Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht: Zugleich ein Beitrag zur Dogmatik des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts [1 ed.] 9783428512171, 9783428112173

Die theoretischen Grundlagen der Testierfreiheit gelten seit langem als geklärt. Das objektive Erbrecht wird weithin als

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Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht: Zugleich ein Beitrag zur Dogmatik des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts [1 ed.]
 9783428512171, 9783428112173

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Schriften zur Rechtstheorie Heft 217

Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht Zugleich ein Beitrag zur Dogmatik des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts

Von Joachim Goebel

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

JOACHIM GOEBEL

Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht

Schriften zur Rechtstheorie Heft 217

Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht Zugleich ein Beitrag zur Dogmatik des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts

Von Joachim Goebel

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Universität Regensburg hat diese Arbeit im Jahre 2001 als Teil einer Habilitationsschrift angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2004 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0472 ISBN 3-428-11217-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Abhandlungen über den Tod gehören gewiß nicht zum Standardrepertoire der rechtswissenschaftlichen Literatur. Im allgemeinen dürfte dies auch nicht weiter verwundern. Soweit freilich dasjenige Rechtsgebiet in Rede steht, welches sich der vermögensrechtlichen Folgen des Todes eines Menschen annimmt, fragt man sich denn doch, wo in der Erbrechtsdogmatik der Tod bleibt. Wieso spielt dort der Tod allenfalls in rechtstechnischer Manier eine Rolle in dem Sinne, daß der Erblasser nun einmal in einem eher physiologisch-medizinischen Sinne versterben muß, damit das Erbrecht einen „Einsatzpunkt“ im Tatsächlichen hat? Und wieso wird die Testierfreiheit durchweg primär als fortgesetzte Eigentümerfreiheit und residual noch als familiar gebundenes Recht begriffen – und nicht eher als Persönlichkeitsrecht, mit dessen Hilfe man sich der Unausweislichkeit des eigenen Versterbens stellen kann, wenn der Erblasser dies denn so will? Die vorliegende Untersuchung möchte einen Beitrag dazu leisten, die rechtlichen Verbindungen zwischen dem Tod des Erblassers, seiner Persönlichkeit und seinem Vermögen aufzuspüren. Sie ist ein nunmehr selbständig erscheinender Teil einer umfangreichen Untersuchung zum Thema Testierfreiheit und Ehegattenschutz, die im Sommersemester 2001 von der Juristischen Fakultät der Universität Regensburg als Habilitationsschrift angenommen worden ist. Mein herzlicher Dank gilt meinem verehrten akademischen Lehrer, Herrn Prof. Dr. Peter Gottwald. Seine unermüdliche Geduld in oft schwierigen Arbeitslagen und seine nimmermüde Gesprächsbereitschaft waren mir stets ebenso Vorbild, wie sein Vertrauen eine große Hilfe. Danken möchte ich auch Herrn Prof. Dr. Dieter Schwab für die Übernahme des Zweitgutachtens und für die wertvollen Anregungen. Mein Dank gilt auch der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die mit der Gewährung eines Habilitationsstipendiums und einer Druckkostenbeihilfe zu dem Gelingen des Gesamtwerks beigetragen hat. Die Untersuchung ist meinen Patenkindern Daniel Keller und Max Meinhardt gewidmet. Köln, im März 2003

Joachim Goebel

Inhaltsübersicht Einleitung §1

19

Rechtliche Dogmatik als geltungstheoretisch ausgerichtete Dogmatik . . . . 21

Kapitel 1 Hauptthese – Begrifflichkeiten §2

36

Erbrecht als funktionales Persönlichkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

Kapitel 2 Diskussion der bisherigen Ansätze zur Testierfreiheit

44

§3

Die Testierfreiheit als verliehene Befugnis zur Erzielung familiarer Effekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

§4

Die Testierfreiheit und personalistische Fiktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63

§5

Erbrecht als fortgesetztes Eigentum: Historische Perspektive . . . . . . . . . . . 73

§6

Erbrecht als fortgesetztes Eigentum: systematische Kritik . . . . . . . . . . . . . . 98

§7

Testierfreiheit als reine Vermögensfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130

§8

Ergebnis zum bisherigen geltungstheoretischen Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . 134

Kapitel 3 Der Todesdiskurs der Moderne §9

137

Der Tod im gesellschaftlichen Diskurs der Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137

8

Inhaltsübersicht

Kapitel 4 Testierfreiheit und Persönlichkeitsrecht

181

§ 10 Wertungsabgleich I: Allgemeines Persönlichkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 § 11 Wertungsabgleich II: Das Wertungsgeflecht des Erbrechts . . . . . . . . . . . . . . 262 § 12 Sittenwidrigkeit und erbrechtliche Personfunktionalität . . . . . . . . . . . . . . . . 325

Schlußteil

359

§ 13 Ergebnis: Erbrecht und Persönlichkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396

Inhaltsverzeichnis

§1

Einleitung

19

Rechtliche Dogmatik als geltungstheoretisch ausgerichtete Dogmatik I. Die Legitimation des gewillkürten Erbrechts als Aufgabe rechtlicher Dogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die republikanischen Gehalte rechtlich-systematischer Wertung . . . 1. Legislative auctoritas als alleiniger Bezugspunkt des Rechts? . . 2. Die Idee der Republik als Ausgangspunkt des Umgangs mit Recht 3. Die Idee der Republik und das innere System des Rechts . . . . . . a) Das innere System des Rechts als Residuum der Allgemeinheit des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Ausgang der Kohärenzprüfung: Dogmatische Vorentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Notwendigkeit einer Kohärenzprüfung für den „Machttheoretiker des Rechts“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Probleme des inneren Systems des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Geltungstheoretische versus konstitutionstheoretische Rechtsdogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Geltungstheoretische Dogmatik als Ausdruck der kantischen Idee der Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Konstitutionstheoretische Dogmatik als Ausdruck einer Machttheorie des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Geltungstheoretische Dogmatik und die Geschichtlichkeit des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21 21 22 22 24 26 26 29 30 31 32 32 34 34

Kapitel 1

§2

Hauptthese – Begrifflichkeiten

36

Erbrecht als funktionales Persönlichkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Erbrechtsdogmatik und erbrechtliche Personfunktionalität . . . . . . . . . II. Begrifflichkeiten: Erbrechtliche Person-, Familiar- und Vermögensfunktionalität, gewillkürtes Erbrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Bezug zur Rechtspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Personfunktionalismus als Rechtsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtspraxis – Rechtsdogmatik – Rechtstheorie . . . . . . . . . . . . . .

36 36 38 39 39 41

10

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 2 Diskussion der bisherigen Ansätze zur Testierfreiheit §3

§4

§5

Die Testierfreiheit als verliehene Befugnis zur Erzielung familiarer Effekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die treuhänderische Freiheit des gerechten Hausvaters . . . . . . . . . . . II. Der erbrechtliche Familiarismus und der Rekurs auf die Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der erbrechtliche Familiarismus und die erbrechtlichen Anfechtungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anfechtungsberechtigung als Schutz gesetzlich oder letztwillig Bedachter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anfechtungsberechtigung und die Richtigkeitsgewähr der letztwilligen Verfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Varianten des Richtigkeitsgewährs-Topos . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Richtigkeitsgewähr im Prüfstand gängiger Theorien der Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Richtigkeitsgewähr und Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . d) Richtigkeitsgewähr und rechtsinterner Diskurs . . . . . . . . . . . . . 3. Anfechtungsberechtigung und Vertrauensschutz . . . . . . . . . . . . . . IV. Der erbrechtliche Familiarismus und die Testamentsauslegung . . . . . 1. Die Meinung Leipolds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Ergebnis zur Diskussion des erbrechtlichen Familiarismus . . . . . . . .

44

45 46 49 51 51 52 52 53 57 58 60 61 61 61 63

Die Testierfreiheit und personalistische Fiktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Testierfreiheit als Modus zur Fortsetzung der Persönlichkeit des Erblassers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Testierfreiheit als Modus zur Fortsetzung des Willens bzw. des Geistes des Erblassers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Personalistische Theorien und heutige Dogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Gedanke der Persönlichkeitsfortsetzung in der heutigen Dogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kritik des Gedankens der Persönlichkeits- und der Willensfortsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Persönlichkeitsersetzung statt Persönlichkeitsfortsetzung? . . . . . .

63

Erbrecht als fortgesetztes Eigentum: Historische Perspektive . . . . . . . . I. Eigentum und Erbrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die konstitutionstheoretische Verklammerung von Erbrecht und Eigentum als Ausdruck liberaler politischer Theorie . . . . . . . . . . . . . 1. Erbrecht und Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erbrecht und private Disposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis: Die konstitutionstheoretisch einsichtige Legitimation des Erbrechts aus dem Eigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73 73

64 66 68 68 69 71

76 76 78 82

Inhaltsverzeichnis

III.

§6

§7

4. Probleme einer Herleitung des Erbrechts aus dem Eigentum . . . a) Die legitimatorische Reichweite der Rückführung der Testierfreiheit auf das Eigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das geltungstheoretische Grundproblem einer Rückführung der Testierfreiheit auf das Eigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Abstraktheit politischer Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtfertigung des Erbrechts und Rechtfertigung des Eigentums: Zur Genese der Rechtfertigungssemantik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Okkupation und Arbeit: Die frühen eigentumstheoretischen Rechtfertigungsdiskurse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Eigentum als praktische Vernunftidee: Die Verbindung von Eigentum und dem Kantischen allgemeinen Gesetz der Freiheit 3. Eigentum, Person und Arbeit: Die entfaltete Legitimationssemantik des Eigentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Erbrecht als fortgesetztes Eigentum: systematische Kritik . . . . . . . . . . . I. Die historische Trias: Erbrecht – Eigentum – Arbeit . . . . . . . . . . . . . 1. Die erste Lesart Lockes: Rechtfertigung des Erbrechts als Institution, nicht des konkreten bürgerlich-rechtlichen Normbestands 2. Die zweite Lesart Lockes: Fehlende Rechtfertigung schon des Erbrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Exkurs: Einwände gegen die arbeitstheoretische Begründung des Eigentums als solche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die gegenwärtige Trias: Erbrecht – Eigentum – Arbeit . . . . . . . . . . . III. Erbrecht – Eigentum – Person: Personfunktionales Erbrecht aufgrund personfunktionalen Eigentums? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Eigentum als Freiheitsraum im persönlichen Bereich . . . . . . . . . . 2. Wegweisender Gehalt und mangelnde Heuristik zugleich: Die erbrechtsdogmatischen Probleme der Trias Erbrecht – Eigentum – Freiheit/Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Anbindung des Erbrechts an die Ordnungsfunktion des Eigentums: Detailanalyse am Beispiel der Unternehmensvererbung . . . . . 1. Erbrechtliche Unternehmensperpetuierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Angriff auf die Perpetuierungsidee von der Ordnungsfunktion des Eigentums her . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Annahme einer Unsinnigkeit der Herrschaft „von kalter Hand“: Die verborgene Abwertung der Affektion gegenüber der Vernunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erbrechtliche Affektion und die Ordnungsfunktion des Eigentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ordoliberalismus und Unternehmensperpetuierung . . . . . bb) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Erbrecht als fortgesetztes Eigentum: Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11 84 84 85 88 91 92 94 95 98 99 100 103 105 109 115 115

117 121 121 123

123 124 124 127 128

Testierfreiheit als reine Vermögensfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 I. Die Prägung erbrechtlicher Anordnungen auf das Vermögen . . . . . . 130

12

Inhaltsverzeichnis II.

§8

Kritik am erbrechtlichen Vermögensfunktionalismus . . . . . . . . . . . . . 130 1. Der Rekurs auf freigebige Gesinnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 2. Die implizite Restriktion der Testierfreiheit auf das Vermögen . 132

Ergebnis zum bisherigen geltungstheoretischen Diskurs . . . . . . . . . . . . . 134 I. Zusammenfassung der bisherigen Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 II. Das bisher ausgeblendete Dritte: Der Tod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135

Kapitel 3

§9

Der Todesdiskurs der Moderne

137

Der Tod im gesellschaftlichen Diskurs der Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . I. Perspektivismen hinsichtlich des Todes: Individualisierung und Verdrängung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Individualisierung des Todes in der Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Kontrastfolie zur Individualisierung des Todes: Die Todesverarbeitung in mythischen Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Skizze der weiteren Entwicklung des Todesdiskurses: Die zunehmende Individualisierung der Todesverarbeitung . . . . . . . . . 3. Die „Inversion“ des Todes im Todesdiskurs der Gegenwart: Die vollständige Verklammerung von Tod und Individuum . . . . . . . . a) Warum Heidegger? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Dasein und Tod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Wahl des eigentlichen Seins zum Tode . . . . . . . . . . . . . . . d) Bezüge der Todeserfahrung zum Recht: Das Sein zum Tode und die erbrechtliche Dogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusammenfassung: Die Todesverarbeitung als Ausdruck personaler Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Verlust der symbolischen Sinngebung des Todes in der intersubjektiven Sinnkonstruktion der Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die These von der gesellschaftlichen Verdrängung des Todes . . 2. Der gesellschaftliche Ort des Todes in der Moderne . . . . . . . . . . a) Die Verabseitigung des Todes in der funktional ausdifferenzierten Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Verabseitigung des Todes als Ergebnis des Modernisierungsprozesses selbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kritik der These von der gesellschaftlichen Verdrängung des Todes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gesellschaftliche Todesverdrängung und Erbrechtsdogmatik . . . a) Zusammenfassung zur gesellschaftlichen Verdrängung des Todes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das personfunktional verstandene Erbrecht als genuines Freiheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

137 137 140 140 144 146 146 148 150 154 156 157 157 158 159 163 165 167 167 168

Inhaltsverzeichnis IV.

V.

Die Funktionalisierung des Vermögens bei der Verarbeitung des individuellen Todes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Vermögensbezug des gewillkürten Erbrechts und das Memento mori: Der Aspekt der notwendigen Bedingung . . . . . . . . . 2. Der Vermögensbezug als Ausdruck der Absicherung des Memento mori: Der Aspekt der hinreichenden Bedingung . . . . . . . . 3. Der Schutz der Bedachten: Das Denken in Anerkennungsverhältnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

172 173 173 177 178

Kapitel 4 Testierfreiheit und Persönlichkeitsrecht § 10 Wertungsabgleich I: Allgemeines Persönlichkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Notwendigkeit eines Strukturvergleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vorüberlegungen zum Strukturvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Ansatzpunkt des Wertungsabgleichs: Das allgemeine Persönlichkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ebenen des Strukturvergleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die strukturtheoretische Ebene des persönlichkeitsrechtlichen Wertungsmusters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Regel und Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht als Rahmenrecht . . . . . . . . . 3. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht als Regelrecht . . . . . . . . . . . 4. Die Heuristik der strukturtheoretischen Ebene für den Wertungsabgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die grundlagentheoretische Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Schwierigkeiten eines grundlagentheoretisch orientierten Wertungsabgleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Ansatz am ethischen Personalismus im Gefolge Kants . . . . a) Person – Achtung – Pflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Verfremdung und die Wiederentdeckung kantischer Autonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Heuristik einer kantisch orientierten Grundlegung des Persönlichkeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gelingende Abgrenzung zwischen Persönlichkeits- und Vermögensrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Der Ausweg: Reflexion über das Selbst? . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Ausschlußfunktion des ethischen Personalismus im Wertungsabgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Ansatz am Interessenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Person und Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

181 181 181 184 184 186 186 186 187 190 192 193 193 195 195 197 201 201 204 206 209 210 210

14

Inhaltsverzeichnis

V.

VI.

b) Die Probleme einer reflexionstheoretischen Gründung des Interessenansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die implizite Logik der Interessen-Kategorie . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Ansatz an der kommunikativen Genese der selbstbestimmten Eigendarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Testierfreiheit und Personalität des Erblassers im Wertungsabgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Identität und soziale Geltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Persönlichkeit und ihr Recht als Ergebnis wertender Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Person – Vernunft – Begehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Expressivität im personalen Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Aufruf an den Richter: Der Rekurs auf den Anderen . . . c) Der ethische Personalismus als Leitfaden der rahmenrechtlichen Güterabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Testierfreiheit und Persönlichkeitsrecht: Der Wertungsabgleich . a) Relevante und irrelevante Ansatzpunkte des Wertungsabgleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Wertungsabgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Tod und das Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Differenzierung nach dem Grad der testamentarischen Todesverarbeitung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Tod und Expressivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Tod und Vermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Testierfreiheit und kommunikative Genese des Selbst: Die Einbindung der Testierfreiheit in Anerkennungsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . 1. Kommunikative Genese des Selbsts und Todesverarbeitung . . . . 2. Der perspektivische Schwenk zu den Interessen der Bedachten . a) Einführung in die Figur der Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sozialphilosophische Grundlegung der Anerkennungsfigur . . aa) Begrifflichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Anerkennung als Motor sozialer Konflikte . . . . . . . . . . . . 3. Wertungen der Anerkennung im Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der erste Begründungsstrang: Anerkennung und die Allgemeinheit des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der zweite Begründungsstrang: Das Verbot widersprüchlichen Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Heuristik des Denkens in Wertungen der Anerkennung . . . .

§ 11 Wertungsabgleich II: Das Wertungsgeflecht des Erbrechts . . . . . . . . . I. Vorüberlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der inhaltliche Schutz des Erblasserwillens im Erbrecht . . . . . . . . . 1. Testamentsauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Streitstand zur Testamentsauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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213 220 224 227 227 228 232 232 236 237 240 240 243 243 245 247 247 249 249 250 250 251 251 253 255 255 259 261 262 262 264 264 264

Inhaltsverzeichnis

III.

IV.

b) Kritik der herrschenden Deutung des auslegungsrechtlichen Willensdogmas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Auslegung und Todesverarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Objektivierung der Individualisierung? . . . . . . . . . . . . . . . bb) Auslegung und Schutz Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Auslegung und das Wertungsgeflecht des Privatrechts . . dd) Todesverarbeitung – ergänzende Auslegung – Auslegungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Testamentsanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erklärungsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kritik der gängigen Erklärungsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Testamentsanfechtung und Todesverarbeitung . . . . . . . . . . . . . Die Höchstpersönlichkeit der letztwilligen Verfügung . . . . . . . . . . . . 1. Höchstpersönlichkeit und Persönlichkeitsrecht: Allgemeines . . . 2. Der Sinn formeller Höchstpersönlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gängige Erklärungsmuster zur formellen Höchstpersönlichkeit aa) Erklärungsmuster I: Die besondere Bedeutung der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Erklärungsmuster II: Das Erfordernis eines persönlichen Bekenntnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Erklärungsmuster III: Schutz vor unlauteren Machenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Erklärungsmuster IV: Verantwortung des Erblassers . . . . b) Formelle Höchstpersönlichkeit und Todesverarbeitung . . . . . . 3. Der Sinn materieller Höchstpersönlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gängige Erklärungsmuster zur materiellen Höchstpersönlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Erklärungsmuster I: Das Interesse an einer klaren sachenrechtlichen Zuständigkeitsordnung . . . . . . . . . . . . . bb) Erklärungsmuster II: Verantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Erklärungsmuster III: Das Familieninteresse . . . . . . . . . . . dd) Erklärungsmuster IV: Rekurs auf den Gedanken einer gerechten Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Erklärungsmuster V: Rekurs auf einen unverzichtbaren Kern der Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Erklärungsmuster VI: Vermeidung einer Konzentration familiären Vermögens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Erklärungsmuster VII: Mißbrauchsgefahr – Fazit . . . . . . b) Materielle Höchstpersönlichkeit und Todesverarbeitung . . . . . Die Einbettung erbrechtlicher Personfunktionalität in das sonstige Wertungsgeflecht des Erbrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Verbot einer obligatorischen Verpflichtung zu einer Verfügung von Todes wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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265 271 271 271 272 274 278 278 278 279 281 284 284 287 287 287 290 291 292 293 294 294 294 296 298 302 303 304 305 307 310 310

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Inhaltsverzeichnis 2. Vergleich mit dem Recht der juristischen Person . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Existenz des Rechtsinstituts der Testamentsvollstreckung . . 4. Die Testierfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Schutz der Bedachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bedachtenschutz und Sittenwidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Schutz der Todesverarbeitung der Bedachten . . . . . . . . . . . . . a) Inzidentes Verbot fideikommißähnlicher Bindungen? . . . . . . . b) Vergleich mit dem Recht der Unternehmensträgerstiftung . . . c) Die Lösung: Schutz der Todesverarbeitung der Bedachten . . Testierfreiheit und Schutz des lebensweltlichen Handelns und der gesellschaftlichen Reproduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 12 Sittenwidrigkeit und erbrechtliche Personfunktionalität . . . . . . . . . . . . . I. Materialisierungstendenzen versus Sittenwidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Vorfrage: Kompensation gestörter Testamentsparität als Ausgang? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Streitstand und Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Streitstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Grundlegung: Das Verhältnis von außerrechtlichen und innerrechtlichen Sollensordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die herrschende Interpretation der Guten-Sitten-Klausel als Transformationsriemen gesellschaftlicher Sollensordnungen . . . . 2. Zwischenbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Moral und gute Sitten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das Rechtsverständnis des auf weltanschauliche Neutralität verpflichteten Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der empirische Befund: Der Verlust übergreifender Werte in der modernen Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sozialmoral und das Gewicht personaler Entfaltung . . . . . . . . . . . a) Die Sicht der normativen Pluralismustheorie . . . . . . . . . . . . . . b) Der hohe Wert personaler Entfaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Personale Entfaltung und soziale Moralen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Personales Selbstverständnis und objektiver Tatbestand des § 138 I BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Argument I: Interessenabgrenzung allein durch den Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Argument II: Notwendige Gegentendenzen zur Verrechtlichung sozialer Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Gute-Sitten-Klausel und das Persönlichkeitsrecht des einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Gute-Sitten-Klausel und die Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sozialmoral und die Personfunktionalität des Erbrechts . . . . . . . . 2. Der dogmatische Standort der Gesinnung des Erblassers . . . . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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V.

VI.

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Inhaltsverzeichnis

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Schlußteil

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§ 13 Ergebnis: Erbrecht und Persönlichkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Todesverarbeitung in der Testierpraxis: Zum Idealismus der hiesigen Konzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Endergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

359 359 361 362

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396

Man sagt: der Tod kommt gewiß, aber vorläufig noch nicht. Mit diesem „aber . . .“ spricht das Man dem Tod die Gewißheit ab. (. . .) Die Alltäglichkeit drängt in die Dringlichkeit des Besorgens und begibt sich der Fesseln des müden „tatlosen Denkens an den Tod“. Dieser wird hinausgeschoben auf ein „später einmal“ und zwar unter Berufung auf das sogenannte „allgemeine Ermessen“. So verdeckt das Man das Eigentümliche der Gewißheit des Todes, daß er jeden Augenblick möglich ist. Martin Heidegger1 Der Typus (. . .) stirbt nicht, aber das Individuum stirbt. Und je individueller also der Mensch ist, desto „sterblicher“ ist er, denn das Einzige ist eben unvertretbar und sein Verschwinden ist deshalb um so definitiver, je mehr es einzig ist. (. . .) In dem Maße, in dem (der Tod) individuell wird, in dem „jeder seinen eigenen Tod“ stirbt, ist er dem Leben als Leben verhaftet und damit dessen Wirklichkeitsform der Individualität. Georg Simmel2

Einleitung Individualität, Freiheit und Tod sind vielfältig miteinander verwoben. Freilich ist diese Einsicht nicht Allgemeingut. Noch viel weniger dürfte der Annahme zugestimmt werden, daß die Möglichkeit gelebter individueller Freiheit mit der vorgriffshaften Gewißheit des je eigenen Todes verknüpft ist und daß der Ausblick auf die je eigene Todeserfahrung das Individuelle am Individuum konturenscharf hervortreten läßt, wie dies beispielhaft in den Eingangs-Zitaten von Heidegger und Simmel zum Ausdruck kommt. Die Bedeutung des Todes für das einzelne Individuum spielt im Rahmen erbrechtlicher Dogmatik durchweg keine Rolle. Das Erbrecht gilt weithin als ein genuines Vermögensrecht, welches zudem – mehr oder weniger – mit familiaristischen Wertungen durchschossen ist. Die Testierfreiheit wird entsprechend konzeptionell als fortgesetzte Eigentümerfreiheit verortet. Eigentum und Familie verkörpern gewissermaßen die erbrechtlichen Losungen, unter denen die überlieferte Dogmatik das Wertungsgeflecht des Erbrechts zu entschlüsseln sucht. Dieses Bild wird im Rahmen der vorliegenden Studie nicht mehr weiter tradiert werden. Vielmehr wird die Tricho1 2

Heidegger, Sein und Zeit, 258, Hervorhebung i. O. Simmel, Rembrandt, 97, 99, Klammerzusatz vom Verfasser.

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Einleitung

tomie von Individualität, Freiheit und Tod mit etwas Viertem verbunden: nämlich mit der Testierfreiheit, und sodann in den Verweisungszusammenhang rechtsdogmatischer Theorie verpflanzt. Erbrecht wird dann nicht mehr primär als ein besonderes Vermögensrecht erfaßt, welches sich der vermögensrechtlichen Probleme annimmt, die beim Tode eines Menschen auftreten. Vielmehr wird das Erbrecht als ein genuines Recht des Todes begriffen. Das ist ungewöhnlich. Denn gemeinhin bleibt der Tod als Tod aus dem rechtlichen Diskurs weitgehend ausgespart; Residualbestände finden sich allenfalls in rechtstechnischer Manier in dem Sinne, daß der Erblasser nun einmal in einem eher physiologisch-medizinischen Sinne versterben muß, damit das Erbrecht einen „Einsatzpunkt“ im Tatsächlichen hat. Ansonsten bleibt der Tod der Rechtsdogmatik eher fremd. Im Rahmen dieser Studie soll das anders werden. Dem Tod wird ein rechtsdogmatisch akzeptabler Ort verschafft. Gelingt dies, hat das für die rechtliche Bewertung des Testierens und des Vererbens einschneidende Folgen. Denn wird die Perspektive erbrechtlicher Dogmatik auf den Tod ausgerichtet, muß man schauen, wo die bisherigen dogmatischen Leitlinien von Eigentum und Familie geblieben sind. Anders gesagt: Man muß sich dann bewußter die Frage stellen, was das Erbrecht mit Eigentum und Familie verklammert – eine Verklammerung, die bisher der gängigen Praxis als unbestritten zugrundeliegt. Indem im weiteren Fortgang der Studie das Erbrecht vom Tod her interpretiert wird, gelingt es der Erbrechtsdogmatik, die Testierfreiheit nicht mehr als fortgesetztes Eigentum oder als Instrument zur Erzielung familiaristischer Effekte, sondern als ein funktionales Persönlichkeitsrecht zu begreifen. Was all das genau heißt, ergibt sich aus dem weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit. In dieser Einleitung genügt es, die Grundlinie zu skizzieren: Es gilt, dem im rechtsdogmatischen Diskurs bisher Ausgeschlossenen: dem Tod, explizit einen auch rechtlich einsichtigen Ort zu geben und die Testierfreiheit aus ihrer Verklammerung mit dem Vermögensrecht zu befreien. Damit sollen die personalen Gehalte des Erbrechts wieder ins rechte Licht gerückt und dessen rechtliche Technizität als Recht der Güterbewegung zurechtgestutzt werden. Nun mag gegen ein solches Vorhaben sofort der Einwand durchschlagend sein, es könne nicht angehen, anhand des Rekurses auf den Tod dem Erbrecht gewissermaßen rechtsextern aufgesetzte Zwecke zu unterschieben und damit die Gesetzesbindung zu unterlaufen. Von dieser Gefahr kann keine Rede sein – vielmehr wird die Verbindung zwischen Rechtsdiskurs und Todesdiskurs aus dem alleinigen Grund gesucht, weil nur mit ihr eine kohärente Deutung des geltenden Rechts möglich sein wird, ja, nur mit ihr wird es gelingen, die anerkannten Wertungen des Erbrechts kohärent und konsistent zu einem System rechtlicher Wertung auszuformen. Es wird noch ausführlich die Rede davon sein, daß eine derartige kohärente Deutung rechtlicher Regeln für ein Verständnis des Gesetzes als Recht überaus wichtig

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ist, da in ihr die republikanischen Gehalte des Rechtlichen aufscheinen, nach der sich die Bürger als gemeinsame Autoren des Rechts begreifen dürfen. Gerade eine der Gesetzesbindung verpflichtete Dogmatik wird daher danach trachten, die Überlegungen zu Recht und Tod miteinander zu verschwistern. All dies klingt freilich eher kryptisch und auch dies wird daher noch im Weiteren näher erläutert werden.

§ 1 Rechtliche Dogmatik als geltungstheoretisch ausgerichtete Dogmatik I. Die Legitimation des gewillkürten Erbrechts als Aufgabe rechtlicher Dogmatik Die Rechtfertigung des gesetzlichen Erbrechts und der privatautonomen Freiheit, gewillkürt über die sachrechte Nachfolge von Todes wegen zu entscheiden, stand schon immer auf dem Tableau der rechtstheoretischen und rechtspraktischen Beschäftigung mit dem Recht des intergenerationalen Gütertransfers. Der Vermögenserwerb von Todes wegen war vor Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs Gegenstand ausgreifender Debatten um „Abschaffung oder Reform des Erbrechts“3. Der in diesen Debatten aufscheinende Reformimpetus, durch das private Erbrecht zu einer tiefgreifenden, gerechteren Umgestaltung der Vermögensverhältnisse zu gelangen, ist aus heutiger Sicht kaum mehr verständlich und schimmert allenfalls noch in der auch gegenwärtig noch anhaltenden erbschaftsteuerrechtlichen Debatte um das rechte Maß des staatlichen Zugriffs auf das von Todes wegen erworbene Vermögen durch. Im Zeitalter der Positivität des Rechts haben sich die Diskussionsschwerpunkte in der Dogmatik des Erbrechts verschoben. Die Legitimation der Testierfreiheit selbst steht nicht mehr ernstlich zur Debatte. Zumindest als hinzunehmende Entscheidung des Verfassungsund des einfachen Gesetzgebers wird die Testierfreiheit zu Recht allseits akzeptiert. Diese allgemeine Zustimmung enthebt eine recht verstandene Dogmatik dennoch nicht von den Mühen, zu einem sinnvollen Verständnis über die im Bürgerlichen Gesetzbuch niedergelegte Testierfreiheit und den ihr zugrundeliegenden Wertungen zu finden. Die Betonung liegt hier auf der Ergänzung „im Bürgerlichen Gesetzbuch“: Es gilt, sich nicht in abstrakte Überlegungen über den sozialphilosophischen, sozialpolitischen oder sonstwie zu rechtfertigenden Sinn oder Unsinn der Testierfreiheit zu verlieren, sondern eine kohärente und in sich stimmige Interpretation des gegebenen erbrechtlichen Normbestands und der ihm zugrundeliegenden Wertungen 3

Schröder, Abschaffung oder Reform des Erbrechts, 1982.

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Einleitung

aufzuspüren, um der Praxis des Rechts die Aussicht zu eröffnen, in der Anwendung des Rechts nicht nur die auctoritas ihrer selbst (d.h.: Fokus: Macht; Modus: Faktizität der gesetzgeberischen Entscheidung) im Richterspruch zu manifestieren, sondern auch das Rechtliche im Recht (d.h.: Fokus: Gerechtigkeit; Modus: Normativität des Rechts) aufscheinen zu lassen, was wiederum in einem demokratisch verfaßten Verfassungsstaat nichts anderes bedeutet, als das innere System des Rechts immerwährend auszuformen. Auch weiterhin steht deshalb die Legitimationsfrage der Testierfreiheit und des ihr zugeordneten Rechts auf der rechtsdogmatischen Tagesordnung: zwar nicht als Frage nach der gerechtigkeitsphilosophischen Berechtigung des Testierens, sondern als Suche nach der legitimen Lesart des positiven Rechts. Im folgenden steht deshalb an, dezidiert eine dogmatische Theorie des positiven Rechts zu entwickeln. Dies klingt alles reichlich kryptisch. Bevor die Interpretation der lex lata zur Debatte steht, soll deshalb ein kurzer Blick auf die Gründe geworfen werden, die in dieser Untersuchung dazu bewegen, das positive Recht nur von der Warte einer kohärenten Interpretation seines Normbestands und seiner Wertungen betrachten zu dürfen4.

II. Die republikanischen Gehalte rechtlich-systematischer Wertung 1. Legislative auctoritas als alleiniger Bezugspunkt des Rechts? Ob eine Norm gilt, hängt von dem jeweiligen Begriff der Geltung ab. Je nachdem, ob Geltung auf soziale Wirksamkeit (soziologischer Geltungsbegriff), auf ordnungsgemäße Gesetztheit (juristischer Geltungsbegriff) oder auf inhaltliche Richtigkeit (moraltheoretischer Geltungsbegriff) zurückgeführt wird5, gilt eine Norm oder sie gilt nicht. Es dürfte weitgehende Einigkeit bestehen, daß für eine rechtsdogmatische Arbeit die Geltung des ihr zugrundeliegenden Normmaterials im Grundsatz an den juristischen Geltungsbegriff gekoppelt ist. Ein Gesetz gilt mithin, wenn es von der nach der Verfassung zuständigen Stelle erlassen worden ist. Hierin kommen sowohl der rechtsdogmatische Rechtspositivismus als auch eine rechtsethische Jurisprudenz überein; beide erachten für die Erzeugung gültiger Gesetze die Einhaltung einer vorgegebenen Verfahrensordnung für unerläßlich und un4 Siehe zum Problem auch Goebel, Das System privatrechtlicher Wertung und die demokratische Genese des Rechts, Überlegungen zum internen Zusammenhang der Privatrechtsordnung mit der Idee der kantischen Republik, in: ARSP 89 (2003), 372 ff. 5 Als Überblick hierzu siehe aus der Fülle nur Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, 139 ff.; Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 298 ff.

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terscheiden sich dann allenfalls durch ihre Auffassungen, was aus diesem Befund (nämlich die Geltung des Gesetzes) für das Recht folgt. Diese Art der Geltung wird denn auch im Rahmen dieser Untersuchung nicht weiter thematisiert. Vielmehr steht ein anderer Begriff der Geltung im Mittelpunkt des Interesses. Dieser Geltungsbegriff ist nicht auf der Ebene der Gültigkeit (der Beachtlichkeit) von Gesetzen, sondern auf der Ebene der Interpretation geltender Gesetze angesiedelt. Auf dieser Interpretationsebene kann mit Gesetzen – sehr grobschlächtig gesagt – auf mehr oder weniger zweierlei Arten umgegangen werden. Die Interpretation kann sich – erster Fall – dazu berufen fühlen, die Norm auf Entscheidungen des Gesetzgebers zurückzuführen, der das Textgeflecht des Gesetzes in Geltung gesetzt hat6. Das Gesetz wird mithin aus einer (bei formellen Gesetzen etwa aus einer legislativen) Entscheidung entwickelt und diese wiederum mit der Existenz einer überlegenen Macht – in der Diktion Hobbes: mit auctoritas – verknüpft7. Die Konkretisierung des positiven Rechts wird innerhalb des positivistischen Modells im wesentlichen geleistet durch eine Beschreibung des positiven Rechts, welches rechtliche Dogmatik dann als Manifestation demokratischer Kompromisse transparent zu machen sucht. Die Gesetzesinterpretation kann aber auch – zweiter Fall – versuchen, das Gesetz nicht bloß auf die legislative auctoritas zurückzuführen. Falls das Gesetz nicht auf bloße auctoritas zurückgeführt werden soll, gilt es, die Gesetzesinterpretation mit einer Theorie der Gerechtigkeit zu verknüpfen. Theorien der Gerechtigkeit wiederum sind von formaler, materialer oder prozeduraler Provinienz8. Aus sämtlichen Theorien kann als gerechtigkeitstheoretisches Minimum das Grundprinzip formeller Gerechtigkeit, nämlich das Prinzip der Gleichheit abstrahiert werden, nach dem wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich behandelt werden muß. Dieses formelle Prinzip enthält keine materiellen Kriterien der Gleichbehandlung, sondern im Kern den Aufruf, Willkür durch eine Konsistenz des Entscheidens zu vermeiden. Ihm sind mithin die widerspruchsfreie Allgemeinheit des Gesetzes und die Einheitlichkeit seiner Anwendung Richtschnur und leitendes Gerechtigkeitsgebot. Demgegenüber rekurrieren auf zumeist mittlerer Abstraktionsebene materielle Gerechtigkeitstheorien auf inhaltliche Urteile darüber, was gerecht ist und was nicht; 6 Siehe zur Einsicht, daß der Gesetzgeber bei Lichte betrachtet nur einen Text in Geltung setzt und daß die Norm vom Richter im Prozeß des gerichtlichen Verfahrens erst hergestellt wird, Goebel, Rechtsgespräch und kreativer Dissens, Kap. 1; ders., ZZP 113 (2000), 49 (60 ff.). 7 Bezüge der Interpretationstheorie des Rechts zu den Traditionen etwa der Imperativentheorie John Austins, der Reinen Rechtslehre Kelsens und des Gesetzespositivismus der deutschen Staatsrechtslehre des ausgehenden 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts liegen nahe. 8 Dazu und zum folgenden statt vieler Callies, Prozedurales Recht, 23 ff.

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Einleitung

beispielhafte Ausflüsse derartiger materieller Theorien sind etwa die alttestamentarischen Dekalognormen oder die Befürwortung von Menschenrechten, so wie sie von der Philosophie der Aufklärung begründet worden sind. Prozedurale Gerechtigkeitstheorien schließlich nennen eine Norm dann als gerecht, wenn sie das Ergebnis eines durch bestimmte Bedingungen und Regeln gekennzeichneten Verfahrens ist. Im Rahmen dieser Untersuchung wird nun versucht, die rechte Interpretation des Gesetzes zumindest ansatzweise mit der kantischen Idee der Republik und damit mit einer prozeduralen Gerechtigkeitstheorie des modernen demokratischen Verfassungsstaates zu verknüpfen. Damit ist viel gewonnen. Denn mit der Anbindung der Gesetzesinterpretation an die Idee der Republik kann es nicht mehr auf die Konkretisierung des Rechts im Sinne einer Beschreibung seiner selbst als Frucht der legislativen auctoritas ankommen. Vielmehr steht die Rekonstruktion des Rechts als ein kohärentes System von Grundsätzen in Rede, bei dem zumindest die Hoffnung gehegt wird, daß in ihm der vernünftige Gemeinwille der republikanischen Rechtsgemeinschaft selbst aufscheint und daß deshalb der Bürger sich selbst als Autor des Rechts verstehen darf. Wird das Gesetz insofern als ein kohärentes System von Grundsätzen rekonstruiert, wird im folgenden davon die Rede sein, daß das Gesetz statt auf bloße auctoritas auf das Recht zurückgeführt wird. 2. Die Idee der Republik als Ausgangspunkt des Umgangs mit Recht Die Anbindung der Gesetzesinterpretation statt an die legislatorische auctoritas an die Verschwisterung von Gesetz und Republik gründet in einem der kantischen Tradition entlehnten bestimmten Verständnis des Verhältnisses der Bürger zueinander9. In dieser Tradition sind idealerweise die Sphä9 Mit dem Begriff der „kantischen Tradition“ soll hier Anschluß gefunden werden an eine weit verbreitete Einteilung von Grundpositionen der politischen Philosophie, wie sie etwa von Alexy, in: ders./Dreier (Hrgs.), Rechtssystem und praktische Vernunft, 1 ff., dargelegt worden ist. Danach lassen sich die aristotelische, die hobbesianische, die kantische und die nietzscheanische Grundpositionen von Gerechtigkeitstheorien unterscheiden. Die Rede von einer „kantischen Tradition“ nimmt daher nicht unmittelbar Bezug auf Kant – man sollte sie daher vor allem nicht mit der kantischen Philosophie selbst verwechseln –, sondern steht als Signum für ein bestimmtes Verständnis der Begründbarkeit und der Begründung praktischer Vernunft, welches von zahlreichen Autoren vertreten wird, die ansonsten ganz unterschiedlichen „Lagern“ gemeinhin zugeordnet werden. Habermas kann etwa aufgrund seiner universalistisch angelegten Diskursethik ohne weiteres in die Vertreter der kantischen Tradition eingeordnet werden. Im übrigen steht hier nicht in einem philosophiegeschichtlichen Gestus eine Kant-Exegese zur Debatte, sondern das Fortspinnen der durch ihn in die politische Philosophie und Rechtsphilosophie eingeführten Argumentationen.

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ren der Willkürfreiheit der Bürger derartig voneinander abgegrenzt, daß das Recht eine verallgemeinerungsfähige Form angenommen hat – und dies ist eine solche, in der die Normen des Rechts dem Kriterium allgemeiner Zustimmung genügen10. Die Bürger können in diesem Falle in universeller Perspektivenübernahme dem allgemeinen Recht zustimmen und damit als Ausdruck ihres eigenen Willens begreifen. Das Rechtssystem wird dann zu einem Signum der verallgemeinerbaren Interessen aller Gesellschaftsmitglieder. So ungeheuer anziehend diese Idee auch ist, so wenig hat sie praktischen Charakter. Die Bürger sind durchweg nicht zu einer universellen Perspektivenverschränkung befähigt11. Die Rousseausche Lösung dieser zentralen Aporie der modernen politischen Theorie des Verfassungsstaats verwies bekanntlich auf die patriotische Erziehung zur rechten republikanischen Tugend. Die Historische Rechtsschule ging einen anderen Weg12. Sie holte den durch Kant als Vernunftswesen ausgezeichneten Bürger wieder auf die Erde zurück und vertraute zugleich die kollektiv unbewußte Selbstgesetzgebung des Volkes13 dem romantischen Gebilde eines Volksgeistes an14, dessen Wirken sodann durch die Arbeit der juristischen Profession (des Windscheidschen Juristen als solchen) aufgedeckt werden sollte15. Eine derartige, im unvordenklichen Wirken des Volkgeists eingeschlossene und immer schon vollzogene Vermittlung von Vernunft und Geschichte 10 Siehe aus der Fülle der Literatur nur Kersting, Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrags, 199 ff. 11 Siehe nur statt vieler Ladeur, Postmoderne Rechtstheorie, 171 f.; sowie jüngst Bienfait, Freiheit, Verantwortung, Solidarität, 76 ff. In der Prägnanz der Formulierung überaus anschaulich Kersting, Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrags, 211, der von einem „stürzenden kategorischen Imperativ“ spricht. Selbst Gerechtigkeitstheorien des kantischen Typs, wie die Diskurstheorie, sowie Ansätze in der Tradition des Amerikanischen Pragmatismus sehen in Anlehnung an Charles Sanders Peirce und der sozialen Genese des Selbsts nach George Herbert Mead für eine derartige universelle Perspektivenverschränkung keine Hoffnung, siehe aus der Fülle nur jüngst etwa Joas, Die Entstehung der Werte, 275; Bienfait, Freiheit, Verantwortung, Solidarität, 79 f. Die Diskurstheorie verlagert das Problem in die Kommunikationsbedingungen der idealen Sprechsituation. 12 Siehe dazu umfassend Rückert, Idealismus, Jurisprudenz und Politik bei Friedrich Carl von Savigny, insbes. 232 ff., 303 ff., 376 ff.; sowie Somek, Rechtssystem und Republik, 89 ff. 13 Und dies heißt: die Aufgabe der Bildung eines kohärenten Systems objektiver Rechtsregeln, in dem das Recht eine verallgemeinerungsfähige, mithin unparteiliche Form erst gewinnt. 14 Zum Volkgeist als romantisches Äquivalent zur Vorstellung einer volonté générale und zum Volk als anonymes Subjekt (nicht: Träger der Volkssouveränität) siehe K.W. Nörr, Eher Hegel als Kant, 19, 25. Ob die Historischen Rechtsschule sich damit auf der einen, der romantischen Seite der durch Taylor, Quellen des Selbst, 683, als immer noch nachwirkend bezeichneten beiden Denkströme insbes. des 19. Jahrhunderts (Aufklärung und Romantik) ansiedelt, ist damit nicht präjudiziert, ablehnend etwa Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 360 ff.

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überzeugt heute nicht mehr. Ein derartiges geschichtsphilosophisches Vernunftvertrauen in Form einer „durch Natur und Geschichte hindurchgreifenden Vernunftgenese“16 ist angesichts einer versprachlichten, pluralisierten Vernunft17 und vor dem Hintergrund der Erfahrungen des letzten Jahrhunderts schlechthin unannehmbar18. Notwendig wurde es deshalb, die Vernunftsgenese demokratietheoretisch zu unterfangen19 und das geschichtsphilosophische Vernunftvertrauen durch die prozeduralisierten Einrichtungen des Verfassungsstaates funktional äquivalent zu ersetzen. Die kantische Idee des ursprünglichen Kontrakts der Selbstgesetzgebung durch Freie und Gleiche wird durch Prozeduralisierung mit Leben zu füllen versucht, indem die erstmals von Kant formulierte Idee einer kritischen Öffentlichkeit als politisches Gegenstück für die Verallgemeinerbarkeit des Gesetzesspruchs zeitgemäß nachzuzeichnen versucht wird20. 3. Die Idee der Republik und das innere System des Rechts a) Das innere System des Rechts als Residuum der Allgemeinheit des Rechts Vor diesem verfassungstheoretischen Hintergrund wird gemeinhin als Voraussetzung der Allgemeinheit des Rechts – also als Voraussetzung einer durch das Recht bewerkstelligten sachgerechten Abgrenzung von Sphären der Willkürfreiheit – zumindest angesehen, daß das Recht innerhalb eines kohärenten Systems objektiver Rechtsregeln eine verallgemeinerungsfähige Gestalt annimmt21. Mindestvoraussetzung hierfür wiederum ist, mittels 15 Zu diesem Spezialistendogma und die mit der Volksgeistlehre verbundene funktionale Rolle einer Kompetenzzuweisung an die Rechtswissenschaft siehe nur Rückert, ZRG GermAbtlg 103 (1986), 199 (213, 238 f.). 16 Habermas, Wahrheit und Rechtfertigung, 322, zur Vernunftmetaphysik Hegels, Hervorhebung i. O. 17 Zur heutigen Vernunftdiskussion siehe umfassen nur Welsch, Vernunft, 1996. 18 Siehe zu diesem vornehmlich gegen die vernunftmetaphysische Geschichtsphilosophie Hegels vorgetragenen, aber in gleicher Weise auch für die Historische Rechtsschule einsichtigen Argument aus der Fülle der Literatur nur Welsch, Vernunft, 60 f.; Taylor, Hegel, 706 ff.; und jüngst Habermas, Wahrheit und Rechtfertigung, 227. 19 Dazu nur aus der Fülle Schild, in: Brugger (Hrsg.), Legitimation des Grundgesetzes aus Sicht von Rechtsphilosophie und Gesellschaftstheorie, 65 (81 ff., 92 ff.). 20 Siehe zur Leistung Kants, die Legitimität des Gesetzes in dem Gesetzgebungsprozeß selbst zu verorten, nur Maus, Zur Aufklärung der Demokratietheorie, 155 ff. und ebda. das 8. Kap. sowie Anh. 1. 21 Aus der Fülle siehe nur Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 16 ff.; Engisch, Einführung in das juristische Denken, 160 ff.; Mittenzwei, Teleologisches Rechtsverständnis, 373 ff.

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systematischer Überlegungen die Gleichbehandlung des wesentlich Gleichen zu gewährleisten22. Rechtsdogmatik sucht also – wie Josef Esser sagt23 – Gerechtigkeitsfragen juristisch operationabel zu machen, um in der Arbeit am inneren System des Recht den „Abstraktionsidyllen normativer Gerechtigkeitstheorie“24 zu entkommen. Exemplarisch hat dies die Wertungsjurisprudenz nachgezeichnet. Sie rekonstruiert das innere System des Rechts als einen Zusammenhang allgemeiner Prinzipien im Sinne einer kompromißhaften Materialisierung von relativ stabilen Abwägungsgesichtspunkten25, als ein inneres System von Rechtsprinzipien mithin, in dessen Totalität Gerechtigkeit letztlich kondensieren soll26, und welches als ständiger Prozeß der Systematisierung begreifbar ist27. Als rechtspraktischer Residualbestand der Allgemeinheit des Rechts dient der Rechtsdogmatik mithin das kohärente System rechtlicher Wertung. Rechtsdogmatik bleibt demnach um der Allgemeinheit des Rechts willen dazu aufgerufen, die hinter dem Zeichengeflecht des Gesetzes verborgenen Wertungen kohärent zu erklären. Dabei darf freilich der Wille des Gesetzgebers keine Bedeutung erlangen – dann wäre das Gesetz ja unmittelbar auf reine auctoritas zurückgeführt28. Vielmehr muß die Kohärenzprüfung mittels eines Gedankens G ins Werk 22 Pawlowski, Methodenlehre, Rz. 55, 168 und öfters; Alexander Somek, Rechtssystem und Republik, 192 f., bemerkt zu Recht, daß die innerhalb der rechtsdogmatischen Arbeit zu Tage tretenden Meinungsverschiedenheiten durchweg zumindest einen gemeinsamen Problembezug teilen, nämlich das Bestreben, in der Arbeit am Recht die Gleichbehandlung der Bürger rational zu gewährleisten. 23 Esser, AcP 172 (1972), 97 (113). 24 Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, 18. 25 So die Rekonstruktion des wertungsjurisprudentiellen Systemverständnisses bei Somek, Rechtssystem und Republik, 196. 26 Larenz, Methodenlehre, 458 ff.; ders./Canaris, Methodenlehre, 302 ff.; Canaris, Systemdenken und Systembegriff, 46 ff. 27 Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 169 ff., mit etwas stärkerer Betonung des dynamischen Elements des inneren Systems des Rechts als Larenz und Canaris. Die Vorstellung der Prozeßhaftigkeit rechtlicher Systematik gründet schon in dem fortlaufenden Spiel unterschwelliger sprachlicher Differenzen und in der Eigenschaft von Sprachhandlung, zu vorhergehenden, vermeintlich identischen Sprachhandlungen immer nur einen Analogieschluß ziehen zu können, dazu siehe Goebel, Rechtsgespräch und kreativer Dissens, 26 ff. Vgl. zur grundsätzlichen Kritik an holistisch gedachten juristischen Systemvorstellungen zudem nur Friedrich Müller, Die Einheit der Verfassung, 1979, hier zu privatrechtstheoretischen Fragen nur 92 ff. 28 Wie sonst sollte auch eine Politikberatung durch die Rechtsdogmatik möglich sein, wenn Rechtsdogmatik Recht nur auf die Entscheidung des Gesetzgebers zurückführen würde. Denn dann wäre Politik ihr logisch vorausgesetzt und sie könnte gar nicht mehr kritisch sein, da sie gegen gesetzgeberische Entscheidungen schlecht wiederum derartige Entscheidungen vortragen könnte. Hier hilft nur das Insistieren auf die Rückführung der gesetzgeberischen Entscheidung auf ein kohärentes System rechtlicher Wertung. Als Beispiel für eine derartige rechtsdogmatisch ausgerichtete Politikberatung siehe Goebel, KTS 1995, 143 ff.; ders., RPfl 1995, 189 ff.; eine

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zu setzen versucht werden. Gelingt eine kohärente Deutung des Gesetzes mit einem Gedanken G1 nicht, so kann G1 nicht als Ausdruck des inneren System des Rechts begriffen werden, was im Duktus der Gesetzesteleologie nichts anderes bedeutet, als daß G1 dem Gesetz nicht als Sinn und Zweck zugrundegelegt werden darf. Es muß folglich auf einen Gedanken G2 übergegangen und geprüft werden, ob dieser das Gesetz kohärent erklären kann. Kann er es, ist er dem Verständnis des Gesetzes als dessen Zweck zugrundezulegen. Kann er es nicht, ist G2 zu verwerfen und anhand eines Gedankens G3 die Kohärenz des Gesetzes zu suchen. Aufgrund dieser Kohärenzprüfung fungieren die republikanischen Gehalte des Rechts (anders gesagt: die Allgemeinheit des Rechts) mithin nicht nur als eine Art kritische Instanz für die Güte der faktisch gegebenen Gesetze29, sondern beeinflussen schon die rechte Lesart des Gesetzes selbst, indem dieses der Kohärenzprüfung unterworfen wird und bei gelingender Kohärenz zum Recht erstarkt. All dies heißt nichts anderes, als daß in dieser Untersuchung unbeirrbar an der Idee der Gerechtigkeit festgehalten wird – allerdings nicht an einer überabstrakten Idee, sondern durch den Rekurs auf das System des Rechts abgespannt auf die Erfordernisse konkreter und praxisnaher Dogmatik. In durchaus überspitzter Weise kann mithin gesagt werden: Recht ist systematisch oder es ist nicht. Ist es freilich nicht, ist es immer noch Gesetz, welches selbstverständlich gleichwohl verbindlich bleibt – verbindlich aber eben nur als Abbild reiner auctoritas30. Bisher war davon die Rede, das Gesetz müsse kohärent gedeutet werden. Kohärenz bedeutet etwas anderes als Konsistenz zwischen den Normen eines Normensystems. Mit einem konsistenten Rechtssystem wird gemeinhin ein Zusammenhang rechtlicher Normen bezeichnet, bei dem für vergleichbare Situationen keine widersprüchlichen Handlungsanweisungen vorliegen. Für die Vermeidung von Wertungswidersprüchen innerhalb der Rechtsordnung ist es jedoch zudem erforderlich, daß dem Rechtssystem eine hinreichend komplexe symbolische Struktur inhärent ist31. Zu einer derartigen symbolischen Struktur zählen auf mittlerem theoretischem Abstraktionsniveau etwa normative Hintergrundtheorien, wie sie beispielsweise von Wieacker als „Sozialmodell“ herausgearbeitet worden sind. Kohärenz bedeutet mithin nichts anderes, als daß über die Vermeidung von Widersprüchen (Konsistenzgebot) hinaus ein konstruktiver, „positiver Zusammenhang“ der rechtstheoretisch orientierte Politikberatung sähe wiederum anders aus, siehe hierzu als Beispiel ders., ZZP 113 (2000), 49 ff. 29 So Dreier, AöR 113 (1988), 450 (470 f.). 30 Wenn es zudem willkürlich sein sollte, ist selbst das Gesetz nicht mehr – zumindest nach der Nichtigerklärung durch das BVerfG. 31 Dies sieht auch die herrschende Wertungsjurisprudenz so, siehe Larenz/Canaris, Methodenlehre, 302 ff.

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Elemente des inneren Systems des Rechts insofern gewahrt sein muß, daß diese als Ganzes sinnvoll und einer rationalen Rechtfertigung im Sinne einer gegenseitigen Stützung und Ergänzung zugänglich gemacht werden können32. b) Der Ausgang der Kohärenzprüfung: Dogmatische Vorentscheidungen Das Material der Kohärenzprüfung sind die anerkannten Vorentscheidungen der Rechtsordnung. Zu derartigen Vorentscheidungen gehört etwa die unbestrittene Feststellung, daß ein Testament nach dem erklärten Willen des Erblassers und nicht nach dem objektivierten Erwartungshorizont der Bedachten auszulegen ist, § 133 BGB33. Als ebenso fraglos gilt es, daß der Erblasser die Auswahl des Erben nicht einem Dritten freier Hand überlassen darf34. Derartige Vorentscheidungen gilt es kohärent zu erklären. Um Mißverständnisse zu vermeiden: Die Kohärenz-Prüfung hat dabei anerkannte Wertungen als Vorentscheidungen, nicht hingegen Differenzierungen im Gesetzeswortlaut im Blick. Auch im rechtsstaatlich verfaßten Staat stellt das Wortlaut-Argument heute kein ernsthaftes Argument innerhalb einer Begründungskette einer rechtlichen Entscheidung dar35; insofern bedeutet der Rekurs auf den „klaren Gesetzeswortlaut“ der Sache nach nur: für Juristen rechtsstaatlich korrekt begründbar36. Der Wortlaut des Gesetzes ist demnach nur das Ergebnis der Auslegung, aber kein Element von Auslegung. Deshalb kommt es für die Kohärenz-Prüfung auch nicht auf ihn, sondern auf anerkannte Wertungen an; diese müssen sich als kohärent erweisen. Wenn die bisherigen Überlegungen auf das gewillkürte Erbrecht bezogen werden – wobei unter gewillkürtem Erbrecht der gesamte Komplex derjenigen erbrechtlichen Wertungen verstanden wird, die sich nicht mit dem gesetzlichen Erbrecht beschäftigen –, folgt hieraus: Können die bisherigen dogmatischen Erklärungen des gewillkürten Erbrechts auf Selbstwidersprüche zurückgeführt werden, in die sie sich verwickeln müssen, wenn sie weiterhin die besagten allgemein anerkannten Vorentscheidungen ihrer Wertung zugrundelegen wollen, können diese Deutungen die anerkannten Wertungen nicht erklären. Die anerkannten Wertungen werden dann nur als Frucht reiner auctoritas ausgewiesen. Falls in dieser Situation die anerkann32 Siehe im weiteren zu einzelnen Theorie einer normativen Kohärenz Goebel, ARSP 89 (2003), 372 (378 f.). 33 Dazu siehe ausführlich näher unten § 11 II 1. 34 Dazu siehe ausführlich näher unten § 11 III 3. 35 Siehe zur umfassenden Begründung dieser Feststellung Goebel, Rechtsgespräch und kreativer Dissens, Kap. 1. 36 Vgl. F. Müller, Juristische Methodik, 157 Fn. 278.

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ten erbrechtlichen Wertungen mithilfe eines bisher noch nicht an das gewillkürte Erbrecht angelegten neuen Gedankens erklärt werden können, gelingt es, das System rechtlicher Wertung kohärent und konsistent zu schließen. Damit wäre gezeigt, daß der neue Gedanke dem Gesetz implizit als Prinzip zugrundeliegen liegen muß, da es ansonsten nicht als Recht erklärt zu werden vermag. c) Die Notwendigkeit einer Kohärenzprüfung für den „Machttheoretiker des Rechts“ Bisher wurde die Notwendigkeit, die Masse des geltenden Gesetzes kohärent zu deuten, damit es sich als Recht erweisen kann, auf dem demokratietheoretischen Zusammenhang zwischen dem republikanischen Gehalt des Rechtlichen und den dogmatischen Gehalten des inneren Systems rechtlicher Wertung gegründet. Diese Grundlegung muß nicht von jedem geteilt werden. Da die Einsicht, eine kohärente Erklärung des Gesetzes sei unabweislich notwendig, jedoch für die hiesige Untersuchung entscheidend ist – wie späterhin37 noch bei der Diskussion der dogmatischen Grundlagen der Testierfreiheit genauer gezeigt werden wird –, muß die Notwendigkeit einer kohärenten Deutung des Gesetzes auch für denjenigen begründet werden, der eine Rückführung des Gesetzes auf die legislative auctoritas genügen läßt. Für einen derartigen „Machttheoretiker des Rechts“ zählt das Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 I GG) zum ehernen Normbestand dessen, was der Gesetzgeber autoritativ in Geltung gesetzt hat. Dieses Gebot wiederum wird durchweg als Willkürverbot verstanden. Die Vermeidung von Willkür bedeutet aber nichts anderes als die Vermeidung von Wertungswidersprüchen. Diese wiederum werden unterlassen, wenn das Gesetz sich in ein System konsistenter Wertung einbinden läßt. Voraussetzung für ein derartiges System schließlich ist die konsistente Erklärung des gegebenen Normmaterials. Darüberhinaus ist eine Vermeidung von Wertungswidersprüchen nur angängig, wenn Normkollisionen bewältigt und die im Fall jeweils anzuwendenden Normen überhaupt widerspruchsfrei identifiziert zu werden vermögen. Dies wiederum ist nur möglich, wenn man davon ausgeht, dem Recht läge eine hinreichend komplexe symbolische Struktur zugrunde, die die Normidentifikation steuert und die Normkollisionen auflöst – wenn mithin Kohärenz des Rechts gegeben ist. Damit schließt sich der Kreis: Auch wenn das Gesetz auf die Entscheidungen des Gesetzgebers zurückgeführt wird, muß es sich eben wegen einer derartigen Entscheidung (nämlich der gesetzgeberische Anordnung des Gleichbehandlungsgebots) kohärent erklären lassen.

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Unten § 11.

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4. Probleme des inneren Systems des Rechts Nun sieht sich in modernen Gesellschaften die Idee einer auf dem Gedanken republikanischer Allgemeinheit gegründeten Interpretation des Rechts durchaus einigen Widerständen entgegengesetzt. Aus der fortgeschrittenen Partikularisierung der Gesellschaft in ausdifferenzierte Subsysteme und der immer mehr fortschreitenderen Spezifizierung des Rechts erwächst für die Kategorie seiner Allgemeinheit eine enorme Herausforderung38. Das Projekt einer auf die Bedingungen heutiger Gesellschaften geläuterten kantischen Republik, in der sich die Bürger als gemeinsame Autoren des Rechts begreifen können, kann nur noch in den Binnenräumen gesellschaftlicher Teil-Einheiten aufgegriffen werden39. Um dies angemessen konzeptionell erfassen zu können, ist es hilfreich, auf das von Teubner40 entwickelte Rechtskonzept zurückzugreifen41. Nach diesem Konzept 38 Daneben bliebe sogar die Frage zu klären, ob denn das innere System des Rechts, welches auf die Systematizität seiner selbst doch angewiesen ist, in der entfalteten Moderne überhaupt möglich ist: Wie steht es – in althergebrachter Formulierung – um die Bedingungen der Möglichkeit eines systematischen Rechts? Dazu siehe Goebel, ARSP 89 (2003), 372 (379 ff.). Die Frage scheint auf den ersten Blick entweder trivial oder anmaßend zu sein – trivial, als die ganz herrschende Rechtsdogmatik die Möglichkeit der Systematizität des Rechts nicht ernstlich bestreitet, und anmaßend, als die System-Frage auf eines der Grundprobleme des Rechts, der Sozialphilosophie und der politischen Theorie rekurriert, welches hier nicht aufrichtig gelöst werden kann. Die Vorstellung von „Wertungssystemen“ im Sinne eines die gesamte Sozietät überspannenden normativen Handlungs- und Wertungszusammenhangs ist voraussetzungsreich. Jede sprachliche Kommunikation über das Recht ist Teil einer in die sozialen Handlungsbezüge, Deutungs- und Anwendungskontexte eingebundenen Praxis (dazu siehe ausführlich Goebel, Rechtsgespräch und kreativer Dissens, 28 ff.). Insofern wird sowohl rechtsdogmatisches als auch semantisches Wissen erst durch eine soziale Handlungsgeschichte konstituiert. Und es gibt keine Handlungsgeschichte, die die gesamte Sozietät quasi wie ein Meta-Sprachspiel überwölbt. Ein Ausweg besteht darin, das Insistieren auf das innere System des Rechts als einen Aufruf an den Rechtsinterpreten zu begreifen, die Grenzen seiner eigenen Lebensform fortlaufend zu überschreiten zu suchen (dazu Goebel, ARSP 89 (2003), 372 (380 f.); ders., Rechtsgespräch und kreativer Dissens, 140 ff.). Vor dem Hintergrund dieser „Aufruf-Metaphorik“ erscheint Universalisierung durchaus als ein „unendliches Kommen“, welches zwar nie vollständig Gegenwart zu werden vermag, welches aber gleichwohl ohne Resignation unendlich einzufordern ist, siehe Dreisholtkamp, Jacques Derrida, 166, mit Bezug auf die Rechtsphilosophie Derridas. Gerechtigkeit wirkt nach all dem rechtsintern betrachtet wie ein gewißheitsraubender „Stachel“ im Prozeß des Entscheidens (Friedrich Müller, Juristische Methodik, 7. Aufl. 1997, Rn. 150, dort auch das Zitat; ders./ Christensen/Skolowski, Rechtstext und Textarbeit, 105 f.). Die aus rechtsexterner Sicht erstellte Überlegung Luhmanns, Gerechtigkeit sei ein unbestimmter Metacode, der das Rechtssystem von Begründungsparadoxien entlastet (Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, 214 ff.), wird damit etwas abgeschwächt: Ein „Stachel“ im Prozeß des Entscheidens entlastet nicht von Begründungsparadoxien. 39 Maus, Zur Aufklärung der Demokratietheorie, 224 f.

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gilt es, daß ein den einzelnen gesellschaftlichen Teilsystemen adäquates Recht entwickelt werden muß, welches die gesellschaftlichen Diskurspluralitäten nachzuzeichnen im Stande ist42. Die Fragmentierung der Gesellschaft in eine Vielzahl von sozialen Sektoren muß also ihrerseits in das Recht übersetzt werden, damit dieses eben um des Gleichbehandlungsgrundsatzes willen43 die interne Binnenlogik des jeweiligen sozialen Sektors44 ebenso wie dessen interne Binnenordnung45 hinreichend reflektieren kann. Genau dies geschieht ja auch in den Dogmatiken des Wirtschaftsrechts, des Rechts der Intimbeziehungen, des Medien- oder des Kunstrechts. Die hiesige Untersuchung versteht sich in nuce als ein Beispiel für die Bildung eines spezifisch sektorialen Teilrechts, nämlich des Rechts des intergenerationalen Gütertransfers als eines Rechts des Todes46.

III. Geltungstheoretische versus konstitutionstheoretische Rechtsdogmatik 1. Geltungstheoretische Dogmatik als Ausdruck der kantischen Idee der Republik Vor dem Hintergrund der gerade skizzierten Verbindung der Rechtsdeutung mit der kantischen Idee der Republik dürfte nunmehr hinreichend klar sein, welches das Thema der im Folgenden ins Werk gesetzten Grundlegung eines sachgerechten Verständnisses der Testierfreiheit und der ihr zugeordneten Normen des Erbrechts sein wird: Es muß eine kohärente Deutung des Bestands derjenigen der ebendort anerkannten Wertungen erarbeitet werden, welche gerade dieses Rechtsgebiet auszeichnen – kurz gesagt, 40 Teubner, Recht als autopoietisches System, 123 ff.; ders., ARSP-Beih 65 (1996), 199 ff.; ders., Soziale Systeme 2 (1996), 229 ff.; ders., ZfRSoz 1998, 8 ff. Selbstverständlich ist auch der Teubnersche Ansatz nicht unumstritten, siehe zur Kritik nur jüngst Habermas, Die Einbeziehung des Anderen, 370 ff. 41 Dazu näher auch Goebel, ARSP 89 (2003), 372 (383 f.). 42 Als historisches Vorbild für das Verhältnis des Rechts zu den Autonomiebereichen der Zivilgesellschaft dient die bemerkenswerte Responsivität, die das Privatrecht in der Vergangenheit gegenüber den Bedürfnissen des Wirtschaftssystems entwickelt hat, siehe Teubner, ZfRSoz 1998, 8 (14 f.). 43 Teubner verweist denn auch explizit auf die Gleichbehandlungsproblematik als generativen Mechanismus der Rechtsproduktion, siehe etwa ders., ARSP-Beih 65 (1996), 199 (209). 44 Etwa die ökonomische Rationalität des Wirtschaftslebens. 45 Etwa die sektoriale Normativität des zumeist utilitaristisch ausgerichteten Ordo des Wirtschaftslebens. 46 Siehe ansonsten zur Funktion und Aufgabe rechtswissenschaftlicher Arbeit und zur Idee einer differenzorientierten Rechtswissenschaft Goebel, Rechtsgespräch und kreativer Dissens, 161 ff.

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es steht vor allem die kohärente und konsistente Deutung des „erbrechtlichen Willensdogmas“, mithin die Entscheidung des Gesetzes zur Rede, den Willen des Erblassers so stark in den Mittelpunkt zu stellen. Eine derartige kohärente Deutung rechtlicher Vorentscheidungen wird im Folgenden entsprechend einem eingeführten Sprachgebrauch innerhalb der politischen Philosophie als eine „geltungstheoretische“ Erklärung des geltenden Rechts bezeichnet. Mit dieser Begrifflichkeit wird klar und deutlich focussiert, daß für die Interpretation des Gesetzes nicht dessen geschichtliche Abkunft von der legislativen Dezision relevant ist, sondern seine republikanisch orientierte Deutung als Recht. Der Begriff der „geltungstheoretischen Erklärung“ hat also nichts mit der Geltung des Rechts im engeren Sinne etwa der staatsrechtlichen Geltungslehren zu tun. Ein geltungstheoretisch ausgerichtetes Vorhaben kann auch nicht in einer primär dogmatisch orientierten Lesart so verstanden werden, als ginge es dabei um eine Methode, welche sich mit der (juristischen) Geltung des Rechts befasse. Vielmehr basiert eine im hiesigen Verständnis geltungstheoretisch angelegte Studie auf nichts anderem als auf einer Rekonstruktion der internen Prämissen herrschender Wertungsjurisprudenz, die sich das innere System des Rechts mit Blick auf die Rechtsidee entwickeln will. Gerade deshalb besteht ja auch die begründete Hoffnung, daß der hiesige geltungstheoretisch ausgerichtete Ansatz anschlußfähig ist an die bisherige rechtsdogmatische Erbrechtsdiskussion. Geltungstheoretisch ausgerichtet mit Recht zu arbeiten bedeutet mithin nichts anderes, als strikt auf Kohärenz und Konsistenz im Recht zu pochen, mag dies auch nur um des Preises möglich sein, sich von liebgewordenen Vorstellungen über die Testierfreiheit zu verabschieden. Ein derartiger geltungstheoretischer Ansatz hat daher auch nichts, aber auch gar nichts mit einem Vorhaben gemein, jenseits des positiven Rechts sich auf diesem vorgegebene Sätze des Naturrechts oder ähnlichem zu beziehen. Eine geltungstheoretische Interpretation des Gesetzes will darauf hinaus, das Gesetz so zu interpretieren, daß es sich als positives Recht erweist. Anders gesagt: Das Ausgangsmaterial (die normative Ebene, auf der die geltungstheoretische Interpretation des Gesetzes fußt) sind die Wertentscheidungen des Gesetzgebers. Dieses Material stellt als Ergebnis der legislativer auctoritas aber nur die Plattform bereit, von der aus versucht wird, das Gesetz kohärent und konsistent zu deuten. Erst wenn dies geleistet ist, können wir es als Recht begreifen. Zwar ist auch ein nichtrechtliches Gesetz für uns verbindlich. Dessen Verbindlichkeit ruht aber nur auf reiner auctoritas, der man zu folgen hat – und zwar zu folgen nicht aus Einsicht, sondern kraft des hinter dem Gesetz durchschimmernden angedrohten Zwangs oder kraft der Macht sozialer Einübung in die Normbefolgung, also aus sozialen Gründen und der Kraft egoistischer Kalküle. Gelingt die kohärente Deutung des Gesetzes mithin nicht, ist von vornherein ausgeschlossen, daß sich die Bürger als die gemeinsa-

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men Autoren des Rechts und damit als Mitglieder der (kantischen) Republik begreifen können. Der Weg, den eine geltungstheoretische Interpretation eines gegebenen Normbestandes in der Regel nimmt und der auch in der Folge beschritten wird, geht von einer je bestimmten Wertvorstellung aus. Dies ist in dieser Untersuchung die noch unten näher explizierte Vorstellung, das Erbrecht könne als ein Recht des Todes und als ein funktionales Persönlichkeitsrecht (dazu sogleich) begriffen werden. Sodann wird der Bogen zum Normenmaterial des geltenden Gesetzes geschlagen und untersucht, ob mit dieser Wertvorstellung der gegebene Normbestand konsistent erklärt zu werden vermag. Kann er dies, ist zugleich Kohärenz gegeben, da ein Zusammenhang des gesetzlichen Normensystems zu einem sinnvollen Ganzen hergestellt worden ist. Kann die Wertvorstellung keine konsistente Erklärung leisten, ist sie zu verwerfen und eine neue Wertvorstellung zu suchen. Es mag daher manchem so erscheinen, als würde in dieser Arbeit der Gedanken, das Erbrechts solle als ein Recht des Todes begriffen werden, sehr unvermittelt und ohne Halt im Gesetz eingeführt – oder schlimmer noch, als würde das Gesetz den impliziten Normativismen bestimmter Philosophien oder Ideologien ausgeliefert. Selbst wenn dieser Vorhalt einer näheren Betrachtung stand halten würde, wäre er doch unerheblich. Denn es kommt nur darauf an, ob im weiteren mit dem Gedanken, das Erbrecht sei ein Recht des Todes, das geltende Recht geltungstheoretisch erklärt werden kann. Nur dies ist dogmatisch relevant. Dies sollte nicht aus den Augen verloren gehen. 2. Konstitutionstheoretische Dogmatik als Ausdruck einer Machttheorie des Rechts Gegenüber einem derartigen geltungstheoretischen Ansatz wird die Rückführung des Gesetzes auf die Entscheidung des Gesetzgebers (mithin auf reine auctoritas) eine „konstitutionstheoretische“ Erklärung genannt werden. Mit dieser Begrifflichkeit soll deutlich gemacht werden, daß bei einer konstitutionstheoretischen Deutung des Rechts nicht mehr dessen inneres System primär in Rede steht. Vielmehr wird das Gesetz primär begriffen als Kompromißformular von legislativen Entscheidungsakten. 3. Geltungstheoretische Dogmatik und die Geschichtlichkeit des Rechts Mit der Präferenz für eine geltungstheoretisch ausgerichtete Rechtsdogmatik soll nicht die Erfahrung verabschiedet werden, daß historische Einsichten wichtig sind, um aus dem Material des Gesetzes ein kohärentes Sy-

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stem rechtlicher Wertung zu formen, damit das Gesetz dadurch als Recht ausgewiesen werden kann47. Das Verständnis des Rechts als ein historisch gewordener Normbestand – die Geschichtlichkeit des Rechts – ist oftmals für seine kohärente Deutung unverzichtbar, da sich in dem in der historischen Gemeinschaft tradierten normativen Vokabular häufig etablierte Argumentationsmuster und Deutungsschemata wiederfinden lassen, die die Kohärenz im inneren System des Rechts strukturell fördern können – freilich auch umgekehrt aufgrund der widerborstigen Kraft der Tradition hindern können. Die Zeitlichkeit des Rechts spielt insofern selbstverständlich im Rahmen der Kohärenzprüfung eine genuine Rolle. Eine dem heutigen Tableau normativer Kontexte angemessene Kohärenz in der rechtlichen Wertung wird daher weder die Geschichtlichkeit des Rechts vergessen, noch das Erfahrungspotential missen mögen, welches in historischen Lebenswelten und sprachlichen Lebensformen widerscheint. Freilich gilt dies nur für das historische Umfeld, in dem Gesetze entstanden sind (rechtsgeschichtlicher Aspekt) und in dem sie situieren (rechtssoziologischer Aspekt). In den Gesetzgebungsmaterialien hingegen findet sich geradezu komprimiert legislative auctoritas. Läßt sich mittels des Rekurs auf den Willen des historischen Gesetzgebers das Gesetz geltungstheoretisch nicht als Recht erweisen, müssen die Gesetzesmaterialien bei der weiteren Argumentation zwangsläufig außer Acht bleiben, weil ansonsten das Systematische des Rechts und damit dessen Bezug zur Gerechtigkeit verabschiedet wird48. Gesetzesmaterialien haben daher allenfalls eine die kohärente Deutung des Gesetzes unterstützende Funktion. Mit ihrer Hilfe kann jedoch kein Argument gegen eine dogmatische Theorie gewonnen werden, die sich ansonsten als kohärente Erklärung des Gesetzes erweist49.

47 Allg. zum Problem siehe aus der Fülle statt vieler nur Lüderssen, Genesis und Geltung, 73 ff., 110 ff. und passim; Dilcher, AcP 184 (1984), 247 ff. 48 Soweit ich dies überblicke, wurde der Zwiespalt zwischen „subjektiver“ und „objektiver“ Auslegungsmethode noch nicht explizit zur Idee der Republik in Beziehung gesetzt. Eine weitere Diskussion der Problematik ist für die Zwecke dieser Untersuchung nicht erforderlich. Sie wäre mit Blick auf die Prominenz des Themas und die überbordende Literatur hierzu auch kaum seriös auf knappem Raum führbar. Ansonsten siehe auch Goebel, ARSP 89 (2003), 372 (385 f.). 49 Auch Friedrich Müller, Juristische Methodik, Rn. 493, weist darauf hin, daß der Entstehungsgeschichte einer Vorschrift für die Auslegung eine allenfalls bestätigende Bedeutung zukomme.

Kapitel 1

Hauptthese – Begrifflichkeiten Es soll nicht geleugnet werden, daß (die) Fiktion der Eindeutigkeit der Rechtsnormen, von irgendeinem politischen Standpunkt aus gesehen, große Vorteile haben mag. Aber kein politischer Vorteil kann rechtfertigen, daß von dieser Fiktion in einer wissenschaftlichen Darstellung des Rechts Gebrauch gemacht wird (. . .). Denn dann wird, was nur ein politisches Werturteil ist, fälschlich als wissenschaftliche Wahrheit präsentiert. Hans Kelsen1

§ 2 Erbrecht als funktionales Persönlichkeitsrecht I. Erbrechtsdogmatik und erbrechtliche Personfunktionalität Das objektive Erbrecht gilt weithin als funktionales Vermögensrecht, stellenweise auch als funktionales Familienrecht. „Unter Erbrecht verstehen wir den Inbegriff der Rechtsnormen, die die privatrechtlichen Schicksale des Vermögens einer Person für die Zeit nach ihrem Tode regeln“ heißt es prägnant bei Julius Binder2 und so oder so ähnlich in zahlreichen anderen Äußerungen in Literatur und Rechtsprechung3. Es sei der „letzte Abschnitt des Vermögensrechts, die Fortsetzung der Eigentums-, der Verpflichtungs- und Verfügungsfreiheit des einzelnen über seinen Tod hinaus“4. Dezidiert ist davon die Rede, daß das Erbrecht sich in seinen Wirkungen auf den Bereich des privaten Vermögensrechts beschränke5. Entsprechend wird die Testier1

Hans Kelsen, Reine Rechtslehre, Wien, 2. Aufl. 1960, 353. Binder, Erbrecht, 1. 3 Etwa Palandt-Edenhofer, Einl § 1922 Rn. 1; Staud-Otte, Einl §§ 1922 ff. Rn. 1; Soergel-Stein, Einl. zum Erbrecht Rn. 1; MünchKomm-Leipold, Einl. zum Erbrecht Rn. 1; ders., Erbrecht, Rn. 1; Brox, Erbrecht, Rn. 1 f.; Edenhofer, Erbrecht, Rn. 9; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 1 I 1; v. Lübtow, Erbrecht, 1; Schlüter, Erbrecht, Rn. 1; Windel, Modi, 205. 4 Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 1 III. 2

§ 2 Erbrecht als funktionales Persönlichkeitsrecht

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freiheit durchweg als eine dem einzelnen gewährte Möglichkeit konzipiert, „für die Zeit nach seinem Tode über sein Vermögen rechtswirksame Bestimmungen treffen zu können“6, und in einen Sachzusammenhang mit der schuldrechtlichen Vertragsfreiheit (§ 305 BGB) und der Freiheit des Eigentums (§ 903 BGB) eingestellt7. Es steht hier nicht an, diese Verortung des Erbrechts in der Weise einer Kritik zu unterziehen, daß eine vermögensrechtliche Deutung dieser Materien schlechthin ausscheiden muß. Zu offensichtlich sind ja die Beziehungen zwischen Vermögen/Eigentum auf der einen und dem Erbrecht auf der anderen Seite in der historischen Genese des Erbrechts selbst angelegt8. Diese Beziehungen spiegeln sich zudem wider in dem ausgefeilten erbrechtlichen Normbestand, der sich des Schutzes der am Erbfall beteiligten Vermögensinteressen in je besonderer Weise annimmt. Erbrecht wird deshalb zu Recht als funktionales Vermögensrecht verstanden. Wie sonst sollten die Regelungskomplexe etwa der §§ 1967 ff. BGB, der §§ 2032 ff. BGB oder der §§ 2353 ff. BGB erklärt werden, wenn nicht unter dem Signum der Verteilung von Risiken im vermögensrechtlichen Bereich? Der Vorwurf, der der rein vermögensrechtlichen Sicht des gewillkürten Erbrechts hier gemacht werden muß, ist denn auch nicht, daß Erbrecht und Vermögensrecht überhaupt verschwistert werden, sondern die Ausschließlichkeit, in der dies geschieht. Denn allenfalls wird noch die Frage aufgeworfen, ob das Erbrecht nicht auch als funktionales Familienrecht begriffen werden muß9 – ein Drittes, so scheint es, liegt außerhalb eines akzeptablen Diskurses rechtlicher Dogmatik. Demgegenüber wird hier entschieden für das bisher ausgeschlossene Dritte gefochten: Das gewillkürte Erbrecht10 ist nicht nur funktionales Vermögens- und (wenn auch allenfalls residual) Familienrecht, sondern auch und vor allem funktionales Persönlichkeitsrecht – kurz: Das gewillkürte Erbrecht ist nur in seiner Vermögens-, Familiar- und Personfunktionalität hinreichend erklärbar.

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So etwa bei Leipold, Erbrecht, Rn. 1; Brox, Erbrecht, Rn. 1 f. Kipp/Coing, Erbrecht, § 16 I vor 1. 7 Etwa bei Wieacker, Sozialmodell, 9. 8 Siehe dazu näher unten § 5 I. 9 Dazu unten § 3. 10 Zum Begriff siehe sogleich. 6

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Kap. 1: Hauptthese – Begrifflichkeiten

II. Begrifflichkeiten: Erbrechtliche Person-, Familiar- und Vermögensfunktionalität, gewillkürtes Erbrecht Unter der Kategorie „gewillkürtes Erbrecht“ wurde und wird im weiteren der gesamte Komplex derjenigen erbrechtlichen Wertungen verstanden, die sich nicht mit dem gesetzlichen Erbrecht beschäftigen. Sie steht mithin für eine Vielzahl von Normen. Hingegen darf unter „gewillkürtem Erbrecht“ im hiesigen Sinne nicht die Fähigkeit verstanden werden, vererben zu können (statt Rückfalls an den Staat oder Herrenlosigkeit der Güter mit dem Tode des Rechtsinhabers), ebenso nicht die Freiheit, testieren zu dürfen und schließlich auch nicht als Fähigkeit, erben zu können. Es ist schlicht und einfach die Menge der vor allem im fünftem Buch des Bürgerlichen Gesetzbuches enthaltenen erbrechtlichen Normen, die nicht das gesetzliche Erbrecht regeln. Dieses gewillkürte Erbrecht dient der Verwirklichung und des Schutzes der Persönlichkeit des Erblassers und dient damit – so die Hauptthese dieser Untersuchung – funktional der Verwirklichung seiner Persönlichkeit; die Ausübung der Testierfreiheit ist Ausübung eines Persönlichkeitsrechts. Die Begrifflichkeit „funktionales Persönlichkeitsrecht“ mag stutzig machen, ist doch funktional auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht auf den Schutz der Persönlichkeit der Rechtsperson gerichtet. Gleichwohl ist die hier gewählte Begrifflichkeit sinnvoll. Sie verdeutlicht, daß das gemeinhin als reines Vermögensrecht begriffene gewillkürte Erbrecht nach hiesiger Auffassung funktional auf den Persönlichkeitsschutz gerichtet ist. Die Testierfreiheit ist ein funktionales Persönlichkeitsrecht mithin insofern, als hier ein Recht, welches – im Unterschied etwa zu dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht – das Schicksal des Vermögens regelt, dazu dient (also: fungiert), daß der Erblasser seine Persönlichkeit entfalten kann. Indem in dieser Untersuchung von einem „funktionalen“ Persönlichkeitsrecht die Rede ist, wird mithin schärfer herausgestellt, daß ein nach herrschender Ansicht als reines Vermögensrecht konzipiertes Recht funktional der Persönlichkeit des Erblassers dient. Neue dogmatische Ansätze gebieten bisweilen neue dogmatische Begrifflichkeiten. Dies ist hier der Fall. Denn es wird sich zeigen lassen, daß die Verortung des Erbrechts als funktionales Persönlichkeitsrecht voraussetzungsreich ist. Dieser Voraussetzungsreichtum sollte sich in der dogmatischen Begrifflichkeit ansatzweise widerspiegeln, um Mißverständnisse von vornherein zu vermeiden. Insofern wird im weiteren von der „Personfunktionalität des gewillkürten Erbrechts“ die Rede sein11. 11 Der Begriff „Personfunktionalität“ legt Annäherungen an den personfunktionalen Ansatz Schelskys (JRR 1 (1970), 37 ff.) in der Rechtssoziologie nahe. Die weitere Untersuchung wird zeigen, daß diese Näherungen nur lautlich, nicht begrifflich bestehen.

§ 2 Erbrecht als funktionales Persönlichkeitsrecht

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Die Einsicht, Erbrecht sei funktional ein Persönlichkeitsrecht, beruht auf einer kohärenten Deutung des anerkannten Bestands erbrechtlicher Wertungen und ist daher geltungstheoretisch, nicht konstitutionstheoretisch motiviert. Mit der Einordnung des gewillkürten Erbrechts als eines der zahlreichen Persönlichkeitsrechte sind durchaus Folgen verbunden, auf die sogleich noch näher einzugehen sein wird. Derartige Folgen sind Ausdruck rechtlicher Wertungen. Abgekürzt werden diese Wertungen im weiteren Verlauf der Arbeit als „Wertungen erbrechtlicher Personfunktionalität“ bezeichnet. Soweit das Erbrecht zudem als funktionales Vermögensrecht geltungstheoretisch verortet werden kann, ist parallel von der „erbrechtlichen Vermögensfunktionalität“ und von „Wertungen erbrechtlicher Vermögensfunktionalität“ die Rede. Schließlich wird mancherorts unterstrichen, daß das gewillkürte Erbrecht zumindest stellenweise auch von familienrechtlichen Wertungen bestimmt oder zumindest beeinflußt ist. Das gewillkürte Erbrechte erscheint dann als ein funktionales Familienrecht. Insofern wird im weiteren Verlauf der Arbeit denn auch von der „erbrechtlichen Familiarfunktionalität“ sowie von „Wertungen erbrechtlicher Familiarfunktionalität“ gesprochen werden.

III. Der Bezug zur Rechtspraxis Aus Sicht der Rechtspraxis könnte freilich eingewendet werden, daß mag ja theoretisch alles schön und gut sein, doch welches sind die Konsequenzen für den praktischen Umgang mit dem Recht? 1. Personfunktionalismus als Rechtsprinzip Die rechtspraktischen Folgen einer Umstellung der erbrechtlichen Dogmatik von einer Deutung des gewillkürten Erbrechts als fortgesetztes Eigentum oder als funktionales Familienrecht auf einen erbrechtlichen Personfunktionalismus liegen insbesondere auf zwei Ebenen. Einmal wird sich zeigen lassen, daß die bei der Sittenwidrigkeitsprüfung letztwilliger Verfügungen bisher angelegten Kautelen einer durchgreifenden Kritik unterzogen werden müssen und die Interpretation des § 138 I BGB neu durchdacht werden muß12. Darüberhinaus wird nachgewiesen werden, daß die Wertun12

Es kommt hier dann gewissermaßen zu einer neuen Sicht sittenwidrigkeitsrechtlicher Wertungen vor dem Hintergrund eines personfunktionalen Erbrechtsdenkens. Nun könnte hiergegen vorgetragen werden, eine derartig neue Sicht läge eo ipso außerhalb des methodischen Spielraums dieser Untersuchung, da diese ja von gegebenen Wertentscheidungen auszugehen sucht und diese konsistent und kohärent erklären will – und damit prima facie die gegebenen Wertentscheidungen selbst nicht verändern kann. Ein derartiger Vorwurf eines vitiösen Zirkels kann hier nicht

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Kap. 1: Hauptthese – Begrifflichkeiten

gen, die aus einer personfunktional verstandenen Testierfreiheit als Frucht einer kohärenten Deutung anerkannter dogmatischer Vorentscheidungen zum Erbrecht gewonnen werden können, als Argumentationstopos innerhalb der Interpretation des sonstigen Privatrechts durchaus eine Rolle spielen und darüberhinaus als ein Gewichtungsfaktor relevant werden, soweit es um das Austarieren von Prinzipien nach dem Modus praktischer Konkordanz geht. Denn der erbrechtliche Personfunktionalismus ist ja die Frucht einer kohärenten Interpretation leitender Wertungen des Erbrechts, vor deren Hintergrund sich das Gesetz erst als Recht erweisen kann. Der Personfunktionalismus ist mithin kein Synonym für einen bloßen Zusammenschluß thematisch zusammengehöriger Rechtssätze im Sinne des positivistischen Institutionsbegriffs. Vielmehr ist ihm – wie etwa der Selbstbestimmung im Recht der Güterbewegungen – wegen seiner Eigenschaft, Frucht der kohärent gedeuteten Wertungen des Rechts (also Ergebnis des rechtlichen „Sinnzusammenhangs“) zu sein, selbst der Charakter eines allgemeinen Rechtsprinzips immanent. Damit ist zugleich die Rechtsquellenproblematik des erbrechtlichen Personfunktionalismus geklärt: Indem das geltende Recht nur dann kohärent interpretiert zu werden vermag, wenn das gewillkürte Erbrecht als Persönlichkeitsrecht gedeutet wird – so die Leitthese dieser Untersuchung –, wird ein rechtsquellentheoretischer Bogen geschlagen zwischen dem Personfunktionalismus und dem Erbrecht selbst13. Aufgrund des hohen Erklärungsgehalt des erbrechtlichen Personfunktionalismus für die kohärente Deutung verschiedener erbrechtlicher Normenkomplexe wird zugleich deutlich, daß in der Einsicht, das gewillkürte Erbrecht sei als funktionales Persönlichkeitsrecht zu verstehen, eine grundlegende Entscheidung der Privatrechtsordnung aufgedeckt worden ist. Das gefundene Rechtsprinzip geht nun dahin, daß das Erbrecht die Testierfreiheit und jegliche erblasserische Motive grundsätzlich positiv bewertet: Der Wille des Erblassers soll sich überall dort durchsetzen können, wo das Recht ihm keine eigenen Wertungen entgegensetzt. Der erbrechtliche Personfunktionaerhoben werden. Denn zum einen sind die sittenwidrigkeitsrechtlichen Wertungen nur Folge des herrschenden Erbrechtsverständnisses und fallen, wenn letzteres verändert wird. Und zum anderen kommt es im Durchgang durch die konsistente und kohärente Erklärung des gegebenen Wertmaterials auf einer neuen Stufe durchaus zu einem neuen Verständnis des Wertmaterials, welche zur Erklärung vorher herangezogen worden ist. Dies ist aber nicht die mißliche Folge eines logischen, sondern die Frucht eines hermeneutischen Zirkels, dessen Heuristik Rechtswissenschaft immer wieder vorantreibt. 13 Freilich sei nicht verhehlt, daß positivistische Positionen typischerweise rechtsquellentheoretisch den Rückgang auf Motive empirischer Rechtssetzungsakte empfehlen, mithin auf den „empirischen“ Gesetzgeber verweisen. Ihnen bleibt dann aber das Problem aufgegeben, wie sie Recht noch als Recht und nicht nur als Frucht reiner auctoritas begreifen können. Allerdings wird ihnen diese Problematik wohl auch eher gleichgültig sein.

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lismus stößt mithin quasi in „Einsatzpunkte“ des Rechts vor: Er harrt „des relevanten Unterschieds, um bei günstiger Gelegenheit in die Bresche zu springen“14. Prinzipien wohnt ja eine normative Kraft inne, die den Rechtsanwender verbindlich anweist, einen durch das Prinzip ausgezeichneten Zustand herbeizuführen oder ein bestimmtes Ziel zu meistern15. Und dies ist für ein Verständnis des Erbrechts als Persönlichkeitsrecht ja durchaus nicht irrelevant, wird doch zu Recht der tendenziell höhere normative Rang der Persönlichkeitsrechte gegenüber Vermögensrechten betont und auch gegen normativ verfehlte Gleichstellungstendenzen in wirtschafts(rechts)-wissenschaftlichen Theorien verteidigt16. So wird sich beispielsweise darlegen lassen, daß ein personfunktional gedeutetes Erbrecht im Recht des Nießbrauchs an einem Einzelunternehmen durchaus nießbrauchsrechtlich relevant zu werden vermag. Es kann mithin nicht die Rede davon sein, im Folgenden würden nur rechtspraktisch irrelevante Belanglosigkeiten abstrakter Theorie traktiert; der weitere Fortgang der Untersuchung wird zeigen, daß dem durchaus nicht so ist. 2. Rechtspraxis – Rechtsdogmatik – Rechtstheorie Doch selbst wenn es so wäre und der Rechtspraxis ein todesbezogenes Verständnis des Erbrechts bei ihren Problemen nicht helfen würde: Einer recht verstandenen Dogmatik steht es gut an, sich auf die Geltungsgrundlagen ihrer eigenen Wertungen auch dann zu besinnen, wenn sich am praktischen Ergebnis zunächst rein gar nichts ändern mag. Andernfalls würde das Recht sich seines eigenen Reflexionsbedarfs begeben, sich damit ausschließlich auf die juridische Rationalität (Schelsky) als Signum für das Rechtliche im Recht zurückziehen und sich damit wiederum allein in der Faktizität seiner auctoritas gründen. Deutlich kommt eine derartige Gründung des Rechts etwa zum Ausdruck, wenn ohne weiteres (also ohne weitere normative Gründe) von einem Primat der Praxis vor jeder Theorie ausgegangen wird17. Ein etwaiger Vorhalt, die folgenden Überlegungen seien zu theoretisch, da sie die relevanten Praxisbedingungen etwa des Wirtschaftsrechts verfehlten, reklamiert bei Lichte betrachtet eben nur das neue Natur-Recht „Gebot der Berücksichtigung wirtschaftlicher Sachzwänge“18, 14

Somek, Rechtssystem und Republik, 210. Siehe dazu nur Alexy, Theorie der Grundrechte, 75 ff. 16 Siehe nur Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, 160 f. 17 So beispielsweise aus der Überfülle Krawietz, RTh 1993, 81 (105), was nicht verwunderlich ist, da er Recht soziologisch betrachtet. 18 Der Vorwurf, der Rekurs auf ökonomische Grundsätze würde rechtsintern als eine Art neues Naturrecht rekonstruiert werden, wird des öfteren erhoben, siehe etwa Wiedemann, Übertragung, 328. Auch rechtstheoretisch ist der Rekurs auf das „wirtschaftlich Vertretbare“ oder auf „ökonomische Sachzwänge“ als solcher wenig 15

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Kap. 1: Hauptthese – Begrifflichkeiten

ohne zu thematisieren, inwiefern derartige Sachzwänge und die damit verbundene Perspektive, das Verständnis rechtlicher Normierung sei spezifischen Ordnungsvorstellungen zu unterwerfen (mithin: methodisches Gebot einer Ökonomisierung des Rechts), rechtlich überhaupt relevant sind19. Mit solchen Vorhaltungen wird dann nur die Hand dazu gereicht, das Recht sowohl an die Usurpation einer teilsystemspezifischen Systemrationalität und an die Modi marktförmiger Vergesellschaftung auf der Basis komplementärer Interessen und des materiellen Güteraustauschs auszuliefern als auch diese Systemrationalitäten zugleich den verschwiegenen Eigensinnigkeiten des Rechtssystems zu unterwerfen. Teubner hat dies einmal etwas pointiert, aber in der Sache zu Recht als „Versklavung‘ fremder Rationalitäten zugunsten des Rechtssystems“ bezeichnet 20. Auf der anderen Seite ist auch ein Primat der Theorie vor der Praxis zu vermeiden, die sich die ihr geeignete geschichtlich-reale Rechtspraxis erst suchen müßte und die der Rechtspraxis viel zu abstrakt gegenüberstünde21. Vielmehr gilt die pragmatistische Einsicht, daß Theorie und Praxis keine getrennten Veranstaltungen darstellen, sondern intern miteinander verknüpft sind. Der abstraktere wissenschaftstheoretische Level der Allgemeinen Rechtstheorie bleibt dadurch unberührt; diese mag sich durchaus als von allen normativen inhaltlichen Implikationen oder dogmatischen Bindungen entlastetes Unternehmen normen- und rechtstheoretischer Provinienz installieren22. Über die Sachgerechtigkeit der Einforderung eines Praxisbezugs von Theorie kann mithin kein Zweifel bestehen. Nur kann eine derartige Einforderung leicht als strategisches Vorhaben mißverstanden werden, den Dialog zwischen etablierten Selbstbeschreibungen des Rechtssystems und „wissenschaftlichen Störungen“ von vornherein normativ in Richtung eines bestimmten Sprechens auszurichten, welches die tradierten Routinen rechtlicher Praxis rigide reproduziert, damit den Wechsel auf die innovative einsichtig. Denn mit bloßen Zweckmäßigkeitserwägungen läßt sich ja nicht hinreichend einsichtig machen, wieso sie vor dem Forum rechtlicher Argumente überzeugungskräftig erscheinen können. Aus Sicht des Rechts könnte man ja immer einwenden, man verfolge mit den Zweckmäßigkeitserwägungen ein Ziel, welches mit wohlbegründeten Rechten unvereinbar ist. Rechte haben gegenüber Zielen dann den Charakter von „Trümpfen“. Dazu siehe auf der Basis von Dworkin nur Somek, Rechtssystem, 241. 19 Zur wirtschaftlichen Betrachungsweise im Privatrecht siehe ausführlich Christian Müller, Die wirtschaftliche Betrachtungsweise im Privatrecht, insbes. Kap. 4 und 5. 20 Teubner, ARSP-Beih. 65 (1996), 199 (210). 21 Dazu nur überzeugend Krawietz, RTh 1993, 81 (109). 22 Wie dies etwa Krawietz, RTh 1993, 81 (111, 113), mit seinem „multi-levelapproach“ avisiert; siehe auch Dreier, Recht – Moral – Ideologie, 31 f. Allg. zu (in sich verschliffenen) Stufen der Interpretation siehe etwa den Ansatz von Lenk, Schemaspiele, 91 ff., 103 ff.

§ 2 Erbrecht als funktionales Persönlichkeitsrecht

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Ebene systematisch ausschließt und die überlieferte Selektion des juristisch Sagbaren stabilisiert23. Somek und Forgó haben in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hingewiesen, daß sich in dem Vorwurf, dies oder jenes sei zu „praxisfern“, nichts harmloses zeigt, sondern sich genau jener, von Foucault als „Dispositiv“ bezeichneter Organisationstyp von Macht abzeichnet24, ohne daß sich dieser durch das nicht in bloßer auctoritas aufgehende Recht legitimiert zeigt. Es verwundert daher nicht, daß Canaris25 eindringlich darauf hingewiesen hat, daß ein hinreichender Theoriebezug der praktischen Rechtsarbeit das elementare Gerechtigkeitsgebot sichert, Gleiches gleich und Ungleiches nach Maßgabe seiner Verschiedenheit ungleich zu behandeln26. Dieser genuine rechtliche Aspekt von Theorie als eine Art „Vorgriff auf Gerechtigkeit“ sollte im folgenden nicht unbeachtet bleiben.

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Siehe dazu auch Somek/Forgó, Nachpositivistisches Rechtsdenken, 22 ff. Somek/Forgó, Nachpositivistisches Rechtsdenken, 37. 25 JZ 1993, 377 (390 f.). 26 Siehe allg. zum hier vertretenen Verständnis von Rechtswissenschaft als differenztheoretisch angelegtes Unternehmen Goebel, Rechtsgespräch und kreativer Dissens, 161 ff. Die vorliegende Untersuchung versteht sich als ein genuiner Beitrag zu einer differenztheoretisch angelegten Rechtswissenschaft. 24

Kapitel 2

Diskussion der bisherigen Ansätze zur Testierfreiheit Soeben wurde die These vorgestellt, das gewillkürte Erbrecht müsse nicht nur als funktionales Vermögens- und (residual) Familienrecht, sondern auch und vor allem als funktionales Persönlichkeitsrecht begriffen werden, wenn Dogmatik die anerkannten erbrechtlichen Wertungen erklären will. Diese These scheint auf erhebliches Unverständnis, ja Unbehagen zu stoßen, wenn sie nicht sogar von vornherein als absurd aus dem Kanon sinnvoller Dogmen ab ovo entfernt wird. Im Folgenden wird deshalb in einem ersten Schritt gezeigt werden müssen, daß ein Verständnis des gewillkürten Erbrechts allein aus seiner Vermögens- und Familiarfunktionalität die anerkannten dogmatischen Vorentscheidungen nicht erklären kann und insofern theoretisch defizitär ist. In einem zweiten Schritt gilt es dann zu zeigen, daß dieses Defizit durch eine personfunktional angelegte Deutung des gewillkürten Erbrechts aufgehoben werden kann. Es muß mithin nachgewiesen werden, daß die bisherigen dogmatischen Ansätze zur Verortung des gewillkürten Erbrechts theoretisch defizitär sind. Der Begründungspfad erfolgt hierbei dreiläufig. Auf einer ersten Stufe wird diejenige Position diskutiert, die sich von einem personfunktionalen Verständnis der Testierfreiheit am weitesten abwendet (unter § 3). Sodann wird der – scheinbare – Gegenstandpunkt untersucht, nach dem sich der Erbgang als Fortsetzung der Persönlichkeit des Erblassers darlegen lassen soll, womit ein Konnex zur Personfunktionalität zumindest hergestellt worden zu sein scheint (unter § 4). Schließlich rückt die gängige Deutung des gewillkürten Erbrechts die Testierfreiheit als fortgesetzte Eigentumsfreiheit ins Blickfeld. Hier wird sich zeigen lassen, daß die Verknüpfung von Erbrecht und Eigentum zwar unter historischen Entwicklungsgesichtspunkten einsichtig ist, für eine dogmatische Erklärung des geltenden Normbestands aber kaum etwas hergibt (unter § 5 und § 6). Konstitutionstheoretisch (also unter dem schon oben1 beschrieben genetischen Aspekt der historischen Erklärung der Entstehung des geltenden Rechts) ist die Rückführung des gewillkürten Erbrechts auf das Eigentum zwar überzeugend. Dies gilt aber nicht für die dogmatisch eigentlich im Vordergrund stehende Frage, inwie1

§ 1 III.

§ 3 Die Testierfreiheit als Befugnis zur Erzielung familiarer Effekte

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weit diese Rückführung auch geltungstheoretisch – also in der Rechtfertigungsdimension – überzeugend ist. Eine geltungstheoretisch angelegte Deutung des gewillkürten Erbrechts bedeutet dabei nichts anderes, als daß der geltende Normbestand nicht als Produkt der auctoritas einer gesetzgeberischen Entscheidung ausgewiesen wird, sondern als das, was er rechtlich allein sein darf: als Recht. In diesem Sinne steht geltungstheoretisch demnach die Einbettung des geltenden Normbestand in ein kohärentes Systems rechtlicher Wertung an. Diese Einbettung wird sodann – nachdem im ersten Schritt der defizitäre Erklärungsgehalt der bisherigen dogmatischen Ansätze zum gewillkürten Erbrecht nachgewiesen werden konnte – in einem zweiten Schritt vollzogen. In diesem zweiten Schritt gilt es demnach positiv zu begründen, daß das geschilderte Defizit bisheriger Dogmatik aufgehoben werden kann durch die Konzeption des Erbrechts als funktionales Persönlichkeitsrecht. Ein derartiges Vorgehen sieht sich insgesamt gesehen sofort in das schlechte Licht eines naturrechtlich motivierten Denkens gerückt, welches einer recht verstandenen Dogmatik heute keinerlei Richtschnur mehr sein sollte. Der Vorwurf, hier würde ein naturrechtliches Rechtsdenken propagiert, ist jedoch geradezu abwegig. Die Erkenntnis, daß das Recht kohärent im System seiner Wertungen zu verstehen ist und auch nur so als Recht begriffen und keineswegs auf die Entscheidung eines Gesetzgebers zurückgeführt werden darf, ging im Laufe des 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts im Zeitalter des entwickelten Positivismus verloren. Im modernen Verfassungsstaat der Gegenwart rückt die Verbindung zwischen dem verfassungstheoretischen Kantischen Projekt des allgemeinen Gesetzes und der Autorenschaft der Bürger auf der einen und der Interpretation des Bürgerlichen Rechts auf der anderen Seite wieder mehr und mehr ins Bewußtsein. Es geht nun nicht um die Entwicklung naturrechtlicher Denksysteme, sondern allein um die Interpretation des positiven Rechts. Mehr, aber auch nicht weniger, sollte von einer Dogmatik nicht nur des Gesetzes, sondern des Rechts nicht erwartet werden.

§ 3 Die Testierfreiheit als verliehene Befugnis zur Erzielung familiarer Effekte Stellenweise wird jegliche Gründung des gewillkürten Erbrechts in dem Persönlichkeitsrecht des Erblassers in toto von der Hand gewiesen. Selbst dem Verständnis des Erbrechts als eines Rechts, welches sich primär der Regelung von Güterbewegungen annimmt, wird kein Beifall gezollt. Vielmehr wird aus der tradierten Dichotomie von Eigentum und Familie, aus deren Spannungsfeld die bisherige Dogmatik das Potential zur Bewältigung schwieriger erbrechtlicher Auslegungsprobleme bezog, die Seite „Eigen-

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Kap. 2: Diskussion der bisherigen Ansätze zur Testierfreiheit

tum“ weitgehend verabschiedet und die Testierfreiheit perspektivisch an die Familie gekoppelt. Erbrecht wird damit überwiegend in der traditionsreichen Sicht des erbrechtlichen Familiarismus gegründet. Paradigmatisch hierfür steht der Ansatz Leipolds.

I. Die treuhänderische Freiheit des gerechten Hausvaters Die Überlegungen Leipolds2 finden ihren Ausgangspunkt in der Einsicht, daß die Ausübung der Testierfreiheit erst nach dem Tode des letztwillig Verfügenden Wirkungen zeitigt. Nun findet es Leipold wenig überzeugend zu sagen, man könne seine Persönlichkeit auch noch nach seinem eigenen Tode in irgendeiner Weise entfalten. Dies ist für ihn Grund genug, mit Blick auf den Wirkungszeitpunkt letztwilliger Verfügungen – nämlich die Zeit nach dem Tode des Erblassers – die Testierfreiheit nicht als das Instrument zu focussieren, mit dem der – ja verstorbene – Erblasser seine Persönlichkeit privatautonom post mortem entfalte. Es ginge im Kern gar nicht um dessen Persönlichkeitsentfaltung. Vielmehr sei ihm die Testierfreiheit – in gewisser Weise treuhänderisch – deshalb anvertraut, weil der Erblasser im Interesse der Hinterbliebenen in besonderer Weise dazu berufen sei, aufgrund seiner Kenntnisse des individuellen Falles die Besonderheiten des jeweiligen Erbgangs am besten zu regeln3. Mit einem derartigen Rekurs auf das „Vertrauen in den gerechten Hausvater“4, der nach Meinung Mengers5 schon dem Ersten Entwurf zum BGB als Leitbild vor Augen gestanden ha2

Siehe hierzu und zum folgenden MünchKomm-Leipold, § 2078 Rn. 1 ff. Ebenso Staud-Boehmer, 11. Aufl., Einl zum Erbrecht, § 17 Rn. 1 f., 3; Lange/ Kuchinke, Erbrecht, § 9 I 1 a; v. Lübtow, Erbrecht, 17; Häsemeyer, Abhängigkeit, 122 ff.; Linker, Neubestimmung, 11, 59 f.; Papantoniou, AcP 173 (1973), 385 (393 ff.); Heinrich Lange, JherJb 82 (1932), 1 (12); Zawar, DNotZ-Sonderheft 1989, 116 (131); Zopfs, ZEV 1995, 309 (312); und schon Otto von Gierke, Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs, 507; ähnlich auch Ebenroth, Erbrecht, Rn. 180; angedeutet bei Staud-Otte, Einl. zum Erbrecht Rn. 55; siehe im übrigen nur Prot. V, 493 f. Auch Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle, 135, sieht den „tieferen Sinn“ der Testierfreiheit in der Erwartung einer gerechten Verfügung von Todes wegen. 4 MünchKomm-Leipold, Einl. zum Erbrecht, Rn. 13. „Guter Hausvater“ bei Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 9 I 1 a; „pflichtgetreuer Hausvater, der nach reiflicher Prüfung sein Haus bestellt“, bei Heinrich Lange, JherJb 82 (1932), 1 (12); Grossfeld, JZ 1968, 113 (118): „Familienvater“; Linker, Neubestimmung, 10 f., unter Übernahme eines Zitats von Leipold: „Verantwortung des Ehegatten und Familienvaters“. Nur am Rande sei gefragt, wieso sich eine Perpetuierung der Geschlechterbeziehung und des tradierten Ständeschicksals der Frau auch in der rechtsdogmatischen Begrifflichkeit widerspiegeln soll. 5 Menger, Das bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen, 204. Die in derartigen Sentenzen zum Ausdruck kommende, oftmals vertretene These (etwa Wiethölter, Rechtswissenschaft, 167 ff.), im BGB sei der liberalistische Geist des 3

§ 3 Die Testierfreiheit als Befugnis zur Erzielung familiarer Effekte

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ben soll, und auf das „grundsätzliche Gerechtigkeitsstreben des einzelnen Erblassers“6 wird das gewillkürte Erbrecht in toto auf seine familiare Funktion der Hinterbliebenenversorgung und der Förderung des Familienzusammenhalts ausgerichtet: Dem BGB liege nicht ein Verständnis der Testierfreiheit als Freiheit nach Belieben zugrunde, sondern als „Freiheit zur pflichtgemäßen, gerechten Ausübung, aus der Verantwortung des Ehegatten und des Familienvaters heraus“7 – eben als gebundene, nicht als freie (autonome) Freiheit. In diesem erbrechtlichen Familiarismus erscheinen die ehe- und familienrechtlichen Schranken der Testierfreiheit denn auch als von vornherein ihr immanente Bindungen8 und das dispositive gesetzliche Erbrecht als ein auf ihr Verständnis ausstrahlender normativer Wertmaßstab9. Die Enterbung „ohne vernünftigen sachlichen Grund“10 wird perspektivisch deshalb nicht als wertneutraler Vorgang aufgefaßt, sondern als ein „Eingriff in eine Rechtsposition, die dem gesetzlichen Erben eigentlich zusteht“11. Ein derartiger familiaristischer Perspektivismus ist auch sonst des öfteren anzutreffen. So spricht etwa Kuchinke von den „dunklen Seiten“ des Erbrechts, wenn der Erblasser seinen Angehörigen, die ihre Bedürfnisse mit dem erhofften Anteil nachhaltiger befriedigen könnten, das Erbgut nicht zuweist12. Und jüngst war noch die Rede davon, daß „die Ausübung der Testierfreiheit nach dem Willen und den Interessen der Familie erwünscht (sei)“13. Auch ist von eigennützigen Motiven, von der Ausnützung besitzgestützter erblasserischer Macht14 und von einem „Tummelplatz der Laune und der Willkür“15 die Rede. Derartige Diktionen setzen implizit voraus, die Wertung ergebe rechtlichen Sinn (also nicht nur mit Blick auf tradierte TestierBesitzbürgertums implementiert, wird durchaus auch kritisch begegnet, siehe aus der Fülle nur Knieper, Gesetz und Geschichte, 42 ff. 6 MünchKomm-Leipold, Einl. zum Erbrecht Rn. 13; ders., Erbrecht, Rn. 49; ebenso Ebenroth, Erbrecht, Rn. 48; Rauscher, Reformfragen, 264; Ähnlich Däubler, ZRP 1975, 136 (138). 7 Leipold, AcP 180 (1980), 161 (195). 8 Prägnant Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 9 I 1 a (Hervorhebung nicht i. O.): „Der Gesetzgeber ging jedoch für den Regelfall mit Recht davon aus, daß der Erblasser, gebunden durch die Erbsitte, sein Familienbewußtsein und die Sorge vor Vergeltung im Jenseits, die für seinen Erbfall richtigen Regelung treffen werde.“ 9 Deutlich Leipold, AcP 180 (1980), 160 (195). 10 Leipold, AcP 180 (1980), 160 (195). 11 Leipold, AcP 180 (1980), 160 (195), Hervorhebung nicht i. O. 12 Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 1 I 2. 13 Linker, Neubestimmung, 12. 14 Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 1 I 2. 15 Staud-Boehmer, 11. Aufl., Einl. zum Erbrecht, § 12 Rn. 3; übernommen bei Linker, Neubestimmung, 13.

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Kap. 2: Diskussion der bisherigen Ansätze zur Testierfreiheit

sitten oder auf verbreitete Vorstellungen von einem sittlich gestützten guten Handeln), die familiare Hoffnung auf eine Partizipation am Nachlaß sei mit der Testierfreiheit in einer gewissen Weise verknüpft – und zwar in der Weise, daß Verfügungen, die dem familiaren Partizipationsstreben nicht nachkommen, mit „Eigennutz“ und „Machtstreben“ korreliert werden. Die Gegenfrage liegt auf der Hand: Wieso wird nicht umgekehrt danach gefragt, wieso Partizipationsbestrebungen der Angehörigen außerhalb des gesetzlichen Erbrechts und des Pflichtteilsrecht nicht ebenso eigennützig sind16. Denn gemeinhin gilt es ja als eigennützig, wenn man meint, am Vermögen einer anderen Person partizipieren zu dürfen, ohne gegen diese Person einen Anspruch geltend machen zu können. Mithin geht auch Kuchinke zumindest implizit von einem erbrechtlichen Familiarismus aus. Derartige Wertungen schlagen sich vor allem in der Sittenwidrigkeitsprüfung erbrechtlicher Verfügungen nieder: Grob ungerechten Verfügungen in dem geschilderten familiarfunktionalistischen Sinn soll das Gesetz über das Sittenwidrigkeitsverdikt des § 138 I BGB die Geltung versagen17. Insgesamt gesehen wird die Testierfreiheit demnach von den individualistischfreiheitlichen Konnotationen abgelöst, wie sie im hergebrachten Verständnis von Privatautonomie mitschwingen, und sodann im Zweiklang von Familie und dem gesetzlichen Erbrecht verortet. Mittlerweile scheint Leipold seinen Ansatz zwar tendenziell zurückgenommen zu haben, indem er betont, auch der Erblasser verwirkliche ein Stück seiner eigenen Freiheit18. Der Sache nach bleibt es aber bei der Verortung der Testierfreiheit als bloß treuhänderischer Annex einer familiaren Funktionalität des gewillkürten Erbrechts19, in dem sie sich als ein pflichtgebundenes Instrument einer solidarisch motivierten Familienbindung mit bloß residualen Freiheitseinschlag wiederfindet. Es liegt auf der Hand, daß ein derartiger erbrechtlicher Familiarismus der hiesigen These dezidiert widerstreitet, Testierfreiheit und Persönlichkeitsrecht sei intern miteinander verknüpft.

16 Es war schon die Rede davon, daß Leipold derartige implizite Vorentscheidung in die Sentenz einkleidet, die Erwerbsposition der Angehörigen stehen ihnen „eigentlich“ als Rechtsposition zu, Leipold, AcP 180 (1980), 161 (195). 17 Leipold, AcP 180 (1980), 160 (195 f.). 18 MünchKomm-Leipold, Einl. zum Erbrecht Rn. 13 mit Verweis auf die kritische Rezension Meinckes, DStR 1982, 231 (232); noch stärker betont Leipold in: ders., Erbrecht, Rn. 49, den Bezug der Testierfreiheit zur Privatautonomie. 19 Siehe MünchKomm-Leipold, Einl. zum Erbrecht Rn. 13 mit weiter fortbestehenden Verweis auf ders., AcP 180 (1980), 160 (195); sowie auf Staud-Boehmer, 11. Aufl., Einl. zum Erbrecht § 17 Rn. 3.

§ 3 Die Testierfreiheit als Befugnis zur Erzielung familiarer Effekte

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II. Der erbrechtliche Familiarismus und der Rekurs auf die Entstehungsgeschichte Auf den ersten Blick wird die Ansicht Leipolds durch die Motive20 unterstützt. In diesen wird davon ausgegangen, es bestünde eine Rechtspflicht des Erblassers, die Testierfreiheit nicht zu mißbrauchen. Als Ausdruck dieser Rechtspflicht wird in den Motiven dabei das Pflichtteilsrecht herangezogen, welches zugleich familiar verankert wird21. Ein Argument für ein familiaristisches Erbrechtsverständnis (und nicht nur Pflichtteilsverständnis) läßt sich trotz anderslautenden ersten Anscheins indes hieraus nicht gewinnen. Zur rechtlichen Funktion des Pflichtteilsrechts geben die Gesetzesmaterialien kaum Auskunft; sowohl die Kommission als auch der Redaktor des den Beratungen der ersten Kommission zugrundegelegten Teilentwurfs zum Erbrecht, Gottfried Schmitt, gingen weitgehend davon aus, es stünde allgemein im Erbrecht nur die Kodifikation des schon geltenden Rechts in Rede22. Im Vordergrund wurde also weniger die rechtliche Funktionalität des Rechtsinstituts, sondern dessen konkrete Ausformung, technisch-rationale Fragen innerhalb einer als scheinbar unwandelbar vorgegebenen privaten Erbrechtsordnung, insbesondere die Entscheidung zwischen einem bloß schuldrechtlichen Geldpflichtteil und einem dinglich wirkenden materiellen Noterbrecht thematisiert23. Diese Unergiebigkeit der Gesetzesmaterialien darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß doch erhebliche Fragen Gegenstand heftiger politischer Auseinandersetzungen insbesondere zwischen den verschiedenen Leitbildern von kollektivistischer Familienverantwortlichkeit und individualistischer Dispositionsfreiheit waren, die sich in den Materialien selbst jedoch kaum widerspiegeln24. Derartige rechts- und gesellschaftspolitische Erwägungen haben allerdings in der Gesetzgebungsgeschichte des 19. Jahrhunderts nur geringe Spuren hinterlassen; der Wert der Materialien ist insofern beschränkt25, so daß ihre oben bemerkte Unergiebigkeit nicht überraschen kann. Im positiven Recht und hier insbesondere im Pflichtteilsrecht finden wir historisch gesehen einen Kompromiß aus verschiedenen erbrechtlichen Ausgangspositionen26. Im Ausgang des 19. Jahrhunderts war der Grundstein für 20

Mot. V, 387. Leipold führt die Gesetzgebungsgeschichte ausdrücklich als Indiz dafür an, daß eine Überbetonung der Testierfreiheit für bedenklich gehalten wurde, ders., AcP 180 (1980), 160 (191). 22 Kipp/Coing, § 8 II. 23 Vgl. Mot. V, 385 ff. 24 Dazu vgl. umfassend Schröder, Abschaffung oder Reform, 1981. 25 Schröder, Abschaffung oder Reform, 506; Buchholz, in: Coing (Hrsg.), Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. 3, 1627 (1680). 21

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ein dichotomes Verständnis von Familie und Eigentum gelegt worden. In diesem Verständnis erscheinen das von einer personalen Nähebeziehung her begriffene Familienerbrecht und die individualistisch gegründete Testierfreiheit nebeneinander als je entgegengesetzte Prinzipien des Erbrechts. Der Ausgleich zwischen den beiden Prinzipien fand die Rechtsphilosophie des 19. Jahrhunderts dann leicht in einem Pflichtteils- oder Noterbrecht. Gerade das Pflichtteilsrecht bot den geeigneten Ansatzpunkt, die konträren erbrechtlichen Grundpositionen von kollektivistischer Familienverantwortlichkeit und individualistischer Dispositionsfreiheit miteinander zu vermitteln27. Vor diesem Hintergrund enthielt sich die erste und auch die zweite Kommission einer prinzipiellen Entscheidung über die ideelen Grundlagen des Erbrechts28. Der historische Gesetzgeber wollte mit dieser Entscheidung weder die Familie noch den Erblasserwillen als Berufungsgrund jeweils materiell bevorzugen29. Wenn nun der Bogen wieder zum Argument Leipolds gespannt wird, in den das Pflichtteilsrecht betreffenden Motiven würde eine Rechtspflicht des Erblassers statuiert, die Testierfreiheit nicht zu mißbrauchen, wird deutlich, warum dieses Argument nicht verfängt: Indem die Motive das Pflichtteilsrecht bemühen, um den rechten Gebrauch der Testierfreiheit zu implementieren, zeigt sich zugleich, daß sich der historische Gesetzgeber eines genauen Konzepts enthalten hat, welches Maß an familiarer Redlichkeit er dem Erblasser über das Pflichtteilsrecht hinaus zumuten will. Zudem sind die Materialien durchaus nicht eindeutig in einem rechtlich relevanten Sinn familiaristisch. Dies zeigt die Sentenz, daß der „Erblasser, welcher pflichtwidrig über seinen Nachlaß verfüg(e), (. . .) nicht in eine fremde Rechtssphäre ein(greife)“30 – womit zugleich gesagt wird, daß die genannte Pflichtwidrigkeit nichts mit einem Verstoß gegen Rechtspflichten zu tun hat. Es überzeugt insgesamt gesehen deshalb nicht, aus der Entstehungsgeschichte eine familiaristische Ausrichtung des gesamten gewillkürten Erb26 Vgl. nur den Überblick bei Staud-Boehmer, 11. Aufl., Einl. zum Erbrecht §§ 12 ff.; Klippel, ZRG Germ. Abt.101 (1984), 117; Heuberger, Geschichtliche Entwicklung des Pflichtteilsrechts, 1912; Beneke, Pflichtteilsrecht, 1939; Mertens, Entstehung, 30 ff.; Hattenhauer, Grundbegriffe, 183 ff. Dazu ausführlich unten § 5 II, III. 27 Buchholz, in: Coing (Hrsg.), Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. 3, 1627 (1681 f.); Tschäppeler, Testierfreiheit, 72 ff. 28 Siehe unten § 5 II 3. 29 Mot. V, 2; vgl. auch Mot. V, 386; Prot. V, 493 ff. Dazu auch Mertens, Entstehung, 37 ff.; Schröder, Abschaffung oder Reform, 23 ff.; Leipold, AcP 180 (1980), 160 (191); MünchKomm-ders., Einl. Erbrecht Rn. 10; sowie unten § 5 II 3. 30 Mot. V, 386. Siehe zur familiaristischen Relevanz der Materialien zudem unten § 5 II 1.

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rechts zu folgern, falls nicht zugleich der Nachweis erbracht wird, der Gesetzgeber habe ein auch rechtlich sanktionierbares familiares Wohlverhalten des Erblassers erzwingen wollen, welches über die pflichtteilsrechtlichen Vorgaben hinaus geht und nicht nur moralisch nach den Gepflogenheiten diverser sozialer Bezugsgruppen gefordert oder sozial in der Abfolge der Generationenverhältnisse als Ausdruck einer guten Sitte tradiert wird. Im übrigen reicht ein konstitutionstheoretischer Rekurs auf die Entstehungsgeschichte des Erbrechts dann nicht zur rechtfertigungstheoretisch angemessenen Deutung des geltenden Rechts hin, wenn damit nicht sämtliche Regelungen des gewillkürten Erbrechts erklärt werden können. Genau dies ist aber der Fall, wie ein Blick auf die Anfechtungs- und auf die Auslegungsregelungen des BGB zeigen.

III. Der erbrechtliche Familiarismus und die erbrechtlichen Anfechtungsvorschriften Unter geltungstheoretischen Aspekten muß der von Leipold avisierte Konnex von Familie und erbrechtlicher Privatautonomie kritisch betrachtet werden. Denn mit der funktionalen Ausrichtung der Testierfreiheit auf die Familie können weder das Anfechtungsrecht der §§ 2078 ff. BGB, noch das Auslegungsrecht des § 133 BGB erklärt werden, womit ein Verständnis sämtlicher normativen Differenzierungen des geltenden Rechts auf der Basis des Leipoldschen Vorschlags mißlingen muß. Der Nachweis dieser These ist freilich kompliziert. 1. Anfechtungsberechtigung als Schutz gesetzlich oder letztwillig Bedachter Es sei zuerst ein Blick auf die §§ 2078 ff. BGB geworfen. Leipold erklärt das erbrechtliche Anfechtungsrecht mit der Überlegung, es schütze die Rechtspositionen der Verfügungsbetroffenen, da nicht die Bindungswirkung gegenüber dem – ja verstorbenen – Erklärenden selbst, sondern die Geltungswirkung der Erklärung nach außen mit der Testamentsanfechtung angegriffen würde. Der Zweck der Testamentsanfechtung läge daher in erster Linie im Schutz der Interessen der Anfechtungsberechtigung vor einer in sich fehlerhaften Erklärung des Erblassers31. Das geschützte Interesse bestünde hierbei in einem gesetzlichen Erbrecht oder in dem Anrecht auf eine Zuwendung, die in einer anderen, fehlerfreien letztwilligen Verfügung eingeschlossen sei. Die Rechtsposition des Anfechtenden sei demnach zwar 31 MünchKomm-Leipold, § 2078 Rn. 1, § 2080 Rn. 1. Ebenso Soergel-Loritz, § 2078 Rn. 1; Schlüter, Erbrecht, Rn. 227.

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der Willensfreiheit des Erblassers ausgeliefert. Dies gelte aber nur für eine irrtumsfreie Verfügung. Denn nur hier griffe die Annahme des Gesetzes durch, der letztwillig Verfügende werde sich um eine gerechte, den Verhältnissen des Einzelfalls angemessene Regelung bemühen – um eine Regelung, welche kraft dieses gesetzlichen Vertrauens eine hinreichende Richtigkeitsgewähr in sich berge. Bei einer irrtumsbedingten Verfügung würde dieses Vertrauen des Gesetzes jedoch enttäuscht. Der innere Grund der Anfechtbarkeit besteht für Leipold demnach in der fehlenden Richtigkeitsgewähr der getroffenen Verfügung32 – was folgerichtig ist, wenn die Testierfreiheit derart funktionalisiert wird, daß sie den intergenerationalen Gütertransfer an die konkreten Verhältnisse innerhalb der Herkunftsfamilie anpassen soll. 2. Anfechtungsberechtigung und die Richtigkeitsgewähr der letztwilligen Verfügung An dieser Argumentation überzeugt mehreres nicht. Einmal vermag Leipold nicht zu erklären, warum nach dem Gesetz nicht nur die qua gesetzlichem Erbrecht Anfechtungsberechtigten die irrtumsbedingte Erklärung zu Fall bringen können, sondern auch diejenigen, denen ein Anfechtungsrecht deshalb zukommt, weil sie bei erfolgreicher Anfechtung eine Zuwendung erlangen würden, die in einer anderen, fehlerfreien Zuwendung enthalten ist, was beispielsweise bei der Anfechtung eines Vermächtniswiderrufs durch den Vermächtnisnehmer oder bei der Anfechtung einer Beschwerung (etwa bei der Anfechtung eines Vermächtnisses oder einer Auflage durch den Beschwerten oder der Anfechtung der Nacherbeneinsetzung durch den Vorerben) der Fall ist. Die Anfechtungsberechtigung der gesetzlich Erbberechtigten ist für Leipold schon deshalb gerechtfertigt, weil damit den familiarfunktionalen Wertungen des dispositiven Gesetzesrechts zu ihrem Recht verholfen werden. Für den zweiten Kreis der nicht gesetzlich Erbberechtigten, wohl aber Anfechtungsberechtigten gilt dies jedoch nicht. Leipold kann die Anfechtungsberechtigung der nicht gesetzlich Erbberechtigten hier vielmehr allein auf dem Gedanken der fehlenden Richtigkeitsgewähr gründen. a) Varianten des Richtigkeitsgewährs-Topos Nun wird nicht ganz deutlich, was Leipold genau unter einer Richtigkeitsgewähr versteht33. Es gibt zwei Möglichkeiten. Die erste Möglichkeit 32

MünchKomm-Leipold, § 2078 Rn. 2, mit Bezug auf die Lehre Schmidt-Rimp-

lers. 33 Singer, Selbstbestimmung, 220, macht zu Recht darauf aufmerksam, daß die Richtigkeitsgewähr der einseitigen Verfügung des Erblassers nach Schmidt-Rimpler,

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besteht darin, den Verweis auf ein gesetzgeberisches Vertrauen auf eine „gerechte“ Verfügung von Todes wegen so zu verstehen, daß mit der Testierfreiheit nicht eine privatautonome Selbstbestimmung i. S. einer Willkürherrschaft gesichert werden soll, sondern daß die erblasserische Entscheidung Gerechtigkeit verbürgen soll. Die Ausübung der Testierfreiheit wird so zu einer Gerechtigkeitsfrage in der Tradition Schmidt-Rimplers. Die privatautonome Willensbildung des Testierenden wird dann nicht als Selbstzweck, sondern als Mittel im Rahmen der gerechtigkeitsverbürgenden Ordnungsfunktion des Erbrechts begriffen (zu dieser Interpretationsvariante siehe im folgenden b. und c.). Die zweite Möglichkeit liegt in der Erwägung, die Richtigkeitsgewähr nicht gerechtigkeitstheoretisch, sondern funktional zu deuten. Richtigkeitsgewähr heißt dann, daß nur bei einer irrtumsfreien Verfügung eine sachgerechte Anpassung des intergenerationalen Gütertransfers an die Verhältnisse des familiaren Einzelfalles gelingen kann. Es wird dann ein funktionaler Bezug zwischen dem erblasserischen Willen und der Sachgerechtigkeit der Regelung für den Einzelfall angenommen (zu dieser Interpretationsvariante siehe im folgenden d.). b) Richtigkeitsgewähr im Prüfstand gängiger Theorien der Gerechtigkeit Soweit Richtigkeitsgewähr gerechtigkeitstheoretisch verstanden wird, müßte dieser Gedanke überhaupt tragfähig sein. Dies ist er aber nicht. Fraglich ist schon, was in gerechtigkeitstheoretischer Sicht überhaupt unter Richtigkeitsgewähr sinnvoll verstanden werden kann34. Schmidt-Rimpler, auf den der Gedanke der Richtigkeitsgewähr des (Austausch-)Vertrages zurückgeht, ging es um dessen Ordnungsfunktion, nämlich zum einen um das Problem, wie ohne hoheitliche Regelung der Vertragsinhalt eine ethisch verstandene Gerechtigkeit i. e. S. sowie eine „Gemeinzweckmäßigkeit“ verwirklichen könne, zum anderen um das Verhältnis der Rechts- und Verkehrssicherheit zur inhaltlichen Richtigkeit des Vertrages35. Trägt diese VerbinAcP 147 (1941), 130 (156 Fn. 32), aus der Perspektive des Erblassers zu beurteilen sei, weil nach Schmidt-Rimpler die Gefahr nicht bestünde, daß der Erblasser „zu seinen eigenen Gunsten unrichtig auf fremde Kosten“ verfüge. 34 Die Diskussion zur Theorie der Richtigkeitsgewähr (im Vertragsrecht) ist weit gefächert. Vgl. dazu nur die umfassenden Nachweise bei Enderlein, Rechtspaternalismus, 119 ff.; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, 51 ff.; Habersack, Drittinteressen, 48 ff.; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 125 ff.; Singer, Selbstbestimmung, 9 ff. Die Theorie ist vertragsrechtlich heute von vielen im Großen und Ganzen akzeptiert, selbst der Gesetzgeber ist ihr gefolgt, siehe BT-Drucks 7/3919, 9. 35 Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130 (132 f.); ders., FS Ludwig Raiser, 1974, 3 (10, dort das Zitat).

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dung zwischen inhaltlicher Richtigkeit und der Kategorie des Vertrages? Bei einem Blick auf drei prominente Gerechtigkeitstheorien werden die Zweifel hieran überdeutlich. Wenn Richtigkeit – erste Theorie – im Sinne der prozeduralen Diskurstheorien gedeutet wird36, würde eine Großzahl, wenn nicht die überwältigende Mehrheit der einseitigen Verfügungen von Todes wegen pathologisiert. Denn typischerweise entspricht der Monolog des Testierens37 nicht der ungezwungenen diskursiven Abstimmung unter Gleichgeordneten, wie dies die Diskurstheorien unter dem Vorbild ihrer „idealen Sprechsituation“ avisieren38. Zudem bemühen sich die Diskurstheorien ihrem eigenen Anspruch nach um eine kommunikationstheoretisch untermauerte, insofern sprachtheoretischen Ansprüchen genügende Reformulierung des Kategorischen Imperativs in der Tradition Kants, der dann nichts anderes als die Implementierung eines Verfahrens der Abstimmung darstellt. Mit Blick hierauf bleibt es selbst dann bei der Pathologisierung der Testamentskategorie, wenn einmal von dem monologischen Charakter der Testamentserrichtung abgesehen wird. Zwar kennen die Diskurstheorien39 auf der einen Seite einen Normbegründungsdiskurs, bei dem eine Norm im Spiegel abstrakter Situationsannahmen daraufhin untersucht wird, ob sie die begründete Zustimmung aller Betroffenen finden kann, und auf der anderen Seite einen Normanwendungsdiskurs, bei dem die unparteiliche Anwendung von Normen in bestimmten Situationen in Rede steht, auf deren besondere Umstände sich der Normanwender einlassen und die er im Lichte konkurrierender normativer Gesichtspunkte einschätzen muß40. Begründungs- und Anwendungsdiskurse unterscheiden sich daher durch die für sie konstitutive soziale Perspektive, die in ihnen eingenommen wird41: hier Loslösung aus dem Horizont pluralisierter Lebenswelten durch den Aufruf zur Universalisierung, dort Rückgängigmachung dieser Dekontextualisierung und Blick auf den Einzelfall. Mit diesem auch im Kontext der Diskurstheorien ver36 Etwa analog zur Sonderfallthese von Robert Alexy, vgl. ders., Theorie der juristischen Argumentation, 1978, 263 ff. 37 Auch der Notar ist gehalten, nicht nach allgemeinen Erwägungen der gerechten Regelung den Erblasser zu beraten, sondern interessenbezogen (vgl. § 14 I 2 BNotO)). Mit einem diskurstheoretischen Diskussionsverständnis ist diese Interessenausrichtung schlechterdings nicht zu vereinbaren. 38 Vgl. allg. zum Problem (beim Vertrag) nur Schmidt-Rimpler, FS Ludwig Raiser, 3 (13 ff.). 39 Siehe hierzu Klaus Günther, Der Sinn für Angemessenheit, 1988. 40 Siehe zum alten Problem, daß die Universalisierungsregel nicht ohne auf die Anwendung von Normen bezogenen Zusatzannahmen auskommt, nur Gosepath, Aufgeklärtes Eigeninteresse, 307 ff.; sowie sogleich. 41 Somek/Forgó, Nachpositivistisches Rechtsdenken, 336, 360 f. Allg. zum Anwendungsdiskurs Goebel, Zivilprozeßrechtsdogmatik, 425 ff.

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bundenen Blick auf den Einzelfall ist dennoch keineswegs der Gedanke verträglich, der von Todes wegen Verfügende könne entsprechend den Gerechtigkeitskriterien der Diskurstheorien den Einzelfall seiner Nachfolge gerecht entscheiden. Denn dazu müßte er sich zuvor Gedanken um die Universalisierbarkeit einer abstrakten Norm gemacht haben, die er dann auf den Fall seines Versterbens anzuwenden gedenkt. Doch: Wer macht dies schon? Und: Kann man dies überhaupt machen? Die Antwort ist wohl ein schlichtes Nein. Die Diskurstheorien würden demnach die Kategorie der Verfügung von Todes wegen durchweg pathologisieren, so daß nicht ernsthaft das gewillkürte Erbrecht auf dieses Gerechtigkeitsverständnis gegründet werden kann. Wenn Richtigkeit – zweite Theorie – im Sinne der Kantischen Gerechtigkeitslehre verstanden würde, wäre dies kaum anders, müßte sich doch auch hier der Erblasser ständig Gedanken machen, ob sein Testat Inhalt eines allgemeinen Gesetzes sein könnte – was völlig illusorisch ist42. Ein Ausweg könnte allenfalls eröffnet sein, falls die Kantische Lehre durch die Brille v. Savignys gelesen wird, der den ethischen Personalismus Kants so umgeformt hat, daß für den Juristen unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten vor allem der tatsächliche, der empirische Wille als sinnlich-psychologisches Faktum wichtig ist, womit gleichzeitig die Freiheitssemantik empiristisch aufgeladen und die kantisch verstandene Autonomie zunehmend aus ihrer Vernunftgründung gelöst würde43. Wenn die Kantische Lehre mit dieser empiristischen Wende nicht zugleich ihren spezifischen Gerechtigkeitsgehalt verlieren will, wäre der Rekurs auf den empirischen Willen nur dann einsichtig, wenn – wie dies mancherorts als Standpunkt der führenden Theoretiker der Historischen Rechtsschule erwähnt wird44 – das kantische Projekt einer Vermittlung von Natur und Freiheit als vom historischen Recht in der Sache nach immer schon vollzogen erachtet wird. Überzeugend ist ein derartiges geschichtliches Vernunftvertrauen heute freilich nicht mehr. Der Rekurs auf den empirischen Willen wandelt sich dann notgedrungen tendenziell eher utilitaristischen Gerechtigkeitstheorien an45, 46. 42 Bezogen auf die Vertragsfreiheit führt hier Jürgen Schmidt, Vertragsfreiheit und Schuldrechtsreform, 108, unmißverständlich aus, daß „bei konsequenter Durchführung des Kantschen Denkens der gesamte Gerechtigkeitsgehalt in den Inhalt des Schuldverhältnisses einfließen müßte und dieses in seinem Inhalt nur in insoweit begründet wäre, wie es diesen Gerechtigkeitsgehalt aufwiese“ (Hervorhebung i. O.). 43 Zur v. Savignyschen Umformung des subjektiven Rechts siehe nur Jürgen Schmidt, Vertragsfreiheit, 95 ff.; Fezer, Teilhabe, 261 ff. 44 So Somek, Rechtssystem und Republik, 89 f. 45 Damit soll nicht gesagt werden, v. Savigny müßte eigentlich ein Befürworter Jheringschen Denkens sein. Gerade dem steht die von Somek, Rechtssystem und Republik, 88, Fn. 383, als „romantischer Naturbegriff“ bezeichnete Vorstellung der Historischen Rechtsschule entgegen, Natur und Freiheit seien im historischen Recht schon immer vermittelt.

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Utilitaristische, rechtstheoretisch der Tradition Jherings nahestehende Gerechtigkeitstheorien – dritte Theorie – stellen nun zwar die gerechtigkeitsverbürgende Kraft der Verfolgung des Eigeninteresses in den Vordergrund47 und sind insofern auch mit der Theorie des subjektiven Rechts in der Ausprägung des rechtlichen geschützten Interesses verträglich48. Sie sehen sich aber – neben anderen Einwände – bsp. mit der schlagenden Entgegnung konfrontiert, die utilitaristisch proklamierte Verklammerung des Einzelnutzens mit dem Gemeinwohl sei nicht einsichtig zu begründen49. Damit würde aber zugleich eine tragfähige innere Rechtfertigung entfallen, warum überhaupt der Wille des einzelnen gerechtigkeitsverbürgend sein soll. Bei der letztwilligen Verfügung spricht zudem ausschlaggebend gegen die Figur einer Richtigkeitsgewähr auch folgendes: In der Tat liegt dem Ansatz der Richtigkeitsgewähr im Kern eine utilitaristische oder zumindest eine hobbesianische Rechtfertigungskonzeption der Vertragsfreiheit zugrunde50. Derartige Konzeptionen beziehen ihre Überzeugungskraft und Stringenz jedoch weitgehend aus dem Umstand, daß sie sich durchweg auf das Referenzsystem Wirtschaft mit der dort vorhandenen Zweckrationalität beziehen. Wo dies nicht der Fall ist – etwa bei dem Referenzsystem der Ehe mit den dortigen affektiv strukturierten Binnenrationalitäten51 –, versagt der Gedanke der Richtigkeitsgewähr. Besonders prominent zum Ausdruck gelangt dieses Versagen zudem dort, wo die Maximen des Handelns vollständig aus ökonomischen Zweckrationalitäten gelöst sind – nämlich bei der per letztwilliger Verfügung ins Werk gesetzten Todesverarbeitung52. Auch ein Rekurs auf den Utilitarismus als geltungstheoretisch die Richtigkeit des letztwillig Verfügten verbürgende Theorie geht mithin ins Leere. Die Vorstellung einer Richtigkeitsgewähr des Testaments kann daher insgesamt ge46 Der Ansatz von Schmidt-Rimpler ist denn auch – soweit es um die Vertragsfreiheit geht – oft zu utilitaristischen Rechtfertigungsstrategien der Privatautonomie gerechnet worden, vgl. bsp. nur Jürgen Schmidt, Vertragsfreiheit, 103 ff., 148 ff. 47 Hier wäre etwa die Ökonomische Analyse des Vertragsrechts mit ihrem utilitaristischen Unterbau als Leitbild zu zitieren. 48 Dem Ansatz der Richtigkeitsgewähr liegt im Kern eine utilitaristische oder zumindest eine hobbesianische Rechtfertigungskonzeption der Vertragsfreiheit zugrunde, dazu Jürgen Schmidt, Vertragsfreiheit, 148. 49 Vgl. nur Jürgen Schmidt, Vertragsfreiheit, 150 ff. (zu Schmidt-Rimpler) mit 127 f.; und aus der unübersehbaren Literatur ansonsten Eidenmüller, Effiziens als Rechtsprinzip, 187 ff. 50 Dazu Jürgen Schmidt, Vertragsfreiheit, 148. 51 Siehe zu den Bezügen zwischen dem Gedanken der Richtigkeitsgewähr und dem Wettbewerb als Rahmen für Austauschgerechtigkeit nur Schmidt-Rimpler, FS Ludwig Raiser, 1974, 3 (14); sowie aus dem neueren Schriftum Callies, in: Jahrbuch junger Zivilrechtswissenschaftler 2000, 85 (103 ff.); Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, 15 f. mwNachw. 52 Dazu siehe unten § 9 III 4 b.

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sehen nicht überzeugend mit den soeben vorgetragenen, die derzeitige Diskussion bestimmenden53 Gerechtigkeitstheorien in Einklang gebracht werden. c) Richtigkeitsgewähr und Selbstbestimmung Die soeben formulierte Einsicht, der Gedanke der Richtigkeitsgewähr und die gängigen Theorien der Gerechtigkeit könnten nicht sinnvoll verschwistert werden, ist nicht überraschend. Denn die Lehre von der Richtigkeitsgewähr formuliert ein durchaus berechtigtes Anliegen, welches aber mit dem hier zur Rede stehenden irrtumsbedingten Testament nichts zu tun hat: Ihr geht es nämlich um den rechtlichen Schutz des einzelnen vor seiner Überwältigung durch den Vertragspartner oder durch objektive Machtstrukturen. Zur Bewältigung dieses Anliegen trägt sie aber kaum etwas bei. Insofern ist es nur folgerichtig, daß schon im Vertragsrecht die Lehre SchmidtRimplers nicht mehr so gelesen wird, als ob sie den Topos der normativen „Richtigkeit“ oder den Gedanken der tauschvertraglichen Interessenverschränkung am Markt auf den Vertragsinhalt beziehen möchte, sondern daß sie einen Bezug zur Selbstbestimmung herstellen will: Sie steckt einen Bereich ab, innerhalb dessen der Grundsatz autonomer Entscheidung zwingend gilt54 – und trägt damit implizit zugleich die Vorstellung einer natürlichen, prästabilisierten Harmonie in den vertraglichen Interessenausgleich herein und versagt mithin in Ungleichgewichtslagen55. Doch abgesehen davon, selbst falls mit der Lehre von der Richtigkeitsgewähr ein Bereich autonomer Freiheit gesichert werden soll, hilft eine so verstandene Lehre Leipold gerade nicht weiter. Denn Leipold gründet die erbrechtliche Anfechtung ja gerade nicht auf dem Schutz der Selbstbestimmung. Falls Leipold demnach den Gedanken der Richtigkeitsgewähr – in einer gerechtigkeits53

Die kommunitaristischen Ansätze, die für einen Vorrang des „guten Lebens“ vor den Ansinnen des (vom Guten dann gerade entgegengesetzt zum Liberalismus als abhängig gedachten) Gerechten votieren, und die derzeit mit dem Liberalismus im Brennpunkt der politischen Philosophie steht, sollen hier einmal außen vor bleiben. Auch dem Kommunitarismus wäre eine rigide Richtigkeitsgewähr des empirischen Willens suspekt. Siehe ansonsten zur Diskussion um Kommunitarimus und Liberalismus nur Reese-Schäfer, Grenzgötter der Moral, 1997; Forst, Kontexte der Gerechtigkeit, 1996; Kymlicka, Politische Philosophie heute, 1997; sowie die Beiträge in den Sammelbänden von Honneth (Hrsg.), Kommunitarismus, 1993; Brumlik/Brunkhorst (Hrsg.), Gemeinschaft und Gerechtigkeit, 1993. 54 So etwa Habersack, AcP 189 (1989), 403 (407 ff.); Hager, Gesetz- und sittenkonforme Auslegung, 143 Fn. 75; Lüderitz, Auslegung, 88. 55 Mit Blick auf diese Ungleichgewichtslagen deshalb im Vertragsrecht kritisch gegenüber dem Gedanken der Richtigkeitsgewähr Canaris, FS Lerche, 873 (883); Heinrich, Formale Freiheit, 190 f.; Kramer, Krise, 21; Limbach, KritV 1986, 165 (176).

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orientierten Perspektive – in die Diskussion um die Teleologie der §§ 2078 ff. BGB einführt, heißt dies nichts anderes, daß er den Sinn und Zweck dieses Regelungskomplexes im Schutz des Willens des letztwillig Verfügenden verortet. Genau dies läßt sein theoretisches Instrumentarium aber nicht zu. Der Gedanke der Richtigkeitsgewähr kann daher auch unter Selbstbestimmungs-Aspekten den Leipoldschen Ansatz nicht tragen. d) Richtigkeitsgewähr und rechtsinterner Diskurs Kann als Bezugskategorie des Richtigkeitsgewährs-Topos mithin weder die Kategorie „Gerechtigkeit“, noch der Gedanke der Selbstbestimmung dienen, kann die Bezugskategorie nur noch innerhalb des rechtlichen Diskurses gefunden werden. Richtigkeitsgewähr kann dann nur bedeuten, daß mit der Anfechtung des Testaments die Zustände herstellt werden, die der und nur der rechtswissenschaftliche und rechtspraktische Diskurs als richtig bezeichnet56. Es gilt dann, das Testament auf das Erfordernis einer im rechtlichen Diskurs entworfenen objektiven Ordnung und auf das rechtliche Wertungsgeflecht insgesamt funktional zu beziehen – etwa auf die Verwirklichung von Freiheit im Rahmen einer spezifisch zugeschnittenen normativen Ordnung des Rechts. Nun steht für Leipold als objektive Ordnung nur der erbrechtliche Familiarismus zur Verfügung. Da zudem eine gerechtigkeitskeitstheoretische Deutung der Richtigkeitsgewähr irrelevant ist, wenn als deren Bezugskategorie nur noch der innerrechtliche Diskurs dient, kann Leipold den Aspekt der Richtigkeitsgewähr nur retten, wenn er den irrtumsfrei erklärten Willen des Erblassers funktional auf die Anpassung des intergenerationalen Gütertransfers an die konkreten Verhältnisse der jeweiligen Familie bezieht.

56 Die auf den ersten Blick zirkuläre Formulierung (salopp: „Richtigkeit aufgrund Richtigkeit“) kommt nicht von ungefähr. Zirkulär wäre die Formulierung freilich nur, wenn die rechtliche Beurteilung der Richtigkeitsgewähr abstrakt an Theorien eben über die Richtigkeit gekoppelt würde. Dabei würde jedoch übersehen, daß sich zwischen der rechtlichen Beurteilung und der Richtigkeitstheorien im Rechtssystem das institutionalisierte Netzwerk der Rechtspraxis schiebt, das einher mit der ebenfalls institutionalisierten Rechtswissenschaft die Voraussetzungen dafür schafft, das Rechtssystem intern zu schließen und damit auch von den intrikaten Voraussetzungen rechtsphilosophischer Richtigkeitslehren tendenziell unabhängig zu machen. Es steht mithin kein schlechter theoretischer, sondern ein ungemein praktischer Zirkel in Rede. Dies kann hier im einzelnen nicht näher dargelegt werden, vgl. daher zu derartigen Überlegungen nur ausführlich Somek, Rechtssystem und Republik, insbes. 305 ff., 441 ff. und passim; ders., Der Gegenstand der Rechtserkenntnis, insbes. 100 ff., 114 ff. und passim; ders./Nikolaus Forgó, Nachpositivistisches Rechtsdenken, 1996, passim; Friedrich Müller/Christensen/Sokolowski, Rechtstext und Textarbeit, insbes. 99 ff. und passim.

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Nur wird mit dem Rekurs auf den erbrechtlichen Familiarismus nicht erklärt, warum – wenn ein Anfechtungsgrund gegeben ist – auch diejenigen nicht gesetzlich Erbberechtigten, die ein Anrecht auf eine Zuwendung besitzen würden, die in einer anderen, fehlerfreien letztwilligen Verfügung eingeschlossen sei, anfechtungsberechtigt sein sollen, diese gehören ja von Rechts wegen nicht zur Familie im erbrechtlichen Sinn. Nun geht es Leipold um einen funktionalen Bezug zwischen irrtumsfreien Willen und der besten Anpassung an die Verhältnisse im familiaren Einzelfall. Gerechtigkeitstheoretisch kann der Topos der „besten Anpassung“ nicht verstanden werden, nachdem eine gerechtigkeitstheoretische Deutung der Richtigkeitsgewähr ausgeschieden ist. Es kann sich mithin nur um die beste Anpassung im Sinne einer zweckmäßigen Anpassung handeln. Das für derartige Zweckmäßigkeitserwägungen relevante Wissen besitzt nach der Leipoldschen Konstruktion ohne weiteres der Erblasser. Dem Familiarismus entspricht es zudem, auch den Familienmitgliedern ein derartiges Wissen zuzusprechen. Deren Anfechtungsbefugnis kann dann zumindest mit der Erwägung erklärt werden, sie besäßen neben dem Erblasser über das gehörige familiäre Wissen und sollten deshalb am besten beurteilen können, ob gesetzliche Erbfolge eintreten oder ob es bei der irrtumsbehafteten Verfügung sein Bewenden haben soll. Für das anfechtungsberechtige Nicht-Familienmitglied gilt ähnliches jedoch keineswegs. Einem konsequent durchgehaltenen Familiarismus entspräche es, wenn auch bei einer irrtumsbedingten Verfügung, deren Anfechtung einem nicht gesetzlich Erbberechtigten zum Vorteil gereichen würde, die Anfechtungsbefugnis der Familie zukäme57. Hiergegen verfängt der Einwand nicht, der Erblasser habe durch eigene letztwillige Verfügung doch erst die Voraussetzung für die Anfechtungsbefugnis nicht gesetzlich Erbberechtigter geschaffen; insofern billige er dem nicht-familienangehörigen Anfechtungsberechtigten eben die Fähigkeit zu, über das relevante Wissen zu verfügen. Ganz abgesehen von der Fiktion, die in diesem Einwand verborgen ist, würde mit ihm übersehen, daß damit alles und nichts zugleich erklärt werden kann: Der erblasserische Wille würde quasi zum allfälligen Modul, den Leipoldschen dogmatischen Bezugspunkt des Erbrechts – den Familiarismus – zu wahren. Warum dann nicht gleich der Wille des Erblassers zum Bezugspunkt erbrechtlicher Theorie erhoben und der Gedanke der Familie verlassen wird, leuchtet dann nicht ein; letztlich scheint der erbrechtliche Familiarismus doch auf dem Willen des Erblassers zu gründen. Insgesamt gesehen schlägt die Deutung der Anfechtungsberechtigung mittels des Richtigkeitsgewährsgedankens mithin fehl; Leipold muß diese Berechtigung entweder unerklärlich bleiben oder er muß letzten Endes doch 57 Der Gesetzgeber müßte hier Vorkehrungen getroffen haben, wer von der Familie anfechtungsberechtigt wäre.

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wieder auf den erblasserischen Willen als Grundlage der Testierfreiheit verweisen. 3. Anfechtungsberechtigung und Vertrauensschutz Mißglückt nach all dem die Erklärung der Anfechtungsberechtigung, kann Leipold darüberhinaus ebenfalls nicht in sein Konzept der §§ 2078 ff. BGB einbinden, wieso bei einer Anfechtung nach § 2078 II BGB das Vertrauen des letztwillig Bedachten nicht schutzwürdig sein soll und es deshalb nicht zu einem Ausschluß der Anfechtung wegen Motivirrtums kommt, wenn anfechtungsberechtigt kein gesetzlicher Erbe, sondern ein sonstig Bedachter ist, dem die Aufhebung des Testaments gem. § 2080 I BGB unmittelbar zustatten kommen würde. Denn falls anfechtungsberechtigt ein gesetzlicher Erbe wäre, läge für Leipold die Erklärung der Anfechtungsmöglichkeit wiederum im erbrechtlichen Familiarismus. Dieser Weg ist ihm bei den sonstigen Anfechtungsberechtigten aber verschlossen. Die Anfechtung kann in diesem Fall auch nicht – wie soeben gezeigt wurde – durch den Gedanken der Richtigkeitsgewähr erklärt werden. Wieso sollte aber dann das Vertrauen des Anfechtungsberechtigten, er könne bei einer irrtumsbedingten, ihn belastenden Verfügung diese zu Fall bringen, gegenüber dem Vertrauen des (irrtumsbedingt) letztwillig Bedachten, er könne das von Todes wegen Erworbene unbeschwert genießen, schutzwürdiger sein? Der Gedanke, der irrtumsbedingt letztwillig Bedachte erwerbe schließlich unentgeltlich und sei schon deshalb nicht schützenswert, schlägt ja schon deshalb fehl, weil gleiches auch für den Anfechtungsberechtigten gilt. Leipold kann mithin die Fälle, bei denen die Verfügung von Todes wegen durch einen nicht gesetzlich Erbberechtigten angefochten werden kann, nicht auf den Gedanken des Familiarismus zurückführen und damit einer geltungstheoretisch akzeptablen Deutung unterziehen, sondern muß für einen Teil der Fälle auf die Entscheidung des Gesetzgebers (und damit auf bloße auctoritas) zurückgreifen. Der naheliegende Ausweg, den Sinn der Anfechtung im personal angelegten Schutz des Erblassers zu verorten, steht ihm nicht zur Verfügung, da er mit seinem Familiarismus Anfechtung und Erblasserschutz ausdrücklich entkoppelt. Als Ergebnis kann mithin notiert werden, daß es Leipold nicht gelingt, mittels des Gedanken des erbrechtlichen Familiarismus den erbrechtlichen Normkomplex der Anfechtungsvorschriften kohärent zu deuten. Schon deshalb überzeugt eine Deutung der Testierfreiheit als treuhänderische Wahrnehmung familiarer Interessen durch den guten Familienvater nicht.

§ 3 Die Testierfreiheit als Befugnis zur Erzielung familiarer Effekte

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IV. Der erbrechtliche Familiarismus und die Testamentsauslegung 1. Die Meinung Leipolds Ein weiterer Einwand gegen ein Verständnis der Testierfreiheit als familiare Treuhandschaft findet sich im Recht der Testamentsauslegung. Leipold will im Einklang mit der allgemeinen Meinung die Regelung des § 157 BGB auf Testamente nicht angewendet wissen, weil es sowohl an einem Erklärungsempfänger als auch (jedenfalls in der Regel) an einem schutzwürdigen Vertrauenstatbestand fehle58. Vielmehr müsse geklärt werden, unter welchen Voraussetzungen das Erklärte als die Ingeltungsetzung eines bestimmten Rechtsfolgewillens aufgefaßt werden dürfe59. Im Regelfall gebe hierfür schon die Verkehrsauffassung Fingerzeige; daneben müsse die redliche Gesinnung des Erblassers und der Sinn der Erklärung, wie er angesichts der Lebensumständen des Erblassers aufzufassen sei, Leitlinie einer recht verstandenen Testamentsauslegung sein60. 2. Kritik All dies ist mit dem Gedanken eines erbrechtlichen Familiarismus und einer bloß treuhänderisch konzipierten Testierfreiheit nicht erklärbar. Denn das Insistieren des Gesetzes auf den erklärten Willen des Erblassers (und nicht auf den Auslegungshorizont der letztwillig Bedachten) wäre zwar verständlich, wenn man davon ausgehe könnte, gerade der Wille des Testierenden bürge für die Richtigkeitsgewähr des Verfügten. Exakt diese Erklärung ist aber – wie vor kurzem gezeigt61 – verschlossen, da der Gedanke der Richtigkeitsgewähr im Erbrecht nicht trägt. Auch die Überlegung, das Testament sei nun einmal als einseitige, nicht empfangsbedürftige Willenserklärung konzipiert, ein auf den Empfängerhorizont bezogener Vertrauensschutz käme schon deshalb nicht in Betracht, erklärt ja nicht, warum dies so ist. Die Nichtempfangsbedürftigkeit des Testaments gibt keinen materialen Grund für den fehlenden Schutz der Bedachten, sondern regelt einerseits bloß rechtstechnisch den Zeitpunkt der Wirksamkeit der testamentarischen Erklärung und keineswegs Fragen inhaltlicher Art62, und ist andererseits eine notwendige, den Systembedürfnissen des Bürgerlichen Gesetzbuches geschuldete Folge der gesetzgeberischen Wertung, ein Be58 59 60 61 62

MünchKomm-Leipold, § 2084 Rn. 5, 14. MünchKomm-Leipold, § 2084 Rn. 4. MünchKomm-Leipold, § 2084 Rn. 6 f., 14. Oben § 3 III 2. Lüderitz, Auslegung, 98.

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Kap. 2: Diskussion der bisherigen Ansätze zur Testierfreiheit

dachtenschutz sei nicht erforderlich. Die Erklärung dieser Wertung selbst bleibt mithin trotz der Nichtempfangsbedürftigkeit weiterhin aufgegeben. Falls nun die mangelnde Berücksichtigung des „Empfänger“-Horizonts der Bedachten damit begründet wird, diese seien nun einmal nicht schutzwürdig, wird damit nur das Problem anders gefaßt, denn die Frage bleibt ja: Warum ist dies so? Die erbrechtlichen Auslegungsregelungen können auch nicht erklärt werden, wenn der tiefere Sinn der Testierfreiheit – wie bei Leipold – darin verankert wird, mit ihrer Ausübung solle eine den Bedingungen des Einzelfalles angepaßte Entfaltung familiaristischer Wertungen gesichert sein. Dem entspräche es, wenn die Auslegung aus dem Horizont der Familie heraus erfolgen würde. Denn nur so werden erbrechtliche Auslegung und erbrechtlicher Familiarismus zur Deckung gebracht. Anders wäre dies wiederum nur, wenn gerade das Insistieren auf den Willen des von Todes wegen Verfügenden dazu führen würde, die Wertungen des erbrechtlichen Familiarismus zu optimieren. Dies wäre aber nur der Fall, wenn dem Testament eine auf die Förderung des erbrechtlichen Familiarismus ausgerichtete Richtigkeitsgewähr beigemessen werden könnte. Richtigkeitsgewähr ist jedoch – hiervon war nun schon des öfteren die Rede – keine überzeugende Rechtsfigur. Auch die allgemein anerkannten Regeln zur Testamentsauslegung können mithin nicht von dem Gedanken der familiar gebundenen, treuhänderischen Testierfreiheit her gedeutet werden. Mithin scheidet ein Verständnis der Testierfreiheit als treuhänderische Befugnis zur Erzielung familiarer Effekte aus. Dies ist auch ansonsten – also abgesehen vom Projekt, den geltenden Normbestand rechtfertigungstheoretisch zu deuten – nicht verwunderlich. In dem von Leipold vorgenommenen Verweis auf den „gerechten Hausvater“63 schwingen noch Legitimationszuweisungen im Sinne einer transzendenten Rechtsgründung mit, welche von humanistischen Prämissen zehrt, mit denen dem einzelnen Menschen Potentiale zugeschrieben werden, mit Hilfe derer ein Mindestmaß an sozialer Übereinstimmung soll garantiert werden können64 – wie etwa die Vorstellung, Erbrecht habe etwas mit Familie, diese etwas mit einem „gerechten Hausvater“ zu tun. Derartige humanistische Prämissen familiaristischer Provinienz haben heute im Zuge einer fortschreitenden Individualisierung, der damit bewerkstelligten Freisetzung aus hergebrachten Bindungsformen und der hierauf folgenden Entwicklung, die Autorität des Vaters eben nicht mehr so positiv zu besetzen, wie dies noch dem Redaktor des Erbrechts, Gottfried Schmitt, und zahlreichen Zeitgenos63

MünchKomm-Leipold, Einl. zum Erbrecht, Rn. 13. Dazu siehe die anschauliche Beschreibung bei Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, 1016 ff., 1032 ff. 64

§ 4 Die Testierfreiheit und personalistische Fiktionen

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sen ohne weiteres selbstverständlich schien65, mehr und mehr ihre Überzeugungskraft verloren66. Warum soll die Interpretation des erbrechtlichen Normbestands derartige Wandlungen nicht nachzeichnen, obwohl die dogmatische Arbeit am Bürgerlichen Recht doch auch sonst Umbrüche im „Sozialmodell der Gesellschaft“ (Wieacker) lebendig macht?

V. Ergebnis zur Diskussion des erbrechtlichen Familiarismus Die Diskussion hat gezeigt, daß es mit Hilfe des erbrechtlichen Familiarismus nicht gelingt, sämtliche Wertentscheidungen des gewillkürten Erbrechts zu erklären. Weder sprechen die Gesetzesmaterialien für eine Verknüpfung von Familie und Testierfreiheit, noch können die Regeln der Anfechtungsberechtigung und die der Testamentsauslegung mit dieser Verknüpfung erklärt werden. Es bleibt daher weiterhin die Aufgabe gestellt, zu einer Konzeption der Testierfreiheit zu gelangen, die die anerkannten Wertungen des Gesetzes nicht nur auf bloße auctoritas, sondern rechtfertigungstheoretisch auf Recht zurückführt, indem ein systematisch kohärentes Verständnis des geltenden Rechts avisiert wird.

§ 4 Die Testierfreiheit und personalistische Fiktionen Die hiesig vertretene These, die Testierfreiheit sei als funktionales Persönlichkeitsrecht des Erblassers zu deuten, erweckt den Eindruck, sie ähnele den um die Wende des 18. zum 19. Jahrhunderts ins Werk gesetzten Versuchen, eine naturrechtliche Begründung des Testaments durch die Konstruktion des Fortlebens der Persönlichkeit nach dem Tode zu retten67, oder komme den gemeinrechtlichen Theorien einer Willensunsterblichkeit oder einer Persönlichkeitsfortsetzung nahe, die im 19. Jahrhundert außerordentlich weit verbreitet waren68. Damit scheint der hiesige Ansatz in eine gewisse Schieflage zu geraten, da ein personfunktionales Erbrecht auf den ersten Blick sich einem Rechtsmystizismus anzuverwandeln scheint, der einer rationalen Rechtsdogmatik nicht Richtschnur einer sinnvollen Wertung sein könnte. Dem gilt es, nunmehr nachzugehen.

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III.

Dazu Schröder, Abschaffung, 94 ff. Anders heute etwa noch jüngst Linker, Neubestimmung, 59, 120 ff. Dazu Klippel, ZRG Germ. Abtl. 101 (1984), 117 (141 f.). Siehe dazu den ausführlichen Überblick bei Giger, Schicksal, Bd. 1, Abschnitt

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I. Die Testierfreiheit als Modus zur Fortsetzung der Persönlichkeit des Erblassers Nach der gemeinrechtlichen, prominent durch v. Savigny69 und Puchta70 vertretenen Theorie der Persönlichkeitsfortsetzung lebt die Persönlichkeit des Erblassers zeitweise oder gar dauerhaft fort, indem sie auf den Erben71 übergehe oder von ihm fortgesetzt werde. Es interessiert hier nicht, in welcher historischen Lage und vor welchem dogmatischen Hintergrund diese gemeinrechtlichen Theorien genau entwickelt worden sind. Die Perspektive dieser Untersuchung ist keine dogmenhistorische, sondern eine dogmensystematische72. Es ist demnach auch unerheblich, ob die folgende Interpretation der gemeinrechtlichen Theorien etwa die Intentionen v. Savignys treffen. Vielmehr interessiert nur, anhand der Theorien eine Plattform zu schaffen, auf der für das geltende Recht der Aspekt einer Persönlichkeitsfortsetzung diskutiert werden kann. Es interessiert demnach nicht der historische, sondern der auf die Gegenwart bezogene rekonstruktiv-systematische Aspekt gemeinrechtlichen Denkens. Ausgangspunkt der gemeinrechtlichen Überlegungen waren rechtskonstruktive Schwierigkeiten vor Inkrafttreten des BGB, den Übergang des Vermögens von Todes wegen vom Verstorbenen auf den Erben erklären zu können73. Diese Schwierigkeiten waren Folge der römisch-gemeinrechtlichen Konstruktion, nach der der Er69

v. Savigny, System, Bd. 1, 381 f. Puchta, Institutionen, Bd., 3, 215 f. 71 v. Savigny entwickelt seine Persönlichkeitsfortsetzungstheorie an dem gesetzlichen Erbrecht, siehe ders., System, Bd. 1, 381 f. Es erscheint auf den ersten Blick daher nicht angängig, die Persönlichkeitsfortsetzungstheorien für das Verständnis der Testierfreiheit heranzuziehen. Auch hier gilt wieder: Es gilt, eine Plattform für das heutige Verständnis der Testierfreiheit zu schaffen, auf historische Einsichtigkeit kommt es dabei gerade nicht an, da keine historische Rekonstruktion in Rede steht, sondern eine Art systematische Rekonstruktion mit einer die heutige Diskussion heutiger Theorie weiterführenden Absicht. Ob v. Savigny den Gedanken der Persönlichkeitsfortsetzung auf die gesetzliche Erbfolge beschränkt wissen wollte, ist unter diesem Blickwinkel daher unerheblich; siehe auch unten § 5 II vor 1. 72 Unerheblich ist hier demnach, ob es etwa v. Savigny nur um die Lösung der mit der Rechtsfigur der gemeinrechtlichen ruhenden Erbschaft (dazu sogleich mehr) verbundenen dogmatischen Probleme ging und eine legitimatorische Begründung des Erbrechts aus dem Willen des Erblassers heraus gar nicht ins Auge faßte (so Schröder, Abschaffung, 58 ff., 149 f., gegen Wegmann, Begründung) – eine Begründung, die der Historischen Rechtschule, die ja auf die geschichtliche Vernunft des historisch im Wirken des Volksgeists Gewordenen als Legitimationsanker verwies, sowieso suspekt anmuten dürfte. Historisch mag diese Einsicht relevant sein, systematisch für heutige Fragen nicht. 73 Siehe hierzu und zum folgenden Giger, Schicksal, Bd. 1, 110 ff., 118 ff., 158 ff.; Windel, Modi, 195 ff.; Tschäppler, Testierfreiheit, 24 ff.; Hattenhauer, Jura 1983, 68 (69 ff.); ders., Grundbegrifffe, 195 ff. 70

§ 4 Die Testierfreiheit und personalistische Fiktionen

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werb der Erbschaft bei „Hausfremden“ nicht schon mit dem Todesfall ex lege, sondern erst qua Antritt der Erbschaft erfolgt74. Die Erbschaft galt bis zum Antritt als keinem Rechtssubjekt zugeordnet, sondern wurde als „ruhende Erbschaft“ aufgefaßt. Diese hereditas iacens75 warf zwei Fragen auf76: Wie bleibt die Erbschaft als Einheit erhalten, wenn das einigende Band, welches die jeweiligen Rechte und Pflichten zuallerst zum Vermögen verband – nämlich das Rechtssubjekt als Träger des Vermögens77 –, qua Tod weggefallen ist? Und: Müßte das Vermögen nicht eigentlich „in das Nichts zurückfallen“78, weil der Träger der zum Vermögen gehörenden subjektiven Rechte nicht mehr existiert? Beide Fragen kurz zusammengefaßt: Ist ein universalsukzessiver Erwerb von Todes wegen überhaupt möglich? Die Lösung wird durch v. Savigny in der Fiktion gefunden, „nach welcher die Erben mit dem Verstorbenen Eine Person ausmachen, also denselben fortsetzen oder repräsentieren“79. Die Rechtsperson wird durch diese Fiktion für den Erbgang mithin quasi entindividualisiert, insoweit entkörpert und als gedanklicher Zurechnungspunkt der Vermögenseinheit institutionalisiert. Diese letzte Konsequenz scheint v. Savigny freilich nicht ziehen zu wollen, da er andernorts konstatiert, daß durch die Fiktion „also das ursprüngliche Verhältniß völlig umgekehrt (wird). Denn anstatt daß ursprünglich der Mensch als die Substanz gedacht werden muss, das Vermögen als Accidens, indem es die Freyheit des Menschen nur modificiert durch Erweiterung, so erscheint uns nunmehr das Vermögen als das Bleibende und Wesentliche, zu welchem sich die einzelnen Inhaber nur als vorübergehende, wechslende Beherrscher verhalten“80. Von seinem Ausgangspunkt, den Verlust der Vermögenseinheit zu verhindern, mutet diese „Umkehrung der Verhältnisse“ als widersprüchlich an, da ja der entindividualisierte Zurechnungspunkt „Rechtssubjekt“ weiterhin die Vermögenseinheit herzustellen vermag. Mithin bleibt es dabei: Im Zuschnitt des Rechtssubjekts als entindividualisierter Vermögensträger und der damit verbundenen Fortschreibung dieser bloß gedachten Zurechnungseinheit „Rechtssubjekt“ in der Zeit wird das Verständnis dessen, was als Persönlichkeit fortgesetzt werden soll, merklich verschoben: Die erbrechtlich relevante Persönlichkeit wird bei den Theoretikern der Persönlichkeitsfortset74

Hierzu v. Lübtow, Erbrecht, Bd. 2, 650 m.w.Nachw. Zur Begrifflichkeit siehe v. Lübtow, Erbrecht Bd. 2, 649. 76 Windel, Modi, 198. 77 Siehe zu den Ansichten zum Verhältnis von Rechtssubjekt und Vermögen v. Thur, AllgT I, § 18 III; Ennerecus/Nipperdey, AllgT, Bd. 1, §§ 131 III, 132 I; Larenz/Wolf, AllgT, § 21 Rn. 37 ff.; Fischer, FS Rosenthal, 1 (6 ff.); Windel, Modi, 17 ff. 78 v. Savigny, System, Bd. 1, 380. 79 v. Savigny, System, Bd. 1, 381. 80 v. Savigny, System, Bd. 1, 384 f. 75

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Kap. 2: Diskussion der bisherigen Ansätze zur Testierfreiheit

zung von jeglicher Körperlichkeit abstrahiert81, so daß bei Lichte betrachtet die „juristische Thatsache“82 des Todes den Fortbestand des Rechtssubjekts gar nicht berühren kann83.

II. Die Testierfreiheit als Modus zur Fortsetzung des Willens bzw. des Geistes des Erblassers In der gemeinrechtlichen Theorie findet sich vereinzelt – bei Ferdinand Lassalle sowie bei Ernst Zitelmann – die Auffassung, qua Verfügung von Todes wegen würde der Wille des Erblassers post mortem perpetuiert. Derartige Perpetuierungen sind nur mit dem Kunstgriff möglich, den von Todes wegen erklärten Wille und die Körperlichkeit des Erklärenden gerade nicht als im Rechtssubjekt miteinander verklammert zu denken, sondern den letzten Willen – ähnlich den Persönlichkeitsfortsetzungstheorien – als leere Hülle zu interpretieren, die an kein körperliches Substrat gebunden ist. So begründet Zitelmann84 die Willensperpetuierung damit, für die Fähigkeit, Subjekt zu sein, genüge die rechtliche Willensfähigkeit, welche ohne Leiblichkeit denkbar sei. Im Tode werde der zu Lebzeiten geäußerte Wille daher bloß unveränderlich, ohne in irgendeiner Weise unterzugehen. Lassalle geht von der zum römischen Recht entwickelten Ansicht aus, das Testament bewirke eine Kontinuität des erblasserischen Willens, den der Erbe als Willenserhalter ausübe. Zweck des Testaments sei es daher, die Unsterblichkeit des subjektiven Willens ins Werk zu setzen, so daß „vermöge einer im Erbrecht bestehenden Willensidentität zwischen Erben und Erblasser der Wille des Erblassers zugleich als der identische Wille des Erben erscheine, und daß deshalb auch der Erbe seinerseits nicht als durch 81 Deutlich vor allem bei Puchta/Schirmer, Pandekten, 643, nach dem die Persönlichkeit des Erblassers als vermögensrechtliche, juristische Persönlichkeit nach dem Tode fortdauere. 82 v. Savigny, System, Bd. 3, 3. 83 Bei v. Savigny ist dies eine weitgehende Interpretation. Ob sie dessen Intentionen nahe kommt, spielt hier keine Rolle, da es im Rahmen dieser Untersuchung auf eine widerspruchsfreie Rekonstruktion einer Theorie der Persönlichkeitsfortsetzung ankommt, um in ihrem Lichte die hiesig vertretene These der Personfunktionalität des gewillkürten Erbrechts besser untersuchen zu können. Ein Ansinnen, eine historisch korrekte Interpretation etwa der Überlegungen v. Savignys vorzulegen, ist damit aus schon oben geschildert Gründen nicht verbunden. Eben deshalb heißt es im Text auch, die erbrechtlich relevante Persönlichkeit wird „bei“ den Theoretikern der Persönlichkeitsfortsetzung von jeglicher Körperlichkeit abstrahiert. Dies ist etwas anderes, als wenn die Rede davon wäre, die Persönlichkeit würde „durch“ diese abstrahiert. Zum Verständnis v. Savignys siehe ansonsten nur Giger, Schicksal, Bd. 1, 119 f. 84 Zitelmann, Begriff und Wesen der sogenannten Juristischen Personen, 65, 69 ff.

§ 4 Die Testierfreiheit und personalistische Fiktionen

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eine Thatsache oder durch den blossen Willen eines Dritten, sondern als durch seinen eigenen Willen erbend angesehen werden müsse“85. Erbfolge bedeutet nach Lasalle nicht, daß das Vermögen des Verstorbenen, sondern daß dessen Wille übertragen wird; die Vermögensübertragung selbst ist dann bloß sekundäre Folge der Willensübertragung86. In deutlich hegelianischen Anklang formuliert Lassalle dies prägnant in der Sentenz, daß „der Begriff des Erbthums die Willensidentität zwischen Erblasser und Erben ist“ und die Erbeinsetzung letztlich in nichts anderem bestünde, als „eine andere Person als das Dasein des eigenen Willens zu setzen, wodurch der Testator jene unendliche Fortdauer seiner Willenssubjectivität, jene subjective Willensunsterblichkeit erzeugt, (. . .) in welcher der individuelle Geist sich nicht mehr als auf die Außenwelt bezogen (als endlicher Wille), sondern als insichseiender, als rein auf sein eigenes Wesen bezogener (als Geist) als unsterblich setzt.“87 Der Erbe ist folglich nach Lassalle primär nicht Vermögens-, sondern reiner Willensnachfolger (besser: Seelennachfolger88) des Erblassers89. Folgerichtig sieht er in dem enterbten Erben, dessem Vermögen durch die Erbfolge nichts zuwächst und der dennoch nach dem Willen des Erblassers handelt, den Kulminationspunkt der Testierfreiheit90. Mit seinem Ansatz eröffnet sich für Lassalle zugleich die Möglichkeit, die römisch-gemeinrechtlichen Persönlichkeitsfortsetzungstheorien einer harschen Kritik zu unterziehen. Denn diese mußten ja zu einer quasi „vermögensrechtlichen“, entindividualisierten Persönlichkeit greifen, um den den Tod überdauernden Zurechnungspunkt zu fingieren, der die Einheit des Vermögens sicherte. Lassalle sieht hierin nur einen „juristischen Nothbehelf für die Vermögensbehandlung“91, der an der Deutung der Erbfolge als Vermögensübertragung letztlich nichts ändere92.

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Lassalle, System, Bd. 2, 3, Hervorhebung i. O. Lassalle, System, Bd. 2, 17, 173. 87 Lassalle, System, Bd. 2, 223 f. 88 Lassalle, System, Bd. 2, 224: „reine Seele als das Unendliche“. 89 Lassalle, System, Bd. 2, 8. Der Gedanke einer Testierfreiheit, welche auf die Unsterblichkeit der Seele und der darauf beruhenden Annahme einer Fortdauer der Persönlichkeit nach dem Tode gegründet werden könne, ist schon bei Leibniz angelegt und findet sich auch stellenweise im Naturrecht um die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert, dazu Klippel, ZRG Germ. Abtl. 101 (1984), 117 (141 f.). 90 Lassalle, System, Bd. 2, 29, 71 f. Dabei sollte nicht unterschlagen werden, daß Lassalle als Hegelianer dem erbrechtlichen Familiarismus merklich dem Vorrang einräumte gegenüber der Testierfreiheit; systematisch interessiert dies aber nicht weiter. 91 Lassalle, System, Bd. 2, 18. 92 Lassalle, System, Bd. 2, 16 ff. 86

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III. Personalistische Theorien und heutige Dogmatik 1. Der Gedanke der Persönlichkeitsfortsetzung in der heutigen Dogmatik Seit dem Inkrafttreten des BGB ist jeder Erwerb von Todes wegen ipsoiure-Erwerb mit dem Todesfall, §§ 1922 I, 1942 I, 1953 II BGB. Die Rechtsfigur einer hereditas iacens ist daher im geltenden Recht weder erforderlich, noch wegen der mit dem Von-Selbst-Erwerb verbundenen dinglichen Rechtsstellung des Erben und des daraus resultierenden Erbenschutzes wünschenswert93. Der rechtskonstruktive Anlaß, die Rechtsfigur der Persönlichkeitsfortsetzung zu entwickeln, besteht demnach im geltenden Recht nicht mehr. Dennoch blieb die Grundlegung des Erbrechts auf dem Gedanken der Persönlichkeitsfortsetzung nicht auf die gemeinrechtliche Zeit beschränkt und wurde im bürgerlichrechtlichen Schriftum vereinzelt noch nach 1900 vertreten94. Auch auf dem Gebiet des Steuerrechts ist der Persönlichkeitsfortsetzungsgedanke bis heute herrschende Ansicht geblieben95. Im verfassungsrechtlichem Schriftum zur Erbrechtsgarantie wurde – unbeeinflußt von dem gemeinrechtlichen Ausgangspunkt – eine Lehre von der Fortsetzung der „Vermögenspersönlichkeit“96 verankert, nachdem das Erbrecht im Eigentum und dieses wiederum in der Persönlichkeit gegründet wurde97. Ähnlich heißt es noch jüngst in der Dogmatik des Art. 14 I GG, das Erbrecht transzendiere die individuelle Persönlichkeit über ihre physische Existenz hinaus98. Auf neukantianischer Grundlage schließlich ist bei Wilhelm Sauer davon die Rede, die natürliche Persönlichkeit erlische zwar mit dem Tod; die juristisch-soziale Persönlichkeit bleibe als Träger von Werten aber weiterhin bestehen. Das „sozialethisch-kulturelle Wesen“99 sei in dem Erben in dem Sinne juristisch unsterblich, daß der Erbe Träger und 93 Siehe Mot. V, 486 f.; sowie aus der Literatur nur MünchKomm-Leipold, § 1942 Rn. 2 f.; Soergel-Stein, § 1922 Rn. 9, vor § 1942 Rn. 4; Staud-Otte, § 1942 Rn. 3; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 8 I 3. Anderer Ansicht nur v. Lübtow, Erbrecht Bd. 2, 651 ff., 656 ff.; dagegen nur Windel, Modi, 198 f. 94 Bei Sohm, Gegenstand, 41 ff. Angedeutet bei Binder, Erbrecht, 1, wenn er – wenn auch als Hegelianer auf der Grundlage eines erbrechtlichen Familiarismus – davon ausgeht, die römischrechtliche Figur des erbrechtlichen Eintritts in die sakralrechtliche Persönlichkeit des Verstorbenen sei in das moderne Recht übergegangen. 95 BFHE 139, 265 (268): Der Gesamtrechtsnachfolger setze die Persönlichkeit des Erblassers fort. Zur Kritik siehe nur Windel, Modi, 200. 96 Leisner, Verfassungsrechtliche Grenzen, 69. 97 So bei Leisner, Verfassungsrechtliche Grenzen,40, 52, 69, 87; ders., in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 6, 10; ders., FS Jahrreiß, 135 (141). 98 v. Mangoldt/Klein-Depenheuer, Art. 14 Rn. 517. 99 Sauer, System der Rechts- und Sozialphilosophie, 268.

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Fortführer von Werten im Dienste des Ganzen sei – vom Ganzen aus betrachtet sei Rechtsnachfolge daher Identität und der Erbe verkörpere die Unsterblichkeit des Erblassers100. Diese Ansätze mögen von ihren unterschiedlichen Erkenntnislagen und teilsystemspezifischen Dogmatiken gerechtfertigt werden können; dies soll hier auf sich beruhen. Die allein interessierende Frage ist, ob der Gedanke der Persönlichkeitsfortsetzung der kohärenten Erklärung der heutigen lex lata dienlich ist, mag auch das ursprüngliche Erkenntnisziel im Kontext der hereditas iacens mittlerweile weggefallen sein. 2. Kritik des Gedankens der Persönlichkeitsund der Willensfortsetzung Zivilrechtlich können die Thesen, der Erbe setze die Persönlichkeit des Erblassers fort und das Erbrecht gewährleiste die Willensunsterblichkeit des letztwillig Verfügenden, nicht überzeugen101. Zwar scheinen mittels des Gedankens der Persönlichkeitsfortsetzung oder der Willensunsterblichkeit ohne Mühen sowohl die erbrechtlichen Auslegungs- und Anfechtungsvorschriften als auch der Grundsatz der materiellen Höchstpersönlichkeit des Testaments erklärlich zu sein, da diese Regelungen ja gerade ebenso wie die Persönlichkeitsfortsetzung oder Willensunsterblichkeit den Willen des Verstorbenen in den Mittelpunkt rechtlicher Wertung rücken. Dennoch reichen die personalistischen Fiktionstheorien zur Erklärung dieser gesetzlichen Regelungen als Recht nicht hin. Denn ihnen unterläuft eine implizite Auswechslung des Bezugspunkts dessen, was als fortgesetzte Persönlichkeit und perpetuierter Willen gedacht wird. Zu Lebzeiten des Erblassers ist dies die verleiblichte Rechtsperson und deren erklärter Wille. Nach dem Tode wird dieser Wille entweder als quasi-juristische Person festgeschrieben (bei Zitelmann) oder als unendlicher Geist mystifiziert (bei Lassalle), während die Rechtsperson zu einem unkörperlichen, entindividualisierten Zurechnungspunkt der Vermögenseinheit mutiert (bei v. Savigny). Die personalistischen Fiktionstheorien legen also einen Schnitt hinsichtlich der relevanten Bezugseinheit ihres Personalismus vor und nach dem Versterbensfall. Damit sinkt aber ihre Erklärungsleistung hinsichtlich der kohärenten Deutung etwa der erbrechtlichen Auslegungs- und Anfechtungsregeln gegen Null. Denn sie müßten erklären, warum die durch diese Regeln ins Werk gesetzte gesetzliche Hervorhebung der personalen Bezugseinheit zu Lebzeiten (also: der zu Lebzeiten erklärte Wille ist relevant) etwas 100

Sauer, System der Rechts- und Sozialphilosophie, 268 f. Kritisch zur Persönlichkeitsfortsetzungstheorie auch Staud-Boehmer, 11. Aufl., Einl. zum Erbrecht, § 4 Rn. 6; Windel, Modi, 198 f., 200 ff.; implizit auch Binder, Erbrecht, 4. 101

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mit der Hervorhebung der personalen Bezugseinheit post mortem (also: die Relevanz des zu Lebzeiten erklärten Willen besteht auch noch post mortem) zu tun haben soll. Gerade dies erfolgt nicht – was auch nicht weiter erstaunt, da es in der Natur mystizistisch-metaphysischer Erklärungen liegt, maßgebliche Wertungen durch den Rekurs auf ideell-fiktive Konstruktionen zu verschleiern. Mit anderen Worten: Wenn der dogmatische Hintergrund der personalistischen Fiktionstheorien außer Acht gelassen wird, sich vor dem Inkrafttreten des BGB mit dem gemeinrechtlichen Problem der hereditas iacens auseinandersetzen zu müssen (bei v. Savigny) oder sich der Deutung des römischen Erbrechts zu widmen (bei Lassalle), liegt ihr heuristischer Gehalt nur darin zu beschreiben, daß der Wille des Erblassers auf dem Gebiet des Erbrechts von hoher Bedeutung ist. Sie formulieren damit nur mit anderen Worten die gesetzgeberische Entscheidung, beispielsweise die erbrechtlichen Auslegungs- und Anfechtungsvorschriften auf den Willen des Erblassers unter Vernachlässigung jeglicher Vertrauenserwägungen hin auszurichten. Sie erklären diese Entscheidung aber nicht – und nur darauf kommt es ja unter Kohärenzgesichtspunkten in systematischer Absicht an. Schließlich können die Fiktionstheorien nicht erklären, wieso die höchstpersönlichen Rechte überhaupt unvererblich sind, obwohl es doch zu einer Persönlichkeitsfortsetzung kommen soll. Das Fiktionale der Fiktion liegt hier geradezu auf der Hand. Da die personalistischen Fiktionstheorien mithin zu einer kohärenten Deutung des gewillkürten Erbrechts nichts beitragen, können sie im weiteren vernachlässigt werden. Dies gilt auch für den von Windel hervorgehobenen Fall, daß bei einer Alleinerbschaft die zunächst eingetretene Verschmelzung des Nachlasses mit dem Erbeneigenvermögen nachträglich zu Zwecken der Haftungsabwicklung (§§ 1976 ff. BGB) oder anläßlich des Erbschaftsverkaufes (§ 2377 BGB) wieder aufgehoben werden muß. Windel geht für diesen Fall davon aus, daß hier die Person des Erblassers den Versterbensfall überdauern muß, da ansonsten die Erbschaft nicht als Einheit identifizierbar bliebe102. Einsichtig ist dies freilich nicht. Denn die Annahme, die Persönlichkeit des Erblassers setze sich im Falle einer Aufhebung der Vermögensverschmelzung fort, ist keineswegs erforderlich beispielsweise zur Erklärung der Nachlaßsonderung im Falle der Haftung. Denn der Nachlaß wird ja nicht subjektslos; ein der hereditas iacens paralleler Fall mit seinen Konstruktionsproblemen taucht demnach nicht auf. Er kann ohne weiteres anhand der dem Erblasser im Todeszeitpunkt zukommenden Vermögensbestandteile erfaßt werden. Nur insoweit – als technischer Zurechnungspunkt zur Herstellung einer Vermögenseinheit – wirkt der Erblasser dann auch nach seinem Tode fort. Nur sollte man diese 102 Windel, Modi, 204. Daß Windel tatsächlich von einer Persönlichkeitsfortsetzung ausgeht, erhellt ebda. Fn. 95 Halbsatz 2.

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Rechtstechnik nicht mit dem eher verwirrenden Etikett einer Persönlichkeitsfortsetzung versehen, da der Rekurs auf die Persönlichkeit im Kontext heutigen Rechtsdenkens nicht auf Rechtstechnik, sondern auf gehaltvolle Inhalte von Personalität und Subjektivität verweist103. Es bleibt demnach dabei, daß die personalistischen Fiktionstheorien für die weiteren Überlegungen außerhalb der Betrachtung bleiben können104. 3. Persönlichkeitsersetzung statt Persönlichkeitsfortsetzung? Der Gedanke der Persönlichkeitsfortsetzung oder der Willensunsterblichkeit ist demnach nicht geeignet, das gewillkürte Erbrecht zu erklären. Vorstellungen, bei der Vererbung sei die Figur „Persönlichkeit“ relevant, spielen dennoch in der heutigen Erbrechtsdogmatik eine Rolle. Windel hat jüngst vorgeschlagen, statt von einer Fortsetzung der Persönlichkeit des Erblassers von einer Ersetzung von dessen Persönlichkeit durch die des Erben auszugehen105. Er begründet dies mit der Erwägung, die Vermögensnachfolge im Wege erbrechtlicher Universalsukzession lasse sich auf der einen Seite nicht ohne personale Bezüge vollständig erfassen. Auf der anderen Seite sei es ausgeschlossen, diese Bezüge in der Fortsetzung der Persönlichkeit des Verstorbenen zu verorten. Aus beiden könne mithin nur der Schluß gezogen werden, die subjektiven Komponenten der Universalsukzession könnten nur aus der Person der Erben heraus erklärt werden. Dieser trete in das Vermögen als verwaisten Rechtskreis ein und ersetze so die durch den Tod entfallene Person des Erblassers. Damit schließt sich der Kreis: Indem Windel (i) das freie Vermögen einer natürlichen Person mit der ganz überwiegenden Ansicht106 dadurch zu einer Einheit zusammenfaßt, daß es eben dieser Person zugeordnet ist107, und zugleich (ii) zu einer Ersetzung dieser personalen Zuordnungseinheit vom Erblasser zum Erben kommt, ist es ihm ein leichtes, Erbrecht zuvörderst als Vermögensrecht der Überlebenden anzusehen. Bei Lichte betrachtet werden damit sämtliche personfunktionalen Elemente des Erbrechts ausgeblendet und das gewillkürte Erbrecht vollends auf seine Funktion als Vermögensrecht zurückgeführt. Ob diese Theorie der Persönlichkeitsersetzung die Vermögensnachfolge im Wege der Universalsukzession erklären kann, mag dahin gestellt bleiben. Sie kann jedenfalls keiner Theorie des gewillkürten Erbrechts zugrun103

Dazu siehe ausführlich unten § 10. Auch Windel, Modi, 204, sieht keinerlei Möglichkeit, irgendeinen Gewinn aus dem Gedanken der Persönlichkeitsfortsetzung ziehen zu können. Im Ergebnis ist dem durchaus zuzustimmen, nur die Begründung trägt nicht, dazu sogleich. 105 Dazu und zum folgenden Windel, Modi, 204 f. 106 Zum Begriff des Vermögens siehe schon oben Kap. 2 Fn. 77. 107 Windel, Modi, 17 ff. 104

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Kap. 2: Diskussion der bisherigen Ansätze zur Testierfreiheit

degelegt werden, welche sich zum Ziel gesetzt hat, dessen Normen und Vorentscheidungen kohärent zu deuten und damit nicht nur als gesetzliche auctoritas, sondern auch als Recht zu erfassen. Denn einer Theorie der Persönlichkeitsersetzung müssen gerade die erbrechtlichen Auslegungs- und Anfechtungsregelungen suspekt erscheinen. Diese rücken ja den Willen des Verstorbenen in den Mittelpunkt, obwohl vom Standpunkt der Persönlichkeitsersetzung nur der Horizont und der Schutz des Erben Maßstab der Auslegung der letztwilligen Erklärung sein dürfte. Auch wäre zu erwarten, daß das Anfechtungsrecht stärker die Belange des Erben berücksichtigt, etwa durch eine Einschränkung der relevanten Motivirrtümer. Auch die materielle Höchstpersönlichkeit des Testaments kann Windel nicht als Recht ausweisen, sondern bleibt ihm bloße Frucht einer unergründlichen auctoritas des Gesetzes. Überdeutlich wird diese Diskrepanz an den von Windel ins Auge gefaßten sonstigen Folgen seines Ansatzes. Indem Windel aufgrund der Persönlichkeitsersetzung das Erbrecht als Vermögensrecht der Überlebenden deutet, verbindet er damit zugleich ein bestimmtes Verhältnis der privatautonomen Entscheidung des Erben gegenüber ihn bindenden Willensentscheidungen des Erblassers: Grundsätzlich könnten letztere nur insoweit fortwirken, als sie im hinterlassenen Vermögen einen objektiven Niederschlag gefunden hätten. Ansonsten seien sie legitimationsbedürftig, weil der Person des Erben im Rahmen eines objektiven Vermögensrechts eine größere Bedeutung zukomme als der des Erblassers108. Der Erblasser braucht für Windel mithin einen einsichtigen Grund für nichtvermögensbezogene Anordnungen von Todes wegen. Damit stellt er das gewillkürte Erbrecht nicht nur – entsprechend der liberalistischen Tradition – auf die Seite der Vernunft und schließt damit das begründungslose „Begehren“ als das Andere der Vernunft aus dem erbrechtlichen Legitimationskonnex aus109. Vielmehr gelingt es ihm auch, in der Figur der Persönlichkeitsersetzung die tragenden Wertungen zu verstecken, die ihm den Vorrang der Bedeutung des Erbenwillens gegenüber dem des Erblassers einsichtig werden lassen müßten. Derartige Wertungen trägt Windel aber nicht vor – dies wäre ja auch schwierig, da bei einem derartigen Vorrang die erbrechtlichen Anfechtungsund Auslegungsregeln einen Fremdkörper darstellen würden. Der Rekurs auf die Persönlichkeitsersetzung verfällt deshalb dem gleichen Verdikt, der letztlich auch den Gedanken der Persönlichkeitsfortsetzung zu Fall gebracht hat: Die Theorie begründet nicht, sondern stellt nur eine Chiffre bereit, ohne Ausweis der tragenden Wertungen für einen Vorrang der Erbeninteressen gegenüber dem Erblasserwillen zu optieren. 108

Windel, Modi, 244 f. Zum Verhältnis zwischen Vernunft und Begehren im Kontext der Testierfreiheit siehe § 10 IV 3. 109

§ 5 Erbrecht als fortgesetztes Eigentum: Historische Perspektive

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§ 5 Erbrecht als fortgesetztes Eigentum: Historische Perspektive Die Durchsicht der bisherigen familiaristischen und personalistischen Deutungsversuche der Testierfreiheit hat ergeben, daß weder der erbrechtliche Familiarismus, noch personalistische Fiktionstheorien einer Fortsetzung der Persönlichkeit oder des Willens des Erblassers oder Theorien einer Persönlichkeitsersetzung geeignet sind, die normativen Wertungen des gewillkürten Erbrechts nicht nur als Ausdruck einer bloßen auctoritas, sondern als Recht kohärent zu begründen. Bisher blieb der einflußreichste Begründungsstrang der Testierfreiheit freilich noch außer Betracht. Es ist dies die Deutung der Testierfreiheit als fortgesetzte Eigentümerfreiheit. Diese Deutung ist voraussetzungsreich. Es muß deshalb im weiteren untersucht werden, (i) an welche Möglichkeit der inneren Rechtfertigung des Eigentums die Testierfreiheit überhaupt anknüpfen könnte, um selbst erklärt werden zu können, (ii) welche Erklärungsleistung mit dieser Anknüpfung überhaupt erbracht werden kann, und ob (iii) eine derartige Anknüpfung die Testierfreiheit nicht nur konstitutionstheoretisch als einsichtiges Produkt geschichtlicher Vorgänge, sondern auch geltungstheoretisch als Recht auszuweisen vermag. Die erkenntnisleitende These hierzu ist: All dies wird mit der Rückführung des Erbrechts auf das Eigentum und der Testierfreiheit auf das freie Eigentümerbelieben nicht geleistet.

I. Eigentum und Erbrecht Weitreichender Ansicht nach ist das Privaterbrecht die geradezu automatische Ergänzung des Privateigentums natürlicher Personen110. Als Ausdruck dieser Konnexität zwischen Erbrecht und Eigentum gilt die Testierfreiheit heutzutage als zwangsläufige Konsequenz, ja nachgerade als „logi110 BVerfGE 67, 329 (341); 91, 346 (358); 93, 165 (173 f.); jüngst BVerfG, FamRZ 2000, 945 (946); AK-GG-Rittstieg, Art. 14/15 Rn. 136; BonnKomm-Kimminich, Art. 14 Rn. 95; v. Münch/Kunig-Bryde, Art. 14 Rn. 45; v. Mangoldt/KleinDepenheuer, Art. 14 Rn. 516; Maunz/Dürig-Papier, Art. 14 Rn. 244, 288; MünchKomm-Leipold, Einl zum Erbrecht Rn. 8 f.; ders., Erbrecht, Rn. 50 f.; SoergelStein, Einl. zum Erbrecht Rn. 4 (die Einordnung durch Staud-Otte, Einl. zu §§ 1922 ff. Rn. 63, vorgenommene Einordnung Steins als Gegner der Verknüpfung von Eigentum und Erbrecht kann nicht mitgetragen werden); Staud-Otte, Einl. zu §§ 1922 ff. Rn. 63; Staud-Boehmer, 11. Aufl., Einl. zum Erbrecht § 23 Rn. 1; ders., in: Neumann u. a. (Hrsg.), Grundrechte, Bd. 2, 401 (406); Brox, Erbrecht, Rn. 19; Kipp/Coing, Erbrecht, § 16 I 1; v. Lübtow, Erbrecht, 18; Schlüter, Erbrecht, Rn. 5; Leisner, Verfassungsrechtliche Grenzen, 39, 53 ff., 73 ff.; ders., in: Isensee (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 1; Mertens, Entstehung, 23; Rauscher, Reformfragen, 30 f.; Timm, Eigentumsgarantie, 31 ff., 35 ff.; Däubler, ZRP 1975, 136 (137); angedeutet bei Leipold, AcP 180 (1980), 160 (163).

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scher Konnex“111 der Eigentümerfreiheit112. Notwendigerweise wird in dieser Perspektive auch die nähere Ausformung des Erbrechts an die Funktion und Ausgestaltung der jeweiligen Eigentumsverfassung gebunden, da es ja tatsächlich unmittelbar einleuchtet113, daß die beispielsweise im Feudalismus zu beobachtende Verknüpfung zwischen dem privaten Immobiliareigentum und der politischen Gewalt naturgemäß der Erbfolge eine andere 111

So Palandt-Bassenge, Einl. zu § 1922 Rn. 1. Die Verklammerung des Erbrechts mit dem Eigentum setzt selbstverständlich nicht auch zwangsläufig die Verklammerung der Testierfreiheit mit der Eigentümerfreiheit voraus (ob sich de lege lata aus Art. 14 I GG hier etwas anderes ergibt, ist demgegenüber geltungstheoretisch eine gänzlich andere Frage). Dagegen spricht auch nicht der von Theodor Kipp geprägte und seither oft zitierte (Däubner, ZRP 1975, 136 (137); Leisner, in: Isensee (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 1; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 1 I 1; Schlüter, Erbrecht, Rn. 5) Satz, ohne Testierfreiheit wäre das Eigentum nur mehr so etwas wie ein lebenslänglicher Nießbrauch. Dies stimmt schon deshalb nicht, weil ein Nießbrauch unübertragbar ist (§ 1059 S. 1 BGB), während dem Eigentümer die Verfügungsbefugnis unter Lebenden ausdrücklich selbst privatautonom nicht genommen werden kann (§ 137 S. 1 BGB). Eigentum würde vielmehr auch dann intergenerational als Privateigentum weitergegeben, wenn etwa nur ein gesetzliches Familienerbrecht bestünde oder – wie bei den Saint-Simonisten – es dem Staat anheimfiele, der es sofort an Private weiterzugeben hätte. Abschaffung des Erbrechts bedeutet ja wörtlich genommen, daß mit dem Tod einer natürlichen Person die Rechtsverhältnisse, in denen sie gestellt ist, erlöschen, was in der Tat im Vernunftrecht stellenweise vertreten wurde. So war allerdings die alte Frage nach der Abschaffung oder der Reform des Erbrechts (dazu ausführlich aus geschichtlicher Sicht Schröder, Abschaffung, passim; und aus heutiger Sicht Rauscher, Reformfragen, passim) durchweg nicht gedacht. Die Folgerungsbeziehung „Privateigentum also Privaterbrecht – Privaterbrecht also Testierfreiheit“ ist demnach durchaus begründungsbedürftig und wird denn auch – wenn die Perspektive der Eigentumsordnung in Rede steht – konstitutionstheoretisch zumeist mit den Erfordernissen entwickelter Martktwirtschaften oder – wenn der Freiheitsaspekt im Vordergrund steht – mit Entfaltungskategorien der autonomen Persönlichkeit im vermögensrechtlichen Bereich begründet. Ansonsten siehe als Vertreter der Verklammerung von Testierfreiheit und Eigentümerfreiheit nur: v. Mangoldt/Klein-Depenheuer, Art. 14 Rn. 65, 516, 519, 522; Maunz/Dürig-Papier, Art. 14 Rn. 291; MünchKomm-Leipold, Einl. zum Erbrecht Rn. 12 f.; ders., Erbrecht, Rn. 50; Soergel-Stein, Einl. zum Erbrecht Rn. 4; StaudOtte, Einl. zu §§ 1922 ff. Rn. 63; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 1 III; Kipp/Coing, Erbrecht, 6; Leisner, Verfassungsrechtliche Grenzen, 54, 74; ders., in: Isensee (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 1; Radbruch, Rechtsphilosophie, Gesamtausgabe, 392; Rauscher, Reformfragen, 32 ff. (mit Einordnung der Testierfreiheit des Erblassers unter das Eigentumsgrundrecht); Timm, Eigentumsgarantie, 31 ff., 35 ff.; Tschäppeler, Testierfreiheit, 23 ff.; Schiemann, ZEV 1995, 197 (199); Stöcker, WM 1979, 214 (220). 113 So Däubler, ZRP 1975, 136 (137); der Zusammenhang läge „auf der Hand“ bei Leisner, in: Isensee (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 1; siehe ansonsten auch AK-GG-Rittstieg, Art. 14 Rn. 139 ff.; Binder, Erbrecht, 1 f.; Timm, Eigentumsgarantie, 35 ff.; Schröder, in: Mohnhaupt (Hrsg.), Zur Geschichte des Familien- und Erbrechts, 281 (282 ff.); implizit auch v. Lübtow, Erbrecht, 18 f. 112

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Dimension zubilligen muß als die Nachfolge in die Inhaberschaft von marktgängigen Gütern in einer kapitalistischen oder vorkapitalistischen Warenverkehrswirtschaft. Interessanter als dieser konstitutionstheoretische Befund ist für eine rechtfertigungstheoretisch angelegte Betrachtung freilich die weitere, nunmehr geltungstheoretisch ausgerichtete Folgerung, die aus der Konnexität zwischen Eigentum und Erbrecht gezogen wird: Als notwendiges Hilfsinstitut des Privateigentums natürlicher Personen bedürfe das Erbrecht keiner selbständigen Rechtfertigung, da es ebenso legitim oder illegitim sei wie das Privateigentum selbst114. Wie dem auch sei, zum geltungstheoretischen Schwur kommt es, wenn anhand der Verklammerung von Erbrecht und Eigentum nicht nur das Erbrecht selbst als solches gerechtfertigt werden soll, sondern – und dies ist für eine privatrechtliche Studie ungleich gewichtiger – der geltende Normbestand des gewillkürten Erbrechts des BGB anhand eines kohärenten und in sich stimmigen Systems rechtlicher Wertung als Recht ausgewiesen werden soll. Das Ergebnis vorwegnehmend wird sich hierbei zeigen lassen, daß die Bindung der Testierfreiheit an die Eigentümerfreiheit zwar etwa verfassungsrechtlich und konstitutionstheoretisch einsichtig sein mag, daß dies aber nicht für die hier allein interessierende zivilrechtliche und geltungstheoretische Rechtfertigung des konkreten erbrechtlichen Normbestands gilt. Der Verklammerung von Eigentum und Erbrecht können gleichwohl – auch dies im Vorgriff auf Späteres – fruchtbare Seiten abgewonnen werden, da sich zeigen lassen wird, daß sich das Eigentum als das vermittelnde Dritte erweist, welches Person und Vermögen verbindet und damit den Weg zu einem personfunktional verstandenen Erbrecht eröffnet. Die folgenden Überlegungen sollten daher nicht nur kritisch verstanden werden. Die Kritik an der Verbindung von Erbrecht und Eigentum ist mithin nicht nur erforderlich, weil hier ein leitendes Interpretament des herrschenden erbrechtsdogmatischen Denkens zu Tage tritt, welches sich prima vista einem personfunktionalen Erbrecht zu sperren scheint. Vielmehr ist die Kritik auch deshalb notwendig, weil sich im Durchgang durch die – die vermögenstheoretischen Gehalte des Erbrechts aufhebende und zugleich bewahrende – Kritik erst der Weg zu einem personfunktionalen Erbrecht wird erschließen lassen.

114

Däubler, ZRP 1975, 136 (137).

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II. Die konstitutionstheoretische Verklammerung von Erbrecht und Eigentum als Ausdruck liberaler politischer Theorie Bevor im weiteren versucht wird, einen Anriß der Entwicklungsgeschichte des Erbrechts aufzuzeigen, sollte eines zuvor klargestellt sein: Die sich auf dem ersten Blick rechtsgeschichtlich gebenden Studien zum Entwicklungsgang des Erbrechts sollten weniger als eine primär dogmengeschichtliche Darlegung verstanden werden. Dafür wäre die Darlegung zu abstrakt und zu exemplarisch auf einzelne Autoren bezogen, um die Vielfalt des historischen Geschehens angemessen würdigen und um die für einen Rechtsgeschichtler fundamentalen Unterschiede etwa in den verschiedenen naturrechtlichen Gründungen des Erbrechts aufzeigen zu können. Es geht vielmehr darum, exemplarische und in der Genese des Erbrechts wirkmächtige Gedanken der politischen Philosophie im Ergebnis so zu lesen, was sie uns heute für unser Recht sagen können. Die Perspektive ist hier also keine historische, sondern eine systematische. Wenn die historischen Texte also primär als die unsrigen, heutigen Texte gelesen werden, kommt es daher auch gar nicht recht darauf an, exegetisch zu schauen, was in geschichtlich vergangener Zeit gedacht und wie damals gehandelt wurde. Die Entwicklungsgeschichte des Erbrechts erscheint aus heutiger Sicht als eine Auseinandersetzung zweier Prinzipien: dem Schutz der Familie auf der einen und der Testierfreiheit des Erblassers auf der anderen Seite. Im positiven Recht finden wir historisch gesehen einen Kompromiß aus diesen verschiedenen erbrechtlichen Ausgangspositionen zwischen Familien und Eigentum115, in dem die konträren erbrechtlichen Grundpositionen von kollektivistischer Familienverantwortlichkeit und individualistischer Dispositionsfreiheit im Pflichtteilsrecht miteinander vermittelt sind116. 1. Erbrecht und Familie Freilich bestand in der Genese des erbrechtlichen Denkens nicht schon immer ein Gegensatz zwischen Familien- und Testaterbrecht. So wurde schon in der Epoche des rationalistischen Vernunftsrechts der Aufklärung 115 Vgl. nur den Überblick bei Staud-Boehmer, 11. Aufl., Einl. zum Erbrecht §§ 12 ff.; Klippel, ZRG Germ. Abtl. 101 (1984), 117; Heuberger, Geschichtliche Entwicklung des Pflichtteilsrechts, 1912; Beneke, Pflichtteilsrecht, 1939; Mertens, Entstehung, 30 ff.; Hattenhauer, Grundbegriffe, 183 ff. 116 Gerade das Pflichtteilsrecht war ein Ordnungsrahmen von einer derart substantiellen Bedeutung, daß es hierfür den geeigneten Ansatzpunkt bot, dazu Buchholz, in: Coing (Hrsg.), Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. 3, 1627 (1681 f.); Tschäppeler, Testierfreiheit, 72 ff.

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das Familienerbrecht naturrechtlich aus dem vermuteten fiktiven (Eigentümer-)Willen des Erblassers abgeleitet 117. Im Laufe der Zeit bot sich ein anderes Bild. Anfang des 19. Jahrhunderts gelang eine dichotom ausgerichtete theoretische Neubegründung von Testierfreiheit und Familienerbrecht, die bis in das Erbrechtsverständnis der Kodifikation des BGB wirkmächtig war. Zwar war die sozial-integrative Kraft des transpersonalen, christlichpatriarchalischen Familienverbandes gegenüber einer zunehmend individualistisch konzipierten Gesellschaft mehr und mehr verloren gegangen. Nachdem aber in der Philosophie Hegels die Familie als eine konkrete Institution der Sittlichkeit verortet worden war118, welche neben der bürgerlichen Gesellschaft und dem Staat stünde, gelang es, eine Neubegründung sowohl des Intestaterbrechts als auch der Testierfreiheit von einem personal verstandenen Familiengedanken her ins Werk zu setzen119. Das Familienerbrecht wurde hier nicht mehr mit dem vormodernen Gedanken eines germanischen Familienverbands120, sondern mit der naturgegebenen persönlichen Verbundenheit der Familienmitglieder korreliert121. Die Idee personaler Verbundenheit erschien als das primäre Moment, familiäre Bezüge im Erbrecht sicherzustellen122. Ein derartiges Denken hält sich bis in die Vorstellungswelten des historischen Gesetzgebers durch. Denn wenngleich in den Motiven personale familiäre Verbundenheit stellenweise auf die Blutsverbindung als natürlich erbrechtsbegründendes Band qualitativ reduziert wird123, bedeutet dies nicht eine Abkehr vom personal verstandenen Leitbild, da der historische Gesetzgeber durch den Einbezug des Ehegatten in 117

Klippel, ZRG Germ. Abtl. 101 (1984), 117 (122 ff.); Mertens, Entstehung, 31 f. Zu sehr facettenreichen Dogmengeschichte im einzelnen vgl. den Überblick bei Klippel, ebda., 101 (1984), 117 ff. 118 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, §§ 158 ff. 119 Vgl. zum sich hier niederschlagenden Einfluß insbes. der Hegelschen Philosophie nur Rauscher, Reformfragen, 222 ff., 225 ff.; Schröder, Abschaffung oder Reform, 437 ff.; Mertens, Entstehung, 32; Staud-Boehmer, 11. Aufl., Einl. Erbrecht, § 4 Rn. 11. 120 Dazu nur Mitteis/Lieberich, Deutsches Privatrecht, Kap. 54 II 2, 58 I; Wegmann, Begründung, 3; Hesse, Einfluß, 11; Hattenhauer, Jura, 1983, 9 (10). 121 Vgl. dazu nur Klippel, ZRG Germ. Abtl. 101 (1984), 117 (160 ff.); Rauscher, Reformfragen, 225 ff.; Tschäppeler, Testierfreiheit, 64 ff. Eine derartige personale Verbundenheit wurde im Detail verschieden begründet und bsp. mit einem natürlichen Familienbewußtsein gekoppelt, wie dies bsp. in der hegelianischen Rechtsphilosophie von Friederich Julius Stahl erfolgte, dazu nur Rauscher, Reformfragem, 222 ff.; Wegmann, Begründung, 10 f.; vgl. zu Stahl auch Schröder, Abschaffung oder Reform, 441 ff. Einzelheiten brauchen hier nicht weiter zu interessieren. 122 Dazu nur Rauscher, Reformfragen, 221 ff., 225 ff. Die soziologischen Voraussetzungen dieses Wandels der Familiemmetaphorik von einem primär wirtschaftlich orientierten zu einem personal verstandenen Familienbild hat Dörner, Industrialisierung und Familienrecht, 67 ff., eingehend nachgezeichnet. 123 Mot. V, 366.

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den Kreis der Pflichtteilsberechtigten zeigt, daß er nicht willens ist, sich von einer personalistischen Begründung des Erbrechts zu lösen124. Der historische Gesetzgeber hat ansonsten davon Abstand genommen, für eine dezidierte Rangfolge zwischen gesetzlicher und gewillkürter Erbfolge zu votieren125, so daß zumindest konstitutionstheoretisch ein erbrechtlicher Familiarismus nicht mehr begründungsfähig ist. Doch ist die Verknüpfung von Erbrecht und Familie nur der eine Wertungsstrang des erbrechtlichen Legitimationsdiskurses. Der andere ist die nunnmehr zu besprechende Anbindung der Testierfreiheit an die Freiheit des Eigentümers. 2. Erbrecht und private Disposition Eine derartige Rückführung der Testierfreiheit auf die Dispositionsbefugnisse des Eigentümers gelang schon der vernunftrechtlichen Theorie des Naturrechts126. Namentlich Hugo Grotius und Christian Wolff erstreckten die Verfügungsbefugnis des Eigentümers auf die Zeit post mortem und verorteten insofern die Testierfreiheit als eine Konsequenz des Eigentumsbegriffs. Diese Verortung blieb aber nicht lange unbestritten. Die durch das vernunftrechtliche Naturrecht vollführte Ableitung des Erbrechts aus dem Individualeigentum und damit aus dem individuellem Willen geriet in der Folge vielmehr in eine tiefe Krise. Schon der damaligen Zeit blieb aufgrund der Arbeiten von Thomasius und Pufendorf die naturrechtliche Krux einer derartigen individualistischen Erbrechtsbegründung qua verlängerter Eigentümerfreiheit nicht verborgen; läßt diese doch offen, wie der Testator überhaupt sein Eigentum vererben kann, wenn er aufgrund der Beendigung des Willens zum Zeitpunkt seines Todes alle Rechte und damit auch sein Eigentum gerade verliert. War mithin eine naturrechtliche Gründung der Testierfreiheit anhand des Eigentums verschlossen, wurde der Ausweg im positiven Recht gefunden, dem es unbenommen bliebe, die Testierfreiheit positiv einzuführen127. In der Wende des 18. zum 19. Jahrhundert kam es – obgleich der aufkommende Kritizismus Kants die philosophische Autorität des Vernunftsrechts schon untergraben hatte128 – zu einer bemerkens124

Vgl. auch Mertens, Entstehung, 102 f. Mertens, Entstehung, 39 f. 126 Siehe hierzu und zum folgenden den ausführlichen Überblick bei Klippel, ZRG Germ. Abtl. 101 (1984), 117 (119 ff.). 127 Hierzu Klippel, ZRG Germ. Abtl. (1984), 117 (121); Giger, Schicksal, Bd. 1, 62 ff., 68 f. 128 So zumindest die schulbildende Position Wieackers, siehe ders., Privatrechtsgeschichte, 351 ff.; Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, 165 ff.; K.W. Nörr, Eher Hegel als Kant, 50. Kritisch hierzu Klippel, ZRG Germ. Abtl. 101 (1984), 117 (153); ders., in: ders. (Hrsg.), Naturrecht im 19. Jahrhundert, VII ff., 221 (222 ff.); Schröder, Abschaffung, 391 ff. 125

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werten Neubelebung dieser von Thomasius und Pufendorf ins Werk gesetzten vernunftrechtlichen Argumentation, bei einem durch die Personalität des Eigentümers gerechtfertigten Eigentum könne es eine Möglichkeit der Eigentumsübertragung per Testament nicht geben129. Die Folge war, daß das Erbrecht insgesamt als naturrechtlich nicht begründbar verworfen wurde. Da auch eine naturrechtliche Begründung der Familienerbfolge nicht anerkannt wurde, blieb der Nachlaß in der Mehrzahl der zeitgenössischen Naturrechtssysteme herrenlos130. Die große Ausnahme in der naturrechtlichen Theorie der Zeit bildete der Versuch Kants, eine naturrechtliche Begründung der Gültigkeit von Testamenten anhand einer Vertragskonstruktion zu entwickeln131 – ein Versuch, welcher in der Naturrechtslehre wenig Zustimmung fand132, wie im übrigen auch die kantische Rechtfertigung des Eigentums überhaupt133. Der tragende Grund für die skizzierte ablehnende Haltung gegenüber der Testierfreiheit und dem Erbrecht ist auf den ersten Blick nicht leicht erkennbar. Wieso sollte das Erbrecht abgelehnt werden, wenn zugleich in der Entwicklung der liberalen politischen Theorie des 18. und 19. Jahrhunderts unter dem Einfluß der durch John Locke entfalteten und im Laufe der Zeit die Diskussion vollkommen beherrschenden Arbeitstheorie des Eigentums134 dieses als genuiner Bereich der Entfaltung des autonomen Individuums konzipiert zu werden vermochte135? Die Ablehnung der Testierfreiheit wird erst einsichtig, wenn der beschränkte Geltungsanspruch des Naturrechts um die Wende des 18. zum 19. Jahrhunderts betrachtet wird. Dieses zog sich durchweg auf die Regelung des fori externum der Zwangsrechte und Zwangspflichten im Gegensatz zu dem forum internum (den bloßen Gewissenspflichten) zurück und konnte nach der naturrechtlichen Vorstellung der Zeit durch Regelungen post mortem gar nicht betroffen sein136: Nach dem Tode des Erblassers konnte weder ein Zwangsrecht des Erblassers verletzt werden (ein Toter könne nicht mehr in seiner Freiheit eingeschränkt werden), noch ein solches des Testamentserben (weil dieser allein durch den Willen des Toten kein Zwangsrecht erhalten könne)137. Der Aus129

Klippel, ZRG Germ. Abtl. 101 (1984), 117 (137 ff.). Klippel, ZRG Germ. Abtl. 101 (1984), 117 (140, 143 f.). 131 Kant, Metaphysik der Sitten, § 34. Dazu Hattenhauer, Grundbegriffe, 194 f.; Klippel, ZRG Germ. Abtl. 101 (1984), 117 (139 f.); Giger, Schicksal, Bd. 1, 74 ff. 132 Klippel, ZRG Germ. Abtl. 101 (1984), 117 (140). 133 Zur Kantischen Rechtfertigung des Eigentums siehe die Nachweise unten Kap. 2 Fn. 188. 134 Siehe zur Entwicklung nur Brocker, Arbeit und Eigentum, 292 ff. 135 Siehe hierzu Schwab, Quaderni Fiorentini per la storia del pensiero giuridico moderno 3/4 (1974/75), 509 (517 ff.); ders., in: Brunner/Conze/Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 2, 65 (79 ff.). 136 So die Erklärung durch Klippel, ZRG Germ. Abtl. 101 (1984), 117 (142 f.). 130

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weg wird auch hier wieder in der Annahme gefunden, die Testierfreiheit sei zwar kein vorrechtliches und damit staatlicherseits unantastbares Freiheitsrecht, sie könne aber durch das positive Recht anerkannt werden, dem insoweit das Naturrecht nicht entgegentrete 138. Das Dilemma, in welches derartige Annahmen sich gestellt sehen müssen, liegt auf der Hand: Wie soll eine Regelung durch das positive Recht für erlaubt gehalten werden können, obwohl die Regelung naturrechtlich gerade als nicht hinnehmbar erachtet wird? Eine einsichtige Erklärung für diese Diskrepanz wird gefunden, wenn das Grundproblem einer jeden liberalen politischen Theorie um 1800 beachtet wird. Dieses Grundproblem bestand darin, daß die politische Theorie immerzu der Gefahr erliegt, durch die naturrechtliche Anerkennung des Erbrechts unerwünschte Effekte (wie etwa eine Rechtfertigung der Familienfideikommisse) zu erzielen, die einer an einem freien Eigentum interessierten Theorie ein Dorn im Auge sein mußten139. Da gleichwohl das 137

Klippel, ZRG Germ. Abtl. 101 (1984), 117 (142 f.). Vgl. zur Diskussion der Zeit Klippel, ZRG Germ. Abtl. 101 (1984), 117 (144 ff.). 139 Rechtsgeschichtlich interessant ist hierbei der gewundene Pfad, den die Fideikommißaufhebung genommen hat. Anschaulich verdeutlich werden kann dies anhand eines Falles, den das BayObLG 1996 entschieden hat (siehe BayObLG, FamRZ 1997, 705; dazu Goebel, FamRZ 1997, 656) und bei dem es um die Wirksamkeit einer Heiratsklausel in einem adeligen Hausgesetz ging. Die Familie des Erblassers – sie sei hier Familie zu N genannt – gehörte zu den 1806 mit der Auflösung des Römischen Reiches mediatisierten, vormals reichsständischen Häuser, den sog. standesherrlichen Familien, die – u. a. aufgrund der in Art. XIV der Bundesakte vom 8.6.1815 (abgedruckt bei Staud-Keidel, 9. Aufl., Art. 58 EGBGB Anm. I 2 B) niedergelegten Ermächtigung – Regelungen ihrer Güter und Familienverhältnisse erlassen durften. Sie besaß Grundbesitz in Bayern, Baden und Hessen. Zwar wurde nach der Auflösung des Deutschen Bundes die Befugnis der standesherrlichen Familien zur Setzung autonomen Satzungsrechts mehr und mehr in Frage gestellt (dazu nur Heinz Gollwitzer, Die Standesherren, Die politische und gesellschaftliche Stellung der Mediatisierten 1815–1918, 1957, 152 ff.). Und in den Beratungen des BGB wurde den Hausgütern schließlich eine deutliche Absage erteilt (dazu nur Rainer Schröder, Abschaffung oder Reform, 224 ff.). Dies hinderte die Familie zu N nicht daran, durch das Hausgesetz vom 23.10.1897 ein Sondervermögen zu schaffen, das sog. Hausgut, das gewissen Verfügungsbeschränkungen und einem besonderen Folgerecht unterlag und damit dem Fideikommiß glich (vgl. allg. zur Rechtsfigur des Hausguts Jörn Eckert, Der Kampf um die Familienfideikomisse in Deutschland, Studien zum Absterben eines Rechtsinstituts, 1992, 24; StaudPromberger/Schreiben, 12. Aufl., Art. 58 EGBGB Rn. 15; Hermann Rehm, Modernes Fürstenrecht, 1994, 324; Gollwitzer, Die Standesherren, 32 ff.). Diesem Hausgut stand das frei verfüg- und vererbbare Privatvermögen des Stammgutinhabers, das sog. Allodvermögen, gegenüber, Rehm, Fürstenrecht, 325; Staud-Promberger/Schreiben, Art. 58 EGBGB Rn. 12. Das zunächst gem. Art. 58 EGBGB fortgeltende Hausgesetz vom 23.10.1897 verlor erst aufgrund der in Ausführung des Art. 155 II 2 WRV erlassenen und in ihren jeweiligen Anwendungsbereich dem Territorialprinzip folgenden landesgesetzlichen Regelungen 1919 in Bayern [§ 12 S. 1 des Vorläufigen Staatsgrundgesetzes vom 138

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liberalistische Denken aus naheliegenden Gründen schlecht auf die Rechtsfigur der Vererbung verzichten konnte, war der Ausweg ins positive Recht etwa des preußischen ALR, des österreichischen AGBG oder des gemeinen Rechts gleichsam vorgezeichnet 140 – geltungstheoretische Dilemmata interessieren dann weniger. 17.3.1919, GVBl S. 109; § 1 I des Gesetzes über den Adel vom 28.3.1919, GVBl. S. 114; § 1 des Gesetzes über die Aufhebung der Familienfideikommisse vom 28.3.1919, GVBl. S. 114, BayBS III S. 118 (im folgenden FidAufhG); § 15 II 1 der Verfassungsurkunde des Freistaates Bayern vom 14.8.1919, GVBl. S. 279; hinzu kamen die Ausführungsvorschriften zu dem Gesetz über die Aufhebung der Fideikommisse betreffend vom 26.9.1919, GVBl. S. 647 ber. 698, BayBS III S. 118 (im folgenden AVFidAufhG)] und Baden [§§ 9, 16 der Verfassung vom 21.3.1919, GVBL. S. 279; Gesetz zur Ausführung des § 66 der Verfassung über die Aufhebung der Familien- und Stammgüter, der Fideikommisse des vormaligen Großherzoglichen Hauses und des Hausvermögens der standesherrlichen Familien (Stammgüteraufhebungsgesetz) vom 18.7.1923, GVBl. S. 233, im folgenden StGAufhG] sowie 1923 in Hessen (Artt. 1 und 2 Nr. 1 des Gesetzes, die Aufhebung der Standesvorrechte betreffend vom 22.6.1923, RegBl. S. 217; Artt. 2 und 38 des Gesetzes über die Auflösung der Familienfideikomisse betreffend vom 11.11.1923, RegBl. S. 481, im folgenden GAF) seine Gesetzeskraft, wenngleich seine Regelungen auf vertraglicher Ebene – wie im Fall geschehen – weiter vereinbart werden konnten (BayObLGZ 1966, 23 (27); 1928, 117 (127)). Die Folgen dieser Auflösungsgesetzgebung für die Rechtsnachfolge beim Tod des Stammgutsbesitzers waren nicht einheitlich: Der im früheren Baden gelegene Teil des Hausguts war in erbrechtlicher Hinsicht gem. § 1 StGAufhG frei vererbliches Privatvermögen des jeweiligen Stammgutinhabers, hier also des Erblassers. In Bayern hingegen wurde zwar gem. §§ 1, 4 FidAufhG iVm §§ 42, 48 AVFidAufhG das Stammgut freies Vermögen in der Hand des Stammgutsbesitzers. Es unterlag jedoch einer zwingenden Sukzessionsbindung von Todes wegen für den ersten Nachfolger, der kraft Gesetzes (§§ 45 I, 8 I AVFidAufhG) nach den Regeln des an sich aufgehobenen Hausgesetzes (§§ 43 I, 45 I, 1 II AVFidAufhG) Nacherbe des als Vorerben behandelten letzten Fideikommißbesitzers wurde. Ähnliches galt für das in Hessen gelegene Hausgut, Art. 4 GAF. Für das Allodvermögen des Stammgutsbesitzers schließlich galten die Vorschriften des BGB. Vor dem Hintergrund dieser Regelungen vollzog sich zur Zeit des Abschlusses des im Fall 1925 abgeschlossenen Erbvertrages für das Hausgut in Bayern und Hessen die erste Nachfolge nach dem Erblasser unmittelbar kraft Gesetzes, ohne daß der Erbvertrag von 1925 eine Rolle spielen konnte. Erst in der Person des ersten Nachfolgers konnte bürgerlich-rechtlich von Todes wegen verfügt. Für den in Baden gelegenen Teil des Hausguts hatte der Erblasser im konkreten Fall insofern dem Erbvertrag aus dem Jahre 1925 so verfügt, daß das letztwillig Verfügte mit der kraft Gesetzes in Bayern und Hessen geltenden Regelung deckungsgleich war. Erst zum 1.1.1939 wurden schließlich reichsrechtlich (§ 1 I 1 iVm § 30 I des Gesetzes über das Erlöschen der Familienfideikommisse und sonstiger gebundener Vermögen vom 6.7.1938, RGBl I, S. 825) jegliche fideikommiß- und stammgutsrechtlichen Bindungen mit der Folge aufgelöst, daß sich die bis dato getrennten Vermögensmaßen zu einem der freien Verfügung unterliegenden Vermögen in Händen des Erblassers vereinigten. Erst 1938 wurde der liberale Impetus der Fideikommißauflösung mithin vollständig umgesetzt. 140 So die These von Klippel, ZRG Germ. Abtl. 101 (1984), 117 (149 ff.).

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Kap. 2: Diskussion der bisherigen Ansätze zur Testierfreiheit

In der weiteren Entwicklung blieb es freilich nicht bei der positivrechtlichen Verankerung der Testierfreiheit. Vielmehr gesellte sich zum positiven Recht eine eigenständige, dem positiven Recht vorausliegende Begründung des gewillkürten Erbrechts, indem auf die naturrechtliche Verbindung zwischen freier Persönlichkeit und Eigentum zurückgegriffen und die Testierfreiheit nunmehr als Teil der Dispositionsbefugnis der Rechtsperson über ihren eigenen Rechtskreis verstanden wird141. Die Gründe hierfür dürften wiederum in der Verbindung von politischer Theorie und freiheitlicher Entwicklung der Verkehrswirtschaft zu finden sein: In dem Maße, in dem das vom Liberalismus angestrebte „freie Eigentum“ jedenfalls teilweise im Laufe des 19. Jahrhunderts verwirklicht wurde, wurde in der Folge auch eine individualistisch analog der Eigentumsfreiheit auf dem privatautonomen Willen des einzelnen gegründete und insofern als vorstaatlich verstandene Testierfreiheit als Verkettung von Erbrecht und Eigentum für die liberale politische Theorie diskutabel; Erbrecht wurde zum vorstaatlichen Freiheitsrecht umgedeutet142. Damit gelang es nicht nur, staatlichen Zugriffen auf das Recht der Vererbung etwas entgegenzusetzen, vielmehr konnte zugleich den sozialistischen Angriffen auf Eigentum und Erbrecht gekontert werden, wie sie etwa von der marxistischen Doktrin oder von den französischen Frühsozialisten in Gestalt Babeufs oder den Utopisten um SaintSimon143 ins Werk gesetzt wurden144. 3. Ergebnis: Die konstitutionstheoretisch einsichtige Legitimation des Erbrechts aus dem Eigentum Wenn der oben kurz angerissene Familiengedanken wieder mit ins Blickfeld rückt, ist daher im Ausgang des 19. Jahrhunderts der Grundstein für ein dichotomes Verständnis von Familie und Erbrecht auf der einen und Eigentum und Erbrecht auf der anderen Seite gelegt, dessen Begründungszusammenhang im Kontext der Historischen Schule verschiedentlich im Hinblick auf einen Gegensatz zwischen einem kollektivistisch-germanistischen und einem individualistisch-romanistischen Rechtsverständnis ver141

Klippel, ZRG Germ. Abtl. 101 (1984), 117 (165). Zu dieser These von der Konnexität der liberalen politischen Theorie und naturrechtlichen Begründung der Testierfreiheit im 19. Jahrhundert siehe Klippel, ZRG Germ. Abtl. 101 (1984), 117 (166); Hattenhauer, Grundbegriffe, 198 ff.; ders., Jura 1982, 68 (71 f.); Tschäppeler, Testierfreiheit, 27 f.; Schröder, in: Mohnhaupt (Hrsg.), Zur Geschichte des Familien- und Erbrechts, 281 (286 ff.). 143 Zu diesen Angriffen siehe ausführlich Schröder, Abschaffung, 174 ff., 185 ff., 199 ff.; Mertens, Entstehung, 23 ff. 144 Die Angriffe gegen das Eigentum gründen in einer langen Tradition, in die auch Motive aufklärerischer und durchaus auch liberaler Theorie verwoben sind. Dies muß hier auf sich beruht bleiben. 142

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schoben wurde145: Das von einer personalen Nähebeziehung her verstandene Familienerbrecht und die individualistisch gegründete Testierfreiheit erscheinen nunmehr nebeneinander als je entgegengesetzte Prinzipien des Erbrechts, deren Ausgleich die Rechtsphilosophie des 19. Jahrhunderts ohne Schwierigkeiten in einem Pflichtteils- oder Noterbrecht fand146 – wie schon die Mehrzahl der partikularen Erbrechtsregelungen des 19. Jahrhunderts, deren grundsätzliche Entscheidung zugunsten einer an Willensautonomie und Eigentumsfreiheit orientierten Erbfolgekonzeption keineswegs einem doktrinär-liberalen Absolutheitsanspruch entsprach147. An den Arbeiten am BGB ging all dies nicht unbemerkt vorüber. Obwohl der Redaktor des ersten Erbrechtsentwurfs, Gottfried Schmitt, im Widerstreit der beiden rechtspolitischen Begründungen des Erbrechts dem Erblasserwillen den Vorrang gab148, enthielt sich die erste Kommission einer prinzipiellen Entscheidung über die ideellen Grundlagen des Erbrechts149, die zweite Kommission tat es ihr gleich150. Es verwundert daher nicht, daß auch die Reichskodifikation, das BGB, die Vermittlung der dichotomen Prinzipien in einem obligatorischen, quotenmäßig beschränkten Pflichtteilsrecht verwirklicht sah151 – freilich ohne daß der historische Gesetzgeber einen der beiden Berufungsgründe (gesetzlich-familiaristisch oder gewillkürt-individualistisch) materiell bevorzugen wollte152. Familie und Erbrecht auf der einen und Eigentum und Erbrecht auf der anderen Seite erscheinen demnach in der historischen Genese erbrechtlicher Prinzipien als je eigenständige Begründungselemente des Erbrechts. Konstitutionstheoretisch ergibt damit die Legitimation der Testierfreiheit aus dem Eigentum ihren guten Sinn.

145 Dazu nur Wieacker, Privatrechtsgeschichte, 411 f.; Tschäppeler, Testierfreiheit, 4 f.; kritisch zur Unterscheidung einer romanistischen und germanistischen Tradition in diesem Zusammenhang Klippel, ZRG Germ. Abtl. 101 (1984), 117 (129 ff.). 146 Klippel, ZRG Germ. Abtl. 101 (1984), 117 (167 f.). Vgl. allg. zum Einfluß rechtsphilosophischer Rechtfertigungen auf den Redaktor des Erbrechts, Gottfried Schmitt, nur Schröder, Abschaffung oder Reform, 401 ff., 430 ff., 437 ff., 493 ff. 147 Buchholz, in: Coing (Hrsg.), Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. 3, 1627 (1681). 148 Mertens, Entstehung, 34 ff. 149 Mertens, Entstehung, 37, 40. 150 Mertens, Entstehung, 39 f. 151 Buchholz, in: Coing (Hrsg.), Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. 3, 1627 (1683 f.); Mertens, Entstehung, 94; vgl. auch Hattenhauer, Jura 1983, 68 (75); ders., Grundbegriffe, 204; Tschäppeler, Testierfreiheit, 5 f. 152 Mot. V, 2; vgl. auch Mot. V, 386; Prot. V, 493 ff. Dazu auch Mertens, Entstehung, 37 ff.; Schröder, Abschaffung oder Reform, 23 ff.; Leipold, AcP 180 (1980), 160 (191); MünchKomm-ders., Einl. Erbrecht Rn. 10.

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4. Probleme einer Herleitung des Erbrechts aus dem Eigentum Der kurze Abriß der historischen Einbettung der Testierfreiheit in die Legitimationsdiskurse von Familie und Eigentum hat die eingangs vorgestellte Vermutung bestätigt, daß in der Genese des Erbrechts dessen Funktion und dessen individualistisches Potential, welches durch die naturrechtliche Anerkennung der Testierfreiheit freigesetzt worden war, tatsächlich an die Funktion und Ausgestaltung der jeweiligen Eigentumsverfassung gebunden wurde und parallel zur vollen Entfaltung der liberalen Warenverkehrswirtschaft ins Werk gesetzt werden konnte. Welche Folgerungen zieht dieser konstitutionstheoretische Befund für die geltungstheoretisch ja allein wesentliche Einbettung der erbrechtlichen Normen des geltenden Rechts in ein kohärentes System rechtlicher Dogmatik nun nach sich? Die mancherorts wohl als etwas überraschend anmutende These lautet, daß der historische Befund für die geltungstheoretische Frage nach dem kohärenten System des gewillkürten Erbrechts nichts beitragen kann – wohlgemerkt soll mit dieser These nicht generell ausgeschlossen werden, daß in der Zwiesprache von Genesis und Geltung (Lüderssen) historische Einsichten durchaus etwas dazu beitragen können, aus dem Material des Gesetzes ein kohärentes System rechtlicher Wertung zu formen, um das Gesetz damit als Recht ausweisen zu können153. Vielmehr wird nur behauptet, daß für die systematische Zurichtung des gewillkürten Erbrechts die historische Genese der Testierfreiheit wenig fruchtbar ist. a) Die legitimatorische Reichweite der Rückführung der Testierfreiheit auf das Eigentum Die Gründe für dieses Verdikt liegen in drei Erwägungen. Allen dreien ist gemein zu zeigen, daß die Rückführung der Testierfreiheit auf die – nunmehr auch gegenüber dysfunktionalen Strukturen wie etwa den Familienfideikommissen gesicherte – Eigentumskultur des liberalen Ordnungsmodells einer Verkehrswirtschaft den konkreten Normenbestand des heutigen gewillkürten Erbrechts nicht erklären kann. Die erste Erwägung liegt darin, daß die „eigentumslegitimierte Testierfreiheit“ schon ihrem eigenen Anspruch nach keinen Beitrag zur systematisch angelegten Erklärung des konkreten Normbestands leisten will und kann. Die liberalistische Anbindung der Testierfreiheit an die Eigentumsfreiheit widmet sich ja keineswegs dem konkreten erbrechtlichen Ordnungsmodell des Bürgerlichen Gesetzbuches. Darüberhinaus läßt sich kein Zusammenhang zwischen der im BGB angelegten Rückführung des Familiengedankens auf das gesetzliche Erbrecht und insbesondere auf das Pflichtteilsrecht auf der einen und dem 153

Dazu schon oben § 1 III.

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besonderen Schutz auf der anderen Seite stiften, den ausweislich etwa der Auslegungs- und Anfechtungsregelungen sowie des Prinzips der materiellen Höchstpersönlichkeit die Kodifikation dem Testierwillen angedeihen läßt. Denn es war ja schon die Rede davon, daß sich die erste Kommission einer prinzipiellen Entscheidung über die in Familie und Eigentum gründenden ideellen Grundlagen des Erbrechts enthielt, und daß die zweite Kommission es ihr hierin gleich tat154. Die im BGB vorgenommene Vermittlung der dichotomen Prinzipien von Familie und Eigentum in einem obligatorischen, quotenmäßig beschränkten Pflichtteilsrecht bedeutet mithin nicht – wie schon ausgeführt155–, daß der historische Gesetzgeber die Testierfreiheit besonders auszeichnen wollte. Mit anderen Worten: Die Verklammerung der Testierfreiheit an das Eigentum ist schon ihrem konstitutionstheoretischen Anspruch nach nur darauf angelegt, die rechtspolitischen Grundlagen für die im Bürgerlichen Gesetzbuch niedergelegte grundlegende Entscheidung für die Testierfreiheit abzusichern, ohne gleichzeitig die getroffenen Detailregelungen im bürgerlich-rechtlichen Normbestand mit zu rechtfertigen. Die eigentumslegitimierte Testierfreiheit ist damit als Frucht einer in einer bestimmten historischen Situation kraftvollen politischen Theorie ihrem eigenen Anspruch nach nicht darauf angelegt, das gewillkürte Erbrecht als Recht deshalb auszuweisen, weil es sich auf ein kohärentes System rechtlicher Wertungen zurückführen ließe. b) Das geltungstheoretische Grundproblem einer Rückführung der Testierfreiheit auf das Eigentum Der zweite Einwand, der gegen eine geltungstheoretische Relevanz der konstitutionstheoretischen Rückführung der Testierfreiheit auf das Eigentum ins Feld geführt werden kann, liegt in der Erwägung, daß selbst dann, wenn der oben skizzierte anders gelagerte Anspruch der politischen Theorie einmal beiseite gelassen wird, dennoch eine Rechtfertigung des geltenden Normbestands als Recht mit der eigentumslegitimierten Testierfreiheit aus dem Grund nicht gelingen wird, weil mit dieser Legitimation bei Lichte betrachtet nur ein Problem formuliert wird, nämlich eben das Problem, wie sich das gewillkürte Erbrecht (also der gesamte Komplex derjenigen erbrechtlichen Wertungen, die sich nicht mit dem gesetzlichen Erbrecht beschäftigen156) als Recht erweisen lassen kann. Denn mit der Legitimation des Erbrechts als fortgesetztes Eigentum läßt sich – wie nun schon so oft – wiederum nicht begründen, warum das Gesetz dem Willen des Erblassers eine so prominente Stellung einräumt, daß das Testament nach seinem er154 155 156

Siehe oben § 5 II 3. Oben § 5 II 1. Siehe zur Begrifflichkeit oben § 2 II.

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klärten Willen auszulegen ist (§ 133 BGB), daß bei der Anfechtung auch ein Motivirrtum zur Vernichtung der letztwilligen Erklärung führen kann und daß der Grundsatz der materiellen Höchstpersönlichkeit zwar bei der Bestimmung des Erben, nicht aber für Universalvermächtnisse gilt. Diese mangelnde Heuristik in der Erklärung des erbrechtlichen Willensdogmas ist in dem Rekurs auf die Eigentümerfreiheit selbst angelegt. Denn auch der liberalen Theorie blieb ja letztendlich157 nicht unbekannt, daß es eine schrankenlose Freiheit des Eigentums nicht geben könne, sondern daß aus Sicht der Liberalen das Eigentumsrecht – wie ein jedes Freiheitsrecht – mit den Rechten Dritter vereinbar sein muß158. Das BGB hat diese Problematik der Vereinigung der „Willkür des einen mit der Willkür des andern nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit“159 gesehen, als es in § 903 S.1 den Vorbehalt der Rechte Dritter aufgenommen hat160. Nun verweist das für die liberale Theorie schon im Begriff des bürgerlich-rechtlichen Eigentums eingeschlossene allgemeine Gesetz der Freiheit Kants auf zweierlei. (i) Erstens implementiert es eine Prozedur: Ob eine Vereinigung der Willkür des einen mit der des andern im Gesetz gelungen ist, bestimmt sich nach dem Verfahren, in dem über die Inhalte des Gesetzes befunden worden ist161. Für das Bürgerliche Gesetzbuch bedeutet mithin heute der bloße Verweis auf das Eigentum zur Rechtfertigung der Testierfreiheit nichts anderes als seiner Hoffnung Ausdruck zu verleihen, das Gesetz möge den Konflikt der Testierfreiheit des Testierenden mit den Freiheiten Dritter162 157 Am Beginn des neuzeitlichen Eigentumsdiskurses und des liberalistischen Denkens war dies freilich noch nicht derartig ausgeprägt. So ging der Begründer der auch heute noch weit verbreiteten „Arbeitstheorie des Eigentums“, John Locke (dazu siehe näher unten § 6 I), von einem Eigentum aus, welches nach heutigem Verständnis weithin nicht eingeschränkt ist (siehe Brocker, Arbeit und Eigentum, 184; Macpherson, Die politischen Theorie des Besitzindividualismus, 225) – wenngleich kein Zweifel daran besteht, daß auch Locke Eigentum nur innerhalb des Naturgesetzes kannte, siehe dazu Brocker, ebda., 247 ff. 158 Dies ist insbes. in der Eigentumslehre Kants prominent formuliert worden, dazu siehe unten § 5 III 2; sowie Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, 263 ff. 159 Kant, Metaphysik der Sitten, 1. Teil, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § B, S. 337. 160 Aus gesellschaftstheoretischer Sicht siehe hierzu allg. Luhmann, Die Wirtschaft der Gesellschaft, 207 ff. 161 Der Rekurs auf die Allgemeinheit des Gesetzes führt mithin dazu, eine demokratische Prozedur der Normerzeugung zu implementieren. Dieser kantische Gedanke liegt nicht nur der von Habermas vorgelegten Diskurstheorie des Rechtsstaats (ders., Faktizität und Geltung, 1992), zugrunde, sondern auch modernen demokratietheoretischen Fassungen der kantischen Universalisierungen, wie etwa der von Ingeborg Maus, Zur Aufklärung der Demokratietheorie, 1994, entwickelten. 162 Also die alten Fragen: Wieso ist das Vertrauen der Erbprätendenten ungeschützt? Und wieso wird das Vertrauen des Erben, er dürfe das Testament so verstehen, wie er es bei gehöriger Anstrengung habe verstehen dürfen, vom Gesetz nicht

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so austariert haben, daß das gewillkürte Erbrecht sich als ein wahrhaftiges „allgemeines Gesetz der Freiheit“ erweisen kann. Wenn es bei dieser Hoffnung nicht bleiben soll, sondern sich das Gesetz wirklich als allgemein dartun lassen soll, fordert das kantische Gebot einer Vereinigung der Freiheit des einen mit der des andern bei bestehenden Gesetzen (ii) zweitens dazu auf, in einer immerwährenden Arbeit am Gesetz den gesetzlichen Normbestand zu einem kohärenten System rechtlicher Wertung zu formen163. Wird demnach auf das Eigentum verwiesen (wie bei dem Verständnis der Testierfreiheit als fortgesetzte Eigentumsfreiheit), wird zugleich auf das Vorhaben gedeutet, den Normbestand des geltenden Eigentumsrechts geltungstheoretisch als Recht auszuweisen. Doch wenn der Normbestand des geltenden Eigentumsrechts als Recht ausgewiesen werden könnte, was wäre damit gewonnen, wenn nicht allein die Rechtfertigung eben des eigentumsrechtlichen Normbestands als kohärentes System rechtlicher Wertung und damit als Recht? Wie wird aber bei Beendigung dieser systematischen Arbeit am Eigentum der Sprung von dieser geltungstheoretischen Rechtfertigung zur hier doch allein interessierenden Rechtfertigung des erbrechtlichen Normbestands als Recht ins Werk gesetzt? Doch nur allein durch den Ausweis des erbrechtlichen Normbestands eben wiederum als kohärentes System rechtlicher Wertung und damit als Recht. Und dies heißt in einem Verständnis des Erbrechts als fortgesetztes Eigentum nichts anderes, als daß bei einem derartigen Verständnis davon ausgegangen wird, daß sich die Rechtfertigung der eigentumsrechtlichen Vorentscheidungen des BGB in die Rechtfertigung des gewillkürten Erbrechts hinein fortsetzen lassen; daß also die Rechtfertigung des Eigentums identisch ist mit der Rechtfertigung des Erbrechts. Dies wiederum ist nur der Fall, wenn sich sämtliche erbrechtliche Normen kohärent in genau dasselbe System rechtlicher Wertung einbinden lassen, welches auch das Eigentum rechtfertigt. Genau dies ist aber für wichtige Normkomplexe (Auslegung, Anfechtung, Höchstpersönlichkeit) nicht der Fall – Überlegungen etwa der Art, im Erbrecht sei beispielsweise das Vertrauen des Erben nicht schutzwürdig, schon deshalb dürfe die Auslegung des Testaments nach § 133 BGB erfolgen, müssen sich doch die Frage gefallen lassen, warum der Erbe nicht schutzwürdig sein soll, denn genau hier lokalisiert ja die Wertungsdifferenz von Erbrecht und Eigentum – wird die Frage nicht beantwortet (und sie wird

geschützt? Warum hat das Gesetz dieses Vertrauen nicht als ein Recht Dritter anerkannt? 163 Aus der Fülle siehe nur Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 16 ff.; Engisch, Einführung in das juristische Denken, 160 ff.; Mittenzwei, Teleologisches Rechtsverständnis, 373 ff.; sowie schon oben § 1 II 3. Speziell zum Ausgang bei Kant siehe Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, 263 ff.

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durchweg nicht beantwortet164), bleibt das erbrechtliche System in der Kohärenz geöffnet und der Wertungsabgleich mit dem Eigentum geht fehl. Es bleibt mithin dabei: Die Rückführung der Testierfreiheit auf das Eigentum zieht unabweislich die Aufgabe nach sich zu zeigen, daß der bestehende erbrechtliche Normbestand sich als ein allgemeines Gesetz der Freiheit – als Ausdruck eines kohärenten Systems von Wertungen – ausweisen läßt. Damit schließt sich der Kreis: Die Rechtfertigung der Testierfreiheit aus dem bürgerlichrechtlichen Eigentum heraus ist geltungstheoretisch gerade keine Rechtfertigung, sondern formuliert nur die geltungstheoretische Frage neu: Läßt sich der geltende Normbestand des gewillkürten Erbrechts als Recht systematisch darstellen? Damit wäre der geltungstheoretisch angelegte erbrechtliche Legitimationsdiskurs unversehens an seinen Ausgangspunkt zurückgekehrt und die Rückführung der Testierfreiheit auf das Eigentum geltungstheoretisch als unbrauchbar erwiesen. c) Die Abstraktheit politischer Theorie Doch selbst wenn all dies nicht überzeugen würde, bleibt ein dritter Einwand gegen die rechtfertigungstheoretische Kraft einer Rückführung der Testierfreiheit auf das Eigentum bestehen. Zwar mag mit einer derartigen Rückführung durchaus erklärbar sein, warum das Gesetz von einer Auslegung von dem erklärten Willen des Testierenden ausgeht und dessen Motivirrtum als relevant ansieht. Man mag hier auf bestimmte Erfordernisse der Marktwirtschaft verweisen oder ähnliches mehr165. Auf einige Zweifel sei hierbei freilich am Rande hingewiesen: Bei einem derartigen Verweis auf Markterfordernisse bliebe aus der Sicht des Wirtschaftssystems schon rätselhaft, wieso die Willensherrschaft des Erblassers im Testamentsrecht so kompromißlos durchgeführt worden ist. Denn die Wirtschaft wird vornehmlich über die Rechtsinstitute des Vertrags und des Eigentums mit dem Rechtssystem rückgekoppelt166. In dieser Perspektive ist Eigentum dann 164

Dazu siehe unten § 11 II 1. Hierbei müßte freilich der Nachweis geführt werden, daß die Bedürfnisse einer entwickelten Marktwirtschaft eine Relevanz etwa des Motivirrtums bei der Testamentsanfechtung erfordern. Denn ansonsten bliebe es ja bei der Frage: Wieso wird nicht der andere (der Erbe) geschützt? Dies wird nicht immer gesehen. So formuliert etwa Mertens, Entstehung, 40 f., ein modernes Erbrecht könne in einer Wirtschaftsgesellschaft, die auf dem Privateigentum aufbaue, nur so vernünftig gestaltet werden, daß man dem Eigentümer weitgehende Freiheit läßt, die Verhältnisse nach seinem Tode selbst zu regeln. Die Frage ist doch, wie weitgehend soll die „weitgehende Freiheit“ gehen? Ist hier zwingend auch die Auslegung nach § 133 BGB eingeschlossen? Die Funktionserfordernisse entwickelter Wirtschaften dürften für derartige konkrete dogmatische Legitimationsfragen durchweg wenig Anhaltspunkte geben. 165

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nichts anderes als eine Form der Beobachtung von Gegenständen aufgrund der spezifischen Unterscheidung, daß die Zuordnung von Eigentum an eine Rechtsperson dazu führt, Streitigkeiten über einen Gegenstand nicht mehr konsensual lösen zu müssen167. Vielmehr kommt es für bestimmte Kommunikationserfolge eben nur und nur auf die Zustimmung des Eigentümers an168. Anders Gesagt: Das letzte Wort hat der Eigentümer. Mit Blick hierauf ist es auch aus Sicht des Wirtschaftssystems keine unumstößliche Notwendigkeit, für die Steuerung des postmortalen Eigentumsübergangs über die Generationen hinweg allein auf das „letzte Wort“ zu insistieren, das durch den verstorbenen Alt-Eigentümer per Verfügung von Todes wegen ins Werk gesetzt worden ist. Denn üblicherweise werden Verfügungen über das Eigentum unter Lebenden vertraglich gesteuert; das deutsche Privatrecht hat hierauf mit der Entwicklung des Abstraktionsprinzips reagiert169. Im Vertragsrecht besitzt das Rechtssystem aber die Möglichkeit, die durch die Freigabe der Vertragsfreiheit aufgegebene Kontrolle über das wirtschaftliche Handeln in einem erheblichen Umfang durch den Rekurs auf objektivierte Auslegungsmodalitäten gem. §§ 157, 133 BGB und auf Rechtsfiguren wie die gesetzeskonforme Auslegung, durch eine an objektivierten Kriterien orientierte ergänzende Auslegung, durch die den ordre public 166 Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, 453 ff.; ders., Die Gesellschaft der Gesellschaft, 783 f.; ders., Die Wirtschaft der Gesellschaft, 188 ff. Die Selektion der Kommunikation wird durch Eigentum mithin so konditioniert, daß die Befolgung des Selektionsvorschlags hinreichend sichergestellt werden kann, siehe ders., Soziale Systeme, 222; ders., Die Gesellschaft der Gesellschaft, 349 ff. Aus wirtschaftlicher Sicht (und nur auf diese kommt es ja hier an) ist unbeachtlich, daß dem Eigentum neben dem Tauschaspekt auch ein Affektionsinteresse innewohnt. Die insofern gegen Luhmann durch Nef, in: Holzhey/Kohler (Hrsg.), Eigentum und seine Gründe, 199 (218), vorgetragene Kritik, dieser unterschätze den Affektionswert des Eigentums, geht daher ins Leere. Ansonsten siehe zu den Formen struktureller Kopplung allg. ders., Das Recht der Gesellschaft, 440 ff. In der Systemtheorie Luhmanns ist von strukturellen Kopplungen die Rede, wenn ein System bestimmte Eigenarten seiner Umwelt dauerhaft voraussetzt und sich strukturell (also hinsichtlich der relativ dauerhaften und eingeschränkt zulässigen Verknüpfung der Elemente des Systems) darauf verläßt; strukturelle Kopplungen sind mithin normative Mechanismen, die einen Strukturabgleich zwischen dem Rechtssystem und den anderen gesellschaftlichen Subsystemen erlauben, siehe allg. dazu ders., Das Recht der Gesellschaft, 440 ff.; ders., Die Gesellschaft der Gesellschaft, 100 ff., 779 ff.; Callies, Prozedurales Recht, 149 ff., 181 ff. 167 Unter den Bedingungen einer Geldwirtschaft besteht im Wirtschaftssystem der Wert des Eigentums ja nahezu ausschließlich in der Verwendung in Transaktionen und nicht in seinen Möglichkeiten, die Bedürfnisse des Rechtsinhabers zu befriedigen, Luhmann, Die Wirtschaft der Gesellschaft, 188 ff.; ders., Das Recht der Gesellschaft, 466; ders., Die Gesellschaft der Gesellschaft, 348 f. 168 Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, 454. 169 Siehe zur Zusammenführung von Eigentum und Vertrag aus Sicht der Gesellschaftstheorie Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, 465 f.

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économique aufgreifende Sittenwidrigkeits- und Billigkeitskontrolle sowie durch die Mechanismen der Treuwidrigkeitsprüfung wiederzugewinnen, um genau hierdurch die strukturelle Kopplung von Recht und Wirtschaft mit Leben zu füllen170. Die im deutschen Privatrecht beim Gütertransfer unter Lebenden in das Vertragsrecht verschobene Kopplung von Recht und Wirtschaft wird beim intergenerationalen Gütertransfer post mortem einzig über die Sittenwidrigkeitsanalyse nach § 138 I BGB geleistet. Diese Verkürzung struktureller Kopplung ist wenig einsichtig – zumindest, wenn das Erbrecht geltungstheoretisch als Funktion der Eigentumsverfassung interpretiert wird. Doch dies wäre ja nicht alles. Zudem würde mit dem Insistieren auf bestimmte Funktionserfordernisse des Marktes, dem die Testierfreiheit zu dienen bestimmt sei, die Rechtfertigung aus dem Eigentum verlassen und eine Legitimation der konkreten Ausgestaltung der Testierfreiheit aus funktionalen Bedürfnissen des Markts her ins Werk gesetzt, womit die Testierfreiheit bei Lichte betrachtet statt auf das Eigentum auf einen Schutz der Handlungsfreiheit des einzelnen zurückgeführt wäre, dem der Rekurs auf die Bedürfnisse des Markts innerhalb der liberalen Doktrin ja dient. Wie dem auch sei, angenommen, eine systematisch kohärente Erklärung des erbrechtlichen Auslegungs- und Anfechtungsrechts gelänge, so wäre damit dennoch nicht der Normbestand des gewillkürten Erbrechts in toto dargelegt und die Rückführung der Testierfreiheit auf das Eigentum bliebe geltungstheoretisch defizitär. Denn eine der prominentesten Ausnahmeerscheinungen im Vermögensrecht – welches das Erbrecht gängiger Ansicht nach ja darstellt – bliebe damit unerklärt: das Prinzip der materiellen Höchstpersönlichkeit nach § 2065 BGB. Es verwundert nicht, daß im Legitimationskontext der Testierfreiheit aus dem Eigentum Reinhard Zimmermann die Frage stellt, warum das Gesetz materielle Höchstpersönlichkeit anordnet, wo doch ansonsten die Verfügung über das Vermögen dem Ermessen des Eigentümers überlassen bliebe171. Und ebenfalls erstaunt es nicht, daß Harry Westermann keinerlei Gerechtigkeitspostulate sieht, welche den Ausschluß der Vertretung im Willen und in der Bestimmung des Erben rechtfertigen könnten172. Auch mutet es nicht befremdlich an, wenn die Bestimmung des § 2151 BGB angesichts des § 2065 BGB als „sehr merkwürdig“173 angesehen worden ist – diese Diskrepanz ist in der Tat unerklärlich, wenn das Erbrecht auf das Eigentum zurückgeführt wird174. Wenn das Erb170

Dazu Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, 464 ff. Zimmermann, „Quos Titius voluerit“, 8. Ähnlich de lege ferenda kritisch gegenüber dem Prinzip der materiellen Höchstpersönlichkeit Hermann, FamRZ 1995, 1396 (1400 f.). 172 H. Westermann, FS Möhring, 183 (194). 173 Zimmermann, „Quos Titius voluerit“, 37. 174 Dazu näher unten § 11 III 3 a. 171

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recht in dieser Weise als rein funktionales Vermögensrecht gedeutet wird, wird denn auch offen zugegeben, daß es der Vorschrift des § 2065 BGB an einem einsichtigen Normzweck mangele175 – verwunderlicherweise wird hieraus aber nicht der Schluß gezogen, daß die Deutung des Erbrechts als funktionales Vermögensrecht letztlich doch nicht greift. Demgegenüber wird hier gezeigt werden, daß sich § 2065 BGB sehr wohl auf einen verständigen Gedanken zurückführen läßt176. Ist dem so, spricht nichts dafür, die Testierfreiheit auf das Eigentum zurückzuführen, da diese Rückführung für den konkreten Normbestand des BGB einfach zu abstrakt wäre. Aus all dem kann nur der Schluß gezogen werden, daß eine Legitimation der Testierfreiheit aus dem Eigentum es nicht bewerkstelligt, den Normbestand des gewillkürten Erbrechts insgesamt systematisch kohärent als Recht auszuweisen und deshalb für eine Erklärung der konkret im Bürgerlichen Gesetzbuch ausgeformten Testierfreiheit untauglich ist.

III. Rechtfertigung des Erbrechts und Rechtfertigung des Eigentums: Zur Genese der Rechtfertigungssemantik Die bisherigen Überlegungen haben gezeigt, daß eine Rechtfertigung des gewillkürten Erbrechts aus dem Eigentum fehlschlägt, wenn es um die Mühe geht, den geltenden Normbestand systematisch kohärent als Recht auszuzeichnen. Um die hiesige These quasi doppelgleisig zu stützten wird im folgenden nachgewiesen, daß eine Rückführung des Erbrechts auf das Eigentum selbst dann nicht überzeugt, wenn den bisherigen Überlegungen nicht gefolgt werden würde. Denn die Verknüpfung von Erbrecht und Eigentum verfängt auch deshalb nicht, weil die Rechtfertigung des Eigentums auf der einen und der intergenerationale Vermögenstransfer auf der anderen Seite auch ganz allgemein nur schwer miteinander zu verbinden sind. Anders gesagt: Um das objektive Erbrecht und die die Testierfreiheit regelnden Normen kohärent und konsistent als fortgesetztes Eigentum und fortgesetzte Eigentümerfreiheit begreifen zu können, müßte es mit den Theorien kompatibel sein, mit denen das Eigentum und die die Eigentümerfreiheit regelnden Normen gerechtfertigt werden können – denn dann und nur dann nimmt das Erbrecht und die Testierfreiheit zugleich an der inneren Rechtfertigung des Eigentums und der Eigentümerfreiheit teil. Für die kohärente Deutung des gewillkürten Erbrechts als fortgesetztes Eigentum kommt man daher nicht umhin, sich mit der inneren Rechtfertigung des Eigentums zu beschäftigen. Nun ist das Eigentum eine grundlegende Institution der Gesellschaft und des Rechts. Dessen innere Rechtfertigung stellt daher eines der differenziertesten Kapitel der Ideengeschichte der politischen Phi175 176

Zimmermann, „Quos Titius voluerit“, 53 ff. Siehe unten § 11 III 3 b.

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losophie dar. Die historische Genese der eigentumsbezogenen Rechtfertigungssemantik kann hier mit Blick auf die allein interessierende Problemstellung, ob und inwiefern die Testierfreiheit – wenn sie denn als Fortsetzung der Eigentümerfreiheit konzipiert wird – an der inneren Rechtfertigung des Eigentums und seiner Freiheit Anteil hat und haben kann, im einzelnen dahingestellt bleiben; kurze Fingerzeige genügen deshalb. 1. Okkupation und Arbeit: Die frühen eigentumstheoretischen Rechtfertigungsdiskurse Am Beginn der ideengeschichtlichen Diskussion177 standen Fragen nach dem Vorrang des Privateigentums oder der Gütergemeinschaft im Vordergrund der Überlegungen. Die antike und mittelalterliche Philosophie entwickelte zu diesem Problemkreis die Vorstellung, die „prima occupatio“ herrenloser Güter rechtfertige in einem hinreichenden Maße die Entstehung des gütergemeinschaftlichen, nicht aber des privaten, individuellen Eigentums; letzteres sei allein Gegenstand positivrechtlicher Gewährung178. Diese unter der Bezeichnung „Okkupationstheorie“ in der Folgezeit auch in der frühen Neuzeit179 unumwunden herrschend gewordene, in vielfältigen Varianten180 entfaltete Eigentumslehre wurde mit dem Erstarken des frühneuzeitlichen Absolutismus mehr und mehr unerquicklich, da die Okkupationstheorien ja durchweg die Möglichkeit einer staats-unabhängigen, vorpositiven Rechtsgründung (privaten) Eigentums leugneten181. Das Schwergewicht der eigentumstheoretischen Erwägungen verlagerte sich deshalb in der allmählichen Entwicklung der im 17. Jahrhundert entstehenden vorindustriellen Marktgesellschaft von der einstmals die Diskussion bestimmenden Frage von Privateigentum oder Gütergemeinschaft auf die Frage, welche Eingriffsbefugnisse dem Staat hinsichtlich des Eigentums seiner Bürger zukomme: Eigentum wurde zum bürgerlichen Eigentum und zur materiellen 177

Siehe allg. zur Entwicklung der Eigentumslehren den geschichtlichen Überblick bei Dieter Schwab, in: Brunner (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, 65 (79 ff.). 178 Zur antiken und mittelalterlichen Philosophie des Eigentums Brocker, Arbeit und Eigentum, 30 ff., 35 ff. 179 Zur Diskussion in der spanischen Spätscholastik, den Überlegungen der protestantischen Naturrechtslehre des 16. Jahrhunderts von Grotius und Pufendorf sowie den Erörterungen in England des 16. und des beginnenden 17. Jahrhunderts einschließlich der Ideenwelt von Thomas Hobbes siehe Brocker, Arbeit und Eigentum, 45 ff., 57 ff., 83 ff. 180 Dazu Brocker, Arbeit und Eigentum, 113 ff., der in dieser historischen Situation der eigentumstheoretischen Unübersichtlichkeit mit einen der Gründe für den für ihn als Paradigmenwechsel angesehenen Umschwung zur Eigentumsttheorie von John Locke sieht. 181 Brocker, Arbeit und Eigentum, 20 f., 26.

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Grundlage bürgerlicher Existenz umgedeutet. Dieses dem Belieben des Eigentümers überantwortete bürgerliche Eigentum wurde im 17. Jahrhundert sowohl hinsichtlich seines bloßen Vorhandenseins als auch der Art und Weise seiner Verteilung ein umstrittener Gegenstand der politischen Philosophie. Es war John Locke, der die Diskussion der Zeit zu einer vollkommenen Umkehr in der Rechtfertigungslehre des Eigentums bewegen konnte182. Locke rechtfertigte im zweiten seiner Two Treatises183 das Eigentum durch die Erwägung, durch die für einen Gegenstand aufgewendete Arbeit füge der Arbeitende dem Gegenstand etwas von seiner unantastbaren Persönlichkeit hinzu und eigne ihn sich hierdurch an. Nunmehr stand im Vordergrund nicht mehr die religiös motivierte Gütergemeinschaft oder irgendwelche vertraglichen Eigentumskreationen, wie sie noch bei Grotius und Pufendorf beobachtet werden konnten, sondern die Verklammerung von Person/Arbeit und Sache in einem gemeinsamen Entfaltungsbereich der Persönlichkeit. Diese „Arbeitsstheorie des Eigentums“ beherrschte im weiteren die Diskussion ähnlich, wie es der Okkupationstheorie vor der Lockeschen Revolution beschieden war – was angesichts der Tatsache nicht überraschen kann, daß es Locke in seiner Eigentumstheorie gelungen war, vor dem Hintergrund eines Schubes in Richtung auf eine funktionale Ausdifferenzierung des Gesellschaftssystems seiner Zeit184 die leitenden Postulate der bürgerlichen Freiheitsbewegung zu formulieren185 und das Naturrecht in dieser Weise zu subjektivieren186. Die Gründung von Eigentum in Arbeit ging im folgenden in den ehernen Theorienbestand der neuzeitlichen Rechtsphilosophie und der (wenigen) Naturrechtssysteme des 19. Jahrhunderts ein und empfahl sich auch im Fortschritt der Entwicklung vom Merkantilismus zum entfalteten kapitalistischen Wirtschaftssystem als Grundlegung eigentumsrechtlichen Denkens187.

182 Brocker, Arbeit und Eigentum, passim, stellt die These auf, daß in der Lockeschen Wende innerhalb der Eigentumslehre ein echter Paradigmenwechsel im Kuhnschen Sinne zu erblicken sei. 183 Siehe dort das 5. Kapitel: Locke, Zwei Abhandlungen, §§ 25 ff. 184 Luhmann, in: ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 2, 45 (60). 185 Brocker, Arbeit und Eigentum, 281 f., legt demgegenüber den Schwerpunkt der Erklärung für den überwältigenden Erfolg der Lockeschen Theorie nicht allein auf ihrer Attraktivität für das aufstrebende Bürgertum, sondern vor allem auf ihren theoretischen Gehalt, da die Arbeitstheorie gegenüber der Okkupationstheorie eine ungleich plausiblere und konsistentere Erklärung für das private Eigentum liefere. 186 Dazu Luhmann, in: ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 2, 45 (60 ff.). 187 Zur Rezeptionsgeschichte Lockes siehe Brocker, Arbeit und Eigentum, 299 ff.; Dieter Schwab, in: Brunner (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, 65 (81, 85, 111).

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2. Eigentum als praktische Vernunftidee: Die Verbindung von Eigentum und dem Kantischen allgemeinen Gesetz der Freiheit Die Arbeitstheorie Lockes erhielt in ihrer eigentumstheoretischen Wirkungskraft mithin einen überaus weiten Zuspruch. Hieran konnte auch die ihr gewidmete vehemente Kritik Kants nichts ändern. Kant188 ging von der „communio possessionis originaria“189 aus, die er nicht als einen empirischen Zustand, sondern als eine gedankliche Konstruktion begriff. In dieser communio hatte jedermann ein Recht auf eine ursprüngliche Erwerbung und konnte demzufolge herrenlose Gegenstände okkupieren. Damit war aber keineswegs eine Rückkehr zum Leitgedanken der alten Okkupationstheorien verbunden190, wie dies zeitgenössische Reaktionen auf Kant nahelegen. Vielmehr läßt Kant den eigentumsbegründenden Titel der Okkupation auf dem a priori vereinigten Willen aller beruhen; Eigentum ist damit als Rechtsinstitut eine praktische Vernunftidee191. Danach hat zwar einerseits jedermann das „äussere Mein und Dein“192 als Eigentumsrecht rechtlich verbindlich zu respektieren. Andererseits darf eine Okkupation nur stattfinden, wenn die darin liegende Freiheitsausübung des Okkupierenden sich mit den Freiheiten all jener unter einem allgemeinen Gesetz der Freiheit vereinbaren läßt, die durch diese ursprüngliche Erwerbung in ihrer eigenen Freiheit eingeschränkt worden sind – und dies sind aufgrund des mit dem Eigentumserwerb verbundenen Auschlusses vom Gebrauch alle anderen Rechtsgenossen. Kant bindet also das Eigentum nicht wie die alten Okkupationstheorien in die Annahme eines ausdrücklichen oder stillschweigenden Vertrages, sondern in das allgemeine Rechtsgesetz ein, nach welchem „die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann“193, 194. Das Kantische Eigentumsmodell der wechselseitigen Verträglichkeit der Freiheitssphären verweist damit nicht nur auf die Vorläufigkeit des Okkupationserwerbs und 188 Zur Kantischen Eigentumslehre siehe Kersting, Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrags, 185 ff.; Hecker, Eigentum als Sachherrschaft, 184 ff.; Schmidlin, in: Holzhey/Kohler (Hrsg.), Eigentum und seine Gründe, 47 (52 ff.); Ralf Dreier, ARSP 1987, 159 (163 ff.); Hespe, Hegel-Jahrbuch 1993/94, 102 (103 ff.). 189 Kant, Metaphysik der Sitten, 373. 190 Dazu Baumann, Kant-Studien 85 (1994), 147 (151 ff.). 191 Ralf Dreier, ARSP 1987, 159 (165). 192 Kant, Metaphysik der Sitten, 357. 193 Kant, Metaphysik der Sitten, 337. 194 Dazu Schmidlin, in: Holzhey/Kohler (Hrsg.), Eigentum und seine Gründe, 47 (57 f.); Kersting, Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrags, 186; Baumann, Kant-Studien 85 (1994), 147 (149 ff.).

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den Vorbehalt der Änderung der Eigentumsverfassung durch das (als Ausdruck des allgemeinen Gesetzes der Freiheit in der Republik verstandene) allgemeine Gesetz195, sondern und vor allem auf Eigentum als Residuum der Freiheit im Bereich der äußeren Dinge – ein Legitimationsstrang, auf den noch zurückzukommen sein wird. 3. Eigentum, Person und Arbeit: Die entfaltete Legitimationssemantik des Eigentums Die Lockesche Theorie setzt demgegenüber nicht am allgemeinen Gesetz der Freiheit, sondern an der Person des einzelnen Eigentümers an: Sie enthält in ihrem Kern ein „Subjektivierungsmodell“196, nach dem mit der im Gegenstand investierten Arbeit die Rechtsqualität der Person auf den Gegenstand übertragen wird und damit an der personalen Substanz des Individuums teil hat197. Die Unantastbarkeit des Eigentums wird auf diese Weise in der Unantastbarkeit der Person selbst begründet198. Mit diesem Subjektivierungsmodell erhielt die Rezeption des Arbeitsgedankens eine eigentümliche Kraft, die ihn auch für andere Denksysteme annehmbar werden ließ. In der Folgezeit adaptierten denn auch nicht nur der Deutsche Idealismus in der Gestalt Fichtes und Hegels, sondern etwa auch Schopenhauer, der junge 195

Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, 63 ff. Die Interpretation der Kantischen Eigentumslehre ist hier umstritten. Vor allem Saage, Eigentum, Staat und Gesellschaft bei Immanuel Kant, 7 ff., ders., Leviathan 26 (1998), 243 (244 ff.), vertritt die Auffassung, bei Kant trete die Tradition des liberalbürgerlichen Besitzindividualismus zur vollen Blüte, so daß er primär die Eigentumsverteilung im bürgerlichen Zustand (also im Auftreten des Staats) gegen Eingriffe des Staates verteidige. Demgegenüber bestehen – in einer Linie mit den Gedanken der Neukantianer der Marburger Schule um Hermann Cohen – insbes. Luf, Freiheit und Gleichheit, 95, 124 ff., 147 f.; Kühl, Eigentumsordnung als Freiheitsordnung, 203 ff., 277 ff.; ders., FS Wolff, 273 (280 ff.); und jüngst Wildt, ARSP 1997, 159 (172 f.), darauf, der Kantischen Eigentumslehre seien sozialstaatliche Momente immanent. Zum Gesamtproblem siehe Nicolaus, ARSP 1996, 212; Kersting, ebda., 60 ff. Klippel, Politische Freiheit und Freiheitsrechte, 108 ff.; Maus, Zur Aufklärung der Demokratietheorie, 23 ff. Ralf Dreier, ARSP 1987, 159 (167 f.), weist zu Recht darauf hin, daß der Streit sich entschärft, wenn die Idee der Universalisierung, auf der die Kantische Rechtslehre ja beruht, in ihrem Gerechtigkeitsgehalt ernst genommen wird. Denn im demokratischen Prozeß beschlossenen Gesetz, in dem das allgemeine Gesetz der Freiheit im Verfassungsstaat erst Inhalt und Wirkung erhält, wird sich eine Änderung derjenigen gesetzlichen Regelungen, die das Eigentum betreffen, der Idee nach als Ausdruck einer allgemeinen Gesetzgebung erweisen, ebenso Kersting, ebda., 66 f. Siehe dazu allg. Kersting, Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrags, 187; ders., Wohlgeordnete Freiheit, 175 ff.; Morgenthaler, Freiheit durch Gesetz, 113 f.; Pawlowski, AcP 165 (1965), 395 (402 ff.). 196 Kersting, ARSP 1981, 157 (166). 197 Kersting, ARSP 1981, 157 (166). 198 Brocker, Arbeit und Eigentum, 306.

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Marx und die Politische Ökonomie der englischen Klassik die Lockesche Verklammerung von Arbeit und Eigentum199; im deutschen Liberalismus in Gestalt v. Rottecks erschien das Eigentum schließlich als Persönlichkeitsrecht200. Es gelang damit ein für die damalige Zeit weithin überzeugender Zusammenschluß von Eigentum und Freiheit. Im hegelschen Diktum vom Eigentum als äußere Sphäre der Freiheit, die sich die Person geben muß, um als Idee zu sein201, kommt dieser Zusammenschluß – ungeachtet der gegenüber dem Lockeschen Liberalismus so gänzlich anderen Anlage der hegelschen Vernunftsmetaphysik202 – prominent zum Ausdruck. Im „Eigentum als dem Dasein der Persönlichkeit“203 und in der drastischen Sentenz „In dem Eigentum ist die Person mit sich selbst zusammengeschlossen“204 fand die individualistische Begründung des Eigentums als Inkarnation menschlicher Freiheit205 ihren emphatischen Höhepunkt206: Das Sachenrecht wird zum persönlichen Recht207 und die Sache zu einem „Stück Persönlichkeit“208. Dem neuzeitlichen Lockeschen Lob der Arbeit 199

Dazu die Übersicht bei Brocker, Arbeit und Eigentum, 306 ff. Rotteck-Welcker, Staatslexikon, Bd. 4, 629. Den Hinweis auf Carl v. Rotteck verdanke ich Dieter Schwab, Einführung in das Zivilrecht, 4. Aufl., 1980, 39; ders., in: Brunner (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, 65 (82). Zur Entwicklung ansonsten siehe Hecker, Eigentum als Sachherrschaft, 222 ff. 201 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Recht, § 41, § 44. 202 Dazu im Zusammenhang von Person und Eigentum Meyer, in: Holzhey/Kohler (Hrsg.), Eigentum und seine Gründen, 69 (75 ff.); Luhmann, Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 3, 11 (59 f.); Hösle, Hegels System, 491 ff. Ralf Dreier weist daraufhin, daß aufgrund dieser anderen Theorieanlage die Bedeutung der Arbeit für die Rechtfertigung des Eigentums bei Hegel deutlich gemindert ist, Dreier, ARSP 1987, 159 (170). 203 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 51. 204 Hegel, Enzyklopädie, § 490. 205 Joachim Ritter hat das Verhältnis der Personen zueinander, welches sich im Eigentum zeigt, und das hierin aufschimmernde Rechtsprinzip von Person und Eigentum einmal damit umrissen, daß dieses Prinzip „die Idee der Freiheit im Verhältnis zu allen Menschen als Personen zur Existenz (bringt)“, ders., in: ders., Metaphysik und Politik, 256 (278). 206 Siehe hierzu nur Ritter, in: ders., Metaphysik und Politik, 256 (266 ff.); Brocker, Arbeit und Eigentum, 314 ff. Ob in der Hegelschen Verklammerung von Person und Eigentum eine Versachlichung aller Beziehungen von Person zu Person enthalten ist, erscheint hierbei durchaus fraglich. Denn Hegel konzipiert die Person ja als die bloße, von allen Zwecken abstrahierende Selbstbestimmung des Subjekts, so daß gerade in der Beziehung der Person auf Gegenstände diese Abstraktion erhalten werden kann. 207 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 40; dazu nur Dieter Schwab, in: Brunner (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, 65 (82). Dieser Gedanke wurde in der Dogmengenese mit bestimmend für die Ablehnung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch v. Savigny, siehe Fezer, Teilhabe, 266 ff. 208 So beim Neuhegelianer Julius Binder, Philosophie des Rechts, 472. 200

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wird also eine idealistische Verklammerung von Freiheit und Eigentum zur Seite gestellt, in der Freiheit allerdings anders als bei Locke nicht als Voraussetzung, sondern als Resultat eigentumsschaffender Arbeit aufscheint209. Zugleich werden mit Kant und Hegel aber auch die Grundlagen der Lockeschen Theorie mehr und mehr verlassen: Während Locke den Rechtsbegriff noch im naturnotwendigem Zweck der Selbsterhaltung gründete, ist für Kant und Hegel der Rechtswille konstitutiv, äußere Gegenstände als Gegenstände betrachten zu müssen, in denen sich die Freiheit des Rechtssubjekts niederschlägt210. Der damit eingeschlagene Weg zum freiheitsgegründeten Eigentum wird in der Folgezeit das Leitmotiv heutigen Eigentumsdenkens. Das Bundesverfassungsgericht, der Bundesgerichtshof211 und die moderne Verfassungsrechtslehre griffen vor diesem Hintergrund den Arbeitsgedanken allgemein 212 oder im Rahmen der Judikatur zur Eigentumsfestigkeit öffentlich-rechtlicher Rechtspositionen213 – neben dem Kapitalaufwand als weitere Eigentumsquelle214 – auf215 und unterstrichen damit in einer 209 Hegel achtet den Besitz an einer Sache demgemäß hoch, da er durch den Prozeß der Verarbeitung eigentumsbegründend wirken kann. Er setzt sich damit von der eher restaurativen Savignyschen Lehre ab, nach der der Besitz als bloßes Faktum ohne rechtliche Folgen sei. In den politischen Umwälzungsprozessen seiner Zeit im Gefolge der Nachwirkungen der Französischen Revolution war in dem Hegelschen Ansatz mithin ein großer, gegen die Relikte feudaler Rechte gerichteter Sprengsatz begründet, dazu siehe De Zan, Hegel-Jahrbuch 1998, 44 (45 ff.), dort auch zu den Unterschieden gegenüber der Lockeschen Eigentumslehre. Zur Hegelschen Eigentumstheorie siehe ansonsten Brocker, Arbeit und Eigentum, 314 ff. 210 Zu dieser These Hespe, Hegel-Jahrbuch 1993/94, 102 (108). 211 BGHZ 6, 270; zu dieser Entscheidung siehe Rittstieg, Eigentum als Verfassungsproblem, 291 ff., 294 ff. 212 BVerfGE 1, 264 (277 f.); 4, 219 (242 f.); 24, 220 (226); 30, 335; 31, 229 (239, 240 f., 243); 53, 257 (291 f.); 97, 350 (371); v. Mangoldt/Klein-Depenheuer, Art. 14 Rn. 2, 13 (anders ders., FS Leisner, 277 (281 f.), mit ausdrücklicher Ablehnung des Arbeitsgedankens mit Berufung auf die Eigentumslehre Kants); Friauf, in: Gemper (Hrsg.), Marktwirtschaft, 438 (446); Leisner, Verfassungsrechtliche Grenzen, 39, 41 und öfters; ders., in: FS Jahrreiß, 135 (141); ders., in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, § 149 Rn. 85 ff.; aus der Sachenrechtslehre siehe Harry Westermann, Sachenrecht, 116 (Verweis auf Arbeit und Eigentum fehlt in der 6. Aufl. 1990); allg. zum Zusammenhang von Freiheit, Eigentum und Arbeit Häberle, VVDStRL 30 (1972), 43 (85 f., 101 f.); ders., JZ 1984, 345 (354 ff.). 213 BVerfG 2, 380 (399 ff.); 3, 58 (153); 14, 288 (294); 18, 392 (397); 22, 241 (253); 45, 142 (170); 48, 403 (412 f.); 53, 257 (291 f.); 58, 81 (112); 69, 272 (300 ff.); 72, 175 (193); v. Mangoldt/Klein-Depenheuer, Art. 14 Rn. 76 f., 281, im Widerspruch zu Rn. 2. 214 Dazu nur BVerfGE 1, 264 (277 f.). 215 Nicht nur Rechtsprechung und Literatur verweisen auf den Arbeitsgedanken, vielmehr findet sich auch im positiven Recht ein klarer Hinweis auf die rechtfertigende Kraft der Arbeit: Art. 161 II der Bayerischen Landesverfassung führt aus,

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menschenrechtlichen Interpretation die personale und freiheitssichernde Funktion des Eigentums; der noch die frühneuzeitliche politische Philosophie bestimmende Okkupationsgedanke zur Rechtfertigung des Eigentums ging ein für allemal verloren. Der freiheitstheoretische Diskurs zur Legitimation des Eigentums löste sich parallel zu dieser menschenrechtlich motivierten Entwicklung schlußendlich mehr und mehr auch von der arbeitstheoretischen Ausgangsbasis ab, ohne indes – insbesondere hinsichtlich der prekären Frage zum Verhältnis von Kapital und Arbeit – das arbeitstheoretische Vokabular vollständig aufzugeben216. In der entwickelten Marktgesellschaft des 20. Jahrhunderts wurde das bürgerliche Eigentum schließlich als Ausdruck eines personalen Freiheitsraums im vermögensrechtlichen Bereich erachtet und damit als Ermöglichungsgrund personaler Entfaltung endgültig in der Personalität der Rechtsperson selbst verortet217. Im Hinblick auf die in komplexen und hoch arbeitsteiligen Gesellschaften zunehmend unglaubwürdiger werdende Arbeitstheorie wird zugestanden, „daß die heutige Rechts- und Wirtschaftsordnung in vielen Bereichen den Eigentumserwerb ohne eigene Arbeit und Leistung durchaus anerkennt“218. Damit liegen die beiden Legitimationsstränge klar zu Tage, die auch heute noch den Diskurs um die innere Rechtfertigung des Eigentums bestimmen: Arbeit und Person stellen die normativen Chiffren bereit, die es dem Rechtsdiskurs der Moderne erlauben, das bürgerliche Eigentum mit einem menschenrechtlichen Gestus als legitimen Bestandteil einer freiheitlichen Ordnung des grundgesetzlichen Verfassungsstaats auszuweisen.

§ 6 Erbrecht als fortgesetztes Eigentum: systematische Kritik Der kurze Abriß der historischen Genese des Legitimationsdiskurses zum Eigentum hat gezeigt, daß Arbeit und Person heute nicht nur historisch, sondern auch rechtfertigungstheoretisch als die Losungen angesehen werden, unter denen es gerechtfertigt ist, Eigentum nicht nur – wie in der Gedaß Steigerungen des Bodenwerts, welche ohne besonderen Arbeits- und Kapitalaufwand des Eigentümers entstanden sind, für die Allgemeinheit nutzbar zu machen sind. 216 So wurde etwa bei Leisner, Sozialbindung des Eigentums, 123, der Arbeitsbegriff auf den Kapitaleinsatz ausgedehnt, was Brocker, Arbeit und Eigentum, 562 Fn. 280, zur Bemerkung veranlaßte, hier würde reine Sophistik betrieben. 217 Radbruch, Rechtsphilosophie, Gesamtausgabe Bd. 2, 370, weist darauf hin, daß die persönlichkeitstheoretische Verankerung des Eigentums gegenüber der Arbeitstheorie nicht nur eine Antwort auf die Frage gibt, wer Privateigentümer sein soll, sondern auch auf die Frage nach der Rechtfertigung des Eigentums überhaupt. 218 Andersen, Problem der Wandlung des Eigentumsbegriffs, 254; ähnlich Rittstieg, Eigentum als Verfassungsproblem, 373.

§ 6 Erbrecht als fortgesetztes Eigentum: systematische Kritik

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sellschaftstheorie Luhmanns – als sozial stabilisierte Gewalt einer Kommunikationsunterbrechung, sondern als freiheitliches Recht zu verstehen. Was folgt hieraus für die Rechtfertigung des gewillkürten Erbrechts?

I. Die historische Trias: Erbrecht – Eigentum – Arbeit Auf Arbeit und Person gilt es nunmehr das gewillkürte Erbrecht zu beziehen. Hier wird sich zeigen lassen, daß weder der Rekurs auf die Verklammerung von Eigentum und Arbeit, noch der Verweis auf die personalen Grundlagen des Eigentums geeignet sind, den Normbestand der bürgerlichrechtlichen Testierfreiheit kohärent zu deuten. Zunächst soll nur die Trias von Erbrecht, Eigentum und Arbeit betrachtet werden219. Diesbezüglich fällt eines sofort ins Auge: Der erbrechtliche Erwerb wird ohne Aufwand eigener Arbeitskraft des Erben ins Werk gesetzt. Mit Blick hierauf stellte sich schon die liberale politische Theorie des 19. Jahrhunderts die Frage, wie der erbrechtliche Erwerb überhaupt gerechtfertigt werden könne220. Die Frage ist ja nicht unwichtig. Denn läßt sich der erbrechtliche Erwerb nicht rechtfertigen, kann der Normbestand des gewillkürten Erbrechts aussehen, wie er will; geltungstheoretisch wäre in diesem Falle einigermaßen unbeachtlich, was der Gesetzgeber konkret angeordnet hat – ganz gleich, was es wäre, Recht wäre es nicht. Wird nun Eigentum auf Arbeit und das Erbrecht auf Eigentum gegründet, wird das Erbrecht letztlich ebenfalls auf die Rechtfertigungssemantik der Arbeit gestützt. Ob diese Rechtfertigung des Erbrecht durch die Kategorie der Arbeit gelingen wird, ist eine durchaus umstrittene Frage. Die Lockesche Theorie gibt Interpretationsmöglichkeiten für eine Antwort sowohl in die eine wie in die andere Richtung. Locke selbst geht an mehreren Stellen seiner Zweiten Abhandlung ohne weiteres davon aus, ererbtes Eigentum sei gerechtfertigtes Eigentum221. Die Frage ist nur: Ist dies in sich konsistent? Um diese Frage zu beantworten, können zwei Lesarten Lockes unterschieden werden:

219 Zum Zusammenhang von Erbrecht, Eigentum und Person siehe im folgenden zusammenfassend unter § 6 V. 220 Der Verweis auf die Delegitimation des Privaterbrechts aufgrund der fehlenden arbeitstheoretischen Grundlage des Erwerbs ist ein schon im 19. Jahrhundert hervorgehobener Gedanke, dazu Klippel, ZRG Germ. Abtl. 101 (1984), 117 (156 ff.), der im übrigen auch liberalen Geistern wie John Stuart Mill nicht fremd war, siehe Schröder, Abschaffung, 368. 221 Siehe Locke, Zwei Abhandlungen, §§ 72 f., 119, 190 der zweiten Abhandlung.

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Kap. 2: Diskussion der bisherigen Ansätze zur Testierfreiheit

1. Die erste Lesart Lockes: Rechtfertigung des Erbrechts als Institution, nicht des konkreten bürgerlich-rechtlichen Normbestands Wer der Ansicht ist, eine innere Rechtfertigung des Erbrechts sei der Arbeitstheorie geglückt, wird durchweg den Schwerpunkt der Interpretation Lockes auf ein bestimmtes Verständnis einer bestimmten Differenzierung innerhalb des Lockeschen Naturzustands legen222. Danach wäre die Notwendigkeit, Eigentum nur durch Arbeit an einer Sache erwerben zu können, auf den anfänglichen Naturzustand beschränkt, welcher den Warenaustausch über Geld noch nicht kennt. In diesem ersten Stadium des Naturzustands sind die Menschen gehalten, nur soviel Gegenstände zu bearbeiten, wie sie für den eigenen Bedarf benötigen223. Diese Beschränkungen (Erwerb nur qua Arbeit; Beschränkung auf den eigenen Bedarf) sollen aber nicht mehr für die Geldwirtschaft gelten, welche sich nach Locke schon im Naturzustand aufgrund der natürlichen Vernunft des Menschen entwickelt hätte und durch eine stillschweigende Zustimmung (Gesellschaftsvertrag)224 implementiert worden sei und welche schon das Institut der Lohnarbeit kennen würde. Da die Geldwirtschaft zudem zu einer Verbesserung der Lebensumstände der Besitzlosen führen würde225, ließ Locke für die Geldwirtschaft seine ursprüngliche Naturrechtsregel fallen, nach der jeder nur so viel sein Eigen nennen dürfe, wie er nutzen könne226. Jeder durfte also nunmehr Eigentum erwerben, soweit es seine Finanzmittel zuließen. Im Laufe der Zeit wird dann jeglicher Grund und Boden in Eigentum genommen. Innerhalb des zweiten Stadiums des Naturzustands kommt es zu einer entscheidenden Weichenstellung in der Rechtfertigungsdogmatik227: Im ersten Stadium des Naturzustands, also im Entwicklungsstand der Naturalwirtschaft vor der Einführung des Geldes und der daraus folgenden Inbesitznahme allen Bodes, bedeutet jede Arbeit die Aneignung des Bearbeiteten als eigen. Sobald sich die Menschen aber auf die Einführung des Geldes geeinigt hätten, wird der Boden in diesem zweiten Stadium des Natur222 Hierfür soll paradigmatisch die Locke-Interpreation von Macpherson stehen. Dazu und zum folgenden Macpherson, Die politische Theorie des Besitzindividualismus, 229 ff. 223 Locke, Zwei Abhandlungen, § 31 der zweiten Abhandlung. Dazu Macpherson, Die politische Theorie des Besitzindividualismus, 225 ff.; Brocker, Arbeit und Eigentum, 202 ff. 224 Locke, Zwei Abhandlungen, § 36 aE der zweiten Abhandlung. 225 Macpherson, Die politische Theorie des Besitzindividualismus, 238 ff. 226 Locke, Zwei Abhandlungen, § 36 der Zweiten Abhandlung. 227 Dazu Macpherson, Die politische Theorie des Besitzindividualismus, 262 ff.; Rittstieg, Eigentum als Verfassungsproblem, 78; Holzhey, in: ders./Kohler (Hrsg.), Eigentum und seine Gründe, 19 (26 ff.); Luhmann, Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 3, 11 (36 ff.); Ralf Dreier, ARSP 1987, 159 (162).

§ 6 Erbrecht als fortgesetztes Eigentum: systematische Kritik

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zustands in Gänze aufgeteilt, wobei einige leer ausgehen. Diese wiederum können nicht im ursprünglichen Sinne „arbeitsam“ und „vernünftig“ sein, da die Aneignung des Bodes durch Bearbeitung nun selbst im Naturzustand nicht mehr möglich ist und sie durch ihre Zustimmung zur Geldwirtschaft in diese mißliche Lage mit eingewilligt hätten228. In diesem zweiten Stadium des Naturzustands ist es demnach gerechtfertigt, sich Boden anzueignen, um ihn – unter Aneignung des Mehrprodukts der Arbeit der arbeitsvertraglich229 mit dem grundbesitzenden Eigentümer verbundenen Nichtbesitzenden – als Kapital zur weiteren Akkumulation von Boden zu verwenden230. Damit wird bei der im zweiten Stadium des Naturzustands gelungenen Trennung von Arbeit und Appropriation eindeutig stärker die kapitalmäßige Aneignung gerechtfertigt. Die spezifisch kapitalistische Appropriation von Boden und Geld und die dadurch hervorgerufene ungleiche Verteilung des Grundeigentums wurden mithin zum natürlichen Recht231 und die Klassenunterschiede im England des 17. Jahrhunderts zur notwendigen Folge verschiedener natürlicher Rechte232. Im Endeffekt ist Lockes Theorie daher ein vornehmliches Mittel nicht nur zur Rechtfertigung des Eigentums, sondern auch der uneingeschränkten individuellen Appropriation233. Wenn die Erbschaft über das für den eigenen Bedarf Benötigte hinaus geht, ist das Erbrecht nach dieser Lesart der Arbeitstheorie mithin durch die im Naturzustand erfolgende stillschweigende Zustimmung zur Einführung des Geldes gerechtfertigt. Dies ist bisher erst eine Rechtfertigung des Instituts Erbrecht im Kontext der neuzeitlichen politischen Philosophie liberalistischer Prägung. Doch läßt sich hiermit auch der konkrete Normbestand des heutigen gewillkürten Erbrechts als kohärentes Recht ausweisen234? 228 So die umstrittene Locke-Interpretation von Macpherson, Die politische Theorie des Besitzindividualismus, 250 ff.; kritisch hierzu Rittstieg, Eigentum als Verfassungsproblem, 81 ff., 84. 229 Dazu Brocker, Arbeit und Eigentum, 218 ff. 230 Macpherson, Die politische Theorie des Besitzindividualismus, 264. 231 Macpherson, Die politische Theorie des Besitzindividualismus, 235. 232 So zumindest die „ideologie-kritische“ Locke-Deutung von Macpherson, Die politische Theorie des Besitzindividualismus, 250 ff. Zu dieser Interpretation siehe Kersting, Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrags, 125 f. mit Fn. 6 ebda.; Luhmann, Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 3, 11 (37 f.). 233 So ausdrücklich Macpherson, Die politische Theorie des Besitzindividualismus, 249. 234 Nochmals sei darauf hingewiesen, daß es hier nicht darum geht, den geltenden Normbestand aus den Dogmen des Naturrechts quasi zu deduzieren. Es steht vielmehr eine geltungstheoretische Ebene zur Rede, die dem Streit um Naturrecht oder Rechtspositivismus vorausliegt. Denn sowohl diejenigen, die für naturrechtliche Deduktionen aus vorpositiven Rechtssätzen votieren, als auch strikte Rechtspositivismen, die wie etwa Kelsen von einer Grundnorm ausgehen, welche sich

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Hieran bestehen zumindest deutliche Zweifel. Nach Locke können nur noch diejenigen, die nach der Beendigung des ersten Stadiums des Naturzustands Eigentum erworben haben und nicht leer ausgegangen sind, im zweiten Stadium arbeitsam und vernünftig im Sinne des Naturzustands sein. Im zweiten Stadium des Naturzustands wird die oben schon erwähnte Beschränkung des Eigentumserwerbs auf den eigenen Bedarf auf die Bedürfnisse der Geldwirtschaft zugeschnitten. Nun heißt es, es dürfe kein verwertbares Naturprodukt ungenutzt verrotten, welches gegen Geld eingetauscht werden könne235. Dies steht in einer Linie mit dem weiteren Gebot, daß diejenigen, die im zweiten Stadium des Naturzustands arbeitsam und vernünftig sein können (mithin die Grundeigentümer), dies auch sein müssen und demgemäß ihren Anlagen und Fähigkeiten gemäß zu arbeiten hätten236. Ob hier Derivate einer protestantischen Arbeitsethik zu Tage treten237, mag dahin gestellt sein; jedenfalls focussiert Locke die „Fleißigen und Verständigen“238 als die einzig annehmbaren Eigentümer. Ist dem so, wird eine Rechtfertigung einer weitgehenden Herrschaft des erblasserischen Willens schwerfallen. Denn warum soll das Testament etwa aus Sicht des Testierenden heraus ausgelegt werden, wenn die Erben sich dadurch in einer sachgerechten Nutzung des von Todes wegen erworbenen Eigentums zwar nicht gehindert, wohl aber – etwa bei einem unklaren Testament – verunsichert sehen239? Das gesamte Lockesche System ist doch darauf angelegt, die ungleich verteilte private Appropriation durch die individuelle Arbeitsleistung, durch die „verschiedenen Stufen des Fleißes“240, zu rechtfertigen241. Wieso soll hier die Herrschaft von kalter Hand den vollen Einsatz der individuellen Arbeitsleistung hintertreiben dürfen? Wenn man dem nicht zu folgen gewillt ist, kann nur noch gesagt werden, die darauf beschränkt, einen bestimmten menschlichen Willen zu ermächtigen, ohne inhaltlich Entscheidungen in sich aufgenommen zu haben, stehen vor der Frage, wie ihr Gesetz kohärent als Recht verstanden werden kann, wenn beide den Ausgangspunkt akzeptieren, im demokratischen Staat müsse das Gesetz allgemein zustimmungsfähig sein. Ist dem so, ist die Forderung nach Einbindung des Gesetzes in ein kohärentes System des Rechts für den Naturrechtler ein Erkenntnisproblem: Wie erkenne ich das in den obersten Normen eingeschlossene kohärente System, während es für den Rechtspositivisten sich als Erklärungsproblem darstellt: Wie kann ich für mich das Gesetz als ein kohärentes System deuten. 235 Dazu Brocker, Arbeit und Eigentum, 216. 236 Siehe Brocker, Arbeit und Eigentum, 194 f., gegen Macpherson. 237 Dazu Brocker, Arbeit und Eigentum, 420 ff. 238 Locke, Zwei Abhandlungen, § 34 seiner zweiter Abhandlung. 239 Wenngleich in einem praktisch kaum merkbaren, aber doch vorhandenen und deshalb in die Theorie gleichwohl einzubindenden Maß. 240 Locke, Zwei Abhandlungen, § 48 seiner zweiter Abhandlung. 241 Dazu Brocker, Arbeit und Eigentum, 217; Holzhey, in: ders./Kohler (Hrsg.), Eigentum und seine Gründe, 19 (28 f.).

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Lockesche Theorie verhielte sich zur gesetzlichen Entscheidung, den Willen des Erblassers gesetzlich hervorzuheben, eben neutral – denn positiv rechtfertigen kann sie sie nicht. Ist dem so, bliebe die Theorie mithin zu abstrakt, als daß sie eine Erklärung für die gesetzgeberische Entscheidung überhaupt beibringen könnte, im intergenerationalen Vermögenstransfer den Willen des Erblassers zu prämieren. Mit anderen Worten: Der heuristische Grad der Arbeitstheorie des Eigentums sinkt zumindest in erbrechtsdogmatischen Problemstellungen gegen Null – was auch nicht weiter verwunderlich wäre, da es ihr schließlich nicht um die Bewältigung erbrechtsdogmatischer Kohärenzen im bürgerlich-rechtlichen Normbestand, sondern um die rechtfertigungstheoretische Vorsorge in einer bestimmten politischen Gefährungslage ging242. Die politische Philosophie Lockes kann daher nicht ihrer Erkenntnisinteressen entkleidet ohne weiteres als dogmatische Theorie in einen bürgerlich-rechtlichen Problembestand eingestellt werden. 2. Die zweite Lesart Lockes: Fehlende Rechtfertigung schon des Erbrechts Die bisherigen Überlegungen haben gezeigt, daß aus guten Gründen Zweifel bestehen, ob eine Rechtfertigung des konkreten erbrechtlichen Normbestands anhand der auf Locke zurückgeführten Verzahnung von Arbeit – Eigentum – Erbrecht möglich und sinnvoll ist – nicht möglich wegen der bestehenden Zweifel, ob die dreifache Verkettung von Arbeit, Eigentum und Erbrecht nicht zu abstrakt ist, um noch irgendeinen heuristischen Wert im gewillkürten Erbrecht für sich reklamieren zu können, und nicht sinnvoll wegen der verfremdenden Einbindung der politischen Philosophie Lockes in rechtsdogmatische Problemlagen. Darüberhinaus wird aber auch vertreten, die Verortung des Erbrechts als Fortsetzung des arbeitstheoretisch gerechtfertigten Eigentums gehe im Grundsätzlichen fehl – und zwar ganz losgelöst von den bei der ersten Lesart Lockes zu Tage tretenden Problemen, die Arbeitstheorie sei zu abstrakt und geltungstheoretisch nicht fruchtbar. Die nunmehr zur Rede stehende zweite Lesart Lockes setzt an einer immanenten Kritik seiner arbeitstheoretischen Prämissen selbst an243. Schon die schillernde Ambiguität der eigentumsschaffenden Kategorie der „Arbeit“ wird beklagt, da es ja der gewachsenen Tradition entspricht, nicht jegliche menschliche Tätigkeit als Arbeit anzusehen244. Der Locke242

Dazu siehe auch Dieter Schwab, Einführung in das Zivilrecht, Rn. 66. Dazu und zum folgenden paradigmatisch Brocker, Arbeit und Eigentum, 354 ff. 244 Brocker, Arbeit und Eigentum, 370, führt als Beispiele an das Besiedeln des Bodens (eigentumsbegründend) und das Ersteigen eines Berges (nicht eigentumsbe243

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sche Arbeitsbegriff ist denn auch heftig umstritten. Was Arbeit von sonstigen menschlichen Tätigkeiten an äußeren Gegenständen und was ganz allgemein bloß physische Bewegungen von Körperbewegungen mit Rechtsbegründungsfolgen unterscheidet, läßt sich innerhalb der Arbeitstheorie nicht ausmachen245 – gerade in einer arbeitsteilig organisierten, industriell produzierenden und in den Interaktionen hochkomplexen modernen Wirtschaft ist dies ein gravierender Mangel. Mit anderen Worten: Es werden gesellschaftliche Konventionen benötigt, „eigentumsbegründende Arbeit“ und „bloße nicht-eigentumsbegründende Tätigkeit“ voneinander zu scheiden. Damit fällt der naturrechtliche Anspruch der Arbeitstheorie aber ins Leere – und das Erbrecht würde quasi auf der sozial stabilisierten Konvention gegründet, was als Arbeit gelten darf und was nicht. Doch selbst wenn einmal davon ausgegangen werden sollte, es sei sinnvoll zu behaupten, meine Arbeit erwirke mein Sacheigentum, hilft dies nicht weiter. Denn dann müßte begründet werden, wieso das durch Arbeit erworbene Eigentum überhaupt veräußerbar und vererbbar sein soll, obwohl es doch Teil der gemeinhin gerade als unveräußerbar und unvererbbar angesehenen Persönlichkeit des Arbeitenden geworden ist. Das Eigentum mit seinen Veräußerungs- und Vererbungsdimensionen muß daher notwendig anders gerechtfertigt werden als durch den personalen „Selbstbesitz“ der menschlichen Arbeit. Die nun näher vorzustellende „zweite Lesart“ der Lockeschen Theorie verneint die Möglichkeit einer derartigen Rechtfertigung, wenn der arbeitstheoretische Ausgangspunkt ansonsten gewahrt bleiben soll. Die Kritik ist zweiteilig angelegt. Im ersten Kritikpunkt wird die oben von der ersten Lesart herangezogene Überlegung verneint, das Erbrecht könne durch den durch die gesellschaftsvertragliche Übereinkunft hinsichtlich der Einführung der Geldwirtschaft vollzogenen Übergang vom ersten in das zweite Stadium des Naturzustands und der damit verbundenen vollkommenen Aufteilung des Grund und Bodens rechtfertigt werden. Dies ginge schon deshalb fehl, weil sich das ursprünglichere Recht auf Leben und Freiheit der Nichtbesitzenden, aus dem das sekundäre Recht zur individuellen und eigenmächtigen Aneignung äußerer Güter qua Arbeit abgeleitet worden sei, auch gegenüber einem vollständig verteilten Grund und Boden durchsetzen gründend). Locke selbst faßte den Begriff der Arbeit außerordentlich weit, dazu Holzhey, in: ders./Kohler (Hrsg.), Eigentum und seine Gründe, 19 (31 f.). 245 Insbesondere eine Definition von Arbeit als Akt der Wertschöpfung läßt sich nicht durchführen, da ein Marktwert nur dann existiert, wenn es einen Warenaustausch gibt; diesen wiederum kann es naturrechtlich erst dann zu Recht geben, wenn es schon Eigentumstitel gibt. Mithin liegt die Eigentumsbegründung arbeitstheoretisch dem Akt der Wertschöpfung voraus, siehe Brocker, Arbeit und Eigentum, 369 ff. Auf die Schwierigkeiten, in die die Arbeitstheorie gerät, wenn schon der Akt der Besitzergreifung als Arbeit angesehen wird, weist Hecker, Eigentum als Sachherrschaft, 178 f., hin.

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müsse, da ansonsten aufgrund der zugelassenen Verletzung der primären Rechte durch die sekundären Rechte anderer auf der einen und der Beschränkung der per definitionem unbehelligt von Zeit und Raum geltenden natürlichen Rechte auf die Zeit des ersten Stadiums des Naturzustands (also des Stadiums des Überflusses) auf der anderen Seite die Theorie selbstwidersprüchlich sei246. Der in der ersten Lesart vorgesehene notwendige Ausschluß einiger Nachgeborener sei daher nicht zu rechtfertigen247. Ist dem so, bestünde (wenn arbeitstheoretisch im Ausgangspunkt argumentiert wird) in einer entwickelten, aus dem Naturzustand herausgetretenen kapitalistischen Gesellschaft kein Grund, für ein privates Erbrecht zu optieren, da der private unentgeltliche Erwerb von Todes wegen den ungerechtfertigten Ausschluß Nachgeborener perpetuieren würde. In dieser zweiten Lesart der Arbeitstheorie wäre damit das Erbrecht selbst dann nicht gerechtfertigt, wenn der Arbeitstheorie ansonsten für die Begründung des Eigentums Beifall gezollt wird. Schließlich und endlich ist die Verbindung von Arbeit, Eigentum und Erbrecht auch losgelöst von detallierten Locke-Interpretationen nicht einsichtig. Schon Max Weber notierte, daß die Anbindung der Legitimationsfrage eines Gütererwerbs an die Kategorie der „eigenen Arbeit“ den entgeltlosen Erwerb qua Erbrecht delegitimiere 248. Dem ist nichts hinzuzufügen. 3. Exkurs: Einwände gegen die arbeitstheoretische Begründung des Eigentums als solche Die Kritik gegen eine Rechtfertigung des Erbrechts als fortgesetztes Eigentum kann in einem zweiten Kritikpunkt auch grundsätzlicher an der Arbeitstheorie als solcher ansetzen. Der Einwand setzt an der Verbindung von Arbeit und Sachsubstanz an. Die Arbeitstheoretiker beschreiben durchweg die Verarbeitung der Sachsubstanz so, als ob der Arbeitende seine Persönlichkeit in die Sache eingebracht hätte249. Wird hieraus dann die normative Folgerung gezogen, die Sache sei dem Bearbeiter auch zu eigen, so wird – erster Kritikpunkt – nur der faktische Zusammenhang zwischen Arbeiter und Sache (nämlich der Vorgang der Bearbeitung) mit anderen Wor246

So Brocker, Arbeit und Eigentum, 367 ff. Brocker, Arbeit und Eigentum, 368; ebenfalls Nozick, Anarchy, State and Utopia, 176. 248 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 499 f. 249 Derartige unterschwellige Weichenstellungen sind oft in Fiktion der Art des „als ob“ zu finden, da solche Fiktionen als Umwege zur Erreichung eines praktischen Zwecks begriffen werden können (dazu und zur Vaihingers Philosophie des Als Ob Somek, Der Gegenstand der Rechtserkenntnis, 28). Dieser praktische Zweck kann hier in der rhetorischen Stabilisierung der bürgerlichen Eigentumsordnung in der Gefährdungssituation der frühen Neuzeit gesehen werden. 247

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ten wiederholt250; die Folgerung ist mithin ein naturalistischer Fehlschluß vom Sein auf das Sollen, der das fortbestehende Wertungsproblem der Eigentumslegitimation abdunkelt. Deutlich wird dies auch, wenn der Lockesche Schluß, „meine“ Arbeit begründe „mein“ Eigentum, etwas näher betrachtet wird. Der Schluß beruht auf einer inzidenten, sprachlogisch nicht hinnehmbaren Auswechselung der Semantik des „mein“ von einer nichtpossessiven zu einer possessiven Relation251 – ein Vorwurf, der in rechtsdogmatischen Zusammenhängen trotz seiner die Lockesche Argumentation im Kern zerstörenden Stringenz in dieser sprachlogischen Version freilich kaum Gehör finden dürfte, nur: Gerade diese prekäre Semantik des „mein“ versteckt das juristisch so überaus wichtige Wertungsproblem der Rechtfertigung des Übergangs von „meiner“ Arbeit zu „meinem Eigentum“. Der sprachtheoretische Einwand ist gerade deshalb auch juristisch entgegen dem ersten Eindruck ungemein relevant. Darüberhinaus wird – zweiter Kritikpunkt – implizit unterschlagen, daß die normative Folgerung aus der Bearbeitung auch ganz anders hätte aussehen können, nämlich als Verlust der Arbeit in der Sache252 oder anders gewendet: der Arbeitsgedanke könnte auch dazu führen, Eigentum generell zu delegitimieren, indem die momentane Verfügung über Güter nur solange gerechtfertigt ist, als diese eben zu Zwecken der Bedürfnisbefriedigung bearbeitet werden253. Es ist demnach eine normative Prämisse erforderlich, die den Sprung von der Faktizität des Bearbeitens zur Normativität des Eigentumsrechts bewältigt. Erwidert der Arbeitstheoretiker hierauf, diese Prämisse liege in der Erwägung, der durch die Mühen der Sachbearbeitung erworbene Verdienst rechtfertige die Zuweisung der bearbeiteten Sache zum Eigen des Bearbeitenden, so überzeugt gerade diese Erwägung nicht mehr im zweiten Stadium des Naturzustands, in dem die Menschen in einer Welt leben, in der sie ihre Eigentumsrechte gerade auch dann gegeneinander abgrenzen müssen, wenn das Maß der jeweils aufgewendeten Mühe und damit das Maß des erworbenen Verdiensts identisch ist. Mit anderen Worten: In diesem zweiten Stadium des Naturzustands würden die bei der Eigentumsverteilung leer Ausgegangenen auf die 250 Becker, Journal of Philosophy 73 (1976), 653 (659); Brocker, Arbeit und Eigentum, 379. 251 Die Relation „meine Arbeit“ darf nicht possessiv, sondern muß als die Bestimmung einer Identität des sich selbst bewußten Individuums verstanden werden, die zwar sprachlogisch durch den Gebrauch possessiver Pronomina beschrieben wird, mit einer Eigentumsbeziehung aber nichts zu tun hat. Der Übergang von der nichtpossessiven Identitätsbestimmung „meine Arbeit“ auf die possessive Besitzrelation „meine Sache“ wird demnach bei Locke nicht geleistet, vielmehr wird unterstellt, es bestünde eine Kontinuität zwischen dem Selbstbewußtsein und den äußeren Gegenständen. Zur Lockeschen Ausnutzung der semantischen Ambiguität der Possessivpronomina siehe Brocker, Arbeit und Eigentum, 356 ff., 361 f. 252 Nozick, Anarchy, State and Utopia, 174 f. 253 Hespe, Hegel-Jahrbuch1993/94, 102 (103).

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Frage, ob der Produzent das Ergebnis seiner Leistung denn nicht verdiene, mit der Gegenfrage antworten, wer es ihm denn erlaubt habe, die Rohstoffe so zu bearbeiten – die Antwort könnte nur der Verweis auf Macht und Zwang, aber nicht mehr der Rekurs auf das Recht sein254. Ähnliche Vorwürfe wurden der Arbeitstheorie schon durch Kant adressiert, der ihr vorhält, die Bearbeitung setzte voraus, daß „die Substanz vorher als das Seine desselben anerkannt ist“255. Die naturrechtstheoretische Begründung des Eigentums durch den Faktor Arbeit ist damit endgültig zusammengebrochen. Was bleibt, ist der oben schon256 angesprochene Verweis auf das im Begriff des bürgerlichrechtlichen Eigentums eingeschlossene allgemeine Gesetz der Freiheit bei Kant: Eigentum ist ein Produkt der Rechtsordnung und deshalb in seiner näheren Ausgestaltung eingespannt in den fortlaufenden demokratischen Prozeß der Vereinigung der Willkür des einen mit der des andern im allgemeinen Gesetz der Freiheit257. Vor diesem Hintergrund kulminiert die rechtstheoretische Unzulänglichkeit der Arbeitstheorie in der schon von Kant258 aufgeworfenen Frage, wie überhaupt ein Recht an der Sache möglich sein soll259: Als Frucht des konsensuellen Aushandelns der unterschiedlichen Willen der Bürger läßt sich Eigentum nicht mehr als zweistellige Relation von Person zu Sache (wie in der Arbeitstheorie), sondern nur als eine dreistellige Relation begreifen – als Verhältnis freier Personen zueinander, welche sich wechselseitig zum Ausschluß vom Gebrauch der jeweiligen äußeren Gegenstände entschlossen haben260. 254 Becker, Journal of Philosophy 73 (1976), 653 (659 f.); Brocker, Arbeit und Eigentum, 379 f. 255 Kant, Metaphysik der Sitten, 376. 256 Oben § 5 III 2. 257 Brocker, Arbeit und Eigentum, 399, verortet das Eigentum als kontingentes Produkt historisch-gesellschaftlicher Entscheidungen. Dies ist konstitutionstheoretisch sicherlich einsichtig, führt aber geltungstheoretisch Recht auf auctoritas zurück und steuert damit geltungstheoretisch in eine Sackgasse. 258 Kant, Metaphysik der Sitten, 380. 259 Dazu Brocker, Arbeit und Eigentum, 381 ff., 383 ff.; Schmidlin, in: Holzhey/ Kohler (Hrsg.), Eigentum und seine Gründe, 47 (57 f.). 260 Bei einer derartigen relationalen Konzeption (dazu Ladeur, Postmoderne Rechtstheorie, 197 ff.; Hecker, Eigentum als Sachherrschaft, 259 ff.) wird das dingliche Recht als Bündel von Einzelrechten begriffen, welches Verhältnisse zwischen Rechtssubjekten regelt und vor dessem Hintergrund die Sache selbst nur ein Tatbestandsmerkmal etwaiger Verhaltenspflichten der Normadressaten darstellt, so bsp. Walz, KritV 1986, 131 (150); Schwerdtner, Verzug im Sachenrecht, 59 ff.; Aicher, Eigentum als subjektives Recht, 77 f.; Hadding, JZ 1986, 926 (927); vgl. auch Gotthold, ZHR 144 (1980), 545 (546 f.); Pawlowski, AcP 165 (1965), 395 (402 ff.); Heinz, RTh 1993, 435 (457); Dieter Schwab, Einführung in das Zivilrecht, Rn. 177; Larenz/Wolf, AllgT, § 13 Rn. 14; Fezer, Teilhabe, 213 Fn. 51; Rittstieg, Eigentum als Verfassungsproblem, 206, 316; AKGG-ders., Art. 14/15 Rn. 65, und aus der älteren Literatur Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, 201 ff.; Oertmann, JherJb 31

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Eigentum ist als Struktur wechselseitiger Ausschließung261 mithin eine Form der geronnenen Kompatibilität individueller Freiheitssphären262. Geltungsbedingung des Eigentums ist in dieser Sicht mithin die „Idee der vereinigten Willkür“ aller Rechtspersonen – und damit eine Begründungsprozedur. Jedem Element des Eigentumsbegriffs ist demnach eine Begründungspflicht inhärent263. Ob dem Eigentum daher das Erbrecht „entnommen“ werden kann, ist begründungsbedürftig und folgt nicht schon aus dem Eigentum selbst. Mit anderen Worten: Die Verklammerung des Erbrechts mit dem Eigentum bedeutet mithin wiederum nichts anderes, als die Frage, warum Erbrecht sein soll, in anderer Form neu zu stellen. Und mit der bloßen Rechtfertigung des Erbrechts als fortgesetztes Eigentum wird nur der letztlich notwendigen Begründung ausgewichen, warum aus dem Eigentum das Erbrecht erwachsen soll. Nur am Rande sei gesagt, daß mit der Trias Erbrecht – Eigentum – Arbeit auch die Erklärung des erbrechtlichen Normbestands als geltendes Rechts ausfällt: Da mit der Trias nur die Frage neu formuliert wird, warum Erbrecht sein soll, folgt aus ihr notwendigerweise nichts für die Deutung des geltenden Rechts als Recht. Locke selbst hat im übrigen die Notwendigkeit gesehen, das (Verwandten)Erbrecht begründen zu müssen264; er führt es nur nicht auf das Eigentum, sondern auf die letztlich religiös begründete Pflicht zurück, die eigene (1892), 415 (427 ff.); Schlossmann, JherJb 45 (1903), 289 (313 ff.); und auf der Grundlage der Imperativentheorie Thon, Rechtsnorm und subjectives Recht, 161 ff., 288 ff. Der Sache nach gibt die Dinglichkeit eines Rechts in dieser Perspektive vornehmlich die Absolutheit des Klageschutzes, dazu nur Aicher, ebda., 68 ff. Der Ansatz selbst ist mit den unterschiedlichsten theoretischen Grundlegungen kompatibel. So wies bsp. Kelsen jegliche Vorstellung eines Herrschaftsrechts strikt zurück, da das Objekt des Rechts immer nur die Verpflichtung eines anderen sein könne, vgl. Reine Rechtslehre, 135 ff. Daß diese Ablehnung der Herrschaftslehre nicht an die Reine Rechtslehre gekoppelt ist, zeigt Walz, ebda., der das gleiche Ergebnis unter Rekurs auf die ökonomische Analyse gewinnt. Objekt des dinglichen Rechts ist dann die Verhaltenspflicht aller, dieses Recht nicht zu stören (deutlich insofern Schwerdtner, Verzug im Sachenrecht, 59). Grundeinheit der dinglichen Rechtsschutzes insofern keine Sache, sondern eine im Streitfall rechtlich sanktionierte Handlungsbefugnis (Walz, KritV 1986, 131 (150)). Auch innerhalb der politischen Philosophie des Eigentums wird dieses oftmals weniger als ein Zuordnungsverhältnis Person – Sache, sondern als ein Rechtsverhältnis zwischen dem Eigentümern und den anderen Rechtsgenossen verstanden, denen die Respektierung des Eigentums abverlangt wird, siehe etwa Angehrn, Zs für philosophische Forschung 43 (1989), 94 (96 f., 109). 261 Deggau, Die Aporien der Rechtslehre Kants, 75. 262 Dazu Dreier, ARSP 1987, 159 (165 ff.); Brocker, Arbeit und Eigentum, 390 ff. 263 So auch Brocker, Arbeit und Eigentum, 398 f. 264 Und zwar im ersten der Two Treatises, siehe Locke, Zwei Abhandlungen, § 86 der ersten Abhandlung.

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Nachkommenschaft ebenso wie sich selbst zu unterhalten. Im Second Treatise dient ihm das Erbrecht zudem dazu, zum einen das naturrechtlich zu Recht erworbene und gegenüber insbesondere staatlichen Gewaltmaßnahmen geschützte265 Eigentum gegenüber „Usurpation und der Tyrannei“ auch in der Generationenfolge zu perpetuieren266. Zum anderen wird durch die im Erbgang erworbene Eigentümerstellung die die politische Gehorsamsverpflichtung begründende (stillschweigende) Zustimmung des Erben zum Gesellschaftsvertrag gesehen, die notwendig ist, weil die vertragliche Zustimmung zum Eintritt in die „political society“ nach Locke nicht die Nachfolgegenerationen bindet267. Das Erbrecht wahrt hier die innere Konsistenz des gesellschaftsvertraglichen Ausgangspunkts Lockes. Das Erbrecht wird damit letztlich zum Garanten der bürgerlichen Ordnung in der Generationenfolge und erhält damit wie die naturrechtliche Begründung des Eigentums seinen genuinen Platz in der Abwehr spezifischer historischer Gefährdungslagen der frühen Neuzeit. Daß eine derartige Theorienanlage einer erbrechtsdogmatischen Grundlegung der Testierfreiheit nicht weiterhilft, davon war schon die Rede268.

II. Die gegenwärtige Trias: Erbrecht – Eigentum – Arbeit Die Lockesche Rechtfertigung des Eigentums als vergegenständlichter Ausdruck personaler Arbeit wurde entworfen mit Blick auf das Gesellschaftsmodell der vorindustriellen Gesellschaft unabhängiger Kleinproduzenten im entwickelten Merkantilismus. Zudem ist sie eingebettet in das Begründungsgefüge des neuzeitlichen Kontraktualismus. Diese Grundbedingungen der Arbeitstheorie sind heute mehr und mehr verblaßt. Es liegt daher der Einwand gegen die bisherigen Überlegungen auf der Hand, diese kaprizierten sich auf längst überholte Residualbestände der politischen Tradition, die zwar in den impliziten Grundbestand der modernen Semantik des Eigentums hinabgesunken sein mögen, ansonsten aber zur modernen Eigentumsordnung und ihren Problemen keinen rechten Bezug mehr aufweisen würden269. Ein derartiger Einwand ginge jedoch fehl. Nicht nur finden sich in der gegenwärtigen (verfassungsrechtlichen) Eigentumsdogmatik ausdrückliche Bezugnahmen auf die Arbeitstheorie im Gefolge Lockes270; 265

Locke, Zwei Abhandlungen, § 138 f. der zweiten Abhandlung. Locke, Zwei Abhandlungen, §§ 190, 192 der zweiten Abhandlung. 267 Locke, Zwei Abhandlungen, §§ 73, 116, 117–122 der zweiten Abhandlung. Dazu nur Kersting, Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrags, 134 ff. 268 Siehe oben § 5 II 4 c. 269 Aus der reichhaltigen Literatur hierzu siehe nur die Ausführungen bei Rittstieg, Eigentum als Verfassungsproblem, 315 ff. 266

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auch das BVerfG271 bezieht sich bis heute – ohne sich indes explizit irgendeine naturrechtliche Überlieferung zu eigen zu machen272 – auf die naturrechtlich motivierte Verklammerung von Eigentum und Arbeit, wenn es denjenigen Eigentumspositionen einen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz zumißt, die im rechtlichen Diskurs als Ausdruck eigener Leistung konstruiert werden. Die in vorindustrieller Zeit geprägten Formeln über den Zusammenhang von Eigentum, Freiheit und Person werden – sei es in Lokkescher, sei es in Hegelscher Ausprägung – innerhalb des gegenwärtigen juristischen Diskurses unter beträchtlicher Loslösung aus dem theorien- und ideengeschichtlichen Kontext, aber auch unter weitgehendem Ausblenden der jeweiligen argumentativen Folgekosten, die mit der Übernahme der Gedanken Lockes oder Hegels verbunden sind, gleichsam axiomatisch verwendet273. Das eigentumstheoretische Vokabular hat sich gewissermaßen von seinen geistesgeschichtlichen Grundlagen entfremdet und abgelöst. Wenn nun versucht wird, diese Entfremdung wieder rückgängig und Locke für die heutige Zeit wieder fruchtbar zu machen, stellt sich naheliegend die Frage, ob diese Spiegelung Lockes auf die Verhältnisse des postindustriellen, hocharbeitsteiligen Verfassungsstaats der Gegenwart mit der dort zu beobachtenden Verschiebung sozialer Funktionen vom Eigentum auf die Arbeit und vom Individuum auf Organisationen überzeugend ist274. Die Antwort auf diese Frage kann aber dahingestellt bleiben. Denn selbst wenn die Spiegelung der Arbeitstheorie auf die heutige Zeit einmal mitgemacht wird, kann sich das Erbrecht dennoch nicht als fortgesetztes (arbeitsgegründetes) Eigentum erweisen. Der Grund hierfür ist einfach: Die geltungstheoretischen Probleme der Anbindung des Erbrechts an das Eigentum als dessen „Fortsetzung“ werden in der vornehmlich konstitutionstheoretisch motivierten, adjektivischen Rede des „fortgesetzt“ einfach versteckt275. Für die Lockesche Arbeitstheorie in der oben vorgestellten ersten Lesart276 wurde die Fortsetzung des 270

So etwa bei v. Mangoldt/Klein-Depenheuer, Art. 14 Rn. 2, 13, 280. Dazu siehe die Nachweise oben § 5 III 3. 272 Vgl. Paptistella, Eigentum und eigene Leistung, 43; Rittstieg, Eigentum als Verfassungsproblem, 308 ff. 273 So zu Recht AK-GG-Rittstieg, Art. 14/15 Rn. 67. 274 Dazu Holzhey, in: ders./Kohler (Hrsg.), Eigentum und seine Gründe, 19 (32 f.); Ryffel, in: Holzhey/Kohler (Hrsg.), Eigentum und seine Gründe, 375 (384 ff., 390 ff.). Auf die Folgen des Umbaus in der Semantik von Eigentum und Arbeit weist Luhmann, Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 3, 149 (197 ff.), hin. 275 Sehr deutlich wird dies bei Leisner, Verfassungsrechtliche Grenzen, 41, der ausführt, „daß man nie anders als sub species aeternitatis schafft, ist eben das Credo des Grundgesetzes“. Die Probleme werden in der Diktion des „eben“ und des „Credo“ verborgen. 271

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Eigentums im Erbrecht geltungstheoretisch in der gesellschaftsvertraglichen Übereinkunft von der Natural- zur Geldwirtschaft gerechtfertigt. Abgesehen davon, daß diese kontraktuelle Rechtfertigung heute kaum mehr überzeugen mag, wurde oben277 schon bei der Kritik der ersten Lesart Lockes gezeigt, daß der erbrechtliche Normbestand mit diesem Ansatz nicht hinreichend erklärt werden kann. Da auch die oben eingeführte zweite Lesart Lockes nicht zum geltungstheoretischen Erfolg führt278, müßte die Annahme einer „Fortsetzung“ selbst und die hierauf gegründete Erklärung des konkreten Normbestands des gewillkürten Erbrechts begründet werden – etwa in der Erwägung, dem prinzipiell unbegrenzten Entfaltungsbereich des Eigentümers entspräche es, die im Normbestand des BGB weit geschützte Testierfreiheit als gewissermaßen Höhepunkt der Dispositionsbefugnis des Eigentümers anzusehen. Gerade dies wird aber mißlingen. Denn sofort tritt ja wieder die Frage auf das Begründungstableau, wieso die Rechtsperson ein Interesse daran haben soll und kann, welches Schicksal ihrem Vermögen post mortem zugedacht sein soll – eine Frage, die im Kontext der naturrechtlichen Erbrechtsdebatte des Vernunftsrechts schon von Thomasius und Pufendorf aufgeworfen und in der Wende des 18. zum 19. Jahrhunderts erneut thematisiert wurde279. Wenn die Antwort – entsprechend der Rückführung des Erbrechts auf das seinerseits auf Arbeit zurückgeführten Eigentums – in der intergenerationalen Perpetuierung der vergegenständlichten Arbeit gefunden wird, ist dies nicht gerade überzeugend. Denn auch dann wird ja sofort wieder die Frage aufgeworfen, welches Interesse die Rechtsperson am postmortalen Schicksal seiner geronnenen Arbeit haben kann und darf. Mit Blick hierauf würde unverständlich, warum das gewillkürte Erbrecht gerade den Willen des Erblassers gegenüber der Verfügungsfreiheit unter Lebenden so vehement prämiert, obwohl dem eigentlich nicht schutzwürdigen Interesse an einer Herrschaft von kalter Hand entsprechend es genau umgekehrt sein müßte. Dies ist das eine. Der andere Einwand gegen den Gedanken der „Fortsetzung“ wiegt ebenfalls schwer: Mit dem arbeitstheoretisch unterlegten Fortsetzungsgedanken kann nicht erklärt werden, wieso der Erbe überhaupt das von Todes wegen Erworbene soll sein Eigen nennen dürfen, da es ja per definitionem nicht per eigener Arbeit erlangt wurde280. Hiergegen verfängt auch die von Leisner281 vorgetragene Überlegung nicht, das Ererbte sei für den Erben erarbeitet worden und diesem daher zuzurechnen. Denn hierfür ist ja ein Zu276 277 278 279 280 281

Oben § 6 I 1. Oben § 6 I 1. Siehe oben § 6 I 2. Dazu oben § 5 II 2. Dies sieht auch v. Mangoldt/Klein-Depenheuer, Art. 14 Rn. 76. Verfassungsrechtliche Grenzen, 87.

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rechnungsgrund erforderlich. Wenn Leisner diesen Grund in einer Einheit zwischen dem Erben und dem Erblasser sieht, dessen Persönlichkeit der Erbe in der Erbschaft fortsetze282, so wandelt er sich damit Vorstellungen an, die aus den gleichen Gründen wie der erbrechtsdogmatische Mystizismus der Persönlichkeitsfortsetzungstheorien zurückgewiesen werden müssen283. Der gesamte Normbestand des bürgerlich-rechtlichen Erbrechts bliebe einer auf dem Arbeitsgedanken gegründeten Fortsetzungstheorie mithin ein einziges Rätsel284. Gerade wenn davon ausgegangen wird, das BGB habe im Erbrecht den neuzeitlichen Besitzbürger vor Augen285 und gäbe ihm vielfältige Möglichkeiten, den Weg seines Vermögens nach dem Tod zu gestalten286, so läßt dies in doppelter Weise das gewillkürte Erbrecht rechtfertigungstheoretisch unerklärt: Es bleibt ja gerade offen, (i) wieso der Besitzbürger von Todes wegen überhaupt soll geltungstheoretisch gerechtfertigt erwerben dürfen und (ii) wie die Korrelation des neuzeitlichen Besitzbürgertums mit dem Normbestand des geltenden Erbrechts beschaffen sein soll – also die Frage, ob mit dem Rekurs auf den Besitzbürger das gewillkürte Erbrecht eigentlich kohärent gedeutet werden kann. An all dem ändern auch Einsichten nichts, daß in der heutigen entwikkelten Wirtschaft Vermögensgewinne und -verluste sich nicht mehr auf den gemeinsamen Nenner der persönlichen Leistung beziehen lassen287 und daß die heutige Rechts- und Wirtschaftsordnung in vielen Bereichen durchaus den Eigentumserwerb ohne eigene Arbeit und Leistung anerkennt288. Die für eine auf Kohärenz und Konsistenz in der Wertung verpflichtete nach282

Leisner, Verfassungsrechtliche Grenzen, 87. Dazu siehe oben § 4 III 2. 284 Es war schon die Rede davon, daß der Verweis auf die Delegitimation des Privaterbrechts aufgrund der fehlenden arbeitstheoretischen Grundlage des Erwerbs ein schon im 19. Jahrhundert hervorgehobener Gedanke ist. Auch in der heutigen Dogmatik (etwa Leipold, Erbrecht, Rn. 50) wird problematisiert, daß der ohne eigenes Verdienst ins Werk gesetzte erbrechtliche Erwerb in einer arbeitsgegründeten Eigentumsordnung tendenziell delegitimiert ist. Leipold gründet folgerichtig den Erwerb qua Erbrecht nicht auf die personal in der Arbeit gegründeten Eigentumsordnung, sondern in der Funktion, die die Vererbbarkeit des privaten Eigentums in einer entwickelten Wirtschaft aufweist: Förderung der Bereitschaft zur Kapitalakkumulation und zu langfristigen Investitionen sowie Sicherung der Zukunft der Familie. Eine kohärente Deutung des erbrechtlichen Normbestands wird damit freilich nicht gelingen, da die funktionalen Erfordernissen der Wirtschaftsordnung zu abstrakt sind, um die stark ausgebaute Willensherrschaft im gewillkürten Erbrecht begründen zu können. 285 Und dies ist ein solcher – so viel dürfte aus dem bisher Gesagten deutlich geworden sein –, der seine Person qua Arbeit in der dann sein Eigen nennenden Sache vergegenständlicht hat. 286 So MünchKomm-Leipold, Einl. zum Erbrecht Rn. 12. 287 Dazu nur Rittstieg, Eigentum als Verfassungsproblem, 373. 288 Andersen, Probleme der Wandlung des Eigentumsbegriffs, 47. 283

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positivistische Rechtsdogmatik entscheidende Frage bleibt doch: Warum? Und wo sind die leitenden Abgrenzungskriterien? Auch hilft ein argumentum ad absurdum der Art nicht weiter, die Legitimation des Eigentums durch Arbeit sei für den Eigentumsbegriff schon deshalb nicht konstituierend289, weil ansonsten gerade das von Todes wegen oder schenkungsweise Erworbene des verfassungsrechtlichen Schutzes entbehren würde290; das Leistungs- und Arbeitskriterium gehöre mithin auf den Problemkreis beschränkt, ob öffentlich-rechtliche Rechtspositionen eigentumsfest seien291. Nur warum? Warum wird nicht der Schluß gezogen, daß eigentumtheoretisch das Erbrecht dann eben nicht gerechtfertigt werden kann? Eine arbeitstheoretische Grundlegung des Eigentums verträgt nun einmal kein Sowohl-als-auch292: Entweder wird sie akzeptiert und das Arbeitskriterium strikt und durchgängig angewendet; das Erbrecht ist dann delegitimiert. Oder der naturrechtliche Ausgangspunkt am arbeitsgegründeten Eigentum wird aufgegeben und das Eigentum als die rechtliche Form einer gesellschaftlichen und politischen Zurechnung von Vermögenswert und Disposition an Rechtssubjekte entmystifiziert, wenn es nicht von vornherein als Ausdruck personaler Freiheit verortet wird293. Bei dieser Zurechnung mag dann auch das Arbeitskriterium eine Rolle spielen. Nur wird dann vollends unklar, in welches Verhältnis Arbeit und Eigentum rechtlich nun genau gesetzt sind. Der erbrechtliche Erklärungsgehalt des arbeitstheoretisch gegründeten Fortsetzungsgedankens sinkt dann gegen Null. Mithin wäre auch dann das Erbrecht delegitimiert. Schließlich blieb in der bisherigen Diskussion zum Erbrecht als fortgesetztes Eigentum völlig unbeachtet, daß mit dem Fortsetzungsgedanken 289 So Meyer-Abich, Der Schutzzweck der Eigentumsgarantie, 35; Ekey, Die Verminderung von Eigentümerrechten, 254; v. Mangoldt/Klein-Depenheuer, Art. 14 Rn. 76 – eine mit Blick auf die arbeitstheoretische Grundlage der Kommentierung von Depenheuer (ebda., Rn. 2) merkwürdige und widersprüchliche Bemerkung. 290 So die Argumentation bei v. Mangoldt/Klein-Depenheuer, Art. 14 Rn. 76, 281, mit der bemerkenswerten Sentenz, für den Schutz u. a. des erbrechtlich Erworbenen käme es darauf an, „daß die von der Rechtsordnung zugewiesene Rechtsposition ihren Ursprung in der Sphäre des privatautonom bestimmten Rechtsverkehrs hat“. Zumindest für den Erwerb von Todes wegen ist diese Argumentation wenig weiterführend, wenn nicht zugleich die schon im Vernunftsrecht der Aufklärung gestellte Frage nach der Rechtfertigung der Testierfreiheit aufgegriffen und insoweit begründet wird, warum der letzte Wille etwas mit Privatautonomie zu tun hat. Fehlt diese Begründung, bedeutet der Rekurs auf die „Sphäre des privatautonom bestimmten Rechtsverkehrs“ dann nichts anderes, als daß die Testierfreiheit eben deshalb Ausdruck der Privatautonomie ist, weil sie Ausdruck der Privatautonomie ist. Siehe auch Bleckmann, Staatsrecht, Bd. 2 Die Grundrechte, § 35 Rn. 10. 291 v. Mangoldt/Klein-Depenheuer, Art. 14 Rn. 76 f., 281. 292 Ähnlich, wenn auch in der Frontstellung zu eng Brocker, Arbeit und Eigentum, 349 f. 293 Dazu sogleich unten § 6 III 1.

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dem Erben zumindest dann eine Last aufgebürdet wird, das von Todes wegen Erworbene auch tatkräftig zu bearbeiten, wenn – wie so häufig – als Legitimationsgrund des Eigentums u. a. auf die Hegelsche Eigentumslehre verwiesen wird. Denn Hegel geht – in den frühen Schriften deutlicher als in der Rechtsphilosophie – ja ausdrücklich davon aus, daß das Eigentum unbearbeiteter Sachen durch Verjährung verloren gehe294. Nach dem Erbfall liegt das Schwergewicht der eigentumserhaltenden Bearbeitung mithin auf der Person des Erben, der durch seine Arbeit sich seines Eigentums weiterhin vergewissern muß – wohlgemerkt nach der hegelschen Lehre. Ist dem so, wird die Entscheidung des BGB, post mortem eine starke Willensherrschaft des Erblassers und nicht des Erben zu implementieren, – wie schon so häufig – unverständlich. Aus all dem folgt, daß die Anbindung des Erbrechts an das Eigentum unbegreiflich wird, da mit dieser Anbindung der geltungstheoretische Befund zum Eigentum in das Erbrecht ebenfalls zwangsläufig fortgesetzt wird – mit den beschriebenen Diskrepanzen. Ein derartiger Befund deutet darauf hin, daß die gesamte Korrelation von (bürgerlichrechtlichem) Erbrecht, Eigentum und Arbeit in sich unstimmig ist. Der tiefere Grund hierfür dürfte auf der Hand liegen: In der (verfassungsrechtlichen) Semantik des Eigentums stellt dessen arbeitstheoretische Gründung eine rechtsdogmatische Chiffre bereit, um – neben anderen topoi – Inhaltsbestimmung, Sozialbindung und Enteignung abgrenzen zu können295. Die Dogmatik reagiert in der Verklammerung von Eigentum und Arbeit somit auf gänzlich andere Problemstellungen als auf die geltungstheoretische Frage nach der kohärenten Deutung des gewillkürten Erbrechts. Verfassungsrechtlich mag es deshalb ja noch angehen, den Erwerb von Todes wegen damit zu rechtfertigen, daß es unbeachtlich sei, daß das Ererbte nie vom Erben erarbeitet sein könne, es würde „von der Verfassung eben ohne Rücksicht auf diesen begrifflich inhärenten angeblichen sozialen Makel geschützt“296. Einer geltungstheoretisch ausgerichteten, einer Kohärenz seiner Wertungen verpflichteten bürgerlichrechtlichen Gründung des geltenden Rechts als Recht kann dieser Rekurs auf die verfassungsrechtliche Positivität einer bloßen auctoritas nicht hinreichen. Auf die Gründung des Erbrechts im eigentumstheoretischen Fortsetzungsgedanken bleibt all dies nicht ohne Wirkung: Sie scheitert.

294 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 64; dazu De Zan, HegelJahrbuch 1998, 44 (48 f.). 295 Zu den Kriterien des Persönlichkeits-, Leistungs- und Sozialbezugs, der Situationsgebundenheit und des Solidarvorbehalts als entscheidungslenkende Topoi im Komplex von Inhaltsbestimmung, Sozialpflichtigkeit und Enteignung siehe nur v. Mangoldt/Klein-Depenheuer, Art. 14 Rn. 279 ff. 296 Leisner, Verfassungsrechtliche Grenzen, 87.

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III. Erbrecht – Eigentum – Person: Personfunktionales Erbrecht aufgrund personfunktionalen Eigentums? 1. Eigentum als Freiheitsraum im persönlichen Bereich Die bisherigen Überlegungen haben gezeigt, daß ein Verständnis des Erbrechts als fortgesetztes Eigentum nicht überzeugt, wenn Eigentum als materialisierte Arbeit der sich in der Sache vergegenständlichten Person verstanden wird. Damit ist der Fortsetzungsgedanke „Erbrecht aus Eigentum“ aber noch nicht in toto als geltungstheoretisch nicht tragfähig entschlüsselt. Es war schon die Rede davon, daß in der entwickelten Marktgesellschaft des 20. Jahrhunderts das bürgerliche Eigentum nicht nur als vergegenständlichte Arbeit gedeutet wurde, sondern daß in der Kategorie der Person ein weiterer Legitimationsstrang zu Tage trat, der es ermöglichte, in einer Art „Hochsemantik des „Subjekts”297 Eigentum primär als Ausdruck eines personalen Freiheitsraums im vermögensrechtlichen Bereich298 zu erachten und damit als Ermöglichungsgrund personaler Entfaltung endgültig in der Personalität der Rechtsperson selbst zu verorten299: „Eigentum ist Freiheit“, wie es bei Dürig300 oder „Provinz der Freiheit“ wie es bei Leisner301 kurz und bündig heißt. Eigentum ist in dieser Perspektive die „besondere Gewährleistungsform der Privatautonomie auf vermögensrechtlichem Gebiet“302 und „privat verfügbare ökonomische Grundlage individueller Freiheit“303. In die Eigentumsverbürgung werden in der Rechtsprechung des 297

Luhmann, Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 3, 149 (211). Zum Eigentum als „Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich“ BVerfGE 24, 367 (389); 31, 229 (239); 40, 263 (293); 50, 257 (290); 50, 290 (339); 68, 193 (222); 69, 272 (300); 78, 58 (73); 79, 292 (303 f.); 83, 201 (208 f.); 97, 350 (370 f.). 299 Zur Konnexität von Eigentum, Freiheit und Person siehe BVerfGE 24, 367 (389); 30, 292 (334); 31, 229 (239); 42, 263 (293); 50, 290 (339); 70, 191 (201); 79, 292 (304); BVerwGE 30, 235 (238); BGHZ 6, 270 (276); v. Münch/KunigBryde, Art. 14 Rn. 3; v. Mangoldt/Klein-Depenheuer, Art. 14 Rn. 1, 11 ff.; ders., FS Leisner, 277 (278 f.); BonnerKomm-Kimminich, Art. 14 Rn. 18 ff.; Maunz/ Düring-Papier, Art. 14 Rn. 1 ff.; AK-GG-Rittstieg, Art. 14/15 Rn. 74; Badura, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, § 10 Rn. 6; Bleckmann, Staatsrecht, Bd. 2 Die Grundrechte, § 35 Rn. 1, 5 f.; Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 442; Maunz/Zippelius, Staatsrecht,§ 28 II 1; Leisner, Verfassungsrechtliche Grenzen, 39 ff.; ders., in: Isensee/Kirchhoff (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, § 149 Rn. 21; Scheuner, in: ders., Staatstheorie und Staatsrecht, 775 (780 ff.); Schachtschneider, FS Leisner, 743 (749 f., 751 ff.); Suhr, Entfaltung, 196; w.Nachw. bei Meyer-Abich, Der Schutzzweck der Eigentumsgarantie, 58 ff. 300 Dürig, FS Apelt, 13 (31), Hervorhebung i. O. 301 Leisner, FS Jahrreiß, 135. 302 Maunz/Düring-Papier, Art. 14 Rn. 4. 298

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BVerfG304 und in der Literatur305 stellenweise sogar Elemente des allgemeinen Persönlichkeitsrecht eingelassen. Mitunter wird zur geltungstheoretischen Begründung der Verschwisterung von Eigentum und Freiheit auch unmißverständlich der geistesgeschichtliche Traditionsbestand der großen Freiheitstheoretiker bemüht und insofern auf das hegelsche Diktum vom Eigentum als äußere Sphäre der Freiheit und auf die kantische Verklammerung von Eigentum und Freiheit im allgemeinen Gesetz zugleich Bezug genommen306. Ein Endpunkt der persönlichkeitsrechtlichen Gründung des Eigentums ist erreicht, wenn die nach herrschender Ansicht zu Recht bestehende Eingrenzung des Eigentums auf das Gebiet des geldwerten Vermögens kritisiert und Eigentum als das „Eigene“ umfassend als Teil der Persönlichkeit des Menschen verortet wird307. Wie dem auch sei, die innere Teleologie des Eigentums wird darin verankert, dem Eigentümer „als Grundlage privater Initiative und in eigenverantwortlichem Interesse von Nutzen“308 zu sein. Oder in anderen Worten: Der Eigentumslehre geht es nunmehr „weniger um das Eigentum als um den Eigentümer“ 309.

303

BVerfGE 97, 350 (370). BVerfGE 79, 292 (304): „Die grundrechtliche Eigentumsverbürgung enthält Elemente der allgemeinen Handlungsfreiheit sowie des allgemeinen Persönlichkeitsrechts“. 305 Etwa Leisner, FS Hubmann, 295 (304 f.). Auf dieser Linie liegt auch die im Recht der Unternehmen vor allem durch Fikentscher entwickelte Lehre vom „Wirtschaftlichen Persönlichkeitsrecht“, dazu Fikentscher, Wirtschaftsrecht Bd. 2, § 21 III 3, § 22 I 2. 306 Etwa bei v. Mangoldt/Klein-Depenheuer, Art. 14 Rn. 11. Der philosophietheoretische Zusammenhang der Anerkennung – in den Jenaer Schriften durchaus anders entfaltet als später in der Phänomenologie des Geistes und in der Enzyklopädie (dazu unten § 10 VI 2) –, in den Hegel dieses Diktum gestellt hat, wird hierbei nicht mitreflektiert. Auch bleibt außen vor, daß Arbeit in der Jenaer Praktischen Philosophie Hegels vornehmlich das Medium darstellt, mit dessen Hilfe die Entfremdung zwischen der subjektiven und der objektiven Welt überwunden wird. Die Eigentumslehre Hegels ist demnach in einen derartig umfassenden theoretischen Rahmen eingebettet, der größere Untersuchungen erforderlich machen würde, inwiefern sich die Hegelsche Eigentumsbegründung, die sich ja gerade von der Kantischen absetzen will, mit der Eigentumslehre Kants vertragen soll, wie dies Depenheuer ohne weiteres avisiert. 307 So bei Schachtschneider, FS Leisner, 743 (749 f.). 308 BVerfGE 52, 1 (30). 309 So Dieter Schwab, in: Brunner (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, 65 (74), zum Eigentumsverständnis des Liberalismus. 304

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2. Wegweisender Gehalt und mangelnde Heuristik zugleich: Die erbrechtsdogmatischen Probleme der Trias Erbrecht – Eigentum – Freiheit/Person Nun scheint einer derartigen Verknüpfung von Freiheit und Eigentum entgegenzustehen, daß damit Freiheit nur als ein „selbstgenügsames Walten in einer von den Vorschriften des bürgerlichen Rechts umhegten SachgüterWelt“310 verstanden wird, in Gefolge dessen die bürgerliche Autonomie entsprechend der konservativen Tradition innerhalb einer „bürgerliche(n) Idylle einer obrigkeitlich geschützten Sachgüter-Welt“ und entsprechend den „eher quietistischen Traditionen des deutschen Bürgertums“311 primär auf die private Autonomie verengt und damit von der öffentlichen Autonomie streng geschieden wird312 – eine Befürchtung, die durch die neuerdings in modifizierter Form313 entgegen den geläufigen älteren Klagen über den Funktionsverlust eines vom Öffentlichen Recht umklammerten Privatrechts314 wiederbelebte Begrifflichkeit der „Privatrechtsgesellschaft“315 310

So Rittstieg, Eigentum als Verfassungsproblem, 294. Rittstieg, Eigentum als Verfassungsproblem, 295, dort beide Zitate. 312 Die Diskussion zur Trennung der Privatautonomie von der Staatsbürgerautonomie läßt sich anschaulich anhand der staatstheoretischen Diskussion um den Ordoliberalismus verdeutlichen, dem ja auch vorgeworfen wurde, er habe aus den Traditionen der westlichen liberalen Demokratien nur das liberale, nicht aber das republikanische Element der politischen Selbstregierung übernommen, verkürze insofern in nicht einsichtiger Weise Autonomie auf das Private und fände daher zu einem pathologischen Gegensatz zwischen Privatautonomie und Staatsbürgerautonomie, zwischen bourgeois und citoyen, dazu nur Klaus Günther, RJ 11 (1992), 473 (476 ff., 489 ff.); Habermas, Faktizität und Geltung, insbes. 109 ff., 468 ff.; ders., in: Preuß (Hrsg.), Zum Begriff der Verfassung, 1994, 82 (88 ff., 90 ff.); Damm, in: Dieter Hart (Hrsg.), Privatrecht im „Risikostaat“, 1997, 13 (39 f.), auf der einen und bsp. Knieper, Gesetz und Geschichte, insbes. 52 f., 132 ff., auf der anderen Seite. Allg. dazu kritisch Rupp, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 1, § 28 Rn. 18 ff., 25 ff. 313 Modifiziert insofern, als das Konzept der Privatrechtsgesellschaft auch von denjenigen (Nachw. siehe Kap. 2 Fn. 315) rehabilitiert wird, die selbst dem ordoliberalen Gedankengut, dem das Konzept der Privatrechtsgesellschaft ja entstammt, eher abhold sind. Das Konzept der Privatrechtsgesellschaft wird dann primär als normativer Entwurf gelesen, der das Zusammenspiel von Freiheit, Markt und Demokratie erfassen soll und insofern quasi als regulative Idee – vergleichbar mit der Normativierung der Natur im neuzeitlichen Vernunftrecht – der Heuristik eines speziell konturierten bürgerlichen Freiheitsethos dient. Mit anderen Worten: Es geht dann um die Bereitstellung einer normativen Folie zur Rekonstruktion der Rechtskategorie. Als Regulativum muß sich das Konzept dann aber um so eher um seine Praxistauglichkeit sorgen, wie die Idealisierungen des Modells offen zu Tage treten, dazu nur Brüggemeier, Die Entwicklung des Rechts im organisierten Kapitalismus, Bd. 1, 1977, 18 ff., Bd. 2, 1979, 291 ff.; Gotthold, Wirtschaftliche Entwicklung und Verfassungsrecht, 1975; Hart, ZHR 140 (1976), 31 ff.; Reich, Markt und Recht, 1977; Knieper, Gesetz und Geschichte, 42 ff. 311

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nicht gerade gemindert wird. Diese Einwände gegen die Verbindung von Freiheit und Eigentum gehen aber dann weitgehend ins Leere, wenn diese Verbindung in dreifacher Weise ausgestaltet wird: Einmal darf personale Freiheit nicht einzig in der Sprache des Eigentums artikuliert, Freiheit insofern nicht in der Art einer Verdinglichung interpersonaler Beziehungen um die ganze Fülle ihrer personalen Dimensionen beschnitten und die Verfassungsordnung insofern nicht besitzindividualistisch korrumpiert werden316. Zweitens sollte der begrenzte Erklärungsgehalt der Kategorien „Freiheit“ und „Person“ in einer komplexen, in gesellschaftliche Subsysteme ausdifferenzierten Gesellschaftsordnung arbeitsteiliger Art nicht aus den Augen gelassen werden317. Drittens schließlich muß die Funktion des Eigentums in seiner Ordnung des Wirtschaftsganzen und die hiermit untrennbar verbundene Einsicht mitbedacht werden, um mit Blick hierauf im Eigentum Freiheit, Macht und Entfremdung zugleich manifestiert zu sehen318. Werden diese drei einschränkenden Bedingungen beachtet, dürfte sich die Verbin-

314 Vgl. zur etwas älteren Diagnose des Funktionsverlusts der Privatrechtsordnung mit je unterschiedlichen Ausgangspunkten und Therapievorschlägen nur Wieacker, Sozialmodell, 3 ff.; ders., Industriegesellschaft und Privatrechtsordnung, 36 ff.; Ludwig Raiser, Die Aufgaben des Privatrechts, 124 ff.; ders., Die Zukunft des Privatrechts, 7 ff.; Kramer, Krise, 9 ff.; Kübler, Über die praktischen Aufgaben zeitgemäßer Privatrechtstheorie, 7 ff.; Wiethölter, FS L. Raiser, 645 (654 ff.); Eike Schmidt, JZ 1980, 153 ff.; Hart, KritJ 1974, 274 ff. 315 Den Begriff der Privatrechtsgesellschaft greifen auf: Bydlinski, Das Privatrecht im Rechtssystem einer „Privatrechtsgesellschaft“, insbes. 62 ff.; ders., FS Raisch, 7 ff.; anders noch ders., FS Wilburg, 53 (64); ders., Fundamentale Rechtsgrundsätze, 46; dazu ders., Das Privatrecht im Rechtssystem einer „Privatrechtsgesellschaft“, 63 Fn. 84; Canaris, FS Lerche, 873 ff.: fundamentales Strukturmerkmal der Gesellschaft (881); K. Hesse, Verfassungsrecht und Privatrecht, 11; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 142; Reichold, in: Rechtsfortbildung jenseits klassischer Methodik, 63 (insbes. 72 ff.); ders., Betriebsverfassung als Sozialprivatrecht, 403 ff.; Zöllner, JuS 1988, 329 (330, 335 f.); ders., AcP 188 (1988), 85 (93 ff.); ders., Die Privatrechtsgesellschaft im Gesetzes- und Richterstaat, insbes. 20 ff., 48 f.; ders., AcP 196 (1996), 1 (3). Die Ökonomie entdeckt die ordoliberale Konzeption gerade für sich neu, vgl. Klaus Mayer/Jörg Scheinpflug, Privatrechtsgesellschaft und die Europäische Union, bsp. 6. Nur die Terminologie aufgreifend mit ansonsten großen Unterschieden in der Grundlegung Fezer, Teilhabe und Verantwortung, 363, gegenüber 366, 383 f. 316 Zur Kritik an einer besitzindividualistischen Überwältigung personaler Freiheit durch das Eigentum siehe statt vieler Kriele, Staatslehre, 201 ff., 205 ff., 210 ff.; Macpherson, Die politische Theorie des Besitzindividualismus, 304 ff.; Fezer, Teilhabe und Verantwortung, 269; Knieper, Gesetz und Geschichte, 226 ff. 317 Dazu Radbruch, Rechtsphilosophie, Gesamtausgabe, 372 f.; Schwerdtner, Persönlichkeitsrecht, 161 ff.; v. Münch/Kunig-Bryde, Art. 14 Rn. 3; Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 443. 318 Dazu nur Radbruch, Rechtsphilosophie, Gesamtausgabe, 373 ff.; AK-GG-Rittstieg, Art. 14/15 Rn. 73 ff.

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dung von Freiheit und Eigentum durchaus von vielen Seiten Zuspruch sicher sein. Nur ist auch unter Beachtung dieser drei einschränkenden Bedingungen für die kohärente Erklärung des gewillkürten Erbrechts mit der Verknüpfung von Freiheit und Eigentum sowohl alles, als auch nichts gewonnen: Es ist alles gewonnen, als Erbrecht über das Eigentum auf die Person zurückgeführt und damit erstmals – wenn auch noch reichlich abstrakt und ohne Bezug zum erbrechtlichen Normbestand – die Richtung eingeschlagen wird, das gewillkürte Erbrecht als ein funktionales Persönlichkeitsrecht zu deuten. Insofern wird zu Recht ausgeführt, die Testierfreiheit diene der Entfaltung der Persönlichkeit des Erblassers319 oder gehöre zu dessen Persönlichkeitsrechten320. Das Eigentum erscheint dann als dasjenige, welches Erbrecht und Person vermittelt. Indem in dieser Vermittlung Erbrecht als fortgesetztes (nunmehr persongegründetes) Eigentum verstanden wird, figuriert die herrschende rechtsdogmatische Verortung des Erbrechts als ausschließlich funktionales Vermögensrecht als ein Ansatz, der vermeintlich erbrechtsdogmatisch sinnvoll ist, da er ja die personalen Gehalte des Erbrechts nicht negiert. Der herrschende erbrechtliche Vermögensfunktionalismus wird dabei durch das Verständnis des Erbrechts als fortgesetztes, personal gegründetes Eigentum nicht als unsinnig abgelehnt, sondern bleibt im Verständnis des Erbrechts als funktionales Persönlichkeitsrecht bewahrt. Denn im personal gegründeten Eigentum bleibt dessen vermögenstheoretischer Aspekt im Personalen aufgehoben, da das Eigentum ja Vermögen und Person verklammert. In dieser Perspektive erscheint eine vermögenstheoretische Verortung des Erbrechts nicht als ein Widerspruch zu dessen personfunktionaler Gründung, sondern als Ausdruck der Entfaltung des in der Kategorie des Eigentums-Erbrechts aufgehobenen Widerstreits zwischen Vermögen und Person. Mit Blick auf diese Entfaltung wird dann auch klar, warum das Erbrecht durch das Grundgesetz systematisch in Art. 14 I GG in die Nähe des Eigentums gerückt worden ist321. Diese systematische Nähe des Erbrechts zum Eigentum schlägt – wie noch näher gezeigt werden wird – über das Dritte (nämlich das Person und Vermögen vermittelnde Eigentum) den rechtfertigungstheoretischen Bogen von einem rein vermögensfunktional verstandenen Erbrecht zu einem Erbrecht als funktionales Persönlichkeitsrecht, um ein personfunktional verstandenes Erbrecht auch für diejenigen annehmbar erscheinen zu lassen, die noch in dem hergebrachten paradigmatischen

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Etwa Leipold, Erbrecht, Rn. 48. So v. Lübtow, Erbrecht, 102. 321 Auf diese systematische Stellung machen beispielsweise Leipold, Erbrecht, Rn. 50; Kipp/Coing, Erbrecht, § 1 I 1; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 2 IV 2; Leisner, Verfassungsrechtliche Grenzen, 73; Rauscher, Reformfragen, 30; aufmerksam. 320

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Kontext von Erbrecht und Vermögen verwurzelt sind. Dieser Ansatz wird im weiteren den näheren Verlauf dieser Arbeit bestimmen. Mit der Verknüpfung von Eigentum und Freiheit/Person ist mithin für das Erbrechts durchaus etwas gewonnen. Diesen Vorteilen steht freilich gegenüber, daß gleichzeitig bei Lichte betrachtet durch die geschilderte Verklammerung von Eigentum und Freiheit/Person für eine kohärente Deutung des gewillkürten Erbrechts zugleich nur wenig gewonnen ist, da die Art und Weise, in der die Richtung zu einem personfunktionalen Verständnis des Erbrechts eingeschlagen wird, viel zu abstrakt und zu wenig trennscharf ist, als daß damit erbrechtlich irgendetwas kohärent erklärt werden könnte. Es bedarf daher noch der näheren Entfaltung, inwiefern der Gedanke eines personal gegründeten Erbrechts dogmatisch fruchtbar gemacht werden kann. Die mangelnde Heuristik des Modells vom Erbrecht als fortgesetztes Eigentum liegt schon daran, daß der Rekurs auf die eigentumsgegründete Freiheit nur darauf verweist, die Willkürsphären der einzelnen Rechtsgenossen unter einem allgemeinen Gesetz der Freiheit miteinander auszutarieren. Auch hier wieder formuliert die Trias von Erbrecht-Eigentum-Person/Freiheit demnach nur – wie schon so oft – die Frage anders, wie denn nun genau das gewillkürte Erbrecht in einem kohärenten System dogmatisch abgebildet werden kann, ohne zugleich irgendwelche Hinweise auf die sachgerechte Antwort zu geben. Zudem abstrahiert das bürgerliche Recht nun einmal das Eigentum weitgehend von den Eigentümern als Persönlichkeiten, um dessen Verkehrsfähigkeit sicherzustellen322. Insofern handelt das bürgerliche Recht mit ganz anderen Problemlagen als die verfassungs- und rechtstheoretische Rechtfertigung des Eigentums, was nicht ohne Einfluss auf den Legitimationsdiskurs des gewillkürten Erbrechts bleiben kann. Es überrascht mithin nicht, daß die eigentumstheoretische Freiheitssemantik nicht erklären kann, wieso beispielsweise der Wille des Erblassers und nicht die Interessen des Erben oder der Familie erbrechtlich so prominent hervorgehoben worden sind. Und es überrascht ebenfalls nicht, daß stellenweise323 das strenge erbrechtliche Willensdogma und die damit verbundene Herrschaft von kalter Hand suspekt erscheinen. Die Relevanz der bisher gewonnenen Einsichten für das Erbrecht sollen – bevor die Quintessenz aus den bisherigen Überlegungen gezogen wird – an dem Beispiel der Unternehmensvererbung nochmals verdeutlicht werden.

322

Dies ist nichts neues, siehe etwa Schachtschneider, FS Leisner, 742 (747). Etwa bei Keuk, FamRZ 1972, 9 ff.; Windel, Modi, 244 ff. mit 1 ff.; dazu näher unten § 7 I. 323

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IV. Die Anbindung des Erbrechts an die Ordnungsfunktion des Eigentums: Detailanalyse am Beispiel der Unternehmensvererbung Das Erbrecht wurde stellenweise von einer bestimmten Ordnungsfunktion des Eigentums324 her begriffen und insofern in seinem Normbestand kohärent zu deuten versucht. Wie sich zeigen wird, wäre ein personfunktional verstandenes Erbrechts mit einer derartigen Deutung schlechthin nicht verträglich. Welche Kosten mit einem auch für das Erbrecht geltenden Verweis auf die Ordnungsfunktion des Eigentums verbunden wären, kann am Beispiel der Unternehmensvererbung näher erläutert werden. 1. Erbrechtliche Unternehmensperpetuierung Im Bereich des intergenerationalen Unternehmenstransfers zeigen sich mehr und mehr Bemühungen, den Willen des Alt-Prinzipals so zu perpetuieren, daß über den Generationenwechsel hinweg ein wenig von seinen unternehmerischen Vorstellungen gerettet werden können325. Ihm ist daran gelegen, das Unternehmen in die familiare Tradition der Erblasserfamilie einzubinden, damit es als genuines Familienunternehmen ihren ökonomischen und familiaren Erhalt sichert. Wenn der Erblasser sein Unternehmen bisher als Alleinunternehmen betrieben hat, kann er insofern seinen Erben die Gründung einer Kapital- oder Personenhandelsgesellschaft per letztwilliger Gesellschaftsgründungsklausel326 von Todes wegen aufgeben. Bei einer Einmann-GmbH & Co. KG kann er schon zu Lebzeiten die Gesellschaftsverträge der KG und der GmbH auf die Situation post mortem hin zuschneiden. Wenn der Erblasser als Mitgesellschafter einer Familien-Personengesellschaft oder einer Familien-GmbH & Co. KG unternehmerisch tätig ist, kann er seine gesellschafterlichen Rechte von Todes wegen spezifisch ausgestalten und damit – gut beraten nur in Abstimmung mit seinen Mit-Altgesellschaftern – die Familiarität der Unternehmung post mortem stärken. Dieser Wunsch nach Kontinuität in Form der erbrechtlichen Perpe324 Aus dem vielfältigen Schriftum zur Ordnungsfunktion des Eigentums im allgemeinen sei hier nur auf Leisner, Verfassungsrechtliche Grenzen, 70, verwiesen, der Erbrecht als staatsfernes Ordnungsmittel der Gesellschaft begreift. 325 Die rechtspraktisch orientierte Literatur hierzu ist mittlerweile Legion, vgl. daher hier nur Theo Fasselt, Nachfolge in Familienunternehmen, 1992; ansonsten nur Michalski, Gestaltungsmöglichkeiten, passim; Windel, Modi, 55 ff. 326 Die Gesellschaftsgründung wird hierbei mittels erbrechtlicher Auflage gem. §§ 2192 ff. BGB oder – mittelbar – anhand einer bedingten Erbeinsetzung vorgeschrieben; die Bedingung wird hierbei die Gesellschaftsgründung darstellen. Vgl. zur letztwilligen Gesellschaftsgründungsklausel nur York Strothmann, Die letztwillige Gesellschaftsgründungsklausel, 16 ff.

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tuierung von Unternehmen kann auf den Erhalt insbesondere von Familienunternehmen327 gerichtet sowie strategisch, personell oder finanziell angelegt sein328. Soweit personelle Kontinuität zur Rede steht, geht es um den Erhalt einer funktionsfähigen Unternehmensleitung. Mittels finanzieller Kontinuität soll das Gesellschaftskapital gegen ein kapitalschmälerndes Verhalten der Erben-Gesellschafter und der Pflichtteilsberechtigten gesichert werden. Strategische Kontinuität schließlich wird dann angestrebt, wenn die erblasserische Unternehmenspolitik post mortem gesichert werden soll. Wenn der Erblasser primär seinen Erben vertraut, wird er die Perpetuierung vorrangig durch bestimmte Erwartungen an die Erben post mortem sicherstellen und sich auf Pietät und personale Verbundenheit in seinem Geiste verlassen. Doch wenn ihm der Perpetuierungsmodus „Vertrauen“ stückweise oder gänzlich wegbricht, wird der Erblasser versuchen müssen, auf andere Weise sicherzustellen, daß das Unternehmen nach seinen Vorstellungen weitergeführt wird. Hierzu stehen ihm bei einer Personengesellschaft ein ganzes Bündel verschiedener Maßnahmen zur Verfügung, man denke nur an die Einräumung einer Kommanditistenstellung oder einer stillen Beteiligung, an Stimmrechtsbeschränkungen oder an Maßnahmen gegen Auflösungs- und Satzungsänderungsbeschlüsse entgegen den Diktionen des Unternehmensgründers sowie an Maßnahmen zur Neutralisierung von Einzelkündigungsrechten. Daneben läßt sich beispielsweise strategische Kontinuität auch mit stiftungsrechtlichen Mitteln329, mit stiftungsähnlichen Instrumenten, wie der unselbständigen fiduziarischen Stiftung und dem testamentarischen Familiengut330, und mit rein erbrechtlichen Mitteln wie Testamentsvollstreckung und ähnliches erreichen. Grundsätzlich ist aber eine Perpetuierung nur möglich, wenn in das Personengesellschaftsstatut körperschaftliche Elemente wie die besagten Stimmrechtsbeschränkungen und Vertreterklauseln eingebaut werden. Werden sie eingebaut, gewinnt das Unternehmen die Qualität eines Subjekts mit eigenen, von der Summe der 327 Die Deutungen hinsichtlich des Begriffs „Familienunternehmung“ sind naturgemäß breit gefächert, vgl. hierzu die Übersicht bei W. Freund/G. Kayser/E. Schröer, Generationenwechsel im Mittelstand, Institut für Mittelstandsforschung Bonn, 4 ff. Hier soll von einem Familienunternehmen dann die Rede sein, wenn sich die Unternehmung im Eigentum einer Familie oder eines Familienverbandes befindet und diese oder dieser deshalb einen bestimmenden Einfluß auf die Entwicklung des Unternehmens nehmen kann. 328 Vgl. zu diesen Aspekten der Unternehmensperpetuierung H. Albach/W. Freund, Generationenwechsel und Unternehmenskontinuität, 28 ff. 329 Dazu Robert Lehleiter, Die Familienstiftung als Instrument zur Sicherung der Unternehmenskontinuität, 1996. 330 Also bsp. einer Kombination eines Teilungsverbotes hinsichtlich bestimmter Nachlaßgegenstände mit Verwaltungsanordnungen, einem Bestimmungsvermächtnis, der Einsetzung eines Testamentsvollstreckers und erbrechtlichen Verwirkungsklauseln zur indirekten Sicherung des gesamten Vorhabens.

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koordinierten Gesellschafterinteressen zu sondernden Interessen und wandelt sich von einer Vertrags- zu einer Satzungsgesellschaft331. Bei all dem kann die erblasserische Intention zur Perpetuierung der Unternehmenspolitik auf ganz unterschiedliche Ziele gerichtet sein; zwischen dem Ansinnen, familiare Verbundenheit auch nach dem Ableben des Prinzipals ökonomisch zu sichern, und dem Versuch, die bisher vom Unternehmer an den Tag gelegten ökonomischen Leitlinien des Handelns am Markt zu erhalten, siedeln sich ganze Bündel diverser Perpetuierungsmotivationen an. Diese können wirtschaftlich vernünftig sein – oder auch nicht. Auch kann das erblasserische Bemühen, die Überlebenden zur Einhaltung der sozialen Regeln der Herkunftsfamilie anzuhalten, dem Zeitgeist widersprechen, wenn die zunehmende Individualisierung und die vermehrt zu beobachtenden Kontinuitätsbrüche des familiaren Milieus betrachtet werden – oder auch nicht. Rechtlich interessiert vielmehr nur folgendes: 2. Der Angriff auf die Perpetuierungsidee von der Ordnungsfunktion des Eigentums her a) Die Annahme einer Unsinnigkeit der Herrschaft „von kalter Hand“: Die verborgene Abwertung der Affektion gegenüber der Vernunft Die rechtliche Frage, die sich hier schon stellt, ist die nach dem rechten Blickwinkel, unter dem das Perpetuierungsbemühen rechtlich bewertet werden soll. Sehr häufig ist von einer unberechtigten „Herrschaft von kalter Hand“ die Rede oder von einem „sinnlosen Machtstreben über den Tod hinaus“332. Dies ist eine Vorstellung, die schon das rationalistische Vernunftsrecht zum Nachweis bemühte, die Überlebenden seien nicht qua Naturrecht gehalten, den letzten Willen zu respektieren, zumal ein Toter kein Interesse mehr daran haben könne, wer seine Güter post mortem genieße333. Und im 19. Jahrhundert war die Abwertung eines derartigen 331 Vgl. zu dieser quer zur üblichen Unterscheidung zwischen Personen- und Kapitalgesellschaften liegenden Dichotomie nur Reuter, Privatrechtliche Schranken, 54 ff., 59 ff. Ähnlich Martens, Mehrheits- und Konzernherrschaft in der personalistischen GmbH, 114; sowie Wiedemann, FS H.Westermann, 585 (588 Fn. 6), der von „Adhäsionsgesellschaften“ statt „Satzungsgesellschaft“ spricht. Es geht im Kern um die Skizzierung zweier Extremata: der von Kontrakt und Organisation, vgl. dazu nur Köndgen, in: Ott/Schäfer (Hrsg.), Ökonomische Analyse des Unternehmensrechgts, 128 (insbes. 141 f.). 332 So etwa bei Dauner-Lieb, Unternehmen, 228. Ähnlich für den Bereich der Testamentsvollstreckung Wiedemann, Übertragung, 316; Lorz, Testamentsvollstrekkung, 9; Offergeld, Rechtsstellung, 214 ff.; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 31 II 2. 333 Zur Argumentation von Heineccius und Pufendorf siehe Klippel, ZRG Germ. Abtl. 101 (1984), 117 (121); Giger, Schicksal, Bd. 1, 64 f.

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„Machtstrebens“ ein beliebtes Mittel im Kampf gegen tradierte, auf Vererbung beruhende Feudalstrukturen334. Zudem ist mit dem Eigentum Macht unweigerlich verbunden. Wenn das Erbrecht als fortgesetzes Eigentum verstanden wird, wieso wird dann auf einmal die Machtkomponente negativ konnotiert? Im Zeitalter der Positivierung des Rechts sind derartige, schon der naturrechtlichen Überlieferung inhärenten Wertungen denn auch begründungsbedürftig. Es müßte demnach der Nachweis erbracht werden, wieso es rechtlich überhaupt sinnvoll sein soll, von einem „sinnlosen“ und „unberechtigten“ Perpetuierungsunterfangen zu sprechen – wirtschaftlich oder moralisch mag dies ja durchaus anders sein, rechtlich ist diese wirtschaftliche oder moralische Wertung aber zuerst einmal nur rechtssystemexternes „Rauschen“ im Sinne Luhmanns. Anders wäre dies nur, wenn die Sinnlosigkeit des „Machtstrebens über den Tod hinaus“ damit begründet werden könnte, daß das (erb-)rechtlich geschützte Interesse der Rechtsperson zunehmend zu Recht objektiviert wird. Die Rechtsperson würde dann als eine Person konstruiert, deren Wille nicht durch Triebe und Neigungen getrübt ist – Triebe und Neigungen sind ja alles ganz subjektive Dinge. Bei einer derartigen Objektivierung des schutzwürdigen Interesses wird einem etwaigen, bei der Rechtsperson aufscheinenden affektiven „Begehren“ sofort die Grenzen der (ökonomischen) Notwendigkeit entgegengesetzt 335. Besonders prägnant hat ein derartiges Denken im Begriff des „unbeachtlichen Affektionsinteresses“ im Deliktsrecht seinen genuinen Ausdruck gefunden. Eine derartige Abwertung der Affektion einher mit einer Funktionalisierung des subjektiven Rechts auf das Ökonomische muß sich jedoch kohärent auf den gesetzlichen Normbestand zurückführen lassen – und dies wird, so die hiesige These, beim gewillkürten Erbrecht nicht gelingen. b) Erbrechtliche Affektion und die Ordnungsfunktion des Eigentums aa) Ordoliberalismus und Unternehmensperpetuierung Eine durchaus rechtliche336 Begründung, warum eine Unternehmensperpetuierung von Todes wegen rechtlich negativ bewertet werden kann, stellt demgegenüber Dieter Reuter auf der Basis ordoliberalistischen Denkens vor: Die für die Selbstbestimmung des einzelnen – hier liegt der rechtliche 334 Siehe etwa zu den Überlegungen Wilhelm von Humboldts Klippel, ZRG Germ. Abtl. 101 (1984), 117 (151). 335 Dazu Krüger, Allgemeine Staatslehre, 459 ff.; Knieper, Gesetz und Geschichte, 110 ff. 336 Anderer Ansicht sind Karsten Schmidt, GesR, § 5 III 2 b; ders., JZ 1984, 771 (781); und Flume, Personengesellschaft, § 13 I, die Reuter unter Ideologieverdacht stellen.

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Ausgangspunkt Reuters – erforderliche Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs hängt von der Steuerbarkeit der Wirtschaftssubjekte durch die vom Markt signalisierten Gewinnchancen und Verlustrisiken, diese Steuerbarkeit wiederum von der Empfänglichkeit der Marktteilnehmer für Marktanreize und der Möglichkeit ab, ihr jeweiliges wirtschaftliches Eigeninteresse überhaupt wahrzunehmen. Letzteres sei an ein gewisses Format unternehmerischen Handelns gekoppelt, dessen Güte Reuter explizit dort gefährdet sieht, wo „die unternehmerischen Führungspositionen in die Wiege gelegt werden, statt durch beruflichen Aufstieg kraft Leistung erworben werden“337 müssen. Mit dieser Wettbewerbsidee unvereinbar sei sowohl ein auf die Förderung der Perpetuierung festgelegtes und insofern institutionell gebundenes Handeln am Markt als auch eine der Leitidee der Institution und nicht primär eine den Eigeninteressen der Gesellschafter verpflichtete gesellschaftsinterne Willensbildung – und gerade dies sei das vorrangige Kennzeichen der zuvörderst unter Rekurs auf den institutionellen Leitgedanken familiarer Verbundenheit perpetuierten Unternehmen338. Die aus Sicht Reuters verlorengegangene Harmonie zwischen Unternehmen, Unternehmensträger und Markt will Reuter rechtstechnisch vor allem durch die Instrumente der Analogie und der teleologischen Reduktion verschiedener gesellschaftsrechtlicher Normen wiedergewinnen. Ein gutes Beispiel hierfür bietet die Reutersche Diskussion der Freiwilligkeit der Mitgliedschaft in einer Personengesellschaft, die die Verfolgung der eigenen Kapitalanlageinteressen ermöglicht und die daher für den ordoliberalen Ansatz sehr wichtig ist. Während die Kautelarjurisprudenz die dispositiven §§ 723 BGB, 123, 134, 161 II HGB umschifft, indem gesellschaftsvertragliche Restriktionen des freien Kündigungsrechts entwickelt werden, soweit die Perpetuierung von Unternehmen zur Rede steht, trägt Reuter historische und aus dem systematisch-teleologischen Kontext der vereins- und gesellschaftsrechtlichen Wertungen gewonnene Argumente vor und wehrt vor diesem Hintergrund mittels einer Analogie zu § 39 BGB und einer teleologischen Reduktion des § 54 S. 1 BGB einher mit austrittsfreundlichen Abfindungslösungen339 die von der Kautelarjurisprudenz entwickelten Re337 Reuter, in: FS Mestmäker, 271 (280); ders., in: Beuthien (Hrsg.), Arbeitnehmer oder Arbeitsteilhaber, 89 (99). 338 Vgl. Reuter, Privatrechtliche Schranken, 54 ff., 67 ff.; ders., AcP 189 (1989), 199 (214 ff.). 339 Probleme hinsichtlich der Notwendigkeit des Kapitalerhalts will Reuter dann durch einen sich entwickelnden Kapitalmarkt für Unternehmensbeteiligungen jenseits herkömmlich börsennotierter Unternehmen bewältigt sehen, vgl. ders., in: DJT 55 (1984), B 44 ff. für die Verbesserung der Nachfrage nach, B 74 ff. für die Verbesserung des Angebots an, sowie B 97 ff. hinsichtlich der Verbesserung der Vermittlung von externem Risikokapital insbes. durch einen mittelbaren Zugang zur Börse über Kapitalbeteiligungsgesellschaften; ders., AcP 181 (1981), 1 (18 f.).

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striktionen des freien Kündigungsrechts ab340. Die damit vorgeschlagene zwingende Freiwilligkeit einer jeden Mitgliedschaft in einer Personenhandelsgesellschaft hat nun für einen Ordoliberalen gleichsam heilsame Folgen. Denn Personenhandelsgesellschaften mit zwingend freiwilliger Mitgliedschaft passen nicht mehr für die Fallgruppen, die Reuter aufgrund seines ordoliberalen Ansatzes avisiert: Für körperschaftlich strukturierte Personenverbände – also bsp. für perpetuierte Handelsgesellschaften – ist das Handesgesellschaftsrecht nicht mehr so interessant, so daß es faktisch zu einem Rechtsformzwang für körperschaftlich strukturierte Personengesellschaften in das Recht der Kapitalgesellschaften kommt. Gerade deshalb sieht Reuter nicht nur die Alternativen zwischen einem Nachrücken sämtlicher Erben in eine Gesellschaft auf der einen und der Nachfolge nur eines Erben mit der Folge von die Gesellschaft gefährdenden Abfindungszahlungen auf der anderen Seite, sondern ein tertium: den Wechsel der Rechtsform341. Die Konsequenzen dieser indirekten Steuerung des Verhaltens der Rechtssubjekte mittels einer Rechtsfortbildung praeter legem mit ihrem Druck zu einer strukturgerechten Rechtsformenwahl sind für perpetuierte FamiliengesellEs käme dann zu einer konsequenten Trennung zwischen Unternehmen und Unternehmensträger, wie sie stellenweise auch sonst propagiert wird, vgl. bsp. nur Friedrich Kübler/Reinhard H. Schmidt, Gesellschaftsrecht und Konzentration, 134 ff., 152 ff., 170 ff., 181 ff., 200 ff., vgl. auch Schmidt, in: Ott/Schäfer (Hrsg.), Ökonomische Analyse des Unternehmensrechts, 170, dort 186 ff. zum Problem des Eigenkapitals. Im Insolvenzrecht wird die Diskussion unter Sanierungsaspekten aufgegriffen, vgl. nur Manfred Balz, Sanierung von Unternehmen oder von Unternehmensträgern?, 1986; ders., Die Ziele der Insolvenzordnung, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 3 ff. Rn. 18; Maus, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 707 ff. Rn. 11 ff.; Karsten Schmidt, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 911 ff. Rn. 34; Horst Eidenmüller, in: Ott/Schäfer (Hrsg.), Effiziente Verhaltenssteuerung und Kooperation durch Zivilrecht, 145 (152 ff.). Für Übergangsformen zwischen Personen- und Publikumsunternehmen sieht Reuter als ideale Unternehmensform die KGaA an, vgl. ders., DJT 55 (1984), B 69. Der Gesetzgeber versucht mittlerweile, über die Einführung von Sonderbestimmungen für sog. „kleine AGen“ wenigstens im Recht der Normativbestimmungen für den Mittelstand Schranken vor dem Kapitalmarkt zu senken. Vgl. allg. zum Börsenzugang für Familienunternehmen umfassend Walter Schürmann/Kurt Körfgen, Familienunternehmen auf dem Weg zur Börse, 3. Aufl. 1997; Dieter Jeschke, Die Börseneinführung eines Familienunternehmens – eine Möglichkeit zur Zukunftssicherung, in: Hennerkes (Hrsg.), Unternehmenshandbuch Familiengesellschaften, 1995, 167 ff.; sowie – in Auseinandersetzung mit Reuter – Karsten Schmidt, JZ 1984, 771 (783 ff.). 340 Reuter, Privatrechtliche Schranken, 68 ff., 79 ff., 87 ff.; MünchKomm-ders., vor § 21 Rn. 80 f.; § 54 Rn. 3 ff., 7; ders., AG 1979, 321 (324 f.); ders., ZGR 1981, 364 ff.; ders., AcP 181 (1981), 1 (6 ff., 15 ff.); ders., GmbH-Rdsch 1981, 129 (139); ders., in: DJT 55 (1984), B 50 ff., B 53 ff., B 57 ff.; ders., ZGR 1991, 467 (479 f.). 341 Besonders deutlich in Reuter, AcP 181 (1981), 1 (25); ders., FS Mestmäker, 271 (282 f.).

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schaften geradezu radikal: Die Perpetuierungsidee wäre praktisch am Ende und auch für den von Todes wegen Verfügenden kein Thema mehr, der seinen Erben mittels einer letztwilligen Gesellschaftsgründungsklausel etwa aufgeben gedenkt, daß seine Erben eine auf das Familieninteresse verpflichtete Personengesellschaft gründen.

bb) Kritik Die von Reuter reklamierten Restriktionen des freien Erblasserbeliebens wiederum sind für ein personfunktional verstandenes Erbrecht so, wie das Ende der Perpetuierungsidee vom Ordoliberalismus hergeleitet wurde, inakzeptabel. Denn der Ausgangspunkt ist für Reuter die Idee privatautonomer Selbstbestimmung, die es zu schützen gälte und die das Perpetuierungsgeschäft hintertreibe. Reuter instrumentalisiert insofern das subjektive Recht auf die Anforderungen einer als vorrechtlich gedachten liberalen Freiheit und verschiebt daher die Personfunktionalität des Erbrechts in den Bereich des Vorrechtlichen, wo sie für den liberalen Theoretiker immer schon hingehört. Damit schlagen aber die Rationalitätskriterien des Objektsbereichs, der die vorrechtliche liberale Freiheit sichern soll (eben die Wettbewerbsordnung), unvermittelt auf das instrumentell verstandene Recht durch342 – und verkürzten es damit: Für einen Ordoliberalen bliebe unerfindlich, wieso das Erbrecht eine so starke Willensherrschaft des Erblassers errichtet. Sicherlich, die Testierfreiheit kann sich nur im Rahmen der Rechtsordnung entfalten und könnte daher auch die durch Reuter im Wege der Rechtsfortbildung enorm ausgeweiteten Schranken des zwingenden Rechts nicht übersteigen. Dies ist sicherlich richtig. Doch darum geht es an dieser Stelle gar nicht. Vielmehr steht die Überzeugungskraft der von Reuter ins Werk gesetzten Rechtsfortbildung zur Rede. Hier, im Rahmen dieser Rechtsfortbildung, spielt durchaus die Erwägung eine Rolle, mit dieser Fortbildung würde die – im weiteren zu entwickelnde – Personfunktionalität des gewillkürten Erbrecht mißachtet, da die erbrechtlichen Attribute funktionaler Personalität nicht ohne Kriterienverluste in den Denk- und Handlungszusammenhang eines ordoliberal umrahmten Marktes gestellt werden können. Die Folge wäre eine ungerechtfertigte rechtssystematische Dominanz einzelner Normgruppen sowie die Gefahr normzweckspezifischer Funktionsverfehlungen (nämlich Verfehlung des Telos des gewillkürten Erbrechts) aufgrund des in seiner Marktbezogenheit eigentümlich verkürzten Verdikts von der 342 Die Gefahr, daß bei einem rein instrumentellen Verständnis des Rechts die Rationalitätskriterien des jeweiligen Objektsbereichs leicht auf das Recht durchschlagen, ist oft beschrieben worden, vgl. nur bsp. Assmann, Wirtschaftsrecht in der mixed economy, 220.

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„Einheit der Rechtsordnung“. Der Ordoliberalismus würde dann eines der anschaulichsten Beispiele für eine – rechtlich in dieser Form nicht angängige – unstimmige Funktionalisierung des subjektiven Rechts liefern. Dies zeigt, welche Sprengkraft in dem Gedanken der Personfunktionalität eingeschlossen ist: Die noch näher zu begründende erbrechtliche Personfunktionalität weist Einbruchstellen eines rechtlich strukturierten personalen Denkens beispielsweise in das Wirtschaftrecht auf, wenn dort der intergenerationale Vermögenstransfer zur Rede steht. Der erbrechtliche Personfunktionalismus stärkt insofern das Anliegen des Personenrechts, gegen das zunehmende Ausufern wirtschafts- und vermögenstheoretischer Denktraditionen auf zahlreiche Gebiete des Privatrechts und gegen die damit verbundene, am Paradigma des Warentauschs ausgerichtete Verdinglichung privater Rechtsverhältnisse die rechtlichen Gehalte des Personalen wieder auf ihren genuinen Platz im Diskurs des Rechts zurückzurufen. Er setzt damit einen nachdrücklichen Kontrapunkt gegen die schleichende Funktionalisierung zentraler Materien des Zivilrechts durch das neue Naturrecht eines ökonomischen Rechtsdenkens. Einem Verständnis des Erbrechts als bloß fortgesetzes Eigentum bliebe all dies tendenziell verschlossen.

V. Erbrecht als fortgesetztes Eigentum: Ergebnis Die bisherigen Erörterungen zum Verständnis des Erbrechts als fortgesetztes Eigentum haben ergeben, daß dieses Erbrechtsverständnis zwar konstitutionstheoretisch einsichtig sein mag, zur kohärenten Deutung des geltenden erbrechtlichen Normbestands jedoch weitgehend untauglich ist. Die weitaus überwiegend konsentierte Verklammerung von Eigentum und Arbeit, die im Gefolge der frühneuzeitlichen Arbeitstheorie Lockes unerschütterliches Element des Traditionsbestands der herrschenden Eigentumssemantik wurde, steht einer auf das verlängerte Eigentum bezogenen kohärenten Deutung der geltenden Vorentscheidungen der gewillkürten Erbrechtsordnung als Recht sowohl in der Lockeschen Fassung als auch in der adaptierten Form der zeitgenössischen Legitimationsdiskurse entgegen. Ähnliches gilt für den zweiten Legitimationsstrang des Eigentums, der im eigentumstheoretischen Diskurs der Moderne und der Gegenwart eine prominente Stellung hat einnehmen können: Die schon von Locke thematisierte, sodann von Kant in den modernen Verfassungsstaat eingebrachte und von Hegel emphatisch gefeierte Verschwisterung von Eigentum und Freiheit. Diese Verknüpfung hat sich als dermaßen abstrakt erwiesen, daß vor ihrem Hintergrund der erbrechtliche Normbestand weder gerechtfertigt noch nicht gerechtfertigt werden konnte. Dies lag vor allem daran, daß die Einbindung des Eigentums in die Freiheit darauf verweist, das Eigentum unter das kantische allgemeine Gesetz der Freiheit zu stellen, so daß es gilt, die

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Willkürsphäre des einen mit der des anderen untereinander nach dem „Prinzip Maximierung kompatiblen Freiheitsgebrauchs“343 voneinander abzugrenzen. Mit anderen Worten: Mit der Verbindung von Eigentum und Freiheit wird nur die Frage neu formuliert, warum der Gesetzgeber in der Testierfreiheit „das am deutlichsten individuelle, am wenigsten gemeinschaftsgebundene Recht“344 geschaffen und damit die einzelnen Willkürsphären der Normunterworfenen so und nicht anders austariert hat. Nachdem sich das Erbrecht nicht kohärent auf das Eigentum hat zurückführen lassen, kann – überspitzt gesagt – die Testierfreiheit sogar nicht mehr emphatisch als „Palladium bürgerlicher Selbstbestimmung“345 gefeiert werden – denn das ist sie gerade nicht, zumindest wenn das Bürgerliche der Selbstbestimmung, wie so häufig346, mit dem Eigentum verbunden wird. Es bleibt also die Frage: Warum setzt der Gesetzgeber so weit auf das erbrechtliche Willensdogma? Diesbezüglich errichtet der Text des Gesetzes einen Erklärungszwang, der im juristischen Sprachspiel bisher noch nicht eingelöst worden ist. Dies ist die eine Seite. Gleichwohl konnte auf der anderen Seite dargelegt werden, daß in der Rückführung des Erbrechts auf das (freiheitsgegründete) Eigentum ein durchaus fortführender Gedanke eingeschlossen ist. Es ließ sich zeigen, daß sich das Eigentum als das vermittelnde Dritte erweist, welches Person und Vermögen verbindet und damit den Weg zu einem personfunktional verstandenen Erbrecht eröffnet. Im Durchgang durch die Kritik an der Rückführung des Erbrechts auf das Eigentum wurde damit zugleich der Weg gewiesen, sich in einer kohärenten Interpretation des geltenden Normbestands die Marschroute zu einem personfunktionalen Erbrecht zu erschließen. Bevor dies die Thematik der weiteren Überlegungen sein wird, soll zuvor kurz noch ein Blick auf diejenigen Ansätze geworfen werden, die unberührt von der Diskussion um die erbrechtsdogmatische Heuristik einer Verklammerung von Erbrecht und Eigentum einen personalen Gehalt des letztwillig Verfügten durchweg bestreiten und insofern die Inhalte einer Verfügung von Todes wegen auf vermögensbezogene Anordnungen beschränken wollen.

343

Lübbe-Wolff, in: Brandt (Hrsg.), Rechtsphilosophie der Aufklärung, 286 (300). Leisner, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 15. 345 v. Lübtow, zitiert nach Tschäppler, Testierfreiheit, 22. 346 Dazu siehe oben § 6 IV 2. 344

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§ 7 Testierfreiheit als reine Vermögensfreiheit I. Die Prägung erbrechtlicher Anordnungen auf das Vermögen Einem personfunktionalen Verständnis des gewillkürten Erbrechts würde der Boden entzogen, wenn ein schon Anfang der 70er Jahre von Keuk347 am Beispiel der erbrechtlichen Potestativbedingungen entwickelter und jüngst durch Windel348 allgemein für das Erbrecht anhand einer Diskussion des Prinzips der Universalsukzession neu belebter und modifizierter Ansatz durchschlagen würde, die Inhalte einer Verfügung von Todes wegen seien weitgehend auf vermögensbezogene Anordnungen zu beschränken. Keuk erachtet erbrechtliche Potestativbedingungen für sittenwidrig, wenn das zur Bedingung gemachte Verhalten ganz allgemein die Privat- und nicht die Vermögenssphäre des Bedachten betrifft, wenn also eine nicht rein auf das Vermögen bezogene Beschränkung der Willens- und Handlungsfreiheit des Bedachten gegeben ist, mag der Grad der Beeinträchtigung auch gering sein349. Windel setzt demgegenüber nicht am Sittenwidrigkeitsverdikt an, sondern erkennt aus dem Begriff der Universalsukzession abgeleitete immanente Schranken der erblasserischen Gestaltungsfreiheit an und läßt insofern bindende Willensentscheidungen des Erblassers dem Erben gegenüber ohne weiteres nur fortwirken, wenn sie im hinterlassenen Vermögen einen objektiven Niederschlag gefunden haben. Für darüber hinausgehende Bindungen durch den Erblasser müßten hingegen legitime Gründe angeführt werden350.

II. Kritik am erbrechtlichen Vermögensfunktionalismus 1. Der Rekurs auf freigebige Gesinnung Die von Keuk und Windel favorisierte harsche Ausrichtung der Testierfreiheit auf vermögensbezogene Anordnung überzeugt nicht. Der Ansatz Windels wurde schon einer Kritik unterzogen351; hierauf sei verwiesen. Doch auch dem Keukschen Gedankengang kann nicht beigestimmt werden. Denn Keuk unternimmt eine implizite Ausrichtung der Testierfreiheit auf das Vermögen, vor deren Hintergrund die Beschränkung der Wirksamkeit erbrechtlicher Anordnungen auf vermögensbezogene Verfügungen sich als 347 348 349 350 351

Keuk, FamRZ 1972, 9 ff. Windel, Modi, 244 ff. mit 1 ff. Keuk, FamRZ 1972, 9 (14 f.). Windel, Modi, 244 f. Oben § 4 III 3.

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geradezu zwangsläufig erweist. Einmal sei nur das Vermögen das „Objekt, über welches der Erblasser frei ist, von Todes wegen zu verfügen“352. Die Zuständigkeit zur Verfügung sei dem Erblasser zuerkannt, weil er bislang nun einmal verfügungsberechtigt gewesen sei. Doch nicht nur dies – sie sei ihm zudem zuerkannt, um sie zum Ausdruck freigebiger Gesinnung, nicht aber zu Zwecken der Disziplinierung bedachter Personen einzusetzen und insofern die „patria potestas über ihr natürliches Ende hinaus künstlich bis zum Tode des ihr einst Unterworfenen zu erstrecken“353. Es liegt auf der Hand, daß all dies schon deshalb keine rechtlich überzeugende Begründung für eine Einschränkung der Testierfreiheit darstellen kann, weil die Tatsache, daß letztwillige Verfügungen sich des Vermögens des Verstorbenen annehmen, ja eine notwendige Bedingung ist, abgesehen vom postmortalen Persönlichkeitsrecht überhaupt irgendwelche rechtlich verbindlichen Wirkungen post mortem zu erzielen – das körperliche Substrat, welches den Rechtsfolgewillen des Rechtssubjekts zu Lebzeiten trägt, ist ja mit dem Tode weggefallen354. Mit anderen Worten: Die Tatsache, daß sich die Testierfreiheit des Vermögens bedienen muß, um rechtliche Wirkungen zu entfalten, ist für eine jede erbrechtsdogmatische Konzeption des gewillkürten Erbrechts – mag sie vermögensfunktional, familiarfunktional oder personfunktional ausgerichtet sein – zwangsläufig notwendiger Ausgangspunkt355. Es kann deshalb keine Rede davon sein, die Erbrechtsordnung würde allein schon aufgrund dieses Ausgangspunkts zu erkennen geben, die Testierfreiheit bediene sich nicht nur des Vermögens, sondern – wie Keuk356 dies sieht – beziehe sich teleologisch auf das Vermögen. Und soweit Keuk davon ausgeht, die Testierfreiheit sei dem Erblasser zum Ausdruck freigebiger Gesinnung, nicht jedoch als Mittel insbesondere familiarer Disziplinierung zuerkannt, so kann diesem Diktum eine gewisse Beliebigkeit nicht abgesprochen werden. Denn es entspricht einer langen, schon im Second Treatise von Locke357 und bei Pufendorf358 verankerten, bei der Entstehung des BGB vorgetragenen359 und auch heute noch hervorgehobenen360 Denktradition361, gerade eben in der Testierfreiheit ein vorzügliches 352

Keuk, FamRZ 1972, 9 (14). Keuk, FamRZ 1972, 9 (14). 354 Siehe zur Begründung, warum die Tatsache, daß das tatsächliche Substrat, mit welchem das Erbrecht handelt, das Vermögen darstellt, die Annahme seiner Personfunktionalität nicht hindert, ausführlicher unten § 9 IV. 355 Zur Bedeutung des Vermögens im Prozeß des Testierens siehe auch unten § 9 IV. 356 Keuk, FamRZ 1972, 9 (14). 357 Locke, Zwei Abhandlungen, § 73 der Zweiten Abhandlung. 358 Dazu Klippel, ZRG Germ. Abtl. 101 (1984), 117 (126 f.). 359 Dazu Schröder, Abschaffung oder Reform, 83, 90, 94; Klippel, ZRG Germ. Abtl. 101 (1984), 117 (165). Zur Vorgeschichte vgl. den kurzen Abriß bei Hattenhauer, Grundbegriffe, 199. 353

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Mittel zu erblicken, disziplinierend auf die Abkömmlinge einzuwirken. Keuk muß sich deshalb die Frage gefallen lassen, wieso das Recht gerade dann die freigebige Gesinnung gegenüber dem Disziplinaraspekt prämieren soll, wenn es ausgerechnet im gewillkürten Erbrecht die Willensfreiheit des Erblassers so besonders hervorhebt. 2. Die implizite Restriktion der Testierfreiheit auf das Vermögen Wichtiger ist denn auch ein anderes von Keuk bemühtes Argument: Der Rückschnitt der Testierfreiheit auf vermögensbezogene Anordnungen sei schon deshalb erforderlich, weil dem Testator im Gegensatz zu seinen Lebzeiten post mortem kein schutzwürdiges Interesse mehr zur Seite stünde, den Bedachten zu disziplinieren. Keuk vermißt demnach ein schutzwürdiges Interesse an der Ausübung einer Testierfreiheit, die sich nicht rein auf vermögensbezogene Anordnungen zurückzieht, sondern etwa über Potestativbedingungen auf die Bedachten einwirken will. Dieser Keuksche Einwand, ein schutzwürdiges Interesse sei nicht ersichtlich, ist überaus hart, da ja die Berechtigung einer auf nicht-vermögensbezogene Anordnungen sich kaprizierenden Testierfreiheit verschwindet, wenn man in der Jehringschen Tradition das subjektive Recht als rechtlich geschütztes Interesse versteht. Ersichtlich schimmert bei der Einstufung des auf nicht-vermögensbezogene Anordnungen gerichteten Interesses als nicht schutzwürdig das alte, schon im Kontext der naturrechtlichen Erbrechtsdebatte des Vernunftsrechts von Thomasius und Pufendorf aufgeworfene und in der Wende des 18. zum 19. Jahrhunderts erneut thematisierte naturrechtliche Argument durch, wieso überhaupt die Rechtsperson ein Interesse daran haben soll und kann, welches Schicksal ihrem Vermögen post mortem zugedacht sein soll362 – nur wird dieses vermißte Interesse nunmehr nicht auf das Schicksal des vererbten Vermögens, sondern auf das Verhalten des Bedachten bezogen, da die Legitimation des erbrechtlichen Erwerbs ansonsten von Keuk natürlich nicht bestritten wird. Doch auch dieser interessenbezogene Gedanke überzeugt nicht. Denn Keuk stützt sich auch hier wieder implizit auf eine vermögenstheoretische Überlegung, indem sie ausführt, im Gegensatz zu seinen Lebzeiten „koste“363 dem Testator der Versuch nichts, post mortem dem Bedachten seinen Willen aufzuzwingen, da er Mittel einsetze, die er selbst nicht mehr entbehren wird. Letzteres ist richtig, soweit allein das 360

Diesbezügliche Hinweise etwa bei Rauscher, Reformfragen, 264. Hierzu siehe allgemein Tschäppler, Testierfreiheit, 32 ff.; Knieper, Gesetz und Geschichte, 94 ff., insbes. 94, 107. 362 Dazu oben § 5 II 2. 363 Keuk, FamRZ 1972, 9 (14). 361

§ 7 Testierfreiheit als reine Vermögensfreiheit

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Vermögen in den Blick kommt, nur liegt all dies auch hier wieder in der Natur des postmortalen Erwerbs überhaupt, so daß sich aus der „Entbehrungs-Metapher“ für die Bewertung der Grenzen der Testierfreiheit nichts ergeben kann. Doch sind dies nur Marginalien. Die alles entscheidende Weichenstellung Keuks liegt in der Diktion, dem Erblasser koste sein Handeln nichts. Keuk richtet hier unterschwellig die Testierfreiheit nach vermögenstheoretischen Kriterien aus, an denen entlang sie dann auch die Frage nach der Schutzwürdigkeit etwaiger Interessen orientiert. Damit bleibt aber auch ihr die gesetzliche Entscheidung verschlossen, warum dann gerade das Erbrecht dasjenige Rechtsgebiet des Privatrechts ist, welches die am weitesten vorangetriebene Privatautonomie kennt. Wieso sollte das Gesetz so strikt den erblasserischen Willen schützen, wenn es unter der Hand über § 138 I BGB sogleich den gleichen Willen wieder beschränkt? Oder in anderen Worten: Indem Keuk die Testierfreiheit auf vermögensbezogene Anordnungen beschränkt, optiert sie in dem Projekt, das erbrechtliche Normmaterial als Austarierung der Willkür des einen (der Erblasser) mit der Willkür des anderen (der Bedachte und Dritte) unter einem allgemeinen Gesetz der Freiheit zu deuten, inzident für die Seite des Bedachten, ohne auszuweisen, wieso dies so sein soll. Innerhalb ihres Ansatzes stehen Keuk nicht die dogmatischen Instrumente zur Verfügung, das gewillkürte Erbrecht in einem kohärenten System rechtlicher Wertung zu erklären, da ihr ja keine Gründe verbleiben, die Interessengewichtung so zu vollziehen, daß sie mit dem geltenden Normbestand in Einklang gebracht wird. Die Gegenfrage liegt damit auf der Hand: Wieso soll das nicht auf vermögensbezogene Anordnungen gerichtete Interesse des Erblassers nicht schutzwürdig sein – wenn dieser etwa meint, ohne nicht-vermögensbezogene Anordnungen würde sein postmortales Ansehen merklich leiden? Er kann im Falle einer Beschränkung der Testierfreiheit auf vermögensbezogene Verfügungen nicht dem nachgehen, was im Folgenden als das Essential der Verfügung von Todes wegen ausgewiesen werden wird: Sich angesichts des Todes im Akt des Testierens Rechenschaft ablegen sowohl über sein Selbst und seine Person als auch über den sozialen Geltungsanspruch, der ihr nach seinem Tode zuteil werden soll. Es ist die in der Intimität der Todeserfahrung aufscheinende und im letzten Willen materialisierte Besinnung auf die eigene Personalität, welche nur in der Entfaltung im Miteinander zum Ausdruck gelangen kann, die es angängig erscheinen läßt, auch nicht-vermögensbezogene Anordnungen der Testierfreiheit zu belassen. Ginge der Testierfreiheit das Instrument der nicht-vermögensbezogenen Anordnungen verloren, würde dies dem Erblasser demnach durchaus etwas „kosten“, er würde nämlich eine probate Form der Todesverarbeitung verlieren. Insofern erweist sich Erbrecht als ein besonderes Persönlichkeits-

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Kap. 2: Diskussion der bisherigen Ansätze zur Testierfreiheit

recht. All dies klingt reichlich verworren und wird denn auch näher noch auszuführen sein. Daß ein derartiger Ansatz einer rein vermögenstheoretisch ausgerichteten Dogmatik fremd bleiben muß, dürfte offensichtlich sein. Wenn der Zweck erbrechtlicher Vorgänge allein im intergenerationalen Vermögenstransfer verortet und mit Blick hierauf die Testierfreiheit nicht auf dem Willen, sondern entsprechend der Jheringschen Tradition auf dem Interesse an einem Rechtsgut gegründet wird, ist notwendigerweise das subjektive Recht (hier: die Testierfreiheit) nur noch die Form, in der das objektive Recht den Interessen seinen Schutz gewährt364 – und dies können bei einem Zweckbezug des Vererbungsvorgangs auf das Vermögen eben nur vermögensbezogene Interessen sein, die die Testierfreiheit als ihre Form dann aufgreifen kann. Mithin bleibt es dabei: Der durch Keuk ins Werk gesetzte Versuch, die Testierfreiheit auf vermögensbezogene Anordnungen zu beschränken, geht ins Leere.

§ 8 Ergebnis zum bisherigen geltungstheoretischen Diskurs I. Zusammenfassung der bisherigen Ergebnisse Das gewillkürte Erbrecht wurde im bisherigen dogmatischen Diskurs als treuhänderisch verliehene Befugnis zur Erzielung familiarer Effekte, als Ausdruck personalistischer Fiktionen sowie schließlich – und zwar überwiegend – als fortgesetztes Eigentum und als reines Vermögensrecht verortet. Im Durchgang durch diese Legitimationsstränge konnte gezeigt werden, daß mit diesen Ansätzen der Normbestand des geltenden Erbrechts nicht als das ausgewiesen werden kann, was er geltungstheoretisch nur sein darf: als Recht. Gleichwohl konnte nachgewiesen werden, daß in der Rückführung des Erbrechts auf das (freiheitsgegründete) Eigentum der Weg zu einem personfunktional verstandenen Erbrecht eröffnet ist. Der zuletzt diskutierte Ansatz von Keuk eröffnete zugleich den Ausweg aus dem geltungstheoretischen Dilemma, in das die bisher vorliegenden Konzeptionen des gewillkürten Erbrechts den Rechtsanwender geführt haben: Im Rekurs auf die in der Intimität der Todeserfahrung aufscheinende und im letzten Willen materialisierte Besinnung auf die eigene Personalität wird sich ein gangbarer Weg erweisen, mit Hilfe dessen die Normen des gewillkürten Erbrechts kohärent erklärt werden können und sich damit zu Recht als Recht ausweisen lassen werden.

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Fezer, Teilhabe und Verantwortung, 225.

§ 8 Ergebnis zum bisherigen geltungstheoretischen Diskurs

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II. Das bisher ausgeblendete Dritte: Der Tod Die bisherigen Analysen haben einen bemerkenswerten Befund zu Tage befördert, der bisher in der Erbrechtsdogmatik noch nicht explizit angesprochen worden ist: Der bisherige rechtsdogmatische Diskurs über Erbrecht und Testierfreiheit kreist ausschließlich um die topoi Person (im Sinne der Persönlichkeitsfortsetzung- oder ersetzung), Eigentum (Vermögen und Person) und Familie. Paradigmatisch hierfür steht die Sicht des Erbrechts als Vermögensordnung, Familienordnung und Sozialordnung365. Seltsamerweise wird der genuine Vorgang, welcher mit dem Erbrecht verbunden ist und dessen Regelungsproblematik erst aufwirft, aus diesem Diskurs als ausgeschlossenes Drittes vollkommen ausgespart: der Tod und das Sterben als überaus wichtige anthropologische Ereignisse in der Genese des konkreten menschlichen Daseins. Was dem herrschenden Diskurs bleibt, sind Fragen der weitgehend als Vermögensfreiheit begriffenen Testierfreiheit, des Erben- und Gläubigerschutzes, der erbrechtlichen Umhegung des familiaren Gedankens und dem Sinn oder Unsinn einer Staatspartizipation am erbrechtlichen Erwerb. Der Tod wird in dem herkömmlichen dogmatischen Aussagengeflecht als ein rein technischer Einsatzpunkt im Rahmen des intergenerationalen Vermögenstransfers begriffen und damit seiner anthropologischen Bedeutung weitgehend entkleidet 366; die soziologische These von der Verdrängung des Todes367 erfährt insofern rechtlich eine Bestätigung. So kann beispielsweise die oben analysierte erbrechtliche Persönlichkeitsfortsetzungstheorie als eine Theorie der Todesverdrängung interpretiert werden, weil sie gerade durch ihr Vorhaben, im Erbfall eine innige Bindung zwischen Erblasser und Erben zu erblicken und deshalb eine ideelle Personenidentität zu konstruieren, dem Tod gleichsam eine imaginäre Bedeutung verleiht. Der Tod wird durch die Metapher der „Persönlichkeitsfortsetzung“ in der ganzen Fülle seiner anthropologischen Bezüge möglichst wenig zur Kenntnis genommen und durch die dieser Metapher inhärenten Fiktion der Unsterblichkeit geradezu negiert und überspielt368. Nichts anderes geschieht auch, wenn im Rahmen der frühen Diskussion zum postmortalen Persönlichkeitsrecht und des Rechts am eigenen Bild bei Josef Kohler von einem 365 Siehe zu dieser Trias die Überlegungen von Ballerstedt, Festgabe Kunze, 39 (60); sowie Timm, Eigentumsgarantie, 37 f. 366 Anderer Ansicht ist etwa Giger, Schicksal, Bd. 1, 53, ohne daß sich indes aus den weiteren Ausführungen ebda. etwas anderes ergibt, als daß die bisherige Rechtslehre sich mit den rein technischen Folgen befaßte, die mit dem Tod einhergehen, aber eben nicht mit dem Tod selbst. 367 Dazu unten § 9 III. 368 So auch Giger, Schicksal, Bd. 1, 28 f.

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Kap. 2: Diskussion der bisherigen Ansätze zur Testierfreiheit

„Schauer des Todes“ als Barriere zwischen dem Publikum und der Persönlichkeit die Rede ist369. Ob diese hier zum Ausdruck kommende gesellschaftliche und rechtliche Verarbeitung der Todeserfahrung in der mythizistischen Rhetorik von „Unsterblichkeit“ und „Schauer“ in einem Gegensatz zum heutigen säkularen Denken steht, mag dahin gestellt sein370. Tatsache ist jedoch, daß der Tod nur in eine Richtung hin (Überwindung durch Unsterblichkeit; Verdrängung durch negative Emotionalisierung; Technisierung als bloßer Einsatzpunkt des erbrechtlichen Vermögenstransfers) in das Verständnis des gewillkürten Erbrechts eingebracht und gerade durch diese theoretische Einseitigkeit negiert worden ist. Diese einseitige Todesbetrachtung anhand einer Überwindung, Verdrängung und Technisierung des Todes ist mit hohen dogmatischen Kosten verbunden. Erst wenn der Tod und das Sterben als ein Phänomen mit nicht bloß anthropologischer Relevanz, sondern mit einem dogmatischen Eigenwert begriffen werden kann, wird die Deutung des Normbestands des gewillkürten Erbrechts als kohärentes System rechtlicher Wertung geltungstheoretisch ohne irgendwelche Wertungswidersprüche oder Ausblenden einzelner Normen als rechtlich unerklärliche Fremdkörper gelingen. Über die Gründe, die die bisherige Dogmatik dazu bewogen haben, das Phänomen des Todes so vollkommen aus ihren Betrachtungen auszusparen, mag es müßig sein zu spekulieren. In der Tradition der auf der Spätphilosophie Wittgensteins beruhenden Kuhnschen Wissenschaftsgeschichte wäre die Antwort vielleicht darin zu suchen, daß jede Theorie zwar mit Anomalien zu kämpfen hat, daß es aber Perioden gibt, in denen das den Theoretikern nichts auszumachen scheint, weil in einer derartigen Periode die Entlastungsfunktion der Tradition nachhaltig als theoriestabilisierend empfunden wird371 – und diese Tradition wäre im Erbrecht insbesondere dessen Verständnis als fortgesetztes Eigentum sowie dessen Einordnung in den Wertungskontext des erbrechtlichen Familiarismus. Indem nunmehr das bisherige Paradigma der Erbrechtsdogmatik verlassen wird, werden die Traditionsbestände des Erbrechts weitgehend fallengelassen; sie behalten allenfalls als Residuen innerhalb geltungstheoretisch angelegter Erwägungen ihren genuinen Platz. Es gilt mithin, daß Erbrecht mit Blick auf den Tod kohärent zu erklären. Daß dies der einzig sachgerechte Zugang zum Erbrecht darstellt, wenn es geltungstheoretisch als Recht ausgewiesen sein soll, wird das leitende Thema der folgenden Überlegungen sein.

369 Kohler, Autor- und industrierechtliche Abhandlungen, 57; dazu auch Leuze, Die Entwicklung des Persönlichkeitsrechts, 110 f. 370 Dazu Holzhauer, FS Rolland, 175 ff. 371 Radnitzky, ZfAllgWissTh 19 (1979), 67 (70 f.), der selbst freilich den Wittgenstein-Kuhnschen Thesen kritisch gegenübersteht.

Kapitel 3

Der Todesdiskurs der Moderne Dort ist der Tod. Nicht jener, dessen Größe sie in der Kindheit wundersam gestreift, – der kleine Tod, wie man ihn dort begreift; ihr eigener hängt grün und ohne Süße wie eine Frucht in ihnen, die nicht reift. O Herr, gieb jedem seinen eigenen Tod. Das Sterben, das aus jenem Leben geht, darin er Liebe hatte, Sinn und Not. Denn wir sind nur die Schale und das Blatt. Der große Tod, den jeder in sich hat, das ist die Frucht, um die sich alles dreht. Rainer Maria Rilke1

§ 9 Der Tod im gesellschaftlichen Diskurs der Moderne I. Perspektivismen hinsichtlich des Todes: Individualisierung und Verdrängung „Das zwanzigste Jahrhundert ist einfach zu beschäftigt, um sich viel mit den Problemen des Todes und des Jenseits abzugeben. Der Mann von Welt macht ein Testament, schließt eine Lebensversicherung ab und redet von seinem eigenen Tod in den dürftigsten Höflichkeitsfloskeln . . . Sowohl als drohendes Verhängnis wie als Gegenstand heftiger Meinungsverschiedenheiten ist der Tod praktisch tot“2. Diese zu Beginn des letzten Jahrhunderts geäußerte Verabschiedung des Todes aus dem personalen und dem gesellschaftlichen Diskurs der Moderne steht stellvertretend für zahlreiche Wertungen der Todesproblematik, die auch heute nichts von ihrer Aktualität eingebüßt haben. Der Tod spielt hier als lebensrelevantes Faktum keine Rolle mehr; er scheint weitgehend sowohl aus dem gesellschaftlichen Diskurs verdrängt („Der Mann von Welt . . .“ als generalisierter Anderer) als auch aus der personalen Erlebnisverarbeitung verabschiedet zu sein 1 Rilke, Das Stunden-Buch, in: ders., Sämtliche Werke, Werkausgabe Bd. 1, Frankfurt a. M., 1975, 347. 2 F. D’Albe, New Light on Immortality, London, 1908, 1, zitiert nach Choron, Der Tod im abendländischen Denken, 274.

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Kap. 3: Der Todesdiskurs der Moderne

(„. . . seinem eigenen Tod“ als Signum der individuellen Todesverarbeitung). Indes wäre dies eine etwas einseitige Sicht. Die Verarbeitung und die Sinngebung des Todes sind als Momente tiefer Expression, Innerlichkeit und Religiösität auch heute noch Weisen personaler Entfaltung. Nicht nur aus dem Alltag hervorgehobene eindringliche Todesschilderungen einzelner Verstorbener3 oder die expressive Verarbeitung der Todesangst in der modernen bildenden Kunst gerade des 20. Jahrhunderts4 belehren, daß die Rede von Tod, Todesverarbeitung und Leben auch heute nichts von ihrer Bedeutung verloren hat. Auch der zeitgenössische anthropologische Diskurs hebt hervor, daß Sterblichkeit ein Faktum verkörpert, welches im Grunde genommen alle anderen Elemente des menschlichen Lebens überformt5. Mehr als eine bloße Richtungsangabe, wie der Tod als Begleiter des Lebens eingeschätzt werden kann, liegt in derartigen Aussagen freilich nicht; dazu ist der Tod als gesellschaftliches Phänomen viel zu ausdifferenziert und als Gegenstand normativer Reflexion viel zu komplex. Die zeigt schon ein Blick auf die beiden Extremata, in die sich der gegenwärtige Todesdiskurs gestellt sieht. Die Präsenz und der Ausdruck der empirischen Todeserfahrung ist historisch-gesellschaftlich bedingt. Das eine, eher biologistisch angehauchte Extrem ist der positivistischen Grundstimmung der Moderne mit ihrem wesentlich naturwissenschaftlich geprägten Weltbild geschuldet. Danach wird der Tod zuvörderst als „natürlicher Tod“ begriffen – als Ende physiologischer Funktionen. Ganz anders nimmt sich dagegen das zweite Extrem des Phänomens „Tod“ an. Hier wird der Tod als ein spezifisch kulturelles Produkt, als eine gesellschaftliche Konstruktion gedeutet, welche nichts „Natürliches“ an sich hat. In dieser zuletzt genannten Lesart des „empirischen“ Todes als kulturell geprägtes Phänomen kann der Mensch gar nicht „natürlich“ sterben, sondern immer nur kulturell vermittelt 6. „Es gibt ganz verschiedene Arten und Grade für die Rolle, die die Idee des Todes bei den Menschen, Gruppen, Zeiten faktisch spielt. (. . .) Vor allem gibt es weitgehende Verdunkelungen und Erhellungen dieses Wissens vom Tode“7. Anders gesagt: Jede Kultur nimmt sich des Todes durch symbolische Sinngebungen, durch „Todesbilder“8, in einer ganz be3 Siehe etwa die bewegende Schilderung der Todesverarbeitung von Thomas Bernhard bei Woisetschläger, in: Marx/Stebner (Hrsg.), Perspektiven des Todes, 115 ff. 4 Siehe hierzu etwa die in der Sammlung der Universität Düsseldorf vereinigten Graphiken zur Todesthematik, Schuster (Hrsg.), Das Bild vom Tod, 1992. 5 Siehe aus der Fülle etwa Martha Nussbaum, in: Brumlik/Brunkhorst (Hrsg.), Gemeinschaft und Gerechtigkeit, 323 (334 f.); Ziegler, Die Lebenden und der Tod, 24. 6 Nassehi/Weber, Tod, 221. 7 Schon Max Scheler, in: ders., Schriften aus dem Nachlaß, Bd. 1, 21, wies hierauf eindringlich hin.

§ 9 Der Tod im gesellschaftlichen Diskurs der Moderne

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stimmten Weise an – zumeist, um ihm sein Grauen und seine Unberechenbarkeit zu nehmen9. Über derartige Reflexionen über die „empirische“ Seite von Tod und Sterben hinaus entspricht der Ubiquität der Todeserfahrung eine Ubiquität des Forschungszugangs zu diesem essentiellen Phänomen des menschlichen Daseins; die überaus zahlreichen philosophischen, soziologischen, historischen, theologischen, erziehungswissenschaftlichen, medizinischen, pflegewissenschaftlichen und volkskundlichen Arbeiten zu thanatologisch ausgerichteten Problematiken legen hiervon ein beredtes Zeugnis ab10. Diese Vielfalt kann im weiteren bedenkenlos dahingestellt bleiben. Fremddisziplinäre Befunde interessieren hier ja nicht aus sich heraus, sondern nur, soweit sie für die hiesige These einer personfunktional verstandenen Deutung des gewillkürten Erbrechts sowohl im unterstützenden wie im kritischen Sinne fruchtbar gemacht werden können. Insofern stehen zwei Thematiken im Mittelpunkt der weiteren Überlegungen. Das erste Thema lautet: Inwiefern zeichnet sich im gesellschaftlichen Diskurs der Moderne eine Individualisierung des Todes in dem Sinne ab, daß der Tod und dessen Verarbeitung als eine höchstpersönliche Angelegenheit des je sterbenden oder seinen Tod reflektierenden Individuums begriffen werden? Die Beantwortung dieser Frage könnte Hinweise geben für die rechtliche Problematik, ob und inwiefern die Verfügung von Todes wegen nicht nur im rechtstechnischen Sinne der formellen und materiellen Höchstpersönlichkeit der §§ 2064 f. BGB als höchstpersönlich, sondern als Ausdruck der Personalität des letztwillig Verfügenden im Sinne der Persönlichkeitsrechte verstanden werden kann. Die zweite Thematik schwenkt auf eine eher gesellschaftstheoretisch angelegte Ebene ein und rollt die Frage auf, wie die Reproduktion gesellschaftlicher Ordnung und das Prozedere systemischer Funktionszusammenhänge der Gesellschaft auf der einen und das moderne Todesverständnis auf der anderen Seite miteinander in Verbindung stehen. Es soll hier der Überlegung nachgegangen werden, ob und inwiefern die personfunktionale Deutung des gewillkürten Erbrechts mit einem spezifischen Sozialmodell der Gesellschaft (Wieacker)11 in der Weise korreliert, daß diese Deutung als 8

Fuchs, Todesbilder in der modernen Gesellschaft, 1969. Hiermit haben sich vor allem Berger/Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, 108 ff., beschäftigt. Siehe näher unten § 9 II 2. 10 Siehe dazu die annotierte Auswahlbibliographie Interdisziplinäre nordrheinwestfälische Forschungsarbeitsgemeinschaft „Sterben und Tod“ (Hrsg.), Sterben und Tod, 1996. 11 Hier soll nur an die durch Wieacker, Sozialmodell, 1953, geprägte und von vielen Seiten positiv konnotierte Begrifflichkeit erinnert werden, ohne den Synkretismus selbst zu übernehmen, der dem Wieackerschen Konzept des Sozialmodells als des geheimen Entwurfs einer geschichtlichen Rechtsordnung und ihres Wandels zugrundeliegt. Zur gegen Wieacker formulierte Kritik siehe aus der reichhaltigen Lite9

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Kap. 3: Der Todesdiskurs der Moderne

sachgerechte Reaktion auf gesellschaftliche Wandlungen begriffen werden muß, wie sie von der Rechtsdogmatik auch ansonsten vorgenommen worden sind12. Hier muß mithin der Frage nachgegangen werden, ob nicht gerade das herrschende Verständnis des gewillkürten Erbrechts als vornehmliches Vermögensrecht dysfunktionale Folgen zeitigt, wenn das angemessene Sozialmodell zur Rede steht – dysfunktional vor allem deshalb, weil eine rein vermögensfunktionale Deutung des Erbrechts das angemessene Sozialmodell und damit den Freiheitsimpetus des Rechts verfehlen würde. Das weitere Vorgehen ist damit vorgezeichnet: Nach einer kurzen Skizze der Individualisierung des Todes in der Moderne (ad II.) steht die These der gesellschaftlichen Verdrängung des Todes auf dem Plan (ad III.). Überlegungen zur Frage, was vor dem Hintergrund der Individualisierung des Todes und der gesellschaftlichen Todesverdrängung der je individuell verarbeitete Tod auf der einen und der postmortale Vermögenstransfers zwischen den Generationen auf der anderen Seite miteinander zu schaffen haben (ad IV.), runden den kurzen Abriß zum Tod und Sterben in der Moderne ab.

II. Die Individualisierung des Todes in der Moderne 1. Die Kontrastfolie zur Individualisierung des Todes: Die Todesverarbeitung in mythischen Gesellschaften Die Individualisierung des Todes in der Moderne kann besser erfaßt werden, wenn sie als Kontrastfolie mit der Todesverarbeitung in sog. mythischen Gesellschaften13 konfrontiert wird. Der Mythos ist heute Gegenstand ganz unterschiedlicher Denktraditionen anthropologisch-ethnologischer, religionswissenschaftlich und theologischer, literatur- und diskurstheoretischer und psychologisch ausgerichteter Art14. Entsprechend unterschiedlich verratur nur Assmann, Wirtschaftsrecht in der mixed economy, 26 ff.; Joerges, in: Simon (Hrsg.), Rechtswissenschaft in der Bonner Republik, 311 (331 f.); Jürgen Schmidt, Vertragsfreiheit, 17 ff.; Zöllner, Privatrechtsgesellschaft, 31 ff. 12 Man denke nur an die etwa im Wirtschaftsrecht vorgenommenen Wandlungen im dem Privatrecht jeweils zugrundegelegten Ordnungsmodell, angefangen mit dem Modell einer frühliberalen Kultur von Kleinproduzenten in einem kleinparzelligen Markt, über das Ordnungsmodell industrieller, hocharbeitsteiliger Massenproduktion bis hin zum Ordnungsmodell globalisierter Märkte mit vagabundierendem Kapitalfluß. 13 Der mancherorts (von Wiedenmann, Sociologica Internationalis 30 (1992), 117 (123)) als „ethnographisch prekäre Generalisierung“ kritisierte Duktus, welcher in der Rede von „den“ mythischen Gesellschaften enthalten ist, schadet hier nicht, da es nur um eine abstrahierend angelegte Kontrastfolie zur Moderne im Sinne der Formulierung eines Idealtypus. 14 Als kurze Übersicht zu diversen Zugängen zum Mythos siehe Jamme, „Gott an hat ein Gewand“, 77 ff.

§ 9 Der Tod im gesellschaftlichen Diskurs der Moderne

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standen wird der Begriff der „mythischen Gesellschaft“. Da es hier nur darum geht, die Todesverarbeitung in derartigen Gesellschaften als Kontrastfolie zur besseren Konturierung des heutigen Diskurses zu Tod und Individualität zu skizzieren, bietet es sich an, aus der Fülle möglicher Herangehensweisen ein Verständnis mythischer Gesellschaften auszuwählen, welches sich als Frucht der gleichen perspektivischen Instrumente darstellt, mit denen später die These der gesellschaftlichen Verdrängung des Todes diskutiert werden wird – nämlich als Frucht der interaktionistischen Wissenssoziologie. Insofern soll hier unter Mythos der kognitive und normative Ordnungsrahmen für die jeweilige gesellschaftliche Konstruktion der gesamten Wirklichkeit verstanden werden; gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit bedeutet in Anschluß an die wissenssoziologischen Forschungen Bergers und Luckmanns hier wie auch sonst, daß sich in der gesellschaftlichen Interaktion der Mensch eine sinnhafte Ordnung entwirft, die ihm dann als stabile Umwelt gegenübertritt. In diesem Wechselspiel von sinnhafter Entäußerung (kreativer individueller Entwurf von Sinn) und Internalisierung entäußerten Sinns (Stabilisierung von Sinn durch dessen Institutionalisierung) bildet sich ein Sockel von gesellschaftlichem Wissen, Habitualisierungen, Institutionen und fraglosen Wahrheiten aus, vor deren Hintergrund Wirklichkeitsbildungen erfolgen15. Dem mythischen Ordnungsrahmen eignet eine durchaus hohe Rationalität: Mythos und Logos sind unter Rationalitätsgesichtspunkten nicht entgegengesetzt, wenn Rationalität formal als intersubjektive „Begreiflichkeit, Begründbarkeit, Folgerichtigkeit, Klarheit und allgemeine Einsichtigkeit“16 begriffen und von Inhalten befreit gedacht wird17. Der Mythos ist daher 15

Berger/Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, passim. Hübner, Die Wahrheit des Mythos, 239. 17 So die These von Hübner, Die Wahrheit des Mythos, 267; dazu auch Jamme, „Gott an hat ein Gewand“,121 ff., 129 ff. In ethnozentrischen und evolutionalistischer Sicht wird eine Bewegung vom mythologischen zum modernen wissenschaftlichen Denken im Sinne einer Fortentwicklung von irrationaler zu einer eher rationalen Weise des Denkens und der „Weisen der Welterzeugung“ (Nelson Goodman) konstruiert, also als eines allgemeinen Ganges vom Mythos zum Logos, wie er etwa von Max Weber in seiner Theorie der fortschreitenden Rationalisierung beschrieben worden ist. Seit Lévi-Strauss werden die Akzente mancherorts durchaus differenzierend gesetzt. Gegen das Webersche Entwicklungsmodell und gegen das darin eingeschlossene Lob des zweckrationalen Denkens haben schon Adorno und Horkheimer in ihrer Dialektik der Aufklärung die Bedeutung des Mythos für einen „positiven“ Begriff von Aufklärung angeführt. Stellvertretend für viele hinsichtlich der Überlegung, die moderne Wissenschaft und Welt sei keineswegs rationaler aufgebaut als die des Mythos, kann Hübner, ebda, benannt werden. Ein schönes Beispiel für diese These führen Nassehi/Weber, Tod, 58, anhand des Vergleichs des befristeten Bezirks eines Heiligtums und der Bannmeilen um die Parlamente an: „Beide zugrundeliegenden Normen beziehen ihre Rationalität aus der Möglichkeit einer intersubjektiv verstehbaren Begründbarkeit ihrer Aussagen und dies auf der Basis des jeweils 16

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Kap. 3: Der Todesdiskurs der Moderne

durchaus so etwas wie ein System rationaler Welterklärung. Mythos und Logos stellen mithin nur zwei alternierende Formen der Wirklichkeitsbewältigung dar18; der heutige Vorrang etwa der Physik vor der mythischen Naturbetrachtung ist in dieser Sichtweise vor allem praktischen Gründen geschuldet19: Die den Mythos tragenden Götter und seine poetisch-narrative Form sind der modernen Welt weitgehend entschwunden20. Diese Einsicht ist für das hiesige Thema durchaus nicht irrelevant; zeigt sie doch, daß die noch näher darzulegenden Unterschiede in der Todesverarbeitung in mythischen und in modernen Gesellschaften nicht irgendwelchen „Irrationalitäten“ der vormodernen Welt zu verdanken sind21, sondern ihren Stellenwert aus der Konstruktion der Wirklichkeit des Individuums her finden – und dies ist etwas, was heute durchaus auch als eine „normative“ Frage entworfen wird. Inhaltlich zeichnet sich der ordnungsbildende Charakter des Mythos durch die Kategorie des Heiligen aus: Die Sinngebung der Welt wird im Mythos als Widerfahrnis eines göttlichen Willens konstruiert. Im Unterschied zu modernen Gesellschaften, bei denen die Kategorie des Heiligen weitgehend nurmehr als individuelle Erfahrung aufscheint, dient der im Sakralen gegründete und in seiner rituellen Wiederholung stabilisierte Mythos in archaischen Gesellschaften „allen menschlichen Handlungen als Modell und, damit verbunden, als Rechtfertigung“22. Dem Mythos kommt mithin die Aufgabe zu, Legitimationen und Verstehenszusammenhänge des gesellschaftlichen Lebens durch ein institutionalisiertes, ergo auf Dauer gestelltes und in Praktiken sich ausdrückendes Aussagengeflecht zu sichern, welches seinen Fluchtpunkt in einer transzendenten, göttlichen Wirklichkeit findet23. Zu dieser institutionalen Ordnung gehört sowohl eine Sinngebung und Legitimation des Todes als auch eine Standarisierung der lebenspraktischen Ver-

gültigen Codes normativer und semantischer Intersubjektivität. Im ersten Fall handelt es sich um die Warnung vor dem Zorn der Götter, im zweiten um den Versuch, Volksvertretern eine freie und nur durch individuelle Entscheidung geleitete Arbeit zu ermöglichen. Ob die Götter bei der Übertretung wirklich zornig werden und ob der Rekurs auf die Autonomie des Parlamentariers nichts als ein frommer Wunsch ist, tut der Rationalität des Sachverhalts keinen Abbruch. Entscheidend ist, ob man so etwas wie den Zorn der Götter oder die Autonomie des Subjekts überhaupt denken, intersubjektiv verstehen und mit normativer Gültigkeit versehen kann.“ 18 Hübner, Die Wahrheit des Mythos, 66 ff. 19 Hübner, in: Großklaus/Oldemeyer (Hrsg.), Natur als Gegenwelt, 43 (insbes. 47 ff.). 20 Jamme, „Gott an hat ein Gewand“, 123. 21 Freilich ist der Rationalitäts-Begriff Hübners auch kritisch beurteilt worden, zur Kritik siehe Jamme, „Gott an hat ein Gewand“, 134 f. 22 Eliade, Mythen, Träume und Mysterien, 20. 23 Nassehi/Weber, Tod, 59.

§ 9 Der Tod im gesellschaftlichen Diskurs der Moderne

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arbeitung seiner Erfahrung; der Tod ist in mythischen Gesellschaften also in die Struktur der symbolischen Sinngebung des Mythos selbst eingebettet. Auf der Basis der ethnologischen Vorarbeiten von Malinowski haben Nassehi und Weber nun herausgearbeitet, daß in mythischen Gesellschaften der Tod in Todesmythen eingefangen wird, nach denen das Sein als ein todloses Ganzes konstruiert wird, in dem der einzelne und die soziale Gruppe in einem unendlichen Zirkel von Geburt, Tod und Wiedergeburt aufgehoben sind24. Schöpfungsmythos und Todesmythos werden so intern verklammert. Der Tod erscheint nicht – wie etwa in der christlichen Eschatologie – als eine Zäsur im Leben, sondern als ein Ritus, bei dem niemand verstirbt, sondern in ein Leben überführt wird, welches dem irdischen weitgehend gleicht und welches mit dem irdischen in einer Vielfalt von Ebenen sozialer Interaktion verknüpft ist. Eine postmortale Existenz kann in mythischen Gesellschaften gar nicht anders gedacht werden als eine Existenz in der zu Lebzeiten bekannten Weise der Vergesellschaftung. Dies kulminiert darin, daß keine Identität des Verstorbenen über die Zeit hin angenommen wird. Der unendliche Zirkel von Geburt, Tod und Wiedergeburt wird vielmehr nicht auf das jeweilige „Individuum“25 bezogen, sondern auf die Form der Wiederholung; die einzelne Lebenszeit gewinnt in diesem Fluß der ewigen Wiederkehr nur wenig Konturenschärfe26. Nach all dem läßt sich die Todesverarbeitung in mythischen Gesellschaften mit drei Stichworten zusammenfassen: Vergesellschaftung des Todes (Folge: dem einzelnen stellt sich nicht die Frage nach seiner Verarbeitung seines Todes), Negation des biologischen Todes durch dessen Konstruktion als Weiterleben ohne Zäsur (Folge: dem einzelnen stellt sich nicht die Frage nach seiner Verarbeitung seines Todes), Entindividualisierung des Todes durch den Bezug des unendlichen Zirkels von Geburt, Tod und Widergeburt auf die Form der ewigen Wiederkehr (Folge: dem einzelnen stellt sich nicht die Frage nach seiner Verarbeitung seines Todes). Wenn dies auf eine Kurzformel gebracht wird, erscheint der Tod in seiner Vergesellschaftung, seiner Negation und in seiner Entindividualisierung als ein Ereignis, welches mit der je versterbenden Person gar nichts zu tun hat; insbesondere fehlen Vorstellungen von einem „natürlichen Tode“27. Schon die Frage, ob 24

Dazu und zum folgenden Nassehi/Weber, Tod, 64 ff.; siehe auch Fuchs, Todesbilder in der modernen Gesellschaft, 36 ff. 25 Schon die Rede von Individuen ist bezüglich mythischen Gesellschaften etwas ungereimt. Personen haben in derartigen Gesellschaften „nur ein minimales, auf das Verhältnis zum eigenen Organismus beschränktes autopoietisches Eigenbewußtsein. Sie wissen natürlich, daß ihr eigener Hunger nicht der Hunger der anderen ist, aber sie unterscheiden sich selbst nicht von dem, als was sie anderen bekannt sind.“, Luhmann, Soziale Systeme, 567; siehe auch ders., in: ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 3, 149 (155 ff.). 26 Nassehi/Weber, Tod, 146.

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Kap. 3: Der Todesdiskurs der Moderne

der Tod etwas persönliches und ob die Todesverarbeitung ein Akt personalen Ausdrucks darstellt, wäre nicht faßbar. 2. Skizze der weiteren Entwicklung des Todesdiskurses: Die zunehmende Individualisierung der Todesverarbeitung Natürlich ist die mythische Trennung zwischen Tod und Individuum heute völlig unverständlich. Doch ist dieses Unverständnis nicht auf die Moderne beschränkt. Schon die antike Metaphysik fand in ihrer Überwindung des Mythos trotz aller Einbindung in die antike Kosmologie zu Individualisierungstendenzen, in denen der Tod als ein das Individuum betreffendes Ereignis markiert werden konnte28. Mit der durch die jüdische und christliche Überlieferung ins Werk gesetzten Herausbildung der in unserer Zeit bekannten Figur des „Individuums“29 findet sich ein Verständnis des Todes, in dem sich das Individuum im Vergleich zu mythischen Gesellschaften und zur antiken Tradition angesichts seines drohenden Todes als vereinzeltes Wesen wiederfindet, welches mit der Vorstellung fertig werden muß, es werde im Tode vollkommen vernichtet, um im Jenseits dann um so glückseliger körperlich auferstehen zu können30. Die Bändigung der Todesfurcht in die Sicherheit christlicher Jenseitsverheißungen wurde im Laufe der Zeit merklich schwächer; im ausgehenden Mittelalter schließlich scheint der Tod als erschütterndstes Widerfahrnis derartig omnipräsent zu sein31, daß selbst die Hoffnung auf eine positive Wendung des Schicksals im Jenseits liquidiert wurde32. Mit der Philosophie Michel de Montaignes33 wurde schließlich ein neues Kapitel in der fortschreitenden Individualisierung der Todesverarbeitung aufgeschlagen. Das konkrete Sterben wurde nun in einen unmittelbaren Zusammenhang mit der individuellen Lebensführung und dem diesseitigen Leben gestellt und immer mehr eine Angelegenheit des einzelnen Individuums selbst34. In den Todesdiskurs der Neuzeit trat seit Descar27

Fuchs, Todesbilder in der modernen Gesellschaft, 31 ff. Dazu Choron, Der Tod im abendländischen Denken, Buch I; Nassehi/Weber, Tod, 73 ff. 29 Siehe etwa Habermas, Zur Rekonstruktion des Historischen Materialismus, 99. 30 Mit Unterschieden im einzelnen siehe Choron, Der Tod im abendländischen Denken, 87 ff., 90 ff.; Nassehi/Weber, Tod, 84 ff., 96 ff., 108 ff. 31 Dazu Nassehi/Weber, Tod,113 ff. 32 Nassehi/Weber, Tod, 116. 33 Zu de Montaigne siehe Choron, Der Tod im abendländischen Denken, 105 ff.; Nassehi/Weber, Tod, 116 ff.; Theunissen, in: ders., Negative Theologie der Zeit, 197 (206). 34 Nassehi/Weber, Tod, 117; allg. siehe hierzu die wegweisenden Studien, aber auch in ihrer Ausrichtung umstrittenen Studien von Ariés, Studien zur Geschichte des Todes im Abendland, 1976. 28

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tes und dem dort favorisierten substantiellen Dualismus zwischen Geist und Materie schließlich eine Radikalisierung der Vorstellung auf den Plan, der Tod sei ein rein körperlicher Vorgang. Das moderne Todesverständnis wurde durch das cartesianische Denken in zwei wesentlichen Punkten vorweggenommen: Der Tod wird zum einen als Sache des isolierten, nur noch seines eigenen Bewußtseins sicheren Subjekts erfaßt und zum anderen als das Ende physiologischer Prozesse gedeutet35; ein Todesverständnis, welches in der weiteren Entwicklung schon Kant als unumwunden selbstverständlich erschien36. Insgesamt gesehen kann in der Geistesgeschichte des Todes mithin eine deutliche Tendenz zur Individualisierung der Todeserfahrung ausgemacht werden: „Das Bewußtsein vom Tode geht gleichen Schritt mit der menschlichen Individualisierung, das will heißen, mit dem Auftreten einzigartiger Individualitäten, die sich von einem persönlichen Zentrum her formen“37. Die in diesem Konzentrationsprozeß auf das einzelne Individuum zu Tage tretende „Verinnerlichung“ der Todeserfahrung kann auch so umschrieben werden, daß der Tod nicht mehr von einem umfassenden Seinssinn – sei er kosmologisch, metaphysisch oder theologisch – her bestimmt, sondern nur noch von der je individuellen Existenz her gedeutet wird38. Dies bedeutet zugleich, daß dem Individuum die Tode der übrigen essentiell fremd bleiben; „(z)war gibt es sie an sich, aber es gibt sie nicht für ihn“39. Letztlich kann der geistesgeschichtliche Todesdiskurs als Abfolge von vier Wendepunkten grob erfaßt werden, wie sie Nassehi und Weber anschaulich beschrieben haben40: Im Übergang vom mythischen Todesverständnis zur antiken Philosophie spiegelt sich eine Wende vom Mythos und der damit verbundenen Vergesellschaftung des Todes zum antiken Logos mit der hier erstmals skizzierten Figur des Individuums. In der Entwicklung des jüdisch-christlichen Denkens wurde der antike Ordo in einer Wende zur anthropozentrisch angelegten Unterwerfung unter den göttlichen Willen abgelöst. Im Übergang von dieser anthroprozentrischen Theonomie zur neuzeitlichen Metaphysik wurde eine Wende hin zum todesverarbeitenden Subjekt eingeleitet, welches für die Verarbeitung des Todes allein auf eigene 35

Choron, Der Tod im abendländischen Denken, 119 ff.; Nassehi/Weber, Tod, 118 ff. 36 Nassehi/Weber, Tod, 123. Die Deutung des Todes als physiologischer Vorgang durch Kant heißt freilich nicht, daß Kant keine Vorstellungen von Unsterblichkeit entwickelte, dazu Choron, Der Tod im abendländischen Denken, 144 ff. 37 Landsberg, Die Erfahrung des Todes, 16. 38 Nassehi/Weber, Tod, 145; mit Bezug auf W. Schulz, Philosophie in der veränderten Welt, 1972. 39 Nassehi/Weber, Tod, 145, Hervorhebung i. O. 40 Nassehi/Weber, Tod, 146 ff.

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Prozesse der Innerlichkeit angewiesen ist. Nunmehr ist nicht mehr der Tod, sondern nur noch der je eigene Tod für das Leben des Menschen bedeutsam – und zwar als ein rein privates Moment, dessen Verarbeitung sich nicht mehr auf eine gesellschaftsweit greifende Sinngebung stützten kann41. Als letzter Wendepunkt kann eine vollkommene Abkopplung des Todesproblems vom Thema postmortaler Existenzformen, welches ja noch das todesbezogene Denken Kants bestimmte42, notiert werden. Nachdem auch der Todesdiskurs der Neuzeit sich des je eigenen Todes immer noch im Hinblick auf eine göttliche Sinngebung annimmt, erscheint nunmehr eine solche letzte Orientierung an A-Individuelles unmöglich. Das Denken über den Tod wird nach dieser vierten Wende vollständig am einzelnen Menschen festgemacht. Es kommt quasi zu einer Radikalisierung des Selbstbezugs des Subjekts im Sinne einer „Inversion“43 des Todes; eine Thematik die den nicht-theologischen Todesdiskurs der Gegenwart dominiert. 3. Die „Inversion“ des Todes im Todesdiskurs der Gegenwart: Die vollständige Verklammerung von Tod und Individuum a) Warum Heidegger? Die Vorstellung, der Tod sei in toto eine höchstpersönliche Angelegenheit des Individuums, welches dieses je für sich mit welchen Mitteln (Religiösität, Verdrängung etc.) auch immer durchfechten müsse, ist für den neueren philosophischen Todesdiskurs der Gegenwart vor allem mit den Überlegungen Arthur Schopenhauers, Sören Kierkegaards, Georg Simmels, Max Schelers und Martin Heideggers verbunden44. Es kann geradezu von einer Konvergenz der einzelnen Überlegungen hinsichtlich der Einschätzung die Rede sein, der Todesverarbeitung komme ein personaler Charakter zu. Diese Konvergenz spiegelt die Zeichen des größeren kulturellen Diskurses der Moderne wider, welcher die Todesverarbeitung als Signum des Personalen konstruiert. Der Rekurs auf die Genannten zieht freilich nicht das Verdikt nach sich, daß das Recht sich damit partikularen Wertungen von Philosophien unterwerfe. Es geht vielmehr an dieser Stelle darum, die auch innerhalb der Rechtsdogmatik wohl nicht umstrittene Wertung, die 41 Nassehi/Weber, Tod, 153. Gegen diese Einsicht spricht nicht, daß seit altersher gläubige Christen für einen gnädigen eigenen Tod und für göttliche Hilfe in der eigenen Todesstunde beten. Dies tun nur gläubige Christen. Gesellschaftsweit ist die symbolische Sinnwelt des Christentums heute aber eben nur eine partikulare Sinnwelt unter mehreren. 42 Choron, Der Tod im abendländischen Denken, 144 ff. 43 Nassehi/Weber, Tod, 145, 146, 153. 44 Dazu Stebner, in: Marx/ders. (Hrsg.), Perspektiven des Todes, 9.

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Verarbeitung der je eigenen Sterblichkeit und des bevorstehenden Todes sei etwas Höchstpersönliches und Ausdruck der je eigenen Persönlichkeit, durch einen Rekurs auf die geschilderte Konvergenz besser zu konturieren und zugleich abzustützen, indem auf die Autorität der kulturellen Überlieferung der Moderne verwiesen wird, auf deren Folie wir heute unser Selbstverständnis von Tod und Sterblichkeit je individuell konstruieren. In diesem Sinne soll die Bearbeitung der Todesproblematik durch den frühen Heidegger beispielhaft für viele stehen; zudem kann anhand seiner Schriften besonders pointiert die moderne Sicht auf den Tod herausgearbeitet werden45. Zwar ist die Heideggersche Frühphilosophie weniger als die Spätphilosophie ein Ziel zum Teil beißend-spottender Kritik46. Sicherlich ist die existenzphilosophisch ausgerichtete Hoch-Zeit heideggerscher Gedanken wohl vorbei. Die heideggersche Todesphilosophie stellt aber dennoch einen exemplarischen Entwurf der Problematik der individuellen Todesverarbeitung dar. Insofern wird hier versucht, die Thanatologie Heideggers „als ein verspätetes Dokument unter so und soviel anderen im großen Archiv zu lesen, in dem sich das Gedächtnis des Todes im christlichen Europa anhäuft“47 – also als pars pro toto nicht im Sinne einer den historischen, kulturwissenschaftlichen, biologischen, psychologischen oder theologischen Arbeiten zum Tod vorgelagerten existenzialen Analytik, sondern im weit schwächeren Sinn eines stellvertretend für viele stehenden Blicks auf das Individuelle im Tod. Heidegger versteht gleichsam die These von der Unvertretbarkeit des je eigenen Todes im strengsten Sinn48 – und zwar im Hinblick auf die Frage, „was es für das Leben bedeutet, des Todes angesichtig zu sein“49. Auf Grund dessen wird hier trotz aller Polemiken gegen 45 Selbstverständlich kann es hier nicht darum gehen, eine ausgefeilte HeideggerExegese einher mit einer ausgreifenden Auseinandersetzung mit der Kritik zu leisten, in die sich dessen Denken gestellt sieht, und Fühlung mit anderen arrivierten Ansätzen zum Verhältnis von Tod und Zeit aufzunehmen, wie etwa mit den in expliziter Auseinandersetzung mit Heidegger vorgelegten Überlegungen von Lévinas, Gott, der Tod und die Zeit, Wien, 1996, dort die erste Vorlesung, (Der Tod und die Zeit). Vielmehr steht nur im Raum eine Verdeutlichung, warum die Rechtsdogmatik wohl intuitiv die individuelle Todesverarbeitung als etwas Höchstpersönliches konstruiert. In dieser Konturierungs-Leistung ist die Heidegger-Lektüre aber unübertroffen. Zugleich stellt sie der Rechtsdogmatik das Problem, welche Folgerungen denn aus der Annahme, die Todesverarbeitung sei etwas Höchstpersönliches, nun genau zu ziehen sind. Hierauf wird zurückzukommen sein. 46 Siehe für eine unpolemische Kritik nur Tugendhat, in: Stamm (Hrsg.), Philosophie in synthetischer Absicht, 487 (insbes. 493 ff., 501 ff.); Figal, Martin Heidegger, 221 ff. Gleichwohl qualifizierte Tugendhat die heideggersche These vom „Sein zum Tode“ durchaus als „unanfechtbar“, siehe Tugendhat, Selbstbewußtsein und Selbstbestimmung, 235. 47 Derrida, Aporien, 129 (Hervorhebung i. O.). 48 Dazu nur Hügli/Han, in: Rentsch (Hrgs.), Martin Heidegger, Sein und Zeit, 133 (137).

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Heidegger mit den „heruntergekommenen Kategorien der Existenzphilosophie“50 gearbeitet. b) Dasein und Tod Die Todesproblematik nimmt im Rahmen der heideggerschen Frage nach dem Sinn von Sein und der hierauf bezogenen existenzial-ontologischen Analyse des „Daseins“ einen zentralen Platz ein51. Der Mensch (das Dasein) ist für Heidegger dasjenige Seiende, dem es „in seinem Sein um dieses Sein selbst geht“52, mithin „das Seiende, das wir selbst je sind und das unter anderem die Seinsmöglichkeit des Fragens hat“53. Die Grundverfassung des Daseins wird zunächst charakterisiert als das In-der-Welt-sein54 – nicht im Sinne eines räumlich-zeitlichen Enthaltenseins, sondern im Sinne existenzialer Zugehörigkeit des Daseins zur Welt. Heidegger legt in seiner weiteren Analyse zunächst die Grundverfassungen des Daseins in seiner durchschnittlichen Alltäglichkeit frei, in der das Dasein nicht es selbst ist („Uneigentlichkeit“), um sich von hier aus der Frage nach den Möglichkeiten des Selbstseins („Eigentlichkeit“) zu widmen. In der Alltäglichkeit ist danach das Dasein zumeist durch das Gegebene und die Anderen geprägt. Es ist hier nicht es selbst, sondern hat die uneigentliche, entfremdete Seinsweise des „Man“. Dieses Man bestimmt das Leben, indem es Entscheidungen abnimmt und schematisierte Weisen des Lebens vorgibt. In der Besinnung auf sich selbst kann das Dasein die Abhängigkeiten des Uneigentlichen abschütteln. Diese Besinnung erfolgt in der „Befindlichkeit“, wie bsp. in der Grundbefindlichkeit der Angst, und zwar Angst nicht als psychologisch zu verstehende Furcht, sondern als Ausdruck der konstitutionellen Unbestimmtheit des Daseins55. Befindlichkeit wird gestiftet durch das welterschließende Vermögen der „Stimmungen“ und korrespondiert dem eher aktiven „Verstehen“, welches auf die Erschließung der Grundverfassung des Daseins als In-der-Welt-sein zielt und welches die Möglichkeiten der Besin49 Tugendhat, in: Stamm (Hrsg.), Philosophie in synthetischer Absicht, 487 (493, Hervorhebung i. O.). 50 So die Polemik bei Fuchs, Todesbilder in der modernen Gesellschaft, 8. 51 Das zentrale Kapitel aus Sein und Zeit (erstes Kapitel des Zweiten Abschnitts) ist gänzlich dem Tod gewidmet. 52 Heidegger, Sein und Zeit, 12, Hervorhebung i. O. 53 Heidegger, Sein und Zeit, 7. 54 Heidegger, Sein und Zeit, 52 ff. Heidegger hat verschiedene Definitionen des Daseins vorgestellt, deren Inhalt und deren Verhältnis hier nicht näher zu interessieren braucht, siehe nur Lübcke, in: Hügle/ders. (Hrsg.), Philosophie im 20. Jahrhundert, Bd. 1, 156 (175 ff.). 55 Dazu Lübcke, in: Hügle/ders. (Hrsg.), Philosophie im 20. Jahrhundert, Bd. 1, 156 (179 ff.).

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nung auf sich selbst thematisiert56. Die Stimmungen bereiten das Dasein darauf vor, den Aufruf zum Selbstsein zu vernehmen; der Aufruf selbst erfolgt durch das nicht planbare oder willentlich steuerbare „Gewissen“ und trifft das Selbst im Man-selbst und läßt das Man bedeutungslos werden. Im Aufruf zum Selbstsein geht es dann um den Entwurf eines selbstbestimmten Lebens im Sinne der „Möglichkeit des Freiseins für eigentliche existenzielle Möglichkeiten“57 im Gegensatz zu dem Geworfensein in eine vorgegebene Welt. In dieser „Dialektik“ von Uneigentlichkeit (Alltäglichkeit) und Eigentlichkeit (Selbstsein) kommt für Heidegger die Strukturganzheit des Daseins zur Geltung. Diese Strukturganzheit ist wesenhaft „Sorge“ und liegt damit jedem „Besorgen“58 als die verschiedenen Weisen des In-der-Welt-seins zugrunde59. Die Sorge ist mithin auf das Ganze des Daseins bezogen und schließt damit nicht nur das Gewesene, sondern auch das ein, was noch sein wird. Heidegger erfaßt dies als das „Sich-vorweg-sein des Daseins“60. Das Dasein ist also immer auch schon dasjenige, was es gerade noch nicht ist61. Damit impliziert die Frage nach dem Seinsganzen die Dimension der Zeitlichkeit („Sein und Zeit“). Ganzseinkönnen ist immer mit Anfang und Ende verknüpft, mit dem Tod. Da die Sorge auch das Sich-vorweg-sein umfaßt, ist das Sein immer schon ein Sein zum Tode, wenn es existiert. Und da das Dasein sein In-der-Welt-sein verlustig geht, wenn der Tod wirklich wird, antizipiert das Dasein den Tod als „Bevorstand“62: als „die eigenste, unbezügliche, gewisse und als solche unbestimmte, unüberholbare Möglichkeit des Daseins“63, in dem das Dasein selbst in seinem eigensten Seinkönnen bevorsteht64: „Der Tod ist als Ende des Daseins im Sein dieses Seienden zu seinem Ende“65. In anderen Worten: Solange es etwas gibt, 56 Die in § 32 von Sein und Zeit vorgestellte Analyse von Verstehen und Auslegung hat die Hermeneutik mit auf den Weg gebracht, siehe etwa Gadamer, Wahrheit und Methode, 267 f. 57 Heidegger, Sein und Zeit, 193, Hervorhebung i. O. 58 Heidegger, Sein und Zeit, 57. 59 Heidegger, Sein und Zeit, 192 f. 60 Heidegger, Sein und Zeit, 192, Hervorhebung i. O. 61 Nassehi/Weber, Tod, 27, Hervorhebung i. O. 62 Heidegger, Sein und Zeit, 251. 63 Heidegger, Sein und Zeit, 258, Hervorhebung i. O. Möglichkeit des Daseins in dem Sinne, daß das Dasein sich im Tode nicht mehr zu seinem Sein verhalten kann, da das Sein ja beendet ist. Das Dasein kann sich mithin nicht im Tode, sondern nur zum Tode verhalten und das Sein erfährt deshalb den Tod nicht als Wirklichkeit, sondern als eine das Dasein ständig bedrohende Möglichkeit, Nassehi/Weber, Tod, 28. 64 Heidegger, Sein und Zeit, 250. 65 Heidegger, Sein und Zeit, 259, Hervorhebung i. O.

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welches noch nicht ist, aber sein kann, ist das Dasein keine Ganzheit, und solange der Tod nur als künftiges Ereignis betrachtet wird, welches dem Leben ein Ende setzt, bleibt er eine Möglichkeit jenseits des Lebens. Mithin wird das Dasein als Ganzes erst faßbar, wenn der Tod in das Dasein hereingenommen wird, indem sich der Mensch in der Besinnung auf den Tod von der Nichtigkeit der alltäglichen Verhältnisse befreit und zur eigentlichen Existenz findet66. Der Tod wird dann als die Seinsmöglichkeit erfaßt, in der es dem Dasein um sein In-der-Welt-sein schlechthin geht, da der Tod jeden auf sich selbst verweist67: Der Tod kann nicht einem Man überlassen werden. „Die Geworfenheit in den Tod enthüllt sich (dem Dasein) ursprünglicher und eindringlicher in der Befindlichkeit der Angst. Die Angst vor dem Tode ist Angst „vor“ dem eigensten, unbezüglichen und unüberholbaren Seinkönnen. Das Wovor dieser Angst ist das In-der-Welt-sein selbst. Das Worum dieser Angst ist das Sein-können des Daseins schlechthin. Mit einer Furcht vor dem Ableben darf die Angst vor dem Tode nicht zusammengeworfen werden. Sie ist keine beliebige und zufällige „schwache“ Stimme des Einzelnen, sondern, als Grundbefindlichkeit des Daseins, die Erschlossenheit davon, daß das Dasein als geworfenes Sein zu seinem Ende existiert“68. Der Tod ist nach all dem für Heidegger ein Phänomen des Lebens69. Er ist „eine Form, die das Leben im Ganzen hat“70. c) Die Wahl des eigentlichen Seins zum Tode Das „Sein zum Tode“71 gehört für Heidegger nach dem Zuvorgesagten ursprünglich und wesenhaft dem Sein des Daseins zu72. Damit wird zugleich klar, daß das Sein zum Tode (zunächst uneigentlich) in der Alltäglichkeit aufweisbar ist73. Heidegger analysiert hierzu zunächst die Rede des „man stirbt“ als Seinsart des alltäglichen Seins zum Tode „als ein unbestimmtes Etwas, das allererst irgendwoher eintreffen muß, zunächst aber für einen selbst noch nicht vorhanden und daher unbedrohlich ist. (. . .) Das „Sterben“ wird auf ein Vorkommnis nivelliert, das zwar das Dasein trifft, aber niemandem eigens zugehört. (. . .) Das Man besorgt dergestalt eine ständige Beruhigung über den Tod“74; insofern formuliert Heidegger zum 66

So die prägnante Charakterisierung des heideggerschen Todesverständnis bei Röd, Der Weg der Philosophie, Bd. 2, 456. 67 Heidegger, Sein und Zeit, 250. 68 Heidegger, Sein und Zeit, 251, Klammerzusatz nicht i. O.; Hervorhebung i. O. 69 Choron, Der Tod im abendländischen Denken, 243. 70 Rentsch, Martin Heidegger – Das Sein und der Tod, 142. 71 Heidegger, Sein und Zeit, 251. 72 Heidegger, Sein und Zeit, 252. 73 Heidegger, Sein und Zeit, 252.

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„Gerede des Man“ prägnant: „Man stirbt auch einmal, aber vorläufig noch nicht.“75 „Man sagt, der Tod ist gewiß, und pflanzt damit in das Dasein den Schein, als sei es selbst seines Todes gewiß“76. Das Verharren in der Uneigentlichkeit des Man verhindert damit eine aktive und freie Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit und gebiert letztlich eine Entfremdung des Daseins77. Nun hat das Dasein nach Heidegger die Möglichkeit, sich zum Tode in je unterschiedlicher Weise zu verhalten. Es kann in der Seinsweise des Man und damit in den Abhängigkeiten des Uneigentlichen verharren oder sich für das eigentlichen Sein zum Tode entscheiden. Die ontologische Möglichkeit eines derartigen eigentlichen Seins zum Tode sieht Heidegger nun nicht in einem Nachsinnen über den Tod78, sondern in einem gedanklichen Vorwegnehmen („Vorlaufen“79) des Todes im Sinne eines „verstehenden Näherkommen“80 der äußersten Möglichkeit des Daseins, als „Möglichkeit des Verstehens des eigensten äußersten Seinkönnen, das heißt als Möglichkeit eigentlicher Existenz“81 und als die „Möglichkeit (. . .) der Unmöglichkeit der Existenz überhaupt“82. Mit anderen Worten: Das Verhalten zum eigenen Tod hat eine entscheidende, quasi eschatologische Bedeutung für die eigene Existenz, für die eigene Lebensführung83; Heidegger versteht den Tod wesentlich nicht als einen plötz74 Heidegger, Sein und Zeit, 253, Hervorherbung i. O. Es wird noch später gezeigt werden, daß dieses Wirken des Man als ständige Beruhigung soziologisch in der ausdifferenzierten Gesellschaft der Moderne überaus wichtig ist und eine genuine Funktion für die Ordnung des gesellschaftlichen Ganzen aufweist. 75 Heidegger, Sein und Zeit, 255 (beide Zitate). 76 Heidegger, Sein und Zeit, 257. 77 Choron, Der Tod im abendländischen Denken, 245; Lohner, Der Tod im Existentialismus, 137 f. Die Figur der „Uneigentlichkeit“ und des „Man“ sind im weiteren oft aufgegriffen worden. So transformierte sie beispielsweise Herbert Marcuse in den sechziger Jahren zu einer radikalen Kritik der spätkapitalistischen Konsumund Mediengesellschaft und sah in der Gesellschaft (wie auch Adorno, Horkheimer und Lukács) einen universalen Täuschungs- und Verdinglichungszusammenhang, dazu nur Rentsch, Martin Heidegger – Das Sein und der Tod, 137 f. 78 Heidegger, Sein und Zeit, 261. 79 Heidegger, Sein und Zeit, 262. Zum zentralen Begriff des „Vorlaufen“ des Sein zum Tode als Vorlaufen in die Möglichkeit siehe Lohner, Der Tod im Existentialismus, 140 ff. 80 Heidegger, Sein und Zeit, 262. 81 Heidegger, Sein und Zeit, 263, Hervorhebung i. O. 82 Heidegger, Sein und Zeit, 262, Hervorhebung i. O. 83 Nassehi/Weber, Tod, 31. Mit Blick auf dieses Verhältnis von Tod und Leben wurde Heidegger stellenweise eine Verherrlichung des Todes vorgeworfen, so etwa (nicht verwunderlich) Adorno, Jargon der Eigentlichkeit, 120 ff.: Heidegger „vergafft sich in den Tod als das vermeintlich dem universalen Tauschverhältnis schlechthin Entzogene“ (ebda., 126) – ein Vorwurf, dessen volle Schärfe erst offenbar wird, wenn die heideggersche Übersetzung von „Theorie“ mit „starrem Begaf-

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lichen Bruch, sondern wie schon früh Montaigne84 und später etwa Georg Simmel85 als dem Leben immanent86 und als etwas das Dasein permanent Prägendes. Andere Menschen und die dingliche Welt selbst verlieren in dieser Sicht auf die eigentliche Existenz ihre Bedeutung. Damit wird nicht etwas Egomanisches beschworen, sondern betont, daß das eigentliche Sein zum Tode vor aller sozialer und intersubjektiver Existenz sich vor sich selbst gestellt sieht: Im Sein zum Tode geht es wesentlich um Authentizität des Individuums87, mithin um einen zukunftsbezogenen, auf den Tod hin gespannten Daseinsentwurf88. Nur in der Besinnung auf den Tod kann sich der Mensch aus seiner Verfügbarkeit in das Man, der uneigentlichen Alltäglichkeit des Massendaseins, entreißen89. Und nur in der Sicht zum Tode erwächst dem einzelnen die eigenste, unbezügliche, unüberholbare, gewisse und unbestimmte Möglichkeit seiner Individualität 90. Dies alles klingt freilich so, als ob es Heidegger um eine quasi überspitzt-antisoziale Verinnerlichung des Seins zum Tode und um einen „existentiellen Solipsismus“ ginge91. Heidegger muß jedoch nicht in dieser fen eines puren Vorhandenen“ (Heidegger, Sein und Zeit, 61) hinzugezogen wird. Der Verherrlichungs-Vorwurf findet sich abgeschwächt auch bei Choron, Der Tod im abendländischen Denken, 246. Eng damit verbunden ist der vor allem durch die ältere Kritische Theorie (Adorno, Marcuse) mit Verve vertretene Vorstoß, Heidegger unter Ideologieverdacht zu stellen und seine Thanatologie als ein „Instrument der Unterdrückung“ zu verstehen, dazu nur Noerr, in: ders., Das Eindenken der Natur im Subjekt, 230 ff.; Klein, Internationale Zeitschrift für Philosophie 8 (1999), 140 (155 ff.). 84 Siehe oben § 9 II 2. 85 Siehe Simmel, Logos 1 (1910/11), 58 ff. Zum Stellenwert des Todes in der Philosophie Simmels siehe Lohner, Der Tod im Existentialismus, 81 ff. 86 Choron, Der Tod im abendländischen Denken, 246. 87 Odo Marquard hat den oftmals harsch angegriffenen (man denke nur an Adornos „Jargon der Eigentlichkeit“) heideggerschen Begriff der „Eigentlichkeit“ durch den der „Authentizität“ ersetzt, siehe ders., in: Frank/Haverkamp (Hrsg.), Individualität, 21. 88 Ebenso einfühlsam wie bestürzend beschreibt Simone de Beauvoir in ihrem Roman „Alle Menschen sind sterblich“ (dtsch. Reinbek 1970), daß ein fiktiver Unsterblicher schlechthin außerstande ist, der Welt einen Lebens-Sinn abzugewinnen. 89 Gerlach, Deutsche Zeitschrift für Philosophie 39 (1991), 1239 (1243). 90 Zu diesen fünf Qualifizierungen der Möglichkeiten zur Emanzipation vom Man siehe nur Macho, Todesmetaphern, 101 f. 91 So etwa Sternberger, Über den Tod, 1977, zitiert nach Nassehi/Weber, Tod, 142; Gabriel Marcel, Tod und Unsterblichkeit, in: Auf der Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit, 77, zitiert nach Scherer, Das Problem des Todes in der Philosophie, 69; Gerlach, Deutsche Zeitschrift für Philosophie 39 (1991), 1239 (1243): „totale Introvertiertheit des Todes“, „tödliche‘ Vereinzelung“ des Individuums. „Todeskult“ und „solipsistische Deformation des Daseins“ bei Macho, Todesmetaphern, 113. Der Vorwurf, in der Heideggerschen Thanatologie fehle die Dimension des Anderen, ist der (neben dem Vorwurf des Ideologieverdachts, dazu siehe kürz-

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Weise interpretiert werden. Die existenzial-ontologische Struktur des Dasein kann vielmehr auch so verstanden werden, daß das In-der-Welt-sein auch Ausdruck einer Lebensweltgebundenheit ist, die der bewußten Antizipation des Todes immer schon vorgelagert ist, ohne doch die Möglichkeit „eigentlicher“ Selbstwahl preis zu geben; die Eigentlichkeit im Sein zum Tode erscheint dann als Distanzierung von der öffentlichen Ausgelegtheit, die sich in der Moderne als eine Ausgelegtheit nach den semantischen Codes der gesellschaftlichen Funktionssysteme zeigt92. Wenn schließlich das Heideggersche Todesverständnis aus dem fundamentalontologischen Kontext gelöst wird, der aus vielerlei Gründen nicht nur historisch-politischer Art merklich zur Kritik anregt93, kann das Konzept des „Seins zum Tode“ beispielhaft94 dazu dienen, die Radikalisierung der individuellen Todeserfahrung in der Moderne auszuweisen – und zwar als Radikalisierung der Todesverarbeitung als Modus der Ausbildung eines je personalen Lebensentwurfs. Damit ist keineswegs die „Binsenwahrheit“ von der Unvertretbarkeit des je eigenen Todes angesprochen95. Dieser Unvertretbarkeit wird vielmehr eine kritisch Spitze gegenüber neuzeitlichen Geschichtstheologien und -anthropologien verliehen96. Es bleibt also dabei: Indem Heidegger sich fragt, wie der Tod sich innerhalb des Seins artikuliert, wird es in kritischer lich) zweite große Vorwurf, der an Heidegger adressiert wird, siehe etwa Fink, Metaphysik und Tod, 38; Lévinas, Die Zeit und der Andere, 47. 92 So die Heidegger-Interpretation von Nassehi/Weber, Tod, 32, 35; 334 f. Zur nicht-kulturpessimistischen Deutung Heideggers, der gerade nicht aufruft zu einem eigentlichen Existieren als Gegen-entwurf zu den Verfallserscheinungen der Moderne, siehe auch Lübcke, in: Hügle/ders. (Hrsg.), Philosophie im 20. Jahrhundert, Bd. 1, 156 (186 ff.); ansonsten etwa Scherer, Das Problem des Todes in der Philosophie, 69 f. Andernorten wird demgegenüber die Beschreibung der „Uneigentlichkeit“ keineswegs als neutral angesehen. Rentsch, Martin Heidegger – Das Sein und der Tod, 139, etwa meint, hier den „scharfen Duktus barocker Pönitenzpredigten über das ,Hui und Pfui der Welt‘“ zu sehen. 93 Siehe hierzu nur aus der Fülle Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne, 158 ff. 94 Als weitere Beispiele könnte einmal die existentialistische Philosopie Sören Kierkegaards, auf dem Heidegger aufbaut (dazu Gerlach, Deutsche Zeitschrift für Philosophie 39 (1991), 1239 (1241 f.)), genannt werden. Daneben wäre an Georg Simmel und Max Scheler zu denken. Simmel etwa knüpft den „Grad“ der Sterblichkeit an den Grad der gesellschaftlich erreichten Individualisierung („Der Typus (. . .) stirbt nicht, aber das Individuum stirbt. Und je individueller also der Mensch ist, desto „sterblicher“ ist er, denn das Einzige ist eben unvertrebar und sein Verschwinden ist deshalb um so definitiver, je mehr es einzig ist“, Simmel, Rembrandt, 97; „Das individuelle Wesen stirbt am gründlichsten, weil es am gründlichsten lebt“, ders., ebda., 99). 95 Zitat bei Adorno, Jargon der Eigentlichkeit, 114. 96 Wegen der Unsterblichkeit des Man kann Stellung bezogen werden gegenüber Theologien wie etwa der Selbstwerdung der Vernunft in der Geschichte, der fortschreitenden Entwicklung der Produktivkräfte, dem emanzipatorischen Fortschreiten

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Überspitzung möglich, den Tod als ein dem Leben innewohnendes, nicht nur es abschließendes Phänomen zu begreifen97. Darüberhinaus ist die heideggersche Sicht des Lebens als Entwurf zum Tode nicht unumwunden an dessen Fundamentalontologie geknüpft. Nur am Rande sei vermerkt, daß sich im Spätwerk Foucaults ein Konzept der „Selbstsorge“ findet, welches ähnlich wie das heideggersche Diktum vom Sein des Daseins als Sorge die Selbstsorge auch als Sorge um und Vorbereitung auf den Tod und damit als ein überaus individualisiertes Geschehen versteht98. Schließlich ist es nicht notwendig so, daß mit der heideggerschen Figur des „Man“ dem rechtlichen Diskurs ein negativ konnotierter Kontrastpol zu einem normativen Begriff der Öffentlichkeit vorgegeben sei. Sicherlich wird das heideggersche Man überwiegend als ein derartiger Kontrastpol begriffen. Dies ändert aber nichts daran, daß das Verhältnis zwischen der Uneigentlichkeit des Man und der Eigentlichkeit des Seins zum Tode rechtlich auch durchaus differenziert und unter Vermeidung des kritischen Gestus gegenüber dem Konzept der Öffentlichkeit rekonstruiert werden kann; für das Persönlichkeitsrecht ist dies rechtsdogmatisch ja auch etwa in der Sphärentheorie99 nachgezeichnet worden. Das Recht braucht mithin die negativen Konnotierungen Heideggers nicht zu übernehmen. Als Fazit kann notiert werden, daß im Durchgang durch den heideggerschen Entwurf des Seins zum Tode die in dem Bestreben zur Eigentlichkeit angedeutete Möglichkeit der individuellen Freiheit an die Bedingung der vorgriffshaften Gewißheit und Verarbeitung des eigenen Todes gebunden ist. d) Bezüge der Todeserfahrung zum Recht: Das Sein zum Tode und die erbrechtliche Dogmatik Es liegt auf der Hand, daß die heideggerschen Überlegungen für die Einschätzung des herrschenden Erbrechtsverständnisses unmittelbar relevant sind. Es war schon die Rede davon, daß die Erbrechtsdogmatik dem Phänomen des Todes und der Todesverarbeitung in ihrer Arbeit am Recht des intergenerationalen Vermögenstransfers keinen genuin rechtlich bedeutsader Freiheit, siehe nur Klein, Internationale Zeitschrift für Philosophie 8 (1999), 140 (147). 97 Hügli/Han, in: Rentsch (Hrsg.), Martin Heidegger, Sein und Zeit, 133 (139). Eine ähnliche Blickrichtung ist auch der christlichen Tradition nicht unbekannt, in der das diesseitige Leben mit Blick auf das jenseitige auszufüllen versucht wird (dazu Hügli, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 10, 129 ff.) – freilich gelingt dieses Ausfüllen nur dem Religiösen. 98 Foucault, Technologien des Selbst, Frankfurt a. M., 1993, 37; siehe hierzu Nassehi, in: Feldmann/Fuchs-Heinritz (Hrsg.), Der Tod ist ein Problem der Lebenden, 210 (226 ff.). 99 Dazu unten § 10 III 2.

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men Platz einräumt; der Tod erscheint nur als ein rein technisches Tatbestandsmerkmal, welches erfüllt sein muß, um den universalsukzessiven Zuständigkeitswechsel im Eigentum herbeiführen zu können. Diese rechtsdogmatische Verdrängung des Todes könnte mit Blick auf das heideggersche Todesverständnis auch so gedeutet werden, daß die Rechtsdogmatik in ihrer anthropologischen Einebnung und rechtlichen Technisierung des Todes genau die von Heidegger beschriebene Nivellierung des Sterbens nachzeichnet, „das zwar das Dasein trifft, aber niemandem eigens zugehört“100. Die rechtsdogmatische Verabseitigung des Todes erscheint hiernach als Ausdruck seiner Verortung in der durchschnittlichen Alltäglichkeit der Uneigentlichkeit des Man, in der das Dasein nicht es selbst, sondern entfremdet ist. Die herrschende Erbrechtsdogmatik behandelt den Tod in einer fast biologistischen Reduktion als einen rein natürlichen Vorgang, der weitgehend entpersonalisiert und entindividualisiert verstanden wird, da das Ableben für alle eintritt und damit nicht im Rahmen eines personalen Selbstbezugs thematisiert werden kann101. Die heideggersche Analyse des Todes stellt zu einem derartigen Verständnis des Todes als „natürlicher Tod“ mit der dort implizierten „Verfallenheit an das Man“ den radikalsten Gegenentwurf dar. Die herrschende Rechtsdogmatik stellt sich mit Blick hierauf neutral zur Möglichkeit des Daseins, in seinem Sein zum Tode die eigentliche Existenz zu erfahren. Ein derartiges Neutralstellen heißt aber auch, daß die herrschende Rechtsdogmatik dem Dasein keine Instrumente an die Hand gibt, sich aus der Geworfenheit in die Alltäglichkeit zu befreien. Das herrschende Erbrechtsverständnis erscheint in dieser Perspektive als Mittel zur Perpetuierung der im Modus der Uneigentlichkeit aufscheinenden Entfremdung des Daseins. Das in dieser Arbeit avisierte personfunktional ausgerichtete Erbrechtsverständnis kann mit Blick auf diese Entfremdungsproblematik dann auch so gelesen werden, daß der heideggerschen „Möglichkeit des Freiseins für eigentliche existenzielle Möglichkeiten“102 ein rechtsdogmatisch angemessener Raum und damit ein rechtlicher Ort verschafft werden soll – und zwar kein Raum im Sinne des bloßen Erlaubtseins einer Zurichtung des Lebensentwurfs zum Tode (dies wäre ohne weiteres im allgemeinen Persönlichkeitsrecht eingefangen), sondern ein Raum im herkömmlich als nur das Vermögen betreffend begriffenen Recht. Dabei bleibt freilich die spannende Frage aufgegeben, was denn nun Vermögen und das Sein zum Tode, der existenzielle Lebensentwurf also, überhaupt miteinander verbindet. Dies wiederum ist eine Frage, die noch eigens weiter unten beschäftigen wird. 100

Heidegger, Sein und Zeit, 253. So die prägnante Charakterisierung der Auffassung vom natürlichen Tod bei Schulz, in: FS Weischedel, 313 (316, 328). 102 Heidegger, Sein und Zeit, 193, Hervorhebung i. O. 101

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Kap. 3: Der Todesdiskurs der Moderne

4. Zusammenfassung: Die Todesverarbeitung als Ausdruck personaler Identität Als Zusammenfassung kann notiert werden, daß im heideggerschen Konzept des „Seins zum Tode“ die Todeserfahrung als Möglichkeit einer Entfaltung des Individuums hin zu einem authentischen Lebensentwurf begriffen werden kann: Tod und Authentizität, Todesverarbeitung und personaler Lebensentwurf gehören damit je zusammen. Diese Einsicht ist nicht auf Heidegger beschränkt103. Auch Georg Simmel und Max Scheler etwa machen sich die Auffassung zu eigen, dem einzelnen sei im Blick zum Tode – in einer Weise der „existentiellen Besinnung“104 – eine Abkehr von der normativen Kraft der allgemeinen gesellschaftlichen Ansprüche (im heideggerschen Duktus: des Man) anzusinnen, um in der Verinnerlichung des Todes den Prozeß der Selbstwerdung des Ichs in die Wege zu leiten105. Auch hier erscheint der Tod als Moment des Lebens, und zwar eines personalen Lebens. Zum Tode sich verhalten drückt allgemein gesagt mithin nichts anderes aus, als sich zugleich zu sich selbst zu verhalten; „(v)om Tode sprechen bedeutet also immer auch: von sich selbst sprechen“106. Im Nachdenken über den je eigenen Tod wird der Tod mithin zu dem „individualisierenden Ereignis“ schlechthin, in welchem zudem die Anforderungen der Gesellschaft den Nachsinnenden nur insofern berühren, als sie auch 103 Den heideggerschen Einsichten zum Sein und Tod wurde stellenweise (vor allem aus dem Kreis der analytischen Philosophie) jegliche Originalität abgesprochen. Heidegger gebe nur in einer überaus mißlichen Sprache die banale Einsicht wieder, daß Menschen um ihren Tod wissen und sich um ihn sorgen, so etwa Edwards, Heidegger und der Tod, 78 f. Hierzu ist im Rahmen dieser Untersuchung nur folgendes zu sagen: Sind die heideggerschen Einsichten banal, so ist dies für die Zwecke dieser Untersuchung um so besser: Denn desto banaler sie sind, desto überzeugender sind sie ja auch. Dies ist das eine. Etwas anderes ist es jedoch, banale Einsichten so zu formulieren, daß sie ihre auch emotionale Banalität abstreifen können, damit die ganze Bedeutung der Banalität wieder in den Gefühlshaushalt desjenigen, der über den Tod nachsinnt, eingebracht werden kann. Und gerade hier leistet der von manchen als verquer bezeichnete sprachliche Duktus Heideggers viel. Wer jemals die fast schon suggestive Führung in Sein und Zeit hin zu der Einsicht gelesen hat, daß „das Man das Eigentümliche der Gewißheit des Todes (verdeckt), daß er jeden Augenblick möglich ist“ (Heidegger, Sein und Zeit, 258, Hervorhebung i. O.), wird dies ohne weiteres nachvollziehen können. Die Leistung Heideggers besteht in dieser Lesart dann darin, die Banalität aus ihrer Banalität gerissen und erst damit wieder voll zum Bewußtsein entfaltet zu haben. 104 Zitat bei Gerhardt, in: Fischer (Hrsg.), Freiheit oder Gerechtigkeit, 40 (50). 105 Simmel und Scheler beziehen die Verinnerlichung des Todes freilich anders als Heidegger noch auf die Möglichkeit des Glaubens an ein individuelles Fortleben, zu beiden Nassehi/Weber, Tod, 136 ff.; Hahn, in: Feldmann/Fuchs-Heinritz (Hrsg.), Der Tod ist ein Problem der Lebenden, 80 ff.; Wagner/Krech, in: Feldmann/ Fuchs-Heinritz (Hrsg.), ebda., 120 ff. 106 Theunissen, in: ders., Negative Theologie der Zeit, 197 (201).

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unmittelbar die je eigenen sind107. Wenn diese Einsicht in die Sprache der Rechtsdogmatik übersetzt wird, bedeutet dies nichts anderes, als daß die Todesverarbeitung als genuine Formung personaler Identität und die Sicht zum Tod selbst als genuiner Ausdruck personaler Identität verstanden werden kann.

III. Der Verlust der symbolischen Sinngebung des Todes in der intersubjektiven Sinnkonstruktion der Moderne Karl Jaspers stellte in seiner Geistigen Situation der Zeit einmal fest, daß in „der Daseinsordnung (. . .) Veranstaltungen getroffen (werden), um vergessen zu machen und zu beruhigen. Organisationen schaffen ein Bewußtsein von Zugehörigkeit. Der Apparat verspricht Sicherheit“108. Hierin wird in nuce ausgesprochen, worin der gesellschaftliche Stellenwert des Todes begründet ist: Er wird gesellschaftlich verdrängt. 1. Die These von der gesellschaftlichen Verdrängung des Todes Die These von der gesellschaftlichen Verdrängung des Todes ist nicht neu. Schon Max Scheler und Georg Simmel gehen von einer spezifisch neuzeitlich-europäischen Form der Todesverdrängung aus, welche mit der schon oben angesprochenen Radikalisierung der Innerlichkeit zusammenhänge109. Auch ansonsten ist die Verdrängungsthese als gängiges Erklärungsmuster heutiger Todesverarbeitung weit verbreitet110. Nun braucht im Rahmen dieser Untersuchung die These der gesellschaftlichen Verdrängung des Todes keiner historisch angelegten Untersuchung der Genese ihrer Theorie unterworfen werden, die sich etwa der spezifischen Gedankenwelten Schelers und Simmels vergewissern würde, vor deren Hintergründen die dort entfaltete These erst verstehbar wird. Es geht hier ja nicht um die Geschichte soziologischer Theorie als Wert an sich, sondern um die beispielhafte Veranschaulichung eines gesellschaftlichen Phänomens zum Zwecke rechtlicher Dogmatik. Insofern wird hier auf eine neuere Entfaltung und 107 Gerhardt, in: Fischer (Hrsg.), Freiheit oder Gerechtigkeit, 40 (50 f., Zitat S. 50, Hervorhebung getilgt), mit Bezug auf Heidegger. 108 Jaspers, Die geistige Situation der Zeit, 57. 109 Scheler, Schriften aus dem Nachlaß, Bd. 1, 9 ff. 110 Siehe etwa Prahl/Schroeter, Soziologie des Alterns, 210 f.; Mellor, in: Clark (Hrsg.), The Sociology of Death, 11 (22 ff.); siehe auch Zygmunt Baumann, Mortality, Immortality and Other Life Strategies, etwa 129 ff. und öfters; und die Übersicht bei Feldmann, Sterben und Tod, 33 ff., der die These selbst jedoch ablehnt. Die Verdrängungsthese wurde oft in eine eher kulturpessimistische Sicht gekleidet, so bsp. bei Ziegler, Die Lebenden und die Toten, 159, 316 und öfters; Fuchs, Todesbilder in der modernen Gesellschaft, 7.

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Kap. 3: Der Todesdiskurs der Moderne

Begründung der gesellschaftlichen Todesverdrängung zurückgegriffen, die Armin Nassehi und Georg Weber in einer breit angelegten Studie111 vorgelegt haben. Todesverdrängung wird von Nassehi und Weber nicht im freudschen Sinn des Verdrängungsbegriffs der Psychoanalyse aufgefaßt112 – also nicht als Abwehrmechanismus zum Schutz der Funktionstüchtigkeit und des Gleichgewichts der Psyche –, sondern im Anschluß an die Klassiker der Wissenssoziologie, Peter L. Berger und Thomas Luckmann, spezifisch wissenssoziologisch zurechtgeschnitten113. Gesellschaftliche Todesverdrängung bedeutet dann, daß in der intersubjektiven Sinnkonstruktion der Moderne eine plausible symbolische Sinngebung des Todes fehle114. Anders ausgedrückt: Der Tod wird in der entwickelten Moderne nicht mehr durch eine intersubjektive Sinnwelt im Sinne einer semantisch und sinnhaften Struktur des gesellschaftlich distribuierten Wissens, welches die verschiedenen Wirklichkeitsebenen nathlos zu einem Ganzen verschweißt, gestützt und kann damit auch nicht mehr intersubjektiv verstanden und akzeptiert werden. Indem mithin das die Alltagswelt transzendierende Weltverständnis, welches alle Wirklichkeiten und Sinnprovinzen miteinander verbindet, dem Tod keinen Platz mehr einräumt, obliegt in dieser gesellschaftlichen Konstruktion einer Verabseitigung des Todes dessen Sinngebung und die Art und Weise seiner Verarbeitung dann allein den einzelnen Individuen. 2. Der gesellschaftliche Ort des Todes in der Moderne Die Verabseitigung des Todes im gesellschaftlichen Wissens hängt nach Nassehi und Weber mit dem Prozeß der Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Subsysteme (dazu a.) sowie mit dem Modernisierungsprozeß überhaupt zusammen (dazu b.).

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Nassehi/Weber, Tod, 1989. Zu psychologisch angelegten Verdrängungshypothesen siehe die Übersicht bei Weber, Der soziale Tod, 77 ff.; Wittkowski, Psychologie des Todes, 101 ff. 113 Selbstverständlich kann auch anders vom Tod gesprochen werden. Heinz Baumann, Individualität und Tod, 95, beispielsweise faßt die moderne Form der Todesverarbeitung im Sinne einer Akzeptanz des Todes zwar nicht als psychoanalytisch verstandene Todesverdrängung, wohl aber als eine andere Form der psychischen Abwehrmechanismen auf, nämlich als Rationalisierung im Sinne einer unbewußt ablaufenden Abwehrmaßnahme, durch die das Individuum nicht-akzeptable und seine Funktionsfähigkeit beeinträchtigende Bedürfnisse, Gefühle, Einsichten und Verhaltensweisen einer vernunftsbestimmten Begründung unterwirft und gleichzeitig die Realität verzerrt. 114 Nassehi/Weber, Tod, 164 ff. 112

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a) Die Verabseitigung des Todes in der funktional ausdifferenzierten Gesellschaft Vor der Ausdifferenzierung der verschiedenen Funktionssysteme der Gesellschaft (als da sind etwa das politische System, das Rechtssystem, das wirtschaftliche System) wurde die sinnstiftende Aufgabe symbolischer Sinnwelten, die „jedes Ding an seinen rechten Platz rück(en)“115, weitgehend von Religionen übernommen. Die oben116 skizzierte Konstruktion gesellschaftsweiter symbolischer Sinngebungen in mythologischen Gesellschaften verdeutlicht die den einzelnen bergende Kraft derartiger Sinngebungen idealtypischerweise. Religionen stellten bis zum Beginn der Neuzeit als „gigantische Projektion menschlicher Sinnhaftigkeit“117 die schlechthin wirklichkeitsbildende Kraft in der gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit dar118. Der Tod nahm innerhalb dieser religiös abgestützten Symbolwelten einen genuinen Platz ein und erhielt einen für jedermann verbindlichen Sinn; die eigene Sterblichkeit war dem Menschen im Horizont der universalen religiösen Symbolwelt als Auslegung des eigenen Seins ohne weiteres verstehbar119; zudem wurde er durch das religiöse Unsterblichkeitsversprechen gesellschaftlich wirksam entdramatisiert. Nach der Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Subsysteme wurden religiöse Normen nicht mehr als intersubjektiv gültiger Wissensvorrat konstruiert. Zwar ging Religion nicht verloren, ihre Sozialform hat sich aber im Übergang von traditionellen zu modernen Gesellschaften grundlegend gewandelt120: Religiosität konnte nun nur noch „privat“ erlebt werden. Es blieb eine Leerstelle zurück, die in der Folge keine andere symbolische Sinnwelt zu schließen vermochte121. So beten zwar Menschen christlichen Glaubens seit alters her für einen gnädigen Tod; derartige Handlungen sind aber heute nicht mehr gesellschaftsweit als Instrument der Todesverarbeitung institutionalisiert, sondern werden als Ausdruck der höchstpersönlichen Religiösität des einzelnen angesehen. 115

Berger/Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, 105. § 9 II 1. 117 Berger, Zur Dialektik von Religion und Gesellschaft, 97. 118 Dazu und zum folgenden Nassehi/Weber, Tod, 175 ff. Religion wird hier als das „schlechthin Sinngebende des menschlich-gesellschaftlichen Daseins“ aufgefaßt, siehe dies., ebda., 403, im Anschluß an Luckmann. 119 Siehe zur Bändigung der Todesfurcht in die Sicherheit christlicher Jenseitsverheißungen schon oben § 9 II 2. 120 Nassehi/Weber, Tod, 184, 403. 121 Das bedeutet nicht, daß private Religiösität nicht für den einzelnen wirklich ist, nur errichtet Religion in der Moderne nicht mehr eine gemeinsame Welt, die dem gesellschaftlichen Leben seinen letzten und für jedermann verbindlichen Sinn gibt, Nassehi/Weber, Tod, 177, mit Bezug auf Berger. 116

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Die Strukturmerkmale der Moderne werden von Nassehi und Weber nun in Anlehnung an die Wissenssoziologie Bergers und Luckmanns, an die Systemtheorie Luhmanns und an die habermassche Theorie des kommunikativen Handelns im wesentlichen als dreifache Entfremdung beschrieben122: Erstens Standarisierung und Mechanisierung von Sinn mit der darin eingeschlossenen Trennbarkeit von Mitteln und Zwecken im Gefolge der Ausbildung arbeitsteiliger Produktion; zweitens Entfaltung bürokratischer Systeme mit der damit aufscheinenden Präferenz für Anonymisierung und Geregeltheit sämtlicher Lebensbereiche und der Ausbildung eines bürokratischen Denkstils; drittens Pluralisierung der Lebenswelten im Gefolge der Zunahme strikt voneinander getrennter und in sich wiederum segmentierter Lebensbereiche mit der Folge, daß dem einzelnen zahlreiche, stellenweise auch inkompatible Rollen zugewiesen werden123. Es kommt mithin zu einer strukturellen Unsicherheit der subjektiven Konstitution von Sinn. Da zudem die Dominanz der kognitiven Kategorie der technischen Produktion und der geregelten Bürokratie alles, was nicht dem Rationalismus der Produktionsund Verwaltungssysteme entspricht, in die Privatsphäre verbannt 124, kommt es zu der Erscheinung, die Habermas als „Kolonialisierung der Lebenswelt“ begrifflich eingefangen hat125. Parallel zu dieser dreifachen Entfremdung arbeiten Nassehi und Weber mit dem systemtheoretischen Differenzierungsparadigma Luhmanns, nach dem sich nicht Teilsysteme strategischinstrumentellen Handelns von der Lebenswelt, sondern verschiedene Inter122

Dazu und zum folgenden Nassehi/Weber, Tod, 185 ff. Besonders prägnant wird diese Entwicklung in der These einer „reflexiven Modernisierung der Industriegesellschaft“ (Beck, Risikogesellschaft, 17, 26, 205 und passim) abgebildet; die Stichworte lauten hier: Auflösung von Klassenstrukturen, Enttraditionalisierung von ständischen Klassenlagen und Freisetzung des Menschen aus der Geborgenheit seiner Lebensform und ihre Verortung in einem „neuen Modus der Vergesellschaftung“ (ders., ebda., 205). Es kommt hier dann nicht zum Aufbau kollektiver Wahrnehmungen und Situationsdefinitionen, sondern zu biographisch zersplitterten Lebensabschnittsmomenten (ders., ebda., 147 ff.). Indem der einzelne aus traditionalen Bindungen und Versorgungsbezügen gelöst wird, tritt zudem keine Verstärkung individueller Entscheidungskompetenz auf den Plan, der einzelne tauscht vielmehr die Zwänge des Arbeitsmarktes und der Konsumexistenz samt der in ihnen enthaltenen Standarisierungen und Kontrollen ein (ders., ebda., 211). Zum Wertewandel und der Beobachtung zunehmender Veränderungen in der affektiven Besetzung der Berufsarbeit und die Auswirkungen dieser Prozesse auf die These von der gesellschaftlichen Todesverdrängung siehe Nassehi/Weber, Tod, 205 f. 124 Nassehi/Weber, Tod, 191. 125 Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 2, 522. Noch stärker spricht Michel Foucault von einem durch das Machtgefüge der gesellschaftlichen Diskurse im Sinne einer Strukturierung von Bewußtsein, Körper und Gesellschaft bewerkstelligten „Verschwinden des Subjekts“, am prägnantesten eingefangen im letzten Satz seiner Ordnung der Dinge, 462, wo es heißt, „daß der Mensch verschwindet wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand“. 123

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aktionszusammenhänge voneinander differenziert haben. In der insoweit im Wandel von segmentär über stratifikatorisch/hierarchisch nunmehr nach Funktionssystemen ausdifferenzierten Gesellschaft der Moderne sind identitätsverbürgende Deutungssysteme schlichtweg ein Ding der Unmöglichkeit – ein Vergleich mit den skizzierten mythologischen Gesellschaften macht dies überdeutlich: Uns Jetztzeitigen ist der durch die Kategorie des Heiligen gewährleistete ordnungsbildende Charakter des Mythos unrettbar zerbrochen. Nun ist der Tod in der Lebenswelt des Alltags die problematischste und am wenigsten eindeutig verstehbare Grundtatsache des Daseins126. Er ist eine, wenn nicht die anthropologische Grenzsituation überhaupt127. Derartige Grenzsituationen können aus der Sicht der Wissenssoziologie Bergers und Luckmanns nur im Rückgriff auf die Gesamtheit der Wirklichkeiten ausgehalten werden, die das Sein ausmachen, also nur im Rückgriff auf symbolische Sinnwelten. Ansonsten steht die Gefahr eines Verlust des fraglosen Charakters der Wirklichkeit und damit ein Identitätsverlust im Raume128. Die „Integration des Todes in die oberste Wirklichkeit des gesellschaftlichen Daseins ist deshalb für jede institutionale Ordnung von größter Wichtigkeit“ und „die Legitimation des Todes eines der wichtigsten Funktionen symbolischer Sinnwelten“: Der Mensch „muß auch nach dem Tode signifikanter Anderer weiterleben können“129. Wie ist aber nun eine Legitimation des Todes durch symbolische Sinnsysteme und der damit gegebene Schutz vor dem „absoluten Grauen“130 möglich, wenn in der funktional ausdifferenzierten Moderne genau diese Möglichkeit intersubjektiv zugänglichen, insofern institutionalisierten Sinns weggebrochen zu sein scheint und die Sinnträger der modernen Welt den Tod weder erklären noch verstehbar machen können? Die Antwort finden Nassehi und Weber in Anlehnung an Habermas in einer Formalisierung: Die segmentierte pluralistische Lebenswelt wird im Bewußtsein der Individuen festgemacht, indem personale Identität keine fixen Inhalte mehr braucht, um stabil zu sein, sondern nur noch Inhalte: Identität läßt sich nur noch als „formale Kategorie begreifen, die sich wesentlich an der Funktionalität der gesellschaftlichen Teilsysteme festmacht“131. Steht mithin das Funktionieren des gesellschaftlichen Apparates 126

Dazu und zum folgenden Nassehi/Weber, Tod, 177 f., 178 ff. Berger/Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, 108. 128 Berger/Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, 108. 129 Berger/Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, 108, dort die drei Zitate. 130 Nassehi/Weber, Tod, 196. 131 Nassehi/Weber, Tod, 196. Dies ist natürlich nicht die einzige Möglichkeit, den Konflikt zu interpretieren. Scherer, Der Tod als Frage an die Freiheit, 77 ff., 127

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im Vordergrund, müssen alle Topoi, welche den Menschen existentiell berühren und bedrohen, entweder intrasubjektiv oder zumindest innerhalb der Privatsphäre verarbeitet werden; die sinnhaften Konstituenten der gesellschaftlichen Struktur von Modernität schlagen mithin auf die kognitive Erlebnisverarbeitung der Individuen durch132. Nur so werden die Eigenlogiken der gesellschaftlichen Subsysteme nicht gestört; wäre das „Memento mori“ des einzelnen weitverbreitet und öffentlichkeitswirksam, würde die Reproduktion der Systemimperative der modernen Gesellschaft empfindlich beeinträchtigt133. Die soziale Ignorierung des Todes hat also die Aufgabe, die Domestizierung und die soziale Loyalität der Gesellschaftsmitglieder sicherzustellen134, damit das Funktionieren der gesellschaftlichen Produktion und Reproduktion nicht gefährdet wird. Mit Blick auf diesen „schweigenden Totalitarismus der Gesellschaft“135 kann der gesellschaftliche Ort der Sinngebung des Todes präzise ausgemacht werden: Es ist dies die intrasubjektive Ebene des Ichs. Aus gesellschaftlichen Wissenssystemen ist der Tod hingegen vollständig eliminiert136. Eine individuelle Sinngebung des Todes ist für den einzelnen mithin zwar durchaus möglich. Sie wird ihm aber nur dann glücken, wenn es ihm gelingt, die Ansprüche an Sinnkonstruktionen zu relativieren, welche aus der intersubjektiv konstituierten Sphäre der natürlichen Einstellung, die die gesellschaftliche Interaktion erst ermöglicht, an ihn herangetragen werden und welche den Tod als intersubjektiv zugängliches Faktum ja nicht konstruieren – ein Projekt, welches zumeist scheitern wird und im Scheitern als ein grundlegender Auslöser des oft beklagten Unbehagens an der Moderne aufscheint137. Letztlich gründet die wissenssoziologische These von der gesellschaftlichen Verdrängung des Todes also „auf der gesellschaftlichen Macht der Institutionen der Produktion und Verwaltung und der daraus resultierenden Segmentierung moderner Identität“138: Die vollständige Individualisierung des Todes ist nach all dem für die Selbstreproduktionsprozesse der Teilsysteme moderner Gesellschaft 88 ff., 92 ff., deutet mit heideggerschen Duktus auf den Zusammenhang zwischen Todesangst und dem instrumentellen Denken und den Verbindungslinien zwischen Todesangst und dem Streben nach Verfügbarkeit über Personen und Sachen, um diese in das Gefüge der je selbst gesetzten Zwecke einzuspannen. Scherer versteht die Verdrängung des Bezugs zum je eigenen Tod dann als Bemächtigungstendenz, sich selbst als Subjekt zu verleugnen, und verweist folgerichtig auf die politische Dimension der Todesverarbeitung. In der hier interessierenden Dimension konvergieren mithin Scherer und Nassehi/Weber. 132 Nassehi/Weber, Tod, 196 f., 272. 133 Dazu Nassehi/Weber, Tod, 199 ff. 134 Nassehi/Weber, Tod, 332. 135 v. Ferber, Zeitschrift für evangelische Ethik 7 (1963), 338 (342). 136 Nassehi/Weber, Tod, 198, 274. Die Parallelen zu der von Heidegger beschriebenen Individualisierung des Wissens vom Tode liegen auf der Hand. 137 Nassehi/Weber, Tod, 198 f.

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eminent funktional und deshalb in der modernen Wissensdistribution nicht nur akzidentiell angelegt, sondern strukturell verankert. Es ist deshalb nicht abwegig, diese Einsicht mit Baudrillard139 so wiederzugeben, daß der Tod gesellschaftlich durch die Prinzipien des Ökonomischen und des Rationalen verdrängt worden ist. b) Die Verabseitigung des Todes als Ergebnis des Modernisierungsprozesses selbst Die These von der Individualisierung des Todes sichern Nassehi und Weber durch einen Rekurs auf die durch Max Weber und Norbert Elias vorgelegten Entwicklungsmodelle moderner Gesellschaften ab, indem sie die Genese der modernen Todesverdrängung nicht nur aus ihrer Funktion für die Reproduktion gesellschaftlicher Differenzierung, sondern auch aus der Genese der Modernität selbst ableiten. Max Weber beschrieb die gesellschaftliche Entwicklung bekanntlich als einen entwicklungsgeschichtlichen Prozeß der fortschreitenden Entzauberung und Rationalisierung hin zum okzidentalen Rationalismus. In der entzauberten Welt der Moderne wird auch der Tod als ein rationales Ereignis konstruiert. Er wird als natürlicher Tod im Sinne eines beschreibbaren physiologischen Prozesses der Beendigung der Körperfunktionen begriffen. Diese Einordnung des Todes als ein rational verstehbares Ereignis gilt aber nicht für die Frage nach dem Sinn des Todes. Diese muß in einer rationalisierten Moderne generell als das schlechthin Irrationale und damit in einer Situation der Dominanz internalisierter Regeln zweckrationaler Handlungstypen als das schlechthin gesellschaftlich Abseitige gelten140. Die weitere Bedeutung dieser Abseitigkeit beschreiben Nassehi und Weber dann durch den Rückgriff auf den von Elias artikulierten Prozeß der Zivilisation141. Elias beschreibt den Zivilisationsprozeß als eine fortschreitende zivilisationsgenetische Trieb- und Affektminderung, die einhergeht mit dem Auf138 Nassehi/Weber, Tod, 202. Nassehi und Weber weisen zu Recht darauf hin, daß die wissenssoziologische These von der Todesverdrängung keineswegs in kulturpessimistischer Stoßrichtung das Zerbrechen allgemein geteilter Kollektivvorstellungen beklagt und sich damit jenseits von gängigen Etikettierungen der Art konservativ/ progressiv stellt. Zudem argumentiert sie auf einem gesellschaftstheoretisch sachgerechtem Niveau. Damit trifft sie auch die etwa von Fuchs, Todesbilder in der modernen Gesellschaft, 7 f., vorgetragene Kritik nicht, die These von der Todesverdrängung sei relativ unausgeführt, in ihren Inhalten zu pauschal und von ideologischen Momenten nicht nur eines konservativ-kulturpessimistischen Gestus, sondern auch eines prononcierten Anti-Industrialismus durchsetzt. 139 Baudrillard, Der symbolische Tausch und der Tod, etwa 232 und öfters. 140 Nassehi/Weber, Tod, 277 ff., 289 ff. 141 Dazu und zum folgenden Nassehi/Weber, Tod, 304 ff., 311 ff.

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bau hochinterdependenter, störanfälliger Verflechtungsbeziehungen. Diese wiederum ziehen eine gesteigerte Selbstkontrolle des Individuums nach sich. Nun ist der Tod ein affektgeladenes, angstbesetztes Ereignis, auf das der Mensch weitgehend affektiv, nicht kognitiv reagiert. Standen ehedem dem Individuum ein breites Spektrum affekthafter Situationsbewältigungsformen zur Verfügung, in denen die Situation etwa des Todes durch den Ausbruch stark gefühlsbetonter Trauerformen artikuliert, damit in seinem Grauen transparent, somit kommunikabel und hierdurch letztlich neutralisiert werden konnte, steht dem modernen Menschen im Zuge fortgeschrittener Affektkontrolle diese Bandbreite affekthafter Bewältigungen nicht mehr zu Gebote142; der Tod wird zum klassischen Zivilisationskonflikt. Dieser muß aufgelöst werden, um die gesellschaftlichen Verflechtungsbeziehungen nicht zu stören. Und da die sich im Zivilisationsprozeß ausprägende Dämpfung der Triebimpulse innerhalb der Psyche des einzelnen interaktionsunabhängig auf Dauer gestellt wird, besteht die Auflösung darin, den Tod mit einem Zivilisationstabu, also einer intersubjektiv wirksamen negativen Besetzung eines Objekts, zu belegen143. Insofern erfüllt das Todestabu für Elias eine ähnliche Funktion wie das Sexualtabu des viktorianischen Zeitalters144. Das Individuum erfährt seine Todesverarbeitung mithin als etwas, was an sich eine affektiv-personale Reaktion erfordert. Genau eine solche erscheint ihm durch die Tabuisierung des Todes auf der gesellschaftlichen Ebene aber als verboten. In der Verarbeitung des eigenen Todes sieht sich das Individuum mithin allein auf sich selbst zurückgeworfen und erfährt so seine Todesverarbeitung als Moment reiner Innerlichkeit. Auch vor dem Hintergrund der Zivilisationstheorie von Elias ergibt sich mithin, daß die gesellschaftliche Verdrängung des Todes in der Moderne ein wesentliches Ergebnis des Modernisierungsprozesses selbst ist145.

142 Nassehi/Weber, Tod, 313, verweisen auf die Sterbebedingungen im Krankenhaus und der damit einhergehenden Hospitalisierung des Todes sowie auf den fortschreitenden Verlust sozialer Trauerformen mit ihrer Beschränkung der todesverarbeitenden oder trauerbezogenen Kommunikation auf ein Minium. 143 Elias, Über die Einsamkeit der Sterbenden in unseren Tagen, 47, drückt dies feinfühlig durch die Sentenz aus, daß den dem Sterbenden verbundenen Menschen „das überhöhte Zivilisationstabu gegen den Ausdruck starker, spontaner Empfindungen (. . .) oft Zunge und Hand (binde).“ 144 Elias, Über die Einsamkeit der Sterbenden in unseren Tagen, 69. Diese Einsicht ist nicht auf Elias beschränkt. Feldmann, Sterben und Tod, 33, weist darauf hin, daß die These, der Tod habe als Tabuthema die Sexualität abgelöst, bereits 1955 von Gorer, Encounter 5 (1955), 49, vertreten worden sei, ebenso Winau, in: ders./Rosemeier, Tod und Sterben, 15 (24). 145 Nassehi/Weber, Tod, 323.

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3. Kritik der These von der gesellschaftlichen Verdrängung des Todes Selbstverständlich wurde der These, der Tod sei gesellschaftlich verdrängt und radikal individualisiert, auch kritisch begegnet. Nassehi und Weber wird zumeist vorgeworfen, sie würden die Befunde zur klinischen Sterbesituation oder neuere todessemantische Entwicklungen im Umkreis des Okkultismus, der Esoterik oder der Psychokultur, welche die Verdrängungsthese relativieren würden, eher vernachlässigen. Zudem zeigten die kollektiven Sinnrahmungen in der Trauersituation, das Trauerverhalten selbst und die jeweils vorgenommenen rituellen Transformationen bei Todesfällen etwa exponierter Vertreter des politischen Systems, daß es durchaus so etwas gäbe wie eine zivilreligiöse gemeinsame symbolische Sinngebung des Todes (nämlich seine Akzeptanz)146. Es ist deshalb auch die Gegenthese vertreten worden, es existierten in unserer Gesellschaft keine prinzipiellen Kommunikationstabus für das Thema Tod, der Tod wäre vielmehr kontrolliert147. Die Kritik übersieht, daß Nassehi und Weber sehr wohl die kollektive Sinnrahmung von Todesfällen und die Sterbe- und Trauerpraxis analysieren148. Sie sehen aber, daß etwa in der Sterbepraxis und in der dort stattfindenden Hospitalisierung des Todes in nuce das technisch orientierte und strategisch-instrumentell ausgerichtete Handeln einen genuinen Ausdruck findet (was einer personalen Verarbeitung des Todes ja widerstreitet, wie mit Heidegger gezeigt werden konnte) und daß in der Struktur der modernen Bestattung „nicht nur die Wirklichkeit des Todes, sondern auch die des Toten nicht zugelassen“ wird149. Zudem ist die vor allem von Parsons für den nordamerikanischen Todesdiskurs herausgearbeitete These, der Tod sei gesellschaftlich akzeptiert, so daß auf keine gesellschaftliche, sondern auf eine individuelle Verdrängung des Todes zu erkennen sei150, in ein allgemeines Todesverständnis eingebettet, nach dem die Neubesetzung der gesellschaftlichen Positionen und 146 Zur Kritik siehe Wiedenmann, Sociologica Internationalis 30 (1992), 117 (122 f.); sowie schon vor Nassehi und Weber die Überlegungen bei Schulz, FS Weischedel, 313 (313 ff.). 147 So die älteren Studien von Alois Hahn, Einstellungen zum Tod, 21 ff.; Werner Fuchs, Todesbilder, 1969; und neueren Datums Klaus Feldmann, Tod und Gesellschaft, 72 ff.; ders., Sterben und Tod, 32 ff. Zur Kritik siehe auch die Übersicht bei Weber, Der soziale Tod, 88 ff. 148 In Nassehi/Weber, Tod, 231 ff., 245 ff. 149 Nassehi/Weber, Tod, 253; Stichwort: Expertokratisierung des Toten durch die Ausbildung des Berufs des Bestatters, und zwar gerade in den USA; siehe dazu auch Mischke, Der Umgang mit dem Tod, 3 ff., 110 ff.; Mellor, in: Clark (Hrsg.), The Sociology of Death, 11 (20); Elias, Über die Einsamkeit der Sterbenden in unseren Tagen, 39 ff.

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Rollen von Generation zu Generation notwendig sei, um soziale und kulturelle Innovationen und Anpassungsleistungen zu ermöglichen; der Tod der Individuen sei mithin funktional für die gesellschaftliche Entwicklung151. Es liegt auf der Hand, daß genau in derartigen Funktionalisierungen des je individuellen Todes die von Nassehi und Weber so eindringlich beschriebene Überwältigung der individuellen Todesverarbeitung durch systemische Imperative zum Ausdruck kommt: Gerade in der gesellschaftlichen Akzeptanz des Todes schimmert ja dessen Privatisierung durch, da Akzeptanz ja weitgehend Hinnahme darstellt, nicht aber eine genuine Verarbeitung des „Seins zum Tode“. Nassehi und Weber geht es darum zu zeigen, daß der Tod und seine Verarbeitung selbstverständlich auch heute noch kommunikabel ist. Er ist es aber als ein rein privates Problem – und gerade deshalb auch gesellschaftlich angreifbar: Der einzelne kann in seiner Todesverarbeitung gesellschaftlich so abgerichtet werden, daß sie sozial nicht stört, sondern allenfalls als Neurose oder Psychose erlebt wird152. Und soweit darauf verwiesen wird, es gäbe eine hohe Pluralität der Sinngebungen des Todes ohne verbindliche kollektive Vorgaben, die der Individualität des Lebens entspreche153, ist dies kein überzeugender Einwand. Denn Nassehi und Weber bestreiten ja genau dies keineswegs. Sie stellen nur einen (von der Kritik insofern vernachlässigten) überzeugenden Bezug zwischen der Individualisierung der Sinngebung des Todes und der freiheitsbeeinträchtigenden Gewalt systemischer Imperative her. Dabei mag es durchaus zu gewissen Überspitzungen in dem Sinne kommen, daß Nassehi und Weber ein etwas sehr rigides anthropologisches Todesreaktionsmodell vertreten154. Doch 150 Zu Parsons siehe Klaus Feldmann, in: ders./Fuchs-Heinritz (Hrsg.), Der Tod ist ein Problem der Lebenden, 140 (157 ff.); siehe auch Wiedenmann, Sociologica Internationalis 30 (1992), 117 (122 f.). 151 Feldmann, in: ders./Fuchs-Heinritz (Hrsg.), Der Tod ist ein Problem der Lebenden, 1995, 140 (144). 152 Auf dieses Problem geht etwa die von Alois Hahn in der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 43 (1991), 162 (163 f.) vorgenommene Besprechung der Arbeit von Nassehi und Weber noch nicht einmal ein. Gerade in dem typischen Kommunikationsverhalten angesichts eines Todesfalls zeigt sich ja die gesellschaftliche Abrichtung der erlaubt-kommunizierbaren Todesverarbeitung: Der Trauernde kann nicht mehr auf gemeinsam erlebbare und deshalb hochfunktionale Trauerrituale zurückgreifen, sondern muß weitgehend allein verarbeiten – oder wird auf psychotherapeutische Hilfe im Kontext der Aufarbeitung von Trauerneurosen und -psychosen verwiesen, worin sich die Individualisierung der Todesverarbeitung besonders prägnant widerspiegelt, dazu Nassehi/Weber, Tod, 257 ff. Baudrillard hat all dies anschaulich beschrieben: „Der Tod ist obszön und peinlich – und auch die Trauer wird es: es gehört zum guten Ton, sie zu verstecken: sie könnte die anderen in ihrem Wohlbefinden stören. Der Anstand verbietet jede Anspielung auf den Tod“, Baudrillard, Der symbolische Tausch und der Tod, 289. 153 Alois Hahn in der seiner Besprechung in der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 43 (1991), 162 (163).

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selbst wenn es abgemildert würde, bliebe es dabei, daß die Produktion und Reproduktion der gesellschaftlichen Teilsysteme die Auseinandersetzung des je eigenen Individuums mit der je eigenen Endlichkeit aus Opportunitätsgründen aus dessen Bewußtseinssphäre verdrängen155 – und nur darauf kommt es rechtsdogmatisch an, wie die nunmehr folgenden Erörterungen zum Zusammenhang zwischen der gesellschaftlichen Verdrängung des Todes und der Erbrechtsdogmatik zeigen werden. Die These von der gesellschaftlichen Verdrängung des Todes kann nach all dem bestätigt werden. 4. Gesellschaftliche Todesverdrängung und Erbrechtsdogmatik a) Zusammenfassung zur gesellschaftlichen Verdrängung des Todes Die groben Skizzen zur gesellschaftlichen Verdrängung der Todesverarbeitung haben gezeigt, daß in der intersubjektiven Sinnkonstruktion der Moderne eine plausible symbolische Sinngebung des Todes fehlt156. Die Sicht zum Tod wird nicht mehr durch ein die ganze Fülle der Erlebnisverarbeitung umspannendes Wissen aufgefangen, welches den Tod intersubjektiv verstehbar und akzeptierbar machen könnte, wie dies ehedem durch das durch Religion bereitgestellte Wissen der Fall war. Nassehi und Weber begründen diesen Verlust des gesellschaftlichen symbolischen Orts des Todes mit der Entwicklung hin zu einer in Subsysteme ausdifferenzierten modernen Gesellschaft mit den dort aufscheinenden Kennzeichen der Standarisierung, der Bürokratisierung und der lebensweltlichen Pluralisierung. Eine gesellschaftsweite Thematisierung und Verarbeitung der so überaus problematischen Grundtatsache des Todes würde die ungestörte Reproduktion der Systemimperative empfindlich stören, da eine intersubjektive Sinngebung des Todes durch den Verlust der totalitär-sinngebenden Kraft der Religion ja weggebrochen ist. Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit der Moderne konstruiert deshalb quasi eine gesellschaftliche Unwirklichkeit des Todes157 und weist die Aufgabe der Todesverarbeitung den einzelnen 154 Siehe die Kritik bei Feldmann, Tod und Gesellschaft, 85; Weber, Der soziale Tod, 103. 155 Dies konzedieren auch die Kritiker, siehe Weber, Der soziale Tod, 103. 156 Mit dieser Aussage ist keine normative Wertung der Art verbunden, daß das Fehlen einer gesellschaftsweit wirkmächtigen symbolischen Sinngebund des Todes zu beklagen sei. Dies würde ja im übrigen sich auch in einem Widerspruch setzen zum hiesigen Ansatz, das gewillkürte Erbrecht personfunktional zu interpretieren. Denn eine derartige Interpretation gibt ja nur in einer solchen gesellschaftlichen Situation Sinn, in der der einzelne zwingend – da der Tod gesellschaftsweit gewissermaßen privatisiert ist – seinen Tod rein innerlich verarbeiten muß und diese Verarbeitung als Ausdruck seiner innersten Persönlichkeit erfahren darf. 157 So prägnant Nassehi/Weber, Tod, 204.

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Individuen zu, die sie als Moment je personaler Sinngebung erfahren. Darüberhinaus gründen Nassehi und Weber die gesellschaftliche Verabseitigung des Todes in der Moderne auch auf den Prozeß der Modernisierung selbst. Nicht nur wurde die Frage nach seinem Sinn als Ausdruck extremer Irrationalität konstruiert, damit von vornherein aus dem Horizont des intersubjektiv Kommunizierbaren (und dies ist in der durchrationalisierten Moderne vor allem das Rationale) entfernt und auf diese Weise privatisiert. Die Individualisierung der Todesverarbeitung wurde auch deshalb notwendig, weil ansonsten durch eine zu starke affektive Auseinandersetzung mit dem Tod die gesellschaftlichen Verflechtungsbeziehungen gestört würden; der Tod wurde deshalb mit einem Zivilisationstabu belegt und seine Verarbeitung als Moment reiner Innerlichkeit ausgegeben. Es bleibt noch abschließend hinzuzufügen, daß das Wissen um die Todesverdrängung nicht auf die Gesellschaftstheorie beschränkt ist. Im Recht der Sepulkralkultur ist die „Scheu vor dem Tode und seinen Erscheinungsformen“ ein seit längerem bekanntes Phänomen158. b) Das personfunktional verstandene Erbrecht als genuines Freiheitsrecht Was kann aus dem gerade beschriebenen Befund der Erbrechtsdogmatik mit auf den Weg gegeben werden? Das herkömmliche Verständnis der Testierfreiheit als fortgesetzte Eigentümerfreiheit und die Ausrichtung des gewillkürten Erbrechts auf seine familiare Funktion erscheinen vor dem Hintergrund der geschilderten gesellschaftlichen Verdrängung des Todes als genuiner Ausdruck eben dieser Verdrängung. Denn es spiegelt in nuce die gesellschaftliche Entfremdung des Todes wider, da es Arbeit und Eigentum als die systemischen „Leitwährungen“ der rationalisierten Moderne auch dem erbrechtlichen Todesdiskurs als zentrales Bezugsmuster anempfiehlt und damit die rechtliche Abbildung der Todesverarbeitung der instrumentell-ökonomischen Vernunft und dem diesen inhärenten Fortschrittsgedanken159 passend macht160. Die „öffentliche Verleugnung des Todes in der entfalteten Industriegesellschaft“161 erleichtert insofern die Befolgung der 158

Siehe nur BVerwG, NJW 1974, 2018 (2019), dort auch das Zitat. In diesem Fortschriftsgedanken kann eine Herrschaft von kalter Hand ja keine sachlich einsichtige Rolle spielen. Insofern verwundert es nicht, daß die herrschende Dogmatik einer derartigen Herrschaft kritisch gegenüber steht, dazu siehe oben § 6 IV 2. 160 Das beste Beispiel hierfür bietet die ordoliberalistische Zurichtung des Normmaterials hin auf die Bedürfnisse des Wirtschaftssystems. Das Ziel ist dabei zwar die Optimierung persönlicher Freiheit. Die individuelle Todesverarbeitung wird jedoch vollständig vernachlässigt, zur Kritik am Ordoliberalismus siehe oben § 6 IV 2 und unten § 11 V 2 b. 159

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Imperative instrumentell-ökonomischer Provenienz162. Mit Mut zur provokativ-respektlosen Spekulation gesagt könnte die Ausbildung der im Laufe des 19. Jahrhunderts individualistisch analog der Eigentumsfreiheit zum vorstaatlichen Freiheitsrecht umgedeuteten Testierfreiheit als Verkettung von Erbrecht und Eigentum163 auch so begriffen werden, daß damit ein Baustein unter vielen bereitgestellt worden ist, mit dem den bürgerlichen Bewegungen des 18. und 19. Jahrhunderts die bewußte Distanz von jener religiösen Leitsemantik ermöglicht wurde, die ihr ökonomisches Potential beschränkte und zugleich dem Tod einen intersubjektiv faßbaren symbolischen Ort verliehen hatte. Wie dem auch sei, ein personfunktionales Erbrechtsverständnis versucht, in die Eigenlogik des Rechts164 einen Ort zu implementieren, an dem die personale Sinngebung des Todes wieder in der Weise relevant werden kann, daß die Reproduktion der Systemimperative eine sozial zu respektierende, insofern verbindliche individuelle Sinngebung des Todes eben genau des sinngebenden Individuums nicht hindern kann. Denn wenn die personale Todesverarbeitung rechtlich relevant wird, ist ihr auch ein sozialer Ort gegeben; die Sozietät muß die je individuelle Sinngebung des Todes mit all ihren Folgen dann kraft der zwingenden Gewalt des Rechts akzeptieren165. Das Unterfangen einer personfunktional ausgerichteten Interpretation des geltenden Erbrechts166 versteht sich daher letztlich als Versuch, in einem Segment des Bürgerlichen Rechts den Freiheitspathos der Moderne von seiner bloßen Emphase zu befreien und gesellschaftlich wirklich werden zu lassen: Im rechtlich genuinen Schutz der individuellen Todesverarbeitung 161

v. Ferber, Zeitschrift für evangelische Ethik 7 (1963), 338 (347). Wiederum: Die Herrschaft von kalter Hand wird aus Sicht guten Wirtschaftens nur als etwas „unvernünftiges“ wahrgenommen. 163 Siehe zur Entwicklung oben § 5 II 2. 164 Also der Verwaltung im wissenssoziologischen Sinn. 165 Es wird noch gezeigt werden, daß dies etwa bei der Interpretation des § 138 I BGB im Hinblick auf die Sittenwidrigkeit letztwilliger Verfügungen überaus relevant werden wird. Die Sittenwidrigkeitsklausel erweist sich insofern als einer der rechtlichen Orte der gesellschaftlichen Kommunikabilität des Todes. 166 Eindringlich sei an dieser Stelle nochmals darauf hingewiesen, daß es an dieser Stelle der Studie – also in § 9 – noch nicht darum geht, das Folgende schon als Interpretation des geltenden Rechts auszuweisen. Vielmehr steht im Vordergrund, eine Plattform zu gewinnen, auf der die Wertentscheidungen des geltenden Rechts als ein System konsistenter und kohärenter Wertung begriffen werden können. Erst wenn dies geleistet ist – und es wird später in den §§ 10 und 11 der Studie geleistet –, wird ein unvermittelter Brückenschlag von einem existenzphilosophischen und gesellschaftstheoretischen Befund zu einer normativ-rechtlichen Aussage vermieden und kann methodisch mit Recht gesagt werden, ein Verständnis des gewillkürten Erbrechts als funktionales Persönlichkeitsrecht läge unserem Bürgerlichen Recht als normativer Grund (verborgen) zugrunde. 162

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wird dem Rechtssubjekt ein Instrument an die Hand gegeben, um seine personale Freiheit gegen die überwältigende Gewalt systemischer Imperative in einer Situation sichern zu können, in der die Distanznahme vom gesellschaftlichen Standard ohnehin äußerst erschwert ist. Es steht mithin nicht die Aufgabe im Vordergrund, allgemein (also gesellschaftsweit) „ein verbindliches, kommunizierbares Verhältnis zum Tode wiederzugewinnen“, um den „schweigenden Totalitarismus der Gesellschaft (zu) brechen, der jede Diskussion über die gesellschaftliche Disziplin zu verhindern trachtet“167 – dem Memento mori168 einen gesellschaftsweit akzeptablen Ort zu geben ist angesichts der Struktur der entwickelten Moderne ein wohl kaum aussichtsreiches Unterfangen169. Der Rechtsdogmatik kann es nur darum gehen, demjenigen rechtlichen Schutz zu gewähren, der den Versuch wagt, sich „den Ansprüchen des „Allgemeinen“, also der gesellschaftlichen Interessen und der quasi zur zweiten Natur gewordenen Totalität der strategisch-rationalistischen Teil- und Subsysteme zwar nicht (zu) entziehen, sie aber zumindest im Lebensvollzug (zu) relativier(en)“170. Wie kann ein derartiges Entziehen aussehen? Für das Recht kann es nicht darin bestehen, dem einzelnen eine bestimmte Form oder einen bestimmten Inhalt der Verarbeitung seines Todes vorzugeben. Denn damit würde es die individuelle Todesverarbeitung ja hintertreiben. Das Recht kann dem todesverarbeitenden Individuum nur eine Form anbieten (die Verfügung von Todes wegen), die der einzelne annehmen kann oder auch nicht. Der tatkräftige Beitrag des Rechts für das Entziehen besteht sodann darin, die gesellschaftlichen Subsysteme zu zwingen, den vom einzelnen gefundenen Inhalt seiner Todesverarbeitung zu respektieren. Doch was heißt das? Die rationalisierten Eigenlogiken vor allem der Subsysteme Recht und Wirtschaft werden versuchen, die individuell gefundene Todesverarbeitung des einzelnen systemintern zu interpretieren – und dies bedeutet nichts anderes als eine Interpretation nach den Eigenlogiken des jeweiligen Systems selbst171; die Rede von einer „sinnlosen“ Herrschaft der 167

So aber v. Ferber, Zeitschrift für evangelische Ethik 7 (1963), 338 (342). Das Memento mori wird urspünglich als die religiöse Einübung der Integration des Todes in das Leben der Gläubigen angesehen, wie etwa bei den Stundengebeten der mittelalterlichen Liturgie, dazu nur Nassehi/Weber, Tod, 328 ff. Im Rahmen dieser Untersuchung soll es für den Prozeß der Todesverarbeitung stehen. 169 Dazu zusammenfassend Nassehi/Weber, Tod, 376; insofern wird deutlich, daß Nassehi und Weber nicht der Vorwurf des Kulturpessimismus in dem Sinne trifft, daß durch ein Insistieren auf ein gesellschaftlich implementiertes Memento mori im Sinne der verbindlichen Durchsetzung der Erinnerung an die menschliche Sterblichkeit Instrumente gegen die Auswüchse der industriellen Gesellschaft bereitgestellt werden sollen, dazu Fuchs, Todesbilder in der modernen Gesellschaft, 8 ff., 15 ff. 170 Nassehi/Weber, Tod, 333. 168

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kalten Hand findet hier unmittelbar ihre Herkunft. Die der Todesverarbeitung des einzelnen drohende Gefahr liegt mithin darin, nicht nur nicht respektiert zu werden (im Sinne: für das jeweilige Subsystem nicht relevant und daher übergehbar172), sondern schon darin, vor dem Hintergrund der nach rationalen Mustern arbeitenden systemischen Eigenlogiken in Fragen verwickelt zu werden, warum denn so (etwa: wirtschaftlich gedacht sinnlos) und nicht anders (etwa: wirtschaftlich sinnvoll) testiert worden sei – und sei es nur auf vermeintlichen Nebenschauplätzen (wie etwa der Sittenwidrigkeitsprüfung), die aus der Perspektive des Todesverarbeitenden aber gerade zentral sein können. Derartige Fragen in der Art des „Warum so und nicht anders“ wiederum wären ganz ungereimt. Denn es gibt kein „besseres Argument“ bezüglich der rechten Verarbeitung des je eigenen Todes oder so etwas wie dessen existentielle Versprachlichung, die argumentativ aufarbeitbar wäre173. Ein rational-kognitiv verstandener Geltungsanspruch über die Sinngebung des Todes wäre mithin ein Unding. Die Verarbeitung des Todes ist vielmehr der irrationale Topos schlechthin, dessen Sinngebung gerade nicht argumentativ kommunizierbar ist und zu dem man nur sagen kann: Es ist eben so174. Das „Sein zum Tode“ ist ja prägnanter Ausdruck der Einsicht, daß das zweckrationale Handlungsmodell, welches das menschliche Leben im Sinne einer Zweck-Mittel-Kette auffaßt, insgesamt wenig tauglich ist, soziales Handeln voll zu erklären. „Wir eilen ja nicht von einer Handlung zur nächsten, um am Lebensende unser erstrebtes Ziel zu erreichen“175. Das Verhältnis des Menschen zu sich selbst bedarf vielmehr ganz anderer Kategorien, die am prägnantesten Heidegger als „Um-willen“ anstelle von „Um-zu“ eingefangen hat176. In der Bewertung der je individuellen Sinngebung des Todes sind Handlungsmuster der Art eines zweckrationalen und selbst eines kommunikativen Handelns vollkommen unangebracht. Denn in ihnen wird die Sinnhaftigkeit der Frage des „Warum so und nicht anders“ implizit vorausgesetzt und damit gerade die Kautele an den Tod herangetragen, die ihm völlig fremd ist. Ist eine vernünftige Rede über die je eigene Verarbeitung des Todes mithin nicht möglich, besteht der vom Recht einzufordernde177 Respekt vor 171

Dazu für das Rechtssystem siehe nur Luhmann, Das Recht der Gesellschaft,

38 ff. 172 Womit der einzelne, der ja auch an der Kommunikation etwa des Wirtschaftssystems teilnimmt, seine Todesverarbeitung hier nicht mehr einbringen kann; diese wird insofern nicht „respektiert“. 173 Dazu und zum folgenden Nassehi/Weber, Tod, 364 ff., 379 ff. 174 Im Recht der Sepulkralkultur wird betont, daß „die Vorstellungen vom Tode nicht nur von rationalen Erwägungen beeinflußt sind“, siehe BVerwG, NJW 1974, 2018 (2019), bestätigt durch BVerfG, NJW 1979, 1493. 175 Joas, Die Kreativität des Handelns, 230. 176 Joas, Die Kreativität des Handelns, 230.

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der Todesverarbeitung des einzelnen folglich in nichts anderem, als schon die aus den Subsystemen an das verarbeitende Individuum herangetragene Frage rigoros von vornherein abzuschneiden, warum es denn seinen Tod so und nicht anders zu verarbeiten gedenke und ob dies alles denn so seine Richtigkeit hätte. Die Antwort auf eine derartige Frage ist: Es ist eben so. Wir (der generalisierte Andere178) müssen nicht und können auch gar nicht einsehen, warum es so ist. Vor diesem Hintergrund wird denn auch sehr augenfällig, warum das Gesetz dazu anhält, den erklärten Willen des Erblassers gem. § 133 BGB und nicht dessen objektivierten Willen gem. §§ 133, 157 BGB zu ermitteln: Mit einer Auslegung von einem objektivierten Horizont her würde jegliches individuelle Memento mori im Kern verfehlt. Denn angesichts der Sinndistribution in modernen Gesellschaften läßt sich ein Memento mori nur bar jeder objektivierten Sinngebung des Todes entwerfen – aber genau eine solche würde bei Lichte betrachtet gerade in der Objektivierung der Auslegung versteckt179. In der Sicht auf den eigenen Tod und dem damit verbundenen privaten Memento gilt es dem Rechtssubjekt mithin, die „Möglichkeit des Freiseins für eigentliche existenzielle Möglichkeiten“180 mit rechtlichen Mitteln auch gegenüber der Sozietät zu bewahren.

IV. Die Funktionalisierung des Vermögens bei der Verarbeitung des individuellen Todes Es blieb bisher die berechtigte Frage offen: Was soll das Memento mori des einzelnen mit dem intergenerationalen Vermögenstransfer zu schaffen haben; mithin: was verklammert die individuelle Todesverarbeitung mit dem gar nicht mehr so individuellen universalsukzessiven Vermögensübergang? Und vor allem: Was haben denn die von Todes wegen Bedachten mit dem Memento des Bedenkenden zu schaffen?

177 Hiermit soll nicht ausgesagt werden, daß Recht fordere dies schon allein nach dem Stand der bisherigen Überlegungen. Erst im Durchgang durch den rechtsdogmatischen Diskurs zum Persönlichkeitsrecht und durch die Einbindung allgemein anerkannter Wertungen des Erbrechts wird sich erweisen, daß das Recht den Respekt vor der Todesverarbeitung tatsächlich einfordert; nichts anderes bedeutet dann die Personfunktionalität des gewillkürten Erbrechts. 178 In Intimbeziehungen mag dies anders sein. 179 Vorausgesetzt wird hierbei, daß die Verfügung von Todes wegen und das Memento mori etwas miteinander zu tun haben. Dazu sogleich. 180 Heidegger, Sein und Zeit, 193, Hervorhebung i. O.

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1. Der Vermögensbezug des gewillkürten Erbrechts und das Memento mori: Der Aspekt der notwendigen Bedingung Es war schon bei der Diskussion des Erbrechts als fortgesetztes Eigentum davon die Rede, daß allein die Tatsache, daß letztwillige Verfügungen das Vermögen des Verstorbenen betreffen, die Deutung des gewillkürten Erbrechts als funktionales Persönlichkeitsrecht schon deshalb nicht hindert, weil diese Tatsache ja eine notwendige Bedingung ist, überhaupt irgendwelche rechtlich verbindlichen Wirkungen post mortem zu erzielen – das körperliche Substrat, welches den Rechtsfolgewillen des Rechtssubjekts zu Lebzeiten trägt, ist ja mit dem Tode weggefallen181. Mit anderen Worten: Die Tatsache, daß sich die Testierfreiheit des Vermögens bedienen muß, um rechtliche Wirkungen zu entfalten, ist für eine jede erbrechtsdogmatische Konzeption des gewillkürten Erbrechts – mag sie vermögensfunktional, familiarfunktional oder personfunktional ausgerichtet sein – zwangsläufig notwendiger Ausgangspunkt. Insofern wurde ebenfalls schon gesagt, es könne deshalb auch keine Rede davon sein, die Erbrechtsordnung würde allein schon aufgrund dieses Ausgangspunkts zu erkennen geben, die Testierfreiheit bediene sich nicht nur des Vermögens, sondern beziehe sich auf das Vermögen. Nun liegt auf der Hand, daß allein mit diesen Überlegungen eine einsichtige Verbindung zwischen individueller Todesverarbeitung und erbrechtlichen Vermögenstransfer nicht zu leisten ist. Immerhin wird aber deutlich, daß der Vermögensbezug ein Verständnis der letztwilligen Verfügung als Form der individuellen Todesverarbeitung zumindest nicht hindert; er ist ja für das Recht eine notwendige, wenngleich hinsichtlich des Memento mori nicht hinreichende Bedingung für eine Interpretation der letztwilligen Verfügung als Ausdruck eben dieses Memento mori. 2. Der Vermögensbezug als Ausdruck der Absicherung des Memento mori: Der Aspekt der hinreichenden Bedingung Vor kurzem182 wurde gezeigt, daß die individuelle Todesverarbeitung im Modus des „Es ist eben so“ der Sozietät gegenüber tritt, das heißt, sie ist im höchstem Maße unvertretbar und unhinterfragbar. Das je individuelle Memento mori kann mithin auch in dem Bedürfnis bestehen, trotz aller in die symbolische Rahmengebung der Religion eingelassenen Unsterblichkeitsverheißungen eine Spur auch im Handeln der Überlebenden zu hinterlassen. Wie gesagt, das Memento mori kann dieses Bedürfnis artikulieren, muß es aber nicht und wird es auch sehr häufig nicht183. Nun bleibt beim Tode von dem Verstorbenen als sichtbare Spur vor allem das im Laufe des 181 182

Siehe oben § 7. Oben § 9 III 4 b.

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Lebens Erworbene zurück. Will er mithin nicht nur in der Erinnerung der ihn Überlebenden, sondern auch in deren tätigen Handeln mit dem von Todes wegen Erworbenen ein Zeichen – etwa einen guten Namen184 – hinterlassen, ist der Erblasser darauf verwiesen, das Schicksal seines Vermögens in die individuelle Verarbeitung seines Todes einzubeziehen185. Dies mag dann dem ein oder anderen als ein etwas merkwürdiger Ausdruck einer höchstpersönlichen Erlebnisverarbeitung erscheinen. Und es ist ja auch nicht von der Hand zu weisen, daß das oben skizzierte heideggersche Sein zum Tode und mit dem darin enthaltenen Aufruf, seine lebzeitige Lebensführung je im Modus der Eigentlichkeit zu bedenken, damit der existentielle Entwurf des eigenen Lebens gelingen kann, auf den postmortalen Vermögenstransfer gewiß nicht ausgerichtet war – doch wenn das todesverarbeitende Individuum es anders sieht, bleibt aus Sicht der im Testament zum Ausdruck kommenden existentiellen Versprachlichung der je individuellen Todesverarbeitung nur zu sagen: Es ist eben so. Alles andere würde an die geleistete Todesverarbeitung des Testierenden (mithin: an die letztwillige Verfügung) nur genau die aus Sicht der Imperative der gesellschaftlichen Subsysteme mit der dort versammelten instrumentell-ökonomischen Vernunft formulierte Frage an den Testierenden herantragen, warum er denn seinen Tod so und nicht anders zu verarbeiten gedenke. Und hierzu wurde 183 Nassehi/Weber, Tod, 274 Fn. 1, stellen zu Recht fest, daß sich der Mensch nicht in Sinne eines naiven Dezisionismus für eine Integration des Todes in seine Erlebnisverarbeitung entscheiden kann, wie er sich etwa für ein Konsumangebot entscheidet. Die gesellschaftliche Verdrängung des Todes geht so durch die Menschen hindurch, daß sich die Integrationsproblematik zumeist gar nicht erst stellt. Gleichwohl bleibt es dabei, daß in der Moderne der einzige Ort, an dem eine Integration des Todes gelingen kann, der der je eigenen Selbstbeschreibung ist. Es stellt sich mithin nicht die Frage, ob die Todesverarbeitung qua Vermögen quantitativ ein vernachlässigbarer Posten ist. Denn würde hieraus der Schluß gezogen, auch das gewillkürte Erbrecht könne diese Art der Todesverarbeitung vernachlässigen (allgemein Anzeichen hierzu bei Schwerdtner, Persönlichkeitsrecht, 103), werden der natürlichen Person die schlagkräftigsten Waffen aus der Hand geschlagen, die ihm das Recht unter Freiheitsgesichtspunkten hinsichtlich ihres Todes anbieten kann, dazu sogleich. 184 Noch Kant sprach von dem „Nachlass eines guten Namens nach dem Tode“, ders., Metaphysik der Sitten, Erster Teil, § 35 der Metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre, S. 410. Und heute verweist Volker Gerhardt darauf, daß im „nachgelassenen Besitz oder im übertragenen Namen (. . .) die Härte des Ablebens im Bewußtsein der Lebenden gemildert (wird); etwas einzelnes bleibt verbindlich – auch über den Tod hinaus“, Gerhardt, in: Fischer (Hrsg.), Freiheit oder Gerechtigkeit, 40 (45). 185 Umberto Eco beschreibt dieses Bestreben im Hinblick auf die Kontinuität des Lebens allgemein anschaulich mit den Worten, es ginge darum, „eine Flaschenpost zu hinterlassen, damit das, woran man geglaubt hat oder was man schön fand, auch von den Nachgeborenen geglaubt oder schön gefunden werden kann“, Eco, in: ders./Martini, Woran glaubt, wer nicht glaubt?, 82 (89).

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schon ausgeführt, daß dem Recht es um der Freiheit des einzelnen willen daran gelegen ist, eine derartige Frage rigoros abzuschneiden186. Ansonsten würde die gesellschaftliche Verdrängung des Todes und die in ihr eingeschlossene Beherrschung individueller Freiheit reproduziert und das ganze Spektrum möglicher individueller Todesverarbeitungen durch die Übermacht systemischer Semantiken eingeschränkt. Zudem ist die Erbschaft als eine Gabe in ein Netz von Austauschbeziehungen integriert, die über den gesamten Lebensverlauf getätigt wurden. Ihr kommt mithin durchaus eine symbolische Funktion in dem Sinne zu, daß sich in ihr bei einem hinreichend großen Vermögen für den Erblasser eine zeitlich lange Phase seiner Biographie stabilisiert und daß sich in ihr traditionelle und institutionalisierte Formen sozialer Beziehungen widerspiegeln187. Schon die Motive haben dies gesehen und hintersinnig von der „Ehre der Erbeinsetzung“ und ihrer „innere(n) Bedeutung“ gesprochen188. Der Bezug des letzten Willens zur Person des Erblassers wird auch in der sich im rechtsdogmatischen Schriftum findenden Sentenz widergespiegelt, das Testament sei die „Abschiedserklärung des Erblassers an die Überlebenden“189. Der Bezug des Vermögens zum Leben mit Blick auf den Tod ist damit auch in „Vernunftsperspektive“ keineswegs abwegig. Nun bietet das Recht im gewillkürten Erbrecht der natürlichen Person den einzigen Ort, an dem sie über das Schicksal ihres gesamten Vermögens reflektieren kann190. Hieran ändern auch die Sukzessionen „am Erbrecht vorbei“ und die erbrechtlichen Sonderrechtsnachfolgen nichts, die mittlerweile den Grundsatz der Universalsukzession durchsetzt haben191. Denn auch diese sind zumeist privatautonom durch den Erblasser steuerbar, so daß sich am Prinzip nichts ändert, daß der Erblasser nur im Angesicht sei186 Nochmals sei zur Vorbeugung von Mißverständnissen darauf verwiesen, daß mit dieser Forderung nach einem Fragestillstand nicht ausgesagt werden soll, daß Recht fordere dies schon allein nach dem Stand der bisherigen Überlegungen. 187 Siehe dazu die empirischen Untersuchungen bei Lauterbach/Lüscher, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 48 (1996), 66 (72 f., 90); Finch/ Wallis, in: Clark (Hrsg.), The Sociology of Death, 50 ff. 188 Mot. V, 386. 189 So Lange/Kuchinke, § 34 III 3 b. 190 Die Bedeutung der Universalsukzession liegt mithin nicht nur im Schutz der Nachlaßbeteiligten (Nachlaßgläubiger, Pflichtteilsberechtigten, Allein- und Miterben) und im Gedanken des Erhalts der Vermögensorganisation, wie dies gemeinhin gesehen wird (dazu siehe nur Windel, Modi, 10 ff.), sondern liegt gedanklich noch einen Schritt vor derartigen Risikozuweisungserwägungen: Sie dient auch und vor allem dem Erblasser (und zwar indem sie eines der Bausteine darstellt, dem Erblasser ein besonders schlagkräftiges Memento mori zu verschaffen). 191 Zu den Ausnahmen vom Prinzip der Gesamtrechtsnachfolge siehe Staud-Marotzke, § 1922 Rn. 54 ff.; MünchKomm-Leipold, § 1922 Rn. 68 f.; Soergel-Stein, § 1922 Rn. 72 ff.

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nes Todes über sein gesamtes Vermögen nachsinnen kann. Erbrechtslosgelöste Sukzessionen und Sonderrechtsnachfolgen stellen damit ein eher sekundäres Problem dar, die Reflexion über das Vermögen rechtstechnisch in den Griff zu bekommen192. Die der natürlichen Person – und eben nur ihr; juristische Personen sterben nun einmal nicht, sondern sind auf die Rechtsfiguren der Auflösung, der Insolvenz, der Verschmelzung, der Spaltung, der Vermögensübertragung und des Formwechsels angewiesen – durch das Recht ermöglichte Reflexion über das ganze Vermögen in weitgehend einem Rechtsakt erweist sich nun gerade im Hinblick auf die oben geschilderten „emanzipatorischen“ Gehalte des Memento mori (als da sind: Auflehnung gegen die Übermacht systemischer Imperative und gegen die freiheitsgefährdende Tabuisierung des Todes; Entfaltung des Daseins von der uneigentlichen Alltäglichkeit zur Eigentlichkeit des Seins zum Tode) als überaus wichtig. Denn das Erbrecht schlägt die systemischen Imperative geradezu mit ihren eigenen Waffen, indem es dem seinen Tod verarbeitenden Testierenden die Möglichkeit gibt, eben gerade über ein Element vor allem des Wirtschaftssystems (nämlich dem Vermögen) seine Todesverarbeitung zu kommunizieren193. Nur der Vermögensbezug des gewillkürten Erbrechts veranlaßt die Eigenlogiken der betroffenen Subsysteme, der letztwilligen Verfügung nicht nur mit einem Ackselzucken, sondern mit Aufmerksamkeit zu begegnen. Und nur mit dem Schutz des personfunktional verstandenen Erbrechts wird der Testierende dieser Aufmerksamkeit so entgehen, daß er letztlich systemisch nicht überwältigt und kolonialisiert wird, sondern durch die hinter ihm stehende zwingende Gewalt des Rechts Distanz zum „schweigenden Totalitarismus“ der Gesellschaft einfordern kann. Die im Vermögensbezug des gewillkürten Erbrechts verborgene Kraft gegenüber diesem „Totalitarismus“ stellt mithin die eingangs gesuchte hinreichende Bedingung dar, Todesverarbeitung und letztwilligen Vermögenstransfer miteinander verklammert zu denken. Diese Sicht auf das gewillkürte Erbrecht wird gewiß nicht unwidersprochen bleiben; man wird sagen, das sei alles etwas sehr weit hergeholt und insbesondere die Verknüpfung von Vermögen und Todesverarbeitung sei Unfug und ein rechtlicher Aberwitz. Es wird sich aber zeigen lassen, daß mit dem hier vorgestellten Verständnis des gewillkürten Erbrechts die anerkannten rechtsdogmatischen Wertungen im Erbrecht erklärt werden können und daß die herrschende 192 Also etwa frühzeitig den Bezugsberechtigten der Lebensversicherungspolice zu bestimmen. 193 Das Recht baut in seine Eigenlogik ein Moment ein, systemexterne Logiken (die Todesverarbeitung des Erblassers) als je rechtssystemeigene Logiken zu erkennen, damit die in der rechtssysteminternen Eigenlogik angelegte Präferenz für die instrumentell-ökonomische Vernunft die an sich externe Logik nicht überwältigen kann. Es kommt mithin zur Ausbildung genau der Teilsystemdogmatiken, welche von Teubner beschrieben worden sind, dazu schon oben § 1 II 4.

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Erbrechtssicht vom Erbrecht als verlängertes Eigentum hier sehr viel größere Schwierigkeiten hat, ja, daß sie zahlreichen erbrechtlichen Normen mit Unverständnis gegenüber treten muß. Wenn dem aber so ist, ist gezeigt, daß das gewillkürte Erbrecht implizit von einem personfunktionalen Verständnis der Testierfreiheit ausgeht, mag im alltäglichen praktischen Leben es mit der testamentarisch gestützten Todesverarbeitung auch nicht weit her sein. Damit trägt das hiesige Verständnis des gewillkürten Erbrechts zu einer höheren Kohärenz des Systems rechtlicher Wertung bei und besitzt damit eine stärkere Heuristik als die bisherigen Deutungsversuche zur Testierfreiheit. Ist dem so, gibt es aber keine Handhabe mehr, das hiesige Erbrechtsverständnis, welches den Tod in das Zentrum seiner Reflexion stellt, als unsinnig und weit hergeholt abzuweisen, wenn man nicht gleichzeitig das Rechtliche am Recht negieren will. 3. Der Schutz der Bedachten: Das Denken in Anerkennungsverhältnissen Ein naheliegender Einwand, warum eine Verortung des Memento mori im gewillkürten universalsukzessiven Vermögenstransfer notwendig fehlgehen muß, blieb bisher unausgesprochen. Es ist dies die Entgegnung, daß unklar bliebe, wieso die von Todes wegen Bedachten die mit der erblasserischen Todesverarbeitung verbundenen Lasten (etwa Auflagen, Bedingungen etc.) tragen sollen, so daß das Memento mori letztlich auf ihren Rücken ausgetragen würde. Denn normalerweise gibt die individuelle Todesverarbeitung ja kein Recht, in die Handlungspläne und die Lebensbedingungen anderer in irgendeiner Weise einzugreifen194. Die Antwort liegt in der Rechtsfigur der „Anerkennungsverhältnisse“: Auf der einen Seite muß der Erblasser als Rechtsperson anerkennen, daß ihm die Bedachten ebenfalls als Rechtspersonen gegenübertreten und darf diese daher durch seine Verfügungen von Todes wegen nicht in denjenigen Bereichen, die herkömmlich als Ausdruck einer freien persönlichen Entscheidung angesehen werden, zu stark unter Druck setzen. Technischer Sitz dieser Art der Anerkennung ist die Sittenwidrigkeitsprüfung des § 138 I BGB, materiell fußt die Anerkennungsfigur jedoch schon auf dem recht verstandenen Persönlichkeitsrecht

194 Mit Blick hierauf meint Rittstieg, daß bei allem Insistieren auf die ökonomische Funktion des Erbrechts dessen personale Funktion nicht vernachlässigt werden dürfe. Dies gelte aber unumschränkt nur hinsichtlich des persönlichen Eigentums. Bei der erbrechtlichen Nachfolge in eine Unternehmerstellung oder in den ökonomischen Wert eines Unternehmens müsse der personale Gehalt des Erbrechts anders eingeschätzt werden, weil dort der Bereich des Persönlichen und des Familiären überschritten und die Lebensbedingungen anderer mitbetroffen seien, AK-GG-ders., Art. 14 Rn. 143.

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selbst; hierauf und zur näheren Begründung des Denkens in Anerkennungsverhältnissen wird an dieser Stelle verwiesen195. Auf der anderen Seite nimmt aber auch der Bedachte als Rechtsperson für sich in Anspruch, in seinem persönlichen Memento mori seinen eigenen Tod verarbeiten zu dürfen. Es ist daher um der Vermeidung eines Widerspruchs gegen sein eigenes Verhalten willen notwendig, daß er auch dem Erblasser dessen Memento mori zubilligt. Da eine vernunftsmäßige Kommunizierbarkeit der je individuellen Todesverarbeitung aber nicht gewährleistet ist, heißt dies nichts anderes, als daß der Bedachte den letzten Willen des Erblassers als Rechtsperson196 immer schon anerkannt hat, mag er auch noch so befremdlich sein. Sein etwaig dennoch erforderliche Schutz wird dann vor allem über § 138 I BGB bewerkstelligt; hierauf sei wiederum verwiesen.

V. Zusammenfassung Der Durchgang durch den existenzphilosophischen und gesellschaftstheoretischen Todesdiskurs der Moderne hat ein bemerkenswertes Neuverständnis der Testierfreiheit hervorgebracht. Der Begründungspfad war hierbei zweistufig angelegt. Am Beispiel des einflußreichen heideggerschen Konzepts des „Seins zum Tode“ konnte die Todeserfahrung als Möglichkeit einer Entfaltung des Individuums hin zu einem authentischen Lebensentwurf begriffen werden kann: Tod und Authentizität, Todesverarbeitung und personaler Lebensentwurf gehören damit je zusammen; zum Tode sich verhalten bedeutet dann nichts anderes aus, als sich zugleich zu sich selbst zu verhalten. Die je individuelle Todesverarbeitung stellt mithin ein Beispiel für die genuine Formung personaler Identität und die Sicht zum Tod ein Beispiel für einen genuinen Ausdruck personaler Identität dar. Mit dem zweiten Begründungspfad wurde die gesellschaftstheoretische Ebene aktiviert. Es konnte gezeigt werden, daß in der intersubjektiven Sinnkonstruktion der Moderne eine plausible symbolische Sinngebung des Todes fehlt; der Tod ist insofern gesellschaftlich verdrängt und die Lasten seiner Verarbeitung sind den einzelnen Individuen als Moment innerster Selbstfindung zugewiesen. Als tragender Grund hierfür konnte ausgemacht werden, daß ansonsten das Funktionieren der gesellschaftlichen Produktion und Repro195

Unten § 10 VI 2. Die Rechtsfigur der Anerkennung bezieht sich auf den Bedachten und den Erblasser als Rechtspersonen. Rechtspersonen sind normative Konstrukte und Anerkennung ein vorausgesetztes normatives Band zwischen Erblasser und Bedachten, welches keine Entsprechung im Tatsächlichen aufweisen muß. Anders gesagt: Rechtspersonen müssen sich anerkennen selbst dann, wenn sie sich empirisch noch nie begegnet sind und sich daher persönlich nicht kennen! 196

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duktion mit den dort lokalisierten Eigenlogiken der gesellschaftlichen Subsysteme empfindlich gestört werden würde. Zudem konnnte die Individualisierung der Todesverarbeitung in der Moderne auch am Prozeß der Modernisierung selbst festgemacht werden. Ein weiter ausholender Rückblick ruft ins Gedächtnis zurück, daß die hier vorgestellte These, daß gewillkürte Erbrecht sei als funktionales Persönlichkeitsrecht zu deuten, bisher in zwei Richtungen hin abgesichert worden ist. Einmal wurde gezeigt, daß die anerkannten Wertungen des gewillkürten Erbrechts nicht kohärent mit einem Verständnis des Erbrechts als fortgesetztes Eigentum erklärt werden können. Damit scheidet eine geltungstheoretische Verklammerung von Erbrecht und Eigentum aus. Im Durchgang durch den Todesdiskurs der Moderne konnte dann nachgewiesen werden, daß nur ein personfunktionales Erbrechtsverständnis dem Rechtssubjekt diejenigen Instrumente an die Hand gibt, die es instande setzt, schlagkräftig den systemischen Imperativen der gesellschaftlichen Subsysteme um der Sicherung seiner persönlichen Freiheit willen etwas entgegensetzen zu können. Mit dem bisher erreichten Diskussionstand ist freilich noch nicht die Einsicht verbunden – dies gilt es hier eindringlich zu betonen –, daß die personfunktional ausgerichtete Erbrechtsdeutung auch die des geltenden Rechts ist! Bisher wurde nur die gängige Deutung des Erbrechts als fortgesetztes Eigentum abgelehnt und gute Gründe für dessen Personfunktionalisierung vorgetragen, aber noch nicht gezeigt, daß diese guten Gründe auch die des Rechts sind; gesellschaftstheoretische und existenzphilosophische Gedanken ersetzen ja keine rechtlichen Argumente. Im weiteren wird es daher darauf ankommen, die nunmehr vorliegenden guten Gründe für eine Personfunktionalisierung des gewillkürten Erbrechts auch als solche des geltenden Rechts auszuweisen. Der Begründungsstrang wird dabei zweistufig verlaufen. Auf der ersten Stufe gilt es, die bisherigen Erkenntnisse hinsichtlich des Verhältnisses von Person und Tod zum Rechtsdiskurs des Persönlichkeitsrechts in Beziehung zu setzen: Es muß geklärt werden, ob es aus Sicht der Dogmatik des allgemeinen Persönlichkeitsrechts rechtlich zulässig ist, das gewillkürte Erbrecht als Persönlichkeitsrecht zu verstehen, oder ob hier Wertungswidersprüche zu befürchten sind. Auf der ersten Stufe kommt es mithin darauf an, die soeben herausgearbeiteten Bezüge von Person und Tod in den Wertungszusammenhang des Personenrechts einzubauen. Die zweite Stufe wendet sich dann den anerkannten Wertungen des geltenden Erbrechts zu. Hier wird aufgezeigt werden müssen, daß diese Wertungen nur dann kohärent interpretiert werden können, wenn dem Erbrecht ein personfunktionales Verständnis zugrundegelegt wird: Nur dann kann das Gesetz geltungstheoretisch sich als Recht erweisen. Die beiden nunmehr erörterten Stufen sind dabei die Kernstätten des hiesigen Begründungswegs. Denn selbst wenn die bisher erörterten Argu-

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Kap. 3: Der Todesdiskurs der Moderne

mentationsebenen (die Kritik des herrschenden Erbrechtsverständnisses „Erbrecht gleich Eigentum“ und der Verweis auf den Todesdiskurs der Moderne) nicht überzeugen sollten, trägt immer noch die nunmehr vorzustellende Argumentation den Gedanken der Personfunktionalität des gewillkürten Erbrechts.

Kapitel 4

Testierfreiheit und Persönlichkeitsrecht Vom Tode sprechen bedeutet also immer auch: von sich selbst sprechen. Michael Theunissen1

§ 10 Wertungsabgleich I: Allgemeines Persönlichkeitsrecht Die hiesige erkenntnisleitende These lautet: Das gewillkürte Erbrecht kann kohärent nur verstanden werden, wenn es als Persönlichkeitsrecht gedeutet wird, es also als ein Recht, das sich des Schicksals des Vermögens annimmt, funktional der Verwirklichung des Persönlichkeitsrechts des Erblassers dient, kurz: wenn von einer erbrechtlichen Personfunktionalität ausgegangen wird. Es können zwei Wege unterschieden werden, diese These zu bestätigen.

I. Die Notwendigkeit eines Strukturvergleichs Der erste Weg ist rein definitorisch angelegt: Nachdem (i) eine Rückführung des gewillkürten Erbrechts auf Personfiktionen, Eigentum und Vermögen ausgeschieden ist und angesichts (ii) der vom BGB so massiv eingerichteten Willensherrschaft des Erblassers, wird aus diesen beiden Befunden geschlossen, die Testierfreiheit sei ein Persönlichkeitsrecht. Der Inbegriff dessen, was unter einem Persönlichkeitsrecht zu verstehen ist, wird bei einem derartigen Vorgehen definitorisch festgelegt. Man kann das so machen. Nur bringt ein derartiges Vorgehen nichts. Denn die viel interessanteren Schlußfolgerungen aus der Verortung der Testierfreiheit als funktionales Persönlichkeitsrecht (etwa die Auswirkung auf die Auslegung der Sittenklausel und die Ausstrahlungswirkung der erbrechtlichen Personfunktionalität auf andere Rechtsgebiete, welche sich ebenfalls Problemstellungen aus dem intergenerationalen Gütertransfer widmen) stehen dann nicht mehr zur Verfügung. Diese setzen ja voraus, daß nicht nur definitorisch eine Zuord1

Theunissen, in: ders., Negative Theologie der Zeit, 197 (201).

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nung der Testierfreiheit zu den Persönlichkeitsrechten gelingt, sondern daß dies auch in der Wertung gerechtfertigt ist – und dies ist nur der Fall, wenn sich die Zuordnung in der Wertung mit den sonstigen Zuordnungen von Rechten zu den Persönlichkeitsrechten verträgt. In Frage kommt daher nur der zweite Weg: der Weg eines auf Ähnlichkeit in der Wertung angelegten Strukturvergleichs mit den zivilrechtlichen Persönlichkeitsrechten. Ein derartiger Strukturvergleich wiederum kann auf zweierlei Arten erfolgen. Er kann – erste Möglichkeit – die Verträglichkeit der Zuordnung anhand der Rechtsfolgen überprüfen, die gemeinhin Persönlichkeitsrechten inhärent sind. Falls diese Rechtsfolgen denjenigen des erbrechtlichen Normbestands wertungsmäßig äquivalent sind, könnte daran gedacht werden, auf die Personfunktionalität des gewillkürten Erbrechts zu schließen. Dieser Weg hat durchaus etwas für sich. Denn typischerweise werden beispielsweise Affektionsinteressen nur dann im Rechtsverkehr vollauf geschützt, wenn sie Ausdruck eines Persönlichkeitsrechts sind; nur dort wird der Rechtsperson ein inhaltlich ungebundener Entscheidungsraum zugestanden. Sind derartige Interessen – gemessen an den bisherigen dogmatischen Entscheidungen zum Verständnis des erbrechtlichen Normbestands – auch im gewillkürten Erbrecht geschützt, liegt die Einsicht immerhin nahe, hier handele es sich ebenfalls um ein Persönlichkeitsrecht. Gleichwohl ist dieser Schluß nicht sehr tragfähig. Denn er läßt die Testierfreiheit zwar oberflächlich an der Dignität teilnehmen, die das Persönlichkeitsrecht zu einem – wenn nicht unter Menschenwürdegesichtspunkten sogar zu dem maßgeblichen – zentralen Fluchtpunkt der Rechtsordnung werden läßt. Nur blieben verständliche Zweifel, ob die Teilnahme an diesem hohen Rang des Persönlichkeitsrechts wirklich berechtigt ist. Dies liegt daran, daß der Schluß von den Rechtsfolgen auf die Einordnung als Persönlichkeitsrecht bei Lichte betrachtet ein durch die Ausübung reflektierender Urteilskraft ins Werk gesetzter2, abduktiver Schluß ist3, der gerade deshalb gewagter als ein deduktiver oder induktiver Schluß ist, weil er vom Resultat (den Rechtsfol2 Dazu aus Sicht des Pragmatismus im Gefolge Charles Sanders Peirce Schönrich, Zeichenhandeln, 395 ff. 3 Die Abduktion ist ein auf die pragmatistische Logik von Charles Sanders Peirce zurückgehender kreativer logischer Schluß, welcher mit einem Beispiel von Peirce selbst veranschaulicht werden kann: Alle Bohnen aus diesem Sack sind weiß (Regel); Diese Bohnen sind weiß (Resultat); Diese Bohnen sind aus diesem Sack (Fall). Übertragen auf die Deutung des gewillkürten Erbrechts ist der Schluß wie folgt: Persönlichkeitsrechten ist die Rechtsfolge X zugeordnet (Regel). Das gewillkürte Erbrecht hat die Rechtsfolge X (Resultat). Das gewillkürte Erbrecht gehört zu den Persönlichkeitsrechten (Fall). Arthur Kaufmann, Rechtsphilosophie, 76, 79 f., bezeichnet die Abduktion kurz als einen Schluß vom Besonderen über das Allgemeine auf das Besondere in umgekehrter Richtung wie die Analogie, also vom Ergebnis über die Regel zum Fall. Die Abduktion wird von Joachim Lege, Pragmatismus, 445 ff., 452 ff., in die Abduktion vom Resultat her (diese liegt hier vor) und

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gen) her abduziert. Er bietet so keine rechte Handhabe, sich zu der aus dem Blickwinkel ökonomischen Denkens avisierten Funktionalisierung des gewillkürten Erbrechts in Richtung reines Vermögensrecht zu verhalten. Und dies könnte sich für eine personfunktionale Verortung des gewillkürten Erbrechts gravierend auswirken, da die bisherigen dogmatischen Vorentscheidungen zum Verständnis des erbrechtlichen Normbestands, auf denen diese Verortung beruht, im Zuge der fortschreitenden Ökonomisierung des subjektiven Rechts durch eine in der Tendenz auf die Einschränkung der Willensherrschaft des Erblassers gerichteten Neuinterpretation des geltenden Erbrechts mehr und mehr wegbrechen könnten. Soll die personfunktionale Deutung des gewillkürten Erbrechts mithin fest gegründet sein, muß also ein Strukturvergleich nicht nur mit den Rechtsfolgen der zivilrechtlichen Persönlichkeitsrechten erfolgen, sondern – und dies ist die zweite von den beiden oben angesprochenen Möglichkeiten – auch mit den tragenden Wertungen, die im Rahmen der Dogmatik der Persönlichkeitsrechte zu den Rechtsfolgen geführt haben, welche diese Rechte zeitigen, also ein Strukturvergleich auf der Tatbestandsebene. Erst anhand eines derartigen Strukturvergleichs, welcher unmittelbar die persönlichkeitsrechtliche Semantik von Personalität und Individualität und die rechtssysteminterne Rhetorik von personaler Identität und individueller Entfaltung bemüht, wird sich zeigen lassen, ob eine Zuordnung des gewillkürten Erbrechts zum Strauß der Persönlichkeitsrechte zu Recht erfolgt ist. Erst ein derartiger tatbestandsbezogener Strukturvergleich gibt die Instrumente in die Hand, zum einen gegen die zunehmende Ökonomisierung des gewillkürten Erbrechts mit guten Gründen die dogmatischen Gehalte der erbrechtlichen Personfunktionalität ins Feld zu führen und zum anderen den erbrechtlichen Wertungen genau diejenige vom Pathos der Persönlichkeit getragene Ausstrahlungswirkung auf andere Rechtsgebiete zu verleihen, die einer solchen Rechtsordnung gut ansteht, welche – wie die Rechtsordnung des Grundgesetzes – die personalen Gehalte des Rechtlichen zum Prisma und Mittelpunkt ihrer Wertungen erhebt. Notwendig ist mithin ein Strukturvergleich zu den Persönlichkeitsrechten, welcher auf der Tatbestandsebene ansetzt. Bei diesem an der Tatbestandsebene angesiedelten Wertungsabgleich mit den Persönlichkeitsrechten werden die Wertungen, welche diesen Rechten zugrundeliegen, nicht eigens einer geltungstheoretisch Prüfung unterzogen, sondern akzeptiert. Damit wird das hiesige Vorhaben unterstützt, für eine allgemein anerkannte Verortung des gewillkürten Erbrechts als funktionales Persönlichkeitsrecht zu streiten – denn eine solche kann nur erzielt werden, in die Abduktion vom Fall her unterteilt, dies kann hier auf sich beruht bleiben. Ansonsten siehe zur Abduktion nur Somek, Rechtssystem und Republik, 349 ff.

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wenn für den Wertungsabgleich die anerkannten Wertentscheidungen zu den Persönlichkeitsrechten herangezogen werden. Freilich scheint nun der Einwand nahe zu liegen, mit dem hiesigen bloßen Verweis auf die anerkannten Vorentscheidungen zu den Persönlichkeitsrechten, die selbst wiederum an dieser Stelle nicht geltungstheoretisch erklärt werden, würde das methodische Vorhaben dieser Untersuchung torpediert, die Rechtsgewinnung anhand eines geltungstheoretischen Ansatzes zu unterfangen. Davon kann jedoch keine Rede sein. Denn hier wie auch sonst gilt für die rechtsdogmatische Arbeit, daß man zwar vieles in Frage stellen kann (wie hier etwa die Verortung des gewillkürten Erbrechts als reines Vermögens- und Familienrecht), aber nicht alles auf einmal – was der Fall wäre, wenn nun die geltungstheoretischen Grundlagen etwa des allgemeinen Persönlichkeitsrechts an dieser Stelle thematisiert würden. Eine geltungstheoretisch arbeitende Rechtsdogmatik ist daher immer darauf verwiesen, Wertungsvorgaben anderer Rechtsgebiete in einer Art geltungstheoretischen Legitimationszirkel vorerst zu abzeptieren – nicht ohne freilich bei nächster Gelegenheit in diesen Legitimationszirkel erneut einzusteigen, um die einstmals akzeptierten Wertungsvorgaben wiederum geltungstheoretisch zu untersuchen. Würde man versuchen anders vorzugehen, würde man implizit von der nicht einsichtigen Vorstellung ausgehen, Recht habe einen „Anfang“, auf den alles geltungstheoretisch zurückgeführt werden kann4.

II. Vorüberlegungen zum Strukturvergleich 1. Der Ansatzpunkt des Wertungsabgleichs: Das allgemeine Persönlichkeitsrecht Wenn das gewillkürte Erbrecht in seinen Wertungsgrundlagen als ein Persönlichkeitsrecht ausgewiesen werden soll, stehen als Wertungsmuster, welche für den tatbestandsbezogenen Wertungsvergleich heranziehbar sind, in analytischer Perspektive die besonderen Persönlichkeitsrechte und das allgemeine Persönlichkeitsrecht bereit. Als einzelne Bestandteile der Persönlichkeit hat der historische Gesetzgeber des BGB in § 12 BGB das Namensrecht geschützt und durch den deliktischen Rechtsschutz die Rechtsgüter Leben, Körper, Gesundheit und die körperliche Bewegungsfreiheit in § 823 I BGB, die wirtschaftliche Wertschätzung einer Person in § 824 BGB, die Ehre in § 823 II BGB i.V. m. §§ 185 ff. StGB sowie die Bereiche der Vertraulichkeit von Kommunikation und privaten Geheimnissen in § 823 II BGB i.V. m. §§ 201 ff. StGB und jeweils in § 826 BGB als schutzwürdig anerkannt. Innerhalb privatrechtlicher Sonderbeziehungen 4 „Recht muß nie ,anfangen‘“ protokolliert denn auch nüchtern Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, 138.

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wird der Persönlichkeit zudem über die § 138 BGB und § 242 BGB Schutz gewährt5. Außerhalb des BGB wird das Recht am eigenen Bild in §§ 22 ff. KunstUrhG gesichert. Das UrhG nimmt sich des Schutzes des geistigen Schaffens einer Person an. Das Bundesdatenschutzgesetz und die Landesdatenschutzgesetze umhegen das informationelle Selbstbestimmungsrecht, welches gegenüber dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht damit eine detailliertere Positivierung erfahren hat. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist das durch die Rechtsprechung des BGH6 als Recht des einzelnen auf Achtung seiner Menschenwürde und auf Entfaltung seiner individuellen Persönlichkeit entwickelte Recht. Es schützt in den Bereichen, in denen die besonderen Persönlichkeitsrechte nicht greifen7. Die besonderen Persönlichkeitsrechte erscheinen mithin als Abspaltungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, welches den besonderen Rechten in der Wertung als „Mutteroder Quellrecht“ jeweils zugrundeliegt8. Mit Rücksicht hierauf braucht für den Wertungsabgleich zwischen dem personfunktional verstandenen Erbrecht und den Persönlichkeitsrechten in wertungsmäßiger Perspektive allein das allgemeine Persönlichkeitsrecht herangezogen werden9.

5 Dazu Weise, Persönlichkeitsschutz durch Nebenpflichten, 1987; Baston-Vogt, Der sachliche Schutzbereich, 77 ff. 6 BGHZ 24, 72 (76). 7 Ob hier das allgemeine Persönlichkeitsrecht einen subsidiären Auffangtatbestand gegenüber den besonderen Rechten verwirklicht, wie dies der BGH (etwa BGHZ 45, 296 (307); 50, 133 (143); 80, 311 (319); 91, 233 (238 f.)) annimmt, oder ob entweder Anspruchskonkurrenz oder Spezialität gegeben ist, wie dies Teile der Literatur vertreten (etwa Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 80 I 6 a), kann hier dahingestellt bleiben. Zum Problem siehe auch Baston-Vogt, Der sachliche Schutzbereich, 112 ff. 8 Ganz herrschende Ansicht, siehe nur BGHZ 24, 72 (78); BGH NJW 1957, 1146 (1147); aus der Literatur siehe nur O. v. Gierke, Deutsches Privatrecht, § 81 I; Ennecerus/Nipperdey, AllgT, § 101 I 2; zahlreiche weitere Nachw. bei Baston-Vogt, Der sachliche Schutzbereich, 101 Fn. 427; anderer Ansicht etwa Baston-Vogt, ebda., 102, nach der das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht „Mutter, sondern Partner der speziellen Persönlichkeitsrechte“ sei, da beide Rechte ihren je eigenständigen Beitrag zur Erfüllung des aus den Artt. 1 und 2 I GG folgenden Schutzauftrags leisteten. 9 Dies ist auch dann so, wenn das allgemeine Persönlichkeitsrecht wie bei Baston-Vogt, Der sachliche Schutzbereich, 102, nicht als Mutter- sondern als Partnerrecht zu den speziellen Persönlichkeitsrechten und beide als Ausfluß der Artt. 1 und 2 I GG angesehen werden. Denn dann findet sich notwendigerweise sowohl in den speziellen Persönlichkeitsrechten als auch im allgemeinen Persönlichkeitsrecht die Wertungen der Artt. 1 und 2 I GG verwirklicht.

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2. Ebenen des Strukturvergleichs Die Dogmatik des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist von einer gewissen Unübersichtlichkeit gekennzeichnet. Systematisierungen der richterrechtlichen Entwicklung des Persönlichkeitsrechts in Fallgruppen, der Ausbau einer mancherorts als Abwägungshypertrophie10 oder Abwägungsbeliebigkeit11 getadelten Güter- und Interessenabwägung als Mittel zur Feinabstimmung der im Einzelfall kollidierenden Topoi und zur konkreten Festlegung des persönlichkeitsrechtlichen Schutzes, ein Denken in Sphären, Bereichen oder Räumen personaler Entfaltung, der Rekurs auf spezifisch rechtsdogmatisch umformulierte Interpretamente der philosophischen Tradition und schließlich die semantisch nicht sehr prägnante Rhetorik von Entfaltung und Person, Autonomie und Individuum zeichnen ein Bild des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, welches zur Kritik geradezu herausfordert. Dieser am Stand der Dogmatik ansetzende kritische Impetus kann hier auf sich beruht bleiben; entscheidend ist vielmehr, anhand der anerkannten Vorentscheidungen innerhalb der Dogmatik des Persönlichkeitsrecht die Grundlage für einen Wertungsabgleich mit dem gewillkürten Erbrecht bereitzustellen. Der Wertungsabgleich selbst wiederum kann auf einer strukturtheoretischen oder auf einer grundlagentheoretischen Ebene ansetzen.

III. Die strukturtheoretische Ebene des persönlichkeitsrechtlichen Wertungsmusters 1. Regel und Prinzip Die strukturtheoretische Ebene des Persönlichkeitsrecht ist – das Ergebnis insoweit vorwegnehmend – für den Wertungsabgleich kaum relevant. Strukturtheoretisch ausgerichtete Vorstöße legen an das Persönlichkeitsrecht die normtheoretischen Kategorien von Prinzip und Regel an. Normtheoretisch wird unter einer Rechtsregel zumeist im Gefolge Herbert L. A. Harts eine Norm verstanden, die entweder erfüllt ist oder nicht erfüllt ist. Regeln sind also in der Weise des Alles-oder-Nichts anwendbar. Demgegenüber sind in der Tradition Ronald Dworkins12 Prinzipien solche Normen, „die gebieten, daß etwas in einem relativ auf die rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten möglichst hohen Maße realisiert wird“13. Prinzipien sind 10

Larenz/Canaris, SchuldR II/2, § 80 III 2. Steindorff, Persönlichkeitsschutz, 39. 12 Dworkin, Taking Rights Seriously, 22 ff., 71 ff. 13 Zu diesem Verständnis von Rechtsprinzipien und der Prinzipienkollision als relativer Vorrangrelation vgl. auf der Basis von Dworkin Alexy, RTh-Beih. 1 (1979), 59 ff.; ders., Theorie der Grundrechte, 75 ff. (Zitat ebda., 75). 11

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demnach Optimierungsgebote. Das im Verfassungsrecht weit verbreitete Verfahren, widerstreitende Normen unter dem Signum praktischer Konkordanz jeweils bestmöglichst zur Geltung kommen zu lassen, kann insofern so interpretiert werden, daß ihm das prinzipientheoretische Optimierungsmodell zugrundeliegt. Konflikte zwischen Regeln werden dadurch gelöst, daß entweder eine den Konflikt beseitigende Ausnahmeklausel in eine der Regeln eingefügt oder mindestens eine der Regeln für ungültig erklärt wird14. Demgegenüber muß bei einer Prinzipienkollision zwar ein Prinzip gegenüber dem anderen Prinzip zurücktreten. Das zurücktretende Prinzip wird damit jedoch nicht ungültig. Das andere Prinzip geht dem zurücktretenden vielmehr nur unter bestimmten Umständen vor. Unter anderen Umständen kann die Vorrangfrage genau umgekehrt gelöst werden. Es gilt demnach, eine bedingte Vorrangrelation zwischen den Prinzipien mit Blick auf die Umstände des Falles festzusetzen15. Regelkonflikte spielen sich folglich in der Dimension der Geltung ab, während Prinzipienkollisionen in der Dimension des Gewichts stattfinden16. 2. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht als Rahmenrecht Parallel zu dieser normtheoretischen Unterscheidung zwischen Regel und Prinzip kann die Struktur des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als Regelrecht oder als offenes Rahmenrecht beschrieben werden. Wird es – wie bei der herrschenden Meinung – als ein offenes Rahmenrecht17 mit generalklauselartigem Charakter18 beschrieben, müssen die Eingriffsgrenzen des Persönlichkeitsrechts in jedem Fall durch die Abwägung mit anderen Rechtspositionen und Interessen jeweils neu bestimmt werden19. Begründet wird dies damit, daß der einzelne keine der sozialen Gemeinschaft entwundene Person darstelle, sondern vielmehr in diese eingegliedert sei. Das Per14

Alexy, Theorie der Grundrechte, 77. Alexy, Theorie der Grundrechte, 78 ff. 16 So hat dies Alexy, Theorie der Grundrechte, 79, anschaulich auf den Punkt gebracht. 17 Etwa BGHZ 24, 72 (80); Larenz/Wolf, AllgT, § 8 Rn. 28. 18 Dazu insbes. v. Caemmerer, FS DJT, 49 (102 ff.). Ansonsten nur BGHZ 13, 334 (338); Staud-Hager, § 823 Rn. C 16. 19 Zur Notwendigkeit einer einzelfallbezogenen Güter- und Interessenabwägung siehe BVerfGE 7, 198 (208 f., 210 ff.); 30, 173 (195); 34, 269 (282); 35, 202 (221, 224 ff., 232); 50, 234 (241); 54, 208 (219); 73, 120 (124); 84, 192 (195); 85, 1 (16); 85, 23 (33); 86, 1 (11); BGHZ 13, 334 (337); 24, 72 (80); 30, 7 (11 f.); 31, 308 (312); 36, 77 (82 f.); 45, 296 (306 ff.); 50, 133 (143); 84, 237 (238 f.); 128, 1 (10); Erman-Ehmann, Anh. zu § 12 Rn. 58 ff.; MünchKomm-Schwerdtner, § 12 Rn. 188, 203; Soergel-Zeuner, § 823 Rn. 73; Fikentscher, SchuldR, Rn. 1225; Gernhuber, Bürgerliches Recht, § 21 III; Medicus, SchuldR II, Rn. 814; Hubmann, Persönlichkeitsrecht, 207 ff. 15

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sönlichkeitsrecht müsse demnach gegen die Persönlichkeitsrechte anderer sowie gegen die Bedürfnisse der Allgemeinheit (etwa presserechtliches Informationsinteresse, Interesse an der Einhaltung der Rechtsordnung) abgegrenzt werden. Das Persönlichkeitsrecht wirkt insofern im Grundsatz als eine Ermächtigungsnorm an den Richter, die jeweilige Verhaltensnorm zu bilden20; auf Genaueres hierzu wird noch zurückzukommen sein21. Staatstheoretisch wird mithin durch die herrschende Dogmatik dem Richter (und nicht, wie dies herrschender Ansicht entspricht, dem Gesetzgeber22) die Abgrenzung der „Willkür des einen mit der Willkür des andern“23 anvertraut, eine Abgrenzung, die das Gesetz bei den besonderen Persönlichkeitsrechten sehr viel genauer selbst vorgenommen hat und die – wenn sie einzelfallbezogen und daher nicht nach dem kantischen „allgemeinen Gesetz der Freiheit“24 erfolgt – präzise der Anlaß zu einer tiefgreifenden Kritik am herrschenden Konzept des Persönlichkeitsrechts geworden ist. Im Zuge dieser Abgrenzung ist eine umfängliche Kasuistik entstanden, welche zu einzelnen Fallgruppen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch rechtsdogmatische Systematisierungsbemühungen generiert worden ist. So werden etwa die folgenden Teilinhalte unterschieden25: Schutz der Ehre (als Lückenfüllung neben den §§ 185 ff. StGB i.V. m. § 823 II BGB sowie § 826 BGB hinaus), Schutz vor Entstellungen und unwahren Behauptungen, das Recht am eigenen Bild (soweit nicht das Kunsturhebergesetz eingreift), das Recht am gesprochenen Wort (soweit nicht der besondere Schutz der Kommunikation über das Strafrecht einsetzt), das Recht am Namen (als Lückenfüllung neben § 12 BGB), das Recht auf informationelle Selbstbestimmung in den beiden Ausprägungen des Schutzes vor dem Eindringen in den persönlichen Bereich und des Schutzes vor der Verbreitung von Persönlichkeitsäußerungen und wahren Tatsachen, das Recht auf Unterlassung von Diskriminierungen einer Person aufgrund ihrer Abstammung, 20

MünchKomm-Schwerdtner, § 12 Rn. 188. Unten § 10 V 3 c. 22 Siehe dazu, daß der Gesetzgeber bei Lichte betrachtet „nur“ als Textgeber fungiert und die Rechtsnorm erst in der interpretativen Praxis des Zivilprozesses hergestellt wird, Goebel, Rechtsgespräch und kreativer Dissens, 109 ff.; sowie Friedrich Müller, Juristische Methodik, Rn. 165, 185 und öfters; Somek, Der Gegenstand der Rechtserkenntnis, 1996. 23 Kant, Metaphysik der Sitten, 1. Teil, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § B, S. 337. 24 Kant, Metaphysik der Sitten, 1. Teil, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § B, S. 337. 25 Dazu die Aufzählung aus der Kommentar- und Lehrbuchliteratur: Larenz/Wolf, AllgT, § 8 Rn. 29 ff.; Larenz/Canaris, SchuldR II/2, § 80 II; Fikentscher, SchuldR, § 103 II 2; Erman-Ehmann, Anh. § 12 Rn. 62 ff.; Staud-Hager, § 823 Rn. C 63 ff., C 229 ff.; C 232 ff.; C 240 ff.; MünchKomm-Schwerdtner, § 12 Rn. 215 ff., 250 ff., 274 f. 21

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ihrer Rasse oder ihres Geschlechts, der Schutz vor Beeinträchtigungen der Entscheidungsfreiheit, zumindest soweit diese auf die engere Persönlichkeitssphären beschränkt ist26, der Schutz vor persönlichkeitsrelevanten Belästigungen sowie schließlich alle sonstigen Persönlichkeitssphären mit personenbezogenen Gehalt. Darüberhinaus hat die Persönlichkeitsrechtsdogmatik nicht nur einzelne Schutzfacetten des Persönlichkeitsrechts, sondern auch Abwägungsformeln zur Erleichterung der erforderlichen Interessenabwägung entwickelt. Einschlägig ist hier vor allem die Konstruktion von Intim-, Individual-, Privatund Sozialsphären27. Diesen werden zum einen je verschiedene Intensitätsgrade zulässiger Beeinträchtigungen zugeordnet. So soll in der Intimsphäre als Bereich der inneren Gedanken- und Gefühlswelt und solcher Angelegenheiten, bei denen ein anerkanntes Geheimhaltungsinteresse besteht, ein grundsätzlich absoluter Schutz stattfinden, während die Privatsphäre als Raum ungestörten Lebens im häuslichen und familiären Bereich und in sonstigen Orten privater Abgeschiedenheit weniger stark geschützt sein soll. Zum anderen werden den Sphären je unterschiedliche Wertigkeiten einschränkbarer Güter und Interessen in der Weise zugerechnet, daß ein Eingriff um so eher zulässig ist, desto gewichtiger das eingreifende Rechtsgut ist und desto geringwertiger der jeweilige Schutzinhalt des allgemeinen Persönlichkeitsrecht ist. Sphärentheorien sind demnach ausgearbeitete Versuche, die o. g. prinzipientheoretische Vorrangrelation in der Art abstrakt-generell festzusetzen, daß der Festsetzung selbst wiederum ein prinzipientheoretischer Charakter inhärent ist. Letztendlich ist bei den Sphärentheorien die den Fall entscheidende Vorrangrelation noch nicht gebildet, wohl aber vorgebildet. Durch den genauen Zuschnitt der einzelnen Sphären wird mithin von einem bestimmten, der Persönlichkeitsentfaltung vorgegebenen Verhältnis von Diskretion, Selbstbestimmung, Privatheit und Individualität ausgegangen, ohne daß rechtlich klar wird, warum etwas zur Privatsphäre und beispielsweise nicht zur Intimsphäre zu rechnen ist. Zudem sind in der 26 Die Frage, ob diese Einschränkung angenommen werden soll, ist – wie so vieles im Bereich der Persönlichkeitsrechtsdogmatik – umstritten, dafür etwa Larenz/ Canaris, SchuldR II/2, § 80 II 6 a, dagegen etwa obiter BGHZ 98, 94 (98); zum Streitstand siehe nur Staud-Hager, § 823 Rn. C 240. Da sich zeigen lassen wird, daß diese Frage für die Zwecke dieser Untersuchung keine Role spielt, bleibt der Streit hier auf sich beruhen. 27 Etwa BVerfGE 34, 238 (245 f.); 54, 148 (154); 80, 367 (373); 93, 266 (293); BGHZ 73, 120 (124); 98, 32 (36 f.); BGH, NJW 1987, 2667 (2668); 1988, 1016 (1017 f.); 1988, 1984 (1985); 1991, 1532 (1533); 1996, 1128; 1999, 2893 (2894); Staud-Hager, § 823 Rn. C 187 ff.; MünchKomm-Schwerdtner, § 12 Rn. 215 ff.; Palandt-Thomas, § 823 Rn. 178; Soergel-Zeuner, § 823 Rn. 67; Degenhart, JuS 1992, 361 (363 f.); Forkel, JZ 1997, 44; Geis, JZ 1991, 112; Ricker, NJW 1990, 2097 (2098); sowie grundlegend Hubmann, Persönlichkeitsrecht, 268 ff., 320 ff., 325 ff.

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Sphären-Metaphorik unausweislich Verinnerlichungen persönlichkeitsrechtlicher Schutzmechanismen auf bestimmte Rückzugsbereiche jenseits der gesellschaftlichen Außenwelt verbunden, welche im Kontext des Verständnisses einer Persönlichkeitsentfaltung des Menschen durch den Menschen28 nicht hinnehmbar sind29. Wie dem auch sei, das Sphären-Denken führt mithin zwar zu einer gewissen Formalisierung des persönlichkeitsrechtlichen Rahmenrechts. Dies ändert dennoch im Großen und Ganzen nichts daran, daß von der herrschenden Ansicht eine einzelfallbezogene Güter- und Interessenabwägung auch beim Sphären-Modell für den Persönlichkeitsschutz als unumstößlich erachtet wird. 3. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht als Regelrecht Diese Konzeption des allgemeinen Persönlichkeitsrecht als abwägungsoffenes Rahmenrecht ist stellenweise auch kritisch aufgenommen worden. Nicht nur wird es mancherorts schlichtweg mit der Begründung abgelehnt, die bürgerliche Rechtsordnung eröffne nur den Schutz besonderer Persönlichkeitsrechte 30, oder es wird als Schutzgesetz im Rahmen des § 823 II BGB angesehen31 – Überlegungen, die hier nicht weiter interessieren, da auf der einen Seite das gewillkürte Erbrecht in seiner personfunktionalen Ausprägung, wenn es begründbar ist, sowieso ein besonderes Persönlichkeitsrecht darstellen würde, und da auf der anderen Seite im Erbrecht die genaue Konstruktion des deliktischen Rechtsschutzes nicht zur Debatte steht. Vielmehr steht auch die Konzeption des Persönlichkeitsrechts als abwägungsoffenes Rahmenrecht auf dem Tableau rechtsdogmatischer Kritik. Die Angriffe werden von zwei Seiten her geführt. Bei beiden wird nicht für ein prinzipien-, sondern für ein regeltheoretisches Verständnis des Persönlichkeitsrechts gefochten, mithin für die Vorstellung, das Persönlichkeitsrecht sei mehr oder weniger ohne auf den konkreten Fall bezogene Abwägungsprozeduren anwendbar, und zwar als Regel, also in der Weise des Alles-oder-Nichts. Dabei fällt der Grad, in der jeweils von Abwägungsprozeduren Abstand genommen wird, unterschiedlich aus. Die erste Kritiklinie setzt moderat an und bindet das Persönlichkeitsrecht beispielsweise in die methodische Figur des auf Wilburg zurückgehenden beweglichen Systems 28

Suhr, Entfaltung der Menschen durch die Menschen, 1976. Zur Kritik am Sphären-Denken siehe aus der Fülle nur Baston-Vogt, Der sachliche Schutzbereich, 187 ff., 191 ff.; Kau, Persönlichkeitsschutz, 68, 85 f., 88 ff.; Rohlfs, Der grundrechtliche Schutz der Privatsphäre, 70 ff.; Rüpke, Der verfassungsrechtliche Schutz, 22 ff.; Schlink, Amtshilfe, 191 ff.; Schwerdtner, Persönlichkeitsrecht, 79 f. 30 So Ernst Wolf, AllgT, 144 ff.; siehe auch Larenz, NJW 1955, 521 (insbes. 523 ff.). 31 So Erman-Ehmann, § 12 Anhang Rn. 14. 29

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ein. Danach bestünde für einige der persönlichkeitsrechtlichen Schutzbereiche aufgrund ihrer tatbestandsmäßigen Verfestigung für eine Güter- und Interessenabwägung weder Bedürfnis noch Raum, während für die noch nicht derartig präzisierten Fallgruppen keineswegs eine sämtliche Umstände des Einzelfalles einbeziehende Abwägung statthaft sei, sondern nur eine Abwägung anhand einiger weniger Kriterien nach Maßgabe eines beweglichen Systems32. Ähnlich wird andernorts auf einen absoluten, durch Gegenrechte nicht einschränkbaren Persönlichkeitskern rekurriert, um den sich sodann „relative“ Persönlichkeitsrechte mit einem schwächeren, abwägungsoffenen Schutz ansiedeln würden33. Die zweite Kritiklinie geht über diesen moderat kritischen Ansatz hinaus und verwirft die Konzeption des Persönlichkeitsrechts als abwägungsoffenes Rahmenrecht in toto34. Der Hauptvorwurf liegt darin, diese Konzeption lokalisiere den – ansonsten durchaus als notwendig erachteten – Vorgang der Abwägung falsch. Die Abwägung würde von der herrschenden Meinung nicht dazu benutzt, zu einem generellen Verbot oder zu einer generellen Erlaubnis bestimmter Verhaltensweisen zu gelangen35. Es stünde also nicht die Abwägung als methodisches Mittel zur Ableitung neuer allgemeiner Rechtssätze an. Vielmehr diene die Abwägung unmittelbar der Entscheidung des Einzelfalles. Bei einer einzelfallbezogenen Abwägung stünden aber in kadijustizieller36 Weise Argumente zur Rede, die nicht verallgemeinerungsfähig seien, Argumente also, die nicht dazu dienen könnten, die „Willkür des einen mit der Willkür des andern nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit“37 so abzugrenzen, daß zukünftige Fälle eben nach diesem allgemeinen Gesetz der Freiheit vorentschieden seien38. Die herrschende Ansicht optiere demnach zumindest für den Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts für einen Verlust der Normativität des Rechts und stelle die normative Ordnung des Rechts von einer Normorientierung auf eine Wertorientierung um. Gerade damit verrate sie jedoch den ethischen Personalismus, auf den sie nicht müde werde, sich selbst als Grundlage des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu berufen, da dieser Personalismus sich nun einmal durch den Bezug auf Normativität (Anerkennung der Fähigkeit 32

So Larenz/Canaris, SchuldR II/2, § 80 III 1 b, 2. So etwa Steindorff, Persönlichkeitsschutz, 16 ff.; ähnlich Geis, JZ 1991, 112 (117). 34 Dazu und zum folgenden Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 789 ff., 795a ff.; ders., JahrbuchRSozRTh 12 (1986), 113 ff. 35 Kritisch insofern auch Baston-Vogt, Der sachliche Schutzbereich, 152 ff. 201 f. m. w. Nachw. 36 Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 799, 50 ff. 37 Kant, Metaphysik der Sitten, 1. Teil, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § B, S. 337, Hervorhebung nicht i. O. 38 Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 799. 33

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des Subjekts zur Autonomie und zur Selbstgesetzgebung) und eben gerade nicht durch die Beziehung auf Werte auszeichne. Letztendlich stünden die prinzipienorientierte und die regelorientierte Konzeption des Persönlichkeitsrechts somit für ein fundamental unterschiedliches Verständnis des Rechts und seiner Normativität39. 4. Die Heuristik der strukturtheoretischen Ebene für den Wertungsabgleich Ob diese Kritik zu Recht besteht – vieles spricht dafür –, soll hier dahin gestellt bleiben. Denn es läßt sich zeigen, daß auch ein Rekurs auf die Allgemeinheit des Rechts und auf das allgemeine Gesetz der Freiheit nicht daran vorbeikommt, in der Situation der Anwendung des allgemeinen Gesetzes (hier: des Persönlichkeitsrechts) Aspekte zu bemühen, die aus der Situation des Einzelfalles herrühren – und zwar gerade deshalb, um die Allgemeinheit des Rechts zu wahren40. Das allgemeine Gesetz ist deshalb in der Anwendungssituation quasi von Einzelfallaspekten „durchschossen“. Die herrschende, prinzipienorientierte Ansicht und ihre regelorientierte Kritik nähern sich damit tendenziell an. Zu den verbleibenden Unterschieden braucht sich an dieser Stelle nicht verhalten zu werden. Denn der Verweis auf die Annäherung des regelrechtstheoretischen und des rahmenrechtstheoretischen Verständnisses des Persönlichkeitsrechts zeigt, daß mit diesen Ansätzen vornehmlich Probleme der Anwendung dieser Rechtfigur plastisch zu machen versucht werden. Dabei mag es – wie bei der herrschenden Meinung – Brüche zwischen der Grundlegung der tragenden Wertungen (etwa im ethischen Personalismus) und der theoretischen Konzeption, in der diese Wertung im gerichtlichen Verfahren zur Geltung kommen (abwägungsoffenes Prinzipienmodell des Persönlichkeitsrechts), zu beobachten sein. Da es im Rahmen dieser Untersuchung aber nicht um derartige Diskrepanzen, sondern um einen an den grundlegenden Wertungen des Persönlichkeitsrechts ansetzenden Strukturvergleich geht, kann der Streit um die Regel39 Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 801, 812 ff. Die Unterschiede zwischen dem prinzipien- und den regelorientierten Ansätzen sind demnach keineswegs gering, so aber Staud-Hager, § 823 Rn. C 17. 40 Dazu umfassend Goebel, Rechtsgespräch und kreativer Dissens, insbes. 135 ff., 155 ff. und passim. Eine derartige Vorstellung liegt auch der durch Klaus Günther und Jürgen Habermas in die Diskussion eingeführten rechtstheoretischen Kritik an den teleologisch als Zielvorstellungen i. S. eines Optimierungsgebots begriffenen Prinzipien zugrunde. Diese werfen den Konzept von Prinzipien als Optimierungsgebote vor, es verkenne den deontologischen Charakter von Rechtsnormen, wonach Kollisionsfragen auf der Ebene der Normanwendung, nicht aber auf der Ebene der Normstruktur zu lösen seien, siehe Günther, Der Sinn für Angemessenheit, 268 f., 274 ff.; Habermas, Faktizität und Geltung, 310 ff. Zur Gegenkritik siehe Jansen, Die Struktur der Gerechtigkeit, 83 ff.

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oder um die Prinzipienorientierung der Dogmatik des allgemeinen Persönlichkeitsrechts letztlich dahingestellt bleiben. Die bisherigen Überlegungen haben zudem erkennen lassen, daß es in diesem Orientierungsstreit letztlich um das Verhältnis des Trägers des Persönlichkeitsrechts zu den anderen Rechtssubjekten geht. Die Wertungsfrage, was genau zum Persönlichkeitsrecht zu zählen ist, steht weniger zur Debatte. Für den hier allein interessierenden Wertungsabgleich zwischen dem personfunktional verstandenen gewillkürten Erbrecht auf der einen und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht auf der anderen Seite ist demnach ein strukturtheoretisch angelegter Wertungsabgleich wenig fruchtbar. Relevanter ist vielmehr die grundlagentheoretische Ebene des Persönlichkeitsschutzes.

IV. Die grundlagentheoretische Ebene 1. Die Schwierigkeiten eines grundlagentheoretisch orientierten Wertungsabgleichs Auf der grundlagentheoretischen Ebene steht die Frage an, welche grundlegenden Wertungen die Dogmatik des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bestimmen – und nur um diese kann es bei dem Wertungsabgleich gehen, da das gewillkürte Erbrecht ja offensichtlich nicht unter die bisher dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht zugeschriebenen Fallgestaltungen fällt. Die grundlegenden Wertungen, auf denen das allgemeine Persönlichkeitsrecht beruht, sind allerdings nur schwer konkret zu entschlüsseln. Schon die Begrifflichkeiten von Person und Personalität, Subjekt und Persönlichkeit, von Identität und sozialer Geltung sind überaus gehaltvolle theoretische Konstrukte – was nicht weiter verwunderlich ist, da in diese Begrifflichkeiten die Traditionsbestände nicht nur der abendländischen Metaphysik und der politischen und praktischen Philosophie abgesunken sind41, sondern sich auch sämtliche Interpretamente des juristisch Diskurses abgelagert haben, die aus einem Vorrat kulturellen Wissens diejenigen Konstruktionen speisen, vor deren Folie Rechtsdogmatik mit dem Personalen handelt. In dieser Situation bieten sich zwei Wege an. Der erste Weg gibt sich dem Vorhaben hin, Detailanalysen zu betreiben und etwa den Einfluß der 41

Dazu die Übersichten bei Sturma, Philosophie der Person, 44 ff. und passim; Ausborn-Brinker, Person und Personalität, 1999; sowie die begriffsgeschichtlichen Übersichten bei Fuhrmann, in: Ritter/Gründer (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 7, 269 ff.; Kible, in: Ritter/Gründer (Hrsg.), ebda., 284 ff.; Scherer, in: Ritter/Gründer (Hrsg.), 300 ff.; Schütt, in: Ritter/Gründer (Hrsg.), ebda., 320 f.; Schild, in: Ritter/Gründer (Hrsg.), ebda., 321 ff.; Dierse/Lassahn, in: Ritter/Gründer (Hrsg.), ebda., 345 ff. Rehbock, Allgemeine Zeitschrift für Philosophie 23 (1998), 61 ff., diskutiert neuere Entwicklungen zum Personbegriff vor dem Hintergrund heutiger Problemstellungen.

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Kantischen Philosophie auf die rechtsdogmatischen Überlegungen v. Savignys zur personalen Grundlegung des Privatrechts zu entschlüsseln, um von dieser Warte aus eine Plattform zu schaffen, die Wandlungen und Einflüsse des ethischen Personalismus im Zivilrecht zu beobachten. Sinnvoll wäre ein derartiges Vorhaben aus mehreren Gründen nicht. Einmal ist es dogmengeschichtlich immer schwierig, den Einfluß bestimmter geistesgeschichtlicher Strömungen auf konkrete dogmatische Entwürfe en detail nachzuweisen. Dies allein wäre freilich noch kein Grund, von einer dogmengeschichtlichen Analyse hier Abstand zu nehmen. Gewichtiger ist vielmehr die Überlegung, daß ein dogmengeschichtlicher Ansatz – gemessen am Aufwand gegenüber seinem dogmatischen Ertrag – wenig fruchtbar wäre. So besteht beispielsweise marginaler Streit darüber, daß der ethische Personalismus Kants und das hieraus entwickelte Gebot wechselseitiger Achtung (und: Anerkennung42) sich nicht nur in diversen Menschenwürde-Konzepten niedergeschlagen haben, sondern daß beide auch tragende Wertungsgrundlagen der bürgerlich-rechtlichen Kodifikation geworden sind43. Sehr viel mehr Streit besteht hingegen über die rechte Erfassung des Einflusses Kants auf v. Savigny44. Warum sollte man sich aber dieses Streits in extenso widmen, wenn ein unmittelbarer Rekurs auf Kant selbst zeigen kann, welche Umformungen der ethische Personalismus im Recht erfahren muß, um die anerkannten dogmatischen Wertungsvorentscheidungen als grundlagentheoretisch erklärbar auszuweisen. Im folgenden wird deshalb versucht, statt einer genauen dogmengeschichtlichen Nachzeichnung des persönlichkeitsrechtlichen Grundlagendiskurses einen anderen Weg zugehe: Es werden Idealtypen von „Tiefen“-Wertungen gebildet, bei denen angenommen werden kann, daß sie dem Persönlichkeitsrecht in der Wertung zugrundeliegen. Insofern sollen mehrere Ansätze vorgestellt werden, die innerhalb des Grundlagendiskurses des allgemeinen Persönlichkeitsrechts beobachtet werden können: der Ansatz am ethischen Personalismus im Gefolge Immanuel Kants, ein auf einen Schutz berechtigter Interessen bezogener Ansatz und eine kommunikationstheoretisch unterfütterte Konzeption.

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Dazu siehe unten § 10 VI 2. Siehe nur Larenz/Wolf, AllgT, § 2 Rn. 2 ff. 44 Oftmals wird ausgeführt, der gemeinrechtlichen Wissenschaft des 19. Jahrhunderts sei vornehmlich durch v. Savigny der ethische Personalismus Kants und die an ihn anknüpfende Philosophie des Deutschen Idealismus und der Frühromantik vermittelt worden, siehe aus der Lehrbuchliteratur nur Larenz/Wolf, AllgT, § 2 Fn. 1; sowie aus der rechtsgeschichtlichen Literatur Wieacker, Privatrechtsgeschichte, 375 f., der diese These einer Linie von Kant zu v. Savigny maßgeblich befruchtete; zur Diskussionslage siehe unten Kap. 4 Fn. 63. 43

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2. Der Ansatz am ethischen Personalismus im Gefolge Kants a) Person – Achtung – Pflicht Die Persönlichkeit gilt gemeinhin insoweit als schützenswert, als ihr Wirken Voraussetzung für eine selbstbestimmte Entfaltung der Person ist45. Oftmals wird dabei das Verständnis dessen, was als „Person“ und „Entfaltung“ verstanden wird, in den philosophiegeschichtlichen Horizont des ethischen Personalismus im Gefolge Kants und der damit verbundenen vernunftbestimmten Bestimmung des Menschen zu Freiheit und Autonomie eingebunden46: Der Mensch wird zur Person, wenn und soweit er dieser Bestimmung zur Freiheit nachkommt. Damit sind zwei Folgerungen verbunden: Zum einen muß die Person „zugleich als Zweck, niemals bloß47 als Mittel“48 gebraucht werden. Die Selbstzwecklichkeit des Menschen49 als Vernunft- und Freiheitswesen zieht den Anspruch eines jeden auf Achtung der anderen Menschen nach sich50. Zum anderen bedeutet Autonomie im kantischen Kontext gerade nicht Herrschaft der Willkür im Sinn der tradierten Selbstbestimmung, sondern ein Handeln nach dem moralischen Gesetz der Vernunft, welches bestimmt, sein Handeln an selbstgesetzten verallgemeinerungsfähigen Geboten auszurichten. Freiheit und Autonomie heißt dann im wesentlichen: Handeln aus Pflicht in Orientierung an unbedingten und autonom gesetzten Normen im ethischen Kontext von Moralität und Sittlichkeit des Handelns. Kantisch gesehen geht es also eigentlich gar nicht um „Selbstbestimmung“, sondern um „Selbstgesetzgebung“51. Persönlichkeit ist für Kant sodann die Fähigkeit der Person, entsprechend dem moralischen Gesetz zu handeln, sich also selbst zu bestimmen (wie gesagt: im Sinne Orientierung an selbstgesetzten allgemeinen Gesetzen)52; sie ist die Fähig45

Etwa BVerfGE 54, 148 (155); 65, 1 (41). So etwa Larenz/Wolf, AllgT, § 2 Rn. 4; Kau, Vom Persönlichkeitsschutz zum Funktionsschutz, 80 ff.; Hollerbach, in: Leipold (Hrsg.), Selbstbestimmung in der modernen Gesellschaft, 35 (42); ders., Selbstbestimmung im Recht, 22 f. 47 Ohne diese Einschränkung wäre beispielsweise das Vertragsrecht kantisch gesehen nicht ertragbar. 48 Kant, Metaphysik der Sitten, Teil 2, Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre, § 38, Hervorhebung nicht i. O. 49 BVerfGE 27, 1 (6): „Zweck an sich selbst“. 50 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 61. 51 Da sich Selbstbestimmung für Autonomie gleichwohl eingebürgert hat, wird er im weiteren mit Selbstgesetzgebung synonym verwendet, soweit es um die kantische Verortung der Person geht. 52 Die kantische Begriffsbestimmung wird oftmals unauffällig in das Recht gespiegelt, so etwa bei Hollerbach, in: Leipold (Hrsg.), Selbstbestimmung in der modernen Gesellschaft, 35 (39); ders., Selbstbestimmung im Recht, 16, der Person als konkretes Selbst im Sinne des vernunftsbegabten Trägers von Bewußtsein und Wille 46

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keit zur Moralität. Und soweit die Person der Sinnenwelt (der empirisch erfahrbaren Welt) angehört, kann Kant sagen, die (empirische) Person sei ihrer eigenen Persönlichkeit unterworfen. Die Persönlichkeit ist ja eine Fähigkeit der intelligiblen Person, welche nicht nur ein triebgesteuertes Wesen mit einer sinnlichen Natur und eingebettet in einen geschichtlich-gesellschaftlichen Kontext, sondern zugleich auch ein Vernunftwesen ist. An all dies erinnert die bekannte antinomische Gegenüberstellung von Freiheit und (empirischer) Notwendigkeit53. Autonomie ist mithin nach Kant nicht die empirisch begriffene Fertigkeit von konkreten Subjekten, ihr Leben im ganzen ungezwungen zu bestimmen, sondern Selbstzwecklichkeit. Freiheit ist mithin Selbstgesetzlichkeit des Willens54. Sie stellt gerade keine anthropologische Qualität dar, die sozial-empirisch erfahren werden könnte und in spezifischen Eigenschaften des Menschen zum Ausdruck kommen würde. Sie ist vielmehr Ausdruck eines intelligiblen Vernunftsprinzips, welches dennoch empirisch nicht leerläuft, da es nach Kant55 das Vermögen besitzt, „sich zeichenhaft in der geschichtlichen Handlungswirklichkeit zu vergegenwärtigen“56. Autonomie ist demzufolge entsprechend der kantischen liberalen Tradition nicht Beliebigkeit, sondern die Fähigkeit, sich an Prinzipien zu orientieren. Die Person ist deshalb aufgefordert, sich zwar durchaus ihre Bedürfnisse und gesellschaftdefiniert und sodann im nächsten Satz Kant und dessen Sentenz zitiert, Person sei dasjenige Subjekt, dessen Handlungen einer Zurechnung fähig sind. Dadurch wird deutlich, daß die angesprochene Vernunftbegabung konstituierendes Element des juristischen Personbegriffs sein soll. Und da zudem die Verbindung mit Kant eingegangen wird, bedeutet Vernunftbegabung die Fähigkeit, sich an allgemeinen Gesetzen zu orientieren. Damit wird die Rechtsperson vollens in die kantische Tradition gestellt – mit den noch näherhin weiter unten beschriebenen Schwierigkeiten. Ähnliche inzidente Spiegelungen sind öfters zu beobachten, siehe etwa bei Stern, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. 5, § 108 Rn. 3 ff. 11 f.; weniger inzident bei Morgenthaler, Freiheit durch Gesetz, 219 f.: der Persönlichkeitsbegriff sei im abendländischen Kulturkreis aufs engste mit der Forderung nach Sittlichkeit verknüpft, siehe auch ders., ebda., 160 ff. Wie weit dies führen kann, zeigt Stern, Staatsrecht III/1, 8, der kritisch darauf verweist, daß nach Kant Würde die Erfüllung bestimmter, einschränkender Anforderungen im Hinblick auf Vernunft und Moral voraussetze, so daß nicht jedem Menschen, gleich wie er beschaffen sei und wie er sich verhalte, allein seines Menschseins willen Würde zukomme. Luf, FS E. A. Wolff, 307 (321 f.), weist gegenüber derartigen Kant-Interpretationen zu Recht darauf hin, daß damit die apriorische Dignität des Begriffs der Würde als praktischer Vernunftbegriff torpediert würde, der gerade nicht vom Vorliegen bestimmter tatsächlicher empirischer Fähigkeiten abhängig gemacht werden dürfe. 53 Kant, Kritik der reinen Vernunft, 488 ff. 54 Höffe, Kant, 199; Hollerbach, in: Leipold (Hrsg.), Selbstbestimmung in der modernen Gesellschaft, 35 (42); ders., Selbstbestimmung im Recht, 22. 55 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 87 ff., 91 ff. 56 Luf, FS E. A. Wolff, 307 (311).

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lichen Abhängigkeiten einzugestehen, diese aber trotzdem nicht zum Bestimmungsgrund des Lebens zuzulassen, sondern zu dem eigentlichen57 Selbst zu finden, nämlich dem moralischen Wesen der reinen praktischen Vernunft58. Kant kann deshalb auch formulieren, die Person sei „dasjenige Subjekt, dessen Handlungen einer Zurechnung fähig sind“59. b) Die Verfremdung und die Wiederentdeckung kantischer Autonomie Die kantische Verortung von Person und Persönlichkeit und deren Entwurf einer asketischen Pflicht zur inneren Selbstdistanz – eine Pflicht, die etwa von der Frankfurter Schule durchweg als Inbegriff des bürgerlichen Über-Ichs gelesen worden ist60, womit zugleich das in der Vision des selbstbestimmten Subjekts formulierte enorme Freiheitspotential zu Unrecht diskreditiert wurde61 – blieb nicht ohne Folgen für den innerjuristischen Diskurs62. Der juristische Personbegriff erhielt eine eindringlich die Menschenwürde unterstreichende neue Dignität. Durch die rezeptiven Bemühungen 57

In diesem „eigentlichen“ steckt die unüberhörbare und unerhörte Provokation der Kantischen Pflichtenethik, von der Suhr (Entfaltung, 67, Hervorhebung i. O.) bemerkt, sie würde innerhalb zahlreicher Strömungen des Liberalismus gerne unterschlagen, da sich diese Strömungen „von Kant gerne die Willkür holen, aber nicht die Pflichten“. 58 Siehe nur Höffe, Kant, 200. 59 Kant, Metaphysik der Sitten, 329. 60 Siehe nur die Kant-Kritik in der Dialektik der Aufklärung von Horkheimer/ Adorno, 88 ff. Ansonsten wären die Nachweise zu kritischen Einwürfe gegen Kant hinsichtlich dessen Diskreditierung der inneren Natur Legion. 61 Siehe zur Gegen-Kritik statt überaus vieler nur jüngst Bienfait, Freiheit, Verantwortung, Solidarität, 57 ff. 62 Als Überblick siehe Schild, in: Ritter/Gründer (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, 322 (325 ff.). Allgemein zur Entwicklungsgeschichte der Persönlichkeitsidee seit Kant siehe Morgenthaler, Freiheit durch Gesetz, 148 ff. Ausborn-Brinker, Person und Personalität, 6 f., macht zu Recht auf die Schwierigkeiten aufmerksam, die aus dem Vorhaben resultiert, den Personbegriff – entsprechend der „hermeneutischen Maxime ,Was da ist, verstehen wir, indem wir es als ein Gewordenes fassen‘ (Droysen)“ – durch die Rekonstruktion seiner Geschichte zu analysieren, da die Geschichte des Begriffs der Person zu heterogen und durch zu viele strukurelle Veränderungen und Brüche gekenzeichnet sei, als daß der moderne Personbegriff mit historischen Positionen identifiziert oder als Ergebnis einer langen Geschichte verstanden werden könne. Dies gilt auch für den juristischen Diskurs. Der hiesige Rekurs auf Kant darf denn auch nicht im Sinne einer konstitutionstheoretisch angelegten Genese juristischer Begrifflichkeiten, sondern als geltungstheoretisch ausgerichteter Versuch verstanden werden, in einer Situation, in der wieder der ethische Personalismus Kants als Grundlage des Bürgerlichen Rechts angesehen wird, zu skizzieren, was dieser heute im Recht bedeuten kann, dazu auch Luf, FS E. A. Wolff, 307 (308 ff.).

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der Historischen Rechtsschule63 wurde die Vorstellung der Rechtspersönlichkeit als notwendiges Attribut des Menschen als sittliche Person schließlich gängiges juristisches Gedankengut – wenngleich insbesondere die Arbeiten v. Savignys zu einer empiristischen Wende in der Bestimmung dessen geführt haben, was als „frei“ gekennzeichnet wurde: Der das Individuum zur Person gelingende freie Wille kantisch verstandener Autonomie wurde im Gefolge v. Savignys zunehmend aus seiner Vernunftgründung gelöst und im Rahmen einer auf das Vermögensrecht beschränkten Deutung des subjektiven Rechts64 als empirisch-psychologisches Faktum verortet65; personale Autonomie wurde also entgegen dem kantischen Projekt mit empirisch-sinnlicher Willkür verknüpft66. Ob dies durch den Hinweis erklärbar wird, die führenden Theoretiker der Historischen Rechtsschule hätten das kantische Projekt einer Vermittlung von Natur und Freiheit als vom historischen Recht in der Sache nach immer schon vollzogen erachtet angesehen67, mag dahin gestellt sein. Jedenfalls geriet der entwickelten Pandektistik der Zusammenhang von sittlicher Person und Rechtsperson mehr und mehr vollends aus den Augen. Die Kategorien des subjektiven Rechts, des Rechtssubjekts und der Rechtsfähigkeit traten im Großen und Ganzen in den Mittelpunkt der juristischen Diskussion und wurden primär positivistisch als Erscheinungen der staatlichen Rechtsordnung begriffen; die Semantik der Rechtsperson wurde zunehmend abgelöst – wohl auch weil sie in den ehernen Traditionsbestand der Selbstverständlichkeiten des juristischen Denkens abgesunken war. Die Entwicklung der Rechtsfigur der juristischen Person tat ihr übriges68. In der Reinen Rechtslehre Kelsens schließlich verschwanden sämtliche kantischen Konnotationen, welche den Begriff der Rechtsperson anfänglich normativ so unerhört aufgeladen und für die Jurisprudenz des beginnenden 19. Jahrhunderts so überaus anziehend ge63 Die Kant-Rezeption im juristischen Schriftum des 19. Jahrhunderts im allgemeinen und in der Ideenwelt v. Savignys im besonderen gehört zu den heikelsten Kapiteln der Rechtsgeschichte. Soweit es um v. Savigny geht, wird wohl weithin davon ausgegangen, daß v. Savigny in besonders starken Maße auf Kant fuße, siehe dazu befürwortend Kiefner, in: Blühdorn/Ritter (Hrsg.), Philosophie und Rechtswissenschaft, 3 (9); Wieacker, Privatrechtsgeschichte, 375 f., 397 f.; und ablehnend Rückert, Idealismus, Jurisprudenz und Politik, 364 ff.; Somek, Rechtssystem und Republik, 86 f. Fn. 382; zweifelnd Schröder, Abschaffung oder Reform, 413, 416 f.; zur Diskussion siehe auch K. W. Nörr, Eher Hegel als Kant, 20 ff. 64 Fezer, Teilhabe, 268, bezeichnet diesen Vorgang die „Ökonomisierung des subjektiven Rechts“ durch v. Savigny. 65 Jürgen Schmidt, Vertragsfreiheit und Schuldrechtsreform, 108 f. 66 Jürgen Schmidt, Vertragsfreiheit und Schuldrechtsreform, 108 f. Fn. 374, führt hierzu aus, daß man durchaus an eine Kategorienverwechslung durch v. Savigny denken könnte. 67 So Somek, Rechtssystem und Republik, 89 f. 68 Dazu nur Knieper, Gesetz und Geschichte, 61 ff.

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macht hatten; die Rechtsperson galt nunmehr nur noch als ein rechtstechnisches Hilfsmittel, die Einheit von Rechtspflichten und subjektiven Rechten zu personifizieren69. Im Staat des Grundgesetzes schließlich wurde der abgebrochene rechtspersonalistische Diskurs mit dem Leserbrief-Urteil des BGH70 wieder aufgegriffen; die Rechtsperson wurde wieder zum Zentralbegriff des Rechts prononciert71. Damit schließt sich der Kreis: Indem erneut auf den kantischen Ursprung personaler Autonomie insistiert wird72, wird das Persönlichkeitsrecht wieder zu einem probaten Mittel generiert, einerseits Menschenwürde zu reklamieren und (wenn hierbei an kantische Kategorien gedacht wird) Entfaltungsbereiche der Moralität zu sichern und andererseits dem Individuum die Zumutung zuteil werden zu lassen, sich durch Bezug auf seine Individualität sowohl zu identifizieren73 als auch gegenüber anderen Beschreibungen seiner selbst zur Wehr setzen zu können. Freilich darf nicht übersehen werden, daß die sachlichen Gehalte des kantischen Ansatzes von vernunftgemäßer Freiheit und pflichtgemäßer Autonomie in dieser „zweiten Rezeption“ nicht weniger verfremdet wurden als in der Entwicklung vor der Kodifikation, da ja ansonsten zahlreiche persönlichkeitsrechtliche Judikate kaum als ethisch-personal im streng kantischen Sinne orientiert gedeutet werden könnten. Jürgen Schmidt beobachtet hier zu Recht, daß die Befürworter eines ethisch-personal gegründeten Privatrechts den Namen Kant oft nur noch dekorativ und die Gegner einer derartigen Gründung vielfach denunziatorisch erwähnen74 – die theoretischen Weichenstellungen, die mit dem Rekurs auf den Königsberger Philosophen verbunden sind, werden hingegen häufig nicht zur Kenntnis genommen. Anders gesagt: Das personalistische Vokabular bleibt gewahrt, während die personalistische Grundlegung verblaßt. Die substantielle dogmatische Wirkung, welche mit dem Zitat der Schriften Kants heute ausgelöst werden soll, ist sicherlich in erster Linie das Insistieren auf der Selbstzweckhaftigkeit der Rechtsperson und auf dem damit verbundenen Anspruch auf Achtung (freilich: als Person)75. Über diesen 69

Kelsen, Reine Rechtslehre, 178. BGHZ 13, 334 (338). 71 Die Beschreibung der Normgenese ist Legion, siehe deshalb aus der Fülle nur Larenz/Canaris, SchuldR II/2; § 80 I; sowie jüngst Baston-Vogt, Der sachliche Schutzbereich, 11 ff. 72 Wie etwa bei den schon angeführten Larenz/Wolf, AllgT, § 2 Rn. 4; Kau, Vom Persönlichkeitsschutz zum Funktionsschutz, 80 ff. 73 Luhmann, in: ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 3, 149 (215). 74 Jürgen Schmidt, Vertragsfreiheit und Schuldrechtsreform, 94 f. 75 Siehe etwa Hollerbach, in: Leipold (Hrsg.), Selbstbestimmung der modernen Gesellschaft, 35 (39); ders., Selbstbestimmung im Recht, 16. 70

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Würde-Gedanken hinaus wird der ethische Personalismus Kants stellenweise bemüht, wenn es darum geht, das rechte Verständnis privatautonomen Handelns zu entschlüsseln76, die Einheit und Eigenständigkeit des Privatrechts vor dem Hintergrund der Debatte um den Sinn oder Unsinn von Sonderprivatrechten zu sichern77, 78 oder den Ordo der marktwirtschaftlichen Ordnung freiheitstheoretisch zu erhöhen79. Die theoretischen Verbindungsstränge bleiben dennoch eher brüchig und siedeln auf einem relativ abstrakten Nieveau an, das Schwerdtner80 wenig schmeichelhaft mit der Sentenz „Höhenluft, arm an Sauerstoff, immer wieder gefiltert durch das Bewußtsein der sensiblen Geister der Rechtswissenschaft“ bedacht hat81. Die Problematik kann an einem Folgeproblem einer kantisch orientierten Grundlegung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts verdeutlicht werden.

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Beispielsweise bei Larenz/Wolf, AllgT, § 2 Rn. 2 ff. So etwa bei Fezer, Teilhabe, 269 f. 78 Vgl. zur etwas älteren Diagnose des Funktionsverlusts der Privatrechtsordnung mit je unterschiedlichen Ausgangspunkten und Therapievorschlägen nur Wieacker, Sozialmodell, 3 ff.; ders., Industriegesellschaft und Privatrechtsordnung, 36 ff.; Ludwig Raiser, Die Aufgaben des Privatrechts, 124 ff.; ders., Die Zukunft des Privatrechts, 7 ff.; Kramer, Krise, 9 ff.; Kübler, Über die praktischen Aufgaben zeitgemäßer Privatrechtstheorie, 7 ff.; Wiethölter, FS L. Raiser, 645 (654 ff.); Eike Schmidt, JZ 1980, 153 ff.; Hart, KritJ 1974, 274 ff.; H. P. Westermann, AcP 178 (1978), 151 ff.; Lieb, AcP 178 (1978), 196 ff. 79 Mestmäker, Regelbildung und Rechtsschutz, 5, 10 ff., geht von einer Übereinstimmung der praktischen Philosophie Kants mit den Erfordernissen marktwirtschaftlicher Ordnungen aus. Ansonsten siehe zu den geistesgeschichtlichen Grundlagen des Ordoliberalismus Mestmäker, Recht und ökonomisches Gesetz, 1978; Möschel, FS Pfeiffer, 707 (716); sowie ausführlich D. Haselbach, Autoritärer Liberalismus und Soziale Marktwirtschaft, 1991, mit Übersicht zu den jeweiligen Ansätzen. Allg. zum geistesgeschichtlichen Umfeld des Ordoliberalismus und der dortigen Rezeption Kants kritisch Runge, Antinomien des Freiheitsbegriffs im Rechtsbild des Ordoliberalismus, 1971; die sonstigen kritischen Äußerungen der Literatur sind Legion, vgl. bsp. nur Reich, Markt und Recht, 39, der das brüchige Freiheitspathos des Ordoliberalismus betont und zudem eine autoritäre Staats- und Rechtsauffassung ausmacht. 80 Schwerdtner, Persönlichkeitsrecht, 92. 81 Die Sentenzen ließen sich fortführen. So bewertet Suhr, Entfaltung, 58 Fn. 21, die Rezeptionsgeschichte kantischen Denkens wie folgt: „Auf dem langen Weg der Kantischen Autonomie bis zur heutigen Willkürfreiheit ist so gut wie aller Gehalt der idealistischen Freiheit verloren gegangen –, nur am schönen Klang der Persönlichkeits- und Autonomieformeln labt man sich noch: ,Sprachästhetische Gründe . . .‘“, Hervorhebung i. O. 77

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c) Die Heuristik einer kantisch orientierten Grundlegung des Persönlichkeitsrechts aa) Gelingende Abgrenzung zwischen Persönlichkeitsund Vermögensrecht? Die kantisch orientierte Gründung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sieht sich einer elementaren Schwierigkeit ausgesetzt, soweit es darum geht, für einen Wertungsabgleich mit dem gewillkürten Erbrecht zur Verfügung zu stehen. Der Grund hierfür liegt an folgender Überlegung: Das Recht darf keineswegs eine etwaige mangelnde Moralität des Handelns rechtlich der Rechtsperson vorwerfen. Ein derartiger Tadel, es fehle die rechte Gesinnung, würde die Moralität im Kern verletzen, weil Moralität gerade nicht rechtlich erzwingbar ist82. Was das für das Persönlichkeitsrecht bedeutet, hängt davon ab, in welcher Weise im weiteren das Verhältnis zwischen Moralität und Gesetz (Legalität) konzipiert wird. Zwei Fälle gilt es zu unterscheiden. Wird es – erster Fall – im kantischen Sinne verstanden, unterscheidet sich die rechtliche Grundnorm, nach der die Freiheit der Willkür eines jeden in einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen muß, von der moralischen Grundnorm des kategorischen Imperativs nur in der Art und Weise, in der die Person die Vereinbarung der Freiheit aller eigens anstrebt. Recht und Moral haben insofern kantisch gesehen prinzipiell den gleichen Inhalt und kontrastieren nur hinsichtlich der Triebfeder (Gesinnung), mit der die Person beiden Materien gegenübertritt83: Recht fordert, kantisch gesprochen, Legalität, nicht Moralität des Handelns. Alles andere würde nur in die Auswüchse des Tugendterrors eines moralischen Rigorismus führen84. Was folgt hieraus für das Verständnis des Persönlichkeitsrechts? Doch wohl dies: Indem das Gesetz die Gesinnung des einzelnen nicht auf die kantische Autonomie verpflichtet (sondern etwaige Zwangsmittel bereitstellt85), ermög82

Kant, Metaphysik der Sitten, 500 ff., 519 ff. Siehe zu dieser Kant-Deutung aus der Fülle nur Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, 175 ff.; ders., Recht, Gerechtigkeit und demokratische Tugend, 23 ff. 84 Dazu nur Horst Dreier, AöR 113 (1988), 450 (469); Kersting, Recht, Gerechtigkeit und demokratische Tugend, 104 f. 85 Kersting, Recht, Gerechtigkeit und demokratische Tugend, 24 f., weist darauf hin, daß das Motiv „Handeln aus Pflicht“ zwar notwendiger Bestandteil der ethischen Gesetzgebung anhand des kategorischen Imperativs ist, daß dies aber nicht für den rechtlichen Zwang gilt, der nicht notwendiger Bestandteil der juridischen Gesetzgebung des allgemeinen Gesetzes der Freiheit sein könne. Denn andernfalls würde der Zwangsandrohung der Charakter praktischer Notwendigkeit verliehen, die Zwangsanwendung selbst zur Pflicht werden und ein Rechtsverzicht mithin die Qualität einer sittlichen Verfehlung bekommen. 83

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licht es dem einzelnen, sich dadurch als Person zu erweisen, indem er der kategorischen Aufforderung der Moralität nicht heteronom durch das Gesetz, sondern autonom motiviert nachkommt. Für das Persönlichkeitsrecht könnte dies die Folge nach sich ziehen, daß es so – wie das Recht allgemein – zu einem Mittel wird, Entfaltungsbereiche der Moralität (mithin: der Pflicht) zu sichern86. Eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts läge mithin vor, wenn die Rechtsperson sich nicht mehr so entfalten kann, daß sie den Geboten der Moralität nachkommen kann. Der Persönlichkeitsschutz wäre dann auf den Bereich der Moralität des Handelns zurückgeschnitten. Es ist offensichtlich, daß damit zahlreiche, zum ehernen Bestand der Persönlichkeitsrechtsentfaltung gerechnete Judikate und die bisher anerkannten Fallgruppen des Persönlichkeitsrecht weitgehend nicht mehr geltungstheoretisch erklärbar wären, da das Recht ja auch ein solches, unter die anerkannten Fallgruppen subsumierbares Handeln persönlichkeitsrechtlich schützt, was mit Moralität nichts zu schaffen haben will87. Damit taugt diese kantische Variante der Gründung des Persönlichkeitsrechts schon deshalb nicht zum Wertungsabgleich mit dem gewillkürten Erbrecht, da sie bei Lichte betrachtet schon die derzeitigen allgemein anerkannten dogmatischen Vorentscheidungen hinsichtlich des Persönlichkeitsrechts – die persönlichkeitsrechtlichen Fallgruppen – nicht nur nicht erklären kann, sondern im Gegenteil sogar delegitimieren würde. Damit würde aber das hiesige Vorhaben untergraben, für eine allgemein anerkannte Verortung des gewillkürten Erbrechts als funktionales Persönlichkeitsrecht zu streiten88. Mithin gilt, daß der ethische Personalismus zwar den Anspruch des einzelnen rechtlich absichert, seine Würde zu achten. Immer aber steht die durch die Vernunft (die jedem Menschen als inne wohnend gedacht wird) gesicherte Anbindung an das allgemeine Gesetz der Freiheit im Vordergrund. Es gilt daher: Wer Autonomie „mit Spontanietät, Affekt, Willkür, Selbstverwirklichung, Lebenswelt und Subjektivität gleichsetzt, kann sich kaum auf das Zeugnis der Aufklärungsphilosophie berufen“89. Falls in dieser Situation das Verhältnis von Moralität und Legalität – zweiter Fall – so konzipiert wird, daß mit Legalität die Summe der auf die Entscheidungen des Gesetzgebers zurückgeführten rechtlichen Wertungen bezeichnet wird, unterscheiden sich Moralität und Legalität auch inhaltlich und nicht nur hinsichtlich der Triebfeder, mit der der Handelnde beiden Komplexen gegenübertritt. Eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts wäre 86

Dazu allg. Coing, Zur Geschichte des Privatrechtssystems, 69 f. Die fallspezifischen Nachweise wären Legion. Es sei deshalb pauschal auf die Fallkataloge der Kommentarliteratur verwiesen. 88 Zu den damit verbundenen geltungstheoretischen Problemen siehe oben § 10 I. 89 Knieper, Gesetz und Geschichte, 151. 87

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hier rechtlich auch dann möglich, wo es der Rechtsperson gar nicht um die Entfaltung hin zu einem moralisch richtigen Handeln geht und wo ein Handeln entsprechend dem allgemeinen Gesetz der Freiheit nicht zur Rede steht90. Das Persönlichkeitsrecht würde dann so gegründet, daß der einzelne seine Persönlichkeit auch im nicht-kantischen Sinne entfalten dürfte. Hier hätten dann beispielsweise die o. g. anerkannten Fallgruppen des Persönlichkeitsrecht ihren Sitz. Nun entfaltet der einzelne seine Persönlichkeit im nicht-kantischen Sinn genau dann, wenn er dem moralischen Gesetz nicht folgt und sich im kantischen Sinne daher gerade nicht selbstbestimmt. In diesem Fall wäre es aber ganz ungereimt, das Persönlichkeitsrecht auf dem ethischen Personalismus zu gründen, da man ansonsten zu dem Ergebnis kommen würde, kantisch wäre keine, rechtlich aber sehr wohl eine Selbstbestimmung gegeben. Das Verhältnis zwischen Grundtheorie (ethischer Personalismus) und ihrer Anwendung (Persönlichkeitsrechtsdogmatik) wäre also so konstruiert, daß beide nichts miteinander zu tun hätten; sie wären gleichsam autonom und nicht dependent. Sinnvoll wäre ein derartiges autonomes Verhältnis zwischen Grundtheorie und ihrer Anwendung nicht. Eine stringente Ableitung91 der anerkannten Wertungen der Persönlichkeitsrechtsdogmatik aus dem ethischen Personalismus im Sinne einer Dependenz zwischen Grundtheorie und ihrer Anwendung, liegt nach dem derzeitigem Diskussionsstand92 des Persönlichkeitsrechts mithin nicht vor – denn daß dogmatisch eine Persönlichkeitsrechtsverletzung auch dann angenommen werden kann, wenn die Handlung nicht dem allgemeinen Gesetz der Freiheit entspricht, dürfte angesichts der bisherigen Judikatur evident sein. Dies ist das eine. Etwas anderes ist ebenfalls für den avisierten Wertungsabgleich prekär: Der kantische Ansatz befaßt sich ja nicht nur mit den rechtssystemintern herkömmlich als Ausdruck der Persönlichkeit begriffenen Gegenständen des Rechts, sondern bezieht auch das Vermögensrecht ein, da doch auch hier das Recht dem einzelnen „in der Herrschaft unseres Willens über ein Stück der äußeren Welt“ (v. Savigny)93 die Möglichkeit eröffnet, sich als autonome Person zu erweisen94; die Legalität betrifft ja das ganze Spek90 Kantisch gesehen ginge es dann um ein unrechtes Handeln. Denn in kantischer Perspektive sind ja Handlungen, die nicht Gegenstand einer allgemeinen Gesetzgebung werden können, unrechte Handlungen, siehe Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, 181 f. 91 Die Ableitung kann selbstverständlich nicht deduktiver Natur sein. Eine Ableitung im hier verstandenen Sinne führt aber durchaus dazu, daß einige Sätze der Anwendung aufgrund der Grundtheorie ausgeschlossen, andere freigestellt und wieder andere geboten sein werden. 92 Dessen Weiterung steht hier nicht zur Debatte, da es nur um die Vorbereitung des Wertungsabgleichs mit dem gewillkürten Erbrecht geht. 93 v. Savigny, System Bd. 1, 339. 94 Kant, Metaphysik der Sitten, Erster Teil, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, §§ 18 ff. Zum kantischen Sachenrecht siehe hierzu Kersting, Wohlge-

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trum des Rechts und zeichnet insofern die Teilung zwischen Personen- und Vermögensrecht nicht nach95. Für den Wertungsabgleich zwischen Erb- und Persönlichkeitsrecht sind die Folgen bestürzend: Da keine genauen Differenzierungskriterien für die Unterscheidung zwischen Vermögens- und Persönlichkeitsrecht innerhalb der Legalität zur Verfügung stehen, würde nicht klar werden, ob das gewillkürte Erbrecht zu Recht als Persönlichkeitsrecht verstanden werden kann oder ob es entsprechend der herrschenden Ansicht funktionales Vermögensrecht bleibt. bb) Der Ausweg: Reflexion über das Selbst? Ein Ausweg könnte darin gesehen werden – und er wird häufig hierin gesehen –, zwischen der personalen Entfaltung im engeren Sinne etwa einer Reflexion über das eigene Selbst auf der einen und der Entfaltung im Sinne einer willentlicher Umgestaltung der Umwelt auf der anderen Seite zu unterscheiden. Es wird dann – paradigmatisch etwa bei Kau96 – davon gesprochen, daß Persönlichkeitsschutz nur die Freiheit jener Bestimmungen über das Selbst meine, „denen notwendig eine Reflexion über das Selbst als hauptsächlichen Gegenstand des Nachdenkens vorausgeht; die also wesentlich reflexiv auf die eigene Person und deren Gestaltung rückbezogen sind“, so daß es beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht im wesentlichen um die „identische Selbstbehauptung der Person im sozialen Leben“ ginge97. Nur ist mit diesem Verweis auf Identität nicht viel gewonnen, da nicht deutlich wird, was gemeint ist. Falls gemeint ist, mit der Differenzierung zwischen personaler Entfaltung im engeren Sinn einerseits und willentlicher Umweltgestaltung andererseits sei die geradezu ehrwürdige und seit Locke ausgreifend (freilich nicht im juristischen Schriftum) thematisierte Frage angesprochen, wie mit guten Gründen davon gesprochen werden kann, es gäbe so etwas wie eine Identität der Person in Raum und Zeit (also das Sich-selbst-gleich-Bleiben eines vernünftigen Wesens), hilft dies nicht weiordnete Freiheit, 265. Mit der Formulierung „sich als autonome Person zu erweisen“ soll nicht gesagt werden, daß das Recht teleologisch darauf gerichtet sei, die Rechtsperson zur Moralität zu führen; denn damit würde – wie schon gesagt – nur zum Tugendterror eines moralischen Rigorismus geleitet. 95 Kantisch gedacht hat ja die Rechtsordnung die Aufgabe, den Freiheitsraum auszugrenzen, innerhalb dessen die freie Verwirklichung der sittlichen Autonomie mit der Freiheit eines jeden in einem allgemeinen Gesetz der Freiheit zusammenbestehen kann. Der Gedanke der autonomen Rechtsperson und ihres Schutzes wird demnach im Personenrecht ebenso virulent wie im Vermögensrecht: Der Autonomie-Gedanke schichtet hier nicht ab – womit auch mit ihm nicht abgeschichtet werden kann. 96 Kau, Vom Persönlichkeitsschutz zum Funktionsschutz, 80 ff., insbes. 82. 97 Kau, Vom Persönlichkeitsschutz zum Funktionsschutz, 82.

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ter. Dies zeigt ein kurzer Blick auf die Entwicklung der Identitäts-Kategorie. In der Tradition vor Locke und Hume wurde auf die Vorstellung zurückgegriffen, Identität sei als Identität einer Seelen-Substanz mit sich selbst zu begreifen. Die Identität der Person wurde bei diesem Substanz-Ansatz nie zum Problem. Nachdem die Überzeugungskraft derartiger Substanz-Vorstellungen in der frühen Neuzeit mehr und mehr verschwand, wurde Identität bewußtseinsphilosophisch als die Identität eines Bewußtseins konzipiert, welches die Einheit der Gedanken und der Handlungen erst stiften muß – womit personale Identität als Problem überhaupt erst auf den Plan trat. Der Lösungsvorschlag der Bewußtseinsphilosophie zum Problem personaler Identität ist die von Kau angesprochene Reflexion: Das Selbstbewußtsein konstituiert Identität98. Es verwundert daher nicht, daß Kau von der „identischen Selbstbehauptung der Person“ spricht: Dies ist genau das bewußtseinsphilosophische Problem, wie eine Person heute noch von sich wissen kann, das sie das ist, was sie gestern gewesen ist. Nur: Mit diesem Konzept von Identität können die Abgrenzungsprobleme zwischen personaler Entfaltung im engeren Sinn auf der einen und willentlicher Umweltgestaltung auf der anderen Seite nicht bewältigt werden. Denn auch hinsichtlich der Umweltgestaltung stellt sich ja das Problem, wie sie das Rechtssubjekt als eigene erfahren kann: doch nur, wenn es als etwas mit sich Identisches die Umwelt gestaltet. Eine durch das Subjekt ins Werk gesetzte Umweltgestaltung kann doch über die Zeit hinweg vom Subjekt nur dann als eine solche begriffen werden, wenn es sich selbst identisch weiß. Auch der Verweis auf die „Reflexion über das Selbst“ hilft demnach nicht, Vermögensrecht und Persönlichkeitsrecht voneinander zu scheiden. Anders wäre dies nur, wenn das Selbst, über das reflektiert wird, von Bezügen zur Umwelt leer gedacht wird. Identitätsbildung würde dann weniger bewußtseinsphilosophisch, sondern im Sinne der Ausformung einer IchIdentität als Ausdruck der Distanz zur sozialen Welt begriffen. Die Identitätsbildung bestünde dann darin, „so zu sein wie alle und so zu sein wie niemand“99. Es ginge dann um so etwas wie ein Wechselspiel zwischen der sozialen Genese des Selbsts und der Distanz zur Sozietät, mithin um die einzigartige Auswahl sozialer Rollen, in denen sich das Ich dann wiederfindet100. Nur bleibt dann unklar, was die kantische Perspektive der Person 98

Hierzu siehe allg. nur jüngst Sturma, Philosophie der Person, 147 ff. Krappmann, Soziologische Dimensionen der Identität, 78. 100 Der Aspekt der „einzigartigen Auswahl“ würde dann die je individuell gewählte Distanz zur sozialen Welt und der der „sozialen Rolle“ den Einfluß der Sozietät auf die Selbstwerdung des Ichs widerspiegeln. Soziologische Konzepte von Identität gehen oftmals auf Talcott Parsons zurück, siehe ders./Sihls (Hrsg.), Towards a General Theory of Action, insbes. 3 ff., 110 ff., 465 ff.; dazu auch Münch, 99

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auf der einen und die Figur einer sozialen Genese des Selbsts auf der anderen Seite miteinander zu tun haben sollen; wird doch im ethischen Personalismus die Person aufgrund des universalistischen Ansatzes Kants mehr oder weniger aus sämtlichen Einbindungen sozialer oder gesellschaftlicher Provenienz (wie etwa Rollen) losgelöst gedacht101. Diese Unklarheit hier aufzulösen, besteht weder Anlaß noch Raum. Denn die noch zu führende Diskussion mit dem sogleich zu besprechenden persönlichkeitsrechtlichen Interessenansatz wird zeigen, wie der Wertungsabgleich zwischen dem Persönlichkeitsrecht und dem gewillkürten Erbrecht sinnvoll vonstatten gehen kann; für eine Diskussion der Verbindungslinien des ethischen Personalismus mit Konzepten zur sozialen Genese des Selbsts besteht daher hier kein Anlaß. Zudem wäre eine solche Diskussion derartig komplex, daß sie an dieser Stelle ohne ausgreifende Vorarbeiten kaum sinnvoll geführt werden könnte. Die Folgerungen für den Wertungsabgleich dürften nach all dem hinreichend deutlich geworden sein: Insgesamt gesehen erklärt der Rekurs auf Kant im Rahmen des Persönlichkeitsrechts geltungstheoretisch – abgesehen vom Anspruch auf Achtung personaler Würde – nichts, soweit die Funktion des Persönlichkeitsrechts zur Sicherung eines Freiraums für gelingende Moralität zur Rede steht: Es wird der Wertungsbereich des Persönlichkeitsrechts nicht klar von dem des Vermögensrechts abgegrenzt – von der mangelnden Fruchtbarkeit bei der Erklärung der anerkannten Fallgruppen des Persönlichkeitsrechts ganz zu schweigen. cc) Die Ausschlußfunktion des ethischen Personalismus im Wertungsabgleich Es bleibt die Frage, ob der ethische Personalismus nicht doch in einer Hinsicht für den Wertungsabgleich mit dem gewillkürten Erbrecht heuristisch sein könnte. Oben war schon die Rede von der weiteren Funktion des Persönlichkeitsrechts, dem Individuum zu ermöglichen, sich gegenüber anderen Beschreibungen seiner selbst zur Wehr setzen zu können, um sich dadurch als Person zu erweisen. Es geht dann nicht darum, dem Individuum einen Freiraum zu schaffen, in dem es sich in seinem forum internum zur Moralität befähigen und sich damit für sich selbst als Person sichtbar machen kann. Vielmehr steht der gesellschaftliche Aspekt des Auftretens in der Sozietät zur Rede. Dieses Auftreten ist ein Auftreten des Individuums Theorie des Handelns, 64 ff.; sowie als Beispiel für die Herangehensweise die kurze Übersicht bei Goebel, Zivilprozeßrechtsdogmatik, 337 ff. 101 Gerade auf diesem Umstand basiert ja eine der heutigen Zentraldiskussionen in der politischen Philosophie, die Diskussion zwischen Liberalismus und Kommunitarismus.

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dahingehend, sein spezifisches Auftreten sei als Ausdruck seiner Personalität zu verstehen: Es (das Individuum) handele als Person, sein Handeln sei daher Ausdruck seiner Persönlichkeit. Nun ist – wenigstens soweit der ethische Personalismus diejenige Theorie ist, die dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht zugrundegelegt wird – Persönlichkeit die Fähigkeit der Person, entsprechend dem moralischen Gesetz zu handeln, sich also selbst zu bestimmen102. Der an die Sozietät adressierte Anspruch des Individuums, sein Handeln als Ausdruck seiner Persönlichkeit zu akzeptieren, ist demnach nichts anderes, als die Forderung, die Sozietät möge anerkennen, daß das Individuum sein Handeln als Ausdruck der Moralität versteht. Nun lassen sich aber im gängigen Fallmaterial zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht durchaus Gestaltungen ausmachen, bei denen es schwer fällt, einen Bezug auf ein Handeln nach dem Geboten der Moralität zu erkennen. Gleichwohl schützt das Recht durch das persönlichkeitsrechtliche Instrumentarium dieses Handeln. In dieser Situation bietet sich eine Interpretation des Persönlichkeitsrechts als Verfahrensnorm an: Indem das Persönlichkeitsrecht auch das Individuum, dessen Handeln nicht der Moralität entspricht103 – und dies ist nach der kantischen Lehre durchaus erkennbar104 –, gleichwohl unter den Schutz des Rechts stellt, eröffnet es ihm auf der einen Seite die Möglichkeit, der Sozietät sein Verständnis von Moralität als diskussionswürdig anzubieten, und gibt auf der anderen Seite der Gesellschaft die Chance, nicht durch rechtlichen Zwang, wohl aber mit den Mitteln des gesellschaftlichen Diskurses das Individuum zur Moralität zu bewegen. Freilich bleibt auch hier wiederum das Problem erhalten, nicht zwischen Vermögensrecht und dem unterscheiden zu können, was der rechtssysteminterne Diskurs heute als Persönlichkeitsrecht versteht. Sicherlich könnte beispielsweise das Angebot auf Abschluß eines Vertrages von dem Anbietenden als Ausdruck seiner Persönlichkeit dargestellt werden. Und dies wiederum wäre im o. g. Sinne der Fall, wenn er vorgäbe, entsprechend dem moralischen Gesetz zu handeln. Nur würde rechtssystemintern der Vortrag des Rechtssubjekts, sein Vertragsangebot sei Persönlichkeitsrechtsausübung, 102

Siehe oben § 10 IV 2 a. Das Individuum handelt dann nach Kant nicht als Vernunftwesen, sondern als Sinnenmensch und insofern heteronom – und kann sich deshalb hier auch nicht als Person ausweisen. 104 Bekanntlich ist die Kantische Ethik eine Ethik des kognitiven Typs. Sie geht davon aus, daß die Vernunft allen Menschen qua ihres Menschseins einverleibt ist, siehe nur Höffe, Immanuel Kant, 204. Ob ein Handeln der Moralität entspricht oder nicht, ist für Kant demnach erkennbar. Die historischen Erfahrungen stimmen hier eher pessimistisch. Die kommunikationstheoretisch neu unterfangenen Ethiken des kantischen Typs (wie etwa die Diskurstheorien nach Habermas und Alexy) geben gleichwohl den Anspruch auf Kognition nicht auf, verlegen ihn aber in die ideale Sprechsituation. 103

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gemeinhin eher selten persönlichkeitsrechtlich als beachtlich angesehen werden. Doch wo liegen dann die Differenzierungskriterien? Im ethischen Personalismus sicherlich nicht, da dieser ja innerhalb der Moralität nicht zwischen Kriterien differenziert, nach denen die Rechtsdogmatik Persönlichkeitsrecht und Vermögensrecht voneinander scheidet. Hieraus folgt für den Wertungsabgleich: Der ethische Personalismus kann nur in der Art und Weise einem Wertungsabgleich mit dem gewillkürten Erbrecht zugrundegelegt werden, daß zu fragen ist: Faßt die testierende Person die Ausübung der Testierfreiheit nicht als ein an die Sozietät gerichtetes Gesprächsangebot der testierenden Person auf, sie habe entsprechend dem moralischen Gesetz gehandelt (begreift mithin das Rechtssubjekt selbst sein Handeln nicht als Ausdruck der Moralität), sind schon die Minimalbedingungen nicht erfüllt, nach denen der ethische Personalismus die Verfügung von Todes wegen als Ausdruck der Persönlichkeit begreifen kann. Meint das Rechtssubjekt hingegen, es testiere entsprechend der Moralität, sind die Minimalbedingungen zwar erfüllt, es bleibt aber offen, ob die Verfügung von Todes wegen auch für das Recht ein Ausdruck der Persönlichkeit darstellt oder ob sie dem Vermögensrecht zuzuordnen ist. Zudem werden der Rechtsdogmatik dann ja auch keine Fingerzeige an die Hand gegeben, ob sie den Anspruch des Rechtssubjekts, sein Handeln sei Ausdruck der Moralität, abweisen soll oder nicht. Mit anderen Worten: Der ethische Personalismus hat für den Wertungsabgleich allenfalls eine rein negative Ausschlußfunktion in dem Sinne, daß sich der Erblasser nicht auf ein Persönlichkeitsrecht berufen könnte, wenn schon er selbst sein Testieren nicht als Ausdruck der Moralität versteht. Nur insofern könnte sich der ethische Personalismus demnach für den Wertungsabgleich mit dem gewillkürten Erbrecht als tauglich erweisen. Nur wäre mit einem derartig angelegten Wertungsabgleich – abgesehen von der mißlichen Folge, daß im Persönlichkeitsrecht bei dem Rekurs auf die skizzierte negative Ausschlußfunktion der kantische Unterschied im Befolgungsmodus der Moralität und der Legalität nach der Triebfeder des Handelns letztlich eingeebnet wäre105 – für das hiesige Projekt nichts gewonnen, für eine personfunktional angelegte Deutung des gewillkürten Erbrechts argumentativ abgesichert zu werben. Denn die Überzeugungskraft dieser Deutung soll ja vornehmlich darauf beruhen, daß sie notwendiger Ausfluß der allgemein anerkannten rechtsdogmatischen Wertungen des Rechts ist – und zwar des Persönlichkeitsrechts auf der einen und des Erbrechts auf der anderen Seite. Es besteht aber keine allgemein anerkannte Wertung des Inhalts, das Rechtssubjekt berufe sich nicht auf sein Persön105 Zur damit verbundenen bedenklichen Einschränkung des Rechtsbegriffs siehe Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, 148.

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lichkeitsrecht, wenn es selbst sein Handeln nicht als Ausdruck der Moralität begreife. Innerhalb der Persönlichkeitsrechtsdogmatik spielt es vielmehr keine Rolle, wie das Rechtssubjekt selbst meint, in welchem Verhältnis sein Handeln zur Moralität steht. Ist dem so, hat es auch wenig Sinn, die oben skizzierte negative Ausschlußfunktion des ethischen Personalismus dem Wertungsabgleich mit dem gewillkürten Persönlichkeitsrecht zugrunde zu legen. d) Ergebnis Es bleibt mithin dabei: Der Rekurs auf den ethischen Personalismus ist für den hier avisierten Wertungsabgleich mit dem gewillkürten Erbrecht wenig sachgerecht, solange es um etwas anderes geht als um den Anspruch auf Achtung personaler Würde. Damit ist nicht gesagt, daß das Privatrecht konstitutionstheoretisch nicht in zahlreichen Facetten auf dem ethischen Personalismus Kants beruht; eine derartige Behauptung wäre schlicht abwegig106. Auch ist nicht gesagt, daß das Privatrecht auf einer allgemeinen Ebene nicht geltungstheoretisch auf Kant zurückgeführt werden kann, wenn es um die Rechtsperson geht; schon der rechtliche Diskurs um die geltungstheoretischen Grundlagen der Menschenwürde (Stichwort: die Düringsche Objektformel) belehrt hier ein Besseres107. Nur ist damit allenfalls eine sehr allgemeine Ebene angesprochen. Die konkrete Dogmatik des Persönlichkeitsrechts und der Wertungsabgleich zwischen Erb- und Persönlichkeitsrecht werden geltungstheoretisch jedenfalls durch die Funktion, einen Freiraum der Moralität zu gewährleisten, nicht erreicht. Es wird sich zeigen, daß der persönlichkeitsrechtliche Interessenansatz hier fruchtbarer ist.

106 Nochmals sei an die etwa durch Ausborn-Brinker, Person und Personalität, 6 f., beschriebene Schwierigkeit erinnert, den Personbegriff durch die Rekonstruktion seiner Geschichte zu analysieren, da die Geschichte des Begriffs der Person zu heterogen und durch zu viele strukurelle Veränderungen und Brüche gekenzeichnet sei, als daß der moderne Personbegriff mit historischen Positionen identifiziert oder als Ergebnis einer langen Geschichte verstanden werden könne. 107 Zur verfassungsrechtlichen Diskussion, das kantische Würdekonzept fände innerhalb des Verfassungsrechts schon deshalb keinen rechten Halt, weil es Kant in seiner Moralphilosophie entfaltet habe, deren Ergebnisse wiederum nicht unbesehen auf das Recht übertragen werden könnten, ohne den kategorialen Unterschied zwischen Moralität und Legalität zu verschleifen, siehe Luf, FS E. A. Wolff, 307 (318 f.), der zu Recht darauf verweist, daß die juridische Gesetzgebung für Kant in einem allgemeinen Gesetz der Freiheit bestehen müsse; diese allgemeine Gesetzlichkeit weise jedoch eine strukturelle Analogie zum moraltheoretischen kategorischen Imperativ auf, dazu siehe schon oben § 1 II 2 sowie § 10 IV 2 c aa.

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3. Der Ansatz am Interessenschutz a) Person und Interesse Der zweite grundlagentheoretische Ansatz zum Persönlichkeitsrecht nimmt sich der inhaltlichen Bestimmung des persönlichkeitsrechtlichen Schutzbereichs durch eine Herausarbeitung der geschützten Interessen an108. Persönlichkeitsschutz wird so entsprechend der seit Jhering tradierten Umformung des subjektiven Rechts als rechtlich geschütztes Interesse zum Interessenschutz: Es gilt, die Individualinteressen herauszuarbeiten, zu deren Befriedigung jedem einzelnen um seiner Persönlichkeit willen gegenüber den anderen Rechtssubjekten diejenige rechtliche Willensmacht verliehen worden ist, welche in der Kategorie des subjektiven Persönlichkeitsrechts eingeschlossen ist. Damit einher geht eine strikte Trennung zwischen dem als unbestimmt und unkonturiert begriffenen Rechtsgut „Persönlichkeit“ und dem ihr zugeordneten subjektiven Recht109, welches nach Maßgabe der herrschenden, Willens- und Interessentheorie zusammenführenden Vereinigungstheorie zugeschnitten wird110. Dem Interessenbegriff wird hier108 So etwa Baston-Vogt, Der sachliche Schutzbereich, 91 ff., 203 ff.; Kraft, FS Hubmann, 201 (202). 109 Da das Persönlichkeitsrechts nicht dem Strukturprinzip des am Eigentum orientierten subjektiven Rechts entspricht (zumindest soweit, wie häufig, das Eigentum als Zuordnungsverhältnis Person – Sache verstanden wird, dazu oben Kap. 2 Fn. 260), sah sich die Rechtslehre geraume Zeit mit Schwierigkeiten konfrontiert, das Persönlichkeitsrecht in das hergebrachte, an sachenrechtlichen Kategorien orientierte Gefüge des Zivilrechts einzuordnen, weil sie sich die Frage stellte, wie es denn sein könne, daß das subjektive Recht sich auf die Persönlichkeit als Objekt beziehen könne, wo doch die Persönlichkeit gerade nicht als Objekt, sondern als Subjekt, eben als Zweck an sich, zu denken sei – was v. Savigny bekanntlich zu der Sentenz verleitete, die Anerkennung eines Persönlichkeitsrechts liefe auf die untragbare Annahme eines Herrschaftsrechts durch die eigene Person hinaus (v. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. I, 335 ff.). An der Savignyschen Argumentation zeigen sich in nuce die politischen Implikationen, die mit der Dogmatik des Persönlichkeitsrechts verbunden sind, siehe etwa zur These, die ablehnende Haltung v. Savignys gegenüber Persönlichkeitsrechten und sein Diktum, jedes subjektive Recht müsse einen vom Rechtsinhaber verschiedenen Gegenstand besitzen, beruhe auf der Nähe des Persönlichkeitsrechts zu den von ihm nicht geschätzten Menschenrechten, Wilhelm, in: Blühdorn/Ritter (Hrsg.), Philosophie und Rechtswissenschaft, 123, dazu auch Fezer, Teilhabe, 264. Zur Entwicklung siehe Leuze, Entwicklung, 46 ff.; Scheyhing, AcP 158 (1959/1960), 503 (511 ff.); Baston-Vogt, Der sachliche Schutzbereich, 87 ff.; Götting, Persönlichkeitsrechte als Vermögensrechte, 5 f.; ansonsten Kau, Persönlichkeitsschutz, 89 f.; Schwerdtner, Persönlichkeitsrecht, 95 f.; Knieper, Gesetz und Geschichte, 78. Siehe dazu, daß selbst das Eigentum nicht wie ein Zuordnungsverhältnis Person – Gegenstand, sondern als dreistellige Relation zwischen Rechtssubjekten begriffen werden kann, nochmals oben Kap. 2 Fn. 260. 110 Baston-Vogt, Der sachliche Schutzbereich, 91, 203.

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bei eine überaus sinnhaltige Funktion sowohl auf methodologischer als auch auch rechtspraktischer Ebene beigemessen. So soll er methodisch dazu anhalten, statt durch ein beständiges, philosophisch ausgerichtetes Räsonnement die immanente Grenzenlosigkeit des juristischen Persönlichkeitsschutzes durchzubuchstabieren, die systematische und begriffliche Arbeit an den Grundlagen des Zivilrechts wieder zurückzugewinnen111. Dies kann durchaus als ein an die kantische Grundlegung des Persönlichkeitsschutzes adressierter Vorwurf verstanden werden: Nicht mehr der Persönlichkeitsschutz als Konsequenz der rechtlichen Anerkennung des autonomen Subjekts steht in Rede, sondern nurmehr der Schutz berechtigter Interessen, die dem einzelnen vom Recht (dem Staat) gewährt werden. Mit der Interessensemantik wird freilich nicht nur methodische Stringenz der juristischen Arbeit am Recht eingefordert. Vielmehr habe die Bildung und Wahrnehmung von Interessen für die Persönlichkeitsentfaltung des Individuums eine konstituierende Bedeutung, da der einzelne nur über Interessen eine aktive Beziehung zur Umwelt begründe, indem er Anteilnahme und Begehrensvorstellungen entwickele, die handlungsmotivierend und kontaktvermittelnd wirken würden. Individualität könne so als die je gewählte und unwiederholbare Interessenkombination beschrieben werden112. Das Persönlichkeitsrecht diene vor diesem Hintergrund dazu, bestimmte persönliche Interessen unter Inanspruchnahme staatlicher Hilfe gegenüber anderen Rechtssubjekten durchzusetzen113. Welche persönlichen Interessen dies sind, wird dann oftmals – stellenweise unter Verweis auf ein im allgemeinen Rechtsbewußtsein fest verwurzeltes Verständnis – durch den Begriff der „ideellen Interessen“ einzugrenzen versucht114. Zur genaueren Bestimmung der persönlichkeitsrechtlich geschützten Interessen werden schließlich grundrechtliche Wertungen herangezogen115. Insofern führt die grundlagentheoretische Verortung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auf die Kategorien der Persönlichkeit116, der Persönlichkeitsnähe117, der auf das eigene Selbst bezogenen Selbstbestimmung118, der natürlichen, dem Recht vorgegebenen Beziehung des Rechtsträgers zu sich selbst119, der Angelegenhei111 So der Vorwurf von Kraft, FS Hubmann, 201 (205, 211 ff.), gegenüber einem philosophisch überhöhten Begriff der Persönlichkeit. 112 Baston-Vogt, Der sachliche Schutzbereich, 203, unter Rekurs auf Dieter Grimm, Die Zukunft der Verfassung, 1991, 176 f., 179. Die Fragmentierung des Subjekts tritt gerade in derartigen Formulierungen deutlich zu Tage. 113 Baston-Vogt, Der sachliche Schutzbereich, 204. 114 Siehe hierzu Götting, Persönlichkeitsrechte als Vermögensrechte, 1, 4 ff. 115 Baston-Vogt, Der sachliche Schutzbereich, 204. 116 Dies., ebda., etwa 207, 214 und öfters. 117 Dies., ebda., 220. 118 Dies., ebda., 220. 119 Dies., ebda., 220.

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ten, die dem Menschen nach natürlicher Auffassung unmittelbar zugehörig seien120, der Privatheit121, der persönlichen Angelegenheiten122, der Ehre123, des personalen Selbstverständnisses124, der personalen Identität als das vorgefundene Selbst125 und der Individualität als das selbstbestimmte Selbst126 zurück. Unüberhörbar treten in dem persönlichkeitsrechtlichen Interessenansatz Vorstellungen von Reflexivität (Selbst-Bestimmung, Selbst, Selbst-Verständnis, Identität), von Unmittelbarkeit (kein Bezug auf Rechtsgegenstände), von Vorrechtlichkeit (natürliche Beziehung) und von der Zentriertheit des Subjekts (das Individuum hat seinen Standpunkt in sich selbst und in sonst nichts) hervor – Vorstellungen, die auch im ethischen Personalismus im Gefolge Kants bestimmend waren. Ist der Interessenansatz daher nur ein in ein der Interessenjurisprudenz gemäßes Vokabular gekleideter ethischer Personalismus? Oder geht es bei einer auch durch den Interessenansatz proklamierten reflexionstheoretischen „Normierung des Ich durch das Ich“127 darum, daß die Frage, was unter Personalität und persönlichkeitsrechtlich schützenswerter Identität zu verstehen ist, durch eine im rechtsinternen Diskurs durch das Rechtssystem konstruierte Zurechnung von Personalität an die Rechtsperson entschieden wird? Dies wiederum wäre eine Vorstellung, die mit dem ethischen Personalismus und der darin eingeschlossenen Vorstellung grundlegend bricht, die Rechtsperson sei in ihrer Personalität vorrechtlich geschützt: Das Persönlichkeitsrecht wäre von der Rechtsordnung gewährt und nicht mehr vorrechtlich gewährleistet128. 120

Dies., ebda., 221. Dies., ebda., 397. 122 Dies., ebda., 403. 123 Dies., ebda., 411. 124 Dies., ebda., 417. 125 Dies., ebda., 428. 126 Dies., ebda., 429. 127 Luhmann, in: ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 3, 149 (213), eine Formulierung Simmels aufgreifend. 128 Am Rande: Die dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht zugrundeliegenden rechtlichen Wertungen im Gefolge des Interessenansatzes werden im weiteren als solche nicht einer eigenen geltungstheoretischen Kritik unterworfen oder auf ihre Kohärenz und Konsistenz hin untersucht. Vielmehr werden diese Wertungen als Ausgangsdaten des Wertungsabgleichs vorausgesetzt. Auf den ersten Blick scheint dies rein positivistisch und mit dem hiesigen geltungstheoretisch ausgerichteten Verständnis von Dogmatik unvereinbar zu sein. In der Tat wird hier bei der Diskussion des Interessenansatzes positivistisch vorgegangen. Der Grund für dieses Vorgehen liegt zum einen einfach darin, daß man nicht alles auf einmal problematisieren kann – und damit hier nicht auch noch zu einer völlig neuen Dogmatik des Persönlichkeitsrechts kommen kann. Zum anderen ist ein Anknüpfen an die allgemein anerkannten Wertungen des Persönlichkeitsrechts in der Ausformung des Interessenan121

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Die Frage stellen heißt, sie zu bejahen. Der persönlichkeitsrechtliche Interessenansatz ist ein der Grundlegung des Persönlichkeitsrechts im ethischen Personalismus Kants diametral entgegengesetztes Konzept. Unmittelbar einsichtig ist dies, soweit das allgemeine Verhältnis des Rechtssubjekts zum Staat und seinem Recht zur Rede steht: Die Annahme, das Persönlichkeitsrecht sei dem positiven Recht vorgängig und würde durch es nur gewährleistet, ist etwas durchaus anderes als die Vorstellung, das Persönlichkeitsrecht sei nach Maßgabe der Rechtsordnung gewährt. Doch nicht nur in diesen abstrakt-theoretisch unterschiedlichen Grundlegungen grenzen sich Interessen- und kantischer Ansatz gegeneinander ab. Auch in der Entscheidung konkreter Fallgestaltungen verlängert sich die unterschiedliche Grundlegung in unterschiedliche Falllösungen. Der Grund hierfür liegt in der Einsicht, daß der Interessenansatz flexibler Abwägungen zuläßt als der kantische. Dies klingt zuerst einmal recht verworren. Um den Gedankengang etwas aufzuhellen, ist ein Blick auf die Schwierigkeiten erforderlich, in die sich das kantische Projekt, Personalität qua Reflexion zu generieren, gestellt sieht – die Betonung liegt auf „Reflexion“, denn der ethische Personalismus Kants ist ja ein reflexionstheoretisch angelegtes Gedankengebäude. b) Die Probleme einer reflexionstheoretischen Gründung des Interessenansatzes Mit der reflexionstheoretischen Gründung der Person tritt ein Problem auf den Plan, welches in der zeitgenössischen Dogmatik des Persönlichkeitsrechts kaum eine Rolle spielt – nämlich die Schwierigkeit, daß sich mittlerweile die Kontexte, in die sich die kantische Rede von Autonomie und Selbstzweckhaftigkeit ursprünglich gesetzt fand, durchweg verändert haben. Die Herausforderungen durch den Strukturalismus, nach dem strukturale Verknüpfungen vor jeder subjektiven Aktion empirisch relevant sind129, werden kaum ausführlich aufgearbeitet, sondern zumeist als normativ irrelevant kurz und bündig abgewiesen. Auch die zahlreich seit dem linguistic bzw. pragmatic turn der Philosophie vorgetragenen Einsichten über die das Subjekt zugleich konstituierende und zerstreuende Kraft von satzes auch forschungsstrategisch sinnvoll. Denn gelingt hier der Wertungsabgleich mit einem personfunktional verstandenen Erbrecht, steigt gleichzeitig die Überzeugungskraft dieses Wertungsabgleichs, da dieser ja anhand allgemein anerkannter Wertungen des Persönlichkeitsrechts ins Werk gesetzt wird. Zum Problem siehe schon oben § 10 I. 129 „Man entdeckt, daß das, was den Menschen möglich macht, ein Ensemble von Strukturen ist, die er zwar denken und beschreiben kann, deren Subjekt, deren souveränes Bewußtsein er jedoch nicht ist“, Foucault, Von der Subversion des Wissens, 16. Allg. zur Problematik Meyer-Drawe, Illusionen von Autonomie, etwa 14 ff., 30, 36 ff. und passim.

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Sprache (also die Vorgängigkeit der Sprache vor dem Subjekt) und über die Dezentrierung jeglichen Welt- und Selbstverständnisses130 finden keinen rechten Widerhall – und dies, obwohl hier die Rede ist in gesellschaftstheoretischer Perspektive von der Fragmentierung des Subjekts in einer hocharbeitsteilig verfaßten Gesellschaft und in sprachtheoretischem Blickwinkel von dem Einschluß des Subjekts in je unterschiedliche sprachliche Lebensformen, die dem Subjekt den Ort zuweisen (den „Käfig gemeinsame(r) gesellschaftliche(r) Praxis“131), von dem es glaubt, die Welt privat erkennen zu können. Die Gesellschafts- und die Sprachtheorie stellen damit enorme Herausforderungen an die normative Kategorie des Subjekts und des Personalen132. Vor diesem Hintergrund muß sich die Dogmatik des Persönlichkeitsrechts dieser Herausforderung stellen: Inwiefern ist ein bewußtseins130 Was mit dem „linguistic turn“ gemeint ist, kann am besten anhand eines einfachen, wohl aber auch gerade deshalb etwas verkürzenden und grobschlächtigen Schemas verdeutlicht werden. Nach diesem Schema kann die Abfolge der Weisen unserer Welterzeugung durch den Zyklus dreier Paradigmen mehr oder weniger beschrieben werden. Das ontologische Paradigma wollte Gewißheiten durch ein ehedem normativ aufgeladenes teleologisches Weltverständnis erlangen. Diese Möglichkeit wurde schon mit dem Aufkommen des mentalistischen Paradigmas der Bewußtseinsphilosophie verabschiedet. Im mentalistischen Paradigma regiert die Vorstellung, es gäbe so etwas wie ein Transzendentalsubjekt, an dem jedes empirische Subjekt ohne weitere institutionelle Vermittlung Anteile in sich trage, so daß Erkenntnis durch den Verweis auf die Leistungen des monadologisch reflektierenden erkennenden Subjekts unterfangen werden könne. Im linguistic turn schließlich wird dieses philosophische Paradigma des Bewußtseins und die mit ihm verbundene Einsicht, daß das Bewußtsein der transzendentale Ort der „Bedingung der Möglichkeit“ von Sinn und Bedeutung sei, in das Paradigma des Zeichens überführt. In dem neuen kommunikativistischen Paradigma gewinnt die Sprache oder (wenn man den Handlungsaspekt von Sprache mehr in den Vordergrund rückt) ein bestimmtes Verständnis sprachlichen Handelns (dann: pragmatic turn) nunmehr den Status eines grundlegenden Phänomens: Sowohl die kategorialen Ordnungsstrukturen der Wirklichkeit als auch die Produktion normativen Sinns werden von ihr her begriffen. Sprache erscheint als „weltkonstituierende Aktivität“ (W. v. Humboldt), als exklusives Medium der Weltkonstitution. „Sein, das verstanden werden kann, ist Sprache“, formuliert Gadamer, Wahrheit und Methode, 478, denn auch kurz und bündig. Sprache gewinnt so eine ausgesprochen de-stabilisierende Kraft. Es kommt gewissermaßen zu einer ,Explosion der épistémè‘“. Vgl. als Übersicht bsp. Hans Lenk, Interpretationskonstrukte, 1993; Welsch, Vernunft, 1996. Mittlerweile wird innerhalb der Philosophie der Primat der Sprache durchaus zwiespältig gesehen. Neue Bewegungen zu naturalistischen und kulturalistischen Bewußtseinsphilosophien können beobachtet werden. Vor einer Überschätzung der Bedeutung des „linguistic-turns“ wird denn auch vermehrt gewarnt, vgl. nur bsp. bei Richard Rorty, Der Spiegel der Natur, 283 ff.; sowie – nicht verwunderlich – Otfried Höffe, Kategorische Rechtsprinzipien, 391 ff. Allenfalls als Metapher, die die Bedeutung von Sprache herausstreicht, und als Idealtypik, die von Verflechtungen grobschlächtig absieht, ist die Rede von einem „linguistic turn“ denn auch heute nur brauchbar. 131 So die markante Formulierung bei Busse, Historische Semantik, 201.

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philosophischer Ansatz zur Bewältigung personaler Identität auch rechtlich noch tragfähig, wenn die Reflexion als Modus zur Herstellung personaler Identität133 mehr und mehr verabschiedet worden und der „Tod des Subjekts“ ausgerufen worden ist134: Was wird aus dem Subjekt, wenn „das Individuum in der Reflexion keinen Halt, keine Sicherheit, ja vielleicht nicht einmal seine Identität finden kann“135? Rechtlich wird vor diesem Hintergrund dann die Frage virulent, in welche Gefahren das Rechtssubjekt gerät, wenn innerhalb des rechtlichen Diskurses weiterhin seine Identität im Modus der Reflexion und damit bewußtseinsphilosophisch konstruiert wird – denn „mindestens seit Freud weiß man (. . .), daß die Unterscheidung von Freiheit und (äußerem) Zwang unhaltbar ist. Die Differenz ist auf allen Ebenen, psychisch ebenso wie sozial, ein Artefakt von Selbstbeschreibungen, insbesondere von Kausalattributionen.“136 Wie kann folglich die personale Identität des Subjekts soweit gewahrt werden, daß nicht nur eine realitätsferne und etwaig gefahrvolle „Hochsemantik des Subjekts“137 reproduziert wird, dergegenüber es heute gilt, wieder konkret „vor Ort zu gehen“138, sondern daß im Begriff des Persönlichkeitsschutzes sämtliche Gefahrenlagen widergespiegelt werden – und diese bestehen auch darin, daß das Subjekt seine Identität kaum noch reflexionstheoretisch sichern kann. Welche Einbußen erfährt und in welche Ge132 Siehe umfassend zu der Herausforderung der Subjekt-Kategorie Ladeur, Postmoderne Rechtstheorie, 15 ff., 23 ff., 33 ff., 80 ff. und passim. 133 Dazu instruktiv Frank, in: ders. (Hrsg.), Selbstbewußtseinstheorien von Fichte bis Sartre, 413 (416 ff., 428 f.). 134 Die Nachweise hierzu sind Legion, vgl. deshalb nur aus ganz verschiedenen Perspektiven Axel Honneth, in: Menke/Seel (Hrsg.), Zur Verteidigung der Vernunft gegen ihre Liebhaber und Verächter, 149 ff.; Welsch, Vernunft, 829 ff.; Paul Ricoeur, Hermeneutik und Strukturalismus, 137 ff.; Albrecht Wellmer, Zur Dialektik von Moderne und Postmoderne, 48 ff.; sowie die Sammelbände Frank/Raulet/van Reijen (Hrsg.), Die Frage nach dem Subjekt, 1988 (und dort insbes. die Studie von Frank, ebda., 7 ff.); Frank (Hrsg.), Analytische Theorien des Selbstbewußtseins, 2. Aufl. 1996; sowie den vorzüglichen Überblick bei Wenzel, Berliner Journal für Soziologie 1 (1995), 113 ff.; ansonsten siehe auch die kurzen Bemerkungen bei Taylor, Quellen des Selbst, 81 ff. Fn. 20. 135 Luhmann, Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 3, 149 (237). Die neuere Diskussionslage ist uneinheitlich. Innerhalb analytischer Theorien des Selbstbewußtseins wird mehr und mehr von einem Primat der Selbstreferenz ausgegangen. Manfred Frank, in: ders. (Hrsg.), Analytische Theorien des Selbstbewußtseins, 7 (14), merkt dazu, es würde sich hier ein Konsens von Ansätzen herausbilden, die man früher vielleicht eher der idealistisch-phänomenologischen Tradition zugerechnet hätte. Als instruktive Übersicht siehe ders., in: ders./Haverkamp (Hrsg.), Individualität, 3 ff. 136 Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, 1032. 137 Luhmann, Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 3, 149 (211). 138 Schwerdtner, Persönlichkeitsrecht, 92.

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fahren sieht sich mithin die Rechtsperson gestellt, wenn ihr Begriff auch heute noch weitgehend unter Zuhilfenahme kantischer Kategorien im Kontext der „Heilserwartungen“139 des rechtsinternen Modells einer liberalen Gesellschaft beschrieben wird?140 Mit Blick hierauf insistiert Schwerdtner mit Recht darauf, nicht nur die Selbstzweckhaftigkeit der Person zu betonen, sondern zugleich die Aufgabe des Rechts nicht aus den Augen zu verlieren, „Verhältnisse zu schaffen, in denen die Würde nicht angetastet wird“141 – kantisch gesprochen wäre dies ein Zustand der Legalität, in der das allgemeine Gesetz der Freiheit herrscht. Mit diesem kantischen Freiheits-Impetus wird dem Würde-Begriff, so wie er in der derzeitigen juristischen Diskussion aufscheint, aber nicht vollends Rechnung getragen. Wie Steindorff zu Recht ausführt, vernachlässigt die Grundlegung des Würdeund des Personbegriffs auf der Basis der Ethik kantischer Tradition über Gebühr das Recht auf menschliche Schwäche und setzt einzig auf Selbstbestimmung und Selbstverantwortung als Pendant zum politischen und ökonomischen Liberalismus142. Ist uns also heute normativ die Wahl verschlossen, sinnvoll für den ethischen Personalismus als Grundlegung des Bürgerlichen Rechts zu optieren? Wie dem auch sei, mit diesem Fragenkatalog soll keinem normativen Antihumanismus das Wort geredet, wohl aber dafür geworben werden, die sachlichen Gehalte der kantischen Tradition in die Bedingungen der entfalteten Moderne so zu retten, daß ihr emphatischer Impetus von Personalität und Autonomie auch weiterhin ein sachgerechtes Leitbild des juristischen Diskurses sein kann und muß143. Erst vor diesem Hintergrund erhält die anhaltende, den reflexionstheoretischen Tod des Sub139

Schwerdtner, Persönlichkeitsrecht, 92. Siehe hierzu auch Smid, Einführung in die Philosophie des Rechts, 123 ff. 141 Schwerdtner, Persönlichkeitsrecht, 92. 142 Steindorff, Persönlichkeitsschutz, 22 f. Ähnliche Fragen sind auch im moralphilosophischen Diskurs erörtert worden. Interessant wäre hier, einmal der Frage nachzugehen, ob und wie eine Verbindung der Menschenwürde und des rechtlichen Personbegriffs mit der „Ethik des Anderen“ im Gefolge von Emmanuel Lévinas sachgerecht ist oder wie es um die Verbindung von Recht und dem Gedanken der individuellen Besonderheit im Sinne der von Derrida unter Beeinflussung von Lévinas entwickelten Ethik (zu dieser Ethik siehe Dreisholtkamp, Derrida, 163 ff.; Honneth, in: Fischer (Hrsg.), Freiheit oder Gerechtigkeit, 194 ff. (insbes. 219 ff.)) bestellt ist. Dabei dürfte freilich nicht übersehen werden, daß die Perspektive insbesondere von Derrida eine solche ist, die sich in einem „Verhältnis der produktiven Entgegensetzung zur Idee der Gleichbehandlung befindet“ (Honneth, ebda. 222). Ansonsten betont gerade Honneth in einem Aufsehen erregenden Essay, daß die modernen, in der Tradition Kants stehenden Moraltheorien (also auch die Habermassche Diskurstheorie) um einen Bezugspunkt zu ergänzen seien, welcher gerade nicht durch eine Erweiterung der Perspektive der Gerechtigkeit, sondern nur durch ihr Anderes, nämlich der menschlichen Fürsorge, hinreichend berücksichtigt werden könne (Honneth, ebda., 196, 237 ff.). Dies ist genau das Problem, auf das Steindorff rekurriert. 140

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jekts freilich nicht reflektierende Diskussion etwa um strukturelle Ungleichgewichtslagen (wie bsp. den privatrechtlichen Schutz des bürgenden Ehegatten) ihre so überaus weitreichende Bedeutung. Wie könnte auf diese Herausforderung der Reflexionskategorie der Interessenansatz, welcher sich ja immer noch eine reflexionsorientierte Semantik zu eigen macht, reagieren? Ein Ausweg scheint nahe zu liegen: Warum soll der Zusammenhang der Rechtsfigur des subjektiven Rechts (gleich ob Vermögens- oder Personenrecht) mit der reflexionstheoretischen Philosophie nicht einfach gekappt und der Weitergebrauch der Rechtsfigur des subjektiven Rechts als rechtstechnisch unentbehrliche, aber ansonsten nicht weiter zu problematisierende Kategorie empfohlen werden? Dieser Ausweg ist aber schon deshalb mißlich, weil dann nicht mehr deutlich ist, was der Zusatz „subjektiv“ zu bedeuten hat144; die die Einheit des Subjekts verbürgende Reflexion wäre nun einmal durch die Kappung weggebrochen. Ein weiterer Ausweg wäre, die Reflexionssemantik durch Derivate zum Subjektbegriff wie Willkürfreiheit, Wille, Zuständigkeit, Interesse und Rechtsmacht zu ersetzen. Weiterführend wäre aber auch dies nicht, denn die Ersetzung führt ja nur dazu, daß sowohl die an jeder dieser topoi (Willkür, Freiheit, Interesse) geübten Kritik in die Dogmatik des subjektiven Rechts inkorporiert wird als auch die Rechtsfigur des subjektiven Rechts entsprechend den wandelbaren Bedürfnissen der Rechtspraxis – und damit kriterienlos – einsatzfähig aufbereitet wird145. In dieser Situation könnte versucht werden, die Persönlichkeitsrechtssemantik so umzubauen, daß sowohl die Kategorie des Personalen erhalten als auch der Überzeugungsschwund aufgefangen werden kann, welcher die die Identität des Subjekts stiftende Figur der Reflexion erfaßt hat: Es gilt, die Persönlichkeitsrechtssemantik von reflexionstheoretischer Identität auf Differenz umzustellen. Denn eines ist auch für das Recht die Rechtsperson zuerst einmal nicht: Sie ist nicht die „Umwelt“ ihrer selbst, sondern differenziert sich von dieser. Die Person kann ihre Identität demnach durch den Rekurs auf Differenz bilden146. Oder in den Worten Luhmanns: „Mit der Suggestion von Differenzen kann man Prozesse in Gang bringen, die Informationsqualität haben. Die Person erfährt, in welchen Situationen immer, ob und wie weit ihre Ansprüche auf Achtung, Beachtung und Bedürfnisbe143 Zu einem skizzenhaften Versuch, den kantischen Universalismus für den Zivilprozeß trotz der durch den linguistic turn hervorgerufenenen Herausforderungen aufzubereiten, siehe Goebel, Rechtsgespräch und kreativer Dissens, 135 ff. 144 Luhmann, in: ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 2, 45 (96 f.). 145 Luhmann, in: ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 2, 45 (98). 146 Siehe dazu auch Hörisch, in: Frank/Raulet/van Reijen (Hrsg.), Die Frage nach dem Subjekt, 144 (158 ff.); im Kontext der Anerkennungsverhältnisse unten § 10 VI 2.

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friedigung, Zustimmung usw. erfüllt oder nicht erfüllt werden. Sie kann im Kontext einer solchen Informationsverarbeitung sich selbst Identität zuschreiben auch dann, wenn ihr thematisch unzugänglich bleibt, was der Sinn dieser Identität ist und inwiefern er sich von dem der Identitäten anderer Personen unterscheidet. (. . .) Der bloße Appell, Individuum zu sein, stößt dagegen ins Leere, weil die Person Differenz braucht, um zu wissen, welche Information sie mit Hilfe ihrer Identität gewinnen kann.“147 Dies heißt nichts anderes, als daß die Person „nicht Identität sein (kann), bevor sie Differenz ist“148. Damit ist ein Perspektivenwechsel verbunden: Es steht nun nicht mehr im Raum, daß das Individuum vorrechtliche Ansprüche an die Sozietät und deren Mitglieder erhebt, sondern es geht um die soziale Zuschreibung von Identität durch gesellschaftliche Mechanismen149 und deren Anerkennung durch das Recht – also um genau das Projekt, welches dem Interessenansatz im Rahmen des Persönlichkeitsrechts Leitbild und methodische Richtschnur ist. Der Begriff der Person wird mithin zu einer in der gesellschaftlichen Kommunikation produzierten Auswahl von Merkmalen150. Diese Auswahl ist sicherlich zum einen eine Leistung des Individuums, die es schon beginnend mit der sozialen Genese seines Selbsts erbringt und in der es sich als Koordinator unverwechselbarer Lebensgeschichten erweist, die gleichsam eine Temporalisierung von personaler Identität implizieren. Genau genommen steht nicht nur die Koordination von Lebensgeschichten im Raum, sondern sogar die von Systemgeschichten, da ja der einzelne im Rahmen funktional ausdifferenzierter Gesellschaften nicht einem Teilsystem allein zugehörig sein kann. Zur Herstellung personaler Identität muß das Individuum damit quasi ein „patchwork“ derjenigen Geschichten konstruieren, die ihm innerhalb der einzelnen gesellschaftlichen Teilsysteme widerfahren. Die Auswahl wird aber zum anderen auch gesteuert durch die Anforderungen, die die Sozietät an ihre Mitglieder hinsicht147 Luhmann, in: ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 3, 149 (242). Siehe zur Entwicklung umfassend auch ders., Die Gesellschaft der Gesellschaft, 1019 ff. In philosophischer Sicht Ausborn-Brinker, Person und Personalität, 192 ff. 148 Luhmann, in: ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 3, 149 (242). 149 Die Bezugnahme auf gesellschaftliche Mechanismen ist für die Zuschreibung von Identität bei den hiesig angestellten eher grobmaschigen Überlegungen durchaus nicht der einzig mögliche Bezugspunkt. So könnte etwa auch überlegt werden, ob den reflexionstheoretischen Schwierigkeiten eines rein kantisch orientierten Personbegriffs nicht durch den relational-existentialistischen Personbegriffs Werner Maihofers (ders., FS Kaufmann, 219 (227 ff., 237 ff.)) entgangen werden könnte, wie dies etwa Wagner, ARSP 81 (1995), 1 (20 f.), mutmaßt. Genannt werden müßte in diesem Zusammenhang freilich dann auch der personorientierte Ansatz Arthur Kaufmanns (ders., Rechtsphilosophie, 292 ff.). All dies muß hier auf sich beruht bleiben. 150 Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, 48 f. Fn. 19.

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lich des Zuschnitts von Personalität stellt. Hier geht es um die Ausbildung sozialer Identität mit einem symbolisch generalisierten Anderen151. Moderne Identitätsbildung ist mithin nichts anderes als ein vom Individuum permanent zu leistender Balance-Akt zwischen der je eigenen „Lebensgeschichtsschreibung in Teilsystemen“ und der damit verbundenen Distanz gegenüber systemischen Vorgaben einerseits und der Determiniertheit eben genau durch derartige Vorgaben andererseits152 – ein Balance-Akt, der durchaus im oben geschilderten153 heideggerschen Duktus als Bemühen um „Eigentlichkeit“ erfaßt werden kann, also als Ringen um die auf Jemeinigkeit beruhende Selbstwahl des Menschen vor dem Hintergrund seiner Einbindung in die Alltäglichkeit des Man, der Uneigentlichkeit. Etwas verkürzend muß in der Identitätsbildung der Balanceakt zwischen den beiden Polen „so zu sein wie alle und so zu sein wie niemand“154 ausgehalten werden. Der rechtsdogmatischen Diskussion ist all dies nicht neu: Nichts anderes als die Zurichtung von Personalität nach dem – nach Maßgabe des Rechtssystems aufbereiteten – Diskurs der Sozietät schimmert ja bei der aus dem herrschenden rahmenrechtlichen Verständnis des Persönlichkeitsrechts fließenden Güterabwägung durch, die als notwendig erachtet wird, um den Umfang des Persönlichkeitsrechts im konkreten Fall feststellen zu können. Warum diese Abwägung erforderlich ist, kann mithin anhand der Umstellung der Persönlichkeitsrechtssemantik von Identität auf Differenz besser veranschaulicht werden. Es steht somit nicht mehr ein Konzept begründender Subjektivität an, sondern eines begründeter Subjektivität155. „Person zu sein, ist das Ergebnis eines Personifikationsakts der Rechtsordnung“, wie es Gustav Radbruch kurz und bündig ausdrückte156. Die rechtliche Konzeption der Person ist mithin zwar eine normative Konzeption, aber eine Konzeption nach den Kriterien des rechtssysteminternen Diskurses157. Die Figur der Person und 151 Wie dies von vielen Seiten beschrieben worden ist, einer der bedeutensten Ausgänge ist zweifellos die Beschreibung der sozialen Genese des Selbsts durch Mead. 152 Siehe nur Krappmann, Soziologische Dimensionen der Identität, 208; Nassehi/Weber, Tod, 339 ff. 153 § 9 II 3. 154 Krappmann, Soziologische Dimensionen der Identität, 78. 155 Hörisch, in: Frank/Raulet/van Reijen (Hrsg.), Die Frage nach dem Subjekt, 144 (161). 156 Radbruch, Rechtsphilosophie, Gesamtausgabe Bd. 2, 365. Ähnlich in einer positivistischen Bestimmung der Rechtsperson schon Windscheid, der für das Pandektenrecht ausführt, in gewissen Sinne sei der Mensch juristische Person, dazu Knieper, Gesetz und Geschichte, 56. 157 Im Rahmen der Entschlüsselung des Menschenwürde-Begriffs hat Christian Starck ähnliches prägnant ausgesprochen: „Verfassungsinterpretation ist nicht Philosophie“, siehe v. Mangoldt/Klein-ders., Art. 1 Rn. 3. Man müßte freilich ergänzen,

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ihres Rechts wird damit aus ihrer Ausrichtung an philosophischen Begründungsdesideraten herausgenommen und als innerrechtliches Konzept verortet. Man versteht dann den Begriff der Person, wenn man „den Spielraum von sinnvollen Sätzen“ und damit „ein ganzes Sprachspiel mit dem zugehörigen Raum von Interferenzregeln“158 kennt, wenn man also mit dem vertraut ist, was Rechtsdogmatik immer schon macht. Die stellenweise zu beobachtende Formel, die Persönlichkeit sei dem Rechtssubjekt schon auf natürliche Weise verbunden159, muß dann insofern präzisiert werden, daß die „natürliche Weise“ nicht mehr auf irgendwelche vorrechtlichen Gegebenheiten zurückgeführt wird, sondern sich als eine durch den rechtssysteminternen Diskurs konstruierte Zuschreibung darstellt. Die Person ist nach all dem dann die Form, in der durch das Recht sanktioniert einerseits das psychische System die Erwartungen erkennt, die an es gerichtet werden, und in der andererseits den sozialen Systemen deutlich gemacht wird, daß das psychische System rechtlich geschützt ist. Die Person ist in dieser Perspektive eine Adresse für Kommunikationen160, die es „den psychischen Systemen erlaubt, am eigenen Selbst zu erfahren, mit welchen Einschränkungen im sozialen Verkehr gerechnet wird“161. Es liegt auf der Hand, daß die Vorstellung, personale Identität würde durch rechtlich gestützte soziale Prozesse der Zuschreibung generiert, zu erheblich flexibleren Ansatzmöglichkeiten des Rechtsdiskurses führt, seinerseits das Persönlichkeitsrecht rechtssystemintern zu formen – und sei es durch den Verweis auf kantisch-traditionale Gehalte des kulturellen Diskurses um Person und Identität162. c) Die implizite Logik der Interessen-Kategorie Im Rahmen des Interessenansatzes richtet sich die aufgrund der herrschenden rahmenrechtlichen Konstruktion des Persönlichkeitsrechts erfordaß jede Interpretation des Rechts ihre philosophischen Bezüge hat, nur werden sie rechtssystemintern umgeformt. 158 Beide Zitate auf der Grundlage des späten Wittgensteins bei Bieri, Zeitschrift für philosophische Forschung 36 (1982), 3 (4 f.). Siehe allgemein zu einem derartigen Verstehens-Begriff kurz Goebel, Rechtsgespräch und kreativer Dissens, 28 ff. 159 So Baston-Vogt, Der sachliche Schutzbereich, 90. 160 Dazu Luhmann, SozWelt 42 (1991), 166 ff.; ders., Die Gesellschaft der Gesellschaft, 106 ff. 161 Luhmann, SozWelt 42 (1991), 166 (174). Luhmann weist selbst (ebda., 174 Fn. 26) darauf hin, daß man im weiteren dann bei Theorien des Gewissens oder bei Vorstellungen über die Verinnerlichung sozialer Zwänge landet, und bemerkt zugleich, daß damit längst Bekanntes theoretisch besser unterfangen wird. So ist es auch im Recht: Der differenztheoretische Ansatz hilft, dogmatisch längst Anerkanntes sinnvoller zu untermauern. 162 Wie dies etwa bei Baston-Vogt, Der sachliche Schutzbereich, 214 mit 32 ff., geschieht.

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derliche Güterabwägung nach der Logik der Interessen-Kategorie. Traten für den kantischen Ansatz aufgrund seiner reflexionstheoretischen Prämissen die oben geschilderten Probleme auf den Plan, so bleibt auch der Interessenansatz von Schwierigkeiten nicht verschont. Kurz gesagt: Stand der ethische Personalismus in Gefahr, das reflexionstheoretisch unterfangene Personale so zu überhöhen, daß in rechtlicher Sicht die Gefahrenlage der hochdifferenzierten und interdependenten, arbeitsteilig organisierten modernen Gesellschaft nicht angemessen widergespiegelt zu werden vermag, findet der Interessenansatz umgekehrt – und zwar eben weil er an Interessen ansetzt – zu einer inzidenten Abwertung personaler Identität. Denn einer jeglichen Orientierung des Rechtsschutzes am Leitbild der „Interessenverfolgung“ ist implizit die Gefahr inhärent, Interessenverfolgung mit rationalem Handeln gleichzusetzen und damit das nicht-rationale Handeln normativ inzident abzuwerten und theoriekonzeptionell zu marginalisieren. Dies liegt einfach daran, daß gemeinhin die Kategorie der „Interessenverfolgung“ mit dem Handlungstypus des zweckrationalen Handelns (Mittel: Handeln; Zweck: Interesse; Verbindung beider: Rationalität) korreliert wird. Handeln erscheint dann als weitgehend in die Vorstellungswelten der in der Handlungstheorie seit Max Weber so prominenten Kategorien von „Zweck“ und „Mittel“ eingespannt163 – was freilich im Ausgang der interessenorientierten Jurisprudenz vom Zweckdenken Jherings auch nicht weiter verwunderlich ist164. Bekanntlich versucht Jhering in Frontstellung zu den Willenstheorien die Verankerung der Rechtsperson in der Sozietät hervorzuheben, was verbreiteter Ansicht nach dazu führt, daß das Recht „zum Spielball der jeweils in der Gesellschaft vorherrschenden Interessen werde“165 und daß innerhalb der Rechtstheorie eine wirkungsgeschichtlich äußerst mächtige Hinwendung des Rechtsdenkens zu einer utilitaristischen Rechtsanschauung auf den Plan trat166. Persönlichkeitsentfaltung erscheint daher mit Blick auf die Interessenkategorie als die rationale (nämlich auf das Zweck-Mittel-Schema bezogene) Ausprägung qua Zwecksetzung manifestierter und mithin bewußter Bedürfnisse167. Nun soll es aber gleichsam Signum des Persönlichkeitsrechts sein, der Rechtsperson bezüglich ihrer höchstpersönlichen Angelegenheiten einen 163

Sehr deutlich etwa bei Baston-Vogt, Der sachliche Schutzbereich, 91. Siehe zur Entwicklung der Semantik des Interesses nur kurz Luhmann, in: ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 3, 149 (238 ff.). 165 Larenz, Methodenlehre, 5. Aufl. 1983, 48. Weitere Nachweise bei Fikentscher, Methodenlehre, Bd. 3, 277 Fn. 643. 166 Zu dieser Interpretation der Rechtsentwicklung siehe Fezer, Teilhabe, 222 ff.; Coing, in: Blühdorn/Ritter (Hrsg.), Philosophie und Rechtswissenschaft, 149 (169 ff.). 167 Dies ist natürlich nicht auf den rechtsdogmatischen Ansatz an Interessen beschränkt, so geht beispielsweise im Zusammenhang mit dem Ordoliberalismus 164

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inhaltlich ungebundenen Entscheidungsspielraum zuzubilligen168. Das Persönlichkeitsrecht gibt demnach nicht nur ein „Recht an der Nuance“169, sondern in seinem Anwendungsbereich (sic!) vor allem auch ein Recht auf ein explizit unvernünftiges, irrationales und nach den tradierten Sitten-codices der jeweiligen sozialen Bezugsgruppe auch nicht billigenswertes Handeln, solange nur die Grenzen zur Sitten- oder Gesetzwidrigkeit nicht überschritten und die rahmenrechtlichen Vorgaben des Persönlichkeitsschutzes gewahrt werden, sprich die Güterabwägung zu Gunsten des Persönlichkeitsrechts ausgeht170. Das Persönlichkeitsrecht hat demnach auch etwas mit sozialen Gefühlen wie Liebe, Haß, Neid oder Hochachtung zu tun, Gefühle von denen Waldenfels anschaulich bemerkt, sie seien der „basso continuo unseres intersubjektiven Verhaltens, nicht bloß eigene Bedürfnisse betreffend, sondern eröffnend, verschließend, fesselnd, abstoßend und appellierend auf den anderen gerichtet“ 171. Es geht mithin nicht an, von vornherein nur dem räsonnierenden Interesse (und nicht auch der entfesselten Passion) und nur der klug-überlegenden Kalkulation (und nicht auch dem verantwortungslosen Begehren)172 einen Persönlichkeitsschutz zuteil werden zu lassen. Insofern ist stellenweise zu Recht davon die Rede, daß im Rahmen des Persönlichkeitsschutzes Interessen und die sie steuernden und begrenzenden Normen sekundär seien, da die Kriterien der Privatheit und die Ausbildung personaler Identität gegenüber jeglichen Interessengegensätzen ursprünglicher seien173. Der Interessenansatz muß also aus einer rein utilitaristischen Verklammerung gelöst und die Personenbezogenheit des Rechts gleichwerReuter, Privatrechtliche Schranken, 114, davon aus, die Privatautonomie fuße auf der Annahme einer rationalen Teilhabe am Rechtsverkehr. 168 BVerfGE 20, 56 (97); 30, 336 (347); 32, 373 (380); 52, 131 (184); Degenhart, JuS 1992, 361 (366); Schapp, AcP 192 (1992), 355 (360 ff.). 169 Sólyom, Die Persönlichkeitsrechte, 205. 170 Die andere Ansicht, die die persönlichkeitsrechtliche Selbstbestimmung auf vernünftige Selbstbestimmung beschränken möchte (so etwa Erman-Ehmann, Anh. § 12 Rn. 28 ff., 73), überzeugt insofern nicht. Interessant ist in diesem Zusammenhang sicherlich die Beobachtung, daß Ehmann im Schuldrecht durchweg im Gefolge eines letztlich utilitaristischen Rechtsverständnisses und auf der Basis der Gedanken von Kress, Allg SchuldR, § 5, die Zweckkategorie zum Ausgangspunkt seines Schuldrechtsverständnisses nimmt, Ehmann, Gesamtschuld, 130 ff., 192 – wie dies auch bei anderen Kress-Schülern beobachtet werden kann, siehe vornehmlich Weitnauer, in: Ungerechtfertigte Bereicherung, 25 (51 ff.); ders., Festschrift v. Caemmerer, 255 ff.; ansonsten zum Problem noch Schnauder, Grundfragen, 18 f. Der Rekurs von Ehmann auf „vernünftige Selbstbestimmung“ überrascht bei einem derartigen Zweck-Denken kaum noch. 171 Waldenfels, In den Netzen der Lebenswelt, 105 (Hervorhebung getilgt), im Zusammenhang mit der Diskussion der Theorie des kommunikativen Handelns. 172 Formulierung in Anlehnung an Luhmann, in: ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 3, 149 (239). 173 Rüpke, Der verfassungsrechtliche Schutz der Privatheit, 77 f.

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tig neben der Gesellschaftlichkeit des Rechts geltungstheoretisch hervorgehoben werden, wie dies etwa bei der Jhering-Interpretation von Schelsky174 oder im Anschluß hieran bei Fikentscher175 der Fall ist. Das prononciert expressiv-irrationale Handeln mit seinem Insistieren auf die rechtliche Relevanz situativer und biographischer Zusammenhänge sollte nach all dem daher der Dogmatik des Persönlichkeitsrechts nicht als ein bloß marginales Anhängsel des Zweck-Mittel-Schemas erscheinen – als Anhängsel eines Schemas mithin, welches ansonsten in seiner Hauptstoßrichtung auf den Schutz einsichtiger Interessen bezogen ist, so daß der Einbezug des expressiv-irrationalen Handelns in die Dogmatik nur noch erforderlich erscheint, um ihre innere Einheit zu wahren176. Das nicht-rationale Handeln sollte daher nicht schon durch den impliziten begrifflichen Zuschnitt der Rechtsgrammatik als bloß defizienter Modus des vom Recht eigentlich avisierten rationalen Handeln dogmatisch marginalisiert werden. Vielmehr muß eine sachgerechte persönlichkeitsrechtliche Dogmatik das expressiv-irrationale Handeln als ein prominentes und explizit sinnvolles Element des persönlichkeitsrechtlichen Interessenschutzes ausweisen177 – was sich für ein personfunktionales Erbrechtsdenken als überaus wichtig erweisen wird. Indem dem expressiv-irrationalen Handeln ein sinnvoller Status zugebilligt wird, wird freilich der ethische Personalismus hinter sich gelassen. Denn dieser setzt ja deswegen auf Legalität, um der Person die Moralität zu eröffnen. Handeln im Sinne der Moralität ist aber gerade kein expressiv-irrationales Handeln, sondern qua Vernunft ein Handeln aus Pflicht (subjektives Element: autonome Motivation)178 – so wie ein Handeln entsprechend der Legalität ein Handeln gemäß der Pflicht ist. Der ethische Personalismus wird daher zwar ohne weiteres das expressiv-irrationale Handeln tolerieren; es wird ihm aber durchweg suspekt anmuten. Auch dies wiederum ist ein Anzeichen dafür, daß sich der Interessenansatz bei der persönlichkeitsrechtlichen Güterabwägung flexibler halten wird als der kan174

Schelsky, JRR 3 (1972), 47 (72 ff.). Fikentscher, Methodenlehre, Bd. 3, 187 ff., 251 ff., 276 f., zu Schelsky ebda., 243 f., 274. 176 Ein kritischer Rationalist würde hier von einer „degenerativen Problemverschiebung“ iS Lakatos (ders., in: ders./Musgrave (Hrsg.), Citicism and the Growth of Knowledge, 91 (insbes. 116 ff.) sprechen. Eine degenerative Problemverschiebung ist ein Vorgehen, mittels dessen ein Forschungsprogramm nur noch durch post-hoc-Erklärungen in Reaktion auf durch konkurrierende Programme vorgeführte Problemstellungen gerettet werden kann. 177 Nur so kann der oben schon dargelegten Prämisse Rechnung getragen werden, das Persönlichkeitsrecht billige der Rechtsperson einen inhaltlich ungebundenen Entscheidungsraum zu. Ansonsten siehe zum Verhältnis von expressivem und rationalem Handeln allgemein aus handlungstheoretischer Sicht Joas, Die Kreativität des Handelns, 213 ff., 218 ff. 178 Auf autonome Motivation kommt es beim Handeln kraft Legalität nicht an. 175

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tische Ansatz. Ansonsten aber gilt: Im Interessenansatz wird die Bedeutung expressiv-irrationalen Handelns gewahrt, wenn die Interessenkategorie entsprechend dem zuvor Gesagten auch auf das expressiv-irrationale Handeln zugeschnitten wird. Von dieser Grundlegung aus muß dann der Wertungsabgleich mit dem personfunktional gedeuteten gewillkürten Erbrecht erfolgen. 4. Der Ansatz an der kommunikativen Genese der selbstbestimmten Eigendarstellung Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist nicht nur auf den ethischen Personalismus Kants und auf einen Interessenschutz, sondern auch auf soziale Prozesse der kommunikativen Genese der selbstbestimmten Eigendarstellung zurückgeführt worden179. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wird hier vornehmlich als Frucht einer genuinen Leistung der Rechtsperson entwickelt180. Zwei Strömungen lassen sich in der bisherigen rechtsdogmatischen Diskussion beispielhaft unterscheiden. Die eine Strömung macht neukantianisch-existentialistische Überlegungen im Gefolge Nicolai Hartmanns und Werner Maihofers für die Dogmatik des Persönlichkeitsrechts fruchtbar181. Danach ist Persönlichkeit die „Gesamtheit der seelischen und intellektuellen Anlagen einer Person, ist nicht als Zustand zu begreifen, sie ist ein beständig vollzogener, im zeitlichen und situationellen Geschehensablauf niemals endgültig abgeschlossener Prozeß des Bewußtseins: So wenig die Person jemals ein fertig vollzogenes geistiges Bewußtsein hat, so sehr hat sie eine Persönlichkeit, die jederzeit nur Entwurf in einer möglichen Entwicklung ist. Geist und Persönlichkeit müssen sich durch Selbst-Herstellung, Sich-Selbst-Vollziehen jederzeit zu dem machen, was sie sind. (. . .) Das Selbstsein ist danach nicht bloß ein Zustand, es ist ein Geschehen, das sich in uns und mit uns vollzieht, eine „Vollbringung des eigensten Selbstseins“ in Freiheit und Autonomie“182. Die damit verbundene „Fähigkeit zur Selbstgestaltung eröffnet sich nur Wesen, denen es gegeben ist, sich der eigenen Existenz bewußt zu werden, sich dieser im Wege der Reflexion wie einem von der eigenen Person unterscheidbaren Gegenstand gegenüberzustellen, so daß die eigene Persönlichkeit als Stoff möglicher Eigengestaltung 179 Derartige Strömungen sind auch bei der positiven Bestimmung des Menschenwürdebegriffes der Verfassung fruchtbar gemacht worden, siehe die Übersicht bei Dreier-Dreier, Art. 1 Abs. 1 GG Rn. 42 f. 180 Grundlegend im Rahmen der Grundrechtsdogmatik Luhmann, Grundrechte als Institution, 64 ff. 181 Paradigmatisch Kau, Vom Persönlichkeitsschutz zum Funktionsschutz, 82 ff., auf der Grundlage Nicolai Hartmanns und Werner Maihofers. Auf Nicolai Hartmann beruft sich bekanntlich auch Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, 65 f. Ansonsten siehe etwa Morgenthaler, Freiheit durch Gesetz, 152. 182 Kau, Vom Persönlichkeitsschutz zum Funktionsschutz, 82, Hervorhebung i. O.

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erfaßt und ins Werk gesetzt werden kann.“183 Der reflexionstheoretische Duktus wird abgerundet durch die Überlegung, daß nur derjenige, der zur Selbsterkenntnis berufen sei, seinem Tätigwerden jene autonome Entscheidung über die Art und Weise seiner Entfaltung voranzuschalten vermag, die – soweit sie wesentlich auf die eigene Person rückbezogen ist – zum Kernbereich der Persönlichkeit zählt184. Da sich die Persönlichkeits- und Identitätsentwicklung im Rahmen der interpersonalen Kommunikation als Teil eines gesellschaftlichen Prozesses der Auseinandersetzung mit anderen vollzieht und diese Auseinandersetzung voraussetzt, daß sich die Person in den Dialog mit anderen unverfälscht und eigenbestimmt einbringen kann, muß der Rechtsperson nach diesem Ansatz ermöglicht werden, ein selbstbestimmtes Eigenbild an ihr Umfeld zu vermitteln185. Das Persönlichkeitsrecht wird hier zu einem Recht auf unverfälschte Selbstdarstellung gegenüber Dritten. Persönlichkeitsschutz bedeutet insofern nichts anderes, als „die Grundlagen der sich in Selbstbestimmung vollziehenden Persönlichkeitsausbildung zu schützen. Persönlichkeitsschutz ist vor allem Schutz des Selbst-seins und Selbst-werdens im dauernden Prozeß des Sich-selbst-konstituierens.“186 Die zweite Strömung, welche auf die sozialen Prozesse der kommunikativen Genese der selbstbestimmten Eigendarstellung zurückgreift, entledigt sich jeglichen neukantianisch-existentialistischen Konnotationen. Sie rekurriert zwar ebenfalls auf den prozeßhaften Charakter der Persönlichkeitsbildung und begreift Persönlichkeit als das Ergebnis eines kommunikativen Prozesses sozialer Selbstdarstellung in der Entfaltung des Menschen durch den Menschen187. Nur wird der grundlagentheoretische Anknüpfungspunkt ausgewechselt und werden kommunikations- und sozialisationstheoretische sowie psychoanalytische Erkenntnisse verwertet188. Das Phänomen der Privatheit wird nunmehr – ähnlich wie bei dem persönlichkeitsrechtlichen In183

Kau, Vom Persönlichkeitsschutz zum Funktionsschutz, 81. Kau, Vom Persönlichkeitsschutz zum Funktionsschutz, 81. Nur am Rande sei vermerkt, daß mit diesen reflexionsphilosophischen Implikationen ein persönlichkeitsrechtlicher Schutz beispielsweise geistig-behinderter Menschen nicht mehr in den Kreis dessen fällt, welches durch Theorie kohärent erfaßt werden kann, wenn die Reflexionsmöglichkeit auf den empirischen Menschen bezogen wird. Die von Foucault so eindringlich beschriebene Ausschlußfunktion der Kategorie der „Geisteskrankheit“ und der Zusammenhang zwischen Vernunftaufklärung und der Einschließung von Geistesgestörten erfährt hier eine rechtliche Unterstützung. 185 Kau, Vom Persönlichkeitsschutz zum Funktionsschutz, 83. 186 Kau, Vom Persönlichkeitsschutz zum Funktionsschutz, 87. 187 Siehe zu dieser kommunikationstheoretischen Gründung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Rüpke, Der verfassungsrechtliche Schutz der Privatheit, 75 ff.; Wellbrock, Persönlichkeitsschutz, 95 ff.; Morlok, Selbstverständnis, 71 f.; ähnlich Suhr, Entfaltung der Menschen durch die Menschen, 85 ff.; siehe auch Luhmann, Grundrechte als Institution, 61 ff. 184

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teressenansatz nach der Umstellung der Persönlichkeitsrechtssemantik von Identität auf Differenz – aus einer fortgesetzten Dialektik von sozialer Kommunikation und persönlicher Identität her verstanden, einer Dialektik, die der gängigen liberal-utilitaristischen Deutung von „privacy“ als Ausdruck individueller Autonomie entgehen soll189. Privatheit bedeutet nach diesem Ansatz mithin nicht, daß bestimmte Sphären personaler Innerlichkeit dem Zugriff Dritter entzogen sind, sondern nur, daß die autonome Entscheidung des einzelnen über die Art und Weise seiner Selbstdarstellung geschützt sei. Der Persönlichkeitsschutz erhält so vornehmlich die Funktion, einen unverfälschten und unbehelligten Kommunikationsprozeß zu gewährleisten, in der quasi wie bei der sozialen Genese des Selbsts im Zuge der Sozialisation auch die kommunikative Genese der selbstbestimmten Eigendarstellung geschützt würde – Anklänge zu der hegelschen Sicht der Entfaltung des Selbstbewußtseins durch den intersubjektiven Prozeß der Anerkennung liegen auf der Hand190. Kommunikations- und sozialisationstheoretische Konzepte der Persönlichkeit haben durchaus reüssiert, man denke etwa an das habermassche Verständnis von Persönlichkeit als „Kunstwort für erworbene Kompetenzen, die ein Subjekt sprach- und handlungsfähig machen und damit instandsetzen, in einem jeweils gegebenen Kontext an Verständigungsprozessen teilzunehmen und in wechselnden Interaktionszusammenhängen die eigene Identität zu behaupten“191 Ähnlich ordnete das BVerfG im Volkszählungsurteil dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht die Aufgabe zu, „Wert und Würde der Person, die in freier Selbstbestimmung als Glied einer Gemeinschaft wirkt“, und insofern die sich „innerhalb der sozialen Gemeinschaft entfaltende, auf Kommunikation angewiesene Persönlichkeit“ zu schützen192. Rechtsphilosophisch finden derartige kommunikations- und sozialisationstheoretische Ansätze ihr Pendant, wenn die Autonomie der Rechtsperson u. a. als (Mit-)Autorenschaft des eigenen Lebens begriffen wird193. Das Persönlichkeitsrecht kann dann als ein Baustein desjenigen Rechts verstanden werden, unter dessen Schutz die Rechtsperson ihre umfassenden Lebensziele und Beziehungen so wählen kann, daß die moralische und biographische Integrität des eigenen Lebensentwurfs bewahrt bleibt194.

188 Als Überblick zu sozialwissenschaftlichen und psychologischen Identitätskonzepten siehe kurz Häberle, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 1, § 20 Rn. 48 f. 189 Rüpke, Der verfassungsrechtliche Schutz der Privatheit, 76. 190 Dazu unten § 10 VI 2. 191 Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne, 398; ähnlich ders., Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 2, 209. 192 BVerfGE 65, 1 (41, 44). 193 So etwa Raz, The Morality of Freedom, 154 f., 204 ff.

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V. Testierfreiheit und Personalität des Erblassers im Wertungsabgleich 1. Identität und soziale Geltung Soweit der Wertungsabgleich zwischen dem auf dem ethischen Personalismus oder auf dem Gedanken des Interessenschutzes gegründeten allgemeinen Persönlichkeitsrecht auf der einen und dem gewillkürten Erbrecht in der hiesigen Fassung eines funktionalen Persönlichkeitsrechts auf der anderen Seite zur Rede steht, lassen sich den bei beiden grundlagentheoretischen Ansätzen zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht gleichermaßen anerkannten Fallgruppen dieses Rechts im wesentlichen195 zwei Schutzbereichspaaren zuordnen196: dem Schutz vor Entstellung und Herabsetzung (mithin: Schutz geäußerter Identität und der damit verbundenen sozialen Geltung) sowie dem Schutz vor dem unbefugten Erlangen und der Verbreitung persönlichkeitsrelevanter Daten (mithin: Schutz nicht-geäußerter Identität und der damit verbundenen sozialen Geltung) – kurz: Identität und soziale Geltung. Die Kriterien der Identität und der sozialen Geltung sind indes für einen Wertungsabgleich mit dem gewillkürten Erbrecht kaum fruchtbar, da nicht deutlich wird, was denn nun die testamentarische Verarbeitung der Todeserfahrung auf der einen und Identität und soziale Geltung auf der anderen Seite in der Wertung genau verbinden soll. In dieser Situation hilft nur, auf diejenigen Vorstellungen zurückzugehen, welche Identität und sozialer Geltung selbst zugrundeliegen, um von dort aus die Plattform zu entschlüsseln, auf der überhaupt erst ein Wertungsvergleich sinnvoll stattfinden kann. Nun sind Identität und soziale Geltung innerhalb des rechtlichen Diskurses keine Gegenstände eigener Zweckhaftigkeit, sondern dienen als dogmatische Chiffren, mit denen dem Individuum eine autonome und an höchstpersönlichen Maßstäben gemessene Lebensgestaltung ermöglicht werden soll197. Der Autonomie-Begriff erinnert hierbei nur noch schattenhaft an den rezeptionsgeschichtlichen Ausgang im ethischen Personalismus Kants, sondern steht eher – wie im Rahmen der kurzen entwicklungsgeschichtlichen Skizze angerissen wurde198 – für einen dem empirischen Willen der 194 Allgemein dazu Raz, The Morality of Freedom, 152, freilich ohne Bezug auf das Allgemeine Persönlichkeitsrecht. 195 Der Schutz vor kommerzieller Ausnutzung, der Schutz persönlichkeitsrelevanter Bereiche der Entscheidungsfreiheit und der Schutz der Belästigung lassen sich in dieser Zweiteilung selbstredend nicht unterbringen, was aber mit Blick auf den Wertungsabgleich auch nicht schaden wird. 196 So etwa Larenz/Canaris, SchuldR II/2, § 80 III 1 a. 197 So etwa Baston-Vogt, Der sachliche Schutzbereich, 151.

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Rechtsperson gemäßen Entwurf ihrer selbst, die sich im Kontext der zwischenmenschlichen Sozietät zu plazieren und zudem über sich selbst Rechenschaft abzulegen gedenkt. Die die kantische Grundlegung des Persönlichkeitsrechts bestimmende Ausrichtung der Autonomie auf Moralität (und die darin verklammerte deontologische Konzeption des Gerechten bei strikter Ablehnung sämtlicher Entwürfe eines guten Lebens) wird bei dieser Anküpfung an den empirischen Willen verlassen, was ja auch vor dem Hintergrund der obigen Analysen zum ethischen Personalismus nicht weiter verwunderlich ist. Im Rahmen des Wertungsabgleichs zwischen Persönlichkeitsrecht und gewillkürtem Erbrecht kann außen vor bleiben, daß im derzeitigen Stand der Dogmatik nicht thematisiert wird, was es rechtlich damit auf sich hat, wenn von zahlreichen Seiten ein Identitäts-konstituierender Halt des Individuums in der Reflexion (dem Selbst-Entwurf) gerade bestritten wird. Denn diese offene Flanke der Dogmatik schadet ja dem Wertungsanschluß des gewillkürten Erbrechts an persönlichkeitsrechtliche dogmatische Vorentscheidungen dann nicht, wenn sie bei den Vorentscheidungen selbst inhaltlich keine nähere Rolle spielt; Vorentscheidungen bleiben bei einem Wertungsabgleich nun einmal Vorentscheidungen199. Es reicht vielmehr aus, darauf zu verweisen, daß die im Persönlichkeitsrecht verankerte Höchstpersönlichkeit richtigerweise bedeutet: der Person als ihr und nur ihr eigen vom Recht zugeschrieben. Gerade diese Einsicht war eines der Ergebnisse der hiesigen Untersuchungen zum persönlichkeitsrechtlichen Interessenansatz. 2. Die Persönlichkeit und ihr Recht als Ergebnis wertender Zurechnung Das Persönlichkeitsrecht erscheint nunmehr als Schutz der dynamisch angelegten inneren Organisation von Werten, Wünschen und Erwartungen, welche das charakteristische Verhalten eines Individuums bestimmt und die Außeneinflüsse bricht, die auf es einwirken200. Es tritt mithin als Signum einer willentlichen Wahl zwischen verschiedenen Perspektiven auf den Plan: zwischen verschiedenen Konzepten des gelingenden guten Lebens (Kategorie: das Gute201)202, zwischen den richtigen Normen des eigenen 198 199 200

Oben § 10 IV 2 b. Siehe dazu schon oben § 10 I. So die Definition zum Persönlichkeitsschutz bei Morlok, Selbstverständnis,

71. 201

Konzeptionen des Guten (die heute zumeist mit dem Etikett „kommunitaristisch“ versehen werden) stehen maßgeblich in der aristotelischen Tradition der Moraltheorie. Es werden die Bindungen des einzelnen betont, die sich aus partikularen, je verschieden kulturell geprägten und sprachlich vermittelten Hintergrundhorizonten entfalten. Moralische Überzeugungen gelten insofern in den normativen Hori-

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Handelns (Kategorie: das Gerechte), zwischen den verschiedenen Wegen zum Glück (Kategorie: Innerlichkeit), zwischen den verschiedenen Möglichkeiten, die Welt (Kategorie: Sozialität) oder auch sich selbst (Kategorie: Individualität) zu begreifen und sich hier zu positionieren, sowie zwischen den verschiedenen Optionen, ob und inwieweit mit der Sozietät über die je erwählten Projekte des Guten, des Gerechten, der Innerlichkeit, der Sozialität oder der Individualität überhaupt in Kontakt getreten werden soll (Kategorie: Intimität). Diese Wahl wird sodann rechtssystemintern nach dem Stand unserer gegebenen Wertungs- und Argumentationskultur203 als höchstpersönlich rekonstruiert, mithin dem personalen Selbst als unmittelbar204 eigen (als Ausdruck der „auf die eigene Person rückbezogenen Autonomie“205) zugeschrieben. Damit sind zwei Aspekte verbunden. Einmal stellt das Persönlichkeitsrecht eine rechtssysteminterne Ordnungsleistung dar, welche Verhaltenserwartungen206 nicht nach den Schemata von Rollen, Programmen und Werzont einer (partikularen) Lebensform eingebunden und werden damit im Gegensatz zum Liberalismus kantischer Prägung nicht universalisiert. Zugleich wird die handlungsleitende Bedeutung von Werten (was für ein liberalistisches Denken schlichtweg skandalös ist) und ganz generell die Einbettung des einzelnen in Gemeinschaft (die der Liberalismus gerade hinterfragen will) für wichtig gehalten. Somek, Rechtssystem und Republik, 267, hat die grundlegende These des Kommunitarismus anschaulich beschrieben: „Die vorgegebene Normativität der Gemeinschaftsbeziehung stattet uns (. . .) mit einem Fundus an Überzeugungen aus, die wir nicht einfach ablegen können, ohne unsere Persönlichkeit zu verlieren“. Siehe zur Diskussion um Kommunitarimus und Liberalismus nur Reese-Schäfer, Grenzgötter der Moral, 1997; sowie die Beiträge in dem Sammelband von Honneth (Hrsg.), Kommunitarismus, 1993. 202 Charles Taylor, Quellen des Selbst, 66, 103 und öfters, geht davon aus, daß eines der maßgeblichsten Merkmale des Begriffs des Selbsts ist, nicht ohne eine Orientierung auf das Gute auszukommen. Aufgabe des Persönlichkeitsrechts wäre es demgegenüber einer rechtlichen Verpflichtung der Rechtsperson auf das Gute zu widerstreiten, solange es darum ginge, die Ausrichtung auf das Gute als Ausdruck der eigenen Persönlichkeit manifestieren zu müssen. 203 Siehe im Rahmen des Verfassungsrechts zu einem Ansatz, der ebenfalls auf Kultur rekurriert, Häberle, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. 1, § 20 Rn. 46 ff.; ders., RTh 1980, 389 (403 ff.). 204 In diesem Merkmal wird gemeinhin die Abgrenzung zum Vermögensrecht verankert. So soll das Persönlichkeitsrecht nicht die Verhältnisse der Individuen zueinander in Bezug auf die „äußere Welt“ betreffen (so die bekannte Formulierung v. Savignys, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. 1, 344 f.), sondern es schütze die Beziehung des Rechtsträgers zu sich selbst (siehe etwa Baston-Vogt, Der sachliche Schutzbereich, 220). 205 Kau, Persönlichkeitsschutz, 90. 206 Mittels Verhaltenserwartungen (besser: Erwartungen von Erwartungen) wird ein bestimmtes Problem in der reduktiven Verarbeitung von Komplexität erfaßt. In der Erlebnisverarbeitung des einzelnen werden die Erlebnis- und Verhaltensprämissen stabilisiert, die gute Selektionsleistungen ermöglichen anbetrachts des Risikos,

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ten, sondern nach dem Erwartungszusammenhang „Person“ ordnet207. Insoweit sollte Kelsen208 und Radbruch209 durchaus beigepflichtet werden, auch der Mensch als Rechtsperson (gemeinhin: natürliche Person) sei bei Lichte betrachtet nichts anderes als eine juristische Person. Eine Person wird rechtssystemintern konstituiert, „um Verhaltenserwartungen ordnen zu können, die durch sie und nur durch sie eingelöst werden können“210. Es wird damit der oben211 schon auf einer eher allgemeinen Ebene beschriebenen Einsicht Rechnung getragen, daß im Zuge der zunehmenden gesellschaftlichen Individualisierungsprozesse, welche durch die funktionale Differenzierung und soziale Spezifizierung hervorgerufen worden sind212, die gesellschaftlichen Rollen und das personale Selbst mehr und mehr auf Distanz voneinander gehen, so daß die Identität der Person in den Rollenspezifizierungen nicht mehr eingefangen gedacht werden kann, sondern auf umfassendere Selbstthematisierung drängt. „Weder können die individuellen Vorstellungen in den spezialisierten Sozialbeziehungen ausgelebt werden: Expressionsfrustration, noch kann umgekehrt aus diesen Beziehungen hinreichend „Sinn“ für die eigene Existenz gewonnen werden, weil diese eben umfassender ist als jene Beziehung: Sinndefizit“213. Wird in dieser Spannung zwischen Expressionsfrustration und Sinndefizit eine personale Identidaß die angezeigten Möglichkeiten weiteren Erlebens auch anders als erwartet wurde, ausfallen können (einfache Kontingenz). Es sind dann Erwartungen gebildet worden. Nun bringt der Kontakt mit anderen, die selbst wiederum in bestimmter Weise erleben und Erwartungen bilden, ein gewisses Moment der Unruhe mit sich. Die einfache Kontingenz wird zur doppelten Kontingenz der sozialen Welt gesteigert. Hier sind dann andere Erwartungsstrukturen erforderlich: Man muß auch die Erwartungen des anderen erwarten können (doppelte Kontingenz). In einem jeden sozialen Kontakt ist daher ein Erwarten von Erwartungen notwendig, vgl. dazu Luhmann, Rechtssoziologie, 31 ff. 207 Erwartungserwartungen werden in sozialen Systemen „generalisiert“, es werden also in das System Strukturen eingebaut, die Sinnentwürfe ermöglichen. Diese Strukturen werden sachlich auf den je abstrakter werdenden Ebenen von konkreter Person, konkreter Rolle, bestimmten Programmen (Zwecke oder Normen) oder Werten fixiert, vgl. Luhmann, Rechtssoziologie, 80 ff., 85 ff.; ders., Soziale Systeme, 429 ff. 208 Kelsen, Reine Rechtslehre, 178. 209 Radbruch, Rechtsphilosophie, Gesamtausgabe Bd. 2, 365. 210 Luhmann, Soziale Systeme, 429. Freilich ist diese „Zuschreibungssicht“ weder besonders neu noch besonders originell, sondern steht in einer langen Traditionslinie, wenn man auf einem gewissen Abstraktionsniveau die Theorieentwicklung betrachtet und die zweifellos vorhandenen Unterschiede vernachlässigt, die den je verschiedenen Methodiken, zeitlichen Gegebenheiten und Herangehensweisen geschuldet sind. 211 § 10 IV 3 b. 212 Dazu im Rahmen der Selbstverständnis-Thematik Morlok, Selbstverständnis, 24 ff. 213 Morlok, Selbstverständnis, 233.

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tät gewoben, erscheint diese nur aus der Perspektive der jeweiligen Person als genau das, was sie ist: Sie ist ein von sozialen Rollen dissoziiertes Selbst. Und dieses „Ist“ kann rechtlich nicht von außen als in irgendeiner Weise unsinnig abgewiesen werden214. Nur so bleibt die Stabilität der Zuordnung der Verhaltenserwartungen an den Erwartungszusammenhang „Person“ innerhalb funktional durchorganisierter Gesellschaften bestehen215. Damit ist der zweite Aspekt angesprochen, nämlich der, wie diese Zurechnung von Verhaltenserwartungen erfolgt. Hier braucht für den in dieser Untersuchung avisierten Wertungsabgleich zuvörderst nicht mehr gesagt werden, als daß die Zurechnung nach Maßgabe unserer gegebenen Wertungs- und Argumentationskultur geschieht; auf die oben216 angesprochenen anerkannten Fallgruppen sei hierbei verwiesen. Das Recht folgt hier freilich nicht denjenigen sozialen Zurechnungsprozessen, denen sich das Individuum in der Gesellschaft gegenüber gestellt sieht. Recht würde ansonsten seine Schutzfunktion verlieren und sich den wechselnden Zurechnungen im sozialen Handeln ausliefern; das Persönlichkeitsrecht soll ja auch davor schützen, soziale Zurechnungen akzeptieren zu müssen. Das Recht kann vielmehr der Person auch solche Thematiken als Ausdruck ihrer Persönlichkeit zuschreiben, die im sozialen Verkehr gemeinhin bei einer bestimmten Abstraktionslage (negativ ausgedrückt: bei mangelnder Differenzierungsleistung der sozialen Zuschreibungsprozesse) gerade als unpersönlich (etwa als mit dem Vermögen zusammenhängend) ausgegeben werden. Freilich muß man für eine derartige Zuschreibung Gründe haben, da ansonsten der geltungstheoretische Entwurf des Gesetzes zum Recht nicht gelingen wird. Doch wenn Gründe vorhanden sind, verfangen Überlegungen der Art nicht mehr, gemeinhin würde aber dies oder das nicht als Manifestation personaler Identität begriffen. Genau eine derartige Zuschreibung durch das Recht erfolgt, wie gezeigt werden wird, bei dem Verständnis des gewillkürten Er-

214 Wie dies beispielsweise bei einem Vertragsangebot der Fall ist, welches selbstverständlich im Grundsatz (Monopolbetriebe seien einmal ausgenommen) abgewiesen werden kann. Die als Ausdruck des allgemeinen Persönlichkeitsrechts konstruierten Angebote, die Erwartungserwartungen der anderen mögen sich auf die je eigene personale Identität gefälligst einstellen, können hingegen nicht abgewiesen werden, wenn die rahmenrechtlich erforderliche Güterabwägung zugunsten des Persönlichkeitsrechts ausgeschlagen hat (ist letzteres nicht der Fall, liegt nach der rahmenrechtlichen Konzeption der h. M. schon kein persönlichkeitsrechtlich relevantes Angebot derart vor, daß der Angebotsadressaten seine Erwartungen auf die Persönlichkeitsrechtsäußerung einstellen muß). In diesem Abweisungsverbot liegt gerade der Sinn des Persönlichkeitsrechts. 215 Zu den Gefahren der Desintegration der Person in funktional durchorganisierten Gesellschaften siehe nur Schelsky, in: ders., Die Soziologen und das Recht, 95 (137 ff.); Morlok, Selbstverständnis, 260 ff. 216 § 10 III 2.

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brechts eben nicht (nur) als Vermögensrecht, sondern als funktionales Persönlichkeitsrecht. Das Persönlichkeitsrecht gibt nach all dem ein Recht der Person auf anzuerkennende Differenz hinsichtlich des je eigenen identitätskonstitutiven Sinnentwurfs, der aus ihrer je eigenen Differenzerfahrung mit ihrer Umwelt gewonnen wird217. 3. Person – Vernunft – Begehren a) Expressivität im personalen Handeln Ein derartiges Recht auf Differenz beinhaltet – wie schon bei der Erörterung des persönlichkeitsrechtlichen Interessenansatzes ausgeführt wurde – auch ein Recht auf „Unvernunft“. Der kantischen Tradition wohnt ja ein Moment der Überbetonung der Vernunft insofern inne, als sich nur derjenige als Person auszeichnet, der sich der Vernunft gemäß das Gesetz der Freiheit als Richtschnur des eigenen Handelns zu eigen macht. Und noch in dem Interessenbegriff der interessenjurisprudentiellen Persönlichkeitsrechtsdogmatik finden sich – wie gezeigt wurde – abgeschattete Residuen eines primär rationalen Handelns vor dem Hintergrund bewußter Bedürfnisse. Ganz allgemein gesehen verknüpft das liberale Verständnis die autonome Lebensführung mit dem Aspekt der Rationalität des Handelns218. Derartige Eigenlogiken, welche die Affektnatur des Menschen zu bändigen suchen (Kant) oder das rechtliche Handeln auf Kriterien wie Nützlichkeit des Erwerbs, der Produktion, der Veräußerung und der Eigentumsmehrung festzulegen trachten (Interessensemantik), sind persönlichkeitsrechtlich nicht überzeugend. Es war schon die Rede davon, daß das Persönlichkeitsrecht der Rechtsperson in seinem Anwendungsbereich einen inhaltlich ungebundenen Entscheidungsspielraum zubilligt, mag die Entscheidung auch noch so unvernünftig oder irrational sein219. Im Vermögensrecht werden hingegen zahlreiche Interessen oft allein deshalb, weil sie Affektionsinteressen sind, als nicht schutzwürdig aus dem Kreis der Risikoverteilungskriterien ausgeschlossen. Mit derartigen Ausschlüssen wird sichergestellt, daß Begehren und Empfinden als nicht verallgemeinerbare Erscheinungen der sinnlichen Welt schon in der Grammatik des Rechts auf geordneten Bahnen zum Ausdruck kommen. Selbst der privatautonome Wille ist nicht als geäußerter innerer Wille relevant, sondern wird – normativiert durch den Horizont eines verständigen Empfängers und damit abhängig von objektivierten Zu217 Zur Umstellung der Persönlichkeitssemantik von Identität auf Differenz siehe oben § 10 IV 3 b. Die Formulierung von „Differenz“ und „identitätskonstitutiv“ ist nicht zufällig: Erst durch die Differenz erfährt das Individuum seine „Identität“. 218 Gosepath, Aufgeklärtes Eigeninteresse, 42 f. 219 Dazu schon oben § 10 IV 3 c.

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rechnungskautelen220 – nach den Bedürfnissen des Rechtssystems konstruiert. Erkennbar steht hinter all dem die Vorstellung, affektive Interessen seien nicht verallgemeinerbar oder zumindest nicht dem Zweck des Rechts dienlich. Denn wenn das Privatrecht – wie in der Jheringschen Tradition – in der Grundtendenz der Verwirklichung eines bestimmten Sozialmodells zu dienen bestimmt ist, ist die affektiv-willkürliche Ausübung von Rechten negativ besetzt221. Im Vermögensrecht wird der Rechtsperson mithin insgesamt gesehen zugemutet, äußere Notwendigkeiten zu internalisieren, um sie dann als innere Freiheit zu leben und als (vermeintlich?) selbstgesetzt zu erfahren – der Rest ist unbeachtlicher Affekt222. Wenn davon ausgegangen wird, daß dort, wo das menschliche Handeln auf die Befriedigung von Bedürfnissen gerichtet ist, es gerade mit dieser Ausrichtung seinen autonomen Charakter kantischer Tradition abzustreifen droht, könnte man folglich mit Lust zur Überspitzung und zum Unterlaufen hergebrachter Differenzierungen durchaus behaupten, daß gerade im Vermögensrecht, welches der Affektion ja deutliche Grenzen setzt, die Gefahr des Autonomieverlusts geringer ist als im Persönlichkeitsrecht, da dieses herrschender Sicht nach durchweg auch dem Sinnlichen des eigenen Selbst als etwas Rechtlichem zu seinem Recht verhelfen soll und gerade damit Autonomie im kantischen Sinne hintertreibt. Denn indem die bei einer Person im konkreten Fall zu beobachtende persönlichkeitsrechtliche Präferenz des Sinnlichen durch das Persönlichkeitsrecht geschützt und damit als Ausdruck des Rechts erscheint, wird ja gerade die kantische Legalität verfehlt, die die Option für das Sinnliche zwar als rechtlich zugelassenes Handeln ansieht, aber doch nur als ein solches Handeln, welches den Sinn der rechtlichen Verbürgung des Persönlichkeitsrechts – nämlich die Ermöglichung, qua Moralität zur Person zu gelingen – nicht trifft. Also: Ist demnach das Vermögensrecht das wahre Persönlichkeitsrecht? Wie dem auch sei: Während die Krux utilitaristischer Konzepte und der liberalen Theorien, welche die Willensfreiheit als Wahlfreiheit im Hinblick auf selbstgesetzte Handlungszwecke erblicken, gerade darin liegt, offen zu lassen, wie der gesetzte Handlungszweck überhaupt zu konventionell geltenden Regeln in Distanz gebracht werden kann223, läßt der normativ orien220 Dazu nur Soergel-Manfred Wolf, 13. Aufl., § 157 Rn. 29 ff., 32 ff., 55 ff.; MünchKomm-Mayer-Maly, § 157 Rn. 2. 221 Dazu schon Pawlowski, AcP 160 (1961), 209 (229). 222 Im europäischen Privatrecht sind Entwicklungen hin zu einem klaren Bekenntnis zur „reasonable person“ beobachtbar (dazu Jürgen Schmidt, FS Großfeld, 1017 (1018 ff.)) und in der deutschen Fassung des Wiener Einheitlichen Kaufrechts (CISG) wird in Art. 8 II, III und in Art. 25 die „vernünftige Person“ eingeführt (dazu Jürgen Schmidt, ebda. 1027). 223 Dazu nur Joas, Die Kreativität des Handelns, 218 ff.

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tierte vermögensrechtliche Rechtsdiskurs hier nichts offen: Die Normalität vermögensrechtlicher Freiheit wird als Nützlichkeit normiert, ohne sich die Erklärungslasten aufzubürden, die mit dieser Trennung von „Vernunft“ und „Begehren“ verbunden sind224. Der Vertrag wird mithin zu einem „entsinnlichten“ Instrument von Gewinn- und Risikozuteilungen am Markt generiert. Im Falle des Persönlichkeitsrechts ist dies alles anders. Hier geht es ja um die Zuschreibung von Verhaltenserwartungen, die nur durch die Rechtsperson und nur durch sie eingelöst werden können, so daß personale Identität nur aus der Perspektive der Rechtsperson zu genau dem wird, was sie ist. Mit anderen Worten: Universalisierungsbestrebungen wie im Vermögensrecht gehen hier ins Leere. Die Affektnatur des Menschen, der Schutz des Auslebens von Partikularitäten (statt Universalisierung) und von Leidenschaften225, die Achtung vor subjektiven Befindlichkeiten und unkontrollierbaren Lebensexperimenten und der Respekt vor unverständlicher Expressivität, vor der Ästhetisierung des eigenen Lebensentwurfs, vor eigenwilligen Inszenierungen des Selbsts und nicht zuletzt vor „Spinnerei“ sind demnach beim Persönlichkeitsrecht anders als bei der liberalen Tradition des Vermögensrechts und der mit ihm verbundenen kognitiv-instrumentellen Vernunft untrennbar mit dem subjektiven Recht verklammert226; 224 Dazu einsichtig, wenn auch manchmal doch etwas sehr einseitig Knieper, Gesetz und Geschichte, 68 ff., 81 ff. Schon Max Weber beobachtete, daß die marktgesellschaftliche Vertragsfreiheit zu einer „Zunahme der zwangsmäßigen Schematisierungen der Lebenführung“ geführt habe, wobei er unter Zwang die Nötigung versteht, „in der ganz unpersönlichen Form der Unvermeidlichkeit, sich den rein ökonomischen „Gesetzen“ des Marktkampfes anzupassen“ (Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 439 f.). Das Vermögensrecht verlängert diese Beobachtung ins Recht – und zwar am ausgeprägtesten bei der Ökonomischen Analyse. 225 Anschaulich formuliert demgegenüber gerade umgekehrt in der Tradition der kantischen und der Philosophie des Deutschen Idealismus Morgenthaler, Freiheit durch Gesetz, 156, zur bürgerlichen Freiheit: „Die Beschränkung von Trieben, Begierden und Leidenschaften darf nicht mit der Einschränkung der Freiheit gleichgesetzt werden“. Diese Kant-Lesart steht in einer gewissen Tradition gerade der juristischen Kant-Deutung, nach der das Recht im wesentlichen darauf gerichtet ist, die Möglichkeit der Pflichterfüllung nach dem moralischen Gesetz für jedermann zu eröffnen (paradigmatisch in der moralteleologischen Rechtsdeutung durch Larenz, in: ders., Reich und Recht in der deutschen Philosophie, Bd. 1, 169 (282): „Das Recht schränkt die Willkür ein um der (transzendentalen) Freiheit willen“, zur Kritik siehe nur Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, 145 ff. 226 Auch innerhalb des moralisch-praktischen Diskurses zeichnen sich Tendenzen ab, die Moralität nicht mehr von der Sinnlichkeit abzugrenzen. Wolfgang Welsch, Vernunft, 516 ff., verweist hierzu auf die Moralphilosophien des amerikanischen Pragmatisten John Dewey, der Ethik des späten Michel Foucault sowie die beiden Kommunitaristen Alasdair McIntyre und Martha C. Nussbaum. Siehe zum Verhältnis von Vernunft, Gefühl und moralische Praxis ansonsten nur Demmerling, in: ders./Gabriel/Rentsch (Hrsg.), Vernunft und Lebenspraxis, 246 ff.; Joas, Die Kreativität des Handelns, 113 ff., insbes., 118 f., 126 f.

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emotionale und ästhetische Subjektivität werden hier anders als im Vermögensrecht nicht als zur Ordnung des Handelns unfähig stigmatisiert227. Konnte es für Kant keine Selbstbestimmung ohne Vernunft geben, zieht die Dogmatik des Persönlichkeitsrecht in den von ihr geprägten Selbstbestimmungsbegriff keine derartigen Differenzierungen nach ehrwürdigen Dichotomien228 der Art von Vernunft versus Begehren ein. Mit anderen Worten: Persönlichkeitsrechtliche Autonomie zieht zwar durchaus nach sich, daß Menschen irgendeinen Grund haben, Lebensäußerungen für wertvoll zu erachten; nur werden diese Gründe nicht objektiviert, sondern können auch einfach darin liegen, sich dem Strom der Erlebnisse oder Empfindungen zu überlassen229. Das Persönlichkeitsrecht gibt demnach dem einzelnen die Möglichkeit, sich effektiv230 sowohl gegenüber den an ihn herangetragenen Rollenzumutungen eine gewisse Distanz zu verschaffen als auch sich individuell interpretierend den Erwartungen zu nähern, die an ihn auf der Ebene der Rollen, Programme oder Werte herangetragen werden, um die Erwartungen entweder in das biographisch erworbene Repertoire an Verhaltenserwartungen einzubinden oder als untragbare Zumutung von sich zu weisen231. So wie gleichfalls das Recht sichert, sich dem gesteigerten gesellschaftlichen Individualisierungsdruck232 nicht zu beugen und sich vollends einer von außen herangetragenen Rolle anzuverwandeln, gibt es auch Instrumente an die 227 Am Rande sei nun vermerkt, daß die Entgegensetzung von Vernunft und Sinnlichkeit selbst schon etwas gewaltsames an sich hat, nämlich wenn Emotionen etc. nicht als das Andere der Vernunft angesehen werden, sondern als eine Andersheit in der Vernunft, „ohne welche Vernunft einerseits nicht möglich wäre, die sie sich andererseits aber auch nicht restlos einverleiben kann“, Dreisholtkamp, Derrida, 120, zur dekonstruktivistischen Vernunftphilosophie Derridas; danach ist die „Un“-Vernunft Möglichkeitsbedingung der Vernunft und umgekehrt. 228 Inbesondere die Protagonisten der Critical Legal Studies haben die Rolle von unterschwellig wirkenden Dichotomien des innerjuristischen Diskurses insbes. der Rechtspraxis wie vorher/nachher, allgemein/besonders, ausdrücklich/stillschweigend, Markt/Familie, Fakten/Werte, Individuum/Gemeinschaft und auch Vernunft/Begehren studiert, siehe allg. Heller, Stanford Law Review 36 (1984), 127 ff.; Kennedy, Buffalo Law Review 28 (1979), 205 ff. 229 Siehe auch Somek, Abwägungsregeln, 36 f. 230 In einem entwickelten Rechtssystem helfen emphatische Appelle, die personale Identität der Person zu respektieren, nicht weiter. Benötigt werden dogmatische Instrumente, um dem Appell zur Durchsetzungskraft zu verhelfen. Ein derartiges Instrument ist das Persönlichkeitsrecht. Soweit das gewillkürte Erbrecht zur Rede steht, wird sich zeigen lassen, daß ein ähnliches Instrument auch in dessen gesetzlichem Normbestand bereit steht – wenn er denn personfunktional interpretiert wird. 231 Morlok, Selbstverständnis, 285 m. w. Nachw. zur soziologischen Theorie der Rollendistanz. 232 Einfühlsam beschrieben bei Beck, Risikogesellschaft, 147 ff.; ders./BeckGernsheim, ZfSoz 1993, 178 ff.

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Hand, die Kluft zu einem gelebten Gemeinschaftsethos und von Vorstellungen traditionaler Identität zu betonen, wenn eine solche Differenz gewollt ist233. b) Der Aufruf an den Richter: Der Rekurs auf den Anderen Mit diesen Funktionen des allgemeinen Persönlichkeitsrecht ist freilich zugleich eine gewisse Schwierigkeit angesprochen: Wie können die Expressivitätsmöglichkeiten und Eigenarten personaler Identität in das Rechtssystem so eingespeist werden, daß sie nicht sogleich wieder ihre Einmaligkeit verlieren? Wie bleibt personale Expressivität im Rechtssystem personale Expressivität? Das Recht überantwortet nun einmal – bei der herrschenden rahmenrechtlichen Konzeption des Persönlichkeitsrechts mit der ihr inhärenten Güterabwägung – dem Richter die Ausbalancierung der im Prozeß betroffenen Güter. Doch dazu muß er, der Richter, das Persönlichkeitsgut zuallererst erst einmal erfassen können. Mit anderen Worten: Er muß „parteilich“ sein, da er ansonsten nicht dem Gebot der Unparteilichkeit gerecht würde. Er muß also die Persönlichkeit des Rechtssuchenden begreifen können, und dies heißt: in Ansehung der Person urteilen. Ob dies angesichts der Pluralisierung sprachlicher Lebensformen234 und der Diskursgrenzen235 möglich ist, ist aber durchaus zweifelhaft. Denn der Richter könnte ja unrettbar – und zwar ohne es zu wollen, zu wissen oder gar wissen zu können – in die Partikularität seines, des Richters Kontexts so verfangen sein, daß er den für die Erfassung des Ausdrucks der Persönlichkeit der Prozeßpartei relevanten, möglicherweise ja ganz anderen Kontext schon aus sprachlichen Gründen gar nicht erreichen kann. Es kommt mithin alles darauf an, den Richter als zur Überschreitung seines partikularen Kontexts befähigt zu denken. Von den hiermit verbundenen Schwierigkeiten war schon die Rede236: Es gilt, die Möglichkeit eines derartigen Überschreitens in die Figur eines „Aufrufs“ zu legen: Das Persön233

Dazu siehe auch Heinz, ARSP 84 (1998), 250 (258 f., 260 f.). Sprachliche Lebensformen kann man als eine durch bestimmte Grundüberzeugungen, Weltdeutungsweisen und Regeln geprägte gemeinsame Lebenspraxis (dazu vgl. Wittgenstein, Über Gewißheit, §§ 7, 358.) bezeichnen, gleichsam als ein „Nest von Sätzen“ (Wittgenstein, Über Gewißheit, § 225), an dem sich das analytische Instrumentarium „zurückbiegt“ (Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, § 217) und Rekursivität der Analyse eintritt. 235 Insbesondere in der Sprachphilosophie Lyotards wird vertreten, es bestünden so etwas wie unübersteigbare Grenzen zwischen verschiedenen Diskursen, vgl. zu dieser Option radikaler Heterogenität zwischen Sätzen bei Lyotard Welsch, Unsere postmoderne Moderne, 230 ff. Vgl. zum Problem radikaler Pluralität aus systemtheoretischer Sicht nur Fuchs, Die Erreichbarkeit der Gesellschaft, 73 ff., 81. 236 Oben § 1 II 4 Fn. 38. 234

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lichkeitsrecht muß innerhalb des Rechtssystems zumindest als ein Aufruf an den Richter zur Erweiterung der Grenzen und der Rigidität der eigenen Lebensform verstanden werden, als ein Aufruf also, die „Sprache des anderen“237 zu sprechen zu versuchen. Im Eingehen auf das Andere und das Fremde (die Parteien) kann das Rechtssystem dann zu dem finden, was Bernhard Waldenfels238 einmal in anderen Zusammenhängen „responsive Rationalität“ genannt hat. Dies ist eine Rationalität, bei der aus dem relationalen Eingehen des Vertrauten auf das Unvertraute und des Unvertrauten auf das Vertraute nicht nur Kreativitätspotentiale freigesetzt werden können. Vielmehr kann das Rechtssystem dann auch zu einem Umgang mit dem Unvertrauten finden, der das Antworten des Rechts auf das Unvertraute zu einem wirklichen (und dies bedeutet: dem Persönlichkeitsrecht gemäßen) Antworten werden läßt: „Responsivität meint das, was das Antworten zu einem Antworten macht“, wie es Waldenfels ausdrückt239 – ein Antworten mithin, welches das Unvertraute (das Andere, den Ausdruck der Persönlichkeit) ernst nimmt, ohne in ihm eine bloß aufzuhebende „Andersheit“240 zu sehen: Ein Antworten, welches die Unparteilichkeit des Rechts sichert241. c) Der ethische Personalismus als Leitfaden der rahmenrechtlichen Güterabwägung Doch wo bleibt bei einem derartig responsiven Verständnis des Persönlichkeitsrechts der ethische Personalismus Kants und die hierin eingeschlossene Selbstzwecklichkeit der Person? Einmal stellt er sicherlich immer noch die Plattform bereit, den Achtungsanspruch der Person als selbstzweckliche Person zu begründen. Freilich dürfte der diesbezügliche Anwendungsbereich des ethischen Personalismus eher gering sein, wenn die ein237

Derrida, Gesetzeskraft, 35. Waldenfels, Antwortregister, 320 ff.; ders., in: ders./Därmann (Hrsg.), Der Anspruch des Anderen, 35 ff.; ders., Deutsch-Französische Gedankengänge, 197; siehe auch ders., Topographie des Fremden, 85 ff.; ders., in: Schneider/Mall/Lohmar (Hrsg.), Einheit und Vielfalt, 13 (27 ff.). 239 Waldenfels, Antwortregister, 320. 240 So Habermas, Die Einbeziehung des Anderen, 58. 241 Die Kontextverfangenheit des einzelnen und die damit verbundene Dezentrierung des Subjekts führt mithin durchaus nicht dazu, daß auf die normativen Gehalte personaler Identität verzichtet werden muß. Die Dezentrierungs-Debatte zeigt vielmehr, daß durch die Dezentrierung zugleich die Idee rechtlicher Autonomie bewahrt und für die Herausforderungen der Nachmoderne wiedergewonnen werden kann. Denn mit dem o. g. Antworten, welches die Unparteilichkeit des Rechts sichert, wird personale Autonomie gerade dort ernstgenommen, wo sie in der Bewegung der gesellschaftlichen Subsysteme und sprachlicher Lebensformen zu zerstäuben droht. Siehe dazu auch allg. (aber bezogen auf die Idee moralischer Autonomie) Joas, Die Entstehung der Werte, 250 m. w. Nachw. 238

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zelnen Fallgruppen und das dortige Fallmaterial zum Persönlichkeitsrecht näher betrachtet werden. Die eigentlich praktische Bedeutung der kantischen Tradition liegt denn auch weniger in dem Würde-Gedanken, sondern tritt dann zu Tage, wenn die Forderungen des ethischen Personalismus – wie schon oben242 kurz angerissen – als Verfahrensnorm gelesen werden, die im Rahmen der rahmenrechtlichen Güterabwägung zu tragen kommt. Ähnlich reformulieren ja auch die Diskursethiken den Universalisierungsgedanken Kants sprachtheoretisch unterfangen durch ein auf Universalisierung gerichtetes Diskursprinzip um und verlagern so die Vernünftigkeit der Universalisierung aus der monologisierenden Vernunftsperson in die ideale Sprechsituation kommunikativ Handelnder. Wird das Ideensystem des ethischen Personalismus als Verfahrensnorm gelesen, kommt es auf nichts anderes an, als im Rahmen der persönlichkeitsrechtlichen Güterabwägung auf die Allgemeinheit des Rechts zu sistieren. Denn da zum einen für den ethischen Personalismus sich Legalität darin äußert, daß die Willkür des einen mit der des anderen unter einem allgemeinen Gesetz der Freiheit miteinander ausbalanciert wird, und da zum anderen – wie oben243 gezeigt wurde – die kantischen Figuren der Legalität und der Moralität, der Person und der Persönlichkeit keine rechten Fingerzeige geben, Persönlichkeitsrecht und Vermögensrecht zu trennen, fungiert der ethische Personalismus als „Auffang-Modul“, mittels dessen Willkürsphären dort austariert werden können (mit dem rahmenrechtlichen Mittel der Güterabwägung), wo die Abgrenzung der Willkürsphären der Gesetzgeber selbst nicht geleistet hat. Die Güterabwägung wäre mithin darauf ausgerichtet, die Willkürsphären der verschiedenen, im Rechtsstreit involvierten Rechtspersonen unter einem allgemeinen Gesetz der Freiheit auszubalacieren. Es ginge mithin um nichts anderes als um Universalisierung. Mit diesem Rekurs auf Universalisierung tritt natürlich sofort die Frage auf, wie denn gleichzeitig für Universalisierung und für eine responsive Rationalität des Rechts gefochten werden kann, die den „Anderen“ und das „Unvertraute“ in das Recht einzubinden sucht, ja gerade in dem Respekt vor der Abweichung eine der vornehmsten Teleologien des Persönlichkeitsrechts erblickt und damit jeglichen Universalisierungsbestrebungen geradewegs entgegengesetzt ist? Die Antwort kann anhand der von Klaus Günther244 in die rechtstheoretische Diskussion eingeführten Unterscheidung von Normbegründungs- und Normanwendungsdiskursen erläutert werden. Während in Normbegründungsdiskursen eine Norm im Spiegel abstrakter Situationsannahmen daraufhin untersucht wird, ob sie die begründete Zu242 243 244

Oben § 10 IV 2 c cc. Siehe oben § 10 IV 2 c. Der Sinn für Angemessenheit, 1988.

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stimmung aller Betroffenen finden kann, geht es bei Normanwendungsdiskursen um die unparteiliche Anwendung von Normen in bestimmten Situationen. Entsprechend werden die diskursleitenden Prinzipien anders verstanden: Derweil bei der Normbegründung ein Universalisierungstest unter Absehen von fallspezifischen Besonderheiten erfolgt, muß bei der Normanwendung eine Angemessenheitsprüfung im Rahmen des jeweiligen Kontextes stattfinden. Begründungs- und Anwendungsdiskurse unterscheiden sich daher durch die für sie konstitutiven Problemstellungen245: hier Loslösung aus dem Horizont pluralisierter Lebenswelten, dort Rückgängigmachung dieser Dekontextualisierung und Blick auf den Einzelfall. Nun wurde schon eingangs ausgeführt, daß das Persönlichkeitsrecht als eine Ermächtigungsnorm an den Richter wirkt, die jeweilige Verhaltensnorm zu bilden246. Mit anderen Worten: In der prozessualen Situation durchkreuzen sich Normbegründung und Normanwendung: Der Richter ist aufgerufen, sowohl die persönlichkeitsrechtliche Norm zu begründen als auch die Norm im konkreten Fall anzuwenden. Bei der Normbegründung wird er sich an den anerkannten Fallgruppen des Persönlichkeitsrechts (mithin: den anerkannten dogmatischen Vorentscheidungen) orientieren, ohne doch zugleich gänzlich auf diese festgelegt zu sein. Der Richter wird in diesem Stadium der Urteilsfindung sein Augenmerk mehr auf die Abstimmung der Willkürsphären der Bürger untereinander, mithin mehr auf die Allgemeinheit des Rechts lenken, um das Gesetz zum allgemeinen Recht gelingen zu lassen247. Doch auch diese Abstimmung steht unter der Gefahr, daß der Richter die Allgemeinheit des Rechts verfehlt, weil er in den Partikularitäten seiner Lebensform verfangen bleibt. Mithin ist auch hier – um die Allgemeinheit des Rechts zu wahren – der Richter aufgerufen, das eigene Selbst- und Weltverständnis zu dezentrieren und seine eigene Lebensform zu übersteigen, um dadurch Distanz zu dem je Vertrauten zu gewinnen; eine Distanz, die – um im Bild der (Habermasschen) Diskurstheorie zu bleiben – bei der Normbegründung ansonsten durch institutionalisierte freigesetzte Kommunikationsabläufe im demokratischen Prozeß des Verfassungsstaates gewonnen wird248. Universalisierung und responsive Rationalität schließen sich deshalb nicht aus: Der Richter muß ja erst erkennen, wie die Rechtsperson seine Persönlichkeit versteht (mithin ist hier gefragt: die Responsivität des Rechts), um erst dann sagen zu können, die 245

Somek/Forgó, Nachpositivistisches Rechtsdenken, 336, 360 f. Allg. zum Anwendungsdiskurs Goebel, Zivilprozeßrechtsdogmatik, 425 ff. 246 Oben § 10 III 2. 247 Er wird sich also fragen, ob es verallgemeinerbar ist, wenn ein persönlichkeitsrechtlicher Obersatz dieser oder jener Art gebildet wird – mit all den Problemen, die ein als Monolog angelegter Universalisierungstest mit sich bringt. 248 Habermas, Faktizität und Geltung, Kap. VII und VIII.

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Güterabwägung habe ergeben, daß der Persönlichkeitsschutz im konkreten Fall zurückstehen muß, weil die beteiligten Freiheitssphären so und nicht anders austariert sind, um Wertungswidersprüche zu vermeiden (mithin ist hier gefragt: das allgemeine Gesetz). Mit diesem Aufruf zur Distanznahme verschwimmt freilich zugleich die – im Fall des Persönlichkeitsrechts fast nur mehr analytische – Trennung zwischen Normbegründung und Normanwendung. Denn auch bei der Normanwendung wird dem Richter durch das Persönlichkeitsrecht ja der Aufruf zur Distanznahme angesonnen249. Der im ethischen Personalismus lokalisierende Universalisierungsgedanke bedeutet in dieser Situation nach all dem nichts anderes, als im Rahmen der persönlichkeitsrechtlichen Güterabwägung zu versuchen, das Persönlichkeitsrecht des einen und die Rechte des anderen bestmöglichst so miteinander auszubalancieren250, daß es im Gesamtsystem des Rechts nicht zu Wertungswidersprüchen kommt, da ja solche die Allgemeinheit des Rechts zerstören würden. Auch bei der Abwägung sind daher anerkannte Vorentscheidungen der Rechtsordnung zu berücksichtigen, wie etwa die hohe Wertigkeit dieser oder jener Fallgruppe des Persönlichkeitsrechts. Die Ausbalancierung selbst wiederum kann nur in einem richtigerweise als interpretative Praxis verstandenen zivilgerichtlichen Verfahren geleistet werden: nämlich in einem Verfahren, welches die Institution des Rechtsgesprächs zwischen den Parteien und dem Gericht kennt – und zwar eines Rechtsgesprächs, in dem sich auch abweichende sprachliche Lebensformen (eben das Andere) in einer anwendungsorientierten Universalisierung wiederfinden können251. 4. Testierfreiheit und Persönlichkeitsrecht: Der Wertungsabgleich a) Relevante und irrelevante Ansatzpunkte des Wertungsabgleichs Wenn die Ergebnisse der bisherigen Überlegungen zusammengefaßt werden, lassen sich persönlichkeitsrechtliche Diskussionsstränge feststellen, die bei dem Wertungsabgleich mit dem gewillkürten Erbrecht außen vor bleiben, und solche, die dem Abgleich zugrundegelegt werden müssen. Für den Wertungsabgleich als irrelevant hat sich einmal die Unterscheidung zwischen der strukturtheoretischen und der grundlagentheoretischen Herangehensweise an das Persönlichkeitsrecht erwiesen. Strukturtheoretisch ging es um ein Verständnis des Persönlichkeitsrechts als Regelrecht oder als Rah249

Umfassend hierzu Goebel, Rechtsgespräch und kreativer Dissens, 135 ff. Nach den gängigen Modellen (etwa Prinzipienabwägung nach Alexy oder Herstellung einer praktischen Konkordanz). 251 Dies kann hier nicht näher ausgeführt werden, siehe vielmehr Goebel, Rechtsgespräch und kreativer Dissens, passim. 250

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menrecht. Es wurde gezeigt, daß mit dieser Unterscheidung vornehmlich Probleme der Anwendung dieser Rechtfigur plastisch zu machen versucht werden. Die Wertungsfrage, was genau zum Persönlichkeitsrecht zu zählen ist, steht hier weniger zur Debatte. Diese Wertungsfrage wiederum wurde auf der grundlagentheoretischen Ebene virulent. Grundlagentheoretisch wurden drei persönlichkeitsrechtliche Ansätze voneinander abgehoben: der in der kantischen Tradition stehende Ansatz am ethischen Personalismus, der persönlichkeitsrechtliche Interessenansatz und eine an der kommunikativen Genese der selbstbestimmten Eigendarstellung ansetzende Konzeption; letztere gibt Anlaß zu einer weiteren Entfaltung der personfunktionalen Deutung des gewillkürten Erbrechts und wird daher erst weiter unten näher in den Wertungsabgleich einbezogen werden. Es konnte gezeigt werden, daß die Gründung des Persönlichkeitsrechts auf dem ethischen Personalismus für den Wertungsabgleich nicht tragfähig ist, soweit kein Menschenwürdeverstoß zur Rede steht. Hieraus folgt zugleich, daß die oben252 angesprochene negative Ausschlußfunktion des ethischen Personalismus nicht greift. Diese negative Ausschlußfunktion ging dahin, daß Voraussetzung für die Annahme eines Persönlichkeitsrechts im konkreten Fall der Nachweis ist, der Handelnde würde zumindest subjektiv nach dem Gesetz der Freiheit – und das heißt: aus selbstgesetzter Pflicht – handeln wollen. Entfällt dieser Nachweis, braucht der Testierende mithin nicht schon deshalb davon ausgehen, seine Verfügung sei kein Ausfluß seines Persönlichkeitsrechts, weil er nicht entsprechend den Geboten der Moralität testiert habe. Verstößt er ausnahmsweise in seiner Verfügung einmal gegen die Menschenwürde, läßt sich dieser Fall über § 138 I BGB einfangen. Insgesamt gesehen spielt mithin der ethische Personalismus für den Wertungsabgleich mit dem gewillkürten Erbrecht keine Rolle. Dies ist ein nicht zu unterschätzendes Teilergebnis, da damit dem Aspekt des expressiven Handelns von Todes wegen ein genuiner Raum in der Dogmatik des Persönlichkeitsrechts nicht von vornherein versperrt ist. Im weiteren wurde nachgewiesen, daß die Relevanz des expressiven Handelns für den Wertungszuschnitt des Persönlichkeitsrechts auch durch den Interessenansatz dogmatisch nicht ausgesperrt wird. Dies belegte eine Gegenüberstellung des Interessen-Begriffs mit dem ihm implizit zugrundeliegenden Verständnis instrumenteller Rationalität und den bisher anerkannten persönlichkeitsrechtlichen Wertungen. Aus dieser Gegenüberstellung ergab sich, daß die implizite Logik der Interessenkategorie persönlichkeitsrechtlich abgestreift werden muß und daß bei dem Wertungsabgleich auch das Interesse i. S. expressiv-irrationalen Ausdrucksformen im Handeln eine prominente Rolle spielen darf. 252

Oben § 10 IV 2 c cc.

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Kap. 4: Testierfreiheit und Persönlichkeitsrecht

Die Diskussion des Persönlichkeitsrechts hat weiter aufgewiesen, daß Persönlichkeit nicht identitätstheoretisch, sondern als Produkt von Differenzen beschrieben werden sollte. Die Person kann danach ihre Identität durch den Rekurs auf Differenz zu ihrer Umwelt bilden. Es steht dann einerseits das Wechselspiel zwischen der sozialen Zuschreibung von Identität durch gesellschaftliche Mechanismen und der Distanz zu derartigen Zuschreibungen durch das Rechtssubjekt und andererseits die verweigerte oder nicht verweigerte Anerkennung des Ergebnisses dieses dialektischen Prozesses durch das Recht zur Rede. Der Begriff der Person wird mithin zu einer in der gesellschaftlichen Kommunikation produzierten Auswahl von Merkmalen. Ein derartiges Recht auf Differenz umfaßt ein Recht auf „Unvernunft“ und unterstreicht damit die Bedeutung reiner Affektion – im Unterschied zu gängigen vermögensrechtlichen Wertungen, die die Normalität vermögensrechtlicher Freiheit als bloße affektlose Nützlichkeit normieren. Der differenztheoretische Ansatz des Persönlichkeitsrechts verbindet insoweit in dem Begriff der Person die althergebracht als getrennt gedachte Topoi „Vernunft“ und „Begehren“. Die Affektnatur des Menschen, Leidenschaften, subjektive Befindlichkeiten, Lebensexperimente, unverständliche Expressivität, eigenwillige Inszenierungen des Selbsts und „Spinnerei“ sind demnach im Wertungskomplex „Persönlichkeitsrecht“ überaus relevante Gesichtspunkte. Im Gegensatz zur liberalen Tradition des Vermögensrechts und der ihm inhärenten kognitiv-instrumentellen Vernunft wird mithin im Persönlichkeitsrecht die rechtliche Ordnungsleistung emotionaler und ästhetischer Subjektivität anerkannt. Aus all dem folgt zugleich, daß der Inhalt des Persönlichkeitsrechts letztlich ein Akt der wertenden Zuschreibung durch die Rechtsordnung ist: Zum Persönlichkeitsrecht zählt mithin auch das, was gemeinhin nach tradierten Kategorien nicht mit diesem Recht verbunden wird, wenn das Recht eben anders wertet. Hieraus folgt, daß das Argument weggebrochen ist, gemeinhin würde aber dies oder das zum Vermögensrecht und nicht zum Persönlichkeitsrecht gerechnet werden: Nicht traditionale Einordnungen, sondern der wertende Diskurs des Rechts geben persönlichkeitsrechtlich die Marschroute vor, ob ein Recht ein Vermögensrecht oder ein Persönlichkeitsrecht ist. Mit diesen Vorgaben konnte dann der Gehalt dessen, was als Schutzgegenstand des Persönlichkeitsrechts herausgearbeitet worden ist, besser konturiert werden: Der persönlichkeitsrechtliche Schutz vor Entstellung und Herabsetzung und vor dem unbefugten Erlangen und der Verbreitung persönlichkeitsrelevanter Daten – kurz: Identität und soziale Geltung – sind nur verstehbar vor dem Hintergrund eines Persönlichkeitsrechts, welches Identität differenztheoretisch faßt, die Expressivität menschlichen Handelns nicht aus seinem Schutzbereich entfernt und welches das Konzept der Person als Ergebnis einer wertenden Zuschreibung der Rechtsordnung begreift.

§ 10 Wertungsabgleich I: Allgemeines Persönlichkeitsrecht

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Als Ergebnis kann mithin stichwortartig notiert werden, daß Identität und soziale Geltung als Hauptfallgruppen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts anhand der folgenden Kriterien mit Leben zu füllen sind: – Irrelevanz des ethischen Personalismus und der mit ihm verbundenen Ausrichtung des Persönlichkeitsrecht auf Moralität; – Irrelevanz einer auf die kognitiv-instrumentelle Vernunft zurechtgeschnittene Interessenkategorie; – Bildung der Person nicht durch Identität, sondern durch Differenz; – persönlichkeitsrechtliche Gleichberechtigung der Affektnatur des Menschen gegenüber seiner Vernunftnatur und die hieraus sich ergebende gleichrangige Wertigkeit des expressiv-irrationalen Handelns gegenüber affektloser Nützlichkeit; – Konstruktion des Persönlichkeitsrechts als Ergebnis einer wertenden Zuschreibung der Rechtsordnung. b) Der Wertungsabgleich Was folgt aus dem bisher Gesagten für die Einordnung der Todesverarbeitung als Ausdruck des Persönlichkeitsrechts? Wenn nochmals die Ergebnisse der hiesigen Überlegungen zur individuellen und gesellschaftlichen Bedeutung des Todes ins Gedächtnis zurückgerufen werden, besitzt die Todesverarbeitung für den einzelnen einen hohen personalen Stellenwert. aa) Der Tod und das Recht Am Beispiel des einflußreichen heideggerschen Konzepts des „Seins zum Tode“ konnte aufgewiesen werden, daß die Todeserfahrung als Möglichkeit einer Entfaltung des Individuums hin zu einem authentischen Lebensentwurf begriffen werden kann. Tod und personale Authentizität, Todesverarbeitung und personaler Lebensentwurf sind nur je verschiedene Seiten ein und derselben Medaille. Sich zum Tode zu verhalten bedeutet dann nichts anderes, als sich zugleich zu sich selbst zu verhalten. Die je individuelle Todesverarbeitung stellt mithin für den rechtssystemexternen Diskurs ein Beispiel für die genuine Formung personaler Identität und die Sicht zum Tod ein Beispiel für einen genuinen Ausdruck personaler Identität dar: Im Blick zum Tode wird dem einzelnen eine Abkehr von der normativen Kraft der allgemeinen gesellschaftlichen Ansprüche ermöglicht, um in der Verinnerlichung des Todes den Prozeß der Selbstwerdung seines Ichs in die Wege zu leiten. Dies ist das eine. Es konnte zudem gezeigt werden, daß in der intersubjektiven Sinnkonstruktion der Moderne eine plausible symbolische Sinngebung des Todes fehlt und die Lasten seiner Verarbeitung den

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Kap. 4: Testierfreiheit und Persönlichkeitsrecht

einzelnen Individuen als Moment innerster Selbstfindung zugewiesen sind. Als Grund hierfür wurde ausgemacht, daß nur mit dieser Individualisierung des Todes die gesellschaftliche Produktion und Reproduktion mit den dort lokalisierten Eigenlogiken der gesellschaftlichen Subsysteme nicht empfindlich gestört und der Prozeß der Modernisierung nicht unterlaufen wird. Diesen Befund hintertreiben auch psychologisch orientierte Überlegungen nicht, die rechtstatsächlich eine geringe Chance ausmachen, daß eine auf das Leben bezogene Todesverarbeitung in Wirklichkeit erfolgt253. Es kommt ja darauf an, ob psychologische Einsichten zu dem hiesigen Ansatz überhaupt sinnvoll in Korrelation gesetzt werden können – und genau dies ist nicht der Fall: Denn falls der Tod gesellschaftlich verdrängt und dessen Verarbeitung dem einzelnen als individuell zu leistende Möglichkeit zugewiesen ist, so bedeutet dies noch lange nicht, daß der einzelne sich dieser Möglichkeit bewußt werden wird. Ganz im Gegenteil stünde ein derartiges gesellschaftsweit zu verzeichnendes Bewußtsein einer schlagkräftigen Produktion und Reproduktion der Gesellschaft eher entgegen; es war ja schon die Rede davon, daß ein weitgehendes privates Memento mori die Reproduktion der Systemimperative der modernen Gesellschaft empfindlich beeinträchtigen würde254. In dieser Situation auf psychologische Befunde zu setzen, bedeutet dann nichts anderes, als die in der Art und Weise der Todesverarbeitung aufscheinende Überwältigung des einzelnen durch die Sozietät rechtlich vollends zu exekutieren. Eine rechtssysteminterne Sicht muß dieses Ergebnis in Beziehung setzen zum Ertrag der persönlichkeitsrechtlichen Erörterungen; nichts anderes bedeutet ja Wertungsabgleich. Rechtssystemintern kann die Todesverarbeitung nur als genuine Formung personaler Identität im rechtlichen Sinne und die Sicht zum Tod selbst als genuiner Ausdruck personaler Identität in eben diesem Sinne verstanden werden. Denn in der Sicht auf den je eigenen Tod verarbeitet der einzelne ja nicht nur eines der ihn auf das Innerste berührende Ereignisse, das sich denken läßt, sondern auch ein Ereignis, welches ihm in der Verarbeitung seines Eintritts die Möglichkeit eröffnet, seine Identität in der vollen Distanz zu den an ihn herangetragenen Rollenentwürfen der Sozietät auszubilden. In dem oben255 beschriebenen persönlichkeitsrechtlich relevanten Wechselspiel zwischen der sozialen Genese des Selbsts und der Distanz zur Sozietät und der damit verbundenen, die Person konstituierenden einzigartigen Auswahl sozialer Rollen, in denen sich das Ich wiederfindet, besetzt die Todesverarbeitung mithin eindeutig die Seite der Distanz und fungiert damit als eines der prominentesten Motoren einer strikten „Personalisierung der Person“: In ihr erweist sich praktisch die 253 254 255

So etwa Schwerdtner, Persönlichkeitsrecht, 103 f. Oben § 9 III. Oben § 10 IV 4.

§ 10 Wertungsabgleich I: Allgemeines Persönlichkeitsrecht

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stärkste Differenz der Person zur Sozietät. Die Todesverarbeitung ist ja dasjenige, in dem die Person von allen Rollen losgelöst gedacht werden kann; sie erscheint quasi als „rollenlos“. In anderen Worten: Desto stärker die Person ihren Tod verarbeitet, desto mehr wird sie zur Person. Nichts hindert mithin daran, den rechtsgeschäftlichen Niederschlag der Todesverarbeitung (also die Verfügung von Todes wegen) rechtlich als einen genuinen Ausdruck geäußerter Identität und der damit verbundenen sozialen Geltung anzusehen. Und umgekehrt erscheint bei einer irrtumsbedingten Anfechtung des letztwillig Verfügten der Eintritt der gesetzlichen Erbfolge als Ausdruck des Schutzes vor dem unbefugten Erlangen und der Verbreitung persönlichkeitsrelevanter Daten (mithin: Schutz nicht-geäußerter Identität und der damit verbundenen sozialen Geltung), da ja das vom Erblasser wirklich Gewollte bei einer Anfechtung nicht in Geltung tritt. Die rechtsgeschäftlich niedergelegte Todesverarbeitung des Erblasser erscheint mithin in nuce als Ausdruck seiner Identität und seiner sozialen Geltung und damit als genuiner Ausfluß seines Persönlichkeitsrechts. Eine Frage blieb freilich bisher noch offen: Wieso soll auch dann die Ausübung der Testierfreiheit als Ausprägung des Persönlichkeitsrechts des Testierenden erscheinen, wenn dieser nicht bewußt seinen Tod qua letztwilliger Verfügung verarbeitet? bb) Differenzierung nach dem Grad der testamentarischen Todesverarbeitung? Die Frage bleibt also: Muß nicht eine Differenzierung nach dem Grad der tatsächlich im Testament geleisteten Todesverarbeitung erfolgen, muß also nicht das Testament mal mehr, mal weniger als Ausdruck der Persönlichkeit des Testierenden angesehen werden? Die Antwort ist ein klares Nein und zwar aus zwei Gründen. Einmal kann die qua Testament erfolgende Todesverarbeitung dem Testierenden selbst eher unbewußt bleiben, wie dies etwa der Fall ist, wenn er sich seinem eigenen Memento mori noch nicht gänzlich gestellt hat und für ihn der systemfunktionale Schleier256 noch nicht aufgerissen worden ist, den die Eigenlogik der gesellschaftlichen Subsysteme vor seine todesbezogene Selbstfindung gezogen haben. In dieser Situation der noch nicht voll geleisteten, aber dennoch tastenden und somit zumindest rudimentären Suche nach seinem Selbst ist der Testierende besonders schutzbedürftig, da er sich der funktionalen Gewalt systemischer Imperative noch nicht in seinem Memento mori bewußt entzogen hat, so daß diese Imperative ihn letztlich wieder einholen und 256 Wenn dieser etwas altmodische entfremdungstheoretische Duktus einmal gewählt werden darf.

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überwältigen könnten – nämlich über eine Interpretation des gewillkürten Erbrechts als reines Vermögensrecht. Rechtlicher Schutz wird aber über die personfunktionale Deutung des gewillkürten Erbrechts bewerkstelligt. Mit Blick hierauf ist es wenig sachgerecht, gerade demjenigen einen rechtlichen Schutz zu verwehren, der ihn besonders bedürfte. Und da die tastende, rudimentäre Suche nach seinem Selbst ein Prozeß innerster Selbstfindung ist, steht sie einer Abschichtung nach Graden einer geleisteten Todesverarbeitung nicht offen. Eine derartige Abschichtung könnte an die rudimentäre Suche nach dem eigenen Selbst doch nur gerade jene Eigenlogiken der gesellschaftlichen Subsysteme herantragen, die die Suche wieder hintertreiben würden; die Suche würde damit aber implizit für das Recht wieder zerstört. Mit anderen Worten: Die Sozietät (der Richter) kann sich nie gänzlich sicher sein, daß im konkreten Fall tatsächlich keine Todesverarbeitung qua Testament vorliegt. Ist dem so, scheidet eine Abschichtung nach dem Grad der tatsächlich geleisteten testamentarischen Todesverarbeitung notwendig aus. Der zweite Grund, warum eine derartige Abschichtung nicht erfolgen kann, liegt in den dogmatischen Folgekosten, die mit ihr verbunden wären. Denn falls abgeschichtet würde, wäre das gewillkürte Erbrecht für den einen von Todes wegen Verfügenden reines Vermögensrecht und für den anderen auch funktionales Persönlichkeitsrecht. Sinnvoll wäre dies aber nicht. Denn eine derartige Abschichtung würde dazu führen, daß für den todesverarbeitenden Erblasser eine in sich kohärente Deutung der anerkannten Wertungen des gewillkürten Erbrechts in Frage käme, für den anderen jedoch nicht. Denn wie noch gezeigt werden wird257, lassen sich ja nur anhand einer personfunktionalen Deutung des Erbrechts dessen Wertungsbestand kohärent erklären. Würde abgeschichtet, würde sich mithin für den nichttodesverarbeitenden Erblasser das Erbrecht nur als Frucht reiner auctoritas, für den todesverarbeitenden Erblasser jedoch als Recht erweisen. In anderen Worten: Der eine würde der gesetzlichen Gewalt, der anderen dem Recht unterworfen, obwohl doch gerechtigkeitstheoretisch das Gesetz zum Recht gelingen muß. Hieraus kann nur der Schluß gezogen werden, den Erblasser, der sein Memento mori nicht im Testament niederlegt, der gesetzlichen Gewalt zu entziehen und dem Recht zu unterstellen. Genau dies geschieht aber, wenn das gewillkürte Erbrecht als funktionales Persönlichkeitsrecht gedeutet wird. Nach all dem scheidet eine Abschichtung nach dem Grad der testamentarischen Todesverarbeitung zwingend aus.

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Unten § 11.

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cc) Tod und Expressivität Es war die Rede davon, daß die testamentarisch niedergelegte Todesverarbeitung des Erblasser in nuce als Ausdruck seiner Identität und seiner sozialen Geltung und damit als genuiner Ausfluß seines Persönlichkeitsrechts erscheint. An dieser Einschätzung ändert sich auch dadurch nichts, daß in der o. g. „Rollenlosigkeit“ der Person im Angesicht ihres Todes sämtliche Unterschiede zwischen der Moralität und der Expressivität des todesverarbeitenden Handels verschwinden. Denn gerade in der Weichenstellung, ob das Individuum seine Todesverarbeitung in den Kontext des kantischen Gesetzes der Freiheit stellt oder als Ausdruck überbordender Expressivität erfährt, zeigt sich die Distanz der todesverarbeitenden Person zu jeglichen Zumutungen der Sozietät. Schädlich ist dies nicht: Die expressive Seite der Todesverarbeitung hindert nach den bisherigen Überlegungen ja gerade nicht ihre Einordnung in das Wertungsgeflecht des Persönlichkeitsrechts258. Nach all dem stellt sich die Einsicht, in der Todesverarbeitung drücke sich auch rechtlich die Persönlichkeit aus, als Ergebnis einer wertenden Zuschreibung des Rechts dar – einer Zuschreibung des Testierens zur Persönlichkeit des Testierenden und ihres Rechts. dd) Tod und Vermögen Vor diesem Hintergrund verschwindet auch der Einwand, die Verfügung von Todes wegen betreffe nur das Vermögen, es sei daher reichlich ungewöhnlich, sie als Ausdruck personaler Rechte anzusehen. Dieser Einwand erweist sich schon deshalb als wenig sinnreich, weil das Persönlichkeitsrechts als Ergebnis einer wertenden Zuschreibung der Rechtsordnung sich an traditional überkommene Einordnungen nach dem Muster „gewöhnlich – ungewöhnlich“ gerade nicht hält, wie schon öfters betont worden ist. Zudem hat die Diskussion zum Eigentum gezeigt, daß in jedem Vermögensrecht personale Elemente enthalten sind259. Es ist daher ein Akt wertender Zuordnung nach dem Modus der Kohärenz, ob mal mehr die vermögensmäßigen Akzente (dann: Vermögensrecht) oder mal mehr die personalen Faktoren (dann: Persönlichkeitsrecht) betont werden. Schließlich wurde schon im Rahmen der Skizze des Todesdiskurses gezeigt, daß der Einwand, die letztwillige Verfügung handele doch mit dem Vermögen und betreffe nicht die Person, nicht überzeugend ist. Denn wenn das todesverarbeitende Indi258 Genau um dieses zu zeigen und abzusichern, wurden oben die ausgreifenden Erwägungen zum Verhältnis des ethischen Personalismus zum Persönlichkeitsrecht und die Überlegungen zum rechten Verständnis der Interessen-Kategorie ins Werk gesetzt. 259 Siehe oben § 6 III.

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viduum meint, es müsse sich anhand seines Vermögens seinen Tod erarbeiten und im Testament versprachlichen, bleibt nur zu sagen: Es ist eben so. Ansonsten (eben wenn gesagt wird, es sei doch wenig überzeugend, daß jemand qua Testament seinen Tod verarbeite) würden an die geleistete Todesverarbeitung des Testierenden (mithin: an die letztwillige Verfügung) ja genau wieder Rollenzumutungen herangetragen, warum er denn seinen Tod so und nicht anders zu verarbeiten gedenke – und zwar Rollenzumutungen aus dem Dunstkreis der Imperative gesellschaftlicher Subsysteme mit der dort versammelten instrumentell-ökonomischen Vernunft, die den Zusammenhang zwischen Vermögen und Person nicht anders als in Kategorien strategischer Rationalität und nach dem Abbild marktförmiger Vergesellschaftung und des ihm inhärenten Modus des Güteraustauschs denken kann und für Expressivität und Ästhetisierung keinen Raum hat. Falls das Recht hier den Rollenzumutungen den Vortritt geben und das gewillkürte Erbrecht damit in den Kreis der Vermögensrechte aufnehmen würde, würde genau der Schutzimpetus verfehlt, um dessen willen das Persönlichkeitsrecht ursprünglich ins Werk gesetzt worden ist: Die Person wird an die Imperative der gesellschaftlichen Subsysteme genau dort ausgeliefert, wo es um eine der vorzüglichsten Möglichkeiten der Selbstwerdung geht – in anderen Worten: Sie wird ausgeliefert genau dort, wo sie um so mehr zur Person wird260. Denn es wurde ja schon ausgeführt, daß die Individualisierung der Todesverarbeitung funktional auf den Prozeß der Modernisierung und der störungsfreien gesellschaftlichen Produktion und Reproduktion zurückzuführen ist. Der Person droht hier die Überwältigung durch systemische Imperative. Mit Blick hierauf steht ihr nur dann eine schlagkräftige Waffe gegen diese Imperative zur Verfügung, wenn es ihr gelingt, diese mit ihren, der Imperative eigenen Waffen zu schlagen261 – und dies ist wiederum nur der Fall, wenn dem seinen Tod verarbeitenden Testierenden die Möglichkeit gegeben wird, eben gerade über ein Element vor allem des Wirtschaftssystems (nämlich dem Vermögen) seine Todesverarbeitung zu kommunizieren. Nur so kann die Reproduktion der Systemimperative eine sozial zu respektierende, insofern verbindliche individuelle Sinngebung des Todes eben genau des sinngebenden Individuums nicht hindern. Das Recht baut dann in seine Eigenlogik ein Moment ein, systemexterne Logiken (die Todesverarbeitung des Erblassers) als je rechtssystemeigene Logiken auszugeben, damit die in der rechtssysteminternen Eigenlogik eigentlich angelegte Präferenz für die instrumentell-ökonomische Vernunft die an 260 Auch ansonsten ist schon früh davor gewarnt worden, das Persönlichkeitsrecht auf den Aspekt einer reinen Innerlichkeit zu reduzieren und damit die Verbindung zwischen Persönlichkeit und Freiheit zu negieren, siehe Schwerdtner, Persönlichkeitsrecht, 81 f. 261 Oben § 9 IV 2.

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sich externe Logik nicht überwältigen kann, so daß letztlich die Expressivität der Todesverarbeitung zu ihrem Recht kommt. Wird vor diesem Hintergrund auf das herkömmliche Verständnis der Testierfreiheit als fortgesetzte Eigentümerfreiheit und damit auf die Verortung des objektiven Erbrechts als reines Vermögensrecht gesetzt, erscheint dies vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Verdrängung und Individualisierung des Todes als genuiner Ausdruck eben dieser Verdrängung, die Arbeit und Eigentum als die systemischen „Leitwährungen“ der rationalisierten Moderne auch dem erbrechtlichen Todesdiskurs als zentrales Bezugsmuster anempfiehlt und damit die rechtliche Abbildung der Todesverarbeitung der instrumentell-ökonomischen Vernunft und dem diesen inhärenten Fortschrittsgedanken passend macht. Genau damit würde aber der Aspekt des Todes als Motor personaler Selbstfindung hintertrieben und die Person auf ihre gesellschaftlichen Rollen zurückgeworfen. Aus all dem kann nur folgen: Das gewillkürte Erbrecht ist zu Recht ein genuines Persönlichkeitsrecht und die hiesige personfunktional angelegte Deutung der Testierfreiheit zeichnet genau die Wertungen nach, um derentwillen das Persönlichkeitsrecht einstmals ins Werk gesetzt worden ist: Die Personfunktionalität des gewillkürten Erbrechts stellt einen genuinen Baustein des Rechts bereit, dem Erblasser seine Identität und den mit dieser Identität verbundenen sozialen Geltungsanspruch zu sichern.

VI. Testierfreiheit und kommunikative Genese des Selbst: Die Einbindung der Testierfreiheit in Anerkennungsverhältnisse 1. Kommunikative Genese des Selbsts und Todesverarbeitung Es war schon die Rede davon, daß das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht nur aus dem ethischen Personalismus Kants und aus einem persönlichkeitsrechtlichen Interessenschutz, sondern auch aus sozialen Prozessen der kommunikativen Genese der selbstbestimmten Eigendarstellung entwickelt worden ist. Wenn die Ergebnisse der obigen Überlegungen nochmals zusammengefaßt werden262, wird die Persönlichkeits- und Identitätsentwicklung bei diesem interaktionstheoretischen Ansatz in der interpersonalen Kommunikation innerhalb der vielfältigen gesellschaftlichen Prozesse der Auseinandersetzung mit Anderen verortet. Innerhalb dieser Interaktion wird der Rechtsperson durch das Persönlichkeitsrecht ermöglicht, ein selbstbestimmtes Eigenbild an ihr Umfeld zu vermitteln. Persönlichkeitsschutz ist in dieser Perspektive insofern vor allem Schutz des Selbsts im fortlaufenden Prozeß des interagierenden Sich-Selbst-Konstituierens. Welche Folge262

Siehe ansonsten oben § 10 IV 4.

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rungen zieht dieser grundlagentheoretische Ansatz zum Persönlichkeitsrecht für den Wertungsabgleich mit dem gewillkürten Erbrecht nach sich? Die Antwort ist relativ einfach. Der Vorgang des Testierens wird im Rahmen dieser Untersuchung als eine im Modus des vermögensbezogenen Rechtsgeschäfts stattfindende Todesverarbeitung begriffen. Diese Todesverarbeitung kann rein innerlich in der Weise erfolgen, daß der von Todes wegen Verfügende den universalsukzessiven Vermögenstransfer allein dazu benutzt, sein „Sein zum Tode“ für sich selbst zu entfalten. Der Testierende kann jedoch die letztwillige Verfügung auch dazu instrumentalisieren, sein entfaltetes Sein zum Tode gerade der Sozietät (der Nachwelt) kundzutun – etwa indem er von Todes wegen per Potestativbedingung dem Bedachten ein bestimmtes Verhalten nahelegen will. In einer derartigen Kommunikation sieht er dann mit einen Schwerpunkt seiner Todesverarbeitung. Die Testierfreiheit wäre in diesem Blickwinkel zwangslos als Fortsetzung nicht des Eigentums, sondern als Fortsetzung des in der Interaktion mit der gesellschaftlichen Umwelt fortlaufenden Prozesses der Auseinandersetzung mit den Anderen zu erklären. Daß die vermögensrechtlichen Wirkungen ihrer Ausübung erst post mortem eintreten, steht dem nicht entgegen. Denn die interaktive Auseinandersetzung mit der Sozietät selbst ficht der Erblasser ja zu Lebzeiten aus. Und daß die Frucht dieser letztgültigen Auseinandersetzung mit der Gesellschaft persönlichkeitsrechtlich auch dann geschützt ist, wenn der soziale Geltungsanspruch erst nach dem Tode vermittelt wird, entspricht den allgemeinen Regeln des postmortalen Persönlichkeitsrechts263. Insgesamt gesehen gelingt mittels des kommunikationstheoretischen Ansatzes zum Persönlichkeitsrecht ohne weiteres ein Wertungsabgleich des gewillkürten Erbrechts mit den tragenden persönlichkeitsrechtlichen Wertungen. 2. Der perspektivische Schwenk zu den Interessen der Bedachten a) Einführung in die Figur der Anerkennung Wenn das gewillkürte Erbrecht unter dem Aspekt der interaktionstheoretischen Genese des Selbsts betrachtet wird, drängt sich automatisch die Frage auf, wessen denn das Schicksal des „Instruments“ der sozialen Genese ist: Was geschieht mit den Bedachten? Sind diese der durch die letztwillige Verfügung ins Werk gesetzten Selbstfindung und Selbstformung des Erblassers unrettbar in der Weise unterworfen, daß sie entweder die Verfügung mit all ihren für sie etwaig mißlichen Folgen (man denke etwa an letzt263 Zu diesen Regeln siehe aus der Fülle statt vieler nur Baston-Vogt, Der sachliche Schutzbereich, 292 ff.

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willige Potestativbedingungen oder an erbrechtliche Auflagen) akzeptieren oder der Erbschaft durch Ausschlagung entgehen müssen? Nun wurde schon kurz angesprochen264, daß Anklänge zu der hegelschen Sicht der Entfaltung des Selbstbewußtseins durch den intersubjektiven Prozeß der Anerkennung auf der Hand liegen, wenn die Genese der Persönlichkeit als Produkt einer fortgesetzten Dialektik von sozialer Kommunikation und persönlicher Identität betrachtet wird. Dieser Gedanke wird sich als überaus fruchtbar erweisen. Denn in ihm findet sich in nuce die Vorstellung, daß der Erblasser sich selbst nicht bloß „individualegoistisch“ auf Kosten anderer entfalten kann, sondern daß er im Vorgang des Testierens die Bedachten als Rechtspersonen anerkennen muß, weil er sich selbst als Rechtsperson im persönlichkeitsrechtlich verstandenen Testieren geriert. Der rechtliche Schutz der Bedachten findet sich mithin in einem rechtsdogmatischen Konzept, welches mit dem Begriff der „Anerkennung“ einmal umrissen werden soll, und welches rechtstechnisch in der Sittenwidrigkeitsprüfung des § 138 I BGB265 situiert. Dies klingt alles mehr als kryptisch. „Anerkennung“ ist eine personenrechtsdogmatisch eher unbekannte Figur. Im Folgenden wird deshalb anhand einer auf die Bedingungen nachmetaphyischen Denkens zugerichteten Rekonstruktion der hegelschen Figur der Anerkennung gezeigt werden, was es heute bedeutet, wenn von der Anerkennung des je anderen die Rede ist (dazu b.). Dieser eher sozialphilosophisch ausgerichteten Überlegung fehlt freilich noch jeder Bezug zum Wertungsgeflecht des Rechts, so daß die Figur der Anerkennung rechtsdogmatisch insoweit noch nicht trägt. Es muß deshalb im Anschluß an die sozialphilosophische Rekonstruktion personaler Anerkennung der geltungstheoretische Nachweis gesucht werden, daß Anerkennung auch eine genuine Figur des Rechts ist. Dies wird durch den Gedanken verfolgt, Anerkennung mit der Allgemeinheit des Rechts ins Verhältnis zu setzen (dazu 3.). b) Sozialphilosophische Grundlegung der Anerkennungsfigur aa) Begrifflichkeiten Der Begriff der Anerkennung besitzt weder alltagssprachlich noch philosophisch klare Konturen. Axel Honneth266 hat dies exemplarisch an drei Theorietraditionen 267 verdeutlicht: Im Zusammenhang der feministischen 264

Oben § 9 IV 3. Dazu ausführlich unten § 12. 266 Honneth, Zeitschrift für philosophische Forschung 51 (1997), 25 (26). 267 Die von Honneth gewählte Auswahl ist nicht zufällig, sondern hängt mit der weiteren Entfaltung seiner Theorie der Anerkennung in den drei Weisen von Liebe 265

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Ethik gewinnt Anerkennung den am Beispiel des Mutter-Kind-Verhältnisses entwickelten Gehalt liebevoller Zuwendung und Fürsorge. Im Kontext der Diskurstheorie wird die Figur der Anerkennung paradigmatisch am Diskussionsverhalten von Argumentationsteilnehmern entwickelt und insofern als wechselseitige Respektierung der Besonderheit und zugleich Gleichheit aller teilnehmenden Personen verortet. Und im Umfeld kommunitaristischen Denkens wird die Figur der Anerkennung stellenweise dazu verwendet, fremden Lebensweisen eine Wertschätzung zu vermitteln, wie sich sich im Horizont gesellschaftlicher Solidarität herausgebildet hat. Anerkennung gewinnt hier demnach als umhegende Fürsorge, differenzierende Gleichachtung und solidarische Wertschätzung ein jeweils begrifflich genaues Profil. Soweit das gewillkürte Erbrecht zur Rede steht, wird Anerkennung in dieser Untersuchung nicht als Ausdruck von Fürsorge oder Wertschätzung, sondern spezifisch rechtlich begriffen werden: Anerkennung bedeutet insofern, daß eine jede Rechtsperson den anderen als Rechtsperson zu respektieren hat: „Das Rechtsgebot ist daher: sei eine Person und respektiere die anderen als Personen“268. Bei einem Denken in Anerkennungsverhältnissen wird davon ausgegangen, daß schon im Begriff der Rechtsperson die Verpflichtung eingebaut ist, die Rechte der anderen Rechtspersonen zu achten269, widrigenfalls rechtliche Willenskundgebungen der Rechtsperson im schlimmsten Fall nichtig sind, § 138 I BGB270.

(Selbstvertrauen), Recht (Selbstachtung) und Solidarität (Selbstwertgefühl) zusammen; dazu auch jüngst ders., Leiden an Unbestimmtheit, passim. 268 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 36, Hervorhebung i. O. 269 Die Lösung von einem rein subjektzentrierten Autonomieverständnis der kantischen Tradition scheint hier auf der Hand zu liegen, ist es doch ein Allgemeinplatz, daß es Hegel in seiner Kritik an der kantischen Autonomie darum ging, das soziale Defiziens des autonomen Subjekts aufzudecken und Freiheitsverwirklichung in konkreten Sozialbeziehungen zu denken. Es sind aber auch Abschattierungen möglich. Für Kant folgt auf der Autonomie der Person die Verpflichtung zur Achtung des Menschen als Selbstzweck. Albrecht Wellmer, Endspiele, 106 f., sieht bei Kant einen ersten Ansatz zu einer wechselseitigen Vermittlung von Urteilsperspektiven, und Agnes Bienfait, Freiheit, Verantwortung, Solidarität, 65 f., macht zu Recht darauf aufmerksam, das das kantische „Reich der Zwecke“ (also die „systematische Verbindung verschiedener vernünftiger Wesen durch gemeinschaftliche Gesetze“, Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 66) als genuiner Ausdruck einer reziproken Subjekt-Subjekt-Beziehung begriffen werden kann, in die sich jenseits einer atomistischen Subjektivität eine in diese Subjekt-Subjekt-Beziehung verlagerte Selbstbestimmung finden läßt. Insoweit wird der Andere sowohl als Grenze als auch bestätigende Ressource oder Voraussetzung individueller Freiheit geachtet. Zum Probleme siehe ausführlich Forst, Kontexte der Gerechtigkeit, 413 ff. 270 Hierzu siehe ausführlich unten § 12. Hier kommt es zunächst nur darauf an, die Dogmatik der Anerkennung zu entfalten. Diese wird erst dann in das Recht der Sittenwidrigkeit gespiegelt, wenn es an der Zeit ist.

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bb) Anerkennung als Motor sozialer Konflikte Paradigmatisch für die Figur der Anerkennung soll im Folgenden die sozialphilosophische Rekonstruktion der Hegelschen Anerkennungstheorie durch Axel Honneth betrachtet werden271, in der das Konzept der „Anerkennung“ als Signum für die treibende Kraft sozialer Konflikte verstanden wird. Nach der Honnethschen Interpretation der Jenaer Frühschriften Hegels272 hat dieser den entscheidenden Schritt geleistet, soziale Konflikte nicht mehr, wie ehedem Machiavelli oder Hobbes, auf Selbsterhaltungsbestrebungen zurückzuführen, sondern auf moralische Antriebe, eben auf einen „Kampf um Anerkennung“273: Aus einem Kampf der Subjekte um die wechselseitige Anerkennung ihrer Identität ergebe sich ein innergesellschaftlicher Zwang zur praktisch-politischen Durchsetzung von freiheitsverbürgenden Institutionen. Dieser Anspruch des einzelnen auf intersubjektive Anerkennung ihrer selbst durchziehe von Anfang an als eine moralische Spannung das gesellschaftliche Leben und treibe die Sozietät über das jeweils institutionalisierte Maß an sozialem Fortschritt in Form eines sich stufenweise wiederholenden Konflikts hinaus auf einen Zustand einer tatsächlichen Gemeinschaft freier Bürger zu274. Durch ein derartiges intersub271 Honneth, Kampf um Anerkennung, 1992. Die Hegelsche Figur der Anerkennung ist Gegenstand zahlreicher Interpretationen gewesen, die diese Figur, welche für die praktische Philosophie Hegels durchaus zentral ist, für alle möglichen Gedanken fruchtbar gemacht haben, seien sie moral-, subjektivitäts-, geschichtsphilosophischer oder gesellschaftstheoretischer Natur. Die Hegelsche Figur des Kampfs um Anerkennung hat dabei geistesgeschichtlich einen unerhörten Folgereichtum gezeitigt, da Karl Marx aufgrund einer Integration des Arbeitsbegriffs der englischen Nationalökonomie in eine an Hegel anschließende Theorie des Kampfs um Anerkennung dazu kommen konnte, in der Differenz von Arbeit und Kapital den Grundwiderspruch der kapitalistischen Gesellschaftsformation zu sehen. All dies muß und kann hier auch getrost unberücksichtigt bleiben. Siehe deshalb zur Figur der Anerkennung nur Smid, Rechtsphilosophie, 80, 147 ff. 272 Die Rezeption des Hegelschen Konzepts der Anerkennung legt den Betrachtungsschwerpunkt stellenweise auf die Jenaer Frühschriften Hegels (wie bei Honneth, dazu ders., Kampf um Anerkennung, 50 ff.; ders., Zeitschrift für philosophische Forschung 51 (1997), 25 (30), und wie jüngst bei Dellavalle, Freiheit und Intersubjektivität, 118 f.) oder auf die Phänomenologie des Geistes oder auf die Enzyklopädie (Anerkennung erscheint nunmehr in der berühmten Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft), wie dies etwa bei Ludwig Siep, Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie, 1979; ders., in: Köhler/Pöggeler (Hrsg.), G. W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, 107 ff., der Fall ist. 273 Der Begriff des Kampfes ist dabei von Hobbes und der der Anerkennung von Fichte übernommen worden, welcher Anerkennung zudem als erster in die Philosophie des Deutschen Idealismus eingeführt hat, dazu Honneth, Kampf um Anerkennung, 13 ff., 20 ff., 29 ff.; speziell zur Rezeption Fichtes bei Hegel siehe die Studie von Andreas Wildt, Autonomie und Anerkennung, Hegels Moralitätskritik im Lichte seiner Fichte-Rezeption, 1982, und insbes. Kap. III.

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Kap. 4: Testierfreiheit und Persönlichkeitsrecht

jektiv erzeugtes, gegenseitiges Anerkennen entstünde ein moralisches Medium, ein Gefüge von sittlichen Anerkennungsformen, welches das Anwachsen von Gemeinschaftsbindungen und zugleich die Zunahme der individuellen Freiheit sichere275. In diesem Kampf seien drei Formen der Anerkennung erkennbar: „im affektiven Anerkennungsverhältnis der Familie wird das menschliche Individuum als konkretes Bedürfniswesen, im kognitiv-formellen Anerkennungsverhältnis des Rechts wird es als abstrakte Rechtsperson und im emotional aufgeklärten Anerkennungsverhältnis des Staates wird es schließlich als konkret Allgemeines, nämlich als in seiner Einzigartigkeit vergesellschaftetes Subjekt anerkannt“276. Honneth rekonstruiert mithin in Anlehnung an die Hegelsche Theorie der bürgerlichen Gesellschaft, wie dieser sie in seiner Rechtsphilosophie entfaltet hat, eine dreistufige Organisation der Anerkennung in den Formen von Liebe (Familie), Recht (bürgerliche Gesellschaft) und Solidarität (Staat). Jeden dieser drei Formen sei ein Zwang zur Reziprozität eingebaut, der die sich begegnenden Subjekte gewaltlos dazu nötige, je das andere Subjekt anzuerkennen: Wenn „ich meinen Interaktionspartner nicht als eine bestimmte Art von Person anerkenne, dann kann ich mich in seinen Reaktionen auch nicht als dieselbe Art von Person anerkannt sehen, weil ihm von mir ja gerade jene Eigenschaften und Fähigkeiten abgesprochen werden, in denen ich mich durch ihn bestätigt fühlen will“277. Honneth stützt dieses Konzept sodann durch eine Rezeption sozialpsychologischer, entwicklungspsychologischer, rechtswissenschaftlicher und soziologischer Theorien ab, um die für die Anerkennungsbewegung erforderliche Schicht vorgängiger Anerkennungsbeziehungen nicht mit der untragbaren Bürde metaphysischer

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Honneth, Kampf um Anerkennung, 11, 42. Kerékgyártó, Hegel-Jahrbuch 1996, 203 (204). 276 Honneth, Kampf um Anerkennung, 45 (Zitat), 151. 277 Honneth, Kampf um Anerkennung, 64 f. Nach Honneth, ebda., 72 ff., greift Hegel unnötigerweise zu drastischen Metapher eines „Kampfes um Leben und Tod“, um anhand der mit diesem Kampf und der damit verbundenen wechselseitigen Wahrnehmung ihrer Sterblichkeit durch die Subjekte zu zeigen, daß diese sich entgültig als mit Rechten ausgestattete Personen zu begreifen lernen. Es wäre sicherlich reizvoll, diese Verbindung von Anerkennung und Sterblichkeit mit dem hiesigen Verständnis des gewillkürten Erbrechts als Medium der Todesverarbeitung zu verknüpfen, was ja schon deshalb auf der Hand liegt, weil – worauf auch Honneth, ebda., 81, und bspw. Macho, Todesmetaphern, 108, aufmerksam macht – diese Todes-Metapher durch den vor allem für den französischen Kulturraum prägend gewordenen Hegel-Interpreten Alexandre Kojève so verstanden worden ist, als ob Hegel hier bereits den existenzphilosophischen Gedankengang vorweggenommen habe, in der vorgriffsweisen Gewißheit des eigenen Todes könne die Möglichkeit je individueller Freiheit erblickt werden, siehe Kojève, Hegel, 217 ff.; zur überzeugenden Kritik an dieser Interpretation Kojéves siehe allerdings Honneth, ebda., 81 f. 275

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Prämissen – nämlich mit dem hegelschen Glauben an einen objektiven Gang der Vernunft in der Geschichte – zu belasten278. Der sozialphilosphische Gehalt des Honnethschen Ansatzes interessiert in einer primär rechtsdogmatisch ausgerichteten Arbeit nicht weiter279. Der rechtsdogmatisch relevante Extrakt des sozialphilosophischen Exkurses zur Anerkennung liegt nicht in bedeutungsvollen Bewegungsgesetzen des Sozialen, vor deren Folie eine Kritische Theorie der Gesellschaft gesellschaftliche Zustände normativ focussiert, sondern in der Einsicht, daß Anerkennung etwas mit Reziprozität zu tun hat. Aus der reziproken Verfassung der Anerkennung erwächst tatsächlich jener innergesellschaftliche Zwang zur praktischen Durchsetzung von Freiheitsverbürgungen, den Honneth mit Hegel in der „moralischen Grammatik sozialer Konflikte“280 identifiziert zu haben meint, wenn Anerkennung als ein spezifisch rechtliches Konzept gelesen und damit mit dem gesellschaftlichen Ordnungspotential des Rechts und des ihn ihm lokalisierten Zwangs verbunden wird. Dazu muß es freilich überhaupt möglich sein, Anerkennung und Recht geltungstheoretisch zu verknüpfen. Das rechtliche Spezifikum, welches diese Verschwisterung zu leisten im Stande ist, ist nichts anderes als die Eigenschaft des Rechts, eben allgemein zu sein: Als Ausfluß seiner Allgemeinheit sind dem Recht – wie im Folgenden gezeigt werden wird – Wertungen der Anerkennung notwendig inhärent. 3. Wertungen der Anerkennung im Recht a) Der erste Begründungsstrang: Anerkennung und die Allgemeinheit des Rechts Nach der Honnethschen Lesart der Hegelschen Anerkennungsbewegung gelangt das Subjekt erst dann zu einem Verständnis seiner selbst als eines Trägers von Rechten, wenn es ein Wissen darüber besitzt, welche normativen Verpflichtungen es den je anderen Rechtspersonen gegenüber einzuhalten hat. Den Grund hierfür erblickt Honneth in dem Umstand, daß erst aus der Perspektive eines generalisierten Anderen281, welcher das Subjekt 278 Honneth, Kampf um Anerkennung, 107 ff., 114 ff., 153 ff., 174 ff., 196 ff.; ders., Leiden an Unbestimmtheit, passim. Zur Bedeutung Meads in diesem Zusammenhang siehe auch anschaulich Somek, Rechtssystem und Republik, 275 f. 279 Kerékgyártó, Hegel-Jahrbuch 1996, 203 (205), wirft Honneth etwa eine „offensichtliche Zirkularität der Interpretation“ Hegels vor. Die Stichhaltigkeit derartiger Angriffe muß hier auf sich beruhen. 280 So der Untertitel von Honneth, Kampf um Anerkennung. 281 Die von Mead eingeführte Bezeichnung des generalisierten Anderen steht für die verallgemeinernde Vorstellung, die eine Person von den Erwartungen und

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lehrt, die anderen Mitglieder des Gemeinwesens als Träger von Rechten anzuerkennen, das Subjekt sich auch selbst als Rechtsperson in dem Sinne verstehen kann, daß es sich seinerseits der Erfüllung seiner Ansprüche sicher sein darf282. Die Anerkennungsform des Rechts wird mithin historisch von der Prämisse universalistischer Moralprinzipien abhängig gemacht: Erst wenn das Rechtssystem als Ausdruck der verallgemeinerbaren Interessen aller Gesellschaftsmitglieder verstanden werden kann, kann es seinem eigenen Anspruch nach keine Privilegierungen der Bürger mehr zulassen. Sind Privilegierungen aber ausgeschlossen, kommt es notwendig zu genau jener Implementierung von Reziprozität, von der Honneth die Stiftung rechtlicher Anerkennung abhängig gemacht sieht, da sich die Rechtssubjekte nunmehr dadurch, „daß sie dem gleichen Gesetz gehorchen, wechselseitig als Personen anerkennen, die in individueller Autonomie über moralische Normen zu entscheiden vermögen“283. Erkennbar greift Honneth hier auf eine Anerkennung zu, die die kantische Sicht der Person als autonom über die Richtlinien seines Handelns entscheidenden Selbstgesetzgeber betrifft und damit die Ebene der Moralität focussiert. Nun war schon die Rede davon, daß die rechtliche Parallele zur Moralität die Allgemeinheit des Rechts im Sinne der durch das Recht bewerkstelligten sachgerechten Abgrenzung von Sphären der Willkürfreiheit darstellt284 – eine Abgrenzung, die heruntergebrochen auf ein konkretes Niveau praktischer Rechtsdogmatik so umschrieben werden kann, daß das Recht innerhalb eines kohärenten Systems objektiver Rechtsregeln eine verallgemeinerungsfähige Gestalt annimmt285. Würde die Rechtsperson in einem Zustand des kohärent systematisch gedeuteten Rechts auf ihren Rechten insistieren, ohne zugleich die Rechte der anderen Rechtspersonen anzuerkennen, würde sie zugleich dem Projekt der republikanischen Verfaßtheit des Rechts widersprechen, nach dem sich ein jeder Bürger aufgrund der kohärenten Systematizität des Rechts als dessen Autor begreifen darf – der Autor würde also gleichsam seiner Autorenschaft widersprechen. In der Republik hat die Rechtsperson nicht nur zugestimmt, ihre eigene Sphäre der Willkürfreiheit zu begrenzen, weil der andere seine Sphäre der Willkürfreiheit für sich reklamiert. Vielmehr erwächst schon aus den normativen Gehalten, welche die ganz herrschende Rechtsdogmatik mit der Haltungen der anderen Personen besitzt und welche ihr Verhalten bestimmt. Diese Vorstellung wird im Rahmen der sozialen Genese des Selbsts im Individuum verankert. 282 Honneth, Kampf um Anerkennung, 174 ff.; ders., Leiden an Unbestimtheit, 118. 283 Honneth, Kampf um Anerkennung, 177. 284 Oben § 1 II 3. 285 Oben § 1 II 3.

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Notwendigkeit eines kohärenten Systems rechtlicher Wertung verbindet, das rechtliche Postulat, daß ein jeder den anderen als Rechtsperson anzuerkennen hat. Denn der geltungstheoretische Urgrund des inneren Systems des Rechts ist der Grundsatz der Gleichbehandlung der Bürger286. Hieraus folgt nichts anderes, als daß im republikanischen Verfassungsstaat der Moderne die Notwendigkeit der Anerkennung besteht, weil ein jeder als eigene Freiheit immer nur das auffassen und betätigen darf, was mit der gleichartigen Freiheit des je anderen verträglich ist, so daß jeder für jeden als Freiheitschranke auf Gegenseitigkeit fungiert287 – die Freiheit eines jeden muß insofern in Ansehung der Beziehungen gedacht werden, in die ein jeder eingesponnen ist288. Nur im Prinzip reziproker Gleichheit und im Modus der Anerkennung kann die Rechtsperson ihre Freiheit mithin für sich reklamieren. Freilich geht es hier nicht um das Konzept einer Gleichheit, die oftmals als ein Gegensatz zur Freiheit verstanden wird, sondern um eine „Gleichheit als Begegnungsform unter der Bedingung von Verschiedenheit“289, wie sie eben im inneren System des Rechts verkörpert ist, welches ja auf dem Grundsatz der Gleichbehandlung: auf der Allgemeinheit des Rechts, beruht290. Und Gleichheit in Verschiedenheit heißt nichts anderes, als daß ein jeder, indem er sich als frei bestimmt, den anderen als irreduzibel verschieden erachtet, auch wenn der Grund der Lebensäußerungen des anderen nicht eingesehen oder für nicht richtig gehalten wird291. Im normativierten Begriff der Rechtsperson ist mithin die Anerkennung des anderen als eine Einstellung, die wir wechselseitig einzunehmen verpflichtet 286 Siehe zur Einsicht, daß Rechtsdogmatik bei Lichte betrachtet der immerwährende Versuch ist, mittels systematischer Überlegungen die Gleichbehandlung des wesentlich Gleichen zu gewährleisten, oben § 1 II 3 a. 287 Suhr, Gleiche Freiheit, 16; ders., Entfaltung, 108 ff., mit ausdrücklichen Bezug auf die Allgemeinheit des Rechts, zudem in ders., Entfaltung, 134, auf den kantischen Rechtsbegriff; ebenso etwa Hollerbach, in: Leipold (Hrsg.), Selbstbestimmung, 35 (44). Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, 22, erklärt anschaulich, daß die Anerkennung eines anderen als Gleicher notwendig völlige Freiheit im hobbesschen Sinn ausschließt. Auch innerhalb der Persönlichkeitsrechtsdogmatik wurde die Anerkennung der Persönlichkeit des je anderen als Voraussetzung der je eigenen Persönlichkeit angesehen, siehe nur Leuze, Entwicklung, 43. 288 Dazu auch Theunissen, in: Henrichs/Horstmann, Hegels Philosophie des Rechts, 317 (319); Hösle, Hegels System, 469 ff. 289 Suhr, Gleiche Freiheit, 5; siehe auch ders., Entfaltung, 112. Es geht also um größtmögliche Gleichheit bei größtmöglicher Verschiedenheit. Allg. dazu Somek, Abwägungsregeln, 64 ff., 71 ff., der von „Gleichheit als Freiheitsrecht zweiter Ordnung“ spricht (ebda., 64). 290 Suhr, Entfaltung, 140, faßt dies in die schöne Sentenz: „Die Gleichheit, die die Seele der Freiheit ist, muß eine Gleichheit sein, die freimacht, ohne gleichzumachen“. 291 Somek, Abwägungsregeln, 36 ff.; ders., in: Koller/Puhl (Hrsg.), Aktuelle Fragen politischer Phhilosophie, 62 (64).

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sind, um gemeinsam die Bedingungen unserer Rechtspersonalität zu sichern, je schon enthalten292, 293. Nichts anderes gilt auch für den todesverarbeitenden Erblasser. Es bleibt dem einzelnen rechtlich selbstverständlich unbenommen, sein „Sein zum Tode“ im Modus innerster Reflexion quasi a-sozial zu suchen294. Bei einer derartigen „Entfaltung nach innen“ sind Wertungen der Anerkennung mangels anzuerkennender Person offensichtlich nicht relevant295. Wenn jedoch der Erblasser seinen Tod nicht in einer „Enklave der Zurückgezogenheit“296, sondern per letztwilliger Verfügung und damit mittels rechtlicher Kategorien zu verarbeiten trachtet, tritt er aus dem Modus reiner Innerlichkeit hinaus und in die Sphäre der Allgemeinheit des Rechts hinein. Er muß 292 Ob diese Verklammerung von Anerkennung und Rechtsperson zur Folge hat, daß der Begriff des Rechtsverhältnisses und nicht der des subjektiven Rechts der privatrechtstheoretische Grundbegriff ist, kann hier offen bleiben. Habermas, Faktizität und Geltung, 116 f., etwa geht davon aus, daß subjektive Rechte nicht schon ihren Begriff nach auf atomistische Individuen bezogen seien, sondern daß sie auf der Figur der gegenseitigen Anerkennung beruhen. Auch die Kategorie des subjektiven Rechts würde dann das Projekt gegenseitiger Anerkennung voraussetzen. 293 Mit dieser Vorgängigkeit der Anerkennung gegenüber der individualegoistischen Zweckverfolgung einzelner Rechtssubjekte ist zugleich das Konzept einer Privatrechtsgesellschaft unterminiert, die in der wettbewerblichen Koordination individueller Handlungspläne eine durch das Privatrecht untermauerte, ordnungsstiftende Kraft ansiedelt. Siehe zum Zusammenhang des Konzepts der Privatrechtsgesellschaft und der Anerkennung – freilich auf diskurstheoretischer Grundlage – nur Günther, RJ 11 (1992), 473 (492 ff.). Mit dem Konzept der Anerkennung ist auch kein Begriff positiver Freiheit notwendig verbunden. Mit einem Begriff positiver Freiheit wird zumeist ein Freiheitsverständnis verbunden, welches Freiheit primär in dem Erreichen der dem Menschen eigenen, von seiner Willkür unabhängigen Bestimmung sieht (dazu nur die grundlegende Studie von Isaiah Berlin, Two Concepts of Liberty, in: ders., Fours Essays on Liberty, Oxford, 1969, 118 ff.; sowie als Übersicht Alexy, Theorie der Grundrechte, 194 ff.; Böckenförde, Recht, Staat, Freiheit, 44 ff.). Zwar löst sich mit der Anerkennung der Freiheitsbegriff des Rechts insoweit von einem Begriff der negativen Freiheit, als nunmehr der einzelne nicht mehr monadengleich in einer Welt potentiell als unbegrenzt gedachter Freiheit handelt, in der der andere nur als Grenze der eigenen Ausdehnung erscheint. Schädlich ist dies freilich schon deshalb nicht, weil das Konzept der Anerkennung auf der kantischen Allgemeinheit des Rechts beruht. Kersting, Recht, Gerechtigkeit und demokratische Tugend, 466 f., stellt zu Recht die Gemeinsamkeit zwischen den Vergesellschaftungsmedien von Markt, Recht und Diskurs hervor, jeweils auf der Anerkennung des gleichen Freiheitsrechts des anderen zu beruhen, wenngleich er gegen die Anerkennungskonzeption zugleich ebda., 492, mit der Sentenz „rationalmoralische Anerkennungschoreographie des Universalismus“ polemisiert. 294 Daß dies der alleinige Modus sein soll, nach dem Heidegger das Sein zum Tode verstanden haben soll, ist Heidegger oft vorgeworfen worden, siehe dazu schon oben § 9 II 3 b. 295 Dazu auch Suhr, Entfaltung, 96 f. 296 Suhr, Bewußtseinsverfassung und Gesellschaftsverfassung, 354.

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sich dann auch anhalten lassen, als Rechtsperson die rechtliche Verfaßtheit der Bedachten als Rechtsperson anzuerkennen. b) Der zweite Begründungsstrang: Das Verbot widersprüchlichen Verhaltens Der Verweis auf den Zusammenhang zwischen Anerkennung und der Allgemeinheit des Rechts ist der erste Strang zur Begründung einer Verpflichtung der Rechtsperson, die anderen Rechtspersonen als solche anzuerkennen. Wem dieser Begründungsstrang nicht überzeugt, kann auf einen zweiten, eine konkretere Ebene innerhalb der Allgemeinheit des Rechts aktivierenden Pfad verwiesen werden: dem Verbot des venire contra factum proprium. Die einzelnen Rechtspersonen beschränken einander nicht nur im gerade geschilderten Sinn der Allgemeinheit des Rechts, sondern sie benötigen einander in dem hochkomplexen Netz interdependenter Sozialbeziehungen auch, um sich je entfalten zu können; jeder ist insofern des anderen Instrument der Freiheit297. Auch für den Erblasser gilt nichts anderes. Er ist darauf angewiesen, daß die Bedachten seine Todesverarbeitung akzeptieren, wenn er nicht Gefahr laufen will, daß diese die Bedenkung ausschlagen oder die letztwillige Verfügung wegen Sittenwidrigkeit angehen. Letztwillig verfügen ist mithin nicht nur Aktion, sondern auch Interaktion298. Denn Testieren geschieht gemeinhin nicht im sozial-leeren Raum. Der Verfügende legt sich grundsätzlich Rechenschaft ab, wie die Person des Bedachten von seinem Testat berührt wird, da er ja anhand des Zuschnitts der Vermögensordnung post mortem seinen Tod zu verarbeiten gedenkt und deshalb von dem guten Willen des Bedachten durchaus abhängig ist. Der Bedachte muß das Verfügte zur Kenntnis nehmen und Zustimmung zur Verfügung durch eine unterlassene Ausschlagung signalisieren. In derartigen Konsensstrukturen nähern sich vertragliche und testamentarische Kategorien also durchaus an: Der Wirkmechanismus der einseitigen letztwilligen Verfügung kann als zeitlich verschobenes, um die normative Bindungswirkung kupiertes, im faktischen Konsens der unterlassenen Ausschlagung aber kulminierendes Verfahren verstanden werden299. Wer insofern durch die letztwillige Verfügung privatautonom handelt, trifft in der Person des Bedachten dann auf die Voraussetzung, auf das Medium seiner Entfaltung300. Es geht hier dann – ähnlich wie bei dem kommunikationstheoretischen Verständnis 297

Dazu Suhr, Gleiche Freiheit, 17 ff. Vgl. dazu allg. umfassend Suhr, Entfaltung, insbes. 78 ff., und passim; ders., Bewußtseinsverfassung und Gesellschaftsverfassung, 1975, 354 f.; ders., Der Staat 1978, 369 (388 ff.); ders., Die kognitiv-praktische Situation, 1976, 105 ff. 299 So schon Goebel, FamRZ 1995, 656 (660). 300 Suhr, Entfaltung, 88 ff. 298

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des Persönlichkeitsrechts – um ein funktional-relationierendes, interaktionistisches Verständnis von Testierfreiheit als instrumentell ausgerichteter Modus des Gebrauchs anderer301: Freiheit als Geselligkeit302 und Entfaltung auf Gegenseitigkeit303. Wenn nun der Erblasser sich dazu entschließt, seinen Tod nicht nur rein innerlich vor seinem forum internum zu verarbeiten, sondern eines der Ergebnisse seiner Verarbeitung (nämlich was mit seinem Vermögen post mortem geschehen soll) Dritten nicht nur zu offenbaren, sondern darüberhinaus mit den Mitteln des Rechts (nämlich per Verfügung von Todes wegen) zu offenbaren, handelt er auf der Ebene des Rechts. Er kann dann nicht den anderen rechtsgeschäftlich von Todes wegen bedenken und gleichzeitig dessen rechtliche Konstitution als Rechtsperson außer Acht lassen. Denn dann würde er sich in einen Selbstwiderspruch begeben, indem er rechtlich handeln und zugleich rechtlich nicht handeln will304. Der Erblasser würde nämlich nicht innerhalb des Rechts handeln können, wenn er dem anderen seine Eigenschaft bestreitet, Rechtsperson zu sein. Denn der Erblasser kann sich des Bedachten gar nur bedienen, weil dieser Rechtsperson ist, da er ihm ja etwas durch Rechtsgeschäft (die letztwillige Verfügung) zuwendet. Eine derartige Zuwendung setzt aber voraus, daß der Bedachte Rechtsträger sein kann – was wiederum dessen Eigenschaft impliziert, Rechtsperson zu sein. „Wer Subjekt sein will und schlechthin selbständig, widerspricht sich“305, wird denn auch kurz und bündig in allgemeineren Zusammenhängen formuliert. Insofern gilt zusammenfassend: Sowohl der Erblasser als auch der Bedachte sind einander je das Mittel zur eigenen Entfaltung, da sich in der Verfügung der Erblasser des Bedachten und in der Unterwerfung des Verfügten unter sein Handeln nach dem Eintritt des Erbfalls der Bedachte sich des Erblassers bedient. Das ist so gesehen reine Tatsache. Gehandelt wird in den Formen der Allgemeinheit des Rechts unter Vermei-

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Vgl. zum naheliegenden, der kantischen Tradition entspringenden Einwand, ein Denken in derartigen Kategorien der Instrumentalität entwürdige den Bedachten zum bloßen Objekt, nur Suhr, Entfaltung, 114 f. 302 Suhr, EuGRZ 1984, 529 (534 f.). 303 Suhr, Entfaltung, 113. Zustimmend zur Suhrschen Freiheitskonzeption Callies, Prozedurales Recht, 120 f.; Kau, Persönlichkeitsschutz, 68, 70; Morgenthaler, Freiheit durch Gesetz, 20, 162 ff., 222 ff., 232 ff.; Morlok, Selbstverständnis, 382, der ein rein monadologisches Freiheitsverständnis als „psychologisch uninformiert, soziologisch naiv und ökonomisch dumm“ bezeichnet. Auf die Unangemessenheit eines monadologischen Freiheitsverständnisses haben schon früh Niklas Luhmann, Grundrechte als Institution, 1965; Erhard Denninger, Rechtsperson und Solidarität, 1967; und Rupert Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 1971, aufmerksam gemacht. 304 Goebel, FamRZ 1995, 656 (660 f.). 305 Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, 39.

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dung eines selbstwidersprüchlichen Verhaltens. Also stehen Erblasser und Bedachte in Anerkennungsverhältnissen. Und das wiederum ist Recht. 4. Die Heuristik des Denkens in Wertungen der Anerkennung Wie weit die Anerkennung des je anderen als Rechtsperson gehen soll, ist wiederum eine Frage, die dem kohärenten System des Rechts zu beantworten aufgegeben ist306. Wenn jetzt noch gefragt werden sollte, was denn mit dem Konzept der Anerkennung gewonnen ist, kann hierauf schlicht geantwortet werden: Der Gewinn ist Kohärenz im System rechtlicher Wertung. Denn es wird sich zeigen lassen, daß ein personfunktionales Verständnis des gewillkürten Erbrechts kohärent dem geltenden Recht zugrundegelegt werden kann307. Insofern zählt die Personfunktionalität zur Allgemeinheit des Rechts und notwendigerweise ist ihr damit die Notwendigkeit der Anerkennung inhärent. Indem auf diese Weise auch für das letztwillige Verfügen die aus der Notwendigkeit rechtlicher Anerkennung fließenden Wertungen in dem normativierten Begriff der Rechtsperson verankert werden können, wird die Gefahr vermieden, sich in einem allzu „individualegoistisch“ ausgerichteten Projekt erbrechtlicher Todesverarbeitung in einem Wertungswiderspruch zur herrschenden Auffassung zu verfangen, daß der einzelne kein der Gemeinschaft entwundenes a-soziales Wesen darstelle308. Andernfalls müßte man sich ja zu Recht fragen lassen, wie denn angesichts der Zentrierung der Testierfreiheit auf die Persönlichkeit des letztwillig Verfügenden überhaupt die Möglichkeit rechtlich begründet werden kann, daß Verfügungen von Todes wegen sittenwidrig sein können: Diese Möglichkeit ist quasi intern aufgrund der Rechtsfigur der Anerkennung mit der Ausübung des Persönlichkeitsrechts verschwistert. Zudem wird die Dogmatik des § 138 I BGB befruchtet werden, da die Problematik der Drittwirkung der Grundrechte im Erbrecht einfacher als bisher bewältigt werden kann, indem überhaupt erst einsichtig wird, warum Interessen des Bedachten eigentlich in die Sittenwidrigkeitsprüfung letztwilliger Verfügungen einfließen können309. Auch im Rahmen des § 138 I BGB 306 Hierzu sei an dieser Stelle auf die Überlegungen zur Sittenwidrigkeitsprüfung von letztwilligen Verfügungen verwiesen, siehe dazu Goebel, Testierfreiheit und Ehegattenschutz, § 15. 307 Siehe dazu unten § 11 VII. 308 Das BVerfG betont seit BVerfGE 2, 1 (2) in ständiger Rechtsprechung, daß das Menschenbild des Grundgesetzes nicht das eines isolierten souveränen Individuums sei. 309 Dazu ausführlich Goebel, Testierfreiheit und Ehegattenschutz, § 15 I 1, II 2. Den expliziten Bogen zwischen Anerkennung und Drittwirkung schlägt auch Somek, Rechtssystem und Republik, 403 f. Fn. 507.

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stellt das Anerkennungs-Konzept demnach einen genuinen Beitrag dar, geltungstheoretisch das Gesetz als kohärentes System rechtlicher Wertung und damit als Recht zu erweisen. Insgesamt gesehen rundet das hier vorgestellte rechtliche Konzept der Anerkennung mithin das Bild eines personfunktionalen Erbrechts ab, in dem sich der Erblasser im Medium der republikanischen Gemeinschaft der Bürger rechtsgeschäftlich seiner Todesverarbeitung als Ausdruck seiner innersten Persönlichkeit widmen kann.

§ 11 Wertungsabgleich II: Das Wertungsgeflecht des Erbrechts Die bisherigen Überlegungen haben den erbrechtlichen Familiarismus, die erbrechtlichen Persönlichkeitsfortsetzungs- oder ersetzungstheorien sowie die herrschend vertretene Exegese des Erbrechts als fortgesetztes Eigentum, welche der konstitutionstheoretischen Entwicklung des intergenerationalen Gütertransfer weitgehend geschuldet war, erfolgreich kritisiert, sodann die der bisherigen Dogmatik entschwundene Kategorie des menschlichen Todes als Mittelpunkt der weiteren Betrachtung focussiert und in der Folge die Bedeutung der Verarbeitung des je individuellen Todes für die Ausbildung der Personalität und Individualität des Erblassers unterstrichen und die Wertungsparallelität zwischen dem gewillkürten Erbrecht und dem zivilrechtlichen Persönlichkeitsrecht aufgewiesen.

I. Vorüberlegung Trotz der bisherigen Vorarbeiten konnte bislang noch der Eindruck entstehen, es stünde hier weniger eine rechtsdogmatische, auf das geltende Recht bezogene Lesart des gewillkürten Erbrechts zur Rede, sondern etwas, was den „Juristen als solchen“ nicht zu interessieren habe. Wird bei Lichte betrachtet hier nicht doch in eher philosophisch-soziologischer Perspektive versucht, sich der menschlichen (und nicht der rechtlichen) Problematik des Todes zu nähern und das Ergebnis der Näherung ohne hinreichenden Halt im Gesetz als Recht aufzuweisen? Die folgenden Bemerkungen sollen zeigen, daß es so gerade nicht ist: Es gilt nunmehr, die republikanischen Gehalte des Rechtlichen (mithin: die sich in der kohärenten Systematizität der Wertung niederschlagende kantische Allgemeinheit des Rechts) geltungstheoretisch anzuseilen310, um dadurch der Gefahr zu entgehen, in einem imaginären Himmel naturrechtlicher Spekulationen den normativen Boden 310 Die Metaphorik des „Anseilens“ ist übernommen von Suhr, Entfaltung der Menschen durch die Menschen, 23, der davon spricht, Rechtsdogmatik sei an den Text des Gesetzes „angeseilt“.

§ 11 Wertungsabgleich II: Das Wertungsgeflecht des Erbrechts

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rechtlicher Positivität zu verlieren. Im Folgenden wird also der Brückenschlag zum konkreten Normbestand des geltenden gewillkürten Erbrechts gesucht, um von dieser Warte aus für dessen personfunktionales Verständnis zu werben. Es wird gezeigt werden, daß eine kohärente Erklärung der allgemein anerkannten Wertungen des gewillkürten Erbrechts – eine Erklärung allseits anerkannter Vorentscheidungen also – nur anhand des hiesigen personfunktionalen Ansatzes möglich ist. Dies wiederum heißt nichts anderes, als daß nur der Rekurs auf die personalen Gehalte des gewillkürten Erbrechts das erbrechtliche Wertungsgeflecht zum Recht gelingen läßt und damit davor bewahrt, nicht nur als Frucht bloßer auctoritas zu erscheinen. Nun wurde im Rahmen der bisherigen Überlegungen schon demonstriert, daß das Verständnis des Erbrechts als funktionales Vermögensrecht und der Testierfreiheit als Mittel zur Erzielung familiarer Effekte zu einer derartigen kohärenten Erklärung nicht hinreicht. Im Folgenden kommt es mithin nur noch darauf an zu zeigen, daß es beim personfunktionalen Ansatz gerade umgekehrt ist. Zudem gilt es, die personfunktionale Deutung des gewillkürten Erbrechts noch weiter gegen eine etwaige Kritik abzusichern. Vor diesem Hintergrund wird für die kohärente Deutung des geltenden Normbestands mehreres herangezogen. Einmal muß der weit ausgebaut erbrechtliche Schutz des Erblasserwillens untersucht werden. Hier geht es um den Schutz der inhaltlichen Willensbildung und der rechtlichen Willenserforschung (Auslegungs- und Anfechtungsfragen) (dazu II.). Sodann gilt es, das Prinzip formeller und materieller Höchstpersönlichkeit einer Analyse zu unterziehen (dazu III.). Neben diesem Schutz des Erblasserwillens kommt die Einbettung der hiesigen These in das sonstige Wertungsgeflecht des Erbrechts zur Sprache (dazu IV.), um dann den Schutz der Bedachten zu thematisieren, die von der Verfügung von Todes wegen aus ihrer Sicht negativ (etwa durch erbrechtliche Auflagen oder Potestativbedingungen) betroffen sind (dazu V.). Schließlich stehen die Auswirkungen einer persönlichkeitsrechtlich verstandenen Testierfreiheit auf das lebensweltliche Handeln und die gesellschaftliche Reproduktion zur Rede (dazu VI.). Beides könnte durch eine „individualegoistisch“ ausgelegte Entfesselung des freien Testierwillens Schaden nehmen. Hier gilt es zu zeigen, daß diese Gefahr nicht besteht.

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Kap. 4: Testierfreiheit und Persönlichkeitsrecht

II. Der inhaltliche Schutz des Erblasserwillens im Erbrecht 1. Testamentsauslegung a) Streitstand zur Testamentsauslegung Ziel der Testamentsauslegung ist es, den rechtlich maßgeblichen Sinn der Erklärung zu ermitteln311. Was unter der Rechtsfigur „rechtlich maßgeblicher Sinn“ genau zu verstehen ist, ist umstritten. Zwar besteht weitgehend312 Einigkeit darüber, daß den Bedachten kein Vertrauensschutz in der Weise zukommt, daß die testamentarische Erklärung von ihrem objektivierten Horizont zu verstehen ist, sondern daß das Erfolgsinteresse des Erklärenden vorgeht313. Anschaulich ist deshalb verbreitet von einem erbrechtlichen „Willensdogma“ die Rede314. Umstritten ist aber die Frage, in welchem Verhältnis Wille und Erklärung stehen. Zum Teil wird als maßgebliche315 Richtschnur der Auslegung der wirkliche Wille des Erblassers angesehen. Im weiteren wird dann die Frage gestellt, ob dieser formgerecht erklärt worden ist316. Andere wiederum bestreiten, daß es bei der Testamentsauslegung um die Ermittlung eines von der Erklärung losgelösten Willens gehe. Vielmehr sei die Aufgabe gestellt, denjenigen Willen zu ermitteln, der rechtlich erklärt worden sei; die herkömmlich als Formproblem begriffene Andeutung des erblasserischen Willens in der Testa311 BGH, FamRZ 1987, 475 (476); Staud-Otte, Vorbem §§ 2064 ff. Rn. 23; MünchKomm-Leipold, § 2084 Rn. 1; Soergel-Loritz, § 2084 Rn. 2; Brox, Erbrecht, Rn. 194; Lange/Kuchinke, § 34 III 3 a. 312 Anders Larenz, Die Methode der Auslegung des Rechtsgeschäfts, 80; aufgegeben in ders., AllgT, § 19 II d. 313 MünchKomm-Leipold, § 2084 Rn. 5; Staud-Otte, Vorbem. §§ 2064 ff. Rn. 24; Soergel-Loritz, § 2084 Rn. 4; Palandt-Heinrichs, § 133 Rn. 13; Palandt-Edenhofer, § 2084 Rn. 1; Brox, Erbrecht, Rn. 195; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 392; Lange/Kuchinke, § 34 III 2 c; Schlüter, Erbrecht, Rn. 191; Larenz/Wolf, AllgT, § 28 Rn. 15. 314 Mot. V, 45; Dernburg, Erbrecht, 118 f.; Crome, Erbrecht, 90; RGRK-Johannsen, § 2084 Rn. 1; Soergel-Loritz, § 2084 Rn. 5; Staud-Otte, Vorbem. §§ 2064 ff. Rn. 25; Brox, Erbrecht, Rn. 196. Ablehnend zum Begriff „Willensdogma“ im Zusammenhang mit der Auslegung (nicht aber im Zusammenhang mit der Anfechtung des Testaments) MünchKomm-Leipold, § 2084 Rn. 2. 315 Andere Topoi sind selbstverständlich die herrschend so genannten Auslegungsregeln, die rechtlichen und tatsächlichen Umstände, von denen der Erfolg der Verfügung abhängt und das Verhältnis, welches zwischen der Testamentsurkunde und der Erklärung angenommen wird, siehe Staud-Otte, Vorbem §§ 2064 ff. Rn. 23. 316 BGHZ 86, 41 (45); Brox, Erbrecht, Rn. 194 f., 197; v. Lübtow, Erbrecht, Bd. 1, 265 f. Zum Verhältnis zwischen inneren Willen und Form siehe in diesem Zusammenhang mit kritischem Duktus Brox, Einschränkung der Irrtumsanfechtung, 142; v. Lübtow, ebda., 268 f.; Häsemeyer, Die gesetzliche Form der Rechtsgeschäfte, 144; Foerste, DNotZ 1993, 84 ff.

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mentsurkunde wird gewissermaßen nicht als Formproblem, sondern als Frage der Auslegung verortet. Es käme mithin darauf an, was der Erblasser mit seinen Worten hat sagen wollen317. Dieser Streit ist für die hier allein relevante Frage nicht weiter von Interesse, ob eine personfunktionale Deutung der Testierfreiheit die Art und Weise der erbrechtlichen Auslegung kohärent erklären kann. Denn Focus der kohärenten Erklärung muß dasjenige sein, was die Testamentsauslegung von der Auslegung sonstiger Willenserklärungen unterscheidet. Diejenigen, die für eine Ermittlung nicht des wirklichen, sondern des erklärten Willens votieren, wenden aber nur allgemeine Grundsätze über das Verhältnis von Wille und Erklärung an, die nicht auf die Auslegung von Testamenten beschränkt sind. Die erbrechtliche Differenz zur Auslegung sonstiger Willenserklärung – nämlich die Erforschung des erblasserischen Willens ohne Rekurs auf den objektivierten Horizont der von Todes wegen Bedachten – wird aber keineswegs in Frage gestellt. Bezugspunkt der kohärenten Deutung des gewillkürten Erbrechts ist mithin die Willensherrschaft des Erblassers: Es gilt zu erklären, warum das BGB von einer derartigen Willensherrschaft ausgeht, ohne zugleich irgendwelche Gegeninteressen der Bedachten zu berücksichtigen. b) Kritik der herrschenden Deutung des auslegungsrechtlichen Willensdogmas Das auslegungsrechtliche Willensdogma des Erbrechts wird gemeinhin damit erklärt, es fehle sowohl an einem Erklärungsempfänger als auch an einem schutzwürdigen Vertrauenstatbestand318. Nun war schon die Rede davon319, daß allein die Konzeption des Testaments als einseitige, nicht empfangsbedürftige Willenserklärung nicht erklären kann, daß ein auf den Empfängerhorizont bezogener Vertrauensschutz nicht in Betracht komme. Denn die Nichtempfangsbedürftigkeit des Testaments regelt – erstens – rechtstechnisch den Zeitpunkt der Wirksamkeit der testamentarischen Erklärung320. Zudem ist sie – zweitens – eine notwendige, den Systembedürfnissen des Bürgerlichen Gesetzbuches geschuldete Folge der gesetzgeberi317 Ganz herrschende Meinung, BGH, FamRZ 1987, 475 (476); BGH NJW 1993, 256; MünchKomm-Leipold, § 2084 Rn. 2; Soergel-Loritz, § 2084 Rn. 2; Staud-Otte, Vorbem. §§ 2064 ff. Rn. 23; Palandt-Edenhofer, § 2084 Rn. 1; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 391; Lange/Kuchinke, § 34 III 3 b; Schlüter, Erbrecht, Rn. 191. 318 MünchKomm-Leipold, § 2084 Rn. 5; Soergel-Loritz, § 2084 Rn. 4; StaudOtte, Vorbem. §§ 2064 ff. Rn. 24; Brox, Erbrecht, Rn. 195; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 392; Schlüter, Erbrecht, Rn. 191; Flume, AT II, § 16, 5. 319 Oben § 3 IV 2. 320 Lüderitz, Auslegung, 98.

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schen Wertung, ein Bedachtenschutz sei nicht erforderlich, erklärt diese Wertung selbst aber noch nicht. Schließlich kann die Nichtempfangsbedürftigkeit – drittens – als Ausdruck der Tatsache gedeutet werden, daß der Erblasser mit der letztwilligen Verfügung seine Todesverarbeitung auch an die Sozietät kommuniziert, um ihr gegenüber sein im „Sein zum Tode“ entfaltetes selbstbestimmtes Eigenbild zu vermitteln. Einer derartigen Vermittlung würde eine Empfangsbedürftigkeit der Todesverarbeitung zumindest symbolisch entgegenstehen. Freilich steht der herrschenden Meinung, die das gewillkürte Erbrecht als fortgesetztes Eigentum versteht, diese Erklärung der Nichtempfangsbedürftigkeit nicht zur Verfügung. Sie kommt daher nicht umhin, anders zu argumentieren. Tragend für die Verneinung eines Bedachtenschutzes können nach der herrschenden Ansicht mithin nur Gründe sein, die die Schutzwürdigkeit der Bedachten bestreiten. Derartige Gründe werden gemeinhin durch einen Vergleich des testamentarischen Erwerbs mit Rechtsgeschäften unter Lebenden und den dort zum Ausdruck kommenden Schutzkautelen gewonnen. Danach soll ein Schutz der Bedachten321 – erstes Argument – ausscheiden, weil ein Vertrauen nur dort gerechtfertigt sei, wo der Versprechende gebunden ist. Beim Testament sei dies ausweislich der §§ 2253 I, 2302 BGB nicht der Fall322. Das Risiko einer überraschenden Auslegung sei daher nicht von vornherein unzumutbar323. Überzeugend ist dieses Argument schon deshalb nicht, weil eine fehlende testamentarische Bindung zu Lebzeiten und eine Auslegung post mortem aus dem Horizont der Bedachten sich nicht ausschließen. Denn die Zurechnungsfrage, ob und wieweit auf der einen Seite der Dritte vertrauen darf, der von Todes wegen erworben hat, wenn die letztwillige Verfügung objektiviert ausgelegt wird, und welches Vertrauen auf der anderen Seite der andere Dritte verdient, bei dem der Erwerb eintritt, wenn der erklärte Wille des Erblassers nicht-objektiviert ermittelt wird324, wird ja von der fehlenden Bindung zu Lebzeiten 321 Im Folgenden wird nur von dem Schutz der Bedachten die Rede sein. Selbstverständlich käme auch die Frage nach dem Schutz derjenigen Personen in Betracht, die bei einer auf den Horizont des Bedachten bezogenen Testamentsauslegung leer ausgingen oder beschwert würden (dazu auch Staud-Otte, Vorbem. §§ 2064 ff. Rn. 5). Insofern stellt sich eigentlich die Frage, ob allein eine Auslegung nach dem erklärten Willen des Erblassers zur Rede steht oder eine Auslegung objektivierter Art in Frage kommt, die auf die Horizonte aller Betroffenen, also nicht nur der Bedachten, eingeht. Die im weiteren gepflogene Rede von dem „Schutz der Bedachten“ bezieht mithin die Betroffenen ein. 322 MünchKomm-Leipold, § 2084 Rn. 5; Soergel-Loritz, § 2084 Rn. 4; StaudOtte, Vorbem. §§ 2064 ff. Rn. 5, 24; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 392; Schlüter, Erbrecht, Rn. 191; Lüderitz, Auslegung, 98; Stumpf, Auslegung, 142 f. 323 MünchKomm-Leipold, § 2084 Rn. 5. 324 Es liegt auf der Hand, daß die Objektivierung der Auslegung bei einem Testament noch stärker wäre als bei einem Vertrag. Dort käme es ja immerhin noch auf

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nicht berührt. Zudem zieht nicht ohne weiteres die Tatsache, daß eine jederzeitige Änderung einer Erklärung möglich ist, unabweislich auch die weitere Tatsache nach sich, daß auch die Auslegung des jeweils Geänderten nicht-objektiviert erfolgen muß. Denn mit einer Mischung zwischen jederzeitiger Änderungsmöglichkeit und objektivierter Auslegung des Geänderten können ja ganz bestimmte Effekte im Rechtssystem hinsichtlich der Verbindung von Recht und Wirtschaft erzielt werden. So wird mit einer rein willensbezogenen Auslegung eine ganz andersartige Weise der strukturellen Kopplung325 von Recht- und Wirtschaftssystem erreicht, als dies etwa bei der objektivierten Vertragsauslegung der Fall ist. Den Gerichten sind bei einer Verpflichtung auf die Verwirklichung des Erblasserwillens Möglichkeiten aus der Hand geschlagen, etwa verstärkt Interessen aus dem Wirtschaftssystem in die Auslegung einfließen zu lassen, wie dies etwa im Vertragsrecht der Fall ist, wo sie den normativierten Horizont des Erklärungsempfängers einer vertraglichen Willenserklärung so und so und nicht anders zuschneiden326. Wenn die Testamentsauslegung rein willensbezogenen betrieben wird, ist die über den Vorgang der Auslegung hergestellte strukturellen Kopplung zwischen Recht und Wirtschaft mithin recht lose. Die Schlußfolgerung von der jederzeitigen Änderungsmöglichkeit auf den Ausschluß der Auslegung nach dem objektivierten Erklärungssinn erklärt aber nicht, warum dies so ist. Das müßte sie aber. Denn es könnte sich ja herausstellen, daß es gute Gründe des Rechts für eine enge strukturelle Kopplung zwischen Recht und Wirtschaft im intergenerationalen Gütertransfer gibt – gute Gründe, die um so eher vorliegen dürften, desto stärker das gewillkürte Erbrecht als funktionales Vermögensrecht und die Testierfreiheit als fortgesetzte Eigentümerfreiheit verstanden wird. Das Argument der herrschenden Meinung bedarf deshalb der Ergänzung durch eine weitere Prämisse. Diese Prämisse könnte darin bestehen, rechtliche Gründe aufzuzeigen, warum die strukturelle Kopplung zwischen Recht und Wirtschaft gerade im intergenerationalen Gütertransfer gering sein soll. Können derartige Gründe nicht gefunden werden, muß das Argument selbst fallengelassen werden. Nun kann innerhalb eines Verständnisses des Erbrechts als funktionales Vermögensrecht eine derartige Prämisse kaum gefunden werden. Denn die Funktionalität des Erbrechts für die sachgerechte Vermögensverfassung würde ja steigen, wenn die strukturelle Kopplung zwischen die Usancen der beteiligten Verkehrskreise an, dem der Empfänger der Willenserklärung angehört. Das Testament müßte aber gewissermaßen aus dem objektivierten Horizont aller Bürger heraus ausgelegt werden, um dann zu sehen, wer der Erbe geworden ist. 325 Zur strukturellen Kopplung als ein Mechanismus, mit Hilfe dessen ein Strukturabgleich zwischen dem Rechtssystem und den gesellschaftlichen Subsystemen erfolgen kann, siehe schon oben § 5 II 4 c. 326 Siehe allgemein dazu Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, 461, 463 f.

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(Erb-)Recht und Wirtschaft zunähme. Die erforderliche Prämisse kann aber in dem oben skizzierten Sinn der Todesverarbeitung gesehen werden. Denn mit ihr wird deutlich, warum wegen der willensbezogenen Testamentsauslegung die strukturellen Kopplung zwischen Wirtschaft und Recht so überaus lose wird: Alles andere wäre nicht mit der Einsicht in Einklang zu bringen, daß dem einzelnen mit dem Testament eine Art der Todesverarbeitung zur Verfügung gestellt wird, die in besonders probater Weise die funktionale Eigenlogik der gesellschaftlichen Subsysteme (zu denen auch die Wirtschaft gehört) so stört, daß der einzelne seine Personalität zum Tode hin entfalten kann327; eine enge strukturelle Kopplung von Recht und Wirtschaft wäre hier überaus unsinnig. Hieraus folgt zugleich, daß die Argumentation der herrschenden Meinung, warum eine Ermittlung des objektivierten Erklärungssinns nicht in Frage kommt, nur stimmig ist, wenn als weitere Prämisse in den Argumentationsgang die Einsicht eingefügt wird, daß der Sinn der jederzeitigen Änderungsmöglichkeit des Testaments (und auch der willensbezogenen Auslegung) darin besteht, das diffizile Geschäft der individuellen Todesverarbeitung zu erleichtern – und dies heißt nichts anderes, als daß das Erbrecht als funktionales Persönlichkeitsrecht verstanden wird. Dies ist das eine. Auch das Argument, der Bedachte würde durch eine willensbezogene Auslegung nicht untragbar überrascht, überzeugt nicht. Ob etwas überraschend ist, hängt von den jeweiligen Erwartungsstrukturen ab, mit denen derjenige, der Informationen verarbeitet, der Welt gegenüber tritt. Die Erwartungsstrukturen können vor und nach dem Tode des Erblassers durchaus divergieren. Rechtlich allein interessant ist die Frage, ob sie mit Recht divergieren. Die Folgerung, vor dem Ableben sei eine Änderung des Verfügten nicht überraschend, mithin post mortem ebenfalls nicht, nimmt sich daher der Frage gar nicht an, ob post mortem nicht anders erwartet werden darf als zu Lebzeiten des Erblassers. Wird zudem das Erbrecht als fortgesetztes Vermögensrecht konzipiert, wäre doch erst einmal zu fragen, wo denn das berechtigte Interesse des Erblassers ist, auch post mortem auf Auslegung von seinem subjektiven Horizont aus zu insistieren. Denn falls das Recht nicht nur auf eine Entscheidung des Gesetzgebers und damit auf bloße auctoritas zurückgeführt werden, sondern sich wirklich als Recht erweisen soll, bleibt ja die alte, schon im Kontext der naturrechtlichen Erbrechtsdebatte des Vernunftsrechts von Thomasius und Pufendorf aufgeworfene, in der Wende des 18. zum 19. Jahrhunderts erneut thematisierte und schon in dieser Untersuchung328 dargelegte Frage offen, wieso überhaupt die Rechtsperson ein Interesse daran haben soll und kann, welches Schicksal ihrem Vermögen post mortem zugedacht sein soll. Aus Sicht des Erbrechts als fortgesetzes Eigentum spricht mithin nichts dagegen, daß der Be327 328

Dazu oben § 9 IV 2. Oben § 5 II 2.

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dachte anderes erwarten darf als zu Lebzeiten des Erblassers. Damit bricht aber das Argument, der Bedachte würde überrascht, in toto weg. Für die rein auf den Willen des Erblassers bezogene Auslegung kann auch nicht – zweites Argument – angeführt werden, der bei einer Auslegung vom objektivierten Bedachtenhorizont her bedachte Dritte verdiene keinen Schutz, weil es keinen Grund gäbe, ihm die sich aus der Verfügung ergebenden Vorteile zuzurechnen; dies zeige auch der fehlende Schadensersatzanspruch bei einer Anfechtung nach § 2078 III BGB329. Zweierlei ist hier ungereimt. Einmal schlägt der Verweis auf § 2078 III BGB schon deshalb fehl, weil damit ja das Problem nur in das Anfechtungsrecht verschoben wird. Die bislang unbeantwortete Frage heißt dann: Warum gibt es die Regelung des § 2078 III BGB? Darüberhinaus wird nicht nachgewiesen, warum es keinen Grund geben soll, den nach objektivierten Auslegungsgrundsätzen Bedachten die Vorteile des erbrechtlichen Erwerbs zuzurechnen. Die fehlende Entgeltlichkeit des Erwerbs reicht zur Verneinung der Schutzbedürftigkeit jedenfalls nicht hin330, da ja auch bei der Schenkung der objektive Erklärungswert und nicht das vom Schenker Gewollte relevant ist331. Stellenweise wird denn auch die Schutzbedürftigkeit mit dem Hinweis verneint, bei der Vertragsauslegung hätten sich die Beteiligten wechselseitig aufeinander eingestellt, so daß beide sich jeweils darauf einlassen müßten, was der je andere vernünftigerweise gemeint habe; bei der letztwilligen Verfügung, bei der der Erblasser eine Ordnung setzte, die seine Nachfolge regele, fehle diese Wechselseitigkeit332. Eine derartige Überlegung geht ersichtlich von der Vorstellung aus, die Nachfolgeordnung würde ohne jeden Bezug auf diejenigen, die sie mit Leben füllen müssen, quasi a-sozial ins Werk gesetzt. Warum dieser phänomenologische Befund aber sein darf, wird nicht weiter thematisiert, obwohl doch in dem Rekurs auf den Nachfolge-Topos durchaus durchschimmert, warum eine Wechselseitigkeit im Sinne des Vertragsrechts zu Recht nicht stattfindet: eben wegen des Todes des Erblassers und des damit verbundenen, oben ausführlich skizzierten anthropologischen Stellenwerts seiner Verarbeitung.

329

So Lüderitz, Auslegung, 98; Stumpf, Auslegung, 143. Anders aber Brox, Erbrecht, Rn. 195; ders., Einschränkung der Irrtumsanfechtung, 137; Schlüter, Erbrecht, Rn. 191; Keymer, Anfechtung, 3, 86; Oertmann, Geschäftsgrundlage, 90. 331 Zwar ist die Rechtsstellung des Beschenkten gegenüber dem Schenker schwächer als beim entgeltlichen Erwerb, so etwa hinsichtlich der Erfüllungsverpflichtung, § 519, des Bestands des Erwerbs, §§ 528, 530, des Haftungsmaßstabs, § 521, im Bereicherungsrecht, §§ 816 I 2, 822 BGB, im Insolvenzrecht, §§ 134, 143 II, 39 I Nr. 4 InsO, und bei der Gläubigeranfechtung, §§ 4, 11 II AnfG. Für die Auslegung gilt dies aber nicht. 332 So Smid, JuS 1987, 283 (284). 330

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Zudem tritt in der Einschätzung, der erbrechtlich Erwerbende sei nicht schutzwürdig, die im Rahmen dieser Untersuchung vertretene Wertungsdifferenz von Erbrecht und Eigentum333 anschaulich hervor, da sich ja bei einem unentgeltlichen Erwerb unter Lebenden nicht die Grundätze zur Auslegung des Schenkungsgeschäfts gegenüber denen ändern, die bei einem entgeltlichen Erwerb gepflegt werden. Wird vor diesem Hintergrund die Wertung, der Bedachte sei nicht schutzbedürftig, aufrechterhalten, kommt es zu einem Widerspruch zu der allgemein ansonsten anerkannten Einordnung des Erbrechts als fortgesetztes Eigentum. Soll dieser Widerspruch beseitigt und zugleich ein über die Auslegung der letztwilligen Verfügung ins Werk gesetzter Bedachtenschutz verneint werden (so daß eine Auslegung vom objektivierten Bedachtenhorizont entfällt), ist es nicht mehr möglich, entsprechend der herrschenden Meinung das Erbrecht als fortgesetzes Eigentum zu konzipieren334. Damit schließt sich der Kreis: Die herrschende Deutung des erbrechtlichen Willensdogmas kann nunmehr nämlich nicht mehr die Frage beantworten, welches relevante Interesse dem Erblasser überhaupt zur Seite steht, das die Schutzbedürftigkeit derjenigen Bedachten ausschließen kann, die nur bei einer Testamentsauslegung nach dem objektiven Erklärungswert bedacht worden wären. Das Eigentümer-Interesse ist es jedenfalls nicht, da die Deutung des Erbrechts als fortgesetzes Eigentum ja entfallen ist. Ist dem so, steht nicht mehr das Erfolgsinteresse des Erblassers, sondern nur noch das Erwerbsinteresse des Bedachten in Rede. Wieso dann aber das Erwerbsinteresse des einen Bedachten, der sich von einer Auslegung nach dem Willen des Erblassers mehr Chancen verspricht, gegenüber dem Interesse des anderen Bedachten vorgezogen werden soll, der seinen Erwerb am besten bei einer Ermittlung des objektiven Erklärungsgehalts des Testaments optimiert sieht, ist nicht ersichtlich. Das beste Mittel, derartig etwaig konfligierende Interessen in einer Situation miteinander zu versöhnen, in der Interessen des Erblassers keine Rolle mehr spielen, besteht in der objektivierten Auslegung vom Bedachtenhorizont her – und zwar generell, nicht nur für einige Ausnahmetatbestände335. Insgesamt gesehen kann die Entscheidung des Gesetzgebers, warum bei der Auslegung des Testaments nicht dessen objektivierter Erklärungswert zu ermitteln ist, mit den bisherig im rechtsdogmatischen Diskurs vorgetragenen Argumenten nicht erklärt werden. Eine kohärente Deutung des Gesetzes als Recht scheidet dann aus. 333 Wertungdifferenz in dem Sinne, daß Erbrecht gerade nicht als fortgesetztes Eigentum begriffen werden kann. 334 Es sei denn, man würde eine in sich widersprüchliche Argumentation akzeptieren. Man kann dies natürlich. Nur gerinnt das Recht dann ohne weiteres in die Faktizität einer reinen auctoritas. 335 Wie sie etwa Lange/Kuchinke, § 34 III 7 a; MünchKomm-Leipold, § 2084 Rn. 7, diskutieren.

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c) Auslegung und Todesverarbeitung aa) Objektivierung der Individualisierung? Die gesetzliche Wertung, sich gegen eine auf den objektivierten Erklärungsgehalt des Testaments gerichtete Auslegung auszusprechen, kann mit der personfunktionalen Deutung des gewillkürten Erbrechts zwanglos erklärt werden. Diese Deutung gründet auf dem Gedanken, daß die anthropologische Urkonstante des Todes so verarbeitet werden kann, daß unter anderem in der Erkenntnis, Einsicht und Verarbeitung des jeseinigen Todes das Individuum sich zur Persönlichkeit zu generieren vermag. Wählt das Individuum als eine der Weisen seiner Todesverarbeitung die letztwillige Verfügung, kommuniziert es der Sozietät zugleich die darin niedergelegten Inhalte seiner Todesverarbeitung. Mit Blick hierauf war schon die Rede davon336, daß der rechtsgeschäftliche Niederschlag der Todesverarbeitung (also die Verfügung von Todes wegen) als ein genuiner Ausdruck geäußerter Identität und der damit verbundenen sozialen Geltung angesehen werden darf. Würde in dieser Situation zu einer objektivierten Auslegung des Testaments gegriffen, würde bei Lichte betrachtet die Identität des Erblassers einer objektivierenden Beurteilung unterworfen; zudem bekäme seine Person diejenige soziale Geltung zugewiesen, die sich aus dem Auslegungshorizont der Bedachten ergibt. Derartige Objektivierungen wären untragbar, wenn die mit der Todesverarbeitung verbundene personale Identität und soziale Geltung Ausdruck des Persönlichkeitsrechts des Erblassers wären. bb) Auslegung und Schutz Dritter Nun zeigt das Gesetz durch das auslegungsrechtliche Willensdogma im Erbrecht, daß es derartige Objektivierungen für untragbar hält. Hieraus kann im Wege der Abduktion337 gefolgert werden, daß das Willensdogma Ausdruck eines Verständnisses des gewillkürten Erbrechts als funktionales Persönlichkeitsrecht ist. Daß ein derartiger abduktiver Schluß ein relativ schwacher Schluß ist, schadet letztlich nicht. Denn er wird einmal abgestützt durch die skizzierten Überlegungen zur personalen Funktion individueller Todesverarbeitung. Und darüberhinaus wird sich am Ende der Erörterungen zu den einzelnen anerkannten Wertungen des gewillkürten Erbrechts zeigen, daß diese Wertungen einzig durch dessen personfunktionalistische Deutung kohärent erklärt werden können. Aus diesem Gedanken der Kohärenz folgt letztendlich, daß in dieser Untersuchung das auslegungs-

336 337

§ 10 VI 1. Zur Abduktion siehe oben § 10 I.

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rechtliche Willensdogma zu Recht als Ausprägung des Persönlichkeitsrechts des Erblassers begriffen wird. Freilich könnte gegen diese Einsicht sprechen, daß stellenweise vertreten wird, das auslegungsrechtliche Willensdogma ließe sich mit Rücksicht auf den Schutz bestimmter Dritter nicht konsequent durchhalten. Den Ausgangspunkt bildet die Wertung, derjenige sei schutzwürdig, der aufgrund einer ihm bekannten einseitigen Verfügung zu Lebzeiten des Erblassers Vermögensopfer gebracht habe. Hieraus wird dann gefolgert, es müsse – wenn dies helfe – nötigenfalls ein Wechsel von der willensbezogenen zur objektivierten Auslegung des Testaments erfolgen338. Einsichtig ist dies aber nicht. Es bleibt unerfindlich, wieso sich der Schutzaspekt ausgerechnet im Recht der Auslegung durch einen Wechsel in der Auslegungsperspektive niederschlagen soll. Grundsätzlich ist die Rückabwicklung von Leistungen im Recht der ungerechtfertigten Bereicherung und dort im genaueren in der Zweckverfehlungskondiktion lokalisiert. Das Recht der nichtehelichen Lebensgemeinschaften zeigt zudem, daß der Ausgleich von Vermögensbewegungen nach dem Zerbrechen der sozialen Primärbeziehung oftmals nicht nur diffizilste konstruktiv-technische Regelungsinstrumente auf den Plan ruft, sondern daß auch die Bewertung der Ausgleichsbedürftigkeit selbst ein schwieriges Geschäft ist. Wird im Erbrecht unversehens das Rückabwicklungsproblem auslegungsrechtlich gelöst, werden mithin nicht nur die bereicherungsrechtlichen Wertungen umgangen, es bleibt auch der gesamte Wertungsfundus außen vor, der sich mittlerweile durch die Rückabwicklungsmodelle der Vermögensbewegungen gescheiteter nichtehelicher Lebensgemeinschaften herausgebildet hat. Aus systematischen Erwägungen scheidet ein Wechsel in der Auslegungsperspektive mithin aus. cc) Auslegung und das Wertungsgeflecht des Privatrechts Dies gilt auch für die Fälle, in denen die letztwillige Verfügung in einem mittelbaren Zusammenhang mit sonstigen Rechtsbeziehungen etwas familienrechtlicher, gesellschaftsrechtlicher oder sonstiger Art steht. Hier soll nach Treu und Glauben eine Auswahl unter mehreren Auslegungsmöglichkeiten der Art erfolgen, daß derjenigen Auslegung der Vorzug zu geben ist, die bei redlicher Gesinnung des Erblassers zu dem betreffenden Rechtsverhältnis paßt, nicht aber einer solchen (möglichen) Auslegung, die „im Hinblick auf die Hintergrundbeziehungen dazu führen würde, genährte Erwartungen zu enttäuschen oder einen anderen zu übervorteilen“339. Auch hier 338 So Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 34 III 7 a; MünchKomm-Leipold, § 2084 Rn. 7. 339 So MünchKomm-Leipold, § 2084 Rn. 7.

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wieder gilt, daß der Ausgleich enttäuschter Erwartungen vornehmlich im Bereicherungsrecht angesiedelt ist und dessen Wertungen auslegungsrechtlich nicht überspielt werden dürfen; auf das zum Recht der nichtehelichen Lebensgemeinschaft Gesagte sei zudem verwiesen. Ist dem so, kann das Vorhaben, sich die Testamentsauslegung den aus den sonstigen Rechtsgebieten resultierenden Erfordernissen – seien es familienrechtliche, seien es gesellschaftsrechtliche – passend zu machen, nicht mehr gerechtfertigt werden mit dem Argument, durch Vermögensverschiebungen berechtigte Erwartungen gelte es auslegungsrechtlich vor Enttäuschung zu schützen. Das „Passend-Machen“ kann dann nicht mehr dem Schutz eines Individualinteresses geschuldet sein, sondern nur noch dem Funktionsschutz etwa des Familienoder des Gesellschaftsrechts. Wenn vor diesem Hintergrund generell ein derartiges „Passend-Machen“ befürwortet würde, hieße dies nichts anderes, als das Ergebnis der erblasserischen Todesverarbeitung den Auslegungsimperativen der gesellschaftlichen Subsysteme (Familie, Wirtschaft) zu unterwerfen. Die oben340 skizzierte gesellschaftliche Funktion der sozialen Verdrängung der Todesverarbeitung würde damit in nuce ohne weitere Begründung perpetuiert. Es kommt mithin darauf an, konkrete Interessen aus den jeweilig von der letztwilligen Verfügung mittelbar betroffenen Rechtsgebieten zu ermitteln und diese dann in Korrelation zum Erblasserwillen zu setzen. Wird dann der erblasserische Wille vor dem Hintergrund der jeweiligen konkreten Interessen ausgelegt, verdeutlicht dies – angenommen, diese Interessen schützten die Bedachten (Fall 1) –, nichts anderes als die Einbindung des Erblassers in Anerkennungsverhältnisse. Denn es war ja schon die Rede davon, daß der Erblasser sich nicht einfach unter Verweis auf seine je individuelle Todesverarbeitung der Last entziehen darf, den Bedachten als Person anzuerkennen, wenn er zur Todesverarbeitung die Form der Verfügung von Todes wegen wählt. Schützen die besagten Interessen jedoch nicht die Bedachteninteressen, sondern dienen sonstigen Zielen (Fall 2), müssen für die Dominanz nicht-erbrechtlicher Wertungen gute Gründe gefunden werden. Es steht dann nichts anderes als die Auflösung einer Prinzipienkollosion an. Dies wiederum ist nichts überraschendes, ist doch die erbrechtliche Personfunktionalität allenfalls ein Prinzip und keine Regel. Ungewöhnlich wäre es allerdings, die Auflösung der Prinzipienkollision von vornherein mit den Mitteln des Auslegungsrechts zu betreiben. Es kommt vielmehr darauf an, die gesamte Bandbreite der Wertungsmöglichkeiten zu betrachten. Kommt es dann doch einmal zu einer objektiven Auslegung der letztwilligen Verfügung, ändert sich nichts am auslegungsrechtlichen Grundsatz, daß bei der Auslegung letztwilliger Geschäfte im Erbrecht der Wille des Erblassers im Mittelpunkt steht. 340

Oben § 9 III.

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dd) Todesverarbeitung – ergänzende Auslegung – Auslegungsregeln Unerörtert blieb bisher der Stellenwert der ergänzenden Auslegung und der erbrechtlichen Auslegungsregeln341. Schon deren Existenz könnte dagegen sprechen, aus dem auslegungsrechtlichen Willensdogma des gewillkürten Erbrechts irgendein Argument für dessen personfunktionale Deutung zu gewinnen. Denn ist es nicht so, daß Auslegungsregeln aufgrund des ihnen notwendig inhärenten Drangs zur Typisierung und Standarisierung die hier propagierte Funktion letztwilliger Verfügungen hintertreiben, dem Erblasser ein gutes Mittel zur höchstindividuellen Verarbeitung seines eigenen Todes bereitzustellen? Und gilt gleiches nicht für die ergänzende Auslegung, die nun einmal nicht auf die Ermittlung des wirklichen Willens des Erblassers gerichtet ist, sondern herrschender Meinung nach auf die Ermittlung des hypothetischen Willens? Die ergänzende Auslegung und die erbrechtlichen Auslegungsregeln haben gemein, daß im Ergebnis der innere Wille des Erblassers den Inhalt des Testaments zumindest teilweise nicht bestimmt – sei es, daß ein auf das jeweilige Auslegungsproblem bezogener innere Wille (wie bei einem lükkenhaften Testament) gar nicht existierte, sei es, daß er unklar erklärt worden ist. Die vom Richter vollzogene Bestimmung des Testamentsinhalts soll verbreiteter, oft als Rekurs auf eine bloße Fiktion kritisierter342 Ansicht nach auf einen „hypothetischen Erblasserwillens“ beruhen343. Bei der ergänzenden Auslegung kommt dies in Anweisungen zum Ausdruck, es gelte, den Erblasserwillen „zu Ende zu denken“344, während die Rückführung der erbrechtlichen Auslegungsregeln auf einen mutmaßlichen Erblasserwillen in der Literatur zumeist in den dogmatischen Kommentierungen zu den einzelnen Regeln zum Ausdruck kommt345.

341

Auf den alten Streit, ob zwischen Auslegungsregeln und Ergänzungsregeln zu unterscheiden sei (so etwa v. Lübtow, Erbrecht, Bd. 1, 273 ff.), wird im folgenden nicht eingegangen, da dieser Streit wenig fruchtbar ist, siehe nur Staud-Otte, Vorbem. zu §§ 2064 ff. Rn. 110 ff.; Tappmeier, Funktion, Kap. II. 342 Die Rückführung der Ergebnisse der ergänzenden Auslegung auf den hypothetischen Erblasserwillen wird stellenweise als Fiktion kritisiert, so bei Larenz, Die Methode der Auslegung, 103; Keuk, Der Erblasserwille post testamentum, 67; weitere Nachweise bei Staud-Otte, Vorbem. zu §§ 2064 ff. Rn. 82. 343 Siehe statt vieler nur MünchKomm-Leipold, § 2084 Rn. 43. 344 Siehe Soergel-Loritz, § 2084 Rn. 34; Staud-Otte, Vorbem. §§ 2064 ff. Rn. 81, 93; MünchKomm-Leipold, § 2084 Rn. 43; Brox, Erbrecht, Rn. 198 f.; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 402; Lange/Kuchinke, § 34 III 4.; Schlüter, Erbrecht, Rn. 193; Flume, AT II, § 16, 5. 345 Die Nachweise wären Legion, siehe daher nur allgemein v. Lübtow, Erbrecht, Bd. 1, 273 f.; MünchKomm-Leipold, vor § 2064 Rn. 3.

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Nun unterscheiden sich – wenn von einem hermeneutischen Ansatz ausgegangen wird – Fiktion, einfache und ergänzende Auslegung durch den Grad der Wahrscheinlichkeit des durch eine Hypothese erschlossenen Willens346. Auch die einfache Auslegung stellt daher nichts anderes als einen hypothetischen Willen des Erblassers fest. Anders gesagt, ordnet auch die einfache Auslegung dem letztwillig Erklärten (mithin: einem Text) einen Sinn zu, entschlüselt aber keinen schon vorher gegebenen Sinn347. Insofern ist sie eben hypothetisch. Nur versucht die einfache Auslegung den hypothetischen Willen des Erblassers festzustellen, der angesichts des Erklärungsverhaltens und aller Umstände psychologisch wahrscheinlich real existiert hat und normativ dem Erklärenden zugeordnet werden kann. Demgegenüber führt die ergänzende Auslegung zu einem Willen, der als psychische Realität unwahrscheinlich ist, dessen Inhalt aber mit dem Verhalten des Erklärenden insofern harmonisiert, daß er dessen „realen“ Willen gleichsam zu Ende denkt. „Fiktiv“ ist nur der in jeder Hinsicht unwahrscheinliche Wille, der zum Erklärungsverhalten keinerlei Beziehung mehr hat und der zumeist durch verselbständigte Redlichkeits- und Vernunftserwägungen oder durch zu starke Abstraktion der Willenshypothesen von mehr kasuistischen Wahrscheinlichkeitsmodellen zustande kommt348. Die Anbindung an den wirklichen Erblasserwillen ist bei den gesetzlichen Auslegungsregeln schwach ausgeprägt, da das „Auslegungs“-Ergebnis bei Einschlägigkeit der Regel349 ja eindeutig feststeht und ein Eingehen auf den Erblasserwillen nicht stattfinden kann; hier kann daher durchaus von einem fiktiven Willen die Rede sein. Demgegenüber ist die Anbindung bei der ergänzenden Auslegung stärker, da bei ihr der Richter auf der Grundlage des Testaments und der erkennbaren realen Willensrichtung des Erblassers wertend schlußfolgern muß, was der Erblasser geregelt hätte, wenn er die testamentarische Lücke bedacht hätte350. Es steht mithin keineswegs eine Art Interessenausgleich im Interesse eines störungsfreien Verkehrs zur Rede, wie er die ergänzende Auslegung des Vertragsrechts dominiert351. 346 Im Folgenden werden die auf die Auslegung vertraglicher Erklärungen gemünzten Überlegungen von Hepting, Ehevereinbarungen, 246 ff., für die Testamentsauslegung fruchtbar gemacht. 347 Zum Nachweis dieser These, einem jeden Text wohne kein Sinn inne, vielmehr würde Sinn jedem Text durch den Interpreten zugeordnet, siehe nur Goebel, Rechtsgespräch und kreativer Dissens, Kap. 1. 348 Hepting, Ehevereinbarungen, 249 ff. 349 Siehe zur prozessualen Situation Staud-Otte, Vorbem. §§ 2064 ff. Rn. 127 ff.; Tappmeier, Funktion, 206 ff.; ders., NJW 1988, 2714 ff. 350 MünchKomm-Leipold, § 2084 Rn. 43; Staud-Otte, Vorbem. §§ 2064 Rn. 93; Soergel-Loritz, § 2084 Rn. 34, 39; Brox, Erbrecht, Rn. 198 f.; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 402; Lange/Kuchinke, § 34 III 4.; Schlüter, Erbrecht, Rn. 193. 351 Siehe dazu nur Singer, Selbstbestimmung, 51 f.; Flume, AT II, § 16, 5.

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Dennoch scheint es merkwürdig zu sein, überhaupt etwas „zu Ende denken“ zu können, was bisher als Ausdruck höchstpersönlicher Wertung (nämlich dem heideggerschen Sein zum Tode352) analysiert worden ist: Wie vereinbaren sich für den hiesigen Ansatz die Möglichkeit eines ZuEnde-Denkens durch Dritte und die Höchstpersönlichkeit eben des zu Denkenden? Diese Frage braucht nicht in der Weise beantwortet zu werden, ob allgemein diese Möglichkeit (etwa aus todesphilosophischer, sprachtheoretischer oder soziologischer Sicht) gegeben ist. Denn für den Nachweis der hiesigen These, das gewillkürte Erbrecht sei personfunktional zu deuten, weil nur so seine Wertungen kohärent erklärt werden können, reicht es hin zu zeigen, daß die Möglichkeit des Zu-Ende-Denkens von etwas Höchstpersönlichem innerhalb des rechtssysteminternen Diskurses bejaht wird. Und letzteres ist der Fall. Denn auch die einfache Auslegung stellt bei Lichte betrachtet nichts anderes als einen hypothetischen Willen des Erblassers fest. Schon in ihr wird deshalb für den Rechtsdiskurs die Möglichkeit bejaht, das Höchstpersönliche durch Dritte denken zu können. Das „Zu-Ende-denken“ ist demgegenüber nur graduell, nicht aber qualitativ unterschiedlich. Wichtiger ist ein zweites Argument. In zahlreichen Fällen, in denen höchstpersönliche Rechtsgüter involviert sind, kennt die Rechtsordnung die Rechtsfigur der mutmaßlichen Einwilligung – und zwar selbst bei derartig intrikaten Gegenständen wie dem Verhältnis der Person zu ihrer Leiblichkeit353. Eine Rechtsfigur der „mutmaßlichen“ Einwilligung ist aber nur dann eine sinnvolle Rechtsfigur – und daß sie sinnvoll ist, wird ja nicht bestritten –, wenn das Recht zugleich wertet, daß höchstpersönliche Angelegenheiten in Ausnahmesituationen durchaus durch Dritte bewertet werden können. Ist dies so, läßt sich aus der Existenz der ergänzenden Testamentsauslegung kein Einwand gegen die hiesige These formulieren: Das Zu-Ende-Denken des Testaments durch Dritte (den Richter) ändert zumindest für den rechtsdogmatischen Diskurs nichts an dessen Höchstpersönlichkeit – womit zugleich die zuvor dargelegten existenzphilosophischen Einsichten über die Irrationalität der Todesverarbeitung auf die Bedürfnisse des Rechtssystems zurechtgeschnitten wird354. 352

Siehe oben § 9 II 3 a. Siehe zur mutmaßlichen Einwilligung bei Heilbehandlungsmaßnahmen nur MünchKomm-Mertens, § 823 Rn. 43; Staud-Hager, § 823 Rn. I 116 f.; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 283; allg. Baston-Vogt, Der sachliche Schutzbereich, 244 ff.; zum mutmaßlichen Willen bei der postmortalen Verwendung von Körpersubstanzen siehe BGHZ 91, 392 (399); Baston-Vogt, ebda., 310 f. Allgemein zum alt-ehrwürdigen Thema Person – Leiblichkeit aus eher phänomenologischen Blickwinkel nur Meyer-Drawe, Illusionen von Autonomie, 52 ff., 64 ff., 103 ff. 354 Woran sich zugleich zeigt, daß im Rahmen dieser Untersuchung dem Recht nicht irgendwelche Philosopheme unterschoben werden. 353

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Es bleibt das Problem des Vorhandenseins gesetzlicher Auslegungsregeln. Hier wurde schon der überaus fiktionale Charakter betont, der dem durch Anwendung der Auslegungsregeln gewonnenen Ergebnis innewohnt, wenn dieses als Ausdruck des mutmaßlichen Erblasserwillens gedeutet wird. Diese Deutung ist jedoch nicht notwendig, um die Auslegungsregeln selbst zu erklären. Vielmehr können diese auch so verstanden werden, daß mit ihnen nicht der mutmaßliche Erblasserwillen zu heben versucht wird, sondern daß sie bestimmte Steuerungsinstrumente zur Erzielung bestimmter Effekte verkörpern – etwa familiarer Art, wenn auf die gesetzlich Erbberechtigten (§§ 2067, 2104 f. BGB) oder auf die Abkömmlinge weggefallener Bedachter oder Verpflichteter (§§ 2051 I, 2068 f. BGB) verwiesen wird, wirtschaftspolitischer Art, wenn es etwa um den Schutz der Landwirtschaft geht (§ 2049 I BGB) oder gerechtigkeitstheoretischer Art, wenn Bedenkung nach gleichen Teilen (§§ 2066, 2072, 2091 BGB) oder entsprechend erblasserischen Vorentscheidungen (§§ 2098, 2148 BGB) angeordnet wird. Die erbrechtlichen Auslegungsregeln wandeln sich damit funktional eher dem dispositiven Gesetzesrecht an und errichten damit wie dieses eine materielle Gerechtigkeitsordnung, welche ihre Wertungen hintergründig sichernd – subsidiär gegenüber einem anderslautenden Erblasserwille – in den rechtssysteminternen Diskurs einfließen läßt355. Der personfunktionalistischen Deutung des gewillkürten Erbrechts schadet eine derartig hintergründige Sicherung nicht. Denn mit dieser Deutung ist ja nicht verbunden, daß das persönlichkeitsrechtliche Verständnis des Erbrechts die einzige Funktion ist, die ihm rechtlich zukommt; das wäre ja ganz ungereimt356. Schließlich ist auch unter Anfechtungsgesichtspunkten ein relevanter Unterschied der Auslegungsregeln zum dispositiven Gesetzesrecht, der etwa in der Eigenschaft zum Ausdruck kommt, Auslegungsregel zu sein, nicht ersichtlich. Ein Rechtsfolgeirrtum wird bei den erbrechtlichen Auslegungsvorschriften durchweg keine Rolle spielen, da diese ohne hin nur eingreifen, soweit sie nicht im Widerspruch stehen zum ermittelten Willen des Erblassers357. Die Existenz erbrechtlicher Auslegungsregeln steht nach all dem nicht der hier avisierten These entgegen, die Verfügung von Todes wegen sei von Gesetzes wegen als Mittel konstruiert, dem Erblasser zu ermöglichen, die höchstpersönliche Verarbeitung des je eigenen Todes schlagkräftig zum Ausdruck kommen zu lassen.

355

Siehe näher Tappmeier, Funktion, Kap. III und IV. Siehe zur Ausgangsthese, das gewillkürte Erbrecht müsse als funktionales Persönlichkeitsrecht gedeutet werden, daneben sei das Erbrecht aber selbstverständlich auch funktionales Vermögens- und (rudimentär) Familienrecht, oben § 2 I. 357 Keuk, Der Erblasserwille post testamentum, 60; Staud-Otte, Vorbem. zu §§ 2064 ff. Rn. 112; Tappmeier, Funktion, 66 ff. 356

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d) Ergebnis Die Diskussion hat gezeigt, daß die personfunktionale Deutung des gewillkürten Erbrechts geeignet ist, die gesetzgeberische Entscheidung, bei der Testamentsauslegung den wirklichen (wenn auch erklärten) Willen des Erblassers zu avisieren, als Ausdruck der letztwilligen Verfügung als Form der höchstpersönlichen Todesverarbeitung gedeutet werden kann. Die herrschenden Meinung versucht demgegenüber die gesetzgeberische Entscheidung von Erwägungen hinsichtlich der Schutzbedüftigkeit der Bedachten her aufzurollen. Sie analysiert mithin das erbrechtliche Auslegungsziel vom Bedachtenschutz und nicht vom Erblasser her. Bei dieser Untersuchungsanlage muß man sich der Frage stellen, wo die Gründe für die Verteilung von „Schutzwürdigkeit“ zu suchen sind. Der herrschenden Meinung gelingt es nicht, derartige Gründe überzeugend vorzutragen. Dies ändert sich erst, wenn der Grund für die mangelnde Schutzbedürftigkeit der Bedachten in der Person des Erblassers selbst – nämlich im Schutz seiner Todesverarbeitung – festgemacht wird. Es bleibt mithin festzuhalten, daß die funktionale Deutung des Testaments als Mittel der Todesverarbeitung und die hieraus resultierende personfunktionalistische Fassung des gewillkürten Erbrechts zur kohärenten Erklärung der gesetzgeberischen Entscheidung hinreicht. 2. Testamentsanfechtung a) Erklärungsmodelle Der die erbrechtlichen Anfechtungsvorschriften tragende Grundgedanke ist umstritten. Zwei Ansatzpunkte lassen sich unterscheiden. In dem einen Ansatz wird die sachliche Rechtfertigung der Anfechtung darin verankert, daß demjenigen, der von der irrtumsbehafteten Verfügung des Erblassers betroffen sei, die Möglichkeit verschafft werden solle, diese Verfügung zu beseitigen, um dadurch seine Erberwartung zu verbessern358. Mal wird dieser Gedanke mit dem der Richtigkeitsgewähr des irrtumsfrei Verfügten verbunden359, mal wird gerade diese Verbindung als wenig nutzbringend gekappt360. Insgesamt gesehen wird die Anfechtung bei diesem ersten Ansatz nicht von der Person des Erblassers, sondern von der Person des Anfechtungsberechtigten her gerechtfertigt.

358 So MünchKomm-Leipold, § 2078 Rn. 1; Soergel-Loritz, § 2078 Rn. 1; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 296. 359 Bei MünchKomm-Leipold, § 2078 Rn. 1 f. Zu Leipold siehe schon oben § 3 II–IV; eine nochmalige Auseinandersetzung unterbleibt hier daher. 360 Bei Soergel-Loritz, § 2078 Rn. 1.

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Bei dem zweiten Ansatzpunkt ist dies genau umgekehrt. Hier wird die erbrechtliche Relevanz des Motivirrtums auf die Erwägung zurückgeführt, es gelte, den Willen des Erblassers zu respektieren361. Begründet wird dies einmal mit der Überlegung, der Erblasser habe durch sein Testament niemandem hinsichtlich der testamentarischen Regelung sein Wort gegeben362, so daß ein schutzwürdiges Vertrauen anderer Personen nicht anzuerkennen sei363. Zudem spielten typischerweise – anders als bei Verkehrsgeschäften und hier zumal bei standardisierten Massengeschäften – bei der Gestaltung der Rechtsnachfolge von Todes wegen persönliche Motive wie Erwartungen oder Vorstellungen von Charaktereigenschaften des Bedachten, dessen Verhalten sowie die Verwandtschafts- oder Vermögensverhältnisse eine zentrale Rolle für die Entschließung des Erblassers364. b) Kritik der gängigen Erklärungsmodelle Beide Erklärungsmodelle überzeugen nicht. Soweit die Anfechtung auf das Erwerbsinteresse der Anfechtungsberechtigten gestützt wird (wie beim o. g. ersten Modell), bleibt unklar, warum dieses Interesse überhaupt schützenswert ist. Denn wird die Rechtfertigung der Anfechtung allein in der Schutzwürdigkeit dieses Erwerbsinteresses (und nicht auch in der Schutzwürdigkeit der Erblasserinteressen) gesehen, bedeutet dies nichts anderes, als daß dem Erblasser mit seinem Tod jedes schutzwürdige Interesse an einer irrtumsfreien Gestaltung der postmortalen Vermögensordnung aberkannt wird. Gleichzeitig wird aber das erblasserische Interesse anerkannt, daß im Wege der Auslegung sein erklärter Wille zur Geltung gebracht wird. Ihm wird mithin ein Interesse an der Verwirklichung seines irrtumsfreien Willens, nicht aber ein Interesse an der Nicht-Verwirklichung seines irrtumsbehafteten Willens angesonnen. Wo hier wertungsmäßig die Differenzierungsgründe liegen sollen, bleibt unerfindlich. Richtigerweise kann zwischen dem „positiven“ und dem „negativen Verfügungsinteresse“ des Erblassers in der Wertung nicht unterschieden werden. Der Ansatz an den Anfechtungsberechtigten kann auch nicht mit der Erwägung gerettet werden, sowohl deren Erwerbsinteresse als auch das Verfügungsinteresse des Erblassers rechtfertigten die erbrechtlichen Anfechtungsvorschriften. Denn es bleibt ja auch dann die Frage nach dem materiellen Grund offen, der die Interessen der Anfechtungsberechtigten als schutzwür361 Staud-Otte, § 2078 Rn. 5; Brox, Erbrecht, Rn. 229; Flume, AT II, § 21, 10; Singer, Selbstbestimmung, 221. 362 Flume, AT II, § 21, 10. 363 Staud-Otte, § 2078 Rn. 5; Brox, Erbrecht, Rn. 229; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 298. 364 So Singer, Selbstbestimmung, 221.

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dig ausweist. Fingerzeige für deren Schutzwürdigkeit könnten in der gesetzlichen Entscheidung gesehen werden, als Rechtsfolge eines Irrtums die Anfechtung als Gestaltungsrecht vorzusehen, statt die Nichtigkeit der irrtumsbedingten Verfügung zu implementieren. Helfen würde dies aber nicht. Zwar kann die innere Rechtfertigung der Wahl des Gestaltungsrechts nicht wie bei den Verträgen unter Lebenden in der Erwägung gefunden werden, das anfechtungsrechtliche Wahlrecht zwischen Gültigkeit und Nichtigkeit diene dem Interesse des Erklärenden, daß nur ihm selbst und nicht auch dem Erklärungsempfänger die Möglichkeit zugebilligt wird, sich auf den Willensmangel zu berufen365. Dies schadet aber nicht. Denn die Entscheidung für eine Anfechtbarkeit statt einer Nichtigkeit der irrumtsbedingten Verfügung gründet in Aspekten der Rechtssicherheit. Würde ein Irrtum schon zur Nichtigkeit des letztwillig Verfügten führen, würde die mit dem erbrechtlichen Erwerb verbundene sachenrechtliche Zuständigkeitsänderung zu stark verunsichert. Mithin ist nur eine Anfechtbarkeit tragbar. Daß die Anfechtungsberechtigung nach dem Tode des Erblassers hierbei in die Hände Dritter gelegt wird, liegt in der Natur des Todes. Und daß die Berechtigung gerade in die Hände der vom Gesetz in § 2080 BGB bestimmten Dritten gelegt wird, ist nicht nur effizient und nützlich – das Eigeninteresse der Anfechtungsberechtigten wird zumeist für eine Vernichtung des irrtumsbedingt Verfügten sorgen –, sondern hält auch solche Personen fern, die sich allein aus sachfremden Erwägungen in die Nachlaßverteilung einmischen würden366. Insgesamt gesehen erklärt der Rekurs auf die Erwerbsinteressen der Anfechtungsberechtigen daher nicht, warum erbrechtlich jeder Motivirrtum relevant ist. Es bleibt mithin nur der o. g. zweite Erklärungsansatz zur erbrechtlichen Relevanz des Motivirrtums, der diese aus der Perspektive des Erblassers und nicht der Anfechtungsberechtigten aufzurollen versucht. Soweit hierbei auf die mangelnde Schutzwürdigkeit des Vertrauens der Bedachten rekurriert wird, steht dem schon § 2281 I BGB entgegen; beim Erbvertrag käme ja durchaus ein Vertrauensschutz in Betracht367 (wenn in derartigen Kategorien überhaupt gedacht wird). Ansonsten ähnelt der Rekurs auf Vertrauen der oben zur Auslegung vorgetragenen Erwägung, auslegungsrechtlich seien Vertrauensinteressen der Bedachten nicht schutzwürdig. Hier wie dort überzeugt dieses Vertrauensschutzargument nicht; auf die vorstehenden Ausführungen sei insoweit verwiesen368. Das zweite Argument, anders als bei Verkehrsgeschäften spielten persönliche Motive für die Verfügung von Todes 365

Mit dieser Überlegung erklärt Singer, Selbstbestimmung, 67, zu Recht die vorläufige Geltung der fehlerhaften Willenserklärung. 366 Singer, Selbstbestimmung, 220. 367 Singer, Selbstbestimmung, 221. 368 Oben § 11 II 1 c bb.

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wegen rechtstatsächlich eine zentrale Rolle, weist durchaus in die richtige Richtung, nur trägt es nicht weit. Es unterstreicht zu Recht die Zentralität eines jeden Motivs für die inhaltliche Ausgestaltung der letztwilligen Verfügung, begründet dies aber mit Erwägungen, die die Zentralität der Motive nur schwach abstützen. Denn der Grund für den anfechtungsrechtlichen Motivschutz wird in gesellschaftlichen Gebräuchen und rechtsverkehrlichen Usancen verortet. Dies ist doppelt mißlich. Denn erstens tragen soziale Usancen eine rechtliche Wertung nur soweit, als sie sich nicht ändern; ändern sich die Testiergewohnheiten, bestünde daher die Gefahr, die erbrechtlichen Anfechtungsvorschriften zu delegitimieren. Und zweitens ist mit dem Verweis auf die Faktizität von Vererbungsgebräuchen ja noch kein materieller Grund avisiert, warum diese Gebräuche rechtlich tragbar sein sollen. Denn wären sie allein deshalb schon tragbar, weil sie existieren, würde ja auch umgekehrt die in § 119 II BGB ansonsten vorgesehene Einschränkung der Anfechtung auf den Eigenschaftsirrtum delegitimiert, wenn sich in einzelnen Bereichen des rechtsgeschäftlichen Verkehrs einmal der Brauch herausbilden würde, es sei durchaus relevant, auf welchen Motiven der Vertrag aufbaue. Auch die Begründungen des zweiten, auf die Interessen des Erblassers abstellende Ansatz überzeugen mithin nicht. c) Testamentsanfechtung und Todesverarbeitung Gleichwohl ist die durch den zweiten Erklärungsansatz gewiesene Perspektive auf den Erblasser weiterführend. Denn die notwendige anfechtungsrechtliche Relevanz eines jeden Motivirrtums ergibt sich im Unterschied zur Rechtslage beim vertraglichen Güteraustausch ohne weiteres aus der Einsicht, der Erblasser verarbeite auch anhand seiner Verfügung von Todes wegen den Aspekt seines Todes; eben deshalb ergibt die Beobachtung ja auch Sinn, anders als bei Verkehrsgeschäften spielten persönliche Motive für die Verfügung von Todes wegen rechtstatsächlich eine zentrale Rolle. Nun wurde im Rahmen dieser Untersuchung die testamentarische und erbvertragliche Todesverarbeitung als Ausdruck geäußerter personaler Identität und der damit verbundenen sozialen Geltung verortet. Mit Blick auf die Kriterien von personaler Identität und sozialer Geltung und dem damit verbundenen persönlichkeitsrechtlichen Recht, selbst darüber zu bestimmen, ob und inwieweit Identität in die Sozietät getragen und soziale Geltung von der Sozietät eingefordert wird, ist es aus zwei Gründen nur folgerichtig, die anfechtungsrechtliche Relevanz eines jeden Motivirrtums zuzulassen. Denn dann verliert – erster Grund – bei einer irrtumsbedingten Anfechtung des letztwillig Verfügten dieses den Charakter, zu Recht Ausdruck der Identität und Personalität des Erblasser zu sein. Der Erblasser wird mithin vor einer Verfälschung seiner Identität im Rechtsverkehr ge-

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schützt. Darüberhinaus tritt – zweiter Grund – bei erfolgter Anfechtung ja nicht das wirklich Gewollte in Geltung369, sondern entweder gesetzliche Erbfolge ein oder eine andere, aufgrund der Anfechtung wieder in Geltung gesetzte letztwillige Verfügung auf den Plan. Die Anfechtung schützt daher den Erblasser davor, daß eine Regelung als Ausdruck seiner in der Sicht zum Tod sich erarbeiteten Identität in die Welt gesetzt wird, die er nicht ausdrücklich durch die Wahl des Instruments des Testaments mit dem Signum der Geltung370 versehen hat. Die bloße Beseitigungswirkung der Anfechtung sichert den Erblasser mithin davor, daß Dritte unbefugt Kenntnis von den persönlichkeitsrelevanten Daten seiner Todesverarbeitung erlangen (mithin: Schutz nicht-geäußerter Identität und der damit verbundenen sozialen Geltung). Der Erblasser ist mithin bei einer Anfechtung wegen Motivirrtums vor einer Verfälschung und einer nicht gewollten Verbreitung seiner Identität und der damit verbundenen sozialen Geltung geschützt. Daß das Gesetz hierbei das Mittel der Anfechtbarkeit und nicht das – mit Blick auf Identität und soziale Geltung naheliegendere – Instrument der Nichtigkeit wählt, liegt an dem hohen Gut eines rechtssichernden Zuständigkeitswechsels im Vermögen. Schädlich ist dies nicht – daß das Erbrecht ausschließlich funktionales Persönlichkeitsrecht und nicht auch funktionales Vermögensrecht ist, wurde nie behauptet. Identität und soziale Geltung wiederum sind materielle Kriterien, welche von einem Wechsel der Testiergewohnheiten unabhängig sind und zudem erklären, wieso das vertragliche Anfechtungsrecht anders ausgestaltet ist: Beim Austauschvertrag geht es eben nicht um den Tod eines der Vertragspartner. Insgesamt gesehen läßt sich auch das erbrechtliche Anfechtungsrecht mithin zwanglos mit dem Personfunktionalismus des gewillkürten Erbrechts erklären. Die anfechtungsrechtliche Relevanz eines jeden Motivirrtums gibt schließlich auch ein probates Argument, den erbrechtlichen Personfunktionalismus noch weiter abzustützen. Das Argument ist jedoch etwas kompliziert strukturiert. Es geht um das Problem, wann im sozialen Handeln ein Motiv tatsächlich als Motiv rekonstruiert wird. Teleologisch erscheinen Motive als Ursachen des Handelns, an denen sich das Handeln orientiert. Epistemologisch entspricht dieses Handungsmodell der Vorstellung, menschliches Erkennen sei vom Handeln unabhängig. Probleme, ein Motiv als Motiv zu identifizieren, seien daher allenfalls Erkenntnisprobleme, mithin prozessual gesehen: Beweisprobleme. Einsichtig ist das teleologische Handlungsmodell freilich nicht371. Soziales Handeln (und damit auch der Vorgang des Testierens) ist in Situationsbezüge eingebettet. Derartige Situationsbezüge sind das „Verhältnis von Menschen untereinander und zu Sachen 369

Dazu nur MünchKomm-Leipold, § 2078 Rn. 4. Die Willenserklärung ist Geltungserklärung, siehe grundlegend Larenz, Die Methode der Auslegung des Rechtsgeschäfts, 45, 69 und passim. 370

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(. . .), das der jeweils erörterten Handlung schon vorausgeht und daher von den betroffenen bzw. dem betroffenen Menschen als Herausforderung, etwas zu tun oder aber nicht zu tun, je schon verstanden wird“372. Diese Situationsbezüge determinieren die Motivwahl zwar nicht (wie dies beim klassischen Behaviorismus angenommen wird), sie wirken aber auf diese insoweit ein, daß sich die letztlich realisierte Handlung als reflexive Beziehung auf die in der jeweiligen Situation erlebte Herausforderung darstellt; die Reflexion selbst ist dabei eingebettet in ein Fundament standardisierten Hintergrundwissens und kollektiver Ordnungen. Handlungsmotive sind dann als das Ergebnis derartiger Reflexionen aufzufassen und nicht als die real wirkende Ursache des Handelns. Das hat Folgen. Denn was als Motiv angegeben wird, ist nach dem Zuvorgesagten „immer schon auf ein standardisiertes Vokabular möglicher und legitimer Motive bezogen“373. Dies heißt aber nicht, daß der Handelnde darauf verwiesen bleibt, marionettenhaft nur die in den Situationsbezügen des Handelns angelegten Handlungsweisen zu reproduzieren. Zwar kann sich die Zwecksetzung des Erblassers diesem standardisierten Vokabular nicht entziehen – auch die Motivklärung in einsamer Selbstreflexion entgeht dem Zwang zur Formulierung des Motivs in einer gemeinsamen Sprache nicht374 –, sie kann die Standardisierung aber kreativ übersteigen. Gerade bei der Todesverarbeitung kann dies ja der Fall sein, wenn sich der Erblasser hierbei eruptivemotionaler Formen bedient, die das standardisierte Vokabular des Handelns in kreativer Weise weit überschreiten und die ihm als genuiner Ausdruck einer gelungenen Persönlichkeit erscheinen, mag hierbei auch der Umkreis gemeinhin als legitim empfundener Motive beträchtlich verlassen sein. Nun ist nach den herrschend anerkannten Wertungen des Erbrechts bei einem jedem Motivirrtum – und mag das Motiv noch so „abartig“ und noch so schwer zu diagnostizieren sein – der Anfechtungsgrund gegeben; auf objektive Normativierungen wie „verständige Würdigung des Falles“ oder „Verkehrswesentlichkeit“ kommt es ja (anders als bei § 119 II BGB) gerade nicht an. Indem das Recht mithin sämtliche Motive für relevant hält, gibt es ein Indiz dafür, daß es auch jede Überschreitung standardisierter Lebensformen für relevant erklärt. Gerade eine derartige Überschreitung gilt aber – dies war eines der Ergebnisse der obigen Analysen zum Persönlichkeits371 Dazu und zum folgenden siehe unter Rekurs auf das pragmatistische Denken insbes. Deweys, Heideggers Analysen in Sein und Zeit sowie der Phänomenologie Merleau-Pontys Joas, Die Kreativität des Handelns, 231 ff. 372 Böhler, Rekonstruktive Pragmatik, 252. 373 Joas, Die Kreativität des Handelns, 237. 374 Joas, Die Kreativität des Handelns, 238. Beispielhaft schlägt sich dies in der Wittgensteinschen Figur der sprachlichen Lebensform nieder, dazu siehe Goebel, Rechtsgespräch und kreativer Dissens, 32 ff., 135 ff.

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recht375 – als genuin geschützt eben durch das Persönlichkeitsrecht, welches sich eben nicht nur auf Vernünftigkeit im personalen Ausdruck kapriziert, sondern die ganze Fülle personaler Expressivität und Willkürlichkeit rechtlich in sich behütet. Die anfechtungsrechtliche Relevanz eines jeden Motivirrtums zieht mithin die Einsicht nach sich, daß wegen der Eigentümlichkeit des Motivs, in sich die kreative Spannung von Standardisierung und Individualisierung zu verkörpern, das Erbrecht in der letztwilligen Verfügung die Persönlichkeit des Erblassers widergespiegelt sieht. Nur am Rande sei bemerkt, daß sich der personfunktionale Ansatz auch als fruchtbar erweist, soweit es um die durch den Richter ins Werk gesetzte Auszeichnung eines Motivs als eines erblasserischen „Motivs“ geht. Mit Blick auf die skizzierte Einbettung der Motivwahl in ein standardisiertes Vokabular möglicher und legitimer Motive besteht immer die Gefahr, daß der Richter schon deshalb nicht auf einen Motivirrtum erkennt, weil die Zwecksetzung des Erblassers dieses standardisierte Vokabular kreativ übersteigt. Die anfechtungsrechtliche Relevanz eines jeden Motivirrtums zeigt, daß diese Gefahr nicht tragbar ist. So wie der Richter allgemein im Prozeß aus Gründen der unparteilichen Rechtsanwendung aufgerufen ist, auf die Lebensformen der Parteien einzugehen376, ist er durch die Personfunktionalität des gewillkürten Erbrechts gehalten, den Blick zu schärfen, ein Motiv auch als Motiv überhaupt zu erblicken. Hiermit soll nicht die Gefahr heruntergespielt werden, die mit einer zu Unrecht erfolgten Anfechtung wegen Motivirrtums für den Erblasser verbunden ist377. Es soll vielmehr auf die Gefahr für den Erblasser hingewiesen werden, wenn eine zu Unrecht als irrtumsfrei angesehene Verfügung bestehen bleibt. Doch dies, wie gesagt, sei nur am Rande bemerkt. Abschließend sei notiert, daß die erbrechtlichen Anfechtungsvorschriften sich durch eine personfunktionale Deutung des gewillkürten Erbrechts voll und ganz erklären lassen – womit ein weiteres Argument für die Annahme einer erbrechtlichen Personfunktionalität gewonnen ist.

III. Die Höchstpersönlichkeit der letztwilligen Verfügung 1. Höchstpersönlichkeit und Persönlichkeitsrecht: Allgemeines Die Errichtung eines Testaments und der Abschluß eines Erbvertrags sind auf Seiten des Erblassers ein höchstpersönliches Geschäft. Stellvertretung (§§ 2064, 2274 BGB), eine Drittbestimmung der Geltung des letztwil375 376 377

Oben § 10 V 3. Dazu umfassend Goebel, Rechtsgespräch und kreativer Dissens, 135 ff. Dazu nur MünchKomm-Leipold, § 2078 Rn. 5.

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lig Verfügten, des bedachten Personenkreises und des Gegenstands der Bedenkung (§ 2065 BGB, § 2256 II BGB, §§ 2282 I, 2284, 2290 II 1, 2296 I 1 BGB) sind von Gesetzes wegen ausgeschlossen. Während die Stellvertretung – als die Übertragung der Willensmacht zu Lebzeiten des Erblassers – schlechthin unterbunden wird, gestattet das Gesetz, daß nach dessen Ableben das weitere Schicksal des Vermögenstransfers durchaus vom Willen Dritter abhängig gemacht werden kann – sei es in Gestalt erbrechtlicher Potestativbedingungen (§ 2074 f. BGB), sei es durch die Vorgabe, die abschließende Konkretisierung der Verfügung der Entscheidung anderer Personen zu überantworten. Dies ist der Fall bei der Benennung von Vermächtnisnehmern (§ 2151 BGB), bei der Bestimmung des Vermächtnisnehmers beim Wahlvermächtnis (§ 2252 BGB), bei der Zweckbestimmung beim Zweckvermächtnis (§ 2156 BGB), bei der Bestimmung des Begünstigten bei einer zweckgebundenen Auflage (§ 2193 BGB), bei der Auswahl des Testamentsvollstreckers (§§ 2198, 2200 BGB) oder schließlich bei Teilungsanordnungen (§ 2048 S. 2 BGB)378. Bei den Verfügungen von Todes wegen ist mithin ein Mischungsverhältnis zwischen Höchstpersönlichkeit und Drittbestimmung implementiert. Wie ist es beim Persönlichkeitsrecht? Zu den ureigensten Eigenschaften des Persönlichkeitsrechts gehört nach allgemeiner Meinung dessen Höchstpersönlichkeit. Sein Zuschnitt ist im Grundsatz nicht am Paradigma eines am Eigentumsrecht orientierten subjektiven Rechts orientiert.Es gilt nach weitaus herrschender Meinung prinzipiell als unübertragbar379 und nur in eng umgrenzten Maße einer obligatorischen Vereinbarung zugänglich380. Dieses klare Bild wird derzeit zwar mehr und mehr aufgeweicht, indem stellenweise mit Rücksicht auf die vermehrt beobachtbare Marktgängigkeit persönlichkeitsrechtlich relevanter Positionen – wie etwa der Marktwert eines Namens oder eines Bildnisses in der Werbung – angemerkt wird, die hergebrachte Dichotomie zwischen unübertragbaren und höchstpersönlichen Persönlichkeitsrechten auf der einen und verkehrsfähigen Vermögensrechten auf der anderen Seite müsse mehr und mehr differenziert betrachtet werden, so daß im Ergebnis ein und dasselbe Recht sowohl zur Kategorie der Vermögens- als auch zur Kategorie der Persönlichkeitsrechte gerechnet werden könne381. Und der BGH spricht schon seit längerem von „vermögensrechtlichen Bestandteilen“ von Persön378

Siehe die Übersicht bei MünchKomm-Leipold, § 2065 Rn. 2. Ganz herrschende Meinung: Siehe statt vieler nur Larenz/Wolf, AllgT, § 15 Rn. 25. Stellenweise werden Ausübungsbefugnisse zugebiligt, so etwa Staud-Hager, § 823 Rn. C 50. 380 Larenz/Wolf, AllgT, § 15 Rn. 14. 381 Forkel, Gebundene Rechtsübertragungen, 199; Hubmann, Persönlichkeitsrecht, 283 f. zur Firma; Götting, Persönlichkeitsrechte, 7 f. m. w. Nachw. Götting, ebda., 271 ff., erkennt sogar auf Übertragbarkeit. 379

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lichkeitsrechten 382 und hat schon frühzeitig das Recht am eigenen Bild auch prägnant als „vermögenswertes Ausschließlichkeitsrecht“383 gekennzeichnet. Die rechtliche Sinnhaftigkeit derartiger Vermarktungsbestrebungen des Personalen können aber im weiteren dahingestellt sein. Sie können ja zwanglos in das hiesige Projekt, die Personfunktionalität des gewillkürten Erbrechts zu erweisen, eingebaut werden. Denn im Rahmen dieser Untersuchung wurde nie bestritten, daß dem Vorgang der Vererbung ein eminenter Bezug auf das Vermögen innewohnt; konstitutionstheoretisch konnte dies anhand der Diskussion des Erbrechts als fortgesetztes Eigentum gezeigt werden. Die Frage ist nur, ob geltungstheoretisch die vermögensmäßigen Bezüge des Erbrechts nicht zurücktreten müssen. Insofern würde auch die Identifikation vermögenswerter Aspekte des gewillkürten Erbrechts – wie sie etwa beim entgeltlichen Erbvertrag ja durchaus beobachtet werden können – nicht hindern, das gewillkürte Erbrecht selbst doch als funktionales Persönlichkeitsrecht einzuordnen. Mithin folgt aus der Eigenschaft eines Rechts, unübertragbar zu sein, nicht ohne weiteres, daß es auch als Persönlichkeitsrecht einzuordnen ist – hiergegen sprechen schon die vermögensrechtlichen, gleichwohl unübertragbaren Rechte des Nießbrauchs (§ 1059 BGB), der beschränkten persönlichen Dienstbarkeit (§ 1092 BGB) und der unveräußerlichen Forderung (§§ 399, 400 BGB). Die Unübertragbarkeit ist mithin keine hinreichende Bedingung zur Annahme eines Persönlichkeitsrechts. Und nach den geschilderten neueren Tendenzen innerhalb der Persönlichkeitsrechtsdogmatik ist sie noch nicht einmal notwendige Bedingung hierfür. Die Abduktion aus den herkömmlichen Rechtsfolgen des Persönlichkeitsrechts trägt infolgedessen nicht weit. Der Unübertragbarkeit eines Rechts wohnt aber durchaus eine Indizwirkung für dessen personalen Gehalt inne. Diese Indizwirkung wird verstärkt, wenn Unübertragbarkeit und Verbot der Stellvertretung oder der Ausübungsüberlassung kumuliert werden, wie dies etwa beim Nießbrauch (§ 1059 S. 2 BGB) und bei der beschränkten persönlichen Dienstbarkeit (§ 1092 I 2 BGB) aufgrund der zugelassenen Ausübungsüberlassung nicht der Fall ist. Die folgenden Überlegungen dürfen gleichwohl nicht mißverstanden werden. Allein aus der Unübertragbarkeit und Höchstpersönlichkeit wird hier nicht auf den personalen Charakter des Erbrechts geschlossen. Vielmehr soll gerade umgekehrt ein materialer Grund angegeben werden, warum das Gesetz Unübertragbarkeit, Unverzichtbarkeit und Höchstpersönlichkeit des Testierens angeordnet und dies zugleich mit den oben genannten Möglichkeiten verbunden hat, Drittbestimmungen der Vermögensordnung post mortem zuzulassen: Weil sich dies alles nämlich als genuiner Ausdruck erweisen wird, ein schlagkräftiges Instrumentarium der 382 383

BGH, NJW 1968, 1773 (1774). BGH, GRUR 1956, 427 (429).

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Todesverarbeitung zu implementieren. Daß sich hierbei die o. g. Indizwirkung entfaltet, ist eine angenehme Nebenfolge, die auf den starken personalen Einschlag der Todesverarbeitung hinweist; tragend für das geltungstheoretische Vorhaben, das gewillkürte Erbrecht als Recht zu erweisen, ist sie nicht. 2. Der Sinn formeller Höchstpersönlichkeit a) Gängige Erklärungsmuster zur formellen Höchstpersönlichkeit Die gesetzgeberische Entscheidung in § 2064 BGB und in § 2274 BGB, das Testieren und den Abschluß eines Erbvertrags als höchstpersönlich auszuübendes, stellvertretungsfreies Rechtsgeschäft des Erblassers auszugestalten, ist mit den verschiedensten Erwägungen zu erklären versucht worden. aa) Erklärungsmuster I: Die besondere Bedeutung der Testierfreiheit Oftmals wird der Grundsatz der formellen Höchstpersönlichkeit auf die Erwägung zurückgeführt, er sei Ausdruck eines besonderen Schutzes, den das Gesetz der Testierfreiheit angedeihen will384. Der Grund für diesen besonderen Schutz wird – erstes Erklärungsmuster – in der besonderen Bedeutung der Testierfreiheit verankert385. Einsichtig ist diese Erklärung insgesamt nicht. Denn der Rekurs auf die „besondere Bedeutung“ der Testierfreiheit ist zwar ohne weiteres überzeugend, wenn sie als eines der Instrumente zur Verarbeitung des eigenen Todes gedeutet wird. Nur steht diese Deutung der bisherigen Erbrechtsdogmatik ja nicht zur Verfügung. Wenn die besondere Bedeutung – wenn nicht von vornherein offen bleibt, worin sie überhaupt bestehen soll386 – mit Wertungen hinsichtlich des in der Sozietät tradierten Stellenwerts des letzten Willens eben als letzten Willen begründet werden sollte387, reicht dieser Verweis auf symbolische oder letztlich fast schon sakrale Ebenen nicht hin, die §§ 2064, 2274 BGB zu rechtfertigen388. Denn der Rekurs auf wandelbare Sitten und Gebräuche ersetzt ja keinen Bezug auf ein genuin rechtliches Kriterium, wie es etwa bei der hiesig vorgeschlagenen Ausrichtung des letztwilligen Verfügens auf die To384

MünchKomm-Leipold, § 2064 Rn. 1. MünchKomm-Leipold, § 2064 Rn. 1; Kipp/Coing, Erbrecht, § 18 I 3. 386 So bei MünchKomm-Leipold, § 2064 Rn. 1. 387 Soweit ersichtlich wurde eine derartige Begründung in Rechtsprechung und Lehre bisher nicht vorgetragen. 388 Es wird noch gezeigt werden, daß dies anders ist, wenn der Aspekt der Todesverarbeitung dogmatisch verarbeitet wird. 385

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desverarbeitung und die damit verbundene Sicherung des personalen Selbst (und dies ist ein rechtlicher Gesichtspunkt) der Fall ist. Gleiches gilt für den Verweis auf tradierte Rechtsüberzeugungen zur Zeit der Kodifikation389. Derartige Traditionen können zwar konstitutionstheoretisch oftmals die Genese einzelner Vorschriften erklären, sind aber geltungstheoretisch ebenso oft ohne näheren Belang, wenn mit der Tradition nicht auch die heute anerkannten Wertungen des Rechts kohärent gedeutet werden können390 – und diesbezüglich erklären im Bereich der rechtsdogmatischen Interpretation der Testierfreiheit hergebrachte Rechtsüberzeugungen zugleich alles und nichts, da der Verweis auf sie viel zu abstrakt ist, als daß ihm irgendein geltungstheoretischer Erklärungswert zukommen könne. Die besondere Bedeutung der Testierfreiheit könnte mithin allenfalls auf den Gedanken gegründet werden, es ginge häufig um das gesamte erblasserische Vermögen391. Doch warum sollte hieraus mit Notwendigkeit die formelle Höchstpersönlichkeit folgen? § 2064 BGB und § 2274 BGB haben die Stellvertretung in der letztwilligen Verfügung zu Lebzeiten des Erblassers im Auge. Dieser ist mithin nicht daran gehindert, sich durch einen Vollmachtswiderruf zu schützen oder – bei schon ausgeübter Vollmacht – durch eine nachfolgende Verfügung die Geltung des durch den Stellvertreter errichteten Testaments zunichte zu machen, §§ 2253 ff. BGB. Nun könnte der Erblasser zu Lebzeiten einem Dritten auch eine widerrufliche Generalvollmacht erteilen und sodann die Vermögensverwaltung in toto übertragen392. Die Gefahren für das Vermögen sind für den Erblasser hier ebenso groß wie bei der Stellvertretung im letzten Willen. Rechtsprechung und Rechtsdogmatik haben auf die in der Vermögensverwaltung liegenden Gefahren denn auch mit einer dezidierten Ausformung der Vermögensbetreuungspflichten im Innenverhältnis zwischen Vermögensverwalter und Vermögensträger reagiert; der strafrechtliche Tatbestand der Untreue (§ 266 StGB) ist genuiner Ausdruck der Gefahrenlage. Funktionale Äquivalente müßten denn auch für den Schutz vor dem erbrechtlich Drittbestimmungsberechtigten entwickelt werden. Der Grund für den Rekurs auf den Vermögensaspekt des Testierens kann mithin nur darin liegen, daß die letztwillige Verfügung im Unterschied zur lebzeitigen Vermögensverwaltung sich in einem Akt des Schicksals des Vermöges annimmt. Doch wäre dies relevant? Die Auswirkungen dieses einen Akts treten doch erst post mortem ein. Dies hindert aber die Annahme, der Erblasser sehe besonderen Gefahren bei einer erbrechtlichen Vertretung 389

So bei Mot. V, 246 f. Siehe zur geltungstheoretischen Notwendigkeit, das Recht kohärent zu deuten, oben § 1 III. 391 So Soergel-Loritz, § 2064 Rn. 2. 392 Zur Generalvollmacht nur Larenz/Wolf, AllgT, § 47 Rn. 47. 390

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entgegen. Denn Voraussetzung dieser Annahme ist der Nachweis, daß es post mortem für ihn überhaupt Gefahren geben kann. Dies wiederum hängt von dem schutzwürdigen Interesse ab, welches dem Erblasser für die Zeit nach seinem Tode zugebilligt werden kann. Ein derartiges schutzwürdiges Interesse aber an Vorgängen, die nach seinem Tode geschehen, kann dem Erblasser nur zugebilligt werden, wenn – wie es allgemeiner Meinung entspricht – das Erbrecht als fortgesetztes Eigentum dogmatisch begriffen wird. Daß eine derartige Konzeption des Erbrechts nicht überzeugend ist, wurde schon ausgeführt393. Soll die Erklärung der formellen Höchstpersönlichkeit mit dem Gedanken, es ginge beim Testieren schließlich um das ganze Vermögen, nach all dem letztlich Erfolg haben, kann sie nicht auf den Schutz des Erblassers, sondern – abgesehen von dem sogleich zu erörternden Schutz der gesetzlich Erbberechtigten – nur noch mit wirtschaftspolitischen Gründen untermauert werden, etwa der Art, es würde zu wirtschaftlich höchst unsinnigen Ergebnissen führen, wenn die letztwillige Verfügung nicht persönlich dem Erblasser anvertraut würde. Abgesehen davon, daß derartige wirtschaftspolitische Erwägungen keinen rechten Bezug zu rechtlichen Wertungen aufweisen und darüberhinaus viel zu abstrakt sein dürften, als daß sie die formelle Höchstpersönlichkeit tatsächlich erklären könnten, sind sie schon deshalb irrelevant, weil mit ihnen ja nicht erhellt werden kann, warum das Gesetz das Verbot der Stellvertretung so überaus rigide durchgeführt und auch auf die gesetzliche Vertretung erstreckt394 hat – obwohl doch etwa bei einem plötzlich betreuungsbedürftigen Unternehmer durchaus ein wirtschaftliches Bedürfnis bestehen kann, das Schicksal des Unternehmens durch eine durch einen Betreuer abgegebene letztwillige Verfügung in gute Bahnen zu lenken. Nach all dem kann der erbrechtliche Grundsatz der formellen Höchstpersönlichkeit zumindest dann nicht anhand des Gesichtspunkts „Bedeutung der Testierfreiheit“ erklärt werden, wenn im Rahmen des herkömmlichen Paradigmas vom Erbrecht als fortgesetztem Eigentum gedacht wird. Wird dieses Paradigma verlassen und für ein personfunktionales Verständnis des gewillkürten Erbrechts vortiert, erscheint der Rekurs auf die Bedeutung der Testierfreiheit freilich in einem ganz anderen Licht: Genauso, wie es allseits als überaus ungereimt angesehen würde, den eigenen Tod durch einen Dritten verarbeiten zu lassen, untersagt das Gesetz dem Erblasser, seinen letzten Willen durch einen Stellvertreter niederlegen zu lassen. Und da eine „Todesverarbeitung durch Dritte“ schlechterdings ein unsinniges Ding wäre, hat der Gesetzgeber folgerichtig ohne jede Ausnahme formelle Höchstper393 394

Oben § 6 V. Dazu nur MünchKomm-Leipold, § 2064 Rn. 3; Soergel-Loritz, § 2064 Rn. 4.

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sönlichkeit angeordnet – denn wieso sollte der Gesetzgeber ansonsten etwas Unsinniges anordnen wollen? Mit diesen Überlegungen ist freilich noch nicht gesagt, daß das Prinzip der formellen Höchstpersönlichkeit nicht auch anders als unter Verweis auf erbrechtliche Personfunktionalität erklärt werden könnte. Dazu gilt es, die ansonsten noch vorgetragenen dogmatischen Begründungen zu analysieren. bb) Erklärungsmuster II: Das Erfordernis eines persönlichen Bekenntnisses Der Sinn der §§ 2064, 2274 BGB ist auch darin gesehen worden, durch die formelle Höchstpersönlichkeit würde die zuverlässige Wiedergabe der persönlichen Willensentscheidung gesichert395. Damit kann der Ausschluß der Stellvertretung nicht erklärt werden. Die Figur „zuverlässige Wiedergabe der persönlichen Willensentscheidung“ enthält drei Topoi: erstens die zuverlässige Wiedergabe, zweitens die Willensentscheidung und drittens die persönliche Natur derselben. Falls nun Stellvertretung erbrechtlich zulässig wäre und der Erblasser die Vollmacht eindeutig und zuverlässig erklärt hätte, wäre der Stellvertreter nicht gehindert, die letztwillige Verfügung seinerseits eindeutig und zuverlässig abzugeben. Daß die Verfügung dem Vertretenen dann im weiteren als eigene zugerechnet wird, liegt in der Natur der Stellvertretung selbst. Damit verblaßt die Überzeugungskraft, der formellen Höchstpersönlichkeit ginge es um (i) eine zuverlässige Wiedergabe einer (ii) Willensentscheidung; all dies wäre ohne weiteres auch bei einer Stellvertretung erreichbar. Dies verstärkt sich noch, wenn zudem davon ausgegangen würde, daß die Stellvertretung durchaus mancherorts als konsequente Durchführung des Prinzips der Privatautonomie angesehen wird396. Relevant werden könnte daher allenfalls noch der dritte der oben genannten Topoi, der der persönlichen Natur der Willensentscheidung. Nur wird mit diesem Topos das Prinzip der formellen Höchstpersönlichkeit mit der Erwägung erklärt, die Willensentscheidung sei höchstpersönlich – was erkennbar zirkulär ist. Es kommt mithin wiederum auf einen materiellen Grund gerade der Höchstpersönlichkeit an. Dieser wird stellenweise darin verankert, es bestünde die Notwendigkeit, daß der Erblasser sich persönlich zu seiner freien Willensentschließung bekennen müsse397. Die Gegenfrage liegt auf der Hand: Warum muß er dies? Bekenntnispflichten verkörpern in einem auf die Bewertung von Güterverschiebungen und differenzierte Risikoverteilun395 396

Schlüter, Erbrecht, Rn. 140. So etwa Flume, AT II, § 43, 3.; kritisch etwa Knieper, Gesetz und Geschichte,

67 f. 397

Lange/Kuchinke, § 18 I 1.

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gen ausgerichteten Recht der Verkehrswirtschaft eher einen Fremdkörper – und was ist das Erbrecht anderes als ein Recht der Güterverschiebung, wenn es als fortgesetztes Eigentum verstanden wird. Von einer personfunktionalistischen Warte aus werden die Dinge freilich wiederum klarer: Das Bekenntnis zur eigenen Identität ist notwendig mit Personalität verbunden, wenn die Rechtsperson interagierend in der Sozietät ihre Identität offenbart; letzteres wiederum liegt bei einer erklärten letztwilligen Verfügung in Form einer je individuellen Todesverarbeitung vor. Die Einsicht, es bestünde die Notwendigkeit eines persönlichen Bekenntnisses zur freien Willensentschließung, heißt dann nichts anderes, als daß der Erblasser durch das Prinzip der formellen Höchstpersönlichkeit aufgerufen wird, zu seinem personalen Selbst zu stehen, wenn er es schon in die Gesellschaft durch die letztwillige Verfügung eingebracht hat. Hier schimmert nun nicht eine irgendwie geartete funktionale Eigenlogik des Rechts durch, den einzelnen zur Ausbildung seines personalen Selbst zu ermutigen – was persönlichkeitsrechtlich bedenklich wäre. Vielmehr kann der Verweis auf die Notwendigkeit eines persönlichen Bekenntnisses auch so verstanden werden, daß mit der Figur einer per Rechtsgeschäft geäußerten personalen Entfaltung notwendig verbunden ist, das Ergebnis der Entfaltung zu bekennen – denn was ist Entfaltung im Ergebnis anderes als Bekennen? Auch hier wieder erschließt ein personfunktionales Verständnis des gewillkürten Erbrechts den Sinn formeller Höchstpersönlichkeit. cc) Erklärungsmuster III: Schutz vor unlauteren Machenschaften Der erbrechtliche Ausschluß der Stellvertretung wurde auch im Schutz des Erblassers verankert, für den präventiv das Gesetz mögliche Interessenkonflikte oder etwaige „unlautere Machenschaften“398 des Vertreters ausschließen will, die eher auf ihren eigenen Vorteil als auf den des vertretenen Erblassers bedacht sein könnten399. Überzeugend ist dies nicht. Denn es müßte ja das Gefahrenpotential des letztwilligen Verfügens durch einen Stellvertreter mit dem der Vertretung in Verkehrsgeschäften in Beziehung gesetzt werden, nur so entginge man ja eines etwaigen Wertungswiderspruchs zur Zulässigkeit der Stellvertretung unter Lebenden. Nun hängt die Gefahreneinschätzung von dem Risiko ab, dem sich der Vertretene gegenüber gestellt sieht. Ob dieses unabweislich höher ist als bei der Stellvertretung in Verkehrsgeschäften erscheint durchaus zweifelhaft. Einmal kann der Erblasser jederzeit durch Verfügung von Todes wegen die letztwillige Er398

Lange/Kuchinke, § 18 I 1. Soergel-Loritz, § 2064 Rn. 2; Staud-Otte, § 2064 Rn. 4; Lange/Kuchinke, § 18 I 1; Schlüter, Erbrecht, Rn. 140. 399

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klärung des Stellvertreters vernichten, §§ 2253 ff. BGB. Unter Lebenden wäre er hingegen an das abgeschlossene Geschäft gebunden; zudem sieht er sich bei einer schriftlich erteilten Vollmacht den mit den §§ 171 II, 172 II, 173 BGB verbundenen Gefahren ausgesetzt. Wirkungen entfaltet die ausgeübte Vollmacht obendrein erst nach dem Tode des Erblassers. Auch hier wieder stellt sich die Frage, welches schutzwürdige Interesse dieser denn an Geschehnissen post mortem hat, und auch hier wieder lautet die Antwort: keines – wenn das Erbrecht, wie nach weit überwiegender Meinung, als fortgesetztes Eigentum gedeutet wird400. Mit dem Fehlen eines schutzwürdigen Interessen entfällt aber auch jedes Risiko des Vollmachtsmißbrauchs. Aus all dem folgt nichts anderes, als daß die Rückführung der formellen Höchstpersönlichkeit auf diverse Gefahrenpotentiale sich in einen Wertungswiderspruch zur Bewertung des Gefahrenpotentials bei der Stellvertretung in Verkehrsgeschäften gesetzt sieht: Bei einer stärkeren Gefahr ist Stellvertretung dort erlaubt, im Erbrechts mit einer geringeren Gefahrenlage jedoch nicht. Die Erklärung der formellen Höchstpersönlichkeit vom Risikopotential der Bevollmächtigung aus, greift insgesamt gesehen nicht durch. Anders wäre dies allenfalls, wenn das stellvertretungsrechtliche Risikopotential nicht auf die Person des Erblassers, sondern auf die der gesetzlichen Erben bezogen wird, wie dies im nunmehr zu besprechenden familiaristischen Erklärungsmuster der Fall ist. dd) Erklärungsmuster IV: Verantwortung des Erblassers Das Prinzip der formellen Höchstpersönlichkeit wurde schließlich und endlich auch mit familiaristischen Verantwortungsgesichtspunkten der Art begründet, die Anordnung der Höchstpersönlichkeit würde den erheblichen Auswirkungen Rechnung tragen, die von letztwilligen Verfügungen auf den Ehegatten und die Verwandten ausgehen können; der Erblasser solle sich dieser personalen401 oder sittlichen402 Verantwortung nicht durch die Einschaltung eines Vertreters entziehen können403. Ob dieses Erklärungsmuster überzeugend ist oder nicht, braucht hier nicht näher entschieden zu werden. Denn eines ist mit ihm nicht verbunden: Aus ihm folgt kein Argument gegen das hiesige Verständnis des gewillkürten Erbrechts als funktionales Persönlichkeitsrecht. Denn die Testierfreiheit wird bei dem Rekurs auf den Verantwortungsgedanken ja nicht – wie im schon diskutierten erbrecht400

Dazu siehe ausführlich oben § 5 II 2, § 6 II. So etwa MünchKomm-Leipold, § 2064 Rn. 1; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 182. 402 So Prot. V, 16. 403 BGHZ 15, 199 (200); MünchKomm-Leipold, § 2064 Rn. 1; Staud-Otte, § 2064 Rn. 4; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 182; Schlüter, Erbrecht, Rn. 140. 401

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lichen Familiarismus Leipolds404 – als bloßes Instrument begriffen, welches auf die einzelfallbezogene Implementierung familiarer Werte ausgerichtet sei, sondern behält ihren genuinen Stellenwert als Ausdruck eines genuinen Persönlichkeitsrechts. Der BGH veranschaulicht dies sehr prägnant durch die Sentenz, das Gesetz bekenne sich in § 2064 BGB zu dem Grundsatz, „daß der Erblasser allein vor seinem Gewissen die Verantwortung dafür übernehmen muß, wenn er die Erbfolge anders regelt, als das Gesetz sie vorgesehen hat“405. Mit diesem Rekurs auf die mit einer Gewissensentscheidung verbundene Verantwortung relativiert der BGH zugleich die in der Literatur und in den Motiven zum Ausdruck kommende Figur einer „personalen“ oder „sittlichen“ Verantwortung: Es ist die Verantwortung vor sich selbst – und nicht vor der Familie und vor Kontexten der Sittlichkeit – die dem Erblasser zu seiner Verfügung motivieren soll. Auch dies kann wieder als ein Aufruf verstanden werden, sich in einer gelingenden Todesverarbeitung zur Person zu vollenden. Auch der Verantwortungs-Topos rekapituliert damit letztlich nichts anderes als die Personfunktionalität des gewillkürten Erbrechts. Daß er mittelbar auch dem Schutz der Familie dient, ist dabei nicht hinderlich, sondern Ausdruck der gesetzlichen Wertung, daß der Erblasser Verantwortung gegenüber den Personen selbst dann zeigen darf, wenn er mit diesen familiar verbunden ist. b) Formelle Höchstpersönlichkeit und Todesverarbeitung Wenn die Ergebnisse der bisherigen Überlegungen festgehalten werden, wird deutlich, daß gerade das Prinzip der formellen Höchstpersönlichkeit und vor allem seine rigide, ausschließliche Durchführung ohne weiteres durch die Personfunktionalität des gewillkürten Erbrechts erklärt zu werden vermag. Die Hauptstoßrichtung der Erklärung ist dabei die Einsicht, daß es ausnahmslos ein Unding wäre, seinen eigenen Tod durch Dritte stellvertretend verarbeiten zu lassen. Daneben konnte das Prinzip der formellen Höchstpersönlichkeit auch als Aufruf des Rechts an den Erblasser verstanden werden, sich durch systemische Imperative nicht an der Entfaltung seines Selbsts hindern zu lassen. Im Rekurs auf die höchstpersönliche Kategorie des Gewissens schließlich schimmert der Appell des Gesetzes durch, in der formellen Höchstpersönlichkeit des Testierens seinen Tod abzuarbeiten, um sich dann in einer gelingenden Todesverarbeitung als Person zur Vollendung zu bringen. Der Charme der Personfunktionalität ist dabei, mit ihrer Hilfe die bisher den §§ 2064, 2274 BGB zugeschriebenen Teleologie zum Großteil in das hiesige Konzept des Erbrechts einbinden zu können: Die

404 405

Dazu oben § 3 I. BGHZ 15, 199 (200), Hervorhebung nicht i. O.

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Teleologien erscheinen dann als noch undeutlicher und eher tastender Ausdruck der Einsicht, daß Erbrecht auch funktionales Persönlichkeitsrecht ist. 3. Der Sinn materieller Höchstpersönlichkeit Der Gesetzgeber hat sich dafür entschieden406, nicht nur beim Testieren die Stellvertretung, sondern auch eine Drittbestimmung der Geltung des letztwillig Verfügten, des bedachten Personenkreises und des Gegenstands der Bedenkung (§ 2065 BGB, § 2256 II BGB, §§ 2282 I, 2284, 2290 II 1, 2296 I 1 BGB) im Grundsatz auszuschließen. Dieses Prinzip der materiellen Höchstpersönlichkeit (§§ 2065, 2279 I, 2299 II 1 BGB) wird im wesentlichen auf sechs Gedanken zurückgeführt: personale Verantwortung, die gerechte Ordnung, das familiare Interesse, die rechtssichernde Bestimmung des Erben im Todeszeitpunkt, der Kern unverzichtbarer Privatautonomie sowie schließlich die Vermeidung einer Konzentration familiären Vermögens. Ergänzt werden diese sechs Kernbegründungen mit Erwägungen zum Risikopotential, welches in einer Entscheidungsbefugnis des Dritten für den Erblasser und Dritte gegründet sei. a) Gängige Erklärungsmuster zur materiellen Höchstpersönlichkeit aa) Erklärungsmuster I: Das Interesse an einer klaren sachenrechtlichen Zuständigkeitsordnung Nun changiert das Gesetz zwischen einem klaren Votum für eine materielle Höchstpersönlichkeit (§§ 2065, 2279 I, 2299 II 1 BGB) und dem genau umgekehrten Votum für eine materielle Drittbestimmungsbefugnis (§§ 2074 f., 2151, 2156, 2193, 2198, 2200, 2048 S. 2 BGB). Deutungsmuster zur materiellen Höchstpersönlichkeit müssen nicht nur diese, sondern auch jenes Changieren erklären. Am einfachsten fällt dies der Überlegung, die §§ 2065, 2279 I, 2299 II 1 BGB wollen zusammen mit dem erbrechtlichen Anfallprinzip zum einen eine klare sachenrechtliche Zuständigkeitsordnung hinsichtlich des ererbten Vermögens im Zeitpunkt des Erbfalls eben durch die Bestimmung des Erben für genau diesen Zeitpunkt sicherstellen407 und zum anderen das Vermögen schon im Zeitpunkt des Todes 406 Siehe zu den Gesetzgebungsberatungen nur Grossfeld, JZ 1968, 113 (115 f.); zur Geschichte des Prinzips der materiellen Höchstpersönlichkeit allg. Immel, Höchstpersönliche Willensentscheidung, 1965; Zimmermann, „Quos Titius voluerit“, 9 ff. 407 Eben deshalb wird die römischrechtliche Rechtsfigur einer hereditas iacet weitgehend für nicht wünschenswert erachtet, siehe Mot. V, 486 f.; sowie aus der Literatur nur MünchKomm-Leipold, § 1942 Rn. 2 f.; Soergel-Stein, § 1922 Rn. 9,

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des Erblassers nicht des Schutzes berauben, den eine dingliche Rechtsstellung nun einmal verleihe408. Der Gedankengang ist letztlich ein Folgenargument: Zwar sei ein etwaiges Interesse nicht geschützt, die mit dem Tode eintretene neue Zuordnung von Vermögen und Rechtssubjekt in die Zukunft ohne Wenn und Aber zu perpetuieren; der Erbe könne die Erbschaft ja immer noch ausschlagen. Bei einer erst noch zu erfolgenden Erbenbestimmung käme es aber erst einmal zu einer untragbaren Unruhephase, und zwar selbst dann, wenn die Erbenbestimmung auf den Todesfall zurückwirken würde. Und da das sachenrechtliche Zuordnungsinteresse sowohl bei der Benennung von Vermächtnisnehmern (§ 2151 BGB)409, bei der Bestimmung des Vermächtnisnehmers beim Wahlvermächtnis (§ 2252 BGB), bei der Zweckbestimmung beim Zweckvermächtnis (§ 2156 BGB) als auch bei der Bestimmung des Begünstigten bei einer zweckgebundenen Auflage (§ 2193 BGB), bei der Auswahl des Testamentsvollstreckers (§§ 2198, 2200 BGB) und bei Teilungsanordnungen (§ 2048 S. 2 BGB) entfiele410, besäße die Argumentation mit dem öffentlichen Interesse an einer klaren sachenrechtlichen Zuständigkeitsordnung auch noch den Charme, das Prinzip der materiellen Höchstpersönlichkeit samt seinen Ausnahmen probat zu erklären. Dieses Argument klingt ungemein plausibel, letztlich erklärt es die Regelungen der §§ 2065, 2279 I, 2299 II 1 BGB aber nicht. Denn die avisierte Furcht vor einem untragbaren Schwebezustand wäre doch einfach mit einer Vorerbschaft bis zur endgültigen Drittbestimmung des Nacherben zu überbrücken411. Daneben käme auch in Betracht, das sachenrechtliche Interesse an einer klaren Rechtszuständigkeit innerhalb der Eigentumsordnung dadurch zu wahren, daß eine Drittbestimmung des Erben, welche nicht zeitlich eng nach dem vor § 1942 Rn. 4; Staud-Otte, § 1942 Rn. 3; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 8 I 3. Andere Ansicht nur v. Lübtow, Erbrecht Bd. 2, 651 ff., 656 ff.; dagegen nur Windel, Modi, 198 f.; dazu schon oben § 4 III 1. 408 Lange/Kuchinke, § 27 I 3; Windel, Modi, 237. 409 Der Vermächtnisnehmer ist selbst (nachrangiger) Nachlaßgläubiger. Hierauf weist im Zusammenhang mit § 2065 II BGB MünchKomm-Schlichting, § 2151 Rn. 1, hin. 410 Dies übersieht Wagner, Der Grundsatz der Selbstentscheidung, 32. 411 So auch schon H. Westermann, FS Möhring, 183 (185 Fn. 3); Grossfeld, JZ 1968, 113 (115). Windel, Modi, 237, trägt hierzu den Einwand vor, der Verweis auf die Vorerbschaft überzeuge nicht für die Fälle, in denen der Erblasser ersichtlich Wert darauf lege, es zu keinem Nacheinander der Erben kommen zu lassen, so daß Vorerbschaft der gesetzlichen Erben hier ausscheide. Für diese Fälle greift tatsächlich das öffentlich Interesse an einer klaren sachenrechtlichen Zuständigkeitsordnung. Nur ist mit dieser Einsicht nicht das Prinzip der materiellen Höchstpersönlichkeit erklärt. Denn für die anderen Fälle, in denen Vorerbschaft angenommen werden kann, greift das öffentliche Zuordnungsinteresse ja nicht. Letztlich geht der Einwand Windels daher fehl, soweit die Erklärung des § 2065 BGB zur Rede steht.

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Erbfall erfolgt, nur für zulässig erachtet würde, wenn für die Übergangszeit bis zur Erbenbestimmung ein Testamentsvollstrecker ernannt wird, welcher den Nachlaß für den noch zu bestimmenden Erben verwaltet. Sowohl die sachenrechtliche Zuordnung als auch das schlagkräftige Erbeninteresse am dinglichen Rechtsschutz zur Abwehr etwaiger Eingriffe in den Bestand der Erbschaft wären damit befriedigt. Zudem läßt das Gesetz selbst etwa durch die Zulässigkeit bedingter Erbeneinsetzungen, durch das Institut der Ausschlagung und durch die sehr weitgehenden Anfechtungsmöglichkeiten Unsicherheiten zu und wertet damit sachenrechtliche Zuordnungsprobleme gegenüber erbrechtlichen Interessen eher gering412. Das öffentliche sachenrechtliche Zuordnungsinteresse erklärt das Prinzip der materiellen Höchstpersönlichkeit mithin nicht. bb) Erklärungsmuster II: Verantwortung Einer der tragenden Gründe des Prinzips der materiellen Höchstpersönlichkeit wird in dem Gedanken personaler Verantwortung gesehen. Der Erblasser müsse seine Verfügungen im vollen Umfang durchdenken und einen abschließenden Willen bilden, damit dessen Verantwortung – sei sie höchstpersönlicher Art413 oder Verantwortung vor dem Gewissen414 – für seine Verfügung gewährleistet sei415. Flankiert wird dies stellenweise mit dem Gedanken, eine verantwortungsvolle Vermögensweitergabe sei nur bei demjenigen zu erwarten, der sich seiner Verantwortung als Vermögensinhaber selbst hat bewußt werden können416. Der Verantwortungsgedanke trägt aber die gesetzliche Anordnung materieller Höchstpersönlichkeit nicht. Denn wieso das Gesetz eine personale Verantwortung des Erblassers bei der Erbenbestimmung sehen soll, nicht hingegen bei der Benennung von Vermächtnisnehmern (§ 2151 BGB) oder bei der Auswahl des Testamentsvollstreckers (§§ 2198, 2200 BGB) bleibt unerfindlich. Gerade die Person des Testamentsvollstreckers ist doch aufgrund seiner starken Stellung (insbes. §§ 2205 ff. BGB, §§ 2211 ff. BGB) ebenfalls in Verantwortungsstrukturen eingebunden; gleichwohl hindert dies das Rechtsinstitut eines durch einen Dritten bestimmten Testamentsvollstreckers nicht. Zudem kann der Verwaltungstestamentsvollstrecker kraft seines Amtes das weitere Schicksal des ererbten Vermögens bestimmen. Mit Blick hierauf reduziert sich die Funk412

Ähnlich Zimmermann, „Quos Titius voluerit“, 39 f. So MünchKomm-Leipold, § 2065 Rn. 1. 414 BGHZ 15, 199 (200). 415 BGHZ 15, 199 (200); MünchKomm-Leipold, § 2065 Rn. 1; Brox, Erbrecht, Rn. 103; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 182; Schlüter, Erbrecht, Rn. 141 f.; Keim, Höchstpersönliche Struktur, 28. 416 Staud-Otte, § 2065 Rn. 1. 413

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tion materieller Höchstpersönlichkeit allein darauf, die sachenrechtliche Zuständigkeit im Erbfall und nicht für die Zeit danach festzulegen. Die Frage bleibt: Wieso entfällt das Prinzip materieller Höchstpersönlichkeit dann nicht ganz, da ja das öffentliche Zuordnungsinteresse – wie soeben festgestellt – bei einer Drittbestimmungsbefugnis nicht relevant berührt wäre? Darüberhinaus sieht die herrschende Ansicht angesichts der Disponibilität des § 2087 BGB keinen Verstoß gegen § 2065 II BGB, wenn wirtschaftlich bedeutende Vermögensgegenstände oder Vermögensgesamtheiten wie etwa Unternehmen, die den Wert des Nachlasses im wesentlichen aufzehren, mit einer Bestimmung gem. § 2151 BGB vermächtnisweise zugewendet werden, solange nur eindeutig zum Ausdruck gekommen ist, daß es sich um ein Vermächtnis handele417. Wie sich das mit dem Verantwortungstopos zusammenreimen soll, bleibt unklar. Insofern ist es nicht überraschend, daß die Bestimmung des § 2151 BGB angesichts des § 2065 BGB als „sehr merkwürdig“418 erachtet worden ist – die Diskrepanz zwischen diesen beiden Regelungen ist in der Tat unerklärlich, wenn das Erbrecht etwa auf das Eigentum zurückgeführt wird. Sicherlich müssen beim Vermächtnis anders als bei der Erbeinsetzung keine Interessen der Nachlaßgläubiger berücksichtigt werden, da der Vermächtnisnehmer selbst (nachrangiger) Nachlaßgläubiger ist. Dieser Aspekt betrifft jedoch Verantwortungsgesichtspunkte nicht, es sei denn, Verantwortung würde rein auf die Bestimmung der Person des Erben als desjenigen Rechtssubjekts bezogen, welches post mortem die Nachlaßgläubiger zu befriedigen hat. Dann deckt sich aber der Verantwortungstopos mit dem oben geschilderten öffentlichen Interesse an einer klaren sachenrechtlichen Zuordnung des vererbten Vermögens, da hinsichtlich der konkreten Person des Erben den Nachlaßgläubiger ja kein schutzwürdiges Interesse zukommt, solange ihre Haftungsmasse nicht geschmälert und damit ihr Haftungsinteresse gesichert ist. In dieser „sachenrechtlichen“ Weise wird Verantwortung aber durchweg nicht verstanden. Verantwortung wird vielmehr auf die Abweichung von der gesetzlichen Erbfolge bezogen419, was wiederum Interessen von Nachlaßgläubigern überhaupt nicht betrifft. Schließlich erklärt der Verantwortungs-Topos als solcher nicht das Prinzip materieller Höchstpersönlichkeit, solange keine Abschichtung nach Verantwortungs-Graden erfolgt. Denn im Vertragsrecht wird durchweg von dem Prinzip der Selbstverantwortung ausgegangen420, ohne daß zugleich 417 Siehe nur MünchKomm-Leipold, § 2065 Rn. 2; Soergel-Wolf, § 2151 Rn. 1; Staud-Otte, § 2151 Rn. 2; Palandt-Edenhofer, § 2151 Rn. 1; Windel, Modi, 242 f.; als Übersicht Keim, Höchstpersönliche Struktur, 138 ff. 418 Zimmermann, „Quos Titius voluerit“, 37. 419 BGHZ 15, 199 (200); MünchKomm-Leipold, § 2065 Rn. 1; Brox, Erbrecht, Rn. 103; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 182; Schlüter, Erbrecht, Rn. 141 f.

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die Stellvertretung ausgeschlossen würde. Folglich müßte – um der Vermeidung eines Wertungswiderspruchs willen – der Grad der zu Recht erwartbaren Verantwortung im Erbrecht höher sein als im Vertragsrecht. Hierfür gilt es Gründe anzugeben. Der Verantwortungs-Topos allein klärt hier nichts weiter, da Verantwortung schließlich ein normatives Kriterium ist. Derartige Gründe werden aber im Zusammenhang mit der Verantwortungsdiskussion durchweg nicht angeführt; zu Recht umschreibt Grossfeld den Rekurs auf Verantwortung daher mit der Bemerkung „einigermaßen unsubstantiiert“421. Die Ausnahme besteht allein darin, daß ein hoher Verantwortungsgrad mit familiaristischen Erwägungen begründet wird. Das Prinzip materieller Höchstpersönlichkeit wird dann auf das familiare Interesse zurückgeführt. cc) Erklärungsmuster III: Das Familieninteresse Das Prinzip materieller Höchstpersönlichkeit wird auch in Bezug gesetzt zu familiaristischen Wertungen. So soll dem Erblasser die Befugnis zur Außerkraftsetzung der gesetzlichen Erbfolge nur zustehen, wenn er selbst einen eigenen festen Entschluß über Geltung und Inhalt seiner Anordnungen gefaßt habe422. Ergänzt wird dies mancherorts mit der familiaristischen Erwägung, § 2065 BGB zeige, daß die gesetzliche Erbfolge als eine prinzipiell schützenswerte Position zu verstehen sei und daß insofern das Gesetz auf das familiare Verantwortungsbewußtsein des Erblassers baue423. Zudem sei dem Erblasser die Testierfreiheit als materiell-höchstpersönlich auszuüben zugewiesen, weil er den besten Einblick in die familiären Verhältnisse besitze; nur deshalb könne die gesetzliche Erbfolge überhaupt zurückstehen424. Die Rückführung des Prinzips materieller Höchstpersönlichkeit auf das familiare Interesse überzeugt nicht. Es müßte eine einsichtige Wechselwirkung zwischen materieller Höchstpersönlichkeit und Schutz familiarer Interessen begründet werden können. Eine derartige Korrelation kann nicht begründet werden425. So wird schon nicht klar, wieso auf der einen Seite das gesetzliche Erbrecht nur eine mehr oder weniger unsichere Erwerbsaussicht im Sinne einer 420

Zum Prinzip der Selbstverantwortung ausführlich Manfred Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, 75 ff. 421 Grossfeld, JZ 1968, 113 (115). 422 Staud-Otte, § 2065 Rn. 1; v. Lübtow, Erbrecht, Bd. 1, 139; Keim, Höchstpersönliche Struktur, 35. 423 MünchKomm-Leipold, § 2065 Rn. 1. 424 Linker, Neubestimmung, 11. 425 Zu Recht führt daher auch Zimmermann, „Quos Titius voluerit“, 26, aus, es bestünde kein spezifischer Zusammenhang mit dem Bestimmungsrecht eines Dritten und dem Familieninteresse.

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bloßen Hoffnung verleihen soll426 und auf der einen Seite davon die Rede sein kann, die Bevorzugung des einen Abkömmlings ziehe zwangsläufig die Benachteiligung aller anderen nach sich427. Ein Nachteil kann ja nur vor dem Hintergrund verletzter Interessen angenommen werden. Solche wiederum können den gesetzlich Erbberechtigen zu Lebzeiten des Erblassers aufgrund ihrer unsicheren Erwerbsaussicht, nach dem Ableben des Erblassers aufgrund vorrangiger letztwilliger Verfügung durchweg nicht zugebilligt werden: Hoffnungen zu enttäuschen, mag menschlich unangenehm sein, interessiert das Recht jedoch nicht, wenn es Verhaltenserwartungen (mithin: Hoffnungen) nicht schützt. Ein Nachteil wäre mithin nur auszumachen, wenn davon ausgegangen wird, der Abkömmling habe ein irgendwie geartetes vorrechtliches „Recht“ am Nachlaß, wie dies beispielsweise angenommen wird, wenn die Rede davon ist, die Enterbung „ohne vernünftigen sachlichen Grund“428 stelle keinen wertneutralen Vorgang dar, sondern sei ein „Eingriff in eine Rechtsposition, die dem gesetzlichen Erben eigentlich zusteht“429. Daß ein derartiger erbrechtlicher Familiarismus nicht überzeugt, wurde schon nachgewiesen430. Die Folge ist überaus prekär: Der Rechtsdogmatik stehen überhaupt keine Instrumente zur Verfügung, mit denen sie ausmachen kann, ob einer verwandtschaftlich mit dem Erblasser verbundenen Person „eigentlich“ etwas zusteht – fehlen aber derartige Instrumente, steht dem Verwandten „eigentlich“ genauso viel zu (besser: genau so wenig zu), wie jeder beliebigen anderen Person auf der Welt. Schon deshalb verfängt eine Gründung der materiellen Höchstpersönlichkeit auf dem Familieninteresse nicht. Daran ändern auch Überlegungen der Art nichts, die Enterbung stelle einen tiefen Eingriff in die engsten familiären Beziehungen dar431: Wie soll dies möglich sein, wenn erstens zu Lebzeiten des Erblassers nur unbeachtliche Erbhoffnungen der Familie bestehen und zweitens nach dem Tode des Erblassers familiäre Beziehungen gerade erloschen432 und in gesetzliche Erbrechte „umgewandelt“ worden sind und drittens diese aber aufgrund der Enterbung wegfallen, so daß allenfalls schuldrechtliche Ansprüche in Form des Pflichtteils anfallen? Man müßte mithin entweder von einem transpersonalen Subjekt „Familie“ (etwa als Teil 426 Staud-Marotzke, § 1922 Rn. 11 ff.; Soergel-Stein, Einl. Rn 2., § 1922 Rn. 7; MünchKomm-Leipold, § 1922 Rn. 72. BGHZ 1, 343 (349), spricht hingegen von einem subjektiven Erbrecht zu Lebzeiten, zu Recht kritisch hierzu MünchKommLeipold, ebda. 427 So Grossfeld, JZ 1968, 113 (118); Keim, Höchstpersönliche Struktur, 40 f. 428 Leipold, AcP 180 (1980), 160 (195). 429 Leipold, AcP 180 (1980), 160 (195), Hervorhebung nicht i. O. 430 Oben § 3 II–IV. 431 So Grossfeld, JZ 1968, 113 (118); Keim, Höchstpersönliche Struktur, 40 f. 432 Selbst Unterhaltsansprüche erlöschen im Grundsatz mit dem Tode des Verpflichteten, § 1615 BGB.

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substantieller Sittlichkeit) ausgehen können, um einen Zurechnungspunkt zur Verfügung zu haben, auf den die Reproduktion familiarer Beziehungen über die Generationenfolge hinweg gestützt werden kann – eine Vorstellung, die die schon kritisierten Persönlichkeitsfortsetzungstheorien quasi ins Überindividuelle verlängert. Oder man bezieht sich auf die menschlichen Gefühlswelten der Hinterbliebenen, die vom Verfügungsverhalten des Erblassers enttäuscht sind – doch wie sollen derartige gescheiterte Hoffnungen relevant sein, da man gemeinhin menschliche Enttäuschungen in seinem Erlebnishaushalt eigenständig verarbeiten muß und nur dann auf das Vermögen eines Dritten zurückgreifen darf, wenn dieser die Psyche rechtswidrig geschädigt hat, so daß ein deliktischer Anspruch gegeben ist. Anders gesagt: Was hat die Tatsache menschlicher Enttäuschung mit einer Partizipation am Vermögen des Enttäuschenden zu schaffen? Familiäre Erberwartungen schlagen sich mithin nur im Pflichtteilsrecht als Kompromiß zwischen Testierfreiheit und Familie nieder433. Wo ist der sachliche Wertungsgesichtspunkt, diese gesetzliche Wertung mit rechtssystemexternen Überlegungen zu unterlaufen, die metaphysischen Traditionen familiaren Denkens geschuldet sind? Doch selbst wenn die soeben vorgetragene, durchaus voraussetzungsreiche Kritik eben aufgrund ihres hier nur ansatzweise skizzierbaren Voraussetzungsreichtums nicht überzeugend würde, kann dem erbrechtlichen Familiarismus im Rahmen der Diskussion materieller Höchstpersönlichkeit auch deshalb nicht gefolgt werden, weil er sich auch intern in Widersprüche verwickelt. Einmal müßte der Grad der erforderlichen Höchstpersönlichkeit akzessorisch zum Familieninteresse sein, wenn die §§ 2065, 2279, 2299 BGB auf den Familiengedanken gegründet würden. So könnte sich ja ein familienfeindlich eingestellter Erblasser, der bei eigener Verfügung sich gegen die Familie entscheiden würde, die Bestimmung der Destinatäre einem familienfreundlichen Dritten zuweisen, weil er sich nicht selbst der emotionalen Verantwortung der Enterbung gegenübergestellt sehen möchte. Oder der Erblasser könnte den Kreis der Erbberechtigten von vornherein auf die Familie begrenzen434; das Familieninteresse wäre hier nur dann berührt, wenn die Familie – etwa im Kontext Hegelscher Traditionen – als ein Sozialgebilde eigener Dignität begriffen würde, aus dem auch kein Dritter einzelne Mitglieder hervorheben dürfe. Nur dürfte ein derartiger Rekurs auf die Familie heute nicht mehr ernstlich in Betracht kommen. Zudem besteht gerade im Bereich der Vererbung von Familienunternehmen häufig das Familieninteresse, die Person des Unternehmenserben noch nicht zu bestimmen, weil dies etwa aufgrund des Lebensalters oder der Ausbildungssituation der Abkömmlinge dem Erblasser noch nicht tunlich erscheint. 433 434

Dazu schon oben § 5 II 1. Zimmermann, „Quos Titius voluerit“, 26.

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Wieso hier statt auf die drittbestimmte Erbeinsetzung auf kautelarjurisprudentielle Derivate ausgewichen werden soll (etwa Unternehmensvermächtnis mit Drittbestimmung435), die zudem angesichts der Unübersichtlichkeit des Steuerrechts gegenüber der Erbeinsetzung nicht immer leicht handhabbar sein mögen, bleibt angesichts der teleologischen Ausrichtung des § 2065 II BGB auf das Familieninteresse ungeklärt. Zwar wird in dieser Situation stellenweise zu einer teleologischen Reduktion etwa des § 2065 II BGB Zuflucht genommen, nach dem dieser eine nicht-willkürliche Ermessenentscheidung zulassen soll, wenn andernfalls das Familieninteresse leide436. Doch hilft dies ja nicht der Erklärung der Teleologie des § 2065 BGB. Denn es bleibt dann ja immer noch die Frage offen, was geschieht, wenn das Familieninteresse im Einzelfall einmal eine freie Drittentscheidungsbefugnis fordern würde. Selbst wenn derartige konkrete Fälle einmal außer Betracht bleiben, erklärt die teleologische Reduktion des § 2065 II BGG generell nicht, wieso nach dem Gesetz überhaupt nur eine nicht-willkürliche und keine freie Drittentscheidung möglich sein soll. Nun könnte vorgetragen werden, der Ausschluß einer freien Drittentscheidungsbefugnis sei mit einem eher abstrahierten Familieninteresse zu rechtfertigen – wenn also das Familieninteresse von derart konkreten Problemstellungen etwa der Unternehmensvererbung gelöst und allein als tangiert angesehen wird, soweit es überhaupt um die generelle Außerkraftsetzung der gesetzlichen Erbfolge qua Testament geht. Es steht dann die Wechselwirkung zwischen materieller Höchstpersönlichkeit und dem Familieninteresse im Raum, welches darauf gerichtet ist, daß allein der Erblasser der letztwilligen Verfügung die Gewähr einer gerechten oder richtigen und daher für die Familie tragbaren Entscheidungen verleihen könne. Daß eine derartige Richtigkeitsgewähr nicht im gerechtigkeitstheoretischen Sinne begriffen werden kann, wurde schon gezeigt437. Der behauptete funktionale Bezug zwischen der Entscheidung gerade des Erblassers und dem sachgerechten Schutz familiarer Interessen kann demnach nur auf Zweckmäßigkeitserwägungen gegründet werden. Das für derartige Zweckmäßigkeitserwägungen relevante Wissen muß dann aber allein der Erblasser besitzen438. 435 Dazu nur Sens, Erbenbestimmung, 5 ff., 28 ff. (mit weiteren zahlreichen Nachweisen); Windel, Modi, 238 ff.; Mayer, ZEV 1995, 247 ff.; siehe zum Problem schon H. Westermann, FS Möhring, 183 ff. 436 So im Anschluß an die Rechtsprechung des RG MünchKomm-Leipold, § 2065 Rn. 18; ders., Erbrecht, Rn. 215, je mit zahlreichen weiteren Nachweisen. 437 Oben § 3 III 2. 438 So konstatiert Keim, Höchstpersönliche Struktur, 38, etwa apodiktisch: der Erblasser sei „der beste Kenner seiner Verhältnisse und seiner möglichen Erben“ – Kenner seiner Verhältnisse vielleicht schon, wenn diese auf den personalen Bereich beschränkt werden, aber auch der beste Kenner möglicher Erben? Wieso er und nicht auch die Familie? Und wieso nicht nahestehende Dritte, wenn die Abkömm-

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Denn ansonsten könnten etwa zumindest auch Familienmitglieder eine Drittbestimmung des Erben post mortem vornehmen, ohne die Richtigkeitsgewähr zu stören; damit aber wäre § 2065 BGB delegitimiert. Doch warum spricht der erbrechtliche Familiarismus dieses Wissen nicht auch zumindest den Angehörigen der Kernfamilie zu? Zumindest hier sollte man eine Ausnahme vom Grundsatz der materiellen Höchstpersönlichkeit erwarten dürfen; gerade eine solche wird aber nicht konzediert. Schließlich wird nicht klar, warum das Familieninteresse nur die höchstpersönliche Erbeinsetzung fordern und einer Drittbestimmung des Vermächtnisnehmers oder des Testamentsvollstreckers nicht entgegen stehen soll439. Nach all dem schlägt die Deutung der §§ 2065, 2279, 2299 BGB mittels familiaristischer Gedanken fehl. dd) Erklärungsmuster IV: Rekurs auf den Gedanken einer gerechten Ordnung Das Prinzip der materiellen Höchstpersönlichkeit ist auch auf die Idee zurückgeführt worden, die Testierfreiheit sei dem einzelnen u. a. zu dem Zweck überantwortet, eine überindividuelle, gerechte Ordnung herbeizuführen. Mit Blick hierauf sei die Regelung des Erbfalls dem Nächstbeteiligten überlassen worden, weil sich die Rechtsgemeinschaft hiervon im Interesse aller eine zweckmäßige und gerechte Lösung erhoffe440. Schlüssig ist dieses Richtigkeitsgewähr-Argument nicht. Denn es wurde ja schon gezeigt, daß das Institut der letztwilligen Verfügung insgesamt delegitimiert würde, wenn es darauf angelegt sein soll, Gerechtigkeit im rechtsphilosophischen Sinne zu implementieren441. Es besteht deshalb allenfalls der Ausweg, Richtigkeitsgewähr nicht gerechtigkeitstheoretisch, sondern rein rechtssystemintern zu verstehen. Richtigkeitsgewähr bedeutet dann, daß anhand der materiellen Höchstpersönlichkeit gesichert wird, mit der letztwilligen Verfügung die Zustände zu erreichen, die der rechtswissenschaftliche und rechtspraktische Diskurs als richtig bezeichnet 442. Die Verfügung wird dann auf das Erfordernis einer im rechtlichen Diskurs entworfenen objektiven Ordnung und auf das rechtliche Wertungsgeflecht insgesamt funktional bezogen. Wird so vorgegangen, wird zugleich deutlich, daß die dogmatische linge des Erblassers selbst eine Kernfamilie gegründet haben und der Zusammenhalt mit der biologischen Ursprungsfamilie mehr und mehr lockerer wird, wenn er nicht ganz zerfällt? 439 Wagner, Der Grundsatz der Selbstentscheidung, 35 f. 440 Grossfeld, JZ 1968, 113 (116 f.); Sens, Erbenbestimmung, 85 ff.; Keim, Höchstpersönliche Struktur, 28 ff. 441 Siehe dazu ausführlich oben § 3 III 2 b. 442 Dazu schon oben § 3 III 2 d.

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Verklammerung von materieller Höchstpersönlichkeit und Richtigkeitsgewähr die Regelungen der §§ 2065, 2279, 2299 BGB selbst nicht erklären. Denn sie läßt ja gerade offen, wie die objektive Ordnung nun genau beschaffen sein soll. Anders gesagt: Sie stellt die Frage nach der Erklärung materieller Höchstpersönlichkeit nur neu. Die Antwort kann darin bestehen, die Anordnung einer Drittentscheidungsbefugnis als genuinen Anwendungsfall der Privatautonomie anzusehen und mit Blick hierauf den weiteren Begründungspfad abzubrechen443. Freilich bliebe dann die weitgefächerte Diskussion über die Grenzen und die Funktionen privatautonomen Handelns unberücksichtigt; es käme hier gewissermaßen zu einem klassischen argumentativen Patt. Zudem ist das Argument auch zwiespältig. Denn die formelle Rechtsinhaberschaft korreliert ja nicht ohne weiteres mit der Stellung eines „Nächstbeteiligten“ hinsichtlich der Regelung des Erbfalls. Denn nächstbeteiligt könnte doch gerade der bestimmungsberechtigte Dritte sein. Insgesamt gesehen ist das Richtigkeits-Argument daher nicht weiter tragfähig. ee) Erklärungsmuster V: Rekurs auf einen unverzichtbaren Kern der Privatautonomie Mit der Vorgabe materieller Höchstpersönlichkeit soll schließlich auch der Kern unverzichtbarer Privatautonomie vor einer Verletzung geschützt werden444; letztere läge vor, wo die Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf einen Dritten weder kontrolliert, noch rückgängig gemacht werden könnte445. Dies überzeugt nicht. Einmal verträgt diese „Kern-Metapher“ gerade nicht die Abschichtungen, die das Gesetz ausweislich seines Changierens zwischen einem klaren Votum für (§§ 2065, 2279 I, 2299 II 1 BGB) und gegen (§§ 2074 f., 2151, 2156, 2193, 2198, 2200, 2048 S. 2 BGB) eine materielle Höchstpersönlichkeit implementiert. Gerade beim nachlaßaufzehrenden drittbestimmten Vermächtnis nach § 2151 BGB wird sehr deutlich, daß die gesetzlich vorgesehenen Fälle der materiellen Drittbestimmungsbefugnis durchaus quer stehen zu den gängigen Wertungen hinsichtlich des einschränkbaren Kerns der Privatautonomie unter Lebenden. Darüberhinaus ist angenommen worden, der Kern der Testierfreiheit sei bei einem Verlust materieller Höchstpersönlichkeit schon deshalb verletzt, weil dann Rechtsfolgen ähnlich einer unwiderruflichen Generalvollmacht eintreten würden; derartige Rechtsfolgen dulde das Gesetz aber durchweg nicht446. Dieser Vergleich mit der unwiderruflichen Generalvollmacht paßt nicht. Tragende 443 444 445 446

Wie dies bei Zimmermann, „Quos Titius voluerit“, 27, der Fall ist. Lange/Kuchinke, § 27 I 3; Keim, Höchstpersönliche Struktur, 26 ff. Lange/Kuchinke, § 27 I 3. Grossfeld, JZ 1968, 113 (117 f.).

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Grundlage für den Vergleich ist der Gedanke, das Stellvertretungsrecht zeige, daß die Rechtszuständigkeit des Vollmachtgebers nicht verdrängt werden dürfe, genau dies sei aber bei der Drittbestimmung der Fall, da eine eigene Rechtszuständigkeit des Erblassers im Erbfall nicht mehr gegeben sei447. Der Vergleich wird damit letztlich mit der Erwägung befürwortet, es widerspreche dem Prinzip der Privatautonomie, daß ein anderer ohne oder entgegen dem Willen des Vertretenen jede beliebige Rechtsfolge für einen anderen bewirken könne448. Nur: Die Drittbestimmungsbefugnis entspricht zu Lebzeiten des Erblassers dessen Willen. Und nach seinem Tode besitzt der Erblasser keinen Willen mehr, zu dem sich der Dritte in Widerspruch setzen könnte. Inzident setzt das Argument des Wertungsabgleichs mit der unwiderruflichen Generalvollmacht mithin voraus, daß das Interesse des Erblassers an dem Schicksal seines Vermögens zu Lebzeiten und post mortem gleich ist. Die Vorstellung, es gäbe ein relevantes Vermögensinteresse des Erblassers post mortem, wiederum ist eine Annahme – dies wurde schon mehrfach betont –, die im Kontext eines Verständnis des Erbrechts als fortgesetztes Eigentum nicht plausibel449, im Kontext eines erbrechtlichen Personfunktionalismus aber um so plausibler ist. Bei einem Rekurs auf die personfunktionale Deutung des gewillkürten Erbrechts wird aber der Bezugspunkt der materiellen Höchstpersönlichkeit ausgewechselt: Es geht nun nicht mehr um einen unverzichtbaren Kern privatautonomer Selbstbestimmung, sondern um Mechanismen der Todesverarbeitung. Insgesamt gesehen scheidet damit der Selbstbestimmungs-Gedanke als Erklärungsmuster für die §§ 2065, 2279, 2299 BGB aus. ff) Erklärungsmuster VI: Vermeidung einer Konzentration familiären Vermögens Das Erfordernis materieller Höchstpersönlichkeit ist schließlich auch mit der Gefahr begründet worden, die in der Ansammlung familiären Vermögens in der Generationenfolge begründet sei; diese Gefahr würde verstärkt, wenn dem Erblasser durch die Implementierung einer Drittbestimmungsbefugnis eine Flexibilisierung der Erbfolge in Richtung des wirtschaftlich Sinnvollsten ermöglicht werden könne450. In der Tat hat der Gesetzgeber im Zuge der Fideikomißaufhebungsgesetzgebung die Konzentration familiären Vermögens negativ bewertet451. Doch kann hieraus nicht der Schluß ge447

Grossfeld, JZ 1968, 113 (117). So zu Recht analysiert bei Sens, Erbenbestimmung, 69, die selbst den Vergleich mit der Vollmacht aber kritisiert. 449 So auch Zimmermann, „Quos Titius voluerit“, 27; Sens, Erbenbestimmung, 70. 450 Grossfeld, JZ 1968, 113 (118 f.); Keim, Höchstpersönliche Struktur, 42 ff. 448

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zogen werden, die materielle Höchstpersönlichkeit diene der Vermeidung einer familiären Vermögenskonzentration. Einmal ist schon nicht klar, wieso überhaupt eine weit zugelassene Drittbestimmung zu einer Vermögenskonzentration führen soll452. Doch selbst wenn dies so wäre, könnte das erblasserische Ziel einer Vermögenskonzentration funktional äquivalent durch kautelarjurisprudentielle Gestaltungsmittel wie das nachlaßaufzehrende, drittbestimmte Unternehmensvermächtnis oder durch Stiftungslösungen erreicht werden. Diese Gestaltungsformen dürften nicht zulässig sein, wenn die familiäre Vermögenskonzentration durchweg negativ angesehen würde. Zudem wäre es bei einem strikten Verbot familiärer Vermögenskonzentrationen unerklärlich, wieso ganz überwiegend Sondererbfolgen im Bereich der Vererbung von Personengesellschaftsanteilen auf einen Erben zugelassen werden, da diesen Erbfolgen durchaus der Effekt nicht abgesprochen werden kann, vorhandenes Vermögen weiter zu konzentrieren453. Auch mehrfach hintereinander geschaltete Nacherbfolgen unterstützen ja Vermögensakkumulationen454, die Frist des § 2109 BGB bewirkt hier nicht all zu viel455, solange das Interesse am Familienerhalt in der Sozialisation der Abkömmlinge tradiert wird. Mit anderen Worten: Das Konzentrationsargument kann nicht das Changieren des Gesetzes zwischen materieller Höchstpersönlichkeit und zulässiger Drittbestimmung erklären. Zudem schließt materielle Höchstpersönlichkeit ja nicht aus, daß der Erblasser selbst schlagkräftig eine Vermögenskonzentration auf die Familie betreibt. Das Konzentrationsargument müßte daher abgesichert werden durch Daten, die die Gefahrenlage beleuchten, wenn das Prinzip materieller Höchstpersönlichkeit aufgegeben würde. Solange dies nicht geschieht, ist es wenig aussagekräftig. Insgesamt gesehen scheidet das Konzentrationsargument als Erklärungsmuster mithin aus. gg) Erklärungsmuster VII: Mißbrauchsgefahr – Fazit Schließlich wird die materielle Höchstpersönlichkeit noch mit vermeintlich untragbaren Gefahren in Verbindung gebracht, die in einem postmortalen Mißbrauch einer etwaigen Bestimmungsbefugnis lägen456. Doch auch diese Teleologie überzeugt nicht. Denn wieso sollen bei einer Drittbestim451 Erst zum 1.1.1939 wurden reichsrechtlich (§ 1 I 1 iVm § 30 I des Gesetzes über das Erlöschen der Familienfideikommisse und sonstiger gebundener Vermögen vom 6.7.1938, RGBl I, S. 825) jegliche fideikommiß- und stammgutsrechtlichen Bindungen aufgelöst, siehe dazu schon oben Kap. 2 Fn. 139. 452 Wagner, Der Grundsatz der Selbstentscheidung, 38 f. 453 Hierauf weist zu Recht auch Sens, Erbenbestimmung, 84, hin. 454 Zimmermann, „Quos Titius voluerit“, 25. 455 Selbst wenn § 2109 auf eine Verhinderung der Bildung familienkommißähnlicher Gebilde bezogen wird, dazu Soergel-Harder, § 2109 Rn. 1.

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mung des Vermächtnisnehmers nach § 2151 BGB die Mißbrauchsgefahren für den Erblasser geringer sein als bei der Erbeneinsetzung, wenn das Vermächtnis wertmäßig den Nachlaß aufzehrt457? Und wo kommt es zu einem Mißbrauch der verliehenen Drittbestimmungsbefugnis, wenn der Bestimmungsberechtigte sich selbst zum Destinatär einsetzt, wenn genau dies das Testament nicht ausschließt458? Oder allgemeiner: Wieso soll es zu mißbilligen und sachfremd sein, wenn sich der Dritte von eigenen Interessen bei seiner Erbenbestimmungsentscheidung leiten läßt459 und der Erblasser genau dies avisierte? Die Orientierung der Erbeinsetzung an Drittinteressen könnte in diesem Falle nur dann als „sachfremd“ bewertet werden, wenn man implizit davon ausgeht, der Erblasser solle selbst – orientiert an seinen Interessen – den Erben bestimmen. Diese Überlegung kann auf einer noch abstrakteren Ebene verdeutlicht werden: Schon die Rede, es bestünde die Gefahr, der Dritte könne sich an seinem „eigenen Interesse“ orientieren, ist ungereimt. Denn schon in einem derart gefaßten Interessenbegriff wird dann implizit eine Vorentscheidung eingebaut, die an einem Vorverständnis orientiert ist, das Testament sei halt materiell höchstpersönlich zu gestalten. Denn falls das Erblasserinteresse dahingeht, inhaltlich eben keine Interessen zu formulieren, sondern inhaltliche Fragen Dritten anheimzustellen, ließe sich der Dritte bei seiner Entscheidung doch bei Lichte betrachtet nicht von seinem eigenen Interesse, sondern von dem des Erblassers leiten. Das Mißbrauchs-Argument ist mithin erkennbar zirkulär strukturiert, da es implizit voraussetzt (nämlich materielle Höchstpersönlichkeit), was es erklären soll. Doch selbst wenn dies alles nicht überzeugt, kann die materielle Höchstpersönlichkeit nicht auf dem Gedanken der Mißbrauchsvermeidung gegründet werden. Denn dieser Gedanke trägt nicht weit. Wenn der Erblasser gesetzlich gehalten wäre, dem Dritten eine Leitlinie seiner Entscheidung vorzugeben oder zumindest zu beschreiben, was er durch den Dritten nicht verfügt haben will, ansonsten aber den Dritten bestimmen lassen dürfe, wäre die Mißbrauchsgefahr nicht größer als diejenige, welche etwa bei treuhänderischen Geschäften unter Lebenden gegeben ist460. Bei etwaigen Mißbräuchen könnten dann etwa den gesetzlichen, vom Dritten übergangenen Erben oder sonstigen Personen, denen die Nichtigkeit der vom Dritten verfügten Erbeneinsetzung zum Vorteil gereichen würde, ein Anfechtungsrecht 456 So Wagner, Der Grundsatz der Selbstentscheidung, 47 f.; inzident SoergelLoritz, § 2064 Rn. 2. 457 So auch Windel, Modi, 237 Fn. 164, der zu Recht darauf hinweist, daß die Selbstbedenkung des Drittbestimmungsberechtigten für die Rechtspraxis offenbar schwierig zu lösen sei, sich aber theoretisch bei Lichte betrachtet nicht stelle. 458 Zimmermann, „Quos Titius voluerit“, 37. 459 So aber Wagner, Der Grundsatz der Selbstentscheidung, 47. 460 Dies übersieht Wagner, Der Grundsatz der Selbstentscheidung, 47.

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eingeräumt werden. Der Mißbrauchsgedanke würde mithin zumindest zu einer weitreichenden teleologischen Reduktion des § 2065 BGB anhalten, die aber durchweg nicht erfolgt. Der Rekurs auf Mißbrauchsgefahren kann insgesamt gesehen die materielle Höchstpersönlichkeit des Testaments und des Erbvertrags nicht erklären. Nach all dem bleiben nach dem gegenwärtigen Diskussionsstand die §§ 2065, 2279, 2299 BGB unerklärt und können sich damit nicht als Recht erweisen. Muß man bei dieser Einschätzung stehenbleiben, so daß sich das Prinzip materieller Persönlichkeit als Frucht reiner auctoritas erweist? Die Antwort wird wiederum in der personfunktionalistischen Deutung des gewillkürten Erbrechts und in dem ihr inhärenten Rekurs auf die je individuelle Todesverarbeitung des Testierenden gefunden werden. b) Materielle Höchstpersönlichkeit und Todesverarbeitung Mit Hilfe des Gedankens der Personfunktionalität des gewillkürten Erbrechts und des dort eingeschlossenen Instrumentariums einer rechtsgeschäftlichen Todesverarbeitung läßt sich das Prinzip materieller Höchstpersönlichkeit zwangslos erklären. Es konnte in den bisherigen Überlegungen gezeigt werden, daß wirtschaftlich eine drittbestimmte Erbeneinsetzung und ein drittbestimmtes, nachlaßaufzehrendes Vermächtnis weitgehend funktional äquivalent sind. Auch sachenrechtliche Zuordnungsinteressen, Verantwortungsgesichtspunkte, das Familieninteresse, Vorstellungen zur Richtigkeitsgewähr des letztwillig Verfügten, der Schutz des Kernbereichs privatautonomer Entfaltung und der Rekurs auf Mißbrauchsgefahren konnten die trotz der wirtschaftlichen Äquivalenz gleichwohl vom Gesetz getroffene Differenzierung zwischen der Erben- und der Vermächtnisstellung nicht erklären. Der hiesige Erklärungsvorschlag setzt an dem Mechanismus der Todesverarbeitung an und billigt hier gerade der Erbenstellung einen prominenten Platz zu, der dem bloßen Vermächtnisnehmer gerade nicht zukommt. Das kulturelle Bewußtsein verbindet die Eigenschaft, Erbe von jemandem zu sein, durchaus mit etwas Zeichenhaftem: Die Erbenstellung spiegelt die besondere personale Verbundenheit des Erben mit dem Erblasser wider und dient als Indikator für das Ausmaß der Zuneigungsbeziehungen etwa zwischen den Familienmitgliedern (Abkömmlinge und Ehegatten)461. § 2065 BGB kommt insofern die Bestimmung zu, der symbolischen Funktion der Erbenstellung Rechnung zu tragen. 461

Dazu Szydlik, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 51 (1999), 80 (83); Lauterbach/Lüscher, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 48 (1996), 66 (73, 90); Segalen, in: Medick/Sabean (Hrsg.), Emotionen und materielle Interessen, 181 ff.; Kosmann, Wie Frauen erben, 227 ff., 239 ff., 248 ff., 268 ff.

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Freilich kommen sofort die Fragen auf, wieso denn dieser symbolischen Funktion Rechnung getragen werden muß, warum also materielle Höchstpersönlichkeit zwingend vorgesehen ist und ob dies nicht der Einsicht widerstreite, die jeweilige Todesverarbeitung sei Ausdruck je individuellen Erlebens und Signum innerster Personalität, das jedem Zwang zuwiderlaufe. Die Antwort hierauf ist einfach: Falls der Erblasser sich dazu entschließt, seinen Tod mit dem rechtsgeschäftlichen Mittel der Verfügung von Todes wegen zu verarbeiten, kann er sich hierbei keines Stellvertreters bedienen, weil generell die Rechtsordnung davon ausgeht, daß bei der Ausübung von höchstpersönlichen Rechten wie etwa des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eine Stellvertretung unzulässig ist462. Es wird ja auch bsp. bei der Eheschließung nicht groß problematisiert, warum Stellvertretung gem. § 1311 S. 1 BGB ausgeschlossen ist – der personale Charakter des Rechtsgeschäfts liegt für die allgemeine Meinung hier geradezu auf der Hand. Warum dies bei der Verfügung von Todes wegen trotz § 2065 BGB nicht gleichfalls so ist, kann nur durch die Verortung der Testierfreiheit als Vermögensrecht erklärt werden – die eben gerade deshalb nicht überzeugt. Darüberhinaus übt das Gesetz mit dem Prinzip materieller Höchstpersönlichkeit auch einen heilsamen „symbolischen Zwang“ aus, daß der Erblasser sich durch die persönliche Bestimmung des Erben seiner Todesverarbeitung stellt und sich damit zur Person einmal mehr gelingen läßt. Freilich ist dies ein eher schwaches Argument, da der Rechtsordnung ein rechtlicher Zwang zur personalen Entfaltung durchweg fremd ist. Dem durch § 2065 BGB gewährleisteten „symbolischen Zwang“ kommt denn auch angesichts der vielfältigen kautelarjurisprudentiellen Möglichkeiten, zu funktionalen Äquivalenten zur Erbenbestimmung zu greifen, eher eine hintergründig-sichernde Funktion zu: Er hält das Bewußtsein an der kulturell tradierten Zeichenhaftigkeit der Erbenstellung wach. Der dritte Grund für den zwingenden Charakter der materiellen Höchstpersönlichkeit ist ungleich gewichtiger: Durch die bloße Existenz unter anderem des Prinzips materieller Höchstpersönlichkeit sichert das Gesetz die Erkenntnis, daß das gewillkürte Erbrecht personfunktional interpretiert werden muß. Denn nachdem sämtliche anderen Erklärungsmuster weggebrochen sind, ist § 2065 ja nur noch mit dem Verweis auf den Tod erklärbar. Dies zeigt auch die zum Teil vehement an dieser Regelung geübte Kritik. So wurde stellenweise jegliches Gerechtigkeitspostulat vermißt, welches den Ausschluß der Vertretung im Willen und in der Bestimmung des Erben rechtfertigen könnte463. Moderater wird eine einsichtige Teleologie der Regelung mit der Überlegung bestritten, es sei nicht einsichtig, warum das Gesetz materielle Höchstpersönlichkeit anordne, wo doch ansonsten die 462 463

Siehe nur Palandt-Heinrichs, Einf. v. § 164 Rn. 4. H. Westermann, FS Möhring, 183 (194).

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Verfügung über das Vermögen dem Ermessen des Eigentümers überlassen bliebe464; insofern mangele es den §§ 2065, 2279, 2299 BGB an einem einsichtigen Normzweck465. Im Rahmen des Verständnisses des Erbrechts als fortgesetztes Eigentum wäre ein derartiger Mangel tatsächlich unabweislich466. Wenn das Gesetz vor diesem Hintergrund dennoch materielle Höchstpersönlichkeit vorgibt, sichert es die Todesverarbeitung gegen die Überwältigung durch systemische Imperative der gesellschaftlichen Subsysteme ab, die ihren einer bloß instrumentellen Vernunft verpflichteten Eigenlogiken folgen. Denn eine derartige Überwältigung würde schon durch die Interpretation des Erbrechts als ausschließlich fortgesetztes Eigentum oder als funktionales Familienrecht erfolgen – und mit der bloßen Existenz der §§ 2065, 2279, 2299 BGB ist eine derartige Interpretation ausgeschlossen. Fast mit einer – aus dem Blickwinkel funktionalen Vermögensrechts freilich gänzlich unverständlichen – „List der Vernunft“ aktiviert das Recht seine eigenen Potentiale, um sich gegen die Gefahr einer mancherorts zu beobachtenden Vereinseitigung – die Inbesitznahme für ein instrumentell-ökonomisches Denken – zur Wehr zu setzen. Dem Interesse des Erblassers, seinen Tod auch hinsichtlich des Schicksals seines Vermögens flexibel (also entsprechend den unvertretbaren Kriterien seiner Person) verarbeiten zu können, trägt das Gesetz dann durch die skizzierten zahlreichen Ausnahmen zum Prinzip materieller Höchstpersönlichkeit Rechnung. Denn es wäre ja in der Tat ungereimt, den Erblasser darauf einzuschwören, jegliche Inhalte seiner Verfügung selbst zu bestimmen, wenn er die Inhalte seiner Todesverarbeitung gerade darin sieht, das Schicksal seines Vermögen post mortem in die Hände Dritter zu legen. Das Changieren des Gesetzes zwischen materieller Höchstpersönlichkeit und zugelassener Drittbestimmungsbefugnis ist daher überaus folgerichtig. Die teleologische Reichweite des § 2065 BGB ist nach all dem limitiert durch das öffentliche Interesse am Symbolischen der Erbenstellung. Diesem Symbolischen wird nicht Rechnung getragen, wenn einem Dritten eine freie Entscheidungsbefugnis eingeräumt worden ist, die Person des Erben zu bestimmen. Bei einer Unternehmensvererbung etwa wäre es aber schwer zu behaupten, der symbolische Wert der Erbenstellung sei entwertet, wenn der Erblasser denjenigen zu seinem Erben bestimmt, den ein Dritter „als den geeignetsten erachten werde, unter den heutigen schwierigen Verhältnissen (das Unternehmen) zu bewirtschaften und in sozialem Geiste zu wirken“467. 464 Zimmermann, „Quos Titius voluerit“, 8. Ähnlich de lege ferenda kritisch gegenüber dem Prinzip der materiellen Höchstpersönlichkeit Hermann, FamRZ 1995, 1396 (1400 f.). 465 Zimmermann, „Quos Titius voluerit“, 53 ff. 466 Hierauf wurde oben § 5 II 4 c schon hingewiesen. 467 RGZ 159, 296 (299), Klammerzusatz durch Verfasser.

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In einschränkender Interpretation des § 2065 II BGB wird daher eine Drittbestimmungsbefugnis anzunehmen sein, wenn der Dritte sich hierbei an dem Kreis der vom Erblasser aufgestellten objektiven Merkmalen orientiert, so daß kein Raum für eine Willkürentscheidung gegeben ist468. Wie dem auch sei, eines dürfte hinreichend deutlich geworden sein: Allein anhand eines auf die individuelle Todesverarbeitung des Erblassers bezogenen personfunktionalen Verständnisses des gewillkürten Erbrechts kann das Prinzip materieller Höchstpersönlichkeit samt seinen Ausnahmen probat erklärt und damit als Recht ausgewiesen werden.

IV. Die Einbettung erbrechtlicher Personfunktionalität in das sonstige Wertungsgeflecht des Erbrechts Die Einsicht, daß das gewillkürte Erbrecht auch personfunktional zu verstehen ist, wird durch die anerkannten Interpretationen weiterer erbrechtlicher Vorschriften bestätigt. Einschlägig sind hier das Verbot einer obligatorischen Verpflichtung zu einer Verfügung von Todes wegen (dazu 1.), der Vergleich mit der Vermögensnachfolge bei der juristischen Person (dazu 2.), die Existenz des Rechtsinstituts der Testamentsvollstreckung (dazu 3.) und schließlich die Regelung über die Testierfähigkeit (dazu 4.). 1. Das Verbot einer obligatorischen Verpflichtung zu einer Verfügung von Todes wegen Nach § 2302 BGB kann sich der Erblasser nicht durch Vertrag verpflichten, eine Verfügung von Todes wegen zu errichten oder aufzuheben oder beides nicht anzuordnen. Die Schwerpunkte hinsichtlich der rechten Interpretation des Sinns und Zwecks der Vorschrift werden mit Blick auf die bestehende Bindungsmöglichkeit des Erblassers qua gemeinschaftlichem Testament und Erbvertrag unterschiedlich gesetzt. Während herrschender Ansicht nach die Funktion des § 2302 BGB darin bestehen soll, dem Erblasser bis zu seinem Tode die Entscheidungsfreiheit über seinen letzten Willen zu erhalten469, wird andernorts mit Blick auf die im gemeinschaftlichen Testament und Erbvertrag liegenden Bindungsmittel des Erblassers die Teleologie dieser Vorschrift vor allem darin erblickt, sie wolle der Gefahr entgegentreten, daß Verpflichtungsgeschäfte nicht den für Verfügungen 468 So im Ergebnis auch RGZ 159, 296 (299); OLG Köln, OLGZ 1984, 299 (301 f.); MünchKomm-Leipold, § 2065 Rn. 19; Soergel-Loritz, § 2065 Rn. 30; Staud-Otte, § 2065 Rn. 35; RGRK-Johannsen, § 2065 Rn. 16; Lange/Kuchinke, § 27 I 4; je mit Darstellung des Streitstands. 469 So BGHZ 29, 129 (133); BGH, NJW 1977, 950; MüchKomm-Musielak, § 2302 Rn. 1 m. w. Nachw.

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von Todes wegen geltenden Anforderungen entsprechen; die für das gemeinschaftliche Testament und für den Erbvertrag geltenden Form-, Anfechtungs- und Rücktrittsvorschriften wie auch die Anforderungen an Klarheit und Bestimmtheit der Willensäußerung sollen insofern nicht durch obligatorische Vereinbarungen unterlaufen werden können470. Nach beiden Interpretationen des § 2302 BGB wird ein personfunktionales Verständnis des gewillkürten Erbrechts gestützt. Wird das Erbrecht als fortgesetztes Eigentum gedeutet, läßt sich nicht erklären, wieso unter Lebenden obligatorische Geschäfte selbst über das gesamte bestehende Vermögen zulässig sein sollen (§ 311 BGB), für den Todesfall sich der Erblasser jedoch noch nicht einmal zu einer erbrechtlichen Auflage soll verpflichten dürfen. Wenn hierauf geantwortet wird, der Unterschied zu Geschäften unter Lebenden läge darin, daß § 2302 als Ausdruck der besonderen Wertschätzung der Testierfreiheit durch den Gesetzgeber verstanden werden müsse471, steht sofort die Frage auf den Plan, was diese besondere Wertschätzung denn begründet. Ohne weiteres erklärt werden kann der Unterschied zu den obligatorischen Rechtsgeschäften zu Lebzeiten mit den personfunktionalen Gehalten des Erbrechts: Gesetzt den Fall, zwischen der Verpflichtung zu einer bestimmten Todesverarbeitung und der Todesverarbeitung selbst könne im sozialen Leben trennscharf unterschieden werden, wäre eine derartige Verpflichtung ein Unding, da der Erblasser sich verpflichten würde, sein innerstes personales Selbst in einer bestimmten Form auszuprägen. Derartige rechtlich durchsetzbare Verpflichtungen zur personalen Selbstformung wären auch unter Lebenden ohne weiteres nichtig; daß das Erbrecht für die letztwillige Verfügung ebenso wertet, überrascht mithin nicht, wenn es personfunktional verstanden wird. Indem das Gesetz mithin Bindungen nur als Bestandteil und genuinen Ausdruck eben beendeter Todesverarbeitung (Erbvertrag, gemeinschaftliches Testament) zuläßt, zeigt es, daß es die Personbildung selbst aus naheliegenden Gründen frei stellen will. So gesehen ist die Vorschrift des § 2302 BGB eine überaus folgerichtige Ausprägung erbrechtlicher Personfunktionalität. Nun haftet aber der analytischen Trennung zwischen der Verpflichtung zur Todesverarbeitung und der Todesverarbeitung selbst etwas durchaus Gewaltsames an, dürfte doch im sozialen Handeln überwiegend eine derartige Verpflichtung weniger als Verpflichtung im Rechtssinne, sondern als Teil schon der Todesverarbeitung selbst aufgefaßt werden; das Recht zeichnet dies im übrigen auch durch die Möglichkeit nach, unter gewissen Voraussetzungen nichtige Verpflichtungsgeschäfte in wirksame Verfügungen 470 So Battes, AcP 178 (1978), 337 (344 ff., 346 f., 358 f.); Soergel-Wolf, § 2302 Rn. 1. 471 So etwa bei Brox, Erbrecht, Rn. 20.

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von Todes wegen umzudeuten472. Mit Blick hierauf ist § 2302 BGB eher daraufgerichtet, die für das gemeinschaftliche Testament und für den Erbvertrag geltenden Form-, Anfechtungs- und Rücktrittsvorschriften wie auch die Anforderungen an Klarheit und Bestimmtheit der Willensäußerung zu sichern. Doch auch hieraus folgt nichts anderes, als daß § 2302 BGB sich als folgerichtige Ausprägung eines personfunktionalen Denkens im Erbrecht erweist. Denn es bleibt ja die Frage, wieso § 2302 BGB die Form-, Anfechtungs- und Rücktrittsvorschriften sowie Klarheit und Bestimmtheit der Willenserklärung überhaupt sichert. Auch hier gibt die erbrechtliche Personfunktionalität wiederum die Antwort: Die Anfechtungsvorschriften sowie die Gebote von Klarheit und Bestimmtheit der Verfügung schützen – wie gezeigt werden konnte473 – die Todesverarbeitung. Gerade das Bedürfnis nach Klarheit und Bestimmtheit des letzten Willens machen dies deutlich, da eine gegenüber der Sozietät erfolgende personale Selbstdarstellung qua Todesverarbeitung nun einmal klar und bestimmt kommuniziert werden muß. Stützen aber die erbrechtlichen Anfechtungsregelungen die Todesverarbeitung und § 2302 wiederum die erbrechtliche Anfechtung, läßt sich daraus der einfache Schluß ziehen, daß es auch § 2302 letztlich um nichts anderes geht, als dem Rechtssubjekt bei der rechtsgeschäftlichen Verarbeitung seines Todes zur Seite zu stehen. Als Ergebnis sei notiert, daß anders als ein eigentumsorientiertes Verständnis des gewillkürten Erbrechts nur dessen personfunktionale Deutung den Sinngehalt des § 2302 BGB zu entschlüsseln vermag. 2. Vergleich mit dem Recht der juristischen Person Juristische Personen sterben nicht. Die Nachfolge in Vermögenswerte und Pflichtenstellungen bei der Auflösung der juristischen Person wird rechtstechnisch durch die Rechtsfiguren der Auflösung, der Insolvenz, der Verschmelzung, der Spaltung, der Vermögensübertragung und des Formwechsels bewältigt474. Dies klingt wie ein nicht weiter beachtlicher Allgemeinplatz. Dennoch ergibt die Frage Sinn, wieso eine mit einer Universalsukzession einhergehende, aufnehmende Verschmelzung zweier GmbHs nach den Wertungen des Umwandungsrechts stattfindet, während nach dem Ableben einer natürlichen Person der universalsukzessive Vermögenstransfer den Wertungen des Erbrechts unterstellt ist, die die Willensherrschaft des Erblassers so ungemein in den Vordergrund stellen. Wird das Erbrecht als fortgesetztes Eigentum verstanden, dürften die Unterschiede 472 Dazu BayObLG, ZEV 1995, 71 (72); MünchKomm-Musielak, § 2302 Rn. 6; Soergel-Wolf, § 2302 Rn. 4; Battes, AcP 178 (1978), 337 (354 ff.). 473 Oben § 11 II 1 c sowie § 11 II 2 c. 474 Allg. dazu siehe nur Karsten Schmidt, GesR, §§ 11 V, 12 I.

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zwischen beiden Rechtsnachfolgen nicht derart gravierend sein. Denn die umwandlungsrechtliche Lösung des Nachfolgeproblems juristischer Personen zeichnet ja in nuce das Modellsubstrat des auf vermachteten Teilmärkten agierenden Marktbürgers nach, der anhand einer instrumentellen Vernunft und ausgerichtet an den Rentabilitätsmotiven der Marktgesellschaft seinen Nutzenkalkülen nachgeht. Wertungsjurisprudentiell wird dies mit den Kategorien des gesellschafts- und umwandlungsrechtlichen Minderheitenschutzes, des Gläubigerschutzes und des Schutzes der Arbeitnehmerinteressen im Umwandlungsprozeß eingefangen475. Warum sollte dem gewillkürten Erbrecht dieses Ideal des Marktbürgers nicht auch bei der Modellierung des Wertungsvorbilds eines sachgerechten Erblassers Pate stehen, wenn sich Erbrecht vom Eigentum – bei dem die Kategorie des Marktbürgers unzweifelhaft herrschender Dogmatik auch heute noch wesentliches Leitbild der Rechtskategorie ist – nur durch ein biologisches Ereignis (nämlich dem Wegfall eines Zurechnungsendpunkts von Rechten und Pflichten) unterscheiden soll? Der Einwurf, die Regelung der Rechtsnachfolge von Gesellschaften und von natürlichen Personen erfordere schon deshalb je andere Wertungen, weil sich in der entwickelten Marktgesellschaft der Moderne die Verteilung von ökonomischen und politischen Handlungschancen von den individuellen auf korporative Akteure (Unternehmen, Verbände, Parteien) verlagert hätten und die Rechtsordnung in ihren Normativitätstypisierungen hierauf reagieren müsse, erklärt ja gleichwohl nicht, warum die Willensherrschaft des Erblassers so überaus dezidiert im Erbrecht, nicht aber im Eigentumsrecht der natürlichen Person implementiert worden ist. Die Diskrepanz in der Wertung zwischen der Umwandlung und der Vererbung erweist sich als nur scheinbare, wenn der Tod rechtlich nicht als ein biologisch-natürliches Geschehen wahrgenommen, sondern als ein Bestandteil von Zukunft bewertet wird, vor dem sich die natürliche Rechtsperson auf die Ausbildung ihres je eigenen Selbst hin abarbeiten kann. Insofern erhält die prima vista etwas merkwürdig anmutende Wendung, juristische Personen stürben nicht, ihren fundamentalen Sinn: Sie können sich keiner Todesverarbeitung stellen. Das Recht braucht deshalb auch nicht mit einem Recht der Todesverarbeitung, sondern nur mit einem Recht etwa der Umwandlung auf die Nachfolge in die juristische Person reagieren. Auch ein Vergleich des Erbrechts mit dem Recht der universalsukzessiven Nachfolge in das Vermögen der juristischen Person bestätigt mithin die Erkenntnis, daß um der Vermeidung von Wertungswidersprüchen willen das gewillkürte Erbrecht mit Blick auf die Todesverarbeitung des Erblassers als funktionales Persönlichkeitsrecht verstanden werden sollte.

475

Dazu Karsten Schmidt, GesR, § 12 III 1.

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3. Die Existenz des Rechtsinstituts der Testamentsvollstreckung Das Institut der Testamentsvollstreckung ist macherorts als ein Fremdkörper im erbrechtlichen System der Gesamtrechtsnachfolge angesehen worden, da diese darauf abziele, dem Erben nach dem Tode des Erblassers die tatsächliche und rechtliche Herrschaft über den Nachlaß zu verschaffen476. Aus hiesigem Blickwinkel kann dieser Teleologie, die der Universalsukzession implizit beigelegt wird, nicht gefolgt werden. Das Institut der Testamentsvollstreckung stellt im Rahmen einer Privatrechtsordnung, welche die Verfügungsbefugnis des Rechtsinhabers grundsätzlich nur ausnahmsweise einschränkt, einen Solitär dar. Andere Verfügungsbeschränkungen beruhen durchweg auf wirtschaftlichen Gründen (Insolvenz- und Nachlaßverwaltung), auf Beistandserwägungen (Betreuung), auf Motiven der Eheordnung (§§ 1365, 1369 BGB) oder des Minderjährigenschutzes (elterliche Vermögenssorge, Vormundschaft) oder bemühen sich um den Schutz nachfolgender Dritter (§§ 2113 f. BGB)477. Demgegenüber tritt die mit der Testamentsvollstreckung verbundene Verfügungsbeschränkung des Erben (§ 2211 BGB) allein schon deshalb ein, weil ein Dritter (der Erblasser) die ErbenBeschränkung anstrebt. Eine allein mit dem Willen eines Dritten ohne weitere Gründe implementierbare Verfügungsbeschränkung in der Art eines „gewillkürten Dauervormunds“478 stellt deshalb die Privatrechtsdogmatik vor besondere Erklärungsnöte: Wieso ist der Privatautonomie des Erblassers mit dem Instrument der Testamentsvollstreckung ein „neues, weites Feld“479 eröffnet? Zwar hatte sich die zweite Kommission bei den Beratungen zum BGB auf die geschichtliche Entwicklung des aus den germanischen Rechtskreis stammenden Instituts berufen480. Dennoch erklärt dieser konstitutionstheoretische Befund die Testamentsvollstreckung schon deshalb 476 MünchKomm-Brandner, vor § 2197 Rn. 1; siehe zur Theorie der Persönlichkeitsersetzung als Kennzeichnung der erbrechtlichen Universalsukzession und zur Kritik an ihr schon oben § 4 III 3. 477 Allg. zur Funktion von Verfügungsbeschränkungen siehe Berger, Verfügungsbeschränkungen, 21 f., 22 ff. 478 Muscheler, Haftungsordnung, 56. Muscheler, ebda., 52, weist auf die unmittelbar im Anschluß an die Beratungen zum BGB laut werdende Kritik hin, bei der Testamentsvollstreckung empfinde der Erbe – anders als bei der Vorerbschaft, die zumindest zugunsten einer konkreten Person, des Nacherben, gesetzlich beschränkt sei – die vollstreckungsrechtlichen Beschränkungen als eine Last, die niemanden zum Vorteil gereiche. Ähnlich ist auch heute noch Windel, Modi, 247 Fn. 25, der Auffassung, eine Dauertestamentsvollstreckung über einen voll geschäftsfähigen Erben stelle eine „Entmündigung“ dar und sei deshalb kaum zu rechtfertigen; ähnlich auch Offergeld, Rechtsstellung, 229 ff. 479 Muscheler, Haftungsordnung, 57. 480 Prot. V, 280 f.

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nicht geltungstheoretisch, weil das vornehmlichste Kennzeichen der Testamentsvollstreckung – die lediglich zeitlich beschränkte umfassende Verwaltungsrepräsentanz des Erblassers nach dessen Tode – über die deutschrechtlichen Wurzeln weit hinausgeht481. Es bleibt mithin die Frage zur Beantwortung aufgegeben, wieso der Erblasser den materiell Berechtigten bestimmen (wie es dem alten Vorbild der römisch-rechtlichen Testierfreiheit entsprach) und gleichzeitig ein strenges Verwaltungsregime nach seinen Vorgaben über ihn errichten kann (was einer römisch-rechtlich verstandenen Testierfreiheit widerstreiten würde). Das Erbrechtsverständnis muß hierauf reagieren. Es sollte die Testamentsvollstreckung nicht als eine bloße, allenfalls mit Erwägungen rechtspraktischer Notwendigkeiten482 mehr oder weniger erklärliche Ausnahme von dem Grundsatz einer freien Erbenherrschaft in das Erbrechtssystem einordnen. Solches kommt etwa in der verbreiteten Übung zum Ausdruck, die Testamentsvollstreckung einfach als „germanistischen Fremdkörper dem romanistischen System der Universalsukzession“483 gegenüberzustellen: De lege lata stehen weder germanistische noch romanistische Systementwürfe, sondern der Wertungszusammenhang des geltenden Rechts zur Rede, vor dessen Hintergrund sich das Gesetz zum Recht erweisen kann. Die Teleologie der Testamentsvollstreckung wird unmittelbar einsichtig, wenn eine schon von Otto von Gierke auf dem 21. Deutschen Juristentag vorgetragene Einordnung der Vollstreckung betrachtet wird: Der Testamentsvollstrecker sei „Träger einer selbständigen erbrechtlichen Befugnissphäre, die ihm im Dienste der von der Rechtsordnung gewährleisteten Pflichten gegen Verstorbene verliehen ist, um den letzten Willen des Verstorbenen zu verwirklichen“484. Fürwahr läßt sich die Testamentsvollstrekkung leicht erklären, wenn sie als besonders prominenter Ausdruck einer schlagkräftigen, auch post mortem wirksamen erblasserischen Todesverarbeitung begriffen wird. Die Todesverarbeitung liegt dann u. a. darin, daß der Erblasser will, daß nach seinem Tode ein vom Erbe verschiedener Dritter wollen darf – und zwar wollen nicht als souveräner Eigentümer, sondern ausgerichtet nach seinen Vorgaben. Die Testamentsvollstreckung stellt damit mit Teilungsanordnungen, Auseinandersetzungsverboten, Nacherbeneinsetzung, Vermächtnisanordnungen, Auflagen sowie Straf- und Verwirkungsklauseln einen überaus wichtigen Baustein bereit, um dem Erblasser mit Blick auf das Schicksal seines Vermögens nach seinem Ableben sich 481 Muscheler, Haftungsordnung, 57; siehe zur Geschichte der Dauervollstreckung ansonsten nur Holzhauer, Erbrechtliche Untersuchungen, 45 ff.; Muscheler, ebda., 28 ff. 482 So etwa MünchKomm-Brandner, vor § 2197 Rn. 2. 483 Lange/Kuchinke, § 31 I 4. 484 O. v. Gierke, 21. DJT, Bd. 3, 223 (226).

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seinem Tode um so besser stellen zu können. Notwendigerweise geht dieser Aspekt verloren, wenn die Testamentsvollstreckung ausschließlich anhand ihrer Beschränkungsfolgen für das Erbenhandeln betrachtet wird. Dann ist sie in der Tat bei voll geschäftsfähigen Erben mit Blick auf die sonstigen Wertentscheidungen der Privatrechtsordnung kaum erklärbar. Nur: Warum sollte aus diesem Erklärungsnotstand nicht der Schluß gezogen werden, daß die Wertungsperspektive, mit der die Testamentsvollstreckung geltungstheoretisch untersucht wird (also: Erbrecht als fortgesetztes Eigentum), nicht die sachgerechte ist und der Erklärungsschwerpunkt mithin bei der Person des Erblassers zu suchen ist? Dann wird auch mühelos einsichtig, daß die stellenweise anzutreffenden Wertungen, die Bandbreite der denkbaren Erblassermotivation reiche von „berechtigter Fürsorge bis zu sinnlosem Machtstreben über den Tod hinaus“485, oder die Sentenz, die Anordnung der Vollstreckung geschehe machmal auch aus „Herrschsucht über den Tod hinaus und aus hämischer Gesinnung“486, rechtlich nicht nachvollziehbar sind; gleiches gilt für die Bemerkung, der Erblasserwille verdiene dort „keine Beachtung“, wo der Erblasser den Erbbeteiligten „hereinlegen“ will487: Für das gewillkürte Erbrecht sind Motive, die gemeinhin nach den tradierten Wertungskonglomeraten sozialer Sitten und Gebräuche oder auch nach den Vorgaben zweckrationalen Handelns ökonomischer Provinienz als „sinnlos“ oder „hämisch“ angesehen werden, genauso sinnvoll und ehrenwert wie sonstige Beweggründe; das Erbrecht schlägt dem Rechtsdogmatiker genau genommen schon sämtliche dogmatische Instrumentarien aus der Hand, eine Motivation überhaupt als „sinnvoll“ oder als „sinnlos“, als „ehrenwert“ oder als „ehrenrührig“ erkennen zu können. Alles andere würde die individuelle Todesverarbeitung ja nur wieder den rechtsexternen Imperativen der gesellschaftlichen Subsysteme unterwerfen und den Erblasser in seinem „Sein zum Tode“ in die substantialistischen Vorgaben lebensweltlicher Gemeinschaftswerte einschließen. Die Leichtigkeit, mit der das Institut der Testamentsvollstreckung geltungstheoretisch anhand des erbrechtlichen Personfunktionalismus erklärt werden kann, ist mithin ein weiteres Indiz dafür, daß dieser zu Recht dem Verständnis des gewillkürten Erbrechts zugrunde gelegt werden darf. 4. Die Testierfähigkeit Schließlich kann mit einer personfunktionalistischen Deutung der Testierfreiheit leicht erklärt werden, warum das Gesetz in § 2229 I BGB das für 485

So Dauner-Lieb, Unternehmen, 228. So Lange/Kuchinke, § 31 II 2. 487 So Lange/Kuchinke, § 34 III 7 a, im Zusammenhang mit der Auslegung letztwilliger Verfügungen. 486

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die Testierfähigkeit relevante Alter gegenüber den Regeln der Geschäftsfähigkeit herabgesenkt hat: Ähnlich wie bei der Ehefähigkeit und der Religionsfähigkeit ist ein Herabsenken der Altersgrenzen regelmäßig ein Hinweis auf den persönlichkeitsrechtlichen Einschlag der Materien, um die es bei den Regeln der Fähigkeit jeweils geht. Bei einem Verständnis der Testierfreiheit als fortgesetzte Eigentümerfreiheit wäre gerade umgekehrt ein Heraufsetzten der Altersgrenze gegenüber der Geschäftsfähigkeit zu erwarten gewesen. Zwar sind hier keine Schutzinteressen des Testierenden verletzbar, da die Rechtswirkungen der Verfügung von Todes wegen erst post mortem eintreten. Wohl aber wäre es mit Rücksicht auf die mit dem Testieren verbundenen Universalsukzession für ein auf das Eigentum abstellendes Konzept der Testierfreiheit einsichtiger, die Gefahren für den Erben durch ein Heraufstufen der Altersgrenze zu minieren. Aus dem Befund schließlich, daß das Erbrecht überhaupt eine Testierfähigkeit vorsieht, obwohl auch etwa psychisch Kranke durchaus ihren Tod verarbeiten können, kann nichts gegen das hiesige Verständnis der Testierfreiheit gewonnen werden. Denn es ist aus Sicht des Rechts durchaus unterschiedlich, ob der Mensch als solcher seinen Tod verarbeiten möchte oder sich als Rechtsperson den Formen des Rechts bedient. Bedient er sich diesen Formen, steht er in Anerkennungsverhältnissen zu denjenigen, die er von Todes wegen zu bedenken wünscht488 – den Erben als Rechtsperson anerkennen setzt aber genau jenes Mindestmaß an Einsicht voraus, von dem in § 2229 III BGB die Rede ist.

V. Der Schutz der Bedachten 1. Bedachtenschutz und Sittenwidrigkeit Die Ausübung von Persönlichkeitsrechten entbindet nicht vom Gebot der Achtung anderer. Rechte Dritter sind ein klassischer Topos, welcher dazu führen kann, das je eigene personale Selbstverständnisses nicht zu berücksichtigen489. Die herrschende Ansicht fängt diese Einsicht durch ihre strukturtheoretische Konzeption des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als ein offenes Rahmenrecht mit generalklauselartigem Charakter ein490 und rekurriert damit auf die einleuchtende Wertung, daß der einzelne keine der sozialen Gemeinschaft entwundene Person darstelle, sondern vielmehr in diese eingegliedert sei. Eine personfunktionale Konzeption des gewillkürten Erbrechts, die diese Wertungsvorgaben des Persönlichkeitsrechts und damit berechtigte Schutzinteressen Dritter nicht zur Kenntnis nimmt, könnte nicht gelingen, ohne sich in Wertungswidersprüchlichkeiten zu verwickeln. 488 489 490

Siehe oben § 10 VI sowie sogleich § 11 V 1. Dazu nur Morlok, Selbstverständnis, 327 ff. Dazu näher oben § 10 III 2.

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Auf die durch den Erblasser rechtsgeschäftlich erbrachte Todesverarbeitung bezogen, muß demnach die schon oben gestellte491 Frage beantwortet werden, wieso die von Todes wegen Bedachten die mit der erblasserischen Todesverarbeitung verbundenen Lasten (etwa Auflagen, Bedingungen etc.) tragen sollen. Die Antwort wurde schon gegeben492: Der Erblasser muß um der Vermeidung eines Widerspruchs gegen sein eigenes Verhalten willen die Bedachten als Rechtsperson anerkennen. Dies beinhaltet zugleich, daß der Erblasser die Bedachten durch seine Verfügungen von Todes wegen in denjenigen Bereichen, die herkömmlich als Ausdruck einer freien persönlichen Entscheidung angesehen werden, nicht zu stark unter Druck setzen darf. Technisch siedeln derartige „Wertungen der Anerkennung“ in der Sittenwidrigkeitsprüfung des § 138 I BGB. Hierauf wird an dieser Stelle verwiesen. Insgesamt gesehen kann auch keine Rede davon sein, die hiesige Konzeption eines erbrechtlichen Personfunktionalismus schütze die Toten mehr als die Lebenden. Das Erbrecht schützt ja nicht die Interessen von Toten, sondern das Interesse des Erblassers zu seinen Lebzeiten, mit Blick auf den erwartbaren eigenen Tode das personale Selbst zu entwickeln und der Sozietät anhand der Verfügung von Todes wegen zu kommunizieren. Erbrechtsschutz ist mithin Persönlichkeitsschutz lebender Personen; die herkömmliche Redewendung einer erbrechtlichen „Herrschaft der Lebenden über die Toten“493 steht damit in einem durchaus mißverständlichem Lichte da. Gegenüber diesem Persönlichkeitsschutz werden die den Erblasser überlebenden Bedachten keineswegs geringer gesichert. Der Schutz von Lebenden knüpft an deren schützenswerte Interessen oder Rechte an. Interessenund Rechteschutz wird beim erbrechtlichen Erwerb über § 138 I BGB geleistet. Es bleibt der Schutz der Todesverarbeitung der Bedachten. Würde hier das Erbrecht keinen hinreichenden Schutz implementieren, würden zumindest im Bereich des intergenerationalen Vermögenstransfers tatsächlich die Toten ihr „Sein zum Tode“ über das „Sein zum Tode“ der Lebenden stellen können. Freilich ist dies nicht der Fall, wie die folgenden Überlegungen zeigen. 2. Der Schutz der Todesverarbeitung der Bedachten Letztwillige Verfügungen unterliegen grundsätzlich zeitlichen Grenzen. So wird bsp. ein Verbot der Erbauseinandersetzung nach dreißig Jahren unwirksam, § 2044 II BGB; gleiches gilt im Grundsatz für eine Nacherbenein491 492 493

Oben § 9 IV 3. Siehe oben § 10 VI 3. Baston-Vogt, Der sachliche Schutzbereich, 302, m. w. Nachw.

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setzung, § 2109 BGB. Eine Testamentsvollstreckung schließlich endet ebenfalls nach dreißig Jahren, § 2210 BGB. Diese Regelungen können nicht dem Normzweck unterstellt werden, der Erblasser solle sein Vermögen durch letztwillige Verfügung nicht auf Dauer binden können494. Es bleibt dann ja immer noch unklar, wieso das so sein soll. a) Inzidentes Verbot fideikommißähnlicher Bindungen? Oftmals wird die Dreißigjahresfrist des § 2109 BGB auf die Erwägung zurückgeführt, das Gesetz bemühe sich, fideikommißähnliche Bindungen auszuschalten495. Derartige Bestrebungen können dem Gesetz aber nicht entnommen werden. Dies zeigt ein Vergleich mit dem Recht der erbrechtlichen Auflagen. Der Gesetzgeber wollte mit dem Institut der Auflage eine der Stiftung und einem Fideikommiß ähnliche Dauerwirkung ermöglichen und sah daher die Unanwendbarkeit der zeitlichen Begrenzungen der §§ 2162 f. BGB im Recht der Auflage ausdrücklich vor, vgl. § 2192 BGB496. Zwar sind die §§ 2109 und 2162 f. BGB indirekt auch im Recht der Auflage insofern von Bedeutung, als jede Auflage eine beschwerbare Zuwendung voraussetzt und eine solche außerhalb der Fristen der §§ 2109, 2162 f. BGB ja nicht mehr anfallen kann. Zudem unterliegt auch der Vollziehungsanspruch des § 2194 BGB der dreißigjährigen Verjährung des § 195 BGB. Praktisch kann daher eine Verfolgung stiftungsähnlicher Zwecke mit dem Institut der Auflage nur dann werden, wenn eine juristische Person beschwert wird und der Inhalt der Auflage in wiederkehrenden Leistungen besteht497. Aber immerhin: die Ausbildung fideikommißähnlicher Gebilde ist wenigstens erbrechtlich möglich. b) Vergleich mit dem Recht der Unternehmensträgerstiftung Doch selbst wenn dieser Vergleich mit dem Recht der erbrechtlichen Auflage nicht überzeugen würde, kann die Erklärung der Dreißigjahresfristen der §§ 2109, 2162 und 2210 BGB nicht auf die Tendenz zurückgeführt werden, das Gesetz bemühe sich, fideikommißähnliche Bindungen auszuschalten. Denn der Erblasser könnte einen fideikommißähnlichen Bindungseffekt auch dadurch erzielen, daß er durch letztwillige Anordnung sein Vermögen immerwährend bindet, indem er es in eine durch ein letztwilliges 494 So für § 2109 BGB MünchKomm-Grunsky, § 2109 Rn. 1, für § 2210 BGB MünchKomm-Brandner, § 2210 Rn. 1. 495 So etwa Soergel-Harder, § 2109 Rn. 1. 496 Prot. V, 241 ff., 308. 497 Vgl. zu diesem Problem nur Staud-Otte, § 2192, Rn. 19; Nieder, Handbuch der Testamentsgestaltung, Rn. 765.

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Stiftungsgeschäft (§ 83 BGB) geschaffene Stiftung einbringt. Dadurch können durchaus fideikommißartige Vermögensperpetuierungen geschaffen werden. Freilich setzt dies voraus, daß derartige Gebilde vor allem dort zulässig sind, wo sie unter einer Fideikommißvermeidungs-Perspektive besonders störend wären: im Recht der Unternehmensträger. Und hier geht eine vornehmlich von ordoliberaler498 aber auch von anderer Seite499 vorgetragene Argumentation dahin, familienstiftungsartige KGs hinsichtlich ihrer rechtlichen Zulässigkeit den Regelungen über Familienstiftungen und diese wiederum – entgegen der ganz herrschenden Meinung500 – dem Fideikommißverbot501 zu unterwerfen502. Zementierung wirtschaftlicher Macht, Entmündigung der Nachgeborenen aufgrund einer übermäßigen Vinkulierung des nachgelassenen Vermögens, privatrechtspolitisch notwendige Abwehr einer Renaissance feudaler Sozialstrukturen und eine wettbewerbskonforme Auslegung der Privatrechtsordnung geben in unverkennbarer Parallelität zum ordoliberalen Programm auch hier im Ähnlichkeitsvergleich von Familienkommiß und perpetuierender Vererbung die argumentativen Stichworte vor. Diesem Verdikt gegen eine Unternehmensperptuierung von Todes wegen kann – unabhängig von der stiftungsrechtlichen Frage nach der Zulässigkeit einer unternehmenstragenden Familienstiftung – nicht zugestimmt werden. Bei Lichte betrachtet liegt diesem Verdikt eine moderne Lesart des Fideikommißverbots zugrunde, die im wesentlichen ordnungspolitisch motiviert und quasi säkularisiert das Institut des Fideikommiß angeht und insofern den Mystizismen einer dem splendor familiae et nominis verpflichteten Adelskultur entwunden ist. Gleichwohl ist diese Lesart in dieser Form bedenklich. Dem Institut des Fideikommisses kam bis zu seiner Blütezeit im zweiten Kaiserreich neben seiner privatrechtlichen Seite vor allem eine genuin staatstheoretische Funktion zu: Es galt, ein Vermögen als wirtschaftliche Grundlage einer als familiar begriffenen, in die Staatsverfassung einge498

Reuter, Privatrechtliche Schranken, insbes. 103 ff., 138 f. Däubler, JZ 1969, 499 ff. 500 Soergel-Neuhoff, vor § 80 Rn. 57 ff.; Staudinger-Coing, vor § 80 Rn. 11; Staud-Promberger/Schreiber, 12. Aufl., Art. 58 EGBGB Rn. 36; Flume, Die juristische Person, § 4 V; Kronke, Stiftungstypus und Unternehmensträgerstiftung, 60 f.; vgl. aber auch Karsten Schmidt, GesR, § 7 I 1 b bb; Friedrich Kübler, GesR, § 12 III 1 c; Söllner, FS Max Kaser, 657 (669); Fritz Baur, FS Frank Virscher, 515 (522). 501 Die wichtigsten geltenden Regelungen: Gesetz zur Vereinheitlichung der Fiedeikommißauflösung v. 26.6.1935 (BGBl. III, 7811-1) i.V. m. DVO v. 24.8.1935 (BGBl. III, 7811-1-1), Gesetz über das Erlöschen der Familienfideikommisse und sonstiger gebundener Vermögen v. 6.7.1938 (BGBl. III, 7811-2), das Bundesgesetz zur Änderung des Fideikommiß- und Stiftungsrechts v. 28.12.1950 (BGBl. III, 7811-4), Ergänzungsgesetz v. 3.8.1967 (BGBl. I, 839). 502 Dazu auch MünchKomm-Reuter, vor § 80 Rn. 17 ff. 499

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bauten und damit verfassungsverrechtlichten politischen Herrschaft zu tradieren503. Der bloße Verweis auf die gleiche Funktionalität des Familienfideikommisses und der perpetuierten Gesellschaften im Hinblick auf das Problem sozialer Macht, welche durch die Perpetuierung ökonomischer Ressourcen vermittelt wird, verkürzt damit das Wertungsproblem des Ähnlichkeitsvergleichs zwischen Fideikommißverbot und Unternehmensperpetuierung um seine in der Verfassungsordnung der Vorweimarer Zeit verrechtlichten politischen Dimension. Ökonomische, in ihren sozialen Manifestationen durch Perpetuierung ihrer Trägerformen festgezurrte Macht ist ein derart ubiquitäres Phänomen, daß eine rein auf das Machtproblem bezogene Funktionenanalyse die Teleologik des Familienfideikommißverbots mit einer ungerechtfertigten rechtssystematischen Dominanz ausstattet, die dieser rechtlich nicht zukommt. Dies zeigt sich schon daran, daß § 4 des Bundesgesetzes zur Änderung des Fideikommiß- und Stiftungsrechts vom 28.12.1950 den Ländern die Änderung, Ergänzung oder Aufhebung der reichsrechtlichen Fideikommißauflösungsvorschriften ausdrücklich ermöglichte. Und Art. III Abs. II Kontrollratsgesetz Nr. 45, der noch einmal ausdrücklich die fideikommissarische Vermögensbindung aufhob, ist durch § 39 Abs. 3 GrstVG außer Kraft gesetzt worden. Es kann daher nicht von einem generellen Verdikt der Rechtsordnung gegen fideikommißähnliche Vermögensbindungen die Rede sein, sondern allenfalls von sehr differenzierten Wertungskomplexen, die in dieser Differenziertheit für eine ausdehnende Interpretation der diese Wertungen abbildenden Fideikommißregelungen schwerlich taugen. Wenn insofern das Fideikommißverbot in seinen funktionalen Bezügen auf die gewandelte Realität des ausgehenden 20. Jahrhunderts unversehens weitergedacht werden soll, um seinem Auftrag gerecht werden zu können504, käme es unversehens zu einer in der Wertung unausgewiesenen Zurückstellung des Persönlichkeitsrechts des Erblassers, welches dieser in der letztwilligen Verfügung ausübt. Es bleibt mithin die Frage zur Beantwortung aufgegeben: Wieso darf der Erblasser im Falle des letztwilligen Stiftungsgeschäfte Bindungen vorsehen, bei der Auflage, der Testamentsvollstreckung und der Teilung der Miterbengemeinschaft aber nicht? 503 Dazu nur Jörn Eckert, Der Kampf um die Familienfideikommisse in Deutschland, 697 ff., 758 f., 785 ff. Die verfassungspolitische Funktionalität des Instituts zeigt sich bsp. schlagartig daran, daß mit Beginn der Weimarer Republik nach dem Verlust des familienkommissarischen Anrechts der Nachgeborenen auf Beamtenund Offiziersstellen das Familienfideikommiß auch dem inneren Druck der nicht mehr hinreichend versorgten Agnaten zum Opfer fiel, dazu nur ders., ebda., 697 ff. Zudem wird der verfassungspolitische Konnex des Fideikommisses auch bsp. in der Unveräußerlichkeit und Unbelastbarkeit der Fideikommißgüter und dem Ausschluß der Zwangsvollstreckung deutlich. 504 So explizit bsp. MünchKomm-Reuter, vor § 80 Rn. 21.

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c) Die Lösung: Schutz der Todesverarbeitung der Bedachten Die bisherigen Überlegungen haben gezeigt, daß die Dreißigjahresfristen der §§ 2109, 2162 und 2210 BGB nicht auf die Tendenz zurückgeführt werden können, das Gesetz bemühe sich, fideikommißähnliche Bindungen auszuschalten. Es blieb die Frage zu klären, warum der Erblasser durch eine Stiftungskonstruktion für unabsehbare Zeit Vermögensbindungen schaffen kann, mittels der Auflage, der Testamentsvollstreckung und der Teilung der Miterbengemeinschaft aber nicht. Die Antwort erschließt sich leicht, wenn das gewillkürte Erbrecht personfunktional interpretiert wird. Denn dann erwächst der in den §§ 2109, 2162 und 2210 BGB niedergelegten zeitlichen Begrenzung auf 30 Jahre ein klarer Gehalt: Die Begrenzung sichert die Todesverarbeitung der Bedachten ab, die der todesbezogenen Ausprägung ihres eigenen Selbst nicht durch zu lange Bindungen an die durch den Erblasser als Frucht seiner Todesverarbeitung ins Werk gesetzte Vermögensordnung post mortem entbehren sollen. Die Dauer von 30 Jahren entspricht in etwa der durchschnittlich erwartbaren Lebenszeit bedachter Abkömmlinge505, so daß diese ihr „Sein zum Tode“ für die Zeit eben nach ihrem Tode im Entwurf einer neuen Vermögensordnung post mortem personal ausbilden können. Das Gesetz drückt diese Teleologie der Dreißigjahresfrist zudem unmißverständlich durch die Regelung aus, der Erblasser könne beispielsweise Verwaltungstestamentsvollstreckung selbst dann bis zum Tode des Erben anordnen, wenn dadurch die Vollstreckung länger als 30 Jahre dauern würde. Sinnvoll ist dies schon deshalb, weil dem Bedachten ein schutzwürdiges Eigeninteresse an der rechtsgeschäftlichen Todesverarbeitung nur für die Zeit nach seinem Tode zustehen kann, mag die Zeit bis zu diesem Ereignis auch die Frist von 30 Jahren überschreiten. Die Dreißigjahresfristen sind daher Ausdruck einer praktischen Konkordanz der Persönlichkeitsrechte des Erblassers und der Bedachten, die durch ihren relativ hohen, in der Dreißigjahresfrist zum Ausdruck kommenden Typisierungsgrad auch auf die Erfordernisse einer rechtssichernden Austarierung der Rechte Rücksicht nimmt. Von dieser Warte aus ergibt sich quasi zwangsläufig die Antwort, warum an ein letztwilliges Stiftungsgeschäft keine zeitlichen Fristen hinsichtlich der eintretenden Vermögensbindung geknüpft sind: Die Stiftung ist eine mit Rechtsfähigkeit ausgestattete, nicht verbandsmäßig organisierte Einrichtung, die einen vom Stifter bestimmten Zweck mit Hilfe eines dazu gewidmeten 505 Ein Beispiel zeigt dies leicht: Tod des Erblassers mit 75 Jahren; Geburt des ersten Abkömmlings mit 30 Jahren, Versterben des Abkömmlings wiederum mit 75 Jahren: Die Dreißigjahresfrist wäre genau mit dem Tode des ersten Abkömmlings abgelaufen.

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Vermögens dauerhaft fördern soll506. Sie stirbt mithin nicht. Ihr sind demnach jegliche Schwierigkeiten einer im Prozeß der Todesverarbeitung zu Tage tretenden personalen Selbstwerdung fremd; ihr „Selbst“ ist gleichsam durch den vom Stifter festgelegten Stiftungszweck immer schon zu dem entfaltet, was sie in ihrem „Innersten“ ist. Verausgabte Leistungen an ihre Destinatäre können diese – wenn sie natürliche Personen sind – dann wieder dem Prozeß der eigenen Todesverarbeitung zugrundelegen; die Stiftung kümmert dies nicht. Insofern ist es nur folgerichtig, daß der Erblasser fideikommißähnliche Gebilde per letztwilligem Stiftungsgeschäft schaffen kann: Er braucht hier auf keinerlei Persönlichkeitsrechte der Bedachten Rücksicht nehmen. Die Dreißigjahresfristen der §§ 2109, 2162 und 2210 BGB sprechen mithin deutlich für ein personfunktionales Verständnis des gewillkürten Erbrechts.

VI. Testierfreiheit und Schutz des lebensweltlichen Handelns und der gesellschaftlichen Reproduktion Gegen einen erbrechtlichen Personfunktionalismus könnte schließlich und endlich noch eingewendet werden, dieser untergrabe die gesellschaftliche Ordnungsfunktion des Rechts, indem eine zu rigide Willensherrschaft des Erblassers rechtlich auch noch wohlwollend konnotiert würde. Es könnte heißen, mittels eines personfunktionalen Verständnisses des gewillkürten Erbrechts würde der Gefahr Vorschub geleistet, daß eine zu starke Willensherrschaft des Erblassers die Reproduktion der kulturellen Schematismen der Wählbarkeit von Handlungsorientierungen und Lebensentwürfen gefährden würde, daß also die Herrschaft von kalter Hand das Leben der Nachgeborenen und Erben bis hin zu deren Wertvorstellungen zu sehr bestimme. Dies wäre ein gesellschaftstheoretisch ausgerichteter Einwand. Nun zeigt ein Blick auf Gesellschaftstheorie, daß ein erbrechtlicher Personfunktionalismus durchaus nicht die genannte Gefahr in sich birgt: Falls im theoretischen Verweisungszusammenhang normativistischer Handlungstheorien (etwa in der Tradition Parsons) argumentiert wird, nach denen Handeln als durch Normen und Werte geleitet gilt und das Handeln des einzelnen gleichsam in ein Raster von Normen und Werten eingesperrt wird507, sind derartige Handlungsorientierungen im lebensweltlichen Handeln der Mitglieder der Sozietät verankert und stellen die Produktion und Reproduktion sozialer Ordnung sicher. Für Vertreter normativistischer Handlungstheorien 506

So die Begriffsbestimmung der Stiftung bei BayObLG, NJW 1973, 249. Siehe stellvertretend für die späteren rezeptiven Bemühungen und weiterführenden Überlegungen die neu-parsonianische Handlungstheorie Richard Münchs, Theorie des Handelns, 1982; ders., Die Struktur der Moderne, 1984; dazu Goebel, Zivilprozeßrechtsdogmatik, 335 ff. 507

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ist daher das Ausbrechen aus konventionell geltenden Regeln – wie es ja bei der Todesverarbeitung der Fall sein kann – und damit auch das Überschreiten von Kontexten (nämlich von denen, in denen sich tradierter Weise nach die Todesverarbeitung gefälligst zu bewegen hat) von vornherein negativ konnotiert. Daß dies nicht die handlungstheoretische Perspektive dieser Untersuchung ist, wurde schon angemerkt508. Eine eher normativistische Vorstellung sozialer Ordnung schimmert aber bei zahlreichen rechtsdogmatischen Erwägungen etwa im Zuge der Sittenwidrigkeitsdogmatik durch509, so daß ein Inbezugsetzen erbrechtlicher Personfunktionalität zu normativistischen Vorstellungen über den Sinn kultureller Werte im Prozeß der Reproduktion sozialer Ordnung schon aus Gründen der Überzeugungskraft des hiesigen Ansatzes angezeigt ist. Die avisierte Gefahr, eine entbändigte Todesverarbeitung qua letztwilliger Verfügung würde die kulturelle Reproduktion sozial tragender Werte gefährden, erscheint nicht sehr groß. Die Vorstellung der radikalen Wählbarkeit von Handlungsorientierungen und Lebensentwürfen wird im normativistischen Paradigma der Handlungstheorie ja gerade bestritten510. Insofern würde auch die durch den erbrechtlichen Personfunktionalismus gewährleistete rechtliche Freistellung einer derartigen radikalen Wählbarkeit nichts daran hindern, daß das todesverarbeitende Individuum in seinem sozialen Handeln (sprich: im Testieren) nicht die rigiden Fesseln der gesellschaftlichen Wertorientierung abzustreifen vermögen würde; es bliebe im „stählernden Gehäuse der Hörigkeit“ unrettbar verfangen. Ein Verlust jeglicher Wertorientierung mit der Folge einer weitreichende Anomie ist mithin nicht zu befürchten. Und wenn das normativistische Paradigma sozialer Ordnung verlassen wird, ist sowieso nicht klar, warum ein sozial-abweichendes und die Wert-Kultur der Sozietät negierendes Testierverhalten soziale Ordnung gefährden soll. Doch selbst wenn aufgrund des erbrechtlichen Personfunktionalismus Gefahren für die gesellschaftliche Ordnungsfunktion des Rechts erblickt würden, wäre immer noch nicht einsichtig, wieso dies der Fall sein kann. Denn das Recht schützt ja nicht irgendeine soziale Ordnung, sondern die, die ihm entspricht. Wenn mit Blick hierauf kulturpessimistisch im Testieren der Verlust tradierter Werte beklagt würde, würde dies die personfunktionale Deutung des Erbrechts nicht hindern können und dürfen. Denn die genetische Abhängigkeit des einzelnen von der identitätsstiftenden Kraft kulturell tradierter Wertmuster der Sozietät darf keineswegs geltungstheoretisch ver508

§ 10 V 3 a. Dazu näher unten § 12 II und § 12 III. 510 Das normativistische Paradigma würde sich insofern mit Handungsentwürfen kommunitaristischer Provinienz treffen, wie sie etwa Charles Taylor vorgelegt hat, siehe ders., Negative Freiheit, 27 ff.; umfassend ders., Quellen des Selbst, passim. 509

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wendet werden. Ansonsten würde von dem konstitutionstheoretisch einsichtigen Primat kultureller Werte für die soziale Genese des Selbsts umstandslos auch auf den normativen Primat einer Vorgängigkeit der kollektiven Substanz (eben der tradierten „Werte“) gegenüber jeglicher individueller Eigenheit und Andersheit und daraus dann im weiteren auf die rechtliche Legitimität einer kollektiven „Außenbeurteilung“ der Todesverarbeitung geschlossen511. Damit würden ohne große Umschweife die gegen die personale Individualität arbeitenden Imperative der gesellschaftlichen Subsysteme normativ die zersetzende Kraft ihrer Eigenlogiken entfalten dürfen. Der Rechtsperson wäre ein genuines Instrument personaler Entfaltung genommen. Auch das Grundgesetz sieht all dies letztlich nicht anders. Denn anders als das Eigentumsgrundrecht aus Art. 14 GG kann das Erbrecht selbst dann nicht gem. Art. 18 GG verwirkt werden, wenn das Instrument der letztwilligen Verfügung dazu verwendet wird, das Vermögen mit dem Testament zersetzend gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung einzusetzen. Wieso dies bei einem das Eigentum fortsetzende Erbrecht so sein soll, bliebe unerfindlich512. Anders wäre dies nur, wenn das gewillkürte Erbrecht personfunktional als Mittel gegen die Kraft systemischer Imperative gedeutet wird. Der normativen Kritik an einem expressiven Individualismus im Erbrecht und dem Einwand, dem erbrechtlichen Personfunktionalismus sei durch sein Votum für einen überbordenden „Individualegoismus“ möglicherweise eine das Soziale zerstörende Kraft inhärent, kann mithin für das Recht getrost erwidert werden: Ja und?

§ 12 Sittenwidrigkeit und erbrechtliche Personfunktionalität Der geltungstheoretisch motivierte Nachweis der persönlichkeitsrechtlichen Grundlagen der Testierfreiheit ist nunmehr zu seinem Ende gekommen. Die systematisch ausgerichtete Diskussion persönlichkeitsrechtlicher513 und erbrechtlicher514 Wertungen hat gezeigt, daß das gewillkürte 511 Dies wurde denn auch etwa gegen die „Politik der Anerkennung“ von Charles Taylor ins Feld geführt, siehe bsp. Bienfait, Freiheit, Verantwortung, Solidarität, 227. 512 Zwar kann nicht bestritten werden, daß bei einer die freiheitlich demokratische Grundordnung zersetzende letztwillige Verfügung wohl durchweg das Sittenwidrigkeitsverdikt eingreifen würde oder zumindest der Bedachte – wenn er etwa in Folge einer erbrechtlichen Auflage das ererbte Vermögen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung einsetzen würde – selbst sein Eigentumsrecht verwirken könnte. Gleichwohl mutet es aus Gründen der Systemreinheit merkwürdig an, daß das Grundgesetz nicht trotzdem eine Verwirkungsmöglichkeit angeordnet hat. 513 Dazu oben § 10.

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Erbrecht zu Recht personfunktional gegründet werden muss. Ein gewisses Unbehagen bleibt dennoch derzeit nicht ausgeräumt: Wenn die Testierfreiheit rechtlich um der Kohärenz des Rechts willen als eine Freiheit konzeptualisiert werden muß, in der der einzelne mit rechtsgeschäftlichen Mitteln seinen je eigenen Tod verarbeiten kann, wie verhält sich hierzu die Sittenwidrigkeit letztwilliger Verfügungen? Scheint in § 138 I BGB nicht eine Wertung auf, die das hiesige Konzept doch stark unterminiert? Ein Blick auf die Dogmatik der Guten-Sitten-Klausel ist damit unausweichlich.

I. Materialisierungstendenzen versus Sittenwidrigkeit 1. Die Vorfrage: Kompensation gestörter Testamentsparität als Ausgang? Die Dogmatik der Gute-Sitten-Klausel ist im allgemeinen Vermögensrecht eingebettet in weiträumig zu beobachtende Materialisierungstendenzen des Privatrechts. Die Verschwisterung des Materialisierungsgedankens mit dem privaten Recht befindet sich gewissermaßen in einer „konjunkturellen Aufschwungphase“ im Markt der dogmatischen Großtheorien. Das formale Willensdogma Savignyscher Prägung findet sich in der heutigen Privatrechtsdogmatik kaum mehr wieder. Schon das ursprüngliche voluntaristische Rechtsgeschäftsmodell wurde in dem Maße, wie sich die objektivnormative Auslegung durchsetzte, von Zurechnungsgesichtspunkten überlagert und allenfalls als voluntaristisches Idealbild in das Spannungsverhältnis von Selbstbestimmung und Selbstverantwortung515 eingelagert. Schon in dem Streit um das rechte Verständnis der Privatautonomie spiegelt sich die Entwicklung wider. Die Theorienangebote reichen hier von der Selbstbestimmung des autonomen Subjekts (protagonistisch Flume) über ein Verständnis von Privatautonomie als Prinzipienvielfalt zwischen privater Autonomie und rechtlicher Heteronomie (protagonistisch Bydlinski) bis hin zu einer Einbindung der Privatautonomie in soziale Erwartungszusammenhänge (protagonistisch Köndgen)516. Dies alles braucht hier nicht erörtert zu werden. Es reicht aus, darauf zu verweisen, daß vor dem Hintergrund der Annahme, zwischen den am Markt handelnden Rechtspersonen seien gewichtige, auch rechtlich relevante Imparitäten diagnostizierbar, ein Prozeß der Entprivatisierung des privatautonomen Handelns in Gang gesetzt worden ist, der die Vertragsfreiheit zunehmend ihrer Formalität entkleidet 514 515 516

Dazu oben § 11. Dazu nur Singer, Selbstbestimmung, passim. Dazu siehe auch Goebel, Testierfreiheit und Ehegattenschutz, § 4 II.

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und verstärkt danach strebt, eine Kompensation gestörter Vertragsparität ins Werk zu setzen517. Vertragsparität als rechtlich gewährleistete Möglichkeit zur Selbstbestimmung und zur Chance auf einen gerechten Vertragsschluß518 bewältigt die Rechtsordnung in einem Verständnis einer materialen Ethik sozialer Verantwortung519 sowohl auf der Makro- (Wettbewerbsund Konzernrecht) als auch auf der Mikroebene (normativierte Vertragsauslegung, Risikoumschaffung520 etc.) – wo steht hier das gewillkürte Erbrecht? Ist es sinnvoll, auch im Rahmen letztwilliger Verfügungen von einer etwaig gestörten „Testamentsparität“ zu sprechen, etwa mit Blick auf die Stellung des der erblasserischen Willkür gleichsam ausgelieferten von Todes wegen Bedachten? Zur Beantwortung dieser Frage ist es fruchtbar, sich den grundlegenden Unterschied vor Augen zu führen, welcher zwischen dem Vertrag als Paradigma der vornehmlich vermögensmäßig ausgerichteten Verwirklichung instrumenteller Freiheit durch andere521 mit der hier zu beobachtenden komplementär organisierten Struktur der vertraglichen Rechte522 auf der einen Seite und der Verfügung von Todes wegen als eines der Paradigmata der vornehmlich nichtvermögensmäßig ausgerichteten Verwirklichung personaler Freiheit auf der anderen Seite besteht. Funktionsdefizite einer instrumental ausgerichteten Privatautonomie sind die notwendige Konsequenz des Instruments „Vertrag“523. Bei der Testierfreiheit geht es hingegen um die Vorstellung des Erblassers hinsichtlich einer „guten Ordnung“ post mortem – eben um die todesbezogene Entfaltung der Persönlichkeit des Testierenden. Hier stellt sich deshalb gar nicht das Imparitätsproblem, welches das Vertragsrecht so sehr beschäftigt. Es besteht somit durchweg kein Anlaß, ein Institut einer „gestörten Testamentsparität“ etwa im Wege einer tiefgreifenden rechtsfortbildenden Arbeit am erbrechtlichen Normbestand zu entwickeln. Soweit es im gewillkürten Erbrecht auf Rechte Dritter an517 Vgl. dazu nur Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, 1982; Eike Schmidt, JZ 1980, 153 (155 ff.); Derleder, FS Wassermann, 643 ff.; sowie jüngst den Überblick zu Materialisierungstendenzen im Schuldvertragsrecht bei Canaris, AcP 200 (2000), 273 (insbes. 276 ff.). 518 So die Definition bei Hönn, Vertragsparität, 3 f. 519 Wieacker, Industriegesellschaft und Privatrechtsordnung, 24. 520 Derartige Risikoneudefinitionen verteilen mehr und mehr geschäftliche Risiken vom schwächeren auf den stärkeren Vertragspartner, vgl. bsp. nur BGH NJW 1996, 2088. 521 Dazu vgl. in grundrechtstheoretischen Zusammenhängen bsp. Suhr, Entfaltung der Menschen durch die Menschen, passim; ders., EuGRZ 1984, 529 (534). 522 Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, 483 ff.; ders., Ausdifferenzierung des Rechts, 360 ff.; ders., Rechtssoziologie, 328; zur Komplementarität subjektiver Rechte siehe auch Goebel, Testierfreiheit und Ehegattenschutz, § 5 II 2 Fn. 154. 523 Höfling, Vertragsfreiheit, 48.

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kommt, wie beispielsweise beim Problemkreis etwaig sittenwidriger Potestativbedingungen, reicht es vielmehr grundsätzlich hin, auf die Sittenwidrigkeitsklausel des § 138 I BGB zurückzugreifen. Allein dieser Klausel sollte daher die interpretatorische Aufmerksamkeit gelten; im Rahmen dessen von der Kompensation gestörter Testamentsparität zu sprechen, erscheint begrifflich angesichts der tradierten Diktion im Vertragsrecht nicht sinnvoll. Allenfalls könnte von der „Inhaltskontrolle“ eines Testaments die Rede sein524; ein Anlaß zu einer weitreichenden Revision des gewillkürten Erbrechts hin zu einem „Recht der Parität“ ist aber auch damit nicht gegeben. 2. Streitstand und Thesen a) Streitstand Eingangs war die Rede davon, daß es eines der vordringlichsten Ziele der hiesigen Erörterungen ist, die Bezüge zwischen der Sittenwidrigkeit letztwilliger Verfügungen und der Personfunktionalität des gewillkürten Erbrechts aufzudecken. Nun lassen sich innerhalb der Dogmatik der GuteSitten-Klausel drei grundlegende Ansätze unterscheiden, vor deren Hintergrund besonders einleuchtend versucht werden kann, sich derartiger Bezüge zu vergewissern: Es ist dies einmal – erster Ansatz – das weitaus herrschende Verständnis der Guten-Sitten-Klausel als Transformationsriemen für gesellschaftliche Sollensordungen – von sozialen Moralen525 – in das Recht526. Diametral demgegenüber steht der zweite Ansatz. Danach wird vorgeschlagen, § 138 I BGB als Verweisungsnorm auf ungeschriebene Verbotsgesetze (und § 134 BGB entsprechend als Verweisungsnorm auf ausdrückliche gesetzliche Verbote) zu begreifen, die mit außerrechtlichen Sollensordnungen nichts zu schaffen haben527. Anders gesagt: § 138 I BGB 524

So jüngst bei Leipold, JZ 2000, 705 (709). Mit Bedacht ist hier und wird zukünftig immer der Plural von Sozialmoral bemüht werden. Damit wird kenntlich gemacht, daß in einem pluralistischen Gemeinwesen eine gesellschaftsweit übergreifende, einigermaßen konkrete Sozialmoral nicht mehr existiert, dazu auch unten § 12 III 1. 526 Zu Nachw und zu Unterschiedenen im einzelnen siehe unten § 12 II 1. 527 So Pawlowski, Allgemeiner Teil, Rn. 498 b; ders., Methodenlehre, Rn. 189; ders., Rechtswissenschaft, 117 ff.; ders., ARSP 1964, 503 (513); Smid, NJW 1990, 409 (413); Kraft, FS Bartholomeyczik, 223 (234); Windel, Der Staat 1998, 385 (407 f.); Staud-Sack, § 138 Rn. 26. Vgl. auch AK-Damm, § 138 Rn. 26, 56; ders., JZ 1986, 913 (918 f.). Gernhuber führt einerseits in FamRZ 1960, 326 (335) ausdrücklich aus, § 138 BGB sei „nichts anderes als ein Anwendungsfall des § 134 BGB“ und versteht andererseits in ebda., 333, die Gute-Sitten-Klausel als eine Norm, „die eine gelebte Sittenordnug beruft“. Larenz/Canaris, SchuldR II/2, § 78 II 1 a, plädiert dafür, bei der Sittenwidrigkeitsprüfung nicht auf soziale Moralen, son525

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verweist nach diesem zuletzt genannten Ansatz nicht mehr auf die herrschenden Wertvorstellungen der Sozietät (und „herrschend“ heißt: notwendigerweise Wertvorstellungen, die nicht allen Bürgern gemein sind), sondern ausschließlich auf die Allgemeinheit des Rechts (und „allgemein“ heißt: der Normenkomplex, der allen Bürgern gemein ist). Der Inhalt des § 138 I BGB soll im weiteren dann aus dem Sinn oder dem Zusammenhang der Rechtsordnung ohne Verweis auf eine außerrechtliche Sozialmoral gewonnen werden. Paradigmatisch für einen Mittelweg zwischen den beiden zuvor skizzierten Vorschlägen steht der dritte Ansatz. Danach muß der Begriff der guten Sitten zum einen als „ordre public“ übersetzt und als rechtlicher Zusammenhang von positivem Gesetzesrecht, richterlichem Fallrecht und grundgesetzlichen Wertungen, also als Zusammenhang allgemeiner Rechtsprinzipien begriffen werden. Soweit aber die Bereiche des Intimlebens, der Familie und der Sexualität in Rede stehen, müsse eine sitten- und moralbezogene Bewertung unter Bezugnahme auf die Vorstellungen der Sozietät erlaubt sein528. Je nach Lebensbereich schlägt der dritte Ansatz mithin entweder eine rein innerrechtliche Beurteilung oder eine auch außerrechtliche Bezugnahme auf Sozialmoralen vor. b) Thesen Vor dem Hintergrund der zuvor skizzierten drei Ansätze können nunmehr die Thesen, um deren Nachweis es in den folgenden Überlegungen gehen wird, vorgestellt werden. Diese Thesen lauten: Erstens: Soweit die Sittenwidrigkeit von Verfügungen von Todes wegen untersucht wird, darf § 138 I BGB nicht als eine Norm verstanden werden, die auf außerrechtliche Sollensordnungen der „billig und gerecht Denkenden“ verweist. Ob außerhalb dern in erster Linie auf spezifisch rechtliche Wertungen zurückzugreifen und bezeichnet dies als einen „innerrechtlichen Ansatz“ (ebda., Fn. 5). Man kann diesen Ansatz auch so lesen, daß der Einbezug sozialer Moral allein nach dem Rechtssystem nach dessen Kautelen erfolgt. Die Unterschiede zu dem von der h. M. gepflegten zweistufigen Verfahren (Ermittlung sozialer Moralen und daran anschließend rechtliche Kontrolle, ob sie durch § 138 I BGB in das Recht rezipiert werden können) werden dann insofern abgeschwächt, als zum einen soziale Moralen von vornherein nur als „Anregung“ dienen, im Rechtssystem ungeschriebene Verbotsgesetze zu ermitteln, und zum anderen der Anteil der Rezeptionskontrolle sozialer Moralen ungleich höher ausfällt, dazu siehe allg. Ladeur, Postmoderne Rechtstheorie, 157; Enderlein, Rechtspaternalismus, 383. Dennoch sollte nicht unterschlagen werden, daß sich in der theoretischen Grundlegung der Ansatz der h. M. von der an ungeschriebenen Verbotsgesetzen anknüpfenden Meinung diametral voneinander unterscheidet. 528 So Simitis, Gute Sitten und ordre public, 166 ff., 175 ff., 180 ff., 195 f. Vgl. dazu auch Esser/Stein, Werte und Wertewandel, 35 ff.; Wiethölter, Rechtswissenschaft, 197.

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der Beurteilung der Sittenwidrigkeit von Verfügungen von Todes wegen § 138 I BGB generell als eine Verweisungsnorm auf ungeschriebene Verbotsgesetze zu verstehen ist, bleibt offen. Die Einsicht, § 138 I BGB rezipiere nicht soziale Moralen, fußt vornehmlich auf der grundlegenden Entscheidung des Gesetzes, die Testierfreiheit personfunktional auszurichten. Es ist danach ausgeschlossen, in der Sozietät tradierte und herrschende Wertungen für die Beurteilung einer Verfügung von Todes wegen heranzuziehen. Zweitens: Bei der Sittenwidrigkeitsprüfung darf die Motivation des Erblassers (in anderer Diktion: dessen Gesinnung) nicht als Argument verwendet werden, die Sittenwidrigkeit einer Verfügung von Todes wegen zu bejahen; eine Ausnahme besteht allein dann, wenn die erblasserische Motivation auf eine Beeinträchtigung der Menschenwürde irgendeiner Rechtsperson oder auf eine Diskriminierung aus Gründen der Rasse gerichtet ist. Drittens: Der Erblasser muß den von ihm von Todes wegen Bedachten als Rechtsperson anerkennen; das heißt, er anerkennt, daß der Bedachte ihm mit Rechten ausgestattet gegenüber tritt. Diese dritte These wurde schon nachgewiesen529; im weiteren werden daher die ersten beiden Thesen im Mittelpunkt der Diskussion stehen. Gerade diese beiden Thesen klingen auf den ersten Blick wenig einleuchtend. Es wird sich aber zeigen lassen, daß sie auf einer Linie mit einem personfunktionalen Verständnis des gewillkürten Erbrechts liegen, ja, daß allein anhand der skizzierten Thesen das innere System des Rechts vor schwerwiegenden Wertungswidersprüchen bewahrt werden kann.

II. Grundlegung: Das Verhältnis von außerrechtlichen und innerrechtlichen Sollensordnungen 1. Die herrschende Interpretation der Guten-Sitten-Klausel als Transformationsriemen gesellschaftlicher Sollensordnungen Nach weitaus herrschender Ansicht gewinnen über das Sittengebot des § 138 I BGB außerrechtliche Normen juristische Relevanz. Was als relevantes Normenbündel ausgemacht werden kann, wurde im einzelnen verschieden beurteilt530, man denke im rechtshistorischen Rückblick nur an den Rekurs auf ein naturrechtlich begründetes Sittengesetz in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der fünfziger Jahre531 oder an die vorgeschlagene Rezeption von tatsächlich bestehenden sozialen Gebräuche, die 529

Oben § 10 VI 2. Vgl. dazu und zum folgendem Teubner, Generalklauseln, 13 ff.; Haberstumpf, Formel, 29 ff. 530

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mit den Methoden der empirischen Sozialforschung festgestellt werden sollten532. Derartige Versuche gelten heute zu recht als gescheitert. Gegenwärtig werden die für § 138 I BGB relevanten Sollensordnungen an die herrschende Rechts- und Sozialmoral gekoppelt. Damit werden diejenigen gesellschaftlichen Verhaltenserwartungen für die Anwendung des § 138 BGB fruchtbar gemacht, die durch Eingewöhnung und ganz überwiegende Anerkennung Gültigkeit in der Gesellschaft erlangt haben und die durch die normativ gewordene Übung des Gruppenverhaltens stabilisiert sind533. Andernorts ist stellenweise von überindividuell gesetzten Moralnormen einer heteronomen Moralordnung die Rede, welche auf einen gerechten Ausgleich bei Interessenkonflikten zielen würden534 – und als Beispiel werden hinnehmbare Standesauffassungen genannte, welche von einer Mehrheitsmeinung getragen sind535. Es ist prägnant von dem „sozialethischen Inhalt der guten Sitten“536 die Rede. Dabei darf freilich nicht übersehen werden, daß in der Spruchpraxis selbst dann von Sozialmoral gesprochen wird, wenn es doch eher um die Wertvorstellungen geht, von denen die Rechtsprechung meint, sie sollten der Sittenwidrigkeitsbeurteilung zugrundegelegt werden537. Die Rede von sozialen Moralen ist daher wohl eher theorieleitenden Beteuerungen, denn in praxi tatsächlich wirkmächtigen Richtlinien der Spruchpraxis geschuldet. Der herrschende Beurteilungsmaßstab der guten Sitten beschränkt sich deshalb nicht auf den außerrechtlichen Bereich der Sozialmoral. Die Rechtsprechung greift vielmehr zunehmend auf eine sorgfältige rechtliche Analyse der Einzelfälle mit rechtlichen Argumenten zu531

Vgl. nur BGHSt – GrS –, 6, 46 (52 ff.). Dazu nur Teubner, Generalklauseln,

15 ff. 532 So bsp. Birke, Richterliche Rechtsanwendung, 45 ff, 51 ff. Kritisch gegenüber dieser geradezu abenteuerlichen Ausblendung eines normativen Elements aus der herkömmlich aus einer faktischen und normativen Komponente konzipierten Generalklausel des § 138 BGB vgl. nur MünchKomm-Mayer-Maly, § 138 Rn. 12; StaudSack, § 138 Rn. 15; Heldrich, AcP 1986, 74 (94, 97); Teubner, Generalklauseln, 11, 33 f., 36, 112; ders., in: Bedürfnisse, Werte und Normen im Wandel, 87 (89 f., 98 f.); Sack, NJW 1985, 761 (764); Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen, 31 f.; Röhl, Rechtssoziologie, 226. Allgemein zum Problem eines Einbezugs der Rechtstatsachenforschung in rechtsdogmatische Problemzusammenhänge vgl. nur Röhl, Das Dilemma der Rechtstatsachenforschung, 186 ff., und die Nachweise bei Goebel, Zivilprozeßrechtsdogmatik und Verfahrenssoziologie, 26 Fn. 46. Zum besonderen Fall des Wettbewerbsrechts vgl. nur BGH GRUR 1960, 558 ff.; Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, Einl UWG Rn 477. 533 Statt vieler Henkel, Rechtsphilosophie, 133 ff.; Soergel-Hefermehl, § 138 Rn. 9; Larenz, JurJb 7 (1966/67), 98 (106 ff.). 534 So bei Heinrich, Formale Freiheit, 370. 535 Bei Heinrich, Formale Freiheit, 370. 536 So etwa bei Larenz/Wolf, AllgT, § 41 Rn. 14. 537 Siehe auch Dieter Schwab, Einführung in das Zivilrecht, Rn. 585: „Für billigund gerechtdenkend hält der Richter in erster Linie sich selbst“.

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rück. Auch diesbezüglich wird gleichfalls prägnant von dem „rechtsethischen Inhalt der guten Sitten“ gesprochen538. In der Art eines beweglichen Systems539 werden Rechtsprinzipien verfassungsrechtlicher und einfachgesetzlicher Art, dogmatische Argumente, policy-Erwägungen, Folgen- und Normbereichsanalysen in die notwendige rechtliche Wertung, Interessenabwägung und Fallgruppenbildung540 für die Sittenwidrigkeitsprüfung fruchtbar gemacht541. Werden im Einzelfall doch einmal außerrechtliche Verhaltensnormen herangezogen, werden diese einer innerrechtlichen Rezeptionskontrolle unterworfen542; die Sittenwidrigkeitsklausel verweist dann nur auf diejenigen Normen der Sozialmoral, die aus der Sicht des Rechts verbindlich sein sollen543. Damit einher wandelt sich die Funktion der Gute-SittenKlausel, die nun nicht mehr vornehmlich soziale Standards rezipiert, sondern als genuin rechtliche Direktive und richterliche Interventionsnorm dient544. Das Sittengebot gerät so angesichts des Wandels des klassischen liberalen Rechtsstaats zum modernen Sozialstaat545 zu einem Instrument schöpferischer Rechtsgestaltung546. Es ermöglicht damit mit den anderen 538

So etwa wiederum bei Larenz/Wolf, AllgT, § 41 Rn. 18. Zum Verständnis der Guten-Sitten-Klausel als Anwendungsfall eines beweglichen Systems in Sinne Wilburgs vgl. nur Mayer-Maly, FS Wilburg, 177 ff.; MünchKomm-ders., § 138 Rn. 24 ff.; Soergel-Hefermehl, § 138 Rn. 8; Staud-Sack, § 138 Rn. 60; Michael, Der allgemeine Gleichheitssatz als Methodennorm komparativer Systeme, 85 ff. 540 Eine derartige Re-Dogmatisierung mittels Fallgruppenbildung wird stellenweise auch kritisch betrachtet, wenn etwa auf die gesellschaftliche Funktion von Generalklauseln verwiesen wird, die sie nur bei weitreichender Unbestimmtheit erfüllen könnten (Teubner, ZHR 1982, 624 (626 f.) zu § 242 BGB). Generell für eine Fallgruppenbildung votiert Weber, AcP 1992 (1992), 516 (535 ff.); hiergegen siehe nur Mayer-Maly, AcP 194 (1994), 105 (133 ff.). 541 Vgl. nur Soergel-Hefermehl, § 138 Rn. 8; MünchKomm-Mayer-Maly, § 138 Rn. 11; Staud-Sack, § 138 Rn. 39 ff.; Bydlinski, in: Rechtsdogmatik und praktische Vernunft, 189 (203 f.). 542 BGHZ 67, 48 (51 ff.); Teubner, Generalklauseln, 90 ff.; Soergel-Hefermehl, § 138 Rn. 9; Sack, NJW 1985, 761 (768); H. Dreier, Universitas 1993, 247 (253 ff.). Die Formel einer kontrollierten Rezeption außerrechtlicher Moralen korrigierte Teubner später unter Zuhilfenahme modelltheoretischer Annahmen in Richtung eines präziseren Rezeptionsmodells einer „kreisrelationalen Beziehung zwischen einem empirische, prospektiven und operativen Subsystem“ im Rahmen einer „rezeptiven Autonomie des Rechtssystems“, vgl. Teubner, in: Bedürfnisse, Werte und Normen im Wandel, 87 (90 ff.). 543 Sack, NJW 1985, 761 (768); AK-Damm, § 138 Rn. 11. 544 Vgl. zu dieser Interventions- im Gegensatz zur Rezeptionsthese, wie sie bsp. von MünchKomm-Mayer-Maly, § 138 Rn. 15, vertreten wird, nur Teubner, Generalklauseln, passim; AK-Damm, § 138 Rn. 8; ders., JZ 1986, 903 (919). Zur Rezeptions-, Transformations- und Delegationsfunktion der Gute-Sitten-Klausel Teubner, Generalklauseln, 61; Soergel-Hefermehl, § 138 Rn. 5; Bydlinski, in: Rechtsdogmatik und praktische Vernunft, 189 (202 f.); Mayer-Maly, JZ 1981, 801 (803). Zur richterlichen Ermächtigung kritisch bsp. Schachtschneider, FS Thieme, 195 (209 ff., 212). 539

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Generalklauseln des Privatrechts Konflikte zwischen gesellschaftlichen Teilsystemen sachgerecht zu bewältigen547, indem es auf außerrechtliche Norminhalte Bezug nimmt548 und in dieser Weise die Rationalität gesellschaftlicher Teilsysteme direkt549 in die Rechtskommunikation einbindet. Rechtssoziologisch wurde für derartige Erscheinungen der Begriff des „lernenden Rechts“ geprägt – also eines Rechts, welches in die Grundstruktur des positiven Rechts einen Kompromis zwischen Wirklichkeitsanpassung und Erwartungskonstanz einschreibt550. Insgesamt gesehen bleibt zusammenfassend folgendes festzuhalten: Heute gerät der Verweis auf außerrechtliche soziale Moralen oft nur zu einer unbeachtlichen façon de parler. Die Funktion der Generalklausel des § 138 BGB wird neben einer Rezeption und Kontrolle sozialer Normen mehr und mehr in der Aufgabe gesehen wird, eine originäre Vertrags-, Verkehrs- und Geschäftsmoral jenseits konkreter gesellschaftlicher Anschauungen zu entwickeln. Zugleich wird explizit darauf insistiert, daß auf den Rekurs auf außergesetzliche Rechtsüberzeugungen nicht verzichtet werden könne551. Nach der ganz herrschenden Meinung bleibt also das Recht weiterhin für den Einbezug außerrechtlicher Sollens545 Esser/Stein, Werte und Wertewandel, 22 ff., 36 ff.; Simitis, Gute Sitten und ordre public, 10; Wiethölter, Rechtswissenschaft, 144 ff. 546 Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, 215 ff.; Teubner, Generalklauseln, 59. 547 Vgl. dazu nur Teubner, Recht als autopoietisches System, 140 ff. 548 Dazu nur Teubner, Recht als autopoietisches System, 54. 549 Es ist im Vorgriff auf noch folgende Überlegungen und insbes. im Hinblick auf die hier vertretene o. g. These zu beachten, daß die rechtssoziologischen Funktionsbestimmungen der Generalklauseln als Modus eines lernenden Rechts normativ nicht unterlaufen werden, wenn die Sittenwidrigkeitsklausel mit dem Verstoß gegen ungeschriebene Verbotsgesetze gleichzusetzen ist. Denn auch dann ist lernendes Recht weiterhin möglich; die rechtssystemexternen Beeinflussungskautelen gewinnen dann nur in einer sehr viel differenzierteren Form Einfluß auf das Rechtssystem, vgl. allg. dazu bsp. das Verständnis des Rechts als responsives Recht bei Nonet/Selznick, Law and Society, bes. 73 ff., oder die Beschreibungen der Systembeziehungen bei Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, 1993. Im Kontext des Selbstverständnis-Topos vgl. nur Morlok, Selbstverständnis, 260 ff. 550 Dazu nur Teubner, in: Bedürfnisse, Werte und Normen im Wandel, 87 (93 f.); Ladeur, Postmoderne Rechtstheorie, 157 f. Die sozialen Sitten als Elastizitätsfaktor insbesondere bei Wandlungen der Wertmaßstäbe ohne dramatischen Charakter betonen auch Mayer-Maly, JZ 1981, 801 ff.; Bydlinski, in: Rechtsdogmatik und praktische Vernunft, 189 (214 ff.). Das Verhältnis zwischen Sozialmoral und Recht kann begrifflich präzise in den Kategorien des sog. neuen Rechtspluralismus erfaßt werden, der sich der informellen Normen der politischen Gegenkulturen, informeller Netzwerke und sonstiger Quasi-Rechte annimmt. Dazu nur Teubner, in: Liber Americorum Josef Esser, 191 ff.; Griffith, Journal of Legal Pluralism 24 (1986), 1 ff.; Merry, Law and Society Review 22 (1988), 869 ff.; Goebel, Zivilprozeßrechtsdogmatik und Verfahrenssoziologie, 219 ff. 551 Vgl. bsp. Staud-Sack, § 138 Rn. 45; Bydlinski, in: Rechtsdogmatik und praktische Vernunft, 189 (208).

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ordnungen bei aller Betonung der juristischen Kontrolle dieses Einbezugs zumindest der theoretischen Grundlegung nach klar und deutlich offen. 2. Zwischenbetrachtung Der Einbezug außerrechtlicher Sollensordnungen in das Erbrecht ist unmittelbar relevant. Man denke nur an die kuriosen Auswüchse der anhand einer spezifischen Sozialmoral begründeten Mätressentestaments-Rechtsprechung der 50er Jahre, an die Beurteilung der Konversionsfälle552 oder allgemeiner an die Bedeutung des Einbezugs einer familiaren Nahbereichsmoral in das besonders personal geprägte Familien- und Ehegattenerbrecht. Die justizielle Entscheidungspraxis war freilich stellenweise aus heutiger Sicht nicht nur bizarr und in den konservativ-bärbeißigen Moralvorstellungen ihrer Zeit verfangen. Ihr muß zumindest heutzutage aus rechtlichen Gründen dezidiert widersprochen werden. Um dies nachzuweisen, wird im Folgenden ein mehrstufiger Begründungspfad gewählt. Auf der ersten Stufe wird thematisiert, was es heute unter den Bedingungen moderner Gesellschaften überhaupt bedeutet kann, wenn von einer innerhalb der Gesellschaft lokalisierten Sozialmoral die Rede ist (dazu § 12 III 1). Auf der zweiten Stufe soll generell gezeigt werden, daß im Rahmen der Guten-Sitten-Klausel ein Einbezug außerrechtlicher Moralen dem rechtlichen Gehalt eines Rechtsgeschäfts nicht gerecht wird, soweit es um die Beurteilung von Rechtsgeschäften geht, in denen rechtlich die Persönlichkeit der Rechtsperson entfaltet wird. Hierbei werden vornehmlich Gründe bemüht, die auf das Rechtsverständnis des grundrechtlich verfaßten und auf weltanschauliche Neutralität verpflichteten Staates553 verweisen (dazu § 12 III 2 bis 4). Auf der dritten Stufe schließlich wird die Gute-Sitten-Klausel ins Verhältnis gesetzt zu der Personfunktionalität des gewillkürten Erbrechts. Hier wird sich zeigen lassen, daß außerrechtliche Moralvorstellungen selbst dann bei der Beurteilung einer Verfügung von Todes wegen auf ihre Sittenwidrigkeit keine Rolle spielen dürfen, wenn der Argumentation auf der ersten Stufe nicht gefolgt werden sollte (dazu § 12 IV). Zuvor gilt es klarzustellen, daß eines mit einem Einbezug von außerrechtlicher Moralvorstellungen in das Recht nicht gemeint sein kann: Der Einbezug moralischer Vorstellungen im Sinne der Moralphilosophie. Außerrechtliche Moralvorstellungen haben eher etwas mit sozialen Sitten und tradierten Gebräuchen, nicht aber mit dem zu schaffen, was gemeinhin moraltheoretisch unter „Moral“ begriffen wird (dazu sogleich § 12 II 3).

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Dazu Smid, NJW 1990, 409 ff. Dazu BVerfGE 24, 236 (246); 32, 98 (106); 33, 23 (28); 41, 29 (50); anders noch BVerfGE 6, 32 ff. (Elfes). 553

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3. Moral und gute Sitten Mit Moral im Sinne der praktischen Philosophie haben die für § 138 I BGB herrschender Ansicht nach einschlägigen sozialen Moralen nichts554, mit sozial tradierten Gebräuchen hingegen viel zu tun. Drei Problemkreise können angesprochen sein, soweit das Verhältnis von Recht und Moral thematisiert wird. Einmal geht es im Kontext von Recht und Moral um das rechtstheoretische Problem der Geltung des Rechts. Recht gilt für den Rechtsdogmatiker schon kraft seiner Positivität, während sich für den Rechtstheoretiker hier schwierige Abgründe auftun555. Dieser Aspekt des Verhältnisses von Recht und Moral ist offenkundig im Kontext der Sittenwidrigkeitsproblematik nicht angesprochen. Dies gilt auch für das Verständnis der Beziehung von Recht und Moral als Problem der Begrifflichkeit des Rechts. Bei diesem zweiten Problemkreis wird gefragt, ob der Rechtsbegriff die Frage der inhaltlichen Richtigkeit des Rechts einschließt556. Diese Frage wird für die Gute-Sitten-Klausel allenfalls relevant, wo es darum geht, den Einbezug sozialer „Unsitten“ in das Recht zu verhindern. Das Verhältnis von Recht und Moral könnte schließlich – dritter Problemkreis – für den Rechtsbegriff der guten Sitten deshalb wichtig sein, weil diese an Moralität und Sittlichkeit des Handelns anknüpfen könnten. So findet sich stellenweise der Vorwurf, die „nahezu einhellig(e) Meinung“ nehme an, daß die Sittenwidrigkeitsklausel mit dem Begriff der guten Sitten auf die Maßstäbe der Ethik, Moral und Sittlichkeit verweise557. § 138 I BGB würde sich dann die Forderung nach Moralität des Handelns im Kontext der Moralphilosophien des kantischen Typs zu eigen machen, den Ethos gelebter Gemeinschaften und die Orientierung an dem Guten in der aristotelischen Tradition vorgeben oder auf die hegelsche Sittlichkeit der vergesellschafteten Person rekurrieren. Von einem derartigen Verweis kann jedoch nicht die Rede sein. Der Gute-Sitten-Begriff greift auch nach den Vertretern, die die guten Sitten auf außerrechtliche gesellschaftliche Normen beziehen, nicht auf unbedingte und autonom gesetzte oder dem tradierten Ethos einer Gemeinschaft entspringenden Normen im Kontext von Moralität und Sittlichkeit des Handelns zurück, sondern auf heteronom gesetzte gesellschaftliche Sollensordnungen, die äußeres Verhalten regeln558. Dies 554

Vgl. aber Mayer-Maly, JuS 1986, 596 (599). Rechtstheoretisch wird die Positivität des Rechts als solche nur dann zu seiner Geltungsbegründung hinreichen, wenn die Geltung des Rechts in seiner Selbstreferenz verortet wird, so daß Recht der Willkür seiner eigenen Positivität entspringt; so im theoretischen Verweisungszusammenhang der autopoietischen Systemtheorie etwa Teubner, Recht als autopoietisches System, 8. 556 Vgl. nur Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, 29 ff. 557 So etwa Staud-Sack, § 138 Rn. 18, der freilich ein derartiges Verständnis der Gute-Sitten-Klausel zugleich kritisiert. 555

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verwundert auch nicht. Denn ansonsten käme man in Begründungsengpässe. Es würde die Moralität des Handelns im Kern verletzen, wenn die Rechtsperson durch das Sittenwidrigkeitsverdikt zu einem Handeln zumindest nicht gegen die Grundsätze der Moralität559 gezwungen werden könnte, weil Moralität gerade nicht rechtlich erzwingbar ist, ohne sogleich ihren Charakter als Moralität zu verlieren560. Und nicht zuletzt würden sich hinter der rechtlichen Einkleidung von Moralität und Sittlichkeit nur die Auswüchse des Tugendterrors eines moralischen Rigorismus verbergen561: Recht fordert, kantisch gesprochen, Legalität, nicht Moralität des Handelns. In der Dogmatik der guten Sitten hat deshalb die Moral im moraltheoretischen Sinne nichts verloren.

III. Das Rechtsverständnis des auf weltanschauliche Neutralität verpflichteten Staates Es war schon die Rede davon, daß in einem ersten Zugriff auf das hiesige Unterfangen, die Gute-Sitten-Klausel zumindest im gewillkürten Erbrecht nicht als Rezeptionsnorm von sozialen Moralen zu interpretieren, das Rechtsverständnis des auf weltanschauliche Neutralität verpflichteten Staates als Argument angeführt wird. Flankiert werden sollen diese Überlegungen durch einen kurzen Exkurs hinsichtlich der Faktizität der modernen Gesellschaft. Es wird sich zeigen lassen, daß ein Insistieren auf einem gesellschaftsübergreifenden Minimalkonsens, anhand dessen die für § 138 I BGB einschlägigen sozialen Moralen gewonnen werden können, mehr denn je hoffnungslos ist, wenn irgendwelche Richtungshilfen für die Entscheidung konkreter rechtlicher Fälle errungen werden sollen. Zugleich wird sich aber auch zeigen lassen, daß aus diesem Befund noch nicht einfach folgt, daß ein Einbezug außerrechtlicher Sozialordnungen in das Recht über § 138 I BGB überhaupt nicht ratsam ist. Vielmehr verweist der Befund nur darauf, daß eine problemlose Übernahme außerrechtlicher Moralen in das Recht 558 Vgl. nur Soergel-Hefermehl, § 138 Rn. 3; Staud-Sack, § 138 Rn. 19 f.; Larenz, Allgemeiner Teil, § 22 IIIa; ders., JurJb 7 (1966/67), 98 (105 f.); MayerMaly, AcP 194 (1994), 105 (171); Bydlinski, FS Gernhuber, 827 (831 f.); Sack, NJW 1985, 761 (767). 559 § 138 I BGB ordnet zwar nur die Nichtigkeit der Erklärung, nicht aber das nach der Moralität geforderte Handeln an. Dennoch bliebe – unterstellt, § 138 I BGB bezöge sich auf die kantische Moralität – eine Möglichkeit des rechtsgeschäftlichen Handelns der Rechtsperson verschlossen, nämlich das sittenwidrige Handeln. Insofern würde das Recht dann Moralität erzwingen. 560 Kant, Metaphysik der Sitten, 519 ff. Vgl. zudem Schachtschneider, FS Thieme, 195 (216); Bielefeldt, in: Brugger (Hrsg.), Legitimation des Grundgesetzes, 47 (52 ff.); sowie schon oben § 10 IV 2 c aa. 561 Dazu nur H. Dreier, AöR 113 (1988), 450 (469 m. w. Nachw.).

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ausscheidet und dass bei dieser Übernahme eine normative Auswahl von nur noch partikularen, eben nicht gesellschaftsweit wirkenden Sozialmoralen getroffen werden muß. Der Rekurs auf die Faktizität der modernen Gesellschaft unterstützt damit zumindest die hiesige These, außerrechtliche Sozialmoralen sollten im Rahmen des § 138 I BGB am besten außen vor bleiben. 1. Der empirische Befund: Der Verlust übergreifender Werte in der modernen Gesellschaft Wenn die guten Sitten im Sinne § 138 I BGB an gesellschaftsweit geltende soziale Moralen geknüpft werden, müßten derartige Moralen existieren. Hiervon auszugehen ist jedoch empirisch bis auf Residualbestände (etwa das Tötungsverbot) nicht überzeugend. In der Literatur wird denn auch oft darauf hingewiesen, daß die Gute-Sitten-Klausel in einer wertmäßig inhomogenen, nicht über einen Wertkonsens integrierten Gesellschaft angewendet werden muß562. In der Diagnose eines gravierenden Werteverlusts als Kennzeichen der Herausbildung moderner Gesellschaften treffen sich schon die Klassiker der Soziologie wie Weber, Simmel, Tönnies und Durkheim. Werte sind durchaus nicht zerfallen. Sie sind aber in einen „Polytheismus“ (Max Weber) im Gefolge von verschärften Pluralisierungsprozessen, sozialen Individualisierungstendenzen und gesellschaftlicher Differenzierung pluralisiert und deshalb nicht mehr gesellschaftsübergreifend verfügbar563. Besonders prägnant wird dieser Befund in der Gesellschaftstheorie Luhmanns beschrieben. Dort heißt es, daß unter den Bedingungen heutiger ausdifferenzierter Gesellschaften mit ihren autopoietisch geschlossenen und selbstreferentiellen Subsystemen jegliche Hoffnung auf eine gesellschaftliche Integration über konsensual stabilisierte Werte oder Moral und damit letztlich eine gesellschaftliche Integration über Konsens enttäuscht wird564 – eine pluralistische Gesellschaft verfüge über keinen sie 562 Vgl. aus der Fülle bsp. Ott, Festschrift Raiser, 1974, 403 (411); Sack, NJW 1985, 761 (767 f.); Esser/Schmidt, Schuldrecht Bd. 1, Allgemeiner Teil, 7. Aufl., § 10 II 2; Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen, 33. Ein derartiger pauschaler Verweis auf einen gesellschaftlichen Pluralismus gerät freilich zu abstrakt, als daß damit wirklich etwas für die Sittenwidrigkeitsproblematik gewonnen wäre, so auch Teubner, Generalklauseln, 99. Das Pluralismus-Argument bedarf ersichtlich der Präzisierung. Eine derartige Präzisierung ist hier auch nicht in Kürze durch einen Rückgriff auf Geschichte und Stand der Pluralismustheorie zu leisten, siehe dazu nur die Übersichten bei Eisfeld, Pluralismus, 11 ff.; die Beiträge in Oberreuter (Hrsg.), Pluralismus, 1980; sowie Lehner, Der Staat 1985, 91 ff.; v. Arnim, Gemeinwohl, 148 ff.; Huba, Der Staat 1994, 581 ff. 563 Dazu aus Sicht der politischen Philosophie nur Schönherr-Mann, Postmoderne Theorien des Politischen, 1996, Teil II, 65 ff., 107 ff.; sowie in einer vermittelnden Sicht instruktiv Joas, Die Entstehung der Werte, 1999.

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integrierenden Wertkonsens mehr565. Freilich wird dieser Diagnose von normativistischen Gesellschaftstheorien etwa in der Parsonsschen Tradition entgegengehalten, das kulturelle System sorge für eine fortlaufende Reproduktion von Werten (latent pattern maintenance), so daß von ihrem gesellschaftsweiten Verfall keine Rede sein könne566. Auf die Kritik derartiger normativistischer Gesellschaftstheorien kann hier nicht näher eingegangen werden567. Ihnen entsprechen die oft vorgetragenen Konzepte, nach denen ohne einen minimalen Konsens über Sachfragen eine Rechtsgemeinschaft zerfallen würde568. Am eindringlichsten findet sich diese Vorstellung in der Formulierung Böckenfördes widergespiegelt, nach der „der säkulare Staat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht zu garantieren vermag“ 569. Normativ gewendet bedeutet dies, daß der säkulare Staat sich von transzendenten Vorstellungen unabhängig machen müsse, die er selbst nicht garan564 Dazu siehe nur das zweite Hauptwerk Luhmanns Die Gesellschaft der Gesellschaft, 1997. 565 So bsp. Ott, FS Raiser, 403 (411); Sack, NJW 1985, 761 (767 f.). 566 Allg. zur insbes. in Gesellschaftstheorien im Gefolge Parsons tradierten Vorstellung, Menschen würden über ein normatives Grundeinvernehmen über Werte, Institutionen und Verfahren zu dem integriert, was allgemein „Gesellschaft“ genannt wird, aus der Fülle nur Lockewood, in: Zollschan/Hirsch (Hrsg.), Explorations in Social Chance, London, 1964, 244 ff. 567 Kritisch aus rechtsdogmatischer Sicht zu konsensorientierten Harmoniekonzepten etwa Smid, Der Staat 1985, 3 (13, 20); Jakobs, in: Mehrheitsprinzip, Konsens und Verfassung, 23 (36 ff.). Die übliche Antwort zur empirisch orientierten Erklärung einer dauerhaften politischen Herrschaft wird zumeist in einem Mischungsverhältnis von Konsens und Zwang gefunden. Überzeugend ist dies nicht; die soziale Ordnung moderner Gesellschaften kann nicht auf vernünftigem intentionalen Handeln und auf einsehbaren normativen Handlungsregulierungen – und damit auch nicht auf einem Wertkonsens – beruhen. Derartige Vorstellungen sind allenfalls als illusionäre Selbstdeutungen Epiphänomene einer sich hinter dem Rücken der Akteure realisierenden Systemrationalität. Aktueller Konsens wird daher durch die Abstimmung von Erwartungen ersetzt; diese Abstimmung wird dann vor allem durch die Institutionalisierung sehr abstrakter Werte, durch die Generalisierung der Sinngrundlagen geleistet: Es wird dann nicht der ganz unwahrscheinliche Fall eines aktuellen Konsenses beschrieben, vielmehr kommt es darauf an, Konsens erwartbar zu machen. Vgl. dazu nur Luhmann, Rechtssoziologie, 67 f., 106 ff., 262 f. Zu dieser Lösung vgl. nur Gebhardt, Gesellschaftstheorie und Recht, 100 ff. Man beachte, daß Luhmann Werte nicht ontologisch, sondern funktional faßt und damit zu einer materiellen Begriffstransformation greift. 568 Vgl. nur Mayer-Maly, JuS 1986, 596 (599); ders., AcP 194 (1994), 105 (171); vgl. auch Bydlinski, in: Rechtsdogmatik und praktische Vernunft, 189 (208); Eisel, Minimalkonsens und freiheitliche Demokratie, 43 ff., 55 ff. 569 Böckenförde, Staat, Gesellschaft, Freiheit, 60; dazu vgl. nur Jakobs, in: Mehrheitsprinzip, Konsens und Verfassung, 23 (39 f.); Pawlowski, Recht und Moral im Staat der Glaubensfreiheit, 70; allg. auch jüngst im Vergleich zu einem kantischen Republikanismus Niesen, in: Wingert/Günther, Die Öffentlichkeit der Vernunft und die Vernunft der Öffentlichkeit, 568 ff.

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tieren könne, ohne seine Freiheitlichkeit in Frage zu stellen. Nach dieser Ansicht ist auch der Liberalismus in seiner „Emphase von Individualismus, Marktwirtschaft und rechtlich domestizierter Herrschaft“570 auf eine sittlich integrierte Gemeinschaft freier Bürger angewiesen, auf der er ruhe571. Derartigen Konzepten wird vorgeworfen, ihr damit impliziertes Modell einer werte-gegründeten Sozialintegration sei wirklichkeitsfremd572. Richtigerweise ist diese Diskussion für das Verständnis der Gute-Sitten-Klausel nicht weiter relevant. Sie thematisiert die staatstheoretische und politologische Ebene gesellschaftlicher Integration und der normativen Selbstvergewisserung liberaler Demokratien mit dem ihnen inhärenten Problem der metapolitischen Voraussetzungen ihrer Reproduktion. Im Kontext der guten Sitten kommt es nicht auf derartiges, sondern auf das Problem der Verhaltenssteuerung über Verhaltenserwartungen an. Erwartungsordnungen können von individuell-persönlichen Merkmalen abstrahieren. Focussiert wird dann nicht mehr der einzelne Mensch in der ganzen Fülle seiner Erscheinung, wie dies in Intimbeziehungen noch möglich ist. Vielmehr schreiben Erwartungsordnungen dann Verhaltenserwartungen auf der Ebene rollenhafter Erwartungsbündel, auf der Ebene institutionalisierter Entscheidungsregeln (juristisch: Rechtsregeln) oder auf der abstraktesten Generalisierungsstufe der Werte573 innerhalb eines sozialen Systems fest574. Wenn mit Blick hierauf eine außerrechtliche Regel der Sozialmoral als gesellschaftsweit bestehend ausgegeben wird, muß folgendes konzediert werden575: Man kann – erste Reaktionsmöglichkeit – den Bereich der Sittenverletzung auf besonders krasse und unerträgliche Fallgruppen, auf „allgemein anerkannte Elementargebote sittlichen Handelns“576 einschränken577 und damit seiner Überzeugung Ausdruck verleihen, diese Fallgruppen würden 570

May, KritV 80 (1997), 306 (315). Zu dem an Hegel und dessen Unterscheidung von Not- und Verstandesstaat erinnernden Kontext, in den eine derartige Auffassung (die Meinung, der Staat brauche eine sittlich integrierte Gemeinschaft freier Bürger, auf der er ruhe) gestellt ist, siehe Frankenberg, Die Verfassung der Republik, 107 ff., 139 ff.; Schild, in: Brugger (Hrsg.), Legitimation des Grundgesetzes, 65 (94 f.); Mehring, AöR 120 (1995), 177 (195 ff.); ders., in: Brugger (Hrsg.), Legitimation des Grundgesetzes, 111 (125 ff.). 572 Vgl. nur AK-Damm, § 138 Rn. 61. 573 Werte werden dann nicht ontologisch begriffen, sondern als „Gesichtspunkte der Vorziehenswürdigkeit von Handlungen“ (Luhmann, Rechtssoziologie, 88) und damit als Mittel zur Reduktion der Komplexität von Erwartungen und ErwartungsErwartungen im sozialen System beschrieben. 574 Luhmann, Rechtssoziologie, 87 ff.; ders., Soziale Systeme, 1984, 429 ff. 575 Insofern wird der anfängliche pauschale Verweis auf den gesellschaftlichen Pluralismus präzisiert, und damit dem Wunsch Teubners, Generalklauseln, 99, auf präziseres Arbeiten Rechnung getragen. 576 Gernhuber, FamRZ 1960, 326 (328). 571

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im Gesamtbereich der Sozietät gleich bewertet578. Man kann auch versuchen, den Kreis derer zu begrenzen, die die außerrechtliche Wertungen prägen, und sodann die Reichweite derartiger Wertungen auf Teilbereiche beschränken579. Damit nähert man sich stark der zweiten Reaktionsmöglichkeit an. Nach dieser sucht man nicht gesellschaftsweit nach außerrechtlichen Sozialmoralen, sondern hält nur partikulare Bereichsmoralen für das Sittenwidrigkeitsverdikt für relevant580. Man rekurriert damit auf eine eher rollen- und programmgeleitete Konstruktion von Sozialmoral und vermeidet es, gesellschaftsweit nach Sozialmoralen zu fanden, die von der berühmten „Gemeinschaft aller billig und gerecht Denkenden“ geteilt werden. Schließlich kann man sich des Werttopos – dritte Reaktionsmöglichkeit – auch funktionalistisch bedienen. Funktionalistisch gesehen wirken in der modernen Gesellschaft durchaus Werte, indem mit ihrer Hilfe Erwartungserwartungen gestützt und ausgeprägt werden. Diese Funktion können sie aber gesellschaftsweit nur um des Preises ausüben, daß sie nur hochabstrakte, unbestimmte und positiv konnotierte Inhalte (wie etwa „sozial“, freiheitsschützend“) aufweisen, die zudem noch mit positiven Konnotationen verbunden sind, mit denen in einer Art „reflexive(n) ideologischen Verwendung“581 auf emotionale Zustimmung gesetzt und zugleich versucht wird, Handlungen (vermeintlich) zu rationalisieren582. Dieser funktionalistische Ausweg setzt damit auf die Unbestimmtheit von Werten. Ihm gelingt es damit zwar, die gesellschaftliche Pluralität durch einen Kunstgriff einzuebnen. Er bezahlt dies aber praktisch mit einem Verschwinden der außerrechtlichen Sozialmoralen aus der juristischen Argumentation. Denn mit dem Rekurs auf Werte wird weniger auf Argumentation als auf Überredung gesetzt, da in funktionalistischer Perspektive Werte gerade deshalb so überzeugend sind, weil sie nicht näher inhaltlich konkretisiert zu werden pflegen und wie ein unbestimmter Metacode das Rechtssystem von Begründungsparadoxien entlasten583: Für Freiheit ist jeder; was Freiheit ist, weiß jeder anders.

577 Canaris, AcP 1984, 201 (236); Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle, 20; Coester-Waltjen, AcP 190 (1990), 1 (15, 31); angedeutet in MünchKomm-MayerMaly, § 138 Rn. 1; abmildernd ders., AcP 1994, 105 (139). Vgl. auch Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen, 40 f. 578 So deutlich bsp. Bydlinski, in: Rechtsdogmatik und praktische Vernunft, 189 (207). 579 Vgl. dazu Teubner, Generalklauseln, 100 f. 580 Dazu nur AK-Damm, § 138 Rn. 63 ff.; Soergel-Hefermehl, § 138 Rn. 53 ff.; Teubner, Generalklauseln, 92 ff. Kritisch gegenüber gruppenbegrenzter guten Sitten Schachtschneider, Festschrift Thieme, 195 (224). 581 Lenk, Von Deutungen zu Wertungen, 167. 582 Dazu Luhmann, Rechtssoziologie, 88 f.; ders., Das Recht der Gesellschaft, 96 ff.; ders., Die Gesellschaft der Gesellschaft, 797 ff.; Lenk, Von Deutungen zu Wertungen, 167 f.

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Die kurze Skizze zum Problem gesellschaftlicher Pluralität hat gezeigt, daß die Antworten, welche rechtsdogmatisch im Rahmen des § 138 I BGB auf diese Pluralität gegeben werden können, entweder eine Dramatisierung der Guten-Sitten-Klauseln mit sich bringt, indem nur sehr krasse Mißstände zur Sittenwidrigkeit führen. Oder es wird gar nicht mehr von den außerrechtlichen Moralen, sondern nur noch von partikularen Bereichsmoralen gesprochen. Ein anderer – argumentativ wenig tragfähiger – Ausweg besteht allenfalls darin, soziale tradierte Werte nicht argumentativ, sondern als bloß rhetorisches Mittel einzusetzen. Aus der Diskussion kann freilich eines gelernt werden: Der Rekurs auf außerrechtliche Sozialmoralen, insbesondere auf gesellschaftsweit konsentierte und relativ konkrete Werte, ist nicht überzeugend, solange tatsächlich davon ausgegangen wird, es bestünde ein derartiger Konsens584. Man mag dies bedauern, den Verlust eines gemeinschaftlich geteilten Reservoirs an Gerechtigkeitsvorstellungen und damit den Ausfall eines gesellschaftlichen Minimalkonsenses als das Ergebnis eines fehlgeleiteten historischen Prozesses inkrimieren, hierin Degenerationserscheinungen einer überbordenen Herrschaft der privaten Autonomie vor der politischen Autonomie verorten, die beliebige Wählbarkeit von Lebensstilen mit den hieraus resultierenden Toleranzzumutungen585 als in dieser Beliebigkeit nicht tragbar ansehen, der Pluralisierung der Werte diverse Refundamentalisierungsstrategien entgegensetzen, gar für erneuerte substantialistische Sittlichkeitskonzepte plädieren und melancholisch der Werthomogenität vergangener Gesellschaftsformationen nachtrauern oder genau entgegengesetzt die Wertpluralisierung als Gewinn von Vielfalt und Differenzierungschancen sowie als Ausdruck eines „Grundrecht(s) der Differenz und Pluralität“586 begrüßen – ändern läßt sich die Wertpluralität moderner Gesellschaften nicht587.

583 Dazu Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, 214 ff.; ähnliches gilt für die Politik, dazu ders., Die Politik der Gesellschaft, 360 ff. mit Fn. 82. 584 Siehe eindringlich zur Frage, wie denn überhaupt „ein Konsens in einem psychisch aktualisierbaren Sinn“ möglich sein soll, Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, 23 ff., 340 ff. 585 Dazu nur Habermas, Die Einbeziehung des Anderen, 320 ff. 586 Welsch, Unsere postmoderne Moderne, 183. 587 Siehe dazu aus Sicht zivilprozeßrechtlicher Theorie auch Goebel, Rechtsgespräch und kreativer Dissens, 156 ff., 160 f. Innerhalb der politischen Theorie wird die Einsicht, daß in modernen Gesellschaften auch über fundamentale Wertestandards vernünftigerweise ein Dissens bestehen kann, zum Anlaß genommen, die Bürger mit der Aufgabe zu konfrontieren, eigene Anstrengungen zu unternehmen, um sich in einer quasi gelebten Prozedur des Verfassungsstaates gemeinsam auf die Normen des gerechten Zusammenlebens zu einigen, siehe etwa jüngst Habermas, Wahrheit und Rechtfertigung, 302 ff.; und grundlegend ders., Faktizität und Geltung, passim.

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Aus diesem deskriptiv orientierten Befund folgt selbstverständlich nicht, daß auch der normative Befund das gleiche Ergebnis (nämlich eine unrettbar zerstörte Einheit in der Wertung) zeitigen müßte588, wie dies etwa im Kontext postmodernistischer Differenzierungs-Hypertrophien gelegentlich konstatiert wird589 – aus der Kontingenz der Werte folgt ja nicht zugleich ein Plädoyer gegen die Ansprüche etwa einer universalistischen Moral. Nur muß dann konzediert werden, daß die Sollensnorm nicht mehr aus einem klaren empirischen Resultat gleichsam destilliert werden kann, wie dies eben bei dem Projekt durchschimmert, rechtliche Vorgaben im Rahmen des § 138 I BGB aus sozialen Moralen zu gewinnen. Verschiedene normative Konzeptionen der politischen Theorie sehen durchaus Chancen für die Idee eines „Wert“-Konsenses, nur greifen sie dabei zu nur innerhalb ihrer Theorie verstehbaren und ansonsten nur als artifiziell begreifbaren Figuren wie beispielsweise zu der eines „überlappenden Konsenses“590 oder sind eingebettet in den die zeitgenössische Diskussionen in der politischen Philosophie derzeit mit beherrschenden Streit zwischen der liberalistischen Überlieferung und ihrer kommunitaristischen Herausforderung591. In diesem Streit geht es darum, ob es richtig ist, den einzelnen in solche Bindungen eingebettet zu denken, die sich aus partikularen, je verschieden kulturell geprägten und sprachlich vermittelten Hintergrundhorizonten entfalten, oder ob der liberalistische Universalismus diejenige ethische Grundnormen bereitstellen kann, auf die die Vergesellschaftung der Individuen einzig bezogen werden dürfe. Im Rahmen eines rigide die Stellung des in einzelne Lebensformen eingeschlossenen Menschen betonenden Partikularismus mit seinem tradierten, gemeinschaftlich geteilten Vokabular des Guten erscheint natürlich der empirische Verlust gesellschaftsweit beklagter Werte in einem normativ sehr viel günstigerem Lichte. Die Untersuchung, ob derartige Konzeptionen die Dogmatik des § 138 I BGB befruchten können, wäre gewiß ein reizvolles Unterfangen. Geleistet werden kann dies hier noch nicht einmal ansatzweise, da es auf der Hand 588 Dazu siehe aus der Fülle der Literatur nur Höffe, Kategorische Rechtsprinzipien, 53 ff. 589 Zum Problem siehe schon kurz oben § 1 II 4 sowie ausführlich Goebel, ARSP 89 (2003), 372 (379 ff.). 590 Wie dies bei Rawls, Die Idee des politischen Liberalismus, 285 ff., 304 ff., 327 ff.; ders., Politischer Liberalismus, 219 ff., der Fall ist. Siehe dazu auch ReeseSchäfer, Grenzgötter der Moral, 602 ff., 615 ff. 591 Siehe zur Diskussion um Kommunitarismus und Liberalismus nur Reese-Schäfer, Grenzgötter der Moral, 1997; Forst, Kontexte der Gerechtigkeit, 1996; Kymlicka, Politische Philosophie heute, 1997; sowie die Beiträge in den Sammelbänden von Honneth (Hrsg.), Kommunitarismus, 1993; Brumlik/Brunkhorst (Hrsg.), Gemeinschaft und Gerechtigkeit, 1993. Zum Problem siehe auch kurz oben § 3 III 2, § 10 V 2 b sowie Goebel, ARSP 89 (2003), 372 (381 f.).

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liegt, daß eine einfache Eins-zu-Eins-Übertragung von Figuren innerhalb diverser Theorien politischer Gerechtigkeit auf rechtsdogmatische Interpretationsprobleme der Gute-Sitten-Klausel nicht angängig ist. Nach all dem ist zumindest ein Hinweis für die Dogmatik des § 138 I BGB gewonnen: Allenfalls ein rein innerrechtliches Verständnis der Gute-Sitten-Klausel ohne Verweis auf soziale Moralen enthebt die rechtsdogmatische Arbeit an § 138 I BGB von nicht mehr einlösbaren Hoffnungen auf einen gesellschaftsweiten Wertkonsens, der zu Beginn der Kodifikation des BGB dazu dienen sollte, die für das Sittenwidrigkeitsurteil relevante soziale Moral zu ermitteln. 2. Sozialmoral und das Gewicht personaler Entfaltung a) Die Sicht der normativen Pluralismustheorie Aus dem empirischen Befund, die moderne Gesellschaft sei in ihrem Wertverständnis plural verfaßt, können auch normative Einsichten gewonnen werden. Es heißt dann, in die Gute-Sitten-Klausel dürften außerrechtliche Sollensordnungen aus normativen – staatstheoretischen und verfassungsrechtlichen – Gründen nicht einbezogen werden. Hierfür exemplarisch steht der Ansatz Pawlowskis. In ihn spielt freilich sehr viel hinein: Staatstheorie, Rechtsphilosophie und Rechtsdogmatik. Staatstheoretisch unterscheidet Pawlowski den Toleranzstaat und den pluralistisch verfaßten Staat592. Der Toleranzstaat fuße auf einem gemeinsamen Glauben oder auf einem Wertkonzept und erkenne in den Entscheidungen von Dissidenten irrende Entscheidungen, die duldend toleriert, nicht jedoch akzeptiert werden. Aufgrund dieser mangelnden Akzeptanz könnten Dissidenten einen derartigen Staat nicht als ihren Staat anerkennen. Beispielhaft führt Pawlowski die Situation in der Bundesrepublik der 50er Jahre an593. Der grundgesetzlich verfaßte Staat der Gegenwart wird hingegen als pluralistischer Staat beschrieben, der auf der Glaubensfreiheit seiner Bürger – auf das individuelle Selbstverständnis des Rechtssubjekts in den historisch überkommenen Zuordnungen des Art. 2 GG (Persönlichkeitsentfaltung) und Art. 4 GG 592 Vgl. dazu und zum Folgenden Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 832 ff.; ders., in: Die praktische Philosophie Schellings und die gegenwärtige Rechtsphilosophie, 13 ( 14 ff.); ders., JRR 12 (1986), 113 (126 f.); ders., Festschrift Wildenmann, 172 (181 ff.); ders., Festschrift Troller, 31 (44 ff.); ders., Recht und Moral, 37 ff.; ders., Der Staat 1989, 353 ff.; vgl. auch Smid, Der Staat 1985, 3 (14 ff.). Die Pawlowskische Staatstheorie kann auch in prozessualen Zusammenhängen fruchtbar gemacht werden, nämlich wenn es um das zivilprozeßrechtsdogmatische Problem des Rechtsgesprächs geht, siehe dazu Goebel, Rechtsgespräch und kreativer Dissens, 180 ff. 593 Beispielsweise in: Die praktische Philosophie Schellings, 13 (16 Fn. 6); ders., Recht und Moral, 37.

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(Glaubens- und Gewissensfreiheit)594 – und damit nicht mehr auf einem allen gemeinsamen Glauben oder Wertkonzept aufbaue595: Das Recht sei hier der einzige Normkomplex, der allen Bürgern gemein sei596. Freilich mag man hier sofort einwenden, über die Verweisungsnorm des § 138 BGB würde Sozialmoral doch ohne weiteres Rechtsqualität erringen, so daß Pawlowski letztlich tautologisch argumentiere. Dieser Einwand ist jedoch wenig überzeugend. Denn das objektive Recht beschreibt Pawlowski im Anschluß an Hans Ryffel597 nicht als Komplex von vorgegebenen Normen, sondern versteht die Rechtsordnung als aufgegebene Ordnung, in der das Richtige als das gemeinsam Richtige gemeinsam erst erarbeitet werden muß, u. a. auch durch die Beteiligung der Bürger als autonome Subjekte am Rechtsleben. Recht meint hier dann die lebendige, sich stetig wandelnde Einheit der Rechtsordnung, wie sie konkret in Rechtsgeschäften, Urteilen, Übungen etc. erscheint, also als geschichtlicher Prozeß, als Ergebnis der gegenseitigen Verständigung der einzelnen Subjekte598 – nur in zweiter Linie rückt das abstrakte Gesetz ins Blickfeld599. Wenn Recht aber erarbeitet werden muß, kann es nicht Sozialmoralen inkorporieren, die in ihrer Partikularität nicht als Ergebnis der Verständigung autonomer Subjekte verstanden werden können. Letztlich fußt die Pawlowskische Variante des normativen PluralismusArguments damit in einem bestimmten Verhältnis von Recht und autonomen Subjekt: Recht wird als Ordnung autonomer Subjekte begriffen, die es als ihr Recht erkennen und anerkennen600. Das Recht müsse in einem derartigen Staat so beschaffen sein, daß es von allen Wertüberzeugungen her 594

Vgl. nur Pawlowski, in: Die praktische Philosophie Schellings, 13 (38). Vgl. zu diesem Prinzip der Nicht-Identifikation nur Ellwein, in: Bedürfnisse, Werte und Normen im Wandel, Bd. 1, 29 (32 ff.). 596 Darauf verweist dezidiert auch Schachtschneider, Festschrift Thieme, 195 (213 f.), der mit einem material-wertethischen Verständnis der guten Sitten die Aufhebung der bürgerlichen Autonomie verbindet und das Recht freier Menschen zum unterschiedlichen werten negiert sieht. 597 Vgl. dazu nur Ryffel, Grundprobleme der Rechts- und Staatsphilosophie, 269 ff. 598 Die Autonomie des Subjekts wird hier in der Tradition des deutschen Idealismus als „die Verbindung von – allgemeiner – ,Natur‘ und ,Vernunft‘ im ,Geist‘“ (Pawlowski, JRR 12 (1986), 113 (122)) verstanden. 599 Pawlowski, Rechtsgeschäftliche Folgen nichtiger Willenserklärungen, 280 f.; ders., ZZP 80 (1967), 345 373); ders., ARSP 1964, 503 (514 f.). 600 Recht wird hier nicht allein als Zwangsordnung begriffen, sondern als Instrument der Verwirklichung der Freiheit des Subjekts. Der einzelne kann Recht als sein Recht denken, da er zur Allgemeinheit fähig ist und Rechtspflichten als selbstgesetzt begreifen kann – in der Begründung des Rechts durch den Verweis auf partikulare Moralordnungen könnte der einzelne das Recht hingegen nicht mehr als sein Recht erkennen. 595

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als ein Versuch zum Richtigen verstanden werden könne. Anders gesagt: Recht müsse Anschlußrationalität aufweisen und dürfe sich nicht mehr durch ihm vorausliegende Begründungen (etwa: Moral) begründen, dürfe also keine Begründungsrationalität zeigen und dürfe nicht im Kampf moralischer Meinungen Stellung beziehen601. Der herrschende Rekurs auf Grundwerte oder ein ethisches Minimum im Kontext des Rechtlichen führe daher zwangsläufig zum bloßen, Dissidenten lediglich duldenden Toleranzstaat und müsse daher unterbleiben. Nach all dem formuliert Pawlowski also eine recht starke These: Soziale Moralen dürften bei der Anwendung des § 138 I BGB generell keine Rolle spielen. Im folgenden wird versucht, zumindest für den Bereich der Entfaltung personaler Rechte und damit auch für die Testierfreiheit zu zeigen, daß diese These berechtigt ist. b) Der hohe Wert personaler Entfaltung Das Konzept von Pawlowski gründet sich auf Prämissen, die nicht ohne weiteres einsichtig sind – man denke nur an die von ihm bemühte Konstruktion des autonomen Subjekts im Gefolge der Hegelschen Vernunftmetaphysik, das Rechtspflichten als selbstgesetzt begreifen kann. Eine Konfrontation mit neueren rechtstheoretischen Ansätzen erscheint hier durchaus aussichtsreich. Zu nennen wären hier etwa solche Ansätze, die das Subjekt als fragmentiert beschreiben602 – bsp. als Umwelt verschiedener Subsysteme603 oder als relationale Persönlichkeit im Schnittpunkt einer Pluralität von Systemreferenzen604, oder solche Ansätze, die dem klassischen Subjekt nicht mehr zutrauen, seine Fähigkeit zur Selbstaufklärung und Autonomie gegenüber den Verstrickungen in die Besonderungen der realen Welt allein zu behaupten. Die zuletzt genannten Ansätze lösen die idealistische Anknüpfung des Subjekts an eine an die Form der abstrakten Regel (Kant) oder an eine historische Dialektik (Hegel) gebundene allgemeine Vernunft auf605. Die Erarbeitung von Problemlösungen wird vielmehr der Intersubjektivität des Diskurses anvertraut606. Diese „Auflösung des Bewußtseinssubjekts in der Intersubjektivität des Sprachsubjekts“607 führt zu einer radi601 Pawlowski, Einführung in die Juristische Methodenlehre, Rn. 7 ff., 12 ff., 21 ff., 35 ff., 292 ff.; ders., in: Die praktische Philosophie Schellings, 13 (16 f., 22); ders., ARSP 1964, 503 (508 f., 513 f.). 602 Dazu schon oben § 10 IV 3 b. 603 Prototypisch Teubner, Recht als autopoietisches System, 59 f.; Luhmann, Rechtssoziologie, 133; ders., Das Recht der Gesellschaft, 35; vgl. dazu auch Goebel, Zivilprozeßrechtsdogmatik und Verfahrenssoziologie, 402 ff. 604 Prototypisch Ladeur, ARSP 1994, 407; ders., Postmoderne Rechtstheorie, insbes. 176 ff. und passim. 605 Dazu nur Ellrich, Zeitschrift für Philosophische Forschung 1992, 24 ff.

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kalen Abkehr vom subjektivistisch-mentalistischen Paradigma608 idealistischen Denkens, wie es der Pawlowskischen Theorie zugrundeliegt. Dennoch braucht eine derartige Konfrontation609 hier ebensowenig geleistet zu werden, wie eine Kritik des Pawlowskischen Formalismus610, wenn das Problem, um das es hier geht (also das Verhältnis zwischen außerrechtlichen Imperativen der Sozialmoral und dem objektiven Recht), rechtlich vorentschieden ist – was für eine rechtsdogmatisch orientierte Arbeit im Zentrum des Interesses steht611. Nun schützt das geltende Verfassungsrecht 606 Prototypisch zu dieser Verortung der Vernunft in einer kommunikativen Rationalität Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne, 1985; ders., Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 1 und 2, 1987. 607 Ladeur, Postmoderne Rechtstheorie, 14. 608 Dazu vgl. nur den kurzen Überblick bei Goebel, Zivilprozeßrechtsdogmatik und Verfahrenssoziologie, 412 f. 609 Es ist nicht verwunderlich, wenn die Auseinandersetzung mit dem Pawlowskischen Konzept der Konstitution des Subjekts und des Rechtlichen fruchtbar allein auf rechtstheoretischer Ebene geführt werden kann, da dogmatisch die Konzeption nur dann in sich nicht schlüssig ist, wenn die rechtstheoretische Perspektive gewechselt wird. Deutlich wird dies beispielsweise bei Singer, Selbstbestimmung, 77 f., der von seiner theoretischen Plattform aus den Pawlowskischen Rekurs auf die Vernunft als Fiktion, als normative Forderung klassifizieren muß, hierbei die Vernünftigkeit des freien Willens bei Pawlowski augenscheinlich als Eigenschaft eines empirischen Subjekts ansieht und damit den vernunftmetaphysischen Ausgang Hegelscher Prägung bei Pawlowski zwangsläufig nicht treffen kann. Von dieser Warte aus wird dann beispielsweise die Pawlowskische Konzeption des § 119 BGB als Billigkeitsrecht zugunsten der Durchsetzung des empirischen Willens vor dem Hintergrund der Richtigkeit der nicht angefochtenen Willenserklärungen auf der Grundlage des vernünftigen, freien Willens (Pawlowski, Willenserklärung, 316 ff.) bei Singer (ebda., 78) als weder dem tragenden Grund der Anfechtung noch ihrem Gerechtigkeitsgehalt entsprechend bewertet. Es liegt hier auf der Hand, daß damit einerseits die theorieimmanente Folgerichtigkeit der Pawlowskischen Auffassung nicht angegriffen werden kann und andererseits dogmatikimmanent allein der Rekurs auf einen tragenden Grund der Anfechtung und ihrem Gerechtigkeitsgehalt nicht überzeugen kann. Deutlicher fällt hingegen die dogmatikimmanente Bewertung des Pawlowskischen Ansatzes bei Hönn, Vertragsparität, 20, aus, wenn dort auf die Gefahr einer Einschränkung realer Selbstbestimmung unter dem Deckmantel allgemeiner Freiheit hingewiesen und damit explizit auf ein rechtsdogmatisches Folgenargument Bezug genommen wird. 610 Zur Kritik siehe nur Somek, Rechtssystem und Republik, 1992, 405 ff. 611 Freilich wäre es verfehlt, aufgrund des Verweises auf rechtsdogmatische Zusammenhänge zu meinen, nunmehr könne von den Verstrickungen in rechtstheoretische, speziell privatrechtstheoretische Konzeptionen Abstand genommen werden. Die jeweilig vorhandene rechtstheoretischen Grundlagen sichern immer latent hintergründig das rechtsdogmatische Vokabular vor einem Zusammenbruch, dazu etwa mit Bezug auf die dogmatische Argumentation mit Werten siehe nur Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, 214 ff. Der Verweis auf Rechtsdogmatik sichert also vornehmlich den Wertungseinklang des Rechts: Da an rechtliche Vorentscheidungen vor dem Hintergrund einer je spezifischen Rechtstheorie angeknüpft wird, wird

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die persönliche Entfaltung des einzelnen und die Glaubens- und Gewissensfreiheit – also das Personale – umfassend; das „gute Leben“ ist heute durch den konkreten Menschen als Träger von Bedürfnissen, Wünschen und Wertungen – durch sein eigendefiniertes Selbstverständnis – bestimmt. Es kommt dann nur darauf an, wie dieser Schutz zu verstehen ist – der durch Pawlowski bewerkstelligte relativ abstrakte Verweis auf die Pluralität der modernen Gesellschaft und die hieraus fließende Pluralität im Normativen kann dann auf die konkrete Ebene der grundgesetzlich verfaßten Ordnung zurückgeführt werden. Auf dieser konkreten Ebene wird dann das rechtliche Verhältnis des Rechtssubjekts zu den gesellschaftlichen Imperativen als ein Problem der grundrechtlichen Freiheit zur personalen Entfaltung, Identifikation und Identität rekonstruiert. Eine derartige Entfaltung der Persönlichkeit und der Freiheit im Glauben, im Gewissen und im Selbstverständnis ist innerhalb eines Kontinuums graduell abstufbar. Dieses Kontinuum ist durch zwei Extrempole begrenzt. Der eine Pol wird markiert durch den Kern dessen, was als personale Identität erfaßt wird. Der andere Pol umschließt den Bereich der nicht als genuiner Ausdruck des Personalen gemeinhin begriffenen Willensherrschaft im vor allem wirtschaftlichen Bereich. Kurz gesagt, die Entfaltung der Persönlichkeit und der Freiheit im Glauben, im Gewissen und im Selbstverständnis oszilliert zwischen dem Identitätskern des Personalen auf der einen und dem Bereich der nicht persönlichkeitsstiftenden Willkür auf der anderen Seite. Der Rechtsordnung bleibt es unbenommen, hier Markierungspunkte einzubauen, nach denen die Persönlichkeit des einzelnen rechtlich geschützt oder auch nicht geschützt wird. Bei der Gewissensfreiheit (Art. 4 I GG) wird die Markierung anhand der Ernstlichkeit sowie der bindenden und unbedingt verpflichtenden Kraft der moralischen Haltung612 geleistet – das Gewissen sichert so die Identität der Persönlichkeit mit sich selbst613 –, während bei der Persönlichkeitsentfaltung beim allgemeinen Persönlichtheorie-relativ zumindest „Anschlußrationalität“ (Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 891 ff.) gewährleistet und werden Wertungswidersprüche im Recht vermieden. 612 BVerfGE 12, 45 (55); Bethge, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, Rn. 10 f. Das Verständnis des Gewissens als innerer Zwang blieb freilich nicht unwidersprochen: Das Gewissen würde dann als pathologischer Zustand, das Grundrecht dann als Grundrecht für Sonderlinge beschrieben, so bsp. Eckertz, Kriegsdienstverweigerung, 62 ff.; Smid, Rechtsphilosophie, 97 f.; Franke, AöR 114 (1989), 7 (22 f.). Diese Kontroverse betrifft im einzelnen die Dogmatik der Gewissensfreiheit und kann hier dahingestellt bleiben, da es nur darauf ankommt, den Anschluß des hier diskutierten Problems an die Dogmatik des Personalen aufzuzeigen (dazu näher unten), die Dogmatik selbst dabei aber als eine Art „black box“ weitgehend auszusparen. 613 Böckenförde, Staat, Gesellschaft, Freiheit, 274, im Anschluß an Niklas Luhmann. Dazu auch Eckertz, Kriegsdienstverweigerung, 60 ff.

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keitsrecht (Art. 2 I GG) nach Verabschiedung der Sphärentheorie614 mit ihrer unklar abgegrenzten Trichotomie von Intim-, Privat- und Sozialsphäre der Bereich des geschützten Selbstverständnisses nach herrschender Meinung auf die engere persönliche Lebenssphäre615 begrenzt ist616. Indessen ist der Rekurs auf die Artt. 2 I und 4 I GG nur ein Beispiel für die Wertungen, mit denen das Recht das Verhältnis zwischen Rechtsperson und den gesellschaftlichen Sollensordnungen austariert. Darüberhinaus kommt es ganz allgemein auf menschliche Integrität und Identität, auf das von bestimmten Rollen dissozierte Selbst, auf Rollentranszendenz, Authentizität und Selbstdefinition im Kontext des Sozialen an617. So wird beispielsweise auch die soziale Dimension des Schutzes der eigenen Identität durch die Gewährleistung der Darlegung eigener Meinungen umfassend im Rahmen einer Abwägungsdogmatik geschützt, bei der die Persönlichkeit des Betroffenen als „Gewichtsverstärker“618 dient619. Das Recht zeichnet nach all dem das personale Selbstverständnis der einzelnen Rechtsperson als etwas besonders schützenswertes aus. 3. Personale Entfaltung und soziale Moralen a) Personales Selbstverständnis und objektiver Tatbestand des § 138 I BGB Nun ist nicht gleich einsichtig, was aus dem Gemeinplatz, das personale Selbstverständnis der einzelnen Rechtsperson sei rechtlich besonders geschützt, für das Sittenwidrigkeitsverdikt folgt. Was verbindet eigentlich das Sittenwidrigkeits-Verdikt und das personale Selbstverständnis überhaupt miteinander? Immerhin zielt § 138 BGB ja auf das Rechtsgeschäft als Regelung, nicht auf die Bewertung isolierter Verhaltensweisen, Moralvorstellungen oder Personen620. Kann das Selbstverständnis des einzelnen über614 Dazu AK-GG-Podlech, Art. 2 Abs. 1 Rn. 38; Steinmüller u. a., BT-Drucks 6/ 3826, 48 ff. 615 BVerfGE 54, 148 (153); dazu nur Jarass, NJW 1989, 857. 616 Auch Pawlowski schichtet im Zusammenspiel von allgemeinem Recht und besonderer Moral nach dem individuellen Selbstverständnis ab (Pawlowski, in: Die praktische Philosophie Schellings, 13 (43 ff.); ders., Der Staat 1989, 353 (369 f.)). Er bezieht dies jedoch auf legislatorische Kompetenzen und nicht – wie hier – auf den Einbezug von Sozialmoral in das Recht. 617 Vgl. allgemein zum Kriterium des Selbstverständnisses Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 69 ff., 165 ff., 213 ff., 309 ff.; Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, passim; kritisch insoweit – nicht verwunderlich – Isensee, Wer definiert die Freiheitsrechte, passim. 618 Morlok, Selbstverständnis, 87. 619 Vgl. dazu im Kontext personaler Selbstdefinition nur Morlok, Selbstverständnis, 83 ff.

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haupt auf die Bewertung eines Rechtsgeschäfts als Regelung Einfluß gewinnen? Dies ist in der Tat der Fall. Personale Entfaltung läßt sich vor allem in den intentionalen, motivationalen Begleitumständen des Rechtsgeschäfts festmachen. Diese subjektiven Faktoren müssen bei der Beurteilung seiner Sittenwidrigkeit herangezogen werden – aber (und dies ist entscheidend) in einer ganz bestimmten Art und Weise. Es geht hier nicht um die zunehmend kontrovers beurteilte Frage nach der Relevanz subjektiver Beweggründe für das Sittenwidrigkeitsurteil, die von verwerflicher Gesinnung über das Bewußtsein der Sittenwidrigkeit bis zur Kenntnis der das Sittenwidrigkeitsurteil konstituierenden objektiven Umstände reicht. Dieses Problem des subjektiven Tatbestands des § 138 I BGB betrifft den Funktionswandel der Guten-Sitten-Klausel zu marktbezogener Sittenwidrigkeit und konstitutionalisiertem ordre public. Die Dogmatik rekurriert hier auf den Interventionsbedarf vor allem in wirtschaftsrechtlichen Fallgestaltungen im Kontext von Verbraucherschutz und Orientierungssicherheit621 und stellt dort den Vorwurfscharakter der Sittenwidrigkeitsdrohung zur Objektivierung der Sittenklausel um622. Dieser subjektive Tatbestand des § 138 BGB steht bei der Frage, welche Verbindungen zwischen dem Sittenwidrigkeits-Verdikt und dem personalen Selbstverständnis rechtlich überhaupt gestiftet sind, nicht zur Debatte. Vielmehr geht es um den Einfluß des subjektiven Kriteriums „Selbstverständnis der Rechtsperson“ auf die Interpretation des objektiven Tatbestands des § 138 BGB selbst. In anderen Worten: Es steht in Rede, ob bei § 138 I BGB an soziale Moralen angeknüpft werden soll, oder ob die Sittenwidrigkeits-Klausel als Instrument beschrieben wird, mittels dessen beispielsweise ungeschriebene gesetzliche Verbote implementiert sind – als Instrument mithin, mit welchem die Allgemeinheit des Rechts (und nicht die Partikularität herrschender Sozialmoralen) avisiert wird. Für diesen Rekurs auf die Allgemeinheit des objektiven Rechts können vor allem zwei Argumente angeführt werden. b) Argument I: Interessenabgrenzung allein durch den Gesetzgeber Für ein Verständnis des § 138 I BGB als einer Norm, anhand derer keine soziale Moralen inkorporiert werden, spricht verfassungsrechtlich, daß sedes materiae der Abgrenzung des Bereichs des rechtlich geschützten Perso620

Flume, AllgT II, § 18, 2a; Soergel-Hefermehl, § 138 Rn. 19. Damm, JZ 1986, 903 (918, 920 ff.). 622 Mayer-Maly, Bewußtsein der Sittenwidrigkeit, 25 ff., 33 ff.; Lindacher, AcP 173 (1973), 124 (126 ff.); Damm, JZ 1986, 903 917 f.; AK-ders., § 138 Rn. 14, 77 ff., 86; Soergel-Hefermehl, § 138 Rn. 37 ff.; vgl. auch die Übersicht bei StaudSack, § 138 Rn. 61 f. 621

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nalen (der Lebensentwürfe und -regeln des einzelnen) und des Bereichs sozialer Imperative (der in sozialen Moralen zum Ausdruck kommenden Lebensentwürfe und -regeln der in einer Sozietät zusammengeschlossenen Mehreren) das objektive Recht ist, das selbst die verschiedenen Lebensentwürfe untereinander zum Ausgleich bringt und so grundrechtlich geschützte Sphären gegeneinander (beispielsweise durch geschriebene oder ungeschriebene gesetzliche Verbote des objektiven Rechts) abgrenzt. Der Gesetzgeber ist primär aufgerufen, Interessen (Sozialmoral) und Rechte (des rechtsgeschäftlich Handelnden) gegeneinander abzugrenzen623. Nur so ist ein Kompromiß zwischen einem grundrechtskonformen Interessenausgleich auf der einen und der Notwendigkeit möglich, auf der anderen Seite durch Verläßlichkeit und Berechenbarkeit der Privatrechtsordnung die Grundlagen für die Privatautonomie zu erhalten624. Das überkommene Privatrecht besitzt einen erheblichen freiheitssichernden und rechtsstaatskonformen Eigenwert625. Der Rekurs allein auf das objektive Recht (und damit nicht: auf Sozialmoral) ist im Zusammenhang der Guten-Sitten-Klausel schon deshalb sinnvoll, weil damit Grundrechte in ihrer Schutzfunktion maximiert werden. Denn durch die Selbstgenügsamkeit des Staats, der vom einzelnen Rechtsgehorsam verlangt, ohne daß der Staat sich bestimmte Weltanschauungen zu eigen macht, wird der einzelne davor bewahrt, sich außerrechtlichen Handlungsmaximen unterwerfen und damit auf die formale freiheitssichernde Rationalität des Rechts verzichten zu 623 Zum Problem der Abgrenzung grundrechtlich geschützter Rechtssphären durch den Gesetzgeber vgl. nur BVerfGE 30, 173 (199); 52, 131 (153); 79, 174 (201 f.); Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, 951 f., 1577 ff.; Enders, AöR 1990, 610; Preu, JZ 1991, 265; Wahl/Masing, JZ 1990, 553; Höfling, Vertragsfreiheit, 54 f.; Singer, Selbstbestimmung, 33 ff.; Oeter, AöR 119 (1994), 529 (537 f.). Wenngleich es hier um das Verhältnis Legislative – Judikative geht, gelten ähnliche Erwägungen auch im Rahmen des § 138 I BGB, näheres siehe unten. Speziell zur Begrenzung und Abgrenzung des Gewissens mittels kollidierenden Verfassungsrechts bei vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechten durch das die Kollision austarierende einfache Gesetzesrecht vgl. nur BVerwGE 90, 112 (122 f.); Bethge, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, Rn. 29, 32; Herdegen, Gewissensfreiheit und Normativität des positiven Rechts, 206 ff. Dieser Form der Kollisionsbewältigung wird freilich im Kontext der Gewissensfreiheit nicht allgemein zugestimmt, vgl. nur Tiedemann, Der Staat 1987, 371 (385 ff.), der bei dieser Kollisionsbewältigung Gewissensfreiheit nur solange als gewährt ansieht, wie es sich die Staatsräson leisten kann. Vgl. zum Konflikt des von einzelnen Rechtsgeboten abweichenden Gewissens und damit zum nicht-materialen Gehalt der Glaubens- und Gewissensfreiheit und zur Relativität des Rechtsgehorsams nur Tiedemann, Der Staat 1987, 371 (377 ff.); Eckertz, Kriegsdienstverweigerung, 51 ff.; Franke, AöR 114 (1989), 7 (12 f.); Herdegen, ebda., 28 ff., 65 ff., 192 ff., 207 ff., 225 ff. 624 Krause, JZ 1984, 656 (660). 625 Vgl. nur Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, 1579; v. Mangoldt/Klein-Starck, Art. 1 III Rn. 197 m. w. Nachw.

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müssen626. Das Insistieren auf die Allgemeinheit des Rechts im Rahmen des § 138 I BGB und im Bereich der Konstitution von Person, Identität und Intimität erschließt dann die Differenzierungschancen des modernen Rechts, mit denen personale Autonomie sehr viel differenzierter gesichert werden kann, als es ein bloßer Verweis auf soziale Moralen je leisten könnte627. Angesichts der überragenden Bedeutung, die die Rechtsordnung allgemein der rechtlichen Konstitution des Personalen zumißt628, ist es daher nicht ratsam, die Sphärenabgrenzung primär zugunsten der Sozialmoral zu lösen, damit für ihren Einbezug über § 138 I BGB zu votieren und die Rechte und Interessen des einzelnen allenfalls über die innerrechtliche Rezeptionskontrolle sozialer Imperative zu berücksichtigen. Es entspricht der Bedeutung des Personalen eher, dem Gesetzgeber (theoretisch adäquater: dem innerjuristischen Diskurs629) die Balancierung mit den Anforderungen der Sozietät anzuvertrauen. Die Gegenfrage liegt dann freilich auf der Hand: Hat nicht eben der Gesetzgeber durch die Bezugnahme auf soziale Moralen in § 138 I BGB die Sphärenabgrenzung spezifisch geleistet? Wäre dem so, liefe die bisher vorgetragene Argumentation zur legislativen Prärogative zur Abgrenzung von Freiheitssphären gegenüber dem Einbezug der Sozialmoral weitgehend ins Leere. Ein solcher Einwand unterschlägt jedoch, daß der Gesetzgeber mit dem bloß formalen Verweis auf Außerrechtliches gerade keine differenzierte, eigenverantwortliche Abgrenzung nach eigenkonstruierten und genau spezifizierten Kriterien leisten würde. Die Allgemeinheit des Rechts sichert zudem zumindest tendenziell, dem aus dem Gebot weltanschaulich-religiöser Neutralität der staatlichen Gewalt – dem Prinzip der Nicht-Identifikation des staatlichen Legalitätsanspruchs und der Gesinnung des einzelnen 626 Formale Rationalität verweist dabei nicht auf die Diktion Max Webers, der die formelle Zweckrationalität des modernen Rechts der material-rationalen Wertlogik einer Verbindung von Ethik, Politik und Recht gegenüber stellt. Der Webersche Gegensatz zwischen formeller und materieller Rationalität des Rechts ist heute weitgehend überwunden; Reflexivität und Prozeduralität einher mit einer weitreichenden Materialisierung des Privatrechts scheinen heute eher die Entwicklungslinien des ehemals formalen Zivilrechts nachzuzeichnen (vgl. nur Röhl, Rechtssoziologie, 558 ff.; Wieacker, FS Coing, Bd. 1, 703 ff.; Eder, ZfRSoz 1986, 1 ff.). Formale Rationalität des Rechts versteht sich hier daher nicht in der Tradition der verschiedenen Entwicklungshypothesen des Rechts, sondern verweist auf den Mechanismus einer rechtlichen Gleichbehandlung des wesentlich Gleichen nach allgemeinen Regeln und damit zugleich auf die Autonomie des Rechts. 627 Dies übersieht die Kritik von Schmoeckel, AcP 197 (1997), 1 (36 f.). 628 Dazu nur Otto, Personale Freiheit und soziale Bindung, 1978; Fezer, Teilhabe und Verantwortung, 1986. 629 Siehe zur Einsicht, daß der Gesetzgeber bei Lichte betrachtet nur Texte in den Diskurs über das Recht einspeist, Goebel, Rechtsgespräch und kreativer Dissens, 117 f. und öfters.

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(Herbert Krüger)630 – folgenden Verbot zu folgen, die Richtigkeit einer Gewissensentscheidung oder einer spezifischen Entfaltung des personalen Selbst zu überprüfen631. Denn der Grundsatz liberaler Neutralität fordert, daß umstrittene ethische Werte nicht als Grundlage allgemeiner Normen dienen dürfen – und genau dies würde geschehen, wenn nichtgesellschaftsweit geltende soziale Moralen zur rechtlichen Grundlage des Sittenwidrigkeitsurteils erhoben würden, so daß als Folge Bürger über § 138 I BGB zu einem Verzicht auf eine Lebensweise gezwungen würden, der nicht allgemein (eben in dem Sinne, daß sich alle Bürger als gemeinsame Autoren der Norm verstehen können) verlangt werden könnte. Die Gleichheit der Bürger würde mithin zerstört, da aus der Vielfalt miteinander inkommensurabler Konzeptionen des Guten einzelne herausgegriffen und gesellschaftsweit verbindlich gemacht würden. Dem entspricht der staatstheoretische Befund, daß in einer pluralistischen Gesellschaft mit ihren konkurrierenden Orientierungsangeboten nur ein selbstverständnisunabhängiges Recht den gemeinsamen Schranken- und Ordungsrahmen bilden kann; nur dann bleibt trotz der Steigerung des Dissenspotentials die Freiheit des einzelnen gesichert632. c) Argument II: Notwendige Gegentendenzen zur Verrechtlichung sozialer Normen Doch nicht nur verfassungsrechtlich aus der Perspektive des jeweilig Testierenden her ist ein Hochwerten außerrechtlicher Moralen als Grenze personaler Entfaltung fragwürdig. Auch aus dem Blickwinkel der Sozietät selbst wäre ein derartiges Hochwerten – zweites Argument – unangemessen. Denn die Verrechtlichung sozialer Normen bildet tendenziell mit einen Baustein dafür, daß der implizite Verweisungszusammenhang kultureller Überlieferung und legitimer Ordnung, in den unmittelbar erlebte zwischenmenschliche Beziehungen eingesponnen sind, instrumentell-zweckrationalen Imperativen systemisch-rechtlichen Handelns unterworfen wird633. Vor diesem Hintergrund fördert eine Entrechtlichung sozialer Normen die Einbin630

Dazu Krüger, Allgemeine Staatslehre, 178 ff. BVerfGE 12, 45 (56); BVerwG NJW 1970, 1653; Böckenförde, Staat, Gesellschaft, Freiheit, 276; Franke, AöR 114 (1989), 7 (15). Dazu auch Eckertz, Kriegsdienstverweigerung, 55 ff. Allg. siehe zum Problem staatlicher Neutralität aus der Fülle instruktiv Somek, Abwägungsregeln, 17 ff., 20 ff.; Forst, Kontexte der Gerechtigkeit, 56 ff. 632 Vgl. dazu nur Krüger, Allgemeine Staatslehre, 167 ff.; Morlok, Selbstverständnis, 331 ff. 633 Vgl. zur Habermasschen These einer fortschreitenden Kolonialisierung der Lebenswelt nur Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 2, insbes. 489 ff.; und den kurzen Überblick bei Goebel, Zivilprozeßrechtsdogmatik und Ver631

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dung des einzelnen in seine Lebenswelt634. In lebensweltlichen Zusammenhängen wird personale Identifikation und Identität dann sehr viel besser greifbar. Hier schließt sich der Kreis: Indem soziale Moralen nicht über § 138 I BGB verrechtlicht werden, werden lebensweltliche Zusammenhänge nicht mit rechtlich sanktionierter Macht ausgestattet. Erst dadurch eröffnet sich die Möglichkeit, personale Identität jenseits rechtlicher Bindung allein vor dem Hintergrund etwaiger sozialer Sanktionen aufzubauen. Die rechtliche Irrelevanz sozialer Moralen wirkt so – und dies ist der entscheidende rechtsdogmatische Gesichtspunkt – explizit freiheitssichernd. Im Bereich der Glaubens- und Gewissensfreiheit – deren Schutzbereich auch das gewissensgemäße Handeln und damit auch das gewissensgeleitete Testieren umfaßt635 – sowie des auf die persönliche Lebenssphäre beschränkten allgemeinen Persönlichkeitsrechts – dort im Rahmen personaler Integrität und Identität mit ihrer eigendefinierten Sinnstiftung und Sinnverwirklichung – entzieht sich das eigendefinierte Selbstverständnis deshalb jeglicher Bindung an soziale Imperative und weiß sich allein den allgemeinen Normen des Rechts unterworfen. Die Interpretation der Sittenklausel schließt so an die Dogmatik des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und der Glaubens- und Gewissensfreiheit an, von der sie ihre Kriterien für die Abgrenzung relevanten Selbstverständnisses und persönlicher Indifferenz erhält636.

fahrenssoziologie, 417 ff. Im Kontext personalen Selbstverständnisses vgl. nur Morlok, Selbstverständnis, 264 ff. 634 Hier liegt auch zivilprozessual ein Schwerpunkt der Diskussion um Alternativen zum Recht. So wird bsp. die Einbettung zahlreicher Konflikte in die normative Umgebung partikularer Systeme kommunitaristischer Normen dazu benutzt, schmiegsame Formen der Konfliktbewältigung jenseits ihrer verrechtlichen Gestalten zu portraitieren, vgl. dazu nur Goebel, Zivilprozeßrechtsdogmatik und Verfahrenssoziologie, 268 ff. 635 Dazu vgl. nur BVerfGE 24, 236 (245); 32, 98 (106 f.); 33, 23; 41, 29 (49); 48, 127 (163); 78, 391 (395); Maunz/Dürig-Herzog, Art. 4 Rn. 132 ff.; Bethge, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, Rn. 14. Anderer Ansicht ist vor allem BonnerKomm-Zippelius, Zweitbearb. 1966, Art. 4 Rn. 45. Einschränkend auch Herdegen, Gewissensfreiheit und Normativität des positiven Rechts, 235 ff, 268 ff., 277 ff. und öfters. 636 Die Abgrenzung erfolgt freilich nicht durch Abwägungen – womit auch?, sondern über die Grenzen des Schutzbereichs des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Auf das Problem, ob das Persönlichkeitsrecht in seiner Struktur als normativ (so Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 789 ff.; ders., JRR 12 (1986), 113 (115 ff.)) oder als abwägungsoffen (so die Rechtsprechung und das ganz überwiegende Schriftum) begriffen werden muß, kommt es hier daher nicht an, zum Probleme siehe im übrigen schon oben § 10 III 2, 3.

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4. Die Gute-Sitten-Klausel und das Persönlichkeitsrecht des einzelnen Die bisherige Argumentation bemühte zum einen einen verfassungsrechtlichen Befund (die legislative Prärogative zur Abgrenzung von Freiheitssphären im Bereich personaler Rechte) vor dem Hintergrund eines bestimmten Grundsatzes liberaler Neutralität (dem Prinzip der Nicht-Identifikation) und griff zum anderen auf die Sachgerechtigkeit einer Entrechtlichung lebensweltlicher Handlungszusammenhänge zurück. Nach all dem muß der einzelne sicher sein, sein eigendefiniertes Selbstverständnis im Bereich der Glaubens- und Gewissensfreiheit (deren Schutzbereich auch das gewissensgemäße Handeln umfaßt637) sowie im Bereich des auf die persönliche Lebenssphäre beschränkten allgemeinen Persönlichkeitsrechts (dort im Rahmen personaler Integrität und Identität mit ihrer eigendefinierten Sinnstiftung und Sinnverwirklichung) so auszuformen, daß er allein den allgemeinen Normen des Rechts und nicht sozialen Moralen unterworfen ist. Die Interpretation der Sittenklausel schließt so an die Dogmatik des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und der Glaubens- und Gewissensfreiheit an, von der sie zugleich ihre Kriterien für die Abgrenzung relevanten und irrelevanten Selbstverständnisses erhält638. Nimmt der einzelne also für sich als Ausdruck seines Selbstverständnisses für sich in Anspruch, sein rechtsgeschäftliches Handeln sei Ausdruck seiner Glaubens- oder Gewissensfreiheit oder seines Persönlichkeitsrechts, und darf der einzelne dieses auch in Anspruch nehmen (weil nämlich das rechtsgeschäftliche Handeln im Einzelfall unter den Schutzbereich personaler Identität und des freien Glaubens und Gewissens fällt), kann eine etwaige Sittenwidrigkeit des Rechtsgeschäfts keinesfalls auf irgendwelche soziale Moralen gestützt werden. Vielmehr kann die Sittenwidrigkeit nur anhand des objektiven Rechts selbst begründet werden. Der Begriff der Guten Sitten i. S. § 138 I BGB deckt sich in diesem Falle mit dem Begriff des ungeschriebenen Verbotsgesetzes. Letztlich muß innerhalb der Dogmatik der Gute-Sitten-Klausel also weder nach objektivierbaren Lebensbereichen (Wirtschaftsleben hier, Familie und 637 Dazu vgl. nur BVerfGE 24, 236 (245); 32, 98 (106 f.); 33, 23; 41, 29 (49); 48, 127 (163); 78, 391 (395); Maunz/Dürig-Herzog, Art. 4 Rn. 132 ff.; Bethge, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, Rn. 14. Anderer Ansicht ist vor allem BonnerKomm-Zippelius, Zweitbearb. 1966, Art. 4 Rn. 45. Einschränkend auch Herdegen, Gewissensfreiheit und Normativität des positiven Rechts, 1989, 235 ff, 268 ff., 277 ff. und öfters. 638 Auch diejenigen, die allgemein die Sitten-Klausel als Transformationsriehmen außerrechtlicher Moralen verstehen, konzidieren, daß es in vielen Fällen möglich und hilfreich ist, einen innerrechlichen Ansatz zu benutzen, vgl. nur Mayer-Maly, AcP 194 (1994), 105 (175); Larenz, Allgemeiner Teil, § 22 III a. Dies ist jedoch in den Fällen eigendefinierten Selbstverständnisses nicht nur möglich und hilfreich, sondern rechtlich geboten.

§ 12 Sittenwidrigkeit und erbrechtliche Personfunktionalität

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Intimbereich dort) unterschieden werden, noch kann ohne weiteres davon ausgegangen werden, § 138 I BGB verweise für alle Fallgestaltungen auf ungeschriebene Verbotsgesetze639. Vielmehr bleibt festzuhalten, daß sich § 138 I BGB zumindest dann nicht auf soziale Moralen, sondern auf ungeschriebene Verbotsgesetze bezieht, wenn das rechtsgeschäftliche Handeln nach der Dogmatik u. a. des Persönlichkeitsrechts zu Recht Ausdruck des Selbstverständnisses des Handelnden ist. Die bisherigen Überlegungen haben mehreres gezeigt. Einmal ist es nicht realitätsnah, auf einen ethischen Minimalkonsens in einer Gesellschaft zu hoffen, die hinsichtlich der normativen Entwürfe ihrer Mitglieder fragmentiert und pluralisiert ist. Vor diesem Hintergrund sieht sich ein Verständnis, welches über § 138 I BGB soziale Moralen in das Recht inkorporieren will, nicht nur der Frage ausgesetzt, wo denn die Gemeinschaft aller billig und gerecht Denkenden existiert, aus der die rechtlich relevanten sozialen Moralen entspringen sollen. Hinzu kommt auch die normative Frage, was es in einem pluralistischen Staat rechtfertigt, die Sitten und Gebräuche der Mehrheit den vielen Minderheiten als Minimalrichtschnur ihrer Entfaltung anzuempfehlen. Zumindest im Bereich personaler Entfaltung ist es nicht sinnvoll, auf die Relevanz derartiger sozialer Moralen zu insistieren; vielmehr sollte dem Gesetzgeber die Abgrenzung von Freiheitssphären überlassen bleiben. Alles andere wäre letztlich nicht mit dem hohen Wert vereinbar, dem das Recht der personalen Entfaltung des einzelnen einräumt. Indem § 138 I BGB im Bereich personaler Entfaltung die Allgemeinheit des Rechts (und nicht die Partikularität sozialer Moralen) inkorporiert, stellt diese Vorschrift insgesamt gesehen also mit einen Baustein bereit, die Personalität und Expressivität des rechtsgeschäftlich Handelnden zu schützen.

IV. Die Gute-Sitten-Klausel und die Testierfreiheit 1. Sozialmoral und die Personfunktionalität des Erbrechts Die bisherigen Überlegungen haben gezeigt, daß § 138 I BGB zumindest insoweit nicht auf soziale Moralen, sondern allein auf ungeschriebene Verbotsgesetze verweist, als das rechtsgeschäftliche Handeln nach der Dogmatik u. a. des Persönlichkeitsrechts zu Recht Ausdruck des Selbstverständnisses des Handelnden ist. Selbst wenn dem nicht so ohne weiteres gefolgt werden sollte, bleibt es zumindest bei Verfügungen von Todes wegen unabweislich, ihre etwaige Sittenwidrigkeit ausschließlich anhand eines Verstoßes gegen ungeschriebene Verbotsgesetze zu begründen. Denn die Testierfreiheit wird vom Gesetz als der Ort konstruiert, an dem die Rechtsperson 639

Zu derartigen Ansätzen siehe oben § 12 I 2 a.

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sich in einer rechtsgeschäftlichen Art und Weise ihrem memento mori hingeben und versuchen kann, ihr „Sein zum Tode“ affektiv zu verarbeiten, um ihre Persönlichkeit mit Blick auf den eigenen Tod in einem besonders wirkungsvollen Maße zu entfalten. Das Mittel, welches die Rechtsordnung hierzu bereitgestellt hat, ist ein personfunktional verstandenes gewillkürtes Erbrecht640. Dies ist ein solches Erbrecht, welches dem Erblasserwillen einen unumwunden starken Wirkungsbereich eröffnet, damit der Erblasser einen befreienden Schlag gegen diejenigen systemischen Imperative der Sozietät führen kann, welche um der „Abrichtung“ des einzelnen willen die Todesverarbeitung des Menschen privatisiert und unter gesellschaftliche Kuratel gestellt haben641. Nun sollen soziale Moralen eben jener Sozietät entstammen, deren systemische Imperative das gewillkürte Erbrecht zu bändigen versucht. Würden mit Blick hierauf über § 138 I BGB gegen die Entfaltung des Erblasserwillens soziale Moralen angeführt werden können, würde über den Umweg über die Sittenwidrigkeitsprüfung genau diejenige Überwältigung des einzelnen durch systemische Imperative wieder ins Werk gesetzt, um deren Verhinderung willen das gewillkürte Erbrecht die Testierfreiheit als genuines Persönlichkeitsrecht implementiert hat. Ein derartiger Wertungswiderspruch kann dem Gesetz kaum angesonnen werden. Würde § 138 I BGB mithin so interpretiert, als verwiese die Vorschrift auf soziale Moralen, hieße dies letztlich nichts anderes, als sich in einem Widerspruch zu denjenigen Normen des gewillkürten Erbrechts zu setzen, die die erblasserische Willensfreiheit so umfänglich schützen642. Ein Verweis auf soziale Moralen in § 138 I BGB scheidet demnach zumindest insoweit zwingend aus, soweit es um die Sittenwidrigkeit von Verfügungen von Todes wegen geht. Damit ist die erste der beiden eingangs genannten Thesen643 nachgewiesen. 2. Der dogmatische Standort der Gesinnung des Erblassers Des weiteren gilt es nachzuweisen, daß im Rahmen der Sittenwidrigkeitsprüfung die erblasserische Gesinnung nicht als Argument verwendet werden kann, die Sittenwidrigkeit zu begründen; die Motivation des Erblassers kann mithin allenfalls zu seinen Gunsten angeführt werden644. Ein derartiger Ausschluß der Erblassermotivation aus dem Kreis der für die Sittenwidrigkeit einer Verfügung von Todes wegen anführbaren Argumente ergibt sich aus folgender Überlegung. Einmal würde das Ansinnen, die Gesinnung 640 641 642 643 644

Dazu oben § 9 IV. Dazu oben § 9. Zu diesen Normen siehe im einzelnen oben § 11. Zu den hiesigen Thesen siehe oben § 12 I 2 b. Zu dieser These siehe oben § 12 I 2 b.

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als relevanter Topos für die Annahme einer Sittenwidrigkeit zu verwerten, voraussetzen, daß § 138 I BGB gleichsam als Ort dienen kann, an dem eine argumentative Auseinandersetzung mit dem Todesentwurf des Erblassers möglich ist. Die Gute-Sitten-Klausel würde gewissermaßen dem Disput über die Sachgerechtigkeit des Memento mori einen gesellschaftsweit akzeptablen Ort geben. Nur ist dies schon angesichts der Struktur der entwikkelten Moderne ein wohl kaum aussichtsreiches Unterfangen645. Darüberhinaus ist die Vorstellung, es gäbe so etwas wie ein „besseres Argument“ bezüglich der Art und Weise der Verarbeitung des je eigenen Todes oder es könne ein rational-kognitiv verstandener Geltungsanspruch über die Sinngebung des Todes eingelöst werden, ein Unding, da die Verarbeitung des Todes eben der irrationale Topos schlechthin ist, dessen Sinngebung gerade nicht argumentativ kommunizierbar ist646. Würde die Gesinnung des Erblassers im Rahmen der Gute-Sitten-Klausel eine den Sittenverstoß begründende Rolle spielen können, würde unumwunden über die Gesinnung argumentativ befunden, obwohl gerade dies aus Sicht eines personfunktionalen Erbrechts und der Essenz individueller Todesverarbeitung nicht angängig ist. Mithin läge wiederum ein Wertungswiderspruch zur grundlegenden Entscheidung der Rechtsordnung vor, das gewillkürte Erbrecht personfunktional auszugestalten. Anders wäre dies nur, wenn aus einer speziellen Rechtsnorm selbst folgen würde, daß die Erblassermotivation dennoch relevant ist. Schon aus Gründen der Systemgerechtigkeit der Rechtsordnung – ihrer Kohärenz und Konsistenz – dürfte dies freilich nicht zu erwarten sein. Gegen das hiesige Ansinnen, die Erblassermotivation aus dem Kreis der die Sittenwidrigkeit begründenden Argumente auszusparen, scheint freilich zu sprechen, daß Zuwendungen von Todes wegen zuerst einmal wertneutral sind und häufig erst die erblasserische Motivation Anlaß dazu geben wird, die Sittengemäßheit der Verfügung eingehend zu studieren647. Dies wird stellenweise zum Anlaß genommen, auf einer Relevanz der Erblassermotivation zu insistieren, da dies unerläßlich sei, wenn Anhaltspunkte für die mißbräuchliche Ausübung der Erblasserfreiheit geltend gemacht werden648. Dieses Argument ist erkennbar zirkulär. Denn es stellt sich ja gerade die Frage, ob ein Mißbrauch vorliegt. Hiervon kann regelmäßig nicht ausgegangen werden, wenn ein „Mißbrauch“ nur anhand der Motivation des Erblassers begründet werden kann. Schon die Wortwahl „Mißbrauch“ 645

Dazu oben § 9 III 4 b. Dazu oben § 9 III 4 b. 647 Dazu nur Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 35 IV 3 c; Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen, 91 ff.; auch Smid, NJW 1990, 409 (410), der ansonsten jeglicher Gesinnungsprüfung abgeneigt ist, konzediert, daß die Erblassermotivation bei der Sittenwidrigkeitsbeurteilung die genannte Rolle spielt. 648 So klassisch formuliert bei Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 35 IV 3 c. 646

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nimmt quasi das Ergebnis (Relevanz der Motivation) vorweg, da diesem Begriff unterschwellig ein subjektives Moment zu eigen ist. Es bleibt mithin dabei, daß die Gesinnung als relevanter Topos für die Annahme einer Sittenwidrigkeit nicht verwertet werden darf. Die Gesinnung des Erblassers darf bei § 138 I BGB nur insoweit eine Rolle spielen, wenn mit ihr eine Sittenwidrigkeit vermieden wird. Gegen die Wirksamkeit einer Verfügung von Todes wegen kann die Gesinnung hingegen nicht angeführt werden. Bei Lichte betrachtet gibt es im Bereich der Sittenwidrigkeitsprüfung erbrechtlicher Verfügungen also keine Sittenwidrigkeit, die sich aus einer zusammenfassenden Gesamtwürdigung des Rechtsgeschäfts nach Inhalt, Beweggrund und Zweck ergibt649. Die Annahme einer derartigen Umstandssittenwidrigkeit würde sich bei einem personfunktionalen Erbrecht in unlösbare Wertungswidersprüche verwickeln. 3. Ergebnis Zumindest aus der personfunktionalen Gründung des gewillkürten Erbrechts folgt, daß um der Vermeidung eines Wertungswiderspruchs willen es bei Verfügungen von Todes wegen nicht angängig ist, im Rahmen der Sittenwidrigkeitsprüfung auf soziale Moralen zu rekurrieren oder die Gesinnung des Erblassers als Argument für die Sittenwidrigkeit in die Prüfung einfließen zu lassen. Als Prüfungsmaßstab der Sittenwidrigkeitsuntersuchung kommen insgesamt gesehen daher keine soziale Moralen in Betracht; vielmehr inkorporiert § 138 I BGB ungeschriebene Verbotsgesetze. Damit schließt sich der Kreis: Auch über die Dogmatik der Gute-Sitten-Klausel kann dem hiesigen Projekt nichts entgegengesetzt werden, die Testierfreiheit personfunktional zu interpretieren.

649 Siehe zu einer derartigen Umstandswidrigkeit nur BGHZ 86, 82 (88); 107, 92 (97); BGH, NJW 1990, 703 (709); Larenz/Manfred Wolf, AllgT, § 41 Rn. 24 ff.

Schlußteil § 13 Ergebnis: Erbrecht und Persönlichkeitsrecht I. Zusammenfassung Als Zusammenfassung kann protokolliert werden: Aufgabe der Studie war es, die anerkannten Wertentscheidungen des gewillkürten Erbrechts konsistent und kohärent zu deuten, damit in dieser geltungstheoretisch ausgerichteten Arbeit am Recht dessen republikanischen Gehalte aufscheinen können, vor deren Hintergrund die Bürger sich als die Autoren des Rechts begreifen dürfen. Im Durchgang durch die Kritik der bisherigen Deutungsversuche zum gewillkürten Erbrecht konnte dokumentiert werden, daß der erbrechtliche Familiarismus, die erbrechtlichen Fiktionstheorien des Personalen sowie die Fortsetzungstheorie des Eigentums im Erbrecht den erbrechtlichen Normbestand nicht kohärent erklären können. Der normative Verlust der Todesproblematik – sie wird gleichsam rechtlich neutral als natürlicher Vorgang mit einem eher biologischen Einschlag sowie als bloß rechtstechnisches Datum im intergenerationalen Vermögenstransfer abgekorkt – zeitigte hier erhebliche negative Folgen für die geltungstheoretische Legitimation des Erbrechts als Recht. Es blieb mithin nichts anderes übrig, als den kulturellen Diskurs zum Tod und zur Todesverarbeitung zu verfolgen und wichtige Aspekte hieraus auf existenzphilosophischer sowie gesellschaftstheoretischer Ebene zu skizzieren. Von hier aus wurde der Bogen geschlagen zu den tradierten Wertungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Dort konnte gezeigt werden, daß Identität und soziale Geltung als Hauptfallgruppen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts von folgenden Wertungen bestimmt werden: Der ethische Personalismus im Gefolge Kants und die mit ihm verbundene Ausrichtung des Persönlichkeitsrecht auf Moralität ist persönlichkeitsrechtlich (bis auf die Würdediskussion) irrelevant. Gleiches gilt für eine Dogmatik, welche das Persönlichkeitsrecht und den Ansatz an rechtlich geschützten Interessen in Beziehung setzt, wenn die Interessenkategorie implizit auf die kognitivinstrumentelle Vernunft zurechtgeschnitten wird. Demgegenüber blieb festzuhalten, daß persönlichkeitsrechtlich die Affektnatur des Menschen gegenüber seiner Vernunftnatur gleichwertig ist und daß dies auch für die Wertigkeit des expressiv-irrationalen Handelns gegenüber affektloser Nützlichkeit gilt. Schließlich erwies sich das Persönlichkeitsrecht als rechtliche Konstruk-

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Schlußteil

tion im Sinne einer wertenden Zuschreibung der Rechtsordnung. Es verwunderte kaum, daß sich in der normativen Projektion der je individuellen Todesverarbeitung als ein Moment des Lebens genau jene persönlichkeitsrechtlichen Wertungen wiederfanden, von denen gerade die Rede war und vor deren Hintergrund die Todesverarbeitung als auch rechtlicher Ausdruck des Personalen erwiesen werden konnte. Von dieser Warte aus wurde dann der unmittelbare Bezug zu den Wertungen des Erbrechts selbst gesucht. Hier galt es nachzuweisen, daß nur anhand eines personfunktionalen Verständnisses des gewillkürten Erbrechts dessen anerkannten Wertungen erklärt werden können. Die erkenntnisleitende These war mithin, daß das gewillkürte Erbrecht geltungstheoretisch nur als Recht und nicht nur als Manifestation einer bloßen auctoritas erwiesen werden kann, wenn es als funktionales Persönlichkeitsrecht aufgefaßt wird. Diese These wurde anhand des Rechts der Auslegung letztwilliger Verfügungen und des Rechts ihrer Anfechtung, anhand der Prinzipien formeller und materieller Höchstpersönlichkeit, anhand des Verbots einer obligatorischer Verpflichtung zu einer Verfügung von Todes wegen, anhand eines Wertungsabgleichs mit dem Nachfolgerecht der juristischen Person, mittels einer geltungstheoretisch einsichtigen Einordnung des Instituts der Testamentsvollstreckung sowie schließlich anhand der erforderlichen Schutzkautelen der von Todes wegen Bedachten einschließlich einer Erörterung fideikommißähnlicher Vermögensbindungen diskutiert und mit Überlegungen zu den sozialen Gefahren einer den starren Zwängen des Marktbürgerrechts entwundenen Testierfreiheit konfrontiert. Es konnte gezeigt werden, daß all diese Regelungen nur kohärent verstanden werden können, wenn dem gewillkürten Erbrecht eine personfunktionalistisch ausgerichtete Deutung zugrundegelegt wird. Gegen diesen geltungstheoretischen Aspekt verschlagen Andeutungen nicht, im Gang der Gesetzgebungsarbeiten zur Kodifikation sei eine Überbetonung der Testierfreiheit letztlich für bedenklich gehalten worden1. Wenn Andeutungen in den legislativen Vorarbeiten dazu führen, daß sich ein Gesetz nur mehr als Frucht reiner auctoritas wird erweisen lassen, sollte eine auf das Recht verpflichtete Dogmatik die argumentative Kraft eines entstehungsgeschichtlichen Arguments geltungstheoretisch bewerten und in Folge dessen den Rekurs auf die Gesetzgebungsgeschichte bei Seite lassen2. Dies gilt um so mehr, wenn zur Zeit der Jahrhundertwende die Anerkennung des Persönlichkeitsrechts noch nicht sehr weit fortgeschritten war. Nach diesen geltungstheoretisch orientierten Nachweisen konnte gezeigt werden, daß die mit einem fast schon kulturpessimistischen Anstrich einher-

1 2

So Leipold, AcP 180 (1980), 160 (191). Dazu schon oben § 1 III.

§ 13 Ergebnis: Erbrecht und Persönlichkeitsrecht

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kommende Mahnung durchaus nicht einsichtig ist, einer entfesselnden Testierfreiheit wohne ein ordnungszerstörendes Moment eines individualegoistischen „Willens zur Macht“ inne.

II. Todesverarbeitung in der Testierpraxis: Zum Idealismus der hiesigen Konzeption Gegen die hiesige Vorstellung, die Ausübung der Testierfreiheit sei orientiert am Prozeß der Todesverarbeitung und der damit verbundenen „Ich-Findung“, scheint nun freilich ein ganz und gar durchschlagendes Argument zu sprechen: Es mutet als eine doch sehr idealistische Konzeption an, etwa einem Unternehmer, der über das Schicksal seines Unternehmens von Todes wegen verfügt, zu unterstellen, dieser verarbeite damit auch sein „Sein zum Tode“. Mithin: Ist dies nicht alles in dieser Ausschließlichkeit überzogen? Zwei Ebenen gilt es hier zu trennen. Auf der ersten Ebene findet sich das reale Testierverhalten in der Bevölkerung, mancherorts stark geprägt durch Tradition und Überlieferung und gerade bei wirtschaftlich bedeutenden Nachlässen stark unter dem Kuratel ökonomischer Erwägungen stehend – der ökonomisch nach dem Tode des Alt-Unternehmers sinngerechte Zuschnitt des Unternehmens am Markt, steuerrechtliche Fragen, die Abfindung weichender Abkömmlinge und ähnliches geben die Losungen vor, unter denen die Notariats- und Unternehmensberatungspraxis heute die Unternehmensvererbung betrachtet und damit unverwunden in den marktmäßigen Zusammenhang von Erbrecht und Eigentum stellt. Unbestreitbar ist dies so. Es fragt sich nur, was dieser empirische Befund für die Dogmatik des geltenden Erbrechts nach sich zieht. Denn es konnte ja gezeigt werden, daß der Zusammenhang von Erbrecht und Eigentum gerade nicht dazu taugt, kohärent und konsistent die anerkannten Wertentscheidungen des gewillkürten Erbrechts zu erklären. Ein heuristisch hoher Gehalt war vielmehr nur dem hiesigen Projekt beschieden, die Testierfreiheit und das Persönlichkeitsrecht mit Blick auf die Verarbeitung des je eigenen Todes zu verklammern. Diese zweite Ebene erhellt, daß das hiesige Projekt mithin zwar durchaus insofern idealistisch anmutet, als sich in ihm die Testierpraxis der Bevölkerung nur in Maßen wiederfindet. Rechtlich ist dies jedoch irrelevant, da das Recht selbst davon ausgeht – es kann ja ansonsten nicht zu einem System kohärenter und konsistenter Wertung geschlossen werden –, daß die Testierfreiheit funktional ein Persönlichkeitsrecht im Hinblick auf die Todesverarbeitung des Testierenden ist. Im übrigen wäre es auch nicht verwunderlich, wenn sich in der Testierpraxis Anhaltspunkte dafür finden lassen, daß auch ein ökonomisch denkender Erblasser bei der Fertigung seines Testaments durchaus an seinen Tod und an die damit verbundenen Implikationen seine Person betreffend denkt – man muß freilich solche Daten erst noch erheben. Schließlich ist die gängige Testierpraxis mit dem hiesi-

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Schlußteil

gen Konzept ohne weiteres verträglich. Denn niemand kann dazu gezwungen werden, seinen Tod mit rechtsgeschäftlichen Mitteln zu verarbeiten – nur wenn er dies wünscht, stellt das Recht ihm hierzu ein probates Mittel bereit, nämlich die Verfügung von Todes wegen.

III. Endergebnis Als Endergebnis dieser Studie verdient mithin festgehalten zu werden: Das gewillkürte Erbrecht gründet in seiner Wertung auf den Wertungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und nimmt als neues besonderes Persönlichkeitsrecht an der mit dem Personalen verbundenen Dignität in der Wertung beispielsweise insofern teil, als das Recht auch die Verwirklichung jeglicher Affektionsinteressen im Grundsatz schützt, die mit einer Verfügung von Todes wegen aktualisiert zu werden vermögen3. Einer jeden Rede von einer „sinnlosen Herrschaft von kalter Hand“, von einem „unsinnigen Machtstreben des Erblassers“ und von einem „guten Familienvater“ als erbrechtlichem Vorbild ist damit die Basis weggebrochen, von der sie ihre Überzeugungskraft hätte beziehen können. Der erbrechtliche Personfunktionalismus erweist sich nach all dem zu Recht als normative Wertungsgrundlage des gewillkürten Erbrechts. Mit dieser Einsicht ist zugleich die Erkenntnis verbunden, daß sich die Privatautonomie im vermögensrechtlichen Bereich und die Privatautonomie von Todes wegen kategorial unterscheiden: Der vermögensrechtlichen Privatautonomie ist durchweg das Referenzsystem Wirtschaft zugeordnet, während die Testierfreiheit mit der Kategorie der Persönlichkeit verklammert ist. Der Wittgensteinsche Gedanke, „daß die Dinge, die gleich aussehen, in Wirklichkeit verschieden sind“4, kommt hier beispielhaft zum Ausdruck. Freilich dürfte dieses Ergebnis einer Trennung zwischen der vermögensrechtlichen und der erbrechtlichen Privatautonomie durchweg auf Ablehnung stoßen; zu stark wird ein Verständnis des gewillkürten Erbrechts als fortgesetztes Eigentum und als funktionales Vermögensrecht in die normativen Sedimente des unthematisierten impliziten Dogmenbestands erbrechtlichen Denkens abgesunken sein. Eine geltungstheoretisch der Allgemeinheit des Rechts verpflichtete Dogmatik sollte sich hiervon nicht beirren lassen.

3 Ein derartiger Schutz von Affektionsinteressen findet beim Eigentumschutz gerade nicht statt, siehe nur Pawlowski, AcP 165 (1965), 395 (415). 4 Wittgenstein, zitiert nach Gamm, Flucht aus der Kategorie, 148.

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Sachverzeichnis Affektion 56, 123–124, 164, 233, 242, 356 Anerkennung als Rechtsperson 250– 259, 261–262, 325, 331, 360 Anerkennungsverhältnisse im Recht 254 Anfechtung, erbrechtliche 51–60, 278– 281, 284, 312, 346, 360 Arbeitstheorie des Eigentums 79, 98– 114 auctoritas, hobbessianische 22–24, 27, 29–30, 33–35, 40–41 Auslegung, ergänzende 15, 89, 274– 275, 391 Auslegungsregeln, erbrechtliche 15, 72, 264, 274–275, 277 Autonomie der Person 55, 117, 142, 186, 192, 195–202, 204, 213, 216, 224, 226, 228–229, 233, 235, 237, 252–253, 256, 276, 326, 332, 341, 344–345, 351

Familienerbrecht 50, 74, 77, 83, 377 Fideikommiß 80, 319–320

Begehren 14, 56, 72, 124, 164, 222, 232–235

Kohärenz 28–30, 33–35, 363 Konsistenz 23, 28, 33

Dasein 67, 96, 148–150, 152–153, 155 Dogmatik, geltungstheoretische 21, 32– 35, 84, 87–88, 134, 136, 359–360, 362

Legalität 201–202, 208–209, 216, 223, 233, 238, 336 linguistic turn 214, 217

Ehre 175, 184, 188, 212 Eigentlichkeit 148, 151–154, 174, 176, 219, 363 Erbrecht, gewillkürtes 37–40, 360, 362 Existenzphilosophie 146–153 Expressivität des Handelns 232, 234, 236, 242, 247–249, 284, 355

Man, das heideggersche 149, 152, 155–156 Moralität 195, 199, 201–202, 204, 206–209, 238, 241, 243, 247, 256, 335–336

Familiarismus 46–51, 58–63, 67–68, 76–78, 299–300, 302, 359 Familie und Eigentum 50, 84–85

Gabe 175 Geltung des Rechts 22, 33, 335, 363 Genese des Selbst 25, 205, 219, 226, 244, 249–250, 256, 325 Gerechtigkeitstheorie 24, 27 Gesellschaftsvertrag 100, 109 Gewissen 149, 293, 296, 347 Hausvater 46, 62 Höchstpersönlichkeit, materielle 72, 90, 263, 294–310 Identität 143, 156–157, 161, 217–222, 226–227, 230–232, 234–237, 242– 245, 251, 253 Interessenansatz 210–223 Irrationalität 168

Naturzustand 100–101, 105 Okkupationstheorie des Eigentums 92– 93 Ordoliberalismus 117, 124, 127, 200, 221

Sachverzeichnis Personalismus, ethischer 55, 194–209, 212–213, 216, 224, 227, 237–238 Personfunktionalismus 39–40, 128 Persönlichkeitsersetzung, Theorien der 71–73, 314 Persönlichkeitsfortsetzung, Theorien der 64, 66, 68–72, 135 Persönlichkeitsrecht, allgemeines 38, 96, 116, 179, 184–185, 187–191, 195–206, 211, 224–225, 231, 243, 249 Potestativbedingung, erbrechtliche 250 Prinzip, rechtliches 39–41, 188 Privatrechtsgesellschaft 117–118, 140, 258 Rahmenrecht, persönlichkeitsrechtliches 187, 190–191, 241, 317 Rationalität, responsive 237–239 rechtfertigungstheoretisch 51, 62–63, 75, 88, 98, 103, 112 Rechtsgespräch 236 Reflexion 204–205, 213, 215, 217, 221, 228, 258, 283 Religion 159, 167, 173 Republik, kantische 22, 31, 338 Richtigkeitsgewähr 52–53, 56–62, 278, 301–302, 307 Selbstbestimmung 56–58, 125, 129, 188–189, 195–196, 199, 222, 225– 226, 235, 252, 326, 346 Selbstgesetzgebung 25, 192, 195 Sinnkonstruktion 157–158, 167, 178, 243 Sittenwidrigkeit 317, 325–358 Sozialmodell 28, 37, 63, 118, 139, 200 Sozialmoral 328, 331, 333–336, 339– 344, 346, 348–351, 354–355 Sphärentheorie 154, 348 Strukturalismus 213, 215, 386 Subsystem 171, 332 Systemimperative 162, 167, 169, 244, 248

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Testamentsanfechtung 51, 58, 88, 264, 278, 281 Testamentsauslegung 14, 61–63, 87, 264–267, 270–273, 275–276, 278 Testamentsvollstreckung 122–123, 296, 310, 314–315, 319, 321–322, 360 Testierfähigkeit 16, 310, 316–317 Tod 135–172, 174–179, 243–248, 361 Todes, Individualisierung des 139–140, 163, 244, 249 Todesverarbeitung 133, 138, 140, 142– 143, 146–147, 153–154, 156–158, 160, 162, 164–174, 176–178, 243– 250, 271–274, 276, 278, 281, 283, 287–289, 291, 293, 304, 307–311, 313, 315, 318, 322–325, 356–357 Todesverarbeitung, Individualisierung der 144, 166, 168, 179, 248 Totalitarismus 162, 170, 176 Unternehmensträgerstiftung 319–320 Unternehmensvererbung 120–121, 301, 309, 361 Utilitarismus 55–56, 221–222 Verdrängung des Todes 135, 140–141, 155, 157, 163, 165–168, 174–175 Vergesellschaftung des Todes 143, 145 Vernunft 195–197, 202, 207, 214–215, 223, 232, 234–235, 242–243, 248– 249 Vertrauensschutz 60–61, 264–265, 280 Willensdogma 33, 86, 120, 129, 264– 265, 270–272, 274, 326 Willensperpetuierung 66 Willensunsterblichkeit 63, 67, 69, 71 wissenssoziologisch 141, 158, 162– 163, 169 Zivilisation 164, 373 Zivilisationstabu 164, 168