuldner selbst so einwirkt, dass dieser die geschuldete Leistung nicht mehr pflichtgemäß erfüllen kann.248 So kann beispielsweise mangels entsprechender Rechtsposition auch der Arbeitgeber trotz seiner Forderung gegen den Arbeitnehmer von einem Dritten nicht verlangen, diesen nicht zu verletzen oder einzusperren.249 In diesen Fällen kommt daher auch ein deliktischer Schutz mangels Eingriffs in das absolute Recht an der Forderung nicht in Betracht.250 Das Forderungsrecht ist daher nur insoweit ein absolutes Recht, als es seinem Inhaber eine von jedermann zu respektierende Nutzungs- und Verfügungsmacht zuweist.251 Für den deliktischen Schutz erforderlich ist daher ein Verletzungsakt eines Dritten, der die Forderung in ihrer Zuordnung zum Rechtspositionsinhaber berührt und sie insbesondere deshalb zum Erlöschen bringt, weil sie durch einen Rechtsakt des Dritten wirksam eingezogen oder durch andere bestandsvernichtende Verfügungen aufgehoben wird.252 Faktische Einwirkungen auf das Leistungssubstrat oder den Schuldner selbst betreffen hingegen lediglich das Recht aus der Forderung und begründen folglich keinen deliktischen Schutz. (bb) Einwendungen gegen die Lehre vom deliktischen Schutz der Forderung und ihre Entkräftung Gegen diese Lehre wird von der überwiegenden Ansicht jedoch das seit jeher diskutierte Argument der Relativität der Schuldverhältnisse vorgebracht.253 Ungeschützt werden kann, siehe die ausführliche Untersuchung von Henn, Drittschadensliquidation, S. 272; sowie unter: Kap. 1, B.I.4.b). 247 Picker, FS Canaris I, S. 1001, 1028 ff. 248 v. Gierke, Deutsches Privatrecht III, S. 893 mit Fn. 44; Ost, Zuordnung, S. 133 f.; Picker, FS Canaris I, S. 1001, 1008; a.A. C. Becker, AcP 196 (1996), 439, 471, der sich auch in diesem Fall für eine deliktische Haftung ausspricht. 249 Vgl. Medicus, FS Steffen, S. 333, 340. 250 Picker, FS Canaris I, S. 1001, 1006. 251 Picker, FS Canaris I, S. 1001, 1028; vgl. auch Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 3. 252 Picker, FS Canaris I, S. 1001, 1016. Auch hier zeigt sich wieder einmal, dass es im Grunde nicht auf die „Unmittelbarkeit“ oder „Mittelbarkeit“ des Verletzungserfolgs als Abgrenzungskriterium ankommt: Sowohl in den Fällen des § 407 BGB als auch des § 275 BGB setzt der Dritte eine äquivalente Ursache, die zum Erlöschen der Forderung als adäquate Folge führt. Die Tatsache, dass im Falle des § 275 BGB ein zusätzliches Glied in der Kausalkette erforderlich ist, ist rechtlich und auch unter dem Aspekt der Zurechenbarkeit aber ohne Bedeutung (S. 1009). Auch hier kommt es daher lediglich darauf an, dass der Dritte mit seinem Verhalten in ein Recht des Forderungsinhabers eingreift, welches ausschließlich diesem zugewiesen ist. 253 So etwa ausdrücklich Medicus, FS Steffen, S. 333, 334 f.; vgl. aber auch Fraenkel, Tatbestand, S. 237 ff.; Hager, Staudinger, § 823 Rn. B 160; Wagner, MüKo BGB, § 823 Rn. 329; Wandt, Gesetzliche Schuldverhältnisse, S. 329, 98; RGZ 57, 353, 356; BGHZ 12, 308 = NJW 1954, 1159; gestützt wird diese Ansicht auch durch die Gesetzesmaterialien, vgl. Motive II,

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abhängig von begrifflichen Feinheiten gehe es im Kern um eine Forderung,254 die als relatives Recht eine Außenwirkung nur gegenüber dem Schuldner entfalte. Auch, so wird teilweise argumentiert, fehle es an der für den deliktischen Schutz erforderlichen sozialtypischen Offenkundigkeit der Forderung.255 Und schließlich spreche vor allem die fehlende praktische Notwendigkeit eines deliktischen Schutzes gegen eine derart künstliche Aufspaltung des Forderungsrechts, weil dem Gläubiger bereits Ansprüche aus § 816 Abs. 2 BGB und ggf. auch aus § 687 Abs. 2 und § 826 BGB zukommen, weshalb „ein erhebliches Bedürfnis nach weiterem Schutz nicht vorliege […]“256.257 Die Relativität der Schuldverhältnisse wird jedoch auch von den Befürwortern eines deliktischen Forderungsschutzes gar nicht erst in Abrede gestellt. Es steht außer Frage, dass die Forderung ihrem Inhaber lediglich eine relativ wirkende Verhaltensberechtigung einräumt.258 Gegen Dritte kann der Gläubiger die Rechte aus seiner Forderung hingegen nicht geltend machen. Daher ist unstrittig, dass der Gläubiger bei schuldhafter Nichtleistung des Schuldners nicht nach § 823 Abs. 1 BGB gegen diesen vorgehen kann.259 Das Recht an der Forderung erfüllt jedoch durchaus die Anforderungen an ein sonstiges Recht:260 Bei der S. 727 = Mugdan II, S. 406, in denen es heißt: „Widerrechtlich ist auch die Verletzung eines Rechts aus einem Schuldverhältnis. Aber wie aus einem solchen Recht nur ein Recht gegen den Schuldner entsteht, so kann auch nur der Schuldner einer Verletzung dieses Rechts sich schuldig machen. Diese Rechtverletzung ist überhaupt nicht Gegenstand der Vorschriften über die Schuldverhältnisse aus unerlaubten Handlungen“. 254 Teilweise wird davon ausgegangen, bei dem Streit um die Rechtsnatur der Forderung handle es sich um rein begriffliche Probleme, vgl. Heck, SchuldR, § 1 Nr. 9, S. 4; J. Schmidt, Aktionsberechtigung, S. 212. 255 So etwa Esser/Weyers, Schuldrecht II/2, § 55 I 2 b), S. 163; Hager, Staudinger, § 823 Rn. B 160; so zumindest teilweise auch Fabricius, AcP 160 (1961), 273, 301, was jedoch daran liegen dürfte, dass dieser auch eine Forderungsverletzung durch Zerstörung des Substrats oder „Störungen daran“ (S. 304) in seine Untersuchung mitaufnimmt, vgl. hierzu auch Prange, Schutzpflichtverletzungen, S. 271 ff.; kritisch hingegen Hammen, AcP 199 (1999), 591, 597 f.; Medicus, FS Steffen, S. 333, 335. Zum Kriterium der sozialtypischen Offenkundigkeit vgl. bereits oben: Kap. 1, A.II.1.a)aa)(2). 256 Heck, SchuldR, § 150 Nr. 3, S. 459. Dieser Ansatz wurde detailliert ausgebaut von Otte, JZ 1969, 253, 255 ff. 257 Medicus, FS Steffen, S. 333, 335 f.; zum Rechtsschutzbedürfnis vgl. ferner Gernhuber, Schuldverhältnis, S. 40 f.; Kötz/Wagner, Deliktsrecht, Rn. 162; Löwisch, Deliktsschutz, S. 1 ff.; Mincke, JZ 1984, 862, 864; v. Tuhr, Allgemeiner Teil I, § 11 II 2, S. 211 mit Fn. 21. Zum Argument der Überflüssigkeit wegen des bereicherungsrechtlichen Schutzes vgl. Heck, Schuldrecht, § 150 Nr. 3, S. 459; zum Schutz der Forderung nach § 826 BGB vgl. O. C. Fischer, Verletzung des Gläubigerrechts, S. 134 ff.; für weitere Nachweise siehe zudem Picker, FS Canaris I, S. 1001 Fn. 4, 1022 Fn. 55. 258 Hoffmann, Zession, S. 89; Picker, FS Canaris I, S. 1001, 1005. 259 Picker, FS Canaris I, S. 1001, 1005; Wagner, MüKo BGB, § 823 Rn. 329. 260 v. Caemmerer, FS Rabel, S. 333, 355; Canaris, FS Steffen, S. 85, 90, 96; v. Gierke, Deutsches Privatrecht III, S. 62 f., 892 ff.; Hoffmann, Zession, S. 89 Fn. 59 m.w.N., S. 104; Jacobs, Feststellungsverfahren, S. 374; Oertmann, AcP 123 (1925), 129, 144 f.; Ost, Zuordnung, S. 132; Picker, FS Canaris I, S. 1001, 1019; Rehbein, Verletzung, S. 197; a.A. Medicus,

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Forderung handelt es sich um eine Rechtsposition, die ihrem Inhaber neben der Verfügungsbefugnis261 ein Herrschaftsrecht über die Leistungshandlung des Schuldners zuordnet.262 Dieses Recht ist insoweit auch vor Eingriffen Dritter geschützt, als diese sich nicht die Herrschaft über die Leistungshandlung des Schuldners anmaßen dürfen.263 Diese Freiheit ist alleine dem Gläubiger zugewiesen, welcher zudem die Befugnis hat, rechtsanmaßenden Dritten mit einem negatorischen Anspruch nach § 1004 BGB analog zu begegnen oder mithilfe einer Feststellungsklage gem. § 256 ZPO seine Inhaberschaft zu verteidigen.264 Ferner besteht für ihn bei „drohender Pfändung“ seiner Forderung durch einen Dritten auch die Möglichkeit einer Drittwiderspruchsklage gem. § 771 ZPO, um den Anschein der Pfändung zu beseitigen.265 Insofern ist eine Zuordnungs- und Ausschlussfunktion des Rechts an der Forderung also durchaus zu bejahen.266 Zudem fehlt es in diesen Fällen anders als bei den sonstigen Forderungsbeeinträchtigungen auch nicht an der für einen deliktischen Schutz erforderlichen sozialtypischen Offenkundigkeit der Schädigung, da diese zumindest typischerweise gegeben ist:267 In der heutigen entwickelten Rechts- und WirtschaftsordFS Steffen, S. 333, 342, der die Ausschlussfunktion als „Banalität“ bezeichnet, die sich darin erschöpfe, dass Dritte keine Gläubigerrechte haben. 261 Canaris, FS Steffen, S. 85, 90; H. C. Ficker, FS H. G. Ficker, S. 152, 179; Prange, Schutzpflichtverletzungen, S. 267; vgl. auch bereits Larenz, SchuldR AT I, § 33 III S. 572 f.; H. Roth, Einrede, S. 46; Thiele Zustimmung, S. 196; Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 3; siehe ferner die tabellarische Auflistung der Berechtigungen des Forderungsinhabers bei Schulze, Naturalobligation, S. 464. Auch sprechen die Gesetzesmaterialien in Zusammenhang mit dem „Eigentum oder einem anderen Rechte an einer Sache“ von einer aus diesen Rechten „fließende[n] Befugnis des Berechtigten, über das Recht zu verfügen“, vgl. Motive III, S. 77 = Mugdan III, S. 42. Kritisch mit Hinweis darauf, dass die Verfügungsbefugnis letztlich nicht aus dem Substanzrecht, sondern „aus der dem Privatrechtssubjekt zugewiesenen Selbstbestimmungsfreiheit“ folge – die „Fungibilität“ des Rechts letztlich aber von seiner konkreten Ausgestaltung abhänge, welche darüber entscheide, „ob der Inhaber von seiner grundsätzlichen Freiheit auch im Hinblick auf Verfügungen über das in Frage stehende Substanzrecht Gebrauch machen kann“ Hoffmann, Zession, S. 104. 262 Picker, FS Canaris I, S. 1001, 1005. 263 Hoffmann, Zession, S. 105. 264 Picker, FS Canaris I, S. 1001, 1019. 265 Die Frage, ob der Forderungsinhaber die Drittwiderspruchsklage erheben kann, wenn die Forderung von einem Dritten ohne entsprechenden Titel gepfändet wird, wird heute einvernehmlich bejaht, obwohl die Pfändung eigentlich ins Leere läuft und unwirksam ist, vgl. BGHZ 67, 378 = NJW 1977, 384; aus der Literatur siehe Canaris, FS Steffen, S. 85, 92 f.; H. C. Ficker, FS H. G. Ficker, S. 152, 179; Hager, Staudinger BGB, § 823 Rn. B 165; Picker, FS Canaris I, S. 1001, 1019; Preuß, BeckOK ZPO, § 771 Rn. 20. 266 Siehe zu den Anforderungen an eine absolute Rechtsposition bereits oben: Kap. 1, A.II.1.a)aa). 267 Henn, Drittschadensliquidation, S. 271; Picker, FS Canaris I, S. 1001, 1026; teilweise bejahend auch Fabricius, AcP 160 (1961), 273, 303 f.; a.A hingegen Medicus, FS Steffen, S. 333, 335 f., der vertritt, es liege weniger eine typische Erkennbarkeit als Element der Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB, als vielmehr ein „typischer Vorsatz“ als Voraussetzung des § 826 BGB vor. Dies vermag jedoch schon deshalb nicht zu überzeugen, weil auf diese Weise unter

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nung sind den Akteuren auch ungegenständliche Güter und Rechtspositionen wohlbekannt, weshalb bei einer Verfügung, die ein rechtsgeschäftliches Verhalten voraussetzt, dem Schädiger der Eingriff auch wegen seiner Finalität zumindest abstrakt erkennbar sein wird.268 Aber auch vom Scheinerben ist die Gedankenreflexion zu erwarten, dass er bei Nichtbestehen des Erbrechts den wahren Erben schädigt, wenn er durch den Rechtsakt der Leistungsannahme die Forderung zum Erlöschen bringt oder über eine Forderung aus der Erbmasse verfügt269. Gleiches gilt im Falle der Leistungsannahme des Scheingläubigers nach der Abtretung. Insofern kann vor einer Verfügung oder der Empfangnahme einer Leistung von jedem Teilnehmer im Rechtsverkehr verlangt werden, sich zumindest gedanklich zu vergewissern, dass man auch Inhaber des Forderungsrechts ist.270 Die typische Kenntnis, dass die Forderung einem anderen zusteht und man selbst daher nicht zur Entgegennahme der Leistung berechtigt ist, kann der sozialtypischen Offenkundigkeit eines Rechtsguts daher (zumindest) gleichgestellt werden.271 Darüber hinaus spricht unabhängig davon, dass das Recht an der Forderung die Voraussetzungen für ein absolutes Recht erfüllt, auch ein gewichtiges systematisches Argument für die teilweise Einbeziehung des Forderungsrechts in den deliktischen Schutz: Da die Forderungsinhaberschaft anerkanntermaßen sowohl negatorisch als auch bereicherungsrechtlich durch § 816 BGB geschützt wird, gebietet es bereits das systemlogische Argument eines einheitlichen Schutzumfangs zugewiesener Rechtspositionen, die Schutzrechte um einen deliktischen Anspruch zu ergänzen.272 Ein bereicherungsrechtlicher Schutz der Forderung wird zweifelsohne durch § 816 Abs. 2 BGB gewährleistet.273 Diesen Schutz genießt das Forderungsrecht auch nach der Abtretung, weshalb sich der Zessionar darauf berufen kann und ihm die entsprechenden bereicherungsrechtlichen FordeVerzicht auf eine tatsächliche Sittenwidrigkeit § 826 BGB zur Auffangnorm für nicht über § 823 BGB geschützte Rechtspositionen herabgewürdigt würde, siehe hierzu auch Henn, Drittschadensliquidation, S. 271 Fn. 163. 268 Picker, FS Canaris I, S. 1001, 1026; im Ergebnis so auch Prange, Schutzpflichtverletzungen, S. 271. 269 Henn, Drittschadensliquidation, S. 271. 270 So zutreffend Prange, Schutzpflichtverletzungen, S. 272. 271 Fabricius, AcP 160 (1961), 273, 303 f.; vgl. auch Henn, Drittschadensliquidation, S. 270; ähnlich auch Canaris, FS Steffen, S. 85, 94, der zwar von der fehlenden sozialtypischen Offenkundigkeit ausgeht, diesem Umstand aber deshalb keine weitergehende Bedeutung beimisst, weil es sich bei der Leistungsannahme um einen subjektiv-finalen Eingriff in die Forderung handle, was das Merkmal der sozialtypischen Offenkundigkeit überflüssig mache; vgl. auch Larenz/Canaris, SchuldR BT II/2, § 76 II S. 397 f.; a.A. Koziol, Forderungsrechte, S. 178. Siehe zum Erfordernis der sozialtypischen Offenkundigkeit im Falle einer subjektiven Kenntnis in Zusammenhang mit § 826 BGB oben: Kap. 1, A.II.1.a).aa)(2). 272 Canaris, FS Steffen, S. 85, 86 ff.; Gebauer, Jura 1998, 128, 132; Picker, FS Canaris I, S. 1001, 1016 ff.; siehe zum umfassenden Schutz einer Rechtsposition durch die „Anspruchstrias“ bereits oben: Kap. 1, A.I.1. 273 Picker, FS Canaris I, S. 1001, 1020 ff.

I. Der Anspruch als Ausnahme vom „Grundsatz der Unmittelbarkeit“?

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rungen zugewiesen sind, sofern die Rechtsverletzung nach der Zession erfolgt.274 Alleine durch den bereicherungsrechtlichen Schutz ist der Gläubiger aber noch nicht umfassend geschützt, zumal sich auch bei Anwendbarkeit des § 816 Abs. 2 BGB Schutzlücken ergeben können, weil dieser Anspruch dem Einwand des Wegfalls der Bereicherung nach § 818 Abs. 3 BGB ausgesetzt ist.275 Die Notwendigkeit eines umfassenden Schutzes durch die Trias der Haftungssysteme wird aber auch anhand des Beispiels deutlich, in welchem der fahrlässig handelnde Geschäftsführer einer GmbH eine Forderung mit befreiender Wirkung nach § 407 BGB einzieht und der Anspruch aus § 816 Abs. 2 BGB gegen die GmbH aufgrund ihrer Insolvenz wertlos ist.276 Warum der Geschädigte in einem solchen Fall nicht auch gem. § 823 Abs. 1 BGB gegen den Geschäftsführer vorgehen können soll, erschließt sich nicht.277 Der bereicherungsrechtliche Schutz ist daher keinesfalls als abschließend anzusehen, vielmehr drängt sich gerade durch diesen der deliktische Schutz der Forderung sogar auf.278 Es leuchtet nicht ein, warum der Forderungsinhaber Vorteile beim Verletzer abschöpfen kann, im Falle des Verschuldens aber keine Restitution geltend machen können soll.279 Nichts anderes gilt für den negatorischen Schutz der Forderung gem. § 1004 BGB analog, insbesondere bei drohenden Eingriffen.280 Es ist im Zivilrecht nicht erforderlich, die Zufügung eines Schadens zu dulden, um diesen anschließend zu liquidieren.281 Zudem ist der negatorische Schutz gegenüber § 816 Abs. 2 BGB auch für den Verletzer das mildere Mittel.282 Insofern wird durch den obligatorischen § 816 Abs. 2 BGB bereits indiziert, dass die Forderung auch ausschließlich mit Wirkung gegen Dritte ihrem Inhaber zugewiesen ist.283 Im Ergebnis ist somit davon auszugehen, dass die Forderung auch eine absolute Dimension hat. Bei dem Recht an der Forderung handelt es sich um ein

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Hoffmann, Zession, S. 105. Zwar wird dem Schuldner nach § 816 Abs. 2 BGB die Berufung auf § 818 Abs. 3 BGB in der Regel nicht viel nützen, da er auch aus dem der Zession zugrundeliegenden Vertrag haftet und ihm somit nicht nur die Kenntnis über seine fehlende Einziehungsbefugnis (§ 819 BGB), sondern grundsätzlich jede Form der Fahrlässigkeit schadet; jedoch ist ein solcher vertraglicher Anspruch keinesfalls immer gegeben (so z.B. bei der cessio legis oder Fällen des § 808 BGB oder 2367 BGB), vgl. zum Erfordernis einer deliktischen Haftung insbes. Canaris, FS Steffen, S. 85, 88 f.; Picker, FS Canaris I, S. 1001, 1023 f. mit weiteren Beispielen. 276 Canaris, FS Steffen, S. 85, 87; Larenz/Canaris, SchuldR BT II/2, § 76 II S. 397; Hager, Staudinger BGB, § 823 Rn. B 164. 277 Siehe hierzu auch Prange, Schutzpflichtverletzungen, S. 273. 278 Hoffmann, Zession, S. 105. 279 Hoffmann, Zession, S. 105. 280 Vgl. Canaris, FS Steffen, S. 85, 91; Ost, Zuordnung, S. 132; Picker, FS Canaris I, S. 1001, 1021; Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 139. 281 Hoffmann, Zession, S. 106. 282 Hoffmann, Zession, S. 106. 283 Hoffmann, Zession, S. 89. 275

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B. Systematische Einordnung – der Anspruch als Ausnahmevorschrift?

ihrem Inhaber zugewiesenes Substanzrecht, von dem jeder andere ausgeschlossen ist.284 (cc) Die Unterhaltsforderung als Rechtsposition des § 844 Abs. 2 BGB In einem nächsten Schritt soll nun das Dargetane auf die nach § 844 Abs. 2 BGB zu ersetzende Unterhaltsforderung übertragen und untersucht werden, inwieweit die Unterhaltsforderung absoluter Natur ist (aaa) und ob durch die Tötung des Unterhaltsschuldners in die Forderungsinhaberschaft des Unterhaltsberechtigten eingegriffen wird (bbb). (aaa) Der absolute Charakter der Unterhaltsforderung Voraussetzung des § 844 Abs. 2 BGB ist, dass im Zeitpunkt der Verletzung ein Rechtsverhältnis zwischen dem Verstorbenen und dem Hinterbliebenen vorlag, kraft dessen eine gesetzliche Unterhaltsforderung des Hinterbliebenen entstanden war oder entstehen konnte.285 Ein solches Unterhaltsrechtsverhältnis liegt nach den Vorschriften des Familienrechts grundsätzlich bei geradlinig Verwandten286 einschließlich durch Adoption begründeter Verwandtschaften von Eltern und Kind287 sowie Ehegatten288 und Lebenspartnern289 vor.290 Zwischen diesen Personen weist die Privatrechtsordnung zugunsten der Berechtigten und mit Wirkung gegen den Verpflichteten unter bestimmten Voraussetzungen ein Unterhaltsforderungsrecht zu. Für einen Schadensersatzanspruch nach § 844 Abs. 2 BGB ist es jedoch ausreichend, dass der Hinterbliebene im Zeitpunkt der Verletzungshandlung, die zum Tode des Unterhaltspflichtigen führte, grundsätzlich unterhaltsberechtigt war.291 Die einzelnen Voraussetzungen, die zur Entstehung der Unterhaltsforderung führen (z.B. Bedürftigkeit des Gläubigers [§§ 1602, 1569 BGB], Leistungsfähigkeit des Schuldners [§ 1603 BGB] oder Fälligkeit [§ 1361 284 So im Ergebnis auch Hoffmann, Zession, S. 88 f., 106 m.w.N. in Fn. 59; ders., Jura 2014, 71, 74; vgl. ferner die Nachweise bei Picker, FS Canaris I, S. 1001, 1002 Fn. 5. 285 Auf vertragliche Unterhaltsforderungen ist § 844 Abs. 2 BGB hingegen nicht anwendbar, vgl. BGH, NJW 1984, 977, 978; BGH, NJW 2001, 971, 973; Luckey, Prütting/Wegen/ Weinreich BGB, § 844 Rn. 6; Spindler, BeckOK BGB, § 844 Rn. 10. 286 §§ 1601 ff. BGB. 287 §§ 1754, 1751 Abs. 4, 1770 Abs. 3 i.V.m. §§ 1601 ff. BGB. 288 1360 S. 1 BGB. Die Unterhaltspflicht besteht bei Ehegatten auch während des Getrenntlebens (§ 1361 BGB) und unter bestimmten Voraussetzungen auch nach der Scheidung (§§ 1569 ff. BGB) oder Aufhebung der Ehe (§ 1318 Abs. 2 i.V.m. §§ 1569 ff. BGB). Seit dem 01.10.2017 bestehen diese Unterhaltsrechte auch zwischen Ehepartnern gleichen Geschlechts. 289 § 5 LPartG. 290 Ausgenommen sind hingegen Unterhaltspflichten zwischen Verlobten und Partnern einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft sowie gegenüber Stief- und Pflegekindern, vgl. Eichelberger BeckOGK BGB, 01.08.2020, § 844 Rn. 73 m.w.N. 291 Relevant ist insofern nur der Zeitpunkt der Verletzungshandlung. Auf den Todeszeitpunkt kommt es hingegen nicht an, vgl. Motive II, S. 780 = Mugdan II, S. 436; BGHZ 132, 39 = NJW 1996, 1674; Eichelberger, BeckOGK BGB, 01.08.2020, § 844 Rn. 78.

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Abs. 4 S. 2]),292 müssen im Einzelnen hingegen noch nicht vorgelegen haben.293 Insofern genügt für einen Ersatzanspruch nach § 844 Abs. 2 BGB das Vorliegen eines Unterhaltsrechtsverhältnisses, auch wenn die Forderung des Berechtigten gegen den Getöteten erst zu einem künftigen Zeitpunkt entstanden wäre.294 Der Anspruch aus § 844 Abs. 2 BGB wird bis zu diesem Zeitpunkt aufgeschoben.295 Liegen die Voraussetzungen der Unterhaltsforderung aber vor und ist damit auch die Forderungsinhaberschaft des Berechtigten gegeben, ist dieser Bereich auch absoluter Natur. Zwar wird teilweise vertreten, der Unterhaltsforderung fehle es an der sozialtypischen Offenkundigkeit, weshalb der Ausnahmecharakter des § 844 Abs. 2 BGB nicht in der Statuierung eines Schutzrechts zugunsten der bloß mittelbar geschädigten Dritten, sondern in der Ersatzfähigkeit einer nicht sozialtypisch offenkundigen Rechtsposition liege.296 Diese Ansicht muss sich jedoch entgegnen lassen, dass der Gesetzgeber offensichtlich selbst davon ausging, dass jeder schuldhaft Tötende immer auch voraussehen müsse, dass das Opfer gesetzlich Unterhaltsberechtigte hinterlassen könnte.297 Insofern ist zumindest die abstrakte Möglichkeit einer gesetzlichen Unterhaltspflicht des Opfers und damit einhergehend eines Unterhaltsrechtsverhältnisses mittels Gedankenreflexion erkenntlich. Andere Besonderheiten der Unterhaltsforderung lassen ihren absoluten Charakter hingegen erst auf den zweiten Blick erkennen. Erachtet man die positiv und absolut zugewiesene Berechtigung des Forderungsinhabers in der Einziehungs- und Verfügungsbefugnis,298 so steht letzteres Recht dem Unterhaltsgläubiger wegen der nur bedingt möglichen Pfändbarkeit von Unterhaltsforderungen gem. § 850b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 ZPO und dem damit einhergehenden Ausschluss einer Abtretung nach § 400 BGB nämlich nur eingeschränkt zu.299 Aufgrund die-

292

Wagner, MüKo BGB, § 844 Rn. 33. Vgl. Pardey, Geigel, Haftpflichtprozess, Kapitel 8 Rn. 15 f., 33. 294 Motive II, 781 f. = Mugdan II, S. 436 f.; vgl. aus der Rechtsprechung nur das Urteil des BGHZ 4, 133 = NJW 1952, 539, in welchem ein solches Unterhaltsverhältnis zwischen einer 12-jährigen verunglückten Tochter und ihrem zukünftig bedürftigen Vater festgestellt wurde; siehe ferner auch Selg, BeckOGK BGB, 01.08.2020, § 1601 Rn. 132 ff.; Wagner, MüKo BGB, § 844 Rn. 32, 90. Zur Hemmung der Verjährung (§ 204 Nr. 1 BGB) ist daher auch eine Klage zur Feststellung künftiger Ersatzpflichten statthaft (§ 256 ZPO). 295 Wagner, MüKo BGB, § 844 Rn. 33. 296 Fabricius, AcP 160 (1961), 273, 302. 297 Motive II, 778 = Mugdan II, S. 434 f.; vgl. Denck, Schadensersatzansprüche Dritter, S. 125; Röthel, Staudinger BGB, § 844 Rn. 2. 298 Siehe hierzu bereits oben: Kap. 1, B.I.3.b)bb)(2)(a)(aa). 299 Ist die Forderung nicht auf eine Geldrente, sondern auf Naturalunterhalt gerichtet, ist diese Forderung gem. § 399 Alt. 1 BGB, § 851 Abs. 1 ZPO gänzlich unpfändbar, Selg, BeckOGK BGB, 01.08.2020, § 1601 Rn. 230. Eine Ausnahme vom Abtretungsverbot bei lediglich bedingt pfändbaren Forderungen (§ 850b ZPO) wird hingegen in den Fällen angenommen, in denen der Zessionar seinerseits dem Zedenten die (wirtschaftlich gleichwertige) Leistung erbringt, die durch § 400 BGB gesichert werden soll, vgl. BGH, NJW-RR 2010, 1235, 1236; BGHZ 197, 326, 335 = NJW 2013, 2592, 2594; Busche, Staudinger BGB, § 399 Rn. 26. 293

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ser weitreichenden Pfändungsbeschränkung wird zudem der ohnehin geringe Anwendungsbereich der Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO bei Forderungspfändungen für die Unterhaltspfändung noch weiter reduziert, so dass auch dieses sonst zur Begründung der Ausschlussfunktion eines Forderungsrechts herangezogene Argument300 für die Unterhaltsforderung wertlos scheint. Bei genauer Überlegung steht das Abtretungsverbot dem Absolutheitscharakter der Unterhaltsforderungsinhaberschaft jedoch nicht entgegen; es reduziert lediglich die Möglichkeit eines Eingriffs. Soweit nämlich eine Abtretung der Unterhaltsforderung von vornherein gesetzlich ausgeschlossen ist, kann es gar nicht zu den von § 407 BGB erfassten Fällen kommen, da diese eine vorherige Zession voraussetzen.301 Dies ändert im Ergebnis aber nichts an der grundsätzlichen Berechtigung des Forderungsinhabers. So bleibt einerseits die Einziehungsbefugnis des Unterhaltsgläubigers uneingeschränkt bestehen.302 Zum anderen bleibt zumindest auch eine Abtretung von lediglich bedingt pfändbaren Forderungen (§ 850b ZPO) in den Fällen möglich, in denen der Zessionar seinerseits dem Zedenten die (wirtschaftlich gleichwertige) Leistung erbringt, die durch § 400 BGB gesichert werden soll.303 Die Besonderheiten der Unterhaltsforderung stehen dem absoluten Charakter der Forderungsinhaberschaft daher nicht entgegen. (bbb) Eingriff in die Forderungsinhaberschaft durch Tötung des Unterhaltsschuldners? Wird der Unterhaltsschuldner getötet, so erlischt grundsätzlich auch die Unterhaltsforderung (vgl. § 1615; § 1615 i.V.m. § 1360a Abs. 3, § 1361 Abs. 4 S. 4; § 1586 BGB; § 12 LPartG),304 weshalb sie im Ergebnis jedenfalls in ihrem „Bestand“ verletzt wird. Auch an dieser Stelle darf jedoch nicht voreilig der Schadenserfolg

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Vgl. Picker, FS Canaris I, S. 1001, 1019. Denkbar bleibt jedoch der Fall, in dem die bereits entstandene Unterhaltsforderung nach dem Tod des Unterhaltsgläubigers auf dessen Erben übergeht, sodann aber vom Scheinerben mit befreiender Wirkung gem. § 2367 BGB eingezogen wird. 302 Der Unterhaltsgläubiger wird gem. § 850d ZPO sogar noch in der Vollstreckung privilegiert, da er ungeachtet der Beschränkung nach §§ 850a, 850c ZPO in die Nebenbezüge und das Arbeitseinkommen des Schuldners vollstrecken darf, vgl. Selg, BeckOGK BGB, 01.08.2020, § 1601 BGB Rn. 233. 303 Vgl. BGH, NJW-RR 2010, 1235, 1236; BGHZ 197, 326, 335 = NJW 2013, 2592, 2594; Busche, Staudinger BGB, § 399 Rn. 26. 304 Eine Ausnahme gilt lediglich für die Unterhaltsforderung der Mutter eines unehelichen Kindes gegen den Vater aus Anlass der Geburt gem. § 1615l Abs. 1 BGB, die gem. § 1615l Abs. 3 S. 4 BGB nicht erlischt, so dass die Erben gem. § 1967 BGB für diese Nachlassverbindlichkeit haften, vgl. Lugani, BeckOGK BGB, 01.05.2020, § 1615l Rn. 108. Nach dem Tod erhalten bleibt auch eine Unterhaltsforderung des geschiedenen Ehegatten in Höhe eines hypothetischen Pflichtteilsanspruchs nach § 1586b BGB. Zu dieser Sonderproblematik und ihrem Spannungsverhältnis zu § 844 Abs. 2 BGB im Falle eines „Dreieck[s] Schädiger – Erben – Unterhaltsberechtigter“ vgl. Schubel, AcP 198 (1998), 1 ff.; Diederichsen, NJW 2013, 641 f. 301

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mit der Rechtsverletzung gleichgesetzt werden. Zunächst ist daher die Überlegung anzustellen, ob durch den Eingriff in das Leben des Unterhaltsschuldners auch in die Forderungsinhaberschaft des Unterhaltsberechtigten eingegriffen wird. Bei jedem Anspruch, der auf einen „Schaden“ reagiert,305 ist als entscheidende Vorfrage zu ermitteln, ob dieser Nachteil durch die Verletzung einer Rechtsposition des Anspruchstellers erfolgt ist, welche das geltende Recht gerade auch gegenüber dem Schädiger als exklusive Herrschaftsberechtigung zuweist.306 Mit anderen Worten: Es ist zu überprüfen, ob das als haftungsrelevant eingeordnete Verhalten des Schädigers auch unabhängig vom eingetretenen Schaden gerade auch gegenüber dem Anspruchsteller untersagt war, weil das Verhalten im Widerspruch zu der dem Anspruchsteller zugewiesenen Rechtsposition stand.307 Nimmt der Schädiger eine das Leben des Unterhaltsschuldners beendende Handlung vor, maßt er sich jedoch selbstredend keine Kompetenz an, die dem Forderungsinhaber zugewiesen ist. Ein Eingriff in das Recht an der Forderung liegt darin nicht. Vielmehr wird die Unterhaltsforderung mittelbar dadurch aufgehoben, dass auf den Schuldner selbst eingewirkt wird.308 In dem lebensbeendenden Verhalten liegt jedoch keine Verfügung, welche die Forderung vergleichbar einer Einziehung gem. § 407 BGB unmittelbar zum Erlöschen bringt, sondern eine Handlung, die mit der Zerstörung oder Entziehung der geschuldeten Sache bzw. treffender mit der Verletzung des Dienstleistungspflichtigen gleichzusetzen ist.309 Zudem spricht gegen die Unterhaltsforderungsinhaberschaft als geschützte Rechtsposition, dass § 844 Abs. 2 BGB auch denjenigen Hinterbliebenen einen Anspruch gewährt, die im Zeitpunkt der Verletzungshandlung, beispielsweise mangels Bedürftigkeit zu dieser Zeit, noch gar nicht Inhaber einer Unterhaltsforderung waren.310 War die Unterhaltsforderung aber noch gar nicht entstanden, kann in diese denklogisch auch nicht eingegriffen werden.311 305 Gleiches gilt selbstverständlich auch für Ansprüche, die auf eine „Beeinträchtigung“ oder eine „Bereicherung“ reagieren. 306 Picker, FS Canaris I, S. 1001, 1032. 307 Picker, FS Canaris I, S. 1001, 1015. 308 Vgl. zu einer Einwirkung auf den Schuldner durch Tötung etwa Ost, Zuordnung, S. 133. 309 Siehe hierzu oben: Kap. 1, B.I.3.b)bb)(2)(a)(aa). 310 Vgl. BGHZ 4, 133 = NJW 1952, 539; Wagner, MüKo BGB, § 844 Rn. 90. 311 Teilweise ist daher von einer „Anwartschaft auf Unterhalt“ die Rede, vgl. Pardey, Geigel, Der Haftpflichtprozess, Kapitel 8 Rn. 18; Schramm, Haftung für Tötung, S. 104 Fn. 516; zumindest die dinglichen Anwartschaftsrechte sind weitgehend als „sonstige Rechte“ anerkannt (vgl. zum deliktischen Schutz des anwartschaftsberechtigten Grundstückskäufers etwa BGHZ 114, 161 = BGH, DNotZ 1992, 293 oder zum „Vorbehaltseigentum“ BGH, NJW 1971, 799; sowie aus der Literatur Flume, AcP 161 (1962), 385, 399 ff.; Fuchs, Deliktsrecht, S. 35). Dieser Vergleich ist vorliegend jedoch deshalb verfehlt, weil das Unterhaltsrecht anders als ein Anwartschaftsrecht grundsätzlich nicht selbständig übertragen, verpfändet und in der Zwangsvollstreckung gepfändet werden kann (§ 850b Abs. 1 Nr. 2 ZPO, § 400 BGB). Zudem dürfte es auch einer gesicherten Erwerbsposition des Unterhaltsberechtigten fehlen, da es von

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(dd) Zwischenergebnis Im Ergebnis ist daher davon auszugehen, dass durch die Tötung des Unterhaltsschuldners nicht in die absolut zugewiesene Forderungsinhaberschaft der Hinterbliebenen eingegriffen wird. Mit dem Erlöschen der Forderung liegt daher zwar ein Verletzungserfolg vor; dieser ist jedoch mit einem Schaden, nicht aber mit der Rechtsverletzung beim Unterhaltsgläubiger gleichzusetzen. (b) § 844 Abs. 2 BGB als Schutzrecht für das aus dem „familienrechtlichen Band“ begründete Recht auf Unterhalt Da mangels Eingriffs in die Forderungsinhaberschaft § 844 Abs. 2 BGB nicht als Schutzrecht des Rechts an der Unterhaltsforderung einzuordnen ist, der Unterhaltsschaden aber ausdrücklich für ersatzfähig erklärt wird, bleibt zu überlegen, aus welcher Rechtsverletzung der Unterhaltsschaden noch entstanden sein könnte. Einen möglichen Ansatz an dieser Stelle lieferte bereits v. Gierke. Seiner Ansicht nach ist die Entziehung des gesetzlichen Unterhaltsrechts im Falle der Tötung des Unterhaltsverpflichteten die Folge „der in der Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Verpflichteten zugleich enthaltenen Verletzung des Personenrechts der Berechtigten, das ihnen kraft des von jedermann zu achtenden Familienbandes zusteht.“312 In der Handlung gegenüber dem unmittelbar Verletzten liege daher zugleich auch ein widerrechtlicher Eingriff in die Privatrechtssphäre des Dritten, so dass diesem aus eigener Rechtsverletzung und nicht bloß aus der Verletzung fremder Rechte abgeleitete Ansprüche zustünden.313 Nach v. Gierke reagiert § 844 Abs. 2 BGB daher auf die Verletzung der Privatrechtssphäre des Dritten, die sich aus dem besonders geschützten Familienband ableitet. Zu der Frage, wie genau dieses aus dem Familienrecht abgeleitete Recht der „Privatsphäre“ aussehen soll, äußert sich v. Gierke hingegen nicht. In der Tat spricht aber einiges dafür, die Rechtsposition in einem aus Art. 6 GG abgeleiteten und in den §§ 1360 ff., 1569 ff., 1601 ff., 1754 f. BGB und § 5 LPartG privatrechtlich ausgestalteten familienrechtlichen Unterhaltsrechtsverhältnis bzw. einem Recht auf Unterhalt zu sehen.314 Auch Art. 6 GG schützt die persönliche Entfaltung in

vielen im Zeitpunkt des Todes noch ungewissen Faktoren abhängen kann, ob eine Unterhaltsforderung einmal entsteht oder nicht. Das Unterhaltsrechtsverhältnis ist daher letztlich nicht als „wesensgleiches Minus“ und daher auch nicht als eine Unterhaltsforderungsanwartschaft einzuordnen. 312 v. Gierke, Deutsches Privatrecht III, S. 893; in diese Richtung auch Röckrath, VersR 2001, 1197, 1203, der das Schutzgut ausdrücklich in Art. 6 GG und dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 GG) sieht; so auch Röthel, Staudinger BGB, § 844 Rn. 2. 313 v. Gierke, Deutsches Privatrecht III, S. 965, „all diese Ersatzansprüche […] sind selbständige, nicht aus dem Recht des Verletzten abgeleitete, sondern aus Verletzung des eigenen Rechts entspringende Ansprüche“ (S. 968). 314 Insofern ist es nicht verwunderlich, dass sich der personelle Schutzbereich des Art. 6 GG und die nach § 844 Abs. 2 BGB Anspruchsberechtigten weitgehend decken. Dies gilt sogar für den Unterhaltsberechtigten nach der Ehescheidung (§§ 1569 ff. BGB), da auch dieser

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einem abgeschirmten familiären Lebensbereich,315 in den durch die Tötung des unterhaltsleistenden Familienmitglieds eingegriffen wird.316 Diese Annahme wird zudem dadurch gestützt, dass der Gesetzgeber bei der Einführung des § 844 BGB den besonderen Schutz von Ehe und Familie im Blick hatte.317 Dies spricht dafür, dass § 844 Abs. 2 BGB jedenfalls auch der Erfüllung der sich aus Art. 6 GG ableitenden Schutzpflichten des Staates dient,318 indem das Schutzrecht dafür sorgt, dass die familiäre Verantwortungs- und Versorgungsgemeinschaft in wirtschaftlicher Hinsicht über den fremdverursachten Tod hinaus gesichert ist.319 Zudem dürfte auch hier die sozialtypische Offenkundigkeit des familiären Rechts zumindest mittels Gedankenreflexion anzunehmen sein. So gingen die Gesetzesbegründer selbst davon aus, dass ein schuldhaft Tötender immer voraussehen müsse, dass das Opfer gesetzlich Unterhaltsberechtigte hinterlassen könne.320 Erkennt man, auch wenn dies im Rahmen dieser Arbeit nicht abschließend überprüft werden kann, die relevante Rechtsposition folglich in einem familienrechtlichen, durch einfachgesetzliche Vorschriften ausgestalteten Unterhaltsrechtsverhältnis bzw. in einem „Recht auf Unterhalt“321, wird auf diese Weise nicht nur die systemimmanente Struktur des Haftungsrechts eingehalten; vielmehr findet sich damit auch eine Erklärung dafür, weshalb künftige Unterhaltsforderungen, die zum Zeitpunkt des Todes noch gar nicht entstanden waren, zu ersetzen sind.322 Durch die Tötung wird in das familienrechtliche Unterhaltsrechtsverhältnis zwischen Verstorbenem und Hinterbliebenen eingegriffen, kraft dessen grundsätzlich ein Recht auf Unterhalt bestand. Die aus diesem Eingriff resultierenden Schäden in Form eines Verlustes der Unterhaltsforderung treten teilweise jedoch erst mit der jeweiligen Bedürftigkeit des Hinterbliebenen und der zumindest hypothetischen Leistungsfähigkeit des Verstorbenen ein, weshalb der Schaden im Todeszeitpunkt nicht abschließend entstanden sein muss, sondern weiterhin den Schutz von Art. 6 GG genießt, vgl. BVerfGE 66, 84, 93 = NJW 1984, 1523; Schmidt, Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, Art. 6 GG Rn. 5. Eine Ausnahme bilden lediglich die gleichgeschlechtliche Ehe und die eingetragene Lebenspartnerschaft, da diese, sofern keine Kinder vorhanden sind, nicht vom Schutzbereich des Art. 6 GG erfasst werden (vgl. hierzu bereits oben: Kap. 1, A.III.2.b)). Jedoch ist der Gesetzgeber frei, über die grundrechtlichen Schutzpflichten hinaus weiterreichende Regelungen zu treffen, was er mit § 5 LPartG und der Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe im Privatrecht auch getan hat. 315 Schmidt, Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, Art. 6 GG Rn. 3; vgl. auch Schips, Schmerzensgeld, S. 158; BVerwG, NVwZ 1993, 696, 697. 316 Schramm, Haftung für Tötung, S. 345. 317 Siehe Schramm, Haftung für Tötung, S. 357. 318 Schips, Schmerzensgeld, S. 157 f.; siehe Schramm, Haftung für Tötung, S. 346. 319 Schramm, Haftung für Tötung, S. 340, 345 m.w.N.; vgl. auch Esser/Schmidt, SchuldR AT I/2, § 34 II S. 261 f. 320 Motive II, S. 778 = Mugdan II, S. 435; siehe hierzu auch Denck, Schadensersatzansprüche Dritter, S. 125; Röthel, Staudinger BGB, § 844 Rn. 2. 321 So BGH, NJW 1974, 1373. 322 Vgl. BGHZ 4, 133 = NJW 1952, 539.

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B. Systematische Einordnung – der Anspruch als Ausnahmevorschrift?

auch schrittweise in der Zukunft entstehen kann. Dieses Auseinanderfallen von Verletzung und Schadensentstehung ist der Rechtsordnung jedoch nicht fremd; vielmehr bietet sie geeignete Instrumente, um auch in diesen Fällen die Durchsetzung des Ersatzes erst künftig entstehender Schäden zu sichern. So ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Klage auf Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz erst künftig eintretender Schäden zulässig, sofern die Möglichkeit eines Schadenseintritts besteht (Feststellungsinteresse, § 256 Abs. 1 ZPO).323 Nichts anderes gilt für den Unterhaltsschaden nach § 844 Abs. 2 BGB.324 Kommt es hingegen trotz Tötung des Unterhaltspflichtigen nicht zu dem Verlust einer Unterhaltsforderung325 oder war die Forderung ohnehin wertlos, weil sie beispielsweise auch nicht mit Zwangsmaßnahmen hätte beigetrieben werden können, und fehlt es daher „trotz Verlusts des Rechts auf Unterhalt“ an einem Schaden, kommt auch ein Anspruch nach § 844 Abs. 2 BGB nicht in Betracht.326 Letztlich bietet das Erfordernis der Verletzung des aus dem „Familienband“ abgeleiteten Rechts auf Unterhalt auch einen Grund dafür, dass lediglich die gesetzlichen Unterhaltspflichten und nicht etwa vergleichbare vertragliche Forderungen nach § 844 Abs. 2 BGB ersatzfähig sein sollen.327 Lediglich denjenigen, denen aufgrund ihres familienrechtlichen Bandes ein „Recht auf Unterhalt“ zusteht, soll bei Verletzung dieses Rechts durch Tötung und Hinzutreten eines Unterhaltsschadens der Anspruch zustehen.328 Leitet sich die Unterhaltsforderung hingegen nicht aus einem Verwandtschafts- oder Familienverhältnis ab, ist es auch nicht Aufgabe des § 844 Abs. 2 BGB, die vertraglich begründeten Pflichten zu schützen. (c) Zwischenergebnis Die Untersuchung hat gezeigt, dass die Einordnung des § 844 Abs. 2 BGB als Ausnahmevorschrift zum System der Rechtszuweisung verfrüht ist. Vielmehr erscheint es ebenso möglich, dass auch § 844 Abs. 2 BGB auf die Verletzung einer Rechtsposition des Hinterbliebenen reagiert, die sich aus einem von Art. 6 GG beeinflussten privatrechtlichen „Recht auf Unterhalt“ ergibt. 323

BGH, NJW 2001, 1431. BGHZ 4, 133 = NJW 1952, 539. 325 So soll ein Ersatzanspruch nach § 844 Abs. 2 BGB auch dann nicht in Betracht kommen, wenn es deshalb an einem Schaden fehlt, weil die Unterhaltspflicht wie in den Fällen des § 1586b Abs. 1 S. 1 oder § 1615l Abs. 3 S. 4 BGB auf die Erben übergeht, vgl. Spindler, BeckOK BGB, § 844 Rn. 14; a.A. Schubel, AcP 198 (1998), 1, 33, der § 1586b BGB nur dann am Zuge sieht, wenn der Unterhalt auch zuvor aus dem Vermögen des geschiedenen Ehegatten bestritten wurde, welches nun auf die Erben übergegangen ist. Andernfalls bestünde grundsätzlich auch hinsichtlich Geschiedenenunterhalts eine Ersatzverpflichtung des Schädigers nach § 844 Abs. 2 BGB. 326 BGH, NJW 1974, 1373; Pardey, Geigel, Haftpflichtprozess, Kapitel 8 Rn. 25. 327 Vgl. v. Gierke, Deutsches Privatrecht III, S. 893 Fn. 44. 328 Dazu, dass sich das Unterhaltsrecht nach § 1601 BGB allein aus dem Verwandtschaftsverhältnis ableitet, etwa Selg, BeckOGK BGB, 01.08.2020, § 1601 Rn. 11; vgl. auch BGH, NJW 1974, 1373. 324

I. Der Anspruch als Ausnahme vom „Grundsatz der Unmittelbarkeit“?

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c) Ergebnis Es ergibt sich weder aus der Systematik noch aus dem Normzweck die zwingende Schlussfolgerung, dass es sich bei § 844 Abs. 1 und 2 BGB um Schadensersatzansprüche handelt, die einem Dritten ausnahmsweise ohne eigene Rechtsverletzung zustehen. So ist zwar im Falle des § 844 Abs. 1 BGB ein Substanzrecht des Anspruchsinhabers nicht ersichtlich, jedoch fehlt es genaugenommen auch an einem Schaden, weshalb fraglich ist, ob es sich hierbei überhaupt um einen Schadensersatzanspruch handelt. Bei § 844 Abs. 2 BGB ist hingegen davon auszugehen, dass der Anspruch auf die Verletzung des familienrechtlichen Rechts auf Unterhalt reagiert. Wird dieses verletzt und entsteht infolgedessen ein Unterhaltsschaden, ist dieser gem. § 844 Abs. 2 BGB zu ersetzen.

4. § 844 Abs. 3 BGB als Anspruchsgrundlage für einen Drittschaden? a) Der Hinterbliebene als mittelbar Geschädigter? Verzichtet man auf die Verletzung einer eigenen Rechtsposition, würde es sich bei § 844 Abs. 3 BGB um eine Ausnahmeregelung zugunsten des bloß mittelbar geschädigten Hinterbliebenen handeln. Zwar muss der Mensch am Ende seines Lebens ohnehin sterben (conditio humana);329 die fremdverantwortliche, möglicherweise plötzliche Tötung ist für die nahestehende Person jedoch so viel einschneidender, dass hier, anders als bei den Beerdigungskosten,330 jedenfalls ein Verfrühungsschaden anzunehmen ist. Insofern ist also durchaus ein Schaden in immaterieller Form gegeben. Die überwiegende Auffassung nimmt daher an, dass nunmehr unter Hinnahme eines Bruchs mit den Grundsätzen des Haftungsrechts der seelisch leidende und folglich geschädigte Hinterbliebene aufgrund der Rechtsgutsverletzung der besonders nahestehenden Person einen Ersatzanspruch erhält331 und § 844 Abs. 3 BGB daher vergleichbar § 253 Abs. 2 BGB vor allem einen haftungsausfüllenden Charakter habe.332 Die Einordnung als Drittschadensersatz wird zwar mit Blick auf die systematische Einordnung des Gesetzgebers in § 844 BGB, welcher nach der amtlichen Überschrift „Ersatzansprüche Dritter bei Tötung“ statuiert, gestützt. Die bisherige Untersuchung hat jedoch ergeben, dass die Annahme eines Drittschadenscharakters auch bei § 844 Abs. 1 und 2 BGB nicht geboten ist und dieses systematische Argument daher entkräftet werden kann. Weder § 844 Abs. 1 noch Abs. 2 BGB liefern eine überzeugende Begründung dafür, weshalb beim Anspruch auf Hinterbliebenengeld 329

Vgl. hierzu Wagner, MüKo BGB, § 844 Rn. 105. Siehe zur Schadensfrage bei den Beerdigungskosten bereits oben: Kap. 1, B.I.3.b)bb)(1). 331 Vgl. Balke, SVR 2018, 207; O. Becker, JA 2020, 96; Diederichsen, DAR 2011, 122; Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 26; dens., VersR 2020, 385; Katzenmeier, JZ 2017, 869, 871; Walter, MedR 2018, 213; siehe zudem auch die Gesetzesbegründung BT-Drs. 18/11397, S. 8. 332 So etwa Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 33; Witschen, JZ 2018, 490, 491. 330

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B. Systematische Einordnung – der Anspruch als Ausnahmevorschrift?

auf eine Rechtsverletzung des Schutzrechtsinhabers verzichtet werden sollte. Zudem unterscheiden sich die Tatbestände des § 844 und § 253 Abs. 2 BGB gravierend dadurch, dass § 844 BGB im Gegensatz zu der rein haftungsausfüllenden Norm § 253 BGB eigene Ansprüche statuiert. Auch beim Anspruch auf Hinterbliebenengeld ging es dem Gesetzgeber aber gerade darum, für den Hinterbliebenen einen eigenen Anspruch zu schaffen, und nicht lediglich darum, einen Schaden überzuleiten. Zwar ist mit dem Erfordernis eines entstandenen seelischen Leides auch ein haftungsausfüllendes Element Bestandteil von § 844 Abs. 3 BGB; hierin erschöpft sich jedoch nicht der gesamte Regelungsgehalt der Norm. Zudem stellt sich eine Einordnung des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld als Drittschadensersatz auch unter anderen Gesichtspunkten als problematisch heraus. Anders als bei den Ansprüchen in § 844 Abs. 1 und 2 BGB, bei denen sowohl die Höhe der Beerdigungskosten als auch des Unterhalts genau bestimmbar ist und somit, zumindest auf materiell-rechtlicher Ebene, unabhängig von der Rechtsnatur dieser Ansprüche keine Schwierigkeiten bei der Bemessung des Ersatzes zu erwarten sind,333 stellt sich beim Anspruch auf Hinterbliebenengeld durchaus die Frage nach der Höhe der Geldentschädigung.334 Zwar ist der Ersatz immaterieller Schäden aus § 253 Abs. 2 BGB bekannt; diesen liegt jedoch eine eigene Rechtsgutsverletzung zugrunde,335 die zumindest einen Anknüpfungspunkt für die Bemessung bietet.336 Ein Ersatzanspruch für einen immateriellen Schaden beim lediglich mittelbar geschädigten Dritten ist der Rechtsordnung aber nicht ohne Grund fremd. Denn in dieser Konstellation fehlt es sowohl an einem messbaren Schaden als auch an einer Rechspositionsverletzung und somit an jeglicher Bemessungsgrundlage, was im Ergebnis zu recht willkürlichen Ergebnissen führen dürfte. Das Leben des Getöteten kann bereits aus ethischen Gründen keinen Ansatzpunkt bieten, und anders als in den Absätzen 1 und 2 des § 844 BGB liegt nicht einmal ein berechenbarer Vermögenswert vor. Aber auch wenn man § 844 Abs. 3 BGB vergleichbar § 253 Abs. 1 BGB als lediglich haftungsausfüllende Norm begreifen will,337 die ausnahmsweise den Schaden eines Dritten berücksichtigt, bleibt diese Sichtweise eine Erklärung dafür schuldig, warum der immaterielle Schaden eines Dritten überhaupt ersatz333 So auch Jahnke, Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke StVG, § 844 Rn. 213; vgl. auch Spindler, BeckOK BGB, § 844 Rn. 17 ff. 334 Auch Jahnke, Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke StVG, § 844 Rn. 213 bezeichnet den Anspruch aus diesem Grund als „systemfremd“; ebenso Burmann/Jahnke, NZV 2017, 401, 410; ähnlich auch G. Müller, VersR 2017, 322; dies., Karlsruher Forum 2016, S. 82. 335 G. Müller, VersR 2017, 322; vgl. auch die Gesetzesbegründung BT-Drs. 18/11397, S. 8. 336 Die Grundlage für die Ermittlung eines jeden ersatzfähigen Schadens ist letztlich die genaue Feststellung der Rechtsverletzung, vgl. Schubert, Karlsruher Forum 2016, S. 24. 337 So etwa Witschen, JZ 2018, 490, 491; vgl. auch die Gesetzesbegründung BTDrs. 18/11397, S. 12, die für ein solches Verständnis insbesondere deshalb Grund gibt, weil sie einen Schockschadensersatzanspruch aus §§ 823 ff. i.V.m. § 253 Abs. 2 BGB ableitet und den Anspruch auf Hinterbliebenengeld vergleichsweise aus §§ 823 ff. i.V.m. § 844 Abs. 3 BGB. Bei § 253 Abs. 2 BGB handelt es sich aber zweifelsohne um eine haftungsausfüllende Vorschrift.

I. Der Anspruch als Ausnahme vom „Grundsatz der Unmittelbarkeit“?

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fähig sein sollte. Rein ergebnisorientierte rechtspolitische Überlegungen können eine dogmatische Konzeption jedenfalls nicht ersetzen. b) Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld als gesetzlich geregelter Fall der Drittschadensliquidation? Eine weitere Möglichkeit, § 844 Abs. 3 BGB als Regelung eines Drittschadensersatzes zu deklarieren, könnte darin liegen, den Anspruch auf Hinterbliebenengeld als nunmehr kodifizierte Fallgruppe der Drittschadensliquidation zu qualifizieren. Dafür müsste das Hinterbliebenengeld mit der Rechtsfigur der Drittschadensliquidation vergleichbar sein, was im Folgenden überprüft werden soll. Für diese Vergleichbarkeitsprüfung bietet sich wegen des deliktischen Bezugs die Fallkonstellation der „obligatorischen Gefahrentlastung“ bei deliktischer Schädigung an. Die Ausgangssituation des Vergleichspaars erscheint dabei insoweit ähnlich, als dass nach herkömmlicher Auffassung der Inhaber der verletzten Rechtsposition und der Dritte, dem der Schaden aus dieser Verletzung erwächst, auseinanderfallen.338 Im bereits geschilderten Druckerfall339 gibt es einmal denjenigen, der eine Eigentumsverletzung erleidet, sowie den Käufer, dem hieraus der Schaden erwächst. In den Fallkonstellationen des Hinterbliebenengelds existiert nach herrschender Ansicht parallel hierzu ein in seinem Rechtsgut Verletzter ohne Schaden (der Verstorbene) und ein Dritter, der das hierdurch verursachte Leid ertragen muss (Hinterbliebener). Auch fällt die Ähnlichkeit der Argumente auf, die für die jeweilige Anspruchseinführung ins Feld geführt wurden. So heißt es in der Diskussion um die Notwendigkeit der Drittschadensliquidation, aufgrund der Zufälligkeit der Schadensverlagerung sei es unbillig, den Schädiger zu entlasten,340 oder es käme zu einer „ungerechtfertigten Entlastung“ des Schädigers341. Weiter heißt es, der Schädiger zöge aus der Schadensverlagerung einen „unbeabsichtigten Vorteil“342 oder seine Freistellung „aus rein konstruktiven Gründen“ sei geradezu wie ein „Freibrief“ für das schuldhafte Verhalten.343 Die Aufzählung ließe sich noch weiter vervollständigen, jedoch genügen diese Beispiele bereits, um das zugrundeliegende Rechtsgefühl zu verdeutlichen, man wolle den Schädiger „nicht ungeschoren davonkommen lassen“344. Zweifelsohne stellt das Rechtsgefühl für sich gesehen keine Erkenntnisquelle dar, es ist aber ein wichtiger Faktor, um den Erkenntnisprozess in Gang zu setzen.345 Genau dieses zum Ausdruck gebrachte 338 Diese Ähnlichkeit zeigt sich beispielsweise auch darin, dass namhafte Stimmen in der Literatur die Fälle der Drittschadensliquidation über eine analoge Anwendung von § 844 Abs. 1 BGB lösen wollten, so etwa Stamm, AcP 203 (2003), 366, 389. 339 Siehe zu dieser Fallkonstellation bereits oben: Kap. 1, B.I.2.c)bb). 340 Looschelders, Schuldrecht AT, § 46 Rn. 9, S. 389. 341 Oetker, MüKo BGB, § 249 Rn. 239. 342 Stamm, AcP 203 (2003), 366, 370. 343 So Wiggert, Die Geltendmachung fremden Schadens, S. 2. 344 Köndgen, Karlsruher Forum 1998, S. 14. 345 Larenz, Methodenlehre, S. 123.

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B. Systematische Einordnung – der Anspruch als Ausnahmevorschrift?

Rechtsgefühl der Systemwidrigkeit der Entlastung des Schädigers war jedoch auch ausschlaggebender Faktor für die Einführung des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld.346 Dem Unbehagen über die fehlende gesetzliche Regelung wurde mit Aussagen wie, die Sanktionslosigkeit im Falle der Tötung wirke sich als „Glücksfall“347 aus oder es gebe eine Tötung zum haftungsrechtlichen „Nulltarif“,348 bildhaft Ausdruck verliehen. Sowohl bei der Drittschadensliquidation als auch beim Hinterbliebenengeld empfand man das starre Festhalten an den deliktsrechtlichen Grundsätzen zum Zwecke der Risikobegrenzung im Gläubigerinteresse als verfehlt, weil in beiden Konstellationen der Schädiger einer Haftung schließlich nur auf Kosten des mittelbar Geschädigten entkomme, weshalb eine Korrektur dieser Ergebnisse unbedingt geboten sei. Alleine diese Ähnlichkeit des empfundenen Unrechts in der Ausgangslage rechtfertigt für sich jedoch nicht bereits die Einordnung des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld als Unterfall der Drittschadensliquidation. Vielmehr fallen bei näherer Begutachtung der Vergleichbarkeit der beiden Rechtsfiguren erhebliche Unterschiede auf. Zunächst soll daher die „zufällige“ Schadensverlagerung als zentrales Erkennungszeichen und Tatbestandsmerkmal der Drittschadensliquidation näher betrachtet werden.349 Während in den gewöhnlichen Konstellationen der mittelbaren Drittschädigung noch zusätzlich eine andere Person geschädigt ist, der Schaden in der Summe also erweitert wird, trifft der Schaden in den Fällen der Drittschadensliquidation einen Dritten anstelle des unmittelbar in seinem Rechtsgut Verletzten, weshalb der Schaden lediglich verlagert wird.350 Diese bloße Schadensverlagerung wiederum rechtfertige die Durchbrechung des Dogmas vom Gläubigerinteresse deshalb, weil keine zu vermeidende unkalkulierbare und uferlose Haftung des Schädigers droht.351 Der Schädiger haftet lediglich dort, wo ohnehin eine Haftung zu erwarten war; eine Erhöhung seines kalkulierbaren Risikos erfolgt durch die Drittschadensliquidation gerade nicht. An einer bloßen Schadensverlagerung fehlt es jedoch in den Fällen des Hinterbliebenengelds.352 Begreift man 346 347

Siehe hierzu oben: Einleitung, B.II.1. Eichelberger, BeckOGK BGB, 01.08.2020, § 844 Rn. 4; Wagner, MüKo BGB, § 844

Rn. 1. 348

Diederichsen, DAR 2011, 122, 124; Wagner, JZ 2004, 319, 325. Zur zufälligen Schadensverlagerung als zentralem Element der Drittschadensliquidation vgl. Gomille, Jura 2017, 690, 620; Grünberg, Palandt BGB, Vorb v § 249 Rn. 105; Harke, Allgemeines Schuldrecht, Rn. 439; Looschelders, Schuldrecht AT, Rn. 1024; Riehm, JuS 2016, 462, 463. 350 Canaris, Lücken im Gesetz, S. 156 f. 351 Gomille, Jura 2017, 690, 620. 352 Zu einem anderen Ergebnis käme wohl Schramm, Haftung für Tötung, S. 382 ff., die eine Vergleichbarkeit der §§ 844, 845 BGB zur Drittschadensliquidation annimmt. Zwar fehlt es auch nach ihrer Ansicht an einer zufälligen Schadensverlagerung im engeren Sinne, jedoch sieht sie im Unterhaltsschaden der Angehörigen einen Teil des „theoretischen Schadens des Getöteten“. Ob jemand in Folge seiner schweren Verletzungen verstirbt oder überlebt, hänge aufgrund tatsächlicher Gegebenheiten oft vom Zufall ab, was im Ergebnis ausreichen soll. 349

I. Der Anspruch als Ausnahme vom „Grundsatz der Unmittelbarkeit“?

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Empfindungen wie Trauer und seelisches Leid als Schaden, sind diese keine Einbußen des Rechtsguts Leben, welche der Hinterbliebene anstelle des Verstorbenen zu tragen hätte. Diese Empfindungen treten zwar aufgrund des Todes der nahestehenden Person ein, sind jedoch nicht als zufällige Schadensverlagerung zu qualifizieren. Der Schaden, der aus einer Verletzung des Rechtsguts Leben beim Verletzten eintritt, ist der Tod und nicht die seelische Trauer. Dieser Schaden ist beim Verstorbenen nicht einmal theoretisch denkbar, weshalb schon gar keine Verlagerung des Schadens vorliegt.353 Zudem kann einer Vielzahl an Hinterbliebenen ein Anspruch auf Hinterbliebenengeld zustehen,354 so dass auch das Argument der ohnehin begrenzten Haftung des Schädigers nicht greift. Darüber hinaus handelt es sich beim Hinterbliebenengeld nicht um einen Anspruch, der beim Verletzten, hier dem Getöteten, entsteht und sodann an den Hinterbliebenen übertragen wird. Es geht nicht darum, dass der Getötete einen Schaden des Hinterbliebenen liquidieren darf und eine Abwicklung sodann „übers Eck“355 erfolgt. Dass beim Getöteten ein solcher Anspruch ohnehin gar nicht mehr entstehen kann, wurde außerdem bereits festgestellt.356 Eine Einordnung des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld als gesetzlicher Fall der Drittschadensliquidation ist folglich abzulehnen. Letztlich bestehen auch für die Fallgruppe der obligatorischen Gefahrentlastung berechtigte Zweifel daran, ob überhaupt ein Drittschadensersatz in Durchbrechung der haftungsrechtlichen Grundsätze zwingend ist oder ob in dieser Konstellation nicht die Verletzung einer einem „sonstigen Recht“ vergleichbaren „obligatorischen Rechtsposition“ gegeben ist.357 Zwar handelt es sich bei dem Interesse des Geschädigten selbstverständlich nicht um ein absolutes Recht in der Form, dass ihm die Sache bereits mit Wirkung gegenüber jedermann zugeordnet wäre,358 es geht jedoch um das Erhaltungs- und Nutzungsinteresse, welches unter dem Begriff „Eigentümerinteresse“ zusammengefasst werden kann.359 Für den Schutz des § 823 Abs. 1 BGB spricht, dass die dem Haftungsprinzip zugrundelie353

Vgl. zur Bedeutung der „Verlagerung“ bei Drittschäden auch J. Neuner, JZ 1999, 126,

130 f. 354 BT-Drs. 18/11397, S. 11 und 13; vgl. auch Jahnke, Burmann/Heß/Hühnermann/ Jahnke StVG, § 844 Rn. 190–192. 355 J. Neuner, JZ 1999, 126, 130. 356 Siehe hierzu bereits oben: Kap. 1, A.III.1. 357 Zu diesem Ergebnis gelangt Henn, Drittschadensliquidation, S. 260 ff., 307 f., der bei der obligatorischen Gefahrentlastung und der mittelbaren Stellvertretung einen eigenen Anspruch des Dritten wegen einer Verletzung eines „sonstigen Rechts“ mit der Begründung annimmt, dass diese „obligatorische Rechtsposition“ der dem Haftungsprinzip zugrundeliegenden Begrenzungsfunktion und auch der sozialtypischen Erkennbarkeit gerecht wird. Im Ergebnis liegt dann überhaupt kein Drittschaden mehr vor. 358 Henn, Drittschadensliquidation, S. 260, dem es freilich nicht darum geht, „in den Fällen der Interessenverlagerung eine Wiederbelebung des ius ad rem zu betreiben, oder ernstlich das Trennungsprinzip auszuhöhlen, indem eine Vorverlagerung des Eigentumsübergangs behauptet wird“. 359 Vgl. Henn, Drittschadensliquidation, S. 262 f., 275.

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B. Systematische Einordnung – der Anspruch als Ausnahmevorschrift?

gende Begrenzungsfunktion360 sowie die sozialtypische Erkennbarkeit einer solchen Rechtsposition auch in den Fällen der obligatorischen Gefahrentlastung gegeben sind und damit kein Grund ersichtlich ist, warum der Geschädigte nicht selbst seinen Schaden nach § 823 Abs. 1 BGB ersetzt verlangen können sollte.361 Dies gilt auch im bereits dargestellten Druckerfall: Der nach dem Abstraktionsprinzip noch dinglich berechtigte Eigentümer ist im Innenverhältnis nicht mehr berechtigt, die Sache zu nutzen oder über sie zu verfügen. Auch erhält er unabhängig vom weiteren Schicksal des Eigentums die vereinbarte Gegenleistung. Aufgrund von § 447 Abs. 1 BGB ist sein Erhaltungsinteresse – zumindest bei Vorleistung des Käufers – damit erloschen. Mit Versendung der Ware hat er zudem den wirtschaftlichen Nutzen aus der Sache gezogen; den Kaufpreis kann er als verdient ansehen. Damit erleidet bei Untergang der Sache aber ausschließlich der Käufer einen Schaden, weshalb das Interesse des obligatorisch Berechtigten an die Stelle des dinglich Berechtigten vorrückt.362 Insofern fungiert § 447 Abs. 1 BGB vergleichbar einer Rechtszuweisungsnorm, die dem Käufer zwar nicht das Eigentum, zumindest aber das Nutzungs- und Erhaltungsinteresse zuweist.363 Für den Schädiger hingegen war der Gläubigerkreis bereits im Vorhinein festgelegt, weil es gerade Merkmal der Interessenverlagerung ist, dass das beim Dritten vorhandene Interesse gerade dasjenige ist, welches ansonsten beim Eigentümer vermutet wird.364 Damit droht aber auch nicht die Gefahr einer Gläubigerpotenzierung, weil der Kreis der Ersatzberechtigten bereits endgültig festgelegt ist. Zudem steht auch das Erfordernis der sozialtypischen Erkennbarkeit einer solchen Einordnung nicht entgegen. Es wurde bereits festgestellt, dass sich die Vorhersehbarkeit des Schutzes nicht auf eine konkrete Person beziehen muss, weil es für den Schädiger letztlich keinen Unterschied macht, ob das von ihm in jedem Fall zu ersetzende Erhaltungsinteresse des dinglichen Berechtigten oder des lediglich obligatorisch Berechtigten verletzt wird.365 Da somit jedenfalls nur das erkennbare Eigentümerinteresse ersetzt werden muss, bleibt auch der Freiheitsschutz des § 823 Abs. 1 BGB gewahrt.366 360 Das bei dem Dritten vorhandene Interesse ist ja gerade dasjenige, welches sonst bei dem Eigentümer vermutet würde, vgl. hierzu auch die umfangreiche Analyse der Treuhandkonstellationen bei Bitter, Rechtsträgerschaft, S. 404 ff. 361 Siehe zur Begrenzungsfunktion der Haftungstatbestände bereits oben: Kap. 1, B.I.1.d)aa). 362 Henn, Drittschadensliquidation, S. 264. 363 Dieser Fall liegt somit anders als die Fälle des § 275 BGB im Rahmen der Streitigkeiten um den deliktischen Schutz der Forderung bei Zerstörung des Forderungsgegenstands. Ohne die obligatorische Gefahrentlastung des Verkäufers ist dem Forderungsinhaber noch kein absoluter Bereich zugewiesen, weshalb in diesen Fällen ein deliktischer Schutz abzulehnen ist. Siehe zum fehlenden Deliktsschutz bei Ausschluss der Leistungspflicht gem. § 275 BGB bereits oben: Kap. 1, B.I.3.b)bb)(2)(a)(aa). 364 Henn, Drittschadensliquidation, S. 308; siehe zur Identität des wirtschaftlichen Interesses ferner die Analyse der Treuhandkonstellationen bei Bitter, Rechtsträgerschaft, S. 407. 365 Henn, Drittschadensliquidation, S. 308 f. 366 Henn, Drittschadensliquidation, S. 308.

II. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld als Schutz einer eigenen Rechtsposition 187

Damit scheint es zumindest möglich, dass der Geschädigte in dieser Fallkonstellation seinen Schaden eigenständig über § 823 Abs. 1 BGB vom Schädiger verlangen kann, wobei das „obligatorische Recht“ wie ein „sonstiges Recht“ zu behandeln wäre.367 Auch hier läge dann im Ergebnis gar kein Drittschaden vor, weshalb eine Durchbrechung der herkömmlichen Grundsätze nicht geboten erscheint. c) Zwischenergebnis Es ist somit festzuhalten, dass keine überzeugenden Gründe dafür ersichtlich sind, den Anspruch auf Hinterbliebenengeld als Drittschadensersatzanspruch und damit als Ausnahmevorschrift zu kategorisieren. Weder wird eine solche Annahme durch systematische Aspekte gestützt, noch ist der Anspruch auf Hinterbliebenengeld mit der Rechtsfigur der Drittschadensliquidation vergleichbar. Ein Verzicht auf eine eigene Rechtsverletzung des Hinterbliebenen ist dogmatisch stimmig nicht zu begründen.

II. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld als Schutz für eine eigene subjektive Rechtsposition Da keine Gründe für die Einordnung des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld als bloßen Drittschadensersatzanspruch ersichtlich sind, kann am tradierten System der Rechtszuweisung und des Rechtsschutzes festgehalten werden. Es wurde bereits nachgewiesen, dass die besondere persönliche Nähebeziehung als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts für das Hinterbliebenengeld geeignete Rechtsposition ist, in die durch die Tötung der nahestehenden Person eingegriffen wird. Dabei ist davon auszugehen, dass diese Rechtsposition durch die Tötung unmittelbar verletzt wird, weil die Tötung selbst in den Persönlichkeitsrechtskreis des Hinterbliebenen eingreift.368 Eine Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes ist für die Haftung nicht erforderlich. Auch handelt es sich nicht um eine mittelbare Verletzung, eine psychisch vermittelte Verletzung oder einen Fernwirkungsschaden. Es geht beim Anspruch auf Hinterbliebenengeld nicht um einen durch Mitteilung der Todesnachricht verursachten Schaden an einem Rechtsgut, dessen Ersatzfähigkeit mit der herrschenden Ansicht gesondert zu begründen wäre, sondern um eine durch Entzug der Bezugsperson verursachte Persönlichkeitsrechtsverletzung des Hinterbliebenen. Durch das Erfordernis die-

367 Führt man an dieser Stelle die Gegenprobe an einem negatorischen Rechtsschutz durch, indem man fragt, ob der Käufer bereits während der Versendung vom potentiellen Schädiger aus eigenem Recht ein Unterlassen der Schädigung verlangen kann, wäre auch dies mit Hinweis auf § 447 BGB wohl zu bejahen. 368 Auch Schwintowski, VuR 2016, 18, 19 vertritt die Ansicht, dass der Hinterbliebene durch die Tötung selbst unmittelbar verletzt wird.

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B. Systematische Einordnung – der Anspruch als Ausnahmevorschrift?

ser Rechtsverletzung wird auch der Gefahr der Gläubigerpotenzierung Einheit geboten. Nach § 844 Abs. 3 BGB steht nur den Personen ein Anspruch zu, die zum Getöteten in einer besonderen Nähebeziehung standen. Diese Nähebeziehung als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist die Rechtsposition, das Nadelöhr, welche die Haftungsbegrenzung sichert. Nur wenn diese Rechtsposition verletzt wird und in der Folge beim Hinterbliebenen das seelische Trauerleid und damit ein immaterieller Schaden eintritt, ist dies vom Schädiger wiedergutzumachen. Fehlt es hingegen an einer besonderen Nähebeziehung, entsteht ein Anspruch auf Hinterbliebenengeld auch dann nicht, wenn eine Person gleichwohl um den Verstorbenen trauert und deshalb seelisch leidet.369 Insofern liegt zwar ebenso ein immaterieller Schaden vor, es fehlt aber die erforderliche Rechtsverletzung. Sofern der Hinterbliebene als „Zweitgeschädigter“ oder „Sekundäropfer“ bezeichnet wird, ist zudem festzuhalten, dass dieser ebenso in einem seiner Rechte verletzt ist wie das „Primäropfer“ selbst und er deshalb keinesfalls bloß reflexhaft mitleidender, mittelbar Geschädigter ist.

III. Ergebnis Ein eigener deliktischer Anspruch fordert eine eigene Rechtsverletzung. Dieser Grundsatz kann auch beim Anspruch auf Hinterbliebenengeld gewahrt werden, eine Ausnahme ist nicht erforderlich. Auch wenn in Zusammenhang mit dem Hinterbliebenengeld immer wieder eine Parallele zu § 253 Abs. 2 BGB gezogen wird, handelt es sich bei § 844 Abs. 3 BGB nicht lediglich um eine den haftungsausfüllenden Tatbestand regelnde Norm zugunsten des lediglich Drittbetroffenen. Vielmehr statuiert § 844 Abs. 3 BGB einen echten Schadensersatzanspruch,370 der als Schutzrecht für eine eigene Rechtsposition des Hinterbliebenen fungiert. Im Ergebnis ist für den Anspruch auf Hinterbliebenengeld daher der Ursachenzusammenhang zwischen rechtlich relevantem menschlichem Verhalten (Tötung durch positives Tun oder Unterlassen), Rechtspositionsverletzung (das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Hinterbliebenen) und Nichtvermögensschaden (seelisches Leid) strukturprägend. Hinzutreten müssen selbstverständlich die üblichen Charakteristika des konkreten Schuldgrunds: die schuldhafte und rechtswidrige Begehungsweise im Rahmen der deliktischen Verschuldenshaftung oder die Verwirklichung der spezifischen Gefahr bei Tatbeständen der Gefährdungshaftung. Letztlich sind auch die Kriterien der haftungsausfüllenden Kausalität von Bedeutung.

369 So auch der 6. Strafsenat des BGH in seiner Entscheidung zum Hinterbliebenengeld im Rahmen eines Adhäsionsverfahrens, DAR 2020, 465, 466. 370 So für § 844 Abs. 1, 2 BGB auch Röthel, Staudinger BGB, § 844 Rn. 11.

C. Die Funktion des Hinterbliebenengelds Die Funktionen des Haftungs- und Schadensersatzrechts spielen bei der Auslegung geltenden Rechts und der Entwicklung neuen Rechts eine wichtige Rolle.1 Als unmittelbar mit dem Anspruch verfolgbares Ziel stecken die Funktionen des Ersatzrechts den Rahmen ab, innerhalb dessen die Gewährung eines Anspruchs möglich und wünschenswert ist.2 In dieser Form bieten die Funktionen des Schadens- und Haftungsrechts eine Grundlage, auf der eine Entscheidung über die Notwendigkeit und den Umfang eines Schadensersatzanspruchs getroffen werden kann.3 Welche Funktion das Hinterbliebenengeld jedoch haben soll, ist in der Literatur höchst strittig. So wird dem Hinterbliebenengeld einerseits eine Ausgleichsfunktion zugesprochen,4 während andere ausschließlich auf eine Genugtuung abstellen.5 Zum Teil wird der Anspruch auf Hinterbliebenengeld auch als An1 Da es die Aufgabe des Schadensersatzrechts ist, die von der Haftungsnorm angeordneten Rechtsfolgen auszufüllen und umzusetzen, verfolgt es zwingend denselben Zweck wie das Haftungsrecht, vgl. Lange/Schiemann, Schadensersatz, Einl. III, S. 9; Wagner, Gutachten A zum 66. DJT 2006, S. 21; ders., Karlsruher Forum 2006, S. 11. Im Rahmen des Hinterbliebenengelds wird die Kongruenz der Funktionen aber auch daran besonders deutlich, dass die Anspruchsnorm haftungs- und schadensersatzrechtliche Elemente vereint und ein Rückgriff auf das allgemeine Schadensersatzrecht gar nicht notwendig ist. Siehe hierzu bereits oben: Kap. 1, B.I.3.a). 2 Schramm, Haftung für Tötung, S. 204; Stahmer, Nichtvermögensschäden bei Tötung, S. 53. 3 Schramm, Haftung für Tötung, S. 204. 4 Vgl. Behr, Schmerzensgeld und Hinterbliebenengeld, S. 231; Leipold, MüKo BGB, § 1922 Rn. 76; Nugel, zfs 2018, 72, 77 f.; Steenbuck, r+s 2017, 449, 451; Wagner, NJW 2017, 2641, 2645; vgl. auch Staudinger, DAR 2019, 601, 602, der eine Übertragung der Genugtuungsfunktion als integralen Bestandteil des Schmerzensgelds nach § 253 Abs. 2 BGB auf das Hinterbliebenengeld wegen dessen systematischer Stellung im Deliktsrecht für abwegig hält. Der Gesetzgeber habe schließlich bewusst darauf verzichtet, § 253 BGB um einen Abs. 3 zu ergänzen oder das Hinterbliebenengeld in § 253a BGB zu regeln, so dass es daher kritikwürdig sei, Funktionen des § 253 Abs. 2 BGB in § 844 Abs. 3 BGB hineinzuinterpretieren. Wohlgemerkt übersieht diese Kritik Staudingers aber, dass die Genugtuungsfunktion dem Deliktsrecht durchaus bereits in Zusammenhang mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht bekannt ist, und zwar unabhängig von § 253 Abs. 2 BGB. Für eine Ausgleichsfunktion in der Rechtsprechung vgl. LG München II, SVR 2020, 274. 5 So etwa Burmann/Jahnke, NZV 2017, 401, 410; G. Müller, VersR 2017, 321, 325 „Bei dem neuen Anspruch käme wohl nur die Genugtuung in Betracht [...].“; Schiemann, GesR 2018, 69, 71.

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C. Die Funktion des Hinterbliebenengelds

spruch eigener Art qualifiziert, der keine der bereits bekannten Funktionen verfolge.6 Bereits diese diametral voneinander abweichenden Einschätzungen regen zu einer genaueren Analyse der Funktion des Hinterbliebenengelds an. Zudem erweist es sich aus dem Grund als sinnvoll, das Hinterbliebenengeld in bereits bekannte Strukturen einzuordnen, weil der Gesetzgeber nicht jede Rechtsfolge ausdrücklich und detailliert geregelt hat und daher auch an dieser Stelle einiges an Rechtssicherheit gewonnen wäre, wenn zur Beantwortung aufkommender Fragen auf einen bereits bekannten Anspruchstyp zurückgegriffen werden könnte.7 Für eine systemkonforme Weiterentwicklung des nationalen Rechts ist es daher auch entscheidend, dass sich der fragliche Anspruch mit den etablierten Funktionen des entsprechenden Rechtsgebiets vereinbaren und auch rechtfertigen lässt.8

I. Die verschiedenen Funktionen des Schadensersatzrechts und ihre Bedeutung für das Hinterbliebenengeld Im Folgenden sollen die verschiedenen Funktionen und Anspruchstypen des Schadensersatzrechts daher dargestellt und auf ihre Vereinbarkeit mit dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld überprüft werden.

1. Die Ausgleichsfunktion Den Zweck des Schadensersatzes, gleichgültig ob bei materiellen oder immateriellen Schäden, bildet der Schutz von Rechtspositionen; er lässt sich insbesondere auf den Gedanken der ausgleichenden Gerechtigkeit zurückführen.9 Die Entschädigung soll eine Wiedergutmachung für den Schaden bilden, der daraus entstanden ist, dass der Verpflichtete in ein fremdes Recht eingegriffen hat,10 wodurch der Geschädigte sein Recht unfreiwillig aufgeben musste.11 Hauptzweck einer jeden Schadensersatzleistung ist folglich der Ausgleich des durch die Rechtsverletzung entstandenen Schadens.12 Ergänzt wird dieses Ausgleichsprinzip durch die Maxime der Totalreparation, die besagt, dass der Umfang des Ersatzes nicht vom Grad des Verschuldens abhängt.13 Strikt angewendet korre6

Vgl. Jaeger, VersR 2017, 1041, 1056; Walter, MedR 2018, 213. So auch Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 33. 8 Schramm, Haftung für Tötung, S. 204. 9 Vgl. Schubert, Karlsruher Forum 2016, S. 13. 10 Westermann/Bydlinski/Weber, Schuldrecht AT, § 13 Rn. 13/2, 13/5. 11 Vgl. Medicus, Jura 1996, 561, 562. 12 Esser/Schmidt, SchuldR AT I/2, § 30 II S. 169 ff.; Lange/Schiemann, Schadensersatzrecht, Einl. III, S. 9 ff.; Larenz, SchuldR AT I, § 27 I S. 424; vgl. zum Ausgleichszweck als zentrales Element des Schadensersatzrechts ferner Bydlinski, System, S. 187 f. 13 Vgl. Motive II, S. 17 f. = Mugdan II, S. 10; Mertens, Soergel BGB, 12. Aufl. 1990, Vor § 249 Rn. 17; Schiemann, Staudinger BGB, § 249 Rn. 2 f.; Wagner, MüKo BGB, § 823 Rn. 86. 7

I. Die Funktionen des Schadensersatzrechts und das Hinterbliebenengeld

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spondiert das Ausgleichsprinzip daher auch mit dem sogenannten Bereicherungsverbot des Schadensersatzrechts.14 Der Geschädigte soll vollen Ausgleich für den erlitten Nachteil erhalten, jedoch nicht überkompensiert werden. Sofern eine Naturalrestitution im Sinne einer Wiederherstellung des Zustands vor dem schädigenden Ereignis nicht möglich ist, ist der Ausgleich in Geld zu gewähren, welches als universelles Mittel der Wiedergutmachung anerkannt ist.15 Beim Hinterbliebenengeld wird der Ausgleichsgedanke zum Teil jedoch in Abrede gestellt. In der Gesetzesbegründung wird darauf hingewiesen, dass das Hinterbliebenengeld keine Ausgleichsfunktion haben soll. Die Entschädigung soll weder einen Ausgleich für den Verlust des Lebens darstellen, noch könne die Bedeutung des Verlusts eines Menschen für seine Hinterbliebenen in Geld bemessen werden.16 Vielmehr soll die Entschädigung die verursachte Trauer und das seelische Leid lindern und zur „Anerkennung des seelischen Leids“ beitragen.17 Wie dies dogmatisch einzuordnen ist, bleibt dabei allerdings unklar. Eine Zahlung als reine Anerkennung für seelisches Leid, quasi eine „Anerkennungszahlung“18 auf Grundlage eines „Anerkennungsanspruchs“, bei welcher kein Ausgleich erzielt werden soll, entspricht jedenfalls nicht der herkömmlichen Funktion zivilen Schadensersatzrechts.19 Eine reine „Symbolfunktion“ zur Anerkennung seelischen Leids20 bietet keine geeignete Bemessungsgrundlage für den Rechtsanwender und birgt daher die Gefahr willkürlicher Entscheidungen. Insofern ist zu überlegen, welchen Zweck der Anspruch auf Hinterbliebenengeld noch innehaben könnte, wenn eine Ausgleichsfunktion nicht gewollt ist. In Erwägung zu ziehen sind die viel diskutierte Genugtuungsfunktion bei immateriellen Schäden sowie die Präventionsfunktion bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen.

14 Lange/Schiemann, Schadensersatzrecht, Einl. III, S. 10; Deutsch, Haftungsrecht, Rn. 842; Mertens, Soergel BGB, 12. Aufl. 1990, Vor § 249 Rn. 25 f.; Oetker, MüKo BGB, § 249 Rn. 20; aus der Rechtsprechung vgl. RGZ 93, 144, 145; BGH, NJW 1985, 2482, 2483. 15 Schubert, Karlsruher Forum 2016, S. 13. 16 BT-Drs. 18/11397, S. 8. 17 BT-Drs. 18/11397, S. 1 und 8; zustimmend und eine Ausgleichsfunktion ablehnend etwa Bredemeyer, ZEV 2017, 690, 692; Burmann/Jahnke, NZV 2017, 401, 410. 18 Quaisser, DAR 2017, 688, 691. 19 Vgl. Grünberg, Palandt BGB, Vorb v § 249 Rn. 2; so aber Bredemeyer, ZEV 2017, 690, 692; Katzenmeier, Stellungnahme zum Gesetzesentwurf BT-Drs. 18/11397, S. 3, abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/504384/37362a756dc16528c77a675cde4b430d/ katzenmeier-data.pdf (Stand: 27.07.2022). 20 So aber O. Becker, JA 2020, 96, 101; Jahnke, Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke StVG, § 844 Rn. 79a; H. Lang/Bucka, DAR 2020, 445.

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C. Die Funktion des Hinterbliebenengelds

2. Die Genugtuungsfunktion bei immateriellen Schäden Zum Teil wird dem Hinterbliebenengeld eine Genugtuungsfunktion zugesprochen,21 die immer wieder bei immateriellen Schäden, insbesondere beim sogenannten „Schmerzensgeld“, und bei Entschädigungen für Persönlichkeitsverletzungen eine Rolle spielt. Auch beim Anspruch auf Hinterbliebenengeld wird argumentiert, es handle sich im Grunde um einen Schmerzensgeldanspruch, da zu diesem die meisten Parallelen bestünden.22 Der Unterschied zwischen körperlichen Schmerzen, rein seelischem Schmerz und Trauer sei zwar bei der Aufgabe der präzisen Bemessung in Geld durchaus vorhanden, denn vor allem bei letztgenannter bestehe ein größeres Quantifizierungsproblem. Jedoch sei dieser Unterschied nicht substanziell, sondern lediglich gradueller Natur.23 Zunächst sind daher die funktionalen und dogmatischen Besonderheiten des Schmerzensgelds und des Entschädigungsanspruchs für Persönlichkeitsverletzungen zu untersuchen, die eine Unterscheidung zu den übrigen Anspruchskategorien erforderlich zu machen scheinen. Erst auf dieser Grundlage kann sodann eine Aussage darüber getroffen werden, inwiefern das Hinterbliebenengeld als Schmerzensgeld qualifiziert werden kann oder ob es mit den bisherigen Entschädigungen für Persönlichkeitsrechtsverletzungen vergleichbar ist. a) Die Genugtuung beim „Schmerzensgeld“ gem. § 253 Abs. 2 BGB Dabei ist zunächst festzustellen, dass der Begriff „Schmerzensgeld“ als offizieller Terminus im Gesetz nicht auftaucht.24 § 253 Abs. 2 BGB, in dessen Rahmen der Begriff des Schmerzensgelds geläufig ist, spricht lediglich von einer billigen Entschädigung in Geld „wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden“ ist. Der Begriff des Schmerzensgelds dient folglich bloß der Umschreibung eines Geldersatzes für einen immateriellen Schaden.25 Dass der Begriff dennoch so häufig von Rechtsprechung und Literatur gebraucht wird, dürfte daher vor allem an seiner Anschaulichkeit liegen.26 21 Vgl. Burmann/Jahnke, NZV 2017, 401, 410 f.; G. Müller, VersR 2017, 321, 325; Schiemann, GesR 2018, 69, 71. 22 Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 33 f.; vgl. auch Steenbuck, r+s 2017, 449, 451; aus der Rechtsprechung siehe LG Tübingen, Urteil v. 17.05.2019 – 3 O 108/18, Rn. 81 –, juris; a.A. ausdrücklich Behr, Schmerzensgeld und Hinterbliebenengeld, S. 259; Jahnke, Burmann/ Heß/Hühnermann/Jahnke StVG, § 844 Rn. 79. 23 Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 33 f. 24 S. Müller, Schmerzensgeldbemessung, S. 8. Anders noch § 847 BGB a.F., der zumindest die – wenn auch nicht amtliche – Überschrift „Schmerzensgeld“ trug. Im Rahmen der Änderung des Schadensersatzrechts 2002 taucht der Begriff „Schmerzensgeld“ jedoch in den Gesetzgebungsmaterialien als Klammerzusatz auf, BT-Drs. 14/7752, S. 14. Und auch in der Gesetzesbegründung zum Anspruch auf Hinterbliebenengeld wird er zur Beschreibung des immateriellen Schadensersatzes nach § 253 Abs. 2 BGB herangezogen, BT-Drs. 18/11397, S. 8. 25 Schubert, Wiedergutmachung, S. 13 ff. 26 Vgl. Schubert, Karlsruher Forum 2016, S. 5 ff., die diesen Begriff jedoch für zu eng und

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Auch der Ersatz immaterieller Schäden gem. § 253 Abs. 2 BGB dient aber in erster Linie dem Ausgleich eines zugefügten Übels.27 Ausgeglichen werden sollen die negative Gefühlsbilanz sowie eine wahrgenommene Beeinträchtigung der Lebensführung, und zwar durch die Verschaffung von Annehmlichkeit durch Geld.28 Nach der Formulierung des Bundesgerichtshofs soll der Geschädigte, „auch wenn der Wert von Gesundheit und seelischem Wohlbefinden mit Vermögenswerten grundsätzlich inkommensurabel ist, [...] durch die Zubilligung von Schmerzensgeld in die Lage versetzt werden, sich Erleichterungen und andere Annehmlichkeiten zu verschaffen, die Beschwernisse, die er durch die immaterielle Beeinträchtigung erfährt, lindern“.29 Zugleich aber soll nach der Grundsatzentscheidung des Großen Zivilsenats zum Ersatz immaterieller Schäden – und hierin liegt die Besonderheit – das Schmerzensgeld „dem Gedanken Rechnung tragen, daß der Schädiger dem Geschädigten Genugtuung schuldete für das, was er ihm angetan hat“.30 Seit dieser Entscheidung aus dem Jahr 1955 wird dem Schmerzensgeldanspruch daher eine doppelte Zwecksetzung beigemessen.31 Neben den Ausgleich, der unbestritten auch beim Schmerzensgeld im Vordergrund steht, tritt auf Grundlage der „billigen Entschädigung“ die Genugtuung.32 Diese gewinnt insbesondere dann an Bedeutung, wenn die Erreichung des Ausgleichszwecks bei immateriellen Schäden deshalb gefährdet ist, weil diese weder fassbar noch in Geld messbar sind.33 Zwar dient das Schmerzensgeld unbenommen dem Schairreführend hält, weil der Kreis der ersatzfähigen immateriellen Schäden noch größer geworden sei. Auch Oetker, MüKo BGB, § 253 Rn. 4 hält es für „dogmatisch präziser [...] von einer Entschädigung für Nichtvermögensschäden zu sprechen“. In der Rechtsprechung ist es hingegen üblich, von Schmerzensgeld zu sprechen, vgl. exemplarisch BGHZ 138, 388 = NJW 1998, 2741. 27 Bumann/Jahnke, NZV 2017, 401, 409; Ekkenga/Kuntz, Soergel BGB, § 253 Rn. 10; Oetker, MüKo BGB, § 253 Rn. 10; Pflüger, Schmerzensgeld, S. 153; Stahmer, Nichtvermögensschäden bei Tötung, S. 61 m.w.N.; Walker, NZA 2009, 5, 8; Wenker, NZV 2014, 241, 242; BGH, NJW 1955, 1675. 28 Das Sinnbild von der Verschaffung von Annehmlichkeiten geht zurück auf Windscheid, Pandekten II, § 455 Fn. 31, der sich dafür aussprach, das Schmerzensgeld in das Haftungsrecht zu integrieren, und konstatierte: „Auch das ist Entschädigung, wenn die dem Verletzten verursachte schmerzliche Empfindung durch Verursachung einer angenehmen Empfindung wieder aufgewogen wird“; ähnlich v. Gierke, Der Entwurf, S. 197. 29 BGH, NJW 2007, 2475. 30 BGH, NJW 1955, 1675. 31 BGH, NJW 1955, 1675; aus jüngerer Zeit siehe BGHZ 212, 48 = NZV 2017, 179; vgl. auch Grüneberg, Palandt BGB, Vorb v § 249 Rn. 2; Jaeger/Luckey, Das neue Schadensersatzrecht, Rn. 82 ff.; Schiemann, Staudinger BGB, § 253 Rn. 28 f.; Lieberwirth, Schmerzensgeld, S. 19; umstritten teilweise bei der Gefährdungshaftung, vgl. hierzu Ch. Huber, DAR 2000, 20, 29. 32 BGH, NJW 1955, 1675. 33 Schubert, Karlsruher Forum 2016, S. 12; vgl. ferner auch Bötticher, AcP 158 (1959/1960), 385, 395; Grossfeld, Privatstrafe, S. 100; Steffen, NJW 1997, 10, 11; Wiese, Recht und Staat 294/295, S. 55 f.; vgl. aus der Rechtsprechung BGH, NJW 1955, 1675.

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densausgleich; die Erreichung dieses Zwecks soll jedoch nicht mehr Voraussetzung für die Zubilligung einer Entschädigung sein.34 Die bisherige Entwicklung in der Rechtsprechung zeigt daher, dass auf die Genugtuungsfunktion insbesondere wegen der Inkommensurabilität des Schadens abgestellt wird. Darüber hinaus soll sie aber auch dann an Bedeutung gewinnen, wenn der Ersatz wegen der Enge des Ausgleichsbegriffs anders legitimiert werden muss.35 So soll die Genugtuung auch dann die Grundlage bieten, wenn der Geschädigte wirtschaftlich so gut aufgestellt ist, „dass bei ihm durch keinerlei Geldbeträge ein Lustgefühl zum Ausgleich für die erlittenen immateriellen Schäden hervorgerufen werden könnte“, oder wenn der Geschädigte aufgrund einer psychischen Störung und mangelnden Bewusstseins ohnehin nicht in der Lage ist, den Ausgleich der Unlustgefühle wahrzunehmen.36 Die Genugtuungsfunktion soll für diese Fälle „eine gewisse durch den Schadensfall hervorgerufene persönliche Beziehung zwischen Schädiger und Geschädigten zum Ausdruck [bringen], die aus der Natur der Sache heraus bei der Bestimmung der Leistung die Berücksichtigung aller Umstände des Falles gebietet“.37 Bei der Festsetzung einer billigen Entschädigung sollen daher grundsätzlich auch der Grad des Verschuldens des Verpflichteten und die wirtschaftlichen Verhältnisse beider Teile berücksichtigt werden können.38 Dies führt dazu, dass der Umfang des Schmerzensgelds anders als beim Schadensersatz für Vermögensschäden, bei welchem der Grundsatz der Totalreparation gilt,39 in Abhängigkeit vom Grad des Verschuldens steht und zudem auch die finanziellen Gegebenheiten eine Rolle spielen können. Im Hinblick auf die Bemessungsschwierigkeiten, die mit Hilfe der Genugtuung überwunden werden sollen, verwundert es daher nicht, wenn vermehrt vertreten wird, der Anspruch auf Hinterbliebenengeld habe am ehesten eine Genugtuungsfunktion.40 Immerhin dürfte auch der Anspruch auf Hinterbliebenengeld hinsichtlich eines vollständigen Ausgleichs des erlittenen seelischen Trauerleids an seine Grenzen stoßen, da auch der Schaden aufgrund des Verlusts einer Bezugsperson letztlich nicht kommensurabel ist. Insofern scheint der Vergleich zum Schmerzensgeld durchaus willkommen, um über dieses Problem hinweg zu ge34

BGH, NJW 1955, 1675, 1676. Schubert, Karlsruher Forum 2016, S. 12. 36 BGH, NJW 1955, 1675. Die im Anschluss an dieses Grundsatzurteil geltende Rechtsprechungspraxis, in solchen Fällen aber lediglich eine symbolische Entschädigung zu gewähren (vgl. BGH, NJW 1976, 1147; BGH, NJW 1982, 2123, 2124), gab der BGH bereits 1992 mit Verweis auf die objektive Wertung von Art. 1 Abs. 1 GG auf, siehe BGHZ 120, 1, 6 = NJW 1993, 781, 783. 37 BGH, NJW 1955, 1675, 1676. 38 BGH, NJW 1955, 1675, 1676; BGH, NJW 1993, 1531; vgl. hierzu auch G. Müller, VersR 1993, 909, 916. 39 Siehe zum Grundsatz der Totalreparation oben: Kap. 1, C.I.1. 40 So etwa Burmann/Jahnke, NZV 2017, 401, 410; Diederichsen, DAR 2011, 122, 124; G. Müller, VersR 2017, 321, 325; Schiemann, GesR 2018, 69, 71. 35

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langen.41 Jedoch gibt sich eine solche Betrachtung zu früh zufrieden, was sich daraus ergibt, dass auch das Schmerzensgeld nicht gänzlich ohne Ausgleichsfunktion auskommt, diese und die Genugtuung in der Praxis vielmehr flexibel betrachtet werden:42 So ist beim Schmerzensgeld die Höhe des Ersatzes davon abhängig, ob ein Verschulden (Vorsatz und Fahrlässigkeit, § 276 Abs. 1 BGB) vorliegt oder lediglich ein Gefährdungshaftungstatbestand verwirklich ist.43 Kurz: je geringer der Grad des Verschuldens, desto geringer auch der Ersatz. Liegt lediglich ein Gefährdungstatbestand vor und hat der Schädiger die im Verkehr erforderliche Sorgfalt eingehalten, kann der Genugtuungskomponente keine eigenständige Bedeutung zukommen.44 In diesem Fall kann dann allein die Ausgleichsfunktion eine Bemessungsgrundlage bilden.45 Genau darin liegt jedoch die vom Gesetzgeber wohl nicht bedachte Problematik. Denn das Hinterbliebenengeld soll nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers auch in den Fällen der Gefährdungshaftung Anwendung finden, weil es für den Hinterbliebenen keinen Unterschied mache, ob der Getötete „sein Leben durch eine schuldhafte Handlung eines anderen oder durch eine haftungsbewehrte Gefahrenquelle verloren hat [...]“.46 Wenn bei der Gefährdungshaftung die Genugtuungskomponente jedoch keinen Anknüpfungspunkt bietet und das Hinterbliebenengeld von vornherein keinen Ausgleich bezwecken soll, dann bleibt nicht viel übrig, was das Hinterbliebenengeld bewirken soll. Die bloße Anerkennung seelischer Trauer alleine scheint nicht zuletzt wegen der dargetanen Gründe wenig zufriedenstellend.

41 Vgl. Frank, FamRZ 2017, 1640; a.A. Jahnke, Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke StVG, § 844 Rn. 79; Burmann/Jahnke, NZV 2017, 401, 410, die den einen gravierenden Unterschied betonen, weil das Trauerleid im Gegensatz zum Schmerz wegen einer Verletzung der in § 253 Abs. 2 BGB genannten Güter überhaupt nicht mehr messbar sei. Auch Jaeger, VersR 2017, 1041, 1055 betont den Unterschied zum Schmerzensgeld, weil es beim Hinterbliebenengeld an einem Gesundheitsschaden fehlt. 42 Vgl. zu dieser flexiblen Handhabung der Schadensfunktionen etwa Ch. Huber, DAR 2000, 20, 29; G. Müller, Karlsruher Forum 2016, S. 81. 43 Erst im Jahr 2002 hat der Gesetzgeber des Zweiten Schadensersatzrechtsänderungsgesetzes den Schmerzensgeldanspruch umfänglich auf die Gefährdungshaftung ausgedehnt, siehe hierzu BT-Drs. 14/7752, S. 15 ff. 44 Vgl. hierzu auch Grüneberg, Palandt BGB, § 253 Rn. 4; Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 34, 62 f.; dens., DAR 2000, 20, 29; Schiemann, Staudinger BGB, § 253 Rn. 31. 45 So auch Wagner, JZ 2004, 319, 321, der zu Recht auch darauf hinweist, dass in den Fällen der Gefährdungshaftung in der Regel ohnehin die Versicherung für den Schaden aufkommt. Dann aber scheint auch die vom BGH hervorgehobene besondere Beziehung zwischen Schädiger und Verletztem, welche über die Genugtuungsfunktion zum Ausdruck kommen soll, verfehlt. 46 BT-Drs. 18/11397, S. 9. Im BGB erschöpft sich die verschuldensunabhängige Haftung in § 833 S. 1; viele weitere Gefährdungshaftungstatbestände finden sich jedoch in den jeweiligen Spezialgesetzen.

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C. Die Funktion des Hinterbliebenengelds

Sofern das Hinterbliebenengeld daher als Schmerzensgeld zu qualifizieren sein sollte, kann zwar auch eine Genugtuungsfunktion von Bedeutung sein; diese kann aber jedenfalls nicht den alleinigen Anspruchszweck bilden. Vielmehr tritt die Genugtuung lediglich bei der Verschuldenshaftung neben die Ausgleichsfunktion; bei der Gefährdungshaftung kann sie hingegen keine eigene Bedeutung haben.47 b) Die Genugtuung bei einer Entschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aa) Die Genugtuungsfunktion bei § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG Anders als beim Schmerzensgeldanspruch wegen Verletzung eines der in § 253 Abs. 2 BGB genannten Güter rückt die Rechtsprechung bei einem monetären Anspruch wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach § 823 Abs. 1 BGB, welcher teilweise auch als Schmerzensgeld bezeichnet wird,48 nicht mehr den Ausgleich, sondern die Genugtuung des Opfers sogar in den Vordergrund.49 Grund hierfür ist der Umstand, dass die Persönlichkeitsverletzung noch „schwerer am allgemeinen Wertmesser des Geldes“ geschätzt werden könne als die Folgen körperlicher Beeinträchtigungen.50 Auch bei einem monetären Anspruch wegen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung gehe es daher jedenfalls nicht um einen Totalersatz, sondern um eine Stärkung des Schutzes des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.51 Was die Inkommensurabilität des Schadens betrifft, dürften also durchaus auch hier Parallelen zum Trauerschaden des Hinterbliebenengelds vorhanden sein, bei dem fraglich bleibt, ob die Rechtsordnung durch die Verschaffung finanzieller Annehmlichkeiten überhaupt eine angemessene Entschädigung schaffen kann.52 Voraussetzung für die monetäre Entschädigung zur Genugtuung ist

47 In diese Richtung geht auch die Entscheidung des LG Tübingen, Urteil v. 17.05.2019 – 3 O 108/18, Rn. 81 –, juris, nach welcher die Genugtuung nur dann eine Rolle für die Bemessung spielt, wenn ein Verschuldenstatbestand erfüllt ist. 48 Vgl. etwa Slizyk, Handbuch Schmerzensgeld, Rn. 166, der jedoch selbst einräumt, dass in Zusammenhang mit Persönlichkeitsverletzungen der Begriff „Geldentschädigung korrekter wäre“. In diese Richtung wohl auch Behr, Schmerzensgeld und Hinterbliebenengeld, S. 122. 49 Erstmals übertrug der BGH den Gedanken der Genugtuung des Schmerzensgelds in seiner Ginseng-Entscheidung auf den Geldersatz für Persönlichkeitsverletzungen, weil er den bisherigen Persönlichkeitsschutz als „lückenhaft“ einschätzte, vgl. BGHZ 35, 363, 367 = NJW 1961, 2059, 2060; bestätigt durch BGHZ 39, 124 = NJW 1963, 902; BGHZ 128, 1, 15 = NJW 1995, 861, 865 – Caroline; BGHZ 160, 298, 301 = NJW 2005, 215, 216; BGHZ 215, 177 = NJW 2017, 3004; OLG Köln, NJW 2010, 1676; Larenz, NJW 1958, 827, 829; kritisch Mincke, JZ 1980, 86 ff.; Schubert, Karlsruher Forum 2016, S. 12. 50 BGHZ 35, 363, 369 = NJW 1961, 2059, 2060. 51 Steffen, FS Odersky, S. 723, 727. 52 Vgl. Diederichsen, DAR 2011, 122, 124; Jansen, Karlsruher Forum, S. 116 f.

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nach der Rechtsprechung jedoch auch bei Persönlichkeitsverletzungen eine erhebliche Beeinträchtigung und ein schweres Verschulden.53 Gerade letzteres ist jedoch, wie bereits festgestellt, mit dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld, der auch verschuldensunabhängig entstehen kann, nicht vereinbar. Die besonderen Anforderungen der Rechtsprechung an die Sorgfaltspflichtverletzung für einen Geldersatz nach § 823 Abs. 1 BGB wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts können daher nicht ohne Weiteres auf den Anspruch auf Hinterbliebenengeld übertragen werden, weshalb sich hieraus auch keine Rückschlüsse auf eine eigenständige Genugtuungsfunktion des Hinterbliebenengelds ableiten lassen. bb) Die Genugtuungsfunktion im AGG Mit Blick auf diese Rechtsprechung des BGH könnte man zu dem Schluss kommen, dass monetäre Ersatzansprüche wegen Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aufgrund der primären Genugtuungsfunktion, die an ein Vertretenmüssen anknüpft, lediglich bei einer Verschuldenshaftung in Frage kommen. Hierfür sprechen die strengen Anforderungen, welche die Rechtsprechung im Rahmen von § 823 Abs. 1 BGB an die Persönlichkeitsverletzungen stellt und aus denen man schlussfolgern könnte, dass ein Ersatzanspruch bei Verletzungen dieser Rechtsposition lediglich im Falle eines Vertretenmüssens denkbar ist.54 Dass eine Entschädigung wegen Persönlichkeitsverletzungen de lege lata jedoch sowohl verschuldensabhängig als auch -unabhängig möglich ist und eine eigenständige Genugtuungsfunktion dem Ersatz wegen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung daher jedenfalls nicht immanent sein kann, zeigt wiederum ein Blick auf die Schutznormen des AGG: So wird nach den Gesetzesmaterialien zwar auch der Entschädigung nach § 21 Abs. 2 S. 3 AGG in erster Linie eine Genugtuungsfunktion zugeschrieben.55 Denn durch eine Benachteiligung i.S.v. § 19 AGG wird der Geschädigte in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt,56 weshalb nach der Vorstellung des Gesetzgebers zur weiteren Konkretisierung des Anspruchs auf die dargetanen Grundsätze der Rechtsprechung zur Entschädigung bei Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zurückgegriffen werden kann.57 Dies stellt sich in 53 Vgl. BGHZ 35, 363 = NJW 1961, 2059; vgl. auch BGHZ 39, 124, 133 = NJW 1963, 902, 903; BGH, NJW 1985, 1617, 1619 – Nacktfoto; BGH, NJW 1989, 2941, 2943; BGH, NJW 1996, 985. Nicht immer deutlich wird in der Rechtsprechungspraxis allerdings, ob die schwere Verletzung und das schwere Verschulden kumulativ vorliegen müssen. Im Ergebnis kommt es wohl auf eine Gesamtabwägung der subjektiven und objektiven Merkmale an, vgl. hierzu Schramm, Haftung für Tötung, S. 330 Fn. 245 m.w.N.; zum Erfordernis des Verschuldens siehe auch Prinz, NJW 1996, 953, 955 f. 54 In diese Richtung Stahmer, Nichtvermögensschäden bei Tötung, S. 357. 55 BT-Drs. 16/1780, S. 46. 56 Vgl. F. Hartmann, Staudinger Eckpfeiler, Rn. B 8. 57 BT-Drs. 16/1780, S. 46; ebenso Adomeit/Mohr, AGG, § 21 Rn. 14; vgl. hierzu auch F. Hartmann, Staudinger Eckpfeiler, Rn. B 75.

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diesem Fall jedoch auch nicht als problematisch heraus. Denn nach überwiegender Ansicht kommt es auch für die Entschädigung nach § 21 Abs. 2 S. 3 AGG auf ein Vertretenmüssen nach § 21 Abs. 2 S. 2 AGG an,58 so dass, auch wenn die Anforderungsschwelle deutlich herabgesetzt wird, die Rechtsprechung zu § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG grundsätzlich übertragen werden kann. Anders verhält es sich jedoch hinsichtlich des Entschädigungsanspruchs nach § 15 Abs. 2 AGG.59 Dieser Ersatzanspruch entsteht nach überwiegender Ansicht verschuldensunabhängig60 und obwohl er Schutznorm des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist,61 wird ihm zumindest keine vorrangige Genugtuungsfunktion beigemessen.62 Insofern macht der Blick auf § 21 Abs. 2 S. 1, 3 und § 15 Abs. 2 AGG deutlich, dass eine Entschädigung für Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nur dann die Genugtuung des Geschädigten besonders im Blick hat, wenn die Haftungsnorm an ein Vertretenmüssen knüpft (§ 21 Abs. 2 S. 3 AGG). Geht es hingegen um eine verschuldensunabhängige Haftung (§ 15 Abs. 2 AGG), bedeutet dies nicht, dass diese nicht dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als Rechtsposition dienen kann, sondern lediglich, dass ihre Funktion nicht in der Genugtuung, sondern im Ausgleich liegen muss. Der Vergleich dieser beiden Haftungsnormen zeigt daher, dass die Genugtuung bei einem Ersatzanspruch für 58 Armbrüster, Erman BGB I, § 21 AGG Rn. 13; Grüneberg, Palandt BGB, § 21 AGG Rn. 6; vgl. für die Rechtsprechung auch AG Bremen, NJW-RR 2011, 675, 676. Zweifel bestehen an dieser Stelle auch nur deshalb, weil aufgrund der Systematik des Gesetzes nicht ganz deutlich wird, ob sich das Erfordernis des Vertretenmüssens in § 21 Abs. 2 S. 2 AGG nur auf den in S. 1 geregelten materiellen Schaden oder auch auf den immateriellen Schaden in S. 3 bezieht; vgl. zu dieser Problematik F. Hartmann, Staudinger Eckpfeiler, Rn. B 77. 59 Nach ganz überwiegender Ansicht handelt es sich bei § 15 Abs. 2 AGG um eine eigenständige Anspruchsgrundlage, Jacobs, RdA 2009, 193, 195; vgl. auch F. Hartmann, Staudinger Eckpfeiler, Rn. B 39 ff.; a.A. etwa Thüsing, MüKo BGB, § 15 AGG Rn. 4 f., der in § 15 Abs. 2 AGG lediglich eine Rechtsfolgenregelung erblickt, die gegenüber § 253 Abs. 2 BGB spezieller sei. 60 Vgl. BT-Drs. 16/1780, S. 38: mit der Formulierung von § 280 Abs. 1 S. 2 BGB in § 15 Abs. 1 AGG „wird klargestellt, dass der materielle Schadensersatzanspruch – anders als bei der Entschädigung – nur entsteht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung zu vertreten hat“; so mit Blick auf die europarechtlichen Vorgaben auch Benecke, BeckOGK AGG, 01.09.2020, § 15 Rn. 48; BAG, NZA 2009, 945, 950 f.; im Ergebnis so auch Roloff, BeckOK Arbeitsrecht, § 15 AGG Rn. 7; vgl. ferner auch F. Hartmann, Staudinger Eckpfeiler, Rn. B 44, der dieses Ergebnis jedoch nicht für zwingend erachtet; kritisch ferner Thüsing, MüKo BGB, § 15 AGG Rn. 5, der eine solche Lesart dem Gesetzeswortlaut nicht entnehmen will und die Gesetzesbegründung für ein „gesetzestechnisches Versehen“ hält. 61 Jacobs, RdA 2009, 193, 194 f.; siehe hierzu auch bereits oben: Kap. 1, A.III.6.d) aa)(1)(a). 62 So ausdrücklich Schubert, Wiedergutmachung, S. 191; vgl. auch F. Hartmann, Staudinger Eckpfeiler, Rn. B 41, der sich auch für eine Ausgleichsfunktion des § 15 Abs. 2 AGG ausspricht; a.A. etwa Walker, NZA 2009, 5, 9, nach dessen Ansicht die Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG sogar „ausschließlich Genugtuungsfunktion“ habe.

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Persönlichkeitsverletzungen nicht zwingend das primäre Ziel ist, denn dann müsste dies für beide aufgezeigten Entschädigungsansprüche gleichermaßen gelten.63 cc) Fazit Es ist somit festzuhalten, dass die Genugtuung nicht bei jeder Persönlichkeitsverletzung im Vordergrund der Betrachtung stehen muss. Eine Übertragung der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zu § 823 Abs. 1 BGB bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen auf andere Haftungsnormen, die dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dienen, ist daher zwar möglich, aber nicht zwingend.64 Vielmehr zeigt § 15 Abs. 2 AGG, dass eine Haftung für Persönlichkeitsverletzungen nicht nur im Falle eines Verschuldens des Schädigers denkbar ist und daher weder eine schwere noch eine fahrlässige oder gar vorsätzliche Verletzung der Rechtsposition zwingend gegeben sein muss. Fehlt es aber an einem Vertretenmüssen und damit auch an einem Anknüpfungspunkt für die Genugtuung, muss zur Auflösung dieses Widerspruchs nicht auf eine reine Anerkennungs- oder Symbolfunktion abgestellt werden. Vielmehr genügt es, anstelle der Genugtuung wieder den Ausgleichsgedanken als dem Schadensersatzrecht immanentes Ziel in den Vordergrund zu rücken. Dies muss auch für den Anspruch auf Hinterbliebenengeld gelten. Die Genugtuung kann lediglich bei einem Verschulden von Bedeutung sein. Im Fall der Gefährdungshaftung muss sie zu Gunsten der Ausgleichsfunktion in den Hintergrund treten. c) Zwischenergebnis Da die Genugtuung und damit der Ersatzumfang sowohl beim Schmerzensgeld als auch bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen weitgehend vom Grad des Verschuldens abhängt, eine Entschädigung der Hinterbliebenen aber auch bei der verschuldensunabhängigen Gefährdungshaftung gewährt wird, kann die Genugtuung jedenfalls nicht den alleinigen Zweck des Anspruchs bilden.65 d) Kritik an der Genugtuungsfunktion Zudem sprechen auch weitere Gründe gegen die Genugtuung als primäres Anspruchsziel, welche vor allem darauf beruhen, dass diese Anspruchsfunktion inhaltlich immer noch recht unbestimmt ist und sie daher die Gefahr der Irreführung mit sich bringt.66 So beschreibt sie zwar eine Grauzone zwischen Ausgleich 63

So auch Schubert, Wiedergutmachung, S. 191. Walker, NZA 2009, 5, 6. 65 So nunmehr auch Ch. Huber, VersR 2020, 385, 389; ders., NZV 2020, 626, 631. 66 In der Literatur werden daher vermehrt Stimmen laut, welche von einer Genugtuungsfunktion bei immateriellen Schäden Abstand nehmen, vgl. etwa Canaris, FS Deutsch, S. 85, 102 f.; P. Gottwald, Schadenszurechnung, S. 168; H. J. Hirsch, FS Engisch, S. 304, 306 ff., 327; Honsell, VersR 1974, 205; Kötz, FS v. Caemmerer, S. 389, 393; Lorenz, Immaterieller Scha64

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und nicht kompensatorischer Geldzahlung;67 wie dies jedoch dogmatisch einzuordnen ist, konnte trotz intensiver Diskussionen bislang nicht abschließend geklärt werden. Dabei wird vor allem der Umstand kritisch betrachtet, dass für die Bemessung der Entschädigungshöhe der Grad des Verschuldens bedeutsam wird, weil hierdurch die Gefahr eines Abrutschens in den Bereich einer Privatstrafe drohe, was mit dem Schadensersatzrecht in seinem Ursprung aber nicht zu vereinbaren ist.68 Wird auf die Genugtuung abgestellt, dürfe dies jedenfalls nicht dazu führen, dass im Interesse der Allgemeinheit eine besonders hohe Entschädigung geleistet werden muss, um den Schädiger zu bestrafen oder zu demütigen.69 Ferner sei darauf zu achten, dass über den Deckmantel der Genugtuung auch kein vorrangiger Präventionszweck verfolgt wird, etwa über eine entsprechende Erhöhung der Entschädigung.70 Solche Zwecke sind der Privatrechtsordnung fremd, woran auch der Rückgriff auf die Genugtuungsfunktion nichts ändert.71 Die Argumentation des BGH, der Genugtuungsgedanke solle „eine gewisse durch den Schadensfall hervorgerufene persönliche Beziehung zwischen Schädiger und Geschädigten zum Ausdruck [bringen]“72, stößt zudem deshalb auf Unverständnis, weil die Entschädigung regelmäßig nicht vom Schädiger selbst,

den, S. 102 ff., 106 ff., insb. 111; Nehlsen-v. Stryk, JZ 1987, 119, 126; Ott/Schäfer, JZ 1990, 563, 573; Schiemann, Fortbildung des Schadensrechts, S. 222 ff.; Schwerdtner, JuS 1978, 289, 296 ff.; Schubert, Karlsruher Forum 2016, S. 13; dies., Wiedergutmachung, S. 186 ff.; Wagner, JZ 2004, 319, 321. 67 Vgl. Schubert, Karlsruher Forum 2016, S. 12, die in einer solchen Entschädigung eine Sanktion sieht. 68 „Der Gedanke der Sanktion im Sinne einer Reaktion der Rechtsordnung auf das Unrecht als solches gehört dem Strafrecht an; dem Zivilrecht ist er fremd“, Larenz, SchuldR AT I, § 27 I S. 424; vgl. hierzu ferner auch die ausführliche Untersuchung von Wachs, Persönlichkeitsverletzungen, S. 35 ff.; siehe ferner auch H. J. Hirsch, FS Engisch, S. 304, 327; Koziol, FS Canaris I, S. 631, 655 ff.; Körner, NJW 2000, 241, 242; Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 106; Rinne, Mittelbarer Schaden, S. 33 ff.; Schiemann, Staudinger BGB, § 253 Rn. 30; Schwerdtner, JuS 1978, 289, 296; Schubert, Karlsruher Forum 2016, S. 13; Westermann/Bydlinski/Weber, Schuldrecht AT, § 13 Rn. 13/2; vgl. auch Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 62, der davon ausgeht, dass es bei der Genugtuung eigentlich um Sühne des Täters geht. Darauf, dass eine Privatstrafe in Konflikt mit dem verfassungsrechtlichen Verbot der Doppelbestrafung gem. Art. 103 Abs. 2, 3 GG geraten würde, weist zudem J. Neuner, JuS 2013, 577, 583 hin. Ausführlich hierzu auch Mertens, Vermögensschaden, S. 96 f. m.w.N.; H. J. Hirsch, FS Engisch, S. 304 ff., 317; a.A. B. R. Kern, AcP 191 (1991), 247, 264 f., der zu dem Ergebnis gelangt, die Genugtuung habe sich zwar als Synonym für Privatstrafe erwiesen, welche jedoch als zulässige Aufgabe des Zivilrechts anzusehen sei (S. 268). Vgl. auch Grossfeld, Privatstrafe, S. 102, der die Genugtuungsfunktion trotz ihres Strafcharakters für berechtigt hält. 69 Wiese, Recht und Staat 294/295, S. 57. 70 Wiese, Recht und Staat 294/295, S. 57. 71 Vgl. Nehlsen-v. Stryk, JZ 1987, 119, 126, der die Genugtuungsfunktion neben der Ausgleichsfunktion als „überflüssig“ bezeichnet. 72 BGH, NJW 1955, 1675, 1676.

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sondern von einer Versicherungsgesellschaft aufgebracht wird und diese die genannten Erwartungen daher ohnehin nicht erfüllen könne.73 Letztlich wird sich die subjektive Genugtuung des Geschädigten zur Ermittlung des Haftungsumfangs auch deshalb nur begrenzt eignen, weil diese Empfindung maßgeblich von der Persönlichkeit bzw. dem Harmoniebedürfnis oder der Rachsüchtigkeit des Geschädigten abhängt.74 Diese Empfindungen sind jedoch nicht objektivierbar, so dass der Rückgriff auf die subjektive Genugtuung mangels konkreter Kriterien die Gefahr willkürlicher Entscheidungen birgt.75 Auch diese Gründe sprechen letztlich dafür, die Genugtuung nur ergänzend zur Beschreibung des Ausgleichs in Form der Verschaffung von Annehmlichkeiten bei immateriellen Schäden heranzuziehen.76 Auch wenn aufgrund der Inkommensurabilität des seelischen Schadens ein rechnerischer Ausgleich unmöglich ist, stellt die Geldentschädigung letztlich dennoch einen Ausgleich dar, indem sie neben der monetären Kompensation für die psychische Beeinträchtigung dem Verletzten als Genugtuung auch das Gefühl gibt, dass der Schädiger beschwert sei, und auf diese Weise das gestörte Gleichgewicht wiederhergestellt wird.77 Sie eignet sich daher als Sinnbild, das es besser nachvollziehbar macht, dass ein Ersatz trotz der Inkommensurabilität des Schadens überhaupt denkbar ist und nicht bloß eine Strafe vorliegt.78 Denn eine Naturalrestitution ist in all diesen immateriellen Schadensfällen nicht möglich und dennoch kann auf einen Schadensersatzanspruch als Ausgleich nicht verzichtet werden.79 Der Zweck bleibt dennoch die Wiedergutmachung von rechtswidrigen Eingriffen in fremde Rechtskreise, auch wenn die betroffenen Rechtsgüter irreparabel und nicht sub-

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Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 40; Nehlsen-v. Stryk, JZ 1987, 119, 126. Lobinger, Karlsruher Forum 2016, S. 94, erachtet die Genugtuung aus diesem Grund für „etwas ganz Archaisches“; siehe ferner Schubert, Wiedergutmachung, S. 187. 75 Niemeyer, Genugtuung, S. 95; Schubert, Wiedergutmachung, S. 187. 76 So auch Schubert, Karlsruher Forum 2016, S. 13; Wiese, Recht und Staat 294/295, S. 56, der in der Genugtuung nichts Eigenständiges, sondern „eine besondere Funktion des Ausgleichsgedankens bei der Geldentschädigung für ideelle Schäden“ erblickt; vgl. auch Wachs, Persönlichkeitsverletzungen, S. 46 ff. 77 Wiese, Recht und Staat 294/295, S. 55; vgl. hierzu auch Ehlers, Geldersatz für immaterielle Schäden, S. 185; Wachs, Persönlichkeitsverletzungen, S. 47. 78 Schubert, Karlsruher Forum 2016, S. 13; dies., JZ 2014, 1056, 1058; ähnlich auch Wiese, Recht und Staat 294/295, S. 57, der „die Rechtfertigung der Genugtuung nur in der Reparation des dem Verletzten eingetretenen Schadens [sieht], insofern eine Kompensation der Lebenserschwerung durch die Ermöglichung der Lebenserleichterung mit Geld nicht vollständig erreicht wird“. 79 Dass letztlich auch die Genugtuung dem Ausgleich dient, ist in der Schweiz weniger umstritten. Dort heißt es nach gefestigter Rechtsprechung: „Die Genugtuung bezweckt denn nicht die Bestrafung, sondern ausschließlich den Ausgleich für erlittene Unbill, in dem das Wohlbefinden anderweitig gesteigert oder dessen Beeinträchtigung erträglicher gestaltet wird“ (vgl. BG 12.5.1989, BGE 115 II 156, 158 m.w.N). In diese Richtung auch Niemeyer, Genugtuung, S. 90: „Schwierigkeiten bei der Berechnung des Schadens erlauben es nicht, vom Entschädigungsprinzip abzuweichen“. 74

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stituierbar sind.80 Als Mittel der Kompensation fungiert daher Geld als „universeller Wertevertreter“.81 Auch bei immateriellen Schäden ist der Geldersatz daher als Ausgleich anzusehen, wenn auch auf anderer Ebene.82

3. Die Präventionsfunktion Neben Ausgleich und Genugtuung bleibt als dritte Möglichkeit der Zielsetzung noch die Prävention und Verhaltenssteuerung. Insoweit steht außer Frage, dass der Geldersatz von (immateriellen) Schäden auch eine verhaltenssteuernde und insoweit auch präventive Wirkung hat.83 Denn das Schutzrecht veranlasst jeden Einzelnen auch deshalb dazu, die Rechtskreise der anderen Rechtsteilnehmer zu achten, weil dieser weiß, dass er eine Rechtsverletzung unter Rückgriff auf sein eigenes Vermögen wird „reparieren“ müssen.84 Jedoch handelt es sich bei der Verhaltenssteuerung regelmäßig nur um einen erwünschten Nebeneffekt.85 Eine echte Präventionsfunktion, welche konsequenterweise auch Auswirkungen auf den Umfang des Ersatzes haben müsste und welche daher auch eine Überkompensation möglich machen würde, ist dem deutschen Schadensersatzrecht hingegen fremd.86 Auch die Präventionsfunktion ist daher grundsätzlich nicht in der Lage, aus sich heraus „Schadensersatzverbindlichkeiten ohne einen auszugleichenden Schaden [zu begründen]“.87 Lediglich bei einem auf Geld gerichteten Anspruch wegen einer Verletzung des ideellen Bereichs des allgemeinen Persönlichkeitsrechts soll nach der Rechtsprechung neben der Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion auch die Prävention eine eigenständige Bedeutung haben, die in Abweichung zum Bereicherungsverbot des Schadensersatzrechts auch eine überkompensatorische Entschädigung möglich macht.88 Dabei handelt es sich jedoch eher um eine Ausnahme, die dann 80 Schubert, Karlsruher Forum 2016, S. 14; in diesem Sinne wohl auch Rixecker, MüKo BGB, Anhang zu § 12 Rn. 296. 81 Schubert, Karlsruher Forum 2016, S. 13; vgl. auch BGHZ 35, 363, 369 f. = NJW 1961, 2059, 2060; anders noch vor Inkrafttreten des BGB, vgl. Protokolle II, S. 1247 = Mugdan II, S. 517; siehe hierzu auch Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 7 II, S. 425 f. 82 Grossfeld, Privatstrafe, S. 101; Schubert, Wiedergutmachung, S. 598. 83 Canaris, FS Deutsch, S. 85, 105 ff.; Mertens, Vermögensschaden, S. 109; Westermann/ Bydlinski/Weber, Schuldrecht AT, § 13 Rn. 13/2. 84 Eine vergleichbare Verhaltenssteuerung wird wohl auch den anderen beiden Schutznormen der Anspruchstrias zukommen. So wird eine ungerechtfertigte Bereicherung dann uninteressant, wenn der Kondiktionsschuldner den ihm nicht zustehenden Vorteil herauszugeben hat oder der Störer auf eigene Kosten das usurpierte Recht freigeben und für die Zukunft Unterlassen geloben muss, siehe Bader, Diskriminierungsschutz, S. 40, 219 ff.; vgl. ferner auch Lobinger, JuS 1997, 981, 983. 85 Bader, Diskriminierungsschutz, S. 216 f.; Canaris, FS Deutsch, S. 85, 105; F. Hartmann, Staudinger Eckpfeiler, Rn. B 41; Larenz, SchuldR AT I, § 27 I S. 423; Lange/Schiemann, Schadensersatz, Einl. III, S. 11; Schubert, Karlsruher Forum 2016, S. 15. 86 Bader, Diskriminierung, S. 216 f. 87 Mertens, Soergel BGB, 12. Auflage 1990, Vor § 249 Rn. 28. 88 BGHZ 128, 1, 15 f. = NJW 1995, 861, 865 – Caroline; BGH, NJW 1996, 984 – Caroline;

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relevant wird, wenn der Schädiger aus einer Zwangskommerzialisierung der Persönlichkeit Vorteile für sich gezogen hat.89 Abgesehen von dieser Ausnahme haben Entschädigungsansprüche jedoch keine selbständige Präventionsfunktion. Weder kommt der Entschädigung nach §§ 823, 253 Abs. 2 BGB ein solches primär verhaltenssteuerndes Element zu.90 Noch verfolgt nach überwiegender Ansicht § 15 Abs. 2 AGG eine eigenständige präventive Zwecksetzung.91 Zwar wird eine eigenständige und der Ausgleichsfunktion mindestens ebenbürtige, wenn nicht gar übergeordnete Präventionsfunktion des Schadensrechts häufig von den Vertretern der ökonomischen Analyse des Rechts beworben.92 Dass eine primäre Verhaltenssteuerung ggf. durch Überkompensation im Grunde jedoch nicht mit der Privatrechtsordnung verein-

BVerfG, NJW 2000, 2187; vgl. auch v. Bar, NJW 1980, 1724, 1727; Prinz, NJW 1995, 817; dens., NJW 1996, 953, 955 f.; Wagner, ZEuP 2000, 200, 201. 89 Diese Lösung des BGH über die Präventionsfunktion stößt in der Literatur durchaus auf Kritik. So wird angeregt, auch in den Fällen der Verletzung des ideellen Bereichs des Persönlichkeitsrechts Ersatz über den anerkannten vermögensrechtlichen Teil zu gewähren. So solle dem Geschädigten auch bei ideellen Schäden eine fiktive Lizenzgebühr als deliktischer Schadensersatz oder aus Eingriffskondiktion zugesprochen werden. Zudem bestehe die Möglichkeit der Abschöpfung des Verletzergewinns, sofern dieser beziffert werden kann. Eines Rückgriffs auf die Präventionsfunktion bedürfe es hingegen nicht. Siehe hierzu ausführlich Schubert, Karlsruher Forum 2016, S. 16 f.; ablehnend mit Blick auf einen möglichen bereicherungsrechtlichen Schutz ferner Siemens, AcP 201 (2001), 202, 212 ff.; a.A.: Alexander, AfP 2008, 556, 564 f.; Dreier, Kompensation und Prävention, S. 348 ff., 362 ff., der eine Präventionsfunktion bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen zumindest in manchen Bereichen für gerechtfertigt hält. 90 So auch Möller, Präventionsprinzip, S. 205 f. 91 Zwar verlangt die Antidiskriminierungsrichtlinie 2006/54/EG eine abschreckende Wirkung, dieser ist jedoch in Form der „Prävention durch Schadensausgleich“ Genüge getan; vgl. F. Hartmann, Staudinger Eckpfeiler, Rn. B 41; Adomeit/Mohr, AGG, § 15 Rn. 73; Deinert, Däubler/Bertzbach AGG, § 15 Rn. 14; Jacobs, RdA 2009, 193, 194; Kocher, Schiek AGG, § 15 Rn. 38; Stoffels, RdA 2009, 204, 206; Wagner, AcP 206 (2006) 352, 402; Walker, NZA 2009, 5, 8 f.; vgl. auch die Entscheidung des EuGH vom 17.12.2015 – C-407/14 (Arjona Camacho) = EuZW 2016, 183 Rn. 37, in welcher der Gerichtshof für die geltenden Normen klarstellt, dass auch die Antidiskriminierungsrichtlinie 2006/54/EG nicht die Einführung eines Strafschadensersatzes fordert, sondern ein vollständiger, verschuldensunabhängiger Ausgleich als Sanktion ausreicht. Insofern dürfte auch die Forderung des BAG nach einer „abschreckenden Entschädigung“ (vgl. BAG, NZA 2013, 37 Rn. 38) nicht als ein Ruf nach einem Strafschadensersatz missverstanden werden. Siehe hierzu Schubert, Karlsruher Forum 2016, S. 16; a.A. Lehmann, Höhe des finanziellen Ausgleichs, S. 143, 151 ff., der eine Abschreckung durch Ausgleich nicht für ausreichend hält und daher eine eigene Abschreckungsfunktion, die sich auch auf die Höhe der Entschädigung auswirkt, befürwortet. 92 Vgl. Ebert, Pönale Elemente, S. 576; Kirchner, Öffentliches Recht und Privatrecht, S. 63, 65 ff.; Wagner, FS Stürner, S. 231, 245; dens., JZ 2004, 319, 321 f.; dens., NJW 2017, 2641, 2645; dens., Gutachten A zum 66. DJT 2006, S. 20; dens., VersR 2000, 1305, 1306; Kritiker sehen hierin hingegen eine nicht willkommene „Amerikanisierung des Privatrechts“, so der Titel von Diller, FA 2001, 97; ähnlich auch Adomeit/Mohr, NJW 2007, 2522, 2524; vgl. auch BGHZ 118, 312, 334 = NJW 1992, 3096, 3102 f.

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C. Die Funktion des Hinterbliebenengelds

bar ist, wurde bereits festgestellt.93 Im Übrigen gehen nunmehr auch manche dieser grundsätzlichen Befürworter im Zusammenhang mit dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld davon aus, dass eine Präventionsfunktion des Hinterbliebenengelds zu vernachlässigen sei.94 Denn sogar ein individual- oder generalpräventiver Nebeneffekt des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld wird nur sehr begrenzt zu erwarten sein.95 Es wird kaum jemand ernsthaft behaupten, geschweige denn empirisch belegen können, dass sich die Bürger auch nur einen Deut sorgfältiger verhalten werden, weil im Falle der Tötung einer Person nunmehr ein Hinterbliebenengeld gezahlt werden muss.96 Dies gilt insbesondere, wenn man berücksichtigt, dass in den meisten Fällen die Haftpflichtversicherungen für das Hinterbliebenengeld aufkommen werden, so dass sich der Nachteil für den Schädiger auf den Verlust des Schadensfreiheitsrabatts beschränkt.97 Fälle, in denen die Tötung vorsätzlich erfolgt, bilden hingegen eher die Ausnahme.98 Aber selbst in diesen Fällen bleibt es zweifelhaft, ob sich ein Täter aufgrund des Hinterbliebenengelds von seinem Vorhaben abhalten lassen wird. Darüber hinaus lässt sich auch die Präventionsfunktion nicht mit dem Haftungsgrund der Gefährdungshaftung vereinbaren.99 Denn diese knüpft an eine zwar gefährliche, aber erlaubte Handlung an, während eine Präventionszwecke verfolgende, überkompensatorische Entschädigung wiederum eher einer Privatstrafe entspricht,100 die ohne Verschuldenserfordernis verfassungsrechtlich kaum haltbar sein dürfte.101 Das Hinterbliebenengeld bezweckt jedoch unter keinen

93 Siehe hierzu oben: Kap. 1, A.I.3.g); vgl. ferner auch BGHZ 118, 312, 334 = NJW 1992, 3096, 3102 f. 94 Siehe Wagner, NJW 2017, 2641, 2645; ders., Gutachten A zum 66. DJT 2006, S. 64; ders., MüKo BGB, § 844 Rn. 94; anders noch ders., FS Stürner, S. 231, 242 f. mit dem Argument, dass eine Nichtberücksichtigung des Trauerleids im Schadensersatzrecht zu „suboptimalen – weil ,zu niedrigen‘ – Sorgfaltsaufwendungen“ führe. 95 So auch schon Behr, Schmerzensgeld und Hinterbliebenengeld, S. 231; Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 63; für das Angehörigenschmerzensgeld Pflüger, Schmerzensgeld, S. 148. 96 Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 63; ähnlich auch Wagner, Gutachten A zum 66. DJT 2006, S. 64. 97 Zur Aufgabe der Haftpflichtversicherungen siehe unten: Kap. 2, B.III.4.a). 98 Auch die Gesetzesbegründung geht davon aus, dass jährlich lediglich 500 von 6000 erwarteten Todesfällen durch Mord- und Totschlagsdelikte herbeigeführt werden, BTDrs. 18/11397, S. 11. 99 Schubert, Karlsruher Forum 2016, S. 15. 100 Schubert, Karlsruher Forum 2016, S. 15; vgl. zur Präventionsfunktion der Privatstrafe auch P. Gottwald, MüKo BGB, Vor § 339 Rn. 6. 101 Vgl. Annuß, NZA 1999, 738, 742, der hierin eine grundlegende Unvereinbarkeit mit Art. 1, 2 GG sieht; kritisch ferner auch Bader, Diskriminierungsschutz, S. 213; Benecke/G. Kern, EuZW 2005, 360, 363; F. Hartmann, Staudinger Eckpfeiler, Rn. B 41; vgl. ferner auch Kummer, Antidiskriminierungsrichtlinie (RL 2000/78/EG), S. 99 f., der in einem verschuldensunabhängigen Strafschadensersatz neben einer Kollision mit dem verfassungsrechtlichen Bestrafungsmonopol des Staats zudem einen Verstoß gegen die Unschuldsvermutung nach Art. 6 Abs. 2 EMRK erblickt.

II. Rückführung des Hinterbliebenengelds zur Ausgleichsfunktion

205

Umständen eine Bestrafung des Täters oder Haftpflichtigen.102 Diese Aufgabe hat ausschließlich das Strafrecht.103 Eine eigenständige Präventionsfunktion des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld ist daher abzulehnen.104

II. Rückführung des Hinterbliebenengelds zur Ausgleichsfunktion Aufgrund der funktionalen Einordnungsschwierigkeit des Hinterbliebenengelds, die sich daraus ergibt, dass das Hinterbliebenengeld weder mit einer Ausgleichsnoch mit einer Genugtuungs- oder Präventionsfunktion vereinbar scheint, heißt es immer wieder, für den Anspruch auf Hinterbliebenengeld sei eine neue, eigene Kategorie zu eröffnen.105 Dafür scheint zwar die Abkehr vom früher gängig verwendeten Begriff des „Angehörigenschmerzensgelds“ hin zur Begrifflichkeit „Hinterbliebenengeld“ zu sprechen. Andererseits ist jedoch zu hinterfragen, ob mit einer symbolischen Anerkennungsfunktion tatsächlich etwas gewonnen wäre106 oder ob dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld auf Grundlage der bereits gefundenen Ergebnisse nicht doch, wie allen anderen Ersatzansprüchen auch, eine Ausgleichsfunktion für die erlittene Rechtsverletzung und den daraus resultierenden immateriellen Schaden beizumessen ist.107

102

Kadner Graziano, Hinterbliebenengeld, S. 191. „In primitiven Rechtsordnungen dominiert die Buße. Eine entwickelte Rechtskultur kennt keine Buße, sondern nur den Schadensersatz“, Honsell, Römisches Recht, S. 88; vgl. ferner dens., VersR 1974, 205; Bydlinski, AcP 204 (2004), 309, 344 f.; H. J. Hirsch, FS Engisch, S. 303, 317; Siemes, AcP 201 (2001), 202, 212. Soweit Wagner, MüKo BGB, § 844 Rn. 6 in diesem Zusammenhang argumentiert, eine Straffunktion sei deshalb nicht erforderlich, weil das Strafrecht in Zusammenhang mit den Tötungsdelikten gut funktioniere, ist anzumerken, dass es auch generell nicht die Aufgabe des Zivilrechts sein kann, etwaige Strafverfolgungsdefizite auszugleichen. Vgl. ferner auch Wagner, Gutachten A zum 66. DJT 2006, S. 62; Kötz, FS v. Caemmerer, S. 389, 393. 104 Vgl. Wagner, Gutachten A zum 66. DJT 2006, S. 61 f. Im Ergebnis so auch Witschen, JZ 2018, 490, 495. 105 Jaeger, VersR 2017, 1041, 1057; Jansen, Karlsruher Forum 2016, S. 116; Katzenmeier, JZ 2002, 1029, 1035; G. Müller, Karlsruher Forum 2016, S. 82 f. 106 Von einer symbolischen Anerkennung gehen etwa aus O. Becker, JA 2020, 96, 101; Jahnke, Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke StVG, § 844 Rn. 79a; so auch noch Hoppenstedt/Stern, ZRP 2015, 18, 21. Ähnlich stellt sich die Einordnung auch in der Schweiz dar, in der das Bundesgericht den Sinn wie folgt beschrieben hat: „Eine Hauptfunktion der opferhilferechtlichen Genugtuung liegt in ihrer wichtigen symbolischen Rolle begründet, denn mit ihr anerkennt das Gemeinwesen die schwierige Situation des Opfers“, BGer, Urteil v. 19.01.2006 – 1A.181/2005 = BGE 132 II 117, Erw. 3.3.3.; vgl. hierzu auch Kadner Graziano, Hinterbliebenengeld, S. 190. 107 So etwa Wagner, NJW 2017, 2641, 2642, der ein „symbolhaftes Anerkennungsgeld“ entschieden ablehnt; vgl. auch Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 33, der ebenfalls eine „neue 103

206

C. Die Funktion des Hinterbliebenengelds

Gegen die Einordnung des Hinterbliebenengelds als Schadensersatzanspruch spricht zwar, dass sich die Trauer wegen des Verlusts einer nahestehenden Person letztlich nicht in Geld aufwiegen lässt, allerdings trifft dies auf sämtliche immaterielle Beeinträchtigungen zu und steht auch sonst der Anerkennung als Schaden nicht entgegen (vgl. nur §§ 249 Abs. 1, 253 BGB).108 Allein wegen der Inkommensurabilität des Schadens bedarf es daher nicht der Erfindung eines symbolhaften „Anerkennungsgelds“ zur Kompensation eines „Genugtuungsschadens“, der neben die bereits etablierten Kategorien des Vermögens- und Nichtvermögensschadens treten würde109. Bei dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld handelt es sich vielmehr um einen echten Schadensersatzanspruch,110 der ohne Ausgleichsfunktion dogmatisch stimmig letztlich nicht denkbar ist. Denn „Schadensersatz bedeutet zuvörderst Ausgleich des dem Verletzten entstandenen Schadens und zwar unabhängig von einer sich beim Verletzten einstellenden Befriedigung. Er erschöpft seine Berechtigung aus der zurechenbaren Verursachung eines im Rechtskreis eines anderen Rechtssubjekts eingetretenen Schadens und nicht aus dem Gedanken (subsidiärer) Hilfeleistungen für den Verletzten“.111 Es ist deshalb in Einklang mit einer im Schrifttum vermehrt Anklang findenden Auffassung davon auszugehen, dass grundsätzlich alleine das Ausgleichsprinzip eine tragfähige Stütze für den Zuspruch des Hinterbliebenengelds bereitstellen kann und dieses daher auch den Zweck des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld dominiert.112 Es geht um Ausgleich der Trauer,113 auch wenn diese nicht präzise messbar, eine Totalkompensation im Sinne der Herstellung des Zustandes ohne den Verlust der nahestehenden Person in Geld nicht einmal denkbar ist. Auch wenn eine vollständige Wiedergutmachung des Schadens also nicht möglich ist, kommt dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld als echtem Schadensersatzanspruch die Funktion zu, das seelische Leid, so gut es eben geht, zumindest auszugleichen und zu lindern.114

Kategorie im Gefüge deutschen Deliktsrechts“ nicht für sinnvoll erachtet und daher aufgrund einer angenommenen Ähnlichkeit zum Schmerzensgeld doch eine Ausgleichsfunktion für das seelische Leid bejaht. 108 Wagner, NJW 2017, 2641, 2642. 109 Wagner, NJW 2017, 2641, 2642, 110 Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 77; Siede/Preisner, BeckOGK BGB, 01.08.2020, § 1376 Rn. 410. 111 S. Müller, Schmerzensgeldbemessung, S. 23. 112 So auch Ch. Huber, FS Schwintowski, S. 920, 947; Jaeger, VersR 2017, 1041, 1042; Nugel, zfs 2018, 72, 77 f.; Steenbuck, r+s 2017, 449, 451; Wagner, NJW 2017, 2641, 2645. 113 So auch Wagner, NJW 2017, 2641, 2645, der die Funktion des Hinterbliebenengelds im Ausgleich seelischer Nachteile sieht, die durch den Verlust der geliebten Person eingetreten sind; vgl. ferner Balke, SVR 2018, 207; Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 33; Jaeger, VersR 2017, 1041, 1042; Steenbuck, r+s 2017, 449, 451; aus der Rechtsprechung vgl. LG München II, SVR 2020, 274. 114 So im Ergebnis wohl auch Katzenmeier, JZ 2017, 689, 872.

III. Ergebnis

207

Sofern neben die Ausgleichsfunktion noch eine Genugtuungsfunktion in das Anspruchsziel miteinfließt, kann dies jedenfalls nur in den Fällen von Bedeutung sein, in denen dem Schädiger mindestens Fahrlässigkeit vorgeworfen werden kann.115 Zwar bleibt in Anbetracht der Unbestimmtheit der Genugtuungsfunktion fraglich, inwiefern hierfür überhaupt Raum bleiben soll; zumindest zur Beschreibung der Inkommensurabilität des Trauerleids erfüllt sie aber dennoch ihren Zweck. Erkennt man daher sowohl eine Ausgleichsfunktion als auch eine – wenn auch weniger bedeutende – Genugtuungsfunktion des Hinterbliebenengelds an, liegt durchaus eine mit dem „Schmerzensgeld“ vergleichbare Interessenlage vor,116 auch wenn das verletzte Rechtsgut keines i.S.d. § 253 Abs. 2 BGB ist. Allerdings ist mit diesem Begriff ohnehin wenig gewonnen, da es sich dabei letztlich auch nur um die anschauliche Beschreibung bestimmter immaterieller Ersatzansprüche handelt. Für das Hinterbliebenengeld soll daher auf ihn verzichtet und anstelle dessen der Begriff des immateriellen Schadensersatzes herangezogen werden. Dafür sprechen auch die Entstehungsgeschichte und die Systematik des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld. Der Gesetzgeber hat bewusst den in der Diskussion um einen solchen Anspruch allerseits verwendeten Begriff des „Angehörigenschmerzensgelds“ durch den des Hinterbliebenengelds ersetzt und somit zum Ausdruck gebracht, dass er vom Begriff des Schmerzensgelds an dieser Stelle Abstand nehmen möchte.117 Zudem spricht die systematische Platzierung bei den Ersatzansprüchen in § 844 BGB anstelle einer Aufnahme beim „Schmerzensgeld“ in § 253 Abs. 2 BGB gegen eine solche Kategorisierung.118

III. Ergebnis Beim Anspruch auf Hinterbliebenengeld handelt es sich um einen Schadensersatzanspruch, bei dem der Ausgleichsgedanke im Vordergrund steht. Die monetäre Entschädigung dient als Mittel zum Ausgleich der Persönlichkeitsrechtsverletzung des Hinterbliebenen und des daraus entstandenen immateriellen Schadens in Form von Trauer und seelischem Leid. Wie bei anderen immateriellen Schäden handelt es sich bei der Geldentschädigung um einen Notbehelf.119 Weil ein echter Schadensausgleich nicht möglich ist, verbleibt nur die beste aller

115

So auch das LG Tübingen, Urteil v. 17.05.2019 – 3 O 108/18, Rn. 81 –, juris. So auch Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 76; in diese Richtung auch Katzenmeier, JZ 2017, 869, 872. 117 Burmann/Jahnke, NZV 2017, 401; Jahnke, Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke StVG, § 844 Rn. 79; H. J. Schwab, DAR 2018, 284, 285; a.A. Frank, FamRZ 2017, 1640, der hingegen meint, es hätte einer neuen Begrifflichkeit nicht bedurft. 118 Quaisser, DAR 2017, 688, 689, 691; vgl. auch G. Müller, VersR 2017, 321, 322. 119 Vgl. Bader, Diskriminierungsschutz, S. 223. 116

208

C. Die Funktion des Hinterbliebenengelds

schlechten Lösungen: die immaterielle Einbuße mit Geld aufzuwiegen.120 Insofern wird der Geschädigte mit finanziellen Mitteln in die Lage versetzt, die Einbußen am seelischen Wohlbefinden durch erkaufte Annehmlichkeiten auszugleichen (Ausgleichsfunktion). Daneben kann in den Fällen des Verschuldens des Schädigers auch eine zeichenhafte Genugtuung den Anspruchszweck (mit)begründen. Dem Genugtuungsgedanken kommt neben der Ausgleichsfunktion jedoch lediglich eine untergeordnete Bedeutung zu.

120 So auch Bader, Diskriminierungsschutz, S. 223 in Zusammenhang mit § 15 Abs. 2 AGG.

2. Kapitel

Wertungswidersprüche und Anwendungsfragen des § 844 Abs. 3 BGB Beim Anspruch auf Hinterbliebenengeld handelt es sich um ein Novum in der deutschen Privatrechtsordnung. Deshalb verwundert es nicht, dass sich für den Rechtsanwender viele Unklarheiten ergeben. In diesem Kapitel sollen daher einige der noch nicht abschließend beantworteten Fragen aufgegriffen und der Versuch unternommen werden, unter Zugrundelegung der bereits gewonnenen Erkenntnisse, dogmatisch schlüssige Antworten auf diese Fragen zu finden. Bevor sich diese Untersuchung im Folgenden daher jenen Fragen zuwendet, die vor allem in der praktischen Rechtsanwendung von Bedeutung sind (B.), soll zunächst mit demselben Ziel ein Blick auf jene Wertungswidersprüche geworfen werden, mit denen sich der Anspruch auf Hinterbliebenengeld in der Literatur konfrontiert sieht (A.).

A. Wertungswidersprüche des Hinterbliebenengelds Neben den bereits untersuchten dogmatischen Bedenken sieht sich das Hinterbliebenengeld de lege lata auch dem Vorwurf ausgesetzt, falsche Werteentscheidungen zu treffen. Die Kritik stützt sich dabei vor allem auf zwei Gesichtspunkte, die im Folgenden näher aufgezeigt und untersucht werden sollen. Namentlich geht es um die Entscheidung des Gesetzgebers, weder einen vertraglichen Anspruch auf Hinterbliebenengeld (I.) noch eine Entschädigung der Angehörigen im Falle einer (schwersten) Verletzung des Primärbetroffenen (II.) vorzusehen.

I. Kein vertraglicher Anspruch auf Hinterbliebenengeld 1. Das Hinterbliebenengeld de lege lata Entgegen der überwiegenden Auffassung des Schrifttums hat sich der Gesetzgeber dazu entschieden, die Regelung des Hinterbliebenengelds beim Unterhaltsersatz im Deliktsrecht anzusiedeln.1 Damit hat er zum Ausdruck gebracht, dass ein Anspruch nur bei Vorliegen eines deliktsrechtlichen Tatbestands sowie bei manchen spezialgesetzlichen Gefährdungshaftungen entstehen soll.2 Eine Ergänzung in § 253 Abs. 2 BGB, die sichergestellt hätte, dass es das Hinterbliebenengeld genauso auch bei einer vertraglichen Haftung geben soll, hat er nicht vorgenommen.3 Lediglich § 618 Abs. 3 BGB und § 62 Abs. 3 HGB erklären für bestimmte Vertragsverhältnisse die Vorschriften der §§ 844 bis 846 BGB für entsprechend anwendbar, was nach der Gesetzesbegründung nunmehr auch für § 844 Abs. 3 BGB gelten soll.4 Aber auch in der Passagierschadenshaftung im Luft-, Eisen1 In der Diskussion vor der Einführung des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld sprachen sich einige Stimmen für eine Regelung in § 253 BGB aus, vgl. Ch. Huber, NZV 2012, 5, 10; Kadner Graziano, RIW 2015, 549, 564; Schubert, Karlsruher Forum 2016, S. 32 f.; Zwickel, NZV 2015, 214, 217; vgl. hierzu auch Katzenmeier, JZ 2017, 869, 873; für eine Platzierung in § 844 Abs. 3 aber bereits Staudinger, NJW 2006, 2433, 2436; ders., DAR 2012, 280, 282; Wagner, FS Stürner, S. 231, 253. 2 BT-Drs. 18/11397, S. 9. 3 Vgl. Bischoff, MDR 2017, 739, 740; Ch. Huber, NZV 2012, 5, 10; dens., Hinterbliebenengeld, S. 35, 37; verwundert hierüber zeigen sich auch Karner, FS Danzl 2017, S. 87, 92 f. und Wagner, NJW 2017, 2641, 2642, jedoch ohne sich näher damit auseinanderzusetzen, dass es sich bei § 253 BGB nicht um eine Anspruchsgrundlage handelt. 4 BT-Drs. 18/11397, S. 9; vgl. auch Wagner, NJW 2017, 2641, 2643, der diesen Verweis

212

A. Wertungswidersprüche des Hinterbliebenengelds

bahn- und Seeverkehr ist ein Anspruch auf Hinterbliebenengeld eingeführt worden, so dass in diesen Fällen ausnahmsweise eine vertragliche Haftung besteht.5 In allen anderen Vertragskonstellationen ist ein Anspruch auf Hinterbliebenengeld de lege lata hingegen nicht vorgesehen.

2. Kritik Diese systematische Platzierung des Anspruchs im Deliktsrecht und die damit verbundene Diskriminierung vertraglicher Ansprüche stößt vielerorts auf Kritik.6 Es wird angeführt, der Anspruch passe nicht zu den Unterhaltsansprüchen in § 844 Abs. 2 BGB, da es sich beim Trauerschmerz nicht um einen Vermögensschaden handle und immaterielle Schäden grundsätzlich in § 253 BGB geregelt seien.7 Insbesondere aber sei kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, an dieser Stelle zwischen gesetzlicher und vertraglicher Haftung zu unterscheiden.8 Es gilt daher zu hinterfragen, warum der Anspruch auf Hinterbliebenengeld lediglich bei gesetzlichen Haftungstatbeständen entstehen soll und warum er nicht auch bei vertraglichen Schuldverhältnissen eine Rolle spielt. a) Notwendigkeit eines vertraglichen Anspruchs auf Hinterbliebenengeld? Bei dem Versuch, die Frage nach der Notwendigkeit eines vertraglichen Anspruchs zu beantworten, ist zunächst festzustellen, dass entgegen der Auffassung des Gesetzgebers9 ein Anwendungsbereich des Hinterbliebenengelds im Vertragsrecht zwar gering, aber nicht undenkbar wäre. Grund für den geringen Anwen-

auch für ausreichend hält; kritisch hingegen Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 36 mit Hinweis darauf, dass durch den Verweis lediglich die Fälle erfasst werden, in denen ein Verschulden des Dienstherren gegeben ist, obwohl es häufig aber gerade um ein Verschulden des Dienstleistenden gehen wird, wie beispielsweise bei einem Fehlverhalten des Reiseveranstalters beim Reisevertrag oder des Arztes beim Arztvertrag. 5 BT-Drs. 18/11397, S. 9. 6 Vgl. z.B. Frank, FamRZ 2017, 1640; Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 38: „Die Platzierung des Hinterbliebenengelds in § 844 Abs. 3 BGB ist freilich nur eine halb richtige Lösung“; Jaeger, VersR 2017, 1041, 1051; ähnlich auch die Abgeordnete Keul (Bündnis 90/Die Grünen) in der Sitzung des Deutschen Bundestages vom 09.03.2017, Plenarprotokoll 18/221, 222194 (D). 7 So z.B. G. Müller, VersR 2017, 321, 322, die aber auch darauf hinweist, dass eine Platzierung in § 253 BGB noch unglücklicher wäre, da es sich eben nicht um ein Schmerzensgeld handle, der Anspruch also weder hier noch dort passe. 8 So etwa Schubert, Karlsruher Forum 2016, S. 32, die hierin einen „sachlich nicht gerechtfertigten Bruch in der Rechtsordnung“ sieht; kritisch ferner Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 35; Walter, MedR 2018, 213, 215. 9 Der Gesetzgeber geht in der Gesetzesbegründung davon aus, dass durch die Ausklammerung der vertraglichen Haftung keine nennenswerte Schutzlücke entstehe, weil im Falle der Tötung einer Person regelmäßig ein deliktischer Anspruch gegeben sei, vgl. BTDrs. 18/11397, S. 9; so auch die Einschätzung von Wagner, NJW 2017, 2641, 2643.

I. Kein vertraglicher Anspruch auf Hinterbliebenengeld

213

dungsbereich ist der Umstand, dass ein Vertrag zwischen den Hinterbliebenen und dem Schädiger nur selten gegeben sein wird, die vertragliche Sonderbeziehung grundsätzlich aber Voraussetzung für die vertragliche Haftung ist.10 Zwar sind Konstellationen denkbar, in denen ein Vertrag zwischen dem späteren Hinterbliebenen und dem Schädiger geschlossen wurde – so zum Beispiel, wenn eine Mutter mit dem Kinderarzt einen Behandlungsvertrag zugunsten ihres Kindes schließt, welches sodann aufgrund eines vermeidbaren Behandlungsfehlers verstirbt.11 In den meisten Fällen wird es aber nicht zu einem Vertragsschluss zwischen Schädiger und Hinterbliebenem gekommen sein. Gab es aber nur einen Vertrag zwischen Schädiger und Verstorbenem, ist ein vertraglicher Schadensersatzanspruch der Hinterbliebenen nur nach den Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter denkbar. Nach dieser von der Rechtsprechung entwickelten Rechtsfigur12 kann ein Dritter, der in den Schutzbereich eines Vertrags zwischen Gläubiger und Schuldner einbezogen wird, zwar keine Leistung fordern, unter bestimmten Voraussetzungen aber Schadensersatz gem. §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB i.V.m. den Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter verlangen.13 Die hierfür erforder-

10 Emmerich, MüKo BGB, § 311 Rn. 187; Westermann/Bydlinski/Weber, Schuldrecht AT, § 16 Rn. 16/1 f. 11 Ein weiteres plastisches Beispiel wäre die zum Tode führende Verletzung von Betreuungspflichten aus einem Vertrag der Eltern mit der Kindertagesstätte oder der Kinder mit der Betreuungseinrichtung für Senioren. Vgl. hierzu auch die DAV-Stellungnahme durch die Ausschüsse Verkehrsrecht und Zivilrecht Nr. 3/2017 zum RefE, S. 9 f., abrufbar unter: htt ps://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2017/Downloads/ 01172017 Stellungnahme DAV RefE Hinterbliebenengeld.pdf;jsessionid=11A8A43A5F C0601C3C2DE01A7789C3F9.2 cid334? blob=publicationFile&v=1 (Stand: 27.07.2022). 12 In den ersten Jahren nach Inkrafttreten des BGB war das RG noch der Auffassung, nicht am Vertrag beteiligten Dritten stünden vertragliche Ansprüche nicht zu, vgl. RGZ 85, 183, 184. Dann allerdings änderte das RG diese Ansicht und gewährte den an einem Vertrag unbeteiligten Dritten, die mit der Wirkung des Vertrags in Berührung und dadurch zu Schaden kamen, unter bestimmten Voraussetzungen auch vertragliche Ansprüche, siehe RGZ 87, 289, 292; RGZ 127, 218, 222. Zwar sah das Gericht den Dritten zu dieser Zeit noch gem. § 328 BGB als forderungsberechtigt an; im Hinblick auf einen kritischen Beitrag von Larenz (NJW 1956, 1193 f.), in welchem dieser auf den Unterschied zwischen der nach § 328 BGB geschuldeten Hauptleistung und einer bloßen Schutzpflicht hinwies, gab der BGH diese Rechtsprechung jedoch auf (BGH, NJW 1959, 1676). Siehe hierzu ausführlich Windelen, Haftungsinteresse, S. 23 f. Heute ist der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter als selbstständiges Rechtsinstitut weitgehend anerkannt. Für die weitere Entwicklung der Rechtsfigur des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter siehe ferner Hirth, Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, S. 15 ff.; vgl. zu diesem Rechtsinstitut allgemein auch Ostrowicz, Vertragshaftung und Drittschutz, S. 11 ff. 13 BGHZ 49, 350, 353 = NJW 1968, 885, 888; BGH, NJW 2010, 3152, 3153. Seit Einführung des § 311 Abs. 3 S. 1 BGB wird zudem angenommen, dass auch dieser aufgrund seiner weiten Formulierung für die Rechtsfigur des VSD fruchtbar gemacht werden könne, so etwa Canaris, JZ 2001, 499, 520 f.; M. Schwab, JuS 2002, 872, 873 ff.; Westermann/Bydlinski/Weber, Schuldrecht AT, § 16 Rn. 16/4.

214

A. Wertungswidersprüche des Hinterbliebenengelds

lichen Voraussetzungen („Leistungsnähe“, „Gläubigernähe“, „Erkennbarkeit“ und „Schutzbedürftigkeit“)14 werden in den Konstellationen des Hinterbliebenengelds jedoch regelmäßig nicht erfüllt sein, so dass im Normalfall auch nicht von einer Einbeziehung der besonders nahestehenden Personen in den Schutzbereich eines Vertrags auszugehen ist:15 Es ist wenig überzeugend, um bei dem Beispiel eines Behandlungsvertrags zu bleiben, eine Schutzwirkung für die Rechtsgüter der Eltern, Kinder, Ehegatten usw. des Patienten anzunehmen.16 Einerseits kommt der Hinterbliebene als Dritter nicht unbedingt mit der vertraglich geschuldeten Leistung17 oder den sich aus dem Vertrag ergebenen Schutzpflichten18 in Berührung (er wird die Praxisräume nicht in jedem Fall betreten, geschweige denn sich selbst der Behandlung unterziehen), weshalb es regelmäßig bereits an der geforderten „Leistungsnähe“ des Hinterbliebenen fehlen wird.19 Andererseits erscheint es auch in Hinblick auf die Begrenzungsfunktion von Verträgen problematisch, alle nahestehenden Personen einer Vertragspartei ganz grundsätzlich in den Schutzbereich eines Vertrags einzubeziehen.20 So ist zwar die Mehrung der potentiellen Gläubiger und damit des Haftungsrisikos durchaus Charakteristikum des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter.21 Auch dies 14 Ob ein Vertrag eine Schutzwirkung für Dritte entfaltet, wird anhand nicht immer einheitlicher Kriterien entschieden. Herauskristallisiert haben sich jedoch die folgenden Voraussetzungen: 1. „Leistungsnähe“ (der Dritte muss den Risiken des Vertrags bestimmungsgemäß in gleicher Weise ausgesetzt sein wie der Vertragspartner); 2. „Gläubigernähe“ (der Gläubiger muss ein schützenswertes Interesse am Schutz des Dritten haben); 3. subjektive Erkennbarkeit von 1. und 2. für den Schuldner; 4. „Schutzbedürftigkeit des Dritten“ (der Dritte darf keinen eigenen gleichwerten Anspruch gegenüber dem Schuldner haben), vgl. zum Tatbestand des VSD ausführlich P. Gottwald, MüKo BGB, § 328 Rn. 184 ff.; Hirth, Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, S. 121 ff. m.w.N.; vgl. ferner auch Prange, Schutzpflichtverletzungen, S. 139 ff.; Westermann/Bydlinski/Weber, Schuldrecht AT, § 16 Rn. 16/9 ff.; Windelen, Haftungsinteresse, S. 25. 15 So zutreffend auch BT-Drs. 18/11397, S. 9. 16 Insoweit ist den Ausführungen des Gesetzgebers in der Gesetzesbegründung durchaus zuzustimmen, BT-Drs. 18/11397, S. 9. Anders entschied hingegen der OGH in Österreich, welcher dem einen Ehegatten infolge eines ärztlichen Behandlungsfehlers ein Trauerschmerzensgeld gewährte, weil dieser Trauerschaden (in diesem Fall mit Krankheitswert) vom Behandlungsvertrag umfasst sei, siehe Österr. OGH, Urteil v. 30.06.2010 – 9 Ob 83/09 k = ÖJZ 2010, 916 ff.; vgl. hierzu auch Diederichsen, DAR 2011, 122, 124; Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 36, der sich allgemein für eine solche Schutzwirkung zugunsten der Angehörigen ausspricht. 17 Vgl. zu dieser Voraussetzung BGHZ 133, 168 = NJW 1996, 2927; BGH, NJW 2010, 3152, 3153; BGH, NJW-RR 2017, 888, 890. 18 „Voraussetzung ist […], dass der Dritte bestimmungsgemäß mit der vom Schuldner zu erbringenden Leistung in Berührung kommt und ihn Verletzungen von Schutzpflichten durch den Schuldner ebenso treffen können wie den Gläubiger selbst“, BGH, NJW 2001, 3115, 3116. 19 Vgl. zum Inhalt dieser Voraussetzung auch Prange, Schutzpflichtverletzungen, S. 143 ff. m.w.N.; Windelen, Haftungsinteresse, S. 25. 20 So aber Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 36. 21 v. Schroeter, Jura 1997, 349; Westermann/Bydlinski/Weber, Schuldrecht AT, § 16

I. Kein vertraglicher Anspruch auf Hinterbliebenengeld

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kann letztlich aber nicht so weit reichen, als dass in jeden Vertrag zugleich auch die Angehörigen und sonstigen nahestehenden Personen einer Vertragspartei einzubeziehen wären. Insofern kann sich die Kritik an dieser Stelle nur auf jene Fälle beziehen, in denen der Hinterbliebene selbst einen Vertrag geschlossen hat, oder auf Einzelfälle, in denen die Voraussetzungen für einen Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter doch einmal erfüllt sind. Zwar werden auch diese besonderen Konstellationen meistens durch das Deliktsrecht abgedeckt sein. Jedoch sind auch Fallkonstellationen denkbar, in denen ein Hinterbliebener mangels vertraglicher Ansprüche benachteiligt sein wird. So offenbart sich eine Haftungslücke beispielsweise in jenem Fall, in dem ein Arzt zur Erfüllung seiner Verbindlichkeiten aus dem Behandlungsvertrag einen Arzthelfer anweist, einen medizinischen Eingriff vorzunehmen oder ein Medikament zu verabreichen. Wird dieser Eingriff nicht lege artis durchgeführt oder das Medikament überdosiert und verstirbt der Patient infolgedessen, ist der Arzt nur in jenem Fall zur Zahlung eines Hinterbliebenengelds verpflichtet, in dem er sich nicht nach § 831 Abs. 1 S. 2 BGB exkulpieren kann, weil ihm ein Auswahloder Überwachungsverschulden vorzuwerfen ist. Andernfalls bleibt nur die Haftung des möglicherweise mittellosen Arzthelfers, weil eine Zurechnung seines Verschuldens gem. § 278 BGB für den Anspruch auf Hinterbliebenengeld nicht möglich ist.22 Ist der verantwortliche Angestellte finanziell außerstande, den Anspruch zu erfüllen, oder liegen die Voraussetzungen des Anspruchs gegen ihn gar nicht vor, kommt eine Haftung des Arztes bzw. seiner Haftpflichtversicherung daneben nicht in Betracht.23 Eine ähnliche Problematik stellt sich zudem dann, wenn die vom Schuldner eingeschaltete Person selbständiger Unternehmer ist und daher zwar Erfüllungsgehilfe i.S.d. § 278 BGB sein kann, mangels Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit aber nicht Verrichtungsgehilfe i.S.d. § 831 Abs. 1 S. 1 BGB.24 Zudem wird dem Hinterbliebenen auch die für ihn günstige Beweislastverteilung in § 280 Abs. 1 S. 2 BGB oder § 630h BGB im Falle einer rein deliktischen Haftung vorenthalten, was wiederum dazu führen kann, dass ein Anspruch vor

Rn. 16/3. Zur Abgrenzung von vertraglichem Drittschutz und Drittschadensliquidation vgl. etwa Strauch, JuS 1982, 823, 824. 22 Vgl. zur Relevanz dieser Haftungslücke auch Wagner, NJW 2017, 2641, 2643. 23 Ähnlich mögen auch die Fälle liegen, in denen sich der Träger eines Heims oder einer Tagesstätte exkulpieren kann und daher nicht für das Verschulden seines Personals haftet. Siehe hierzu die DAV-Stellungnahme durch die Ausschüsse Verkehrsrecht und Zivilrecht Nr. 3/2017 zum RefE, S. 9 f., die mit der Aufforderung an den Gesetzgeber verbunden ist, hier „nachzubessern“. Vgl. zu dieser Problematik ferner Frank, FamRZ 2017, 1640 f.; Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 35 f.; Jaeger, VersR 2017, 1041, 1051. 24 Katzenmeier, JZ 2017, 869, 874; Walter, MedR 2018, 213, 215 f.; vgl. zur Abgrenzung zwischen Erfüllungs- und Verrichtungsgehilfe Wagner, MüKo BGB, § 831 Rn. 14.

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A. Wertungswidersprüche des Hinterbliebenengelds

Gericht wertlos ist.25 Auch insofern hat der Gesetzgeber die Bedeutung der vertraglichen Haftung also falsch eingeschätzt.26 b) Gründe für eine Beschränkung des Hinterbliebenengelds auf das Deliktsrecht? Ein Argument, das für die Platzierung des Hinterbliebenengelds in § 844 BGB angeführt wird, beruht auf der Erwägung, dass nur schwerlich begründet werden könnte, warum ein Anspruch auf Unterhaltsersatz (§ 844 Abs. 2 BGB) nur bei deliktischer Schädigung entstehen soll, ein Anspruch auf Hinterbliebenengeld hingegen auch bei Vertragsverletzungen.27 Im Grunde, so wird angeführt, sei dies aber wiederum nicht das Problem des Hinterbliebenengelds, sondern viel eher einer Fehlplatzierung des Unterhaltsersatzes geschuldet, der seinerseits in den §§ 249 ff. BGB besser aufgehoben wäre.28 Denn die Platzierung der §§ 842 ff. BGB sei insgesamt nicht das Resultat einer systematisch begründeten Entscheidung als vielmehr die Konsequenz daraus, dass der historische Gesetzgeber mehr oder weniger unreflektiert Personenverletzungen grundsätzlich der außervertraglichen Haftung zugeordnet habe, weshalb es für ihn nahegelegen haben soll, die besonderen Folgen im unmittelbaren Zusammenhang mit dieser und somit im Deliktsrecht zu platzieren.29 Wie festgestellt, trifft diese Prämisse aber nicht in jedem Fall zu, so dass es letztlich an einem Anlass fehlen dürfte, die Ansprüche der Hinterbliebenen auf das Deliktsrecht zu beschränken. Ein weiterer Grund für die Platzierung des Hinterbliebenengelds in § 844 BGB dürfte zudem auf der Fehlannahme beruhen, dass man den hier geregelten Ansprüchen die paradoxe Besonderheit zuspricht, lediglich mittelbar betroffene Dritte zu schützen, die selbst keine Rechtsgutsverletzung erlitten haben. Insofern wird die Einordnung in § 844 BGB unter diesem systematischen Aspekt sogar für richtig befunden, da auch der Anspruch auf Hinterbliebenengeld keine Rechtsverletzung des Anspruchstellers voraussetze und Drittansprüche eben in § 844 BGB geregelt seien.30 Dass dies jedoch weder für die Ansprüche nach § 844 Abs. 2 BGB noch für das Hinterbliebenengeld zutreffend ist, wurde bereits dargestellt.31 Im Ergebnis kann daher auch der (zu Unrecht) angenommene Drittanspruchscharakter des Hinterbliebenengelds eine Beschränkung auf das Deliktsrecht nicht rechtfertigen.

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Vgl. Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 36; Schiemann, GesR 2018, 69, 73. So auch Ch. Huber, FS Schwintowski, S. 920, 929; Jaeger, VersR 2017, 1041, 1051. 27 So etwa Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 37 f.; ders., FS Schwintowski, S. 920, 928 f.; Wagner, NJW 2017, 2641, 2643. 28 Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 38; vgl. auch Wagner, MüKo BGB, § 843 Rn. 1; vgl. hierzu auch Katzenmeier, JZ 2017, 869, 873. 29 Eichelberger, BeckOGK BGB, 01.08.2020, § 842 Rn. 5; Wagner, MüKo BGB, § 843 Rn. 1. 30 Vgl. G. Müller, VersR 2017, 321, 322. 31 Siehe hierzu oben: Kap. 1, B.I.3.b)bb)(2)(b) sowie für das Hinterbliebenengeld: Kap. 1, B.II. 26

I. Kein vertraglicher Anspruch auf Hinterbliebenengeld

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3. Fazit und weiterführende Überlegungen Die absolute Beschränkung des Hinterbliebenengelds auf das Deliktsrecht erfolgt zu Unrecht, weil keine sachlichen Gründe für die Unterscheidung zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung gegeben sind. Da eine Analogie für vertragliche Ansprüche mit Blick auf die Gesetzesbegründung aber nicht in Betracht kommt,32 sollte der Gesetzgeber an dieser Stelle selbst nachbessern und eine entsprechende Regelung auch für das Vertragsrecht schaffen. Fraglich bleibt jedoch, in welcher Form eine Aufnahme des Hinterbliebenengelds in das Vertragsrecht erfolgen könnte. Die Ansicht, die sich für die Überführung der §§ 842 ff. BGB in das allgemeine Schadensrecht ausspricht, greift insoweit zu kurz, als sie nicht hinreichend berücksichtigt, dass es sich sowohl beim Anspruch auf Unterhaltsersatz nach § 844 Abs. 2 BGB als auch bei § 844 Abs. 3 BGB um eigene Anspruchsgrundlagen und echte Schadensersatzansprüche handelt, denen eine eigene Rechtsverletzung vorausgeht, es sich bei den §§ 249 ff. BGB hingegen lediglich um Rechtsfolgenregelungen handelt. Durch die Überführung dieser Vorschriften ins allgemeine Schadensrecht könnte daher zwar eine Anwendung im Rahmen vertraglicher Schuldverhältnisse sichergestellt werden; vorgelagert wäre jedoch klarzustellen, welche Rechtskreise der Hinterbliebenen durch die jeweilige Anspruchsnorm im Delikts- oder Vertragsrecht geschützt werden. Dass die „besondere Nähebeziehung“ zwischen Personen als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts die Anforderungen an ein „sonstiges Recht“ erfüllt und damit grundsätzlich auch eine Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB in Betracht kommt, wurde bereits aufgezeigt.33 Auch eine vertragliche Haftung nach §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB ist aber grundsätzlich möglich, da es sich beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht um ein „Recht“ i.S.d. § 241 Abs. 2 BGB handelt.34 Insofern wäre eine entsprechende Erweiterung der ersatzfähigen immateriellen Schäden in § 253 Abs. 2 BGB ausreichend.

32 Der Gesetzgeber hat sich bewusst gegen einen vertraglichen Schutzanspruch entschieden, weshalb keine planwidrige Regelungslücke vorliegt, vgl. BT-Drs. 18/11397, S. 9: „Den Anspruch auf Hinterbliebenengeld über die Deliktshaftung hinaus auf die Vertragshaftung auszudehnen, ist nicht erforderlich. […] Ein zusätzlicher vertraglicher Anspruch auf Hinterbliebenengeld hätte […] kaum eigenständige Bedeutung“. 33 Siehe hierzu bereits oben: Kap. 1, A.III.6.d). 34 Zur Überschneidung der geschützten Rechte und Rechtsgüter im Rahmen von § 823 Abs. 1 und § 241 Abs. 2 BGB vgl. Bachmann, MüKo BGB, § 241 Rn. 50; Schubert, Wiedergutmachung, S. 92. Zwar ist die Rechtsprechung zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht bisher auf das Deliktsrecht beschränkt geblieben, so dass der Anschein entstehen könnte, dass dieses Rechtsgut auch in Zukunft aus dem Schutzbereich der Vertragshaftung auszuklammern sei (vgl. hierzu Wagner, JZ 2004, 319, 329), dies kann mangels ersichtlicher Gründe für diese Unterscheidung aber nur gelten, solange der Gesetzgeber keine anderweitige Regelung trifft. Zudem zeigen die Regelungen des AGG, dass eine vertragliche Haftung wegen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung möglich ist (vgl. §§ 15 Abs. 2, 7 Abs. 1, 3 AGG).

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A. Wertungswidersprüche des Hinterbliebenengelds

Eine gänzliche Überführung des Hinterbliebenengelds in den allgemeinen Teil des Schuldrechts ist jedoch mit Blick auf die Gefährdungshaftungstatbestände, welche die „sonstigen Rechte“ bislang nicht schützen,35 abzulehnen. Denn in der Folge würde es an einer Schutznorm für das allgemeine Persönlichkeitsrecht in diesen Fällen fehlen. Insoweit müssten diese Tatbestände um das Rechtsgut des „sonstigen Rechts“ oder zumindest um das „allgemeine Persönlichkeitsrecht“ ergänzt werden.36 Praktikabler erscheint es daher, lediglich § 253 Abs. 2 BGB ergänzend zu modifizieren, die im Deliktsrecht und den einzelnen Gesetzen getroffenen Regelungen zum Hinterbliebenengeld daneben aber bestehen zu lassen.

II. Kein Anspruch auf Hinterbliebenengeld bei Überleben des Primärverletzten Seit der Einführung des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld sieht die Rechtsordnung den Ersatz des immateriellen Schadens von Hinterbliebenen für den Fall vor, dass die besonders nahestehende Person getötet wurde. Nicht vorgesehen ist hingegen ein geldwerter Anspruch für den Fall schwerster Verletzungen des Primärverletzten.37 Dies ist zunächst unter dem Aspekt besonders bemerkenswert, dass die seelische Belastung in solchen Fällen unter Umständen noch höher ausfallen kann als beim Tod der nahestehenden Person:38 Nach Erkenntnissen der Opferpsychologie erfolgt die Bewältigung eines Trauerfalls in mehreren Schritten und nach einiger Zeit kann durchaus die Aussicht auf eine gelungene Verarbeitung und einen eventuellen Neubeginn bestehen.39 Möglicherweise erfolgt eine 35 Vgl. etwa § 833 BGB oder § 7 StVG, die nach ihrem Wortlaut lediglich dem Schutz von Leben, Körper, Gesundheit und Eigentum dienen. 36 Nichts anderes ergibt sich für das familienrechtliche Unterhaltsrechtsverhältnis, welches außerhalb von § 844 Abs. 2 BGB bisher weniger Diskussionsgegenstand war. Mit der Überführung der Vorschriften zu den allgemeinen Schadensregelungen wäre daher zwar die Ungleichbehandlung vertraglicher und deliktischer Ansprüche aufgehoben, es entstünde aber an anderer Stelle die tiefergreifendere Erklärungsnot, die sich daraus ergibt, dass die jeweiligen Haftungstatbestände diese Rechtsposition bislang nicht benennen. Ein Verweis auf das Leben des Verstorbenen reicht, wie bereits untersucht, für eine dogmatisch zufriedenstellende Lösung gerade nicht aus. 37 BT-Drs. 18/11397, S. 9. Ausdrücklich gefordert wurde eine Entschädigung auch im Falle der schweren Verletzung nahestehender Personen etwa von der Opferhilfe Weißer Ring in der Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld vom 16.01.2017, abrufbar unter: https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2017/Downloads/01172017 Stellungnahme Wei sser Ring RefE Hinterbliebenengeld.pdf? blob=publicationFile&v=1 (Stand: 27.07. 2022). 38 Darüber, dass im Falle schwerster Verletzungen naher Angehöriger das seelische Leid sogar größer sein kann als im Todesfall, besteht Einigkeit, vgl. Ch. Huber, FS Schwintowski, S. 920, 930; Jaeger, VersR 2017, 1041, 1050; Katzenmeier, JZ 2017, 869, 874; Wagner, FS Stürner, S. 231, 244. 39 Vgl. hierzu Kadner Graziano, Hinterbliebenengeld, S. 212.

II. Kein Anspruch auf Hinterbliebenengeld bei Überleben des Primärverletzten 219

Wiederheirat, gefolgt von einem neuen, durchaus erfüllenden Lebensabschnitt.40 Überlebt die nahestehende Person hingegen mit Verbleib schwerster Verletzungen, bleibt die andere Person oft bis an ihr eigenes Lebensende mit dem Leid und der Pflege des geliebten Menschen konfrontiert.41 Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Hinterbliebene unter Umständen sogar mehr leidet als der Schwerstverletzte, welcher etwa aufgrund schwerster Hirnschäden die Tragik möglicherweise gar nicht mehr begreift. Hat man sich also grundsätzlich für die Einführung eines solchen Entschädigungsanspruchs Hinterbliebener entschieden, stellt sich zwangsläufig die Frage, ob nicht etwa auch den Eltern eines durch einen ärztlichen Behandlungsfehler tetraspastisch gewordenen Kindes oder der Ehefrau eines nach einem Verkehrsunfall im irreversiblen Koma befindlichen Ehemanns ein solcher Anspruch zustehen sollte.42 Abermals wird jedoch durch die Verortung des Anspruchs in § 844 BGB, welcher die Überschrift „Drittansprüche bei Tötung“ trägt, und die Wahl des Terminus „Hinterbliebenengeld“ klar, dass ein Anspruch lediglich im Falle des Todes der nahestehenden Person entstehen soll. Dies stößt erneut auf Kritik43: Dass den Angehörigen schwerstverletzter Personen ein Hinterbliebenengeld nicht gebühren soll, wird als „kleine Lösung“44 oder gar „kleinmütige Lösung“45 bezeichnet. Die getroffene Unterscheidung zwischen Tod und Verletzung wird als „bedauerliche rechtspolitische (Fehl-)Entscheidung des Gesetzgebers“46 kritisiert und zudem ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz in Erwägung gezogen47. Als Argument für die Beschränkung auf Tötungsfälle wird in der Gesetzesbegründung hingegen angeführt, dass es sonst zu unabsehbaren Abgrenzungsschwierigkeiten kommen würde und die Angehörigen ohnehin von dem Schmerzensgeld des Primärverletzten mitprofitierten.48 Insofern geht der Gesetzgeber also von einem fehlenden Schutzbedürfnis der Hinterbliebenen bei schwersten Verletzungen aus. Beide Argumente greifen nach dem hier favorisierten Ansatz jedoch nicht durch. Liegt eine eigene Rechtsverletzung des Angehörigen vor, kann es auf etwaige Schmerzensgeldansprüche des Primärverletzten nicht ankommen. Zu fragen ist vielmehr, ob eine Rechts- oder Rechtsgutsverletzung des Angehörigen gegeben ist und diese zu seelischem Schmerz führt. Davon kann nach dem hier gefundenen Ergebnis ausgegangen werden. Auch im Falle des Überlebens des 40 Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 66; ders., JuS 2018, 744; ähnlich auch Jaeger, VersR 2017, 1041, 1050. 41 Kadner Graziano, Hinterbliebenengeld, S. 212. 42 Siehe hierzu auch Pflüger, Schmerzensgeld, S. 163. 43 Vgl. etwa Frank, FamRZ 2017, 1640, 1641; Katzenmeier, JZ 2017, 869, 874; Walter, BeckOGK StVG, 01.09.2019, § 10 Rn. 21. 44 Jaeger, VersR 2017, 1041, 1049. 45 Ch. Huber, FS Schwintowski, S. 920, 930. 46 Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 60. 47 Ch. Huber, FS Schwintowski, S. 920, 932. 48 BT-Drs. 18/11397, S. 9.

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A. Wertungswidersprüche des Hinterbliebenengelds

Angehörigen kann dies zu einer Verletzung der Nähebeziehung und damit des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der nahestehenden Person führen. Das Verhalten des Schädigers greift unabhängig davon, ob die primärverletzte Person überlebt oder nicht, insbesondere auch, weil der Ausgang oftmals vom bloßen Zufall abhängen wird, in den fremden Rechtskreis des Angehörigen ein. Und auch an einem zumindest vergleichbaren immateriellen Schaden wird es in diesen Fällen nicht fehlen. Wird beispielsweise ein Ehepartner oder ein Kind durch einen Unfall zum Pflegefall, ist für die Beziehung oder gar die ganze Familie nichts mehr, wie es zuvor war. Die bisherige Lebensplanung und -gestaltung muss neu aufgestellt werden. Die Angehörigen sind in ihrer persönlichen Entfaltung beeinträchtigt und empfinden großen seelischen Kummer. Warum dies anders zu behandeln sein soll als bei einem Versterben der Person ist unter diesen Gesichtspunkten nicht nachvollziehbar. Zudem ist das Argument, der Angehörige profitiere von dem Schmerzensgeld des Erstverletzten mit, deshalb wenig stichhaltig, weil es sich bei dem Sekundärgeschädigten um einen völlig anderen Anspruchsinhaber handelt.49 Sowohl die Rechtsverletzung als auch der Schaden sind gänzlich verschieden, so dass den Angehörigen ein eigenes Schutzrecht zustehen müsste. Etwas anderes ergibt sich auch nicht mit Blick auf § 844 Abs. 2 BGB, welcher einen Ersatzanspruch des Hinterbliebenen für erloschene Unterhaltsforderungen gegen den Ersatzpflichtigen statuiert. Zwar wird der Anspruch auch hier nur im Falle des Todes des Primärgeschädigten gewährt. Die Situation ist jedoch insofern eine andere, als dass die Unterhaltsforderung im Falle der schweren Verletzung des Unterhaltspflichtigen nicht untergeht (vgl. § 1615 BGB) und daher auch gar kein Unterhaltsschaden entsteht. Überlebt der Angehörige und kann er aber aufgrund seiner Verletzungen seiner Erwerbstätigkeit nicht mehr nachkommen, kann er diesen Ausfall vom Ersatzpflichtigen erstattet bekommen, §§ 842, 843 BGB. Aus diesem Erwerbsschadensersatz kann der Verletzte seinen Unterhaltspflichten gegenüber seinen Angehörigen weiter nachkommen, so dass diese idealerweise gar keine finanziellen Einbußen erleiden.50 Kurz: Der Unterhaltsschaden entsteht nur im Falle des Todes, während die Verletzung des Persönlichkeitsrechts und das hieraus entstehende Leid auch im Falle der schweren Verletzung nahestehender Personen eintritt. Auch die befürchteten Abgrenzungsschwierigkeiten hätten sich anhand klar definierter Merkmale, z.B. der Schwere der Verletzung oder der Intensität und Dauer des Pflegeaufwands eingrenzen lassen. Insofern sei darauf hingewiesen, dass dem Haftungsrecht Abgrenzungsschwierigkeiten nicht fremd sind.51 Ein materialer Grund für die Unterscheidung zwischen getötetem und schwerverletztem Primärverletzten für den Anspruch der nahestehenden Person ergibt sich daraus nicht. Schließlich ist nicht zu verkennen, dass ein gewichtiger 49

Vgl. auch Schips, Schmerzensgeld, S. 149. Eichelberger, BeckOGK BGB, 01.08.2020, § 844 Rn. 3; Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 26. 51 Vgl. Ch. Huber, FS Schwintowski, S. 920, 930. 50

II. Kein Anspruch auf Hinterbliebenengeld bei Überleben des Primärverletzten 221

Grund für die Einführung des Hinterbliebenengelds darin lag, die Rechtsangleichung mit den anderen EU-Staaten voranzutreiben.52 In den meisten anderen EU-Staaten wird ein derartiger Anspruch jedoch auch bei schweren Verletzungen der Angehörigen eingeräumt.53 Weshalb das Ergebnis des Harmonisierungsvorhabens dann jedoch in einer solchen Kompromisslösung besteht, bleibt unverständlich. Zusammenfassend lässt sich damit festhalten, dass es durchaus konsequent gewesen wäre, wenn der Gesetzgeber die Regelung nicht lediglich auf Todesfälle begrenzt hätte.54 Eine analoge Anwendung muss jedoch auch an dieser Stelle mit Blick auf den eindeutigen Willen des Gesetzgebers ausscheiden.55

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Siehe hierzu oben: Einleitung, B.II.3. Vgl. die Länderberichte bei Frank, FamRZ 2017, 1640, 1641. 54 Im Ergebnis so auch Jaeger, VersR 2017, 1041, 1050; Katzenmeier, JZ 2017, 869, 874; vgl. auch Frank, FamRZ 2017, 1640, 1641 f.; Walter, MedR 2018, 213, 216. 55 Vgl. BT-Drs. 18/11397, S. 9: „Ein Hinterbliebenengeld soll nur bei einer fremdverursachten Tötung gewährt werden, nicht hingegen dann, wenn eine schwere Verletzung eines besonders nahestehenden Menschen der Grund für zugefügtes Leid ist“. 53

B. Fragen in der praktischen Anwendung I. Die Bedeutung der einzelnen Tatbestandsmerkmale Ungewissheit besteht zunächst hinsichtlich der Bedeutung der einzelnen Tatbestandsmerkmale. Schon im Gesetzgebungsverfahren wurde kritisiert, das Gesetz beinhalte zu viele unbestimmte Rechtsbegriffe, so dass mit praktischen Anwendungsschwierigkeiten zu rechnen sei.1

1. Der Hinterbliebene Der Gesetzgeber hat sich für den Begriff des Hinterbliebenen entschieden.2 Dieser ist im Schadensersatzrecht keine eindeutig bestimmte Rechtsfigur, sondern juristisch weitgehend undefiniert.3 Erwähnung findet er jedoch im Sozialrecht, z.B. in §§ 4 Abs. 2 S. 2, 5 S. 2 SGB I, in § 34 SGB VI und § 104 SGB VII. Mit der Wahl dieses Begriffs bringt der Gesetzgeber zwei Werteentscheidungen zum Ausdruck. Zum einen geht der Terminus des Hinterbliebenen über den des Angehörigen hinaus,4 wodurch deutlich wird, dass es mehr auf eine soziale Beziehung als auf ein tatsächliches oder rechtliches Angehörigenverhältnis ankommt.5 Zum anderen macht der Begriff deutlich, dass ein Anspruch nur im Falle des Todes der nahestehenden Personen bestehen soll. Hinterbliebener ist, wer den Tod einer Person zu beklagen hat.6 Erleidet die nahestehende Person 1 Vgl. nur die Zusammenfassung der DAV-Stellungnahme durch die Ausschüsse Verkehrsrecht und Zivilrecht Nr. 3/2017 zum RefE, S. 4 f., abrufbar unter: https://www.bundestag.de/r esource/blob/503282/468e54d013c51cdc34b4b2909a711096/dav maier-reimer-data.pdf, (Stand: 27.07.2022). 2 Im Vorfeld gab es verschiedene Überlegungen hierzu. Vgl. etwa Schubert, Karlsruher Forum 2016, S. 32, die den zuvor üblichen Terminus des Angehörigenschmerzensgelds durch eine „Angehörigenentschädigung“ ersetzen wollte. 3 Jahnke, Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke StVG, § 844 Rn. 117. 4 Bis zur Einführung des Hinterbliebenengelds wurden juristische Diskussionen unter dem Schlagwort „Angehörigenschmerzensgeld“ geführt. Der Begriff des Hinterbliebenengelds war bis zur Einführung des Gesetzes ungebräuchlich. 5 So auch Burmann/Jahnke, NZV 2017, 401, 404; Fechner, DRiZ 2017, 84, 85; G. Müller, VersR 2017, 321, 323; a.A. hingegen Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 34 f., welcher der Ansicht ist, dass trotz der Begriffswahl des Hinterbliebenen nur der „Angehörige“ gemeint sei. Dagegen spricht freilich, dass der Kreis der Anspruchsberechtigten durch die Regelung in § 844 Abs. 3 S. 2 BGB deutlich größer ist und eben nicht nur den Familienkreis erfasst. 6 Katzenmeier, JZ 2017, 869, 870; Steenbuck, r+s 2017, 449, 451.

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B. Fragen in der praktischen Anwendung

hingegen schwerste Verletzungen, scheidet ein Anspruch der Angehörigen schon deshalb aus, weil sie nicht Hinterbliebene sind.7 Ein darüber hinausgehender Regelungsgehalt ist der Begriffswahl nicht zu entnehmen.

2. Das besondere persönliche Näheverhältnis Während im Vorfeld gefordert wurde, die Anspruchsberechtigten gesetzlich festzulegen,8 hat es der Gesetzgeber vorgezogen, die Anspruchsberechtigung an ein „besonderes persönliches Näheverhältnis“ zu knüpfen. Auf diese Weise solle der Vielfalt denkbarer sozialer Beziehungen Rechnung getragen werden und die Entschädigung nicht bloß formal von einem – wie auch immer spezifizierten – Verwandtschaftsgrad abhängig sein.9 Hinsichtlich des Kriteriums des „besonderen persönlichen Näheverhältnisses“ besteht nunmehr in der Literatur jedoch große Sorge. Das Kriterium sei „eine diffuse Beschreibung“ und die Ausfüllung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs mit „schwer lösbaren Schwierigkeiten“ für die Regelungspraxis und die Gerichte verbunden.10 Mangels Klarheit darüber, wie ausgeprägt das Näheverhältnis sein müsse und wo genau die Grenze verlaufe, fürchtet man einen unüberschaubaren Anspruchstellerkreis, dem der Schuldner ausgesetzt sein wird.11 Zu Lasten des Schuldnerschutzes würde eine „unbestimmte Personenmenge ohne rechtliche Schranken“ begünstigt, was eine schnelle Konkretisierung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs durch die Gerichte unentbehrlich mache.12 Nach dem Ergebnis dieser Untersuchung handelt es sich bei dem „besonderen persönlichen Näheverhältnis“ jedoch nicht lediglich um ein Tatbestandsmerkmal, sondern um die Beschreibung des geschützten immateriellen Guts. Nur derjenige, der durch den Verlust des Getöteten eine Persönlichkeitsrechtsverletzung erleidet, soll anspruchsberechtigt sein. Dieser Rechtskreis bildet daher auch das Nadelöhr, welches passiert werden muss, um anspruchsberechtigt zu sein. Zutreffend erscheint es daher jedenfalls, eine intensive, tatsächlich gelebte soziale Beziehung im Zeitpunkt der Verletzungshandlung zu fordern.13 Diese Beziehung muss so intensiv gewesen sein, dass sie Bedeutung für die persönliche Entwicklung des Hinterbliebenen hatte. Gem. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB wird ein besonderes Näheverhältnis für Ehegatten, Lebenspartner, Eltern und Kinder des

7 So auch Burmann/Jahnke, NZV 2017, 401, 404; Ch. Huber, FS Schwintowski, S. 920, 930. Siehe hierzu auch bereits oben: Kap. 2, A.II. 8 Vgl. die DAV-Stellungnahme durch die Ausschüsse Verkehrsrecht und Zivilrecht Nr. 3/2017 zum RefE, S. 6; GDV-Stellungnahme zum RefE vom 16.01.2017, S. 6. 9 BT-Drs. 18/11615, S. 13. 10 Burmann/Jahnke, NZV 2017, 401, 404. 11 Vgl. Burmann/Jahnke, NZV 2017, 401, 404. 12 Burmann/Jahnke, NZV 2017, 401, 404. 13 So auch BT-Drs. 18/11397, S. 13; zustimmend etwa Balke, SVR 2018, 207, 209; Bredemeyer, ZEV 2017, 690, 691; Jaeger, VersR 2017, 1041, 1052; Katzenmeier, JZ 2017, 869, 875.

I. Die Bedeutung der einzelnen Tatbestandsmerkmale

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Getöteten vermutet.14 Zwischen diesen Personen besteht nur ausnahmsweise keine Nähebeziehung. Grundsätzlich kann aber jede Person anspruchsberechtigt sein – auch ein Geschwisterkind, Stiefkind oder ein enger Freund.15 Auf ein formales Verwandtschaftsverhältnis oder die Existenz einer häuslichen Gemeinschaft kommt es dabei per se nicht an.16 Damit jedoch von einem Einfluss auf die persönliche Entwicklung des Hinterbliebenen auszugehen ist, genügt es nicht bereits, dass sich die Beteiligten kennen, gegenseitig vertrauen und wertschätzen,17 vielmehr ist eine deutliche Steigerung zu rein freundschaftlichen Beziehungen in der Sozialsphäre erforderlich18. Die Beziehung sollte daher eine Intensität haben, wie sie in den in Satz 2 genannten Fällen typischerweise besteht,19 und einen emotionalen Tiefgang aufweisen20. Auch muss die Beziehung wechselseitig gewesen sein. Fühlte sich der Anspruchsteller lediglich einseitig zu der verstorbenen Person hingezogen, vermag auch ihn der Tod schwer zu treffen; gleichwohl fehlt es bereits nach dem allgemeinen Sprachverständnis an einer Beziehung. Der unglücklich Verliebte oder gar der Stalker des Verstorbenen wird daher kein besonderes Näheverhältnis zum Verstorbenen gehabt haben.21 Eine andere an dieser Stelle viel erörterte Problematik betrifft die Beweisfrage. In der Literatur finden sich Überlegungen dazu, anhand welcher Kriterien die Vermutung des besonderen Näheverhältnisses vom Schädiger widerlegt (§ 292 ZPO)22 und auf der anderen Seite die Intensität der Beziehung vom nicht privilegierten Anspruchsteller vor Gericht nachgewiesen werden kann. Dabei soll vor allem die Qualität der Beziehung eine Rolle spielen, die sich an Faktoren wie beispielsweise einem Getrennt- oder Zusammenleben festmachen lassen soll.23 14 Die Vermutung von Rechtspositionen ist der Privatrechtsordnung auch nicht fremd, vgl. nur § 1006 BGB. 15 So auch Wagner, NJW 2017, 2641, 2644. 16 So im Ergebnis auch Gontard, DAR 1990, 375, 378; Wagner, NJW 2017, 2461, 2463; vgl. zur Entbehrlichkeit eines formalen Familienbands nunmehr auch die Entscheidung des 6. Strafsenats des BGH im Rahmen eines Adhäsionsverfahrens, DAR 2020, 465, 466. 17 Vgl. LG Tübingen, Urteil v. 17.05.2019 – 3 O 108/18, Rn. 101 –, juris. 18 So im Ergebnis auch Becker, JA 2020, 96, 99; Bredemeyer, ZEV 2017, 690, 691; Nugel, zfs 2018, 72, 73; Wagner, NJW 2017, 2641, 2644, die diese Steigerung jedoch nicht am Persönlichkeitsrecht des Hinterbliebenen festmachen als vielmehr am Wortlaut, der ein „besonderes persönliches Näheverhältnis“ fordert. Vgl. aus der Rechtsprechung auch die Entscheidung des LG Limburg/Lahn, SVR 2020, 346; a.A. hingegen Lang/Bucka, DAR 2020, 445, 446, die zumindest im Grundsatz auch „sehr gute Freunde“ als anspruchsberechtigt ansehen. 19 So auch BT-Drs. 18/11397, S. 13; G. Müller, VersR 2017, 321; Nugel, zfs 2018, 72, 73; aus der Rechtsprechung so auch die Entscheidung des LG Limburg/Lahn, SVR 2020, 346, 347. 20 Ch. Huber, VersR 2020, 385, 387; Jahnke, Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke StVG, § 844 Rn. 122. 21 Jahnke, Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke StVG, § 844 Rn. 124. 22 Bei einer Non-Liquet-Situation ist ein Anspruch daher zu bejahen. Jedoch soll den Anspruchsteller eine sekundäre Darlegungslast treffen, weil lediglich dieser über das Verhältnis zum Verstorbenen Bescheid weiß, vgl. Ch. Huber, VersR 2020, 385, 387. 23 Balke, SVR 2018, 207, 210; Wagner, NJW 2017, 4641, 4645.

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B. Fragen in der praktischen Anwendung

So soll die Intensität einer vermuteten Nähebeziehung dadurch entkräftet werden, dass sich die Beteiligten jahrelang nicht sehen und daher völlig entfremden.24 Bei Ehegatten soll eine Entfremdung besonders deutlich zudem auch durch Trennung und das Vorliegen eines Scheidungsantrags werden.25 Für eine Entkräftung genügen soll prinzipiell aber auch, wenn das Familienband nur noch formellen Charakter aufweise.26 Eine Indizwirkung komme zudem auch dem Fehlen des Anspruchstellers in der Liste der Hinterbliebenen in der Traueranzeige zu.27 Für eine Versagung des Anspruchs nicht ausreichend sei hingegen die bloße Störung der familiären Harmonie, beispielsweise während der Pubertät der Kinder oder des Abnabelungsprozesses von Heranwachsenden, da es sich hierbei regelmäßig nur um vorübergehende Phänomene handle.28 Ähnliches gelte im Falle einer Beziehung zu einer Geliebten während einer aufrechterhaltenen Ehe.29 Indiz für ein besonderes persönliches Näheverhältnis soll wiederum die Häufigkeit der sozialen Kontakte über soziale Netzwerke wie WhatsApp und Facebook sein. Diese könnten durch das Vorlegen von Chatprotokollen einfach belegt werden und seien daher gut geeignet, die Intensität einer Beziehung nachzuweisen.30 Aber auch das Zusammenleben in häuslicher Gemeinschaft (i.S.d. § 86 Abs. 3 VVG),31 gemeinsame Möbel,32 gemeinsame Unternehmungen und Reisen oder die gegenseitige Berücksichtigung in einem Testament könne für ein besonderes Näheverhältnis sprechen33. Bei älteren Paaren, die beispielsweise aus wirtschaftlichen Gründen nicht mehr heiraten wollen, sollen hingegen umfassende Pflegedienstleistungen oder, im Falle getrennter Wohnungen, häufige wechselseitige Besuche eine entsprechende Indizwirkung entfalten.34 Nach einer Entscheidung des LG Tübingen können zudem auch gemeinsame Motorradtouren und regelmäßige Telefonate zwischen erwachsenen Geschwistern ausrei24

Vgl. Burmann/Jahnke, NZV 2017, 401, 405; Nugel, zfs 2018, 72, 73. Burmann/Jahnke, NZV 2017, 401, 405; Nugel, zfs 2018, 72, 73; Wagner, NJW 2017, 2641, 2644; so auch das LG Traunstein, NZV 2020, 457; auch die Gesetzesbegründung BTDrs. 18/11397, S. 14 verweist an dieser Stelle auf § 1933 BGB; Ch. Huber, VersR 2020, 385, 387 möchte entscheidend darauf abstellen, ob noch „ein Ringen um Harmonie in Betracht kommt“, was auch in einer Trennungsphase noch der Fall sein könne. 26 Burmann/Jahnke, NZV 2017, 401, 405. 27 Steenbuck, r+s 2017, 449, 454. 28 Ch. Huber, VersR 2020, 385, 387; in diese Richtung auch H. Lang/Bucka, DAR 2020, 445, 448. 29 Ch. Huber, VersR 2020, 385, 387. 30 Balke, SVR 2018, 207, 210; Wagner, NJW 2017, 2641, 4645; in diese Richtung auch Bredemeyer, ZEV 2017, 690, 691. 31 Nach der Ansicht von Ch. Huber, FS Schwintowski, S. 920, 936, ist eine Haushaltszugehörigkeit das stärkste Indiz für ein besonderes persönliches Näheverhältnis. In diese Richtung auch Schiemann, GesR 2018, 69, 71. 32 Ch. Huber, VersR 2020, 385, 387. 33 Bredemeyer, ZEV 2017, 690, 691. 34 Ch. Huber, VersR 2020, 385, 388. 25

I. Die Bedeutung der einzelnen Tatbestandsmerkmale

227

chend sein.35 Nach einer Entscheidung des LG München ist der Schluss auf das Vorhandensein einer besonderen Nähebeziehung zudem aus dem Umstand gerechtfertigt, dass die hinterbliebene Schwiegertochter der deutschen Sprache nicht mächtig ist und daher besonders auf die Kommunikation mit der verstorbenen Schwiegermutter in arabischer Sprache angewiesen war.36 Rückschlüsse können nach dieser Entscheidung zudem aus der besonderen Bedeutung der Familie in bestimmten Kulturkreisen gezogen werden.37 Letztlich sind dies jedoch alles bloße Indizien, die eine Einzelfallentscheidung über das Vorliegen einer tatsächlich gelebten, intensiven Gefühlsgemeinschaft unter Berücksichtigung aller vorgebrachten Umstände nicht entbehrlich machen.38

3. Das seelische Leid Das Hinterbliebenengeld wird als Ausgleich für das zugefügte seelische Leid gewährt,39 das als immaterieller Schaden kausal aus der Rechtsverletzung resultieren muss. Nach der Gesetzesbegründung kommt es auf das tatsächlich empfundene seelische Leid an, wobei eine besondere Nähebeziehung zum Getöteten indiziere, dass ein Hinterbliebener infolge des Verlusts der Person seelisches Leid empfinde.40 Diesbezüglich wird daher auch von einem Anscheinsbeweis41 oder zumindest von einer erheblichen Indizwirkung gesprochen, die der Schädiger widerlegen müsse.42 Insofern kommt es also nicht zwingend auf den Nachweis der Intensität der empfundenen Trauer an, weshalb § 844 Abs. 3 BGB auch als systemändernd eingestuft wird.43 Jedoch ist es gerade in Hinblick auf Persönlichkeitsverletzungen nicht neu, dass ein immaterieller Schaden vermutet wird. Der Rechtsordnung ist dies bereits aus § 15 Abs. 2 AGG bekannt.44 Ferner ist an dieser Stelle zu berücksichtigen, dass ein Mensch am Ende seines Lebens ohnehin sterben muss (conditio humana)45 und daher jede Nähebeziehung einmal endet, 35 LG Tübingen, Urteil v. 17.05.2019 – 3 O 108/18, Rn. 14, 105 ff. –, juris.; ob ein solcher Kontakt jedoch ausreicht, um von einem Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung auszugehen, ist durchaus zweifelhaft. Siehe zu der Entscheidung des LG Tübingen noch ausführlich unter: Kap. 2, B.II.5. 36 LG München II, SVR 2020, 274. 37 So die Entscheidung des LG München II, SVR 2020, 274 exemplarisch für den „nordafrikanischen Lebensraum“. 38 Vgl. Fechner, DRiZ 2017, 84, 85. 39 Siehe zu den Funktionen des Hinterbliebenengeld bereits oben: Kap. 1, C. 40 BT-Drs, 18/11397, S. 14. 41 So etwa Balke, SVR 2018, 207, 208; Nugel, zfs 2018, 72, 74; Steenbuck, r+s 2017, 449, 454. 42 Jaeger, VersR 2017, 1041. 43 So etwa Burmann/Jahnke, NZV 2017, 401, 410. 44 Vgl. BT-Drs. 16/1780, S. 38; Benecke, BeckOGK AGG, 01.09.2020, § 15 Rn. 50; Schlachter, Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 15 AGG Rn. 8. 45 So auch Wagner, NJW 2017, 2641, 2645.

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B. Fragen in der praktischen Anwendung

möglicherweise eben nur zu einem späteren Zeitpunkt.46 Da der Hinterbliebene wohl aber auch in diesem Fall trauern und seelisch leiden würde, ist in einem solchen Fall von einem Verfrühungsschaden auszugehen.47 Dieser ergibt sich daraus, dass der fremdverursachte, möglicherweise unvorhergesehene Tod für die Hinterbliebenen regelmäßig viel einschneidender und daher nicht mit einem natürlichen Tod vergleichbar ist. Auch in diesem Fall liegt folglich ein immaterieller Schaden vor.

II. Die Bemessung des Hinterbliebenengelds Als besonders kritischer Punkt wird in der Literatur die Bemessung der Entschädigung gesehen.48 Entgegen mancher Empfehlung, klare Vorgaben in das Gesetz aufzunehmen,49 hat der Gesetzgeber diese Aufgabe den Gerichten überlassen.50 Zwar hätte eine legislative Festlegung der Beträge administrative (Kosten-)Vorteile mit sich bringen können, auf der anderen Seite wäre dies jedoch mit offensichtlichen Nachteilen für eine Einzelfallgerechtigkeit einhergegangen.51 Damit die Entschädigung den Umständen des Einzelfalls aber gerecht wird, ist das Herausarbeiten geeigneter Kriterien für die Bemessung unerlässlich. Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil die Bewertung rein seelischer Vorgänge ohnehin problematisch ist.52 Bisher steht jedoch lediglich fest, dass das Hinterbliebenengeld zum Ausgleich des zugefügten seelischen Leids gewährleistet wird und eine Bewertung des verlorenen Lebens dabei keine Rolle spielen kann. Der Hinter-

46

Vgl. hierzu auch bereits oben: Kap. 1, B.I.4.a). In diese Richtung auch Ch. Huber, VersR 2020, 385, 391. Siehe zur Relevanz der Reserveursache generell Oetker, MüKo BGB, § 249 Rn. 209 ff. m.w.N. 48 Vgl. etwa Balke, SVR 2018, 207, 209: „Die mit dem Hinterbliebenengeld aufgeworfenen Bemessungsschwierigkeiten sind [daher] beträchtlich“; vgl. auch Janeczek, DAR 2019, 468, 472; Katzenmeier, JZ 2017, 869, 872; Wagner, NJW 2017, 2641, 2644. 49 Vgl. ADAC-Stellungnahme zum RefE vom 16.1.2017, S. 2 f.; DAV-Stellungnahme durch die Ausschüsse Verkehrsrecht und Zivilrecht Nr. 3/2017 zum RefE, S. 3 ff.; GDV-Stellungnahme zum RefE vom 16.01.2017, S. 7 – alle Stellungnahmen sind abrufbar unter: htt ps://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/DE/Hinterbliebenengeld.html (Stand: 27.07.2022); in diese Richtung auch noch Wagner, FS Stürner, S. 231, 250 f., der andernfalls die Gefahr sah, dass im Gerichtssaal „schmutzige Wäsche gewaschen“ wird. Anders hingegen die Stellungnahme des Deutschen Richterbundes, Nr. 47/17 vom Januar 2017, S. 3, welche die offene Formulierung ausdrücklich begrüßt und die Gerichte durchaus in der Lage sieht, die Entschädigungen im Einzelfall festzulegen. 50 In der Tat zeigt ein Blick auf die ersten veröffentlichten Urteile, dass die Spanne der bereits zugesprochenen Hinterbliebenengelder mit Beträgen zwischen 2.000 (LG Osnabrück, Urteil v. 09.01.2019 – 3 KLs/710 Js 55274/17 – 4/18 –, juris) und 15.000 Euro (LG Leipzig, Urteil v. 08.11.2019 – 05 O 758/19 –, juris) recht weit ist, siehe hierzu die Zusammenfassung von Wenker, jurisPR-VerkR 16/2020 Anm. 1, C. 51 Katzenmeier, JZ 2017, 869, 875; Wagner, NJW 2017, 2641, 2644. 52 Katzenmeier, JZ 2017, 869, 872. 47

II. Die Bemessung des Hinterbliebenengelds

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bliebene soll sich mit der Geldentschädigung Annehmlichkeiten verschaffen können, welche die Trauer zumindest teilweise kompensieren.53 Wie genau jedoch die Höhe des Hinterbliebenengelds zu bemessen ist und welche Kriterien hierbei eine Rolle spielen, ist noch nicht abschließend geklärt. Im Folgenden sollen daher verschiedene Ansätze dargestellt werden, die zur Ermittlung der Entschädigungshöhe im Einzelfall beitragen können. Dabei ist zunächst festzustellen, dass es sich beim Hinterbliebenengeld nicht um eine wiederkehrende Leistung handelt, wie es normalerweise bei Terminologien, die auf „–geld“ enden, üblich wäre.54 Zwar entsteht durch die Bezeichnung „Hinterbliebenengeld“ die Assoziation zu einer wiederkehrenden, pauschalen Transferleistung, wie etwa beim Wohn- oder Kindergeld.55 Da es sich jedoch um eine in der Höhe durch richterliches Ermessen festzusetzende individuelle Entschädigung handelt, ist von einer einmaligen Zahlung auszugehen. Insofern wäre wohl auch der von G. Müller vorgeschlagene Begriff der „Hinterbliebenenentschädigung“ treffend gewesen, zumal die Bezeichnung „Hinterbliebenengeld“ für den zugrundeliegenden Gegenstand als extrem nüchtern bis dürftig empfunden wird.56

1. Wortlaut des § 844 Abs. 3 BGB Nach dem Wortlaut von § 844 Abs. 3 BGB ist eine „angemessene Entschädigung“ zu gewährleisten. Diese Formulierung ist dem Schadensersatzrecht bereits aus § 15 Abs. 2 S. 1 AGG bekannt und bietet daher immerhin einige Anhaltspunkte. So kann dem Kriterium der „Angemessenheit“ zumindest eine Grenze nach oben (keine „amerikanischen Verhältnisse“57) sowie nach unten (keine rein symbolische Entschädigung) entnommen werden.58 Diese Auslegung deckt sich auch mit dem in dieser Arbeit gefundenen Ergebnis, nach welchem dem Hinterbliebenengeld primär eine Ausgleichsfunktion zukommt,59 und kann daher übertragen werden. Zudem impliziert der Wortlaut der „angemessenen Entschädigung“, dass es den Gerichten wie in den Fällen des § 253 Abs. 2 BGB, in denen eine „billige Entschädigung“ zu gewähren ist, möglich sein soll, alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, die dem Schadensfall sein besonderes Gepräge geben. Zwar handelt es sich bei „billig“ und „angemessen“ um unterschiedliche Begriffe, die

53

Siehe hierzu bereits oben: Kap. 1, C. III. G. Müller, VersR 2017, 321, 323. 55 G. Müller, VersR 2017, 321, 323. 56 G. Müller, VersR 2017, 321, 323; ähnlich auch Ch. Huber, FS Schwintowski, S. 920, 927. 57 Vgl. zu der im Vorfeld geäußerten Befürchtung, bei Einführung eines Hinterbliebenengelds drohten in Deutschland „amerikanische Verhältnisse“ Wagner, FS Stürner, S. 231, 240 f., der diese Sorge jedoch generell für unbegründet erachtete. 58 So Walker, NZV 2009, 5, 7 für § 15 Abs. 2 S. 1 AGG. 59 Siehe hierzu Kap. 1, C.II. 54

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B. Fragen in der praktischen Anwendung

auch unterschiedliche Rechtsfolgen implizieren könnten, jedoch ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber diese Begriffe entsprechend einem modernen Sprachgebrauch in Einklang mit der Rechtsprechung des BGH60 synonym verwendet.61 Insofern können die Kriterien zur Bemessung eines Schmerzensgelds, bei welchem der Ausgleichsgedanke im Vordergrund steht,62 auch für das Hinterbliebenengeld erste Anhaltspunkte geben.

2. Anhaltspunkte in der Gesetzesbegründung Für die genaue Bestimmung im Einzelfall ist nach der Gesetzesbegründung § 287 ZPO anzuwenden,63 wonach das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung die Schadenshöhe ermitteln kann. Konkrete Vorgaben zur Ermittlung dessen, was „angemessen“ ist, enthält die Gesetzesbegründung darüber hinaus nicht. Allerdings lassen sich der Begründung einige Hinweise zur Bestimmung der Entschädigungshöhe entnehmen. So heißt es etwa: „Die Höhe des Schmerzensgeldes bei Schockschäden und die insoweit von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze könnten eine gewisse Orientierung geben. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Anspruch auf Hinterbliebenengeld keine außergewöhnliche gesundheitliche Beeinträchtigung voraussetzt.“64

Zudem führt der Gesetzgeber in der Kostenabschätzung aus, dass er von einem Höchstbetrag von insgesamt 240.000.000 Euro bei 24.000 Haftungsfällen (= 6.000 Todesfälle mit durchschnittlich vier Hinterbliebenen) pro Jahr ausgehe.65 Auch hierbei orientiert er sich an der Schockschadenrechtsprechung, welche den Gesundheitsschaden im Durchschnitt mit 10.000 Euro bemessen würde.66 Da der Anspruch auf Hinterbliebenengeld aber gerade keinen Gesundheitsschaden voraussetzt, wird hieraus überwiegend geschlussfolgert, dass nach dem Willen des Gesetzgebers das Hinterbliebenengeld jedenfalls mit einem geringeren Betrag als üblicherweise ein Schmerzensgeld für einen Schockschaden zu bemessen sei.67 60 BGHZ 212, 48, 56 = NZV 2017, 179, 181: „Der unbestimmte Rechtsbegriff der ,billigen Entschädigung‘ meint sowohl nach dem Wortlaut als auch nach systematischer, historischer und teleologischer Auslegung eine angemessene Entschädigung [...]. Im allgemeinen Sprachgebrauch bezeichnen die Worte ,billig‘ oder ,Billigkeit‘ das Angemessene, Passende [...]“. 61 So auch Burmann/Jahnke, NZV 2017, 401, 409; Katzenmeier, JZ 2017, 869, 875; LG Tübingen, Urteil v. 17.05.2019 – 3 O 108/18, Rn. 81 –, juris; vgl. für § 15 Abs. 2 AGG und § 253 BGB auch BT-Drs. 16/1780, S. 38; Schlachter, Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 15 Rn. 10; a.A. Schiemann, GesR 2018, 69, 72, der dieser begrifflichen Unterscheidung zumindest entnehmen will, dass beim Hinterbliebenengeld die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers nicht in die Bemessung einfließen sollen. Siehe hierzu auch unter: Kap. 2, B.II.3.b). 62 Vgl. hierzu bereits oben: Kap. 1, C.I.2.a). 63 BT-Drs. 18/11397, S. 14. 64 BT-Drs. 18/11397, S. 14. 65 BT-Drs. 18/11397, S. 11. 66 BT-Drs. 18/11397, S. 11. 67 Vgl. Balke, SVR 2018, 207, 209 f.; Burmann/Jahnke, NZV 2017, 401, 411; Katzenmeier,

II. Die Bemessung des Hinterbliebenengelds

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3. Ansätze in der Literatur a) Höhenvorstellungen In der Literatur lässt sich in Anknüpfung an die Gesetzesbegründung die Tendenz ausmachen, das Hinterbliebenengeld müsse im Regelfall jedenfalls niedriger ausfallen als ein Schmerzensgeld für einen Schockschaden, so dass mit Beträgen unter 10.000 Euro zu rechnen sei.68 Quaisser geht sogar davon aus, dass zumindest im Regelfall ein Hinterbliebenengeld lediglich in Höhe von 2.500–3.000 Euro angezeigt sei.69 Nach anderer Ansicht wiederum sei ein Betrag von (mindestens) 10.000 Euro angebracht. So erachtet Ch. Huber eine Entschädigung in Höhe von 10.000– 20.000 Euro für angemessen, um zu gewährleisten, dass das Hinterbliebenengeld nicht geringer ausfalle als das Schmerzensgeld für einen Beinbruch, welcher folgenlos verheilt.70 Auch Wagner empfiehlt einen Betrag von 10.000 Euro als Untergrenze, zumindest für den nach § 844 Abs. 3 S. 2 BGB privilegierten Personenkreis, um sicherzustellen, dass die Beeinträchtigung immaterieller Güter wie der Seele und Psyche aufgewertet wird.71 Außerhalb der Privilegierung seien jedoch auch geringere Beträge zwischen 5.000 und 10.000 Euro als Durchschnitt denkbar. Die absolute Obergrenze sei mit Blick auf die Schockschadenrechtsprechung jedoch bei ca. 20.000 Euro anzusiedeln.72 Jaeger weist darauf hin, dass die Schockschadenrechtsprechung im Regelfall solche Größenordnungen gar nicht erreiche und ein Schmerzensgeld über 10.000 Euro eher die Ausnahme sei.73 Aus diesem Widerspruch zwischen den

JZ 2017, 869, 876; im Grundsatz so auch Nugel, zfs 2018, 72, 77; Schiemann, GesR 2018, 69, 72; aus der Rechtsprechung siehe LG Wiesbaden, SVR 2020, 142, 143; vgl. ferner auch die Entscheidung des LG Tübingen, Urteil v. 17.05.2019 – 3 O 108/18, Rn. 79 –, juris, in der das Gericht 10.000 Euro als „Richtschnur“ nimmt und dann sowohl eine höhere Entschädigung (12.000 Euro für die Ehefrau) als auch niedrigere Beträge (7.500 Euro für die Kinder und 5.000 Euro für den Bruder des Verstorbenen) zuspricht. Siehe hierzu auch sogleich ausführlich. 68 Burmann/Jahnke, NZV 2017, 401, 410, 411 mit Fn. 103; H. Lang/Bucka, DAR 2020, 445, 448; G. Müller, VersR 2017, 321, 325; Nugel, zfs, 2018, 72, 77. 69 Quaisser, DAR 2017, 688, 691. In diese Richtung geht etwa die im Rahmen eines Adhäsionsverfahrens ergangene Entscheidung des LG Osnabrück, Urteil v. 09.01.2019 – 3 KLs/710 Js 55274/17 – 4/18 –, juris, in der das Gericht ein Hinterbliebenengeld i.H.v. 2000 Euro (20 % eines Schockschaden-Schmerzensgelds) für die Trauer des Vaters um seinen ermordeten Sohn, zu dem er allerdings lediglich sporadisch Kontakt hatte, für angemessen erachtete (Rn. 139 ff.). 70 Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 54. 71 Wagner, NJW 2017, 2641, 2645. 72 Wagner, NJW 2017, 2641, 2645. 73 Jaeger, VersR 2017, 1041, 1055 f. mit einer Reihe an Beispielfällen, in denen die Gerichte den Hinterbliebenen ganz unterschiedliche Schmerzensgeldbeträge zugesprochen haben, und unter Hinweis auf Slizyk, Beck‘sche Schmerzensgeldtabelle 2017, S. 158; zustimmend Balke, SVR 2018, 207, 210.

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B. Fragen in der praktischen Anwendung

Erwägungen des Gesetzgebers zum Hinterbliebenengeld und der Schockschadenrechtsprechung schlussfolgert er, es sei gar nicht der Willen des Gesetzgebers, dass das Hinterbliebenengeld hinter dem Schmerzensgeld für Schockschäden zurückbleibe und dies auch nicht mit dem Sinn und Zweck des Gesetzes vereinbar sei, eine angemessene Entschädigung für das Leid zu gewähren.74 Vielmehr rechtfertige der Umstand, dass durch den Tod eines nahen Angehörigen auch unmittelbar in das Persönlichkeitsrecht des Hinterbliebenen eingegriffen wird, sogar wesentlich höhere Geldentschädigungen auf der Grundlage von Art. 1 und 2 GG.75 In der Tat erscheint es durchaus zweifelhaft, ob Beträge um die 10.000 Euro geeignet sind, das seelische Leid und die Trauer der Hinterbliebenen im Einzelfall zu lindern.76 So weist auch Katzenmeier zutreffend darauf hin, dass eine „Abfindung Hinterbliebener mit kleiner Münze“ jedenfalls keine Gerechtigkeitslücke schließe, sondern sogar das Gegenteil bewirken könne.77 Dieser Umstand ist wohl bei jeder Bemessung im Einzelfall im Auge zu behalten. b) Kriterien für die Bemessung Ähnlich vielfältig wie die Vorstellungen zur Anspruchshöhe sind auch die Meinungen hinsichtlich der Bemessungskriterien im Einzelfall. Erkennt man eine gewisse Messbarkeit des Trauerleids als immateriellen Schaden aber an, bedeutet dies auch eine Differenzierung bei der Bemessung der Entschädigungshöhe von Fall zu Fall, die anhand bestimmter Kriterien ermittelt werden muss.78 Ausgangspunkt ist dabei das tatsächlich empfundene seelische Leid, das es auszugleichen gilt.79 Dabei lassen sich zunächst Kriterien ausmachen, die auf die Intensität der 74

Jaeger, VersR 2017, 1041, 1056. Gestützt wird diese Argumentation auch durch die Rede des Abgeordneten Fechner (SPD) in der Sitzung des Deutschen Bundestages vom 09.03.32017, Plenarprotokoll 18/221, 222195 (C), in welcher dieser von einem Mindestbetrag in Höhe von 25.000 Euro ausgeht. Jansen, Karlsruher Forum 2016, S. 117 betrachtet sogar jede Geldzahlung als eine „groteske Zumutung“. 75 Jaeger, jM 2020, 12, 15. 76 G. Müller, VersR 2017, 321, 325. 77 Katzenmeier, JZ 2017, 869, 876; ähnlich auch Jansen, Karlsruher Forum 2016, S. 116 f., der verlauten lässt, dass er „nur schwer die Contenance bewahren könn[e]“, wenn man ihm im Todesfall seiner Tochter 10.000 Euro als Entschädigung anbieten würde. 78 Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 34; H. Lang/Bucka, DAR 2020, 445, 448; a.A. Burmann/Jahnke, NZV 2017, 401, 410, die eine Einzelfallentscheidung ablehnen: „[Das] Hinterbliebenengeld orientiert sich nicht am konkreten Leid, sondern eher am abstrakten Umstand der Hinterbliebeneneigenschaft“; so nun auch das LG Osnabrück, Urteil v. 09.01.2019 – 3 KLs/710 Js 55274/17 – 4/18, Rn. 139 (Adhäsionsverfahren) –, juris; kritisch ferner auch Diederichsen, DAR 2011, 122, 124, die es als „zynisch“ erachtet, „dass der immaterielle Schaden aus dem Verlust des Lebens sich verändert, je nachdem, ob der Getötete eine Familie hatte, alleinstehend, alt oder jung war“. Diesbezüglich ist jedoch anzumerken, dass es nach dem Ergebnis dieser Untersuchung nicht darum geht, den Verlust des Lebens aufzuwiegen, sondern darum, einen Ausgleich für die Persönlichkeitsrechtsverletzung der Hinterbliebenen zu schaffen. 79 Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 58; Nugel, zfs 2018, 72, 77; Steenbuck, r+s 2017, 449, 451; Walter, MedR 2018, 213, 216.

II. Die Bemessung des Hinterbliebenengelds

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Beziehung abstellen. So wird zur Bestimmung des individuellen Leids auf den Grad der Verbundenheit und Angewiesenheit aufeinander, die Abhängigkeit von der verstorbenen Person, die Bedeutung des Verstorbenen für den Hinterbliebenen und den Status als besondere oder einzige Vertrauensperson abgestellt.80 Aber auch besondere Umstände, wie das Miterlebenmüssen eines tragischen Todes, die subjektive Veranlagung bei der Trauerbewältigung,81 die wirtschaftlichen Auswirkungen für die Angehörigen und das Regulierungsverhalten des Zahlungspflichtigen, sofern es das seelische Leid vergrößert,82 werden als relevante Aspekte angeführt. Ch. Huber möchte zudem das Alter des Getöteten berücksichtigt wissen, da es lediglich um eine „bloße Vorwegnahme“ ginge, wenn der Tod der nahestehenden Person auch ohne das Verhalten des Schädigers wahrscheinlich gewesen wäre.83 Andersherum wiege der Verlust eines minderjährigen Kindes besonders schwer.84 Umstritten ist, ob der Grad des Verschuldens des Schädigers einen geeigneten Bemessungsfaktor darstellen kann. Grund für diese Überlegung ist der Umstand, dass beim Schmerzensgeld das Verschulden über die Genugtuungsfunktion regelmäßig in die Bemessung miteinfließt.85 Andere lehnen dies jedoch mit dem praxisbezogenen Argument ab, es dürfe bei den meist tragischen Fällen im Prozess nicht um ein Verschulden gestritten werden, nur um noch eine „Schippe mehr zu erhalten“.86 Lediglich im Extremfall, z.B. bei einem grausamen Mord, könne das besonders qualifizierte Verschulden auch über die Ausgleichsfunktion berücksichtigt werden, da in diesem Fall auch das seelische Trauerleid besonders groß sein dürfte.87 Auch an dieser Stelle kommt es daher nicht auf die Genugtuungsfunktion an.88 Uneinigkeit besteht ferner auch hinsichtlich der Frage, ob die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten für die Bemessung von Bedeutung sind. G. Müller89 führt an, dass es nicht nur von der inneren Einstellung, sondern auch von den

80

Balke, SVR 2018, 207, 209; Nugel, zfs 2018, 72, 77. So etwa Nugel, zfs 2018, 72, 77; Steenbuck, r+s 2017, 449, 452. 82 So Balke, SVR 2018, 207, 210. 83 Ch. Huber, VersR 2020, 385, 391; in diese Richtung wohl auch Wagner, NJW 2017, 2641, 2645 mit Hinweis darauf, „dass der Tod nahestehender Personen ein Teil der conditio humana ist, mit dem jeder Mensch früher oder später konfrontiert wird“. Siehe zum Verfrühungsschaden auch bereits oben: Kap. 2, B.I.3). 84 Wagner, NJW 2017, 2641, 2645: „So gibt es wohl für Eltern nichts Schlimmeres, als die eigenen Kinder begraben zu müssen; dieser Fall markiert die Obergrenze des Hinterbliebenengelds“. Vgl. auch Ch. Huber, VersR 2020, 385, 391. 85 So etwa Balke, SVR 2018, 207, 210; Pflüger, Schmerzensgeld, S. 234; wohl auch Behr, Schmerzensgeld und Hinterbliebenengeld, S. 259. 86 So Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 62. 87 Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 62; so auch die DAV-Stellungnahme durch die Ausschüsse Verkehrsrecht und Zivilrecht Nr. 3/2017 zum RefE, S. 5. 88 Siehe zur Frage einer Genugtuungsfunktion des Hinterbliebenengelds oben: Kap. 1, C. 89 Vgl. G. Müller, VersR 2017, 321, 325. 81

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B. Fragen in der praktischen Anwendung

wirtschaftlichen Verhältnissen des Hinterbliebenen abhängig sein dürfte, ob die Entschädigung geeignet sei, persönliches Leid zu lindern.90 Jaeger hingegen vertritt die Ansicht, dass keinesfalls auf die Vermögensverhältnisse des Hinterbliebenen abgestellt werden könne, da eine Entschädigung nicht alleine deshalb höher ausfallen dürfe, weil eine reiche Person bei einer üblich hohen Entschädigung keine Genugtuung empfinde.91 Entsprechendes gelte für den vermögenslosen Hinterbliebenen.92 Aber auch die Vermögensverhältnisse des Schädigers sollen im Regelfall keinen Anhaltspunkt bieten; dies gelte insbesondere für die Fälle der Gefährdungshaftung, in denen der Schädiger ohnehin meist versichert sei.93 Auch Schiemann94 spricht sich gegen die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse aus. Als Argument führt er an, allerdings ohne dies näher zu belegen, der Gesetzgeber habe bewusst nicht den Begriff der „billigen Entschädigung“, sondern den der „angemessenen Entschädigung“ gewählt, was andeuten würde, dass nicht alle Umstände des Einzelfalls, darunter die wirtschaftliche Lage der Betroffenen, zu berücksichtigen seien.95 In der Tat spricht aber zumindest ein Vergleich mit § 253 Abs. 2 BGB dafür, dass die Berücksichtigung der Vermögensverhältnisse als Bemessungskriterium nicht von vornherein ausgeschlossen ist. Zwar finden sich in der Gesetzesbegründung zum Hinterbliebenengeld keinerlei Anhaltspunkte hierfür; jedoch sind derartige Überlegungen im Zusammenhang mit der „billigen Entschädigung“ nach § 253 Abs. 2 BGB durchaus aktuell. Erst in der jüngeren Vergangenheit bestätigten die Vereinigten Großen Senate des BGH die Rechtsprechung des Großen Zivilsenats aus dem Jahr 195596 und erkannten an, dass bei der Schmerzensgeldbemessung die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten (zumindest) dann eine Rolle spielen können, wenn hierfür Veranlassung besteht.97 Zwar soll dies nur ausnahmsweise der Fall sein, wenn diese „dem Einzelfall ein besonderes 90 In diese Richtung auch Balke, SVR 2018, 207, 210, der zumindest die wirtschaftlichen Auswirkungen für die Hinterbliebenen für relevant erachtet. Vgl. auch die DAV-Stellungnahme durch die Ausschüsse Verkehrsrecht und Zivilrecht Nr. 3/2017 zum RefE, S. 4. 91 Jaeger, VersR 2017, 1041, 1054. 92 Jaeger, VersR 2017, 1041, 1054. 93 Jaeger, VersR 2017, 1041, 1054. 94 So Schiemann, GesR 2018, 69, 72; gegen eine Berücksichtigung ferner Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 61; Jaeger, VersR 2017, 1041, 1054; DAV-Stellungnahme durch die Ausschüsse Verkehrsrecht und Zivilrecht Nr. 3/2017 zum RefE, S. 4. 95 Dazu, dass die Begriffe „Billigkeit“ und „Angemessenheit“ synonym verwendet werden vgl. bereits oben: Kap. 2, B.II.1. 96 BGH, Beschluss v. 06.07.1955 – GSZ 1/55 = BGHZ 18, 149; vgl. hierzu die Kritik von Niemeyer, Genugtuung, S. 88 ff., unter Verweis darauf, dass dem Wörtchen „Billigkeit“ die Möglichkeit einer Überkompensation nicht zu entnehmen sei. 97 BGH, Vereinigte Große Senate, Beschluss v. 16.09.2016 – VGS 1/16 = BGHZ 212, 48 = NZV 2017, 179. Dem Beschluss war eine Anfrage des 2. Strafsenats vorausgegangen, welcher im Rahmen eines Adhäsionsverfahrens beabsichtigte, von dieser Rechtsprechung abzuweichen und die Vermögensverhältnisse der Beteiligten bei der Bemessung des Schmerzensgelds nach § 253 Abs. 2 BGB unberücksichtigt zu lassen.

II. Die Bemessung des Hinterbliebenengelds

235

Gepräge geben“,98 so dass im Normalfall die wirtschaftlichen Verhältnisse unberücksichtigt bleiben können. Geht man jedoch davon aus, dass die „billige“ und die „angemessene Entschädigung“ synonym verwendet werden,99 spricht dies dafür, dass auch beim Hinterbliebenengeld im Ausnahmefall die Vermögensverhältnisse einen Bemessungsfaktor darstellen können. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass dies nur im Rahmen eines angemessenen Ausgleichs erfolgen kann. Eine Überkompensation zu Genugtuungs- oder Strafzwecken ist hingegen grundsätzlich abzulehnen.100 Für den Normalfall ist jedoch davon auszugehen, dass die Vermögensverhältnisse nicht von Bedeutung sind. Denn das Ausmaß der seelischen Trauer entsteht unabhängig von der finanziellen Situation der Beteiligten. Darauf, ob ein gewisser Betrag im Einzelfall geeignet ist, durch die Verschaffung von Annehmlichkeiten tatsächlich subjektiv empfundene Wiedergutmachung zu bewirken, kann es hingegen nicht ankommen.101 Eine Totalkompensation im Sinne der Herstellung des Gefühlszustands ohne das schädigende Ereignis ist ohnehin nicht möglich. Letztlich besteht auch keine Einigkeit darüber, wie mit Entschädigungen für Personen umzugehen ist, die nicht in der Lage sind, den Verlust ihrer Angehörigen überhaupt wahrzunehmen und folglich im Todesfall auch keine Trauer empfinden. Nach der Gesetzesbegründung setzt der Anspruch voraus, dass der Hinterbliebene seelisches Leid infolge der Tötung empfunden hat.102 Inwieweit hieraus Konsequenzen für Personen abzuleiten sind, die nicht in der Lage sind, seelisches Leid zu erfahren, wird in der Literatur unterschiedlich bewertet. So wird einerseits angeführt, wer Leid nicht erfassen kann, könne auch kein Hinterbliebenengeld beanspruchen, was beispielsweise bei Säuglingen, stark dementen und geistig schwerbehinderten Personen der Fall sein soll.103 Ob ein Wahrnehmungsmangel tatsächlich dazu führen muss, dass ein Anspruch auf Hinterbliebenengeld gar nicht erst entsteht, erscheint jedoch mit Blick auf das Grundsatzurteil des BGH vom 13.10.1992 zumindest fragwürdig, in welchem das Gericht entgegen früherer Rechtsprechungspraxis104 erstmals ein Schmerzensgeld zusprach, obwohl die Schädigung zum „weitgehenden Verlust der Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit führte [da in der] dadurch bedingten Zerstörung der Persön98

BGHZ 212, 48 = NZV 2017, 179. Siehe hierzu bereits oben in Kap. 2, B. Fn. 60. 100 Siehe zu den einzelnen Funktionen: Kap. 1, C. 101 So auch Jaeger, VersR 2017, 1041, 1057; offen gelassen hat dies hingegen G. Müller, VersR 2017, 321, 325. 102 BT-Drs. 18/11397, S. 14; vgl. auch BR-Drs. 127/17, S. 13. 103 Behr, Schmerzensgeld und Hinterbliebenengeld, S. 244; Burmann/Jahnke, NZV 2017, 401, 411; vgl. auch Nugel, zfs 2018, 72, 74; Steenbuck, r+s 2017, 449, 451; Walter, BeckOGK StVG, 01.09.2019, § 10 Rn. 25; a.A. hingegen Eichelberger, BeckOGK BGB, 01.08.2020, § 844 Rn. 213, der ein „Spüren-können-müssen“ ablehnt. 104 Bis dahin sprach der BGH in solchen Fällen mangels Genugtuung lediglich eine symbolische Entschädigung zu, vgl. BGH, NJW 1976, 1147; BGH, NJW 1982, 2123, 2124. 99

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B. Fragen in der praktischen Anwendung

lichkeit ein immaterieller Schaden [liege], der durch eine Geldentschädigung auszugleichen“ sei.105 Heute sprechen die Gerichte in diesen Fällen sogar Höchstbeträge von bis zu 500.000 Euro zu.106 Zwar weichen diese Konstellationen insofern von jenen hier gegenständlichen Einzelfällen des Hinterbliebenengelds ab, weil bei letzteren die Verletzung nicht kausal für die Wahrnehmungsbeeinträchtigung war, sondern diese unabhängig von der Rechtsverletzung bereits gegeben war. Jedoch zeigt diese Rechtsprechung zumindest, dass es auf die tatsächliche Wahrnehmung der Entschädigung nicht unbedingt ankommen muss.107 Auch der Nasciturus soll nach seiner Geburt nach mancher Ansicht kein Hinterbliebenengeld erhalten, weil es an einer mit § 844 Abs. 2 S. 2 BGB vergleichbaren Ausnahmeregelung fehlt.108 Zudem beziehe sich das Hinterbliebenengeld auf den Einschnitt in bereits „erlebte Nähe“ und nicht darauf, dass eine bewusste Nähebeziehung nie entstehen konnte.109 Wagner hingegen will die Regelung des § 844 Abs. 2 S. 2 BGB übertragen und somit auch die Aktivlegitimierung des Nasciturus aufgrund des Kindschaftsverhältnisses begründen.110 Zudem sei die Nähebeziehung des Nasciturus zu seinem verstorbenen Elternteil psychologisch und sozial vorgegeben und könne daher unterstellt werden.111 Gerade mit Blick darauf, dass der Verlust eines Elternteils durchaus auch Auswirkungen auf die künftige Entwicklung eines Kindes hat und dieses aufgrund der fehlenden Vaterbeziehung vermutlich auch seelisch leiden wird, nur eben zu einem späteren Zeitpunkt, ist von einer Einbeziehung des Nasciturus auszugehen. 105 BGHZ 120, 1 = NJW 1993, 781; siehe hierzu auch Behr, Schmerzensgeld und Hinterbliebenengeld, S. 85; Stahmer, Nichtvermögensschäden bei Tötung, S. 307 ff. 106 Vgl. LG München, NJW-RR 2001, 1246; LG Münster, NJW 2010, 86; Behr, Schmerzensgeld und Hinterbliebenengeld, S. 85. 107 A.A. Behr, Schmerzensgeld und Hinterbliebenengeld, S. 245 mit Verweis darauf, dass es sich beim Hinterbliebenengeld um einen Drittschaden und nicht um ein Schmerzensgeld mit eigener Rechtsgutsverletzung handle, weshalb eine unterschiedliche Behandlung der Fallkonstellationen gerechtfertigt sei. Gerade mit Blick auf die eigene Rechtsverletzung, die nach dem Ergebnis dieser Untersuchung auch beim Hinterbliebenengeld gegeben ist, vermag diese Argumentation jedoch nicht zu überzeugen. 108 So etwa Bredemeyer, ZEV 2017, 690, 693; Burmann/Jahnke, NZV 2017, 401, 406; H. Lang/Bucka, DAR 2020, 445, 447; ablehnend auch Behr, Schmerzensgeld und Hinterbliebenengeld, S. 244. 109 So Schiemann, GesR 2018, 69, 71; zustimmend Behr, Schmerzensgeld und Hinterbliebenengeld, S. 244; ähnlich auch H. Lang/Bucka, DAR 2020, 445, 447. 110 Zudem verweist Wagner, NJW 2017, 2641, 2644 auf die Rechtsprechung des BGH (BGHZ 93, 351 = NJW 1985, 1390), nach welcher der Schädiger auch dem später mit einem Gesundheitsschaden zur Welt gekommenen Kind aus unerlaubter Handlung haftet, wenn die Verletzung der Leibesfrucht durch einen Angriff auf die Psyche der Schwangeren vermittelt wird (vgl. Leitsatz). 111 Wagner, NJW 2017, 2641, 2645; in diese Richtung auch Ch. Huber, FS Schwintowski, S. 920, 941, der zudem auch im umgekehrten Fall, in dem die Eltern ihren Fötus oder Embryo verlieren, einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld bejaht, sofern die Eltern das Kind nicht abtreiben oder zur Adoption freigeben wollten, da dies einer „Entfremdung“ gleichkomme. A.A. hingegen H. Lang/Bucka, DAR 2020, 445, 447, die einen Anspruch der Eltern zumindest bei Verlust des Nasciturus ablehnen.

II. Die Bemessung des Hinterbliebenengelds

237

4. Die Bemessung in anderen europäischen Ländern Ein Blick in die Rechtsordnungen und Rechtsprechung der Nachbarländer zeigt, dass auch dort regelmäßig keine einheitliche Grundlage zur Bemessung eines „Angehörigenschmerzensgelds“ gegeben ist. So ist zwar im Vereinigten Königreich der Betrag für alle Angehörigen zusammen gesetzlich auf 12.980 Pfund festgelegt.112 In anderen Ländern sind regelmäßig aber lediglich grobe Richtwerte tabellarisch bestimmt. So sieht beispielsweise in Italien die „Mailänder Tabelle“113 vergleichsweise hohe Beträge zwischen 165.960 und 331.920 Euro für Kinder und Ehegatten sowie zwischen 24.020 Euro und 144.130 Euro für Geschwister vor.114 In Frankreich wiederum existieren „unverbindliche Tabellen“,115 die ein Hinterbliebenengeld zwischen 20.000 und 30.000 Euro für Ehegatten und minderjährige Kinder im Todesfall eines Elternteils vorsehen.116 Für volljährige Kinder sind hingegen lediglich Beträge zwischen 11.000 und 20.000 Euro angedacht, wobei zusätzlich berücksichtigt werden soll, ob sie in häuslicher Gemeinschaft mit dem Elternteil lebten oder nicht.117 Geschwister sollen Entschädigungen zwischen 6.000 und 12.000 Euro erhalten, Großeltern zwischen 7.000 und 14.000 Euro.118 In Österreich werden in oberster Instanz Beträge zwischen 8.000 und 20.000 Euro Trauerschmerzensgeld für angemessen erachtet.119 Die höchste Entschädigung erhielten bisher Eltern bei Verlust eines Kindes (20.000 Euro120), während die Beträge für Kinder im Todesfall eines Elternteils mit 13.000121 und

112

Section 1A Abs. 2 u. 4 Fatal Accidents Act, zitiert nach Wagner, NJW 2017, 2641, 2645. Siehe zur Entstehung und Bedeutung der Mailänder Tabelle für die Bemessung von Nichtvermögensschäden in Italien ausführlich Behr, Schmerzensgeld und Hinterbliebenengeld, S. 142 ff. 114 LG Tübingen, Urteil v. 17.05.2019 – 3 O 108/18, Rn. 78 –, juris, m.w.N. 115 Re´fe´rentiel indicatif re´gional de l’indemnisation du pre´judice corporel, Cours d’appel d’Agen, Angers, Bordeaux, Grenoble, Limoges, Nıˆmes, Orle´ans, Pau, Poitiers, Toulouse, Versailles, Basse-Terre, 4. Aufl. Nov. 2011, zitiert nach Kadner Graziano, RIW 2015, 549, 560 Fn. 101; siehe auch Frank, FamRZ 2017, 1640, 1643 Fn. 41. 116 Kadner Graziano, RIW 2015, 549, 560. 117 Frank, FamRZ 2017, 1640, 1643; vgl. zu den verschiedenen Abstufungen in Frankreich auch Backu, DAR 2001, 587, 590. 118 Kadner Graziano, RIW 2015, 549, 560. 119 Siehe hierzu Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 168 f., Tabelle Rn. 85 m.w.N. Sofern man auch die Judikatur der Oberlandesgerichte berücksichtigt, schwanken die Beträge zwischen 5.000 Euro und 20.000 Euro, Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 170 f., Tabelle Rn. 68, 87, 88, 89 m.w.N. Zur Lage in Österreich siehe zudem auch Kadner Graziano, RIW 2015, 549, 560 mit weiteren Fallbeispielen aus Österreich. 120 Österr. OGH, Urteil v. 26.06.2008 – 2 Ob 55/08i (19-jähriges Kind); Österr. OGH, Urteil v. 12.07.2007 – 2 Ob 263/06z (sechsjähriges Kind); siehe hierzu auch Frank, FamRZ 2017, 1641, 1642. 121 Vgl. Österr. OGH, Beschluss v. 01.07.2004 – 2 Ob 141/04f (für den Verlust der Mutter eines erwachsenen Mannes). 113

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B. Fragen in der praktischen Anwendung

15.000122 Euro knapp dahinter lagen.123 Noch geringer fielen mit 8.000124 bis 15.000 Euro125 die bisherigen Zusprüche für Geschwister aus.126 In der Schweiz127 schwanken die Entschädigungssummen grundsätzlich zwischen 10.000 und 40.000 CHF, wobei unter Berücksichtigung von Besonderheiten im Einzelfall weitaus höhere Entschädigungen zugesprochen werden: So erhielten Ehegatten bereits Entschädigungen in Höhe von 50.000 CHF,128 und auch Kinder, denen „bei Verlust eines Elternteils [eine] Basis- oder Regelgenugtuung von etwa CHF 25.000“ gewährt werden soll,129 erhielten im Einzelfall schon 60.000 CHF.130 Geschwister, die in häuslicher Gemeinschaft mit dem Verstorbenen lebten, erhalten grundsätzlich eine Entschädigung, die jedoch 10.000 CHF nicht übersteigt.131 Bestand im Zeitpunkt des Unglücks hingegen keine häusliche Gemeinschaft zwischen den Geschwistern mehr, soll eine Entschädigung nur in extremen Ausnahmefällen möglich sein.132

5. Die Bemessung des LG Tübingen Die erste veröffentlichte, viel beachtete und gelobte133 Entscheidung zum Hinterbliebenengeld stammt vom Landgericht Tübingen.134 Insbesondere bei der Be-

122

Vgl. Österr. OGH, Beschluss v. 20.09.2012 – 2 Ob 161/12h (für den Verlust des Vaters). Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 171. 124 Vgl. Österr. OGH, Beschluss v. 09.09.2008 – 10 Ob 81/08x. 125 Österr. OGH, Urteil v. 26.06.2008 – 2 Ob 55/08i. 126 Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 172. 127 Siehe hierzu auch den ausführlichen Länderbericht von Kadner Graziano, Hinterbliebenengeld, S. 182 ff. 128 Vgl. BGer, Urteil v. 31.07.2001 = BGE 127 IV 215, 216 (für den Verlust eines Ehegatten bei einem Raubmord); BGer, Urteil v. 08.01.2003 –1A.109/2002 = BGE 129 II 145, 146 (Tötung der Ehefrau). 129 BGer, Urteil v. 12.11.2008 – 4A 423/2008, Rn. 2.6. 130 So Kadner Graziano, Hinterbliebenengeld, S. 204 m.w.N. 131 BGer, Urteil v. 13.05.2008 – 6B 199/2007, zitiert nach Kadner Graziano, Hinterbliebenengeld, S. 206 f. 132 Siehe Kadner Graziano, Hinterbliebenengeld, S. 207 m.w.N. 133 Vgl. etwa Ch. Huber, VersR 2020, 385, 390, der dem Erstgericht für diese Entscheidung „nur Hochachtung zollen und Beifall spenden“ möchte. Vgl. ferner auch Behr, Schmerzensgeld und Hinterbliebenengeld, S. 258; Janeczek, DAR 2019, 468, 472 ff.; H. Lang, jurisPRVerkR 5/2020 Anm. 2, C.; kritisch hingegen Staudinger, DAR 2019, 601 ff. 134 LG Tübingen, Urteil v. 17.05.2019 – 3 O 108/18, Rn. 81 –, juris. Der dieser Entscheidung vorausgegangene Unfall ereignete sich bereits am 30.07.2017 und damit nur wenige Tage nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld am 22.07.2017. Dass es jedoch rund 22 Monate dauerte, bis die erste Entscheidung zum Hinterbliebenengeld bekannt wurde, wird darauf zurückgeführt, dass Anwälte das Gesetz längere Zeit gar nicht kannten (vgl. hierzu Jaeger, jM 2020, 12, 13). So auch der Klägeranwalt in diesem Verfahren, der nicht einmal ein Hinterbliebenengeld beantragt hatte, sondern lediglich die „Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes an jeden Kläger“. Das LG Tübingen hat das klägerische Begehren jedoch zutreffend eingeordnet und Ansprüche aus § 844 123

II. Die Bemessung des Hinterbliebenengelds

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messung der Anspruchshöhe hat sich die Kammer in umfassender Weise mit allerlei Argumenten auseinandergesetzt und schließlich der Witwe des bei einem Motorradunfall verstorbenen 60-Jährigen ein Hinterbliebenengeld in Höhe von 12.000 Euro sowie den vier Kindern jeweils 7.500 Euro zugesprochen.135 Für den erwachsenen „Lieblingsbruder“ des Verstorbenen erachtete das Gericht zudem ein Hinterbliebenengeld in Höhe von 5.000 Euro für angemessen.136 Ausgehend von der Annahme einer Parallele zu § 253 BGB hat die Kammer bei der Bemessung der Entschädigung eine Wertungsmöglichkeit gesehen und daher „alle maßgeblichen Umstände des Einzelfalls“ berücksichtigt.137 Orientierung sollen nach Einschätzung des Gerichts auch die bisherigen Entscheidungen zum Schmerzensgeld geben können, die auf das Hinterbliebenengeld analog angewendet werden könnten.138 Ausgehend von einem Regelbetrag in Höhe von 10.000 Euro139 wertete das Gericht für die Ehefrau daher erhöhend, dass diese bereits mehr als dreißig Jahre mit dem Verstorbenen verheiratet gewesen war, gemeinsame Kinder hatte, der Verstorbene einen Großteil des Haushaltseinkommens erwirtschaftete, die Eheleute in einem Eigenheim lebten und insgesamt der Eindruck einer Ehe mit geregelter Aufgabenverteilung, Vertrauen und einer finanziellen Abhängigkeit gerechtfertigt sei.140

Abs. 3 BGB hergeleitet. Inzwischen hat sich in zweiter Instanz auch das OLG Stuttgart mit dieser Entscheidung befasst (OLG Stuttgart, Urteil v. 14.01.2020 – 10 u 225/19 – nicht veröffentlicht), jedoch ohne eine Aussage zum Hinterbliebenengeld zu treffen, da die Entscheidung des LG Tübingen insoweit von den Parteien nicht angegriffen wurde, vgl. hierzu H. Lang, jurisPR-VerkR 5/2020 Anm. 2, C. Andererseits führt man den Grund für die lange Wartezeit auf eine erste gerichtliche Entscheidung auch darauf zurück, „dass der Gesetzgeber die Praxis zur Höhe des Ersatzes im Regen hat stehen lassen“, so Ch. Huber, NZV 2020, 626, 630. 135 Damit hat das LG Tübingen die Erwartungen der Ehefrau und der Kinder sogar übertroffen, da diese lediglich eine Größenordnung von 5.000 Euro bzw. 2.500 Euro beantragt hatten. Dazu, dass dem Gericht bei der Festsetzung eines angemessenen Schmerzensgelds trotz der Regelung in § 308 Abs. 1 ZPO „nach oben keine Grenzen gezogen“ sind, sofern eine Größenordnung angegeben wurde, siehe BGHZ 132, 341 = NJW 1996, 2425; BGH, NJW 2002, 3769. Diese Rechtsprechung zum unbezifferten Schmerzensgeldantrag soll nunmehr auch auf das Hinterbliebenengeld Anwendung finden, vgl. Luckey, Hinterbliebenengeld, S. 84; Slizyk, Handbuch Schmerzensgeld, Rn. 397. 136 LG Tübingen, Urteil v. 17.05.2019 – 3 O 108/18, Rn. 98, 105 –, juris. 137 LG Tübingen, Urteil v. 17.05.2019 – 3 O 108/18, Rn. 81 –, juris; sich diesen Bemessungskriterien des LG Tübingen ausdrücklich anschließend LG München II, SVR 2020, 274, 275. 138 LG Tübingen, Urteil v. 17.05.2019 – 3 O 108/18, Rn. 81 –, juris 139 LG Tübingen, Urteil v. 17.05.2019 – 3 O 108/18, Rn. 79 –, juris. 140 LG Tübingen, Urteil v. 17.05.2019 – 3 O 108/18, Rn. 82 –, juris; unter Berufung auf diese Erwägungen des LG Tübingen entschied das LG Leipzig, Urteil v. 08.11.2019 – 05 O 758/19 –, juris, dass für die Trauer der Eltern um ihr einziges 15-jähriges spätes Wunschkind, welches bei einem schuldhaft verursachten Verkehrsunfall ums Leben gekommen war und welches ein wesentlicher Lebensinhalt und Bezugspunkt zu einem sozialen Umfeld war, ein Hinterbliebenengeld i.H.v. jeweils 15.000 Euro erforderlich und angemessen sei (Rn. 20, 21); kritisch hierzu H. Lang/Bucka, DAR 2020, 445, 449.

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B. Fragen in der praktischen Anwendung

Mindernd berücksichtigte das Gericht hingegen, dass die Ehefrau den Tod nicht miterleben musste, die Eheleute ihr gemeinsames Hobby – Motorradfahren – bereits seit der Geburt der Kinder aufgegeben hatten und die Ehefrau als gemeinsamen Urlaub „lediglich“ die Nordsee angab.141 Auf Seiten des beklagten Schädigers sah es das Gericht als maßgeblich an, dass ihm im bereits ergangenen Strafurteil grobe Fahrlässigkeit zur Last gelegt wurde, der Schädiger sich jedoch einsichtig gezeigt hatte und zuvor weder strafnoch verkehrsrechtlich in Erscheinung getreten war.142 Für den Schädiger positiv wirke sich zudem aus, dass sich dieser zur Tatzeit in der Ausbildung zum Metzger befunden habe und seine Biografie durch eine Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS) gekennzeichnet war. Zudem sei es ihm bereits zur Auflage gemacht worden, an die Ehefrau 2.000 Euro zu zahlen, um so in die Wiedergutmachung einzutreten. All diese Faktoren ergäben nach einer Gesamtabwägung letztlich eine stärkere Gewichtung zugunsten der Ehefrau und rechtfertigten ein Hinterbliebenengeld in Höhe von 12.000 Euro. Dieser Betrag sei noch von der Vorstellung des Gesetzgebers gedeckt, liege im internationalen Vergleich eher im unteren, aber vertretbaren Bereich und füge sich in die Rechtsprechung zum Schockschaden ein.143 Hinsichtlich der vier Kinder berücksichtigte das Gericht, dass diese jünger als die Ehefrau sind und daher weniger lange mit dem Verstorbenen zusammengelebt hatten.144 Zudem wirke es sich mindernd aus, dass die Kinder im Zeitpunkt des Unfalls alle über 20 Jahre alt waren und daher nicht mehr auf die Fürsorge des Vaters angewiesen waren. Unbeachtlich sei es hingegen, dass lediglich zwei der vier Kinder noch in häuslicher Gemeinschaft mit dem Verstorbenen gelebt hatten. Hinsichtlich des Bruders des Verunfallten berücksichtigte das Gericht, nachdem es das Vorliegen eines besonderen persönlichen Näheverhältnisses wegen wöchentlicher Telefonate und gemeinsamer Motorradtouren festgestellt hatte,145 dass der Lebensmittelpunkt des Bruders in räumlich größerer Entfernung lag, dieser jedoch den Unfalltod unmittelbar miterleben musste. Gleicht man diese Erwägungen mit den bereits erarbeiteten Grundlagen ab, ist Folgendes anzumerken: Da die Genugtuungsfunktion neben der Ausgleichsfunktion nur eine untergeordnete Rolle spielt, erscheint es fraglich, inwieweit alle möglichen Umstände des Einzelfalls uneingeschränkt zu berücksichtigen sind. Viel wichtiger ist es, die geschützte Rechtsposition und den aus der Verletzung resultierenden und auszugleichenden Schaden im Auge zu behalten. Insofern 141

LG Tübingen, Urteil v. 17.05.2019 – 3 O 108/18, Rn. 83 –, juris. LG Tübingen, Urteil v. 17.05.2019 – 3 O 108/18, Rn. 84 f. –, juris. 143 LG Tübingen, Urteil v. 17.05.2019 – 3 O 108/18, Rn. 86 –, juris. 144 LG Tübingen, Urteil v. 17.05.2019 – 3 O 108/18, Rn. 94 –, juris. 145 LG Tübingen, Urteil v. 17.05.2019 – 3 O 108/18, Rn. 105 –, juris; kritisch hierzu H. Lang/Bucka, DAR 2020, 445, 447. 142

II. Die Bemessung des Hinterbliebenengelds

241

leuchtet es ein, dass das Gericht hinsichtlich der Klägerin die dreißigjährige Ehe anspruchserhöhend berücksichtigt. Immerhin bildet dieser Umstand, genauso wie die gemeinsamen Kinder, die häusliche Gemeinschaft und das aus diesen Umständen geschlussfolgerte gegenseitige Vertrauen der Eheleute, einen Anhaltspunkt für die Intensität der ohnehin durch das Gesetz vermuteten besonderen Nähebeziehung. Tatsachen, welche die Intensität der Nähebeziehung und der Trauer entwerten könnten, wurden von klägerischer Seite, soweit aus dem Urteil ersichtlich, hingegen nicht vorgetragen. Soweit das Gericht jedoch die finanzielle Abhängigkeit, das Eigenheim, die Aufgabe des gemeinsamen Hobbys Motorradfahren vor 20 Jahren, die Urlaube an der Nordsee und die Tatsache, dass die Klägerin den Unfall nicht miterlebt hat, in die Bemessung einfließen lässt, handelt es sich um sachfremde Erwägungen:146 Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld schützt die besondere Verbundenheit zwischen Personen als Bestandteil ihrer persönlichen Entwicklung in emotionaler Hinsicht. Auf finanzielle Abhängigkeiten, Unterhaltspflichten, das Bestehen eines Eigenheims oder den Umfang der gemeinsamen Urlaube kann es dabei nicht ankommen. Dies folgt bereits daraus, dass eine zwischenmenschliche Beziehung nicht deshalb enger und für die persönliche Entfaltung wichtiger wird, weil mehr finanzielle Möglichkeiten vorhanden sind. Andernfalls führte dies dazu, dass Familien mit geringerem Einkommen weniger Hinterbliebenengeld bekämen, weil diese bloß zur Miete wohnen und sich möglicherweise gar keinen Urlaub leisten können.147 Auch die Aufgabe eines gemeinsamen, noch dazu sehr gefährlichen Hobbys in Anbetracht der Geburt der gemeinsamen Kinder sagt wenig bis gar nichts über die Intensität der Beziehung und das Ausmaß der erlebten Trauer aus.148 Anders als beim Schockschaden spielt es für das Hinterbliebenengeld zudem gerade keine Rolle, ob der Anspruchsteller den Unfall miterleben musste oder nicht. Auch hinsichtlich der Entschädigungsbemessung der Kinder können nicht alle Erwägungen des Gerichts überzeugen. Zwar erscheint es richtig, alle vier Kinder gleich zu behandeln, weil nicht ersichtlich wäre, warum manche Kinder eine engere Bindung zum Vater gehabt haben könnten; dass das Gericht die Entschädigung im Vergleich zur Mutter jedoch mit dem Argument herabsetzt, die Kinder seien jünger und hätten daher weniger lange mit dem verstorbenen Vater zusammengelebt, scheint weniger überzeugend.149 Weitergedacht würde dies dazu führen, dass das Hinterbliebenengeld umso höher ausfallen müsste, je

146

So hinsichtlich mancher dieser Kriterien auch Jaeger, jM 2020, 12, 14. In diese Richtung auch Ch. Huber, NZV 2020, 626, 631, der es mit Recht für fragwürdig hält, dass die „großbürgerliche Ehefrau, die allenfalls Haushaltshilfen und Kindermädchen beaufsichtigt und ansonsten mit dem Ehemann in der Weltgeschichte herumtingeln kann“, mehr trauern soll als die Ehefrau, die in wirtschaftlich überschaubaren Verhältnissen lebt und deshalb wenig Zeit hat, weil sie sich um die Kinder kümmert und möglicherweise noch einen Nebenjob wahrnehmen muss. 148 So auch Jaeger, jM 2020, 12, 14. 149 Jaeger, jM 2020, 12, 14. 147

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B. Fragen in der praktischen Anwendung

älter die Kinder im Todeszeitpunkt sind.150 Dass jedoch die 40-jährige Tochter ein höheres Hinterbliebenengeld erhalten soll als beispielsweise die 10-jährige Tochter, erscheint nicht sachgerecht. Hinsichtlich der Umstände, die das Gericht auf Seiten des Schädigers für relevant erachtet, ist hervorzuheben, dass der Anspruch auf Hinterbliebenengeld keine Strafe, sondern in erster Linie einen Ausgleich bezweckt.151 Sofern jedoch ein Verschulden gegeben ist, kann dieses über das hierdurch gesteigerte Leid berücksichtigt werden, weshalb es vertretbar ist, das grob fahrlässige Verhalten des Schädigers zu berücksichtigen. Dahingegen erinnern die Erwägungen des Gerichts doch sehr an eine Strafzumessung (§ 46 StGB), soweit es die durch ADHS geprägte Biographie, den vorhandenen Ausbildungsplatz und den Umstand besonders gewichtet, dass der Schädiger strafrechtlich bislang noch nicht in Erscheinung getreten war und sich zudem einsichtig gezeigt habe. Dies gilt insbesondere auch unter dem Blickwinkel, dass letztlich auch die Haftpflichtversicherung gesamtschuldnerisch für den Schaden aufkommen musste.152

III. Folgefragen 1. Konkurrenz des Hinterbliebenengelds zu anderen denkbaren Ansprüchen a) Das Verhältnis von Hinterbliebenengeld und Schockschaden In der Praxis und Wissenschaft stellt man sich die Frage, ob der Anspruch auf Hinterbliebenengeld auch dann zu gewähren ist, wenn beim Anspruchsteller zugleich die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Ersatz wegen eines Schockschadens vorliegen. Dies liegt daran, dass das Verhältnis der beiden Ansprüche zueinander insbesondere unter dogmatischen Gesichtspunkten noch nicht geklärt ist.153 Zwar besteht allgemeiner Konsens darüber, dass die Schockschadensrechtsprechung des BGH durch die Einführung des Hinterbliebenengelds nicht geändert werden sollte und der Anspruch auf Hinterbliebenengeld einen Anspruch auf Schockschadensersatz folglich nicht ersetzen, sondern allenfalls ergänzen kann.154 Wie sich die beiden Ansprüche jedoch auf Konkurrenzebene zueinander verhalten, ist unklar. 150

Ch. Huber, VersR 2020, 385, 392. Siehe hierzu bereits oben: Kap. 1, C. 152 LG Tübingen, Urteil v. 17.05.2019 – 3 O 108/18, Rn. 55 –, juris; vgl. allgemein auch Wagner, NJW 2017, 2461, 2462. 153 Unbehagen über diese Aufgabe, die der Praxis und Wissenschaft überlassen ist, äußert auch Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 29. 154 BT-Drs. 18/11397, S. 12; vgl. Burmann/Jahnke, NZV 2017, 401, 407; Nugel, zfs 2018, 72, 74; Steenbuck, r+s 2017, 449, 452; LG Tübingen, Urteil v. 17.05.2019 – 3 O 108/18, Rn. 61 –, juris 151

III. Folgefragen

243

Der Gesetzgeber stellt in der Gesetzesbegründung ausdrücklich fest, dass das Hinterbliebenengeld bei Vorliegen eines Schockschadens in dem Anspruch auf Ersatz des Schockschadens aufgehen soll,155 obwohl sich dies nicht aus dem Gesetz ergibt. Aber auch in Rechtsprechung156 und Teilen der Literatur157 befindet man es für richtig, dass ein Hinterbliebener nicht mehrere Entschädigungen für sein Leid erhalten soll. Die Haltung des Gesetzgebers verwundert jedoch, weil dieser selbst davon ausgeht, dass dem Anspruch auf Ersatz des Schockschadens eine Gesundheitsverletzung zugrunde liegt, während dies beim Anspruch auf Hinterbliebenengeld gerade nicht der Fall sein soll.158 Insofern wirft Jaeger hieran anknüpfend die Frage auf, ob nicht beide Ansprüche nebeneinander bestehen müssten, weil im Falle des Schockschadens eine Gesundheitsrechtsverletzung und damit eine andere Schutzfunktion gegeben sei.159 Das Hinterbliebenengeld sei gerade kein Schmerzensgeldanspruch, der einen Gesundheitsschaden ausgleichen soll, und mit einem Schockschaden daher nicht einmal vergleichbar.160 Aber auch andere Stimmen in der Literatur gelangen wegen der Verschiedenheit der Schadenspositionen zu dem Ergebnis, dass Schockschadensersatz und Hinterbliebenengeld parallel nebeneinander bestehen müssten.161 Geht man nun sogar davon aus, dass in beiden Fällen eine Verletzung (unterschiedlicher!) Rechtskreise gegeben ist, leuchtet es unter keinen Umständen ein, warum der eine Anspruch den anderen konsumieren sollte. Die Verschmelzung der Ansprüche wäre aufgrund der Verschiedenheit ihrer Substanzrechte, deren Schutz zu gewährleisten sie bestimmt sind, kaum vertretbar. Im Ergebnis müssten die unterschiedlichen Substanzrechte dafürsprechen, Schockschadensersatz und Hinterbliebenengeld nebeneinander zu gewähren.

155

BT-Drs, 18/111397, S. 12. Vgl. die Entscheidung des LG Tübingen, Urteil v. 17.05.2019 – 3 O 108/18, Rn. 59 –, juris, in welcher sich das Gericht ohne jede Kritik der Gesetzesbegründung anschließt. 157 So etwa O. Becker, JA 2020, 96, 102; H. Lang/Bucka, DAR 2020, 445, 450; Nugel, zfs 2018, 72, 74; Slizyk, Handbuch Schmerzensgeld, Rn. 341; Steenbuck r+s 2017, 449, 452; Wagner, NJW 2017, 2641, 2645. 158 BT-Drs, 18/111397, S. 1 und 12; so auch Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 33. 159 Jaeger, jM 2020, 12, 13 mit dem Hinweis, dass er die Gesetzesbegründung zu dem mit „heißer Nadel gestrickten Gesetz“ an so mancher Stelle für nicht durchdacht und daher unzutreffend halte; zustimmend Balke, SVR 2018, 207, 210; Luckey, Prütting/Wegen/Weinreich BGB, § 844 Rn. 24. 160 Jaeger, jM 2020, 12, 13; zustimmend Behr, Schmerzensgeld und Hinterbliebenengeld, S. 276; ähnlich auch bereits Pflüger, Schmerzensgeld, S. 319 ff. 161 So etwa Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 74, der die seelischen Schmerzen beim Schockschaden und die seelische Trauer für verschiedene Schadensposten hält und sich daher für ein Nebeneinander der beiden Ansprüche ausspricht; ders., VersR 2020, 385, 392; in diese Richtung auch Staudinger, DAR 2019, 601, der jedenfalls wegen der unterschiedlichen Rechtsnatur der beiden Ansprüche eine Konsumtion des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld für falsch hält; ähnlich auch Kadner Graziano, Hinterbliebenengeld, S. 188; a.A. Steenbuck, r+s 2017, 449, 452, der in beiden Ansprüchen denselben Zweck, erlittenes Leid auszugleichen, sieht. 156

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B. Fragen in der praktischen Anwendung

Ein anderes Ergebnis ergibt sich jedoch dann, wenn man, wie bereits an anderer Stelle erörtert,162 die verletzte Rechtsposition auch in den Schockschadensfällen in der besonderen Nähebeziehung als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erkennt. Dienen beide Ansprüche ausschließlich dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und variiert lediglich das Ausmaß des Schadens in dem Sinne, dass der Hinterbliebene in dem einen Fall trauert und seelisch leidet, während diese Emotionen in einem anderen Fall pathologisch werden, so kann in letzterem Fall durchaus eine höhere Entschädigung angemessen sein. Die Konsumtion des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld durch den Schockschadensersatzanspruch wäre dann schlüssig. b) Konkurrenz zu einem eigenen Schmerzensgeldanspruch des Primärverletzten Sofern zwischen einer Körperverletzung und dem Todeseintritt ein gewisser Zeitraum liegt, ist es möglich, dass dem Verletzten vor seinem Tod wegen einer Körper- oder Gesundheitsverletzung selbst Schadensersatzansprüche entstehen (z.B. Ansprüche auf Ersatz der Heilbehandlungskosten [§§ 823 Abs. 1, 249 Abs. 2 S. 1 BGB],163 des entgangenen Gewinns [§ 252 BGB] oder wegen eines eigenen immateriellen Schadens [§ 253 Abs. 2 BGB]).164 Ist der Hinterbliebene i.S.d. § 844 Abs. 3 BGB gleichzeitig Erbe des Verstorbenen, gehen diese Ansprüche im Wege der Erbfolge gem. § 1922 BGB auf ihn über.165 Da es sich beim Anspruch aus § 844 Abs. 3 BGB um einen selbständig, originär beim Hinterbliebenen entstehenden Anspruch handelt, tritt dieser mit dem Erbfall neben etwaige eigene Ansprüche des Primärverletzten, welche bereits vor dessen Tod entstanden sind.166 Eine Verdrängung auf Konkurrenzebene findet dabei nicht statt, so dass die Ansprüche nebeneinander bestehen können. Neben ihrem eigenen Trauerschaden können Hinterbliebene daher den Eigenschaden des Verstorbenen aus übergegangenem Recht gem. §§ 823 ff. i.V.m. § 1922 BGB geltend machen.167

162

Siehe hierzu oben: Kap. 1, B.I.2.a). Nach gefestigter Rechtsprechung zählen hierzu auch die Besuchskosten naher Angehöriger, vgl. Schiemann, Staudinger BGB, § 249 Rn. 239 m.w.N; Röthel, Staudinger BGB, § 844 Rn. 13. 164 BGHZ 138, 388 = NJW 1998, 2741; anders hingegen die Entscheidung des OLG Düsseldorf, Urt. v. 12.10.2011 – 18 U 216/10 –, juris: 10.000 Euro für eine zehnsekündige psychische Leidensphase während eines Fallschirmabsturzes. Vgl. zur Frage einer Entschädigung ohne Schmerzen bei nur kurzzeitigem Überleben des Verletzten im Koma Ch. Huber, NZV 1998, 345 ff.; zur Frage nach dem erforderlichen Zeitraum des Überlebens siehe Behr, Schmerzensgeld und Hinterbliebenengeld, S. 180 ff. m.w.N. 165 Dies gilt seit dem Wegfall des § 847 Abs. 1 S. 2 BGB a.F. zum 01.07.1990 nunmehr auch für Schmerzensgeldansprüche, vgl. Röthel, Staudinger BGB, § 844 Rn. 13. 166 Steenbuck, r+s 2017, 449, 452; vgl. insoweit für die § 844 Abs. 1 und 2, 845 BGB auch Röthel, Staudinger BGB, § 844 Rn. 3. 167 Balke, SVR 2018, 207, 211; Steenbuck, r+s 2017, 449, 252; so nun auch die Entscheidung des LG Leipzig, Urteil v. 08.11.2019 – 05 O 758/19 –, juris, in welcher das Gericht den Eltern für das Leid aufgrund des Todes ihrer Tochter ein Hinterbliebenengeld i.H.v. jeweils 163

III. Folgefragen

245

c) Das Verhältnis von § 844 Abs. 3 zu § 823 Abs. 1 BGB Da das besondere Näheverhältnis als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ein absolutes Recht und damit auch ein „sonstiges Recht“ i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB darstellt,168 wird es nunmehr auch über § 823 Abs. 1 BGB geschützt. Der Ersatzfähigkeit des Trauerschadens steht § 253 Abs. 1 BGB nicht entgegen, da sich die Ersatzfähigkeit jedenfalls aus § 844 Abs. 3 BGB ergibt.169 Hinsichtlich des immateriellen Schadens ergeben sich daher keine Abweichungen, so dass dieser Anspruch neben § 844 Abs. 3 BGB bestehen kann. Jedoch muss in der Konsequenz über § 823 Abs. 1 BGB auch der materielle Schaden des Hinterbliebenen ersetzt werden, der sich beispielsweise daraus ergeben kann, dass der Hinterbliebene aufgrund des Verlusts der Bezugsperson seinem Beruf nicht nachgehen kann, wodurch er einen Verdienstausfall erleidet (§§ 249 Abs. 1, 252 BGB).170 Denn § 253 Abs. 1 BGB beschränkt den Geldersatz lediglich für Nichtvermögensschäden. Sofern aufgrund einer Rechtsverletzung jedoch ein kausaler Vermögensschaden eingetreten ist, ist dieser nach den allgemeinen Vorschriften zu ersetzen.

2. Das Verhalten des Erstverletzten und seine Auswirkungen auf das Hinterbliebenengeld Da für den Anspruch auf Hinterbliebenengeld de lege lata die Verletzung der Nähebeziehung durch die Tötung der nahestehenden Person erforderlich ist, stellt sich die Frage, in welcher Form das Verhalten des Primärverletzten von Bedeutung für das Hinterbliebenengeld ist.

15.000 Euro zusprach sowie einen geerbten Schmerzensgeldanspruch i.H.v. 7.500 Euro aufgrund des zweistündigen Todeskampfs der Tochter nach einem Unfall mit einem LKW. Interessant an dieser Entscheidung ist zudem, dass das Gericht es in die Bemessung des Hinterbliebenengelds erhöhend miteinfließen ließ, dass die Eltern über die – wenn auch nur kurze – Leidensphase ihrer Tochter Bescheid wussten (Rn. 21). Im Einzelfall ist es daher möglich, dass ein Hinterbliebener, sofern die Voraussetzungen alle vorliegen, einen Schmerzensgeldanspruch wegen eines Schockschadens, einen geerbten Schmerzensgeldanspruch des Verstorbenen und ein Hinterbliebenengeld verlangen wird. 168 Siehe hierzu bereits oben: Kap. 1, A.IV. 169 Auf die Frage, ob sich die Ersatzfähigkeit des Trauerschadens unmittelbar aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG ableiten lässt, wie es sonst für das allgemeine Persönlichkeitsrecht üblich ist, kommt es daher nicht mehr an. Siehe hierzu auch bereits oben: Kap. 1, A.III.6.b)bb). 170 Vgl. zum Verdienstausfallschaden allgemein etwa BGH, NJW 2018, 864 (Verdienstausfallschaden eines selbständigen Zahnarztes); Flume, BeckOK BGB, § 252 Rn. 26.

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B. Fragen in der praktischen Anwendung

a) Die Anrechenbarkeit eines Mitverschuldens des Verstorbenen Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld leitet sich aus einem Sachverhalt ab, an welchem nicht der Anspruchsteller, sondern eine besonders nahestehende Person beteiligt war, weshalb sich die Frage nach der Zurechenbarkeit eines gegebenenfalls vorliegenden Mitverschuldens des Verstorbenen stellt. Für solche Dreipersonenkonstellationen erweitert § 846 BGB den Anwendungsbereich der allgemeinen Regelungen in § 254 BGB. Diese Erweiterung ist deshalb erforderlich, weil nach dem Wortlaut des § 254 BGB nur das Verhalten des „Beschädigten“, also des Anspruchstellers, zu berücksichtigen ist. Während die Schadensminderungspflicht nach § 254 Abs. 2 BGB zwar auch bei Dreipersonenkonstellationen zu sachgerechten Ergebnissen führt, würde § 254 Abs. 1 BGB in diesen Fällen leer laufen, weil der Hinterbliebene als „Beschädigter“ regelmäßig nicht an der Schadensentstehung beteiligt sein wird.171 Nach allgemeiner Ansicht bringt die Anrechnung des Mitverschuldens des Verstorbenen gem. § 846 BGB daher den allgemeinen Rechtsgedanken zum Ausdruck, wonach der Schädiger den Hinterbliebenen gegenüber nicht strenger haften soll als er es gegenüber dem Verstorbenen selbst tun würde, sofern dieser überlebt hätte.172 Insofern wird die Haftung des Schädigers gegenüber dem Hinterbliebenen „quasi akzessorisch an die hypothetische Haftung gegenüber dem Getöteten geknüpft“.173 Gem. § 846 BGB ist für die Ansprüche aus §§ 844, 845 BGB daher ein Mitverschulden des Verletzten nach § 254 BGB zu berücksichtigen.174 Diese Regelung greift nach dem Wortlaut und dem Willen des Gesetzgebers nunmehr auch für den erst später eingefügten § 844 Abs. 3 BGB.175 Auch in der Literatur besteht Einigkeit darüber, dass ein Mitverschulden des Verstorbenen über § 846 BGB zu berücksichtigen sei.176 Etwas anderes könnte sich lediglich mit Blick auf die Schockschadenrechtsprechung ergeben. Der BGH hat entschieden, dass ein Mitverschulden nicht über § 846 BGB (analog),177 sondern über eine entsprechende Anwendung des § 254 BGB zuzurechnen sei.178 Als Argument hierfür führt der BGH an, dass es sich bei einer durch Schock hervorgerufenen Gesundheitsbeeinträchtigung nicht um eine Art „mittelbare Schädigung eines Dritten“ handle, welche den in §§ 844, 845 BGB geregelten Anwendungsbereich ausdehne, sondern sich der Schock-

171

Wagner, MüKo BGB, § 846 Rn. 1. Röthel, Staudinger BGB, § 844 Rn. 5; Witschen, JZ 2018, 490, 491. 173 Witschen, JZ 2018, 490, 491. 174 Darüber hinaus soll § 846 BGB auch bei den Ansprüchen wegen Tötung gem. § 10 StVG Anwendung finden, auch wenn sich dies nicht unmittelbar aus dem Gesetz ergibt, vgl. Walter, BeckOGK StVG, 01.09.2020, § 9 Rn. 18. 175 BT-Drs. 18/11397, S. 12. 176 So etwa Burmann/Jahnke, NZV 2017, 401, 407; Steenbuck, r+s 2017, 449, 452; Wagner, NJW 2017, 2641, 2646; ders., MüKo BGB, § 844 Rn. 108. 177 So noch RGZ 157, 11; vgl. auch v. Hippel, NJW 1965, 1890, 1891 ff. 178 BGHZ 56, 163, 169 ff. = NJW 1971, 1883, 1885 f. 172

III. Folgefragen

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schaden ganz wesentlich dadurch unterscheide, dass „auch der geschädigte Dritte in einem der Rechtsgüter des § 823 Abs. 1 BGB betroffen und deshalb unmittelbar Geschädigter mit einem eigenen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB [sei]“179. Überträgt man diese Begründung auf das Hinterbliebenengeld, müsste hier ebenfalls eine entsprechende Anwendung des § 254 BGB in Frage kommen, weil auch beim Anspruch auf Hinterbliebenengeld eine Verletzung eines „sonstigen Rechts“ i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB gegeben ist.180 Angesichts dessen, dass § 846 BGB aber ausdrücklich auf § 844 BGB Bezug nimmt und daher eine passende Norm vorhanden ist, bleibt für eine entsprechende Anwendung von § 254 BGB kein Raum.181 Ein Mitverschulden des Getöteten ist daher gem. § 846 i.V.m. § 254 BGB anzurechnen. Dass sich ein Mitverschulden des Verstorbenen auch auf die Ansprüche der Hinterbliebenen auswirken muss, ergibt sich zudem auch unter einem anderen Blickwinkel: Nach dem Ergebnis dieser Untersuchung ist es eine Eigenart des Näheverhältnisses, dass die nahestehende Person diese Rechtsposition inhaltlich verändern kann.182 Eine Person kann ihre Beziehung lockern, gefährden oder gar ganz aufgeben. Insofern gilt es zu berücksichtigen, dass sich das Verhalten des Getöteten spiegelbildlich auch auf die nahestehenden Personen auswirkt. In dem Maß, in dem eine Person ihr Leben gefährdet und ihren Tod letztlich (mit) zu verantworten hat, gefährdet sie auch ihre Nähebeziehungen. Ein solches (schuldhaftes) Verhalten des Verstorbenen kann dem Schädiger aber unter keinen juristischen Gesichtspunkten zugerechnet werden. Vielmehr muss das schuldhafte Verhalten des Verstorbenen eine entsprechende Kürzung des Hinterbliebenengelds bereits deshalb nach sich ziehen, weil der Verstorbene mit seinem Verhalten selbst Einfluss auf die Nähebeziehung genommen hat. b) Vertragliche Haftungsausschlüsse Ferner stellt sich die Frage, inwieweit der Hinterbliebene einen vertraglichen Haftungsausschluss oder eine Haftungsbegrenzung zwischen der verstorbenen Person und dem Schädiger gegen sich gelten lassen muss.183 Für § 844 Abs. 1 und 2 BGB ist allgemein anerkannt, dass sich ein vor dem zum Tode führenden Ereignis erklärter Haftungsverzicht des Verletzten gegenüber dem Schädiger auch auf die

179 180

BGHZ 56, 163, 168 = NJW 1971, 1883, 1885. Siehe zum besonderen Näheverhältnis als „sonstiges Recht“ oben: Kap. 1, A.III.6.d),

IV. 181 Insofern unterscheidet sich das Hinterbliebenengeld von den Fällen des Schockschadensersatzes, bei welchem weder § 254 noch § 846 BGB dem Wortlaut nach einschlägig ist. 182 Siehe hierzu bereits oben: Kap. 1, A.III.6.d)bb). 183 In Betracht kommen lediglich Individualabreden. Ein Haftungsausschluss durch AGB ist wegen der Verletzung des Lebens gem. § 309 Nr. 7 lit. a) BGB unwirksam.

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B. Fragen in der praktischen Anwendung

Ansprüche der Angehörigen erstreckt.184 Dies soll nunmehr auch für § 844 Abs. 3 BGB gelten.185 Dogmatisch begründen lässt sich diese Annahme abermals damit, dass der Verstorbene mit seiner Haftungsverzichtserklärung selbst auf die Rechtsposition der Hinterbliebenen einwirkt und ihren Inhalt dahingehend verändert, dass im Falle seines Todes auch das Hinterbliebenengeld geschmälert wird. Soweit die Haftung für den Verantwortlichen daher ausgeschlossen oder begrenzt ist, unterliegt auch der Entschädigungsanspruch nach § 844 Abs. 3 BGB diesen Einschränkungen. c) Tötung auf Verlangen Letztlich stellt sich die Frage, wie es sich auf den Anspruch auf Hinterbliebenengeld auswirkt, wenn die Tötung auf Verlangen des Verstorbenen erfolgt. Röthel vertritt hierzu die Ansicht, dass wegen § 216 StGB in eine Tötung nicht eingewilligt werden könne und daher auch ein Anspruch aus § 844 BGB nicht hiervon berührt werde.186 Diese Ansicht greift jedoch zu kurz, da sie die Beziehung zwischen Verstorbenem und Hinterbliebenem nicht ausreichend berücksichtigt. Im Falle einer Tötung auf Verlangen gibt die Person in diesem Moment ihre bis dahin bestehenden Nähebeziehungen freiwillig auf. Mit dem Tötungsverlangen beendet sie ihre Beziehungen in tatsächlicher Weise, was zur Folge hat, dass die Nähebeziehung im Zeitpunkt der Tötung nicht mehr vorlag und daher auch die Voraussetzungen für den Anspruch auf Hinterbliebenengeld nicht gegeben sind.187 Darauf, ob die Tötung auf Verlangen rechtlich zulässig war, kann es dann nicht mehr ankommen. Im Ergebnis ist ein Anspruch auf Hinterbliebenengeld im Falle einer Tötung auf Verlangen daher abzulehnen.

184 Diederichsen, NJW 2013, 641; Wilhelmi, Erman BGB II, § 844 Rn. 2. Auch dies wird damit begründet, dass § 846 BGB den allgemeinen Rechtsgedanken enthalte, der Anspruch des Hinterbliebenen sei zum Anspruch des Getöteten akzessorisch, vgl. Eichelberger, BeckOGK BGB, 01.12.2020, § 844 Rn. 8 f.; Wagner, MüKo BGB, § 844 Rn. 7; BGH, VersR 1961, 846, 847. Dass es sich bei einem vertraglichen Haftungsausschluss somit im Grunde um einen Vertrag zu Lasten Dritter handelt, wird dabei nicht thematisiert. Zur Bedeutung gesetzlicher Haftungsausschlüsse für die Ansprüche der Hinterbliebenen siehe sogleich auch unter: Kap. 2, B.III.4.b). 185 Burmann/Jahnke, NZV 2017, 401, 408; Wagner, MüKo BGB, § 844 Rn. 7; zumindest für gesetzliche Haftungsbegrenzungen so auch der Gesetzgeber, vgl. BT-Drs. 18/11397, S. 13. Vgl. zu dieser Frage auch O. Becker, JA 2020, 96, 98, mit dem Beispiel eines Schädigers, welcher gewerbsmäßig Bergführungen anbietet, zuvor aber individualvertraglich den Ausschluss der Haftung wegen einfacher Fahrlässigkeit vereinbart. Deutet der Bergführer leicht fahrlässig den Wetterbericht falsch und verunglückt der Wanderer daraufhin, können die Hinterbliebenen wegen des Haftungsausschlusses kein Hinterbliebenengeld von dem Bergführer verlangen. 186 Röthel, Staudinger BGB, § 844 Rn. 8. 187 „Das besondere persönliche Näheverhältnis zwischen dem Getöteten und dem Hinterbliebenen muss […] zur Zeit der Verletzung bestanden haben“, BT-Drs. 18/11397, S. 13.

III. Folgefragen

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3. Die Übertragbarkeit der Forderung aus dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld Heute gilt der Grundsatz, dass immaterielle Schadensersatzansprüche genauso übertragen werden können wie materielle Schadensersatzansprüche.188 Nach der Rechtsprechung des BGH ergeben sich hinsichtlich der Entschädigungsansprüche wegen Persönlichkeitsverletzungen jedoch einige Abweichungen von diesem Grundsatz,189 die teilweise auch in Zusammenhang mit dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld fruchtbar gemacht werden. Im Folgenden soll die Frage der Vererb- und Abtretbarkeit dieser Forderung daher genauer betrachtet werden. a) Die Vererbbarkeit der Forderung Ob die Forderung aus dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld vererbt werden kann, ist umstritten. Einerseits wird in Einklang mit der Gesetzesbegründung angenommen,190 der Anspruch sei frei vererbbar.191 Von anderer Seite wird hingegen auf die gefestigte Rechtsprechung des BGH192 zur Nichtvererblichkeit eines monetären Anspruchs bei ideellen Persönlichkeitsrechtsverletzungen verwiesen und angeführt, die hier getroffenen Grundaussagen des BGH müssten für den Anspruch auf Hinterbliebenengeld ebenfalls gelten.193 Grund für diese Annahme ist, dass der BGH bei der Zuerkennung einer Geldentschädigung wegen einer ideellen Persönlichkeitsverletzung den Genugtuungsgedanken im Vordergrund sieht und dieser mit dem Tod des Betroffenen seine Bedeutung verliere.194 Da einem Verstorbenen keine Genugtuung für die Verlet188 Vgl. BGH, NJW 1995, 783; BGHZ 189, 65, 73 f. = NJW 2011, 2296, 2298. Etwas anderes galt wegen § 847 Abs. 1 S. 2 BGB a.F. noch vor dem 01.07.1990, welcher ausdrücklich die Nichtvererb- und Nichtabtretbarkeit von Schmerzensgeldforderungen vorsah, sofern sie nichtvertraglich anerkannt oder rechtshängig waren. Diese Regelung wurde jedoch ersatzlos gestrichen, weshalb seither nach allgemeiner Ansicht auch Ersatzansprüche wegen immaterieller Schäden i.S.d. § 253 Abs. 2 BGB vererbt und Forderungen abgetreten werden können (vgl. Röthel, Staudinger BGB, § 844 Rn. 13 m.w.N.). 189 Vgl. für die fehlende Abtretbarkeit BGH, NJW 1969, 1110; für die fehlende Vererbbarkeit BGHZ 201, 45 =, NJW 2014, 2871; BGHZ 215, 117 = NJW 2017, 3004. 190 BT-Drs. 18/11397, S. 12. 191 Jaeger, VersR 2017, 1041, 1054; Wagner, NJW 2017, 2641, 2646. 192 BGHZ 201, 45 = NJW 2014, 2871 m.w.N. zum Meinungsstand in der Literatur; vgl. aus jüngerer Zeit auch BGHZ 215, 117 = NJW 2017, 3004, wonach der BGH seine Auffassung auch auf im Todeszeitpunkt bereits rechtshängige Ansprüche erstreckt. 193 So etwa Burmann/Jahnke, NZV 2017, 401, 412 f.; zustimmend Balke, SVR 2018, 207, 211. 194 BGHZ 201, 45 f. = NJW 2014, 2871 f.; BGHZ 215, 117 = NJW 2017, 3004; so aus der Lehre auch Klass, Erman BGB I, Anhang zu § 12 Rn. 320; Damm/Rehbock, Widerruf, Unterlassung und Schadensersatz, S. 375 Rn. 1011 ff.; a.A. Cronemeyer, AfP 2012, 10, 11; Kutschera, AfP 2000, 147, 148, die der Meinung sind, dass eine unterschiedliche Behandlung zu den Schmerzensgeldforderungen, welche seit der Streichung des § 847 S. 2 BGB a.F. vererblich sind, gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoße. Kritisch ferner Beuthien, GRUR 2014, 957, 958; Hager, JA 2014, 627, 628 f.; Schack, JZ 2018, 44 ff.

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B. Fragen in der praktischen Anwendung

zung seiner Persönlichkeit mehr verschafft werden kann, sei eine Vererbung des Anspruchs ausgeschlossen.195 Insofern erweist sich eine Übertragung dieser Rechtsprechung aber nur als schlüssig, soweit dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld ebenso eine primäre Genugtuungsfunktion zugesprochen wird, die mit dem Eintritt des Erbfalls aufgrund ihres höchstpersönlichen Bezugs zum Betroffenen nicht mehr erreicht werden könnte.196 Dies ist nach dem Ergebnis dieser Untersuchung jedoch abzulehnen. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld hat eine primäre Ausgleichsfunktion, eine Genugtuung hat daneben nur untergeordnete Bedeutung.197 Bildet jedoch der Ausgleich den Hauptzweck des Anspruchs, sind keine Gründe ersichtlich, die gegen eine Vererbbarkeit des monetären Anspruchs auf Hinterbliebenengeld sprechen könnten.198 Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld ist daher vererbbar. b) Die Abtretbarkeit der Forderung aus dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld Ferner stellt sich die Frage, ob die Forderung aus dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld abgetreten werden kann. Grundsätzlich sind schadensersatzrechtliche Forderungen, die aus der Verletzung eines Substanzrechts entstanden sind, gem. § 398 BGB übertragbar.199 Nach der Rechtsprechung des BGH gilt jedoch auch dies nicht zwangsläufig für die Übertragung der Entschädigungsansprüche wegen Persönlichkeitsrechtsverletzungen.200 Ursprünglich folgerte der BGH die Nichtübertragbarkeit der Entschädigung noch aus einer entsprechenden Anwendung der § 847 Abs. 1 S. 2 BGB a.F. und 1300 Abs. 2 BGB a.F.,201 welche eine beschränkte Vererbbarkeit und fehlende Abtretbarkeit der Forderungen aus § 847 Abs. 1 S. 1 BGB a.F. bzw. § 1300 Abs. 1 BGB a.F. regelten. Da diese Normen später jedoch ersatzlos aus dem Gesetz gestrichen wurden, ließe sich durchaus annehmen, die Streichung wirke sich auch auf die Übertragbarkeit der Entschädigungsansprüche wegen Persönlichkeitsrechtsverletzungen aus.202 Allerdings stellte der BGH in seiner Entscheidung zur 195 BGHZ 201, 45, 51 f. = NJW 2014, 2871, 2872. Etwas anderes gilt nach der Auffassung des BGH lediglich für einen bereits vor dem Tod rechtskräftig zuerkannten Entschädigungsanspruch, weil in dieser Konstellation die Genugtuung beim Erblasser bereits eingetreten sei, BGHZ 215, 117,125 f. = NJW 2017, 3004, 3005 f. 196 So die Verfechter dieser Auffassung, vgl. Burmann/Jahnke, NZV 2017, 401, 412 f. „Es steht wie bei der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Genugtuungsgedanke im Vordergrund, sodass die Grundaussagen von BGH v. 23.5.2017 hier ebenfalls gelten“. 197 Siehe hierzu oben: Kap. 1, C.II. 198 So auch Leipold, MüKo BGB, § 1922 Rn. 76. 199 Anderes gilt für die rechtsverwirklichenden Schutzrechte (§§ 985, 1004 BGB [analog]), bei denen eine Abtretung nicht ohne zumindest teilweise Abspaltung der positiven Befugnisse möglich ist, vgl. Busche, Staudinger BGB, § 399 Rn. 29, 45; Hoffmann, Zession, S. 60; vgl. hierzu bereits oben: Kap. 1, A.I.1. 200 BGH, NJW 1969, 1110; BGHZ 201, 45, 48 f. = NJW 2014, 2871, 2872. 201 BGH, NJW 1969, 1110. 202 So etwa Cronemeyer, AfP 2012, 10, 11 und Kutschera, AfP 2000, 147, 148.

III. Folgefragen

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Unvererblichkeit der Entschädigung ausdrücklich klar, dass er nach wie vor auch an seiner Rechtsprechung zur Unabtretbarkeit festhalte, da die Ansprüche wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts von den übrigen immateriellen Schadensersatzansprüchen nach §§ 847 Abs. 1 S. 1, 1300 Abs. 1 BGB a.F. zu unterscheiden seien und die Streichung durch den Gesetzgeber daher keine unmittelbaren Auswirkungen auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht habe.203 Es stellt sich daher die Frage, woraus sich der Ausschluss der Abtretbarkeit nunmehr ergeben könnte. Grund für den Ausschluss von Vererblichkeit und Abtretbarkeit nach § 847 Abs. 1 S. 2 BGB a.F. und § 1300 Abs. 2 BGB a.F. war, dass der Gesetzgeber Ersatzansprüche für immaterielle Schäden aufgrund ihres an die Person des Verletzten gebundenen Charakters für höchstpersönlich erachtete und der BGH dies auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht übertrug.204 Insofern erscheint es denkbar, den Ausschluss der Abtretbarkeit der Forderung aus Entschädigungsansprüchen wegen Verletzungen des ideellen Teils des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nunmehr auf § 399 Alt. 1 BGB zu stützen.205 Danach ist die Abtretung einer Forderung ausgeschlossen, wenn die Leistung an einen anderen als den ursprünglichen Gläubiger nicht ohne Veränderung ihres Inhalts erfolgen kann. Hierunter sind nach mancher Auffassung auch Forderungen aus höchstpersönlichen Ansprüchen und damit auch Forderungen aus Entschädigungsansprüchen wegen Persönlichkeitsrechtsverletzungen zu subsumieren.206 Zwar führt der BGH in diesem Zusammenhang selbst an, dass alleine aus der Erkenntnis, „dass die ideellen Bestandteile des Persönlichkeitsrechts unauflöslich an die Person ihres Trägers gebunden und als höchstpersönliche Rechte unverzichtbar und unveräußerlich, also nicht übertragbar [...] sind“, noch nicht folge, dass dies auch für den bereits entstandenen Geldentschädigungsanspruch der Fall sein müsse.207 Denn dieser sei, was einleuchtet, als Geldzahlungsanspruch nicht selbst Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.208 Vielmehr könne sein Zweck, den Träger in vollem Umfang vor Persönlichkeitsrechtsverletzungen zu schützen, auch bei Abtretung des Entschädigungsanspruchs gewahrt wer-

203 BGHZ 201, 45, 48 ff. = NJW 2014, 2871, 2872. Eine Entscheidung des BGH, welche die Abtretung der Entschädigungsforderung wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zum Gegenstand hat, ist seit der Streichung des § 847 Abs. 1 S. 2 BGB a.F. noch nicht ergangen. 204 BGHZ 201, 45, 49 = NJW 2014, 2871, 2872; vgl. für § 847 Abs. 1 S. 1 BGB a.F. BGH, NJW 1961, 1575; BGH, NJW 1976, 1890; für § 1300 Abs. 1 BGB a.F. Lauterbach, Palandt BGB, 19. Aufl. 1960, § 1300 Rn. 1 ff. 205 So Roth/Kieninger, MüKo BGB, § 399 Rn. 10. 206 So etwa Roth/Kieninger, MüKo BGB, § 399 Rn. 10; a.A. hingegen Schack, JZ 2018, 44, 45, der wohl mit Recht darauf hinweist, dass nur das allgemeine Persönlichkeitsrecht höchstpersönlicher Natur ist, während ein aus dessen Verletzung hervorgegangener Entschädigungsanspruch frei abtretbar sein müsse. 207 BGHZ 201, 45, 48 = NJW 2014, 2871 f.; BGHZ 189, 65, 74 = NJW 2011, 2296, 2298. 208 BGHZ 201, 45, 48 = NJW 2014, 2871, 2872; vgl. auch BGHZ 189, 65, 75 = NJW 2011, 2296, 2298.

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den.209 Etwas anderes ergibt sich womöglich jedoch auch hier mit Blick auf die primäre Genugtuungsfunktion, die das besondere Verhältnis zwischen Schädiger und Opfer zum Ausdruck bringen soll210 und welche nur gegenüber dem Opfer erfüllt werden könne.211 Letztlich kann an dieser Stelle aber offen bleiben, ob aus einer primären Genugtuungsfunktion eines Anspruchs auch sein höchstpersönlicher Charakter abgeleitet werden kann,212 weil die Genugtuung beim Anspruch auf Hinterbliebenengeld lediglich eine untergeordnete Rolle spielt und sich eine solche Besonderheit folglich jedenfalls nicht hieraus ableiten lässt. Für die Frage nach der Abtretbarkeit der Forderung aus dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld bzw. ihren Ausschluss kommt es daher maßgeblich darauf an, ob der Anspruch aus anderen Gründen als höchstpersönlich zu qualifizieren ist und eine Abtretung daher gem. § 399 Alt. 1 BGB abgelehnt werden muss. Ein Anspruch gilt als höchstpersönlich, wenn er seinem Inhalt nach nicht übertragen werden kann, weil die Leistung in wirtschaftlicher Hinsicht eine andere würde, wenn sie an einen anderen Gläubiger erbracht werden müsste oder weil die Leistungsidentität durch das persönliche Verhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner wesentlich mitbestimmt wird.213 Da der Anspruch auf Hinterbliebenengeld auf eine Geldzahlung gerichtet ist, bringt die Zahlung des Hinterbliebenengelds an den Zessionar weder aus wirtschaftlicher noch aus naturalistischer Perspektive eine signifikante Abweichung vom ursprünglichen Leistungsinhalt mit sich, weshalb die Forderung aus § 844 Abs. 3 BGB nicht in besonderer Weise an ihren ursprünglichen Gläubiger gebunden ist. Vielmehr kann die Forderung auch gegenüber dem Zessionar erfüllt werden. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld ist nicht höchstpersönlich, so dass die Forderung auch übertragen werden kann.214

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BGHZ 189, 65, 75 = NJW 2011, 2296, 2298. Vgl. BGH, NJW 1955, 1675, 1676. 211 Vgl. Rixecker, MüKo BGB, Anhang zu § 12 Rn. 297. 212 Zwar hat der BGH aus der Genugtuung ausdrücklich bisher lediglich die fehlende Vererbbarkeit abgeleitet; eine Übertragung dieser Herleitung auf die Abtretbarkeit dürfte jedoch nicht allzu fernliegend sein, zumal der BGH bereits klargestellt hat, dass er an seiner bisherigen Rechtsprechung zu Unübertragbarkeit festhalten möchte, vgl. BGHZ 201, 45, 48 f. = NJW 2014, 2871, 2872. 213 Busche, Staudinger BGB, § 399 Rn. 5; Lieder, BeckOGK BGB, 01.08.2020, § 399 Rn. 30; Rosch, jurisPK-BGB, 01.02.2020, § 399 Rn. 15. 214 So auch die Gesetzesbegründung, vgl. BT-Drs. 18/11397, S. 12; Balke, SVR 2018, 207, 211; Burmann/Jahnke, NZV 2017, 401, 404; Jaeger, VersR 2017, 1041, 1054; Steenbuck, r+s 2017, 449, 452; Wagner, NJW 2017, 2641, 2646. 210

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4. Die versicherungsrechtlichen Besonderheiten beim Hinterbliebenengeld a) Die Einstandspflicht der Haftpflichtversicherung Nicht einheitlich beantwortet wird die Frage, ob die Haftpflichtversicherungen zur Zahlung des Hinterbliebenengelds in Anspruch genommen werden können. Zwar gehen sowohl die Gesetzesbegründung215 als auch das LG Tübingen216 und der überwiegende Teil der Literatur davon aus,217 dass der Anspruch auf Hinterbliebenengeld von den Haftpflichtversicherungen gedeckt wird und die maßgeblichen Vorschriften des Versicherungsrechts, §§ 86, 115 VVG, § 2 KfzPflVV, Anwendung finden. Zweifel an dieser Stelle rühren jedoch daher, dass die Rechtsnatur des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld bislang noch nicht einheitlich beantwortet wird und sich diese auch auf die Anwendung des PflVG auswirken könnten. So wird vertreten, beim Anspruch auf Hinterbliebenengeld handle es sich gar nicht um einen zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch im Rechtssinne,218 sondern um eine „neue, eigene Anspruchsnorm“, die lediglich die Feststellung seelischen Leids und damit weder einen materiellen noch einen immateriellen Schaden erfordere.219 Dies würde auch dadurch deutlich, dass eine Entschädigung zu leisten ist, die nicht mit einem Schadensersatz gleichzusetzen sei.220 Da § 115 Abs. 1 VVG jedoch einen Anspruch auf Schadensersatz voraussetzt, sei bereits nach dem Wortlaut ein Direktanspruch gegen die Versicherung nicht gegeben.221 Ferner handle es sich beim seelischen Leid um keine der in § 1 PflVG abschließend aufgezählten Schadensarten (Personen-, Sach- und Vermögensschaden), so dass auch der Halter eines Kfz keine „Deckung wegen Hinterbliebenengeldes aufgrund seelischen Leides versichern [müsse]“.222 Da ein Haftpflichtiger lediglich Versicherungsschutz habe, soweit es um Schadensersatzansprüche geht, folge daraus, dass de lege lata kein Anspruch auf Freistellung der Haftverbindlichkeiten wegen einer Inanspruchnahme auf Hinterbliebenengeld bestehe.223 Eine auf Deckung gerichtete Klage gegen den Versicherer sei daher abzuweisen.224 Um jedoch zu vermeiden, dass Hinterbliebene auf die Leistungs215 „Ebenso gelten für den Anspruch auf Hinterbliebenengeld diejenigen Vorschriften außerhalb des BGB, die an das Vorliegen einer Schadensersatzverpflichtung anknüpfen. Dies betrifft insbesondere Regelungen des Versicherungsvertragsgesetzes und des Pflichtversicherungsgesetzes, die sich auf eine Haftpflicht wegen Tötung beziehen“, BT-Drs. 18/11397, S. 12. 216 Vgl. auch das Urteil des LG Tübingen vom 17.05.2019 – 3 O 108/18 –, juris. 217 Wagner, NJW 2017, 2641, 2643; vgl. auch Ch. Huber, Hinterbliebenengeld, S. 77. 218 So H. J. Schwab, DAR 2018, 284, 286. 219 H. J. Schwab, DAR 2018, 284, 285. 220 H. J. Schwab, DAR 2018, 284, 285. 221 Dasselbe Problem ergibt sich nach H. J. Schwab, DAR 2018, 284, 285 zudem bei § 86 Abs. 1 VVG, da sich diese Vorschrift im Kapitel „Schadensversicherung“ befindet sowie bei § 110 SGB VII, so dass diese Normen ebenso wenig anwendbar sein sollen. 222 H. J. Schwab, DAR 2018, 284, 286. 223 H. J. Schwab, DAR 2018, 284, 287. 224 So H. J. Schwab, DAR 2018, 284, 287, der es aber für wünschenswert hält, dass die

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B. Fragen in der praktischen Anwendung

fähigkeit des Verursachers oder die Kulanz der Versicherungen angewiesen sind, müsse der Gesetzgeber Anpassungen bei §§ 115 VVG sowie § 1 PflVG vornehmen und die Lücke rechtssicher schließen.225 Diese Auffassung kann unter Zugrundelegung der hier gefundenen Ergebnisse jedoch nicht überzeugen; eine Anpassung des Gesetzes ist nicht notwendig. Zum einen wurde bereits nachgewiesen, dass es sich beim seelischen Trauerleid um einen immateriellen Schaden handelt, der aus einer Persönlichkeitsrechtsverletzung resultiert.226 Dieser Schaden stellt folglich auch einen Personenschaden i.S.d. § 1 PflVG dar.227 Zum anderen hat die bisherige Untersuchung ergeben, dass es sich bei dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld um einen echten Schadensersatzanspruch mit Ausgleichsfunktion handelt,228 so dass auch einer direkten Anwendung von § 115 Abs. 1 VVG nichts im Wege steht. Eine reine Anerkennungsfunktion, bei der in der Tat fraglich wäre, warum eine Versicherung hierfür aufkommen sollte, ist hingegen abzulehnen.229 b) Das Hinterbliebenengeld und die gesetzliche Unfallversicherung Unsicherheiten für das Hinterbliebenengeld bestehen auch im Rahmen des gesetzlichen Unfallversicherungsrechts. Denn obwohl der Gesetzgeber während des Gesetzgebungsverfahrens von verschiedener Seite auf die Problematik hingewiesen wurde,230 hat er es versäumt, zum Ausdruck zu bringen, ob die unfallversicherungsrechtlichen Haftungsausschlüsse nach §§ 104 ff. SGB VII einem Anspruch auf Hinterbliebenengeld entgegenstehen können.231 Versicherungen künftig freiwillig ihre Bedingungen ändern und schon heute aus Kulanz Hinterbliebenengeld nach Verwirklichung eines Haftpflichttatbestands regulieren. 225 H. J. Schwab, DAR 2018, 284, 287. 226 Siehe hierzu oben unter: Kap. 1. 227 So auch Witschen, JZ 2018, 490, 491: „Die Bezeichnung seelischen Leids als Personenschaden ist im versicherungsrechtlichen Kontext naheliegend“. 228 Siehe hierzu bereits oben: Kap. 1, C.II. 229 Siehe hierzu bereits oben: Kap. 1, C. 230 Vgl. z.B. die DAV-Stellungnahme durch die Ausschüsse Verkehrsrecht und Zivilrecht Nr. 3/2017 zum RefE, S. 9. 231 Die Haftungsausschlüsse nach §§ 104 ff. SGB VII erfassen verschiedene Fallgruppen. Nach § 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII wird die Haftung von Unternehmern für Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten beschränkt. § 105 SGB VII regelt die Haftung anderer im Betrieb tätiger Personen untereinander, z.B. von Arbeitskollegen. § 106 SGB VII dehnt die Haftungsausschlüsse gem. §§ 104, 105 SGB VII auf weitere Personengruppen aus. Erfasst werden Unfälle von Lernenden, Prüflingen, Kindern in Tageseinrichtungen, Schülern und Studierenden in Schulen bzw. Hochschulen (Abs. 1). Ferner sind auch Versicherungsfälle von Pflegebedürftigen und Pflegepersonen untereinander erfasst (Abs. 2) sowie eine Haftung für Unternehmen des Zivilschutzes und beim Zusammenwirken mehrerer Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen sowie beim vorübergehenden Zusammenwirken von Unternehmen auf einer gemeinsamen Betriebsstätte (Abs. 3). Abs. 4 erstreckt den Haftungsausschluss schließlich noch auf die Schädigung von Personen, die sich auf der Unternehmensstätte aufhalten und kraft Satzung versichert sind, vgl. v. Koppenfels-Spies, Knickrehm Kommentar zum Sozialrecht, § 106 SGB VII Rn. 1.

III. Folgefragen

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Nach den §§ 104, 105 SGB VII umfasst der Haftungsausschluss alle Ersatzansprüche des Versicherten sowie seiner Angehörigen und Hinterbliebenen wegen Personenschäden, die ein Versicherungsfall gem. §§ 7 ff. SGB VII verursacht hat, sofern der Unternehmer/Schädiger sie nicht vorsätzlich herbeiführte und kein Wegeunfall vorliegt. Erfasst werden daher zunächst all diejenigen Schadenersatzansprüche, unabhängig ob für materielle oder immaterielle Personenschäden,232 die durch die Verletzung oder Tötung des Versicherten entstanden sind.233 Dies gilt nach dem Wortlaut und allgemeiner Auffassung auch für die Ansprüche der Hinterbliebenen bei Tötung gem. §§ 844 Abs. 1 und 2, 845 BGB.234 Zwar handelt es sich hierbei um eigene Ansprüche der Hinterbliebenen, jedoch wird aus der Anrechnung des Mitverschuldens des Getöteten gem. § 846 BGB der allgemeine Rechtsgedanke abgeleitet, dass der Schädiger den Hinterbliebenen gegenüber nicht strenger haften soll, als er gegenüber dem Primärverletzten im Falle seines Überlebens haften würde.235 Wäre also die Haftung des Schädigers gegenüber dem Primärverletzten im Falle seines Überlebens gem. §§ 104 f. SGB VII ausgeschlossen, soll dies auch für etwaige Ansprüche der Hinterbliebenen gelten. Erachtet man diesen Grundsatz für allgemeingültig, sprechen sowohl Wortlaut als auch Systematik zumindest dem ersten Anschein nach für eine Erstreckung dieser Haftungsausschlüsse auch auf § 844 Abs. 3 BGB,236 zumal es sich bei Trauer und seelischem Leid um Personenschäden handelt237 und § 846 BGB ebenso beim Hinterbliebenengeld Anwendung findet.238

232 Vgl. BVerfGE 34, 118 = NJW 1973, 502 (zu §§ 636 f. RVO); BVerfG, NJW 1995, 1607; kritisch in Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG Richardi, NZA 2002, 1004, 1009. 233 Vgl. BAG, NJW 1989, 2838 (zu § 636 Abs. 1 RVO); BAG, NJW 2003, 1890. 234 BAG, NJW 1989, 2838 (zu § 636 Abs. 1 RVO); BAG, NJW 2003, 1890; Burmann/ Jahnke, NZV 2017, 401, 408; Ch. Huber, Dauner-Lieb/Langen BGB, § 844 Rn. 5; Röthel, Staudinger BGB, § 844 Rn. 7; Wagner, MüKo BGB, § 844 Rn. 7; Witschen, JZ 2018, 490, 491; so zum Hinterbliebenengeld jüngst auch das LG Koblenz, Urteil v. 24.04.2020 – 12 O 137/19 –, juris. 235 Die Annahme eines allgemeinen Rechtsgedankens in § 846 BGB geht zurück auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts, vgl. etwa RGZ 65, 313, 318; RGZ 128, 229, 233; RGZ 170, 311, 315; vgl. ferner auch BGH, VersR 1961, 846, 847; aus der Literatur vgl. etwa Ch. Huber, Dauner-Lieb/Langen BGB, § 844 Rn. 5; Katzenmeier, Dauner-Lieb/Langen BGB, § 846 Rn. 2; Röthel, Staudinger BGB, § 844 Rn. 7, § 846 Rn. 3; Wagner, MüKo BGB, § 844 Rn. 7; siehe ferner Witschen, JZ 2018, 490, 491, nach dessen Ansicht die Haftung des Schädigers gegenüber der Hinterbliebenen „akzessorisch an die hypothetische Haftung gegenüber dem Getöteten geknüpft [wird]“. 236 Dafür etwa Bredemeyer, ZEV 2017, 690, 693; Burmann/Jahnke, NZV 2017, 401, 408; Jahnke, Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke StVG, § 844 Rn. 103; H. Lang/Bucka, DAR 2020, 445, 451 m.w.N.; Ricke, KassKomm SGB VII, § 104 Rn. 5a; Luckey, Prütting/Wegen/ Weinreich BGB, § 844 Rn. 26; Wagner, NJW 2017, 2641, 2643; Witschen, JZ 2018, 490, 491; vgl. aus der Rechtsprechung LG Koblenz, Urteil v. 24.04.2020 – 12 O 137/19, Rn. 15 ff. –, juris. 237 Witschen, JZ 2017, 490, 491. 238 Vgl. BT-Drs. 18/11397, S. 12.

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B. Fragen in der praktischen Anwendung

Zudem hat der Gesetzgeber für die spezialgesetzlichen Haftungen ausdrücklich festgestellt, dass die „Haftungsbefreiungen, Haftungsausschlüsse und Haftungsbegrenzungen“ sowie die „Vorschriften anderer Gesetze“, welche Schadensersatzansprüche bei Tötung betreffen, auch für das Hinterbliebenengeld gelten sollen.239 Dass er einen solchen Hinweis für die Haftung nach den allgemeinen BGB-Vorschriften unterlassen hat, obwohl er auf die Problematik hingewiesen wurde, könnte im Umkehrschluss zwar so gedeutet werden, dass die §§ 104 ff. SGB VII für die Haftung nach § 844 Abs. 3 BGB keine Bedeutung haben sollen.240 Warum der Arbeitgeber aber strenger haften sollte als beispielsweise der Produzent, leuchtet jedoch nicht ein. Insofern erscheint es also durchaus vertretbar, die §§ 104 ff. SGB VII auch auf das Hinterbliebenengeld zu erstrecken. Auf der anderen Seite finden sich jedoch gewichtige Argumente, die gegen einen Ausschluss des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld nach den §§ 104 SGB VII sprechen. Um diese Argumente verständlich zu machen, ist ein Blick auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Anwendung der §§ 104 ff. SGB VII bei Schockschäden von Angehörigen zu werfen. aa) Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Nichtanwendung der Haftungsausschlüsse nach §§ 104 ff. SGB VII bei Schockschäden und ihre Übertragung auf das Hinterbliebenengeld Zweifel hinsichtlich der Anwendung der §§ 104 ff. SGB VII beim Hinterbliebenengeld ergeben sich deshalb, weil der Bundesgerichtshof trotz dieser Haftungsausschlüsse in seiner Entscheidung vom 6. Februar 2007 den schockgeschädigten Angehörigen gem. §§ 823 Abs. 1 und 253 Abs. 2 BGB einen Anspruch gegen den versicherten Unfallverursacher zugesprochen hat.241 Die Argumentation, die der Bundesgerichtshof zur Begründung dieses Ergebnisses anführt, lässt sich auch für den Anspruch auf Hinterbliebenengeld fruchtbar machen, so dass zu überlegen ist, die §§ 104 ff. SGB VII entsprechend für das Hinterbliebenengeld zu sperren. In dem Fall, der dieser Entscheidung zugrunde liegt, ging es um einen Schmerzensgeldanspruch der schockgeschädigten Klägerin, deren Sohn bei einem Arbeitsunfall ums Leben kam, den der beklagte Arbeitskollege des Sohnes (mit)verursacht hatte. Die Nichtanwendung der Haftungsprivilegierung nach § 105 SGB VII begründet der Bundesgerichtshof in diesem Fall mit einer Reihe unterschiedlicher Argumente: 1) So stellt er einerseits darauf ab, dass die Klägerin, weil sie selbst nicht versichert war (§§ 2 f. SGB VII ), auch im Falle einer unmittelbaren Beteiligung am Unfallgeschehen und einer hierdurch verursachten eigenen Körperverletzung

239 So z.B. für die Haftung nach dem ProdHaftG, dem AMG oder StVG, vgl. BTDrs. 18/11397, S. 15 ff. 240 Witschen, JZ 2018, 490, 492. 241 Siehe BGH, Versäumnisurteil v. 06.02.2007 – VI ZR 55/06 = BGH, NZV 2007, 453.

III. Folgefragen

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einen Anspruch gehabt hätte, der nicht gem. §§ 104, 105 ff. SGB VII ausgeschlossen wäre.242 Eigene Gesundheitsverletzungen der Angehörigen hätten die Haftungsprivilegierungen jedoch ersichtlich nicht im Blick, so dass diese den Schadensersatzansprüchen wegen der Beeinträchtigung eigener Rechtsgüter nicht entgegenstünden. Im Falle eines Schockschadens, der ebenso auf einer eigenen Rechtsgutsverletzung beruht, könne daher nichts anderes gelten.243 2) Zudem gebiete auch Sinn und Zweck der Haftungsausschlüsse keine abweichende Entscheidung, weil ihre Bestimmung, den Betriebsfrieden zu wahren,244 zumindest im Todesfall nicht gefährdet würde.245 Sofern nämlich ein Versicherter einen Arbeitsunfall erleidet, könne diesem Gesichtspunkt nur dann Bedeutung zukommen, sofern er trotz der Verletzungen weiterhin dem Betrieb angehört. Wird der Schockschaden des Angehörigen jedoch aufgrund eines tödlichen Unfalls verursacht, „[sei] dem Friedensargument der Boden entzogen“.246 3) Als Hauptargument aber zieht der Gerichtshof den Kompensationsgedanken heran. Insbesondere spreche gegen die Erstreckung der Haftungsausschlüsse auf die Schmerzensgeldansprüche naher Angehöriger, dass die gesetzliche Unfallversicherung für diese Schäden keine Leistungen vorsieht.247 Zwar müssen sich die zivilrechtlichen Haftungstatbestände wegen der Verschiedenheit der Ordnungssysteme nicht gänzlich mit dem Leistungssystem der gesetzlichen Unfallversicherung decken,248 weshalb der Geschädigte nicht für alle nach §§ 104 ff. SGB VII ausgeschlossenen Ansprüche Leistungen von der gesetzlichen Unfallversicherung erhalten muss.249 So erhält beispielsweise der verletzte Versicherte selbst keine dem Schmerzensgeld kongruente Leistung, obwohl Ansprüche wegen immaterieller Schäden gegen den Schädiger gem. §§ 104 ff. SGB VII ausgeschlossen sind.250 Jedoch sei ein Ausschluss der Ersatzansprüche nur dann gerechtfertigt, wenn er zumindest teilweise durch die Leistungen der gesetzlichen Unfallversi242 BGH, NZV 2007, 453; kritisch Witschen, JZ 2017, 490, 492, der durchaus mit einer gewissen Berechtigung darauf hinweist, dass im Falle einer gleichzeitigen Verletzung bei einem Arbeitsunfall der Angehörige regelmäßig vor Ort anwesend sein wird und daher typischerweise auch gem. §§ 2, 3 SGB VII Versicherter sein wird. 243 BGH, NZV 2007, 453. 244 Ricke, KassKomm SGB VII, § 104 Rn. 2c. 245 BGH, NZV 2007, 453. 246 BGH, NZV 2007, 453. Etwas anderes würde wohl nur dann gelten, wenn der Angehörige selbst dem Betrieb angehört, vgl. Witschen, JZ 2017, 490, 492 Fn. 36. 247 BGH, NZV 2007, 453, 454. 248 Unterschiede können sich beispielsweise auch daraus ergeben, dass die sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche mit dem Versicherungsfall entstehen und abstrakt berechnet werden, während zivilrechtliche Schadensersatzansprüche einen Schadensnachweis verlangen. Für die Vor- bzw. Nachteile dieser Unterschiede siehe Lepa, VersR 1985, 8, 9. 249 BGH, NZV 2007, 453, 454. 250 BVerfGE 34, 118 = NJW 1973, 502; BVerfG, NJW 1995, 1607; Rolfs, Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 104 SGB VII Rn. 3; a.A. Fuhlrott, NZS 2007, 237, 241 f., der die Regelung wegen einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung geschädigter Arbeitnehmer gegenüber anderen Geschädigten für verfassungswidrig hält.

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B. Fragen in der praktischen Anwendung

cherung kompensiert wird.251 Die Kompensation setze dabei nur voraus, dass jedenfalls grundsätzlich sozialversicherungsrechtliche Leistungen für die bei einem Versicherungsfall eingetretene Rechtsgutverletzung in Betracht kämen.252 Hieran fehle es jedoch, wenn das System der Unfallversicherung nicht nur eine bestimmte Schadensart (z.B. immaterielle Schäden) ausklammert, sondern für eine Rechtsgutsverletzung überhaupt keine Leistung vorsieht, wie dies bei der Verletzung der Gesundheit oder des Körpers nicht versicherter Angehöriger der Fall ist.253 Zwar erhalten die Angehörigen ggf. für den Ausschluss der §§ 844 Abs. 1 und 2, 845 BGB eine Kompensation (§§ 39 Abs. 2, 54, 55 bzw. §§ 63 ff., 69 SGB VII),254 so dass grundsätzlich Leistungen für die Hinterbliebenen für ihre materiellen Einbußen im Todesfall des Versicherten vorgesehen sind.255 Diese Kompensation betreffe jedoch nicht die Ansprüche wegen eines eigenen Schockschadens des Angehörigen.256 bb) Übertragung der Argumentation auf das Hinterbliebenengeld Diese Argumente gegen die Erstreckung der Haftungsausschlüsse auf die Ansprüche der Hinterbliebenen wegen ihrer immateriellen Einbußen lassen sich auch auf den Anspruch auf Hinterbliebenengeld übertragen.257 Insbesondere ist der Hinterbliebene auch in einer eigenen Rechtsposition, seinem Persönlichkeitsrecht, verletzt. Für das Betriebsfriedensargument ist ebenso wenig Raum, weil das Hinterbliebenengeld den Tod des Versicherten voraussetzt.258 Letztlich ist auch eine Kompensation für die Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Hin251 BGH, NZV 2007, 453, 454; vgl. hierzu auch Oetker, Staudinger BGB, § 618 Rn. 324: „Es gilt das Prinzip der Haftungsersetzung durch Versicherungsschutz“. 252 BGH, NZV 2007, 453, 454. 253 BGH, NZV 2007, 453, 454. 254 BGH, NZV 2007, 453, 454. 255 Zwar ließe sich nach dem hier gefundenen Ergebnis auch argumentieren, dass jedenfalls auch § 844 Abs. 2 BGB eine eigene Rechtsverletzung zugrunde liegt, jedoch lässt sich die Haftungsprivilegierung in diesem Fall damit rechtfertigen, dass durch das Leistungssystem der gesetzlichen Unfallversicherung eine Kompensation vorgesehen ist. 256 BGH, NZV 2007, 453, 454. 257 Anders hingegen Burmann/Jahnke, NZV 2017, 401, 408, die diese Rechtsprechung deshalb für nicht auf das Hinterbliebenengeld übertragbar halten, weil es an einer eigenen Rechtsgutverletzung der Hinterbliebenen fehle. In diese Richtung auch Witschen, JZ 2017, 490, 494 mit Hinweis darauf, dass der Kompensationsgedanke hier in einem Spannungsverhältnis zu dem Grundsatz stünde, nach welchem der Schädiger gegenüber den Hinterbliebenen nicht strenger haften soll als – hypothetisch – gegenüber dem Getöteten selbst. Schließlich hätte der Getötete auch im Falle seines Überlebens keinen eigenen Anspruch auf Ersatz seines immateriellen Schadens. Dieses Spannungsverhältnis löst Witschen im Ergebnis zugunsten des aus § 846 BGB abgeleiteten Grundsatzes auf (S. 494 f.). Für eine Anwendung der §§ 104 ff. SGB VII beim Hinterbliebenengeld auch Steenbuck, r+s 2017, 449, 451; Wagner, NJW 2017, 2641, 2643. 258 So auch F. Fischer, FD-SozVR 2020, 431255; a.A. hingegen LG Koblenz, Urteil v. 24.04.2020 – 12 O 137/19, Rn. 23 ff. –, juris.

IV. Auswirkungen an anderer Stelle in der Rechtsordnung

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terbliebenen durch die gesetzliche Unfallversicherung in keiner Form vorgesehen. Auch die § 844 Abs. 1 und 2 BGB, für die das System der gesetzlichen Unfallversicherung grundsätzlich eine Leistung vorsieht, schützen nicht die Nähebeziehung als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Insofern kann die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf das Hinterbliebenengeld de lege lata übertragen werden. Sollte dieses Ergebnis nicht gewünscht sein, liegt es am Gesetzgeber, hier nachzubessern und z.B. eine entsprechende Kompensation in das Sozialversicherungsrecht aufzunehmen. Vergleichbar dem Anspruch nach § 844 Abs. 2 BGB könnte die Haftung des Schädigers dann trotz der Verletzung eines eigenen Rechtsguts durch eine Leistung der Versicherung ersetzt werden.

IV. Auswirkungen der Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld an anderer Stelle in der Rechtsordnung Mit der Einführung des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld stellt sich die Frage, ob sich hiermit auch an anderer Stelle in der Rechtsordnung Auswirkungen zeigen werden. So wird befürchtet, künftig könnten noch weitere immaterielle Schäden Ersatzansprüche begründen. Zudem ist zu überlegen, ob nicht jeder Eingriff in eine Nähebeziehung einen Entschädigungsanspruch nach sich ziehen müsste, und welche Ansprüche die besondere Nähebeziehung als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts noch schützen.

1. Ersatz für jegliche Gefühlsschäden? Immer wieder wurden in der Literatur Befürchtungen laut, dass mit der Einführung des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld „die Büchse der Pandora“259 geöffnet worden sei und nunmehr die Türen für weitere Schadensersatzansprüche bei bloßen „Gefühlsschäden“260 offenstehen würden.261 Da das Trauerleid bei Verlust eines geliebten Menschen nunmehr kommerzialisiert und ersatzfähig sei, sei zu erwarten, dass auch weitere seelische Gefühlsbeeinträchtigungen einen Schadensersatzanspruch nach sich ziehen werden. Diese Befürchtungen sind bei logischer Schlussfolgerung jedoch nicht gerechtfertigt. Zwar ist es denkbar, dass eine Person in ähnlichem Maße seelisch leidet, wenn der Hund als treuer Gefährte 259

So Jaeger, VersR 2017, 1041, 1057. Vgl. zum „Gefühlsschaden“ auch Karner, Karlsruher Forum 2016, S. 94. 261 Ähnliche Befürchtungen zum Hinterbliebenengeld äußerte auch der Deutsche Richterbund im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens: „Die Einfügung des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld wäre ein weiterer Schritt zur Kommerzialisierung persönlicher Schicksalsschläge. Es wird suggeriert, hinter jedem Schicksalsschlag steht ein „Schuldiger“, der dafür haften müsse, und das Recht könne für solche Fälle einen „angemessenen Ausgleich“ – in Geld – schaffen“, Stellungnahme Nr. 4/17 vom Jahr 2017 Abschnitt B. 260

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B. Fragen in der praktischen Anwendung

und sozialer Kontakt „des einsamen Mannes“ vom Auto überfahren wird262 oder das geliebte Rennpferd, mit dem man tagein tagaus trainierte und Wettbewerbe gewann, aufgrund eines Behandlungsfehlers des Veterinärmediziners verstirbt.263 Da die anspruchsrelevante Rechtsverletzung jedoch nicht durch die Trauer und das seelische Leid erfolgt, sondern durch die Vernichtung der Nähebeziehung zwischen Menschen, welche vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht erfasst wird, ist eine derartige Weiterentwicklung nicht zu befürchten. Verstirbt beispielsweise ein Haustier oder trauert man aus anderem Grund, kann dies zwar schmerzhaft sein und somit auch einen immateriellen Schaden darstellen. Das Vorliegen eines Schadens alleine begründet nach dem Tatbestandsprinzip jedoch noch keinen Ersatzanspruch.264 Erforderlich ist die Verletzung einer Rechtsposition, die zum Ersatz des immateriellen Schadens berechtigt. Daran wird es in den meisten Fällen jedoch fehlen. Denn zumindest nach derzeitigem Kenntnisstand ist nicht davon auszugehen, dass auch die Beziehung zwischen Mensch und Tier vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht gedeckt wäre. Zwar mag bei der Tötung eines Haustiers das Eigentum gem. §§ 903, 90a BGB verletzt sein, dies führt jedoch weder gem. § 844 Abs. 3 BGB noch gem. § 253 Abs. 2 BGB zum Ersatz eines immateriellen Schadens.265 Der Schutz des § 844 Abs. 3 BGB beschränkt sich auf den Verlust engster Bezugspersonen durch fremdverursachte Tötung, ein darüber hinausgehender Schutz ergibt sich daraus nicht. Wendet man das tradierte System konsequent an, schützt dies auch nach Einführung des Hinterbliebenengelds vor einer unüberschaubaren Ausdehnung immaterieller Schadensersatzansprüche und weiterer Einschränkungen der Handlungsfreiheit. Damit weitere „Gefühlsschäden“ ersatzfähig werden, müssten entweder weitere Bereiche des allgemeinen Persönlichkeitsrechts offengelegt werden oder der Gesetzgeber tätig werden und beispielsweise das Eigentum in § 253 Abs. 2 BGB aufnehmen oder, was wohl der dogmatisch stimmigste Weg wäre, weitere Rechtspositionen zuweisen. Ein umfassender Anspruch des Menschen, von Trauer und Leid verschont zu bleiben, ist jedoch nach wie vor nicht ersichtlich und wäre wohl auch kaum wünschenswert.266

262 Dass im Falle des Verlusts eines Tieres ein Schockschadensersatz nicht in Betracht kommt, obwohl eine Gesundheitsbeeinträchtigung vorliegt, hat der BGH bereits entschieden, BGHZ 193, 34 = DAR 2012, 251. 263 Ähnlich auch Lobinger, Karlsruher Forum 2016, S. 96, der fürchtet, dass mit der Erhebung einer rein emotionalen Betroffenheit zu einem haftungsrechtlich relevanten Tatbestand künftig auch das Leid aufgrund eines Totalschadens des „in mehrjähriger Freizeitarbeit im Maßstab 1:20 nachgebaute[n] und mehrfach bepreiste[n] Torpedo-Modellboot[s]“ ersatzfähig sein müsste. 264 Siehe hierzu bereits oben: Kap. 1, B.I.1.a). 265 Für einen Schockschadensanspruch im Falle des Verlusts des geliebten Hundes aber Steffen, RGRK BGB, § 823 Rn. 11. 266 So auch Schramm, Haftung für Tötung, S. 324 ff.

IV. Auswirkungen an anderer Stelle in der Rechtsordnung

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2. Entschädigung bei jeglicher Beeinträchtigung einer besonderen Nähebeziehung? Die Einführung des Anspruchs bedeutet auch nicht, dass nunmehr bei jedem Eingriff in eine Nähebeziehung über einen geldwerten Anspruch nachgedacht werden müsste. Dies ergibt sich bereits daraus, dass der Inhalt des Rechts nicht so weit reicht.267 Ein umfänglicher Bestandsschutz von Beziehungen ist nicht Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, weshalb es auch keinen Schutz vor „eindringenden Dritten“ oder „einem Verlassenwerden“ gibt. Diese Eingriffe sind vielmehr Teil des allgemeinen Lebensrisikos, eine Beziehung zwischen zwei Personen kann nicht zu Gunsten eines Einzelnen monopolisiert werden. Zudem ist zu beachten, dass es sich beim Hinterbliebenengeld um einen Ersatz für eine immaterielle Einbuße handelt und sich der Gesetzgeber bei immateriellen Schäden gem. § 253 Abs. 1 BGB ohnehin ausdrücklich vorbehalten hat, selbst zu regeln, wann eine Entschädigung gezahlt werden soll und wann nicht. Insofern fehlt es auch an einer Rechtsfolgenregelung, welche den immateriellen Schaden in diesen Fällen für ersatzfähig erklären würde. § 844 Abs. 3 BGB bringt durch seinen Wortlaut klar zum Ausdruck, dass eine Entschädigung nur im Falle des Todes an den Hinterbliebenen geleistet werden soll. Der verlassene Ehemann kann von dem Geliebten seiner Frau de lege lata daher keine Entschädigung verlangen.

3. Der umfassende Schutz durch die „Trias der Haftungssysteme“268 Da es sich bei der besonderen Nähebeziehung um einen Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und damit um ein absolutes Recht handelt, muss es in der Konsequenz auch den übrigen Rundumschutz erhalten.269 Dies gilt auch dann, wenn die Zuordnungsentscheidung im Deliktsrecht getroffen wurde.270 Auch wenn der Abwehr- und Unterlassungsanspruch gem. § 1004 BGB in direkter Anwendung die Nähebeziehung vor einer Beeinträchtigung durch Tötung nicht schützt, bleibt doch die Möglichkeit des „quasinegatorischen“ Beseitigungsoder Unterlassungsanspruchs.271 Dieser Schutzmechanismus ist zur Rechtsverwirklichung eines jeden absoluten Rechts erforderlich. Erst wenn die Verwirkli-

267

Siehe zu den Grenzen dieser Rechtsposition bereits oben: Kap. 1, A.III.6.d)bb). Picker, JZ 2010, 541, 546. 269 Vgl. zum Zusammenspiel zwischen Rechtszuweisung und einem umfassenden Schutz der zugewiesenen Rechtsposition durch das ausdifferenzierte System der Ansprüche Picker, AcP 183 (1983), 369, 511 ff.; F. Hartmann, commodum, S. 22. f.; Katzenstein, Haftungsbeschränkungen, S. 186 Fn. 217. 270 Siehe hierzu bereits oben: Kap. 1, A.III.6.d)aa)(2). 271 Vgl. zur Anerkennung des quasinegatorischen Beseitigungs- oder Unterlassungsanspruchs analog § 1004 BGB für alle deliktsrechtlich geschützten Rechtsgüter und Interessen etwa Thole, Staudinger BGB, § 1004 Rn. 7; Baur, JZ 1966, 381 ff. 268

262

B. Fragen in der praktischen Anwendung

chung des Rechts gem. § 1004 BGB (analog) gescheitert ist, die Entstehung eines Schadens also nicht bereits im Ursprung verhindert werden konnte,272 geht es auf der nachgelagerten Ebene darum, einen möglicherweise aus der Rechtsverletzung entstandenen Schaden wieder gut zu machen. Der umfassende Schutz einer einmal anerkannten Rechtsposition ist jedoch ein Automatismus, so dass jeder deliktsrechtlich geschützten Rechtsposition auch negatorischer Schutz zukommen muss.273 Der „Hinterbliebene“274 kann folglich bereits im Vorfeld das Unterlassen der Tötung aus eigenem Recht verlangen. Grundsätzlich müsste dem Hinterbliebenen daneben auch noch der abschöpfende bereicherungsrechtliche Schutz zugutekommen, wobei fraglich ist, ob der Hinterbliebene Kondiktionsansprüche geltend machen kann. Zweifel ergeben sich an dieser Stelle schlicht daraus, dass es undenkbar erscheint, dass der Hinterbliebene seine Rechtsposition hätte vermarkten können. Dies ergibt sich bereits daraus, dass das Recht lediglich den Schutz vor Beeinträchtigungen durch Tötung beinhaltet und hier eine Kommerzialisierung nicht denkbar ist. Kondiktionsrechtliche Ansprüche spielen in Zusammenhang mit dem Hinterbliebenengeld daher keine eigenständige Rolle.

272

Vgl. Baur, JZ 1966, 381, 383. Bernhard, FS Picker, S. 83, 104; F. Hartmann, commodum, S. 23; Henckel, AcP 174 (1974), 97, 120 f.; Katzenstein, Haftungsbeschränkungen, S. 190. 274 Dieser Begriff eignet sich in der Konstellation des § 1004 BGB eigentlich deshalb nicht, weil die nahestehende Person in dieser Eingriffssituation noch nicht verstorben ist. Passender ist daher der Begriff der besonders nahestehenden Person. 273

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse 1) Auch für den Anspruch auf Hinterbliebenengeld kann am tradierten System von Rechtszuweisung und Rechtsschutz festgehalten werden. Insbesondere sind keine abweichenden Deutungssysteme ersichtlich, welche die Ablösung der Rechtsposition als zentrales Element der Privatrechtsordnung überzeugend begründen könnten. 2) Merkmale einer deliktsrechtlich geschützten Rechtsposition sind die Zuordnungs- und Ausschlussfunktion und, soweit die Grenze zwischen Handlungsfreiheit und fremdem Rechtskreis nicht durch eine Verhaltensvorschrift kenntlich gemacht ist, die sozialtypische Offenkundigkeit der Rechtsposition. 3) Bei der Zuweisung der Rechtspositionen greift der Gesetzgeber auf verschiedene Mechanismen zurück. In der einfachsten Form werden die exklusiven Befugnisse positiv in der Rechtsordnung beschrieben (vgl. §§ 903 ff. BGB). Andererseits werden Rechtspositionen durch Verhaltensvorschriften z.B. in der Form eines Schutzgesetzes zugewiesen. Ist es dem Gesetzgeber möglich, die Rechtsposition in einem Begriff zusammenzufassen, erfolgt der Schutz über § 823 Abs. 1 BGB. Ist dies nicht möglich, erfolgt der Schutz über § 823 Abs. 2 BGB. Dabei kann es zu Überschneidungen kommen. 4) Neben dem Gesetzgeber ist auch die Rechtsprechung bei der Zuweisung von Rechtspositionen beteiligt. Ihre Aufgabe ist es, im Rahmen der Gewaltenteilung und unter Berücksichtigung der Dogmatik bislang verborgene Rechtspositionen aufzudecken und bei der Auslotung der Grenzen bereits bestehender Rechtspositionen mitzuwirken. Letzteres erfolgt insbesondere über das Festlegen von Verkehrspflichten. 5) Beim Anspruch auf Hinterbliebenengeld handelt es sich um ein Schutzrecht, welches das besondere Näheverhältnis als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Hinterbliebenen schützt. Die besondere Nähebeziehung zwischen Personen ist wesentlicher Bestandteil für die Entwicklung und Entfaltung der Persönlichkeit eines Menschen und daher vom Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gem. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG gedeckt. 6) Das besondere Näheverhältnis als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erfüllt die Anforderungen an ein absolutes Recht. Dass dem Hinterbliebenen eine Rechtsposition zugewiesen sein muss, ergibt sich bereits aus der Einführung des Anspruchs. Die Frage nach der konkreten inhaltlichen Ausgestaltung bleibt, wie für das allgemeine Persönlichkeitsrecht charakteristisch, Aufgabe der Rechtsprechung und der Wissenschaft. Auch die Ausschlussfunktion

264

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

und die sozialtypische Offenkundigkeit dieser Rechtsposition sind gegeben. Der Hinterbliebene kann aufgrund der Nähebeziehung vom potentiellen Schädiger verlangen, die besonders nahestehende Person nicht zu töten, weil damit zugleich sein eigenes allgemeines Persönlichkeitsrecht verletzt würde. Dies ist für den Schädiger auch erkennbar, weil alleine aus der Existenz des Menschen auf vorhandene soziale Beziehungen geschlossen werden kann. Die Eigenschaft des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als „Rahmenrecht“ steht dieser Einordnung nicht entgegen. Die Grenze zwischen Handlungsfreiheit und fremdem Rechtskreis wird erst bei einer Tötung überschritten, so dass eine umfassende Interessenund Güterabwägung entbehrlich ist. Die Rechtsposition der Nähebeziehung ist ein „sonstiges Recht“, das auch über § 1004 BGB analog und § 823 Abs. 1 BGB geschützt wird. 7) Beim Anspruch auf Hinterbliebenengeld handelt es sich nicht um eine Ausnahme vom Unmittelbarkeitsgrundsatz. Es ist nicht erforderlich, dass der Hinterbliebene ausnahmsweise eine fremde Rechtsverletzung zur Anspruchsbegründung heranziehen darf. Vielmehr reagiert § 844 Abs. 3 BGB auf die Verletzung einer eigenen Rechtsposition des Hinterbliebenen. Eine andere Sichtweise ergibt sich auch nicht aus dem systematischen Zusammenhang mit § 844 Abs. 1 und 2 BGB. Bei § 844 Abs. 1 BGB ist bereits fraglich, ob es sich überhaupt um einen echten Schadensersatzanspruch handelt. Im Falle des § 844 Abs. 2 BGB liegt eine Verletzung des Rechts auf Unterhalt des Anspruchsberechtigten vor. 8) Die Tötung der nahestehenden Person stellt einen direkten Eingriff in die Rechtsposition des Hinterbliebenen dar. Eine Unterscheidung zwischen unmittelbaren und mittelbaren oder psychisch vermittelten Rechtsverletzungen ist nicht erforderlich. 9) Die primäre Funktion des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld bildet der Ausgleich des durch die Verletzung hervorgerufenen immateriellen Schadens in Form des seelischen Leids, auch wenn eine vollständige Wiedergutmachung nicht möglich ist. Eine vorrangige Genugtuungsfunktion ist hingegen abzulehnen. Dies ergibt sich daraus, dass die Genugtuung an ein Verschulden anknüpft, der Anspruch auf Hinterbliebenengeld aber auch bei der verschuldensunabhängigen Gefährdungshaftung entsteht. Im Falle eines Verschuldens kann die Genugtuung lediglich ergänzend herangezogen werden. Auch für eine eigenständige Präventionsfunktion bleibt beim Anspruch auf Hinterbliebenengeld kein Raum. 10) Die Berücksichtigung der Rechtsposition des Hinterbliebenen ermöglicht es, offene Fragen dogmatisch nachvollziehbar zu beantworten, was im Ergebnis für mehr Rechtssicherheit sorgt. Auch in Zusammenhang mit dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld wird daher deutlich, wie sehr sich die Zivilrechtsordnung als Rechtszuweisungsordnung bewährt. 11) Einen vertraglichen Anspruch auf Hinterbliebenengeld gibt es de lege lata nicht. Zwar handelt es sich beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht um ein „Recht“ i.S.d. § 241 Abs. 2 BGB, so dass mit §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB auch eine vertragliche Anspruchsgrundlage vorhanden ist. Jedoch handelt es sich beim seelischen Leid um einen immateriellen Schaden, welcher gem. § 253 Abs. 1 BGB

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

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nur in den durch das Gesetz angeordneten Fällen in Geld zu entschädigen ist. Für vertragliche Ansprüche fehlt es jedoch an einer Rechtsfolgenvorschrift, weil das „sonstige Recht“ in § 253 Abs. 2 BGB nicht genannt ist. Dies kann im Einzelfall zu einer Schutzlücke führen. 12) Auch bei schweren Verletzungen des Primärverletzten scheidet ein Anspruch auf Hinterbliebenengeld de lege lata aus. Diese Fälle werden von § 844 Abs. 3 BGB nach dem eindeutigen Wortlaut nicht erfasst. Da jedoch auch in diesen Konstellationen eine Rechtsverletzung der nahestehenden Person möglich ist, sollte der Gesetzgeber hier nachbessern. 13) Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld ist neben einem Anspruch auf Schockschadensersatz zu gewähren, sofern die Voraussetzungen beider Ansprüche vorliegen. Dies ergibt sich daraus, dass die Ansprüche unterschiedliche Rechtspositionen schützen. Ein anderes Ergebnis ist lediglich unter dem Aspekt denkbar, dass auch im Falle eines Schockschadens die Nähebeziehung als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts die verletzte Rechtsposition ist. 14) Die besondere Nähebeziehung als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts umfasst nicht das Recht auf ewigen Fortbestand der Beziehung. Gefährdet ein Teil die Beziehung oder gibt er diese gänzlich auf, hat dies auch Auswirkungen auf die Rechtsposition des anderen. 15) Die Forderung, die sich aus dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld ergibt, ist nicht höchstpersönlich und kann mangels vorrangiger Genugtuungsfunktion sowohl abgetreten als auch vererbt werden. 16) Beim Anspruch auf Hinterbliebenengeld handelt es sich um einen echten Schadensersatzanspruch für einen Personenschaden, so dass auch die Haftpflichtversicherungen für diesen Schaden aufkommen müssen. Die Haftungsausschlüsse im Unfallversicherungsrecht gem. §§ 104, 105 SGB VII erstrecken sich de lege lata nicht auf den Anspruch auf Hinterbliebenengeld. 17) Durch die Einführung des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld ist nicht zu erwarten, dass künftig jegliche Gefühlsschäden zu ersetzen sind. Das Vorliegen eines Schadens alleine reicht nicht aus, um einen Schadensersatzanspruch zu begründen. Erforderlich bleibt nach wie vor die Verletzung einer Rechtsposition. Nur wer dieses Nadelöhr passiert, wird einen eigenen Anspruch haben.

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Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

Prüfungsschema § 844 Abs. 3 BGB1 Auf Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse ergibt sich das folgende Prüfungsschema: I. Tatbestand 1) Vorliegen eines besonderen Näheverhältnisses zwischen Verstorbenem und Hinterbliebenem 2) Tathandlung: Verletzung der Nähebeziehung durch eine unerlaubte Handlung gegen das Leben des Primärverletzten (§ 823 Abs. 1, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 211, 212, 222, 227 StGB, § 831, § 832, § 833, § 836, § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG) 3) Rechtswidrigkeit und Verschulden 4) Schaden und haftungsausfüllende Kausalität: Seelisches Leid infolge des Verlusts der besonderen Nähebeziehung (regelmäßig indiziert) 5) Ggf. Anspruchskürzung wegen eines Mitverschuldens des Primärverletzten II. Rechtsfolge: Angemessene Entschädigung III. Konkurrenzen

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gen.

Ein entsprechendes Schema ergibt sich für die spezialgesetzlichen Gefährdungshaftun-

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Sachregister Abgrenzungsschwierigkeiten 220 absolutes Recht, s. Recht, absolutes  Abspaltung 114 Abtretung  168, 172, 175 f. – Abtretbarkeit  248, 250–252 Abwehr- und Unterlassungsanspruch  64, 113 f., 117, 261 AGG  108–110, 197 f., 203, 227, 229 Aktivlegitimierung 236 Allgemeines Gleichbehandlungsrecht – AGG  s. dort – assoziierte Diskriminierung s. dort – Coleman-Urteil s. dort – persönliches Merkmal  109 allgemeines Lebensrisiko  121, 133, 155 allgemeines Persönlichkeitsrecht  s. Persönlichkeitsrecht, allgemeines allgemeines Schädigungsverbot  s. neminem laedere Allgemeinwohlbelange  30 f., 34, 42 Amtsermittlungsgrundsatz 32 Analogie  59, 212, 217, 239, 249 Anerkennungsanspruch 191 Anerkennungsfunktion  191, 199, 205, 254 Angehörigenschmerzensgeld  3, 10, 13, 69, 88–95, 99, 205, 207, 237 Angehöriger 223 Annehmlichkeiten  196, 201, 208, 229 Anscheinsbeweis  s. Beweislast Anspruchsbegründung  5, 109, 264 Anspruchskonkurrenzen  23, 242–245 assoziierte Diskriminierung  108–111 Ausgleichsfunktion  190 f., 205, 208, 229, 233, 240, 254, 254 Ausgleichsprinzip 42 Ausnahmevorschrift  131, 160 Ausschließlichkeitsrecht  65 f., s. auch Rechtsposition, absolute Ausschlussfunktion  33, 48, 119–122, 263 – Reichweite der  119–122

Beerdigungskosten 164 Begrenzungsfunktion  s. Haftungsbegrenzung Behandlungsfehler  219, 260 Behandlungsvertrag  213, 214 f. Bemessung d. Hinterbliebenengelds 228, 238 – Bemessung in Europa  237 – Bemessungsgrundlage  191 – Bemessungskriterien  240  f. – Bemessungsschwierigkeiten  194 Bereicherungsrecht  172 f., 262 – Entreicherung  173 – Lehre vom Zuweisungsgehalt  37 – bereicherungsrechtlicher Forderungsschutz  172 f. Bereicherungsverbot, schadenersatzrechtliches 191 Betriebsfriedensargument 258, s. auch auch Friedensargument Beweislast  73, 77, 215, 225 – Anscheinsbeweis  227 Bezugsgegenstand  50, 123, 147 Bezugsobjekt  s. Bezugsgegenstand Bezugsperson  82, 102 Bundesverfassungsgericht  67, 75 Buße 9 BVerfGG  66, 106 Coleman-Urteil 109 conditio humana  181, 227 culpa in contrahendo  24 Daten  59 f. Deliktischer Schutz der Forderung  s. Forderungsschutz, deliktischer Deliktsrecht  55, 94, 211 Differenzhypothese 165 Direktanspruch  163, 253 Dispositionsbefugnis  128 f.

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Sachregister

Dispositionsmaxime 32 Dogma vom Gläubigerinteresse  134–135, 137, 142, 159, 162, 184 Dogmatik 69 Dreipersonenkonstellation  5, 246 Drittanspruch  132, 216, 219 Drittschaden  132 f., 146, 156 f., 161, 181, 246 Drittschadensersatz  131, 155, 166, 182, 185, 187 Drittschadensliquidation  157, 158–160, 183–187 – Gefahrentlastung, obligatorische  159, 183, 185 – Gefahrtragungsregel  159 – Gläubigernähe  214 – Leistungsnähe  214 – Schadensverlagerung  159, 183, 184 Drittwiderspruchsklage  171, 176 Drittwirkung  74, 99 Durchsetzungsmechanismus d. Öffentlichen Rechts 31–33 EGMR  15, 70, 104 Ehe und Familie  73–77, 178, 226 – Ehe, räumlich-gegenständlicher Bereich  106, 120, 121 Fn.  701 – Sorge- und Umgangsrecht  56 Eigentum  48, 107, 120, 146, 183, 186, 260, 263 – Eigentumsverletzung  39–41, 128, 146 – Miteigentum  62, 120 Eigentümerinteresse 185 Eigenverletzungsgrundsatz 136 Einheit, psychisch-soziale  82–84, 111 Einzelfallentscheidung  41, 127, 227, 239 EMRK  15, 70, 103–106, 129 Entschädigung – angemessene  15, 229, 234 – billige  193, 229, 234 Entstehungsgeschichte  d. Hinterbliebenengelds  3–7, 207 Erbrecht  72 f., 244, 249 Erfolgsunrecht, Lehre vom 144 Erkennbarkeit  122, 214 Erst- und Zweitgeschädigter  149 f., 156 Erst- und Zweitverletzter  156 Erwerb, gutgläubiger  120 Erwerbsschadensersatz 219 EuGH  109 f.

Fahrlässigkeit  195, 207, 240 Familie  s. Ehe und Familie Fehlplatzierung, systematische  216 Feststellungsinteresse 180 Feststellungsklage 171 Fleet-Fall  39 Fn. 166, 41 Forderung  47, 63, 167, 173, 250 Forderungsschutz, deliktischer  167–174 Forderungsgegenstand 168 Forderungsinhaberschaft  167, 172, 175 Forderungszuständigkeit 167, s. auch Forderungsinhaberschaft Freiheit  19, 20, 33, 46, 50 Freiheitsraum  36, 38, 43 Freiheitsrechte  43, 77, 96, 100 Friedensargutment 257 Gedankenreflexion  52, 122, 147, 172, 179 Gefährdungshaftung  16, 188, 195, 199, 204, 211, 218, 243, 264 Geldentschädigung  88, 116, 229, 232, 251 Gemeinschaft, häusliche  225 Generalanwalt 110 Generalfreiheit 36 Generalklausel  40, 124 Generalprävention  42, 204 Genugtuung  90, 189, 233, 249 Genugtuungsfunktion  192–202, 205, 240, 252, 264 Gerechtigkeitsempfinden  40 Gerechtigkeitslücke 13 Geschädigter – mittelbar  133, 149 f., 157–158, 160, 181 – unmittelbar 149 f., 247 Gesetzesbegründung  191, 211, 217, 219, 227, 230 f., 234 f., 235, 243, 249, 253 Gesetzgebungsverfahren 16 Gesundheit  50, 78 – Gesundheitsschaden  79, 150 f., 230, 243 – Gesundheitsverletzung  78 f., 88, 92, 150, 153, 243 Gewaltenteilung 65 Gläubigerpotenzierung  139 f., 147, 188, 219 Güter- und Interessenabwägung  124 f., 264 Güterzuordnung 37 gutgläubiger Erwerb s. Erwerb, gutgläubiger Haftpflichtversicherung  204, 215, 253 Haftungsausschluss

Sachregister – vertraglicher  247  f. – gesetzlicher  254–259 Haftungsbegrenzung  139–140, 143, 155, 186 Haftungsbegründung  81, 136, 142 Haftungslücke  10, 215 Haftungsprivilegierung 256 Haftungsrecht  5, 10, 17, 132, 133 Haftungsrisiko  134, 139 Haftungssumme 135 Haftungssystem 261 Haftungsumfang 83 Handlungsfreiheit  49, 61, 109, 115, 121, 125–127, 134, 139, 152, 264 Handlungsunrecht, Lehre vom  144 Harmonisierung  14 f., 31, 221 Heilbehandlungskosten  79, 244 Herrenreiter-Fall 87 HGB 211 Hinterbliebener 223 Hinterbliebenenentschädigung 229 Hintergrund, rechtspolitischer  10 ICD-10 81 Imperativentheorie 33–36 Individualprävention 204 Individualschutz  28, 58 Indizwirkung 226 Informationsgesellschaft 98 Inhaltsbestimmung  57 f., 75 iniuria sine damno 166 Inkommensurabilität  8, 141, 193, 196, 201, 207 Institution 28, 74 Institutionenschutz 28–30 Integrität 104 – Integritätsverletzung  146 Kausalität 165 – adäquate  134 – haftungsausfüllende  188 KfzPflVV  253 Kombinationslehre  144 f. Kommerzialisierung  4, 12, 262 Körperverletzung  10, 82, 92, 145, 244, 256 Kostenerstattungsanspruch 166 KUG  111, 113, 115–117 Kulturauffassung  51, 123 Kundbarkeitszeichen 123

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Ländervergleich 237 Leben  70–73, 84, 124 f., 156, 162, 164, 176, 185 LPartG  176, 178 Lebensplanung  89, 90 Leid, seelisches  227 Leistungssubstrat 169 Lex-lata-Grenze 94 Menschenwürde 113 Mephisto-Fall 112 mittelbarer Schaden, s. Schaden, mittelbarer Mitverschulden – gem. § 254 BGB  246 f. – gem. § 846 BGB  246 f., 255 Nähebeziehung  73, 85, 93, 96, 101–107, 110, 115, 117, 119, 123, 154–155, 187, 217, 224, 247, 261, 263 Näheverhältnis  s. Nähebeziehung Namensrecht  s. Persönlichkeitsrecht Nasciturus 236 Naturalrestitution  191, 201 neminem laedere  138, 140 f. Nichtvermögensschaden  s. Schaden, immaterieller Norm, schadensbegründende  165 Normzweck 163 Normzwecklehre 148 Notbehelf 207 Nutzungsausfall 4 Nutzungsbeeinträchtigung  40, 145 Nutzungs- und Erhaltungsinteresse  185 f. Offenkundigkeit, sozialtypische  49–54, 122 f., 147, 170, 175, 179, 185, 263 – Gedankenreflexion  s. dort – Kulturauffassung  s. dort – Kundbarkeitszeichen  s. dort  öffentliche Belange  32 ökonomische Analyse des Rechts  11, 42 OR, schweizerisches 49, 89 f. Pandektistik  27, 47 Passagierschadenshaftung  16, 211 Patentrecht 51 Personenschaden 254 persönliches Merkmal  s. allgemeines Gleichbehandlungsrecht

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Sachregister

Persönlichkeitsentwicklung 101 Persönlichkeitsrecht – allgemeines  85–88, 96–100, 118, 154 f., 196, 203, 217, 232, 244, 251, 258, 259, 260, 263 – KUG s. dort – Namensrecht  87, 123, 126 – postmortales  109–117 – Urheberpersönlichkeitsrecht  87, 126 Pfändung  175 f. PflVG  253 f. postmortales Persönlichkeitsrecht  s. Persönlichkeitsrecht, postmortales Präventionsfunktion  11, 191, 200, 202–205, 264 Primärgeschädigter  83, 133 Primärverletzter  163, 219, 245, 265 private law enforcement  s. Rechtsdurchsetzung, private Privatleben 104–105 Privatrechtssubjekt  19, 20, 35, 43, 65 Privatsphäre  101, 178 Privatstrafe  200, 204 Prozessrisiko 42 Prozessstandschaft, gesetzliche  115 Prozessvergleich 32 psychisch-soziale Einheit  s. Einheit, psychisch-soziale psychisch vermittelter Schaden  s. Schaden, psychisch vermittelter Rahmenrecht  124, 264 Raum, rechtsfreier  35 f. Recht – dingliches   47 – subjektives  22 Rechtsbegriff, unbestimmter  223, 224 Rechtsdurchsetzung, private  30–33 Rechtsfähigkeit  10, 71, 113, 115 Rechtsfigur  133 Rechtsfolgenregelung  95, 217, 261 Rechtsfortbildung  24, 67 f., 94 f., 160 Rechtsgedanke, allgemeiner  246 Rechtsinterpretationsfreiheit 44 Rechtskreis  49, 94, 115, 133, 152, 201, 243, 263 Rechtsposition  5, 17, 20, 22 f., 26, 30, 37, 41, 45, 46, 54–58, 60, 63, 70, 106 f., 114, 121–123, 167, 247, 260, 265

– absolute  20, 47 f., 261, 263 – obligatorische  185 – relative  20, 47, 63–65 – eigenständige  58–60 – unselbständige  60  f. Rechtsschutz 263 Rechtsschutzordnung 21 Rechtssicherheit  38, 44, 132 Rechtssubjekt 10 Rechtsunsicherheit  25, 44 Rechtsverhältnis 27 Rechtsverkehr  74, 87, 137, 172 Rechtsverletzung  2–21, 39–41, 71, 81, 137, 145 f., 243 – mittelbare  132–147 – unmittelbare  132–147 Rechtsverwirklichung  20, 261 Rechtswidrigkeit  56, 62, 125, 142 Rechtszuweisung  18, 27, 34, 46, 65, 106, 118, 263 Rechtszuweisungsordnung  5, 17–23, 25, 42, 71, 114, 264 Relikt  25 f. Reserveursache 165 Richterrechtsetzung 68 Sängerin-Fall  134 Fn. 28, 157 Schacht-Brief-Urteil 87 Schaden  94, 128 – Fernwirkungsschaden  83, 133, 149–156, 187 – Gefühlsschaden  85, 259, 265 – immaterieller  8, 12, 41, 74, 87, 136, 140 f., 192, 201, 228, 245, 264 – mittelbarer  131, 133, 182 – psychisch vermittelter  132, 149–151 – Sachschaden  40, 145 – Schockschaden  4, 5, 11, 78, 88, 133, 140–156, 230, 232, 242, 256, 265 – Trauerschaden  15, 196, 244, 259, 206 – Verfrühungsschaden  165, 181, 228, 233 – Vermögensschaden  8, 40 f., 136, 138 f., 145, 147, 163, 194, 206 Schadensbegriff, natürlicher  7 f. Schadensersatz, immaterieller  7–9, 12, 206, 249 Schadensersatzforderung  21, 72 Schadensvermeidung 42 Schadensvermutung 227

Sachregister Schädigungsverbot  s. neminem laedere Scheingläubiger 172 Schmerzensgeld  9, 91, 192–196, 207, 220, 230, 239, 244 Schuldrechtsmodernisierung 118 Schuldverhältnis  169 f., 212, 217 Schutzbedürftigkeit 214 Schutzbereich  75, 97 f. Schutzgesetz  58–62, 107, 109, 129 Schutzmechanismen  20 f., 118, 121 Schutzpflicht des Staats  99, 179 Schutzrecht  20, 23, 46, 52, 54, 63, 117, 166 – rechtsfortsetzendes  20 – rechtsverwirklichendes  20 – Schutzrechtinhaber  71 Schutzregelung 54 Schutzzwecklehre  80 f., 142, 144, 152 Schweizer Bundesgericht  89 Sekundärgeschädigter 83, 133, 188 Sekundäropfer  s. Sekundärgeschädigter SGB VII  223, 254–256, 258 Soraya-Entscheidung 88 Sorgfaltsanreiz 42 Sorgfaltsaufwand 42 Sozialsphäre 225 sozialtypische Erkennbarkeit  s. Offenkundigkeit, sozialtypische StGB 61 StGB a.F.  55, 60 f., 248 Strafe  59 f. Strafzumessung 242 StVG 135 Substanzrecht  s. Rechtsposition Substanzverletzung  39 f., 145, 147 Substrat  39, 50, 93 f., 122, 146, 168 Symbolfunktion  191, 199, 229 Systembruch  5, 24–25 Tatbestand  8, 125, 141, 147, 159, 211, 218 – haftungsausfüllender  161, 188, 254–259 – Tatbestandsprinzip  10, 133, 137, 160, 259, 260 – Tatbestandsmerkmal  39, 184, 223–228 Totalreparation  42, 190, 196, 206 Tötung auf Verlangen  248 Trauerleid  13, 129, 207, 212, 254, 259 Trauerschmerzensgeld  s. Angehörigenschmerzensgeld Trauerstörung, anhaltende  81

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Überkompensation  203, 235 Übertragbarkeit der Forderung 24, 265, 251 – Abtretbarkeit  s. dort – Vererbbarkeit  23, 151, 249 Unfallversicherung 257–258 Unglücksfälle  13 f. Unmittelbarkeitsgrundsatz  131, 136, 140, 142, 162, 187, 264 Unterhalt 63 – Unterhaltsanspruch  164 – Unterhaltsersatz  216, 217 – Unterhaltsforderung  167, 174, 180, 220 – Unterhaltsforderungsinhaberschaft  176  f. – Unterhaltsschuldner  163 – Unterhaltsrechtsverhältnis  175 Unterlassungsanspruch  s. Abwehr- und Unterlassungsanspruch UrhG  53, 57, 146 UWG 38 Verbotsnorm 35 Verdienstausfall 245 Verfassungsänderung 76 Verfügungsbefugnis  167, 175 Verhaltensberechtigung  34, 167, 170 Verhaltensordnung  35, 57 Verhaltenspflicht  62, 148 Verhaltensregel  34, 65, 122 Verhaltenssteuerung  42 f., 202 f. Verhaltensvorschrift  56–58, 148, 263 Verkehrsauffassung  80, 152 Verkehrspflicht  61 f., 65, 148, 153 Verkehrsunfall 219 Verletzung – mittelbare  142  f., 144 – schwerste  218  f. – unmittelbare  142  f., 184 Verletzungshandlung  125, 144 Vermögensinteresse  7–8, 40–41, 60, 136, 138, 145, 147, 212 Vermögensverhältnisse 234 Vermutungsregelung 77 Verrichtungsgehilfe 215 Verschiedengeschlechtlichkeit 75 Verschmelzung  82, 111 Verschulden  194, 200, 204, 215, 233 Versicherungsrecht 253 Versicherungsrisiko 137 Vertrag  64, 211 f.

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Sachregister

– Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter 213–216 – Vertragsrecht  212, 216  f. Vertretenmüssen  198, 215 Verwandtschaftsverhältnis  76, 225 Verwendungszweckstörung 145 Vorsatz 195 VVG  226, 253 f. Wahrnehmbarkeit 52 Warnfunktion 49 Weisungsgebundenheit 215 Weltgesundheitsorganisation 78 Wertungsmöglichkeit 239 Wertungswiderspruch  10, 13, 163, 165, 209–221 Widerrechtlichkeit  s. Rechtswidrigkeit Wiedergutmachung  190, 201, 206 Willkür  44, 201 Wohlbefinden, seelisches  84 f.

Zedenten 168 Zessionar  172, 252 ZGB, schweizerisches  90 ZPO  171, 176, 180, 225, 230 Zuordnung  s. auch Rechtszuweisung – Zuordnungsentscheidung  20, 28, 36, 47, 54–65, 85, 107, 117, 119, 121, 143, 147 – Zuordnungsentscheidung, richterliche  66, 68 – Zuordnungsfunktion  35, 48, 263 – Zuordnungskompetenz  66 – Zuordnungsprobleme  67  f. Zustimmungsgesetz 104 Zuweisung  s. auch Rechtszuweisung – Zuweisungsnorm  54, 58, 63, 186 – Zuweisungsregelung  s. Zuweisungsnorm Zweitgeschädigter 188