Ungerechtfertigte Ethik: Über die Legitimität ethischer Guidelines und das Desiderat eines Menschenrechtsparadigmas globaler Arzneimittelversuche [1 ed.] 9783428548156, 9783428148158

Die Anforderungen an klinische Arzneimittelprüfungen bei Menschen werden durch bestimmte ethische Guidelines konturiert,

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Ungerechtfertigte Ethik: Über die Legitimität ethischer Guidelines und das Desiderat eines Menschenrechtsparadigmas globaler Arzneimittelversuche [1 ed.]
 9783428548156, 9783428148158

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E THIK UND R ECHT Band 4

Ungerechtfertigte Ethik Über die Legitimität ethischer Guidelines und das Desiderat eines Menschenrechtsparadigmas globaler Arzneimittelversuche

Von

Mira Chang

Duncker & Humblot · Berlin

MIRA CHANG

Ungerechtfertigte Ethik

Ethik und Recht Herausgegeben von Wilfried Hinsch und Silja Vöneky

Band 4

Ungerechtfertigte Ethik Über die Legitimität ethischer Guidelines und das Desiderat eines Menschenrechtsparadigmas globaler Arzneimittelversuche

Von

Mira Chang

Duncker & Humblot  ·  Berlin

Die Juristische Fakultät der Universität Hamburg hat diese Arbeit im Jahre 2015 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2017 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany

ISSN 2363-6807 ISBN 978-3-428-14815-8 (Print) ISBN 978-3-428-54815-6 (E-Book) ISBN 978-3-428-84815-7 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

이 논문을 저의 부모님 오현금 와 장두진께 바칩니다

Vorwort Es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, dass eine Dissertation reich an Helfern sich nichts mehr wünschen muss als ein Vorwort voller Dank. Da diese Arbeit vor allem am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht im Rahmen der Max-Planck-Forschungsgruppe „Demokratische Legitimation ethischer Entscheidungen – Ethik und Recht in der Biotechnologie und der modernen Medizin“ entstanden ist, gilt mein erster Dank der Leiterin dieser Forschungsgruppe, Prof. Dr. Silja Vöneky, die meine Arbeit von der ersten Idee bis zur letzten Revision begleitet hat. Als Dissertation angenommen wurde diese Arbeit von der Juristischen Fakultät der Universität Hamburg und ich danke Prof. Dr. Dr. h. c. Rüdiger Wolfrum für die vertrauensvolle Betreuung meiner Arbeit und Prof. Dr. Markus Kotzur für das schnelle Zweitgutachten. Die nüchterne Darstellung des Sachverhalts, dass die Arbeit am Max-Planck-Institut entstanden ist, verdeckt indes die jeder Doktorandin vertrauten kleinen und großen Dramen, die unter den Begriff „entstehen“ zu subsumieren sind. Wohl bekannt sind die meinen meinen Kolleginnen der Forschungsgruppe. Kaum jemandem mehr als meinem liebsten Bürogenossen Hans Christian Wilms, der nicht nur mit Fußballund Obstkenntnissen zu glänzen weiß. Bekannt sind sie auch Sigrid Mehring, der ich dank unserer intensiven Reise zur WMA General Assembly sehr verbunden bin. Nicht weniger verbunden und überaus dankbar für Ideen and Tonic bin ich meinen weiteren ehemaligen Kolleginnen des Instituts, insbesondere Isabel Röcker, Julia Pfeiffer, Xavier Michell, Daniela Arrese, Stephan Schill, Johannes Fuchs, Maja Smrkolj, Johann-Christoph Woltag und Matthias Goldmann. Ein großer Dank gilt den Heldinnen des Max-Planck-Instituts aus Bibliothek, IT und Verwaltung, vor allem Ali Zakouri, Sara von Skerst und Roland Braun, sowie Yvonne Klein, der Sine-qua-non-Verbindung zu Prof. Wolfrum. Im Weiteren muss ich denen sehr danken, die für Extratellerrandperspektiven, ein Zuhause oder eskapistische Ablenkungen gesorgt haben, wobei ich an einem Anspruch auf Vollständigkeit nur scheitern könnte: Magdalena Palka, Sonia ­Müller, Heike Kieninger, Mikaël Rougelot, Berit Eck, Marianne Scholz, Christine Grabler, Premarajani Sabanantham, Josephine Ibe, Sarah Häuser. Mein abschließender und schwierigster Dank gilt jedoch Matthias Kottmann. Der Schwierigste, weil ich mit keinem einfachen Satz meinen tief empfundenen Dank für Jahre der Unterstützung umfassend und angemessen zum Ausdruck bringen und seiner Brillanz gerecht werden könnte. Obgleich vielleicht, wenn ich ihm, wie tatsächlich gewünscht, als Lionel Messi des Europarechts danken sollte. Berlin, im August 2017

Mira Chang

Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis

§ 1 Einführung  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Teil 1

Arzneimittelversuche und Globalisierung  37

§ 2 Globalisierte Arzneimittelversuche zwischen Kontroverse, nationalem Recht und Ethik  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 A. Klinische Arzneimittelprüfung  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 I. Vom Aderlass zur Evidenz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Charakteristika klinischer Arzneimittelprüfungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kontrolle .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Placebo .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Add-on  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Replacement  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nicht-Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Aktive Kontrolle  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Dosis-Variationen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Randomisierung und Gleichläufigkeit von Kontrollgruppen  . . . . . . . . . . 3. Verblindung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Cross-over .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Globalisierung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Klinische Arzneimittelprüfung im Spiegel nationalen Rechts  . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Rechtliche Rahmenbedingungen der Arzneimittelzulassung und -prüfung in Deutschland, der EU und den USA  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sulfanilamid, Contergan und ihre Lehren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Genehmigungspflicht für Arzneimittel  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtlicher Rahmen klinischer Arzneimittelprüfungen  . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtlicher Probandenschutz in Deutschland, der EU und den USA  .. . . . 1. Grundsätzlicher Probandenschutz  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Europäisches Arzneimittelrecht  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Deutsches Recht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) US-Recht .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anforderungen an Drittlandsversuche nach EU-Recht  .. . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsnormen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Position der Europäischen Arzneimittelagentur  . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Anforderungen an Drittlandsversuche nach deutschem Recht  . . .

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Inhaltsverzeichnis 3. Anforderungen an Drittlandsversuche nach US-Recht  . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsnormen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Position der US Food and Drug Administration  . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Kontroversen klinischer Arzneimittelprüfung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Problematik globalisierter klinischer Prüfungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Konkrete Streitpunkte bezüglich der Forschung in Entwicklungsländern  . 1. Querschnittsfragen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausbeutung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Individuum und Allgemeinheit  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Fallbeispiel: M4N, Indien  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Subsidiarität von Menschenversuchen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Nutzen-Risiko-Verhältnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Informierte Einwilligung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Fallbeispiele .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Trovan, Nigeria  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Compas, Argentinien  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) VGV-1, China  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Grundsätzliche Bedeutung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Elemente der informierten Einwilligung in der Forschung  . . . . . . aa) Konzept der Einwilligung  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Aufklärung und Verständnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Freiwilligkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Einwilligungsfähigkeit  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vulnerable Personen  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Fallbeispiele .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Surfaxin, Bolivien  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) rHEV Hepatitis E Impfstoff, Nepal  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Grundsätzliche Konzeption vulnerabler Personen  .. . . . . . . . . . . . . . aa) Vulnerabilität bei strukturellen Beeinträchtigungen der Ein­ willigungsvoraussetzungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Notwendigkeit der Inklusion  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Schutzmaßnahmen  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Inklusion vulnerabler Personen in Entwicklungsländern  . . . . . . . . aa) Marginalisierung als Vulnerabilitätsmerkmal  . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Multiple Vulnerabilitätsmerkmale  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Recht auf Inklusion  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Schutzmaßnahmen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Studiendesign (Placebo-Versuche)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Fallbeispiele .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Azidothymidin, verschiedene afrikanische Länder  .. . . . . . . . . . . bb) Surfaxin, Bolivien  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis cc) Trovan, Nigeria  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Clinical Equipoise  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Versorgungsstandard .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Benefit Sharing und Verteilungsgerechtigkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Fallbeispiele .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Surfaxin, Bolivien  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) rHEV Hepatitis E Impfstoff, Nepal  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vermarktung von Arzneimitteln  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Individuelle Nachbehandlungen  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Sonstiges Benefit Sharing  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Klinische Arzneimittelprüfung und Ethik  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Unmöglichkeit einer konsensualen ethischen Lösung der Streitpunkte  .. 94 II. Ethikguidelines als Konsolidierungsinstrumente  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 III. Wesentliche Ethikguidelines  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 1. Der Weltärztebund als private Berufsorganisation und die Deklaration von Helsinki  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 2. Öffentlich-Private Partnerschaften  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 a) International Conference on Harmonisation of Technical Require­ ments for Registration of Pharmaceuticals for Human Use  . . . . . . 106 aa) ICH Harmonised Tripartite Guideline for Good Clinical Practice  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 bb) ICH Harmonised Tripartite Guideline Choice of Control Group and Related Issues in Clinical Trials  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 b) Council for Coordination of International Organizations of Medical Sciences und die International Ethical Guidelines for Biomedical Research Involving Human Subjects  .. . . . . . . . . . . . . . . 107 E. Folgerungen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 I. Einfluss von Ethikguidelines im ethischen Diskurs  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 II. Reflexhafte Inklusion von Ethikguidelines  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 III. Weitere Fragestellung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Teil 2

Arzneimittelversuche und Ethikguidelines  114

§ 3 Ethikguidelines als funktionale Äquivalente internationaler öffentlicher Gewalt 114 A. Ethikguidelines als weiches Recht?  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 I. Begriffsbestimmung Soft Law  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 II. Folgerungen für Ethikguidelines  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 B. Eine ethische Global Governance der Forschung an Menschen  . . . . . . . . . . . . . . 118 I. Konzept  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 II. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 III. Bedeutsame Ethikguidelines einer ethischen Global Governance  .. . . . . . . 120

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Inhaltsverzeichnis C. Global Administrative Law  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 I. Konzept  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 II. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 D. Ausübung internationaler öffentlicher Gewalt durch private und hybride Akteure  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 I. Grundlegende Konzeptionalisierung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Öffentlichkeit: Funktionale Äquivalenz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Formale Äquivalenz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsvorbereitende Funktion  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsbegleitende Funktion  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsersetzende Funktion  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Materielle Äquivalenz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Bestimmungsvermögen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Reputation .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wissenschaftliche Standardsetzung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sanktionen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Bestimmung der Diskussionstopoi und Diskursanbindung  .. . . . . . . . . . . E. Ausübung internationaler öffentlicher Gewalt durch Ethikguidelines in der Forschung   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

122 124 124 125 125 126 127 127 128 129 130 131

I. Der Weltärztebund und die Deklaration von Helsinki  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Funktionale Äquivalenz zu öffentlicher Gewalt  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Formale Äquivalenz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Rechtsvorbereitende Funktion  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtsbegleitende Funktion  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Rechtsersetzende Funktion  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Materielle Äquivalenz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bestimmung  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Reputation .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sanktionen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Publikationsvermögen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Standardsetzung und Marktausschluss  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Finanzierung  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Nationale rechtliche Konsequenzen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bestimmung der Diskussionstopoi und Diskursanbindung  . . . . . . II. Good Clinical Practice und weitere Guidelines der ICH  . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Funktionale Äquivalenz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Formale Äquivalenz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Rechtsvorbereitende Funktion  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtsergänzende Funktion  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Rechtsersetzende Funktion  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bestimmung  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

132 132 132 132 134 134 135 135 135 137 137 138 138 139 139 140 140 140 140 140 140 141

131

Inhaltsverzeichnis a) Reputation .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wissenschaftliche Standardsetzung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sanktionen  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Publikationsvermögen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Finanzierung  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Marktausschluss  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Nationale, rechtliche Konsequenzen  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Bestimmung der Diskussionstopoi und Diskursanbindung  . . . . . . III. CIOMS International Ethical Guidelines for Biomedical Research Involving Human Subjects   .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Öffentlichkeit .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Öffentlichkeit durch Beteiligung der WHO?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Funktionale Äquivalenz  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Formale Äquivalenz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Rechtvorbereitende Funktion  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Rechtsbegleitende Funktion  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Rechtsersetzende Funktion  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Materielle Äquivalenz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bestimmung  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Reputation .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nationale rechtliche Sanktionen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zusammenfassende Bewertung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

141 141 142 142 143 143 144 144 144 144 144 145 145 145 146 146 146 147 147 147 147

§ 4 Legitimität der Ethikguidelines  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 A. Legitimität .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 I. Begriffsannäherung  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Faktische Legitimitätskonzeptionen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Deskriptiv-empirische Konzeption  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Legalität .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Normative Legitimitätskonzeptionen  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vertragstheorien .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Diskurstheoretischer Ansatz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Input- und Output-Legitimation  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Praktische Legitimitätsanforderungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vertretungsgerechtigkeit .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfahrensfairness .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Effektivität der Problemlösung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zwischenergebnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Legitimität der Ethikguidelines in der Forschung  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

150 151 151 152 153 153 154 156 157 157 157 158 158 159

I. Weltärztebund  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 1. Vertretungsgerechtigkeit und Verfahrensfairness  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159

14

Inhaltsverzeichnis a) Mitgliedschaft .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 b) Organe .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 aa) General Assembly  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 bb) Council  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 cc) Standing Committees  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 dd) Sekretariat  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 c) Verfahren zur Entscheidungsfindung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 aa) Initiative  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 bb) Erörterung und Prüfung durch das zuständige Komitee  . . . . . . . 162 cc) Erörterung und Prüfung durch den Council  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 dd) Erörterung und Abstimmung durch die General Assembly  . . . 162 d) Bewertung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 aa) Universeller Anspruch  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 bb) Mangelhafte Repräsentation  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 cc) Ausschluss von Betroffenen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 dd) Nähe zur pharmazeutischen Industrie  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 ee) Intransparenz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 2. Effektive Problemlösung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 a) Zugrundeliegende bioethische Theorien und Strömungen  . . . . . . . 166 b) Streitpunkte: Querschnittsfragen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 aa) Grundsätzliches Verhältnis Individual- und Allgemeininteresse. 167 bb) Subsidiarität von Versuchen an Menschen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 cc) Positive Nutzen-Risiko-Abwägung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 c) Streitpunkt: Informierte Einwilligung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 d) Streitpunkt: Inklusion vulnerabler Personen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 aa) Vulnerable Personen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 bb) Inklusion und Schutzmaßnahmen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 (1) Nicht-einwilligungsfähige Personen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 (2) Marginalisierte Personen  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 e) Streitpunkt: Studiendesign  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 f) Streitpunkt: Benefit Sharing und Verteilungsgerechtigkeit  . . . . . . 176 aa) Individuelle Nachbehandlung von Versuchspersonen  . . . . . . . . 176 bb) Vermarktung von Arzneimitteln  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 cc) Sonstiges Benefit Sharing  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 g) Bewertung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 II. International Conference on Harmonisation of Technical Requirements for Registration of Pharmaceuticals for Human Use  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 1. Vertretungsgerechtigkeit und Verfahrensfairness  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 a) Mitgliedschaft .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 b) Organe .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 aa) Steering Committee  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180

Inhaltsverzeichnis

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bb) Arbeitsgruppen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 cc) Global Cooperation Group  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 dd) Konferenz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 ee) Sekretariat  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 c) Entscheidungsfindung: Das ICH-Harmonisierungsverfahren  . . . 182 aa) Schritt 1: Konsensbildung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 bb) Schritt 2: Bestätigung des Acht-Parteien-Konsenses  . . . . . . . . . 182 cc) Schritt 3: Regulatorische Konsultationen und Diskussion  . . . . 183 dd) Schritt 4: Annahme der ICH Harmonised Tripartite Guideline. 183 ee) Schritt 5: Implementierung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 ff) Revisionsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 d) Bewertung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 2. Effektive Problemlösung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 a) Zugrunde liegende bioethische Theorien und Strömungen  . . . . . . 189 b) Streitpunkte: Querschnittsfragen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 aa) Grundsätzliches Verhältnis Individual- und Allgemeininteresse. 190 bb) Subsidiarität von Menschenversuchen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 cc) Positive Nutzen-Risiko Abwägung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 c) Streitpunkt: Informierte Einwilligung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 d) Streitpunkt: Inklusion vulnerabler Personen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 aa) Vulnerable Personen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 bb) Inklusion und Schutzmaßnahmen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 (1) Nicht-einwilligungsfähige Personen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 (2) Marginalisierte Personen  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 e) Streitpunkt: Studiendesign  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 f) Streitpunkte: Benefit Sharing und Verteilungsgerechtigkeit  . . . . . 199 aa) Individuelle Nachbehandlung von Versuchspersonen  . . . . . . . . 199 bb) Gesellschaftlicher Zugang zu den getesteten Arzneimitteln  .. 200 cc) Sonstiges Benefit Sharing  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 g) Bewertung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 III. Rat für internationale Organisationen der medizinischen Wissenschaften (Council for Coordination of International Organizations of Medical Sciences, CIOMS)  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 1. Vertretungsgerechtigkeit und Verfahrensfairness  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 a) Mitgliedschaft .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 b) Organe .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 aa) Generalversammlung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 bb) Executive Committee  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 cc) Arbeitsgruppen und Langzeitprogramme  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 dd) Ad-hoc-Arbeitsgruppen und Leitungskomitees  . . . . . . . . . . . . . . 205 ee) Konferenzen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205

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Inhaltsverzeichnis ff) Sekretariat  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 c) Entscheidungsfindung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 aa) Errichtung eines Steering Committees  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 bb) Ad-hoc-Beratergruppe  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 cc) Prüfung durch das Steering Committee  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 dd) Deliberation bei der CIOMS Konferenz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 ee) Revision des Entwurfs  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 ff) Kommentierung  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 gg) Befürwortung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 d) Bewertung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 2. Effektive Problemlösung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 a) Zugrundeliegende bioethische Theorien und Strömungen  . . . . . . . 208 b) Streitpunkte: Querschnittsfragen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 aa) Grundsätzliches Verhältnis Individual- und Allgemeininteresse. 209 bb) Subsidiarität von Menschenversuchen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 cc) Positive Nutzen-Risiko-Abwägung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 c) Streitpunkt: Informierte Einwilligung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 aa) Grundsatz  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 bb) Informationskanon  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 cc) Flankierende Pflichten und Einschränkungen  . . . . . . . . . . . . . . . . 213 d) Streitpunkt: Inklusion vulnerabler Personen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 aa) Vulnerable Personen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 bb) Inklusion und Schutzmaßnahmen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 (1) Grundsätzliche Positionierung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 (2) Nicht-einwilligungsfähige Personen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 (3) Marginalisierte Personen  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 e) Streitpunkt: Studiendesign  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 f) Streitpunkte: Benefit Sharing und Verteilungsgerechtigkeit  . . . . . 224 aa) Individuelle Nachbehandlung von Versuchspersonen  . . . . . . . . 224 bb) Gesellschaftlicher Zugang zu den getesteten Arzneimitteln  .. 225 cc) Sonstiges Benefit Sharing  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 g) Bewertung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 C. Ergebnis  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 I. Legitimitätsdefizite hinsichtlich Vertretungsgerechtigkeit und Verfahrensfairness  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Legitimitätsdefizite hinsichtlich der effektiven Problemlösung  .. . . . . . . . . III. Effektive materielle Problemlösung durch eine Gesamtschau der Guidelines?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unterschiedliche Perspektiven und Spezifizierung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unterschiedliche teils widersprüchliche Detailregelungen  . . . . . . . . . . . . 3. Gegensätzliche Grundausrichtungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

228 228 229 229 230 231

Inhaltsverzeichnis

17

4. Universaler oder regionaler Standard?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 5. Zusammenschau  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 IV. Weitere Fragestellung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 Teil 3

Arzneimittelversuche und Menschenrechte  234

§ 5 Menschenrechte der Forschung an Menschen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 A. Zunehmende Perzeption bioethischer Fragen als Regelungsgegenstände des Völkerrechts  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 I. Gemeinsamer Ursprung, unterschiedliche Entwicklung  . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 II. Konvergenz von Bioethik und Menschenrechten?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 B. Relevante Übereinkommen  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 C. Grundsätze der Auslegung und Typologie  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 I. Dynamische Auslegung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Unteilbarkeit und Interdependenz der Menschenrechte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ebenen der Staatenverpflichtung  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Progressive Implementierung und Core Obligations wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Menschenwürde als universelle Basis aller Menschenrechte  .. . . . . . . . . . . . . . . .

241 242 244

I. Menschenwürde im Völkerrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Menschenwürde in der konkreten Anwendung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Menschenwürde als Begründung universeller Menschenrechte  .. . . . . . . . . 1. Reichweite und Inhalt  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Universaler Geltungsanspruch  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Konzeption nach Kant zur Ausfüllung eines universalen Menschen­ würdeschutzes  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Menschenwürde als Begründung völkervertraglicher Übereinkommen zur Forschung an Menschen  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Ethische Streitpunkte der Forschung an Menschen aus völkervertragsrecht­licher Perspektive  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

247 250 251 252 253

I. Querschnittsfragen, Grundsätze des Versuchspersonenschutzes  .. . . . . . . . 1. Ausgleich von Individual- und Allgemeininteressen  .. . . . . . . . . . . . . . . . . a) Spezifische Regelung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Grundsätzliche Verortung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verbot von Versuchen an Menschen bei bestehenden Alternativen  . . . . a) Spezifische Regelung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verbot von Versuchen an Menschen bei bestehenden Alternativen als Ausfluss der Menschenwürde  . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Unterlagenschutzproblematik .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verbot von Versuchen bei Menschen bei unverhältnismäßiger RisikoNutzen-Abwägung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

245 247

254 255 256 257 257 257 257 258 258 258 259 260

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Inhaltsverzeichnis a) Spezifische Regelung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 b) Verbot eines unverhältnismäßigen Risiko-Nutzen-Verhältnisses nach dem IPBPR als Ausfluss der Menschenwürde  . . . . . . . . . . . . . 261 II. Informierte Einwilligung  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 1. Spezifische Regelungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 a) Biomedizinkonvention .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 b) Das 3. Zusatzprotokoll zur Biomedizinkonvention betreffend biomedizinische Forschung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 c) UNESCO Universal Declaration on Bioethics and Human Rights. 265 2. Verbote nach allgemeineren Menschenrechtsübereinkommen  . . . . . . . . 266 a) Verbot nach dem IPBPR und der Behindertenrechtskonvention  . 266 b) Recht auf Achtung der Privatsphäre   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 c) Recht auf Gesundheit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 III. Vulnerable Personen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 1. Das Konzept der Vulnerabilität im Kontext der Forschung  . . . . . . . . . . . 271 a) Spezifische Übereinkommen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 aa) 3. Zusatzprotokoll zur Biomedizinkonvention  . . . . . . . . . . . . . . . 271 bb) UNESCO Universal Declaration on Bioethics and Human Rights  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 b) Allgemeine Übereinkommen: Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 2. Nicht-einwilligungsfähige Personen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 a) Einwilligungsfähigkeit  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 aa) Spezifische Regelungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 (1) Biomedizinkonvention und ihr 3. Zusatzprotokoll  . . . . . . . 275 (2) UNESCO Universal Declaration on Bioethics and Human Rights  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 bb) Allgemeinere Übereinkommen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 (1) Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte und Behindertenrechtskonvention  .. . . . . . . . . . . . . . 276 (2) Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 b) Kinder und Heranwachsende  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 aa) Spezifische Regelungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 (1) Biomedizinkonvention und ihr 3. Zusatzprotokoll  . . . . . . . 277 (2) UNESCO Universal Declaration on Bioethics and Human Rights  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 bb) Allgemeinere Übereinkommen: Kinderrechtskonvention  .. . . . 279 c) Nicht-einwilligungsfähige Erwachsene  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 aa) Spezifische Übereinkommen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 bb) Allgemeine Übereinkommen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 3. Unfreie Personen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282

Inhaltsverzeichnis a) Spezifische Übereinkommen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Allgemeine Übereinkommen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Pflichten zu besonderen Schutzmaßnahmen bei Versuchen mit marginalisierten Personen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Spezifische Übereinkommen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Allgemeine Übereinkommen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) ILO Konvention Nr. 169  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Verbote bestimmter Studiendesigns  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Spezifische Übereinkommen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Allgemeine Übereinkommen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Recht auf Leben  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Recht auf Gesundheit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Benefit Sharing und Verteilungsgerechtigkeitsaspekte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Individuelle Nachbehandlung von Versuchspersonen  .. . . . . . . . . . . . . . . . a) Individuelle Nachbehandlung nach dem spezifischen 3. Zusatz­ protokoll zur Biomedizinkonvention  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Recht auf Gesundheitsversorgung  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gesellschaftlicher Zugang zu den getesteten Arzneimitteln  . . . . . . . . . . . a) Gesellschaftlicher Zugang als Benefit Sharing nach der spezifischen UNESCO Universal Declaration on Bioethics and Human Rights  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Allgemeine Übereinkommen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sonstiges Benefit Sharing  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Spezifische Übereinkommen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Allgemeine Übereinkommen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Zusammenfassung der Staatenpflichten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schutzmaßnahmen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Realisierungspflichten .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Internationale Kooperation  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Streitpunkte der Forschung an Menschen im Völkergewohnheitsrecht  .. . . . . .

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282 284 285 285 285 285 286 288 288 289 289 291 294 294 294 294 294

294 295 295 295 296 296 297 297 298 299

I. Völkergewohnheitsrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 II. Völkergewohnheitsrecht der Forschung an Menschen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 1. Verbot der Forschung an Menschen ohne deren informierte Einwilligung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 a) Internationale Praxis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 b) Nationale Gesetzgebung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 c) Nationale Rechtsprechung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 d) Fazit .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 2. Pflichten zur Ergreifung besonderer Schutzmaßnahmen bei Versuchen an besonders schützenswerten Personen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306

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Inhaltsverzeichnis a) Keine einheitliche, von Rechtswillen getragene Praxis  . . . . . . . . . . 306 b) Fazit .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 G. Allgemeine Rechtsgrundsätze der Forschung an Menschen  .. . . . . . . . . . . . . . . . . 308 I. Allgemeine Rechtsgrundsätze  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Allgemeine Rechtsgrundsätze der Forschung an Menschen  . . . . . . . . . . . . . 1. Verbot der Forschung an Menschen ohne deren informierte Einwilligung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichten zur Ergreifung besonderer Schutzmaßnahmen bei der Forschung an besonders schützenswerten Personen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . H. Ergebnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

308 309 309 311 311

§ 6 Extraterritoriale Staatenpflichten und unternehmerische Verantwortung  .. . 314 A. Unmittelbare Bindung von Unternehmen an Menschenrechtsübereinkommen. 315 I. Völkerrechtssubjektivität von Unternehmen  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verpflichtung von Unternehmen aus Völkervertragsrecht  . . . . . . . . . . . . . . . 1. Pflichtenstellung von Unternehmen in völkerrechtlichen Verträgen  . . . a) Allgemeine Menschenrechtsübereinkommen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Spezifische Übereinkommen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unmittelbare Anwendbarkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Unmittelbare Drittwirkung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenfazit .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Corporate Social Responsibility  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unverbindliche Beschlüsse internationaler Organisationen  . . . . . . . . . . . a) UN Draft Norms on the Responsibilities of Transnational Corporations and other Business Enterprises with regard to Human Rights  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Global Compact   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) ILO Tripartite Declaration of Principles Concerning Multi­national Enterprises  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) OECD Guidelines for Multinational Enterprises  . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zwischenfazit .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Spezifische Ethikguidelines als funktionale Äquivalente zu rechtlich unverbindlichen Beschlüssen öffentlicher Gewalt  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Deklaration von Helsinki des Weltärztebundes  .. . . . . . . . . . . . . . . . . b) ICH Guideline for Good Clinical Practice  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) CIOMS International Ethical Guidelines for Biomedical Research Involving Human Subjects  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Völkergewohnheitsrechtliche Verpflichtung?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Staatenkonsens über eine extrarechtliche Verpflichtung von Unternehmen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einzelstaatliche Durchsetzung von Menschenrechten  . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zwischenergebnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

315 318 318 318 319 320 321 323 323 324

324 325 326 327 328 328 328 328 329 329 330 332 334

Inhaltsverzeichnis

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B. Extraterritoriale Staatenpflichten  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 I. Zulässigkeit der Reglementierung extraterritorialer Aktivitäten von Unternehmen  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 1. Direkte Reglementierung von extraterritorialen Unternehmens­aktivitäten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 a) Gründungs- und Sitztheorie als Anknüpfungspunkt  . . . . . . . . . . . . 338 b) Piercing the Corporate Veil  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 2. Indirekte Reglementierung von extraterritorialen Unternehmensaktivitäten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 3. Verwaltungsrechtliche Reglementierung extraterritorialer Aktivitäten  . 343 4. Schranken der Zulässigkeit der Reglementierung extraterritorialer Aktivitäten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 a) Die Domaine Réservé  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 b) Internationale handelsrechtliche Protektionsverbote nach dem GATS  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 5. Zwischenfazit .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 II. Pflicht zur Reglementierung extraterritorialer Aktivitäten von Unter­nehmen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 1. Extraterritoriale Anwendung der UN-Pakte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 a) Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte  . . . . . 350 b) Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 2. Extraterritoriale Anwendung von Übereinkommen des Europarates  .. 356 a) Europäische Menschenrechtskonvention  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 b) Biomedizinkonvention .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 c) 3. Zusatzprotokoll zur Biomedizinkonvention betreffend biomedizinische Forschung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 III. Zwischenergebnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 IV. Extraterritoriale Staatenverpflichtungen aus dem Recht der Staaten­ verantwortung und der UN-Charta  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 C. Ergebnis  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 § 7 Schlussbetrachtung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 Literaturverzeichnis  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 Sachwortregister  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388

Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis

3-ZP-BMK

3. Zusatzprotokoll zur Biomedizinkonvention betreffend biomedizinische Forschung Abs. Absatz Abschn. Abschnitt ACommHPR African Commission on Human and Peoples’ Rights ACtHPR African Court on Human and Peoples’ Rights AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union a.F. alte(r) Fassung AIDS Acquired Immune Deficiency Syndrome AMG Arzneimittelgesetz AMGVwV Arzneimittelgesetz-Verwaltungsverfahrensverordnung AMRK Amerikanische Menschenrechtskonvention Amtsbl. Amtsblatt Art. Artikel ATS Alien Tort Statute AU Afrikanische Union Aufl. Auflage AVR Archiv des Völkerrechts AWMF Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften AZT Azidothymidin BB Betriebsberater BBl. Bundesblatt (Schweizer) Bd. Band BDR Bundesrepublik Deutschland BfArM Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte BGBl Bundesgesetzblatt BIP Bruttoinlandsprodukt BMJ British Medical Journal BMK Biomedizinkonvention BNE Bruttonationaleinkommen BSG Bundessozialgericht bspw. beispielsweise BT-Drs. Bundestagsdrucksache bzw. beziehungsweise ca. circa CCPR Covenant on Civil and Political Rights CDU Christlich Demokratische Union CEDAW Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination Against Women CESCR Committee on Economic, Social and Cultural Rights CESCR Covenant on Economic, Social and Cultural Rights

Abkürzungsverzeichnis C.E.T.S. No. Council of Europe Treaty Series Number CFR Code of Federal Regulation CHMP Committee for Medicinal Products for Human Use CIDH Corte Interamericana de Derechos Humanos CIOMS Council for International Organizations of Medical Sciences c/o care of CoE Council of Europe COM Commission CPC Central Product Classification CPMP Committee for Proprietary Medicinal Products CRDP Committee on the Rights of Persons with Disabilities CRO Contract Research Organisation CSU Christlich Soziale Union DDR Deutsche Demokratische Republik d.h. das heißt Doc. Document Dok. Dokument Drs. Drucksache DVD Digital Versatile Disc EFPI European Federation of Pharmaceutical Industries and Associations EG Europäische Gemeinschaft EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte EMEA/EMA European Medicines Agency EMRK Europäische Menschenrechtskonvention et al. et aliter etc. et cetera ETS No. European Treaty Series Number EU Europäische Union EuGH Europäischer Gerichtshof EuGHE Entscheidungssammlung des Europäischen Gerichtshofs EuGRZ Europäische Grundrechtezeitschrift EuR Europarecht EUR Euro EUV Vertrag über die Europäische Union EWR Europäischer Wirtschaftsraum f. folgende FAO Food and Agriculture Organization FDA Food and Drug Administration FDCA Food, Drug and Cosmetic Act FDP Freie Demokratische Partei ff. fortfolgende FN Fußnote F. Supp. Federal Supplement G.A. General Assembly GATS General Agreement on Trade and Services GATT General Agreement on Tariffs and Trade GbR Gesellschaft bürgerlichen Rechts GCP Good Clinical Practice

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GCP-V

Abkürzungsverzeichnis

Verordnung über die Anwendung der Guten Klinischen Praxis bei der Durchführung von klinischen Prüfungen mit Arzneimitteln zur Anwendung am Menschen GG Grundgesetz ggf. gegebenenfalls GK Große Kammer GRUR Int. Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht International HHS US Department of Health and Human Services HIV Human Immunodeficiency Virus HRC Human Rights Committee Hrsg. Herausgeber Ibid. Ibidem ICH International Conference on Harmonisation of Technical Requirements for Registration of Pharmaceuticals for Human Use ICJ International Court of Justice ICSID International Centre for the Settlement of Investment Disputes IEC Independent Ethics Committee IFPMA International Federation of Pharmaceutical Manufacturers and Associations IGH Internationaler Gerichtshof i.H.v. in Höhe von ILC International Law Commission ILO International Labour Organization Inc. Incorporated IPBPR Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte IPWSKR Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte IRB Independent Review Board IStGHJ Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien i.V.m. in Verbindung mit JA Juristische Arbeitsblätter Jh. Jahrhundert JPMA Japan Pharmaceutical Manufacturers Association JZ Juristen Zeitung KG Kommanditgesellschaft km Kilometer KOM Kommission KSZE Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa KZ Konzentrationslager LG Landgericht lit. litera ltd. limited MBl. Ministerialblatt MBO Musterberufsordnung MBO-Ä Musterberufsordnung der Ärzte M.D.N.C. United States District Court for the Middle District of North Carolina MedR Medizinrecht MoMiG Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen

Abkürzungsverzeichnis Mrd. Milliarden m.w.N. mit weiteren Nachweisen NO Número NAFTA North American Free Trade Agreement n.F. neue(r) Fassung NGO Non-Governmental Organization NJW Neue Juristische Wochenschrift Nr. Nummer NRW Nordrhein-Westfahlen NS Nationalsozialisten, nationalsozialistisch(e) NStZ Neue Zeitschrift für Strafrecht NVwZ Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NY New York NZG Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht OAS Organization of American States O.A.S.T.S. No. Organization of American States Treaty Series Number OAU Organization of African Unity OECD Organisation for Economic Co-operation and Development Off. Rec. World Official Record of the World Health Organization Hlth Org. OHG Offene Handelsgesellschaft OLG Oberlandesgericht OSZE Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa para. Paragraph PCIJ Permanent Court of International Justice pdf Portable Document Format PhRMA Pharmaceutical Research and Manufacturers of America PMDA Pharmaceuticals and Medical Devises Agency PPP Public Private Partnership R&D Research and Development RL Richtlinie Rn. Randnummer Rnrn. Randnummern Rs. Rechtssache S. Seite S.A. Sociedad Anónima SAMW Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften S.Ct. Supreme Court Reporter Slg. Sammlung SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands StGB Strafgesetzbuch Suppl. Supplement u.a. unter anderem UK United Kingdom UN United Nations UNAIDS [Joint] United Nations Programme on HIV/AIDS UNESCO United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization UNO United Nations Organization

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Abkürzungsverzeichnis

Untabs. Unterabsatz U.N.T.S. United Nations Treaty Series USA United States of America USC United States Code USD United States Dollar v. versus v. Chr. vor Christus vfa Verband forschender Arzneimittelhersteller vgl. vergleich(e) VO Verordnung Vol. Volume WADA World Anti-Doping Agency WHA World Health Assembly WHO World Health Organization WMA World Medical Association WTO World Trade Organization WVK Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge YILC Yearbook of the International Law Commission ZaöRV Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht z.B. zum Beispiel Ziff. Ziffer ZP Zusatzprotokoll ZPO Zivilprozessordnung

§ 1 Einführung § 1 Einführung

Auf das verheerende Erdbeben im Januar 2010, das Haiti in weiten Teilen zerstörte, folgte ab November 2010 eine Cholera-Epidemie, in deren Lauf mindestens 7.000 Menschen starben und 530.000 Menschen erkrankten.1 Im April 2012 genehmigte die haitianische nationale Ethikkommission schließlich eine flächendeckende Impfkampagne.2 Die „Impfungen kamen viel zu spät“.3 Zum Zeitpunkt des Ausbruchs der Cholera schätzte die WHO die Situation in Haiti noch als zu chaotisch ein, um flächendeckende Impfungen durchzuführen.4 Auch war der einzige von der WHO prä-qualifizierte in den Niederlanden produzierte Impfstoff Dukoral relativ teuer. Erst am 29. September 2011 befürwortete die WHO den Einsatz von Shanchol einem Vakzin, das in Seoul entwickelt worden ist und kostengünstig in Indien produziert wird.5 Die Genehmigung und Ausgabe des Impfstoffes erfolgte dennoch erst ein halbes Jahr später. Ein wesentlicher Grund hierfür lag in dem tief sitzenden Misstrauen der haitianischen Bevölkerung gegenüber den ausländischen Helferinnen6.7 Die haitianische nationale Ethikkommission wurde involviert und der Impfstoff erst so spät genehmigt, weil über Internetblogs und Radio das Gerücht gestreut worden war, diese Impfkampagne diene eigentlich nur Humanexperimenten, die an der haitianischen Bevölkerung durchgeführt werden sollten.8 1  Sontag, Deborah, In Haiti, Global Failures on a Cholera Epidemic, The New York Times online vom 31. 03. 2012, abrufbar unter http://www.nytimes.com/2012/04/01/world/ americas/haitis-cholera-outraced-the-experts-and-tainted-the-un.html?ref=haiti. 2  Hawkes, Nigel, Haiti Launches Vaccination Campaign against Cholera after much Debate, BMJ 344 (2012), online Ausgabe. 3  Schenk, Niklas, Impfungen kamen viel zu spät, Süddeutsche Zeitung vom 25. 04. 2012 online Ausgabe abrufbar unter http://www.sueddeutsche.de/gesundheit/cholera-auf-haiti-die-impfungen-haben-viel-zu-spaet-begonnen-1.1341151. 4  Butler, Declan, Cholera Tightens Grip on Haiti, Nature 468 (2010), 483 – 484. 5  Butler, Declan, No Quick Fix for Haiti Cholera, Nature 478 (2011), 295 – 296; WHO, abrufbar unter http://www.who.int/immunization_standards/vaccine_quality/pq_250_cholera_1dose_shantha/en/index.html. 6  Zur besseren Lesbarkeit wird jeweils nur ein Genus genutzt. Es sind jedoch immer auch Männer und intersexuelle Personen gemeint, sofern auf keine konkreten Personen Bezug genommen wird. 7  Eine Hypothese ist, dass der Cholera-Erreger erst durch nepalesische Blauhelmsoldatinnen nach Haiti gebracht wurde. Butler, Declan, Cholera Tightens Grip on Haiti, Nature 468 (2010), 483 – 484. 8  Hawkes, Nigel, Haiti Launches Vaccination Campaign against Cholera after much Debate, BMJ 344 (2012), online Ausgabe; Schenck, Niklas, Impfungen kamen viel zu spät, Süd-

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§ 1 Einführung

Die Angst im „Versuchslabor des Westens“9 missbraucht zu werden, scheint angesichts der Realität klinischer Versuche in Entwicklungsländern10 prima vista nicht gänzlich unbegründet. Menschenversuche, noch dazu solche, die von reichen und mächtigen Unternehmen der reichen und mächtigen Länder dieser Welt an den ärmsten Menschen der ärmsten Ländern dieser Welt durchgeführt werden zeugen von Ungerechtigkeit und bergen die Ingredienzien, die empörende Essays11, bedeutsche Zeitung vom 25. 04. 2012 online Ausgabe abrufbar unter http://www.sueddeutsche. de/gesundheit/cholera-auf-haiti-die-impfungen-haben-viel-zu-spaet-begonnen-1.1341151. 9  Goos, Hauke, Das Labor der Weißen, Der Spiegel 46 (2007), 112 – 118. 10  Im Folgenden wird eine Zweiteilung in relativ arme Entwicklungsländer und relativ reiche Industrieländer vorgenommen, die in dieser Rigorosität eigentlich nur artifiziell aufrechtzuerhalten ist. Auch im pharmazeutischen Sektor scheinen sich traditionelle Mechanismen umzukehren. So bieten etwa in einer Umkehrung alter Verhältnisse vermehrt europäische und US-amerikanische Unternehmen Generika in Asien an, während diese Märkte Blockbuster entwickeln. The Economist, Battling Borderless Bugs vom 07. 01. 2012, S.  49. Dennoch soll hier die Dichotomie von Entwicklungsländern und Industrieländern beibehalten werden. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass die so genannte Handelstriade der USA, Europa und Japan immer noch über drei Viertel des weltweiten Umsatzes mit Arzneimittel bestreitet. Diese stellen aus wirtschaftlicher Sicht immer noch die interessantesten Märkte dar. Dies geht auch damit einher, dass diese Regionen noch die Heimat der größten und umsatzstärksten pharmazeutischen Unternehmen darstellt. Aufgrund dieser immer noch bestehenden wirtschaftlichen Vormachtstellung im pharmazeutischen Sektor bestimmen diese Regionen auch den Diskurs um die Normierung von wissenschaftlichen wie methodologischen Standards wie Versuche durchgeführt werden sollten. Im Jahr 2010 betrug der Anteil nach Angaben des Interessenverbandes vfa etwa 77 % (Schweiz miteinbezogen). Vfa, Statistics 2011 – Die Arzneimittelindustrie in Deutschland, S. 44. abrufbar unter http://www.vfa.de/embed/statistics-2011.pdf. 2009 wurden nach Angaben des vfa etwa 86 % des Gesamtvolumens der Arzneimittelproduktion in diesen drei Regionen (inklusive der Schweiz) produziert. Darüber hinaus zeichnen sich Länder wie China oder Indien auch immer noch dadurch aus, dass sie über einen relativ großen Teil (sehr) armer oft wenig formal gebildeter Bevölkerungsschichten verfügen, deren prekäre Lage potentiell „ausgenutzt“ werden kann. Das dichotome Begriffspaar „Industrie- und Entwicklungsländer“ soll daher nicht streng definitorisch gebraucht werden. Vielmehr sollen mit „Entwicklungsländer“ diejenigen bezeichnet werden, die nicht Länder der USA, Europa und Japan sind und über signifikante Teile armer Bevölkerungsschichten verfügen, die tendenziell wenig formal gebildet bzw. alphabetisiert sind und kaum Zugang zu regulärer adäquater Gesundheitsversorgung haben. 11  Feuerlein, Monika, Globale Experimentierfelder, Gen-ethischer Informationsdienst (2009), 9 – 13; Rajan, Kaushik Sunder, Biokapitalistische Werte, Gen-ethischer Informationsdienst (2009), 17 – 20; den Boer, Annelies, Kein ausreichender Schutz der Probanden, Gen-ethischer Informationsdienst (2009), 5 – 8; Medizin-Tests in Indien – Verkaufte Körper, Spiegel online vom 09. 05. 2012, abrufbar unter http://www.spiegel.de/wissenschaft/ medizin/klinische-studien-in-indien-ethik-ist-eine-schwere-frage-a-829820.html; Kuhrt, Nicola, Inder wollen keine Versuchskaninchen mehr sein, Spiegel online vom 09. 05. 2012, abrufbar unter http://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/klinische-studien-in-indien-fordern-immer-wieder-todesopfer-a-806797.html; Kuhrt, Nicola, Erst der Test, dann die

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rührende Romane12 und spannende Hollywood-Filme13 ergeben. Und doch scheint jeder Plot eines Hollywood-Films sogar hinter der Realität zurückzubleiben. In regelmäßigen Abständen – so scheint es – ereilt die Welt Nachricht von kontroversen Versuchen, die wie das folgende Beispiel klingen. 1996 grassierte in Nigeria eine schwere Meningitis-Epiedemie. Als Rabi Abdullahi bemerkte, dass ihre Tochter Lubabatau wie so viele andere Kinder, die bald verstarben, hohes Fieber und starke Kopfschmerzen entwickelte, brachte sie sie in das Nigera’s Infectious Disease Hospital in Kano.14 Dort wurde Lubabatao Abdullahi von nigerianischen und auch drei US amerikanischen Ärztinnen behandelt. Was Rabi Abdullahi nicht wusste, wie sie hinterher aussagte, war, dass es sich um einen Versuch unter der Sponsorenschaft von Pfizer handelte und dass die drei US-amerikanischen Ärztinnen von Pfizer geschickt worden waren, um ein neues Antibiotikum Trovafloxacin Mesylate (Markenname Trovan) für eine Zulassung durch die US Food and Drug Administration zu testen. Da Meningitis in den USA relativ selten auftritt und zudem eine Therapie vorhanden ist, wäre es ein langwieriger Prozess gewesen, in den USA Probandinnen zu rekrutieren. Pfizer sammelte daher rasch alle Unterlagen zusammen, um die Gunst der Epidemie in dem westafrikanischen Land nutzen zu können. Lubabatao war eines von 200 Kindern, von denen die eine Hälfte Trovan und die andere als Kontrollgruppe die Standardtherapie erhielt. Tierversuche hatten jedoch vorher gezeigt, dass Trovan lebensbedrohliche Nebenwirkungen hatte. Aber die Gelegenheit sollte nicht ungenutzt bleiben. Außerdem erhielt die Kontrollgruppe die Standardtherapie nur in verminderter Dosis, um Therapieunterschiede besser herausstellen zu können. In der Trovan-Gruppe starben fünf, in der Kontrollgruppe sechs Kinder. Weitere 181 sind seither blind, taub, gelähmt und/oder geistig behindert.15 Was Rabi Abdullahi auch nicht wusste war, dass im selben Krankenhaus Médecins Sans Frontières eine konventionelle und wirksame Behandlung gegen bakterielle Meningitis kostenlos anboten. Moral, Spiegel online vom 09. 05. 2012, abrufbar unter http://www.spiegel.de/wissenschaft/ medizin/klinische-studien-indien-ist-paradies-fuer-pharma-konzerne-a-832012.html. 12  Shah, Sonia, The Body Hunters: Testing New Drugs on the World’s Poorest Patients, 2007; LeCarré, John, Der ewige Gärtner, 7. Aufl., 2011. 13  Meirelles, Fernando, Der ewige Gärtner (the Constant Gardener), Focus Features in Zusammenarbeit mit dem U.K. Film Council, in Deutschland 2009 als DVD bei ARTHAUS, Kinowelt Home Entertainment erschienen; Jenkins, Paul, Menschen als Versuchs­ tiere, Frankreich 2010, ARTE France, deutsche Erstausstrahlung 12. 11. 2010. 14  Die Darstellung richtet sich nach dem Sachverhalt wie er der Entscheidung United States Court of Appeals 2nd Circuit vom 30. 01. 2009, 562 F.3d 163, [169 – 170] zugrundegelegt worden ist. 15  Diese Zahl ist nach Goos, Hauke, Das Labor der Weißen, Der Spiegel 46 (2007) vom 12. 11. 2007, S. 112; BBC News online vom 30. 07. 2009, 03. 04. 2009, 25. 07. 2007, 20. 07. 2007, 30. 11. 2001, 30. 07. 2001, 14. 03. 2001, http://news.bbc.co.uk/2/hi/africa/7982236.stm mit weiteren Verlinkungen. In der US Court of Appeals Entscheidung heißt es „left many others blind, deaf paralyzed, or brain-damaged“.

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Im Jahr 2010 sorgte die Publikation einer Historikerin über US-amerikanische Syphilis-Versuche in Guatemala für Aufsehen.16 Von 1946 bis 1948 wurden in Guatemala Prostituierte, Soldatinnen, und Häftlinge ohne deren Wissen und Einwilligung durch US-amerikanische Forscherinnen mit Syphilis infiziert, um Behandlungsmethoden zu testen. US-Präsident Barack Obama, US-Außenministerin Hillary Clinton und US-Gesundheitsministerin Kathleen Sebelius sahen sich zu einer gemeinsamen Entschuldigung veranlasst.17 In Deutschland sorgte im April 2013 ein Spiegel-Artikel für großen Wirbel, der offenlegte, dass westdeutsche Pharmaunternehmen die DDR als „günstige Teststrecke“18 genutzt und im großen Stil Versuche an Menschen, teilweise ohne deren explizite Einwilligung, durchgeführt hatten. Versuche an Menschen schüren leicht ein intuitives Unbehagen. Es steht der latente Verdacht im Raum, dass Personen, die sich in einer verletzlichen Situation und am kürzeren Ende eines Macht- und Informationsgefälles befinden, von einer Ärztin keine Hilfe erhalten, sondern nur als Versuchsobjekte und nicht als Subjekte erachtet werden. Das Macht- und Informationsgefälle scheint noch sehr viel größer, wenn Versuche in Entwicklungsländern durchgeführt werden. Doch wie sähe eine medizinische Hilfe, eine Behandlung aus, ohne dass auf Wissen zurückgegriffen werden könnte, das aus systematischen Versuchen stammt? Theorien um die Natur von Krankheiten und die beste Behandlungsmethode beruhten seit der Antike bis in das 20. Jahrhundert hinein vor allem auf Intuition und Ideologie der behandelnden Ärztinnen und seit langem verstorbener Autoritäten. Noch bis ins 19. Jahrhundert galt der Aderlass als Allheilmittel gegen eine Reihe von Beschwerden; so auch für Anämie.19 Auch wenn unklar ist, wer die Idee des Aderlasses als erstes begründet hat, so ist er doch von Hippokrates und später Galen befürwortet worden (von Galen z.B. gegen Fieber). Über zwei Jahrtausende waren diese die entscheidenden Autoriäten. Deren Autorität rührte indes nicht zuletzt aus deren Überzeugung von der eigenen Genialität her. Das Wissen, weshalb eine Behandlung wirkte oder nicht wirkte rührte nicht aus Versuchen, sondern aus einem unerschütterlichen Selbstvertrauen. Von einer seiner Tinkturen 16  Reverby, Susan M., „Normal Exposure“ and Inoculation Syphilis: A PHS „Tuskegee“ Doctor in Guatemala, 1946 – 48, 2011, aufrufbar unter http://www.wellesley.edu/WomenSt/ Reverby%20Normal%20Exposure.pdf. 17 British Medical Journal online, BMJ vom 04. 10. 2010, doi: 341:c5494; New York Times vom 02. 10. 2010, S. A1 New York Edition. 18  Kuhrt, Nicola/Wensierski, Peter, Günstige Teststrecke, Der Spiegel 20 (2013) vom 13. 05. 2013, S. 36 – 44; siehe auch Süddeutsche Zeitung vom 13. 05. 2013, S. 5; Frankfurter Rundschau vom 13. 05. 2013, S. 5. 19 In Frankreich der 1830er Jahre herrschte die Vorstellung, dass Fieber durch Entzündungen verursacht würden, die wiederum das Resultat von zu viel Blut seien. Daher importierte Frankreich im Jahr über 42 Millionen zusätzliche Blutegel, die beispielsweise bei einer Lungenentzündung den Patientinnen auf die Brust gesetzt wurden. Burch, Druin, Taking the Medicine – A Short History of Medicine’s Beautiful Idea, and our Difficulty Swallowing it, 2009, S. 71 f.

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sagte Galen beispielsweise, dass „alle die von dieser Behandlung trinken in kurzer Zeit sich erholen [würden], außer diejenigen, denen die Behandlung nicht hilft, die alle sterben werden. Es ist daher offensichtlich, dass die Behandlung nur in unheilbaren Fällen versagt.“20 Diese Art der Theoriefindung hielt sich bis in die Moderne. Kenelm Digby, Gründungsmitglied der Royal Society, etwa sorgte dafür, dass im 17. Jahrhundert die Waffensalbe, auch Sympathetisches Pulver genannt, in Europa populär wurde. Hierbei wurde Blaues Vitriol (Kupfersulfat) aufgetragen. Allerdings nicht auf die Wunde, sondern auf die Waffe, die die Wunde verursacht hatte. Es handelte sich dabei wohl um eine wirklich lebensrettende Behandlung. In einer Welt, in der Wundsalben giftig und reiche Nährböden für Bakterien waren, war es lebensrettend, die Mittel nicht auf die Wunde selbst aufzutragen.21 In der selben Manier vollzog Samuel Hahnemann, ein deutscher Arzt im 19. Jahrhundert, ein Experiment indem er eine Überdosis Chinarinde zu sich nahm. Er entwickelte Symptome, die der Malaria glichen und schloss daraus, dass eine Arznei, die Symptome in einer gesunden Person hervorrufen kann, eine kranke Person mit den gleichen Symptomen heilen könne. Gepaart mit der Fantasie, dass Wasser die Erinnerung an eine Substanz trage, die einmal in diesem gewesen ist, erfand er die Homöopathie. Für die längste Zeit beruhte medizinisches Wissen auf Fantasien. Um zu wirksamen und angemessen sicheren Mitteln zu gelangen, die gegen Cholera, Meningitis oder Syphilis tatsächlich helfen, waren nicht nur Fortschritte in der Chemie notwendig, sondern auch die Durchsetzung des Konzepts des systematischen Versuchs. Seit jeher „forschen“ Menschen an anderen Menschen, um neue Erkenntnisse zu gewinnen.22 Seit etwas mehr als einem halben Jahrhundert auch systematisch und kontrolliert. Ohne eine solche Forschung wären viele medizinische Fortschritte nicht möglich gewesen. Viele Patientinnen, deren Leiden noch nicht verstanden sind, setzen ihre Hoffnungen in weitere Forschung.23 Auch erwarten viele etablierte Maßnahmen eines systematischen Nachweises ihrer Tauglichkeit. Versuche sind letztlich notwendig – gerade auch zum Wohle armer Länder. Ohne klinische Forschung hätte ein sicheres und wirksames Vakzin gegen die Cholera kaum entwickelt werden können. Die klinische Forschung ist zentral, „um die Versprechen biomedizinischer Forschung in eine verbesserte klinische Praxis umzusetzen als ‚wissenschaftlicher Flaschenhals‘, den jeder biomedizinische Fortschritt passieren 20  Zitat bei Burch, Druin, Taking the Medicine – A Short History of Medicine‘s Beautiful Idea, and our Difficulty Swallowing it, 2009, S. 37. 21  Burch, Druin, Taking the Medicine – A Short History of Medicine‘s Beautiful Idea, and our Difficulty Swallowing it, 2009, S. 42 f. 22  Zu Humanexperimenten in der Antike und im Mittelalter siehe Heinrichs, Bert, Forschung am Menschen 2006, S. 5 ff. 23  Mukherjee beschreibt empathisch in seiner „Biographie des Krebses“ die verzweifelte Hoffnung die Krebspatientinnen jeder neuen Idee einer Behandlungsform entgegenbringen. Mukherjee, Siddhartha, The Emperor of All Maladies – A Biography of Cancer, 2010.

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muss, bevor er der Allgemeinheit dienen kann.“24 Ohne Forschung – auch an Menschen – wäre es unmöglich gewesen etwa die Pest oder Polio fast auszurotten. Die einzige Hoffnung der gegenwärtigen AIDS/HIV-Epidemien oder Malaria-Krise Herr zu werden, liegt in Forschung. Die einzige Möglichkeit tatsächlich wirksame und relativ sichere Stoffe von schädlichen zu unterscheiden, besteht derzeit noch in Versuchen an Menschen. Um die Sicherheit und Wirksamkeit eines neuen Arzneimittels ermessen zu können, sind letztlich Versuche an Menschen notwendig. Contergan dient als deutliches Warnbeispiel für die Gefahren eines unzureichend erprobten Arzneimittels. Damit stellt sich die Frage, ob und welche Normen es gibt, die einen Ausgleich zwischen Forschungserfordernis und Probandenschutz bieten und eine Sicherheit versprechen, dass keine Versuchsperson missbraucht wird. Es sind diese zwei Pole zwischen denen sich Regulierungsfragen von Versuchen an Menschen grundsätzlich bewegen: der Schutz einzelner Probandinnen und das Interesse der Forschung benötigenden Allgemeinheit. Grundsätzlich gilt, dass in klinischen Versuchen wie bei allen medizinischen Interventionen in die Integrität von Versuchspersonen eingegriffen wird. Versuchen an Menschen ist – unabhängig davon, wo sie durchgeführt werden – die Gefahr inhärent, das Leben, die Gesundheit und die Würde der Versuchspersonen zu verletzen. Regulierungsaufgaben liegen damit in einem Austarieren der Interessen und somit der normativen Festlegung inwieweit und unter welchen Bedingungen in die Integrität von Versuchspersonen eingegriffen werden kann oder wie permissiv Forschung sein darf oder sollte. Die Problematik von klinischen Arzneimittelversuchen wird noch erschwert, wenn Versuche in Entwicklungsländern für Industrieländer durchgeführt werden. Problematisch ist hier ein Auseinanderfallen von Nutzen und Risiko für die Gesellschaften von reichen und armen Staaten. Fragen der Forschung an Menschen sind vorher unter der Annahme adressiert worden, nach welcher aus der Mitte der Nutznießerinnen von Forschung auch diejenigen Personen stammen, die als Versuchspersonen die entsprechenden Risiken eingehen. Auf nationale oder regionale Ebene begrenzt muss eine Gemeinschaft, die um ihr Allgemeinwohl willen Forschung fördert auch selbst die Risiken (von Versuchen) tragen. Das Austarieren von Nutzen und Risiko stellt sich dabei als normative Frage dar. Es gilt festzulegen welche Risiken (von Versuchen) eine Gemeinschaft gewillt ist einzugehen. Diejenigen, die als Versuchspersonen betroffen sind, sind so im demokratischen Sinne ebenfalls an der Normgenese beteiligt, die das Grundverhältnis bestimmt, wonach zu entscheiden ist, wie viele Risiken und Bürden von Einzelnen für das Wohl der Gemeinschaft verlangt werden kann. Der globalisierten Forschung jedoch, wie sie hier betrachtet werden soll, liegt mitunter eine Trennung zwischen der profitierenden Gemeinschaft25 und

24  Rettig, Richard A., The Industrialization of Clinical Research, Health Affairs 19 (2000), 129 – 146 [131]. 25  Selbstverständlich kann einmal generiertes Wissen grundsätzlich weltweit zugänglich und von Nutzen sein. Der unmittelbare Nutzen für die Allgemeinheit bei den Arz-

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den das Risiko eingehenden Versuchspersonen vor,26 wenn Arzneimittel in ärmeren Ländern getestet und in reicheren Ländern vermarktet werden. Hinzu tritt, dass seit den Versuchen von Louis Pasteur oder Edward Jenner die Art der Versuchsdurchführung in der Medizin ebenso wie das wirtschaftliche Umfeld der Pharmakologie sich wesentlich geändert haben.27 Es ist eine Errungenschaft, dass Arzneimittelversuche an Menschen nunmehr unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten in komplexen klinischen Prüfungen durchgeführt werden, die idealerweise randomisiert und kontrolliert sind. Die Alternative ist die mystisch-intuitive Medizin der letzten Millenia. Die pharmazeutische Industrie wird dabei jedoch (noch) von einigen sehr großen westlichen Unternehmen dominiert. Die größten dieser global agierenden Unternehmen weisen einen Jahresumsatz auf, der nicht nur floskelhaft größer ist als das Bruttoinlandprodukt der meisten Länder dieser Welt.28 Es besteht daher die Befürchtung, dass etwa aus Kostengründen neimittelversuchen liegt indes in der zeitnahen Vermarktung und Zugänglichmachung von eben diesen Arzneimitteln. 26  Pathetisch lässt Regisseur Fernando Meirelles in der Romanverfilmung „Der ewige Gärtner“ einen seiner Protagonisten nach dem Drehbuch von Jeffrey Caine sagen: „Nein, es gibt keine Morde in Afrika, nur bedauerliche Todesfälle. Und aus diesen Todesfällen erwachsen die Wohltaten unserer Zivilisation. Ich meine Wohltaten, die wir uns so einfach leisten können, weil man diese Leben so überaus billig kaufen konnte.“ Meirelles, Fernando, Der ewige Gärtner (the Constant Gardener), Focus Features in Zusammenarbeit mit dem U.K. Film Council, in Deutschland 2009 als DVD bei ARTHAUS, Kinowelt Home Entertainment erschienen, Minute 112 ff. 27  Die Pharmakologie hat sich als spezialisierte Wissenschaft seit dem 19. Jahrhundert entwickelt. Die ersten schriftlichen Aufzeichnungen über medizinische Interventionen gehen bis auf die Hochkulturen Babyloniens um 1700 v. Chr. (der Gesetzestext des Hammurabi 1743 v. Chr. bestimmte Gebühren für Heiler und drakonische Strafen für Fehlleistungen), Ägyptens um 1600 v. Chr., Indiens um 750 v. Chr. Griechenlands im 5. Jahrhundert v. Chr. (Hippokrates war um 410 v. Chr. aktiv) und Chinas um 100 v. Chr. zurück; vgl. Nutton, Vivian, The Rise of Medicine, in: Porter, Roy (Hrsg.), The Cambridge History of Medicine, 2006, S.  46 – 70. 28  Nach einer Erhebung von Outreville führt Pfizer eine Liste der 45 umsatzstärksten multinationalen Unternehmen im Gesundheitssektor im Jahr 2003 mit über 45 Mrd. USD Umsatz an; Abbott Laboratories in dieser Liste auf Platz 10 erzielte hiernach einen Umsatz von knapp 19,6 Mrd. USD und Schering-Plough auf Platz 20 immerhin einen Umsatz von 6 Mrd. USD mit Vertretungen auf allen Kontinenten Outreville, J. François, Foreign Direct Investment in the Health Care Sector and Most-Favoured Locations in Developing Countries, European Journal of Health Economics 8 (2007), 305 – 312 [308]. Vgl. dazu BIP für 186 Länder (mit Hong Kong, Macao und den besetzten palästinensischen Gebiete) im selben Jahr 2003 zu Marktpreisen in USD bei UN Data, http://data.un.org/Data.aspx?q=GDP+2003&d=CDB&f=srID%3a29919%3byr%3a2003 Demnach lag der Umsatz von Pfizer höher als das BIP von 131 Ländern, vergleichbar mit der Wirtschaftsleistung von Marokko (ca. 43,8 Mrd. USD) oder Kuwait (ca. 47,8 Mrd. USD). Das BIP von 115 Ländern lag unter 20 Mrd. USD, der Umsatz von Abbott Laboratories lag etwa in der Höhe der Wirtschaftsleistung von Bulgarien (ca. 20 Mrd. USD) oder dem Libanon (ca. 19,8 Mrd. USD). Der Umsatz von Schering-Plough lag immer noch höher als das BIP von 77 Ländern und etwa in

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Unternehmen in Entwicklungsländern Versuche in einer Art durchführen, die in reicheren Industrieländern nicht möglich wären (wie es etwa ein Vorwurf in dem nigerianischen Trovan-Fall war). Angesichts der Vielzahl transnationaler Versuche,29 stellen sich damit nicht nur Fragen des grundsätzlichen Ausgleiches von Forschungsförderung und Probandenschutz, sondern darüber hinaus zur internationalen Standardsetzung und globalen Durchsetzung. Als „natürlicher“ Ort für regulatorische Antworten bietet sich das Völkerrecht an. Klinische Versuche in Entwicklungsländern haben das Potential, das Leben und die Gesundheit von Versuchspersonen zu verletzen. Darüber hinaus werden Aspekte der globalen Verteilungsgerechtigkeit und Solidarität tangiert. Die internationale Menschenrechtsrelevanz scheint damit evident indiziert. Zu prüfen wäre damit, ob und inwieweit Arzneimittelversuche an Menschen von internationalen Menschenrechtsübereinkommen umfasst werden und welche staatlichen Pflichten sich daraus ergeben. Um dem Umstand gerecht zu werden, dass transnationale Forschung häufig durch multinationale Unternehmen durchgeführt wird, wäre anschließend die Frage zu adressieren, ob und inwieweit besagte Unternehmen völkerrechtlich selbst verpflichtet sind, oder ob staatliche Pflichten zur Verpflichtung bestehen. Fragen des Probandenschutzes sind jedoch historisch primär als ethische Fragen wahrgenommen worden und nicht als genuin rechtliche. Allgemeine ärztliche Pflichten gegenüber Versuchspersonen und Patientinnen sind in der Regel als ethische Fragen diskutiert worden. So waren beispielsweise die Gräueltaten der NS-Ärztinnen an KZ-Gefangenen, die unter dem Etikett der Forschung stattfanden, zwar Gegenstand des Nürnberger Ärzteprozesses, sie sind jedoch in dem Verfahren und Urteil als ethische Übertretungen behandelt worden. Der so genannte Nürnberger Kodex, der Teil des Urteils ist, galt damit als erste medizinethische Vorschrift für Ärztinnen.30 Die erste international beachtliche gerichtliche Aufarbeitung von verheerenden Versuchen an Menschen wird damit bezeichnenderweise auch als Geburtsstunde der modernen Bioethik bezeichnet.31 Die erste Reaktion auf das Bekanntwerden von Versuchen an Menschen, wie dem Trovan-Fall, den US-amerikanischen Versuchen in Guatemala oder den BDR-Versuchen in der DDR war stets die Empörung diese Versuche seien unethisch gewesen. Angesichts dieser Wahrnehmung des Probandenschutzes bei der Höhe der Wirtschaftsleistung von Turkmenistan (ca. 6 Mrd. USD) oder Nepal (5,9 Mrd. USD) und höher als jene des EU-Mitglieds Malta (ca. 4,9 Mrd.). 29  Nach einer Erhebung der EU-Kommission sind im EWR von Mai 2004 bis September 2009 6.069 multinationale klinische Versuche durchgeführt worden sowie 5.110 klinische Versuche, die Versuche in Drittländern umfasst haben. European Commission, Assessment of the Functioning of the „Clinical Trials Directive“ 2001/20/EC – Public Consultation Paper, ENTR/F/2/SF D(2009) 32674 vom 09. 10. 2009, S. 5 f. 30  Schöne-Seifert, Bettina, Grundlagen der Medizinethik, 2007, S. 15. 31  Beyleveld, Deryck/Brownsword, Roger, Human Dignity in Bioethics and Biolaw, 2001, S. 29.

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Versuchen an Menschen als ethisches Problem werden auch Normen, die die Forschung an Menschen betreffen, zuvorderst und insbesondere in einem bioethischen Diskurs erörtert. Jede die nach Handlungsanweisungen für richtige Forschung sucht, wird daher vor allem Handlungsvorschläge für ethische Forschung finden. Die Suche nach einem normativen internationalen Standard führt schnell zu einem „internationalen ethischen Standard“. Es sind schließlich auch die nationalen und supranationalen rechtlichen Regelungen in der Europäischen Union, Deutschland und den USA,32 die, wie noch zu zeigen, die Einhaltung „internationaler ethischer Anforderungen“ verlangen. Doch woher kommt der „internationale ethische Standard“ und was beinhaltet er? Dies scheint weniger eindeutig. Die genannten Rechtsordnungen rekurrieren auf bestimmte Ethikguidelines, um komplexe technische Fragen zu adressieren, verschiedenen widerstreitenden Interessen gerecht zu werden und somit zu entscheiden, welche Handlungsweisen ethisch und damit richtig und damit zulässig sein sollen. Ebenso nimmt der internationale ethische Diskurs auf diese Ethik­ guidelines mit hoher Frequenz Bezug. Wie im ersten Teil darzulegen sein wird, sind drei Ethikguidelines besonders hervorzuheben: die Deklaration von Helsinki des Weltärztebundes (WMA), die International Ethical Guidelines for Biomedical Research Involving Human Subjects des Council for International Organizations of Medical Sciences (CIOMS) sowie die Good Clinical Practice Guideline der International Conference of Harmonisation of Technical Requirements for Registration of Pharmaceuticals for Human Use (ICH). Diese Guidelines formulieren Bedingungen und Voraussetzungen für die Durchführung von klinischen Versuchen (in Entwicklungsländern). Es sind diese Guidelines, die von den beteiligten Akteuren bereitwillig rezipiert und referenziert werden. Keine Akteurin, die „ethische Forschung“ betreiben oder regulieren möchte, scheint es vermeiden zu können, diesen Guidelines zumindest Aufmerksamkeit zu schenken. Dieser Umstand wirft indes grundsätzliche Fragen auf: Warum sind gerade diese Guidelines so prominent? Wie wirken sie? Was sind die Konsequenzen einer Nichtbefolgung? Was genau sagen sie aus? Wie verhalten sie sich untereinander? Und wessen Entscheidungen spiegeln sich eigentlich in ihren Normen wider? Im ersten Teil dieser Arbeit wird zunächst die Relevanz dieser Ethikguidelines herausgearbeitet. Einführend ist zu klären, wie sich die Problematik von klinischen Arzneimittelversuchen in Entwicklungsländern darstellt, d. h. wie solche Versuche an sich durchgeführt werden, wie die Zulassungspflicht für Arzneimittel mitursächlich die Parameter von klinischen Versuchen bestimmt, weshalb dies eine Globalisierung von Versuchen mitbegünstigt, welche die konkreten Streitpunkte und 32  Die EU, USA und Japan sind auch (noch) die Heimat der größten multinationalen pharmazeutischen Unternehmen, die signifikante Forschung in Entwicklungsländern durchführen.

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Probleme von Versuchen in Entwicklungsländern im Einzelnen sind und weshalb schließlich benannte Ethikguidelines so relevant zu sein scheinen. Der zweite Teil erörtert die normative Natur dieser Ethikguidelines und wie ihre Wirkungsweise sich aus rechtstheoretischer Perspektive einordnen lässt. Die primäre Frage, der in dieser Arbeit nachgegangen werden soll, ist dabei nicht, wie materiell Versuche in Entwicklungsländern normativ ausgestaltet sein sollten, sondern wer derzeit wie bestimmt, wie solche Versuche durchgeführt werden sollen und ob dies gerechtfertigt ist. Bedürfen diese Ethikguidelines einer Rechtfertigung, einer Legitimation, und wenn ja, erfüllen sie diese Legitimitätsanforderungen? Im dritten Teil soll schließlich auf den eingangs für regulatorische Antworten als „natürlich“ bezeichneten Ort dogmatisch eingangen werden. Es soll dargelegt werden, wie und in welchem Umfang Fragen der Arzneimittelforschung an Menschen von völkervertraglichen wie völkergewohnheitsrechtlichen Menschenrechten umfasst und normiert werden. Das heißt, dass zu prüfen ist, ob und inwieweit die im ersten Teil dargelegten grundsätzlichen normativen Streitpunkte in der Forschung an Menschen in Entwicklungsländern vom internationalen Menschenrechtsregime adressiert werden. Im Sinne einer effektiven Durchsetzung soll damit auch die Frage erörtert werden, ob und inwieweit private multinationale Unternehmen an den menschenrechtlichen Mindeststandard zum Schutz von Versuchspersonen unmittelbar gebunden sind, und ob Staaten (das heißt insbesondere westliche Industriestaaten) verpflichtet sind, diesen menschenrechtlichen Standard ggf. extraterritorial durchzusetzen. Die im ersten und zweiten Teil zu zeigende Dominanz der Ethikguidelines bewirkt eine Perzeption des (internationalen) Probandenschutzes als primär ethische Frage. Diese Arbeit vertritt indes, dass aufgrund von zu zeigenden Legitimitätsdefiziten der betrachteten Ethikguidelines, deren zwingend erscheinenden ethischen Handlungsanweisungen nur bedingt gerechtfertigt sind und dass diese die Durchsetzung und Bedeutung des universalen Menschenrechtsschutzes zum Schutz der Würde, der Autonomie, des Lebens und der Gesundheit von Versuchspersonen nicht behindern dürfen. Die Arbeit verfolgt daher die These, dass in der Wahrnehmung dieses Regelungsbereichs ein Paradigmenwechsel vollzogen werden sollte, weg von einer primär „ethischen“ Betrachtung hin zu einem Menschenrechtsparadigma in der klinischen Arzneimittelforschung.

Teil 1

Arzneimittelversuche und Globalisierung Teil 1: Arzneimittelversuche und Globalisierung

§ 2  Globalisierte Arzneimittelversuche zwischen Kontroverse, nationalem Recht und Ethik § 2  Globalisierte Arzneimittelversuche zwischen nationalem Recht und Ethik

A.  Klinische Arzneimittelprüfung I.  Vom Aderlass zur Evidenz Bei einer kritischen Auseinandersetzung mit der klinischen Arzneimittelforschung dürfen die Hintergründe und Herkunft nicht außer Acht gelassen werden. Denn ohne die Vergegenwärtigung der Ausgangslage, kann die Prämisse, dass medizinischer und pharmazeutischer Fortschritt grundsätzlich notwendig, wichtig und wünschenwert ist, schnell erodieren. Denn die Notwendigkeit von guten Versuchen zeigt sich insbesondere vor dem Hintergrund nutzloser oder ineffektiver tradierter Therapien und solchen, die trotz bester ärztlicher Intentionen schädlich sind. Dies ist in ex post Betrachtung historisch evident und ist nicht weniger relevant für die Gegenwart, in der diese Aspekte unter dem Stichwort „evidenzbasierte Medizin“ diskutiert werden. Noch bis in das 20. Jahrhundert hinein erfolgten die Anwendung von „Arzneien“ und die grundsätzliche diagnostische und therapeutische Praxis, der Medizin auf Grundlage von Intuition und „Wissen“, das wiederum auf der Intution anderer, anerkannterer Ärztinnen und den Anweisungen längst verstorbener Autoritäten beruhte. „Erkenntnisse“ über die Wirksamkeit von Behandlungen und deren Durchsetzung über die Jahrhunderte beruhten nicht zuletzt auf dem unerschütterlichen Selbstbewusstsein über die eigene Genialität gerade der größten dieser Autoritäten. Das scheinbar unerschütterliche Selbstbewusstsein Galens ist bereits erwähnt worden. Selbst wenn ihm fälschlicherweise zugesprochen wird, dass er bezüglich eines seiner Tränke gesagt haben soll, dass „alle, die von diesem Trank trinken werden sich in kurzer Zeit erholen und geheilt werden, außer denen, denen er nicht hilft, die alle sterben werden;“ es daher offensichtlich sei, „dass der Trank nur in unheilbaren Fällen nicht wirkt“1, kann das Zitat als Illustration einer Denkweise dienen, die sich durch die überwiegende Geschichte der Medizin von Hippokrates zu Galen zu Hahnemann gezogen und tatsächlichen Fortschritt verhindert hat.2 1  Zitat bei Burch, Druin, Taking the Medicine – A Short History of Medicine’s Beautiful Idea, and our Difficulty Swallowing it, 2009, S. 37. 2 „Blind men arguing“ Tetlock, Philip/Gardner, Dan, Superforecasting – The Art & Science of Prediction, 2015, S. 24 ff.

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Teil 1: Arzneimittelversuche und Globalisierung

Fortschritt in der Medizin grob definiert als Therapiefortschritt, der tatsächlich zur Erleichterung von Leiden und/oder zur Verlängerung von Lebenszeit führt.3 Diese Denkweise trug beispielsweise auch dazu bei, dass aufgrund seiner Theorie, dass Fieber durch ein Übermaß an Blut hervorgerufen werde, noch bis das 20. Jahrhundert der Aderlass ein übliches Mittel gegen alle möglichen Beschwerden war. Selbst gegen Blutarmut war der verordnete Blutverlust oftmals das Mittel der Wahl. Als prominenter Patient soll George Washington an den Folgen eines Aderlasses 1799 verstorben sein, nachdem ihm seine Aderlasser an einem Tag insgesamt etwa 2,3 l Blut abgenommen hatten.4 Die Segnungen der modernen Medizin und Pharmazie, die sich darin zeigen, dass etwa ein Kratzer an den Stacheln einer Rose bei der Gartenarbeit nicht mehr Sorgen bereiten muss, tötlich zu enden,5 eine Blinddarmoperation heute unaufgeregte Routine darstellt und eine Schwangerschaft – jedenfalls in einem Teil dieser Welt – kein ernsthaftes Lebensrisko mehr darstellt,6 lassen schnell vergessen, dass diese, menschheitsgeschichtlich betrachtet, sehr junge Phänomene sind.7 3  Wissensfortschritt oder Technologiefortschritt sind nicht mit zeitgleichem Therapiefortschritt gleichzusetzen. 1816 erfand beispielsweise der französische Arzt Laennec das Stethoskop, aber erst als es Mitte des 20. Jahrhunderts eine Behandlungsmöglichkeit für Tuberkulose gab, wurde das Stethoskop zu einem nützlichen Instrument. Dieses Beispiel und zum Fortschrittdiskurs in der Medizingeschichte Wootton, David, Bad Medicine – Doctors doing harm since Hippocrates, 2007, Einleitung. 4  Nach anderer Ansicht ist der Tod Washingtons jedoch nicht zweifellos dem Aderlass zuzurechnen, da der Blutverlust nicht zwingend tötlich gewesen sein muss. Morens, David M., Death of a President, New England Journal of Medicine 341 (1999), 1845 – 1850. 5  Der versuchsweise Einsatz von isoliertem Penicillin in Großbritannien 1941 zeigte, dass sich der Zustand eines Polizisten, der sich während Gartenarbeiten an eben einer Rosendorne verletzte und aufgrund einer dadurch bedingten Infektion im sterben lag, wesentlich besserte als er Penicillin erhielt. Er verstarb als die Versorgung abbrach. Burch, Druin, Taking the Medicine – A Short History of Medicine’s Beautiful Idea, and our Difficulty Swallowing it, 2009, S. 149 ff. 6  Frauen in Afghanistan hatten im Jahr 2000 immernoch ein statistisches Risiko von etwa 1 zu 6 bei einer Geburt zu sterben, bei ca. 1.900 Todesopfer pro 100.000 Lebendgeburten. World Health Organization, Maternal Mortality in 2000: Estimates developed by WHO, UNICEF, UNFRPA, 2004. 7  Die Geschichte der Medizin wird oftmals als eine Geschichte von Entdeckungen dargestellt. Entsprechend wird auch der Beginn einer modernen Medizin häufig auf bestimmte Ereignisse datiert, wie etwa auf 1536, als Vesalius die Leiche eines Verurteilten vom Galgen stahl, um die Knochen auszukochen und zu einem Skelett zusammenzustellen, und die Sezierung zu Lernzwecken begründete, oder 1628, als William Harvey seine ersten Erkenntnisse zur Blutzirkulation publizierte, die er anhand von Vivisektionen gewonnen hatte. Die Geburt der modernen Medizin kann auch auf 1865 datiert werden, als Joseph Lister zum ersten Mal das Prinzip antiseptischer Chirurgie demonstrierte. Er operierte die Fraktur eines elfjährigen Jungen. Bis dahin ging eine solche Operation mit großer Wahrscheinlichkeit tödlich aus. Lister jedoch nutzte Phenol als Antisepsis in Vorbereitung und während der Operation.

§ 2  Globalisierte Arzneimittelversuche zwischen nationalem Recht und Ethik

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Erst langsam setzte sich ein wissenschaftliches Denken durch, das Diagnose- und Therapiemaßnahmen mit messbaren und reproduzierbaren Ergebnissen logisch verknüpfte, die einen tatsächlichen medizinischen Fortschritt bedeuteten, indem sie Leben verlängerten, Krankheiten heilten oder ihre Auswirkungen minderten und Leiden linderten. Grundlage dessen waren exakte Beobachtungen und Versuche. So sind die Entwicklungen, die hier im Fokus stehen sollen, die Entwicklungen dieser Methodiken und die Erkenntnis der Notwendigkeit der Prüfung. Denn auch heute ist die medizinische Praxis oftmals eine intuitive oder dogmatisch-normative.8 Im Zentrum der Methodik stehen Versuch und Vergleich. Die Überlegung, Vergleiche anzustellen, ist immer wieder vereinzelt aufgeworfen worden. Als Erfinder der systematischen klinischen Vergleichsstudie wird indes oftmals James Lind benannt.9 1747 war Lind als Chirurg der britischen königlichen Marine an Bord eines Schiffes, von dessen Matrosen 80 an Skorbut litten. Von diesen nahm er zwölf Personen und teilte sie in Paare auf. Jedes Paar erhielt eine andere Therapie: Essig, Apfelwein, Schwefelsäure, Meerwasser, eine Paste aus Kräutern oder Zitrusfrüchte. Die beiden die Zitrusfrüchte erhielten erholten sich bald; die anderen nicht. Lind verkannte jedoch die Bedeutung seines Versuchs. Bis zum Ende vertrat und versuchte er, scheinbar systemlos, andere Maßnahmen als Zitrusfrüchte gegen Skorbut. Dennoch war sein Ansatz von Bedeutung, insofern er die Idee der Vergleichsstudie forcierte und Ärztinnen zweihundert Jahre später inspirieren sollte. Lind hatte den Vorteil, dass er es mit Matrosen zu tun hatte, die unter gleichen Umständen auf dem Schiff lebten, ähnliche physische Merkmale aufwiesen und alle an den gleichen Symptomen zu litten schienen. Für andere diffusere Leiden und betroffene Populationen war dem Vergleich immer entgegen gehalten worden, dass die Leiden sowie die betroffenen Personen stets individuell und damit unvergleichbar sein sollten. Eine wesentliche nicht nur naturwissenschaftliche sondern vor allem auch ideenphilosophische Erkenntnis lag demnach darin, Krankheiten von ihrer individuellen Trägerin zu abstrahieren und epistemologisch zu reorgansieren.10 Die Infektion einer Person war damit diskriminierbar oder äquivalent zu 8  Dies gilt für alle Felder der Medizin. Dies war eine der zentralen Thesen von Cochrane, der 1971 illustrative Beispiele für die Zeit nannte: Cochrane, Archibal, Effectiveness and Efficiency: Random Reflections on Health Services, 1971, S. 45 ff. Sie ist weiterhin gültig. 9  Im Folgenden nach Milne, Ian, Who was James Lind, and what exactly did he achieve?, The James Lind Library Bulletin (2012), abrufbar unter http://www.jameslindlibrary.org/ articles/who-was-james-lind-and-what-exactly-did-he-achieve/. 10  Entsprechend datiert Foucault die Geburt des neuen Geistes der Medizin auf 1816 zurück, dem Erscheinungsjahr von „Examen de la doctrine généralement admise“ von Francois Broussais, der, die Ursache von Fieber untersuchend, dieses als organische Reaktion auf ein irritierendes Agens zurückführte und als eine „komplexe Bewegung von Geweben, die auf eine Reizursache reagieren“ beschrieb: „darin liegt das ganze Wesen des Pathologischen und es gibt keine essentiellen Krankheiten und keine Wesenheiten von Krankheiten mehr […] So kann auch das Fieber nicht essentiell sein. Es ist ‚nichts anderes als eine Beschleunigung des Blutkreislaufs […] mit einer gesteigerten Wärmeerzeugung und einer

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Teil 1: Arzneimittelversuche und Globalisierung

der Infektion einer anderen Person. Dennoch blieb es unleugbar, dass die individuelle Disposition den Verlauf beeinflusste. Um daher eine 20-jährige mangelernährte Frau ohne Vorerkrankungen mit einem 70-jährigen gebrechlichen aber wohlernährten Mann vergleichen und daraus Schlüsse ziehen zu können, waren große Vergleichsgruppen und wesentliche Erkenntnisse in der Statistik notwendig. Erst als diese mathematischen Instrumente zum Umgang mit quantitativen Informationen seit dem 19. und 20. Jahrhundert zur Verfügung standen, konnten aussagekräftige Schlüsse aus Versuchen und Vergleichen gewonnen werden, die nicht offensichtlich waren. Zweihundert Jahre nach Lind und ausgestattet mit den notwendigen statistischen Instrumenten war Archibald Cochrane ein wesentlicher Treiber für die Durchsetzung von heute als „Goldstandard“ erachteten randomisierten, (doppel) verblindeten, kontrollierten Studien.11 Die grundsätzliche Idee liegt darin, Maßnahmen nicht mehr auf Intuition und Dogmen zu basieren, sondern auf die Ergebnisse von elaborierten Versuchen. Grundlegend wurde die 1948 veröffentlichte randomisierte Streptomycin-Studie des britischen Medical Research Council (MRC).12 Die Notwendigkeit, Therapien in randomisierten und kontrollierten Versuchen zu vergleichen und sich nicht auf etablierte Traditionen oder Intuitionen zu verlassen, bleibt aktuell. Als derzeit bestes bekanntes Konzept zur Nachweisführug wird die „schöne Idee der Medizin“13 nicht zuletzt vermehrt auch in anderen Bereichen wie den Sozialwissenschaften eingesetzt, in denen beispielsweise verschiedene Ansätze und policies in der Entwicklungszusammenarbeit in kontrollierten Läsion der grundlegenden Funktionen. Dieser Zustand des Organismus hängt immer von einer lokalen Reizung ab“ Foucault, Michel, Die Geburt der Klinik – Eine Archäologie des ärztlichen Blickes, 10. Aufl., 2016, S. 202 m.w.N. 11 Wesentlich Cochrane, Archibal, Effectiveness and Efficiency: Random Reflections on Health Services, 1971, abrufbar unter http://www.nuffieldtrust.org.uk/sites/files/nuffield/publication/Effectiveness_and_Efficiency.pdf, für eine Kurzbiografie siehe Chalmers, Iain, Archie Cochrane (1909 – 1988), Journal of the Royal Society of Medicine 101 (2008), 41 – 44. 12  Marschall, Geoffrey/Blacklock, J. S./Cameron, Charles/Capon, N. B./Cruickshank, Robert, et al., Streptomycin Treatment of Tuberculosis Meningitis, The Lancet (1948), 582 – 595. Streptomycin ist ein 1943 entdecktes neues Antibiotikum, das Tuberkulose zwar nicht zu heilen, aber zu lindern schien. Es schwamm auf der Erfolgswelle des kurz zuvor entdeckten Penicillins, das immer bei jedem und ohne nennenswerte Nebenwirkungen zu wirken schien. Streptomycin wurde genauso euphorisch eingesetzt. Angesichts der hohen Fallzahlen von Tuberkulose und ihrer Letalität schien es vertretbar, das Risiko von Nervenund Nierenschäden als Nebenwirkungen in Kauf zu nehmen. Erst als der MRC angewiesen war, eine knappe Menge Streptomycin zu allozieren, musste er abwägen, wem das Streptomycin am besten half und bei wem die Nebenwirkungen in Kauf genommen werden konnten. Der MRC beschloss daher eine organisierte, kontrollierte und randomisierte klinische Untersuchung vorzunehmen. 13  Burch, Druin, Taking the Medicine – A Short History of Medicine‘s Beautiful Idea, and our Difficulty Swallowing it, 2009.

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Versuchen eingesetzt und die Ergebnisse verglichen werden, um die besten oder kosteneffektivsten Maßnahmen bestimmen zu können. II.  Charakteristika klinischer Arzneimittelprüfungen Die Arzneimittelentwicklung ist heute ein mehrteiliger, strukturierter Prozess. Arzneimittelversuche an Menschen sind dabei als klinische Versuche in den Gesamtprozess der Arzneimittelentwicklung eingebettet. Seit der MRC-Streptomycin-Studie und ihren methodischen Vorläufern haben sich klinische Versuche etabliert und weiter differenziert. Ein Vergegenwärtigen der technischen Natur methodisch komplexer, randomisierter und kontrollierter Versuche in der modernen Arzneimittelentwicklung ist von wesentlicher Relevanz. Die hier skizzierten Methoden können nur typisierte Beispiele sein. Die Arzneimittelentwicklung gliedert sich grundsätzlich in eine vorklinische Phase14 und eine klinische Phase. Die klinische Phase bezeichnet die Prüfung an lebenden Menschen; die vorklinische Phase alle Versuche davor, wie screeningund Testverfahren einzelner potentieller Wirkstoffe sowie Tierversuche.15 Die klinische Phase, oder Prüfung, bezeichnet damit die systematische Untersuchung von Arzneimitteln an Menschen, in deren Rahmen die zu untersuchenden Arzneimittel bei einer begrenzten Anzahl von Personen unter Einhaltung wissenschaftlicher Verfahren und Kriterien angewendet wird, um Erkenntnisse über die Sicherheit und Wirksamkeit des jeweiligen Arzneimittels zu gewinnen, und um damit seine Eignung für die Verwendung in der medizinischen Praxis entscheiden zu können.16 Wesentlich ist damit die Intention einer Untersuchung, die nicht (jedenfalls nicht primär) in der individuellen Heilbehandlung, sondern in der Gewinnung wissenschaftlicher Ergebnisse liegt.17 Klinische Versuche werden in vier teilweise fünf Phasen unterteilt.18 Auch wenn die Phasen in der Regel sequentiell durchgeführt werden, können sie sich auch 14 

Die vorklinische oder präklinische Phase (auch als „discovery“ bezeichnet). Hahn, Christian/Erb, Klaus Joseph, The Preclinical Testing Strategy for the Development of Novel Chemical Entities for the Treatment of Asthma, Current Drug Targets 9 (2008), 443 – 451 [445]. 16  Franken, Andreas, in: Fuhrmann, Stefan/Klein, Bodo/Fleischfresser, Andreas (Hrsg.), Arzneimittelrecht, 2010, § 12, Rn. 2. 17  Zwar wird eine Untersuchung mit Arzneimitteln oft die Untersuchung an Gesunden sowie an Behandlungsdürftigen beinhalten. Eine solche Untersuchung an Behandlungsbedürftigen beinhaltet dabeifaktisch auch eine therapeutische Maßnahme, sie ist allerdings aufgrund ihrer Zielrichtung unter den Begriff der klinischen Prüfung zu fassen. 18  Insofern heißt es im US-amerikanischen Recht in 21 CFR § 312.21 „The clinical investigation of a previously untested drug is generally divided into three phases“. Franken, Andreas, in: Fuhrmann, Stefan/Klein, Bodo/Fleischfresser, Andreas (Hrsg.), Arzneimittelrecht, 2010, § 12, Rn. 29 ff.; Hutt, Peter Barton/Merrill, Richard A./Grossman, Lewis A., Food and Drug Law, 3. Aufl., 2007, S. 628 ff. 15 

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überlappen. Praktisch unterschieden werden Phase I bis Phase IV, teilweise Phase 0 bis Phase IV mit unterschiedlichen Prüfungszielen. Phase 0 wird teilweise vorweg durchgeführt. In dieser werden subtherapeutische Mikrodosen des Wirkstoffes an einer kleinen Gruppe gesunder Probandinnen getestet, um einen ersten Anhaltspunkt dafür zu erhalten, ob die pharmakokinetischen19 Ergebnisse der Tierversuche auch für Menschen zutreffen. Auch erste pharmakodynamische20 Informationen können gewonnen werden.21 In Phase I wird die Unbedenklichkeit eines Wirkstoffes evaluiert.22 Die Phase umfasst oft etwa 20 – 100 Versuchsteilnehmerinnen. Die durchschnittliche Dauer liegt unter einem Jahr.23 Zunächst werden pharmakokinetische Daten ermittelt und bei steigender Dosis wird der Wirkstoff auf unerwünschte Wirkungen hin beobachtet. Gegebenenfalls werden erste pharmakodynamische Informationen geprüft.24 Bei den Versuchspersonen handelt es sich in der Regel um gesunde,25 männliche26 Personen. 19  „Unter Pharmakokinetik versteht man das Verhalten des Wirkstoffes im Organismus, nämlich die Resorption, die Verteilung, die Biotransformation und die Exkretion des Stoffes“, Anhang I Teil 3 G. RL 2001/83/EG; vereinfacht ausgedrückt meint Pharmakokinetik die Auswirkung des Organismus auf das Arzneimittel (im Gegensatz zur Pharmadynamik). 20 „Unter Pharmakodynamik versteht man die durch das Arzneimittel verursachten Veränderungen der normalen oder experimentell veränderten Funktion des Organismus“, Anhang I Teil 3 F. RL 2001/83/EG; beschreibt die Pharmakokinetik die Auswirkung des Organismus auf das Arzneimittel, so meint die Pharmakodynamik die Auswirkung des Arzneimittels auf den Organismus. 21  Rydzewski, Robert M., Real World Drug Discovery, 2008, S. 146. 22  Folgende Ausführungen nach Scott, C., Principles and Practice of Clinical Drug Development, in: Chorghade, Mukund S. (Hrsg.), Drug Discovery and Development, 2 Drug Development, 2007, S. 355 – 374 [370 f.]. 23  Nach der Erhebung von DiMasi et al. wird der Arzneimittelkandidat, der die Phase I durchläuft mit 71 % Wahrscheinlichkeit die nächste Phase II erreichen. DiMasi, Joseph A./ Hansen, Ronald W./Grabowski, Henry G., The Price of Innovation: New Estimates of Drug Development Costs, Journal of Health Economics 22 (2003), 151 – 185 [162]. 24  Vgl. auch 21 CFR 312.21 (a). 25  Die Phase kann auch an erkrankten Patientinnen durchgeführt werden. Dies ist etwa der Fall, wenn der Wirkstoff eine hohe Toxizität aufweist, die eine Verabreichung an Gesunde ausschließt, etwa bei Krebsarzneimitteln. Ein anderer solcher Fall liegt vor, wenn aufgrund der Art des Arzneimittels beziehungsweise der Erkrankung, die Ergebnisse aus Versuchen an Gesunden unerheblich sind, etwa bei dermatologischen Arzneimitteln. Die gesunde Haut liefert in diesem Fall keine schlüssigen Ergebnisse, da sie als natürliche Schutzbarriere fungiert. 26  Dies ist eine Folge der Contergan-Katastrophe, da für die Anwendung bei Frauen meist vorherige toxikologische Daten die Reproduktion betreffend benötigt werden. Siehe aber zur negativen Benachteiligung von Frauen in der Arzneimittelversorgung durch Exklusion aus Arzneimittelversuchen Dresser, Rebecca, Wanted: Single, White Male for Medical Research, The Hastings Center Report 22 (1992), 24 – 29; Bush, Janice K., The Industry Perspective on the Inclusion of Women in Clinical Trials, Academic Medicine 69

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In Phase II wird der Wirkstoff erstmals auf seine Wirksamkeit getestet.27 Diese Phase wird generell an mehreren hundert Versuchsteilnehmerinnen durchgeführt und kann mehrere Jahre in Anspruch nehmen.28 Die Versuchsteilnehmerinnen sind in dieser Phase kranke Patientinnen. Wichtigster Endpunkt ist die Definition der Dosis oder Dosisspannbreite für die nächste Phase. Ziel ist daher die Erhebung der niedrigsten Dosis, die noch genügend wirksam und toxikologisch hinnehmbar ist, beziehungsweise die bei maximaler Wirksamkeit noch kleinste Dosis. Darüber hinaus werden kurzfristige Nebenwirkungen und sonstige Risiken bestimmt.29 In Phase III werden zunächst die Ergebnisse der Sicherheits- und Wirksamkeitsstudien bestätigt.30 Phase III wird in der Regel mit mehr als 1.500 und teilweise mit mehreren zehntausenden Versuchsteilnehmerinnen durchgeführt und dauert meist mehrere Jahre.31 Ziel ist es, ein Gesamt-Risiko-Nutzen-Verhältnis zu bestimmen.32 Das Versuchsteilnehmerfeld ist hierbei offener als in Phase II und gleicht dabei den späteren Patientinnen in Geschlecht, Alter, Begleiterkrankungen etc. Die Länge der Testphase hängt maßgeblich auch davon ab, ob die Erkrankung chronisch ist. Die Anzahl an Versuchsteilnehmerinnen ist in dieser Phase idealerweise hoch genug, um statistisch relevante Aussagen treffen zu können.33 Phase IV erfolgt nach der Zulassung. Nach Inverkehrbringen wird die Anwendung des Arzneimittels unter therapeutischen Routinebedingungen überwacht.34 Es wird eine weitere Dokumentation und Evaluierung durchgeführt, um Daten zu generieren, die für Modifikationen der Kennzeichnung (labeling) relevant sein (1994), 708 – 715; Ruiz Cantero, Maria Teresa/Angeles Pardo, Maria, European Medicines Agency Policies for Clinical Trials Leave Women Unprotected Journal of Epidemiology and Community Health 60 (2006), 911 – 913. 27  Folgende Ausführungen nach Scott, C., Principles and Practice of Clinical Drug Development, in: Chorghade, Mukund S. (Hrsg.), Drug Discovery and Development, 2007, S. 355 – 374 [371  f.]. 28  Von etwa 71 % der Kandidaten, die Phase II erreicht haben, liegt die Wahrscheinlichkeit des Eintritts in Phase III nach DiMasi et al. bei nur noch 31,4 % und bildet somit ein relativ spätes Nadelöhr im Entwicklungsprozess. DiMasi, Joseph A./Hansen, Ronald W./ Grabowski, Henry G., The Price of Innovation: New Estimates of Drug Development Costs, Journal of Health Economics 22 (2003), 151 – 185 [162]. 29  Vgl. auch 21 CFR § 312.21 (b). 30  Folgende Ausführungen nach Scott, C., Principles and Practice of Clinical Drug Development, in: Chorghade, Mukund S. (Hrsg.), Drug Discovery and Development, 2007, S. 355 – 374 [372 f.]. 31  DiMasi et al. gehen von einer Gesamterfolgsrate von 21,5 % aus. DiMasi, Joseph A./ Hansen, Ronald W./Grabowski, Henry G., The Price of Innovation: New Estimates of Drug Development Costs, Journal of Health Economics 22 (2003), 151 – 185 [165]. 32  Vgl. auch 21 CFR § 312.21 (c). 33  Für Orphan Drugs können auch ensprechend weniger Versuchsteilnehmerinnen nötig sein. 34  Franken, Andreas, in: Fuhrmann, Stefan/Klein, Bodo/Fleischfresser, Andreas (Hrsg.), Arzneimittelrecht, 2010, § 12, Rn. 39.

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können, wie beispielsweise die relative Wirksamkeit verglichen mit anderen Arzneimitteln, Kosteneffektivität, Ermittlung der Verbesserung der Lebensqualität, sicherheitsrelevante Daten von Bevölkerungsgruppen, die vorher nicht erhoben worden sind, oder auch Möglichkeiten neuer oder zusätzlicher Indikationen. Statt in einzelnen, intuitiv durchgeführten Experimenten werden Arzneimittelprüfungen heute in der Regel als kontrollierte, randomisierte und verblindete Versuche durchgeführt.35 Die Art der Kontrolle, Randomisierung und Verblindung, d. h. die Spezifika einer bestimmten Prüfung, die damit den Aufbau und die Durchführung einer Prüfung beschreiben, werden als Studiendesign bezeichnet, das im Prüfplan (research protocol) beschrieben wird. Die Wahl des Studiendesigns erfolgt individuell, abhängig von den konkreten Zielen und Charakteristika einer Prüfung. Die folgenden Spezifika sind dabei typische Ausprägungen. 1.  Kontrolle Bei der kontrollierten Prüfung werden die Versuchspersonen in zwei oder mehr Gruppen aufgeteilt, von denen eine Gruppe, die Testgruppe, das Prüfpräparat (Verum) erhält und die andere(n), die Kontrollgruppe(n) ein Vergleichspräparat.36 Diese unterschiedlichen Gruppen, werden auch als unterschiedliche Arme bzw. Studienarme bezeichnet.37 Als „Goldstandard“, jedenfalls als wissenschaftlicher Standard, gilt die randomisierte kontrollierte Prüfung.38 Diese kann sehr unterschiedlich ausgestaltet werden. Letztlich muss das Studiendesign dem Zweck der Studie dienen und geeignet sein, die erwünschten Daten zu generieren.39 Die hier skizzierten Varianten sind daher nur typische Beispiele. Daneben bestehen je nach Ausgangslage und Zweck weitere Möglichkeiten der Modifikation. Wesentlich bei der Wahl aller Kontrollgruppen ist, dass sie die gleichen demografischen wie anamnetischen Charakteristika aufweisen wie die Testgruppen und über den gleichen Zeitraum in allem genauso behandelt werden wie die Testgruppen.40 35  Zu neueren Forschungsmethoden seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Weijer, Charles, in: Chadwick, Ruth (Hrsg.), Encyclopedia of Applied Ethics J-R, 3. Band, 1998, „Research Methods and Policies“. 36  Heil, Maria/Lützeler, Claudia, in: Dieners, Peter/Reese, Ulrich (Hrsg.), Handbuch des Pharmarechts, 2010, § 4, Rn. 118. 37  Steffen, Christian, in: Fuhrmann, Stefan/Klein, Bodo/Fleischfresser, Andreas (Hrsg.), Arzneimittelrecht, 2010, § 10, Rn. 164. 38  Heil, Maria/Lützeler, Claudia, in: Dieners, Peter/Reese, Ulrich (Hrsg.), Handbuch des Pharmarechts, 2010, § 4, Rn. 121; Franken, Andreas, in: Fuhrmann, Stefan/Klein, Bodo/ Fleischfresser, Andreas (Hrsg.), Arzneimittelrecht, 2010, § 12, Rn. 119. 39  Je nachdem ob beispielsweise die Wirksamkeit oder Sicherheit oder Qualität getestet oder ob eine absolute oder relative äquivalente Wirksamkeit zur Standardtherapie nachgewiesen werden soll. 40  Franken, Andreas, in: Fuhrmann, Stefan/Klein, Bodo/Fleischfresser, Andreas (Hrsg.), Arzneimittelrecht, 2010, § 12, Rn. 19; ICH Harmonised Tripartite Guideline, Choice of Control Group and Related Issues in Clinical Trials E10 vom 20. 07. 2000, Nr. 1.2.

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Die Kontrollgruppen können nach der Art der Behandlung unterschieden werden. Es ist oftmals möglich nicht nur eine Art der Kontrollgruppe zu wählen, sondern viele verschiedene Studienarme einzurichten und das Prüfpräparat auf verschiedene Weise placebo- als auch aktiv zu kontrollieren. Typischerweise können folgende Arten von Kontrollgruppen unterschieden werden. a)  Placebo Beim placebo-kontrollierten Versuch erhält die Kontrollgruppe ein unwirksames Scheinpräparat (das Placebo). Es wird demnach die Wirkung der neuen Behandlung mit einer Nichtbehandlung verglichen. Die Gabe eines Scheinpräparats gegenüber der offensichtlichen Nichtbehandlung hat indes zwei wesentliche Vorteile: Zum einen wird auf den Placebo-Effekt kontrolliert, das sind Verbesserungen, die daraus resultieren, dass die Versuchsperson annimmt, sie werde mit einem Arzneimittel behandelt.41 Zum anderen können Placebo-Versuche verblindet und randomisiert durchgeführt werden. aa) Add-on Eine placebo-kontrollierte Studie muss nicht in jedem Fall bedeuten, dass die Kontrollgruppe unbehandelt bleibt. Die Studie kann auch als add-on-Versuch aufgebaut sein.42 In diesem Fall werden die neue Behandlung und das Placebo zusätzlich zu einer Standardtherapie gegeben.43 Dieses Design ist allerdings nur sinnvoll, wenn die Standardbehandlung nicht vollständig wirksam ist. Üblich ist es, Arzneimittel auf diese Weise etwa gegen Krebs, Epilepsie und Herzversagen zu testen.44 Wirksamkeit kann damit jedoch nur für die Kombinationstherapie nachgewiesen werden. bb) Replacement Eine Variante des add-on-Designs, das manchmal eine Aussage zur monotherapeutischen Wirkung des Prüfpräparats erlaubt, ist die replacement-Studie.45 Hierbei werden das Prüfpräparat in seiner wirksamen Dosis und das Placebo randomi41  ICH Harmonised Tripartite Guideline, Choice of Control Group and Related Issues in Clinical Trials E10 vom 20. 07. 2000, Nr. 1. 3. 1. Dies ist von Relevanz, da für eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse es wichtig ist, dass sich alle Versuchspersonen im gleichen epistemischen Zustand befinden. 42  ICH Harmonised Tripartite Guideline, Choice of Control Group and Related Issues in Clinical Trials E10 vom 20. 07. 2000, Nr. 1. 3. 1. 43  ICH Harmonised Tripartite Guideline, Choice of Control Group and Related Issues in Clinical Trials E10 vom 20. 07. 2000, Nr. 1. 3. 1; Steffen, Christian, in: Fuhrmann, Stefan/ Klein, Bodo/Fleischfresser, Andreas (Hrsg.), Arzneimittelrecht, 2010, § 10, Rn. 164. 44  ICH Harmonised Tripartite Guideline, Choice of Control Group and Related Issues in Clinical Trials E10 vom 20. 07. 2000, Nr. 2. 1. 5.2.1. 45  ICH Harmonised Tripartite Guideline, Choice of Control Group and Related Issues in Clinical Trials E10 vom 20. 07. 2000, Nr. 2. 1. 5.2.1.

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siert zu der Standardtherapie hinzugefügt und die Standardtherapie schrittweise entzogen. Beispielsweise ist dieses Verfahren bei der Erprobung von Steroid-Substituten bei der Behandlung von Steroid-süchtigen Patientinnen verwendet worden, um den anfänglichen Steroid-Entzug und die Rekrudeszenz der Symptome in der wash-out-Phase zu vermeiden. b)  Nicht-Behandlung Bei der durch Nicht-Behandlung kontrollierten Studie (no-treatment) werden die Versuchspersonen der Kontrollgruppe nach randomisierter Zuteilung nicht behandelt.46 Der Unterschied zum Placebo-Versuch liegt darin, dass diese Studie nicht verblindet durchgeführt werden kann. Aus methodischer Sicht wird eine Doppelverblindung jedoch typischerweise als valider erachtet. c)  Aktive Kontrolle Bei der aktiven Kontrolle werden die randomisiert der Kontrollgruppe zugeteilten Versuchspersonen aktiv behandelt. Das Prüfpräparat kann dann etwa gegen die Standardtherapie getestet werden, um entweder zu zeigen, dass es genauso wirksam oder überlegen ist. Eine Verblindung kann jedoch schwieriger sein. Viele onkologische Versuche gelten beispielsweise als schwer zu verblinden, da die Behandlungsmethoden sehr unterschiedlich sind, unterschiedlich angewendet werden oder unterschiedliche Toxizitäten aufweisen.47 d)  Dosis-Variationen Versuche können auch so ausgestaltet sein, dass verschiedene Dosen des Prüfpräparats und/oder der aktiven Kontrolle verwendet werden.48 Verschiedene Dosen des Prüfpräparates können auch alternativ oder gleichläufig gegen Placebos getestet werden. 2.  Randomisierung und Gleichläufigkeit von Kontrollgruppen Bei der randomisierten kontrollierten Prüfung erfolgt nach statistisch-mathematischen Auswahlverfahren eine zufällige Zuteilung der Versuchspersonen zu einer der Gruppen.49 Dieses Verfahren wird angewendet, wenn die Kontrollgruppe 46  ICH Harmonised Tripartite Guideline, Choice of Control Group and Related Issues in Clinical Trials E10 vom 20. 07. 2000, Nr. 1. 3. 2. 47  ICH Harmonised Tripartite Guideline, Choice of Control Group and Related Issues in Clinical Trials E10 vom 20. 07. 2000, Nr. 1. 3. 4. 48  ICH Harmonised Tripartite Guideline, Choice of Control Group and Related Issues in Clinical Trials E10 vom 20. 07. 2000, Nr. 1. 3. 6. 49  Heil, Maria/Lützeler, Claudia, in: Dieners, Peter/Reese, Ulrich (Hrsg.), Handbuch des Pharmarechts, 2010, § 4, Rn. 119. Näher ICH Harmonised Tripartite Guideline, Choice of Control Group and Related Issues in Clinical Trials E10 vom 20. 07. 2000, Nr. 1. 2. 1.

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gleichläufig zur Testgruppe eingerichtet wird. Es besteht jedoch auch die Möglichkeit die Testgruppe mit einer externen oder historischen Kontrollgruppe zu vergleichen, bei der die Versuchspersonen der Kontrollgruppe separat von der behandelten Bevölkerungsgruppe ausgewählt werden bzw. ein Vergleich mit bereits publizierten Daten stattfindet.50 Eine externe oder historische Kontrolle ist jedoch fehleranfälliger als eine gleichläufige Kontrolle. Der Sinn der Randomisierung liegt in der Vermeidung von bias, d. h. in der Vermeidung einer Verfälschung von Prüfergebnissen durch eine bewusste oder unbewusste ungleiche Verteilung von Versuchspersonen auf die Gruppen.51 Zur Frage wieweit die Randomisierung getrieben werden soll, ist von Cochrane überliefert, „you should randomise until it hurts (the clinicians)“52. 3.  Verblindung Versuche können doppelverblindet, verblindet oder offen durchgeführt werden, wobei die Doppelverblindung üblicherweise bevorzugt wird.53 Bei der Doppelverblindung wissen weder die Versuchsperson, noch die Prüferin noch sonstige Personen, die in die Behandlung oder Evaluierung involviert sind, welcher Gruppe die Versuchsperson zugeordnet ist. Teilweise wird auch von Dreifachverblindung gesprochen, wenn neben der Prüferin und der Versuchsperson (Doppelverblindung im engeren Sinn) auch die Forschungsleiterin keine Kenntnis von der Gruppenzuteilung hat.54 Beim einfach verblindeten Versuch wissen lediglich die Versuchs­ personen nicht, welcher Gruppe sie angehören. In offenen Versuchen wissen alle Beteiligten welches Präparat die jeweilige Versuchsperson erhält. 4.  Cross-over Versuche können auch cross-over durchgeführt werden.55 Hierbei werden die zwei Behandlungsformen der Test- und Kontrollgruppe zeitlich versetzt an den 50  ICH Harmonised Tripartite Guideline, Choice of Control Group and Related Issues in Clinical Trials E10 vom 20. 07. 2000, Nr. 1.3; Steffen, Christian, in: Fuhrmann, Stefan/Klein, Bodo/Fleischfresser, Andreas (Hrsg.), Arzneimittelrecht, 2010, § 10, Rn. 164. 51  ICH Harmonised Tripartite Guideline, Choice of Control Group and Related Issues in Clinical Trials E10 vom 20. 07. 2000, Nr. 1. 2. 1; Steffen, Christian, in: Fuhrmann, Stefan/ Klein, Bodo/Fleischfresser, Andreas (Hrsg.), Arzneimittelrecht, 2010, § 10, Rn. 163. 52  Cochrane, Archibal, Effectiveness and Efficiency: Random Reflections on Health Services, 1971, S. 48, abrufbar unter http://www.nuffieldtrust.org.uk/sites/files/nuffield/ publication/Effectiveness_and_Efficiency.pdf. 53  Zu den Vorteilen ICH Harmonised Tripartite Guideline, Choice of Control Group and Related Issues in Clinical Trials E10 vom 20. 07. 2000, Nr. 1. 2. 2. 54  Deutsch, Erwin/Spickhoff, Andreas, Medizinrecht, 5. Aufl., 2003, Rn. 653. 55  Steffen, Christian, in: Fuhrmann, Stefan/Klein, Bodo/Fleischfresser, Andreas (Hrsg.), Arzneimittelrecht, 2010, § 10, Rn. 165; Heil, Maria/Lützeler, Claudia, in: Dieners, Peter/ Reese, Ulrich (Hrsg.), Handbuch des Pharmarechts, 2010, § 4, Rn. 121; Franken, Andreas,

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gleichen Versuchspersonen erprobt und verglichen. Vor dem Wechsel des Studienarms wird nach einer bestimmten Behandlungsdauer, eine Wartezeit oder Ausschwemm-Periode56 (wash-out) eingerichtet. III.  Globalisierung Die Entwicklung neuer Arzneimittel im Allgemeinen und die klinische Prüfung im Besonderen sind aufwendig und sehr teuer.57 Ein Grund ist die eben angedeutete Komplexität der Materie an sich. Ein weiterer Grund ist die noch anzusprechende umfassende Regulierung. Da die Zahlen der Kosten überaus politisch sind, da sie zur Begründung vieler weiterer Politiken herangezogen werden, sind die kolportierten Zahlen von 802 Millionen USD oder gar neuestens 2,6 Milliarden USD Entwicklungskosten für ein neues Arzneimittel bis zur erfolgreichen Zulassung in ihrer Entstehung und Verwendung äußerst kritisch zu betrachten.58 Sie werden nicht zuletzt verwendet, um Maßnahmen zur Kostenreduktion zu rechtfertigen. Dass die Entwicklung neuer Arzneimittel und deren Prüfung grundsätzlich kostspielig ist, soll jedoch an dieser Stelle als gegeben akzeptiert werden.

in: Fuhrmann, Stefan/Klein, Bodo/Fleischfresser, Andreas (Hrsg.), Arzneimittelrecht, 2010, § 12, Rn. 120; Deutsch, Erwin/Spickhoff, Andreas, Medizinrecht, 2003, Rn. 653. 56  Deutsch, Erwin/Spickhoff, Andreas, Medizinrecht, 2003, Rn. 653. 57  Einem weltweiten Umsatz mit Arzneimitteln in Höhe von etwa 712 Mrd. USD für 2007 standen nach Angaben des Interessenverbandes Pharmaceutical Research and Manufacturers of America (PhRMA) Forschungs- und Entwicklungsausgaben in Höhe von 63,2 Mrd. USD allein in den USA gegenüber. PhRMA, Profile 2009, S. i; für Deutschland laut BPI in Höhe von 5,672 Mrd. EUR; BPI, Pharma-Daten 2008, S. 14. 58  Eine unter anderem von PhRMA, der BPI und vfa in ihren Publikationen zitierte Studie zu den Kosten der Arzneimittelforschung stammt von DiMasi, Hansen, Grabowski und Lasagna aus dem Jahr 2003, die eine Aktualisierung einer Publikation aus dem Jahr 1991 darstellt. DiMasi et al. hatten auf Grundlage der Forschungs- und Entwicklungskosten für 68 „zufällig“ ausgewählte neue Arzneimittel ermittelt, dass sich die Gesamtkosten der Arzneimittelentwicklung (vorklinisch und klinisch) auf etwa 802 Mio. USD beliefen. Die Hälfte davon waren durch die zeitliche Länge der Entwicklung bedingte Opportunitätskosten. DiMasi, Joseph A./Hansen, Ronald W./Grabowski, Henry G./Lasagna, Louis, Cost of Innovation in the Pharmaceutical Industry, Journal of Health Economics 10 (1991), 107 – 142; DiMasi, Joseph A./Hansen, Ronald W./Grabowski, Henry G., The Price of Innovation: New Estimates of Drug Development Costs, Journal of Health Economics 22 (2003), 151 – 185. Eine Aktualisierung der Publikation aus dem Jahr 2014 gibt als Entwicklungskosten sogar 2,6 Milliarden USD an. Die Hälfte der Kosten sind auch hier Opportunitätskosten, die mit einem sehr großzügigen Zinssatz von 10 % p. a. verzinst wurden. Die Erhebung von DiMasi et al. ist von mehreren Seiten auf- und angegriffen worden. Dickson und Gagnon weisen beispielsweise sieben verschiedene Studien aus, die alle zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Dickson, Michael/Gagnon, Jean Paul, The Cost of New Drug Discovery and Development, Discovery Medicine 4 (2004), 172 – 179. Auch wenn daher pauschalen Summen mit Vorsicht zu begegnen ist, bleibt die Grundaussage gültig, dass Arzneimittelforschung an sich kostspielig ist.

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Eine Möglichkeit Kosten zu reduzieren, besteht in der Auslagerung von klinischen Prüfungen in weniger kostenintensive Standorte. Neben unmittelbaren Kostenvorteilen, die beispielsweise Lohnkostenunterschiede betreffen, begünstigen dabei weitere Kosten- und Zeitvorteile die Durchführung von Versuchen in Entwicklungs- und Schwellenländer. Ein Beispiel für einen solchen Vorteil betrifft die bessere Datenqualität, die aus Behandlungsnaivität folgen kann. Behandlungsnaivität verspricht bessere Versuchsergebnisse, setzt jedoch voraus, dass Probandinnen noch keine vorherige medizinische Behandlung erhalten haben.59 Ein weiterer Vorteil kann die schnellere und einfachere Rekrutierung von Versuchspersonen sein: Personen, die keinen Zugang zu einer alternativen medizinischen Versorgung haben, sind in der Regel „einfacher davon zu überzeugen“, an Arzneimittelstudien teilzunehmen. Darüber hinaus ist die drop-out-Rate niedriger. Im Weiteren ist hinsichtlich bestimmter Krankheiten und Konditionen auch die Prävalenzrate in bestimmten Entwicklungsländern höher.60 Darüber hinaus kann letztlich eine geringere Regulierungsdichte bzw. ineffektive Durchsetzung von Gesetzen und Sanktionen Ausschlag gebend für eine Auslagerung von Versuchen aus Industriestaaten sein.61 Gleichzeitig sind notwendige Daten grundsätzlich international und ortsunabhängig generierbar. Hürden, die einer universalen Verwertung von Studienergebnissen entgegenstehen könnten, werden zunehmend abgebaut. Zwar können ethnische Unterschiede, sowohl intrinsischer Art (wie genetische oder physiognomische 59  Feuerlein, Monika, Globale Experimentierfelder, Gen-ethischer Informationsdienst (2009), 9 – 13 [11]; EMA Reflection Paper on Ethical and GCP Aspects of Clinical Trials of Medicinal Products for Human Use conducted in third Countries and submitted in Marketing Authorisation Applications to the EMA vom 26. 05. 2010, EMA/712397/2009, abrufbar unter http://www.ema.europa.eu/docs/en_GB/document_library/Regulatory_and_procedural_guideline/2010/06/WC500091530.pdf, S. 22. 60  EMA Reflection Paper on Ethical and GCP Aspects of Clinical Trials of Medicinal Products for Human Use conducted in third Countries and submitted in Marketing Authorisation Applications to the EMA vom 26. 05. 2010, EMA/712397/2009, S. 22. Vgl. hierzu auch den Fall, in welchem Pfizer die „Gunst“ der Meningitis-Epidemie in Nigeria nutzte, um mit Meningitis infizierte Versuchspersonen zu rekrutieren, die in den USA so nicht zu gewinnen gewesen wären. 61  Jayaraman, K. S., Indian Regulations Fail to Monitor Growing Stem-Cell Use in Clinics, Nature 434 (2005), 259; Glickman, Seth W./McHutchison, John G./Peterson, Eric D./ Cairns, Charles B./Harrington, Robert A., et al., Ethical and Scientific Implications of the Globalization of Clinical Research, New England Journal of Medicine 360 (2009), 816 – 823 m.w.N.; Hutt, Peter Barton/Merrill, Richard A./Grossman, Lewis A., Food and Drug Law, 2007, S. 650. Als große Schwäche der RL 2001/20/EG kann kritisiert werden, dass sie die administrativen Bürden so erhöht hat, dass diese für kleine Unternehmen, akademische Einrichtungen und Sponsorinnen aus Drittstaaten prohibitive Kosten darstellen können. Assessment of the Functioning of the „Clinical Trials Directive“ 2001/20/EC – Public Consultation Paper, Dok. ENTR/F/2/SF D(2009) 326742009 vom 09. 10. 2009. Assessment of the Functioning of the „Clinical Trials Directive“ 2001/20/EC – Public Consultation Paper (2009).

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Faktoren) als auch extrinsischer Art (wie kulturelle Gewohnheiten) unterschiedliche Auswirkungen auf die Sicherheit und Wirksamkeit sowie Dosiserfordernisse und optimale Darreichungsformen haben, weshalb viele Länder in der Vergangenheit verlangten, dass Versuche bei ethnischen Unterschieden ggf. dupliziert werden sollten.62 Für die europäische Regulierung war dies weniger relevant. Japan jedoch sah beispielsweise das Erfordernis vor, einen Großteil ausländischer Versuche für den japanischen Markt zu duplizieren. Da dies jedoch einen wesentlichen finanziellen Aufwand bedeutete (und nicht zuletzt eine Vielzahl von Versuchspersonen möglicherweise unnötigen Risiken aussetzte), beschlossen die EU, USA und Japan zusammen mit der pharmazeutischen Industrie in den 1990er Jahren die Akzeptabilität ausländischer Studien zu steigern und zum Grundsatz zu erheben.63 Es bestehen jedenfalls vielfältige Anreize für die pharmazeutische Industrie, Versuche in Ländern mit niedrigeren Kosten durchzuführen. Eine kostengünstigere schnellere Arzneimittelentwicklung liegt dabei insbesondere auch im öffentlichen Interesse.

B.  Klinische Arzneimittelprüfung im Spiegel nationalen Rechts Von der wissenschaftlichen Komplexität abgesehen, trägt der umfassende rechtliche Rahmen ganz wesentlich zu den Kosten und zum Aufwand in der Arzneimittelentwicklung bei. Es sind schließlich die Voraussetzungen der Arzneimittelzulassung, die heute bestimmte umfassende Prüfungen erst obligatorisch machen. Die Prüfungen an sich werden wiederum von teils widerstreitenden regulatorischen 62  Siehe auch Sewing, Karl-Friedrich, Die GCP-Richtlinie: Balance zwischen Sicherheit und Bürokratie?, in: Deutsch, Erwin/Duttge, Gunnar/Schreiber, Hans-Ludwig/Spickhoff, Andreas/Taupitz, Jochen (Hrsg.), Die Implementierung der GCP-Richtlinie und ihre Ausstrahlungswirkungen, 2011, S. 63 – 68 [67 f.]. Molzon, Justina A./Giaquinto, Alex/Lindstrom, Lenita/Tominaga, Toshiyoshi/Ward, Mike, et al., The Value and Benefits of the International Conference on Harmonisation to Drug Regulatory Authorities: Advancing Harmonization for Better Public Health, Clinical Pharmacology & Therapeutics 89 (2011), 503 – 512 [508]; Kanusky, Rosemarie, Pharmaceutical Harmonization: Standardizing Regulations among the United States, The European Economic Community, and Japan, Houston Journal of International Law 16 (1994), 665 – 707 [687]. 63  Dies wurde innerhalb der International Conference on Harmonisation of Technical Requirements for Registration of Pharmaceuticals for Human Use beschlossen. Auf die ICH wird ausführlich unten eingegangen. Siehe auch ICH Harmonised Tripartite Guideline, Ethnic Factors in the Acceptability of Foreign Clinical Data E5(R1) vom 05. 02. 1998. Sollten dennoch Zweifel hinsichtlich der ethnischen Kompabilität bestehen, sollen demnach nur noch Brückenstudien an wesentlich kleineren Populationen durchgeführt werden. Zu Brückenstudien, die in der EU insbesondere von Bedeutung bei so genannten Hybridzulassungen sind: Ambrosius, Markus/Sträter, Burkhard, in: Fuhrmann, Stefan/Klein, Bodo/ Fleischfresser, Andreas (Hrsg.), Arzneimittelrecht, 2010, § 6, Rnrn. 221 f.

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Interessen bestimmt, die einerseits die Datenqualität für die Zulassung im Blick haben und andererseits den Probandenschutz nicht außer Acht lassen. Die zwei Regelkreise der Zulassungsbestimmungen und des Probandenschutzes erscheinen dabei teils gezwungen vereint. I.  Rechtliche Rahmenbedingungen der Arzneimittelzulassung und -prüfung in Deutschland, der EU und den USA Die Anforderungen an Arzneimittelprüfungen und die Charakteristika dieser, ergeben sich insbesondere auch aus rechtlichen Rahmenbedingungen über die Arzneimittelzulassung. Arzneimittel64 gehören derzeit zu den am umfangreichsten regulierten Produkten überhaupt.65 Die Grundsätze der rechtlichen Anforderungen an Arzneimittel in Deutschland, der EU und den USA gleichen sich dabei, insofern sie ähnliche historische Hintergründe teilen und gleiche Ziele verfolgen. An dieser 64  Gegenstand ständiger Klageerhebungen ist die Abgrenzung zwischen Arzneimitteln, Lebensmitteln, Nahrungsergänzungsmitteln und Kosmetika und eine in Bewegung befindliche Eingrenzung von „Arzneimittel“. Entscheidend für den europarechtlichen Arzneimittelbegriff ist Art. 1 der konsolidierten RL 2001/83/EG. Hierzu vor allem EuGH, Slg. 1983, S. 3883 – van Bennekom; EuGH, Urteil vom 15. 11. 2007, Rs C-319/05 – Knoblauchpräparat; auch die RL 2004/27/EG berücksichtigend EuGH, Urteil vom 15. 01. 2009, Rs. C-140/07, – Red Rice. Siehe auch Kunz, Clemens/Schulz, Sabine, Funktionelle Lebensmittel und Nahrungsergänzungsmittel, in: Marauhn, Thilo/Ruppel, Nadine (Hrsg.), Vom Arzneimittel zum Lebensmittel?, 2009, S. 1 – 8. Der deutsche Arzneimittelbegriff richtet sich nach europarechtlichen Vorgaben. Eine Kontroverse besteht jedoch darüber, ob bezüglich der Bestimmung der Arzneimitteleigenschaft die gemeinschaftliche Definition als Integrationslösung unmittelbar anzuwenden oder ob § 2 Abs. 1 AMG lediglich richtlinienkonform auszulegen ist: Vgl. Müller, Rolf-Georg, Grundfragen des Arzneimittelbegriffes und der Zweifelsregelung, NVwZ (2009), 425 – 429 [427 f.] m.w.N., anders Groß, Thomas, Die neue Zweifelsregelung der Humanarzneimittelrichtlinie, in: Marauhn, Thilo/Ruppel, Nadine (Hrsg.), Vom Arzneimittel zum Lebensmittel?, 2009, S. 17 – 51. Siehe auch Gassner, Ulrich M., Aktuelle Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Abgrenzung von Lebens- und Arzneimitteln, in: Marauhn, Thilo/Ruppel, Nadine (Hrsg.), Vom Arzneimittel zum Lebensmittel?, 2009, S. 73 – 104 [90]. Für das US-Arzneimittelrecht gilt nicht minder die Abgrenzungsproblematik zu anderen Produkten wie Lebensmitteln und Kosmetika. Siehe etwa Farren, Victoria, Removing the Wrinkle in Cosmetics and Drug Regulation: A Notice Rating System and Education Proposal for Anti-Aging Cosmeceuticals, Elder Law Journal 16 (2009), 375 – 403; Grossman, Lewis A., Food Drugs, and Droods: A Historical Consideration of Definitions and Categories in American Food and Drug Law, Cornell Law Review 93 (2008), 1091 – 1147; Schaffer, Susan E., Reading our Lips: The History of Lipstick Regulation in Western Seats of Power, Food & Drug Law Journal 62 (2007), 165 – 225 [214]. Coyne Beahm, Inc. et al v. U.S. Food & Drug Administration, 966 F. Supp. 1374 (M.D.N.C. 1997), bestätigt vom Supreme Court in Food & Drug Administration et al. v. Brown & Williamson Tobacco Corporation et al., 529 U.S. 120, 120 S.Ct. 1291. 65  Allein die europäische Regulierung von Humanarzneimitteln umfasst (Stand 2012) etwa 14 Richtlinien, 26 Verordnungen sowie fast 900 teilweise sehr umfangreiche Guidelines der EMA.

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Stelle soll der rechtliche Rahmen für die Zulassungspflicht von Arzneimitteln und ihre Rationale skizziert werden. Der den jeweiligen Gesetzen zugrundegelegten Logik und Struktur folgend werden Anforderungen an den Probandenschutz an nächster Stelle aufgezeigt. 1.  Sulfanilamid, Contergan und ihre Lehren Die hohe Regulierungsdichte der Arzneimittelprüfung und –zulassung ist eine relativ junge Entwicklung. Erste zaghafte regulative Reaktionen gehen zwar auf die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück.66 Aus der jüngeren Geschichte des Arzneimittelrechts ist hingegen ersichtlich, dass größere Reformen vor allem durch Arzneimittelkatastrophen und Skandale angestoßen worden sind. 1937 starben in den USA 107 Menschen an dem antibiotisch wirkenden Elixir Sulfanilamid-Sirup, da dieser das giftige und heute als Industrielösungsmittel verwendete Diethylenglucol enthielt und keinerlei toxikologische Tests durchgeführt worden waren.67 In Reaktion auf den Sulfanilamid-Skandal wurde in den USA als erstem Land 1938 mit dem Food, Drug and Cosmetic Act (FDCA)68 eine Genehmigungspflicht für Arzneimittel eingeführt.69 66  So war etwa der US Drug Importation Act aus dem Jahr 1848 eine Antwort auf europäische Chemikerinnen, die Mittel synthetisierten, die unter anderem Derivate von Morphin und Kokain enthielten. McGrath, Sue, Only a Matter of Time: Lessons Unlearned at the Food and Drug Administration Keep Americans at Risk, Food & Drug Law Journal 60 (2005), 603 – 624 [603]. Die in Deutschland 1901 erlassene kaiserliche Verordnung sah eine Beschränkung vor, dass nur bestimmte „Apothekerwaren“ außerhalb von Apotheken gehandelt werden durften. Deutsch, Erwin/Spickhoff, Andreas, Medizinrecht, 2003, Rn. 817. Das internationale Opiumabkommen (abgedruckt bei Lewin, Louis/Goldbaum, Wenzel, Opiumgesetz Kommentar, 1928, Anhang I, S. 31) von 1912 verpflichtete in Art. 9 die Vertragsstaaten, die Herstellung, den Verkauf und die Verwendung von Morphin, Kokain und deren Salze auf den medizinischen und gesetzmäßigen Gebrauch zu beschränken. In Deutschland wurde das Abkommen mit dem Gesetz zur Ausführung des internationalen Opiumabkommens vom 23. 01. 1912 vom 30. 12. 1920 umgesetzt. 67  Feinberg, Debra B., Pharmacy Law, 2008 S. 7. Der FDA war es nur über einen „Trick“ möglich, das Arzneimittel vom Markt zu bannen, indem es dieses als „misbranded“ erachtete, da es als „Elixir“ gekennzeichnet war und als solches per definitionem Alkohol hätte enthalten müssen, was es nicht tat. 68  21 USC § 301 ff. 69  In Reaktion auf die europäische Contergan-Katastrophe ist 1962 der Kefauver-Harris-Amendment erlassen worden, der unter anderem Sicherheits- und Wirksamkeitsnachweise verlangte. Lag der Fokus vorher auf der Lebensmittelsicherheit, trat das Gefährdungspotential ungetesteter Arzneimittel in den Vordergrund. Die US-amerikanische Regulierung von Arzneimittelprodukten geht bis zur ersten Herausgabe der US-Pharmakopöe im Jahr 1820 zurück. Der regulative Fokus lag jedoch vor dem Sulfanilamid-Skandal auf der Regulierung von Lebensmitteln, bedingt durch die Industrialisierung von Schlachtungen in den Chicagoer Schlachthäuser zur Jahrhundertwende. Der Food, Drug and Cosmetic Act ersetzte den 1906 verabschiedete Federal Pure Food and Drugs Act. Feinberg, Debra B., Pharmacy Law, 2008, S. 5 – 19.

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In Deutschland erfolgte die Entwicklung zögerlicher. Zwar wurde 1961 das erste Arzneimittelgesetz (AMG)70 verkündet, welches es verbot, Arzneimittel in den Verkehr zu bringen, die bei bestimmungsgemäßen Gebrauch geeignet waren, eine über ein vertretbares Maß hinausgehende schädliche Wirkung hervorzurufen oder die Gesundheit zu schädigen.71 Jedoch bestanden keine Vorgaben für eine Überprüfung der Unbedenklichkeit und Wirksamkeit, sondern nur eine Registrierungspflicht72. Das AMG von 1961 hätte in dieser Form somit auch bei früherem Inkrafttreten nicht die größte pharmazeutische Katastrophe der deutschen Geschichte verhindern können. Die Herstellerin Grünenthal hatte 1957 das Schlafmittel Contergan auf den Markt gebracht, nachdem es nach damaligen Standards getestet worden war.73 Erst später, nachdem allein von 1959 bis 1962 nur in Deutschland über 5.000 behinderte Kinder auf die Welt kamen, von denen etwa die Hälfte nicht überlebte, zeigte sich, dass der Contergan-Wirkstoff Thalidomid, in einem bestimmten Schwangerschaftsstadium eingenommen, ursächlich für Polyneuritis und das Wiedemann- oder Dysmeliesyndrom bei Neugeborenen war.74 Eine legislative Reaktion bestand unter anderem in einer Neuordnung des Arzneimittelgesetzes.75 Die Bundesregierung befand, es käme entscheidend darauf an, Arzneimittel vor dem Inverkehrbringen ausreichend nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu prüfen und das Gefahrenrisiko ermitteln und abwägen zu können.76 19 Jahre nach dem Inverkehrbringen von Contergan führte das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelrechts vom 24. 08. 197677 schließlich ein obligatorisches Zulassungsverfahren ein. Ein solches hat sich ebenfalls auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene herausgebildet. Die Contergan-Katastrophe hatte nicht zuletzt Auswirkungen auf die US-amerikanische Gesetzgebung. Der Kefauver Drug Amendments Act aus dem Jahr 1962 führte eine „premarket review“ sowie stärkere Auflagen für Arzneimittel ein.

70 

BGBl. I 1961, S. 533. § 6 AMG 1961. 72  § 20 AMG 1961. 73  Vgl. Selbstdarstellung der Grünenthal GmbH unter http://www.contergan.grunenthal.info/ctg/de_DE/html/ctg_de_de_history.jhtml?CatId=ctg_de_de_history. 74  Das LG Aachen führte im Contergan-Beschluss dazu zusammengefasst aus, dass ein naturwissenschaftlicher, jede Möglichkeit des Gegenteils ausschließender Nachweis zwar nicht möglich, aber auch nicht nötig sei, da für die rechtliche Bewertung des Kausalzusammenhangs innerhalb der Prüfung einer Körperverletzung die subjektive Gewissheit genüge und dass die Kammer auf Grund der Erkenntnisse der Sachverständigen von dem Kausalzusammenhang überzeugt sei; LG Aachen, Beschluss vom 18. 12. 1970 = JZ 1971, 507 – 521. 75  Deutsch, Erwin/Spickhoff, Andreas, Medizinrecht, 2003, Rn. 822. 76  Zu § 24, BT Drs. 7/3060, S. 50. 77  BGBl. I 1976, S. 2445. 71 

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2.  Genehmigungspflicht für Arzneimittel Ein wesentlicher Aspekt des heute weiten Regulierungskanons von Arzneimitteln stellt die verwaltungsrechtliche Genehmigungspflicht (als Zulassungspflicht) von Arzneimitteln dar.78 Diese dient insbesondere dazu, die Allgemeinheit vor unsicheren und unwirksamen Stoffen zu schützen, die industriell hergestellt und gewerblich vertrieben werden79 und ist ursächlich für die weitere Regulierung der 78  Nach

EU-Recht sowie nach US-Recht ist das Inverkehrbringen von Arzneimitteln genehmigungspflichtig. Die EU sieht dabei eine durch VO (EG) 726/2004 normierte zentrale Genehmigungspflicht durch die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) vor. Daneben wird durch die mehrfach geänderte RL 2001/83/EG ein dezentrales Verfahren normiert, das eine gegenseitige Anerkennung von Zulassungen vorsieht. Neben diesem sogenannten „Mutual Recognition“-Verfahren, das einen Antrag auf Anerkennung einer Genehmigung in einem Referenzstaat umfasst, besteht auch ein „Decentralised Procedure“-Verfahren, das ein Genehmigungsverfahren in einem anderen Mitgliedstaat ohne Basisgenehmigung ermöglicht. Ausführlich Wagner, Susanne A., Europäisches Zulassungssystem für Arzneimittel und Parallelhandel, 2000; siehe auch Abraham, John/Lewis, Graham, Regulating Medicines in Europe, 2000. In Deutschland richtet sich die Genehmigung, soweit Kompetenzen nicht auf die Union übergegangen sind, nach dem vierten Abschnitt, den §§ 21 ff., des AMG. Nach § 21 Abs. 1 AMG ist das Inverkehrbringen von Fertigarzneimitteln durch die zuständige Bundesoberbehörde, nach § 77 AMG das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), für bestimmte Arzneimittel auch das Paul-Ehrlich-Instituts nach § 77 Abs. 2 AMG oder das Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit zulassungspflichtig. Eine Zuständigkeit des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit ergibt sich aus § 77 Abs. 3 AMG für Tierarzneimittel. Die Überwachung unterliegt der Kompetenz der Landesbehörden; §§ 64 - 69b AMG; ebenso wie die nach der AMGVwV übertragenen Aufgaben, wie die Überwachung der klinischen Prüfung (§ 1). Bestehen Unsicherheiten über die Bewertung einer Zulassungspflicht, so kann die Landesbehörde nach § 21 Abs. 4 AMG einen Antrag zur Entscheidung über eine möglicherweise bestehende Zulassungspflicht bei der Bundesbehörde stellen. In den USA ist für die Zulassung und Überwachung die Gesundheitsministerin (Secretary of Health and Human Services) zuständig. Sie handelt durch die Kommissarin (21 USC § 393 (d) (2)) der beim Departement of Health and Human Services angesiedelten Food and Drug Administration (21 USC § 393 (a)). Die Grundsätze des Verfahrens sind in 21 USC § 355 niedergelegt, näheres ist im Code of Federal Regulation (CFR) in 21 CFR §§ 300 ff. insbesondere 21 CFR § 314 geregelt. 79  Individuell zubereitete Arzneimittel fallen nicht in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel der konsolidierten RL 2001/83/EG. Die deutsche Bundesregierung legte in Umsetzung der Richtlinie die industrielle Herstellung in ihrer Gesetzesbegründung zur 14. AMG-Novelle als „in Übereinstimmung mit dem allgemeinen Sprachgebrauch eine breite Herstellung nach einheitlichen Vorschriften“ aus. BT-Drs. 15/5316, S. 33. Im US-Recht sind individuelle Zubereitungen als sogenannte „compounded drugs“ nach Section 127 (a) des FDA Modernization Act von 1997, kodifiziert in 21 USC § 353a, von der Zulassungspflicht ausgenommen, soweit sie im „small-scale“ Maße im Sinne der traditionellen Apothekerkunst zubereitet werden und nicht die Schwelle zu „large-scale drug manufacturing“ überschreiten. Supreme Court Entscheidung, Thompson v. Western States Medical Center, vom 29. 04. 2002, 535 US 357, 122 S.Ct. 1497.

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klinischen Arzneimittelprüfung. So sind jeweils umfangreiche Ergebnisse und Daten aus klinischen Prüfungen über die Wirksamkeit und Sicherheit, den jeweiligen Zulassungsanträgen beizulegen.80 3.  Rechtlicher Rahmen klinischer Arzneimittelprüfungen Da Arzneimittelprüfungen Garanten und Nachweise der Sicherheit und Wirksamkeit sein sollen, sind diese zur Sicherstellung der Wissenschaftlichkeit der Forschungsergebnisse umfassend reguliert. Allein im Unionsrecht81 sind neben den maßgeblichen Richtlinien und Verordnungen,82 mehrere hundert Guidelines der Kommission und Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) maßgeblich.83 Diese werden in der EudraLex Datenbank veröffentlicht, wobei die Guidelines zur Regulierung von Arzneimitteln in zehn Bänden zusammengefasst sind. Zu Human­ arzneimitteln befanden sich 2012 in den Bänden 1 – 4 sowie 9 – 10 etwa 830 wissenschaftliche Guidelines, 32 Good Manufacturing Practice Guidelines, 36 Good Clinical Practice Guidelines sowie 13 Entscheidungen und Mitteilungen. Band 10 umfasst Clinical Trial Guidelines.84 80  Nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 VO (EG) 726/2004 i.V.m. Art 8 Abs. 3 lit. i) 3. Spiegelstrich RL2001/83/EG konsolidierte Fassung, § 22 AMG und 21 USC § 355 (b), 21 CFR § 314.50. 81  Umsetzungen von Unionsrecht in deutsches Recht sind insbesondere im Arzneimittelgesetz (AMG) und der Verordnung über die Anwendung der Guten Klinischen Praxis bei der Durchührung von klinischen Prüfungen mit Arzneimitteln zur Anwendung am Menschen (GCP-V) enthalten. §§ 40 ff. AMG normieren dabei Schutzmaßnahmen für Teilnehmerinnen von klinischen Prüfungen. 82  Maßgeblich für Arzneimittelversuche sind RL 2001/20/EG über die gute klinische Praxis sowie RL 2005/28/EG zur Festlegung von Grundsätzen und ausführlichen Leitlinien der guten klinischen Praxis für zur Anwendung beim Menschen bestimmten Prüfpräparaten sowie von Anforderungen für die Erteilung einer Genehmigung zur Herstellung oder Einfuhr solcher Produkte. Des Weiteren sind alle klinischen Prüfungen nach Maßgabe des Annex I der RL 2001/83/EG durchzuführen. Die RL 2001/20/EG findet nach Art. 1 Abs. 1 Anwendung auf alle klinischen Arzneimittelprüfungen im Sinne des Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel. Erwägungsgrund 13 der RL 2004/27/EG zur Änderung des Gemeinschaftskodexes betont, dass die RL 2001/20/EG auf alle Arzneimittel angewendet werden muss, die in der Union genehmigt werden. Einführungsabsatz 8 des Anhang I der RL 2001/83/EG in der durch RL 2003/63/EG geänderten Fassung, nach welchem sich die Unterlagen für Zulassungsanträge zu richten haben, verlangt ebenfalls die Anwendung der RL 2001/20/EG auf alle klinischen Arzneimittelprüfungen in der Union. Nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 VO (EG) 726/2004 werden die gleichen Anforderungen auch an klinische Prüfungen in zentralen Genehmigungsverfahren gestellt. 83  Die EMA ist durch Art. 57 Abs. 1 VO (EG) 2004/726 ermächtigt, den Mitgliedstaaten und den Organen der Gemeinschaft den bestmöglichen wissenschaftlichen Rat in Bezug auf alle Fragen der Beurteilung der Qualität, der Sicherheit und der Wirksamkeit von Humanarzneimitteln zu erteilen. Die auf dieser Grundlage entwickelten Guidelines der EMA dienen der Sicherstellung der Harmonisierung. Hierzu Fuhrmann, Stefan/Klein, Bodo/ Fleischfresser, Andreas (Hrsg.), Arzneimittelrecht, 2010, § 3, Rnrn. 20 ff. 84 http://ec.europa.eu/health/documents/eudralex/vol-10/index_en.htm.

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Im US-Recht ist der größte Teil an Normen von klinischen Prüfungen auf Bundesebene normiert,85 auch wenn die Bundesstaaten einen höheren Schutzstandard für Versuchspersonen normieren können und dies auch tun.86 Die US Food and Drug Administration (FDA) veröffentlicht darüber hinaus wie die EMA eine große Reihe formal unverbindlicher87 guidance-Dokumente zur Erläuterung und Auslegung durch die FDA.88 II.  Rechtlicher Probandenschutz in Deutschland, der EU und den USA Fragen des Probandenschutzes und die spezifischere Frage, der Beurteilung von Versuchen in Entwicklungsländern bzw. Drittländern, sind zeitlich verzögert auch von nationalen Gesetzgebern adressiert worden. Grundsätzlich zu unterscheiden sind Maßnahmen für den nationalen Schutz von Versuchspersonen und nationale Versuchsanforderungen sowie Anforderungen an Versuche, die in Drittländern durchgeführt werden, auf deren Grundlage jedoch Zulassungen für nationale Märkte ersucht werden. Anforderungen an nationale Versuche sind seit langem Gegenstand einer rechtswissenschaftlichen Auseinandersetzung und aus verschiedenen Perspektiven erörtert worden.89 Die kurze Skizze der wesentlichen Normen 85  Anforderungen richten sich einerseits nach § 505 des Food Drug and Cosmetic Act, der von der FDA weiter ausgefüllt wird. Schutzmaßnahmen gehen legislatorisch auch vom National Research Act von 1974 aus, welcher ebenfalls durch die zuständige Behörde weiter ausgefüllt wird. Basisstruktur eines Grundschutzes für alle Personen, die an Versuchen in den USA teilnehmen, die von US Behörden durchgeführt und/oder unterstützt werden, ist die sogenannte Common Rule normiert in 45 CFR § 46. 86  Zur Strukur Coleman, Carl H./Menikoff, Jerry A./Goldner, Jesse A./Neveloff Dubler, Nancy, The Ethics and Regulation of Research with Human Subjects, 2005, § 3, S. 105 ff. 87  21 CFR § 10.115. Die Guidance-Dokumente sind wie auch 21 CFR § 10.115 (d) betont, rechtlich nicht verbindlich. Sie enthalten aber die gegenwärtigen Meinungen der FDA, von denen ihre Mitarbeiterinnen nur unter Rechtfertigung und Weisung abweichen können (so auch 21 CFR § 10.115 (d) (3)). 88 http://www.fda.gov/ScienceResearch/SpecialTopics/RunningClinicalTrials/Guid­ ancesInformationSheetsandNotices/ucm219433.htm. Die FDA ist an die Anforderungen der Common Rule gebunden, kann jedoch spezifischere Regelungen erlassen, welche dann lex specialis sind, insbesondere wenn diese ein höheres Schutzniveau aufweisen. Die FDA ist zwar unmittelbar nur in der eigenen Durchführung und Unterstützung von Forschung an 45 CFR § 46 gebunden. Forschung die ihrer Regelungskompetenz untersteht, unterliegt jedoch der Kontrolle und Genehmigungspflicht eines Institutional Review Board, das auf Grundlage von 45 CFR § 46 entscheidet (45 CFR § 46.101 (2) i.V.m. § 46.102 (e)). Spezifische Regelungen der FDA sind in 21 CFR § 50, 56 kodifiziert (45 Federal Register 36390, vom 30. 05. 1980 in geänderter Fassung). Maßgeblich für die Genehmigung von klinischen Prüfungen sind die Voraussetzungen nach 21 CFR § 312. 21 CFR § 312.40 (a) (1) benennt als eine Voraussetzung die Beachtung von 21 CFR § 50 und 56. 89  Beispielsweise Habilitationsschrift von Freier, Friedrich von, Recht und Pflicht in der medizinischen Humanforschung – zu den rechtlichen Grenzen der kontrollierten Studie, 2009; Coleman, Carl H./Menikoff, Jerry A./Goldner, Jesse A./Neveloff Dubler, Nancy,

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hier gilt der Einordnung der Erfordernisse für Drittlandsversuche und insbesondere der Verdeutlichung der „ethischen Verweise“ in der rechtlichen Normierung. 1.  Grundsätzlicher Probandenschutz Staatliche Regulierungen in Form von Zulassungspflichten, Überwachungen und Auflagen sind ein recht junges Produkt des letzten Jahrhunderts. Der Hintergrund macht deutlich, dass die Gesetzgebung historisch zunächst eine Reaktion auf Katastrophenerfahrungen war und das Ziel zuvorderst darin liegt, die öffentliche Gesundheit zu schützen.90 Die Zulassungsregimes der wesentlichen Hauptmärkte erfordern daher umfassende Versuche zum Beleg der Sicherheit und Wirksamkeit von Arzneimitteln zum Schutz der eigenen Bevölkerung. Deren primäres Interesse liegt damit in der wissenschaftlichen Aussagekraft und Validität der Ergebnisse. Die regulatorischen Anforderungen an klinische Prüfungen sind daher primär an wissenschaftlich-methodischen Zielen orientiert. Damit stehen grundsätzlich die Partikularinteressen der pharmazeutischen Industrie und der Regelungsgeberin hinsichtlich des Schutzes der öffentlichen Gesundheit potentiell in Konflikt mit Probandeninteressen. Zu dem Öffentlichkeitsinteresse ist aus regulatorischer Sicht das Probandeninteresse erst nachträglich hinzugetreten, welches sich aus einem anderen – ethischen – Diskurs entwickelt hat. Die Gesetzgebungen der EU und USA nehmen Anleihen bei und üben Verweise auf ethische Normen aus und stützen Schutzmaßnahmen auf „internationale ethische Standards“. a)  Europäisches Arzneimittelrecht Die zentrale Richtlinie zum Schutz von Versuchspersonen ist de lege lata RL 2001/20/EG über die gute klinische Praxis und RL 2005/28/EG, welche Grundsätze und ausführliche Leitlinien der guten klinischen Praxis festlegt.91 Art. 1 Abs. 2 der RL 2001/20/EG lautet: „Die gute klinische Praxis umfasst einen Katalog international anerkannter ethischer und wissenschaftlicher Qualitätsanforderungen, die bei der Planung, Durchführung und Aufzeichnung klinischer Prüfungen eingehalten werden müssen. Die Einhaltung dieser Praxis gewährleistet, dass die Rechte, die Sicherheit und das Wohlergehen der Teilneh-

The Ethics and Regulation of Research with Human Subjects, 2005; Sprumont, Dominique, Legal Protection of Human Research Subjects in Europe, European Journal of Health Law 6 (1999), 25 – 43; Deutsch, Erwin/Spickhoff, Andreas, Medizinrecht, 2003; bereits Biermann, Elmar, Die Arzneimittelprüfung am Menschen, 1985; Fischer, Gerfried, Medizinische Versuche am Menschen, 1979. 90  Siehe auch Erwägungsgrund 4 der RL 2004/27/EG wonach „alle Vorschriften auf dem Gebiet der Herstellung und des Vertriebs von Humanarzneimitteln […] in erster Linie dem Schutz der öffentlichen Gesundheit dienen [sollen]“. 91  Zum Verordnungsvorschlag der Kommission COM(2012) 369 final vom 17. 07. 2012 zur Aufhebung der RL 2001/20/EG weiter unten.

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Teil 1: Arzneimittelversuche und Globalisierung mer an klinischen Prüfungen geschützt werden und dass die Ergebnisse der klinischen Prüfungen glaubwürdig sind.“

Erwägungsgrund 2 S. 1 der RL 2001/20/EG führt hierzu aus, dass „die anerkannten Grundsätze für die Durchführung klinischer Prüfungen am Menschen […] sich auf den Schutz der Menschenrechte und der Würde des Menschen im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin, wie beispielsweise in der Erklärung von Helsinki in der Fassung von 1996 ausgeführt wird [stützt].“

Die Deklaration von Helsinki 1996 wird damit herausgestellt als eine Ethik­ guideline, die die „international anerkannten ethischen Anforderungen“ wenn nicht konstituiert, so zumindest deklariert. RL 2005/28/EG stellt die besondere Exposition der Deklaration von Helsinki noch weiter heraus, indem sie in Art. 3 Untabs. 2 verlangt: „Klinische Prüfungen werden gemäß den ethischen Grundsätzen der ‚Deklaration von Helsinki‘ über die Ethischen Grundsätze für die medizinische Forschung am Menschen des Weltärztebundes von 1996 durchgeführt.“

Da die RL 2005/28/EG die RL 2001/20/EG in ihrem Teil zum Schutz von Prüfungsteilnehmerinnen unverändert lässt, verdeutlicht dies die Bedeutung dieser Ethikguideline in der Genese der europäischen Schutzanforderungen, die in Anspruch nimmt einen „international anerkannten“ ethischen Standard widerzuspiegeln. Aber nicht nur aus der Deklaration von Helsinki speist sich der verfolgte Standard, sondern auch aus dem Konsenspapier der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA), das den im Rahmen der Internationalen Harmonisierungskonferenz (ICH) erzielten Konsens über einen harmonisierten Ansatz für die gute klinische Praxis angenommen und veröffentlicht hat. Dieses Konsenspapier soll nach Erwägungsgrund 8 RL 2005/28/EG „berücksichtigt werden“. Erwägungsgrund 6 der RL 2001/20/EG erläutert, dass die Harmonisierung technischer Anforderungen für die Entwicklung von Arzneimitteln in geeigneten Gremien, wie der ICH erfolgen solle. Die Richtlinien und Verordnungen zu den Zulassungsvoraussetzungen für Arzneimittel betonen jeweils die Notwendigkeit, dass die für die Zulassung notwendigen klinischen Prüfungen in Einklang mit den Richtlinien zur guten klinischen Praxis durchgeführt werden. Nach Art. 8 Abs. 3 RL 2001/83/EG sind klinische Prüfungen in Einklang mit Annex I der Richtlinie durchzuführen. Teil 4 Annex I RL 2001/83/EG a.F. verlangte hierfür alle klinischen Studien „im Einklang mit den in der geltenden revidierten Fassung der Erklärung von Helsinki niedergelegten ethischen Grundsätze“

durchzuführen. RL 2003/63/EG änderte benannten Annex. Einführungsabsatz 8 S. 1 Annex I RL 2001/83/EG n.F. verlangt nun, dass „bei allen klinischen Prüfungen, die innerhalb der Europäischen Gemeinschaft durchgeführt werden, […] die Anforderungen der Richtlinie 2001/20/EG […] über die Anwen-

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dung der guten klinischen Praxis bei der Durchführung von klinischen Prüfungen mit Humanarzneimitteln einzuhalten sind.“

Satz 3 verlangt: „Sie sind im Einklang mit ethischen Grundsätzen auszuführen, wie sie beispielsweise in der Deklaration von Helsinki wiedergegeben sind.“92

Satz 3 könnte sich auch nur auf Satz 2 beziehen, der Versuche in Drittländern adressiert, dies ergibt sich jedoch nicht zwingend aus der Systematik oder dem Wortlaut. Dies gilt gleichermaßen für zentrale Zulassungen. Erwägungsgrund 16 VO (EG) 726/2004 verlangt ebenfalls, dass die „ethischen Anforderungen der Richtlinie 2001/20/EG“ bei der Durchführung von klinischen Prüfungen angewendet werden. VO (EG) 1394/2007 über Arzneimittel für neuartige Therapien und zur Änderung der RL 2001/38/EG und VO (EG) 726/2004 verlangt in Erwägungsgrund 16 ebenfalls die Anwendung der „ethischen Anforderungen der RL 2001/20/ EG“ und gleichermaßen die „Übereinstimmung mit den übergeordneten Grundsätzen“. Neu in VO (EG) 1394/2007 ist Erwägungsgrund 8, welcher über den zu beachtenden ethischen Standard hinaus betont, dass die Verordnung die Grundrechte wahrt, die in der EU-Grundrechtecharta enthalten sind und ebenso die Biomedizinkonvention des Europarates (BMK) wahrt. Im Juli 2012 legte die Europäische Kommission einen Vorschlag für eine Verordnung über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln vor, die die RL 2001/20/ EG aufheben soll, um eine vollständige Harmonisierung zu erreichen.93 Dieser VO-Vorschlag enthält keinen unmittelbaren Verweis mehr auf die Deklaration von Helsinki wie in Art. 3 Untabs. 2 RL 2005/28/EG. Allerdings bezieht sie sich in ihren Erwägungsgründen vermehrt auf die Leitlinien der ICH. In Erwägungsgründen 3, 24, 25, 42 bezieht sich der VO-Vorschlag ohne Konkretisierung auf „internationale Leitlinien“ bzw. „internationale Standards“. In Erwägungsgrund 29 wird ausgeführt: „Die Mitglieder [der ICH] haben sich auf ausführliche Leitlinien für die gute klinische Praxis geeinigt, die mittlerweile einen international anerkannten Standard für den Aufbau und die Durchführung klinischer Prüfungen sowie für die diesbezüglichen Aufzeichnungen und die Berichterstattung darüber darstellen; sie entsprechen Grundsätzen, die ihren Ursprung in der Deklaration von Helsinki des Weltärztebundes haben. Bei der Planung und Durchführung klinischer Prüfungen und bei den diesbezüglichen Aufzeichnungen und der Berichterstattung darüber können sich detaillierte Fragen zu dem geeigneten Qualitätsstandard stellen. In einem solchen Fall sollten die ICH-Leitlinien 92 Hier wurde unterlassen, eine konkrete Version der Deklaration zu benennen. Ein Grund könnte sein, dass eine grundsätzliche Aussage getroffen werden sollte, ohne Verweis auf eine bestimmte Fassung und somit Konfliktmöglichkeiten. Die „geltende revidierte“ Fassung (das ist aktuell die Version von 2013) auf welche Annex I a. F. verwies, wies materielle Unterschiede zu der Fassung von 1996 auf, auf welche RL 2001/20/EG verweist. 93  COM(2012) 369 final, Dokument vom 17. 07. 2012.

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Teil 1: Arzneimittelversuche und Globalisierung zur guten klinischen Praxis zur Anwendung der in dieser Verordnungen enthaltenen Bestimmungen herangezogen werden […].“

Gleichermaßen führt Erwägungsgrund 63 aus, dass der VO-Vorschlag nicht nur mittelbar über die ICH-Leitlinien, sondern auch unmittelbar den Grundsätzen der Deklaration von Helsinki als einer der wichtigsten internationalen Leitfäden entspräche. „Diese Verordnung entspricht den wichtigsten internationalen Leitfäden zu klinischen Prüfungen, wie der neuesten Fassung (2008) der Deklaration von Helsinki des Weltärztebundes, und der guten klinischen Praxis, die in der Deklaration von Helsinki ihren Ursprung hat.“

Schließlich führt der VO-Vorschlag in Erwägungsgrund 65 auch aus, dass er im Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen, die insbesondere mit der EU-Grundrechtecharta anerkannt wurden, in Einklang stehe. b)  Deutsches Recht Aufgrund der weitreichenden Harmonisierung des Arzneimittelrechts,94 bleibt dem deutschen Gesetzgeber nur wenig Spielraum.95 Über unionsrechtliche Regelungen wird so der Einfluss von Ethikguidelines und Harmonisierungen der Internationalen Harmonisierungskonferenz in das deutsche Recht getragen. Voraussetzungen klinischer Prüfungen sind seit der 12. AMG-Novelle96 in § 40 Abs. 1 AMG sowie in der Verordnung über die Anwendung der Guten Klinischen Praxis bei der Durchführung von klinischen Prüfungen mit Arzneimitteln zur Anwendung am Menschen (GCP-VO) normiert.97 § 40 Abs. 1 AMG führt in Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben aus, dass alle an der klinischen Prüfung beteiligten Personen bei der Durchführung die Anforderungen der guten klinischen Praxis der RL 2001/20/EG einzuhalten haben. Als „internationale Vorgabe“ bzw. als „maßgeblich“ wird in der Literatur die Deklaration von Helsinki benannt.98 Aber auch bereits vor der 12. AMG-Novelle, die u. a. RL 2001/83/EG und RL 2001/20/EG 94  Dazu etwa auch Fleischfresser, Andreas, in: Fuhrmann, Stefan/Klein, Bodo/Fleischfresser, Andreas (Hrsg.), Arzneimittelrecht, 2010, § 3; Wagner, Susanne A., Europäisches Zulassungssystem für Arzneimittel und Parallelhandel, 2000. 95  Von diesem Spielraum wurde jedoch bei der Umsetzung der RL 2001/20/EG durch das Zwölfte Gesetz zur Änderung des AMG und durch die GCP-Verordnung dahingehend Gebrauch gemacht, dass ein höheres Schutzniveau (bzw. geringere Inklusionsmöglichkeit) für besonders schützenswerter Personengruppen normiert wurde. Bei Inkrafttreten des diskutierten VO-Vorschlags der Kommission COM(2012) 369 final vom 17. 07. 2012 bliebe gar kein Umsetzungsspielraum mehr. 96  BT-Drs. 15/2109. 97  Kritisch zur Conditio sine qua non des positiven Votums von Ethikkommissionen im arzneimittelrechtlichen Verwaltungsverfahren: Vöneky, Silja, Recht, Moral und Ethik – Grundlagen und Grenzen demokratischer Legitimation für Ethikgremien, 2010, S. 584 ff. 98  Rehmann, Wolfgang A./Greve, Kai, Arzneimittelgesetz (AMG) – Kommentar, 3. Aufl., 2008, § 40, Rn. 4.

§ 2  Globalisierte Arzneimittelversuche zwischen nationalem Recht und Ethik

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umgesetzt hat, hatte die Deklaration von Helsinki Vorbildcharakter für deutsche Schutzanforderungen.99 c)  US-Recht Der Schutz von Versuchspersonen ist grundsätzlich durch das US Department of Health and Human Services (HHS) für jede Forschung an Menschen, die der Regulierung durch ein US Bundesministerium oder einer Bundesbehörde untersteht, in 45 Code of Federal Regulation (CFR) § 46 geregelt.100 Dies ist die so genannte common rule.101 Die US Food and Drug Administration (FDA) ist an diese Anforderungen gebunden, kann jedoch spezifischere Regelungen erlassen, wenn diese ein höheres Schutzniveau aufweisen. Solche sind in 21 CFR § 50, 56 kodifiziert. Die Behörde ist zwar unmittelbar nur in der eigenen Durchführung und Unterstützung von Forschung an 45 CFR § 46 gebunden. Forschung, die ihrer Regulierung untersteht, unterliegt jedoch der Kontrolle und Genehmigungspflicht eines institutional review board, das auf Grundlage von 45 CFR § 46 entscheidet.102 Spezifische Regelungen der FDA sind in 21 CFR § 50, 56 kodifiziert.103 Arzneimittelforschung, die in den Regelungsbereich der FDA fällt, die von dem HHS durchgeführt, gesponsert oder finanziert wird, unterfällt den Regelungen des HHS und der FDA. Regelungen der FDA sind dabei im Kollisionsfall lex specialis.104 Diese weichen zwar in einigen Detailfragen von denen der HHS ab, in ihren Grundprinzipien und im Grundgedanken sind die Regelungen im Wesentlichen denen der HHS nachempfunden und die Unterschiede nur marginal.105 Die comFreier, Friedrich von, Recht und Pflicht in der medizinischen Humanforschung – zu den rechtlichen Grenzen der kontrollierten Studie, 2009, S. 94 ff. Fischer, Gerfried, Medizinische Versuche am Menschen, 1979, S. 7 ff. 100  56 Federal Register 28012, vom 18. 6. 1991 in teils geänderter Fassung. 101  Rein formal ist nur Subpart A eine „Common Rule“ und Subparts B-D, die Regelungen für Forschung an bestimmten „vulnerable“ Personen umfassen, technisch betrachtet nicht. Dennoch ist es nicht unüblich, dass 45 CFR § 46 in ihrer Gesamtheit als „Common Rule“ bezeichnet wird. Coleman, Carl H./Menikoff, Jerry A./Goldner, Jesse A./Neveloff Dubler, Nancy, The Ethics and Regulation of Research with Human Subjects, 2005, S. 106 ff. 102  45 CFR § 46.101 (2) i.V.m. § 46.102 (e). 103  45 Federal Register 36390, vom 30. 5. 1980 in geänderter Fassung. 104  Die FDA hat zu den Unterschieden zwischen der FDA- und HHS-Regulierung ein „Guidance“-Dokument veröffentlicht: Information Sheets: Guidance for Institutional Review Boards and Clinical Investigators, Appendix E, Significant Differences in FDA and HHS Regulations for Protection of Human Subjects, 1998, abgedruckt in: Coleman, Carl H./ Menikoff, Jerry A./Goldner, Jesse A./Neveloff Dubler, Nancy, The Ethics and Regulation of Research with Human Subjects, 2005, Annex C, S. C-1 ff. 105  Beispielsweise kann nach § 50.23, den FDA-Regelungen, in engen Notfallsituationen Ausnahmen von dem Erfordernis der informierten Einwilligung vorgenommen werden, nach der HHS nicht; Nach § 56.115 sehen die FDA-Regelungen vor, dass IRBs über Änderungen in ihrer Mitgliederzusammensetzung die FDA notifizieren, während die HHS nach § 46.114 dies vorsehen. 99 

Teil 1: Arzneimittelversuche und Globalisierung

62

mon rule erfordert darüber hinaus, dass jede Forschungsinstitution, die von einer Bundesbehörde finanziert oder unterhalten wird, eine Versicherung abgeben muss, die mindestens eine Erklärung umfasst, dass die Institution von Prinzipien geleitet wird, nach denen die Rechte und das Wohl von Versuchspersonen geschützt werden, unabhängig davon ob die Forschung den federal regulations unterfällt oder nicht: „This may include an appropriate existing code, declaration, or statement of ethical principles, or a statement formulated by the institution itself.“106

Sobald eine Institution solche Fördergelder erhält, muss sie demnach für alle von ihr durchgeführten Forschungsvorhaben die Beachtung ethischer Prinzipien erklären. Dies kann etwa die Deklaration von Helsinki oder der Belmont Report sein.107 Einen wesentlichen Einfluss auf die Genese der common rule und der Regelungen der FDA hatte der so genannte Belmont Report Ethical Principles and Guidelines for the Protection of Human Subjects of Research von 1979, der von der National Commission for the Protection of Human Subjects of Biomedical and Behavioral Research, die im National Institutes of Health angesiedelt ist, entworfen worden war.108 Dieser Belmont Report beruht und zitiert hierbei insbesondere den Nürnberger Kodex und die Deklaration von Helsinki. Die common rule, die keine Ethikguidelines explizit zitiert, war demnach mittelbar und unmittelbar stark von der Helsinki Deklaration und dem Nürnberger Kodex beeinflusst.109 2.  Anforderungen an Drittlandsversuche nach EU-Recht a)  Rechtsnormen Der Gemeinschaftskodex RL 2001/83/EG nahm in der ersten Version noch keinen Bezug auf Versuche, die in Drittländern durchgeführt werden. Mit der Revision 2004 haben jedoch Bestrebungen Eingang in die Gesetzgebung gefunden, eine „ethische“ Durchführung von Auslandsstudien zu fordern. So legt Erwägungsgrund 13 der RL 2004/27/EG dar, dass die Anwendung der ethischen Anforderungen der RL 2001/20/EG auf alle Arzneimittel vorgesehen werden muss, die innerhalb der Union genehmigt werden. Insbesondere sollte bei der Beurteilung eines Antrags auf Genehmigung überprüft werden, ob außerhalb der Union durchgeführte klinische Versuche für in der Union zu genehmigende Arzneimittel unter Beachtung der Grundsätze der guten klinischen Praxis und der ethischen Anforderungen durchgeführt wurden, die denen jener Richtlinie entsprechen. 106 

45 CFR § 46.103 (b). Alvino, Lori A., Who’s Watching the Watchdogs? Responding to the Erosion of Research Ethics by Enforcing Promises, Columbia Law Review 103 (2003), 893 – 924 [900]. 108  Veröffentlicht in 44 Federal Register 23192 ff. vom 18. 04. 1979. 109  Erste Kodifizierung 39 Federal Register 13914 ff. vom 30. 05. 1974. Alvino, Lori A., Who‘s Watching the Watchdogs? Responding to the Erosion of Research Ethics by Enforc­ ing Promises, Columbia Law Review 103 (2003), 893 – 924 [895 ff.]. 107 

§ 2  Globalisierte Arzneimittelversuche zwischen nationalem Recht und Ethik

63

Nach Art. 3 Abs. 8 i) 3. Spiegelstrich RL 2001/83/EG sind dem Antrag auf Genehmigung eines Arzneimittels die Ergebnisse von klinischen Versuchen nach Maßgabe von Anhang I beizufügen. RL 2004/27/EG fügte Art. 8 Abs. 3 ib) ein wonach zusätzlich beizufügen ist: „eine Erklärung dahingehend, dass die klinischen Versuche, die außerhalb der Europäischen Union durchgeführt wurden, den ethischen Anforderungen der Richtlinie 2001/20/EG entsprechen.“110

Diese Ergebnisse der klinischen Versuche sind nach Maßgabe des Anhangs I der RL 2001/83/EG beizulegen. Anhang I wurde dabei vor allem um Harmonisierungsarbeiten der ICH umzusetzen durch RL 2003/63/EG ersetzt.111 Einführungsabsatz 8 des ersetzten Anhang I benennt die Notwendigkeit, dass bei allen in der Union durchgeführten klinischen Prüfungen die Anforderungen der RL 2001/20/EG eingehalten werden. Darüber hinaus stellt dieser Absatz fest: „Damit bei der Beurteilung eines Antrags auch jene klinischen Prüfungen berücksichtigt werden, die außerhalb der Europäischen Gemeinschaft für solche Arzneimittel vorgenommen werden, die für die Verwendung innerhalb der Gemeinschaft bestimmt sind, sind die Konzeption dieser Prüfungen sowie ihre Durchführung und die Berichterstattung darüber hinsichtlich der guten klinischen Praxis und der Ethik an Grundsätzen auszurichten, die den Bestimmungen der Richtlinie 2001/20/EG entsprechen. Sie sind im Einklang mit ethischen Grundsätzen auszuführen, wie sie beispielsweise in der Deklaration von Helsinki wiedergegeben sind.“

Die Note for Guidance on Good Clinical Practice der EMA,112 die eine Übernahme der ICH Good Clinical Practice Guideline E6(R1) darstellt, enthält zwar ethische Anforderungen, diese gehen jedoch nicht über die von RL 2001/20/EG hinaus. Im Weiteren enthält sie keine Hinweise für Standards, die explizit bei außereuropäischen Studien eingehalten werden sollten. Der VO-Vorschlag der Kommission vom 17. 07. 2012 zur Aufhebung der RL 2001/20/EG behält das „grundsätzliche“ Gleichwertigkeitsgebot von außer-europäischen Studien bei, insofern bezüglich der im Antragsdossier vorzulegenden Daten nach Art. 25 Abs. 5 des VO-Vorschlags gelten soll: „Wurde die klinische Prüfung außerhalb der EU durchgeführt, so muss diese gemäß Grundsätzen durchführt worden sein, die denen dieser Verordnung im Hinblick auf Rechte und Sicherheit der Probandinnen sowie Zuverlässigkeit und Solidität der im Rahmen klinischer Prüfungen gewonnenen Daten gleichwertig sind.“ 110  Für zentrale Zulassungen nach VO 726/2004 gilt entsprechendes. Erwägungsgrund 16 der VO nennt wortgleich mit RL 2004/27/EG die Notwendigkeit, die ethischen Anforderungen der RL 2001/20/EG auf alle Arzneimittel, die in der Union genehmigt werden sollen, anzuwenden. Nach Art. 6 Abs. 1 S. 2 der VO müssen die zur Genehmigung beizulegenden Unterlagen „eine Bestätigung darüber enthalten, dass die klinischen Versuche, die außerhalb der Europäischen Union durchgeführt wurden, den ethischen Anforderungen der RL 2001/20/EG entsprechen“. 111  Erwägungsgrund 3 und Einführungsabsatz 2 RL 2003/63/EG. 112  EMA Dok. CPMP/ICH/135/95, Juli 2002.

64

Teil 1: Arzneimittelversuche und Globalisierung

b)  Position der Europäischen Arzneimittelagentur Zwar hat die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) keine Guideline auf Grundlage von Art. 57 Abs. 1 VO (EG) 2004/726 erarbeitet, sie reagierte dennoch auf diese Revisionen, die nun Anforderungen an Drittversuche stellen, mit einem Strategiepapier, um in weiteren Arbeiten u. a. „die praktische Anwendbarkeit ethischer Standards für klinische Studien in Drittländer“ zu erörtern und den regulativen Rahmen abzustecken.113 Zwei Jahre später veröffentlichte die EMA einen Entwurf eines entsprechenden reflection papers.114 Dieses ist – zumal es sich nur um einen Entwurf handelt – nicht verbindlich, es zeigt jedoch die Position der EMA auf, welche bezüglich der Frage, welche Anforderungen erfüllt werden müssen, um eine Genehmigung für den europäischen Markt zu erlangen nicht unerheblich ist. Das reflection paper zeigt wie die Beispielhaftigkeit der Deklaration von Helsinki nach dem Dafürhalten der EMA gemeint ist. Der 3. Teil „Clarification of the practical application of ethical standards for clinical trials on medicinal products for human use in the context of the European Medicines Agency activities“ erklärt, dass ethische Prinzipien, die bei Drittlandsversuchen beachtet werden müssten, hauptsächlich durch internationale Organisationen wie den Europarat oder die WHO aber auch Berufsverbände wie den Weltärztebund begründet werden und zählt über die RL 2001/20/EG und RL 2001/83/EG hinaus – ohne weitere Differenzierung zwischen verbindlichen Konventionen, soft law115 und sonstigen Guidelines und Stellungnahmen – 15 Normtexte auf.116 Die weitere Analyse beruht dann im Weiteren hauptsächlich auf den CIOMS-Guidelines. Die theoretische Begründung, auf der die Prinzipien beruhen sollen, sind mit Verweis auf die CIOMSGuide­lines der principlism, d. h. die „Vier Prinzipien“117.118 113  EMA Strategy Paper: Acceptance of Clinical Trials Conducted in Third Countries, for Evaluation in Marketing Authorisation Applications, vom 5. 12. 2008, Doc. Ref. General-EMA/228067/2008. 114  EMA Reflection Paper on Ethical and GCP Aspects of Clinical Trials of Medicinal Products for Human Use Conducted in Third Countries and Submitted in Marketing Authorisation Applications to the EMA, vom 26. 05. 2010, EMA/712397/2009, abrufbar unter http://www.ema.europa.eu/docs/en_GB/document_library/Regulatory_and_procedural_ guideline/2010/06/WC500091530.pdf. 115  Zum Soft-law-Begriff siehe unter § 3 A. I. Begriffsbestimmung Soft Law. 116  Die Europäische Grunrechtecharta (2000), die Biomedizinkonvention des Europarats (1997), ihr 3. Zusatzprotokoll betreffend biomedizinische Forschung (2005), die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (1948), die EMRK (1950), die UN-Kinderrechtskonvention (1989), die UNESCO Allgemeine Erklärung über Bioethik und Menschenrechte (2005), die UNESCO Allgemeine Erklärung über das menschliche Genom und Menschenrechte (1997), die CIOMS-WHO [sic] International Ethical Guidelines for Biomedical Research Involving Human Subjects (2002), die Deklaration von Helsinki des Weltärztebundes (2008), die Opinion 17 der European Group on Ethics (2003), die EU Ethical Considerations for Clinical Trials on Medicinal Products conducted wich the Paediatric Population (2008), die ICH Good Clinical Practice Guideline ICH E6 (1995) und die ICH Note for Guidance on Clinical Investigation of Medicinal Products in the Paediatric Population E11 (2001).

§ 2  Globalisierte Arzneimittelversuche zwischen nationalem Recht und Ethik

65

Die EMA destilliert daraus sieben Prinzipien, die von Sponsorinnen, Prüferinnen und Regulierungsbehörden beachtet werden sollten. Die Diskussion dieser Prinzipien baut dabei auf Versatzstücken der benannten Guidelines und Konventionen auf, wobei die CIOMS-Guidelines mit besonders häufiger Frequenz zitiert werden.119 Dabei bleibt sie jedoch in einigen Punkten hinter der RL 2001/20/EG zurück. Beispielsweise ist nach Art. 5 lit. i) RL 2001/20/EG Forschung an nicht-einwilligungsfähigen Erwachsenen (insbesondere geistig Behinderten) nur zulässig, wenn ein individueller Nutzen in Aussicht steht. Das reflection paper der EMA lässt einen Gruppennutzen genügen.120 117

,118

Bezüglich Zugangsmöglichkeiten zu Behandlungen nach Studienende, hält die EMA fest, dass Sponsorinnen im Allgemeinen nicht verpflichtet sind, Gesundheitsleistungen anzubieten, die darüber hinaus gehen was für die Studie notwendig ist. Dennoch sei es „morally praiseworthy“, dies zu tun.121 Die Studiendesign-Frage wird in der Art beurteilt, dass diese wie Studien in der Union behandelt werden sollten, ohne jedoch ein klares Paradigma des aktiv-kontrollierten Versuchs zu formulieren, wie in Anhang I der RL 2001/83/EG. An dieser Frage wird deutlich, dass die EMA versucht einen einheitlichen Standard zu formulieren.122 In Fragen die in dem Diskurs um die Ethik von Forschung in Entwicklungsländern eine prominente Rolle spielen, geht die EMA insbesondere in der Zitierung der CIOMS-Guidelines weiter als die RL 2001/20/EG. Nachbehandlungsfragen finden z.B. in der RL 2001/20/EG keinerlei Erwähnung. 117  Siehe zum Principlism bzw. den „Vier Prinzipien“ von Beauchamp und Childress unter Fn. 235 f. 118  EMA Reflection Paper on Ethical and GCP Aspects of Clinical Trials of Medicinal Products for Human Use Conducted in Third Countries and Submitted in Marketing Authorisation Applications to the EMA, vom 26. 05. 2010, EMA/712397/2009, Zeilen 194 ff. 119  Als „serious violations“ ethischer Standards werden erachtet: das Versäumnis das Prüfprotokoll einer unabhängige Ehikkommission zur Überprüfung vorzulegen, das Versäumnis die informierte Einwilligung einzuholen, die Inklusion „vulnerable subjects“ ohne positives Votum der Ethikkommission und ohne angemessenen „informed consent“-Prozess sowie das Versäumnis Kompensationsvorkehrungen (Versicherungen) zu treffen für den Fall, dass Versuchspersonen durch den Versuch geschädigt werden, Zeilen 328 ff., 417 ff., 616 ff., 533 ff. 120  EMA Reflection Paper on Ethical and GCP Aspects of Clinical Trials of Medicinal Products for Human Use conducted in third Countries and submitted in Marketing Authorisation Applications to the EMA, vom 26. 05. 2010, EMA/712397/2009, Zeilen 597 ff. 121  Zeilen 725 ff. 122 „Lack of access of patients in community within, or outside of, the EEA, to the EEA-licensed (or equivalent) comparator cannot be a justification to withhold this treatment option to those patients when participating in a trial regardless of the reasons for the lack of access (e.g. no reimbursement, no national marketing authorisation). Regardless of the location of the trial, all patients participating in these trials should receive the same or similar standard care and comparable treatment options as trials participants within the EEA.“ Zeilen 654 ff.

66

Teil 1: Arzneimittelversuche und Globalisierung

c)  Anforderungen an Drittlandsversuche nach deutschem Recht Aufgrund der weitgehenden europäischen Harmonisierung des Arzneimittelrechts123 sind viele Normen des deutschen Arzneimittelrechts auf Umsetzungen von europäischen Richtlinien zurückzuführen.124 Während der technische Teil der RL 2001/20/EG großteils in der GCP-VO125 umgesetzt worden ist, sind wesentliche Schutzbestimmungen – „ethische“ Anforderungen – in § 40 ff. AMG normiert. § 21 ff. AMG benennt die Zulassungsvoraussetzungen und das Zulassungsverfahren von Arzneimitteln. In Bezug auf Versuche, die außerhalb der EU durchgeführt werden, ist mit dem 14. AMG-Änderungsgesetz126 nahezu wortgleich Art. 8 Abs. 3 ib) RL 2001/83/EG in § 22 Abs. 2 Nr. 4 AMG übernommen worden, welcher bezüglich der Zulassungsunterlagen ausführt, dass der betreffenden Behörde ferner vorzulegen ist: „eine Erklärung, dass außerhalb der Europäischen Union durchgeführte klinische Prüfungen unter ethischen Bedingungen durchgeführt wurden, die mit den ethischen Bedingungen der Richtlinie 2001/20/EG des Parlaments und des Rates vom 4. April 2001 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung der guten klinischen Praxis bei der Durchführung von klinischen Prüfungen mit Humanarzneimitteln (ABl. EG Nr. L 121 vom 01. 05. 2001, S. 34) gleichwertig sind.“

3.  Anforderungen an Drittlandsversuche nach US-Recht a)  Rechtsnormen Die Anforderungen, die an ausländische Studien gestellt werden, die eine Zulassung in den USA unterstützen sollen127 sind in 21 CFR § 312.120 normiert.128 21 CFR § 312.120 (a) (i) S. 1 erfordert hierfür grundsätzlich, dass die Studie in Einklang mit der Good Clinical Practice durchgeführt wird.129 GCP wird in Satz 2 für diesen Abschnitt definiert als 123 Dazu Fuhrmann, Stefan/Klein, Bodo/Fleischfresser, Andreas (Hrsg.), Arzneimittelrecht, 2010, § 3; Promotion of all Human Rights, Civil, Political, Economic, Social and Cultural Rights, including the Right to Development – Report of the Special Representative of the Secretary-General on the issue of Human Rights and Transnational Corporations and other Business Enterprises. (2009); Assessment of the Functioning of the „Clinical Trials Directive“ 2001/20/EC – Public Consultation Paper, Dok. ENTR/F/2/SF D(2009) 326742009 vom 09. 10. 2009. 124  Mit Inkrafttreten des VO-Vorschlags der Kommission COM(2012) 369 final vom 17. 07. 2012 würde eine vollständige Harmonisierung erreicht. 125  GCP-VO vom 09. 08. 2004 (BGBl. I S. 2081), die zuletzt durch Artikel 4 der Verordnung vom 03. 11. 2006 (BGBl. I S. 2523) geändert worden ist. 126  BT-Drs. 15/5728, S. 30. 127  Wird eine Markzulassung allein auf Grundlage im Ausland gewonnener Daten angestrebt, ist zwar 21 CFR § 314.106 maßgeblich. 21 CFR § 314.106 (a) verweist indes auf § 312.120, wonach sich die Akzeptanz grundsätzlich richtet. 128  73 Federal Register 22800 [22815 f.] vom 28. 04. 2008.

§ 2  Globalisierte Arzneimittelversuche zwischen nationalem Recht und Ethik

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„a standard for the design, conduct, performance, monitoring, auditing, recording, analysis, and reporting of clinical trials in a way that provides assurance that the data and reported results are credible and accurate and that the rights, safety, and well-being of trial subjects are protected.“ 129

Einige grundsätzliche Aspekte die hierunter fallen sind dabei die Genehmigung bzw. das positive Votum einer unabhängigen Ethikkommission vor Studienbeginn und die Überwachung durch eine unabhängige Ethikkommission während der Studie. Darüber hinaus muss die freie informierte Einwilligung der Versuchspersonen bzw. bei einwilligungsunfähigen Personen die der gesetzlichen Vertreterin eingeholt und dokumentiert werden. Des Weiteren sind nach 21 CFR § 312.120 (b) weitere Informationen durch die Sponsorin bzw. Antragstellerin einzureichen. Dies sind zum einen Informationen darüber, ob der Sinn der Prüfung erfüllt wird, d. h. über Ergebnisse, Prüfprotokolle etc. über die Zusammensetzung der verwendeten Substanzen und ihre Wirksamkeit und Sicherheit, und zum anderen dokumentierende Informationen über die Qualifikationen der Prüferin und deren Training darin, die GCP einzuhalten, die Namen und Einrichtungen der Forschungseinrichtungen und Ethikkommissionen. Darüber hinaus sind Beschreibungen über den „informed consent“-Prozess beizulegen, sowie Anreize die Versuchspersonen für eine Versuchsteilnahme gewährt werden. 21 CFR § 312.120 (c) räumt der FDA einen Spielraum ein, auf Antrag der Sponsorin von diesen Anforderungen zu befreien. 21 CFR § 312.120 (d) enthält weitere Dokumentationspflichten. b)  Position der US Food and Drug Administration 21 CFR § 312.120 a. F. enthielt die Anforderung, dass ausländische klinische Studien die ethischen Prinzipien der Deklaration von Helsinki 1989 oder die rechtlichen Anforderungen des Staates einhalten müssen, in welchem die Studien durchgeführt werden, je nachdem welche das höhere Schutzniveau aufweisen. § 312.120 (c) (4) a. F. gab den Text der Deklaration wieder. Die viel beachtete Änderung von 2008 ersetzte den Verweis auf die Deklaration von Helsinki mit dem GCP-Standard, der für diese Zwecke definiert worden ist. Die US Food and Drug Administration (FDA) erläutert hierzu in ihrer final rule, dass der GCP-Standard „konsistent“ mit der ICH-GCP-Guideline sei, jedoch nicht deren Regulierungstiefe und Detailliertheit wie die Aufzählung spezifischer Verantwortlichkeiten bestimmter Parteien wie beispielsweise das Monitoring von Versuchen und Berichtspflichten über Nebenwirkungen aufweise.130 Es handelt sich damit um einen weniger regelungsintensiven Standard als er für nationale Versuche vorgeschrieben ist. Der modifizierte GCP-Standard soll hinreichend flexibel ausgestaltet sein, um 129  Grundsätzliche Kritik bei Coyne, Dennis M., International Pharmaceutical Mistrials: Existing Law for the Protection of Foreign Human Subjects and a Proposal for Reform, Boston University International Law Journal 29 (2011), 427 – 450. 130  73 Federal Register 22800 [22801] vom 28. 04. 2008.

Teil 1: Arzneimittelversuche und Globalisierung

68

Regelungsunterschieden der verschiedenen Länder gerecht zu werden.131 Die FDA stellt klar, dass zwar die Einhaltung der ICH-GCP-Guideline nicht gefordert werde, diese jedoch den Erfordernissen von § 312.120 n. F. gerecht werde.132 Die Änderung hat vor allem im bioethischen Diskurs viel Kritik erfahren. Die größte artikulierte Sorge besteht darin, dass der weniger regelungsintensive GCP-Standard nicht die gleiche moralische Autorität besitze, sondern mehr mit prozeduralen Harmonisierungsbemühungen betraut sei und durch die Ausstrahlungswirkung auch auf andere Regelungsgeber den internationalen ethischen Standard für Forschung, der in der Deklaration von Helsinki formuliert sei, unterminiere.133 Die FDA verweist in ihrer final rule darauf, dass die Deklaration von Helsinki zwar sehr prominent aber bei weitem nicht die einzige Ethikguideline für Forschung sei. Die Guideline der CIOMS beispielsweise sei ebenfalls von großer Relevanz.134 Darüber hinaus sei der Schutz von Versuchspersonen auch durch den GCP-Standard hinreichend gesichert.135 Im Übrigen macht die FDA formalere Argumente geltend, in etwa dass die aktuellere Version der Deklaration von Helsinki (2000) nicht von der US-Regierung unterstützt werde, da sie mit US-Gesetzen inkonsistent sein könnte und die ältere Version (1989) nicht beibehalten werden solle, um keine Verwirrung bei den Adressaten zu erzeugen.136 Außerdem führt die FDA irrtümlich an, dass RL 2001/20/EG der Europäischen Union auch nicht explizit auf die Deklaration von Helsinki verweise.137

131 

73 Federal Register 22800 [22801] vom 28. 04. 2008. Response to Comment 17 73 Federal Register 22800 [22807] vom 28. 04. 2008. 133  Kimmelman, Jonathan/Weijer, Charles/Meslin, Eric M., Helsinki Discords: FDA, Ethics and International Drug Trials, The Lancet 343 (2009), 13 – 14; Comment 3, Comment 5; 73 Federal Register 22800 [22803] vom 28. 04. 2008. Ein Kommentar zu dem Gesetzänderungsvorhaben, äußerte die Sorge, dass § 312.120 (c) n. F., der Waiver ermöglicht, so ausgelegt werden könnte, dass die Interessen der Allgemeinheit weit vor den Individualschutz von Versuchspersonen gesetzt würden. Entsprechend bat er um die Klärung, dass die möglichen Waiver dennoch erforderten, dass den Sponsorinnen die Pflicht unterliegt, nachzuweisen, dass die Versuchspersonen einem permanenten Schutz unterliegen. Die Antwort der FDA hierauf ist eher ausweichender Natur, insofern sie darlegt, dass diese Vorschrift der Sicherung des Ermessensspielraums der FDA dient, um jeden Fall einzeln zu beurteilen. 73 Federal Register 22800 [22811] vom 28. 04. 2008. 134  Neben dem Belmont Report 73 Federal Register 22800 [22803] vom 28. 04. 2008. 135  73 Federal Register 22800 [22803 f.] vom 28. 04. 2008. 136  73 Federal Register 22800 [22803] vom 28. 04. 2008. 137  RL 2005/28/EG verweist in Art. 3 Abs. 2 explizit auf die Deklaration von Helsinki 1996. Indes bleibt hier tatsächlich eine „Verwirrung“ insofern die Deklaration von Helsinki 1996 beispielsweise ebenfalls eine strenge aktive Kontrolle einfordert, während ansonsten auch nach Unionsrecht das Paradigma der Placebo-Kontrolle vorherrscht. 132 

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C.  Kontroversen klinischer Arzneimittelprüfung Die Skizze der rechtlichen Anforderungen in Deutschland, der EU und den USA lässt erahnen, dass Arzneimittelversuche, die in Drittländern für eine Zulassung in diesen Ländern durchgeführt werden, problematisch etwa hinsichtlich des Probandenschutzes sein können. Nur bedingt deutlich dürften daraus die im bioethischen und öffentlichen Diskurs diskutierten Problemstränge und Streitpunkte geworden sein. I.  Problematik globalisierter klinischer Prüfungen Einer gegebenenfalls kostengünstigeren und schnelleren Arzneimittelentwicklung dank klinischer Prüfungen in Entwicklungsländern stehen spezifische Probleme entgegen. Das Für und Wider von Versuchen an Menschen an sich ist seit jeher Gegenstand ethischer Auseinandersetzung. Die Globalisierung von klinischen Prüfungen bringt indes eine Reihe neuer eigener Fragen mit sich. Im öffentlichen Bewusstsein und auch im arzneimittelrechtlichen Diskurs waren diese zunächst wenig präsent. 1997 wurde die öffentliche Aufmerksamkeit auf „Forschung in Entwicklungsländern“ gelenkt als zwei Wissenschaftler der US Public Citizen’s Health Research Group, Peter Lurie und Sidney Wolfe einen Brief an die damalige US-Gesundheitsministerin schrieben und mit einem Kommentar im renommierten New England Journal of Medicine begleiteten.138 Sie bezeichneten darin eine Azidothymidin-Versuchsreihe in Afrika139 als unethisch und bemängelten insbesondere unterschiedlich bewertete „standards of care“. Ziel der Versuchsreihe war es, die Wirksamkeit in der Unterbindung einer HIV-Ansteckung von Müttern auf ihre Kinder bei der Geburt zu testen und nachzuweisen. Das Studiendesign sah in Afrika den Einsatz von unwirksamen Placebos vor, obwohl in den USA ein äußerst teures und aufwendiges Verfahren als Standardtherapie etabliert war. Marcia Angell als damalige executive editor des New England Journal of Medicine formulierte in derselben Ausgabe ein editorial, welches die Position von Lurie und Wolfe stark unterstütze, in dem sie sich für einen universalen Standard stark machte, wie er nicht zuletzt in der damaligen Version der Deklaration von Helsinki 1996 vertreten wurde und selbst das Dogma der randomisierten, doppel-verblindeten, placebo-kontrollierten klinischen Studien für angreifbar erachtete.140 Die losgetre138  Lurie, Peter/Wolfe, Sidney M., Unethical Trials of Interventions to Reduce Perinatal Transmission of the Human Immunodeficiency Virus in Developing Countries, New England Journal of Medicine 337 (1997), 853 – 856. Siehe auch Hawkins, Jennifer Susan/ Emanuel, Ezekiel (Hrsg.), Exploitation and Developing Countries – the Ethics of Clinical Research, 2008, S. 3; Annas, George J./Grodin, Michael A., Human Rights and Maternal-Fetal HIV Transmission Prevention Trials in Africa, American Journal of Public Health 88 (1998), 560 – 563. 139  Siehe unten § 2 C. II. 4. a) aa) Azidothymidin, Afrika. 140  Angell, Marcia, The Ethics of Clinical Research in the Third World, New England Journal of Medicine 337 (1997), 847 – 849.

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tene Diskussion war äußerst kontrovers.141 Zwei Mitglieder des editorial board des New England Journal of Medicine und Expertinnen der HIV Forschung traten aufgrund des Editorials von Angell von ihren Posten zurück142 und bedeutende Wissenschaftlerinnen schrieben Erwiderungen, in denen sie den Einsatz von Placebos rechtfertigten und die gegebenen komplexen Situationen in Entwicklungsländern, deren Realitäten und Bedürfnisse herausstellten.143 Diese Diskussion um ethische Anforderungen an Forschung in Entwicklungsländern hält bis heute an. Durch den ethischen als auch öffentlichen Diskurs wurden diese Fragen letztlich auch, wie noch zu zeigen, von der Rechtsprechung und Legislative zumindest adressiert. Die Hauptprobleme und Hauptargumente sollen im Folgenden skizziert werden, wie sie im ethischen Diskurs und der Öffentlichkeit diskutiert werden. II.  Konkrete Streitpunkte bezüglich der Forschung in Entwicklungsländern Die Hauptansatzpunkte der ethischen wie öffentlichen Debatte drehen sich um Fragen der Standards für den Schutz von Versuchspersonen. Dies sind Fragen des Studiendesigns, der Autonomie sowie der Verteilungsgerechtigkeit144. Die verbindende Klammer ist dabei wie Jennifer Hawkins und Ezekiel Emanuel herausstellen, der Vorwurf der Ausbeutung, der der Diskussion um alle anderen Fragen stets dann inhärent zu sein scheint, wenn Forschung von westlichen Forscherinnen und Unternehmen in Entwicklungsländern durchgeführt wird.145 Es wird daher auch diskutiert, ob „Versuchspersonen eines Entwicklungslandes“ als eigene Kategorie (pauschal) besonders schützenswerter, vulnerabler Personen qualifiziert werden sollten.146 141  Siehe auch Leserbriefe namhafter Forscherinnen in Antwort auf Angells Editorial: Gray, Ronald H./Quinn, Thomas C./Serwadda, David/Sewankambo, Nelson K./Wabwire-Mangen, Fred, et al., The Ethics of Research in Developing Countries, New England Journal of Medicine 343 (2000), 361 – 362; Mullings, Anthony M.A., To the Editor, New England Journal of Medicine 343 (2000), 362; Greco, Dirceu B., To the Editor, New England Journal of Medicine 343 (2000), 362. Überblick über Positionen Bayer, Ronald, The Debate over Maternal-Fetal HIV Transmission Prevention Trials in Africa, Asia, and the Carib­ bean: Racist Exploitation or Exploitation of Racism?, American Journal of Public Health 88 (1998), 567 – 570. 142 Hawkins, Jennifer Susan/Emanuel, Ezekiel (Hrsg.), Exploitation and Developing Countries – the Ethics of Clinical Research, 2008, S. 3. 143  Varmus, Harold/Satcher, David, Ethical Complexities of Conducting Research in Developing Countries, New England Journal of Medicine 337 (1997), 1003 – 1005. 144  Oder auch als „post-trial obligations“ zu bezeichnen Luna, Florencia, Research in Developing Countries, in: Steinbock, Bonnie (Hrsg.), The Oxford Handbook of Bioethics, 2007, S. 638. 145 Hawkins, Jennifer Susan/Emanuel, Ezekiel (Hrsg.), Exploitation and Developing Countries – the Ethics of Clinical Research, 2008. 146 Etwa Heinrichs, Bert, Forschung am Menschen 2006, S. 315 f.

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Die einzelnen ethischen Streitpunkte können und sollen an dieser Stelle nicht entschieden werden. Vielmehr sollen im Folgenden die Linien der Diskussionsführung und die Hauptargumente benannt werden, um letztlich der Frage nachzugehen, inwiefern – noch vorzustellende – Ethikguidelines zu der Auflösung praktischer Anwendungsprobleme beitragen und ob sie als konsentierte normative Ergebnisse erachtet werden können. 1.  Querschnittsfragen Die meisten ethischen Streitfragen der Arzneimittelforschung in Entwicklungsländern teilen bestimmte Querschnittsfragen. Zum einen steht bei der Besprechung einzelner Fälle stets der Vorwurf der Ausbeutung im Raum. Zum anderen liegen der Diskussion bestimmte Fragen zugrunde, die grundsätzlich in der Forschung an Menschen zu adressieren sind und durch ein unter Umständen Auseinanderfallen von Gesellschaften, die von der Forschung profitieren und von Gesellschaften, die die Risiken tragen, verstärkt werden können. Dies sind Fragen des grundsätzlichen Verhältnisses von Individuen und der Allgemeinheit: Wie viele Risiken können dem Einzelnen zugemutet werden für was für ein potentielles Wohl der Allgemeinheit? Kann das Wohl einer großen Allgemeinheit das Opfer weniger Einzelner verlangen? a)  Ausbeutung Der Diskussion um Arzneimittelversuche an Menschen in Entwicklungsländern liegt oftmals implizit oder explizit der Vorwurf der Ausbeutung zugrunde.147 Über die Marxsche Tradition hinaus lässt sich „Ausbeutung“ indes auf verschiedene Weisen kontuieren, die etwa auf die Freiwilligkeit oder den Schaden abstellen, wenn eine Person einen Vorteil aus einer anderen erzielt.148 Über definitorische Unklarheiten hinaus, ist schließlich fraglich, ob es unbedingt moralisch zwingend ist, solche Forschung für unzulässig zu erachten. „Ausbeutung“ kann jedoch auch als übergeordnete Frage erörtert werden, die sich aus den bereits angesprochenen Aspekten ableitet. Forschung von Unternehmen in Entwicklungsländern könnte etwa ausbeuterisch sein, wenn sie Pla147  Siehe zum Beispiel Lavery, James V., Putting International Research Ethics Guide­ lines to Work for the Benefit of Developing Countries, Yale Journal of Health Policy, Law, and Ethics 4 (2004), 319 – 336; Ballantyne, Angela, Benefits to Research Subjects in International Trials: Do they Reduce Exploitation or Increase Undue Inducement?, Developing World Bioethics 8 (2008), 178 – 191; Temple, R.J., Commentary 9.1: Benefit to Trial Participants or Benefit to the Community? How far should the Surfaxin Trial Investigators’ and Sponsors’ Obligations Extend?, in: Lavery, James V./Grady, Christine/Wahl, Elizabeth R./ Emanuel, Ezekiel (Hrsg.), Ethical Issues in International Biomedical Research – A Casebook, 2007, S. 155 – 159. 148 Insbesondere Wertheimer, Alan, Exploitation in Clinical Research, in: Hawkins, Jen­ nifer Susan/Emanuel, Ezekiel (Hrsg.), Exploitation and Developing Countries – the Ethics of Clinical Research, 2008, S. 63 – 104.

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cebo-Kontrollen verwendet, die sie in westlichen Ländern nicht einsetzen könnte. Diese Forschung könnte möglicherweise ebenso ausbeuterisch sein, wenn sie grundsätzlich die Unterschiede in den Lebensrealitäten ausnutzt, wenn sie Personen, die ansonsten keinen Zugang zu medizinischer Versorgung hätten, einfacher und schneller rekrutieren können. Schließlich könnte es sich um Ausbeutung halten, wenn Forschung in Ländern durchgeführt wird, in denen, von vornherein feststehend, das Ergebnis der Forschung nicht vermarktet werden soll. b)  Individuum und Allgemeinheit Ein Aspekt, der eine Rolle im Ausbeutungsvorwurf spielt, ist die grundsätzliche Positionierung der Einzelnen gegenüber der Allgemeinheit. Die Frage, wie viel von einer einzelnen Person an Unannehmlichkeiten und Risiken abverlangt werden kann und unter welchen Umständen für welches Wohl, das eine Gruppe oder eine Gesellschaft potentiell von einem Forschungsvorhaben erwarten kann, liegt in der Abwägung aller Einzelfragen zugrunde.149 Gerade in dieser Grundsatzentscheidung, die programmatisch für alle weiteren Folgefragen ist, zeigt sich auch mit größerer Klarheit die Konsequenz der, der Analyse zugrunde gelegten, moraltheoretischen Begründung. Viele weitere Prinzipien wie der Grundsatz eines angemessenen Nutzen-Risiko-Verhältnisses oder auch die Subsidiarität von Menschenversuchen hängen an der Frage, wie das Wohl der Einzelnen gewertet wird. Auf Versuche in Entwicklungsländer bezogen, ist zu ermessen inwiefern unterschiedliche Lebensrealitäten Auswirkung auf die Bewertung von zuzumutenden Risiken haben dürfen oder müssen. aa) Fallbeispiel: M4N, Indien In Indien begann 1999 eine von einem Professor der John Hopkins University gesponserte klinische Prüfung für eine Behandlungsmethode von Tumoren. 27 Probandinnen, die auf einen chirurgischen Eingriff warteten, wurde das Antioxidant M4N, ein Derivat der Nordihydroguajaretsäure, injiziert.150 Von M4N war bereits vorher bekannt, dass es Leber und Nierenschäden verursachen kann. Der Einberufene der zuständigen indischen Ethikkommission gab an, eine Zustimmung sei nur für die topische Anwendung, jedoch nicht für die Injektion erteilt worden. Der Hauptprüfer erläuterte jedoch, eine „mündliche Erlaubnis“ erhalten zu haben. Nach drei Injektionen wurde der Tumor nach drei bis vier Tagen chirurgisch ent149  Die Frage stellte etwa auch das Gericht in dem argentinischen Compas-Fall: „Debe prevalecer el bienestar de las personas sometidas a estudio […] aún sobre los intereses de la ciencia y la comunidad“. GloxoSmithKline Argentina S.A. – Abate Héctor – Tregnaghi Miguel s/ Infracción ley 16.463, Juzgado Nacional en lo Penal Económico vom 28. 12. 2011, abrufbar unter http://www.cij.gov.ar/nota-8521-Fallo-del-juez-Aguinsky-en-causa-por-multa-al-laboratorio-Glaxo.html, S. 16. 150  Jayaraman, K. S., Johns Hopkins Embroiled in Fresh Misconduct Allegations, Nature 412 (2001), 466 – 466.

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fernt und die Injektionsstellen mikroskopisch untersucht. Der Leiter der Sektion der klinischen Radiologie vermutete jedoch, dass die Versuche nicht durchgeführt worden seien, um eine Tumorregression zu erreichen, sondern lediglich, um die Wirkung von M4N auf mikroskopischer Ebene untersuchen zu können. Darüber hinaus konnte drei Probandinnen der Tumor nicht chirurgisch entfernt werden, so dass diese eine Strahlenbehandlung erhielten, obwohl wie der Leiter der klinischen Radiologie angibt, noch keinerlei Befunde zu der Interaktion von Strahlung und Arzneimittel vorgelegen hatten. Solche hätten vorher in Tierversuchen erlangt werden müssen. bb) Subsidiarität von Menschenversuchen Versuchen ist grundsätzlich Unsicherheit inhärent und auch eine Risikobewertung kann nur eine Prognose darstellen. Allerdings stellt sich die Frage, wie sie auch der clinical-equipoise-Diskussion zugrunde liegt, wie viel Unsicherheit zu ertragen sein muss und zur Handlung berechtigt. Was muss im Vorfeld einer klinischen Prüfung getan werden, um Unsicherheiten wie weit abzubauen und kann in Entwicklungsländern mit größeren Unwägbarkeiten gearbeitet werden? Ein Beispiel ist der indische M4N-Fall. Hier wurde kritisiert, dass zuerst umfangreiche Tierversuche hätten durchgeführt werden müssen, bevor die Methode an Menschen getestet wurde. Das Überspringen solcher Schritte verkürzt selbstverständlich den Entwicklungsprozess, spart erhebliche Kosten und rettet wohlmöglich einige Tierleben. Das Risiko ist jedoch ungleich höher, auch sind die Versuche in diesem Fall nicht unumgänglich, einige Erkenntnisse können, wenn auch nicht mit Sicherheit, gerade vor dem Versuch an Menschen aus Tierversuchen gewonnen werden. cc) Nutzen-Risiko-Verhältnis Ganz grundsätzlich stellt sich die Frage wie viel Risiko bei welchem zu erwartendem Nutzen zugemutet werden kann und ob unterschieden werden muss, ob der Nutzen individuell ist oder nur abstrakt der Allgemeinheit oder einer Gruppe gleich Betroffener zugute kommt. Kann ein sehr großer zu erwartender Durchbruch mit sehr hohem Nutzenpotential für eine sehr große Anzahl von Menschen ein sehr hohes Risiko von Einzelnen abverlangen, die wohlmöglich keinen persönlichen Nutzen davon tragen? Inwieweit können oder müssen wirtschaftliche Realitäten einbezogen werden? Diskussionen, die etwa das Studiendesign betreffen, stellen dem Grunde nach auch Fragen nach der Zulässigkeit eines höheren Risikos für Versuchspersonen in Entwicklungsländern. 2.  Informierte Einwilligung Wesentlicher Diskussionsgegenstand ist die Durchsetzung der informierten Einwilligung (informed consent). Über die grundsätzliche Relevanz dieses Prinzips besteht mittlerweile ein weitgehender Konsens. Trotzdem besteht große Uneinigkeit bzw. Unklarheit über den genauen Stellenwert, die Begründung, die

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Voraussetzungen und letztlich die Umsetzung dieses Prinzips. Die Kritik um die Möglichkeit einer tatsächlich informierten Einwilligung in Entwicklungsländern konzentriert sich dabei vor allem um die zwei Elemente des Verständnisses und der Freiwilligkeit.151 a)  Fallbeispiele aa) Trovan, Nigeria Ein Fall, der nicht zuletzt wegen seiner gerichtlichen Verhandlung weite mediale Aufmerksamkeit erlangt hat, ereignete sich 1996 in Nigeria.152 Eine bakterielle Meningitis-Epidemie kostete in dem Jahr ca. 11.000 – 15.000 Personen das Leben. Pfizer war zu der Zeit daran interessiert, die Zulassung durch die FDA für ihr neues Antibiotikum Trovafloxacin Mesylate (Markenname Trovan) zu erlangen. Daher führten amerikanische und nigerianische Ärztinnen unter der Sponsorenschaft von Pfizer in einem Krankenhaus in Kano, Versuche an Kindern durch. 200 Probandinnen wurden rekrutiert, von denen die Hälfte Trovan erhielt, die andere als Kontrollgruppe Ceftriaxon, ein Antibiotikum, das die Standardtherapie darstellte. Allerdings wurde der Kontrollgruppe das Cefrtriaxon in verminderter Dosis gegeben, um im Verhältnis die Wirksamkeit von Trovan besser ermessen und herausstellen zu können. Tierversuche hatten vorher gezeigt, dass Trovan lebensbedrohliche Nebenwirkungen hatte. Nach zwei Wochen beendete Pfizer die Versuche und verließ Nigeria ohne Nachsorge für die Probandinnen. 11 von 200 Kinder starben, davon fünf aus der Versuchs- und sechs aus der Kontrollgruppe. Weitere 181 sind seither blind, taub, gelähmt und/oder geistig behindert.153 In den folgenden Gerichtsverfahren ist Pfizer insbesondere154 beschuldigt worden, keine 151 Hawkins, Jennifer Susan/Emanuel, Ezekiel (Hrsg.), Exploitation and Developing Countries – the Ethics of Clinical Research, 2008, S. 7. 152  Die Darstellung richtet sich nach dem Sachverhalt, den der United States Court of Appeals 2nd Circuit seiner Entscheidung vom 30. 01. 2009, 562 F.3d 163, [169 – 170] zugrundegelegte. 153  Diese Zahl ist nach Goos, Hauke, Das Labor der Weißen, Der Spiegel 46 (2007) vom 12. 11. 2007, S. 112; BBC News online vom 30. 07. 2009, 03. 04. 2009, 25. 07. 2007, 20. 07. 2007, 30. 11. 2001, 30. 07. 2001, 14. 03. 2001, http://news.bbc.co.uk/2/hi/africa/7982236.stm mit weiteren Verlinkungen. In der Entscheidung des US Court of Appeals heißt es „left many others blind, deaf paralyzed, or brain-damaged“. 154  Im Weiteren wurde Pfizer vorgeworfen dem Prüfungsprotokoll nicht gefolgt zu sein. Zum einen sei Trovan oral verabreicht worden, obwohl eine orale Aufnahme schwierig für kranke Kinder ist, zum anderen sei vorher nicht getestet worden, ob der nigeranische Meningitisstamm überhaupt auf Trovan reagierte. Außerdem seien die Kinder auch nicht vorher auf Meningitis getestet worden. Kinder mit Leberproblemen seien auch nicht von dem Versuch ausgeschlossen worden, obwohl bekannt war, dass Trovan leberschädigende Nebenwirkungen hatte. Darüberhinaus wurde Pfizer vorgeworfen, dass sobald absehbar war, dass Trovan nicht wirken würde, nicht auf die Standardtherapie umgestiegen wurde bzw. nicht in der Kontrollgruppe die standardmäßige Dosis verabreicht wurde.

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umfängliche informierte Einwilligung der Kinder und ihrer Vertretungsberechtigten erlangt zu haben. Insbesondere seien diese nicht über den experimentellen Charakter der Versuche sowie die damit verbundenen Risiken aufgeklärt worden. Auch seien sie nicht darüber informiert worden, dass die Kinder im selben Krankenhaus von der Nichtregierungsorganisation Médecins Sans Frontières optional die wirksame Standardtherapie kostenlos hätten erhalten können. bb) Compas, Argentinien GlaxoSmithKline begann 2007 klinische Studien, mit der Bezeichnung COMPAS, in den argentinischen Provinzen Santiago del Estero, San Juan und Mendoza, zur Wirksamkeit des Impfstoffes Synflorix zur Vorbeugung von Lungenentzündung und Ohrenentzündung bei Kleinkindern. Die zuständige Arzneimittelregulierungsbehörde Administración Nacional de Medicamentos, Alimentos y Tecnología Médica (ANMAT) hatte 2006 ihre Erlaubnis erteilt.155 Klinische Studien mit Synflorix wurden an insgesamt 14.000 Kleinkindern in Argentinien, Panama und Kolumbien durchgeführt.156 Inspektionen durch ANMAT in den Jahren 2007 und 2008 in dem Studienzentrum in Mendoza führten dazu, dass ANMAT diverse Verstöße gegen ihre Verwaltungsvorschrift zur guten klinischen Praxis feststellte.157. Insbesondere wurden Verletzungen der Bestimmungen zur informierten Einwilligung festgestellt. Ein Kind wurde geimpft, obwohl die Mutter ihre Einwilligung verweigert hatte, ein anderes mit der Zustimmung der Großmutter, aber ohne die des volljährigen Vaters. Mitunter wurde mit der Randomisierung begonnen, Pfizer wiederum gab an, die Zustimmung der Ethikkommission des betreffenden Krankenhauses vor Durchführung der Versuche erhalten zu haben. Der nigerianische Hauptprüfer soll indes angegeben haben, dass das Zustimmungsschreiben von nigerianischen Offiziellen zurückdatiert worden sei, als die FDA 1997 eine Anhörung zu der Prüfung durchführte. 155  Im Folgenden geschildert nach dem Urteil in der Sache GloxoSmithKline Argentina S.A. – Abate Héctor – Tregnaghi Miguel s/ Infracción ley 16.463 des Juzgado Nacional en lo Penal Económico vom 28. 12. 2011, abrufbar unter http://www.cij.gov.ar/nota-8521-Fallodel-juez-Aguinsky-en-causa-por-multa-al-laboratorio-Glaxo.html. Siehe auch Stellungnahme von ANMAT vom 03. 01. 2012, abrufbar unter http://www.anmat.gov.ar/comunicados/ Comunicado_COMPASS.pdf. 156  In den benannten Provinzen sind mindestens 14 Kleinkinder, die an den Studien beteiligt waren, gestorben, wobei jedoch kein Zusammenhang zwischen den Versuchen und den Todesfällen nachgewiesen werden konnte. 157  Verstöße waren teils fehlende Dokumentationen über den vorherigen Gesundheitszustand und vorherige Impfungen, über Geburtsfehler und die klinische Entwicklung, und über die Ausschlusskriterien von Patientinnen, die während der Studie Corticoide erhalten haben. Ebenso sind Dokumente abhandengekommen. Es war ebenfalls unmöglich festzustellen, welche Vialen verwendet worden sind oder ob Vialen vertauscht wurden oder unpassend ausgewählt wurden. Es gab auch Abweichungen vom genehmigten Studienprotokoll. Disposición ANMAT No 5330/1997 in der geänderten Fassung durch Disposición ANMAT No 690/2005 und 2124/2005.

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bevor die Einwilligung eingeholt und festgestellt worden war, ob das Kind die Teilnahmebedingungen erfüllte. In einem anderen Fall wurde durch die Großmutter, einer Analphabetin, „schriftlich eingewilligt“; in anderen Fällen willigten nur die minderjährige Mutter oder nur der minderjährige Vater ein. In vielen Fällen wurden die Verwandtschaftsbeziehungen weder nachgewiesen noch dokumentiert. Nicht nur Verwandtschaftsbeziehungen auch Sorgeberechtigungen (insbesondere von minderjährigen Vätern) wurden unzureichend nachgewiesen und dokumentiert. In einem Fall wurde die Einwilligung einer Mutter akzeptiert, die vorher unter Psychosen litt, ohne festzustellen, ob dies auch zu jenem Zeitpunkt der Fall war.158 cc) VGV-1, China 2003 reichten vier HIV-positive Bauern aus der chinesischen Provinz Henan im Namen von 15 weiteren Personen eine Beschwerde bei dem US National Insti­ tute of Health und dem chinesischen Gesundheitsministerium ein.159 Sie hatten als Prüfungsteilnehmer an einer Studie von VGV-1, einem Wirkstoff zur Effektivitätssteigerung von Antiretroviral-Arzneimitteln teilgenommen. Die Teilnehmer waren allerdings behandlungsnaiv und wurden vorher mit keinerlei ARV-Arzneimittel behandelt. Eine Effektivitätssteigerung hätte somit schlecht ermittelt werden können. Es traten darüber hinaus teils schwere Nebenwirkungen auf und die Versuchsteilnehmer waren gezwungen, für die Behandlung dieser Nebenwirkungen finanziell selbst aufzukommen. Es ist geltend gemacht worden, dass die Versuchsteilnehmer nur unzureichend beziehungsweise gar nicht über Risiken aufgeklärt worden seien und teilweise nicht explizit eingewilligt hätten. Einige sollen gezwungen worden seien, für Kopien von Formularen über die informierte Einwilligung zu bezahlen.160 b)  Grundsätzliche Bedeutung Das Konzept des informed consent bzw. der informierten Einwilligung ist ein relativ junges.161 Mittlerweile kann zwar ein übergreifender Konsens über die grund158  Aus diesem Gründen verhängte ANMAT Geldstrafen in Höhe von 400.000 Pesos gegen GlaxoSmithKline und je 300.000 Pesos gegen zwei verantwortliche leitende Prüferinnen. Disposición ANMAT No 22626/2011. Das Gericht Juzgado Nacional de lo Penal Económico bestätigte ANMAT am 28. 12. 2011. GlaxoSmithKline Argentina S.A. kündigte Anfang Januar 2012 an, Rechtsmittel einzulegen. 159  Im Folgenden geschildert nach Cooper, Melinda, Experimental Labour – Offshoring Clinical Trials to China, East Asian Science, Technology and Society: An International Journal 2 (2008), 73 – 92 [86 – 88]; Cyranoski, David, Consenting Adults? Not Necessarily... Nature 435 (2005), 138 – 139. 160  Die entsprechende Aufsicht beschloss auf die Beschwerde hin, dass eine Entschädigung von 10 RMB pro Tag zu zahlen sei, dass jedoch die Prüfung an sich keine „ernsthaften Probleme“ aufwies. 161  Trotz der langen Tradition der Medizinethik, kam die Idee der autonomen Patientin erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf. Die traditionelle Medizinethik legte

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sätzliche Relevanz des Prinzips der informierten Einwilligung festgestellt werden. Die lange medizinethische Tradition ist jedoch weiterhin präsent durch die nicht selten geteilte Auffassung, dass in bestimmten Situationen, um vermeintlichen Schaden zu vermeiden, Ärztinnen und Pflegerinnen Informationen vorenthalten könnten oder gar müssten.162 Die grundsätzliche Bedeutung der informierten Einwilligung zeigt sich u. a. darin, dass bereits bemängelt wird, medizinethische Debatten seien „langweilig“ geworden, da sich alle Fragen letztlich auf die der Autonomie reduzierten.163 c)  Elemente der informierten Einwilligung in der Forschung Gängige Elemente der informierten Einwilligung, wie sie in der bioethischen Literatur diskutiert werden, umfassen in der Regel folgende Parameter: Aufklärung, Verständnis, Freiwilligkeit und Einwilligungsfähigkeit als Voraussetzungen sowie die Einwilligung an sich.164 aa) Konzept der Einwilligung Wesentlich ist zunächst eine Konzeption von Einwilligung. Diese kann etwa als Geisteshaltung einer Versuchsperson (einer Patientin) gewertet werden, die sich mit der Intention formiert hat, eine Intervention zu genehmigen, welche von einer Prüferin (einer Ärztin) vorgeschlagen wurde und die der Prüferin (Ärztin) kommuniziert wird.165 Sowohl die Formierung der Geisteshaltung als auch deren Kommunikation bedürfen dabei den benannten – in der Konkretisierung strittigen – Voraussetzungen. ihren Fokus seit Hippokrates vielmehr auf die Pflichten der Ärztin, das Wohl ihrer Patientinnen zu fördern und diesen nicht zu schaden. Von der Antike bis zur Neuzeit ist dem medizinethischen Diskurs die Vorstellung einer Selbstbestimmung von Patientinnen fremd gewesen. Erst 1957 kam der Begriff des „informed consent“ auf und eine ernsthafte Diskussion begann in Zusammenhang mit der Patientenrechtsbewegung in den 1970er Jahren. Beauchamp, Tom L./Faden, Ruth R., Informed Consent, in: Post, Stephen G. (Hrsg.), Encyclopedia of Bioethics I-M, 3. Aufl., 3. Band, 2004, S. 1271. 162  Eine der derzeit einflussreichsten Strömungen in der Bioethik, der Principlism vertritt entsprechend keinen Vorrang der Autonomie der Patientin, sondern eine Gleichrrangigkeit mit weiteren Prinzipien wie dem Wohltuensprinzip, das es ständig abzuwägen gilt. Beauchamp, Tom L./Childress, James F., Principles of Biomedical Ethics, 6. Aufl., 2009; siehe zur Kritik Fn. 249. 163  Foster, Charles, Choosing Life, Choosing Death – The Tyranny of Autonomy in Medi­cal Ethics and Law, 2009, S. 3. 164  Holm, Søren/Madsen, Søren, Informed Consent in Medical Research – A Procedure Stretched Beyond Breaking Point?, in: Corrigan, Oonagh/McMillan, John/Liddell, Kathleen/Richards, Martin/Weijer, Charles (Hrsg.), The Limits of Consent – A Socio-Ethical Approach to Human Subject Research in Medicine, 2009, S. 11 – 24 [12]; Beauchamp, Tom L./Faden, Ruth, R., Informed Consent, in: Post, Stephen G. (Hrsg.), Encyclopedia of Bioethics I-M, 2004, S. 1278; MacLean, Alasdair, Autonomy, Informed Consent and Medical Law – a Relational Challenge, 2009, S. 134 ff. 165  MacLean, Alasdair, Autonomy, Informed Consent and Medical Law – a Relational Challenge, 2009, S. 141.

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bb) Aufklärung und Verständnis In Frage steht, welcher Grad an Verständnis erwartet werden muss oder kann, verbunden mit der Frage, ob und wie viel aufgeklärt werden sollte. Das Spektrum reicht von der These, dass es darauf nicht ankomme, da rechtlich einwilligungsfähige Personen grundsätzlich frei seien zu wählen, unabhängig davon, ob die Wahl informiert ist oder nicht.166 Dem kann entgegengesetzt werden, dass es durchaus fraglich ist, ob eine Wahl frei ist, wenn nicht alle relevanten Informationen zur Verfügung stehen, was erneut zu der Frage führt, welcher Grad an Verständnis als Maßstab anzulegen ist. Eine weitere Überlegung ist, ob ein wirklich umfassendes Verständnis und damit eine wirklich informierte Einwilligung überhaupt möglich sein können.167 Insoweit jedoch ein bestimmtes Maß an Verständnis als genügend und relevant angesehen wird, stellt sich auf angewandter Ebene die Frage eben dieses Maßes. Mit besonderen Bezug auf Forschung in Entwicklungsländern wurde die Frage formuliert, ob weniger gebildete Personen, die nicht mit dem westlichen Konzept der Forschung vertraut sind, überhaupt vollständig verstehen können, was ihnen von westlichen Forscherinnen dargelegt wird.168 Gleichermaßen stellt sich grundsätzlich die Frage, wie weit die Details des Forschungsvorhabens für Laien vereinfacht werden dürfen, um noch eine adäquate Aufklärung über den Versuch darzustellen. Interviews mit Probandinnen in Entwicklungsländern, in dörflicher Umgebung, lassen vermuten, dass Personen ohne ein Grundverständnis für die Natur von Forschung oftmals an Forschung teilzunehmen scheinen, in der falschen Annahme behandelt zu werden, so dass vor diesem Hintergrund eine wirksame Einwilligung grundsätzlich in Frage gestellt wird.169 Mitunter wird bezweifelt, ob „afrikanische Dorfbewohnerinnen“ in einem gleichen Maße einwilligen können wie „urbane westliche Personen“, etwa wenn das Konzept der Individualität in dem 166  Freedman, Benjamin, A Moral Theory of Informed Consent, The Hastings Center Report 5 (1975), 32 – 39. 167  O’Neill, Onora, Autonomy and Trust in Bioethics, 2002, S. 42 ff.; Kritik aus eher praktischer Sicht Tauber, Alfred I., Sick Autonomy, Perspectives in Biology and Medicine 46 (2003), 484 – 495. 168  Dies legt eine Umfrage unter südafrikanischen Ethikkommissionen zumindest nahe. Näher hierzu Klitzman, Robert, Views of the Process and Content of Ethical Reviews of HIV Vaccine Trials among Members of US Institutional Review Boards and South African Research Ethics Committees, Developing World Bioethics 8 (2008), 207 – 218 [212 ff.]. 169  Christakis, Nicholas A., The Ethical Design of an AIDS Vaccine Trial in Africa, The Hastings Center Report 18 (1988), 31 – 37 [31]; ein Artikel in der New York Times zu AZT-Versuchen in der Elfenbeinküste zitiert eine gezielt ausgewählte Versuchsperson, die das Konzept des Versuchs klar nicht verstanden zu haben scheint mit den Worten: „They gave me a bunch of pills to take, and told me how to take them. Some were for malaria, some were for fevers, and some were supposed to be for the virus. I knew that there were different kinds, but I figured that if one of them didn’t work against AIDS then one of the other ones would.“ French, Howard W., AIDS Research in Africa: Juggling Risks and Hopes, New York Times vom 09. 10. 1997.

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westlichen Maße nicht mit lokalen Gemeinschaftswerten koinzidiert.170 Dem lässt sich entgegenhalten, dass Armut und ein Mangel an formaler Bildung nicht mit mangelnder Intelligenz und grundsätzlichem kognitivem Verständnisvermögen einhergehen, bzw. dass „Armut nicht Dummheit bedeutet“.171 Darüber hinaus sind westliche Versuchspersonen nicht minder vor Miss- und Fehlverständnissen gefeit. Die Komplexität klinischer Versuche stellt grundsätzlich ein Problem für Laien dar.172 cc) Freiwilligkeit Die Freiwilligkeit der Einwilligung hängt grundsätzlich von dem zugrunde gelegten Freiheitsbegriff ab. Praktisch ist die Frage zu stellen, ob materielle Not oder Alternativlosigkeit die Freiwilligkeit einschränken. Aus umgekehrter Perspektive ist die pauschalierte Frage zu stellen, welche Art von Zwang als schädlich für die erforderte Freiwilligkeit anzusehen ist. Soll etwa nur physischer Zwang Freiwilligkeit ausschließen oder auch in einer im üblichen Sprachgebrauch genutzten Wendung, die beispielsweise ökonomische Zwänge umfasst? Dies wird gerade für Versuche in Entwicklungsländern diskutiert. So wird teilweise vertreten, dass Forschung in Ländern, in denen es keine Grundkrankenversorgung gibt, bzw. aufgrund fehlender wirtschaftlicher Möglichkeiten nicht zugänglich ist, grundsätzlich nicht ethisch sein könne, weil eine Versuchsperson im Grunde keine Wahl habe, die Teilnahme an der Forschung zu verweigern, um wenigstens eine Chance auf Behandlung zu erhalten.173 Dem wird entgegengehal170  Flaherty, Mary Pat/Nelson, Deborah/Stephens, Joe, The Body Hunters: Overwhelm­ ing the Watchdogs, The Washington Post (2000), A01 vom 18. 12. 2000; Christakis, Nicholas A., The Ethical Design of an AIDS Vaccine Trial in Africa, The Hastings Center Report 18 (1988), 31 – 37 [34 f.]. 171 Hawkins, Jennifer Susan/Emanuel, Ezekiel (Hrsg.), Exploitation and Developing Countries – the Ethics of Clinical Research, 2008, S. 8. Dafür spricht im Weiteren eine Erhebung, nach welcher der überwiegende Teil der Frauen (aber nicht alle), die an HIV Evaluierungsstudien in Südafrika teilnahmen, über die Studie, Rechte, Risiken und Konsequenzen aufgeklärt war. Karim, Quarraisha Abdool/Karim, Salim S. Abdool/Coovadia, Hoosen M./Susser, Mervyn, Informed Consent for HIV Testing in a South African Hospital: Is it Truly Informed and Truly Voluntary?, American Journal of Public Health 88 (1998), 637 – 640 [640]. 172  Dawson, Angus, The Normative Status of the Requirement to Gain an Informed Consent in Clinical Trials: Comprehension, Obligations, and Empirical Evidence, in: Corrigan, Oonagh/McMillan, John/Liddell, Kathleen/Richards, Martin/Weijer, Charles (Hrsg.), The Limits of Consent – A Socio-Ethical Approach to Human Subject Research in Medicine, 2009, S. 99 – 113 [103 ff.]; Gágyor, Ildikó/Bleidorn, Jutta/Wegscheider, Karl/Hummers-Pradier, Eva/Kochen, Michael M., Practices, Patients and (Im)perfekt Data – Feasibility of a Randomised Controlled Clinical Drug Trial in German General Practices, Trials Journal Open Access 12:91 (2011), S. 6. 173  Annas, George J./Grodin, Michael A., Human Rights and Maternal-Fetal HIV Transmission Prevention Trials in Africa, American Journal of Public Health 88 (1998), 560 – 563.

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ten, dass arme Personen durchaus in der Lage sind, die für sich beste Option zu wählen. Unter den gegeben faktischen Umständen mag eine Chance auf Behandlung für die einzelne Person die bessere Alternative darstellen. Auch in Fragen der finanziellen Anreizsetzung stellt sich die Frage, wieso dies kein legitimer Grund sein sollte. Aus Sicht der Versuchsperson mag dies eine größere Wahlmöglichkeit bedeuten. Darüber hinaus ist es auch in westlichen Ländern oftmals die finanzielle Anreizsetzung, die Personen dazu bewegt, in die Teilnahme an Versuchen einzuwilligen.174 Das Problem ist demnach das zugrundegelegte Verständnis einer ungebührlichen Einflussnahme. Die Grundidee ist, dass einige Anreize so unwiderstehlich sind, dass sie zwingend wirken, so dass sie moralisch problematisch werden, weil sie Personen dazu anspornen, eine Wahl zu treffen, die sie sonst nicht treffen würden und Risiken einzugehen, die sie sonst nicht eingehen würden. Allerdings wird argumentiert, dass es nicht ersichtlich sei, weshalb dies per se moralisch problematisch sein sollte, angesichts dessen, dass vor dem Hintergrund der faktischen Lebensumstände Personen tatsächlich Entscheidungen treffen mögen, die in ihrem langfristigen Interesse stehen. dd) Einwilligungsfähigkeit Die Einwilligungsfähigkeit ist an der Konzeption der Einwilligung zu orientieren. In der oben genannten Definition175 bedeutet dies, dass die Einwilligungsfähigkeit die Fähigkeit umfassen muss, die erforderliche Geisteshaltung zu entwickeln sowie die Fähigkeit diese nach außen zu kommunizieren.176 Die Schwierigkeit liegt darin, zu bestimmen und zu ermessen, ob die notwendigen Fähigkeiten im Einzelfall vorliegen.

Dafür spricht das Ergebnis einer Erhebung, nach welcher 88 % der befragten Frauen sich verpflichtet sahen, an einem HIV-Test teilzunehmen. 28 % der Frauen sahen sich gezwungen, an dem HIV-Test teilzunehmen, weil sie dachten, dass sie ansonsten keine Behandlung durch das Krankenhaus bekommen würden. Karim, Quarraisha Abdool/Karim, Salim S. Abdool/Coovadia, Hoosen M./Susser, Mervyn, Informed Consent for HIV Testing in a South African Hospital: Is it Truly Informed and Truly Voluntary?, American Journal of Public Health 88 (1998), 637 – 640 [640]. Siehe auch Ballantyne, Angela, Benefits to Research Subjects in International Trials: Do they Reduce Exploitation or Increase Undue Inducement?, Developing World Bioethics 8 (2008), 178 – 191. 174  Zur Steuerpflichtigkeit von Honoraren aus Arzneimittelversuchen in Deutschland als auf die Erzielung von Einnahmen gerichteten wirtschaftlichen Verhalten im Sinne des EStG: FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19. 03. 1996 = NJW 1997, 1664. 175  Siehe oben unter § 2 C. II. 2. a) aa) Konzept der Einwilligung. 176  Siehe auch MacLean, Alasdair, Autonomy, Informed Consent and Medical Law – a Relational Challenge, 2009, S. 140; Schöne-Seifert, Bettina, Grundlagen der Medizinethik, 2007, S. 44.

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3.  Vulnerable Personen Ein weiterer Kritikpunkt zielt auf die Inklusion besonders schützenswerter Personen oder vulnerabler177 Personen ab. Die Diskussion umfasst dabei zweierlei: Zum einen ist der Kreis der vulnerablen Personen zu bestimmen und zum anderen die Art und Reichweite von Maßnahmen, die diese schützen sollen. In Bezug auf Forschung in Entwicklungsländern ist dabei zwischen zwei Diskussionen zu unterscheiden. Zum einen steht in Frage, ob in Entwicklungsländern typischerweise „arme“ und/oder „ungebildete“ Personen oder Mitglieder soziokulturell benachteiligter Gruppen, wie ethnischer Minderheiten oder indigener Völker, oder Frauen im Gegensatz zu westlichen Industrieländern zu besonders schützenswerten Personengruppen gezählt werden sollten. Zum anderen wird der Vorwurf erhoben, Forschung an bestimmten verletzlichen Personen wie Kindern werde in ausbeuterischer Weise in Entwicklungsländern durchgeführt, weil sie in westlichen Ländern schwieriger durchzuführen sei. a)  Fallbeispiele aa) Surfaxin, Bolivien Beim Atemnotsyndrom bei Neugeborenen handelt es sich um eine insbesondere bei Frühgeborenen häufig auftretende und potentiell tödliche Lungenfunktionsstörung.178 Aufgrund noch nicht ausgereifter Lungen ist ein Surfactant (ein oberflächenaktives Gemisch aus Lipiden, Proteinen und Kohlenhydraten) nicht im ausreichenden Maße vorhanden, um die Epitheloberfläche der Lungenalveolen auszukleiden und dadurch die Oberflächenspannung an der Grenzfläche zwischen Lungengewebe und Luft zu vermindern und somit den Kollaps der Alveolen in der Exspiration zu verhindern.179 Therapien zur Ersetzung des Surfactants brachten immerhin eine Reduzierung der Neugeborenensterblichkeitsrate um ein Drittel in den Industrieländern. Wegen der hohen Kosten besteht jedoch für die meisten Betroffenen in Ländern wie Bolivien, Ecuador und Peru kein Zugang zu dieser Therapie, so dass nach Schätzungen das Atemnotsyndrom in diesen Ländern ca. 30 % der Todesfälle bei Neugeborenen verantwortet.180 Seit 1990 sind von der FDA vier Surfactants zugelassen. Im Jahr 2000 testete ein US-amerikanisches Pharmaunternehmen Surfaxin, ein synthetisches Surfactant, in klinischen Studien in Bolivien. 177  Zur Nutzung des deutschen Begriffs „vulnerable Person“ als wörtliche Übersetzung des englischen Begriffs der „vulnerable person“ beispielsweise auch BT-Drs. 17/12183. 178  Pschyrembel, Willibald, Pschyrembel Klinisches Wörterbuch, 256. Aufl., 1990, „Atemnotsyndrom des Neugeborenen“, S. 145. 179  Pschyrembel, Willibald, Pschyrembel Klinisches Wörterbuch, 1990, „Surfactant“, S. 1623. 180  Die Kosten belaufen sich auf etwa 1.100 – 2.400 USD pro Kind; Hawkins, Jennifer Susan/Emanuel, Ezekiel (Hrsg.), Exploitation and Developing Countries – the Ethics of Clinical Research, 2008, S. 59.

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Zwar hätten etablierte Therapien zur Kontrolle zur Verfügung gestanden, jedoch befürchtete die Sponsorin, dass eine solche Studie eine gesteigerte Wirksamkeit nicht hinreichend nachweisen könnte, so dass gegen Placebokontrollgruppen getestet wurde. Für diese Zwecke wurde die Studie, die 650 Frühgeborene umfasste, in Bolivien durchgeführt, ohne dass dabei Pläne bestanden hätten, Surfaxin in Lateinamerika zu vermarkten.181 bb) rHEV Hepatitis E Impfstoff, Nepal Im Jahr 1999 bestanden Pläne für die Prüfung eines Hepatitis E Impfstoffes unter der Sponsorenschaft von SmithKline Beecham (jetzt GlaxoSmithKline) in Nepal an etwa 3.000 Prüfungsteilnehmerinnen.182 Als dies durch die nepalesische Presse bekannt wurde, entbrannte eine Diskussion, ob die nepalesische Bevölkerung nicht von dem westlichen Pharmaunternehmen ausgenutzt würde. Die Lokalregierung unterbrach daraufhin die Pläne. Die Versuche sollten erst wieder zugelassen werden, wenn eine Vereinbarung über eine Gewinnbeteiligung durch Zugang zu dem Impfstoff nach Beendigung der Prüfung, sowie durch infrastrukturelle Maßnahmen zur Wassersäuberung getroffen würde. Stattdessen wurde die klinische Studie jedoch in eine andere Provinz verlegt und im Jahr 2001 an 2.000 Prüfungsteilnehmerinnen durchgeführt.183 Eine nachfolgende Studie mit 1.566 Versuchsteilnehmerinnen endete 2004. Sämtliche Teilnehmerinnen wurden aus der nepalesischen Armee rekrutiert. b)  Grundsätzliche Konzeption vulnerabler Personen Die Einwilligungsfähigkeit nach der Konzeption der Einwilligung in der obigen Eingrenzung, umfasst die Fähigkeit zur Formierung der notwendigen Geisteshaltung, eine Intervention zu genehmigen sowie die Fähigkeit diese zu kommunizieren. Dies führt zu der Frage wie mit Personen umgegangen werden soll, die nicht-einwilligungsfähig sind.184 Gleichermaßen ist nach dem Umgang mit Perso181 Hawkins, Jennifer Susan/Emanuel, Ezekiel (Hrsg.), Exploitation and Developing Countries – the Ethics of Clinical Research, 2008, S. 59 ff. 182  Im Folgenden geschildert nach Mills, Edward J./Singh, Sonal, Health, Human Rights and the Conduct of Clinical Research within Oppressed Populations, Globalization and ­Health 3 (2007), 10. 183 Vgl. auch Shrestha, Mrigendra Prasad/McNair Scott, Robert/Joshi, Durga Man/ Mammen, P. Mammen Jr./Thapa, Gyan Bahadur, et al., Safety and Efficacy of a Recombinant Hepatitis E Vaccine, New England Journal of Medicine 356 (2007), 395 – 903. 184  Charles Foster, der das Wort der „Tyrannei der Autonomie“ bemüht, stellt die Frage, wie sicher all jene sein können, die nicht fähig sind ihre Lebenspläne in adäquat beeindruckender Kohärenz darzulegen, wenn Autonomie über Leben und Tod entscheide, was aus dem „intellektuellen Faschismus“ folge, der dem bioethischen Diskurs derzeit unterliege, Autonomie als entscheidende Stimme in allen bioethischen Debatten zu erachten. Foster, Charles, Choosing Life, Choosing Death – The Tyranny of Autonomy in Medical Ethics and Law, 2009, S. 9. Weniger polemisch kritisieren Kathleen Liddell und Martin Richards die

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nen zu fragen, welche typischerweise in den weiteren Voraussetzungen einer informierten Einwilligung beeinträchtigt sein könnten. In der Bioethik ist der Begriff der vulnerablen Personen letztlich geprägt worden, um jene Personengruppen zu erfassen, die historisch betrachtet, besonders anfällig für Missbrauch und schlechte Behandlung waren.185 aa) Vulnerabilität bei strukturellen Beeinträchtigungen der Einwilligungsvoraussetzungen Es ist zwar im Einzelfall darauf abzustellen, ob eine bestimmte Person nicht die Voraussetzungen erfüllt, um einzuwilligen, dennoch lassen sich Kategorien von Situationen und Strukturen erstellen, in welchen Personen typischerweise nicht in der Lage sind, eine bestimmte Geisteshaltung zu entwickeln oder die ihnen dargelegten Informationen adäquat zu verstehen und/oder diese zu kommunizieren bzw. sich in einer Zwangslage befinden. Unstreitig wird dies für Kinder, geistig behinderte Personen und für Bewusstlose angenommen. Ebenso wird allgemein anerkannt, dass Inhaftierte und Personen in anderen Abhängigkeitsverhältnissen beeinträchtigt sein können. Bei Gefangenen oder Internierten bestehen offensichtliche Bedenken hinsichtlich der Freiwilligkeit ihrer Entscheidungen. Ebenso ist dies bei Personen in Abhängigkeitsverhältnissen wie Medizinstudentinnen oder auch Soldatinnen zu sehen. Darüber hinaus werden, je nachdem wie Zwang zu verstehen ist, auch marginalisierte sehr arme und ungebildete Personen oder benachteiligte Minderheiten und Indigene, in vielen Kulturkreisen auch Frauen, als derart strukturell benachteiligt anzusehen sein, dass ihre Freiwilligkeit potentiell angezweifelt werden kann. bb) Notwendigkeit der Inklusion Eine kategorische Exklusion bestimmter Personengruppen aus Versuchen kann jedoch ebenfalls problematisch sein. Arzneimittel, die spezifisch auf diese Personengruppen angepasst werden müssen, wie für Kinder oder bestimmte geistig Behinderte, könnten nicht erforscht werden. Einem Verbot könnte somit ein „Recht auf Inklusion“ entgegenstehen. Für die Anwendung an Kindern beispielsweise könnten nur Vermutungen aus der Forschung an Erwachsenen geschlossen werden. Der bestehende Mangel an klinischen Studien mit Kindern führt derzeit etwa Überidealisierung und Überbewertung der informierten Einwilligung in der klinischen Forschung, in: Corrigan, Oonagh/McMillan, John/Liddell, Kathleen/Richards, Martin/Weijer, Charles (Hrsg.), The Limits of Consent – A Socio-Ethical Approach to Human Subject Research in Medicine, 2009, S. 213 – 227 [214]. 185  Dies waren Personen, die rechtlich oder physisch nicht in der Lage waren, frei einzuwilligen: so wie Kinder, geistig behinderte oder bewusstlose Personen, alte gebrechliche Menschen, aber auch Gefangene und mitunter Personengruppen wie Jüdinnen und andere ethnische Minderheiten. Patrão Neves, Maria, Art. 8: Respect for Human Vulnerability and Personal Integrity, in: ten Have, Henk (Hrsg.), The UNESCO Universal Decaration on Bioethics and Human Rights, 2009, S. 155 – 164 [156].

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dazu, dass in Deutschland ca. 80 % der Arzneimittel, die in der Kinderheilkunde (off label) eingesetzt werden, für diesen Indikationsbereich gar nicht zugelassen sind; ebenso wenig wie etwa 1/3 der von der WHO als essential klassifizierten Arzneimittel für die Pädiatrie.186 Dies führt zu entsprechenden Arzneimittelunsicherheiten in der Behandlung von Kindern. Ebenso könnten bestimmte geistige Erkrankungen nicht erforscht werden.187 Auch Frauen werden strukturell in der Arzneimittelversorgung auf diese Art benachteiligt. Frauen werden aufgrund ihrer reproduktiven Option (und möglichen Risiken auch für spätere Schwangerschaften) oft aus Studien über Arzneimittel für geschlechtsunabhängige Krankheiten ausgeschlossen oder erst in späteren Testphasen hinzugezogen.188 Dies führt jedoch dazu, dass Arzneimittel überdurchschnittlich häufig an Männern getestet werden, obwohl Frauen beispielsweise aufgrund eines etwa unterschiedlichen Metabolismus anders auf bestimmte Arzneimittel bzw. Dosierungen reagieren können. Phenylpropanolamin, das beispielsweise in Erkältungsmitteln eine Verwendung fand, erhöht etwa das Schlaganfallrisiko bei Frauen, jedoch nicht bei Männern.189 Auch sind Prävalenzraten bestimmter Krankheiten bei Frauen sehr viel höher, werden aber eher vernachlässigt. cc) Schutzmaßnahmen Vor diesem Hintergrund der typischen Verletzlichkeit bestimmter Personengruppen einerseits und der Notwendigkeit der Inklusion andererseits, werden daher Schutzmaßnahmen diskutiert. Typischerweise werden in der Diskussion nicht-einwilligungsfähige Personen wie Kinder, geistig Behinderte und Bewusstlose, unfreie Personen sowie sonstig marginalisierte unterschieden. Wenn Forschung al-

186  Sprecher, Franziska, Medizinische Forschung mit Kindern und Jugendlichen, 2007, S. 4 ff.; Magnus, Dorothea, Medizinische Forschung an Kindern, 2006, S. 11 ff. 187  Karlawish, Jason, Research on Cognitively Impaired Adults, in: Steinbock, Bonnie (Hrsg.), The Oxford Handbook of Bioethics, 2007. 188  Dresser, Rebecca, Wanted: Single, White Male for Medical Research, The Hastings Center Report 22 (1992), 24 – 29; Bush, Janice K., The Industry Perspective on the Inclusion of Women in Clinical Trials, Academic Medicine 69 (1994), 708 – 715; Ruiz Cantero, Maria Teresa/Angeles Pardo, Maria, European Medicines Agency Policies for Clinical Trials Leave Women Unprotected Journal of Epidemiology and Community Health 60 (2006), 911 – 913. 189  Im November 2000 veröffentlichte die FDA eine Warnung bezüglich der Risiken von Phenylpropanolamin, das in Erkältungsmedikamenten und Gewichtsreduzierungsprodukten verwendet wurde. Neuere Studien hatten gezeigt, dass der Wirkstoff ein erhöhtes Risiko von Schlaganfällen bei Frauen zeigte. Für Männer konnte jedoch kein erhöhtes Risiko nachgewiesen werden. http://www.fda.gov/Drugs/DrugSafety/InformationbyDrugClass/ ucm150763.htm. Am 22. 12. 2005 veröffentlichte die FDA eine „Notice of proposed rulemaking“ über die Reklassifizierung von Phenylpropanolamin als „not generally recogniz­ ed as safe and effective“. http://www.fda.gov/drugs/drugsafety/informationbydrugclass/ ucm150738.htm.

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lein durch ihre Notwendigkeit gerechtfertigt werden kann,190 stellt sich die Frage wie viel Risiko vertretbar ist.191 Diskutiert wird, ob nicht-einwilligungsfähige Versuchs­personen zumindest einen so genannten Gruppennutzen haben müssen oder ob Forschung unzulässig sein soll, wenn sie nicht mindestens einen individuellen Nutzen bringt.192 Darüber hinaus werden weitere Maßnahmen diskutiert, die das Ziel haben, die tatsächlich informierte Einwilligung auch von besonders schützenswerten Personen zu ermöglichen. Diese setzen etwa an Aufklärungserfordernissen an (beispielsweise an Analphabetinnen angepasst) oder daran, vermeintliche Zwänge wie „ungebührliche“ finanzielle Anreize zu vermeiden. c)  Inklusion vulnerabler Personen in Entwicklungsländern aa) Marginalisierung als Vulnerabilitätsmerkmal Diskutiert wird, ob typischerweise in Entwicklungsländern rekrutierte marginalisierte arme und ungebildete Personen als besonders schützenswerte Personen zu klassifizieren sind, so dass „Versuchspersonen in Entwicklungsländern“ als eigene Kategorie vulnerabler Personen qualifiziert werden könnten.193 Die Diskussionsstränge orientieren sich an der entsprechend implizierten Auslegung von Zwang und Autonomie. Als Gegenargument wird entsprechend vorgebracht, dass eine solche Klassifizierung unzulässig paternalisierend sei.

190  Und eben nicht durch die informierte Einwilligung: MacLean, Alasdair, Autonomy, Informed Consent and Medical Law – a Relational Challenge, 2009, S. 140 f. 191  Karlawish, Jason, Research on cognitively impaired adults, in: Steinbock, Bonnie (Hrsg.), The Oxford Handbook of Bioethics, 2007, S. 605 f. 192  Die Diskussion wird nicht zuletzt auch in der Zivilgesellschaft kontrovers geführt, wie es das Beispiel um die gescheiterte Ratifikation der Biomedizinkonvention des Europarates durch Deutschland zeigt. de Wachter, Maurice A.M., The European Convention on Bioethics, The Hastings Center Report 27 (1997), 13 – 23; Riedel, Eibe, Die Menschenrechtskonvention zur Biomedizin des Europarats – Ein effektives Instrument zum Schutz der Menschenrechte oder symbolische Gesetzgebung?, in: Taupitz, Jochen (Hrsg.), Das Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin des Europarates, 2002; Taupitz, Jochen, Die Menschenrechtskonvention zur Biomedizin zwischen Kritik und Zustimmung, in: Taupitz, Jochen (Hrsg.), Das Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin des Europarates, 2002; optimistisch Roscam Abbing, Henriette D.C., The Convention on Human Rights and Biomedicine – An Appraisal of the Council of Europe Convention, European Journal of Health Law 5 (1998), 377 – 387. Dieselben Bedenken werden fraktionsübergreifend vom deutschen Bundestag bei der Diskussion um den Verordnungsvorschlag der Kommission COM(2012) 369 final vom 17. 07. 2012 über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln und zur Aufhebung der RL 2001/20/EG geltend gemacht. Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen „EU-weite Regelungen zur Durchführung von klinischen Prüfungen mit Humanarzneimitteln – Schutz der Teilnehmerinnen und Teilnehmer sicherstellen“ vom 29. 01. 2013. Drs. 17/12183. 193 Etwa Heinrichs, Bert, Forschung am Menschen 2006, S. 315 f.

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bb) Multiple Vulnerabilitätsmerkmale Eine Konsequenz des Schutzes bestimmter Versuchspersonen ist der Anreiz auf Entwicklungsländer auszuweichen. Wenn Versuche mit Kindern nicht in den USA durchgeführt werden können, dann möglicherweise in Bolivien. Der geschilderte Surfaxin-Fall illustriert dies.194 Bestimmte Personengruppen, wie Kinder in diesem Fall, weisen damit mehrere Vulnerabilitätsmerkmale auf und sind damit in mehrfacher Hinsicht schutzbedürftig. Dies trifft auch beispielsweise auf Personen in Abhängigkeitsverhältnissen zu. Autoritäre Strukturen verstärken Vulnerabilitätsmerkmale. Im geschilderten nepalesischen Fall sind autoritäre Strukturen dazu gebraucht worden, um Soldaten, in einfacher und großer Zahl zu gewinnen, die in dieser Form in entwickelten Ländern ggf. nicht zur Verfügung stünden. Auch hier erstreckt sich der grundsätzliche Vorwurf der „Umgehung von Standards“ auf bestimmte besonders schützenswerte Personen, deren Verletzlichkeit durch besonders gravierende Abhängigkeitsverhältnisse nur noch verstärkt sein kann. cc) Recht auf Inklusion Wenn Personen aus Entwicklungsländern pauschal als vulnerable Personengruppe qualifiziert werden sollten, kann dies ungewollte Konsequenzen nach sich ziehen, wenn dies zu einem Ausschluss führt. Denn eine Inklusion kann möglicherweise nicht nur zulässig, sondern auch geboten sein. Dies betrifft zum einen den Fall so genannter „neglected diseases“, für welche es (noch) keine effektiven Arzneimittel gibt, die jedoch insbesondere Entwicklungsländer betreffen.195 Zum anderen betrifft dies den Umstand, dass im Westen erprobte Methoden zu teuer oder aufgrund der Lebensrealitäten in Entwicklungsländern oder auch aus kulturellen Gründen nicht anwendbar sind.196 Realiter hieße der Verzicht, spezifische, 194 

Siehe oben § 2 C. II. 3. a) aa) Surfaxin, Bolivien. gewinnorientierte pharmazeutische Unternehmen sind Infektionskrankheiten, die eine hohe Mortalitätsrate unter armen Personen in Entwicklungsländern haben, wie Malaria, Tuberkulose, Leishmaiose, Denguefieber und der Weiteren, kommerziell ohne weitere Anreize (noch) nur bedingt interessant, weshalb für diese „vernachlässigten Krankheiten“ relativ wenig geforscht wird. Trouiller, P./Olliaro, P./Torreele, E./Orbinski, J./Laing, R., et al., Drug Development for Neglected Diseases: A Deficient Market and a Public-Health Policy Failure, The Lancet 359 (2002), 2188 – 2194; Lavery, James V./Grady, Christine/Wahl, Elizabeth R./Emanuel, Ezekiel (Hrsg.), Ethical Issues in International Biomedical Research – A Casebook, 2007, S. 89. 196  Lebensrealitäten in Entwicklungsländern sind in der Regel nicht problemlos mit denen in westlichen Industrieländern gleichzusetzen, so dass entweder aus finanziellen oder auch kulturellen Gründen es notwendig sein kann, Therapien in der Umgebung zu testen, in der sie eingesetzt werden sollen. Dies ist auch das vorgertragene Argument, dass die Azidothymidin-Versuche in Afrika rechtfertigen sollten: Die in den USA etablierte Standardtherapie zur Verhinderung der Mutter-Kind-Übertragung von HIV war für den Einsatz in Afrika viel zu teuer. Darüber hinaus erforderte diese Therapie, dass zwölf Wochen vor der Geburt mit ihr begonnen werden sollte. In vielen ländlichen Gegenden Afrikas gebären 195 Für

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angepasste Behandlungsmethoden zu testen, möglicherweise den kompletten Verzicht auf Behandlungen. dd) Schutzmaßnahmen Die Annahme einer pauschalen Vulnerabilität von Personen aus Entwicklungsländern und den damit erforderten Schutzmaßnahmen ist janusköpfig: Zum einen betrifft dies die zugrunde liegende Diskussion der Konzeption von Autonomie, d. h. der Konzeption von Freiwilligkeit und Zwang, aber auch Verständnis und der Frage inwieweit auf Grundlage einer solche Annahme individuelle Handlungsoptionen – von potentiellen Versuchpersonen – beschnitten werden dürfen.197 Zum anderen würde eine mit Schutzmaßnahmen einhergehende Subsidiarität von Versuchen der Erforschung notwendiger Therapien entgegenlaufen. Die Frage ist daher, ob Schutzmaßnahmen eher exkludierenden Charakter haben, insofern sie solche Studien grundsätzlich nur subsidiär zulassen oder gar verbieten,198 oder ob sie darauf abzielen das Verständnis und die Freiwilligkeit für die informierte Einwilligung zu fördern.199 4.  Studiendesign (Placebo-Versuche) Einer der prominentesten Diskussionpunkte in der klinischen Forschung in Entwicklungsländern ist das Studiendesign und die Frage der Zulässigkeit von Placebo-Kontrollen. Dies hat zum einen eine grundsätzliche Komponente, die moralisch problematisch aus Perspektive der ärztlichen Ethik diskutiert wird. Zum anderen wird eine standard-of-care-Frage aufgegriffen.

Frauen zu Hause oder suchen erst zur Geburt Gesundheitseinrichtungen auf, oder die Gesundheitseinrichtungen verfügen nicht über die notwendige Ausrüstung um das Mittel zu verabreichen. Auch hätte die Standardtherapie es erfordert, die Neugeborenen nicht zu stillen. Vielen Müttern wäre es jedoch aus Ermangelung künstlicher Säuglingsnahrung nicht möglich gewesen, auf das Stillen zu verzichten. Siehe Hawkins, Jennifer Susan/Emanuel, Ezekiel (Hrsg.), Exploitation and Developing Countries – the Ethics of Clinical Research, 2008, S. 2. 197  Heinrichs, Bert, Forschung am Menschen 2006, S. 315 ff. 198 Insbesondere Annas, George J./Grodin, Michael A., Human Rights and Maternal-Fetal HIV Transmission Prevention Trials in Africa, American Journal of Public Health 88 (1998), 560 – 563. 199  Allerdings wird hier für Einzelfragen zu erörtern sein, welches Maß an Verständnis und welche Konzeption von Freiwilligkeit zugrundegelegt werden soll – zumal auch in entwickelten Ländern viele Personen die tatsächliche Natur klinischer Versuche nicht umfänglich zu verstehen scheinen. Dawson, Angus, The Normative Status of the Requirement to Gain an Informed Consent in Clinical Trials: Comprehension, Obligations, and Empirical Evidence, in: Corrigan, Oonagh/McMillan, John/Liddell, Kathleen/Richards, Martin/Weijer, Charles (Hrsg.), The Limits of Consent – A Socio-Ethical Approach to Human Subject Research in Medicine, 2009, S. 103.

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a)  Fallbeispiele aa) Azidothymidin, verschiedene afrikanische Länder Ein spezifisches Problem in der Bekämpfung der HIV/AIDS-Epidemie in Afrika liegt in der Übertragung von HIV von der Mutter auf ihr Kind während bzw. kurz nach der Geburt.200 In den 1990ern wurden daher umfangreiche klinische Versuche zur Wirksamkeit des Arzneimittels Azidothymidin (AZT, auch Zidovudin genannt), das eine Unterbindung der HIV-Übertragung von der Mutter auf ihr neugeborenes Kind versprach, in mehreren afrikanischen Ländern durchgeführt.201 Als sogenanntes 076-System zeigte der Wirkstoff AZT in Versuchen 1994 in den USA, eine wesentliche Verringerung der Mutter-Kind-Übertragung und wurde dort unmittelbar zur Standardtherapieform.202 Jedoch war dieses System während 26 Wochen der Schwangerschaft, zur Geburt und sechs Wochen nach der Geburt anzuwenden, womit es eine sehr langwierige und kostenintensive Therapie darstellte, die jenseits der finanziellen Möglichkeiten vieler Gesundheitssysteme ärmerer Länder lag.203 Aus diesem Grund bemühten sich US-amerikanische und europäische Wissenschaftlerinnen kostengünstigere Mittel zu finden und begannen klinische Studien zu einer verkürzten Anwendung von AZT. Hierbei wurden die verkürzten Anwendungen an HIV-infizierten Schwangeren gegen Kontrollgruppen getestet, die Placebos erhielten. Die USA, Frankreich, Belgien, Dänemark, Südafrika und UNAIDS sponsorten dabei 16 Placebokontrollgruppen-Studien in Uganda, der Elfenbeinküste, Tansania, Südafrika, Malawi, Äthiopien, Burkina Faso, Simbabwe und Kenia sowie Thailand und der Dominikanischen Republik.204 Über 12.000 schwangere Frauen waren an den Studien beteiligt, von denen ein Großteil Placebos erhielt. Neben den 16 Studien in Entwicklungsländern sind jedoch auch zwei weitere in den USA durchgeführt worden. Die Versuche in den USA sind dabei nicht placebo-, sondern aktiv-kontrolliert gewesen. Die beteiligten 200  Nach Schätzungen von UNAIDS und der WHO waren im Dezember 2007 über 33 Mio. Menschen weltweit mit dem HI-Virus infiziert, davon zwei Drittel in afrikanischen Ländern südlich der Sahara. Etwa drei Viertel der ca. 1,6 Mio. AIDS-Toten 2007 waren in dieser Region zu beklagen. WHO, HIV/AIDS Epidemiological Surveillance Report for the WHO African Region 2007 update, S. 1. 201  Lurie, Peter/Wolfe, Sidney M., Unethical Trials of Interventions to Reduce Perinatal Transmission of the Human Immunodeficiency Virus in Developing Countries, New England Journal of Medicine 337 (1997), 853 – 856. 202 Vgl. Fidler, David P., „Geographical morality“ Revisited: International Relations, International Law, and the Controversy over Placebo-Controlled HIV Clinical Trials in Developing Countries, Harvard International Law Journal 42 (2001), 299 – 354 [306 f.]. 203  Die Kosten für diese Therapie, die Standard in den Industrieländern war, belief sich auf etwa 1.000 USD pro Schwangerschaft; vgl. UNAIDS, Mother-to-child transmission of HIV, 1998, http://data.unaids.org/Publications/IRC-pub01/jc531-mtct-tu_en.pdf. 204 Vgl. Fidler, David P., „Geographical morality“ Revisited: International Relations, International Law, and the Controversy over Placebo-Controlled HIV Clinical Trials in Developing Countries, Harvard International Law Journal 42 (2001), 299 – 354 [307 f.].

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Frauen der Kontrollgruppe erhielten in den USA das bewährte längere 076-System, so dass alle Frauen und Kinder eine Behandlung erhielten.205 AZT in der neuen Darreichungsform erwies sich als Therapieform, durch welches die Mutter-zu-Kind-Übertragungsrate bis zu 60 % gesenkt werden konnte.206 bb) Surfaxin, Bolivien Die Surfaxin-Versuche wurden bereits angesprochen. Im Jahr 2000 testete ein US-amerikanisches Pharmaunternehmen Surfaxin, ein synthetisches Surfactant in klinischen Studien in Bolivien. Zwar hätten etablierte Therapien zur Kontrolle zur Verfügung gestanden, jedoch befürchtete die Sponsorin, dass eine solche Studie eine gesteigerte Wirksamkeit nicht hinreichend nachweisen könnte, so dass gegen Placebokontrollgruppen getestet wurde. Für diese Zwecke wurde die Studie, die 650 Frühgeborene umfasste, in Bolivien durchgeführt.207 cc) Trovan, Nigeria Die Trovan-Versuche während der nigerianischen Meningitis-Epidemie 1996 wurden ebenfalls bereits angesprochen. US-amerikanische und nigerianische Ärztinnen führten unter der Sponsorenschaft von Pfizer in einem Krankenhaus in Kano Versuche an 200 Kindern durch. Die Hälfte erhielt das aufgrund von Tierversuchen als bedenklich einzustufende Trovan, die andere als Kontrollgruppe Ceftriaxon, ein Antibiotikum das die Standardtherapie darstellte. Allerdings wurde der Kontrollgruppe das Ceftriaxon in verminderter Dosis gegeben, um im Verhältnis die Wirksamkeit von Trovan besser ermessen und herausstellen zu können. Auch als bereits absehbar war, dass weder Trovan noch Ceftriaxon in verminderter Dosis wirken würden, wurde der Versuch nicht abgebrochen und auf die volle Dosis Ceftriaxon umgestiegen. b)  Clinical Equipoise Das Konzept der clinical equipoise umschreibt generell die Situation zu Beginn eines klinischen Versuchs, wenn noch unklar ist, welcher Versuchsarm oder welche Versuchsintervention besser geeignet ist, das gewünschte Ergebnis zu erzielen (wie etwa die Verringerung der Mutter-zu-Kind-Übertragungsrate von HIV), oder 205 Vgl. Yearby, Ruqaiijah, Good Enough to Use for Research, but not Good Enough to Benefit from the Results of that Research – are the Clinical HIV Vaccine Trials in Africa Unjust?, DePaul Law Review 53 (2004), 1127 – 1154 [1139]. 206 AZT wird von UNAIDS als Meilenstein in der HIV-Forschung bezeichnet. UNAIDS, Meeting ethical concerns over HIV trials vom 3. 12. 2007, http://www.unaids. org/en/KnowledgeCentre/Resources/FeatureStories/archive/2007/20071203_ethical_concerns_HIV_trials.asp. 207 Hawkins, Jennifer Susan/Emanuel, Ezekiel (Hrsg.), Exploitation and Developing Countries – the Ethics of Clinical Research, 2008, S. 59 ff.

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etwa weniger Nebenwirkungen verursacht.208 Im Falle von equipoise kann keine Versuchsperson und somit keine Patientin absichtlich einem Versuchsarm zugeteilt werden, der einen Subbehandlungsstandard bietet, weshalb eine Randomisierung von Versuchen zulässig sein soll. Es besteht ein weitgehender Dissens über die Details der equipoise, insbesondere um die beiden Fragen, welches Maß an Unsicherheit genügen soll und wessen Unsicherheit maßgeblich sein soll.209 Problematisch sind zwei Aspekte: Zum einen stellt sich ein Problem, wenn wie im Azidothymidin-Fall eine Therapie mit einem Studiendesign getestet wird, das einen Teil der Versuchspersonen randomisiert einem Placeboarm zuteilt, obwohl bereits bekannt ist, dass die Nicht-Behandlung die schlechtere Therapie ist.210 Zum anderen stellt sich ein Problem, wenn erst mit größerer Verzögerung oder gar nicht, neu gewonnene Erkenntnisse in ein verändertes Studiendesign münden. Wie viel Unkenntnis genügt demnach und kann in Entwicklungsländer ein anderer Standard angewendet werden? c)  Versorgungsstandard Während clinical equipoise ein grundsätzliches Problem des Studiendesigns darstellt, tritt bei Versuchen in Entwicklungsländern die Problematik unterschiedlicher Standards hinzu.211 Die Kritikerinnen der Azidothymidin-Studien etwa argumentierten, dass diese Versuche einen moralischen Doppelstandard offenbarten, da in afrikanischen Ländern Placebos als Kontrolle eingesetzt wurden, obwohl dies in entwickelten Ländern nicht möglich gewesen wäre.212 Da in den USA bereits eine Standardtherapie etabliert war, sei der Einsatz von unwirksamen Placebos ethisch nicht zulässig gewesen.213 Kritikerinnen zufolge müssten Versuche, die in 208 Lavery, James V./Grady, Christine/Wahl, Elizabeth R./Emanuel, Ezekiel (Hrsg.), Ethical Issues in International Biomedical Research – A Casebook, 2007, S. 116 ff.; Hawkins, Jennifer Susan/Emanuel, Ezekiel (Hrsg.), Exploitation and Developing Countries – the Ethics of Clinical Research, 2008, S. 36 ff. 209 Insbesondere London, Alex John, Clinical Equipoise: Foundational Requirement or Fundamental Error?, in: Steinbock, Bonnie (Hrsg.), The Oxford Handbook of Bioethics, 2007. 210  Im konkreten Falle ist jedoch entgegen zu halten ist, dass für die getestete Dosis Unklarheiten bestanden. 211  Eine Metastudie stellt einen tatsächlichen unterschiedlichen Standard in HIV, Tuberkulose und Malaria Studien fest Kent, David M./Mwamburi, D. Mkaya/Bennish, Michael L./Kupelnick, Bruce/Ioannidis, John P.A., Clinical Trials in Sub-Saharan Africa and Estab­ lished Standards of Care: A Systematic Review of HIV, Tuberculosis, and Malaria Trials, Journal of the American Medical Association 292 (2009), 237 – 242. 212  Lurie, Peter/Wolfe, Sidney M., Unethical Trials of Interventions to Reduce Perinatal Transmission of the Human Immunodeficiency Virus in Developing Countries, New England Journal of Medicine 337 (1997), 853 – 856; Angell, Marcia, The Ethics of Clinical Research in the Third World, New England Journal of Medicine 337 (1997), 847 – 849. 213 Hawkins, Jennifer Susan/Emanuel, Ezekiel (Hrsg.), Exploitation and Developing Countries – the Ethics of Clinical Research, 2008, S. 4.

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den USA oder Westeuropa unzulässig sind, auch in Burkina Faso oder Thailand unzulässig sein. Die Verteidigerinnen solch unterschiedlicher Studiendesigns führen pragmatisch an,214 dass die Lebenswirklichkeit und tatsächlich unterschiedlichen wirtschaftlichen Unterschiede dazu führen, dass auch unterschiedliche Ansätze in der Gesundheitsversorgung verfolgt werden müssten. Ausschlaggebend im Azidothymidin-Fall war, dass das 076-Standard-Regime in den USA in dieser Weise in Entwicklungsländer nicht anwendbar war. Es war einerseits zu teuer und andererseits wegen anderer Lebensumstände nicht durchführbar. Es war gerade das Ziel dieser klinischen Versuche, eine kostengünstige und unter gegeben Verhältnissen erfolgreich einsetzbare Therapie zu finden.215 Um jedoch eine Wirksamkeit der verkürzten Therapie nachweisen zu können, schien methodisch nur der Rückgriff auf die Placebo-Kontrolle zu bleiben.216 Ebenso wird bezüglich der einzelnen Testpersonen auf individueller Ebene argumentiert. Denn diejenigen, die dem Placeboarm zugeteilt waren, hätten nur theoretisch alternativ Zugang zu der etablierten Standardtherapie gehabt. Faktisch hätten sie gar keine Behandlung erhalten, so dass sie durch die Versuchsteilnahme zumindest eine Chance hatten, behandelt zu werden.217 So sei diese Form des Studiendesigns gerechtfertigt, wenn keine Versuchsperson schlechter gestellt werde, als wenn die Versuche nicht durchgeführt würden. Im Surfaxin-Fall nahmen 650 frühgeborene Säuglinge, die am Atemnotsyndrom von Neugeborenen litten, an einem Phase-III-Versuch teil, die ansonsten keinerlei Behandlung erhalten hätten. Die Hälfte von ihnen wurde einem Placeboarm zugeteilt, die andere jedoch wurde behandelt. Aufgrund der Kritik an diesem Studiendesign, gestaltete die Sponsorin folgende Versuche als aktiv-kontrollierte Prüfungen, führte diese jedoch in den USA durch. In einem weiteren Placebo-kontrollierten Versuch in Bolivien hätten zumindest diejenigen im Prüfarm eine Behandlung erhalten können, die sie nun nicht erhalten haben. Wenn die Placebo-Kontrollmöglichkeit der Hauptgrund für die Sponsorin war, die Versuche in dem Entwicklungsland durchzuführen, hat dann die Entscheidung diese Versuche als aktiv-kontrollierte Prüfung in einem Industrieland durchzuführen, möglicherweise mittelbar den Tod derjenigen Kinder bedingt, die ansonsten behandelt worden wären?218 Jost, Timothy S., The Globalization of Health Law: The Case of Permissibility of Placebo-Based Research, American Journal of Law and Medicine 26 (2000), 175 – 186 [178]. 215  Grady, Christine, Science in the Service of Healing, The Hastings Center Report 28 (1998), 34 – 38. 216  Levine, Robert J., The Need to Revise the Declaration of Helsinki, New England Journal of Medicine 341 (1999), 531 – 534. 217 Hawkins, Jennifer Susan/Emanuel, Ezekiel (Hrsg.), Exploitation and Developing Countries – the Ethics of Clinical Research, 2008, S. 5. 218  Pogge, Thomas, Testing our Drugs on the Poor abroad, in: Hawkins, Jennifer Susan/ Emanuel, Ezekiel (Hrsg.), Exploitation and Developing Countries – the Ethics of Clinical Research, 2008, S. 105 – 141 [116]. 214 

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Jedenfalls bleibt der grundsätzliche Streit, ob ein universaler Standard maßgeblich sein soll oder ob nicht aufgrund faktischer Unterschiede in den Lebensrealitäten regionale Standards angemessener wären. 5.  Benefit Sharing und Verteilungsgerechtigkeit a)  Fallbeispiele aa) Surfaxin, Bolivien Bei den bereits zweimal als Fallbeispiel genannten Surfaxin-Versuchen wurden in Bolivien Versuche an 650 Frühgeborene durchgeführt, mit dem Ziel Surfaxin ausschließlich in den USA und Europa ggf. auch Japan, jedoch nicht in Bolivien zu vermarkten.219 bb) rHEV Hepatitis E Impfstoff, Nepal Ebenfalls bereits als Fallbeispiel genannt wurden die Pläne zur Prüfung eines Hepatitis E-Impfstoffes unter der Sponsorenschaft von SmithKline Beecham (jetzt GlaxoSmithKline) an etwa 3.000 Prüfungsteilnehmerinnen, 1999, in Nepal.220 Als dies durch die nepalesische Presse bekannt wurde, entbrannte eine Diskussion, ob die nepalesische Bevölkerung nicht von dem westlichen Pharmaunternehmen ausgenutzt würde. Die Lokalregierung unterbrach daraufhin die Pläne. Die Versuche sollten erst wieder zugelassen werden, wenn eine Vereinbarung über eine Gewinnbeteiligung durch Zugang zu dem Impfstoff nach Beendigung der Prüfung, sowie durch infrastrukturelle Maßnahmen zur Wassersäuberung getroffen würde. b)  Vermarktung von Arzneimitteln Im Surfaxin-Fall wurden Versuche an Bolivianerinnen durchgeführt, obwohl keine Pläne bestanden, das Arzneimittel in Bolivien zu vertreiben. Es war geplant, ausschließlich die lukrativen Märkte der USA, Europas und Japans zu bedienen. In diesem Fall liegt das Versuchsrisiko allein bei Versuchspersonen in einem Land, das keinerlei Nutzen von der Forschung davon trägt. Das heißt die Personengruppen, aus deren Mitte die Versuchspersonen stammen, die das Risiko tragen, hätten theoretisch keinen Zugang zu einem ggf. sicheren und wirksamen Arzneimittel. Über den theoretischen Zugang hinaus liegt das Problem oftmals darin, dass arme Menschen in Entwicklungsländern ggf. faktisch nicht über die finanziellen 219 Hawkins, Jennifer Susan/Emanuel, Ezekiel (Hrsg.), Exploitation and Developing Countries – the Ethics of Clinical Research, 2008, S. 59 ff. 220  Im Folgenden geschildert nach Mills, Edward J./Singh, Sonal, Health, Human Rights and the Conduct of Clinical Research within Oppressed Populations, Globalization and ­Health 3 (2007), 10.

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Mittel verfügen, um die entsprechenden Arzneimittel zu erstehen.221 Selbst wenn sich ein Arzneimittel als vermarktungsreif erweist und tatsächlich in dem Land Inverkehr gebracht wird, haben arme Bevölkerungsgruppen, an denen es getestet worden ist, faktisch keinen Zugang zu diesem Arzneimittel. Auch in diesem Fall tragen diese allein das Risiko, haben aber keinen Nutzen davon. Diese Frage des theoretischen wie faktischen Zugangs zu Arzneimitteln berührt grundsätzliche Fragen der globalen Solidarität.222 Das Problem mangelnder Partizipation großer Teile armer Bevölkerungsgruppen, insbesondere in Entwicklungsländern, wird moralisch dadurch gravierender, wenn für die Versuche gezielt die Vorteile schlechter Gesundheitsversorgung genutzt werden.223 In Frage steht, ob Sponsoren-Unternehmen moralisch verpflichtet sind, Arzneimittel nicht nur den Notwendigkeiten von Entwicklungsländern entsprechend zu entwickeln, sondern auch erschwinglich zur Verfügung zu stellen und ob wirtschaftliche Gründe dagegensprechen können.224 c)  Individuelle Nachbehandlungen In Frage steht, ob eine moralische Verpflichtung gegenüber individuellen Versuchspersonen besteht, von deren Einsatz profitiert worden ist, diese langfristig nachzubehandeln. Insbesondere wenn es sich um chronische Krankheiten wie etwa HIV/AIDS handelt, die eine langfristige oder lebenslange Therapie erfordern. In den Fällen, in denen Sponsorinnen die Verantwortung für individuelle Versuchs­ personen übernehmen, könnte diese über die Dauer des Versuchs hinausgehen, zumal die Sponsorin von der Erkrankung der individuellen Person profitiert. Ein weiterer Aspekt ist, dass Nebenwirkungen erst nach Abschluss der Studie auftreten können, die kausal gerade auf die experimentelle Behandlung zurückzuführen wären. Eine Nachbehandlung kann gerade auch bei Versuchen, die durch Nicht-Behandlung oder Placebos kontrolliert werden, zur Milderung der Konsequenzen der Nicht-Behandlung notwendig sein.225 Hierzu auch Heinrichs, Bert, Forschung am Menschen 2006, S. 318. einer gleichen Verteilung von Nutzen der Forschung als Baustein internationaler Forschungsethik: Lavery, James V., Putting International Research Ethics Guidelines to Work for the Benefit of Developing Countries, Yale Journal of Health Policy, Law, and Ethics 4 (2004), 319 – 336; Page, Alice K., Prior Agreements in International Clinical Trials: Ensuring the Benefits of Research to Developing Countries, Yale Journal of Health Policy, Law, and Ethics 3 (2002 – 2003), 35 – 66. 223  Versuchspersonen können etwa mangels anderer Alternativen einfacher zu rekrutieren sein. Auch sind Personen, die therapienaiv sind, für Versuche interessanter. 224  Zu anderen praktischen Möglichkeiten wie Lobbyarbeit: Pogge, Thomas, Testing our Drugs on the Poor abroad, in: Hawkins, Jennifer Susan/Emanuel, Ezekiel (Hrsg.), Exploitation and Developing Countries – the Ethics of Clinical Research, 2008, S. 105 – 141. 225  Hawkins, Jennifer S., Exploitation and Placebo Controls, in: Hawkins, Jennifer Su­ san/Emanuel, Ezekiel (Hrsg.), Exploitation and Developing Countries – the Ethics of Clinical Research, 2008, S. 246 – 285 [272]. 221 

222  Zu

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d)  Sonstiges Benefit Sharing Wenn Unternehmen von globalen wirtschaftlichen Unterschieden profitieren und Versuche in armen Ländern durchführen, stellt sich die Frage, ob sie nicht zu umfassenderen Leistungen des benefit sharings verpflichtet sind. Über den Zugang zu Arzneimitteln hinaus betrifft dies Aspekte des Wissenstransfers oder beispielsweise des capacity buidings.226

D.  Klinische Arzneimittelprüfung und Ethik I.  Unmöglichkeit einer konsensualen ethischen Lösung der Streitpunkte Historisch ist das Verhältnis von Ärztinnen zu Patientinnen (Versuchspersonen) und damit auch der Sachkomplex „Forschung an Menschen“ ein traditioneller Regelungsgegenstand der Medizinethik 227 und Bioethik 228. Die Fragen, ob und welche 226  Wenn Forscherinnen die Strukturen in armen Ländern nutzen und davon profitieren, sollten sie möglicherweise lokales Personal einbeziehen und Wissen weitergeben. Gegebenenfalls kann es auch notwendig sein, Infrastrukturen aufzubauen, die nach Abschluss der Versuche den Region überlassen werden, so dass diese an dem Nutzen der Studie, weit über den Wissensgewinn hinaus partizipieren können. Die Errichtung und Überlassung von medizinischen Einrichtungen kann auch notwendig sein, um ggf. Nachbehandlungspflichten nachkommen zu können. Hawkins, Jennifer Susan/Emanuel, Ezekiel (Hrsg.), Exploitation and Developing Countries – the Ethics of Clinical Research, 2008, S. 58. 227  Die Medizinethik, die Keimzelle der Bioethik, ist sehr viel älter als die Bioethik und geht in Ägypten bis in das dritte Jahrtausend v. Chr. zurück und enthält Elemente die schon bei einfachsten Stammesgesellschaften vorzufinden waren. Kuhse, Helga/Singer, Peter, What is Bioethics? A Historical Introduction, in: Kuhse, Helga/Singer, Peter (Hrsg.), A Companion to Bioethics, 2004, S. 3 [4]. Die Begriffe Bioethik und Medizinethik sind jedoch nicht deckungsgleich. Spranger, Tade Matthias, Recht und Bioethik, 2010, S. 16 m.w.N. Der Begriff der Bioethik ist hier als der weitere Begriff zu verstehen, der auch wie Spranger es bezeichnet eine „kulturelle Bewegung“ umfasst, wie etwa Fragen nach der grundsätzlichen Zulässigkeit in den Bereichen der Reproduktionsmedizin und Möglichkeiten der Sequenzierung der DNA. Auch wenn konkrete Fragen im Folgenden eher Fragen der Medizinethik darstellen sollten, sollen sie vom weiteren Begriff der Bioethik umfasst sein. Die traditionelle Medizinethik stellt vor allem auf das Standesethos und somit das professionelle Verhalten der Ärztinnen untereinander ab. Das Ärztinnen-Patientinnen-Verhältnis, die Bewegung um Patientenrechte und die Autonomie der Patientinnen gewann in der Wahrnehmung erst viel später in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an Relevanz. Düwell, Marcus/Steigleder, Klaus, Bioethik – Zu Geschichte, Bedeutung und Aufgaben, in: Düwell, Marcus/Steigleder, Klaus (Hrsg.), Bioethik 2003, S. 12 – 37 [18]; Schöne-Seifert, Bettina, Grundlagen der Medizinethik, 2007, S. 14; a.A. Spranger, Tade Matthias, Recht und Bioethik, 2010, S. 16. 228  Etymologisch fasst der Begriff der Bioethik, das griechische Wort der Sitte, Gewohnheit oder Brauch „ethos“ mit dem des Lebens „bios“ zusammen. Bioethik lässt sich damit als Untersuchung ethischer Fragen bezeichnen, die aus der Praxis biologischer Disziplinen, die die Medizin, Veterinärmedizin, Lebenswissenschaften und Biologie im Allgemeinen umfassen, resultieren. Gillon, Raanan, Bioethics, Overview, in: Chadwick, Ruth (Hrsg.), The Concise Encyclopedia of the Ethics of New Technologies, 2001, S. 2. Als angewandte

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Normen die beteiligten Personen bei Versuchen an Menschen bzw. bei ärztlichen Interventionen im Allgemeinen zu befolgen haben, sind seit vielen Jahrhunderten Gegenstand ethischer Auseinandersetzungen. In der Darstellung der einzelnen konkreten Streitpunkte bezüglich der Forschung in Entwicklungsländern ist weiterhin durchgedrungen, dass diese seit mehreren Jahrzehnten von einem internationalen bioethischen Diskurs adressiert werden. Dies lässt die Frage zu, ob in dem langen Diskurs wenn nicht ein Konsens, so doch eine konsensaproximierende Tendenz zur Lösung dieser Punkte erreicht worden sein mag. Aufgabe der Bioethik ist es, wie Düwell und Steigleder betonen, durch eine erweiterte interdisziplinäre Perspektive, größere Zusammenhänge aufzudecken und durch moralische Reflexion zu Erkenntnissen zu gelangen, um normative Aussagen über Handlungsmöglichkeiten innerhalb der so genannten Lebenswissenschaften zu treffen, zu deren Beantwortung intuitive moralische Reflexe nicht genügen.229 Wie unter den einzelnen Streitpunkten dargestellt, ist für die grundsätzliche Ausgestaltung von Arzneimittelversuchen in Entwicklungsländern kein intuitiver moralischer Konsens zu erzielen. Die lebhafte Diskussion innerhalb des bioethischen Diskurses zeigt im Weiteren, dass auch trotz einer erweiterten interdisziplinären Perspektive und nach moralischer Reflexion zwar normative Handlungsmöglichkeiten getroffen werden können, jedoch kein Konsens besteht. Es bestehen stattdessen wesentliche moralische Streitpunkte mit jeweils prima facie stichhaltigen Argumenten, die jede vertretene Position gleichermaßen stützen können. Kennzeichen der Bioethik ist ihre wenig dogmatische, vielmehr pragmatische Anwendungsorientierung, die sich von einem Vorteil in einen Nachteil verkehrt, wenn die eklektische Wahl verschiedener Positionen unterschiedlicher Moraltheorien zu Orientierungslosigkeit führt, da im Zweifel die zugrunde liegenden Grundkontroversen der Ethik neu ausgefochten oder verdeckt werden. Die Pluralität der Strömungen und moralischen Grundpositionen, die den Diskurs bestimmt, offenbart auch den diesem eigenen Dissens. Viele praktische moralische Fragen erfordern eine Orientierung an Moraltheorien und bereits die Feststellung moralischer Probleme hängt davon ab, welche ethischen Theorien oder Konzeptionen zugrunde gelegt werden. Zwangsläufig spielen auch Grundlagenstreitigkeiten in der Ehik in konkrete Diskussionen mit rein. Ethik ist sie normative Ethik, die sich durch die Spezialisierung auf ethische Fragen, die realiter oder möglicherweise im Kontext tatsächlicher Aktivitäten resultieren können von der allgemeinen philosophischen Ethik unterscheidet. Vöneky, Silja, Recht, Moral und Ethik – Grundlagen und Grenzen demokratischer Legitimation für Ethikgremien, 2010, S. 34. Zum Begriff siehe Potter, Van Rensselaer, Bioethics: The Science of Survival, Perspectives in Biology and Medicine 14 (1970), 127 – 153 [127 ff.]; Reich, Warren Thomas, Revisiting the Launching of the Kennedy Institute: Re-visioning the Origins of Bioethics, Kennedy Institute of Ethics Journal 6 (1996), 323 – 327; bereits Jahr, Fritz, Bio-Ethik, eine Umschau über die ethischen Beziehungen des Menschen zu Tier und Pflanze, Kosmos Handweiser für Naturfreunde 24 (1927), 2 – 4; Sass, Hans-Martin, Fritz Jahr’s 1927 Concept of Bioethics, Kennedy Institute of Ethics Journal 17 (2007), 279 – 295. 229  Düwell, Marcus/Steigleder, Klaus (Hrsg.), Bioethik 2003, S. 29 ff.

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Im bioethischen Diskurs besonders prominent sind derzeit einerseits konsequentialistische Theorien und andererseits der sog. „principlism“. Grundsätzlich können handlungsbasierte konsequentialistische und regelbasierte konsequentialistische Moraltheorien unterschieden werden. Konsequentialismus bezieht sich auf eine Klasse normativer Theorien, die argumentieren, dass moralisch richtiges Handeln solches ist, das gute Ergebnisse zur Folge hat.230 Unterschiede und Ausdifferenzierungen innerhalb der konsequentialistischen Theorien (bspw. „egoistisch“, „altruistisch“ oder „idealistisch“) sind durch unterschiedliche Auffassungen über die „menschliche Natur“ und entsprechend darüber was „gute Ergebnisse“ sind, begründet. Eine für den bioethischen Diskurs wesentliche Ausprägung des handlungsbasierten Konsequentialismus ist der Utilitarismus,231 welcher selbst weit 230  Hallgarth, Matthew W., Consequentialism and Deontology, in: Chadwick, Ruth (Hrsg.), Encyclopedia of Applied Ethics A-D, 1, 1998, S. 610. 231  Die zwei prägensten Vertreter des klassischen Utilitarismus waren Jeremy Bentham, auf den die Bezeichnung Utilitarismus zurückgeht, und in seiner Nachfolge John Stuart Mill. Bentham, Jeremy, An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, Nachdruck der Aufl. von 1823 1907, Erstauflage 1789. Prominentester und vielleicht – jedenfalls in Deutschland – umstrittenster moderner Vertreter eines praktischen Utilitarismus ist Peter Singer. Anfang der 1990er lösten Peter Singers Thesen eine kontroverse Debatte in Akademie und Zivilgesellschaft um Fragen der Sterbehilfe und insbesondere der Früheuthanasie an ernsthaft stark behinderten Neugeborenen in Deutschland aus, die dazu führten, dass eine diskursive öffentliche Auseinandersetzung mit ihm und seinen Thesen kaum noch möglich war. Siehe dazu Singers Kommentar im Anhang der zweiten Auflage zu „Practical ethics „On being silenced in Germany“. Singer, Peter, Practical Ethics, 2. Aufl., 1999, S. 337 – 359. Erstauflage von 1979. Die Inkorporierung von Elementen anderer ethischer Theorien durch modernere utilitaristische Ethiken verkompliziert eine klare Unterteilung. In ihrer klassischen Form ist der Utilitarismus eine Theorie, nach welcher diejenigen Handlungen als richtig zu erachten sind, die den größten Nutzen generieren oder den größten Schaden abwenden. Zum klassischen Utilitarismus auch Rawls, John, Classical Utilitarism, in: Scheffler, Samuel (Hrsg.), Consequentialism and its Critics, 1988, S. 14 – 19. Klassische und moderne Theorien unterscheiden sich letztlich in der Definition und Begründung des „größten Nutzens“, sowie in Aggregations- und Maximierungsmaximen. Die Bestimmung dessen, was als Nutzen zu erachten ist, erfolgt dabei meist in einem hedonistischen Verständnis. Bentham und Mill postulierten, dass der zu erstrebende Nutzen Glück sei und da die Menscheit von „pain“ und „pleasure“ regiert werde, sei Glück („happiness“) nach Mill „pleasure and the absence of pain“ und somit „pleasure“ und die Abwesenheit von Schmerz die einzig wünschenswerten Endziele. Bentham, Jeremy, An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, 1907; Mill, John Stuart, Utilitarianism, Liberty & Representative Government, Nachdruck, 1925. Einige moderne Utilitaristinnen, die von wohlfahrtsorientierten ökonomischen Theorien beeinflusst sind, stellen auf eine objektive Bestimmung von persönlichen Ziele ab, die ein wertvolles Leben ausmachen sollen. Brink, David O., Moral Realism and the Founda­tion of Ethics, 1989. Dies impliziert jedoch die Existenz eines Bewertungsstandards für die Qualität eines Lebens, der von den Subjekten nicht geteilt werden mag. Scarre, Geoffrey, Utilitarism, in: Chadwick, Ruth (Hrsg.), Encyclopedia of Applied Ethics S-Z, 4, 1998; N ­ asher, Jack, Die Moral des Glücks – Eine Einführung in den Utilitarismus, 2009, S. 23 f. Daher stellen andere auf eine subjektive Bestimmung ab, wonach das höchste Ziel es sei, persönliche Präferenzen zu befriedigen. Sen, Amartya Kumar/Williams, Bernard (Hrsg.), Utilitarianism and Beyond, 1982.

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ausdifferenziert und in Subkategorien unterteilt ist. Eine Ausprägung des regelbasierten Konsequentialismus ist die Deontologie.232 Ein Ansatz, der zwar keine einheitliche moraltheoretische Grundlage bildet, aber als „quasi-grundlegender Ansatz“233 einen sehr großen Einfluss auf den bioethischen Diskurs ausübt, sind die vier principles of biomedical ethics234 von Tom Beauchamp und James Childress; ein Ansatz der auch als principlism bezeichnet wird.235 „Die Prinzipien“ versuchen einige fundamentale und grundlegende moraNach klassischer utilitaristischer Theorie sollte der Gesamtnutzen als Aggregation individueller Nutzen maximiert werden. Traditionell vertreten Utilitaristinnen den universalen Ansatz der doppelten Maximierung: „Das größte Glück der größten Zahl“. Die gleichzeitige Maximierung dieser Ziele bei gegebenen Ressourcenrestriktionen ist jedoch bereits logisch unmöglich. In aller Konsequenz wird von einigen vertreten, dass die Interessen der Mehrheit im Zweifel die Interessen Einzelner in dem Sinne überwiegen, dass Nachteile und wesentliche Opfer um das Glück vieler als moralisch geboten anzusehen sind. Scarre, Geoffrey, Utilitarism, in: Chadwick, Ruth (Hrsg.), Encyclopedia of Applied Ethics S-Z, 1998. 232  Die Deontologie ist eine Pflichtenethik, nach welcher eine Handlung als richtig anzusehen ist, wenn sie in Einklang mit Regeln steht, deren allgemeine Akzeptanz am besten ist. Moralisch richtiges Handeln wird nicht wie bei utilitaristischen Theorien aus der Beobachtung der menschlichen Natur abgeleitet, sondern aus dem was trotz der menschlichen Natur moralisch richtig ist. Hallgarth, Matthew W., Consequentialism and Deontology, in: Chadwick, Ruth (Hrsg.), The Concise Encyclopedia of the Ethics of New Technologies, 2001, S. 81. Dasjenige individuelle Handeln ist moralisch richtig, welches Regeln folgt, welche, würden sie generell akzeptiert und befolgt werden, bessere Konsequenzen hätte als andere Regeln. McNaughton, David, Consequentialism, in: Craig, Edward (Hrsg.), The Shorter Routledge Encyclopedia of Philosophy, 2005. Nach Immanuel Kant sind einige moralische Verpflichtungen gar absolut, ungeachtet ihrer Konsequenzen. Im Gegensatz zu handlungsbasierten konsequentialistischen Theorien, versteht Kant es als a priori mit dem Begriff des Willens eines vernünftigen Wesens verbundenes Gesetz, „dass alle vernünftigen Wesen, ihre Handlungen jederzeit nach solchen Maximen zu beurteilen sind, von denen sie selbst wollen können, dass sie zu allgemeinen Gesetzen dienen sollen“. Dieses Gebot zur Universalierbarkeit, der kategorische Imperativ, soll die erste Bedingung einer moralisch richtigen Handlung sein. Zweite Bedingung ist der praktische Imperativ: „Handle so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest“, da der Mensch als vernünftiges Wesen als Zweck an sich selbst existiert. Als Grund der menschlichen vernünftigen Würde sieht Kant die Autonomie des Willens, welche heißt „nicht anderes zu wählen, also so, dass die Maximen seiner Wahl in demselben Wollen zugleich als allgemeines Gesetz mit begriffen seien“. Daraus folgt als dritter Imperativ, den Willen, die Autonomie, jedes vernünftigen Menschen als einen Willen zu behandeln, welcher allgemeine Gesetze begründet. Kant, Immanuel/Horn, Christoph, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 2007, S. 59 ff., 52, 62, 76 = Weischedel Werksausgabe S. 58 ff., 50, 60, 74. 233  Gillon, Raanan, Bioethics Overview, in: Chadwick, Ruth (Hrsg.), The Concise Encyclopedia of the Ethics of New Technologies, 2001, S. 10. 234  Beauchamp, Tom L./Childress, James F., Principles of Biomedical Ethics, 2009. 235  Søren Holm mutmaßt eingangs in seiner Kritik, dass diese Monographie nicht nur in den USA, sondern weltweit das meistgelesenste bioethische Werk sei und verweist darauf, dass dieser „Principlism“ auch als „Georgetown Mantra“ bezeichnet werde. Holm, Søren,

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lischen Prinzipien zu vier Prinzipien zusammenzufassen, die prima facie innerhalb einer Vielzahl von Theorien akzeptiert werden und die auch Teil einer „allgemeinen Moral“ (common morality) sein sollen.236 Die vier Prinzipien sind: Respekt für Autonomie, das Nicht-Schadens-Prinzip (nonmaleficence) das Prinzip des Wohltuens (beneficence) und Gerechtigkeit.237 Beauchamp und Childress entwickeln jeweils diese vier Prinzipien, die wie sie betonen nicht hierarchisch angeordnet sind und legen aus ihnen resultierende prima-facie-Pflichten dar.238 Wesensmerkmal dieser vier Prinzipien ist, dass sie „mögliche und in der Regel relevante Gesichtspunkte“ darstellen, jedoch nicht absolut gelten, sondern im Einzelfall außer Kraft gesetzt werden können und sollen.239 Neben konsequentialistischen Moraltheorien und dem principlism behaupten sich dazu noch weitere relevante Strömungen240 im bioethischen Diskurs wie (nicht abschließend) die Tugendethik,241 theologische Ethik,242 Kasuistik,243 narrative Ethik,244 Fürsorglichkeitsethik 245 und feministische Ethik 246. Not Just Autonomy – the Principles of American Biomedical Ethics, Journal of Medical Ethics 21 (1995), 332 – 338 [332]. 236  Beauchamp, Tom L./Childress, James F., Principles of Biomedical Ethics, 2009, S.  2 – 25. 237  Beauchamp, Tom L./Childress, James F., Principles of Biomedical Ethics, 2009, S. 99 ff., S. 149 ff., S. 197 ff., S. 240 ff. 238 Aus dem Autonomieprinzip folgen beispielsweise prima-facie-Pflichten, die das Prinzip der „informierten Einwilligung“ garantieren sollen und etwa Aufklärungs- und Beratungspflichten, aber auch Vertraulichkeit oder Aufrichtigkeit umfassen. Aus dem Nicht-Schadens-Prinzip folgt etwa die prima-facie-Pflicht, nicht fahrlässig vom professionellen Versorgungsstandard abzuweichen. 239  In der konkreten Umsetzung heißt dies, dass auch das Autonomieprinzip und somit das Prinzip der informierten Einwilligung nicht Priorität genießt, sondern als gleichberechtigtes Prinzip gegen Formen des Paternalismus als Ausfluss des Wohltuensprinzips oder das Nicht-Schadensprinzip abzuwägen ist (beispielsweise, wenn eine Ärztin einen Eingriff, wie die Amputation einer gesunden Gliedmaße verweigert, obwohl die Patientin dies ausdrücklich fordert). Andererseits ist auch das Wohltuensprinzip, das eng mit utilitaristischen Theorien verbunden ist, nicht als prioritär zu erachten, in der Form, dass das Ziel moralischen Handelns stets die Maximierung des Wohles sein müsste – es muss vor allem mit dem Autonomieprinzip abgewogen werden. Quante, Michael/Vieth, Andreas, Welche Prinzipien braucht die Medizinethik?, in: Düwell, Marcus/Steigleder, Klaus (Hrsg.), Bioethik 2003, S. 136 – 151 [137]. Beauchamp und Childress führen die Prinzipien als pragmatische echte Alternative zu den Prinzipien klassischer Ethikansätze ein. Konsequentialistische ethische Prinzipien seien oft zu abstrakt, um sie in konkreten Problemsituationen anwenden zu können, ebenso wie sie zu praxisfern seien. Die Geltung der Prinzipien ist damit ebenfalls konkret, d. h. an Situationen geknüpft und als Ausfluss einer „common morality“ an historische bzw. kulturelle Kontingenzen gebunden. Quante, Michael/Vieth, Andreas, Welche Prinzipien braucht die Medizinethik?, in: Düwell, Marcus/Steigleder, Klaus (Hrsg.), Bioethik 2003, S. 136 – 151 [144]. Im Gegensatz zu abstrakten Prinzipien, die in einen umfassenden theoretischen und metaphysischen Rahmen eingebettet sind, ist ihre Geltung somit gerade nicht universal. 240  Zur Klassifizierung als „Strömungen“ Spranger, Tade Matthias, Recht und Bioethik, 2010, S. 18 ff.

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Je nachdem welche Moraltheorie oder Strömung jedoch zugrundegelegt wird, hat dies unmittelbare Auswirkungen auf die Bewertung und Konturierung der 241 242 243 244 .245

241  Das entscheidende Kennzeichen tugendethischer Ansätze besteht darin, dass nicht die Handlungen oder Unterlassungen moralisch bewertet werden, sondern die handelnde Person als solche mit ihren emotionalen und kognitiven Fähigkeiten, Haltungen, Dispositionen oder Charaktereigenschaften. Mit Blick auf die Bioethik lenkt die Tugendethik den Fokus vor allem auf die Klugheit, Urteilskraft, Gerechtigkeit, Integrität, Tapferkeit, Selbstlosigkeit, Gewissenhaftigkeit und das Mitleid von Ärztinnen, Krankenpflegerinnen und anderen in der medizinischen Praxis tätigen Personen und somit auf die Verantwortungsträgerinnen im Bereich der Medizin, deren Kompetenenz und Befähigungen thematisiert werden. Zimmermann-Acklin, Markus, in: Düwell, Marcus/Steigleder, Klaus (Hrsg.), Bioethik 2003, S. 200 – 210 [200]. Die reine Tugendethik ist allerdings zirkulär in ihrer Logik, da die Ärztin, die in einer schwierigen Situation tugendhaft sein möchte und nach der moralisch richtigen Handlungsmöglichkeit sucht, darauf zurückkommen würde, dass die moralisch richtige Alternative diejenige wäre, die eine tugendhafte Ärztin wählen würde. Pellegrino, Edmund D., Bioethics at Century‘s Turn: Can Normative Ethics be Retrieved?, Journal of Medicine and Philosophy 25 (2000), 655 – 675 [663 f.]. 242  Viele bioethische Themen waren auch klassischerweise Teil religiös fundierter Ethik (und Dogmatik); in Europa und den USA vor allem christlicher Ethik. Der Einfluss hält sich auch weiterhin, trotz Aufklärung und Säkularisierungsbewegungen. Spranger, Tade Matthias, Recht und Bioethik, 2010, S. 22. Die theologische Ethik kann indes durch rigide Doktrinen, die unverrückbar in fanatischer und fantastischer Weise verteidigt werden, pluralistischen Gesellschaften nicht gerecht werden. 243  Kennzeichen kasuistischer Ansätze ist, dass nicht von einer moralphilosophischen Theorie, die es zu erarbeiten gilt, auf einzelne Fälle geschlossen wird, sondern, dass von vornherein der Einzelfall ausschlaggebend ist, dessen Lösung das Ziel ist. Schwierige Fälle sind demnach anhand des Vergleichs mit ähnlich gelagerten unstrittigen Konstellationen zu lösen. Steigleder, Klaus, Kasuistische Ansätze in der Bioethik, in: Düwell, Marcus/ Steigleder, Klaus (Hrsg.), Bioethik 2003, S. 152 – 167 [152]. Prominentester Vertreter in der Bioethik ist Albert Jonsen, dessen Kritik als eine Kritik an der Möglichkeit und Wünschbarkeit einer breiten einheitlichen normativen Theorie zu verstehen ist, die er für den kasuistischen Ansatz nicht braucht. Jonsen, Albert R., Casuistry as Methodology in Clinical Ethics, Theoretical Medicine and Bioethics 12 (1991), 295 – 307; Jonsen, Albert R., Casuistry and Clinical Ethics, Theoretical Medicine and Bioethics 7 (1986), 65 – 74; Steigleder, Klaus, Kasuistische Ansätze in der Bioethik, in: Düwell, Marcus/Steigleder, Klaus (Hrsg.), Bioethik 2003, S. 152 – 167 [153]. 244  Narrative Ansätze legen ihren Fokus auf die erzählende Reflexion einer Geschichte eines bestimmten Falles, welcher wiederum sehr spezifisch an sich und spezifisch kulturell gebunden ist. Gillon, Raanan, Bioethics Overview, in: Chadwick, Ruth (Hrsg.), The Concise Encyclopedia of the Ethics of New Technologies, 2001, S. 11. Wie die Tugendethik erachtet der narrative Ansatz den Rekurs auf Prinzipienethiken und Verfahrensethiken als ungenügend; entsprechend ist die Kasuistik ein Ort der Narrativität. Lesch, Walter, Narrative Ansätze in der Bioethik, in: Düwell, Marcus/Steigleder, Klaus (Hrsg.), Bioethik 2003, S. 184 – 199 [184, 191]. 245  Die Fürsorglichkeitsethik („care ethics“) wie sie in der Bioethik vertreten wird, geht vor allem auf Carol Gilligan zurück, nach welcher aus einer Fürsorglichkeitsperspektive („care perspective“) zentrale moralische Bedenken solche seien, nicht zu verletzen, zu verlassen, zu isolieren, zu entfremden oder „im Stich zu lassen“. Für die Bioethik und vor allem

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praktischen Fragen. Dies zeigt sich etwa darin, wie viel Relevanz der Autonomie von Versuchspersonen beigemessen wird und wie sie begründet wird. Nach utilitaristischer Theorie könnte beispielsweise argumentiert werden, dass es allein ausschlaggebend ist, dass ein vielversprechendes Arzneimittel an Personen getestet wird, ohne dass es auf deren Einwilligung ankäme, gleichermaßen, dass es aber dem Ziel viele Personen schnell zu rekrutieren, die sich compliant verhalten sehr viel zuträglicher ist, eine Teilnahme zur freien Entscheidung zu stellen.247 Auf die Motivation käme es gerade nicht an. Nach deontologischer kantianischer Theorie wäre es indes mit der Menschenwürde nicht vereinbar, Versuchspersonen als bloße Mittel zum Zweck des Versuchs zu erachten. Nach anderen Ansätzen wie 246

Medizinethik bedeutet dies vor allem den Fokus auf die Erbringerinnen von Gesundheitsleistungen zu legen und deren Pflichten gegenüber den Patientinnen, aber auch eine beziehungsorientiertere Perspektive einzunehmen in dem Sinne, dass ein größeres Augenmerk auf die Auswirkungen moralischer Entscheidungen auf die verschiedenen Beziehungen der Personen gelegt werden muss. Die Einnahme einer Fürsorglichkeitsperspektive ist von Carol Gilligan vor allem Frauen und Mädchen zugesprochen worden, womit eine „weibliche“ Ethik beschrieben werde, die in einer Wechselbeziehung mit einer feministischen Ethik stehen soll. Von feministischer Seite stammt jedoch gleichsam die größte Kritik nämlich, dass eine solche „weibliche Ethik“ die feministische Ethik unterlaufe, indem traditionelle weibliche Geschlechterrollen weiter zementiert werden. Gilligan, Carol nach Jecker, Nancy S./Reich, Warren Thomas, Care, in: Post, Stephen G. (Hrsg.), Encyclopedia of Bioethics A-C, 3. Aufl., 1. Band, 2004, S. 367. 246  Feministische Bioethik ist der für den spezifischen Bereich bedeutsame Teil feministischer Ethik, die eine ethisch fundierte Kritik an Handlungen, Praktiken, Systemen, Strukturen und Ideologien ausübt, welche die Subordination von Frauen perpetuieren. Ziel feministischer Ethik ist es, Ursachen der Unterordnung und Benachteiligung von Frauen, etwa wirtschaftlicher, sozialer oder kultureller Art zu verhindern bzw. zu beheben und Alternativen zur gegenwärtigen Ordnung zu entwickeln, um den bestehenden Sexismus, Rassismus, aber auch Ethnozentrismus zu überwinden. Die Ansätze innerhalb feministischer Ethik sind vielfältig; im Grundsatz beschäftigen sich diese mit zweien nur scheinbar divergierenden Ansprüchen: der Gleichheit von Frauen hinsichtlich ihrer Rechte und Möglichkeiten, ein selbst gewähltes Leben zu führen und der Differenz von Frauen hinsichtlich biologischer Art, aber auch hinsichtlich sozialer Zuschreibungen wie sie innerhalb von Gesellschaften oder interkulturell (vor allem westlich/nicht-westlich) gegeben sind. Haker, Hille, Feministische Bioethik, in: Düwell, Marcus/Steigleder, Klaus (Hrsg.), Bioethik 2003, S. 168 – 183 [168]. Es ist daher nicht möglich den feministischen Ansatz zu benennen. Ein neuer Ansatz ist der einer feministischen Gerechtigkeitsethik, die verschiedenen sozialen wie auch kulturellen Kontexten der Gerechtigkeit Rechnung zu tragen versucht. Haker, Hille, Feministische Bioethik, in: Düwell, Marcus/Steigleder, Klaus (Hrsg.), Bioethik 2003, S. 168 – 183 [176 f.]. In der Anwendung besteht darüber hinaus eine Vielzahl normativer Standards, die im Sinne „der Frauen“ gefordert werden, die sich oftmals jedoch diametral gegenüberstehen, die sich in der politischen Fragmentierung unter Feministinnen zeigt und es schwierig macht im konkreten Fall einen konkreten feministischen Ansatz durchzusetzen. Tong, Rosemarie, Feminist Ethics, in: Chadwick, Ruth (Hrsg.), The Concise Encyclopedia of the Ethics of New Technologies, 2001. 247  Levine, Robert J., Informed Consent, in: Post, Stephen G. (Hrsg.), Encyclopedia of Bioethics I-M, 2004, S. 1281.

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etwa der Tugendethik käme es auf die Versuchspersonen nur mittelbar an, da auf die tugendhaft handelnde Ärztin abgestellt würde, die in ihrer Tugendhaftigkeit die Freiwilligkeit und Aufgeklärtheit der Versuchsperson ggf. befürworten würde. Nach kasuistischen oder narrativen Ansätzen, ließe sich eine Antwort nur in der konkreten Situation anhand des Vergleich vieler ähnlicher Situationen beantworten. Ein theologischer Ansatz, eine Fürsorglichkeitsethik oder feministische Ethik kämen wiederum zu unterschiedlichen Ergebnissen. Die verschiedenen Streitpunkte in der Arzneimittelforschung in Entwicklungsländern sind durch Uneinigkeiten über Tatsachen bedingt,248 aber auch durch implizit untergelegte Annahmen ethischer Theorien und Grundlagenstreitigkeiten, etwa wenn die Autonomie oder Menschenwürde in Frage steht oder das Verhältnis der Einzelnen gegenüber dem Gemeinwohl. Angesichts vieler divergierender Theorien und Ansätze ist es daher auch nicht möglich, sich auf einen Konsens zurückzuziehen. Dies mag auch ein Grund sein, weshalb der derzeit vielleicht populärste Ansatz, der des principlism (die Vier Prinzipien) ist, welcher im Grunde keine Moraltheorie darstellt, sondern ein – relativ flexibles – Konzept, das wie Danner Clouser und Bernard Gert kritisieren im besten Fall als Checkliste fundiert, die alle wesentlichen Aspekte in einer moralischen Konfliktsituation aufzählt und im schlechtesten Fall „die moralische Argumentation verdunkelt und verwirrt“.249 Aufgrund des eklektischen und unsystematischen Ansatzes bleibt im Zweifel im Unklaren, weshalb Nichtübereinstimmungen und Widersprüche bestehen, was eine einheitliche Moraltheorie ansonsten über die Anzeige von Priorisierungen und Abwägungen aufzuzeigen vermag.250 Wesentliche ethische Streitpunkte, die bezüglich der Arzneimittelforschung in Entwicklungsländern bestehen, sind aufgrund der zugrunde liegenden moralischen Grundstreitigkeiten und daher nicht in Einklang zu bringenden Priorisierungen von Grundannehmen und Axiomen im ethischen Diskurs, nicht durch bloße Argumentation aufzulösen. Darüber hinaus zeichnet sich der Diskurs dadurch aus, dass Streitigkeiten über Sachargumente und Tatsachen bestehen.

248  Etwa die Aussagekraft von allein aktiv-kontrollierten Versuchen oder das tatsächliche Verständnis das formal ungebildete Personen von wissenschaftlichen Konzepten haben können. 249  Clouser, K. Danner/Gert, Bernard, A Critique of Principlism, Journal of Medicine & Philosophie 15 (1990), 219 – 236 [220]. Anderer Ansicht etwa Lustig, B. Andrew, The Method of ,Principlism‘: A Critique of the Critique, Journal of Medicine & Philosophie 17 (1992), 487 – 510; Überblick bei Davis, Richard B., The Principlism Debate: A Critical Overview, Journal of Medicine & Philosophie 20 (1995), 85 – 105. 250  Clouser, K. Danner/Gert, Bernard, A Critique of Principlism, Journal of Medicine & Philosophie 15 (1990), 219 – 236, [223].

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II.  Ethikguidelines als Konsolidierungsinstrumente Einen umfassenden Konsens hinsichtlich der Frage, wie Versuche in Entwicklungsländern ausgestaltet bzw. ob solche überhaupt durchgeführt werden sollten, scheint innerhalb des ethischen Diskurses damit nicht erzielbar. Es bestünden ansonsten nicht weiterhin so viele Streitpunkte. Allerdings nehmen die nationalen rechtlichen Bestimmungen in der EU und den USA zur Ausgestaltung von klinischen Prüfungen wie dargelegt Bezug auf „ethische Prinzipien“ und „ethische Grundsätze“ und Art. 1 Abs. 2 der RL 2001/20/EG beruft sich beispielsweise auf „einen Katalog international anerkannter ethischer [und wissenschaftlicher] Qualitätsanforderungen“. Diese Rechtsnormen nehmen Rekurs auf bestimmte Ethikguidelines. Diese scheinen den Gesetzgebern, einen „internationalen ethischen Standard“ zu deklarieren. So bilden bestimmte Guidelines möglicherweise ein Kondensat, das zumindest eine mehrheitsfähige Handlungsanweisung darstellt. Ob dem tatsächlich so ist, wird in weiteren Teilen dieser Arbeit eine Frage sein. III.  Wesentliche Ethikguidelines Zunächst sollen die Guidelines, die den „internationalen ethischen Standard“ zu deklarieren scheinen, identifiziert und kurz vorgestellt werden. Es gibt international eine große Vielzahl von Guidelines, die global regulative Mechanismen der Forschung an Menschen darstellen.251 Es sind indes drei bestimmte Akteure und deren Guidelines, die im Besonderen hervorzuheben sind: die Deklaration von Helsinki, die Guidelines der ICH sowie die CIOMS-Guidelines, da sie den ethischen wie öffentlichen Diskurs bestimmen und vom betrachteten Recht unmittelbar oder mittelbar referenziert werden.252 251  Die International Compilation of Human Research Standard von 2012, die durch das Office of Human Research Protection des US Department of Health and Human Services veröffentlicht wurde, zählt mehr als 1.000 Gesetze, Regulierungen und Guidelines aus über 103 Ländern sowie von internationalen Organisationen auf und klammert dabei noch die meisten privaten und hybriden Normtexte aus. http://www.hhs.gov/ohrp/international/intlcompilation/intlcompil2012.doc. 252  Der erwähnte Streit innerhalb des New England Journal of Medicine, welche Position hinsichtlich Versuchen in Entwicklungsländern eingenommen und welcher Standard bei solchen Versuchen verfolgt werden sollte, erfolgte nicht zuletzt entlang der Bestimmungen der Deklaration von Helsinki. Angell, Marcia, The Ethics of Clinical Research in the Third World, New England Journal of Medicine 337 (1997), 847 – 849. Leserbriefe namhafter Forscherinnen in Antwort auf Angells Editorial Gray, Ronald H./Quinn, Thomas C./Serwadda, David/Sewankambo, Nelson K./Wabwire-Mangen, Fred, et al., The Ethics of Research in Developing Countries, New England Journal of Medicine 343 (2000), 361 – 362; Mullings, Anthony M.A., To the Editor, New England Journal of Medicine 343 (2000), 362; Greco, Dirceu B., To the Editor, New England Journal of Medicine 343 (2000), 362. Überblick über Positionen Bayer, Ronald, The Debate over Maternal-Fetal HIV Transmission Prevention Trials in Africa, Asia, and the Caribbean: Racist Exploitation or Exploitation of Racism?, American Journal of Public Health 88 (1998), 567 – 570.

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1.  Der Weltärztebund als private Berufsorganisation und die Deklaration von Helsinki Der Weltärztebund (World Medical Association, WMA) ist ein Verbund nationaler Ärztekammern mit 111 Mitgliedern Stand 2015.253 Deutsches Mitglied ist die Bundesärztekammer; US-amerikanisches die American Medical Association.254 Konstitutive Mitglieder sind die Ärztekammern, wobei nur eine Kammer pro Land mitgliedsfähig ist.255 Einzelne Ärztinnen haben die Möglichkeit einer assoziierten Mitgliedschaft, aber kein Stimmrecht. Nach einem Treffen im Jahr 1946 ist 1947 die WMA von Repräsentantinnen 32 nationaler Ärztekammern ins Leben gerufen worden.256 Das erste Treffen fand 1947 nur einen Monat nach den Urteilsverkündungen im Nürnberger Ärzteprozess statt und die gesamte Anfangszeit stand im Zeichen der von deutschen Ärztinnen begangenen Verbrechen während der Nazi-Herrschaft.257 In dieser Erinnerung ist 253  Nach Section 1 der Articles and Bylaws of the World Medical Association kann eine Ärztekammer der WMA beitreten, wenn sie repräsentativ für die Ärztinnen des Landes, regierungsunabhängig und nur Ärztinnen und Medizinstudentinnen zugängig ist (die Mitgliedschaft von Zahnärztinnen ist jedoch unschädlich, solange keine separate Zahnärztekammer existiert und diese von Abstimmungen die WMA betreffend ausgeschlossen werden). Die Articles and Bylaws sind wie die meisten regulierenden Dokumente der WMA nicht allgemein öffentlich zugänglich und nur bedingt auf Nachfrage zugänglich http:// www.wma.net/en/contact/index.html. Die hier zitierten regulierenden Dokumente der WMA sind durch persönliche Teilnahme an der General Assembly 2009 erlangt worden. Abstimmungsergebnisse und sonstige Dokument scheinen ansonsten weder Journalistinnen noch Wissenschaftlerinnen auf Nachfrage zugänglich. 254  Sowie Kammern weiterer 23 EU Mitgliedstaaten u. a. Großbritannien und Frankreich; ebenso Japan. 255  Als Land ist nach Section 1 D im Sinne der Articles and Bylaws of the WMA eine (Teil-) Rechtsordnung zu verstehen („customs territory“) innerhalb welcher die bestimmte Regulierungsbehörde exklusiv über die Approbation praktizierender Ärztinnen entscheidet; so sind etwa die Kammern Hong Kongs und Chinas jeweils eigenständige Mitglieder. 256  Zu den Hintergründen der Gründung der WMA: Lederer, Susan E., Research with­ out Borders, The Origins of the Declaration of Helsinki, in: Schmidt, Ulf/Frewer, Andreas (Hrsg.), History and Theory of Human Experimentation, 2007, S. 145 – 164. 257  Die Ärztekammern Deutschlands und Japans waren nicht geladen, der WMA beizutreten bis diese sich von den Verbrechen deutscher bzw. japanischer Ärztinnen während des zweiten Weltkrieges distanzierten. Eine Aufnahme beider folgte 1951. Eine der ersten Maßnahmen der WMA war die Verabschiedung eines neuen Gelöbnisses während der zweiten Generalversammlung 1948, das den als nicht zeitgemäß empfundenen Hippokratischen Eid ersetzen sollte. Das Genfer-Gelöbnis wurde 1949 vom Deutschen Ärztetag adoptiert und ist als Teil der Musterberufsordnung (MBO-Ä 1997 zuletzt geändert 2011) der Präambel vorangestellt. Peter, Jürgen, Der Nürnberger Ärzteprozeß im Spiegel seiner Aufarbeitung anhand der drei Dokumentensammlungen von Alexander Mitscherlich und Fred Mielke, 2. Aufl., 1998, S. 229 – 236; World Medical Association, British Medical Journal 1948, Vol. 2 (Ausgabe 4577), S. 605 – 606; zum Hippokratischen Eid vgl. Steger, Florian, Das Erbe des Hippokrates – Medizinethische Konflikte und ihre Wurzeln, 2008,

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1949 ein international code of medical ethics verabschiedet worden, der allgemeine ärztliche Pflichten, Pflichten gegenüber Patientinnen und gegenüber Kolleginnen und das Genfer Gelöbnis enthält. Dieser Code allein war jedoch unzureichend, um wesentliche Aspekte von Menschenversuchen und vor allem auch Arzneimittelversuche zu erfassen. Daher ist in den 1950er Jahren die Frage nach einem Schutz von menschlichen Versuchspersonen in wissenschaftlichen Experimenten auf die Agenda der WMA gesetzt worden. Die Deklaration von Helsinki ist schließlich 1964 von der 18. Generalversammlung der WMA als erstes internationales Regelwerk Versuche an Menschen betreffend beschlossen worden. Unter den die Forschung an Menschen betreffenden internationalen Guidelines, Deklarationen, Empfehlungen und dergleichen, die von Privaten erarbeitet worden sind, ist die Deklaration von Helsinki der WMA eine der bedeutendsten.258 Wie bemerkt hat sie einen ganz wesentlichen Einfluss auf die internationale wie nationale Rechtsetzung gehabt und wirkt autoritär als Berufsmoral von Ärztinnen (durch Rezeption in nationales Recht mitunter auch rechtlich verbindlich als Berufsrecht). Als eine der ersten normativen Kodifikationen ethischer Verhaltensweisen in der Forschung an Menschen hat sie im Laufe der Jahrzehnte ihres Bestehens die Forschungsethik mitgeformt. Sie selbst erhebt den fragwürdigen Anspruch „first among equals“259 in dem Sinne zu sein, dass „keine nationalen oder internationalen ethischen, rechtlichen oder behördlichen Anforderungen, die in dieser Deklaration niedergelegten Bestimmungen zum Schutz von Versuchspersonen abschwächen oder aufheben“

sollen.260 Die Deklaration ist jedoch weder völkerrechtlich verbindlich noch stellt sie, wie noch darzulegen, soft law dar.

S. 30 – 39, mit dem Eid in einer Übersetzung von K. Deichgräber (1955). Das Genfer Gelöbnis ist demnach um eine Anrufung von Apollon, Asklepios, Hygieia, Panakeia und allen (anderen) Göttinnen „bereinigt“ ebenso um eine strikte Ablehnung der Chirurgie, Euthanasie und Abtreibung und der Anerkennung des Status von Sklavinnen im Gegensatz zu Freien. Stattdessen enthält es das Versprechen, bei der Ausübung der ärztlichen Pflichten keinen Unterschied weder nach Religion, Nationalität, Rasse noch nach Parteizugehörigkeit oder sozialer Stellung zu machen; statt auf eine Gottheit erfolgt der Schwur auf die eigene Ehre. 258  Nach einer Erhebung von Fluss bestanden im Jahr 2000 über 186 seit 1947 verabschiedete verschiedene Bioethik betreffende internationale Guidelines, Deklarationen, Empfehlungen und der weiteren von 36 Nicht-Regierungsorganisationen. Etwa ein Fünftel dieser Dokumente behandeln menschliche Versuche. Fluss, Sev nach Tröhler, Ulrich, The Long Road of Moral Concern: Doctor’s Ethos and Statute Law Relating to Human Research in Europe, in: Schmidt, Ulf/Frewer, Andreas (Hrsg.), History and Theory of Human Experimentation, 2007, S.  27 – 54 [35 – 37]. 259  Schmidt, Harald, The 2008 Declaration of Helsinki – First among Equals in Research Ethics?, Journal of Law, Medicine & Ethics 38 (2010), 143 – 148. 260  Prinzip Nr. 10 der Deklaration von Helsinki 2008.

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2.  Öffentlich-Private Partnerschaften Nicht nur auf nationaler Ebene finden sich immer mehr Kooperationen der öffentlichen Verwaltung und Privatwirtschaft und/oder Zivilgesellschaft. Auch auf internationaler Ebene in 261 und außerhalb262 des UN-Systems werden solche Kooperationen häufiger. In seinem Bericht „Enhanced cooperation between the United Nations and all relevant partners, in particular the private sector“ definiert der Generalsekretär [public-private] partnerships in grundsätzlichen Zügen als „voluntary and collaborative relationships between various parties, both State and non-State, in which all participants agree to work together to achieve a common purpose or undertake a specific task and to share risks and responsibilities, resources and benefits.“263

Für die Benennung von public-private-partnerships (PPP) im internationalen öffentlichen Gesundheitswesen verwendet kann die sehr weite Begriffsbestimmung herangezogen werden: „long-term collaborative arrangements among a group of diverse stakeholders, some of which of a public nature (e.g. governmental agencies and intergovernmental organizations) and others of a private nature (e.g. non-governmental organizations, private commercial companies, research institutes, professional associations etc.) to jointly pursue a discreet public health goal.“264

Als solche PPP kann die International Conference on Harmonisation of Technical Requirements for Registration of Pharmaceuticals for Human Use (ICH) als langfristig eingerichtete institutionalisierte Kooperation zwischen Regierungen und Arzneimittelregulierungsbehörden einerseits sowie Interessenverbänden der privaten pharmazeutischen Industrie, zur Erreichung größerer Harmonisierung in der Auslegung und Anwendung von technischen Guidelines und Voraussetzungen für die Zulassung von Arzneimitteln, zur Reduzierung von Versuchen und Vermeidung von Wiederholungen solcher,265 begriffen werden.266 261  Beispiele innerhalb der UN sind der Global Compact von 2002 und die Information and Communication Technologies Task Force von 2001. 262  Zu PPPs auf internationaler Ebene im Sport: Casini, Lorenzo, Global Hybrid Public-Private Bodies: The World Anti-Doping Agency (WADA), International Organizations Law Review 6 (2009), 421 – 446. 263 Report of the Secretary-General, Enhanced cooperation between the United Nations and all relevant partners, in particular the private sector, UN Dok. A/60/214 vom 10. 08. 2005, Rn.  8. 264  Burci, Gian Luca, Public/Private Partnerships in the Public Health Sector, Interna­ tional Organizations Law Review 6 (2009), 359 – 382 [361]. 265  So das Statement des auf der ersten Konferenz eingerichteten Steering Committees der ICH D’Arcy, Patrick F./Harron, Dean W. G. (Hrsg.), Proceedings of The First Interna­ tional Conference on Harmonisation Brussels 1991, 1992, S. XXV. 266  Die ICH ist weder auf Grundlage eines Staatenvertrages gegründet worden (Möllers, Christoph, Transnationale Behördenkooperation, ZaöRV 65 (2005), 351 – 389 [371]; Klabbers, Jan, An Introduction to International Institutional Law, 2002, S. 23 ff., 52 ff.), noch

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a)  International Conference on Harmonisation of Technical Requirements for Registration of Pharmaceuticals for Human Use Die ICH ist, von EU-Recht abgesehen, die erste nachhaltig erfolgreiche Harmonisierungsbestrebung des Arzneimittelrechts auf internationaler Ebene.267 Auf einer Konferenz der Arzneimittelregulierungsbehörde im Jahr 1989, die von der WHO organisiert worden war, ist von Vertreterinnen der EU, der USA und Japan und der International Federation of Pharmaceutical Manufacturers and Associations (IFPMA) eine Unternehmung zur Harmonisierung von Zulassungsregulierungen angestoßen worden.268 1990 ist zur Vorbereitung ein steering committee eingerichtet worden, das paritätisch aus Vertreterinnen der Europäische Kommission, der European Federation of Pharmaceutical Industries and Associations (EFPIA), des japanischen Ministeriums für Gesundheit, Arbeit und Wohlfart, der Japan Pharmaceutical Manufacturers Association (JPMA), der US Food and Drug Administration (FDA) und der Pharmaceutical Research and Manufacturers of America (PhRMA) bestand. Vertreterinnen der WHO und der Arzneimittelregulierungsbehörden Kanadas und Schwedens (für die Europäische Freihandelsassoziation) saßen als Beobachterinnen bei. 1991 fand die erste International Conference on Harmonisation unter der Gastgeberschaft der Interessenvertretung EFPIA in Brüssel statt. Die ICH wurde 1991 schließlich institutionalisiert. Das Sekretariat der ICH ist bei der IFPMA in Genf angesiedelt und wird von dieser unterhalten.269 Seit 2014 sind die schweizerische Regulierungsbehörde Swissmedic sowie die kanadische Regulierungsbehörde Health Canada vollwertige Mitglieder. auf Grundlage eines rechtlichen Aktes, der dem Völkerrecht unterliegen würde (weitere Definition der International Law Commission, wonach zwar zusätzlich zu Staaten auch Nicht-Staaten Mitglieder internationaler Organisationen sein können und Staaten nicht unbedingt durch ihre Regierungen, sondern durch bestimmte Behörden vertreten sein können. International Law Commission 55th session 05.05.-06.06. und 07.07 – 08. 08. 2003, Responsibility of International Organizations, Art. 2, UN Dok. A/CN.4/L.632 vom 04. 06. 2003; unverändert 2011, International Law Commission 63rd session 26.04.-03.06. und 04.07.12. 08. 2011, Responsibility of International Organizations, Art. 2 lit. a), UN Dok. A/ CN.4/L.778 vom 30. 05. 2011. Siehe auch Schmalenbach, Kirsten, International Organizations or Institutions, General Aspects, in: Wolfrum, Rüdiger (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, online edition [www.mpepil.com], 2008). 267  Purnhagen, Kai P., Kann das europäische Arzneimittelzulassungsverfahren als Modell für eine internationale Harmonisierung dienen?, EuR (2010), 438 – 453 [446]. Vgl. auch bei Purnhagen vorherige bis ins 19. Jahrhundert zurückgehende internationale Harmonisierungsbemühungen S. 444 f.; siehe auch Kanusky, Rosemarie, Pharmaceutical Harmoniza­ tion: Standardizing Regulations among the United States, The European Economic Community, and Japan, Houston Journal of International Law 16 (1994), 665 – 707 [687 ff.]. 268  D’Arcy, Patrick F./Harron, Dean W. G. (Hrsg.), Proceedings of The First International Conference on Harmonisation Brussels 1991, 1992, S. 8. 269 Die Postadresse ist daher auch ICH Secretariat c/o IFPMA, http://www.ich.org/ about/organisation-of-ich/secretariat.html.

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Die ICH ist nicht selbstständig inkorporiert. Das steering committee ist zum maßgeblichen regulierenden Hauptorgan ernannt worden, dessen stimmberechtigte Mitglieder die benannten Vertreterinnen der europäischen, japanischen und US Regulierungsbehörden bzw. Ministerien sowie Industrie-Interessenvertretungen sind. Technische und wissenschaftliche Unterstützung erhält die EU-Kommission durch den Ausschuss für Humanarzneimittel (Committee for Medicinal Products for Human Use, CHMP) der Teil der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) ist. Das japanische Ministerium wird durch die japanische Arzneimittelbehörde Pharmaceuticals and Medical Devises Ageny (PMDA) und dem japanischen National Institute of Health Sciences unterstützt. aa) ICH Harmonised Tripartite Guideline for Good Clinical Practice Durch eine Vielzahl an Guidelines u. a. zur Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit von Arzneimitteln 270 hat die ICH bereits ganz wesentlich zu einer Harmonisierung und damit Vereinfachung und Beschleuning von Zulassungen des gleichen Arzneimittels in verschiedenen Ländern geführt. Entscheidend auch in ethischer Standardsetzung ist die Good Clinical Practice Guideline (GCP-Guideline), die 1996 angenommen wurde und seither wesentlichen Einfluss auf die Gestaltung und das Design von Studien hat.271 bb) ICH Harmonised Tripartite Guideline Choice of Control Group and Related Issues in Clinical Trials Wesentliche ethische Implikationen hat die Wahl der Kontrollgruppen in klinischen Studien. Daher ist an dieser Stelle die Choice of Control Group and Related Issues in Clinical Trials Guideline aus dem Jahr 2000 hervorzuheben.272 Diese Guideline beschreibt, welches Studiendesign welche Nachweise erbringen kann und unter welchen Umständen welche Wahl aus Sicht der ICH ethisch vertretbar ist. b)  Council for Coordination of International Organizations of Medical Sciences und die International Ethical Guidelines for Biomedical Research Involving Human Subjects 1949 einigten sich die UNESCO und die WHO, einen permanenten Rat für die Koordinierung und Planung internationaler medizinischer Kongresse einzurichten, und der Council for Coordination of International Medical Congresses wurde 270  Gesamtübersicht auf dem eigenen Internetauftritt http://www.ich.org/products/guide lines.html. 271 Abrufbar unter : http://www.ich.org/fileadmin/Public_Web_Site/ICH_Products/ Guidelines/Efficacy/E6_R1/Step4/E6_R1__Guideline.pdf. 272 Abrufbar unter : http://www.ich.org/fileadmin/Public_Web_Site/ICH_Products/ Guidelines/Efficacy/E10/Step4/E10_Guideline.pdf.

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Teil 1: Arzneimittelversuche und Globalisierung

als gemeinnützige Nicht-Regierungsorganisation unter gemeinsamer Finanzierung von WHO und UNESCO formal gegründet.273 1952 wurde der Rat in Council for International Organizations of Medical Sciences (CIOMS) umbenannt, um den erweiterten Aufgaben, die bald über die reine Koordinierung hinausgingen, gerecht zu werden und um andere Formen der internationalen Zusammenarbeit in den medizinischen Wissenschaften zu umfassen.274 Seit 1949 steht der Council in offizieller Beziehung zu der WHO.275 Der CIOMS vereinigt im Jahr 2015 15 internationale Nicht-Regierungsorganisationen, die jeweils einen spezifischen Zweig medizinischer Wissenschaft und Praxis repräsentieren.276 Der CIOMS hat darüber hinaus derzeit 13 nationale medizinische oder wissenschaftliche Akademien und Forschungsgesellschaften als Mitglieder.277 20 internationale wie regionale und nationale Assoziationen und Gesellschaften, die verschiedene Bereiche der Biomedizin repräsentieren, sind überdem assoziierte Mitglieder des CIOMS. Die Aufgaben des CIOMS sind nach der Umbenennung dahingehend formuliert worden, die Aktivitäten seiner Mitglieder zu erleichtern und zu koordinieren; als Koordinationszentrum zwischen den internationalen Assoziationen und nationalen Institutionen, die Mitglieder des CIOMS sind, zu fungieren; eine kollaborative Beziehung zu den Vereinigten Nationen und ihren spezialisierten Unterorganisationen insbesondere der UNESCO und WHO zu unterhalten; internationale Aktivitäten auf dem Feld der medizinischen Wissenschaften zu fördern und allgemein den wissenschaftlichen Interessen der internationalen biomedizinischen Gemeinschaft zu dienen.278 Nach 1966 änderte sich die Ausrichtung weg von einer reinen wissenschaftlichen Ausrichtung hin zu einer auf einer weiteren Basis beruhenden multi-disziplinären und international repräsentativeren Plattform, die auf Feldern der Bioethik, Gesundheitspolitik, Arzneimittelentwicklung und medizinischen Ausbildung aktiv wurde.279 273  WHO Resolution WHA 2.5. vom 30. 06. 1949, Off. Rec. World Hlth Org. 21, 19; CIOMS, Organization, Activities, Members 1949 – 1989, 1989, S. 5. 274  CIOMS, Organization, Activities, Members 1949 – 1989, 1989, S. 5 f. 275  § 1 Abs. 1 der WHO Resolution WHA 2.5. vom 30. 06. 1949, Off. Rec. World Hlth Org. 21, 19. 276 Zu den Mitgliedern: http://www.cioms.ch/about/membership/frame_membership. htm. Der Weltärztebund ist ein solches Mitglied. Der CIOMS ist analog zum International Council of Scientific Unions und im Wesentlichen als eine Organisation gegründet worden, die eine Verbindung zwischen den spezialisierten internationalen medizinischen Vereinigungen darstellt. CIOMS, Organization, Activities, Members 1949 – 1989, 1989, S. 6. 277  Deutsches Mitglied ist etwa die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF); für die Schweiz vertreten ist die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW). Die USA oder Japan sind nicht mit einer nationalen Akademie oder Gesellschaft vertreten. 278  CIOMS, Organization, Activities, Members 1949 – 1989, 1989, S. 6. 279  CIOMS, Organization, Activities, Members 1949 – 1989, 1989, S. 6. Vgl. auch http:// www.cioms.ch/about/frame_about.htm.

§ 2  Globalisierte Arzneimittelversuche zwischen nationalem Recht und Ethik

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1979 begannen der CIOMS und die WHO ein gemeinsames Projekt für die Entwicklung von Guidelines über Verfahren der ethischen Überwachung von Forschung an Menschen.280 Das Projekt wurde 1978 gemeinsam vorbereitet und vorgeschlagen und im selben Jahr vom CIOMS executive committee sowie dem advisory committee on medical research, dem Beratungsorgan der WHO, das diese in allen Belangen WHO gesponserter biomedizinischer Forschung berät, befürwortet.281 Nach einer Reihe von Studien in Entwicklungsländern und Industrieländern 282 und einer Reihe von Konferenzen 283 gab der CIOMS in Zusammenarbeit mit der WHO 1982 die International Guidelines for Biomedical Research Involving Human Subjects heraus.284 Diese Guidelines stammen aus den ethischen Prinzipien der Deklaration von Helsinki in der Version von 1975 und intendierten aufzuzeigen, wie diese Prinzipien insbesondere in Entwicklungsländern im Lichte der sozio-ökonomischen Umstände, nationalen Gesetze und administrativen Vorgaben angewandt werden konnten.285 1993 wurden die Guidelines wieder in Zusammenarbeit mit der WHO aktualisiert, um ethische und rechtliche Belange zu erfassen, die aus Forschung resultieren, die vor allem arme Gemeinschaften und insbesondere von HIV und AIDS betroffene Bevölkerungsgruppen umfasst.286 Die Guidelines wurden daraufhin zuletzt 2002 – in Zusammenarbeit mit der WHO – revidiert, um insbesondere Implikationen multinationaler/transnationaler Forschung in ressourcenarmen Staaten zu erfassen.

280  Bankowski, Zbygniew/Dunne, John F., History of the WHO/CIOMS Project for the Development of Guidelines for the Establishment of Ethical Review Procedures for Re­ search Involving Human Subjects, in: Bankowski, Zbigniew/Howard-Jones, N. (Hrsg.), Human Experimentation and Medical Ethics – Proceedings of the XVth CIOMS Round Table Conference, 1982, S. 441 – 452 [441]. 281  Bankowski, Zbygniew/Dunne, John F., History of the WHO/CIOMS Project, in: Bankowski, Zbigniew/Howard-Jones, N. (Hrsg.), Human Experimentation and Medical Ethics – Proceedings of the XVth CIOMS Round Table Conference, 1982, S. 441 – 452 [443]. 282  Zur Methodik und zu Umfrageergebnissen: Bankowski, Zbygniew/Dunne, John F., History of the WHO/CIOMS Project, in: Bankowski, Zbigniew/Howard-Jones, N. (Hrsg.), Human Experimentation and Medical Ethics – Proceedings of the XVth CIOMS Round Table Conference, 1982, S. 441 – 452 [443 ff.]. 283  Siehe vor allem die 15. CIOMS Round Table Conference, in: Bankowski, Zbigniew/ Howard-Jones, N. (Hrsg.), Human Experimentation and Medical Ethics – Proceedings of the XVth CIOMS Round Table Conference, 1982. 284 Epidemologische Studien betreffend gab der CIOMS 1991 eigene International Guide­lines for Ethical Review of Epidemiological Studies heraus. 285  CIOMS, Organization, Activities, Members 1949 – 1989, 1989, S. 10. 286  CIOMS, Organization, Activities, Members 1949 – 1989, 1989, S. 10; Hintergrund der Guidelines: http://www.cioms.ch/publications/guidelines/guidelines_nov_2002_blurb. htm.

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Teil 1: Arzneimittelversuche und Globalisierung

E.  Folgerungen Die Arzneimittelentwicklung, -prüfung und -vermarktung befindet sich im Zentrum verschiedener teils widerstreitender Interessen. Das Hauptaugenmerk staatlicher Regulierungen liegt auf dem Schutz der öffentlichen Gesundheit. Das primäre Interesse liegt damit auf der wissenschaftlichen Aussagekraft und Validität der Ergebnisse. Die regulatorischen Anforderungen an klinische Prüfungen sind daher primär an wissenschaftlich-methodischen Zielen orientiert. Die pharmazeutische Industrie als umsatzstarker Industriezweig, verfolgt ihrerseits das Interesse möglichst schnell und unkompliziert sichere und wirksame und kommerziell aussichtsreiche Arzneimittel zu vermarkten und die notwendigen klinischen Daten entsprechend effizient zu generieren – ein Ziel, das auch von nicht-kommerziellen Forschungseinrichtungen verfolgt wird. Damit stehen grundsätzlich die wirtschaftlichen Partikularinteressen der pharmazeutischen Industrie und das regulatorische Interesse, die öffentliche Gesundheit zu schützen, potentiell in Konflikt mit Probandeninteressen. Zu dem Öffentlichkeitsinteresse ist aus regulatorischer Sicht das Probandeninteresse schließlich erst nachträglich hinzugetreten, welches sich darüber hinaus aus einem anderen – ethischen – Diskurs entwickelt hat. In dieser Konstellation scheinen demnach Grenzen und Anforderungen zum Schutz von Versuchspersonen und zur Verteilungsgerechtigkeit „ethische“ zu sein. Allerdings zeigt sich, dass viele unentschiedene Streitpunkte im ethischen (wie öffentlichen) Diskurs bestehen. In dieser Unentschiedenheit bieten sich einige Ethikguidelines als Leitlinien oder Orientierungslinien an. I.  Einfluss von Ethikguidelines im ethischen Diskurs In der Pluralität von Ansichten und Theorien stellen die benannten Ethikguide­ lines Orientierungspunkte in der Auseinandersetzung dar.287 Historisch bedingt 287  Beispiele in der Literatur: Luna, Florencia, Research in Developing Countries, in: Steinbock, Bonnie (Hrsg.), The Oxford Handbook of Bioethics, 2007, S. 633. Siehe beispielsweise zum Streit über die Revision im Jahr 2000 Brennan, Troyen A., Proposed Revisions to the Declaration of Helsinki – Will they Weaken the Ethical Principles Underlying Human Research?, New England Journal of Medicine 341 (1999), 527 – 530; a. A. Levine, Robert J., The Need to Revise the Declaration of Helsinki, New England Journal of Medicine 341 (1999), 531 – 534; darüber hinaus statt vieler weiterer Jost, Timothy S., The Globalization of Health Law: The Case of Permissibility of Placebo-Based Research, American Journal of Law and Medicine 26 (2000), 175 – 186; Fidler, David P., „Geographical morality“ Revisited: International Relations, International Law, and the Controversy over Placebo-Controlled HIV Clinical Trials in Developing Countries, Harvard International Law Journal 42 (2001), 299 – 354; Bayer, Ronald, The Debate over Maternal-Fetal HIV Transmission Prevention Trials in Africa, Asia, and the Caribbean: Racist Exploitation or Exploitation of Racism?, American Journal of Public Health 88 (1998), 567 – 570; Kent, David M./Mwamburi, D. Mkaya/Bennish, Michael L./Kupelnick, Bruce/Ioannidis, John P.A., Clinical Trials in Sub-Saharan Africa and Established Standards of Care: A Systematic Review of HIV, Tuberculosis, and Malaria Trials, Journal of the American Medical Associ-

§ 2  Globalisierte Arzneimittelversuche zwischen nationalem Recht und Ethik

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wird insbesondere auf die Deklaration von Helsinki Bezug genommen. Sie ist zugleich Orientierung als auch Reibungspunkt. Dadurch hat sie erheblichen Einfluss auf den Diskurs und sei es, dass sich an ihr Kritik orientiert. Aufgrund ihres Vermögens die Richtung des Diskurses mitzubestimmen, werden Änderungen ihrer Bestimmungen auch von wesentlichen Auseinandersetzungen in der Literatur begleitet. Neben der Helsinki Deklaration wird in der Literatur häufig Bezug auf die CIOMS International Ethical Guidelines for Biomedical Research Involving Human Subjects genommen, insoweit Forschung in Entwicklungsländern in Frage steht.288 Deren Prinzipien und Anforderungen werden vielmehr als Autoritäten zitiert, um Schutzstandards und benefit sharing zu begründen. Auf diese wird Rekurs genommen insofern bestimmte ethische Spezifika der Forschung in Entwicklungsländern nicht dezidiert von der Deklaration von Helsinki adressiert werden. Größten unmittelbaren Einfluss auf Gesetzgebung haben die ICH-GCP-Standards, deren Ursprung zwar nicht der ethische Diskurs war, welcher jedoch die Gesetzgebung der wichtigsten Regionen als Datum nehmend, in der Auseinandersetzung nicht ignoriert weren kann.289 II.  Reflexhafte Inklusion von Ethikguidelines Rechtlich ausgestaltete Anforderungen an randomisierte kontrollierte Arzneimittelversuche an Menschen sind erst sehr jungen Datums. Sie wurden in einer Umgebung normiert, in der bis dahin der ethische Diskurs die Deutungshoheit innehatte. Entsprechend sind viele Anleihen zu finden und die rechtlichen Anforderungen, wie sie in der EU und den USA formuliert sind, nehmen in weiten Maßen Rekurs auf ethische Prinzipien. Diese ethischen Prinzipien werden vom rechtlichen ation 292 (2009), 237 – 242. Heinrichs, Bert, Forschung am Menschen 2006, S. 38 ff.; McNeill, Paul M., The Ethics and Politics of Human Experimentation, 1993, S. 42 ff.; Schmidt, Ulf/Frewer, Andreas (Hrsg.), History and Theory of Human Experimentation, 2007; Brody, Baruch A., The Ethics of Biomedical Research, 1998, S. 34 ff.; Manson, Neil C./O’Neill, Onora, Rethinking Informed Consent in Bioethics, 2007, 1 – 24; Jost, Timothy S., The Globalization of Health Law: The Case of Permissibility of Placebo-Based Research, American Journal of Law and Medicine 26 (2000), 175 – 186; Kaan, Terry, The Worth of Consent: The Ethics of Research in a Global Environment, Santa Clara Journal of International Law 5 (2006), 78 – 99; Ballantyne, Angela, Benefits to Research Subjects in International Trials: Do they Reduce Exploitation or Increase Undue Inducement?, Developing World Bioethics 8 (2008), 178 – 191. 288  Lavery, James V., Putting International Research Ethics Guidelines to Work for the Benefit of Developing Countries, Yale Journal of Health Policy, Law, and Ethics 4 (2004), 319 – 336; Di Tillio-Gonzalez, Dannie/Fischbach, Ruth L., Harmonizing Regulations for Biomedical Research: A Critical Analysis of the US and Venezuelan Systems, Developing World Bioethics 8 (2008), 167 – 177. 289  Siehe auch Sprumont, Dominique, Legal Protection of Human Research Subjects in Europe, European Journal of Health Law 6 (1999), 25 – 43.

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Teil 1: Arzneimittelversuche und Globalisierung

Diskurs in bestimmten Ethikguidelines verortet. So rekurriert RL 2001/20/EG auf „international anerkannte ethische Standards“ und verlangt die Beachtung der Deklaration von Helsinki 1996 und betont die Relevanz der GCP-Guidelines der ICH. In diesem Zusammenhang scheinen somit diese Guidelines ein Kondensat eines „international anerkannten ethischen Standards“ zu bilden. In den US-amerikanischen Anforderungen scheint dies zumindest eine implizite Annahme zu sein. Damit ist zumindest ein Verweis auf „die Ethik“ möglich, ohne die unentschiedenen großen Pluralitäten und Uneinigkeiten im ethischen Diskurs offen legen zu müssen oder gar zu adressieren. Gleichermaßen kann in einer Weise auf Normen verwiesen werden, die bereits Autorität besitzen, was eine Absicherung suggeriert. Auf bestimmte ethische Guidelines, insbesondere die Deklaration von Helsinki, scheint eher reflexhaft verwiesen zu werden, um „Vollständigkeit“ des Normenkomplexes zu demonstrieren. Eine solche reflexhafte Inbezugnahme im Unionsrecht und nationalen Recht, die durch ihre Anforderungen an umfassende randomisierte kontrollierte Versuche erst wesentliche Anreize für die Auslagerung klinischer Versuche in Entwicklungsländer setzen, erzeugt jedoch ein insgesamt konfuses Bild. Im Unionsrecht wird nicht zuletzt an unterschiedlichen Stellen auf unterschiedliche Versionen der Deklaration von Helsinki verwiesen. Auch im Detail mögliche und bestehende Kollisionen werden ausgeblendet. Insgesamt scheinen die Normen zum Schutz von Versuchspersonen jeweils immer noch wie nachträglich in die Gesamtsystematik des Arzneimittelrechts eingeschoben. Nicht zuletzt erfolgte die Entwicklung des Versuchspersonenschutzes und der Regulierung des Arzneimittelmarktes in zwei verschiedenen Diskursen. Ebenso erscheinen die ethischen Anforderungen der GCP-Guideline, die von Unions- und US-Recht umgesetzt wurden, wie noch zu zeigen, eher als Annex einer umfassenden Normierung von Arzneimittelprüfungen. An Stellen des Rechts, an denen ein Passus zur Einschränkung von Versuchsfreiheiten zum Schutz von Versuchspersonen angebracht zu sein scheint,290 weil dies im ethischen Diskurs kontrovers diskutiert und gefordert wird, scheint in einem reflexhaften Verweis auf die Normen der Deklaration von Helsinki die Lösung gesucht zu werden. Dies ist ebenso sichtbar in Diskussionen wie sie die EMA führt, welche spezifische Arzneimittelversuche in Entwicklungsländern durch einen Rekurs auf die CIOMSGuide­lines zu normieren versucht. Die Argumentation erfolgt auf Grundlage der CIOMS-Guidelines. Die Natur dieser Ethikguidelines wird im zweiten Teil zu erörtern sein. Jedenfalls bleibt hier festzuhalten, dass die Inklusion bzw. der Rekurs auf Ethikguidelines wie die Deklaration von Helsinki und die ICH-GCP-Guideline suggerierten, diese seien deklaratorisch für einen internationalen Konsens ethischer Versuche an Menschen und der Rekurs auf die CIOMS-Guidelines lässt einen internationalen Konsens vermuten, wie Versuche in Entwicklungsländern durchzuführen sind. 290  Wie etwa der Einschub im Annex Teil I Nr. 5. 2. 5.1der RL 2001/83/EG zum Studiendesign, der Ausnahmen von der Regel der „kontrollierten klinischen Prüfung“ aus „ethischen Erwägungen“ und Erwägungen „aus dem therapeutischen Bereich“ vorsieht.

§ 2  Globalisierte Arzneimittelversuche zwischen nationalem Recht und Ethik

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Allein das Fortbestehen wesentlicher ethischer Streitpunkte, entlang und auch entgegen dieser Guidelines, die nicht nur Mindermeinungen darstellen, legt die Schwierigkeit einer solchen These nahe, zumal sie, wie noch zu zeigen, sie sich in Detailfragen mitunter widersprechen. III.  Weitere Fragestellung Es geht damit um die Frage, wie der Einfluss dieser hervorgehobenen Ethikguide­ lines zu bewerten ist. Das heißt, es geht darum, den tatsächlichen normativen Einfluss der Ethikguidelines zu erörtern und die Natur der Ethikguidelines aus rechtswissenschaftlicher Perspektive zu ermessen. Denn die entscheidende Frage, die sich hieraus stellt ist diejenige, wer letztlich durch diese Guidelines die Normen bestimmt, an denen sich international die Akteure der klinischen Arzneimittelforschung orientieren und die sie befolgen. Mit Einfluss auf die Gesetzgebung sind die Normen dieser Ethikguidelines schließlich unter Umständen einklagbar und durch staatliche Gewalt geschützt. Es bedarf damit einer Prüfung, ob die Art in der reflexhaft auf „ethische Anforderungen“ dieser verschiedenen Ethikguidelines Bezug genommen wird überhaupt zu sinnvollen Handlungsanweisungen führt und insbesondere, ob die Normierung durch diese aus legitimatorischer Sicht zulässig ist. Diese Auseinandersetzung mit den herausgestellten Ethikguidelines erfolgt im zweiten Teil.

Teil 2

Arzneimittelversuche und Ethikguidelines Teil 2: Arzneimittelversuche und Ethikguidelines

§ 3  Ethikguidelines als funktionale Äquivalente internationaler öffentlicher Gewalt § 3  Ethikguidelines als funktionale Äquivalente internationaler Gewalt

A.  Ethikguidelines als weiches Recht? § 2 identifizierte Akteure und Ethikguidelines, die in ihrer Gestaltungskraft unwiderstehlich sind oder zumindest unwiderstehlich erscheinen, dass auch der europäische sowie US-amerikanische Gesetzgeber nicht widerstehen können, auf sie zu rekurrieren. Um ihre normative Phänomenologie zu charakterisieren, werden Ethikguidelines wie die Deklaration von Helsinki nicht selten als weiches Rechts bezeichnet.1 Mit der Diskussion um ihre Eigenschaft als soft law scheint dabei auch die Frage verbunden zu sein, ob sie – in einem rechtstheoretischen, nicht dogmatischen Art. 38 IGH Statut-Sinne – als Quelle des Völkerrechts gelten kann. Dies wäre ein erster Versuch, dieses normative Phänomen einzuordnen. I.  Begriffsbestimmung Soft Law Die rechtstheoretische Begründung des Phänomens des soft laws ist höchst umstritten.2 Nichtsdestotrotz ist es ein anerkanntes Konzept, mit dem das Phänomen 1  So vor allem Peters, Anne/Bürkli, Peter, Recht der Forschung am Menschen – Normgenese im Kontext von Soft Law, internationalen Abkommen und Gesetz, Zeitschrift für Schweizerisches Recht (2010), 367 – 389. 2 Unter den Prämissen eines Voluntarismus und einer ideologischen Neutralität des Rechts wird etwa von Prosper Weil das Konzept einer relativen Normativität klar abgelehnt. Die Konzeption einer relativen Normativität sei ein pathologisches Phänomen, welches nicht nur intellektuell nicht zu greifen sei, sondern durch die Integration von Resolutionen (der UN) in das normative System zu einer Aufhebung der Unterscheidung von Recht und Nicht-Recht und zu einer Erosion des „harten“ Rechts an sich führe. Weil, Prosper, Towards Relative Normativity in International Law?, American Journal of International Law 77 (1983), 413 – 442. Georg Schwarzenberger konstatiert das Experiment einer Postulierung angeblicher Rechtspflichten, die aus den eigentlich unverbindlichen Resolutionen der Generalversammlung erwachsen sollen, fördere die Wucherung eines „Para-Völkerrechts“ mit negativen Wirkungen für die Glaubwürdigkeit des gesamten Völkerrechts. Schwarzenberg, Georg, Die Glaubwürdigkeit des Völkerrechts, in: Diez, Emanuel/Monnier, Jean/Müller, J. P./Reimann, Heinrich B./Wildhaber, Luzius (Hrsg.), Festschrift für Rudolf Bindschedler, 1980, S.  91 – 102 [99].

§ 3  Ethikguidelines als funktionale Äquivalente internationaler Gewalt

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einer relativen Normativität, eines normativen Kontinuums von Recht zu NichtRecht eingeordnet werden kann.3 Die Notwendigkeit einer Anerkennung ist einer Jan Klabbers proklamiert unter Annahme einer strengen Dichotomie von Recht und Nicht-Recht eine Redundanz des Soft Laws, da eine Soft-Law-Verletzung keine Soft-LawFolge nach sich ziehe, sondern es auf der Folgenseite nur eine „harte“ Verantwortung bzw. Sanktion oder eben keine Verantwortung bzw. Sanktion geben könne. Ohne die Möglichkeit eine Differenzierung bieten zu können, verliere das Soft Law jedoch seine Existenzberechtigung. Klabbers, Jan, The Redundancy of Soft Law, Nordic Journal of International Law 65 (1996), 167 – 182; Klabbers, Jan, The Undesirability of Soft Law, Nordic Journal of International Law 67 (1998), 381 – 391. Das weite Meinungsspektrum ist nicht zuletzt durch die verschiedenen rechtstheoretischen Ansätze bedingt, bei welchem vor allem die klassische, positivistische, europäisch geprägte Völkerrechtsbegründung mit aus dem angloamerikanischen Rechtskreis herrührenden Policy-Ansätzen aufeinanderstoßen. Siehe für eine Gegenüberstellung des „rule approaches“ und des „policy approaches“: Koskenniemi, Martti, The Politics of International Law, European Journal of International Law 1 (1990), 4 – 32. Darstellung des New Haven Approaches bei Schreuer, Christoph, New Haven Approach und Völkerrecht, in: Schreuer, Christoph (Hrsg.), Autorität und internationale Ordnung, 1979, S. 63 – 85; Darstellung und Kritik bei Voos, Sandra, Die Schule von New Haven, 2000; paradigmatisch anmuten mag die Kritik Richard Falks, dem „wohl bedeutendsten und eigenwilligsten (ehemaligen) Schüler McDougals“ als Vertreter der New Haven Schule an dem Ansatz Prosper Weils. Ibid, S. 32. 3  Richard Falk setzt Prosper Weil entgegen, dessen Abhandlung sei ein „slightly hysterical effort to stop the world from changing“; verhaftet in einer ideologischen Nostalgie einer früheren Zeit der Sicherheit und Einigkeit. Das Völkerrecht könne schlicht nicht streng voluntaristisch und positivistisch begriffen werden, da es schlicht nicht ideologiefrei und neutral sein könne. Falk, Richard A., To what Extent are International Law and International Lawyers Ideologically Neutral?, in: Cassese, Antonio (Hrsg.), Change and Stability in International Law Making, 1988, S. 137 – 140. Grundsätzlich Falks Kritik an Weil folgend: Weiler, Joseph H.H.; anders Mendelson, Maurice H., beide in: Cassese, Antonio (Hrsg.), Change and Stability in International Law Making, 1988, S. 140 – 142; 148 – 150. Nach Ulrich Fastenrath ist eine relative Normativität unabdingbar und eine Graduierung von Normativität unumgänglich in allen Rechtstheorien. Selbst unter den Prämissen eines Voluntarismus und Positivismus, wie Weil sie zugrunde legt, würden Rechtssätze nur den Anschein einer Gewissheit geben. Das (positive) Recht weise grundsätzlich Lücken auf, so wie auch die Sprache des Rechts einer Interpretation bedürfe – so wie überhaupt jede Kommunikation – und verschiedenen Interpretationen offen stehe. Dies gelte umso mehr für das Völkerrecht. Um die Lücken zu schließen und die Vertragssprache auszulegen sei das soft law überaus nützlich. Fastenrath, Ulrich, Relative Normativity in International Law, European Journal of International Law 4 (1993), 305 – 340; Fastenrath, Ulrich, Lücken im Völkerrecht, 1991. Die klassische Völkerrechtslehre hat den Begriff des Soft Laws allerdings nicht im Sinne der Zuerkenntnis einer – rechtlichen – graduellen Bindungswirkung rezipiert, sondern in der den Rechtsquellen nicht zuordnenbaren dienenden Funktion der Interpretations- oder Erkenntnishilfe im klassischen System (bspw. als Indiz für Staatenpraxis oder opinio iuris). Heintschel von Heinegg etwa akzeptiert die Annahme eines Soft Laws für im Entstehen begriffene Verhaltensmuster, die keiner Rechtsquelle zugeordnet werden können, lässt dem Begriff aber wegen seiner Unschärfe allenfalls Bedeutung für eine ex-post-Betrachtung zu-

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Teil 2: Arzneimittelversuche und Ethikguidelines

empirischen Feststellung geschuldet; auch wenn damit noch nicht geklärt ist, was damit genau bezeichnet sein soll. Zunächst sind von dem Konzept des soft laws rechtsförmige Texte von Organen oder spezialisierten Unterorganisationen von Internationalen Organisationen umfasst, ebenso wie Stellungnahmen und Resolutionen die von Regierungen auf internationalen Konferenzen oder Gipfeltreffen angenommen worden sind. Es sollen somit nach Wolfang Heusels Definition solche „normativen Phänomene zwischen Völkerrechtssubjekten, welche rechtlich nicht verbindlich sind oder deren rechtliche Verbindlichkeit zumindest zweifelhaft ist und somit diejenigen Regeln, die gerade nicht rechtsnormativ sind oder deren rechtliche Normativität bestritten ist, die aber, wenn sie unbestritten wären echte Rechtsregeln darstellten“4

umfasst sein. Die Unterscheidung die einige Autorinnen zwischen legal soft law und non-legal soft law treffen soll hier nicht angenommen werden.5 Ersteres soll „weiche“ im Sinne von unbestimmten bzw. inhaltsarmen Verpflichtungen „harter“, d. h. formal rechtlich verbindlicher Abkommen bezeichnen und zweiteres Resolutionen, Verhaltenskodizes, Erklärungen und dergleichen von Staaten oder zwischenstaatlichen internationalen Organisationen, die rechtlich nicht bindend sind. Hier soll demnach die Urheberschaft als formales Kriterium darüber entscheiden, ob ein Normtext als soft law einzuordnen ist. Die Arbeitsdefinition von Matthias Knauff macht den soft-law-Begriff für das Mehrebenensystem brauchbar: „Soft law sind verhaltensbezogene Regelungen, die von Hoheitsträgerinnen bzw. mit der Ausübung von Hoheitsgewalt befassten Stellen geschaffen werden, die über keine oder nur eine auf die Innensphäre des Regelungsgebers bezogene Rechtsverbindlichkeit verfügen und die ihre Steuerungswirkungen auf außerrechtlichem Wege erzielen.“6

Nach diesem formalen Kriterium ist soft law auch von privaten Regelungen zu unterscheiden.7 Die hier betrachteten privaten Regelungen wie die Deklaration von Helsinki spielen jedoch eine herausragende Rolle in der Normierung von Versuchen an Menschen und im Gesamtbild eine wichtige Rolle in der Herausbildung kommen; Heinegg, Heintschel von, in: Ipsen, Knut/Menzel, Eberhard (Hrsg.), Völkerrecht, 5. Aufl., 2004, § 20, Rnrn. 20 – 22. Unter Beibehaltung des binären Charakters des Rechts wird zumindest mitunter die Normativität des Soft Laws aus einer politischen oder moralischen Bindungswirkung herrührend erkannt. Vgl. hierzu Heusel, Wolfgang, „Weiches“ Völkerrecht, 1991. 4  Heusel, Wolfgang, „Weiches“ Völkerrecht, 1991, S. 42. 5  Chinkin, Christine M., The Challenge of Soft Law: Development and Change in International Law, International and Comparative Law Quarterly 38 (1989), 850 – 866; Sztucki, Jerzy, Reflections on International „Soft Law“, in: Ramberg, Jan/Hjerner, Lars, Studies in International Law – Festskrift till Lars Hjerner, 1990, S. 549 – 575. 6  Knauff, Matthias, Der Regelungsverbund: Recht und Soft Law im Mehrebenensystem, 2010, S. 228. 7  Auch auf die Fähigkeit zur Erzeugung von Völkerrecht abstellend: Thürer, Daniel, „Soft Law“ – eine neue Form von Völkerrecht?, Zeitschrift für Schweizerisches Recht 104 I (1985), 429 – 453; Gruchalla-Wesierski, Tad, A Framework for Understanding „Soft Law“, McGill Law Journal 30 (1984 – 1985), 37 – 88.

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einer „global society“.8 Von diesen genuin privaten oder gemischt privaten Regelungen geht eine mehr oder minder spürbare „Zwangswirkung auf Außenseiter“9 aus, die durch nationale normkonkretisierende Verweisung, durch faktischen (ökonomisch begründeten) Konformitätsdruck oder sozialnormativen Druck begründet sein kann. Eine rein formale Unterscheidung scheint somit in einigen Fällen nicht mehr so eindeutig sinnvoll, was mit einer „partiellen Öffnung“10 des soft-law-Begriffes für die Beteiligung Privater an der Regelentstehung zu erklären sein mag, was auch mit der These der „Privatisierung des soft laws“11 umschrieben werden kann. Soft law ist allerdings keine Quelle des Völkerrechts, wenn mit Quelle auf die Prozesse Bezug genommen werden soll, durch welche Völkerrechtsnormen geschaffen, geändert und abgeschafft werden, sowie auf die Orte, an denen die gültigen Völkerrechtsnormen als Ergebnisse gefunden werden können.12 Soft law ist nach Samantha Besson ein dazwischenliegendes völkerrechtliches Ergebnis dessen Normativität jedenfalls nicht qua Recht gegeben ist.13 Es speist sich damit selbst aus vielen völkerrechtlichen Quellen. Daher sollte der soft-law-Begriff auch auf jene Akte beschränkt sein, die ein „völkerrechtliches Ergebnis“ darstellen,14 d. h. im Sinne der zitierten Knauffschen Definition formal auf jene Akte beschränkt sein, deren Urheberinnen die formale Kapazität hätten Völkerrechtsnormen zu schaffen. II.  Folgerungen für Ethikguidelines Mit der gewonnenen formalen Bestimmung oder Annäherung an den soft-lawBegriff ließen sich die verschiedenen betrachteten Steuerungsinstrumente nun qualifizieren, ob sie unter den Begriff fallen oder nicht. Die UNESCO Declaration on Bioethics and Human Rights, die noch besprochen werden soll, fällt damit unter den Begriff. Für die Deklaration von Helsinki wäre dies jedoch zu verneinen, da der Urheber, der Weltärztebund, eine rein private Organisation ist. Dies gilt ebenso 8  Fastenrath, Ulrich, Relative Normativity in International Law, European Journal of International Law 4 (1993), 305 – 340 [339]. 9  Röthel, Anne, Lex Mercatoria, Lex Sportiva, Lex Technica, JZ (2007), 755 – 763 [761]. 10  Knauff, Matthias, Der Regelungsverbund: Recht und Soft Law im Mehrebenensystem, 2010, S. 242. 11  Peters, Anne/Pagotto, Isabella, Soft Law as a New Mode of Governance: a Legal Perspective, 2006, aufrufbar unter http://www.eu-newgov.org/database/DELIV/D04D11_ Soft_Law_as_a_NMG-Legal_Perspective.pdf , S. 5. 12  Besson, Samantha, Theorizing the Sources of International Law, in: Besson, Samantha/Tasioulas, John (Hrsg.), The Philosophy of International Law, 2010, S. 163 – 185 [170]. 13  Besson, Samantha, Theorizing the Sources of International Law, in: Besson, Samantha/Tasioulas, John (Hrsg.), The Philosophy of International Law, 2010, S. 163 – 185 [171]. 14  Vöneky, Silja, Recht, Moral und Ethik – Grundlagen und Grenzen demokratischer Legitimation für Ethikgremien, 2010, S. 283 f.

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für den CIOMS, obwohl die WHO bei der Erarbeitung mitgewirkt hat, die letztliche Zurechnung jedoch zum privaten CIOMS erfolgt. Bei den Steuerungsinstrumenten der ICH mag eine Qualifizierung komplizierter sein, da zu gleichen Teilen Behörden sowie Private mitgewirkt haben und die Zurechnung jeweils zu beiden erfolgt, die Zurechnung zu Privaten ließe jedenfalls eine „soft-law-Qualität“ verneinen. Es kommt hier allerdings nicht darauf an, ob die betrachteten Instrumente wenigstens als „weiches“ Recht qualifiziert werden können. Um die Steuerungsformen fassbar zu machen, die privaten oder hybriden Ursprungs sind und dennoch Wirkungen entfalten wie sie von „völkerrechtlichen Ergebnissen“ ausgeht, ist es nicht notwendig den soft-law-Begriff in einer Weise zu dehnen, dass er durch Konturverlust unbrauchbar wird. Im Gegenteil, besteht die Gefahr mit einem ausgedehnten „soft-law-Label“ eine höhere Legitimität wenn nicht zu erschleichen,15 so doch zu suggerieren. Demnach ist eine andere Betrachtungsweise vonnöten, um die normativen Phänomene der Ethikguidelines treffend zu charakterisieren.

B.  Eine ethische Global Governance der Forschung an Menschen I.  Konzept Von der „rechtlichen Einordnung“ zunächst wieder einen Schritt zurücktretend, hilft ein phänomenologischer Blick auf die Guidelines, die auf internationaler Ebene die Autorität erheben, „ethische“ Forschung zu normieren. Wesentliche Regelungen sind von verschiedenen Akteuren geschaffen worden, die privater als auch hybrid öffentlich/privater Natur sind. Die verschiedenen Regelungsinstrumente unterschiedlicher auch nicht-staatlicher Akteure legen nahe, eine Konzeption einer global governance ethischer Forschung bzw. einer ethical global governance diesbezüglich zu entwerfen.16 Seit Mitte der 1990er Jahre dient das aus der Politikwissenschaft stammende Konzept der global governance auch der rechtswissenschaftlichen Analyse bestimmter Verhaltensweisen auf globaler Ebene, auf welcher einer Weltregierung ein government fehlt, aber dennoch Aktivitäten bestehen, die durch 15  Peters, Anne/Bürkli, Peter, Recht der Forschung am Menschen – Normgenese im Kontext von Soft Law, internationalen Abkommen und Gesetz, Zeitschrift für Schweizerisches Recht (2010), 367 – 389 [371]. 16  Fidler betont diesen Ansatz in seiner Analyse einer „globalized theory of public health law“: Fidler, David P., A Globalized Theory of Public Health Law, Journal of Law, Medicine & Ethics 30 (2002), 150 – 159; Gostin, Lawrence O., The International Health Regulations: A New Paradigm for Global Health Governance?, in: McLean, Sheila A. M., First Do No Harm, 2006, S. 59 – 79; vgl. auch die von der EU geförderte europäische-chinesische Kooperation „bionet“ zur „Ethical Governance of Biological and Biomedical Research“ http:// www.lse.ac.uk/collections/BIONET; UNESCO, Report of the International Bioethics Committee on Human Cloning and International Governance, vom 09. 06. 2009, SHS/EST/CIB16/09/CONF.503/2 Rev.2; oder allgemeiner Rhodes, Catherine, International Governance of Biotechnology, 2010.

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ihre regulativen Mechanismen an die Ausübung von Staatsgewalt erinnern und die mit diesem Begriff beschrieben werden sollen,17 wenn auch mit noch anzusprechenden Schwächen. Ein wesentlicher Ansatzpunkt des global-governance-Konzeptes liegt in der Anerkennung der Relevanz internationaler Organisationen, aber vor allem auch privater Akteure, sowie solcher hybrider Natur in der Steuerung von Verhalten auf globaler Ebene.18 Governance ist demnach nicht nur eine Sache öffentlicher (staatlicher) Akteure. Dieser Ansatz ist daher wertvoll, um genau diese Mechanismen sichtbar zu machen. II.  Bewertung Die Schwäche des global-governance-Ansatzes liegt allerdings aus einer öffentlich rechtlichen Perspektive darin, dass hierdurch die Unterschiede zwischen allen Akteuren, ob privat oder öffentlich, formal und informal in einer Weise eingeebnet werden, dass zurechenbare autoritative und nicht-autoritative Entscheidungen kaum zu unterscheiden sind.19 Zumal global governance als kontinuierlicher Prozess verstanden wird, der eine Zuordnung und damit Zurechnung singulärer spezifischer Akte zu bestimmten Akteuren erschwert.20 Das Konzept soll daher zwar nicht völlig abgelehnt werden, es ist jedoch für eine weitere Konzentration auf und eine Analyse von benannten spezifischen und damit – mit Bedacht – aus vielen verschiedenen Ethikguidelines und dergleichen herausgegriffenen Steuerungsformen nur bedingt brauchbar. 17  Der Begriff wurde von James Rosenau: Rosenau, James N., Governance, Order, and Change in World Politics, in: Rosenau, James N. (Hrsg.), Governance without Government – Order and Change in World Politics, 1992, S. 1 – 29; zur Entlehnung des „Governance“ Begriffes aus den Wirtschaftswissenschaften Williamson, Oliver E., The Economics of Governance: Framework and Implications, Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 140 (1983), 195 – 223; Benz, Arthur, Governance – Modebegriff oder nützliches sozialwissenschaftliches Konzept; Behrens, Maria, Global Governance, beide in: Benz, Arthur (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2004, S. 12 – 28; 104 – 124. 18  Bogdandy, Armin von/Dann, Philipp/Goldmann, Matthias, Developing the Publicness of Public International Law: Towards a Legal Framework for Global Governance Activities, in: Bogdandy, Armin von/Wolfrum, Rüdiger/Bernstorff, Jochen von/Dann, Philipp/ Goldmann, Matthias (Hrsg.), The Exercise of Public Authority by International Institutions – Advancing International Institutional Law, 2010, S. 3 – 32; Woodward, Barbara K., Global Civil Society in International Lawmaking and Global Governance – Theory and Practice, 2010; Schuppert, Gunnar Folke, Governance und Rechtsetzung – Grundfragen einer modernen Regelungswissenschaft, 2011. 19  Schuppert, Gunnar Folke, Governance und Rechtsetzung – Grundfragen einer modernen Regelungswissenschaft, 2011, S. 137 ff.; Kritik Bogdandy, Armin von von/Dann, Philipp/Goldmann, Matthias, Developing the Publicness of Public International Law: Towards a Legal Framework for Global Governance Activities, in: Bogdandy, Armin von/ Wolfrum, Rüdiger/Bernstorff, Jochen von/Dann, Philipp/Goldmann, Matthias (Hrsg.), The Exercise of Public Authority by International Institutions – Advancing International Institutional Law, 2010, S. 3 – 32 [9 f.]. 20  Siehe Fn. 19.

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III.  Bedeutsame Ethikguidelines einer ethischen Global Governance Es wäre eine unmögliche Aufgabe, alle Aktivitäten aller Akteure zu bennen, die global regulative Mechanismen der Forschung an Menschen darstellen.21 Wegen benannter grundsätzlicher Kritikpunkte sollen, insofern das Konzept zum Ansatz kommen soll, nur die im ersten Teil herausgestellten Akteure (WMA, ICH, CIOMS und bestimmte Guidelines dieser betrachtet werden, die – wie noch zu erörtern – auf bestimmte Weise autoritativ wirken.

C.  Global Administrative Law I.  Konzept In dem Versuch internationale nicht-staatliche Regulierungsmechanismen einzufangen, ist auch auf das Konzept des global administrative law zu verweisen, das ebenfalls eine Reaktion auf die zunehmende Entstaatlichung ist und welches eine Kontrolle von verflochtenen internationalen und nationalen und auch informellen sowie privaten und hybriden Regulierungsmechanismen durch den Ansatz eines globalen Verwaltungsrechts zu erreichen versucht.22 Benedict Kingsbury, Nico Krisch und Richard Stewart definieren global administrative law als die Zusammenfassung von Mechanismen, Prinzipien, Praktiken und unterstützende soziale Übereinkünfte, die die Zurechnung und Verantwortlichkeit von globalen Verwaltungsinstitutionen fördern oder anderweitig beeinflussen, insbesondere dadurch, dass sie gewährleisten, dass diese Institutionen angemessene Standards an Transparenz, Partizipation, Begründetheit ihrer Entscheidungen und Legalität erfüllen und effektive Kontroll- und Überwachungsmechanismen für ihre Regelungen und 21  Die International Compilation of Human Research Standard von 2012, veröffentlicht durch das Office of Human Research Protection des U.S. Department of Health and Human Services zählt über 1.000 Gesetze, Richtlinien und Guidelines von über 103 Ländern, internationalen Organisationen und einigen wenigen privaten und hybriden Organisationen auf http://www.hhs.gov/ohrp/international/intlcompilation/intlcompil2012.doc. 22  Nach Cassese ist der Ursprung des Global Administrative Law in der Regulierung des Thunfischfanges durch Australien, Japan und Neuseeland in den 1990er Jahren zu sehen, da Regelungsmechanismen entstanden sind, die eben verwaltungsrechtlichen Standards genügten und entsprechende Kontroll- und Überwachungssysteme beinhalteten. Cassese, Sabino, Administrative Law without the State? The Challenge of Global Regulation, NYU Journal of International Law and Politics 37 (2005), 663 – 694; siehe auch Cassese, Sabino, Is there a Global Administrative Law?, in: Bogdandy, Armin von/Wolfrum, Rüdiger/ Bernstorff, Jochen von/Dann, Philipp/Goldmann, Matthias (Hrsg.), The Exercise of Public Authority by International Institutions – Advancing International Institutional Law, 2010, S. 761 – 776; Kingsbury, Benedict/Krisch, Nico/Stewart, Richard B., The Emergence of Global Administrative Law, Law and Contemporary Problems 68 (2005), 15 – 61; Krisch, Nico/ Kingsbury, Benedict, Introduction: Global Governance and Global Administrative Law in the International Legal Order, European Journal of International Law 17 (2006), 1 – 13; Ruffert, Matthias/Steinecke, Sebastian, The Global Administrative Law of Science, 2011.

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Entscheidungen bereitstellen.23 Globale Verwaltungsinstitutionen umfassen dabei formelle intergouvernmentale Organisationen, informelle intergouvernmentale Netzwerke und Koordinationseinrichtungen, nationale Regulierungsbehörden, die in Bezugnahme auf intergouvernmentale Organisationen operieren, hybride öffentlich-private Regulierungsinstitutionen, sowie bestimmte private regulierende Organisationen, die transnationale governance Funktionen mit einer gewissen öffentlichen Relevanz ausüben.24 Die Grundidee des global administrative law Ansatzes beruht auf dem Verständnis der global governance als Verwaltung, das aus der Beobachtung resultiert, dass global-governance-Institutionen Regelungen setzen und anwenden, die nicht rechtlich verbindlich legislativer oder judikativer Art sind. Dadurch entstehe ein „Globaler Verwaltungsraum“, in welchem die Dichotomie zwischen national und international heruntergebrochen sei und verwaltende Funktionen in komplexen Strukturen auf verschiedenen Ebenen durchgeführt werden.25 Aufgrund dieser Ausübung von verwaltungsrechtlichen öffentlichen Aufgaben innerhalb dieser Strukturen, müssten die global-administrative-law-Institutionen Legitimationsanforderungen und Zurechnungsanforderungen genügen. Das Zusammenspiel von Akteuren wie der WMA, des CIOMS und der ICH und auch anderen zahlreichen Akteuren sowie den nationalen Arzneimittelregulierungsbehörden und auch Ethikkommissionen könnte als ein globaler Verwaltungsraum verstanden werden, in dem Arzneimittelversuche normiert werden. Es sprechen jedoch grundsätzliche Überlegungen dagegen. II.  Bewertung Hervorzuheben, ist, dass durch die Annahme eines Verwaltungsraumes öffentlich rechtliche Prinzipien zu tragen kommen, mit dem Ziel Rechenschaftspflichten und Verantwortlichkeiten zu fördern. Damit hebt sich der global-administrative law-Ansatz positiv vom global-governance-Ansatz ab, als dass dieser Elemente der Rechtsstaatlichkeit und Legitimitätsanforderungen einbringt. Mit diesem Ansatz lassen sich grundsätzlich auch die verschiedenen Institutionen und ihre Regelungen zur Forschung an Menschen erfassen zumal der Ansatz sehr weit ist; als Regelungsmechanismen und damit auch Einschränkungen von Wissenschaft wird dieser Ansatz auch vertreten.26 Ein Kritikpunkt setzt allerdings auch an der Weite 23  Kingsbury, Benedict/Krisch, Nico/Stewart, Richard B., The Emergence of Global Administrative Law, Law and Contemporary Problems 68 (2005), 15 – 61 [17]. 24  Kingsbury, Benedict/Krisch, Nico/Stewart, Richard B., The Emergence of Global Administrative Law, Law and Contemporary Problems 68 (2005), 15 – 61, [17]. 25  Krisch, Nico/Kingsbury, Benedict, Introduction: Global Governance and Global Administrative Law in the International Legal Order, European Journal of International Law 17 (2006), 1 – 13 [1]. 26  Wenn auch Akteure wie der Weltärztebund und seine Regelungen wie die Deklaration von Helsinki nur sehr oberflächlich behandelt werden: Ruffert, Matthias/Steinecke, Sebastian, The Global Administrative Law of Science, 2011.

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der Konzeptionalisierung an: Grundsätzlich erschwert die Einbeziehung sehr vieler verschiedener Rechtsquellen und Institutionen eine dogmatische Konturierung.27 Wobei durch eine ergebnisoffene Herangehensweise Phänomene eher einer Beobachtung unterliegen und der Ansatz eher im Deskriptiven verharrt als tatsächlich normativ Regeln und Prinzipien zu formulieren.28 Darüber hinaus ist fraglich, was die rechtliche Basis eines einheitlichen globalen Verwaltungsraumes ausmachen könnte und welchen Status sie hätte, zumal die Unterscheidung zwischen nationalen und internationalen Institutionen, Normen und damit auch die unterschiedlichen Legitimitätsanforderungen im klassischen Sinne, d. h. einerseits demokratisch bedingt andererseits vom Staatenkonsens abhängend, über Gebühr verwischt werden.29 Aspekte des global-administrative-law-Ansatzes insbesondere die Heranziehung eines öffentlich rechtliches Rahmens für global-governance-Phänomene und die damit verbundenen Legitimitätsanforderungen sind positiv hervorzuheben, weshalb sie auch in die noch zu besprechende Konzeptionalisierung der Ausübung internationaler öffentlicher Gewalt einfließen. Der Ansatz selbst soll jedoch nicht weiter verfolgt werden.

D.  Ausübung internationaler öffentlicher Gewalt durch private und hybride Akteure I.  Grundlegende Konzeptionalisierung Die Zusammenfassung benannter Akteure (WMA, ICH, CIOMS) und ihrer Ethikguidelines zu einer global governance der Arzneimittelforschung an Menschen hilft zunächst, diese als wesentliche Steuerungsformen zu erkennen. Entscheidend für folgende Fragen nach ihrer Bindungswirkung und Rechtfertigungsbedürftigkeit ist indes, ob sie unilaterale Akte ausführen, die als öffentliche Gewalt zum einen zu qualifizieren und damit auch zu legitimieren sind.30 27  Feinäugle, Clemens A., Hoheitsgewalt im Völkerrecht – das 1267-Sanktionsregime der UN und seine rechtliche Fassung, 2011, S. 57. 28  Feinäugle, Clemens A., Hoheitsgewalt im Völkerrecht – das 1267-Sanktionsregime der UN und seine rechtliche Fassung, 2011, S. 57 f. 29  Bogdandy, Armin von/Dann, Philipp/Goldmann, Matthias, Developing the Publicness of Public International Law: Towards a Legal Framework for Global Governance Activities, in: Bogdandy, Armin von/Wolfrum, Rüdiger/Bernstorff, Jochen von/Dann, Philipp/ Goldmann, Matthias (Hrsg.), The Exercise of Public Authority by International Institutions – Advancing International Institutional Law, 2010, S. 3 – 32 [24 f.]; Harlow, Carol, Global Administrative Law: The Quest for Principles and Values, European Journal of International Law 17 (2006), 187 – 214. 30  Entwickelt Bogdandy, Armin von von/Dann, Philipp/Goldmann, Matthias, Develop­ ing the Publicness of Public International Law: Towards a Legal Framework for Global Governance Activities, in: Bogdandy, Armin von/Wolfrum, Rüdiger/Bernstorff, Jochen von/ Dann, Philipp/Goldmann, Matthias (Hrsg.), The Exercise of Public Authority by International Institutions – Advancing International Institutional Law, 2010, S. 3 – 32.

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Nach nationalem Verständnis umfasst öffentliche Gewalt oder Hoheitsgewalt Elemente der Normsetzung und deren zwangsweiser Durchsetzung gegenüber der untergeordneten Bürgerin.31 Die definitorische Näherung an einen Begriff der Ausübung internationaler öffentlicher Gewalt bedarf deswegen einer neuen Konzeption. Armin von Bogdandy, Philipp Dann und Matthias Goldmann definieren daher öffentliche Gewalt (public authority) als die Kapazität, andere zu bestimmen und ihre Freiheit einzuschränken, d. h. ihre rechtliche und faktische Situation einseitig zu gestalten.32 Ausübung wiederum meint hier die Realisierung dieser Kapazität insbesondere durch Standardsetzungen durch Entscheidungen und Regulierungen oder auch die Erstellung von Rankings. Die Bestimmung kann dabei rechtlich bindend sein, indem sie die rechtliche Situation eines anderen Rechtssubjekts auch ohne dessen Einwilligung ändert. Sie muss jedoch nicht bindend sein, sondern kann durch nicht-verbindliche Akte geschehen, die ein anderes Rechtssubjekt nur bedingen. Eine solche Bedingung oder Konditionierung kann dadurch erfolgen, dass ein Akt, Druck auf ein anderes Rechtssubjekt ausübt, diesem Impetus zu folgen, dem sich zu entziehen praktisch nur fiktiv möglich ist. International und öffentlich oder hoheitlich (public) ist die Ausübung von Gewalt dann, wenn sie auf einer Kompetenz beruht, die durch einen gemeinsamen internationalen Akt öffentlicher Autoritäten, in der Regel Staaten, verliehen ist, um ein Ziel zu verfolgen, das sie definieren und zu definieren ermächtigt sind.33 Entscheidend ist demnach zunächst die rechtliche Grundlage. Allerdings zeigt der global-governance-Ansatz, auch wenn kritisiert worden ist, dass er Unterschiede von zurechenbaren autoritativen und nicht-autoritativen unkenntlich nivelliert, dass privatrechtliche oder hybride Institutionen, denen keinerlei Kompetenzen durch Staaten verliehen worden sind, wesentliche Aktivitäten 31  Schmidt-Aßmann, Eberhard, in: Maunz, Theodor/Dürig, Günter (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, III, 62. Ergänzungslieferung 2011, GG Art. 19 Abs. 4, Rn. 45; Feinäugle, Clemens A., Hoheitsgewalt im Völkerrecht – das 1267-Sanktionsregime der UN und seine rechtliche Fassung, 2011, S. 30 ff. 32  Wie auch die folgenden Ausführungen nach Bogdandy, Armin von/Dann, Philipp/ Goldmann, Matthias, Developing the Publicness of Public International Law: Towards a Legal Framework for Global Governance Activities, in: Bogdandy, Armin von/Wolfrum, Rüdiger/Bernstorff, Jochen von/Dann, Philipp/Goldmann, Matthias (Hrsg.), The Exercise of Public Authority by International Institutions – Advancing International Institutional Law, 2010, S. 3 – 32 [11 ff.]; Feinäugle, Clemens A., Hoheitsgewalt im Völkerrecht – das 1267-Sanktionsregime der UN und seine rechtliche Fassung, 2011, S. 36 ff. 33  Bogdandy, Armin von/Dann, Philipp/Goldmann, Matthias, Developing the Publicness of Public International Law: Towards a Legal Framework for Global Governance Activities, in: Bogdandy, Armin von/Wolfrum, Rüdiger/Bernstorff, Jochen von/Dann, Philipp/ Goldmann, Matthias (Hrsg.), The Exercise of Public Authority by International Institutions – Advancing International Institutional Law, 2010, S. 3 – 32 [11 ff.]; abweichend Feinäugle insofern die Gewaltausübung „nur dann“ öffentlich und international ist Feinäugle, Clemens A., Hoheitsgewalt im Völkerrecht – das 1267-Sanktionsregime der UN und seine rechtliche Fassung, 2011, S. 36 ff.

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ausführen, die in gleicher Weise dem öffentlichen Interessen dienen wie staatlich beliehene.34 II.  Öffentlichkeit: Funktionale Äquivalenz Wenn demnach private und hybride Akte wie Akte öffentlicher Gewalt wirken und funktional äquivalent sind, dann sollten sie auch wie solche behandelt werden.35 Private Akte, die in gleicher Weise die Freiheit und individuellen Rechte Einzelner auch gegen ihre Zustimmung einschränken, um ein öffentliches Gut zu verfolgen, müssen den gleichen rechtlichen Anforderungen, d. h. den gleichen beschränkenden legitimierenden Anforderungen entsprechen wie staatlich ermächtigte. 1.  Formale Äquivalenz Die eingangs behandelte soft-law-Frage hat die Vielfalt an normativen Akten aufgezeigt, die öffentlich sind (d. h. von Staaten oder internationalen Organisationen geschaffen werden), die kein hartes Recht darstellen. Ihre Normativität bestimmt sich in anderer subtilerer Weise. Die funktionale Äquivalenz privater und hybrider Akte zu öffentlichen Akten, lässt sich demnach auch in ihrer funktionalen Äquivalenz zu Akten weichen Rechts festmachen. In der soft-law-Debatte36 wurden verschiedene Funktionen des soft laws identifiziert, die solchen Akten zugesprochen werden, die sowohl als soft law qualifiziert werden können, als gleichermaßen Ausübung von internationaler öffentlicher Gewalt. Auf Grundlage eines formalistischen soft-law-Begriffes, nach welchem nur solche Akte unter diese Definition fallen, die von Akteuren erlassen werden, die auf der Basis von Staaten verliehener Kompetenzen agieren,37 lässt sich prüfen, ob ein privater Akt eine äquivalente Funktion erfüllt.

34  Bogdandy, Armin von/Dann, Philipp/Goldmann, Matthias, Developing the Publicness of Public International Law: Towards a Legal Framework for Global Governance Activities, in: Bogdandy, Armin von/Wolfrum, Rüdiger/Bernstorff, Jochen von/Dann, Philipp/ Goldmann, Matthias (Hrsg.), The Exercise of Public Authority by International Institutions – Advancing International Institutional Law, 2010, S. 3 – 32 [14]; mit dem Beispiel der ICANN Hartwig, Matthias, ICANN – Governance by Technical Necessity, in: Bogdandy, Armin von/Wolfrum, Rüdiger/Bernstorff, Jochen von/Dann, Philipp/Goldmann, Matthias (Hrsg.), The Exercise of Public Authority by International Institutions – Advancing International Institutional Law, 2010, S. 575 – 605. 35  Bogdandy, Armin von/Dann, Philipp/Goldmann, Matthias, Developing the Publicness of Public International Law: Towards a Legal Framework for Global Governance Activities, in: Bogdandy, Armin von/Wolfrum, Rüdiger/Bernstorff, Jochen von/Dann, Philipp/ Goldmann, Matthias (Hrsg.), The Exercise of Public Authority by International Institutions – Advancing International Institutional Law, 2010, S. 3 – 32 [14]; vergleichbarer Ansatz Fischer-Lescano, Andreas, Transnationales Verwaltungsrecht, JZ 63 (2008), 373 – 424 [376]. 36  Siehe § 3 A. I. Begriffsbestimmung Soft Law. 37  Siehe ebenfalls § 3 A. I. Begriffsbestimmung Soft Law.

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a)  Rechtsvorbereitende Funktion Gerade auf internationaler Ebene erfüllen „weiche“ Akte der Ausübung öffentlicher Gewalt durch öffentliche Akteure häufig die Funktion einer Rechtsvorbereitung38 durch die Erzielung von Vereinbarungen, die jedoch als rechtlich unverbindlich getroffen werden. Solche Vereinbarungen sind dabei nicht nur reine politische Willensbekundungen, sondern „normative Aussagen […], die sich im Stadium der Rechtswerdung befinden“.39 Häufig entfalten solche Akte eine „bloß faktische Vorbildswirkung für die Rechtsentstehung“; eine spätere Rechtssetzung ist nicht unbedingt beabsichtigt,40 weshalb auf einfachere Weise41 Vereinbarungen getroffen werden können.42 Durch die Vorbildfunktion können sie allerdings erheblich auf die Rechtsentwicklung einwirken.43 Soft law in diesem Sinne ist ein erheblicher „dynamisierender Faktor in der Rechtsordnung“.44 Unter Umständen kann es auch „Kristallisationspunkt“ der Evolution von Völkergewohnheitsrecht sein.45 b)  Rechtsbegleitende Funktion Eine weitere Funktion von soft-law-Akten der Ausübung öffentlicher Gewalt durch öffentliche Akteure liegt in der Klärung von bestehendem Recht und somit in 38  Die Terminologie „rechtsvorbereitend“, „rechtsbegleitend“ und „rechtersetzend“ ist Knauff entlehnt: Knauff, Matthias, Der Regelungsverbund: Recht und Soft Law im Mehr­ ebenensystem, 2010, S. 378 ff. Als „pre-law“-Funktion benannt von Peters, Anne/Pagotto, Isabella, Soft Law as a New Mode of Governance: a Legal Perspective, NewGov New Modes of Governance http://www.eu-newgov.org/database/DELIV/D04D11_Soft_Law_as_a_ NMG-Legal_Perspective.pdf, S. 22. Knauff sowie Peters und Pagotto – wie auch die nachfolgend Zitierten – beziehen diese Terminologie jeweils auf den Soft-Law-Begriff. 39  Kremser, Holger, „Soft Law“ der UNESCO und Grundgesetz, 1996, S. 125. 40  Knauff, Matthias, Der Regelungsverbund: Recht und Soft Law im Mehrebenensystem, 2010, S. 380. Gegenteiliges Beispiel ist sicherlich die Europäische Grundrechtecharta. 41  Peters, Anne, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, 2001, S. 468. 42  Kremser, Holger, „Soft Law“ der UNESCO und Grundgesetz, 1996, S. 125 f. 43  Riedel, Eibe, Standards and Sources. Farewell to the Exclusivity of the Sources Triad in International Law?, European Journal of International Law 2 (1991), 58 – 84 mit dem Verweis auf Arbeitsstandards. 44  Peters, Anne, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, 2001, S. 468; Peters, Anne/Pagotto, Isabella, Soft Law as a New Mode of Governance: a Legal Perspective, New­Gov New Modes of Governance http://www.eu-newgov.org/database/DELIV/D04D11_ Soft_Law_as_a_NMG-Legal_Perspective.pdf, S. 23. 45  Riedel, Eibe, Standards and Sources. Farewell to the Exclusivity of the Sources Triad in International Law?, European Journal of International Law 2 (1991), 58 – 84 [68]; Heusel, Wolfgang, „Weiches“ Völkerrecht, 1991, S. 279 f.; Horn, Norbert, Internationale Verhaltensrichtlinien, Rabels Zeitschrift 44 (1980), 423 – 454 [449]; Hailbronner, Kay, Überlegungen zu Verhaltenskodizes transnationaler Unternehmen, in: von Münch, Ingo/Schlochauer, Hans-Jürgen (Hrsg.), Staatsrecht, Völkerrecht, Europarecht – Festschrift für Hans-Jürgen Schlochauer zum 75. Geburtstag 1981, S. 329 – 362 [351].

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dessen näherer Definition.46 Gerade bei unübersichtlicher Rechtslage leistet soft law in Fällen, in denen es eine einheitliche Rechtsanwendung fördert, durch „die Zusammenführung und Verdeutlichung des erreichten Regelungsstandes einen Beitrag zur Transparenz und zur Klarheit des Rechts und damit zu dessen Effektivität“47. Rechtsbegleitendes48 soft law birgt eine enorme Steuerungswirkung,49 entweder dadurch dass diese Regelungen von der setzenden Stelle mit der Intention formuliert werden, dass sie genauso zu beachten seien wie das begleitete geltende Recht,50 und/oder dadurch dass die unmittelbar Betroffen aus Angst vor wesentlichen Nachteilen etwa in der Verwaltungspraxis diese Regelungen beachten.51 c)  Rechtsersetzende Funktion Wenn soft-law-Akte der Ausübung öffentlicher Gewalt durch öffentliche Akteure kein geltendes Recht als Bezugpunkt aufweisen und nicht weiter ausgestalten oder konkretisieren, jedoch Anspruch auf die eigenständige Regelung eines Sachbereiches erheben, kann diesen eine rechtsersetzende Funktion52 zugewiesen werden.53 Sie sind dann gerade nicht rechtsbegleitend. Allerdings sind solche Unterscheidungen nicht immer eindeutig. Insbesondere kommt es auch auf die zeitliche Betrachtung an. So kann ex ante eine soft-law-Vereinbarung ohne konkreten Rechtsbezug beschlossen werden, welche in einer ex post Betrachtung rechtsvorbereitend wirkt. Grundsätzlich kann jedoch ein Unterschied zu rechtsvorbereitendem soft law getroffen werden. Entscheidend ist, dass die Regelung auch nach Intention 46  Fastenrath, Ulrich, Relative Normativity in International Law, European Journal of International Law 4 (1993), 305 – 340 [315]. 47  Knauff, Matthias, Der Regelungsverbund: Recht und Soft Law im Mehrebenensystem, 2010, S. 381 m.w.N. 48  „Law-plus“-Funktion in der Terminologie von Peters, Anne/Pagotto, Isabella, Soft Law as a New Mode of Governance: a Legal Perspective, NewGov New Modes of Governance http://www.eu-newgov.org/database/DELIV/D04D11_Soft_Law_as_a_NMG-Legal_Perspective.pdf, S. 23. 49  Knauff, Matthias, Der Regelungsverbund: Recht und Soft Law im Mehrebenensystem, 2010, S. 382. 50  Zur EU-Kommission Snyder, Francis G., Soft Law and Institutional Practice in the European Community, 1993. 51  Zum EU-Wettbewerbsrecht: Cosma, Hakon A./Whish, Richard, Soft Law in the Field of EU Competition Policy, European Business Law Review 14 (2003), 25 – 56 [31], die darlegen, dass ein Anwalt über Kommissionsmitteilungen bzgl. der Auslegung etwa von Kartellrechtsnormen aufklären müsse und dass die Marktteilnehmer solche „aus Sicherheit“ diese in jedem Fall beachten würden. 52  „Para-law“-Funktion nach Peters, Anne/Pagotto, Isabella, Soft Law as a New Mode of Governance: a Legal Perspective, NewGov New Modes of Governance http://www.eu-newgov.org/database/DELIV/D04D11_Soft_Law_as_a_NMG-Legal_Perspective.pdf, S. 23. 53  Knauff, Matthias, Der Regelungsverbund: Recht und Soft Law im Mehrebenensystem, 2010, S. 384.

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der Regelsetzer darauf ausgerichtet ist, auf Dauer als soft law angelegt zu sein, wodurch dieses den „Charakter einer informellen Gesetzgebung“ erhalten kann.54 Da rechtersetzendes soft law nicht auf bereits geltendes Recht bezogen ist, ist seine Wirkung und Durchsetzungskraft unabhängig von diesem begründet.55 Jedenfalls stellen gerade im Völkerrecht ex ante rechtsersetzende soft-law-Vereinbarungen eine Alternative zu nicht-erzielbarem „harten Recht“ dar, insbesondere dann, wenn „die einzige Alternative Anarchie“ wäre.56 Eine „weiche Lösung“ ist dann besser als keine Lösung. Einflussreiche Staaten können sich durch eine solche „weiche Lösung“ einen größeren Entscheidungspielraum bewahren und gleichzeitig Kooperationsbereitschaft zeigen, während weniger gewichtige Staaten soft-law-Vereinbarungen als die beste für die politische Durchsetzung ihrer Interessen erachten mögen.57 2.  Materielle Äquivalenz Materiell ist die Frage zu beantworten, inwieweit private Akte funktional äquivalent Aufgaben übernehmen, die inhaltlich die Wahrnehmung internationaler öffentlicher Aufgaben darstellen. Ohne abschließend zu sein, lassen sich als Hauptaufgaben des Völkerrechts die Friedenssicherung, der Schutz globaler öffentlicher Güter58, der internationale Individualschutz, die Koordinierung globaler Infrastruktur und der Ausgleich zwischen den sozial und wirtschaftlich disparaten Regionen benennen. III.  Bestimmungsvermögen Ausdrucksformen eines Bestimmungsvermögens, d. h. einer Kapazität andere in ihrer Freiheit einzuschränken, die sich darin zeigt, dass ein anderes Rechts54  Knauff, Matthias, Der Regelungsverbund: Recht und Soft Law im Mehrebenensystem, 2010, S. 384; Cini, Michelle, The Soft Law Approach: Commission Rule-Making in the EU’s State Aid Regime, Journal of European Public Policy 8 (2001), 192 – 207 [194]. Ein Beispiel hierfür ist die KSZE-Schlussakte und die daraus hervorgegangene OSZE. 55  Knauff, Matthias, Der Regelungsverbund: Recht und Soft Law im Mehrebenensystem, 2010, S. 385. 56  Peters, Anne/Pagotto, Isabella, Soft Law as a New Mode of Governance: a Legal Perspective, NewGov New Modes of Governance http://www.eu-newgov.org/database/DELIV/ D04D11_Soft_Law_as_a_NMG-Legal_Perspective.pdf, S. 23. 57  Chinkin, Christine M., The Challenge of Soft Law: Development and Change in International Law, International and Comparative Law Quarterly 38 (1989), 850 – 866 [861]. 58 In den Wirtschaftswissenschaften gelten öffentlich Güter als solche Güter, die nicht-rivalisierend und nicht-ausschließend sind, d. h. wenn die Nutzung durch eine Person eine andere Person nicht daran hindert, das Gut gleichermaßen zu nutzen und wenn unauthorisierte Personen als Trittbrettfahrerinnen nicht vom Nutzen ausgeschlossen werden können. Samuelson, Paul A., The Pure Theory of Public Expenditure, Review of Economics and Statistics 36 (1954), 387 – 389.

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subjekt sich der Konditionierung praktisch nicht entziehen kann, können vielfältig sein. Da die Bestimmung gerade nicht durch rechtlichen Zwang abgesichert ist, ist nach anderen extrinsischen Motiven der Befolgung zu fragen. Auf eine intrinsische Motivation kommt es dabei nicht an, da es bei dieser Konzeptionalisierung, die die Guidelines in einen öffentlich-rechtlichen Rahmen verorten will, es offen bleibt aus welchen Gründen die einzelnen Subjekte diese befolgen.59 1.  Reputation Der Anspruch der Ethikguidelines liegt darin zu bestimmen, welches Verhalten ethisch ist. Im Umkehrschluss ist mit dem Abweichen von diesen Guidelines der Vorwurf impliziert, unethisch zu handeln. 2010 sorgte die Publikation einer Historikerin über US-amerikanische Syphilis Versuche in Guatemala für Aufsehen, in denen u. a. Prostituierte, Soldatinnen, Häftlinge und in Psychatrien eingewiesene Personen ohne deren Wissen und Einwilligung mit Syphilis infiziert worden waren, um Behandlungsmethoden zu testen.60 Ungeachtet dessen, dass diese Versuche vor längerer Zeit von 1946 bis 1948 stattgefunden hatten, sahen sich US-Präsident Barack Obama, US-Außenministerin Hillary Clinton und US-Gesundheitsministerin Kathleen Sebelius zu einer gemeinsamen Stellungnahme veranlasst, sich für diese Versuche zu entschuldigen, da sie „cleary unethical“ gewesen seien.61 Zwar ist nicht explizit ein Verstoß gegen eine Ethikguideline als Anstoß genommen worden, aber dies zeigt, dass der Vorwurf „unethischer Forschung“ auch für Staaten und internationale Organisationen62 reputationsschädlich sein kann. Die Guidelines können als Konstituierungen normativer Ethik verstanden werden, die zur Beurteilung insbesondere moralischen Handelns und Urteilens dient.63 Der Zweck der Moral wiederum kann aus soziologischer, kulturanthropologischer und evolutionsbiologischer Sicht in der Stabilisierung einer Gruppe 59  Goldmann, Matthias, Internationale öffentliche Gewalt – Handlungsformen internationaler Institutionen im Zeitalter der Globalisierung, 2015, S. 346. 60  Reverby, Susan M., „Normal Exposure“ and Inoculation Syphilis: A PHS „Tuskegee“ Doctor in Guatemala, 1946 – 48, 2011, aufrufbar unter http://www.wellesley.edu/WomenSt/ Reverby%20Normal%20Exposure.pdf. 61 British Medical Journal online, BMJ vom 04. 10. 2010, doi: 341:c5494; New York Times vom 02. 10. 2010, S. A1 New York Edition. 62  Wie der Inspector General des Global Funds to Fight AIDS, Tuberculosis and Malaria feststellt: „Unethical conduct can result in considerable reputational damage. Global organizations must deliver against extremely high standards. Everyone must conduct themselves as moral actors, responsible agents who do their work within an ethical framework.“ nach Dubinsky, Joan Elise, Ethics and Reputational Risk Assessment – The Global Fund, 2008, aufrufbar unter www.theglobalfund.org/documents/oig/OIG_EthicsAndReputationalRisk­ Assessment_Report_en, S. 2. 63  Vöneky, Silja, Recht, Moral und Ethik – Grundlagen und Grenzen demokratischer Legitimation für Ethikgremien, 2010, S. 72 f.

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oder Gemeinschaft gesehen werden, indem sie u. a. als Gruppenmarker (etwa der „scientific community“) dient.64 So können die ethischen Normen bei Adressatinnen bewirken, nicht als unethisch hingestellt zu werden.65 So kann es auch mit weiteren Sanktionen behaftet sein, eine Reputation zu erlangen „unethisch zu sein“. Im Subsystem der Wissenschaft gilt die Reputation wiederum zunehmend als das wesentliche konstituierende Merkmal einer Wissenschaftskarriere.66 Für diejenigen, die in der Verfolgung einer eben solchen Wissenschaftskarriere Versuche durchführen, gilt damit ein noch zusätzlich gesteigertes Interesse an der eigenen Reputation. Aber nicht nur im Wissenschaftssystem, sondern auch wirtschaftlich kann ein Reputationsverlust schwerwiegende Konsequenzen nach sich ziehen, insofern die Reputation einen Einfluss auf die Nachfrage nach Produkten oder Dienstleistungen hat.67 Auf staatlicher Ebene kann dies heißen, dass Staaten bzw. ihre Regulierungsbehörden keinem Vorwurf ausgesetzt sein wollen, „unethische“ Forschung zu fördern, da dies die Glaubwürdigkeit senken könnte und Kooperationen auf anderen Ebenen erschwert.68 2.  Wissenschaftliche Standardsetzung „Ethische Forschung“ hängt auch mit der „wissenschaftlichen Validität“ der Forschung zusammen. Da der Gewinn neuen wissenschaftlichen Wissens das Ziel der Forschung darstellt und deren Rechtfertigung ist, diktiert dieses Ziel der Forschung auch die Parameter wissenschaftlicher Notwendigkeiten. Die Anforderungen wissenschaftlicher Validität können kongruent mit den Notwendigkeiten des 64  Vöneky, Silja, Recht, Moral und Ethik – Grundlagen und Grenzen demokratischer Legitimation für Ethikgremien, 2010, S. 59; Hauser, Marc D., Moral Minds, 2006, S. 97. 65  Nach Hauser führt das Brechen einer sozialen Norm dazu, sich selbst schuldig zu fühlen und zu einer gleichsam verärgerten emotionalen Reaktion, wenn andere beobachtet werden, wenn diese eine soziale Norm brechen. Hauser, Marc D., Moral Minds, 2006, S. 97. 66 Grundlegend Luhmann, Niklas, Die Wissenschaft der Gesellschaft, 4. Aufl., 2002, S. 244 ff.; Wilms, Hans Christian, Die Unverbindlichkeit der Verantwortung – Ethikkodizes der Wissenschaft im deutschen, europäischen und internationalen Recht, 2015, S. 32 ff. 67  Hierauf setzen die unverbindlichen Instrumente zur Corporate Social Responsibility. Auf der ersten International Conference on Harmonisation sind die „ethics of human exposure“ in klinischen Studien als eine wesentliche Verantwortung der Sponsorinnen erachtet worden, deren Verletzung „painful consequences including litigation and public condemnation“ nach sich zögen. D’Arcy, Patrick F./Harron, Dean W. G. (Hrsg.), Proceedings of The First International Conference on Harmonisation Brussels 1991, 1992, S. 357 f. 68  Darauf basierend vor allem die rational-choice-Ansätze: Guzmán, Andrew T., How International Law Works – a Rational Choice Theory, 2008; siehe auch Ho, Daniel E., Compliance and International Soft Law: Why do Countries implement the Basle Accord?, Journal of International Economic Law 5 (2002), 647 – 688.

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Versuchspersonenschutzes sein (beispielsweise die Notwendigkeit qualifizierten Personals); in einigen Fällen jedoch nicht (beispielsweise bezüglich des Studiendesigns und Placebo-kontrollierten Versuchen). In anderen Fällen müssen wissenschaftliche Validität und Versuchspersonenschutz nicht unmittelbar verbunden sein. Da wissenschaftlich invalide Forschung keinen öffentlichen Wert hat, kann solche Forschung an Menschen dennoch ungerechtfertigt und als „unethisch“ qualifiziert werden. Ethikguidelines setzen daher auch wissenschaftliche Standards für die Methodologie und können darüber hinaus einen starken bestimmenden Effekt haben. Zum einen können Abweichungen zu Marktausschlüssen führen.69 Zum anderen können Standardabweichungen bewirken, dass diese als methodologische Schwächen gewertet werden, die eine Nichtaktzeptanz der Forschung und letztlich fehlende Rechtfertigung dieser begründen. Der verbundene Vorwurf unethischer Forschung kann wiederum reputationsschädlich wirken. 3.  Sanktionen Sanktionen bei Nicht-Beachtung sind nicht in einem völkerrechtlichen Sinne zu erwarten. Vielmehr direkter wie indirekter ökonomischer Art, aber auch in Bezug zur Reputation. Beispielsweise kann die Publikation von Forschungsergebnissen an die Beachtung von Ethikguidelines geknüpft werden. Das Vermögen zu publizieren ist für Wissenschaftlerinnen jedoch konstituierend für die Wissenschaftskarriere. Wenn bestimmte Forschung nicht aus primär wissenschaftsorientierten Gründen, sondern aus ökonomischen betrieben wird, sind die Sanktionsmöglichkeiten noch klarer nachzuzeichnen. Wenn im Rahmen des Zulassungsregimes entweder durch die Entscheidung von Regulierungsbehörden selbst oder durch die Voten von Ethikkommissionen, Forschung wegen Abweichungen von Ethikguidelines für „unethisch“ erachtet und deswegen ein Arzneimittel nicht zugelassen wird, kann dies jedes gegenteilige Interesse aufwiegen diesen Guidelines nicht zu folgen. Bereits einen Schritt vorher kann die Finanzierung von Forschung an die Beachtung von Ethikguidelines geknüpft werden. Eine Verpflichtung zu Beachtung von Ethikguidelines ist dann existentiell für die Forschung an sich. Indirekterweise führen diese Gründe auch dazu, dass Regierungen bzw. Regulierungsbehörden diese ethischen Standards adaptieren, wenn ansonsten ein Marktausschluss droht. Eine geringere Regulierungsdichte kann zwar einerseits Forschung anziehen, andererseits kann dieser Vorteil jedoch wieder aufgewogen werden, wenn nämlich aufgrund unterschiedlicher – ethischer – Standards die Forschungsergebnisse nicht dazu verwendet werden können, eine Zulassung in den anvisierten Hauptmärkten zu erlangen bzw. diese Versuche unter Haupt-

69  Röhl, Hans Christian, Internationale Standardsetzung; Lepsius, Oliver, Standardsetzung und Legitimation, beide in: Möllers, Christoph/Vosskuhle, Andreas/Walter, Christian (Hrsg.), Internationales Verwaltungsrecht, 2007, 319; 345.

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marktbedingungen wiederholt werden müssen.70 Länder, deren Standards sich damit nicht für eine Zulassung auf den angestrebten Hauptmärkten qualifizieren, würden demnach Forschungsinvestitionen und möglicherweise spätere Vermarktungen verlieren.71 4.  Bestimmung der Diskussionstopoi und Diskursanbindung Schließlich folgt eine grundsätzlich bestimmende Wirkung dadurch, dass zum einen durch Ethikguidelines bestimmte Themen auf die Agenda gesetzt werden und zum anderen dadurch, dass diese vorgeben, an welchen Diskurs folgende Diskussionen angeknüpft werden. Eine Einbettung und Anknüpfung an einen medizin- oder bioethischen Diskurs bedingt eine andere Sprache, andere Teilnehmerinnen, andere Argumentationsstrukturen und somit potentiell auch andere Ergebnisse als eine Anknüpfung an einen (menschen)rechtlichen Diskurs. Damit geht auch ein Ringen um die Deutungshoheit einher.72 Wie bereits im ersten Teil dargelegt, haben Ethikguidelines die Aufgabe übernommen, Orientierung und Leitlinien im ethischen Diskurs darzustellen, so dass Auseinandersetzungen auch auf deren „Schlachtfeldern“ geführt werden.73

E.  Ausübung internationaler öffentlicher Gewalt durch Ethikguidelines in der Forschung Nach der grundsätzlichen Konzeption soll dargelegt werden, dass die Deklaration von Helsinki des Weltärztebundes, die ICH-Guidelines sowie die CIOMS-Guidelines formal und materiell als Äquivalente zu Akten öffentlicher Gewalt fungieren und in einer Weise bestimmend wirken, dass sie als Ausübung internationaler öffentlicher Gewalt verstanden werden können.

70  Bei technischen Standards ist dies noch unmittelbarer: Röhl, Hans Christian, Internationale Standardsetzung; Lepsius, Oliver, Standardsetzung und Legitimation, beide in: Möllers, Christoph/Vosskuhle, Andreas/Walter, Christian (Hrsg.), Internationales Verwaltungsrecht, 2007, S.  319 – 343; 345 – 374. 71  In einem ähnlichen Sinne auf die bestimmende Macht des Markausschlusses abzielend: Khan, Fazal, The Human Factor: Globalizing Ethical Standards in Drug Trials through Market Exclusion, DePaul Law Review 57 (2008), 877 – 915. 72  Bezeichnenderweise wird im bioethischen Diskurs befürchtet, dass durch die Übernahme einer rechtlichen Sprache, die Deutungshoheit verloren gehen könnte. Elliott, Carl, A Philosophical Disease: Bioethics, Culture and Identity, 1999, S. xxviii; Tauber, Alfred I., Sick Autonomy, Perspectives in Biology and Medicine 46 (2003), 484 – 495 [488]. 73  Sich auf die Deklaration von Helsinki beziehend: Luna, Florencia, Research in Developing Countries, in: Steinbock, Bonnie (Hrsg.), The Oxford Handbook of Bioethics, 2007, S. 633.

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I.  Der Weltärztebund und die Deklaration von Helsinki 1.  Funktionale Äquivalenz zu öffentlicher Gewalt a)  Formale Äquivalenz aa) Rechtsvorbereitende Funktion Die Deklaration von Helsinki ist vor dem Hintergrund der Verbrechen nationalsozialistischer Ärztinnen formuliert worden, welche den Anspruch erhoben hatten, „wissenschaftlich“ zu sein. Zwar ist mit der Formulierung des nachträglich so benannten Nürnberger Kodex als Teil des Urteils im Nürnberger Ärzteprozess bereits vorher eine ethische Richtlinie formuliert worden; aufgrund ihrer engen Verbindung mit den Nazi-Verbrechen und der Spiegelung teils mangelhafter Kenntnis seitens des Autors (des Richters) der medizin-wissenschaftlicher Praxis, ist dieser für die gewöhnliche Praxis jedoch als unbrauchbar erachtet worden.74

74  Es

ist früh bemängelt worden, dass der Nürnberger Kodex keine Unterscheidung zwischen wissenschaftlichen Experimenten und Heilversuchen trifft, obwohl diese Trennung 1947 bereits allgemein anerkannt war. Diese Unterscheidung war bereits im 19. Jh. im medizinischen Diskurs gängig und fand auch Eingang in der 1900 vom preußischen Kultusminister erlassenen „Anweisung an die Vorsteher der Kliniken, Polikliniken und sonstigen Krankenanstalten“ zu medizinischen Eingriffen zu anderen als Heilzwecken. Abgedruckt bei Elkeles, Barbara, Der moralische Diskurs über das medizinische Menschenexperiment im 19. Jahrhundert, 1996, S. 209. Die Unterscheidung findet sich auch im „Rundschreiben des Reichsgesundheitsamtes für neuartige Heilbehandlung und für die Vornahme wissenschaftlicher Versuche am Menschen“ aus dem Jahr 1931. Auszug bei Sass, Hans-Martin, Reichsrundschreiben 1931: Pre-Nuremberg German Regulations Concerning New Therapy and Human Experimentation, Journal of Medicine & Philosophy 8 (1983), 99 – 112. Zwar ist vor dem Zweiten Weltkrieg von US-amerikanischen Gerichten eine solche Unterscheidung nicht getroffen worden, jedoch war die Unterscheidung in den USA an sich zum einen bekannt und zum anderen wurde das Militärtribunal spätestens im Verfahren über diese Praxis aufgeklärt: Annas, George J., Mengele’s Birthmark: The Nuremberg Code in United States Courts, Journal of Contemporary Health Law and Policy 7 (1991), 17 – 45; Taylor, Telford, The Nazi Experience: Origins and Aftermath, The Hastings Center Report, Special Supplement: Biomedical Ethics and the Shadow of Nazism 6 (1976), 1 – 9 [6]. Die Konzentration auf rein wissenschaftlich medizinische Versuche verdeutlicht, dass der Nürnberger Kodex zu vorderst zur Aburteilung der Angeklagten in dem Prozess dienen sollte. Wegen Heilversuche waren die Ärztinnen und Offiziellen gerade nicht angeklagt. Auch die absolute Ablehnung von Versuchen an rechtlich nicht einwilligungsfähigen Personen ist unmittelbar nach Urteilsverkündung auf Widerstand gestoßen. Von vielen wird und wurde darin eine Beschränkung gesehen, die in ihrer Rigorosität, als dass grundsätzlich Versuche (Heilversuche und wissenschaftliche Versuche) an Bevölkerungsgruppen wie Kindern und Trägerinnen bestimmter Krankheiten verboten sein sollen, mehr Nutzen vorenthalten als Schaden abwehren könnte. Letztlich war die Wahrnehmung in der Nachprozesszeit, dass der Kodex nur für „Nazis und Verrückte“ bestimmt war. Maio, Giovanni, Ethik der Forschung am Menschen, 2002, S. 31.

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Es gab damit keine internationale Regelung, weder rechtlich unverbindlich und erst recht nicht verbindlich, welche autoritativ gewirkt hat. Die Deklaration von Helsinki war in ihrer ersten Version von 1964 damit die erste Regelung wissenschaftlicher Versuche an Menschen auf internationaler Ebene. Sie ist zwar mit der Intention formuliert worden, nur ein „Guide für alle Ärzte dieser Welt“ zu sein,75 eine spätere Rechtssetzungsabsicht ist jedoch zu diesem Zeitpunkt nicht geäußert worden, zumal die WMA nicht rechtsetzungsfähig gewesen wäre. Jedenfalls hat die Deklaration von Helsinki als faktisches Vorbild fungiert. Die Modellfunktion für viele nationale Gesetze ist hierfür mehr als exemplarisch – nicht zuletzt werden in manchen Ländern, wie Israel, rechtlich eingerichtete Ethikkommissionen, Helsinki-Kommissionen genannt.76 Die Gesetzesbegründung zum Entwurf des Gesetzes zur Neuordnung des deutschen Arzneimittelrechts von 1976 bringt beispielsweise zum Ausdruck, dass die Bestimmungen zum Schutz der Versuchspersonen in Arzneimittelversuchen eine Konkretisierung strafrechtlicher Rechtsprechung, aber auch der ethischen Normen, die in der Deklaration von Helsinki ihren Niederschlag gefunden haben, darstellen.77 Die Kefauver Drug Amendments im Jahr 1962 ordneten in den USA die Anforderungen an Arzneimittelversuche neu. Die FDA führte daraufhin die genauen Bedingungen des Erfordernisses

75  WMA, Deklaration von Helsinki 1964, British Medical Journal 1964 Bd. 2 (5402), 177, Einleitung Abs. 3; Doppelfeld, Elmar, Das Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin: Entstehungsgeschichte und Regelungsgehalt, in: Taupitz, Jochen (Hrsg.), Das Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin des Europarates, 2002, S. 15 – 27. 76  Shapira, Amos, Country Report Israel, in: Deutsch, Erwin/Duttge, Gunnar/Schreiber, Hans-Ludwig/Spickhoff, Andreas/Taupitz, Jochen (Hrsg.), Die Implementierung der GCP-Richtlinie und ihre Ausstrahlungswirkungen, 2011, S. 241 – 248. Dadurch dass die Deklaration von Helsinki als gemeinsames Vorbild diente, gleichen sich auch heute noch viele entsprechende Gesetzgebungen. So die Feststellung z. B. für Südafrika im Verhältnis zur EU: van Wyk, Chris, Country Report South Africa, in: demselben Band, S. 219 – 240; siehe beispielsweise auch für Venezuela Di Tillio-Gonzalez, Dannie/Fischbach, Ruth L., Harmonizing Regulations for Biomedical Research: A Critical Analysis of the US and Venezuelan Systems, Developing World Bioethics 8 (2008), 167 – 177 [173 ff.]. Für die Verwurzelung der entsprechenden Regulierungen Australiens, Belgiens, Brasiliens, Indiens, Japans, Neuseelands, Norwegens, Ugandas und des Vereinigten Königreichs in der Deklaration von Helsinki und den CIOMS-Guidelines: Human, Delon/Fluss, Sev S., The World Medical Association’s Declaration of Helsinki: Historical and Contemporary Perspectives, 2001 (fünfter Entwurf), abrufbar unter http://www.wma.net/en/20activities/10ethics/ 10helsinki/draft_historical_contemporary_perspectives.pdf . Eine vergleichende Analyse der Deklaration von Helsinki und EU- und US-Recht, sowie Regelungen der Schweiz, Deutschland, Frankreich, dem Vereinigten Königreich sowie Kanada: Sprumont, Dominique/Girardin, Sara/Lemmens, Trudo, The Helsinki Declaration and the Law: An International and Comparative Analysis, in: Schmidt, Ulf/Frewer, Andreas (Hrsg.), History and Theory of Human Experimentation, 2007, S. 223 – 252. 77  Drs. 7/3060, Drucksachen Bd. 200, S. 53.

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etwa der informierten Einwilligung aus und stützte sich dabei auf den Nürnberger Kodex sowie die Deklaration von Helsinki.78 Die Biomedizinkonvention des Europarates und ihr 3. Zusatzprotokoll zur biomedizinischen Forschung sind ganz maßgeblich der Deklaration von Helsinki dahingegehend gefolgt, dass die Thematik letztlich in rechtsverbindlichen Konventionen eine Normierung gefunden hat. Darüber hinaus wurden ganz wesentliche Prinzipien direkt entlehnt und es sind teilweise ganz bewusst die gleichen Formulierungen gewählt worden wie in der Deklaration von Helsinki.79 bb) Rechtsbegleitende Funktion Unbestritten ist die Deklaration nicht zusammen mit geltendem Recht zu dessen näherer Auslegung erlassen worden. Dennoch lässt sich eine ähnlich interpretative Funktion feststellen. In der dynamischen Auslegung von Menschenrechtsübereinkommen wird, nach dem Vorbild der Deklaration von Helsinki, versucht, einzelne Rechte wie das Recht auf Gesundheit aus Art. 12 des IPWSKR in die Richtung der Deklaration gehend auszulegen.80 In der Entwicklung des Prinzips der informierten Einwilligung zu Völkergewohnheitsrecht waren der Einfluss und das Vorbild der Deklaration von Helsinki ganz maßgeblich.81 cc) Rechtsersetzende Funktion Der Nachweis einer rechtsersetzenden Funktion ist vielleicht schwieriger zu erbringen. Indes sind die relativ späten Annahmen von regional rechtsverbindlichen Konventionen und noch die Nichtexistenz eines universalen verbindlichen Abkommens über die Durchführung von Forschung an Menschen zumindest ein Hinweis darauf, dass die Deklaration von Helsinki teilweise rechtsersetzend wirken könnte, indem mit Verweis diese Regulierungsunterfangen unterlassen werden. Ein weiterer Hinweis auf eine solche Bedeutung sind auch die vehementen begleitenden Diskussionen von Änderungen der Deklaration als auch die Forderungen, die De78  Bassiouni, M. Cheriff/Baffes, Thomas G./Evrard, John T., An Appraisal of Human Experimentation in International Law and Practice: The Need for International Regula­ tion of Human Experimentation, The Journal of Criminal Law and Criminology 72 (1981), 1597 – 1666 [1625  f.]. 79  Steering Committee on Bioethics, Convention on Human Rights and Biomedicine ETS Nr. 164, Preparatory Work on the Convention, CoE Doc. CDBI/INF (2000) 1, S. 15. 80 Etwa zum „informed consent“. Special Rapporteur Anand Grover geht selbstverständlich von review boards aus, wenn er von diesen ein bestimmtes Verhalten fordert. UN Report by Anand Grover, Special Rapporteur on the Right of Everyone to the Enjoyment of the Highest Attainable Standard of Physical and Mental Health vom 10. 08. 2009, UN Dok. A/64/272. 81  § 5 F. II. Völkergewohnheitsrecht der Forschung an Menschen; so auch B.D. Parker für U.S. Court of Appeals, 2nd Circuit, Abdullahi et al. v. Pfizer, Inc., Entscheidung vom 30. 01. 2009, 562 F.3d 163, S. 181.

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klaration inhaltlich in eine bestimmte Richtung zu ändern, die nicht nur von Ärztinnen, sondern auch Juristinnen geführt werden.82 b)  Materielle Äquivalenz Die Deklaration von Helsinki verpflichtet Ärztinnen, das Leben, die Gesundheit, die Würde, Integrität, Autonomie, Privatsphäre und Vertraulichkeit persönlicher Daten von Versuchspersonen zu schützen.83 Sie dient damit dem Individualschutz, der als internationale öffentliche Aufgabe identifiziert worden ist. Darüber hinaus reguliert sie durch den Anspruch Forschung zu normieren, bestimmte Aspekte der Gewinnung, Förderung und Verbreitung von medizinischem und pharmazeutischem Wissen als öffentliches Gut. Schließlich strebt die Deklaration an, die Disparitäten zwischen reicheren und ärmeren Regionen der Welt zu beeinflussen, in dem sie – zumindest in einem bestimmten Umfang – Aspekte der Verteilungsgerechtigkeit adressiert. 2.  Bestimmung a)  Reputation Der Vorwurf „unethische“ Forschung zu betreiben wirkt schwer und kann auch reputationsschädlich auf die Finanziers und Förderinnen dieser Forschung ausstrahlen.84 Akteure, die Forschung finanzieren und verwerten binden daher mitunter die von ihnen unterstützen Forscherinnen an die Beachtung „ethischer Grundprinzipien“, sehr häufig konkretisiert in der Deklaration von Helsinki.85 Wie auf Regierungsebene der Vorwurf der unethischen Forschung wirken kann, ist bereits anhand des Beispiels der US-Syphilis-Experimente in Guatemala verdeutlicht worden. Trotz Jahrzehnten, die seit den Versuchen vergangen waren, bedurfte es öffentlicher Entschuldigungen der US-Regierung. Keine Regierung, Regulierungsbehörde oder internationale Organisation möchte riskieren mit der 82  Stellvertretend zur (geplanten) Revision der Deklaration im Jahr 2000: Brennan, Troyen A., Proposed Revisions to the Declaration of Helsinki – Will they Weaken the Ethical Principles Underlying Human Research?, New England Journal of Medicine 341 (1999), 527 – 530; Levine, Robert J., The Need to Revise the Declaration of Helsinki, New England Journal of Medicine 341 (1999), 531 – 534; der Sammelband Deutsch, Erwin (Hrsg.), Forschungsfreiheit und Forschungskontrolle in der Medizin – zur geplanten Revision der Deklaration von Helsinki, 2000. Diese Diskussion wird nicht zuletzt in führenden rechtswissenschaftlichen Publikationen geführt Deutsch, Erwin, Klinische Forschung International: Die Deklaration von Helsinki des Weltärztebundes in neuem Gewand, NJW (2001), 857 – 860. 83  Prinzip 11 der Deklaration von Helsinki 2008. 84  Dubinsky, Joan Elise, Ethics and Reputational Risk Assessment – The Global Fund, 2008, aufrufbar unter www.theglobalfund.org/documents/oig/OIG_EthicsAndReputationalRiskAssessment_Report_en. 85  Siehe unten § 3 E. I. 2. b) cc) Finanzierung.

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Förderung unethischer Forschung assoziiert zu werden. Dies kann einer der Gründe sein, weshalb die Deklaration von Helsinki sowohl in nationalen Gesetzgebungen als auch in Guidelines und Handbüchern internationaler Organisationen oftmals umgesetzt bzw. zitiert wird.86 Viele Akteure binden sich auch vorbeugend selbst an die Deklaration von Helsinki, um die Reputation nicht zu gefährden. Die Max-Planck-Gesellschaft beispielsweise verabschiedete 2010 „Hinweise und Regeln der Max-Planck-Gesellschaft zum verantwortlichen Umgang mit Forschungsfreiheit und Forschungsrisiken“87 um der Forschung ethische Grenzen zu setzen.88 In der Einführung wird erläutert, dass mit diesen „ethischen Leitlinien im Wege der Selbstregulierung […] der Wissenschaftler […] auch dem Vorwurf unethischen Verhaltens [vorgebeugt werden] kann.“

Die für die Max-Planck-Gesellschaft geltenden Regelungen seien dabei nicht abschließend, sondern würden durch weitere fachspezifische Maßnahmen der Selbstregulierung, wie eben beispielsweise der Deklaration von Helsinki ergänzt.89 Unternehmen, die ebenfalls auf ihren Ruf bedacht sind, setzen auf die Werbewirksamkeit der Beteuerung sich an alle „ethischen Standards“ zu halten und insbesondere auch die Deklaration von Helsinki zu achten.90 Gleichermaßen ver86 Beispielhaft UNAIDS/WHO Guidance Document, Ethical Considerations in Biomedical HIV Prevention Trials, 2007, http://data.unaids.org/pub/manual/2007/jc1349_ ethics_2_11_07_en.pdf, 8; UNAIDS, Good Participatory Practice, Guidelines for Biomedical HIV Prevention Trials, 2011,  http://www.unaids.org/en/media/unaids/contentassets/ documents/unaidspublication/2011/JC1853_GPP_Guidelines_2011_en.pdf, 6, 48, 55; WHO, Handbook for Good Clinical Research Practice, 2002,  http://ori.hhs.gov/documents/WHOHandbookonGCP04 – 06.pdf, 3, 18, 21, 27, 35, 42, 43, 44, 48, 59, 66, 68, 72, 81, 98, 103, 104. 87  Abrufbar unter http://www.mpg.de/200127/Regeln_Forschungsfreiheit.pdf. 88 Zur verfassungsrechtlichen Problematik: Wilms, Hans Christian, Verantwortliche Forschung und Wissenschaftsfreiheit – ein Widerspruch?, Wissenschaftsrecht 43 (2010), 386 – 407. 89  Hinweise und Regeln der Max-Planck-Gesellschaft zum verantwortlichen Umgang mit Forschungsfreiheit und Forschungsrisiken, 2010, S. 5 und Fn. 5. 90 Siehe beispielsweise die Stellungnahme von Pfizer 2008 http://www.pfizer.com/ files/research/Helsinki_statement_5_08.pdf; Selbstdarstellung von Roche http://www.roche.com/corporate_responsibility/csr_research_and_development/ethical_standards.htm; GlaxoSmithKline und die grundsätzliche Relevanz von Vertrauen „Building an Ethics-bas­ ed Brand“ http://www.gsk.ca/english/html/media-centre/speeches/2012 – 01 – 19.pdf sowie die Position GSKs zu klinischen Versuchen in Entwicklungsländern http://www.gsk.com/ policies/GSK-on-clinical-trials-in-the-developing-world.pdf; Eli Lillys 2010 entwickelter Bioethics Framework for Human Biomedical Research basiert laut eigener Aussage u. a. auf der Helsinki Deklaration http://www.lilly.com/research-development/approach/re­ searchethics/Pages/bioethics.aspx; siehe auch Novartis Stellungnahme zu klinischen Versuchen in Entwicklungsländern und die Beachtung u. a. der Helsinki Deklaration http://www.novartis.com/downloads/corporate-responsibility/resources/positions/clinical-trials-developing-markets.pdf.

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teidigen sie sich auch gegen den Vorwurf „unethisch“ gehandelt zu haben mit dem (berechtigten oder unberechtigten) Hinweis darauf, die Vorgaben „der“ Deklaration von Helsinki beachtet zu haben.91 b)  Sanktionen Solche Sanktionen, die nicht durch staatliche Hoheitsgewalt erzwingbar sind, können direkter wie indirekter ökonomischer Art sein und auch in Bezug zur Reputation bestehen. aa) Publikationsvermögen Wie bemerkt sind die Publikation von Forschungsergebnissen und der damit verbundene Reputationsgewinn wesentlich für Wissenschaftskarrieren. Wissenschaftsjournale und Verlage sind damit in einer einflussreichen Position.92 Die meisten Wissenschaftsjournale und Verlage – insbesondere jene mit hohem Renomee – veröffentlichen laut ihren Richtlinien nur solche Ergebnisse, die auf Versuchen beruhen, die in Einklang mit der Deklaration von Helsinki durchgeführt wurden.93 Nicht veröffentlichen zu können, stellt eine wesentliche Sanktion dar, die die externe Motivation, die Deklaration von Helsinki – zumindest formal – zu beachten, konstituieren kann.94

91 Beispielsweise Wadman, Meredith, Pesticide Tests on Humans Cause Concern, Nature 394 (1998), 515. 92  Besondere Bedeutung kommt daher dem International Committee of Medical Journal Editors zu, welches äußerst einflussreich die Bedingungen normiert, nach denen biomedizinische Forschungsergebnisse publiziert werden. Edmond, Gary, Judging the Scientific and Medical Literature: Some Legal Implications of Changes to Biomedical Research and Publication, Oxford Journal of Legal Studies 28 (2008), 523 – 548. 93  Beschluss des International Committee of Medical Journal Editors, Uniform Requirements for Manuscripts von April 2010, Ethical Considerations in the Conduct and Reporting of Research, http://www.icmje.org/ethical_6protection.html; an dem ICMJE nehmen Teil: Annals of Internal Medicine, British Medical Journal, Canadian Medical Association Journal, Chinese Medical Journal, Croatian Medical Journal, Journal of the American Medical Association, Nederlands Tijdschrift voor Geneeskunde (The Dutch Medical Journal), New England Journal of Medicine, New Zealand Medical Journal, The Lancet, The Medical Journal of Australia, Revista Médica de Chile, Tidsskrift for Den Norske Lægeforening (The Journal of the Norwegian Medical Association), Ugeskrift for Laeger (Journal of the Danish Medical Association), the U.S. NLM, and the World Association of Medical Editors; siehe auch http://www.oxfordjournals.org/our_ journals/bjaint/ for_authors/general.html. 94  Levine weist darauf hin, dass in Widerspruch zu der Deklaration von Helsinki von 1996 zu dem Zeitpunkt vor der nächsten Revision viele medizinische Journale Studien veröffentlichten, deren Studiendesign eine Placebo-Kontrolle vorsah. Levine, Robert J., The Need to Revise the Declaration of Helsinki, New England Journal of Medicine 341 (1999), 531 – 534 [532].

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bb) Standardsetzung und Marktausschluss Die Deklaration von Helsinki (vom als inadäquat perzipierten Nürnberger Kodex abgesehen)95 wirkte bereits dadurch standardsetzend, dass sie das einzige Dokument war, das eine als solche empfundene Regelungslücke zum Teil füllen konnte. Die bestimmenden Wirkungen beeinflussen sich wechselseitig und verstärkend. So verlangen einflussreiche Verlage, dass ethische Standards beachtet werden und sorgen damit selbst für eine Fortschreibung der bestimmenden Standardsetzung. Die Bedingung von Publikationen an die Beachtung der Deklaration von Helsinki verstärkt damit deren Standardsetzung für die Ausgestaltung wissenschaftlicher Arbeiten. cc) Finanzierung Ebenso verhält es sich mit Forschungsfinanzierung. Finanzierungen nach dem 7. EU-Forschungsrahmenprogramm sind beispielsweise daran geknüpft, dass diese Forschung „ethische Grundsätze beachtet“.96 In spezifischen Entscheidungen des Rates zur Durchführung des Forschungsrahmenprogrammes wird konkretisiert, dass u. a. die Grundprinzipien der Deklaration von Helsinki beachtet werden müssten.97 Dies gilt ebenso für das nachfolgende EU-Rahmenprogramm für Forschung und Innovation Horizont 2020.98

95 

Siehe Fn. 74. Abs. 1 Beschluss 1982/2006/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über das Siebte Rahmenprogramm der EG für Forschung, technologische Entwicklung und Demonstration (2007 – 2013). 97 Entscheidung des Rates über das spezifische Programm „Zusammenarbeit“ zur Durchführung des Siebten Rahmenprogramms 2006/971/EG, Amtsbl. EU L 400/86, S. 108; Entscheidung des Rates über das spezifische Programm „Ideen“, 2006/972/EG, Amtsbl. EU L 400/242, S. 266; Entscheidung des Rates über das spezifische Programm „Menschen“, 2006/973/EG, Amtsbl. EU L 400/270, S. 285; Entscheidung des Rates über das spezifische Programm „Kapazitäten“, 2006/974/EG, Amtsbl. EU L 400/299, S. 314; Entscheidung des Rates über das spezifische Programm zur Durchführung des Siebten Rahmenprogramms der Europäischen Atomgemeinschaft für Forschungs- und Ausbildungsmaßnahmen im Nuklearbereich (2007 – 2011), 2006/976/Euratom, Amtsbl. EU L 400/404, S. 432; Entscheidung des Rates über das von der Gemeinsamen Forschungsstelle innerhalb des Siebten Rahmenprogramms der Europäischen Gemeinschaft für Forschung, technologische Entwicklung und Demonstration (2007 – 2013) durch direkte Maßnahmen durchzuführende spezifische Programm 2006/975/EG, Amtsbl. EU L 400/368, S. 401; Entscheidung des Rates über das von der Gemeinsamen Forschungsstelle innerhalb des Siebten Rahmenprogramms der Euratom für Forschungs- und Ausbildungsmaßnahmen im Nuklearbereich durch direkte Maßnahmen durchzuführende spezifische Programm 2006/977/Euratom, S. 452. 98  Siehe Art. 19 VO (EU) 1291/2013. 96  Art. 6

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dd) Nationale rechtliche Konsequenzen Darüber hinaus kann eine Verletzung der Deklaration von Helsinki durch Verweis in den nationalen Rechtsordnungen berufsrechtliche, arbeitsrechtliche, zivilrechtliche, strafrechtliche und verwaltungsrechtliche Konsequenzen haben. Ärztinnen,99 aber auch beispielsweise Psychotherapeutinnen100 können berufsrechtlich unmittelbar durch Berufsordnungen an die Deklaration gebunden sein. Mittelbar kann sie als Verhaltensmaßstab herangezogen werden.101 Verletzungen von Ethikkodizes, die auf die Deklaration verweisen oder diese rezipieren, wie etwa die benannte der Max-Planck-Gesellschaft, aber auch in privaten pharmazeutischen Unternehmen, können für angestellte Forscherinnen arbeitsrechtliche Konsequenzen haben. Verwaltungsrechtlich hat die Deklaration von Helsinki nicht zuletzt – zur Ausgangsfrage zurückkehrend – wesentliche sanktionierende Wirkung dadurch, dass entweder Ethikkommissionen auf ihrer Grundlage für oder gegen eine Studie votieren102 bzw. dass die Arzneimittelzulassung selbst durch die betreffende Regulierungsbehörde verweigert wird. c)  Bestimmung der Diskussionstopoi und Diskursanbindung Die Deklaration von Helsinki hat auch deswegen eine bestimmende Wirkung, da sie ganz maßgeblich den Diskurs bestimmt. Wie bereits bemerkt hatte die Deklaration von Helsinki wesentlichen Einfluss auf die Agenda internationaler Diskussionen, nicht zuletzt weil sie das erste Normwerk mit hoher Sichtbarkeit war. Dadurch betont sie die Verortung der Definitionshoheit im bioethischen Diskurs (statt im rechtlichen) und verstärkt die Wahrnehmung, dass dieser Sachverhalt primär und alleinig von ethischen Prinzipien bestimmt werden sollte. Durch diese Verschränkung werden die Sprache und die Kultur der Argumentation, die der Deklaration zugrunde liegen, auf die rechtliche Auseinandersetzung übertragen. 99  In Deutschland sieht § 15 Abs. 3 MBO für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte 1997 in der Fassung der Beschlüsse des 114. Ärztetages 2011 eine Bindung an die Deklaration von Helsinki vor. § 15 Abs. 3 MBO ist in dieser Form auch von den 17 Landesberufsordnungen rechtsverbindlich übernommen worden. Hierzu Hohnel, Brigitta, Die rechtliche Einordnung der Deklaration von Helsinki, 2005, S. 154 ff. 100  § 28 Abs. 1 MBO für die Psychologischen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten in der Fassung der Beschlüsse des 11. Psychotherapeutentages 2007, rechtsverbindlich umgesetzt etwa in § 28 Abs. 1 der Berufsordnung der Psychotherapeutenkammer NRW vom 25. 04. 2008. MBl. NRW vom 04. 08. 2008, S. 375 – 388. 101  Hohnel, Brigitta, Die rechtliche Einordnung der Deklaration von Helsinki, 2005, S. 99 ff; zur Auslegung der ärztlichen Kunst vgl auch BSG, Urteil vom 7. 11. 2006 = NJW 2007, 1385 – 1391, Rn. 27. 102 Klingmann, Ingrid/Adam, Dieter (Hrsg.), Ethik in der klinischen Prüfung, 1990; Vogeler, Marcus, Ethik-Kommissionen – Grundlagen, Haftung und Standards, 2011, S. 24.

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Teil 2: Arzneimittelversuche und Ethikguidelines

II.  Good Clinical Practice und weitere Guidelines der ICH 1.  Funktionale Äquivalenz a)  Formale Äquivalenz aa) Rechtsvorbereitende Funktion Die Guidelines der ICH sind von den teilnehmenden Staaten angenommen worden, ohne die Intention, nachträglich einen rechtlich bindenden Vertrag zu erarbeiten, welcher die rechtlich unverbindlichen Guidelines ersetzen könnte. Gleiches gilt für Länder, die nicht Mitglieder der ICH sind, für die die Guidelines jedoch ebenfalls eine bestimmende Wirkung haben. Sie könnten indes in einer ex post Betrachtung als rechtsvorbereitend wirken, wenn sie als Vorbild für die weitere Völkerrechtsentwicklung dienen sollten. bb) Rechtsergänzende Funktion Die ICH ist in der gleichberechtigten Zusammensetzung von Regulierungsbehörden, Ministerien und Repräsentantinnen der Privatindustrie nicht in der Situation Völkerrecht zu setzen, das durch weitere Guidelines ergänzt werden könnte. Dennoch wirken die Guidelines in dieser Art, da sie zur Ergänzung nationaler Rechtsnormen, insbesondere näheren Bestimmung methodologischer Verfahrensweisen herangezogen werden.103 cc) Rechtsersetzende Funktion Die Arbeiten der ICH sind vom Unionsrecht abgesehen, der erste erfolgreiche Versuch, einer internationalen Harmonisierung von Arzneimittelregelungen.104 Dennoch basiert diese nicht auf einem rechtlich verbindlichen Übereinkommen. Die beteiligten Länder zogen es vor, zusammen mit der pharmazeutischen Industrie Guidelines zu entwickeln, zu deren Umsetzung sie sich politisch verständigt haben. Die Harmonisierung ist damit bewusst auf rechtlich nicht-bindende Vereinbarungen gestützt worden, die dennoch als eine Art informelles Recht wirken. Aufgrund der Existenz von ICH-Guidelines scheint auch auf nationaler Ebene die Notwendigkeit des Schaffens von Rechtsnormen als nicht dringlich erachtet 103  Im Unionsrecht verweisen die für den pharmazeutischen Sektor maßgeblichen zehn Bände in EudraLex vielfach unmittelbar auf ICH-Guidelines (beispielsweise Band 10 ICH Guideline E2F Note for Guidance on Development Safety Update Reports) oder mittelbar durch Verweise auf EMA Dokumente, die Umsetzungen von ICH-Guidelines darstellen. http://ec.europa.eu/health/documents/eudralex/. 104  Purnhagen, Kai P., Kann das europäische Arzneimittelzulassungsverfahren als Modell für eine internationale Harmonisierung dienen?, EuR (2010), 438 – 453 [446]; Kanusky, Rosemarie, Pharmaceutical Harmonization: Standardizing Regulations among the United States, The European Economic Community, and Japan, Houston Journal of International Law 16 (1994), 665 – 707 [687 ff.].

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zu werden. Das deutsche Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) beispielsweise verweist in Bekanntmachungen auf die Relevanz von ICH-Guidelines an Stellen, an denen deutsche rechtliche Festlegungen fehlen.105 2.  Bestimmung Die Guidelines der ICH insbesondere die Good Clinical Practice Guideline (GCP-Guideline) wirken im Grunde ähnlich wie die Deklaration von Helsinki bestimmend, wenn auch mit teils anderer Gewichtung. a)  Reputation Die Industrievertreterinnen, das heißt unternehmerischen Sponsorinnen, die an der Entwicklung der Guideline mitgearbeitet haben, sind ebenfalls darauf bedacht ihre Reputation zu wahren. Ein Verstoß gegen ethische Grundsätze könnte schließlich „painful consequences“ wie rechtliche Verfolgung, aber auch eine „public condemnation“ nach sich ziehen, die sich nicht zuletzt wirtschaftlich niederschlagen könnte.106 Ebenso wie im Fall der Deklaration von Helsinki, wirken die Mechanismen des Vorwurfs der „unethischen Forschung“. b)  Wissenschaftliche Standardsetzung Darüber hinaus wird ein Verstoß gegen die Good Clinical Practice Guideline nicht nur als Verstoß gegen ethische Grundsätze, sondern insbesondere auch gegen wissenschaftliche Validität gewertet. Vielmehr noch als die Deklaration von Helsinki wirkt sie nicht nur als ethische, sondern auch wissenschaftlich methodologische Standardsetzung. Dadurch, dass sie von der EU, den USA und Japan in bindende Regelungen für die Zulassung von Arzneimitteln umgesetzt worden ist, hat sie für solche Forschung national rechtliche Verbindlichkeit.107 Allerdings wirken die ICH-Guidelines sachlich wie räumlich weit darüber hinaus. Zum einen 105  Etwa im Falle mangelnder Festlegungen weder im AMG noch in der GCP-V bezüglich des Umfangs und der Häufigkeit des Monitorings bei klinischen Prüfungen. Bekanntmachung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte, des Paul-Ehrlich-Instituts und des Bundesministeriums für Gesundheit vom 21. 10. 2009 über nicht-kommerzielle Prüfungen, abrufbar unter http://www.bmg.bund.de/fileadmin/redaktion/pdf_gesetze/bekanntmachungen/Bekanntmachung-Nicht-kommerziellen-klinischen-Pruefungen.pdf. 106  D’Arcy, Patrick F./Harron, Dean W. G. (Hrsg.), Proceedings of The First International Conference on Harmonisation Brussels 1991, 1992, S. 357 f. 107 Die Guideline hat einerseits einen Einfluss auf die nationale und supranationale Gesetzgebung: siehe Erwägungsgrund 6 RL 2001/20/EG und Erwägungsgrund 8 der RL 2005/28/EG. Andererseits ist sie von Regulierungsbehörden als Guideline angenommen worden: EMA Doc. CPMP/ICH/135/95/Step5; Annahme durch die FDA: 62 Federal Register 25691 – 25709 vom 09. 05. 1997; Annahme durch die japanische Regulierungsbehörde: PAB Notification No. 430, MHLW Ordinance No. 28. Die EMA ist durch Art. 57 Abs. 1 VO (EG) 2004/726 dazu ermächtigt Guidelines zu entwickeln.

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Teil 2: Arzneimittelversuche und Ethikguidelines

wirken sie auch für Forschung bestimmend, die gerade nicht primär der Arzneimittelzulassung dient.108 Zum anderen üben sie eine bestimmende Wirkung auf andere Regulierungsbehörden bzw. andere nationale Regelungsgeber aus.109 Es war von Anfang die Intention, die Standards in Ländern und der WHO zu beeinflussen, die nicht unmittelbare Teilnehmerinnen der ICH waren.110 Die ICH-Standards werden sogar als „globale wissenschaftliche Standards“ wahrgenommen mit spill-over-Effekten auf ihre Perzeption aus ethischer Perspektive.111 c)  Sanktionen aa) Publikationsvermögen Die meisten renommierten Forschungsjournale verlangen zwar nicht explizit, dass zu publizierende Versuchsanordnungen den GCP-Guidelines entsprechen. Das International Committee of Medical Journal Editors112 hat indes beschlossen, dass eine Voraussetzung für die Publikation eine Registrierung der Versuchsmethodologie (nicht der Ergebnisse) bei der Plattform ClinicalTrials.gov sein solle, um eine Nicht-Veröffentlichung nicht genehmer Forschungsergebnisse zu vermeiden.113 ClinicalTrials.gov ist eine Plattform, die vom US National Institutes of Health in Zusammenarbeit mit der US FDA auf Grundlage des FDA Modernization Act von 1997 gegründet worden ist. Voraussetzung, um eine Studie bei ClinicalTrials.gov zu registrieren ist wiederum, dass diese zum einen konform mit „any 108  Switula, Dorota, Principles of Good Clinical Practice (GCP) in Clinical Research, Science and Engineering Ethics 6 (2000), 71 – 77 [71].; McMahon, Alex D./Conway, David I./MacDonald, Tom M./McInnes, Gordon T., The Unintended Consequences of Clinical Trials Regulations, PLoS Medicine 6 (2009), 1 – 4. 109 Während der ersten ICH bemerkte der Repräsentant der sowjetischen Regulierungsbehörde, der als Beobachter an der Konferenz teilnahm, dass über 11.000 km und 300.000.000 Bewohner zwischen der EU und Japan lägen und fragte, ob es nicht sinnvoll wäre, über einen globalen Prozess der Harmonisierung nachzudenken, da die (früheren) sowjetischen Republiken bereits angefangen hätten, ihre Gesetzgebungen mit den Anforderungen der EU, USA und Japan zu harmonisieren. D‘Arcy, Patrick F./Harron, Dean W. G. (Hrsg.), Proceedings of The First International Conference on Harmonisation Brussels 1991, 1992, S. 577. 110  Ryan, Ann E., Protecting the Rights of Pediatric Research Subjects in the Interna­ tional Conference on Harmonisation of Technical Requirements for Registration of Pharmaceuticals for Human Use, Fordham International Law Journal 23 (2000), 848 – 934 [915]. 111  Zarin, Debora A./Tse, Tony/Ide, Nicholas C., Trial Registration at ClinicalTrials.gov between May and October 2005, New England Journal of Medicine 353 (2005), 2779 – 2787; Switula, Dorota, Principles of Good Clinical Practice (GCP) in Clinical Research, Science and Engineering Ethics 6 (2000), 71 – 77 [71]. 112  Siehe oben Fn. 93. 113 http://www.icmje.org/publishing_10register.html; De Angelis, Catherine/Drazen, Jeffrey M./Frizelle, Frank A./Haug, Charlotte/Hoey, John, et al., Clinical Trial Registration: A Statement from the International Committee of Medical Journal Editors, The Lancet 364 (2004), 911 – 912.

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applicable human subject or ethics review regulation“ und zum anderen konform mit „any applicable regulations of the national (or regional) health authority“ sein müsse.114 Faktisch führt dies dazu, dass alle klinischen Studien auch solche, die gerade nicht für Arzneimittelzulassungen gedacht sind, konform zu den ICH-Guidelines sein müssen. bb) Finanzierung Schließlich wird um Reputationsbeschädigungen zuvorzukommen und um die so erachteten „globalen wissenschaftlichen Standards“ zu beachten und auch aufgrund des Drucks der damit einhergeht, möglichst komplikationslos in renommierten Journalen und Verlagen publizieren zu können, die Finanzierung von Studien oftmals an die Einhaltung dieser Standards gebunden.115 cc) Marktausschluss Für Regelungsgeber, die nicht Mitglieder der ICH sind, bedeutet dies, dass deren nationale Regelungen notwendigerweise mit denen anderer (wirtschaftlich und wissenschaftlich wichtiger) Länder konsistent sein müssen, um nicht vom globalen Forschungsmarkt ausgeschlossen zu werden.116 Dadurch, dass diese Guidelines unmittelbar verbindliche Standards der drei großen Märkte geworden sind, wirken sie insbesondere über Standardsetzung und mögliche Marktexklusionen als Sanktionen auf andere Länder. Länder wie China haben die ICH-Standards umgesetzt, um zu garantieren, dass chinesische Forschung formal „FDA tauglich“ ist.117 114 http://prsinfo.clinicaltrials.gov/. 115  Diese Entwicklung wird vor allem von Forscherinnen selbst kritisch gesehen: Lang, Trudie/Cheah, Phaik Yeong/White, Nicholas J., Clinical Research: Time for Sensible Global Guidelines, The Lancet 377 (2011), 1553 – 1554; McMahon, Alex D./Conway, David I./ MacDonald, Tom M./McInnes, Gordon T., The Unintended Consequences of Clinical Trials Regulations, PLoS Medicine 6 (2009), 1 – 4, e1000131. 116 Beispielsweise für Australien: Alston, Andrew, Country Report Australia, in: Deutsch, Erwin/Duttge, Gunnar/Schreiber, Hans-Ludwig/Spickhoff, Andreas/Taupitz, Jochen (Hrsg.), Die Implementierung der GCP-Richtlinie und ihre Ausstrahlungswirkungen, 2011, S. 203 – 218 [210 f.]. Für Israel: Shapira, Amos, Country Report Israel, in demselben Band, S. 241 – 248. Südkorea hat explizit seine eigenen Good Clinical Practice Guidelines nach dem Vorbild der ICH geändert: Yeun, Kee-Young, Regelungen für die klinische Prüfung und die Implementierung der GCP-Richtlinie in der Republik Korea, in demselben Band, S. 275 – 298. Aus diesem Grund versucht auch China ihre Regularien denen der USA anzupassen, um chinesische Studien „FDA tauglich“ regulieren: Cyranoski, David, China Rushes through Major Funding System, Nature 455 (2008), 142, 142. Singapur adaptierte explizit die ICH-GCP-Guideline „nicht überraschend angesichts der Realitäten“: Kaan, Terry, The Worth of Consent: The Ethics of Research in a Global Environment, Santa Clara Journal of International Law 5 (2006), 78 – 99 [80]. 117  Cyranoski, David, China Rushes through Major Funding System, Nature 455 (2008), 142.

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Teil 2: Arzneimittelversuche und Ethikguidelines

dd) Nationale, rechtliche Konsequenzen Nicht zuletzt können nationale, rechtliche Konsequenzen an die ICH-Standards geknüpft sein, indem sie als Maßstäbe zur Bestimmung von Sorgfaltspflichten herangezogen werden, insofern sie als „globale Standards“ und damit „Stand der Technik“ erachtet werden.118 Verwaltungsrechtlich kann darüber hinaus selbstverständlich die Zulassung eines Arzneimittels verweigert werden. Diese Wirkung geht auch über nationale Forschung und rein wissenschaftliche Aspekte hinaus. Die FDA legte beispielsweise dar, dass die Einhaltung der ICH-GCP-Guideline die starke Vermutung aufstelle, dass ausländische Studien dem in 21 CFR § 312.120 formulierten GCP-Standard genügen und somit implizit auch als ethisch in diesem Sinne zu erachten sind.119 d)  Bestimmung der Diskussionstopoi und Diskursanbindung Die ICH-Guidelines sind sehr einflussreich darin, wissenschaftliche Standards zu setzen. Übereinkommen auf Ebene der ICH haben den Effekt, maßgeblich die Agenda für den wissenschaftlichen Diskurs, in Fragen etwa der Methodologie, zu bestimmen. Diese können jedoch ganz wesentliche „ethische“ Implikationen enthalten, die das Wohl von Versuchspersonen betrifft, wie zum Beispiel die Choice of Control Group and Related Issues in Clinical Trials E10 Guideline. Die Normen des „wissenschaftlichen Teils“ bilden oftmals den Bezugrahmen für „ethische Erörterungen“.120 III.  CIOMS International Ethical Guidelines for Biomedical Research Involving Human Subjects 1.  Öffentlichkeit a)  Öffentlichkeit durch Beteiligung der WHO? Die Zusammenarbeit mit der WHO erfolgt inhaltlich vor allem in gemeinsamen Arbeitsgruppen, die aus Vertreterinnen des WHO advisory committee on health research (bzw. dem früheren advisory committee on medical research) und dem

118  Engelke, Karsten, Transnationalisierung der Arzneimittelregulierung: Der Einfluss der ICH-Guidelines auf das deutsche Arzneimittelzulassungsrecht, MedR 28 (2010), 619 – 624 [624]. 119 FDA 21 CFR Part 312, Finale Rule, 73 Federal Register 22800 [22807] vom 28. 04. 2008. 120  Der Kommentar zu Guideline 11 der CIOMS International Ethical Guidelines for Biomedical Research Involving Human Subjects zitiert diese Guideline, um wissenschaftlich valide Alternativen im Studiendesign aufzuzeigen.http://www.cioms.ch/publications/ guidelines/guidelines_nov_2002_blurb.htm.

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CIOMS bestehen.121 Eine berichterstattende Funktion hat das stehende CIOMS advisory committee on bioethics, das vom CIOMS ernannt worden ist und dessen Mitgliedschaft personell mit dem advisory committee on health research übereinstimmt. Wegen der Zusammenarbeit der privaten CIOMS und der WHO sind deren Guidelines bisher als das Ergebnis einer public private partnership erachtet worden. Eine Annahme durch die WHO, d. h. eine Resolution der World Health Assembly oder eine Empfehlung durch die WHA,122 könnte die Guidelines formal auf eine öffentlich rechtliche Basis stellen (und sie könnten als soft law qualifiziert werden).123 Als verbindliche Richtlinie im Sinne von Art. 21 WHO-Statut wurden die Guidelines allerdings nicht angenommen.124 Zurechenbar sind sie jedenfalls dem – als privat anzusehenden – CIOMS. Auch laut Titel sind sie von dem CIOMS „in collaboration with the World Health Organization“ „ausgearbeitet“ worden. Jedenfalls können die CIOMS-Guidelines wie im Folgenden zu zeigen, funktional äquivalent zu Akten öffentlich-rechtlicher Akteure sein. b)  Funktionale Äquivalenz aa) Formale Äquivalenz (1) Rechtvorbereitende Funktion Die CIOMS-Guidelines sind wie die Deklaration von Helsinki zu einer Zeit erarbeitet worden, als noch kein verbindliches Abkommen in Sicht war. Ebenso wie die Deklaration von Helsinki haben sie als faktisches Modell gewirkt.125 Sie 121  Bankowski, Zbigniew/Howard-Jones, N. (Hrsg.), Human Experimentation and Medical Ethics – Proceedings of the XVth CIOMS Round Table Conference, 1982, S. 442 ff. 122  Auch wenn die WHA eine solche Empfehlung nicht explizit Art. 23 des WHO-Statuts unterstellte, würde das nicht den empfehlenden Charakter einer solchen Entscheidung ändern. Burci, Gian Luca/Vignes, Claude-Henri, World Health Organization, 2004, Rn. 296. 123  Beigbeder, Yves, The World Health Organization, 1998, S. 75; Beigbeder, Yves, ­World Health Organization, in: Wolfrum, Rüdiger (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, online edition [www.mepil.com], 2008. 124  Die zugänglichen Informationen waren indes nicht umfassend genug, um mit Sicherheit feststellen zu können, ob die WHA die International Ethical Guidelines for Biomedical Reserach Involving Human Subjects empfohlen hat. 125  Zur Verwurzelung der entsprechenden Regulierungen Australiens, Belgiens, Brasiliens, Indiens, Israels, Japans, Neuseelands, Norwegens, Ugandas und des Vereinigten Königreichs in der Deklaration von Helsinki sowie den CIOMS-Guidelines: Human, Delon/Fluss, Sev S., The World Medical Association’s Declaration of Helsinki: Historical and Contemporary Perspectives, 2001 (fünfter Entwurf), abrufbar unter http://www.wma.net/ en/20activities/10ethics/10helsinki/draft_historical_contemporary_perspectives.pdf. Eine vergleichende Analyse der Deklaration von Helsinki und EU- und US-Recht, sowie Regelungen der Schweiz, Deutschland, Frankreich, dem Vereinigten Königreich sowie Kanada: Sprumont, Dominique/Girardin, Sara/Lemmens, Trudo, The Helsinki Declaration and the Law: An International and Comparative Analysis, in: Schmidt, Ulf/Frewer, Andreas (Hrsg.), History and Theory of Human Experimentation, 2007, S. 223 – 252.

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sind gerade mit dem Ziel entwickelt worden, als Erweiterung der Deklaration von Helsinki und „in Anbetracht der ICH-Guidelines“ ein Modell für jene Länder, insbesondere Entwicklungsländer, zu bieten, die noch keine bioethischen Regelungen zur Forschung an Menschen implementiert hatten und akzentuiert Aspekte der Verteilungsgerechtigkeit.126 (2) Rechtsbegleitende Funktion Die CIOMS-Guidelines sind nicht konzipiert worden, um geltendes Recht zu begleiten. Dennoch werden sie zu intrepretatorischen Zwecken herangezogen, insoweit spezifische Fragen der Forschung in Entwicklungsländern zu beantworten sind. Die EMA beispielsweise zieht die CIOMS-Guidelines heran, um EU-rechtliche Bestimmungen127 zu den ethischen Voraussetzungen von Arzneimittelforschung in Drittländern zu erörtern (wenn auch in einem unverbindlichen Enwurf eines reflection papers).128 (3) Rechtsersetzende Funktion Da die CIOMS-Guidelines als Modell für Entwicklungsländer erarbeitet worden sind, die keine vorherige bioethische Regulierung zur Forschung an Menschen hatten, scheinen auf nationaler Ebene einige Entwicklungsländer auf diese Guidelines als Normen für einige bestimmte Aspekte der Forschung in Entwicklungsländern, wie der extern gesponserten Forschung, Rekurs zu nehmen, wenn sie keine eigenen Regelungen aufweisen.129 bb) Materielle Äquivalenz Die CIOMS-Guidelines legen einen starken Fokus auf den Individualschutz und den Schutz von besonders schützenswerten Personengruppen. Sie steuern auch die Generierung und Verbreitung von Wissen. Außerdem messen sie Aspekten der Verteilungsgerechtigkeit große Bedeutung bei und streben an, große Unterschiede zwischen den Weltregionen auszugleichen. 126  Bankowski, Zbigniew/Howard-Jones, N. (Hrsg.), Human Experimentation and Medical Ethics – Proceedings of the XVth CIOMS Round Table Conference, 1982, S. 452. 127  Art. 8 Abs. 3 lit. Ib) RL 2001/83/EG in der durch RL 2004/27/EG geänderten Fassung und Abs. 8 der Präambel von Annex I der RL 2001/83/EG in der durch RL 2003/83/EG geänderten Fassung; für das zentrale Zulassungsverfahren Art. 6 Abs. 1 VO (EG) 726/2004. 128  EMA Reflection Paper on Ethical and GCP Aspects of Clinical Trials of Medicinal Products for Human Use conducted in third Countries and submitted in Marketing Authorisation Applications to the EMA, vom 26. 05. 2010, EMA/712397/2009. 129  So beispielsweise Nigeria im Jahr 2003: Nwabueze, Remigius N., Ethical Review of Reserach Involving Human Subjects in Nigeria: Legal and Policy Issues, Indiana International & Comparative Law Review 14 (2003), 87 – 116, mit Bezug auf eine Überwachung durch Ethikkommissionen von extern gesponserter Forschung mit Rückgriff auf Guideline 3 der CIOMS Guidelines von 2002.

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2.  Bestimmung a)  Reputation Ebenso wie die Deklaration von Helsinki geht der Vorwurf einer Verletzung dieser Guidelines mit dem Vorwurf „unethischer“ Forschung einher, der in so einem Maße reputationsschädlich wirkt, dass er geeignet ist, das Verhalten der Akteure zu bestimmen. b)  Nationale rechtliche Sanktionen Insbesondere Entwicklungsländer nehmen Rekurs auf die CIOMS-Guidelines, entweder als faktisches Modell oder durch unmittelbare Anwendung. In diesen Ländern hat eine Nicht-Beachtung wesentliche rechtliche Konsequenzen. Aber auch in Industrieländern, kann möglicherweise eine Nicht-Beachtung z. B. verwaltungsrechtliche Folgen haben. Das bereits zitierte reflection paper der EMA ist zwar unverbindlich und derzeit erst ein Entwurf, es zeigt jedoch die Ansichten der EMA, welche ihre Entscheidungen maßgeblich beeinflussen können. Darüber hinaus empfiehlt die WHO, wenn auch auf unverbindliche Weise in einem Manual für Arzneimittelregulierungsbehörden, dass diese die CIOMS-Guidelines ebenso wie die Deklaration von Helsinki beachten sollten.130 Denkbar ist, dass deswegen auch obligatorische Ethikkommissionen sich bei der Beurteilung von Forschung in Entwicklungsländern an den CIOMS-Guidelines orientieren. IV.  Zusammenfassende Bewertung Die Deklaration von Helsinki normierte, vom außerhalb des angelsächsischen Raums kaum rezipierten Nürnberger Kodex abgesehen, als erstes relevantes Dokument auf internationaler Ebene, Versuche an Menschen und schaffte es bereits mit seiner Vorreiterrolle den Diskurs erheblich zu beeinflussen.131 Sie wirkte lange Zeit als Modell und Vorbild für sehr viele nationale Regelungen. Dabei wirkte sie derart Standard bildend, dass auch nationale Regelungen explizit und implizit auf sie Bezug nahmen. So jedenfalls ergab die Auswertung von 78 Fragebögen Anfang der 1980er, die von dem CIOMS an entsprechend viele Länder geschickt worden war, dass die Hälfte in ihren nationalen Regulierungen sich explizit auf die Deklaration von Helsinki (in der Version von Tokio) bezogen. 62 Länder gaben unter anderem an, auf „internationale Guidelines“ Bezug zu nehmen, was darauf schließen lässt, dass eine Umsetzung der Deklaration von Helsinki stattgefunden 130  Beispielsweise Marketing Authorization of Pharmaceutical Products wich Special Reference to Multisource (Generic) Products: A Manual for Drug Regulatory Authorities, WHO Doc. WHO/DMP/RGS/98.5. 131  Zur Deklaration von Helsinki (1996) als „delicate compromise“, der nicht leichtfertig geändert werden solle: Brennan, Troyen A., Proposed Revisions to the Declaration of Helsinki – Will they Weaken the Ethical Principles Underlying Human Research?, New England Journal of Medicine 341 (1999), 527 – 530 [530].

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haben kann, ohne dass dies offensichtlich bewusst war.132 Während der Harmonisierungsarbeiten in der ICH trat auch zu Tage, dass die EU, USA und Japan ihre Anforderungen „klar“ auf der Deklaration von Helsinki basiert hatten, auch wenn nur die europäischen Regelungen explizit auf diese Bezug nahmen.133 Die Deklaration von Helsinki wird mitunter als verbindliches Abkommen wahrgenommen, auch wenn sie es nicht ist. Sowohl im juristischen Diskurs als auch von Regelungsgebern wird entweder in einer Sprache auf die Deklaration Bezug genommen, die sonst völkerrechtlichen Abkommen vorbehalten ist,134 oder sie wird undifferenziert in eine Reihe mit Völkerrechtsabkommen wie der Biomedizinkonvention des Europarates genannt135 bzw. als Menschenrechtsabkommen bezeichnet.136 Zwar entschloss sich die FDA 2008 dazu, den Code of Federal Regulation dahingehend zu ändern, dass für Auslandsstudien nicht mehr die Beachtung der Deklaration von Helsinki gefordert wird, sondern die Beachtung der GCP-Standards. Die Kontroverse, die sich darum entzündete,137 und der Rechtfertigungsaufwand, den die FDA betrieb, belegen allerdings,138 wie sehr die Deklaration den Diskurs und das Verhalten der Akteure bestimmt. Inhaltliche Änderungen werden von Regulierungsbehörden wie auch der EMA verfolgt und öffentlich kommentiert.139 Die benannte GCP-Guideline der ICH wirkt vor allem über Marktmechanismen bestimmend. Dadurch, dass sie von den drei wesentlichen Märkten umgesetzt worden ist, wirkt sie auch für alle anderen Länder. Darüber hinaus wirkt sie auch Standard bildend für Wissenschaftlichkeit und für die Generierung „bester Daten“. Sie erhebt damit den Anspruch, nicht nur „ethische“ Forschung zu normieren, sondern auch wissenschaftlich valide. 132  Bankowski, Zbigniew/Howard-Jones, N. (Hrsg.), Human Experimentation and Medical Ethics – Proceedings of the XVth CIOMS Round Table Conference, 1982, S. 447. 133  D’Arcy, Patrick F./Harron, Dean W. G. (Hrsg.), Proceedings of The First International Conference on Harmonisation Brussels 1991, 1992, S. 450. 134 Beispielsweise Alston, Andrew, Country Report Australia, in: Deutsch, Erwin/Duttge, Gunnar/Schreiber, Hans-Ludwig/Spickhoff, Andreas/Taupitz, Jochen (Hrsg.), Die Implementierung der GCP-Richtlinie und ihre Ausstrahlungswirkungen, 2011, 203 – 218 [203], der davon spricht, dass Australien die Deklaration von Helsinki „ratifiziert“ habe. 135  So die Entscheidungen des Europäischen Rates zum 7. Forschungsrahmenprogramm siehe Art. 6 Abs. 1 Beschluss 1982/2006/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über das Siebte Rahmenprogramm der EG für Forschung, technologische Entwicklung und Demonstration (2007 – 2013); siehe auch Fn. 97. 136  D’Arcy, Patrick F./Harron, Dean W. G. (Hrsg.), Proceedings of The First International Conference on Harmonisation Brussels 1991, 1992, S. 450 f. 137 Kritisch Kimmelman, Jonathan/Weijer, Charles/Meslin, Eric M., Helsinki Discords: FDA, Ethics and International Drug Trials, The Lancet 343 (2009), 13 – 14; Editorial, Trials on Trial, Nature 453 (2008), 427 – 428, siehe auch Coyne, Dennis M., International Pharmaceutical Mistrials: Existing Law for the Protection of Foreign Human Subjects and a Proposal for Reform, Boston University International Law Journal 29 (2011), 427 – 450 [438 f.]. 138  FDA 21 CFR Part 312, Finale Rule, 73 Federal Register 22800 [22807] vom 28. 04. 2008. 139  Etwa EMA Dokument vom 28. 06. 2001 EMA/17424/01.

§ 3  Ethikguidelines als funktionale Äquivalente internationaler Gewalt

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Dies führt dazu, dass die Beachtung sowohl der Deklaration von Helsinki als auch der ICH-Guidelines von öffentlichen wie auch privaten Einrichtungen als Bedingung für Forschungsfinanzierung verlangt wird; nicht zuletzt deshalb, weil führende Journale, laut ihrer policy, nur Ergebnisse solcher Forschung publizieren, die die Deklaration von Helsinki und die ICH-Guidelines beachtet hat. Die CIOMS-Guidelines scheinen weniger bestimmend zu sein, da führende Industriestaaten weniger Rekurs auf diese nehmen. Sie erhalten jedoch im Kontext der Forschung in Entwicklungsländern Bedeutung. Ein Verstoß gegen diese und der damit verbundene Vorwurf der „unethischen“ Forschung wirkt reputationsschädlich und hinderlich. Zudem wirken die CIOMS-Guidelines modellhaft für Forschung in Entwicklungsländern. Dies führt dazu, dass Forschung in Entwicklungsländern durch die Trias Deklaration von Helsinki, ICH-Guidelines und CIOMS-Guidelines bestimmt wird. In Ländern mit schwacher eigener Legislation wird Rückgriff auf diese drei genommen.140 „Sicherheitshalber“ wird auf alle drei Guidelines Bezug genommen. Auch multinationale Unternehmen, die sich dem generellen Misstrauen durch die Öffentlichkeit ausgesetzt sehen, „ausbeuterische“ Forschung in Entwicklungsländern zu betreiben, stellen mitunter heraus, dass sie alle drei ethischen Guidelines beachten.141 Aber auch von Internationalen Organisationen wie der WHO142 und UNAIDS143 wird in Handbüchern die Beachtung dieser drei Guidelines empfohlen, was wesentlich zu der bestimmenden Wirkung beiträgt. Dies führt dazu, dass geradezu reflexhaft auf diese drei Guidelines (zusammen) Bezug genommen bzw. verwiesen wird, um die ethische Lauterkeit der Forschung zu betonen. Es werden alle Akteure von diesen Guidelines bestimmt, da sie nicht ohne ganz erhebliche Nachteile sich den unilateralen Handlungsanweisungen entziehen könnten. Diese Ethikguidelines privater bzw. hybrider Provenienz sind damit als funktionale Äquivalente zu Ausübungen internationaler öffentlicher Gewalt zu begreifen und damit öffentlich-rechtlichen Legitimationsanforderungen zu unterwerfen. 140  Nwabueze, Remigius N., Ethical Review of Reserach Involving Human Subjects in Nigeria: Legal and Policy Issues, Indiana International & Comparative Law Review 14 (2003), 87 – 116 [105]. 141  Siehe beispielsweise die Stellungnahme von Pfizer 2008 http://www.pfizer.com/files/ research/Helsinki_statement_5_08.pdf; Eli Lillys 2010 entwickelter Bioethics Framework for Human Biomedical Research basiert laut eigener Aussage u. a. auf der Helsinki Deklaration, den ICH-Guidelines und den CIOMS-Guidelines http://www.lilly.com/research-development/approach/research-ethics/Pages/bioethics.aspx; die Position von Merck 2012 http:// www.merck.com/about/views-and-positions/clinical_trial_ethics_march2012.pdf. 142  Operational Guidelines for Ethics Committees that Review Biomedical Research, 2000, WHO Doc. TDR/PRD/ETHICS/2000.1; WHO Handbook for Good Clinical Research Practice (GCP) – Guidance for Implementation, 2002, abrufbar unter http://ori.hhs.gov/documents/WHOHandbookonGCP04 – 06.pdf . 143 Ethical Considerations in Biomedical HIV Prevention Trials – UNAIDS/WHO Guid­ance Document, 2007, UNAIDS Doc. UNAIDS/07.28E/JC1349E.

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§ 4  Legitimität der Ethikguidelines Im vorherigen Kapitel wurde dargelegt, dass der (weit verstandene) Begriff der internationalen öffentlichen Gewalt zur Beschreibung von internationalen normativen Phänomenen wie Akten privater oder hybrider Akteure herangezogen werden kann. Solche Akte werden dann vom Begriff der internationalen öffentlichen Gewalt erfasst, wenn sie funktional äquivalent zu Akten auf öffentlich-rechtlicher Grundlage sind. Die betrachteten Ethikguidelines können demnach als funktional äquivalente Akte der internationalen öffentlichen Gewalt qualifiziert werden. Sie müssen sich folglich auch an entsprechenden Legitimitätsanforderungen messen lassen. Diese sind Gegenstand des folgenden Kapitels.

A.  Legitimität I.  Begriffsannäherung Legitimität als Rechtfertigung von Herrschaft und Normen ist ein neuzeitliches Konzept, das mit der Säkularisierung und der Abkehr von der Vorstellung einer „göttlich bestimmten Ordnung“ einherging.144 Grundsätzlich lassen sich ein deskriptiver und ein normativer Begriff von Legitimität unterscheiden. Auf Grundlage eines deskriptiven – oder auch faktischen145 – Begriffs ließe sich Legitimität mit Akzeptanz politischer Macht und deren Entscheidungen gleichsetzen. Dieser Legitimitätsbegriff, der vor allem von Max Weber und in der Folge von Niklas Luhmann geprägt wurde, soll jedoch – aus noch darzulegenden Gründen – dieser Arbeit nicht zugrunde gelegt werden. Nicht die empirisch nachgewiesene Akzeptanz ist demnach entscheidend, sondern – im Sinne eines normativen Legitimitätsbegriffs – die Anerkennungswürdigkeit von Normen.146 Der Herrschaftsanspruch einer Person ist folglich dann in einem normativen Sinne legitim, wenn sie berechtigt ist, zu herrschen.147 Auf Grundlage eines normativen Legitimitätsbegriffs streiten sich dann wiederum verschiedene Theoriestränge darum, welche Bedingungen ein Akteur erfüllen muss, um berechtigt zu sein. Diese Berechtigung muss nicht in einem rein legalistischen Sinne, sondern kann auch politisch-philosophisch verstanden werden. Ein Herrschaftsanspruch ist demnach dann legitim, wenn er bestimmten 144  Auch wenn der Begriff der Legitimität sich bereits in der römischen Jurisprudenz findet, und seit der Aufklärung religiöse und säkulare Begründungen konkurrierten. Siehe Würtenberger, Thomas, Die Legitimität staatlicher Herrschaft – eine staatsrechtlich-politische Begriffsgeschichte, 1973. 145  Peters, Anne, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, 2001, S. 506 ff. 146  Vöneky, Silja, Recht, Moral und Ethik – Grundlagen und Grenzen demokratischer Legitimation für Ethikgremien, 2010, S. 136. 147  Buchanan, Allen, The Legitimacy of International Law; Tasioulas, John, The Legitimacy of International Law, beide in: Besson, Samantha/Tasioulas, John (Hrsg.), The Philosophy of International Law, 2010, S. 79 – 96 [79]; 97 – 116 [97].

§ 4  Legitimität der Ethikguidelines

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Gerechtigkeits- und Rationalitätsanforderungen genügt.148 Dies ist vor allem für internationale governance-Akteure bedeutsam, die gerade nicht (ausreichend) auf den Staatenkonsens als die in der überkommenen Völkerrechtstheorie dominante Legitimitätsquelle rückführbar sind,149 die aber dennoch aufgrund ihrer Ausübung von internationaler öffentlicher Gewalt Legitimitätsanforderungen genügen sollen. II.  Faktische Legitimitätskonzeptionen 1.  Deskriptiv-empirische Konzeption Der deskriptiv-empirische Legitimitätsbegriff geht insbesondere auf Max Weber und Niklas Luhmann zurück. Max Weber formulierte die These, dass Herrschaft und Entscheidungen dann als legitim anzusehen seien, wenn diese faktisch von allen Betroffenen als richtig anerkannt würden.150 Nach Webers soziologischer Theorie der rationalen Legitimität ist Grundlage dieser Anerkennung der Glauben an die Legalität gesetzter Ordnungen.151 Luhmann kritisierte zwar, dass nicht erkennbar sei, wie eine solche Legitimität der Legalität soziologisch möglich sein solle,152 folgte jedoch dem deskriptiv-empirischen Begriff als solchem in seiner soziologischen Theorie. Die legitime Geltung bindender Entscheidungen sei als ein notwendiges und typisches Kennzeichen moderner politischer Systeme anzusehen, als „eine Art Grundkonsens“, der einer Einigung über das im Einzelfall Richtige vorgeschaltet sei.153 Nach Luhmanns Konzeption der „Legitimation durch Verfahren“ ist Legitimation die „generalisierte Bereitschaft, inhaltlich noch unbestimmte Entscheidungen innerhalb gewisser Toleranzgrenzen hinzunehmen“, die gerade nicht auf freiwilliger Anerkennung beruht.154 Legitimitätsquelle ist vielmehr die Unterwerfung des 148  Vöneky, Silja, Recht, Moral und Ethik – Grundlagen und Grenzen demokratischer Legitimation für Ethikgremien, 2010, S. 132. 149  Wolfrum, Rüdiger, Legitimacy of International Law and the Exercise of Administrative Functions: The Example of the International Seabed Authority, the International Maritime Organization (IMO) and International Fisheries Organizations, in: Bogdandy, Armin von/Wolfrum, Rüdiger/Bernstorff, Jochen von/Dann, Philipp/Goldmann, Matthias (Hrsg.), The Exercise of Public Authority by International Institutions – Advancing International Institutional Law, 2010, S. 917 – 940. 150  Weber, Max, Die drei reinen Typen der legitimen Herrschaft, posthume Veröffentlichung in Preußische Jahrbücher, Bd. 187, S. 1 – 12 abgedruckt im Anhang bei Winckelmann, Johannes/Weber, Max, Legitimität und Legalität in Max Webers Herrschaftssoziologie, 1952. 151  Vöneky, Silja, Recht, Moral und Ethik – Grundlagen und Grenzen demokratischer Legitimation für Ethikgremien, 2010, S. 133. 152  Luhmann, Niklas, Legitimation durch Verfahren, 1969, S. 28 ff. 153  Luhmann, Niklas, Legitimation durch Verfahren, 1969. 154  Luhmann, Niklas, Legitimation durch Verfahren, 1969, S. 28 ff. Siehe auch Vöneky, Silja, Recht, Moral und Ethik – Grundlagen und Grenzen demokratischer Legitimation für Ethikgremien, 2010, S. 133.

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Individuums unter einen – sehr unwahrscheinlichen – Prozess ständiger Umstrukturierung von Erwartungen.155 Ohne sonstige (inhaltliche) Bezüge wird die Legitimität ausschließlich durch ein normiertes Verfahren erzeugt.156 Dieser Ansatz mag faktisch eine „Befolgungswahrscheinlichkeit“157 prognostizieren, er ist indes ungeeignet (und auch nicht darauf ausgerichtet), die Anerkennungswürdigkeit von Normen zu erörtern. 2.  Legalität Nach einem reinen Rechtspositivismus ist Recht jede formal ordnungsgemäß in Einklang mit höherrangigen Regeln gesetzte und (häufig) zwangsgesicherte Norm, unabhängig von ihrem Inhalt.158 Das positive Recht bedarf gerade keiner weiteren moralischen, rationalen oder göttlichen Rechtfertigung.159 Somit ist auch Legitimität als Rechtfertigung von Staatsgewalt nach extra-legalen Kriterien „kein Wesensmoment der Staatsgewalt“.160 Legitimität kann daher nach rechtspositivistischem Verständnis nur intra-legal begründet werden, womit Legitimität mit Legalität zu identifizieren ist.161 Legitim heißt somit „eine Staatsgewalt, welche dem bestehenden Rechte gemäß; illegitim eine Staatsgewalt, welche gegen das bestehende Recht zur Herrschaft gelangt ist“.162 Bei der Frage nach der Geltung des ranghöchsten Gesetzes (der Verfassung) gerät eine streng legalistische Anschauung jedoch an ihre logische Grenze;163 diese Geltung kann letztlich nur durch die dahinterstehende außer-rechtliche Macht begründet werden.164 Ein solcher rein legalistischer Begriff von Legitimität versperrt sich den hier in Rede stehenden Handlungsformen von vornherein. Denn diese sind gerade nicht rechtlich und erzielen ihre Wirkung gerade auf außer-rechtlichem Wege. Auf Grundlage eines legalistischen Legitimitätsbegriffs wären sie folglich von jegli155  Kritischer Überblick von Secker, Barbara, The Appearance of Kant‘s Deontology in Contemporary Kantianism: Concepts of Patient Autonomy in Bioethics, Journal of Medi­ cine & Philosophie 24 (1999), 43 – 66, 97 – 114 [107]. 156  Kritik bei Peters, Anne, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, 2001, S. 508. 157  Peters, Anne, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, 2001, S. 508. 158  Nach der Reinen Rechtslehre sind Rechtsnormen völlig unabhängig von der Moralordnung, was der These widerspricht, das Recht sei seinem Wesen nach moralisch. Kelsen, Hans, Reine Rechtslehre, 2. Aufl., 1960, S. 76 f. 159  Kelsen, Hans, Reine Rechtslehre, 1960, S. 68 f., 200 ff. 160  Pohl, Heinrich, Bundesstaatsschöpfung und Kuntzes Gesamtaktstheorie, AöR 20 (1906), 173 – 192 [180]. 161  Peters, Anne, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, 2001, S. 507. 162  Meyer, Georg/Anschütz, Gerhard, Georg Meyers Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 7. Aufl., 1919, § 7, S. 26. 163  Bachmann, Gregor, Private Ordnung, 2006, S. 180. 164  Peters, Anne, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, 2001, S. 507, Thomas Hobbes zitierend: letztlich gelte dann „auctoritas, non veritas facit legem“.

§ 4  Legitimität der Ethikguidelines

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chen Legitimitätsanforderungen frei. Ihr unbestreitbarer Autoritätsanspruch müsste sich an keinerlei Kriterien messen lassen. Ein rein legalistischer Ansatz ist demnach für die vorliegende Arbeit nicht hinreichend. Indes kann die Legalität eines Herrschaftsanspruches durchaus eine Vermutung begründen, dass dieser bestimmten Rationaliäts- und Gerechtigkeitsanforderungen genügt, also legitim ist.165 III.  Normative Legitimitätskonzeptionen 1.  Vertragstheorien Vertragstheorien gehen insbesondere auf John Locke166, Jean-Jacque Rousseau167 und Immanuel Kant168 zurück. Ein moderner Vertreter dieser Theorieströmung ist John Rawls. Seiner Ansicht nach sind Prinzipien, welche wesentliche Rechte und Pflichten sowie Ressourcenallokationen begründen, nur dann legitim, wenn Menschen in sozialen Kooperationen unter fairen Bedingungen sich auf sie einigen würden.169 Rawls rekurriert dabei auf das Konzept des Gesellschaftsvertrages, wonach „freie und gleiche Bürger – wenn auch nur fiktiv – sich auf faire Bedingungen der sozialen Kooperation einigen und danach handeln.“170

Der Gesellschaftsvertrag wird allerdings auf nationalstaatlicher Ebene in der Regel mit der geschriebenen oder ungeschriebenen Verfassung gleichgesetzt und knüpft an die Existenz einer kollektiven Identität – eines Staatsvolkes – an. Konsequenterweise findet er Ausdruck in staatlichen demokratischen Institutionen. Es stellt sich damit das Problem, inwiefern sich vertragstheoretische Legitimitäts-

165  Bogdandy, Armin von/Dann, Philipp/Goldmann, Matthias, Developing the Publicness of Public International Law: Towards a Legal Framework for Global Governance Activities, in: Bogdandy, Armin von/Wolfrum, Rüdiger/Bernstorff, Jochen von/Dann, Philipp/ Goldmann, Matthias (Hrsg.), The Exercise of Public Authority by International Institutions – Advancing International Institutional Law, 2010, S. 3 – 32 [20]; zur Legalität von Entscheidungen als notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung einer öffentlichen Ordnung Vöneky, Silja, Recht, Moral und Ethik – Grundlagen und Grenzen demokratischer Legitimation für Ethikgremien, 2010, S. 138. 166  Locke, John/Peardon, Thomas P., The Second Treatise of Government, 1952, Erstausgabe von 1690. Im früheren Werk von Thomas Hobbes ist der Gesellschaftsvertrag nur Herrschaftsbegründungs- nicht auch gleichzeitig Herrschaftsbegrenzungsvertrag. Siehe Hobbes, Thomas/Pogson Smith, W. G., Hobbes‘s Leviathan, 1909, Nachdruck der Ausgabe von 1651, insbesondere Part 2 (S. 128 ff.). 167  Rousseau, Jean-Jacques/Heine, Alexander, Der Gesellschaftsvertrag, 1997, Erstausgabe von 1762. 168  Kant, Immanuel/Vorländer, Karl, Metaphysik der Sitten, 4. Aufl., 1922, Erstausgabe von 1797, § 47. 169  Rawls, John, A Theory of Justice, 1999. 170  Rawls, John, Political Liberalism, 1993, S. 23.

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konzeptionen auf eine internationale Ebene übertragen lassen.171 Angesprochen ist damit letztlich die Frage nach der Konstitutionalisierung des Völkerrechtes. Nun wird die UN-Charta als eine Art Verfassung der Staatengemeinschaft172 oder auch der internationalen Gemeinschaft als solcher173 bezeichnet werden. Ähnliches gilt für die internationalen Menschenrechtspakte. Auch zusammengenommen können diese Instrumente aufgrund ihres begrenzten Regelungsgegenstands indes nicht als hinreichende Bedingung für Legitimität auf internationaler Ebene angesehen werden. Eine wie auch immer wesentlich weitergehende Konstitutionalisierung wird (noch) nicht anzunehmen sein,174 von der Frage der Erwünschtheit einer solchen Entwicklung einmal abgesehen.175 2.  Diskurstheoretischer Ansatz Von dem Erfordernis eines globalen Gesellschaftvertrages bzw. einer Konstitutionalisierung des Völkerrechts unabhängig sind diskurstheoretische Ansätze.176 Diskurstheoretisch speist sich die Legitimität von Akten der Herrschaftsgewalt aus Verfahren, die deliberativ und vertretungsgerecht sind. Auf nationaler Ebene sind es deliberative und vertretungsgerechte im Verfassungsstaat institutionalisierte Verfahren demokratischer Meinungs- und Willensbildung, welche legimitätserzeugend wirken.177 Aber auch auf internationaler Ebene kann – auch ohne Annahme einer kollektiven Identität – der diskurstheoretische Ansatz legitimatorisch wirken, da die zugrunde liegende Ausübung kommunikativer Macht maßgeblich ist.178 Es kommt gerade nicht auf einen demos an, sondern auf eine Rechtsgemeinschaft. 171 Zu weiteren Kritikpunkten des Voluntarismus, Rationalismus und Chauvinismus der Vertragstheorien Peters, Anne, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, 2001, S. 531 ff. Für eine feministische Kritik siehe Coole, Diana, Women, Gender and Contract, in: Boucher, David/Kelly, Paul (Hrsg.), The Social Contract from Hobbes to Rawls, 1994, S.  191 – 210. 172  Simma, Bruno, From Bilateralism to Community Interest in International Law, Recueil des Cours 250 (1994 VI), 216 – 384 [261 f.]. 173  Fassbender, Bardo, The United Nations Charter as Constitution of the International Community, Columbia Journal of Transnational Law 36 (1998), 529 – 619. 174  Simma, Bruno, From Bilateralism to Community Interest in International Law, Recueil des Cours 250 (1994 VI), 216 – 384 , 216 – 384 [262 ff.]; grundsätzliche Strukturen jedenfalls im Entstehen sehend Kadelbach, Stefan/Kleinlein, Thomas, Überstaatliches Verfassungsrecht, AVR 44 (2006), 235 – 266; siehe auch Goldmann, Matthias, Internationale öffentliche Gewalt – Handlungsformen internationaler Institutionen im Zeitalter der Globalisierung, 2015, S. 442 ff. 175  Klabbers, Jan, Constitutionalism Lite, International Organizations Law Review 1 (2004), 31 – 58. 176 Insbesondere Goldmann, Matthias, Internationale öffentliche Gewalt – Handlungsformen internationaler Institutionen im Zeitalter der Globalisierung, 2015, S. 254 ff. 177  Habermas, Jürgen, Hat die Konstitutionalisierung des Völkerrechts noch eine Chance?, in: Habermas, Jürgen, Der gespaltene Westen, 10, 2004, S. 113 – 193 [138 f.]. 178  Habermas, Jürgen, Faktizität und Geltung, 1998, S. 167 ff., 209.

§ 4  Legitimität der Ethikguidelines

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Wenn auch kein globaler demos besteht, so sind Grundzüge einer Völkerrechtsgemeinschaft bereits positiviert.179 Zu fragen ist demnach ob ein Akt, in einer diskursiven Meinungs- und Willensbildung von allen Rechtsgenossen rational akzeptiert werden könnte.180 Unter dem „rationalen Diskurs“ versteht Jürgen Habermas jeden Versuch der Verständigung über problematische Geltungsansprüche, „sofern er unter Kommunikationsbedingungen stattfindet, die innerhalb eines durch illokutionäre Verpflichtungen konstituierten öffentlichen Raums das freie Prozessieren von Themen und Beiträgen, Informationen und Gründen ermöglichen.“181

Soziale Machtverhältnisse werden in diesem idealen rationalen Diskurs neutralisiert; allein Argumente zählen, welche ein Einverständnis erzeugen, da sie alle Parteien in derselben Weise überzeugen. Ein solch idealer rationaler Diskurs ist indes in komplexen Interessen- und Wertgegensätzen nicht zu realisieren,182 weshalb alternativ die Möglichkeit der Verhandlung besteht. Verhandlungen haben im Gegensatz zum rationalen Diskurs gerade das Ziel, die andere Partei zu zwingen oder zu überreden, die eigene Position zu akzeptieren.183 Dabei werden Interessengegensätze rational ausgeglichen, etwa durch Kompromisse. Letztere müssen im Prinzip von allen Parteien akzeptiert werden können, soweit sie unter „fairen Verhandlungsbedingungen“ zustande gekommen sind.184 Ein erzielter Kompromiss kann dann von den verschiedene Parteien aus jeweils verschiedenen Gründen akzeptiert werden. Die Verhandlungsbedingungen müssen wiederum diskursiv begründet sein. Das Diskursprinzip, das „einen zwanglosen Kompromiss sichern“ soll, kann dann „indirekt zur Geltung gebracht“ werden, indem es ein Verfahren begründet, das die Verhandlungen unter Fairness-Gesichtspunkten reguliert.185 Verhandlungen, die nach Verfahren ablauSimma, Bruno/Paulus, Andreas, The ‚International Community‘: Facing the Challenge of Globalization, European Journal of International Law 9 (1998), 266 – 277; Tomuschat, Christian, Die internationale Gemeinschaft, AVR 33 (1995), 1 – 20. 180  Habermas, Jürgen, Faktizität und Geltung, 1998, S. 169. 181  Habermas, Jürgen, Faktizität und Geltung, 1998, S. 138 f. 182  Vöneky, Silja, Recht, Moral und Ethik – Grundlagen und Grenzen demokratischer Legitimation für Ethikgremien, 2010, S. 138 ff. 183 Siehe Habermas, Jürgen, Faktizität und Geltung, 1998, S. 205, mit Verweis auf Elster, Jon, Arguing and Bargaining, Manuskript 1991, 3: „To bargain is to engage in communication for the purpose of forcing or inducing the opponent to accept one’s claim. To achieve this end, bargainers rely on threats and promises that will have to be executed outside the assembly itself. Bargaining power does not derive from the ,power of the better argument‘, but from material resources, manpower and the like. Statements asserted in a process of bargaining are made with the claim to being credible, in the sense that bargainers must try to make their opponents believe that the threats and promises would actually be carried out.“ 184  Habermas, Jürgen, Faktizität und Geltung, 1998, S. 139. 185  Habermas, Jürgen, Faktizität und Geltung, 1998; Goldmann, Matthias, Internationale öffentliche Gewalt – Handlungsformen internationaler Institutionen im Zeitalter der Globalisierung, 2015, S. 254 ff. 179 

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fen, die allen Interessenten gleiche Chancen an den Verhandlungen sichern und während der Verhandlungen gleiche Chancen gegenseitige Einflussnahme einräumen, wodurch eine allgemein gleiche Chance für die Durchsetzung aller berührten Interessen geschaffen wird, begründen eine Vermutung, dass die Vereinbarungen fair sind.186 3.  Input- und Output-Legitimation Fritz Scharpf prägte die Begriffe der Input- und Output-Legitimation, um damit zwei Perspektiven zur Rechtfertigung von Herrschaftsgewalt zu unterscheiden.187 Die Input-Perspektive beleuchtet die Herrschaft durch das Volk und betont parzipatorische wie konsensuale Aspekte. Die Output-Perspektive beleuchtet Herrschaft für das Volk und verortet die legitimierende Kraft in der effektiven Lösung kollektiver Probleme. Die Input-Perspektive setzt demnach ebenfalls einen vertragstheoretisch begründeten demos voraus, welcher auf globaler Ebene – wie bereits ausgeführt – nicht besteht.188 Dagegen leitet die Output-Perspektive Legitimität von der Fähigkeit zur Lösung von Problemen ab, „die kollektiver Lösungen bedürfen, weil sie weder durch individuelles Handeln noch durch den Markt und auch nicht durch freiwillig-gemeinsames Handeln in der Zivilgesellschaft gelöst werden könnten.“189

Output-Legitimität gründet sich damit nicht auf das Erfordernis einer gemeinsamen Identität, sondern eines gemeinsamen Interesses. Sie ist damit gerade auch auf internationaler Ebene herstellbar.190 Auch bei Scharpf ist Kommunikation entscheidend.191 Deren Freiheit ist, u. a. als einklagbare Garantie, wesentlich für seine Konzeption.192 Im Wesentlichen kann dies auch damit begründet werden, dass alle diejenigen, die ein gemeinsames Interesse teilen, dieses in gleicher Weise kommu186  Die gleichmäßige Berücksichtigung der Interessen aller Beteiligten ist dann jedoch ein Problem der verfahrensgerechten Vereinbarung zwischen Machthaberinnen und nicht zwischen Diskursteilnehmerinnen, womit normativ eine Kompromissbildung „nicht auf eigenen Beinen steht“, sondern die Verfahrensbedingungen ihrerseits in moralischen Diskursen gerechtfertigt werden müssen. Verhandlungen sollen erst dann zulässig und erforderlich sein, „wenn partikulare, also keine verallgemeinerungsfähigen Interessen im Spiel sind, was wiederum nur in moralischen Diskursen geprüft werden kann“. Habermas, Jürgen, Faktizität und Geltung, 1998, S. 206 m.w.N. 187  Scharpf, Fritz W., Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, 1970; ­Scharpf, Fritz W., Regieren in Europa, 1999. 188 Kritisch Vöneky, Silja, Recht, Moral und Ethik – Grundlagen und Grenzen demokratischer Legitimation für Ethikgremien, 2010, S. 158 ff. 189  Scharpf, Fritz W., Regieren in Europa, 1999, S. 20. 190  Scharpf, Fritz W., Regieren in Europa, 1999, S. 21. 191  Auf nationaler Ebene verlangt darüber hinaus auch die Output-Legitimation regelmäßige Wahlen, nicht damit sich der Willen des Volkes manifestiere, sondern um die Orientierung der Amtsinhaberinnen am öffentlichen Interesse zu sichern und zu verstärken. 192  Scharpf, Fritz W., Regieren in Europa, 1999, S. 23.

§ 4  Legitimität der Ethikguidelines

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nizieren können müssen, um eine effektive Lösung für das gemeinsame Problem finden zu können. IV.  Praktische Legitimitätsanforderungen Aus den skizzierten normativen Legitimitätskonzeptionen lassen sich bestimmte praktische Legitimitätsanforderungen ableiten, die im Folgenden kurz dargestellt werden. 1.  Vertretungsgerechtigkeit Wesentliches diskurstheoretisch begründetes Element eines Verfahrens zur Erzeugung legitimer Entscheidungen ist die Möglichkeit aller Betroffenen (oder ihrer Vertretungen), ihre Interessen zu artikulieren mit der tatsächlichen Chance, dass diese auch Beachtung finden.193 Dieses Erfordernis ist auch im Sinne einer Output-Konzeption unerlässlich, nicht zuletzt weil eine effektive Problemlösung nur gefunden werden kann, wenn das Problem selbst durch alle Betroffenen artikuliert wird. Werden Akte beschlossen, die einen globalen Regelungsanspruch erheben, sollten mithin Vertretungen aller betroffenen Regionen und betroffener Personenkreise in (annähernd) repräsentativer Weise an der Entscheidungsfindung beteiligt sein. Die Pluralität der Betroffenen sollte entsprechend in den Entscheidungsorganen abgebildet werden. 2.  Verfahrensfairness Essentiell für die Legitimität von Kompromissen ist, wie dargestellt, dass sie unter „fairen Verhandlungsbedingungen“ zustande gekommen sind, worunter im Wesentlichen prinzipiell gleiche Chancen der Interessendurchsetzung verstanden werden.194 Die Verhandlungsbedingungen sollten daher so ausgestaltet sein, dass etwa der Zugang zu Verhandlungsgremien in Organisationen zum Beispiel nicht vom finanziellen Beitrag abhängig sein sollten. Darüber hinaus ist Transparenz notwendig. Informationen über die Verfahren, auch über die Wirkungsweise und Ziele von Organisationen, sollten ohne erhebliche Kosten allen Betroffenen zugänglich sowie bestimmt und interpretiert sein.195

193  Habermas, Jürgen, Faktizität und Geltung, 1998, S. 206; auch Buchanan, Allen/Keohane, Robert O., The Legitimacy of Global Governance Institutions, in: Wolfrum, Rüdiger/ Röben, Volker (Hrsg.), Legitimacy in International Law, 2008, S. 25 – 62 [51 ff.]. 194  Habermas, Jürgen, Faktizität und Geltung, 1998, S. 139. 195  Buchanan, Allen/Keohane, Robert O., The Legitimacy of Global Governance ­Institutions, in: Wolfrum, Rüdiger/Röben, Volker (Hrsg.), Legitimacy in International Law, 2008, S. 25 – 62 [53 f.].

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3.  Effektivität der Problemlösung Die Output-Legitimität nach Scharpf speist sich insbesondere aus der Effektivität der Problemlösung.196 Zunächst bedeutet dies, dass ein Akteur, der Regelungen trifft, einen komparativen Nutzen vorweisen sollte, in dem Sinne, dass nicht bereits andere Organe existieren, die einen sehr viel höheren Nutzen bieten, und er dabei verfahrenslegitimatorische Kriterien erfüllt.197 Zum anderen sollte die Lösung selbst materiell effektiv sein. Regelungen sollten daher auch widerspruchsfrei, bestimmt und klar genug sein, um für die Adressaten konkrete Handlungsanweisungen darstellen zu können. V.  Zwischenergebnis Ausgehend von einer normativen Legitimitätskonzeption können auf völkerrechtlicher Ebene insbesondere diskurstheoretische Ansätze zur Legitimation herangezogen werden, da es bei diesen auf einen globalen Gesellschaftsvertrag bzw. eine Konstitutionalisierung gerade nicht ankommt.198 Die Input-Legitimation nach Scharpf setzt zwar einen vertragstheoretisch begründeten demos voraus, welcher auf globaler Ebene nicht besteht.199 Die Output-Perspektive jedoch erfordert gerade keine zugrunde liegende kollektive Identität, da sie Legitimität von der Fähigkeit zur Lösung von Problemen ableitet, die „kollektiver Lösungen bedürfen“.200 Eine Output-Betrachtung ist damit auch auf völkerrechtlicher Ebene vornehmbar. In seiner idealen Form ist das Diskursprinzip nicht in der Realität durchzusetzen. Indem es jedoch „einen zwanglosen Kompromiss sichern“ soll, kann es „indirekt zur Geltung gebracht werden“, indem es ein Verfahren begründet, das die Verhandlungen unter Fairness-Gesichtspunkten reguliert.201 Das heißt, dass zur Bewertung realer Verhandlungen und Kompromisslösungen das Diskursprinzip durch praktische Anforderungen zur Geltung gebracht werden kann. Praktische Anforderungen an den Entscheidungsprozess sind dabei die Vertretungsgerechtigkeit und die Verfahrensfairness. In der konkreten Betrachtung des Entscheidungsprozesses, der den Ethikguidelines vorausging beziehungsweise geht, ist damit zu Scharpf, Fritz W., Regieren in Europa, 1999, S. 20. Buchanan, Allen/Keohane, Robert O., The Legitimacy of Global Governance ­Institutions, in: Wolfrum, Rüdiger/Röben, Volker (Hrsg.), Legitimacy in International Law, 2008, S. 25 – 62 [46 f.]. 198  Goldmann, Matthias, Internationale öffentliche Gewalt – Handlungsformen internationaler Institutionen im Zeitalter der Globalisierung, 2015, S. 254 ff., 302 ff. 199 Kritisch Vöneky, Silja, Recht, Moral und Ethik – Grundlagen und Grenzen demokratischer Legitimation für Ethikgremien, 2010, S. 158 ff. 200  Scharpf, Fritz W., Regieren in Europa, 1999, S. 20. 201  Habermas, Jürgen, Faktizität und Geltung, 1998; Goldmann, Matthias, Internationale öffentliche Gewalt – Handlungsformen internationaler Institutionen im Zeitalter der Globalisierung, 2015, S. 302 ff. 196 

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überprüfen inwiefern Entscheidungen vertretungsgerecht und fair zustandegekommen sind oder zustande kommen. Darüber hinaus ist überzeugend, dass nicht nur die Art des Zustandekommens einer Entscheidung, einer Lösung, relevant ist, sondern auch deren Qualität von Bedeutung sein kann. Neben den beiden Aspekten der Verfahrensgerechtigkeit und Verfahrensfairness kann damit die praktische Anforderung gestellt werden, dass die getroffene Entscheidung auch fähig sein soll, ein Problem zu lösen, das einer kollektiven (internationalen) Lösung bedarf. Ein Rekurs auf die Ethikguidelines findet letztlich deswegen statt, weil diese vermeintlich Lösungen für die umfangreichen (im ersten Teil umrissenen) Streitigkeiten in der Normierung von Arzneimittelforschung in Entwicklungsländern anbieten. Um die Legitimität der betrachteten Ethikguidelines (als funktionale Äquivalente internationaler öffentlicher Gewalt) zu bewerten, sollen damit die Vertretungsgerechtigkeit in den jeweils entscheidenden Organen, die Fairness der jeweiligen Verfahren und die Effektivität der jeweiligen materiellen Problemlösung untersucht werden.

B.  Legitimität der Ethikguidelines in der Forschung I.  Weltärztebund 1.  Vertretungsgerechtigkeit und Verfahrensfairness a)  Mitgliedschaft Stand März 2015 sind 111 nationale Ärztekammern Mitglied der WMA (die Vereinten Nationen zählen 193 Mitglieder).202 Die Mitgliederstruktur zeigt ein Übergewicht westlicher Staaten an. Zwar hat sich dieses seit der Gründung im Jahr 1947 verringert, so dass die WMA nun beispielsweise 25 afrikanische Mitglieder aufweist – und mit Ärztekammern aus Ägypten, Tunesien, Kuweit, Aserbaidschan, Mali, Guinea, Sudan, Tansania, Senegal, Malaysia und vor allem Indonesien auch islamisch geprägte Länder vertreten sind. Dennoch sind afrikanische und islamische Länder sowie asiatische Entwicklungsländer immer noch stark unterrepräsentiert. b)  Organe Verstärkt wird diese Unterrepräsentation durch die Organisation der WMA. Die üperproportionale Repräsentation von bestimmten großen nationalen Ärztekammern und die mangelhafte Vertretung von Entwicklungsländern in der WMA setzen sich in der weiteren Struktur der WMA fort, die auch ganz erheblich das Verfahren bestimmt, in welchem Entscheidungen zustande kommen. 202  Mitgliederliste abrufbar unter: http://www.wma.net/en/60about/10members/21memberlist/index.html, Stand März 2015.

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aa) General Assembly Zentrales Organ der WMA ist die General Assembly oder Generalversammlung, die einmal im Jahr zusammenkommt und über die Annahme von Deklarationen und Erklärungen der WMA abstimmt. Jedes Mitglied kann eine stimmberechtigte Delegierte zur Generalversammlung entsenden. Pro 10.000 Mitglieder der nationalen Kammer, für welche sämtliche Mitgliedsbeiträge gezahlt worden sind, kann das Mitglied eine weitere mit Stimmrecht ausgestattete Delegierte für die Generalversammlung benennen.203 bb) Council Auch wenn die Generalversammlung formal die letzte Entscheidungsinstanz darstellt, ist der Council das Organ, welches die Politik der WMA hauptsächlich prägt. Der Council bestimmt die Agenda der Generalversammlung und legt dieser Resolutionen, Empfehlungen und Deklarationen zur Entscheidung vor. Zwar entscheidet letztlich die Generalversammlung über die Positionen der WMA. Indes erweckt eine Beobachtung der Verfahren zumindest den Verdacht, die Generalversammlung könnte die Empfehlungen des Council mitunter lediglich abnicken, ohne großen Einfluss auf den Inhalt zu haben.204 Zwar werden kontroverse Aspekte durchaus vehement diskutiert, jedoch zeigt allein die kurze Verfahrensdauer, dass der Einfluss der Generalversammlung auf die Inhalte relativ gering ist. Entscheidend ist damit vielmehr die Deliberation im Council. Die nationalen Ärztekammern werden sechs geografischen Regionen zugeordet.205 Für jede Region ist ein Platz im Council pro 50.000 Mitgliedsärztinnen der zugehörigen nationalen Ärztekammern vorgesehen. Dabei kann jede nationale Ärztekammer mit mehr als 50.000 angemeldeten und bezahlten Mitgliedern eine Delegierte pro 50.000 Mitglieder in den Council entsenden. Die übrigen Council-Plätze, die der Region zustehen, werden durch Abstimmung der nationalen Ärztekammern jeder Region bestimmt, wobei jede nationale Ärztekammer so viele Stimmen wie Mitglieder hat, ggf. reduziert um 50.000 Mitglieder, aufgrund derer die Ärztekammer bereits eine Delegierte benannt hat. Der Council bestand 2009206 aus einem afrikanischen Mitglied (Äthiopien), zwei asiatischen (beide Indien), sechs europäischen (Dänemark, zwei Deutschland, Niederlande, Norwegen und Großbritannien), drei lateinamerikanischen (Uruguay, zwei Brasilien), drei nord203  WMA, Chapter III, Section 2 der Articles and Bylaws von 1978 in der Version von Oktober 2006. Die Articles and Bylaws sind leider nicht veröffentlicht. Sie können aber ggf. auf Anfrage erlangt werden. Die zitierten Articles and Bylaws wurden persönlich während der beobachtenden Teilnahme an der Generalversammlung 2009 bezogen. 204  Diese Einschätzung beruht auf eigener Beobachtung der Generalversammlung von 2009. 205  Europa, Asien, Pazifik, Lateinamerika, Afrika, und Nordamerika. 206  Aktuellere Daten sind der Autorin leider nicht zugänglich. Siehe auch unten zum Kritikpunkt der Intransparenz.

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amerikanischen (Kanada, zwei USA) und vier pazifischen Mitgliedern (Australien, Südkorea, zwei Japan). cc) Standing Committees Die Arbeiten des Council werden von drei Standing Committees oder stehenden Komitees begleitet und vorbereitet. Neben dem Finance and Planning Committee und dem Socio-Medical Affairs Committee ist insbesondere das Medical Ethics Committee bedeutsam, dessen Aufgabe es ist, den Council bezüglich, Deklarationen und Empfehlungen zu beraten, die „primär ethischer Natur“ sind.207 So sind die letzten Änderungen an der Deklaration von Helsinki von diesem Komitee vorberaten worden. Ein großer Teil der Deliberation findet demnach in diesem Komitee statt. Das Medical Ethics Committee besteht aus Mitgliedern, die vom Council aus den eigenen Reihen benannt werden. Das bedeutet, dass von einem sehr frühen Stadium an viele nationale Ärztekammern aus der Beratung ausgeschlossen sind. Sie können erst ab einem späteren Zeitpunkt in die Verhandlungen einsteigen, wenn viele Meinungen bereits geformt sind. dd) Sekretariat Die WMA wird durch ein Sekretariat in Ferney-Voltaire, Frankreich, organisiert. Es liegt damit in unmittelbarer geografischer Nähe zu internationalen Gesundheitsorganisationen in Genf. Der Council ernennt eine Ärztin als Generalsekretärin.208 c)  Verfahren zur Entscheidungsfindung Im Folgenden soll der Entscheidungsprozess für eine Deklaration – wie sie die Deklaration von Helsinki darstellt – im Sinne der Terminologie der WMA gemäß § 4.4 der Procedures and Operating Policies der WMA von 2010 in der Fassung von 2011 skizziert werden. aa) Initiative Eine Deklaration kann durch eine oder mehr nationale Ärztekammern durch Einreichung beim Sekretariat vorgeschlagen werden. Das Sekretariat prüft die Deklaration nach formalen Kriterien. 207  Vgl. Abschnitt E3 ff. des WMA-Dokuments, A Schedule of Function and Operating Policies von Mai 2006. Dieses Dokument ist leider nicht veröffentlicht. Es kann aber ggf. auf Anfrage erlangt werden. Die zitierte Schedule of Function and Operating Policies wurde persönlich während der beobachtenden Teilnahme an der General Assembly 2009 bezogen. 208  WMA, Chapter VII, Section 1 der Articles and Bylaws von 1978 in der Version von Oktober 2006. Die Articles and Bylaws sind leider nicht veröffentlicht. Sie können aber ggf. auf Anfrage erlangt werden. Die zitierten Articles and Bylaws wurden persönlich während der beobachtenden Teilnahme an der General Assembly 2009 bezogen.

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bb) Erörterung und Prüfung durch das zuständige Komitee Je nach Inhalt der vorgeschlagenen Deklaration wird sie an das zuständige Komitee weitergeleitet, wodurch weitere Vorschläge zu demselben Thema für die Dauer des Verfahrens gehemmt werden. Nach einer ersten Prüfung kann das Komitee das Dokument der nationalen Ärztekammer zurücksenden, seine Entscheidung vertagen, oder die Deklaration nicht befürworten und dem Council empfehlen, das Dokument ebenfalls nicht zu befürworten. Wenn die vorgeschlagene Deklaration der nationalen Ärztekammer für Kommentare zurückgeschickt wird, werden diese vom Sekretariat und/oder von einem ernannten Rapporteur mit dem ursprünglichen Vorschlag zu einem neuen Dokument zusammengefügt. Das Komitee kann daraufhin die neue Version der vorgeschlagenen Deklaration ohne Änderung befürworten und empfehlen, dass der Council sie ebenfalls befürworte, die neue Version ändern und befürworten und dem Council empfehlen sie ebenfalls zu befürworten, das Dokument an den Rapporteur oder das Sekretariat zur weiteren Überarbeitung zurückweisen, die Entscheidung vertagen oder das Dokument nicht befürworten und dem Council empfehlen, es ebenfalls nicht zu befürworten. cc) Erörterung und Prüfung durch den Council Nach der Prüfung durch das Komitee wird die Deklaration dem Council weitergeleitet. Dieser kann die vorgeschlagene Deklaration ohne Änderung befürworten, das Dokument ändern und es befürworten, die Entscheidung vertagen, das Dokument an die nationale Ärztekammer für Kommentare und/oder an das Komitee zur weiteren Prüfung zurückweisen oder das Dokument nicht befürworten. dd) Erörterung und Abstimmung durch die General Assembly Wenn die vorgeschlagene Deklaration durch den Council befürwortet wird, wird sie der Generalversammlung mit der Empfehlung, sie anzunehmen, vorgelegt. Falls der Council eine vorgeschlagene Deklaration nicht befürwortet, versieht er seine Entscheidung an die Initiatorin mit Gründen. Diese kann daraufhin beantragen, dass die vorgeschlagene Deklaration dennoch der Generalversammlung zur Entscheidung vorgelegt wird. Infolge eines solchen Antrags wird die Deklaration, wenn sie die Zustimmung von vier Mitgliedern des Councils erhält, der Generalversammlung vorgelegt mit der Empfehlung, sie nicht anzunehmen. Vorgeschlagene Deklarationen, die vom Council als „ethischer Natur“ klassifiziert werden, benötigen die Zustimmung von drei Vierteln aller anwesenden und abstimmenden Delegierten.209

209  Chapter III, Section 6 of the Articles and Bylaws of the WMA of 1978 in the version of Oct. 2006. Die Articles and Bylaws sind leider nicht veröffentlicht. Sie können aber ggf. auf Anfrage erlangt werden. Die zitierten Articles and Bylaws wurden persönlich während der beobachtenden Teilnahme an der General Assembly 2009 bezogen.

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d)  Bewertung Zur reinen Berufsregulierung oder als Normierung von reinen Berufsausübungsnormen scheint die Wahrnehmung dieser Normierung durch eine internationale Standesvertretung zunächst sinnvoll zu sein. Es erscheinen im Wesentlichen jedoch zwei Aspekte problematisch: Zum einen sind Ärztinnen nicht die einzigen, die von den Deklarationen der WMA betroffen werden. Jedoch sind ausschließlich Ärztinnenvertretungen an der Deliberation beteiligt.210 Zum anderen sind noch nicht einmal alle Ärztinnen vertreten. aa) Universeller Anspruch Wenn die WMA als bloße internationale Standesvertretung erachtet würde, könnte sie als Einrichtung der professionellen Selbstorganisation gegenüber den von ihr vertretenen Ärztinnen Legitimität beanspruchen. Sie erhebt indes den Anspruch, für alle Ärztinnen zu sprechen, ja sogar universell gültige Grundsätze aufzustellen, die im Zusammenhang mit ärztlichem Handeln stehen. Deutlich wird dies durch ihre Ziele. So heißt es in Art. 2 der Articles and Bylaws der WMA: „The purpose of the Association shall be to serve humanity by endeavouring to achieve the highest international standards in medical education, medical science, medical art and medical ethics, and health care for all people of the world.“211

Derselbe Anspruch zeigt sich auch in der Definition der Handlungsformen der WMA. Diese unterscheidet zwischen „resolutions“, „declarations“ (wie die „Declaration of Helsinki“) und „statements“. Dazu heißt es: „A Declaration or Statement reflects WMA policy on an issue considered to be significance, to be universally applicable and embodying principles that endure over time.“212

bb) Mangelhafte Repräsentation Entgegen diesem universellen Anspruch zeigt jedoch die Mitgliederstruktur ein wesentliches Übergewicht westlicher Staaten, das sich in allen wesentlichen Entscheidungs- und Deliberationsorganen der WMA fortsetzt und verstärkt. Gerade Entwicklungsländer sind in allen entscheidenden Gremien unterrepräsentiert. Siehe auch Meier, Benjamin Mason, International Protection of Persons undergoing Medical Experimentation: Protecting the Right of Informed Consent, Berkeley Journal of International Law 20 (2002), 513 – 554 [530 f.], „physicians cannot police physicians“. 211  WMA, Art. 2 der Articles and Bylaws von 1978 in der Version von Oktober 2006. Als gemeinnützige not-for-profit-Organisation, die dem Recht des US-Bundesstaates New York unterliegt, ist die WMA gesellschaftsrechtlich zur Verabschiedung solcher „by-laws“ als Statut verpflichtet. 212  WMA, Definition M2. der Schedule of Function and Operating Policies in der Version von Mai 2006. Dieses WMA-Dokument ist leider nicht veröffentlicht. Es kann aber ggf. auf Anfrage erlangt werden. Die zitierte Schedule of Function and Operating Policies wurde persönlich während der beobachtenden Teilnahme an der General Assembly 2009 bezogen. 210 

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Wie dargestellt, gilt für die Generalversammlung, dass pro 10.000 Mitglieder der nationalen Kammer, für welche sämtliche Mitgliedsbeiträge gezahlt worden sind, diese Kammer eine weitere mit Stimmrecht ausgestattete Delegierte für die Generalversammlung benennen kann.213 Dies hat jedoch missliche Folgen: So hatten im Jahr 2009 von damals 16 der WMA angehörenden afrikanischen Ärztekammern lediglich sieben Mitglieder gemeldet und die entsprechenden Beiträge bezahlt.214 Da Südafrika zwei Delegierte stellte, hätte die Region acht Delegierte entsenden können. In der Generalversammlung tatsächlich anwesend waren aber nur Vertreter von vier Ländern mit fünf Stimmen. China hatte 2009 eine Bevölkerung von ca. 1,3 Milliarden, aber lediglich 2.222 Mitglieder an die WMA gemeldet (und bezahlt) und war deshalb nur mit einer Delegierten in der Generalversammlung vertreten. Demgegenüber stellte Japan 16 Delegierte, die USA 13, Deutschland 11, Indien 10 und Großbritannien sowie Brasilien jeweils 6 Delegierte. Die Ärztekammern der Länder des Europäischen Wirtschaftsraum, Japans, der USA und Kanadas stellten 2009 zusammen 72 der insgesamt 117 Delegierten in der Generalversammlung. Kammern mit mehr gemeldeten Mitgliedern, stellen mehr Deligierte. Es kommt dabei jedoch nicht auf die tatsächlich Größe der nationalen Ärztekammer an, sondern auf die Zahl der Ärztinnen, für die sie bereit ist, Beiträge zu zahlen. Dies ist umso wichtiger als dass Entscheidungen nicht einstimmig, sondern mit Mehrheit getroffen werden und eine einzelne Stimme keine Entscheidung blockieren kann. Die ungleiche Repräsentation liegt zum einen daran, dass die nationalen Ärztekammern nicht bereit oder in der Lage sind, die geforderten Mitgliedsbeiträge für alle ihre Mitglieder zu bezahlen. Die WMA teilt die nationalen Ärztekammern in vier Kategorien ein und erhebt in Kategorie A 0,40 EUR pro nationales Mitglied, in Kategorie B 0,90 EUR, in Kategorie C 1,50 EUR und in Kategorie D 2,00 EUR pro Mitglied. Nach eigener Angabe hatte die 1915 gegründete chinesische Ärztekammer im Jahr 2011 über 500.000 Mitglieder, meldete jedoch 2009 (die Mitgliederzahlen werden 2009 in einer ähnlichen Größenordnung gelegen haben) der WMA nur 2.222 Mitglieder.215 Selbst die American Medical Association, die ohnehin nur 213  WMA, Chapter III, Section 2 der Articles and Bylaws von 1978 in der Version von Oktober 2006. Die Articles and Bylaws sind leider nicht transparent veröffentlicht. Sie können aber ggf. auf Anfrage erlangt werden. Die zitierten Articles and Bylaws wurden persönlich während der beobachtenden Teilnahme an der General Assembly 2009 bezogen. 214  Vgl. internes WMA-Dokument FPL 183/Dues Report/Oct2009 Report on Member­ ship Dues Payment for 2009, vorgetragenen im Finance and Plannig Committee bei der 183. Council Sitzung 2009. Dieses WMA-Dokument ist leider nicht veröffentlicht. Es kann aber ggf. auf Anfrage erlangt werden. Der zitierte Report on Membership Dues Payment for 2009 wurde persönlich während der beobachtenden Teilnahme an der General Assembly 2009 bezogen. Als 2008 über Änderungen der Deklaration von Helsinki abgestimmt wurde, waren lediglich 12 afrikanische Ärztekammern Mitglied und nur Südafrika mit einer Delegierten in der Generalversammlung vertreten. 215  Nach eigener Aussage laut Internetauftritt http://www.cma.org.cn/ensite.

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etwa ein Drittel der Ärztinnen der USA repräsentiert, scheint nur etwas mehr als die Hälfte ihrer Mitglieder der WMA zu melden.216 Das zeigt, dass auch Länder mit vielen Ärztinnen unterrepräsentiert sein können, weil die nationale Kammermitgliedschaft freiwillig ist, wie beispielsweise in den USA, Südafrika, Indien und China (verbindliche Mitgliedschaften bestehen etwa in Deutschland und Spanien). Zum anderen wird das Recht, Delegierte zu entsenden, offenbar häufig nicht ausgeübt. So waren 2009 nur 46 nationale Ärztekammern von 54, die der WMA Mitglieder gemeldet und bezahlt hatten, mit Delegierten in der Generalversammlung vertreten. Mögliche Gründe liegen in den Kosten einer Teilnahme oder darin, dass die WMA als wenig relevant wahrgenommen wurde. Im wichtigen Council sind Entwicklungsländer ebenfalls deutlich unterrepräsentiert. Die wesentliche Verfahrensbedingung für faire Verhandlungen, nämlich dass alle Beteiligten eine gleiche Chance haben, ihre Positionen einzubringen, ist gerade nicht gegeben. Bis auf „geschlossene“ Sitzungen haben zwar alle Mitglieder die Möglichkeit offizielle Repräsentantinnen zu den Council-Beratungen zu entsenden. Jedoch beschränkt sich nach eigener Beobachtung die Deliberation hauptsächlich auf die formalen Mitglieder des Council. Nun mag das Prinzip „one dollar one vote“ möglicherweise im Rahmen des Internationalen Währungsfonds berechtigt sein, weil die dort getroffenen Entscheidungen von den beteiligten Ländern anteilig finanziell getragen werden müssen. Die Entscheidungen, die die WMA trifft, sind allerdings gerade nicht primär finanzieller Natur. Vielmehr ist es ihr Ziel, universell gültige ethische Handlungsnormen für ärztliches Handeln zu formulieren. Ob ein notwendiger Zusammenhang zwischen finanziellem Leistungsvermögen und der Beurteilung ethischen Verhaltens besteht, darf bezweifelt werden. So ist mit Bezug auf die UNESCO Declaration on Bioethics and Human Rights positiv hervorzuheben, dass diese im Gegensatz zur Deklaration von Helsinki auch wesentlich von Entwicklungsländern beeinflusst wurde, während die Deklaration von Helsinki wesentlich von Vertretungen der Industriestaaten geprägt ist.217 cc) Ausschluss von Betroffenen Neben der strukturellen Benachteiligung mancher Ärztekammern fehlt es insbesondere auch an einer Beteiligung anderer unmittelbar Betroffener. Insbeson216 Dies ist lediglich eine Vermutung. 2009 zahlte die AMA laut WMA Report on Membership Dues Payment for 2009 für 121.000 Mitglieder Beiträge an die WMA. Ihrem Annual Report für 2009 nach hatte sie ungefähr 228.000 Mitglieder. Siehe http://www. ama-assn.org/resources/doc/about-ama/2009-annual-report.pdf, S. 26. Nach Erhebung des US Department of Labor, Bureau of Labor Statistics waren in den USA 2008 ca. 661.000 Ärztinnen und Chirurginnen beschäftigt (wobei unklar ist, ob diese Erhebung nicht auch Zahnärztinnen und Studentinnen umfasst). Siehe http://www.bls.gov/oco/ocos074.htm. 217  Serra, Mônica C., UNESCO has Given Bioethics a Human Face, 2005, aufrufbar unter http://www.scidev.net/en/opinions/unesco-has-given-bioethics-a-human-face.html.

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dere Patienten- und Probandenvertretungen sind nicht in der WMA repräsentiert. Diese Gruppen, die von den Entscheidungen der WMA betroffen sind, sind weder unmittelbar noch mittelbar – auch nicht in Beobachterrollen – beteiligt. Ebenso von der Deliberation ausgeschlossen sind andere Berufgruppen, an die sich die Deklaration richtet und welche sie bestimmt, wie z.B. Psychotherapeutinnen oder Krankenpflegerinnen. dd) Nähe zur pharmazeutischen Industrie Dagegen besteht eine Nähe zur pharmazeutischen Industrie. Beispielsweise wurde während der Generalversammlung 2009 Pfizer Raum zur Eigendarstellung geboten, ja sogar ein eigener Programmpunkt zur Vorstellung der von Pfizer mitfinanzierten sog. Speaking Books. Diese sind vereinfachte, bildhafte und tonbegleitete Darstellungen von Abläufen und Probandenrechten in klinischen Studien, die weniger gebildete Personen und insbesondere Analphabetinnen aufklären und für Versuchsteilnahmen gewinnen sollen.218 Neben Pfizer gehören auch Eli Lilly, GlaxoSmithKline und Johnson & Johnson zu offiziellen Partnern der WMA219 und finanzieren deren Programme220 und Publikationen 221 teilweise in beträchtlichem Umfang. ee) Intransparenz Wesentlich ist im Weiteren, dass das Verfahren nicht für alle Betroffenen und für die allgemeine Öffentlichkeit transparent ist. Beratungs- und Abstimmungsergebnisse, Protokolle und dergleichen sind nicht öffentlich einsehbar und damit auch nicht kommentierbar. Sie sind auch nicht auf Anfrage durch Wissenschaftlerinnen oder Journalistinnen erhältlich. 2.  Effektive Problemlösung a)  Zugrundeliegende bioethische Theorien und Strömungen Der Weltärztebund selbst hat für keine der verschiedenen Versionen der Deklaration von Helsinki eine Begründung oder Leitlinie darüber veröffentlicht, auf welchem Begründungsansatz und auf welcher Theorie diese beruht. Es werden zwar das Genfer Gelöbnis und der international code of medical ethics zitiert, die im Übrigen beide auch von der WMA formuliert worden sind. Deren Herleitung ist jedoch ebenso unklar. Zudem sind diese Dokumente allein keine hinreichende 218  Diese Speaking Books werden im Übrigen auch von der EU, US AID, dem Global Fund aber auch neben Pfizer von Eli Lilly und Merck unterstützt. http://www.booksofhope. com/. 219 http://www.wma.net/en/60about/80alliance/20partners/index.html. 220 http://www.wma.net/en/40news/20archives/2008/2008_05/. 221 http://www.pfizerpublichealth.com/publichealthbooks.aspx.

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Basis für Guidelines mit derart weitreichendem Regelungsanspruch.222 Es kann sicherlich gemutmaßt werden, dass im bioethischen Diskurs allgemein anerkannte Theorien, wie etwa die Vier Prinzipien, einen wesentlichen Einfluss auf die Deklaration hatten.223 Letztlich fehlt allerdings ein konsistenter Begründungsansatz mit dem die einzelnen Normen der Deklaration kohärent ausgelegt werden könnten.224 Es besteht demnach keine Orientierung für eine kohärente Auslegung der einzelnen Normen. b)  Streitpunkte: Querschnittsfragen aa) Grundsätzliches Verhältnis Individual- und Allgemeininteresse Das grundsätzliche Verhältnis zwischen Individual- und Allgemeininteresse kann als Querschnittsfrage verstanden werden, die zu problematisieren ist. Sie wirkt programmatisch für alle weiteren Fragen. So verlangt Prinzip Nr. 8 der Deklaration von Helsinki: „While the primary purpose of medical research is to generate new knowledge this goal can never take precedence over the rights and interests of individual research subjects“.

In der Version von 2008 lautete das Prinzip Nr. 6 der Einleitung positiv formuliert: „In medical research involving human subjects, the well-being of the individual research subject must take precedence over all other interests.“

In der Version aus dem Jahr 2000 hieß es noch „In medical research on human subjects, considerations related to the well-being of the human subject should take precedence over the interests of science and society“,

was als Steigerung zu dem aus Probandensicht negativ formulierten letzten Prinzip aus der Version von 1996 (auf die die EU-Richtlinie zu guten klinischen Praxis verweist) gesehen werden kann: „In research on man, the interest of science and society should never take precedence over considerations related to the well being of the subject.“

Es ist bemerkenswert, dass zwar eine (semantische) Steigerung des „Wertes“ des individuellen Interesses seit 1996 beobachtet werden kann. Indes normierte die Version von 1989 noch: „Concern for the interests of the subject must always prevail over the interests of science and society.“ 222  Vgl. auch Kritik bei Schaupp, Walter, Der ethische Gehalt der Helsinki Deklaration, 1993, S. 291. 223  Zur subtilen Veränderung der Deklaration von Helsinki in Richtung einer utilitaristischen Ethik: Brennan, Troyen A., Proposed Revisions to the Declaration of Helsinki – Will they Weaken the Ethical Principles Underlying Human Research?, New England Journal of Medicine 341 (1999), 527 – 530 [528]. 224  Vgl. auch Kritik bei Schaupp, Walter, Der ethische Gehalt der Helsinki Deklaration, 1993, S. 291.

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Diese unterschiedlichen Gewichtungen der Individual- und Allgemeininteressen zeigen sich auch in weiteren Bestimmungen, die teils mehr teils weniger forschungsfreundlich ausgestaltet sind 225 Die ständigen Formulierungsänderungen laden zu Spekulationen ein, was jeweils gemeint gewesen sein könnte. Auffällig sind insbesondere die Wechsel zwischen negativen und positiven Formulierungen. Diese könnten als Indiz dafür gedeutet werden, aus welcher Perspektive formuliert, d. h. welches Interesse als Ausgangspunkt genommen wurde. Zwar ist die Formulierung in der Version von 2013 negativ, dafür räumt sie allen Rechten und Interessen von Versuchspersonen Vorrang vor der Wissensgenerierung ein. Dies scheint damit umfassender, als „nur“ das Wohl des Einzelnen, wie noch 2008, vor alle anderen Interessen zu stellen. Dafür sind die Interessen von „Wissenschaft und Gesellschaft“ nicht ausbuchstabiert. Die Formulierung von 2008 folgte wohl der Kritik, die Version von 2000 sei zu wenig den Interessen der Versuchspersonen verpflichtet gewesen. Jedoch blieb unklar wie „well-being“ zu verstehen sein sollte. Es ist offensichtlich, dass Versuche zu Lasten des Wohlbefindens von Versuchspersonen gehen, etwa wegen Unannehmlichkeiten, die aus der Wirkungsweise oder aus Nebenwirkungen resultieren. Gerade in Phase I, also bei Versuchen an Gesunden, ist es nicht möglich, dem „well-being“ einen absoluten Vorrang zu gewähren, da Beeinträchtigungen dieses „Wohlergehens“ zur Natur des Versuchs gehören.226 Dies könnte ein Grund für die erneute Änderung gewesen sein. Allerdings ist der neue Begriff „Interesse“ in keiner Weise klarer. Immerhin erkennt die Fassung von 2013 an, dass Versuchspersonen über Rechte verfügen. Grundsätzlich zeigt sich allein in der mehrfachen substantiellen Umformulierung seit 1989 die Problematik eines fehlenden Metaprinzips. Die Grundfrage der Gewichtung von (sich ändernden?) Interessen und die unstete Gewichtung können als Beleg für die Problematik einer fehlenden konsistenten Begründung der Deklaration von Helsinki angesehen werden.

225  Auch nach einem menschenrechtlichen Verständnis besteht kein absoluter Vorrang des Wohls des Einzelnen vor dem Wohl der Gesellschaft und Wissenschaft. Indes ist der Grundsatz, dass das Wohl des Einzelnen Vorrang vor dem bloßen Interesse der Allgemeinheit haben soll, Ausdruck des Würdeprinzips und löst damit nicht nur einen Begründungszwang aus, sondern formuliert auch eine implizite Grenze der Interessenabwägung, nämlich nach kantianschem Würde-Verständnis dort, wo eine Objektivierung des Einzelnen stattfände. Zu den subtilen Änderungen der Deklaration von Helsinki in Richtung einer Konsistenz mit utilitaristischer Ethik: Brennan, Troyen A., Proposed Revisions to the Declaration of Helsinki – Will they Weaken the Ethical Principles Underlying Human Research?, New England Journal of Medicine 341 (1999), 527 – 530 [528]. 226  Zu Phase-I-Versuchspersonen: Dresser, Rebecca, First-in-Human Trial Participants: Not a Vulnerable Population, but Vulnerable nonetheless, Journal of Law, Medicine & Ethics 37 (2009), 38 – 47; Kimmelman, Jonathan, Ethics at Phase 0: Clarifying the Issues, Journal of Law, Medicine & Ethics 35 (2007), 727 – 732.

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bb) Subsidiarität von Versuchen an Menschen Die Deklaration von Helsinki geht von dem Grundsatz aus, dass Versuche an Menschen für den medizinischen Fortschritt letztlich unumgänglich sind. Prinzip Nr. 5 stellt entsprechend fest: „Medical progress is based on research that ultimately must include studies involving human subjects.“

Prinzip Nr. 21 fordert des Weiteren, dass medizinische Versuche an Menschen auf wissenschaftlicher Literatur und anderen Informationsquellen sowie „angemessenen“ Laborversuchen und Tierversuchen gestützt sein müssen. Versuche an Menschen können also nur subsidiär stattfinden. Dieses Erfordernis findet sich so auch in älteren Versionen der Deklaration. Konkretere Vorgaben, wann und wie der Übergang von Tier- zu Menschenversuchen stattzufinden hat und was für präklinische Informationen vorher gewonnen werden müssen, werden jedoch nicht gemacht. cc) Positive Nutzen-Risiko-Abwägung Prinzip Nr. 17 lautet: „All medical research involving human subjects must be preceded by careful assessment of predictable risks and burdens to the individuals and groups involved in the research in comparison with foreseeable benefits to them and to other individuals or groups affected by the condition under investigation“

Forschung soll demnach grundsätzlich nur stattfinden, wenn ein vorhersehbarer individueller Nutzen oder Gruppennutzen mit prognostizierbaren Risiken und Lasten im Verhältnis steht. Nach Prinzip Nr. 18 sind Ärztinnen direkt gehalten, nicht an Forschung teilzunehmen, wenn sie nicht davon überzeugt sind, dass die involvierten Risiken angemessen bewertet worden sind und zufriedenstellend beherrscht werden können. Sie sollen eine Studie sofort beenden, wenn sie der Ansicht sind, dass die Risiken den potentiellen Nutzen aufwiegen oder kein überzeugender Nachweis für einen Nutzen besteht. Im Hinblick auf Phase-I-Versuche wird festzustellen sein, dass der potentielle Nutzen ratione personae sehr weit verstanden, d. h. der Kreis der vermeintlichen Nutznießerinnen sehr weit gezogen werden muss. Ansonsten wären diese Versuche nach Prinzip Nr. 18 stets verboten, da hier das Risiko immer den potentiellen individuellen Nutzen übersteigt. Prinzip 16 Abs. 2 fasst dies erneut zusammen: „Medical research involving human subjects may only be conducted if the importance of the objective outweighs the risks and burdens to the research subjects.“

Das hinzunehmende Risiko steht demnach in Abhängigkeit vom potentiellen Nutzen. Ein höherer Nutzen kann mit höheren Lasten und Risiken erkauft werden. Allerdings fehlt hier eine für Arzneimittelversuche wichtige Differenzierung, ob Versuche an Kranken oder Gesunden durchgeführt werden. Unbeantwortet bleibt, bis zu welchem Grad ein sehr hohes Risiko von gesunden Probandinnen eingefordert werden kann, wenn dies einen sehr hohen Nutzen für andere Personen verspricht.

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c)  Streitpunkt: Informierte Einwilligung Das Prinzip der informierten Einwilligung ist seit jeher ein zentrales Grundprinzip der Deklaration von Helsinki. Prinzip Nr. 25 stellt klar, dass die freie Einwilligung einer einwilligungsfähigen Person nicht ersetzt werden kann. Damit eine Einwilligung informiert erfolgt, verlangt Prinzip Nr. 26, dass jede potentielle Versuchsperson „angemessen“ über die Ziele, Methoden, Finanzierung, jeden möglichen Interessenkonflikt, institutionelle Zugehörigkeiten der Prüferin, den erwarteten Nutzen, die potentiellen Risiken und Unannehmlichkeiten, die Nachbehandlung und andere relevante Aspekte der Studie aufgeklärt wird. Eine umfängliche Aufklärung erfordert auch die Aufklärung über Rechte, wie das Recht jederzeit die Einwilligung zurückzuziehen und – ohne Nachteile – den Versuch abzubrechen. Diesen Aufklärungsumfang sahen auch bereits ältere Versionen der Deklaration, wie die aus dem Jahr 1996 und 2008, vor. Die Fassung von 2013 stellt ferner klar, dass gewährleistet werden muss, dass jede potentielle Versuchsperson die entsprechenden Informationen auch tatsächlich verstanden hat. Erst dann ist die freiwillige und nunmehr informierte Einwilligung einzuholen, die vorzugsweise – aber nicht zwangsläufig – schriftlich zu sein hat. Kann die Einwilligung nicht schriftlich eingeholt werden sieht die Deklaration seit 2000 vor, dass die mündliche Einwilligung formal dokumentiert und bezeugt wird. Prinzip Prinzip Nr. 27 verpflichtet Ärztinnen, besonders darauf zu achten, dass potentielle Versuchspersonen nicht von ihnen abhängig sind oder die Einwilligung unter Zwang („under duress“) abgeben. Die 2013er Version scheint wie die 2008er Version insgesamt mehr Rücksicht auf kollektivere Strukturen zu nehmen. Prinzip Nr. 25 erkennt etwa an, dass es „angemessen“ sein könne, Familien- oder Gemeinschaftsführer („community leaders“) zu konsultieren. Eine individuelle Einwilligung kann dadurch jedoch nicht ersetzt werden. Die Deklaration nimmt damit Bezug auf Personen und Situationen, die typischerweise in Entwicklungsländern prävalenter sind, wie Analphabetismus und kollektive Kulturen. Nach der Deklaration sind Versuche in Entwicklungsländern auch nicht grundsätzlich unzulässig. Damit verbundene Streitpunkte, etwa ob ungebildete Personen in Entwicklungsländern überhaupt ein Verständnis für das vermeintlich westliche Konzept wissenschaftlicher Forschung haben können oder ob Freiwilligkeit unter prekären Verhältnissen gegeben sein kann, werden indes nicht angesprochen. d)  Streitpunkt: Inklusion vulnerabler Personen aa) Vulnerable Personen Bereits die erste Version der Deklaration aus dem Jahr 1964 sah Schutzmaßnahmen für Personen vor, die rechtlich oder physisch nicht einwilligungsfähig waren. Deren Einwilligung sollte durch eine rechtliche Vertreterin ersetzt werden können. Das Konzept der vulnerablen Personen umfasst noch weitere Personengruppen, die

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historisch betrachtet besonders anfällig für Missbrauch und schlechte Behandlung waren (und mitunter auch heute sind). Die Deklaration von Helsinki nahm erst im Jahr 2000 das Konzept der „vulnerability“ explizit auf: „Some research populations are vulnerable and need special protection. The particular needs of the economically and medically disadvantaged must be recognized. Special attention is also required for those who cannot give or refuse consent for themselves, for those who may be subject to giving consent under duress […].“

Bereits in der Fassung von 2008 wurde allerdings die Hervorhebung „The particular needs of the economically and medically disadvantaged must be recognized“

wieder gestrichen. In der Fassung von 2013 lautet Prinzip Nr. 19 nun: „Some groups and individuals are particularly vulnerable and may have an increased likelihood of being wronged or of incurring additional harm“.

Die Deklaration positionierte sich damit nur für einen kurzen Zeitraum der Art, dass sie wirtschaftlich und medizinisch benachteiligte Personen explizit als vulnerabel qualifizierte. Dies kann auch mit einer Neupositionierung im Spannungsfeld zwischen „Schutz durch Ausschluss“ und „Recht auf Inklusion“ zusammenhängen. So lautet Prinzip Nr. 13: „Groups that are underrepresented in medical research should be provided appropriate access to participation in research.“

Personen in Entwicklungsländern werden damit nicht (mehr) explizit als vulnerabel qualifiziert, vielmehr wird seit 2008 die Notwendigkeit der Inklusion betont. bb) Inklusion und Schutzmaßnahmen (1) Nicht-einwilligungsfähige Personen Die Deklaration von 1996 stellte, wie die von 2000, auf rechtliche Nicht-einwilligungsfähigkeit („legal incompetence“) ab. Beide sahen die Möglichkeit vor, die Einwilligung der „verantwortlichen Verwandten“ (1996) bzw. der rechtlichen Stellvertreterin (2000) nach Maßgabe des anwendbaren Rechts einzuholen. Sie stellten klar, dass die Einwilligung minderjähriger Kinder (nicht aber auch nicht-einwilligungsfähiger Erwachsener), sofern sie nicht rechtlich aber faktisch einwilligungsfähig sind, zusätzlich eingeholt werden musste. In der 1996er Version schien aus der Systematik hervorzugehen, dass nicht-einwilligungsfähige Personen für jede Art der Forschung in Frage kamen, da eine Unterscheidung zwischen therapeutischer und nicht-therapeutischer Forschung angestellt wurde und die Bestimmung über nicht-einwilligungsfähige Personen ohne weitere Einschränkung im allgemeinen Teil („basic principles for all medical research“) zu finden war. In der 2000er Version hieß es dann, dass rechtlich wegen physischer, mentaler oder altersbedingter Umstände nicht-einwilligungsfähige Personen nur an Forschung teilnehmen dürften, wenn ein Gruppennutzen erwartet wurde und die Forschung nicht an einwilligungsfähigen Personen durchgeführt werden konnte. Das bedeute-

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te jedoch, dass auch geistig behinderte Personen an Forschung teilnehmen durften, die keinen unmittelbaren individuellen Nutzen brachte. Unfreie Personen, wie Gefangene oder Personen in anderen Abhängigkeitsverhältnissen, wurden gar nicht erst gesondert thematisiert. Der Paradigmenwechsel von 2008, weg von Protektion hin zu Inklusion, zeigt sich auch in den Bestimmungen über nicht-einwilligungsfähige Personen. Die Version von 2008 strich die Unterscheidung von rechtlicher und faktischer Einwilligungsfähigkeit und stellte auf „incompetence“ ab. Die Version von 2013 nimmt ebenfalls keien Unterscheidung von rechtlicher und faktischer Einwilligungsfähigkeit vor, bezieht sich jedoch in Prinzip Nr. 28 auf Personen „incapable of giving informed consent“. Wie bei vielen ständigen Änderungen ist auch hier der Grund für den Begriffswechsel von „incompetent“ und „incapable“ nicht offensichtlich. So bleibt auch offen, ob beispielsweise ältere, aber minderjährige Kinder, die faktisch in der Lage sind, die erforderliche Geisteshaltung zu entwickeln, sowie die Fähigkeit haben, diese nach außen zu kommunizieren, „incapable“ im Sinne der Deklaration sind. Es fehlen Parameter, anhand derer sich die „incapability“ ermessen lassen könnte. Vielmehr scheint die Deklaration von einer a priori Feststellung der Nicht-Einwilligungsfähigkeit auszugehen. Wenn diese Qualifizierung jedoch – wie und von wem auch immer – erfolgt ist, können diese Personen in Versuche einbezogen werden, wenn die rechtlichtliche Vertreterin informiert einwilligt, ein Gruppennutzen vorliegt und die Forschung nur minimale Risiken und Lasten auferlegt. Eine Unklarheit besteht auch hinsichtlich der Frage, ob geistig behinderte Personen hierunter fallen oder unter Prinzip Nr. 30. Prinzip Nr. 30 stellt eine Regelung für die Forschung mit Personen auf, die „physically or mentally incapable of giving consent“ sind. Bewusstlose Personen werden als Beispiel genannt. Damit scheint auf eine faktische, zeitlich begrenzte Nicht-Einwilligungsfähigkeit abgestellt zu werden. Rechtlich nicht-einwilligungsfähige behinderte Personen scheinen folglich nicht von Prinzip Nr. 30, sondern von Prinzip Nr. 28 erfasst zu werden. Wenn rechtlich nicht-einwilligungsfähige, geistig behinderte Personen nun unter Prinzip Nr. 28 zu subsumieren wären, bedeutete dies, dass Versuche an ihnen auch ohne einen unmittelbaren Eigennutzen möglich wären. Fielen rechtlich nicht-einwilligungsfähige, geistig behinderte Personen dagegen unter Prinzip Nr. 30, wären Versuche sogar ohne die Einwilligung der gesetzlichen Vertreterin möglich, wenn diese nicht erreichbar („available“) sein sollte. Dies soll indes nur möglich sein, wenn der Zustand, der die Nicht-Einwilliungsfähigkeit begründet, notwendiger Teil der Forschung ist, diese nicht verschoben werden kann und stattdessen eine Ethikkommission den Versuch autorisiert hat. Dadurch dass die Unterscheidung von therapeutischer und nicht-therapeutischer Forschung aufgehoben worden ist, lässt sich dieser Norm jedoch nicht entnehmen, dass nur Heilversuche gemeint sein können, die den Versuchspersonen unmittelbar nutzen könnten. Wie in allen Versionen vorher werden unfreie Personen wie Gefangene nicht explizit angesprochen.

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(2) Marginalisierte Personen In der Fassung von 2013 Version lautet Prinzip Nr. 20: „Medical research with a vulnerable group is only justified if the research is responsive to the health needs or priorities of this group and the research cannot be carried out in a non-vulnerable group. In addition, this group should stand to benefit from the know­ ledge, practices or interventions that result from the research.“

Die Version von 2008 sprach in ähnlicher Weise von „disadvantaged or vulnerable population or community“ statt von „vulnerable group“ und war damit enger formuliert. Es handelt sich dabei nicht um besondere Maßnahmen zur Sicherstellung der freien informierten Einwilligung von Versuchspersonen, sondern um die Rechtfertigung der Inbezugnahme ganzer Gruppen. Forschung soll nur gerechtfertigt sein, wenn diese Gruppen potentiell von den Forschungsergebnissen profitieren können. Damit wird das Problem adressiert, dass sich Forschung dem Ausbeutungsvorwurf aussetzt, wenn die an dem Versuch beteiligten Personen nicht von den erforschten Arzneimitteln profitieren können. Prinzip Nr. 20 begegnet damit einem generellen Gerechtigkeitsproblem, wie im Sinne der Vier Prinzipien, geht jedoch nicht auf die Anfälligkeit von vulnerablen Personengruppen gegenüber der Verletzung ihrer persönlichen Interessen ein.227 Die einzige Aussage der Deklaration hierzu ist, dass „einige Gruppen und Individuen besonders verletzlich sind und besonderen Schutz bedürfen“. Die in der Fassung von 2000 enthaltene Ergänzung, dass zu den besonders Verletzlichen nicht nur rechtlich oder faktisch nicht-einwilligungsfähige sondern gerade auch wirtschaftlich benachteiligte Personen zählen, wurde 2008 aufgegeben. e)  Streitpunkt: Studiendesign Einer der umstrittensten Aspekte der Deklaration von Helsinki ist ihr Umgang mit Placebo-Kontrollen. Seit 1975 verlangte die Deklaration: „In any medical study, every patient – including those of a control group, if any – should be assured of the best proven diagnostic and therapeutic method.“

Wortgleich fand sich diese Bestimmung in den Versionen von 1989 und 1996. 1996 erhielt diese Norm zusätzlich einen zweiten Absatz, der lautete: „This does not exclude the use of inert placebo studies where no proven diagnostic or therapeutic method exists.“

Nach der Revision im Jahr 2000 lautete Prinzip Nr. 29: „The benefits, risks, burdens and effectiveness of a new method should be tested against those of the best current prophylactic, diagnostic, and therapeutic methods. This does not exclude the use of placebo, or no treatment, in studies where no proven prophylactic, diagnostic or therapeutic method exists.“ 227  Hingegen etwa UN Report by Anand Grover, Special Rapporteur on the Right of Everyone to the Enjoyment of the Highest Attainable Standard of Physical and Mental ­Health vom 10. 08. 2009, UN Dok. A/64/272, Rnrn. 43 ff.

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Die Forderung, dass alle Versuchsteilnehmerinnen in den Genuss der besten erprobten Standardtherapie kommen sollten, wurde damit gestrichen. Sie war bereits vorher unlogisch228 und wurde nicht praktiziert, da es in der Natur des vergleichenden Arzneimittelversuchs liegt, dass ein neu zu erprobendes Arzneimittel gerade nicht die bereits bestehende erprobte Methode ist. Klargestellt wurde auch, dass gegen unwirksame Placebos getestet werden könne, wenn es keine erprobte Methode gäbe. Allerdings wurde offen gelassen, ob eine solche erprobte Methode konkret oder abstrakt (in einem anderen Land, in einer anderen Region) verfügbar sein musste.229 In forschungsfreundlicher Auslegung hätte die Deklaration demnach bei jeder Art von Versuch in einem Entwicklungsland den Einsatz von unwirksamen Placebos ermöglicht, wenn ein erprobtes Arzneimittel nur nicht konkret in diesem Land rechtlich oder faktisch verfügbar gewesen wäre.230 Zudem wurde auch keine Grenze für die Placebo-Kontrolle formuliert. Auch war die Norm relativ allgemein gehalten und wurde nicht der Komplexität der Kontrollgruppenauswahl und der Methodologie gerecht.231 Bemerkenswerterweise erhielt diese (vermeintlich forschungsfreundliche) Revision der Deklaration deutliche Kritik von der EMA und Unternemensvertreterinnen. Das nach strenger Lesart absolute Verbot von Placebo-kontrollierten Versuchen bei bereits verfügbarer erprobter Methode sei methodologisch nicht durchsetzbar.232 Dass entsprechende Kritik an der strengeren Vorgängernorm ausgeblieben war, könnte daran liegen, dass diese aufgrund ihrer logischen und praktischen Mängel schlicht nicht beachtet worden war. Jedenfalls sah sich die WMA 2002 wegen der verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten und der möglichen Verwirrung zu einer note of clarification233 veranlasst: „It hereby reaffirms its position that extreme care must be taken in making use of a placebo-controlled trial and that in general this methodology should only be used in the absence of existing proven therapy. However, a placebo-controlled trial may be ethically acceptable, even if proven therapy is available, under the following circumstances:

228 Auch Jost, Timothy S., The Globalization of Health Law: The Case of Permissibility of Placebo-Based Research, American Journal of Law and Medicine 26 (2000), 175 – 186 [186]. 229  Vgl. auch Taupitz, Jochen, Die Neufassung der Deklaration von Helsinki des Welt­ ärztebundes vom Oktober 2000, MedR (2001), 277 – 286 [284]. 230  So scheint es auch die Praxis zu halten: Kent, David M./Mwamburi, D. Mkaya/Bennish, Michael L./Kupelnick, Bruce/Ioannidis, John P.A., Clinical Trials in Sub-Saharan Africa and Established Standards of Care: A Systematic Review of HIV, Tuberculosis, and Malaria Trials, Journal of the American Medical Association 292 (2009), 237 – 242. 231  Deutsch, Erwin, Klinische Forschung International: Die Deklaration von Helsinki des Weltärztebundes in neuem Gewand, NJW (2001), 857 – 860 [860]. 232  EMA Dokument vom 28. 06. 2001 EMA/17424/01. 233  Abgedruckt im Deutsches Ärzteblatt 99 (2002), 411.

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– Where for compelling and scientifically sound methodological reasons its use is necessary to determine the efficacy or safety of a prophylactic, diagnostic or therapeutic method; or – Where a prophylactic, diagnostic or therapeutic method is being investigated for a minor condition and the patients who receive placebo will not be subject to any additional risk of serious or irreverrsible harm. All other provisions of the Declaration of Helsinki must be adhered to, especially the need for appropriate ethical and scientific review.“

Damit sollte geklärt werden, dass aus wissenschaftlichen und methodologischen Gründen der Gebrauch von (unwirksamen) Placebos ethisch vertretbar sein kann, obwohl eine erprobte Therapiemethode verfügbar ist. Dies wurde auch hinsichtlich der afrikanischen AZT-Versuche gefordert, um angemessen auf Lebensrealitäten in Entwicklungsländern reagieren zu können. Es sollte möglich sein, kostengünstigere und damit faktisch zugängliche Arzneimittel zu entwickeln.234 Indes fällt auf, dass bei der gerade zitierten ersten Alternative die in der zweiten Alternative enthaltene Einschränkung fehlt, dass Placebos nicht in solchen Fällen eingesetzt werden dürften, in denen ein Risiko für ernsthafte oder irreversible Schäden besteht. Zugespitzt ausgedrückt, wäre demnach dasjenige ethisch akzeptabel, was aus Forschungssicht notwendig ist. Die Revision von 2008 reagierte hierauf und formulierte Prinzip Nr. 32 wie folgt: „The benefits, risks, burdens and effectiveness of a new intervention must be tested against those of the best current proven intervention, except in the following circumstances: – The use of placebo, or no treatment, is acceptable in studies where no current proven intervention exists; or – Where for compelling and scientifically sound methodological reasons the use of placebo is necessary to determine the efficacy or safety of an intervention and the patients who receive placebo or no treatment will not be subject to any risk of serious or irreversible harm. Extreme care must be taken to avoid abuse of this option.“

Damit wurde auf die an der vorherigen Formulierung geäußerte Kritik eingegangen. Allerdings ist immer noch nicht klar, ob das „wo“ in „where no current proven intervention exists“ (erste Alternative) regional oder universal, konkret oder abstrakt zu verstehen ist. Dieser letzte Punkt blieb auch in der Version von 2013 unbeantwortet. Prinzip Nr. 33 „Use of Placebo“ ist sehr ähnlich zu der Version von 2008 formuliert. „The benefits, risks, burdens and effectiveness of a new intervention must be tested against those of the best proven intervention(s), except in the following circumstances: – Where no proven intervention exists, the use of placebo, or no intervention, is acceptable; or

234  Levine, Robert J., The Need to Revise the Declaration of Helsinki, New England Journal of Medicine 341 (1999), 531 – 534.

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– Where for compelling and scientifically sound methodological reasons the use of any intervention less effective than the best proven one, the use of placebo, or no intervention is necessary to determine the efficacy or safety of an intervention – and the patients who receive any intervention less effective than the best proven one, placebo, or no intervention will not be subject to additional risks of serious or irreversible harm as a result of not receiving the best proven intervention. Extreme care must be taken to avoid abuse of this option.“

Die Deklaration geht damit auch 2013 von dem Paradigma der aktiven Kontrolle aus und präzisiert weiter, dass auch Kontrollarten wie Dosisvariationen oder replace­ment oder andere, bei denen die Intervention „less effective than the best proven one“ sein könnte, nur als Ausnahme angewendet werden sollten. Die Deklaration erachtet die betreffenden Personen folglich primär als Patientinnen und nicht als Probandinnen. f)  Streitpunkt: Benefit Sharing und Verteilungsgerechtigkeit aa) Individuelle Nachbehandlung von Versuchspersonen Konkrete Verteilungsgerechtigkeitsaspekte haben erst im Jahr 2000 Eingang in die Deklaration gefunden. In der 2000er Version wird erstmals die Empfehlung ausgesprochen, individuelle Versuchspersonen auch nach Beendigung der Versuche zu behandeln. So hieß es in Prinzip Nr. 30: „At the conclusion of the study, every patient entered into the study should be assured of access to the best proven prophylactic, diagnostic and therapeutic methods indentified by the study.“

Dem Wortlaut nach hätte damit jeder Teilnehmerin einer Studie der Zugang zu dem neuen Arzneimittel oder der bereits erprobten Standardtherapie ermöglicht werden sollen. Nicht weiter ausgeführt wird, ob ein effektiver Zugang geboten werden sollte (in der Form, dass Arzneimittel umsonst oder zumindest finanziell realisierbar sind), oder ob ein theoretischer genügt (in der Form, dass Arzneimittel in der Region zugelassen und vermarktet werden). Die Formulierung „jeder Patient, der an der Studie teilnimmt“ lässt aber darauf schließen, dass diesen Personen tatsächlich und effektiv ein Zugang ermöglicht werden „sollte“. Die Deklaration von 2008 behielt das Erfordernis bei. In der 2013er Version lautet Prinzip Nr. 34 post-trial provisions: „In advance of a clinical trial, sponsors, researchers and host country governments should make provisions for post-trial access for all participants who still need an intervention identified as beneficial in the trial. This information must also be disclosed to participants during the informed consent process.“

Nach Prinzip Nr. 22 müssen „angemessene Arrangements“ für Nachbehandlungen im Studienprotokoll ausgewiesen werden. Mit dem Erfordernis, einen Nachbehandlungsplan bereits im Studiendesign auszuweisen, ist die Nachbehandlung als integraler Bestandteil einer Studie zu verstehen.

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Zudem wird durch Prinzip Nr. 34 die Verantwortung für die individuelle Nachversorgung auf einzelne Forscherinnen, Sponsorinnen und Regierungen erweitert. Der explizite Zusatz, dass diese Information Teil des Aufklärungskatalogs sein soll, dient wahrscheinlich dazu, den Druck zur tatsächlichen Schaffung solcher Vorkehrungen zu erhöhen. Allerdings wurde auch 2013 die weiche Formulierung „should“ beibehalten. bb) Vermarktung von Arzneimitteln Abstrakte Verteilungsgerechtigkeitsaspekte wurden 2008 neu in die Deklaration aufgenommen. Modifiziert lautet Prinzip Nr. 20 in der Fassung von 2013: „Medical research with a vulnerable group is only justified if the research is responsive to the health needs or priorities of this group and the research cannot be carried out in a non-vulnerable group. In addition, this group should stand to benefit from the know­ ledge, practices or interventions that result from the research.“

Damit sollen nicht nur konkret diejenigen von dem Versuch profitieren, die daran teilgenommen haben, sondern die gesamte Gruppe derjenigen, die Teil des Versuchs waren. Davon umfasst sind gerade auch medizinisch und finanziell benachteiligte Bevölkerungsgruppen in Entwicklungsländern. Allerdings ist nur vage formuliert wie, wann und welchen benefit diese Bevölkerungsgruppen erhalten sollen. In der Arzneimittelforschung ist der zu erwartende Nutzen in erster Linie das neue Arzneimittel, wenn es als sicher und wirksam befunden worden ist. Der Nutzen wäre dann der Zugang zu diesem Arzneimittel. „Stand to benefit“ könnte folglich so ausgelegt werden, dass eine Vermarktungspflicht in dem entsprechenden Land besteht und ein Mechanismus gefunden werden muss, nach welchem auch ein faktischer (finanzieller und infrastruktureller) Zugang erreicht wird. Dieses Erfordernis ist jedoch wiederum weich („should“) formuliert. cc) Sonstiges Benefit Sharing Bis auf die vorerwähnten individuellen und gesellschaftlichen Zugangsmöglichkeiten zu den erforschten und ggf. sich als wirksam und sicher erwiesenen Arzneimitteln, enthält die Deklaration von Helsinki keine weiteren Pflichten oder Empfehlungen für benefit sharing. g)  Bewertung Die Deklaration von Helsinki steht in einer langen Tradition, in der Ärztinnen ihre Rolle in der Forschung an Menschen reflektieren. Dies geschieht nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Gräueltaten deutscher Ärztinnen während des Nationalsozialismus. Entsprechend normiert die Deklaration unmittelbar Pflichten von Ärztinnen. Zwar adressiert die neueste Version auch andere Akteure der Forschung (und auch Regierungen), jedoch ohne deren Beteiligung in der Erarbeitung und Verabschiedung, was sich in mangelnder Perspektiveinnahme zeigt. Für eine umfängliche Normierung greift die Deklaration daher zu kurz. Dies zeigt

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sich auch darin, dass sie – obwohl spezifisch für Forschung an Menschen ausgelegt – in vielen Dingen zu grundsätzlich bleibt, um tatsächlich brauchbar für Entscheidungsfindungen zu sein. Ein Beispiel hierfür sind die vielen verschiedenen Studiendesigns, die derzeit als wissenschaftlich valide und notwendig gelten, in der Deklaration jedoch weder explizit angesprochen noch umfassend von den entsprechenden Prinzipien erfasst werden. Ein anderes Beispiel sind Unterscheidungen zwischen Versuchen der Phase I, II und III. Versuchen sind naturgemäß Unterschiede im Risiko-Nutzen-Verhältnis inhärent, je nachdem ob sie an gesunden oder an kranken Personen durchgeführt werden. Bei letzteren ist wiederum zu unterscheiden, welches Studiendesign zur Anwendung kommt und ob einzelne Personen behandelt werden oder nicht. Dies sind bekannte Aspekte, die dazu führen, dass entsprechend „unpassende“ Prinzipien eben als unpassend erachtet und damit nicht als Entscheidungsmaßstab herangezogen werden.235 Andererseits sollen und können die Prinzipien als Grundsätze verstanden werden, die eine grundlegende Positionierung und Orientierung bieten. Grundsätzlich ist demnach beispielsweise stets die informierte Einwilligung von Versuchspersonen einzuholen. Allerdings bestehen Unklarheiten in Fällen, in denen Grundsätze konfligieren, wie etwa das Autonomieprinzip, das Wohltuens- und das Gerechtigkeitsprinzip. Die besonderen Umstände von Forschung in Entwicklungsländern finden seit dem Jahr 2000 explizit Beachtung, indem besondere Anforderungen an Forschung mit vulnerablen Gruppen benannt werden. Indes fehlt eine Definition solcher Gruppen. Die Deklaration bezieht lediglich Position dahingehend, dass wirtschaftliche und medizinische Benachteiligung nicht mehr Kennzeichen einer grundsätzlichen Vulnerabilität sein soll. Folglich sind daran grundsätzlich auch keine spezifischen Schutzmaßnahmen zu knüpfen. Zunächst scheinen die Grundsätze der Deklaration einen universalen Ansatz zu verfolgen, insofern sie überall gleich gelten sollen. Allerdings lassen Formulierungen bei den Bestimmungen zum Placebo-Einsatz offen, ob nicht auch ein regionaler Ansatz verfolgt wird. Jedenfalls kann aus dem Wortlaut ein solcher durchaus geschlossen werden. Ein grundsäztlicher Kritikpunkt an der Deklaration von Helsinki liegt auch in mangelnden Definitionen. Konzepte wie vulnerability oder Einwilligungsfähigkeit sind zwar gängig im bioethischen Diskurs, jedoch sehr umstritten. Insbesondere durch die fehlende konsistente theoretische Begründung sind diese Termini sehr auslegungsoffen. Dies ist sicherlich auch ein Vorteil, weil es die Deklaration für verschiedene Regionen und Gruppierungen einfacher anschlussfähig macht. Einer klaren und globalen Regelung steht es jedoch entgegen. Im Gegenteil können dadurch regionale Unterschiede und Dissense noch verschleiert werden.

235  Siehe dazu auch Levine, Robert J., The Need to Revise the Declaration of Helsinki, New England Journal of Medicine 341 (1999), 531 – 534 [532].

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Dies zeigt sich nicht zuletzt in den relativ rasch aufeinanderfolgenden Änderungen, die vollkommen neue Positionierungen darstellen, wie etwa das grundsätzliche Verhältnis von Individualschutz zum Allgemeininteresse gewichtet werden soll. Wie auch bei Fragen des Placebo-Einsatzes könnten zwar die vielen Änderungen auch als schnelle Anpassung an wandelnde Umstände gewertet werden. Insgesamt hinterlassen sie aber, da es sich häufig um wesentliche Grundsätze handelt, ein eher konfuses Bild, das eine klare Grundorientierung vermissen lässt. Die Frage, ob der Fokus mehr auf Individualschutz oder Allgemeinnutzen liegen sollte, ist nicht technischer Natur, die eine grundlegende Richtungsänderung alle paar Jahre notwendig erscheinen lassen könnte. Darüber hinaus werden viele einzelne Termini öfter geändert und Sätze umgestellt, ohne dass klar ist, ob dies eine grundsätzliche Änderung darstellen soll oder nur eine redaktionelle. Die Ausfüllung der Prinzipien und unklaren Termini wird letztlich an Ethikkommissionen ausgelagert, deren institutionelle Einrichtung, Zusammensetzung, Verfahren und inhaltliche Ausrichtung jedoch weitestgehend offen gelassen werden. II.  International Conference on Harmonisation of Technical Requirements for Registration of Pharmaceuticals for Human Use 1.  Vertretungsgerechtigkeit und Verfahrensfairness a)  Mitgliedschaft Die erste International Conference on Harmonisation of Technical Requirements for Registration of Pharmaceuticals for Human Use (ICH) wurde 1991 von der Interessenvereinigung International Federation of Pharmaceutical Manufacturers and Associations (IFPMA) als Gastgeberin veranstaltet.236 Zur Vorbereitung wurde 1990 ein steering committee mit Vertreterinnen der Europäischen Kommission, der European Federation of Pharmaceutical Industries and Associations (EFPIA), des Japanischen Ministeriums für Gesundheit, Arbeit und Wohlfahrt, der Japan Pharmaceutical Manufacturers Association (JPMA), der US Food and Drug Administration (FDA) und der Pharmaceutical Research and D’Arcy, Patrick F./Harron, Dean W. G. (Hrsg.), Proceedings of The First International Conference on Harmonisation Brussels 1991, 1992; Molzon, Justina A./Giaquinto, Alex/Lindstrom, Lenita/Tominaga, Toshiyoshi/Ward, Mike, et al., The Value and Benefits of the International Conference on Harmonisation to Drug Regulatory Authorities: Advancing Harmonization for Better Public Health, Clinical Pharmacology & Therapeutics 89 (2011), 503 – 512; siehe auch Ryan, Ann E., Protecting the Rights of Pediatric Research Subjects in the International Conference on Harmonisation of Technical Requirements for Registration of Pharmaceuticals for Human Use, Fordham International Law Journal 23 (2000), 848 – 934 [912 ff.]; Kanusky, Rosemarie, Pharmaceutical Harmonization: Standardiz­ing Regulations among the United States, The European Economic Community, and Japan, Houston Journal of International Law 16 (1994), 665 – 707 [690 ff.]. 236 Hierzu

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Manufac­turers of America (PhRMA) eingerichtet. Diese waren auch die Teilnehmerinnen der Konferenz. Repräsentantinnen der WHO und der Arzneimittelregulierungsbehörden Kanadas und Schwedens (für die Europäische Freihandelsassoziation) waren als Beobachterinnen anwesend. Darüber hinaus wurde die ICH von weiteren Wirtschaftsinteressengruppen unterstützt. Die ICH wurde schließlich institutionalisiert. b)  Organe aa) Steering Committee Das Hauptentscheidungsorgan der ICH ist das steering committee, welches aus Vertreterinnen der Europäische Kommission, des japanischen Ministeriums für Gesundheit, Arbeit und Wohlfart, der FDA sowie der drei korrespondierenden Lobby-Organisationen PhRMA, EFPIA und JPMA besteht, die alle jeweils zwei Sitze innehaben. 2014 wurden die schweizerische Regulierungsbehörde Swissmedic sowie die kanadische Regulierungsbehörde Health Canada als vollwertige Mitglieder aufgenommen. Sie waren vorher Beobachter. Swissmedic wird durch eine Vertreterin und Health Canada von zwei Personen vertreten. Die Vertreterinnen für die Europäische Kommission waren 2015 eine Vertreterin der Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz sowie ein Vertreter des Ausschusses für Humanarzneimittel, der Teil der Europäischen Arzneimittel­agentur ist.237 Die zwei Sitze des japanischen Ministeriums werden von derzeit einem Vertreter des Ministeriums und einem Vertreter der japanischen Regulierungsbehörde besetzt. Seit der Gründung waren drei Beobachterinnen im steering committee vertreten, namentlich die WHO, die kanadische Regulierungsbehörde sowie die Europäische Freihandelsassoziation (repräsentiert durch die schweizerische Regulierungsbehörde). Nach Aufnahme von Swissmedic und Health Canada als Mitglieder sind nun die WHO und die IFPMA Beobachterinnen im steering committee. bb) Arbeitsgruppen Vorbereitet werden die Harmonisierungsarbeiten in vom steering committee ernannten Arbeitsgruppen zu den drei Bereichen quality, safety und efficacy, die Unterschiede in den Anforderungen in den ICH-Regionen ausloten und einen „wissenschaftlichen Konsens“ darüber entwickeln, um diese Unterschiede aufzulö237  Titel II Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 726/2004. Dieser Ausschuss ist dafür verantwortlich, die Positionen der Agentur bezüglich aller entsprechenden Fragen zur Arzneimittelzulassung vorzubereiten und zu formulieren. Der Ausschuss für Humanarzneimittel besteht aus je einem Mitglied und einer Stellvertreterin, die jeweils von den EU-Mitgliedstaaten nominiert werden, einem Mitglied und einer Stellvertreterin, die jeweils von Island und Norwegen nominiert werden, sowie bis zu fünf nicht ständigen Mitgliedern, die aus Vorschlägen der Mitgliedstaaten oder der Agentur ausgewählt werden und eine spezifische, als notwendig erachtete Expertise mitbringen.

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sen.238 Zwar besteht keine förmliche „fixe Mitgliedschaft“, jedoch hat jede der acht Parteien eine topic leader als Kontaktperson für den jeweiligen Themenbereich nominiert. Die Arbeitsgruppen lassen sich weiter in verschiedene Typen aufteilen. Die hier wichtigsten sind die expert working groups (EWG), die mit der Entwicklung von harmonisierten Guidelines betraut sind. Sie werden von weiteren formellen und informellen Arbeitsgruppen flankiert. Diese EWGs können gemäß einer Einigung des steering committee nur dann offiziell zusammentreten, wenn mindestens ein Mitglied jeder der acht Regionen vertreten ist. Vertreterinnen der Organisationen mit Beobachterinnenstatus können in den verschiedenen Arbeitsgruppen teilnehmen. Die Kosten, die durch die Expertinnen-Arbeitsgruppen entstehen, werden jeweils von den die Expertinnen entsendenden Parteien übernommen.239 cc) Global Cooperation Group Die ICH öffnete sich bald auch anderen Interessierten. 1996 lud sie beispielsweise Vertreterinnen der generischen Industrie dazu ein, in den Arbeitsgruppen teilzunehmen.240 2003 lud sie weitere, alle Regionen der Welt umfassende, regionale Harmonisierungsinitiativen 241 ein, sich zu der global cooperation group, die dem steering committee untersteht, zusammenzuschließen und den technischen Arbeitsgruppentreffen und den Diskussionen des steering committees beizuwohnen.242 2007 entschied die ICH, auch einzelne Arzneimittelregulierungsbehörden von Ländern, aus denen viele klinische Daten stammen oder die die ICH-Guidelines adaptiert haben, einzuladen, Mitglied der global cooperation group zu werden. Dies sind Australien, Brasilien, China, Taiwan, Indien, Südkorea, Russland und Singapur. Die regionalen Harmonisierungsinitiativen und die einzelnen Regulierungsbehörden können jeweils eine Expertin zu den Arbeitsgruppen entsenden, welche wie Expertinnen der Organisationen mit Beobachterinnenstatus an diesen teilnehmen können.243

238  Informationen zu den Working Groups stammen von dem Internetauftritt der ICH: http://www.ich.org/about/organisation-of-ich/working-groups.html. 239 Ibid. 240  Im Folgenden nach Molzon, Justina A., The ICH Process: Evolution of an Idea, Präsentation beim FDA ICH Public Meeting vom 19. 05. 2011, abrufbar unter http://www.fda. gov/downloads/InternationalPrograms/HarmonizationInitiatives/UCM258766.pdf. 241  Eingeladen waren: Asia-Pacific Economic Cooperation (APEC), Association of the Southeast Asian Nations (ASEAN), Gulf Cooperation Council (GCC), Pan American Network for Drug Regulatory Harmonization (PANDRH) und Southern Africa Development Community (SADC). 242  Ward, Mike, The Global Cooperation Group and the Changing Face of ICH, Präsentation beim ICH Public Meeting vom 19. 05. 2011, Folie 10 ff., abrufbar unter http://www. fda.gov/downloads/InternationalPrograms/HarmonizationInitiatives/UCM258761.pdf. 243  Ward, Mike, The Global Cooperation Group and the Changing Face of ICH, Präsentation beim ICH Public Meeting vom 19. 05. 2011, Folie 19.

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dd) Konferenz Alle zwei Jahre findet eine umfassende Konferenz statt, die von den drei Industrieparteien finanziert wird.244 ee) Sekretariat Die ICH unterhält ein Sekretariat, das bei der IFPMA angesiedelt ist. c)  Entscheidungsfindung: Das ICH-Harmonisierungsverfahren Das formale ICH-Harmonisierungsverfahren besteht aus fünf Schritten.245 Das steering committee leitet durch ein Konzeptpapier und einen Businessplan das Verfahren ein. Das Konzeptpapier legt dar, wie die Expertinnen-Arbeitsgruppen zusammengesetzt sein sollten. Für Externe bleibt unklar, wer das Konzeptpapier und den Businessplan erstellt und unter welchen Gesichtspunkten die Teilnahme von Nicht-steering committee-Mitgliedern in den Arbeitsgruppen ermöglicht wird. aa) Schritt 1: Konsensbildung Die ICH-Harmonisierungsarbeit ist auf die Erzielung von Konsensen angelegt. Entsprechend wird bereits im ersten Schritt in den Experten-Arbeitsgruppen ein konsensualer Entwurf einer Guideline erarbeitet. Wenn ein Konsens unter allen Expertinnen der acht ICH-Mitglieder erreicht und der Entwurf gezeichnet ist, wird er dem steering committee übermittelt. Mitglieder der global cooperation group und ICH-Beobachterinnen in den Expertinnen-Arbeitsgruppen wirken gleichberechtigt an der Entwicklung der Guidelines mit.246 Es bleibt zwar unklar, ob mit diesen zusammen ein Konsens gefunden werden muss, jedenfalls aber werden alle ihre Kommentare berücksichtigt247. Die Darstellung auf der Webseite betont, dass ein Konsens zwischen den acht ICH-Mitgliedern gefunden werden muss. bb) Schritt 2: Bestätigung des Acht-Parteien-Konsenses In einem Schritt 2a bestätigt das steering committee auf Grundlage des Berichts der Arbeitsgruppe, dass ein „ausreichender“ wissenschaftlicher und technischer 244 

Nach Aussage von C. Meyer des ICH-Sekretariats. http://www.ich.org/contacts.html. ICH-Webseite http://www.ich.org/about/process-of-harmonisation/formalproc.html, Kanusky, Rosemarie, Pharmaceutical Harmonization: Standardizing Regulations among the United States, The European Economic Community, and Japan, Houston Journal of International Law 16 (1994), 665 – 707 [693]; Vozeh, S., The International Conference on Harmonisation, European Journal of Clinical Pharmacology 48 (1995), 173 – 175 [173]. 246  Nach Aussage von C. Meyer aus dem ICH-Sekretariat (http://www.ich.org/contacts. html). 247  Ebenfalls nach Aussage von C. Meyer aus dem ICH-Sekretariat. 245 Siehe

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Konsens gefunden worden ist. Diese Einigung muss von mindestens einem der jeweils zwei Vertreterinnen der acht Mitglieder bestätigt und gezeichnet werden. Auf Basis eines so entwickelten technischen Dokuments entwickeln die Regulierungsparteien einen Entwurf einer Guideline. Schritt 2b ist erreicht, wenn die Regulierungsparteien den Entwurf zeichnen. cc) Schritt 3: Regulatorische Konsultationen und Diskussion Der dritte Schritt erfolgt in drei Phasen: In der ersten Phase verlässt zunächst der Guideline-Entwurf den ICH-Prozess und wird Teil des regulativen Prozesses der ICH-Regionen. In der EU wird der Entwurf als Entwurf des Ausschusses für Humanarzneimittel veröffentlicht. In Japan wird der Entwurf übersetzt und als Grundlage von internen und externen Konsultationen im Gesundheits- und Wohlfahrtsministerium verwendet. In den USA wiederum wird der Guideline-Entwurf im federal register veröffentlicht. Regulierungsbehörden und Industrieverbände von Nicht-ICH-Regionen können ebenfalls die Entwürfe kommentieren und dem ICH-Sekretariat zukommen lassen. Die Webseite der ICH lädt darüber hinaus zu open consultations ein. Interessierte Personen sind dazu eingeladen, innerhalb einer bestimmten Frist Anregungen und Kommentare zu aktuellen Entwürfen per Email an das ICH-Sekretariat zu senden. Stakeholder aus der EU, den USA oder Japan werden gebeten, sich jeweils an die zuständige Regulierungsbehörde zu wenden. In der zweiten Phase versucht die Expertinnen-Arbeitsgruppe, die Kommentare und Anregungen aufzunehmen und auf Grundlage dieser eventuell einen neuen Konsens zu erzielen. War der Rapporteur in Schritt 2 eine Vertreterin der Industrie, wird nun ein Rapporteur aus den Reihen der Vertreterinnen der Regulierungsbehörden ernannt. Wenn in der Experten-Arbeitsgruppe ein Konsens erreicht ist, entweder weil es keine substantiellen Änderungen des Ausgangsentwurfs (Schritt 2b) gab oder weil ein neuer Konsens in der Arbeitsgruppe über Änderungen erzielt wurde, wird das Expertinnen-Dokument von den Regulierungsbehördenvertreterinnen in einer dritten Phase gezeichnet und dem steering committee mit der Bitte zur Annahme unterbreitet. Wenn innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens kein umfassender Konsens erreicht werden kann, berichtet der regulatory chair dem steering committee über das Ausmaß des erreichten Konsenses und erläutert divergierende Punkte. Expertinnen aller Parteien können ihre Positionen dem steering committee gegenüber erläutern. dd) Schritt 4: Annahme der ICH Harmonised Tripartite Guideline Im vierten Schritt wird die Guideline als harmonised tripartite guideline vom steering committee für die regulierenden Parteien der ICH gezeichnet. Die Guideline kann jedoch nicht von den öffentlichen Parteien der ICH unter einer wesentlichen Änderung des Inhalts gezeichnet werden. Sollten sich aufgrund des Kon-

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sultationsverfahrens wesentliche Änderungswünsche/-notwendigkeiten ergeben, wird in der Regel entschieden, die Schritte 2 und 3 zu wiederholen.248 Das heißt, dass ohne umfassenden Konsens, der die privaten Parteien miteinbezieht, keine ICH-Guideline gezeichnet wird, auch wenn sich die öffentlichen Parteien einig sind. ee) Schritt 5: Implementierung Der letzte Schritt ist im Grunde nicht mehr Teil des ICH-Verfahrens, da mit diesem die Guideline im Einklang mit den nationalen bzw. EU-Verfahrensregeln umgesetzt wird.249 ff) Revisionsverfahren Ein Revisionsverfahren erfolgt, wenn entweder der wissenschaftliche oder technische Inhalt einer bestehenden ICH Guideline nicht mehr gültig ist oder dem aktuellen Stand entspricht, oder wenn neue Informationen zur Verfügung stehen, die der Guideline angehängt werden sollen. Das Verfahren wird durch das steering committee mit einem Konzeptpapier initiiert und erfolgt nach den dargelegten Schritten 1 – 5. Erfolgte Revisionen werden durch die Denomination R1-Rn angezeigt. d)  Bewertung Bei der Beurteilung der Frage, ob die ICH aufgrund ihres Hintergrundes und der regelungsgebenden Akteure als legitim zu erachten ist, ist zu unterscheiden, wen ihre Akte bestimmen. Anders als beim Weltärztebund sind hier demokratisch legitimierte Staaten250 bzw. die demokratisch legitimierte EU251 beteiligt. Auch Probandinnen und Patientinnen dieser Länder sind daher (theoretisch) über diese 248 

Nach Aussage von C. Meyer aus dem ICH-Sekretariat. Zur Umsetzung in europäisches Unionsrecht und deutsches Recht: Engelke, Karsten, Transnationalisierung der Arzneimittelregulierung: Der Einfluss der ICH-Guidelines auf das deutsche Arzneimittelzulassungsrecht, MedR 28 (2010), 619 – 624. 250  Möllers, Christoph, Transnationale Behördenkooperation, ZaöRV 65 (2005), 351 – 389. 251  Nach mittlerweile herrschender Ansicht beruht die demokratische Legitimität der EU im Sinne von Art. 10 Abs. 2 EUV auf zwei Säulen: direkt über die Unionsbürgerinnen, die das Europäische Parlament wählen, und indirekt über die im (Europäischen) Rat vertretenen Regierungen der Mitgliedstaaten. Siehe vor Geltung des Lissabon-Vertrages: Moravcsik, Andrew, In Defence of the ‚Democratic Deficit‘: Reassessing Legitimacy in the European Union, Journal of Common Market Studies 40 (2002), 603 – 624; Majone, Giandomenico, Europe’s ‚Democratic Deficit‘: The Question of Standards, European Law Journal 4 (1998), 5 – 28. Ein latentes – jedoch bei bestehender Kompetenzbeschränkung vertretbares – Defizit sehen hingegen: BVerfGE 123, 267 – Lissabon, Rnrn. 276 ff.; Weiler, Joseph H.H., The Transformation of Europe, Yale Law Journal 100 (1990), 2403 – 2484. 249 

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Legitimationsketten vertreten. Allerdings ist zweierlei zu beachten: Einerseits das starke Gewicht der privaten Industrie und andererseits die weitreichenden faktischen Auswirkungen dieser Harmonisierungarbeit auf Konsumentinnen, Probandinnen und Patientinnen weltweit. Die Industrievertreterinnen sind direkt an der Erarbeitung der Guidelines beteiligt und stimmen unmittelbar über diese mit ab. Die EFPIA repräsentiert dabei 33 nationale Verbände252 und 40 führende pharmazeutische Unternehmen 253 und ist nach eigener Aussage „die Stimme auf EU-Ebene“ für 1.900 Unternehmen. Die US PhRMA hat 56 Mitgliedsunternehmen.254 Die japanische JPMA wiederum vertritt 72 forschungsorientierte pharmazeutische Unternehmen.255 Auffällig ist, dass einige große Unternehmen wie AstraZeneca, Bayer, Boehringer Ingelheim, Bristol-Myers Squibb, Eli Lilly, GlaxoSmithKline, Merck, Novartis, Pfizer oder Sanofi-Aventis – wenn auch durch unterschiedliche Tochterunternehmen – in zwei oder allen drei Verbänden vertreten sind. Diese Verbände finanzieren auch die ICH. Nicht zuletzt wird das Sekretarität der ICH von der IFPMA gestellt. Die IFPMA wiederum vertritt 50 nationale Verbände256 und 29 einzelne pharmazeutische Unternehmen 257. Damit sind einzelne besonders finanzstarke Unternehmen mit mehr Stimmen vertreten als Staaten, auch wenn diese von drei auf fünf Parteien erweitert worden sind. Im Übrigen sind auch multinationale Konzerne überproportional vertreten, mittelständische Unternehmen oder nicht-kommerziell forschende Einrichtungen dagegen gerade nicht.258 Darüber hinaus werden im steering committee von den insgesamt neun Sitzen, die Staatsvertreterinnen zustehen, sieben von Vertreterinnen der Regulierungsbehörden besetzt. Deren Auftrag ist es, eine hohe Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit von Arzneimitteln im Interesse der öffentlichen Ge252  Verbände von Nicht-EU-Mitgliedstaaten wie der Schweiz sind ebenfalls vertreten; deutsches Mitglied ist der Verband forschender Arzneimittelhersteller VfA. http://www.efpia.eu/about-us/membership. 253  Dies sind die großen Konzerne wie Astra Zeneca, Boehringer Ingelheim, Pfizer, GlaxoSmithKline, Bayer HealthCare, Roche, Novartis, Merck, Sanofi, Eli Lilly etc. 254 Wie beispielsweise AstraZeneca, Bayer HealthCare, Boehringer Ingelheim, Bristol-Myers Squibb, Eli Lilly, GlaxoSmithKline, Merck, Novartis, Pfizer, Sanofi-Aventis http://www.phrma.org/about/member-companies. 255 Wie beispielsweise AstraZeneca, Bayer Yakuhin, Bristol-Myers, Eli Lilly Japan, GlaxoSmithKline, Novartis Pharma, Pfizer Japan, Sanofi-Aventis oder aber auch Japan Tobacco http://www.jpma.or.jp/english/about_us/member.html. 256  Darunter die PhMA und JPMA sowie jene Verbände, die in der EFPIA vertreten sind http://www.ifpma.org/about-ifpma/members/associations.html. 257 Darunter beispielsweise AstraZeneca, Bayer HealthCare, Boehringer Ingelheim, Bristol-Myers Squibb, Eli Lilly, GlaxoSmithKline, Merck, Novartis, Pfizer, Sanofi-Aventis http://www.ifpma.org/about-ifpma/members/companies.html. 258  So ist aus deutscher Perspektive gerade der Verband forschender Arzneimittelhersteller und nicht der tendenziell mehr mittelständische Unternehmen unfassende Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie als Mitglied in der EFPIA und IFPMA beteiligt.

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sundheit zu verfolgen.259 Ob damit die Interessen von Versuchspersonen genügend vertreten werden, kann bezweifelt werden, insbesondere, da Fragen der Arzneimittelregulierung in der EU bei der Generaldirektion Unternehmen und Industrie angesiedelt sind.260 Auch wenn derzeit die EU-Kommission durch ein Mitglied der Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz vertreten ist,261 ist die Generaldirektion Unternehmen und Industrie federführend. So ist es auch diese, die eine Evaluierung der Richtlinie 2001/20/EG zur guten klinischen Praxis vorgenommen hat.262 Diese Evaluierung wiederum stützt sich u. a. auf eine Stellungnahme der der Generaldirektion Unternehmen und Industrie angegliederten High Level Group of Independent Stakeholders on Administrative Burdens, der Stoiber-Gruppe zum Bürokratieabbau. In ihrer Stellungnahme zur pharmazeutischen Regulierung und insbesondere zur Richtlinie 2001/20/EG betont die Stoiber-Gruppe deren Notwendigkeit zur Errichtung eines Gemeinsamen Marktes, bemängelt jedoch die hohen Regulierungskosten und sieht noch großen Spielraum, um administrative Hürden abzubauen und die Regulierung „more business friendly“ zu gestalten.263 Der weitere Zweck der Richtlinie, der Schutz der Würde, des Lebens und der Integrität von Versuchspersonen, findet keine Erwähnung.264 Kritisch zu sehen ist im Weiteren, dass durch die Harmonisierung der Vorgaben der wichtigsten Märkte ein Konformitätsdruck auf alle übrigen Zulassungsbehörden anderer Weltregionen ausgelöst wird.265 Gerade wenn ein Markt sehr klein ist, dürfte für pharmazeutische Unternehmen kaum ein Anreiz bestehen, erneut kostspielige Nachweise zu produzieren, wenn die größten Märkte bereits bedient werden können. Dieser Konformitätsdruck hat selbstverständlich auch Vorteile, da so weniger bedeutende Märkte sehr viel einfacher und schneller an Forschungsergebnissen partizipieren können. Allerdings sind die betreffenden Länder nicht 259 

Vgl. etwa Erwägungsgründe 13, 33 der VO (EG) 726/2004. D’Arcy, Patrick F./Harron, Dean W. G. (Hrsg.), Proceedings of The First International Conference on Harmonisation Brussels 1991, 1992, S. xxiv. 261 http://www.ich.org/about/organisation-of-ich/steering.html. 262  Assessment of the Functioning of the Clinical Trials Directive 2001/20/EC – Public Consultation Paper, Dok. ENTR/F/2/SF D(2009) 326742009 vom 09. 10. 2009. 263  European Commission, High Level Group of Independent Stakeholders on Administrative Burdens, Opinion of the High Level Group – Priority Area Pharmaceutical Legislation vom 05. 03. 2009, Rn. 6, abrufbar unter http://ec.europa.eu/enterprise/policies/smart-regulation/files/hlg_opinion_pharma_050309_en.pdf. 264  Daher wird auch das Argument evident aufgewogen, jede Regulierung sei anti-innovativ. Dies nicht berücksichtigend: Vozeh, S., The International Conference on Harmonisation, European Journal of Clinical Pharmacology 48 (1995), 173 – 175 [175]. 265  Der Umstand, dass die ICH nur wenige Mitglieder aber einen großen Einfluss hat, wird auch positiv gesehen, insofern grundsätzlich auch größere und spezifischere Schutzstandards einfacher erarbeitet werden können. Ryan, Ann E., Protecting the Rights of Pediatric Re­search Subjects in the International Conference on Harmonisation of Technical Requirements for Registration of Pharmaceuticals for Human Use, Fordham International Law Journal 23 (2000), 848 – 934 [928]. 260 

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unmittelbar an der Formulierung und Verabschiedung der Guidelines beteiligt und können somit ihre Interessen und Perspektiven nicht einfließen lassen.266 Zwar sind über die global cooperation group Verbände und Regulierungsbehörden einzelner Länder in den Arbeitsgruppen beteiligt, die Verabschiedung erfolgt jedoch letztlich durch das steering committee, das anderen Beteiligten höchstens als Beobachterinnen offensteht. Bereits bei der ersten ICH bemerkte ein Beobachter und Repräsentant der sowjetischen Regulierungsbehörde, dass zwischen der EG und Japan 11.000 km lägen, die von 300.000.000 Menschen bevölkert seien. Er fragte weiter, ob es nicht sinnvoll sei, diese zu inkludieren und über einen globalen Harmonisierungsprozess unter Beteiligung aller Betroffenen nachzudenken, da bereits (wohl aus faktischen Zwängen) eine Harmonisierung der Verfahren der (ehemaligen) sowjetischen Ländern mit denen der EG, der USA und Japans angestrebt werde.267 Die ICH-Guidelines, die ganz maßgeblich von der pharmazeutischen Industrie mitgestaltet werden, haben somit einen erheblichen Einfluss darauf, wie Forschung an Menschen in anderen Ländern durchgeführt wird, ohne dass diese unmittelbar an deren Verabschiedung beteiligt sind.268 Hinzu kommt, dass der Konformitätsdruck von Forschungsseite weiter forciert wird, soweit diese die Guidelines der ICH als autoritativ erachtet269 und nicht zuletzt als „globalen Standard“270 empfindet, der („um sicher zu gehen“) unabhängig vom Durchführungsort der Studie beachtet werden sollte. Des Weiteren werden auch nicht die national umgesetzten, tatsächlich verbindlichen Guidelines (etwa der FDA) als ausschlaggebend wahrgenommen, sondern die ICH-Guidelines, deren Befolgung als wesentlich für eine Zulassung erachtet wird.271 266 Kritisch Kaan, Terry, The Worth of Consent: The Ethics of Research in a Global Environment, Santa Clara Journal of International Law 5 (2006), 78 – 99. 267  Lepakhin, Vladimir, in: D’Arcy, Patrick F./Harron, Dean W. G. (Hrsg.), Proceedings of The First International Conference on Harmonisation Brussels 1991, 1992, S. 577 f. 268  Kritisch hinsichtlich der mangelnden Einflussnahmemöglichkeit der EU Mitgliedstaaten und insbesondere Deutschlands: Engelke, Karsten, Transnationalisierung der Arzneimittelregulierung: Der Einfluss der ICH-Guidelines auf das deutsche Arzneimittelzulassungsrecht, MedR 28 (2010), 619 – 624 [623 f.]. 269  Die Einhaltung wird auch teilweise als verpflichtend erachtet: beispielsweise von Draxler, W./Mittlböck, M., Basic Principles in the Plannung of Clinical Trials in Surgical Oncology, European Surgery 38 (2006), 27 – 32 [27]. 270  Zarin, Debora A./Tse, Tony/Ide, Nicholas C., Trial Registration at ClinicalTrials.gov between May and October 2005, New England Journal of Medicine 353 (2005), 2779 – 2787 [2786]; Switula, Dorota, Principles of Good Clinical Practice (GCP) in Clinical Research, Science and Engineering Ethics 6 (2000), 71 – 77 [71]. 271  So der Hinweis beispielsweise bei Reason, A. J., Validation of Amino Acid Analysis Methods, in: Walker, John M. (Hrsg.), The Protein Protocols Handbook, 3. Aufl., 2009, S. 1015 – 1028 [1015]. In Veröffentlichungen findet sich daher mitunter der Hinweis, dass die Studie nicht nur im Einklang mit der Deklaration von Helsinki durchgeführt wurde (was von vielen Journalen verlangt wird), sondern auch in Einklang mit technischen Guidelines

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Eine Standardisierung der technischen und formalen Anforderungen fördert schließlich die Globalisierungstendenzen von Arzneimittelstudien, da eine Zulassung in den USA, der EU oder Japan sicherer wird, ohne dass Entwicklungsländer unmittelbar in letzter Instanz Einfluss hätten. Diese Problematik zeigt sich auch in Defiziten im Hinblick auf die Fairness des Verfahrens. Faire Verfahren zeichnen sich, wie besprochen, insbesondere dadurch aus, dass alle durch die Entscheidung zu Bestimmenden zumindest die gleiche Chance zur Durchsetzung ihrer Interessen haben. Das ICH-Verfahren ist auf einen Konsens der beteiligten Parteien ausgelegt. Wird kein solcher erzielt, wird auch nicht harmonisiert. Da jedoch alle Beteiligten ein großes Interesse an einer Harmonisierung haben, ist zumindest von einer großen Bereitschaft zu Kompromissen und Kooperation auszugehen. Im steering committee sind jedoch, wie bemerkt, nur die EU, USA und Japan, ihre entsprechenden Industrieverbände sowie die Schweiz und Kanada unmittelbar beteiligt. In den Arbeitsgruppen können zwar auch Vertreterinnen der global cooperation group und der WHO teilnehmen. Dies wird allerdings – auf unklare Weise – im Konzeptpapier vom steering committee festgelegt. Das steering committee übernimmt damit schon vom ersten Schritt an eine wesentliche Steuerungsfunktion. Entscheidend ist zudem, dass ein Konsens zwischen den acht ICH-Mitgliedern erzielt wird. Positiv anzumerken ist indes, dass durch die Überweisung an das ordentliche Verfahren der demokratisch legitimierten Stellen der EU, der USA, Japans, der Schweiz und Kanadas Raum für einen öffentlichen Diskurs gegeben ist. Dieser wird auch durch das Verfahren der open consultations gefördert, über welches Interessierte auch außerhalb der ICH-Regionen die Guideline-Entwürfe kommentieren können. Allerdings muss nach den Konsultationen wieder ein Konsens zwischen den acht ICH-Mitgliedern gefunden werden. Zwar wird in diesem Schritt die Bedeutung der Vertreterinnen der Regulierungsbehörden betont, die auch den Rapporteur stellen, jedoch wird keine Harmonisierungsentscheidung getroffen, wenn nicht auch die Industrievertreterinnen zustimmen. Durch das Abstellen auf das Konsens-Prinzip ist es zwar nicht möglich, dass Staatenvertreterinnen überstimmt werden, jedoch ist auch keine Einigung gegen den Willen der Industrievertreterinnen möglich. Die Industrievertreterinnen sind letztlich durch das Verfahren überaus begünstigt. Interessenvertretungen von Patientinnen oder gar Versuchspersonen, die durch die Guidelines unstreitig wesentlich betroffen sind, haben nur die Möglichkeit, über das Konsultationsverfahren oder die Einflussnahme auf die Regulierungsbehördenvertreterinnen in das Verfahren einzugreifen. Sie können dabei jedoch immer von Industrievertreterinnen übergangen werden. Nur wenn der Einfluss auf die Regulierungsbehördenvertreterinnen groß genug ist, und diese die Einbringung der ICH und der Good Clinical Practice Guideline der ICH. Vgl. etwa Hulhoven, Réginald/ Rosillon, Dominique/Letiexhe, Michel/Meeus, Marie-Anne/Daoust, Agnès, et al., Levocetirizine does not Prolong the QT/QTc Interval in Healthy Subjects: Results from a thorough QT Study, European Journal of Clinical Pharmacology 63 (2007), 1011 – 1017 [1012].

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zu einem unverrückbaren Verhandlungsgegenstand erklären, ist es möglich, gegen Industrieinteressen Aspekte durchzusetzen, da es ansonsten zu keiner Harmonisierung käme. Allerdings stehen die Interessen der Regulierungsbehörden den Interessen spezifischer Versuchspersonen teilweise entgegen. Die Interessen von Versuchspersonen aus Drittländern, wie Entwicklungsländern, dürften noch weniger Gewicht besitzen. Diese können somit nur mit ungewissen Erfolgsaussichten über das offene Konsultationsverfahren versuchen, Einfluss zu nehmen. Gerade ungebildete potentielle Versuchspersonen in Entwicklungsländern dürften wenig Wissen über die ICH und deren Konsultationsverfahren haben. Auch ist eine Interessenvertretung durch Menschenrechts-NGOs über dieses sehr spezifische Verfahren mit seiner vielleicht nicht offensichtlichen Menschenrechtsrelevanz kaum zu erwarten. Es ist unklar, inwieweit Interessenvertretungen, insbesondere aus Entwicklungsländern, tatsächlich Einfluss nehmen oder nehmen könnten. Die Webseite bietet zwar viele Informationen, aber Protokolle oder ähnliche Unterlagen von den Arbeitsgruppen und vom steering committee sind nicht einsehbar. Auch mangelt es an Transparenz die konkrete Verfahrensweise betreffend. Zwar sind auf der Webseite die Harmonisierungsschritte dargestellt, welche auch in Publikationen wiedergegeben werden,272 es bleiben jedoch viele Fragen offen. Dokumente wie memoranda of understanding, in denen das Verfahren niedergelegt ist, sind nicht öffentlich zugänglich. 2.  Effektive Problemlösung a)  Zugrunde liegende bioethische Theorien und Strömungen Bei den Diskussionen der ersten ICH um die GCP-Guideline wurde deutlich, dass klinische Studien an sich „ethisch“ durchgeführt werden sollten. Aus dem Grund wurden viele konkrete Aspekte der Studien im Detail diskutiert. Diskussionsgrundlage waren die nationalen Richtlinien (die es schließlich zu harmonisieren galt) und als „Menschenrechtsdokument“273 die Deklaration von Helsinki, auf der schließlich auch die nationalen Richtlinien basierten. Dies schlug sich auch in Punkt 2.1 der GCP-Guideline nieder, wonach klinische Versuche im Einklang mit ethischen Prinzipien durchgeführt werden sollen, die ihren Ursprung in der 272  Siehe unter http://www.ich.org/about/process-of-harmonisation/formalproc.html; grundsätzlicher Molzon, Justina A./Giaquinto, Alex/Lindstrom, Lenita/Tominaga, Toshiyoshi/Ward, Mike, et al., The Value and Benefits of the International Conference on Harmonisation to Drug Regulatory Authorities: Advancing Harmonization for Better Public Health, Clinical Pharmacology & Therapeutics 89 (2011), 503 – 512; aus der Literatur Kanusky, Rosemarie, Pharmaceutical Harmonization: Standardizing Regulations among the United States, The European Economic Community, and Japan, Houston Journal of International Law 16 (1994), 665 – 707 [693]. 273  D’Arcy, Patrick F./Harron, Dean W. G. (Hrsg.), Proceedings of The First International Conference on Harmonisation Brussels 1991, 1992, S. 450 ff.

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Teil 2: Arzneimittelversuche und Ethikguidelines

Deklaration von Helsinki haben. Eine Erörterung einer theoretischen Fundierung hat gerade nicht stattgefunden. Vielmehr scheinen pragmatische Erwägungen eine größere Rolle gespielt zu haben. Eine moraltheoretisch konsistente Begründung fehlt und kann gerade nicht durch die ebenfalls inkonsistente Deklaration von Helsinki kompensiert werden. b)  Streitpunkte: Querschnittsfragen aa) Grundsätzliches Verhältnis Individual- und Allgemeininteresse Die GCP-Guideline beginnt mit einem Glossar und der Benennung von Prinzipien der GCP, bevor in weiteren Abschnitten konkretere Vorgaben gemacht werden. Das Prinzip 2.3 stellt zu Beginn mit Betonung auf Versuchspersonen fest: „The rights, safety, and well-being of the trial subjects are the most important considerations and should prevail over interests of science and society.“

Die Interessen von Versuchspersonen „sollten“ jedenfalls Vorzug vor denen der Wissenschaft und Gesellschaft genießen. Die weiche „should“-Formulierung ist weniger verbindlich als die zum damaligen Zeitpunkt aktuellste Fassung der Deklaration von Helsinki von 1989 („must always prevail“). Allerdings ist anzumerken, dass die ganz überwiegende Merheit aller Normen, nicht nur der GCP, sondern auch der sonstigen Guidelines der ICH, „should“-Normen darstellen. Dies ist wohl der Tatsache geschuldet, dass die Normen der ICH originär nur eine harmonisierte Vorlage zur Umsetzung in nationale Richtlinien darstellen. Dennoch ist zu bemerken, dass die GCP-Guideline eine Stufung an Verbindlichkeit in ihrer Formulierung kennt. Zum einen finden sich einige deskriptiv normative Aussagen 274 mit höherem Verbindlichkeitsgrad, zum anderen „may“-Aussagen, wie zum Beispiel Norm 5. 2. 1.: „A sponsor may transfer any or all […] duties and functions to a [Contract Research Organisation], but the ultimate responsibility […] always resides with the sponsor.“

Die GCP-Guideline verlangt, dass das „well-being“, die „Sicherheit“ und „Rechte“ der Versuchsperson, die Vorrang genießen sollten. Während „wellbeing“ im Glossar unter 1.62 als die physische und mentale Integrität definiert wird, bleibt unklar, welche Rechte konkret gemeint sind, und ob diese national zu verstehen sind, was je nach Rechtsordnung eine andere Gewichtung bedeuten könnte. Wahrscheinlich ist, dass damit vor allem Datenschutzrechte gemeint sind, die konkret nach den jeweiligen Vorgaben der Rechtsordnungen gewahrt werden müssen. Darauf deutet auch Prinzip 2.11 hin, wonach die Vertraulichkeit von Daten gewahrt und Regelungen zur Privatsphäre und zum Datenschutz beachtet werden sollen. 274  Alexy bezeichnet diese in seiner semantischen Analyse als Normsätze im Gegensatz zu deontischen Sätzen, die Modalverben wie „sollen“ oder „müssen“ enthalten. Jeder Normsatz lässt sich demnach in einen deontischen Satz umformen. Alexy, Robert, Theorie der Grundrechte, 2. Aufl., 1994, S. 42 ff.

§ 4  Legitimität der Ethikguidelines

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bb) Subsidiarität von Menschenversuchen Die ICH-Guidelines gehen implizit von der Prämisse aus, dass Arzneimittel letztlich an Menschen getestet werden müssen.275 So lautet Prinzip Nr. 2.4: „The available nonclinical and clinical information on an investigational product should be adequate to support the proposed clinical trial.“

In der Einleitung heißt es darüber hinaus, dass die GCP wissenschaftliche Standards für die Planung von klinischen Versuchen setzen wollen. Die Planung von klinischen Studien muss dann jedoch auch nach wissenschaftlichen Grundsätzen erfolgen. Demnach müssen vor Phase I einer Prüfung in-vitro-Versuche und in-vivo-Experimente an Tieren durchgeführt werden.276 Unklar ist jedoch, in welchem Umfang präklinische Informationen bei dem Design von (Phase I-)Versuchen beachtet werden müssen.277 Die safety-Guidelines der ICH erfordern es zwar, pharmakologisch-toxikologische präklinische Daten vor der klinischen Phase zu sammeln. Es fehlt allerdings eine Handreichung, wie und wann diese Daten für Versuche an Menschen brauchbar gemacht werden sollen. Ebenso verhält es sich mit den Vorgaben zur investigator’s brochure (Nr. 7 ff.), die eine Zusammenstellung von klinischen und nicht-klinischen Daten für den untersuchten Wirkstoff erfordert, die für die Studie an Menschen relevant sind, und dabei Mindestanforderungen stellt. Auch hier fehlt eine Vorgabe für die Art der Nutzbarmachung präklinischer 275  So bereits der erste Punkt der Erklärung des gerade eingerichteten Steering Committees, wonach ein Zweck der ICH es sei, unnötige Dopplungen von klinischen Versuchen an Menschen zu verhindern. D‘Arcy, Patrick F./Harron, Dean W. G. (Hrsg.), Proceedings of The First International Conference on Harmonisation Brussels 1991, 1992, S. xxv. 276  Sewing, Karl-Friedrich, Die GCP-Richtline: Balance zwischen Sicherheit und Bürokratie?, in: Deutsch, Erwin/Duttge, Gunnar/Schreiber, Hans-Ludwig/Spickhoff, Andreas/ Taupitz, Jochen (Hrsg.), Die Implementierung der GCP-Richtlinie und ihre Ausstrahlungswirkungen, 2011, S. 63 – 68 [67]. 277  Sewing verweist auf das Beispiel des TGN-1412-Versuches mit dramatischem Ausgang. TGN 1412 ist ein monoklonaler Antikörper, ein Immunmodulator, der agonistisch am CD28-Rezeptor der T-Zellen wirkt und zur Behandlung der chronisch lymphatischen B-Zell-Leukämie und der rheumatoiden Arthritis vorgesehen war. 50 mg/kg TGN 1412 war die maximal verabreichte Dosis bei Primaten und galt als „no observed adverse effect level“. Im Protokoll der Phase-I-Studie ist dann TGN 1412 1/500 d. h. 0,1 mg/kg als sichere Startdosis gewählt worden. Diese „sichere Startdosis“ ist allerdings ausreichend, um sämtliche CD28-Rezeptoren im menschlichen Organismus zu markieren. Sewing zitiert eine anonym bleibende Wissenschaftlerin im Lancet mit den Worten: „You don’t need to be a rocket scientist to work out what will happen if you non-specifically activate every T-cell in the body“. Alle sechs Probanden, die TGN 1412, die in der londoner Phase-I-Studie erhalten hatten (zwei bekamen ein Placebo) wurden ernsthaft gefährdet und mit multiplen Organversagen unterschiedlich lang ins Koma versetzt. Sewing, Karl-Friedrich, Die GCP-Richtline: Balance zwischen Sicherheit und Bürokratie?, in: Deutsch, Erwin/Duttge, Gunnar/Schreiber, Hans-Ludwig/Spickhoff, Andreas/Taupitz, Jochen (Hrsg.), Die Implementierung der GCP-Richtlinie und ihre Ausstrahlungswirkungen, 2011, S. 63 – 68 [67 f.]; siehe bspw. auch Neue Zürcher Zeitung vom 13. 10. 2006, Nr. 238, S. 19.

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Teil 2: Arzneimittelversuche und Ethikguidelines

Studien für first-in-human-Versuche. Präklinische Studien sollen nach Prinzip 2.4 lediglich pauschal „angemessen“ sein, um den klinischen Versuch zu stützen. cc) Positive Nutzen-Risiko Abwägung Prinzip Nr. 2.2 lautet: „Before a trial is initiated, foreseeable risks and inconveniences should be weighed against the anticipated benefit for the individual trial subject and society. A trial should be initiated and continued only if the anticipated benefits justify the risks.“

Es gilt also, die Risiken und Unannehmlichkeiten gegen den Nutzen sowohl für die einzelne Versuchsperson als auch für die Gesellschaft abzuwägen. Die Risiken und „Unannehmlichkeiten“ bleiben indes unbestimmt. Die Deklaration von Helsinki – auch aus dem Jahr 1989 – bezieht sich dagegen auf das konkrete Risiko des Einzelnen. Gerade für die Situation in Entwicklungsländern passender gestaltet, spricht die Deklaration von 2013 auch Gruppen an, deren Lasten und potentieller Nutzen in der Abwägung berücksichtigt werden sollen. Gruppen und Gemeinschaften finden in der GCP-Guideline keine Erwähnung. Sprachlich auffällig ist darüber hinaus, dass die Deklaration von Helsinki 2013 von Lasten („burden“) spricht, die Versuchspersonen auferlegt werden, während die GCP-Guideline von Unannehmlichkeiten („inconveniences“) spricht. Der zweite Satz des Prinzips 2.2 impliziert eine kontinuierlich vorgenommene Risiko-Nutzen-Abwägung. Eine Fortsetzung von Versuchen soll nur stattfinden, wenn der erwartete Nutzen die Risiken rechtfertigt. Im Zweifel kann dies heißen, dass bei einem sehr hohen Nutzen sehr hohe Risiken gerechtfertigt sein können. Zugespitzt hieße das, dass im Grunde jedes Risiko gerechtfertigt werden kann, wenn ein entsprechender Nutzen zu erwarten ist. Vage ausformuliert ist auch, ob ein großer Gruppennutzen ein großes Individualrisiko rechtfertigen kann. Gewinnbringender sind konkretere Vorgaben in der GCP-Guideline, die eine kontinuierliche Risikoanalyse erfordern. Nach Nr. 5. 16. 2 unterliegt die Sponsorin ständigen Notifikationspflichten Sicherheitsaspekte betreffend. Nach Nr. 3. 1. 4 soll bei einem größeren Risiko für die Versuchspersonen eine häufigere Kontrolle durch Ethikkommissionen stattfinden. Dennoch wird nicht klar, unter welchen Umständen das Risiko für Versuchspersonen in der Abwägung als zu hoch anzusehen ist. Die Vagheit des Prinzips wird noch deutlicher hinsichtlich Versuchen der Phase 0 oder I. Bereits auf der ersten Konferenz wurde angeregt, dass in solchen Fällen das Risiko allein bewertet werden müsse bzw. gegen den Gesamtnutzen abzuwägen sei. Hierfür sollten gesonderte Guidelines aufgestellt werden.278 Eine solche ist bisher von der ICH jedenfalls nicht erstellt worden, und auch in der GCP-Guideline findet sich keine spezifische Regelung. 278  Thompson, W. L./Anderson, J., Harmonization of Clinical Trials: Case Studies, in: D’Arcy, Patrick F./Harron, Dean W. G. (Hrsg.), Proceedings of The First International Conference on Harmonisation Brussels 1991, 1992, S. 355 – 379 [359].

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c)  Streitpunkt: Informierte Einwilligung Informed consent ist eines der zentralen Prinzipien der GCP-Guideline. Nr. 1.28 des Glossars definiert informed consent als: „A process by which a subject voluntarily confirms his or her willingness to participate in a particular trial, after having been informed of all aspects of the trial that are relevant to the subject’s decision to participate. Informed consent is documented by means of a written, signed and dated informed consent form.“

Diesem Prozess sind 15 spezifische Nummern mit Ausführungen gewidmet. Hinzu tritt das Erfordernis, dass IRBs und IECs über den informed-consent-Prozess wachen sollen.279 Besonders betont wird das Erfordernis einer schriftlichen Einwilligung. Diese Einwilligung soll vor Beginn des Versuchs von dem zuständigen IRB oder der IEC anerkannt werden. Das IRB oder die IEC entscheidet auch anhand der Informationen, die zur Aufklärung der Versuchspersonen bereitgestellt werden. Diese Aufklärungsinformationen sollen, sobald neue relevante Daten vorliegen, aktualisiert werden. Die Aufklärung soll mündlich wie schriftlich erfolgen und nach Nr. 4. 8. 6 so „untechnisch wie praktikabel“ und für Versuchspersonen verständlich sein. Alle Fragen sollen beantwortet werden. Nach 4. 8. 3. soll kein Druck oder „undue influence“ ausgeübt werden. Das informed-consent-Formular soll nach 4. 8. 4 so formuliert sein, dass die Versuchsperson keine Rechte aufgibt oder der Anschein erweckt wird, die Versuchsperson würde Rechte aufgeben oder die Prüferin, Sponsorin, Institution oder Agentin von ihren Verantwortlichkeiten frei zeichnen. Das informed-consent-Formular ist zu zeichnen (4. 8. 8). Für den Fall, dass die Versuchsperson nicht lesen kann, soll nach 4. 8. 9 eine „unabhängige Zeugin“ über den ganzen Aufklärungsprozess hinweg anwesend sein und die schriftlichen Informationen vorlesen und erklären. Nach der mündlichen Einwilligung soll die Zeugin das informed-consent-Formular unterzeichnen und bestätigen, dass alle Informationen der Versuchsperson vorgelesen, erklärt und „offensichtlich“ von ihr verstanden wurden, woraufhin sie eingewilligt hat. Nummer 4. 8. 10 enthält einen Katalog über 20 Mindestinformationen, die in der Aufklärung, in allen schriftlichen Dokumenten und dem schriflichen informed-consent-Formular offenbart werden sollen.280 Hier wird deutlich, dass die 279  Nummer 4. 8. 1 betont auf etwas merkwürdige Art, dass die Einholung und Dokumentierung der informierten Einwilligung im Einklang mit Vorgaben der Regulierungsbehörden, der GCP-Guideline selbst und den ethischen Prinzipien, die ihren Ursprung in der Deklaration von Helsinki haben, erfolgen sollen. Die GCP-Guideline erhebt eigentlich gerade den Anspruch als harmonisierte Guideline Vorbild für eine entsprechende Umsetzung in Regulierungen zu haben, und betont in der Einleitung und in Prinzip 2.1 sie habe ihre Wurzeln in der Deklaration von Helsinki. 280  Dies sind Informationen über die Natur und den Zweck des Versuchs, die Möglichkeit zufällig der Versuchs- oder Kontrollgruppe zugeordnet zu werden, alle Vorgänge und Eingriffe, die Pflichten der Versuchsperson, die experimentellen Aspekte des Versuchs, die vorhersehbaren Risiken und Unannehmlichkeiten auch für Embryonen, Föten und noch zu stillende Kinder, den erwarteten Nutzen bzw. dass die Versuchsperson keinen persönlichen

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GCP-Guideline insbesondere die Durchführbarkeit von Studien, die Dokumentation sowie Verfahrenserleichterungen im Sinn hat. Dies zeigt sich auch in dem Erfordernis, alle relevanten Informationen schriftlich einzuholen und zu dokumentieren, womit Nachweise, die Übermittlung und Überprüfbarkeit wesentlich vereinfacht werden. Im Gegensatz zur Deklaration von Helsinki enthält die GCP-Guideline eine umfangreiche „Checkliste“. Dies erleichtert und standadisiert das informed-consent-Prinzip, was als eine Stärkung des Prinzips begriffen werden kann.281 Die Standardisierung von Informationsblättern und informed-consent-Formularen für jeden Versuch und für alle Versuchspersonen kann jedoch zu Lasten einer tatsächlich individuellen Aufklärung gehen. Hinsichtlich der Streitpunkte über Arzneimittelforschung in Entwicklungsländern geht die GCP-Guideline offenbar davon aus, dass Freiwilligkeit nicht von monetären „Zwängen“ beeinträchtigt werden kann. Jedenfalls wird diese Problematik nicht thematisiert. Ebenso geht die GCP-Guideline nicht gesondert auf Fragen des Verständnises komplexer Forschungskonzepte durch formal ungebildete Personen ein. d)  Streitpunkt: Inklusion vulnerabler Personen aa) Vulnerable Personen Die institutional review boards oder Ethikkommissionen sind nach 3. 1. 1 Satz 2 angehalten, Versuchen an „vulnerable subjects“ eine besondere Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Vulnerable subjects werden vom Glossar in 1.61 definiert als: „Individuals whose willingness to volunteer in a clinical trial may be unduly influenced by the expectation, whether justified or not, of benefits associated with participation, or of a retaliatory response from a senior member of a hierarchical structure, such as medical, pharmacy, dental, and nursing students, subordinate hospital and laboratory personnel, employees of the pharmaceutical industry, members of the armed forces, and persons kept in detention. Other vulnerable subjets include patients with incurable diseases, persons in nursing homes, unemployed or impoverished persons, patients in emergency situations, ethnic minority groups, homeless persons, nomads, refugees, minors and those incapable of giving consent.“ Nutzen zu erwarten hat, alternative Behandlungsmöglichkeiten, die zugänglich sein sollten und deren Risiken und Nutzen, Entschädigungen und Behandlungen im Fall von Verletzungen, die aus dem Versuch resultieren, mögliche Zahlungen, mögliche Kosten, die Rechte der Versuchsperson jederzeit den Versuch abbrechen zu können ohne Strafe oder Verlust von Vorteilen, die Überwachung durch ein IRB oder eine IEC, die Vertraulichkeit von Daten, die kontinuierliche Informierung über neue Daten, die die Einwilligung zur Teilnahme beeinflussen könnten, die Informierung über weitere Umstände oder Gründe, die die Versuchsperson dazu veranlassen könnte, nicht weiter teilzunehmen, die erwartete Dauer des Versuchs und die ungefähre Anzahl von weiteren Versuchsteilnehmerinnen. 281  Andererseits wird damit auch nicht auf andere Kulturen eingegangen. Kritisch Kaan, Terry, The Worth of Consent: The Ethics of Research in a Global Environment, Santa Clara Journal of International Law 5 (2006), 78 – 99.

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Als besonders schützenswert erkennt die GCP-Guideline damit jene an, die möglicherweise nicht frei sind, jene, die de lege und/oder de facto nicht einwilligungsfähig sind, sowie marginalisierte Personen. Im Gegensatz zur aktuellen Deklaration von Helsinki werden Personen in wirtschaftlich prekären Situationen explizit als vulnerabel qualifiziert. Die GCP-Guideline trifft auch bestimmte Aussagen bezüglich nicht-einwilligungsfähiger Personen und des Erfordernisses der informierten Einwilligung. Es sind jedoch keine weiteren Folgen an die Qualifikation geknüpft. Die Guideline geht nirgendwo weiter auf besonders schützenswerte Personen ein. Sie schränkt auch die Teilnahme solcher Personen nicht ein. Auch nicht bei offensichtlich unfreien Personen wie Inhaftierten.282 bb) Inklusion und Schutzmaßnahmen (1) Nicht-einwilligungsfähige Personen Grundsätzlich geht die GCP-Guideline davon aus, dass die informierte Einwilligung von de lege oder de facto nicht-einwilligungsfähigen Personen durch die informierte Einwilligung einer gesetzlichen Vertreterin ersetzt werden kann,283 welche dann genauso aufgeklärt werden muss wie Versuchspersonen, die für sich selbst einwilligen (4. 8. 2 ff.). Die Frage, in welchen Fällen eine Person nicht persönlich einwilligungsfähig ist, wird von der GCP-Guideline nicht adressiert. Als typische Beispiele werden in Nr. 4. 8. 12 nur Minderjährige und Patientinnen mit schwerer Demenz benannt. Vorraussetzungen werden jedoch nicht harmonisiert; die Einwilligungsfähigkeit richtet sich allein nach nationalem Recht. Hinsichtlich Minderjähriger spezifiziert die ICH Guideline Clinical Investigation of Medicinal Products in the Pediatric Population Schutzmaßnahmen und Rechtfertigungen.284 Minderjährige sind nach dieser Guideline grundsätzlich nicht de lege einwilligungsfähig. Nr. 4. 8. 13 der GCP-Guideline führt aus, dass nicht-therapeutische Versuche ohne unmittelbaren persönlichen Nutzen im Regelfall an einwilligungsfähigen Personen durchgeführt werde sollen. Ausnahme hierzu ist Nr. 4. 8. 14. Hiernach 282  Zu den Prinzipien, die der Deklaration von Helsinki gleichen: Ryan, Ann E., Protecting the Rights of Pediatric Research Subjects in the International Conference on Harmonisation of Technical Requirements for Registration of Pharmaceuticals for Human Use, Fordham International Law Journal 23 (2000 [915 ff.]. 283  Im Glossar Nr. 1.37 wird „legally acceptable representative“ definiert als: „An individual or juridical or other body authorized under applicable law to consent, on behalf of a prospective subject, to the subject’s participation in the clinical trial.“ 284  ICH Harmonised Tripartite Guideline Clinical Investigation of Medicinal Products in the Pediatric Population E11 vom 20. 07. 2000, abrufbar unter http://www.ich.org/fileadmin/Public_Web_Site/ICH_Products/Guidelines/Efficacy/E11/Step4/E11_Guideline.pdf. Dazu Ryan, Ann E., Protecting the Rights of Pediatric Research Subjects in the International Conference on Harmonisation of Technical Requirements for Registration of Pharmaceuticals for Human Use, Fordham International Law Journal 23 (2000), 848 – 934.

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„mögen“ Versuche an nicht-einwilligungsfähigen Personen mit der substituierenden informierten Einwilligung ihrer gesetzlicher Vertreterinnen durchgeführt werden, wenn fünf Voraussetzungen erfüllt sind: (1) Der Zweck des Versuchs kann nicht durch Versuche an einwilligungsfähigen Personen erfüllt werden; (2) die vorhersehbaren Risiken für die Versuchsperson sind „niedrig“; (3) die negativen Auswirkungen auf das „Wohl“ der Versuchsperson sind „minimiert und niedrig“; (4) der Versuch ist gesetzlich nicht verboten und (5) das IRB bzw. die Ethikkommission hat die Inklusion dieser Versuchspersonen ausdrücklich zugestimmt und schriftlich positiv begutachtet. In – nicht näher definierten – Notfallsituationen kann nach Nr. 4. 8. 15, wenn die gesetzliche Vertreterin nicht erreichbar ist, ein Versuch an nicht einwilligungsfähigen Personen dennoch mit Zustimmung des IRB/der IEC erfolgen; eine Genehmigung durch die gesetzliche Vertreterin sollte schleunigst nachgeholt werden. Versuche an nicht-einwilligungsfähigen Personen sind, unter „normalen Umständen“, ohne unmittelbaren individuellen Nutzen für diese nach Nr. 4. 8. 14 unter bestimmten Einschränkungen möglich. Im Umkehrschluss hieraus ergibt sich, dass therapeutische Versuche mit erwartetem unmittelbarem individuellem Nutzen ohne Einschränkung zulässig sind, wenn die gesetzliche Vertreterin einwilligt. Es konnte jedoch anscheinend keine Einigung darüber gefunden werden, ob solche Versuche in jedem Fall zulässig sein sollen, weshalb als eine Voraussetzung normiert wurde, der Versuch dürfe gesetzlich nicht verboten sein. Da die GCP-Guideline ohne Umsetzungsakt grundsätzlich unverbindlich ist, sollte eigentlich offensichtlich sein, dass im Kollisionsfall geltendes (nationales) Recht Vorrang genießt. Damit sollte wohl nur klargestellt werden, dass die Frage der Einbeziehung von nicht-einwilligungsfähigen Personen sehr kontrovers ist, und dass die GCP-Guideline sie deswegen aussparen möchte. Sie schließt damit jedoch auch keine Versuche aus. Noch deutlicher wird dies durch Nr. 4. 8. 14 Abs. 2. Demnach sollten nicht-therapeutische Versuche an nicht-einwilligungsfähigen Personen nur dann durchgeführt werden, wenn zumindest ein Gruppennutzen gegeben ist. Jedoch gilt dies nur „unless an exception is justified“. Unter welchen Umständen eine solche Rechtfertigung vorliegt und wer letztlich darüber befindet (die Ethikkommission?), wird nicht weiter erläutert. Idealerweise sollte demnach zumindest ein Gruppennutzen vorliegen. Versuche an nicht-einwilligungsfähigen Personen ohne individuellen oder Gruppennutzen werden jedoch auch nicht ausgeschlossen. (2) Marginalisierte Personen Das Glossar definiert in Nr. 1.61 wie erwähnt vulnerable subjects und versteht darunter außer nicht-einwilligungsfähigen Personen und Personen in Abhängigkeitsverhältnissen, u. a. auch Personen mit unheilbaren Krankheiten, Arbeitslose, Arme, ethnische Minderheiten, Obdachlose, Nomaden und Geflüchtete. Es werden für diese keine weiteren Vorkehrungen getroffen, um die Freiheit und Informiertheit ihrer Einwilligung zu schützen. Der einzige Hinweis findet sich in Nr. 3. 1. 1,

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der die Verantwortlichkeiten der institutional review boards bzw. der Ethikkommissionen darlegt. Satz 2 lautet: „Special attention should be paid to trials that may include vulnerable subjects.“

Die Schutzwürdigkeit wird zwar grundsätzlich gesehen, Vorkehrungen werden im Grunde jedoch nicht getroffen. Auch ist unklar, inwiefern die „besondere Aufmerksamkeit“ letztlich Auswirkungen haben soll bzw. ausgeführt werden soll. Daraus könnte geschlossen werden, dass die GCP-Guideline grundsätzlich einen inkludierenden Ansatz verfolgt. e)  Streitpunkt: Studiendesign Der GCP-Guideline liegt ein Wissenschaftlichkeitsverständnis zugrunde, nach welchem die Wirksamkeit eines neuen Arzneimittels objektiv in vergleichenden Studien nachgewiesen werden soll. Wenn sinnvoll, sollten Versuche randomisiert und verblindet durchgeführt werden (Nr. 4.7). Unter Nr. 6 ff. stellt die GCP-Guideline Standards für das Versuchsprotokoll auf und stellt in 6.4 klar, dass die „wissenschaftliche Integrität eines Versuchs und die Glaubwürdigkeit der Versuchsdaten wesentlich vom Versuchsdesign abhängen“. Unter den wesentlichen Punkten, die bei der Beschreibung des Versuchsdesigns im Protokoll enthalten sein sollten, ist u. a. nach Nr. 6. 4. 2 eine Beschreibung des Typs bzw. des Designs des Versuchs („beispielsweise doppelblind, placebo-kontrolliert, parallel designed“) zu erstellen. Die Aussagekraft der Daten ist das oberste Ziel. Die ICH Guideline Choice of Control Group and Related Issues in Clinical Trials legt – unter der Betonung, dass damit nicht regulative Vorgaben adressiert würden – dar, was mit welchem Studiendesign demonstriert werden kann.285 Die Wahl der Kontrollgruppe soll grundsätzlich im Kontext der verfügbaren Standardtherapien und unter Beachtung der Adäquanz des Nachweises sowie unter ethischen Überlegungen getroffen werden.286 Als methodisch bestes Design wird die randomisierte, doppel-verblindete und gleichläufige Placebo-Kontrolle dargestellt, welche, wenn möglich, stets den Vorzug erhalten soll.287 Unter 2.1 werden recht detailliert auf sieben Seiten Möglichkeiten der Placebo-Kontrolle dargelegt. Nr. 2. 1. 3 geht auf „ethische Angelegenheiten“ ein. Demnach bestehen in der Regel keine ethischen Probleme, wenn eine Behandlungsmethode für einen Zustand getestet wird, für welchen noch keine wirksame

285  E10 vom 20. 07. 2000, Nr. 1.1, abrufbar unter http://www.ich.org/fileadmin/Public_ Web_Site/ICH_Products/Guidelines/Efficacy/E10/Step4/E10_Guideline.pdf. 286 Ibid. 287  Wenn etwa eine Äquivalenz zu einer Standardtherapie nachgewiesen werden soll, ist eine Placebo-Kontrolle offensichtlich wenig sinnvoll. Es kann aber auch eine Verblindung nicht möglich sein, weil beispielsweise die Behandlung eine leicht zu erkennende hohe Toxizität aufweist. In solchen Fällen ist der Sache entsprechend ein aktiv kontrolliertes Design bzw. eine Nicht-Behandlung vorzuziehen.

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Behandlung bekannt ist. Ethische Bedenken können indes bestehen, wenn eine wirksame Methode verfügbar ist. In Fällen, in denen „an available treatment is known to prevent serious harm, such as death or irreversible morbidity in the study population [it is] generally inappropriate to use a placebo ­control.“

Eine Einschränkung zu der „generellen Unangemessenheit“ sollen etwa Fälle sein, in denen die Standardtherapie so toxisch ist, dass viele Patientinnen sich weigern, sich dieser zu unterziehen. In Situationen, in denen „no serious harm“ bestehe, werde es indes im Allgemeinen als ethisch erachtet, Patientinnen zu fragen, ob sie an einer Placebo-Studie teilnehmen wollten. Die Formulierung legt nahe, dass mit solch „serious harm“ vor allem irreversible und auch tödliche Schädigungen gemeint sind. Eine nähere Definition oder Erläuterung fehlt. Große Schmerzen beispielsweise würden – da nicht irreversibel – demnach noch als ethisch vertretbar erachtet werden. Schmerzen oder eine aufgeschobene Behandlung hätten jedoch, auch wenn sie ethisch vertretbar seien, praktische Probleme, da es schwierig sein könnte, Patientinnen zu finden, die hierin einwilligten. Unausgesprochen bleibt, dass dies vor allem für ICH-Regionen gilt. Eine weitere Auffälligkeit ist der unterschiedliche Gebrauch von „bekannt“ („known“) und „verfügbar“ („available“). Eine Therapiemöglichkeit kann schließlich als existent bekannt, aber unter gegeben Umständen nicht verfügbar sein. Wie auch in der Deklaration von Helsinki wird mit dem Rückgriff auf die Formulierung „available“ ein relativierendes Element eingebracht, das es erlaubt, nicht von einem universalen Standard auszugehen, sondern von einem regionalen. Die ICH-Guideline bezieht sich hier bewusst nicht auf einen universalen Standard. Vielmehr betont sie, dass die Frage, ob ein Placebo-kontrollierter Versuch trotz Existenz einer Therapie für alle Beteiligten hinnehmbar sei, von Prüferinnen, Patientinnen und IRBs bzw. Ethikkommissionen entschieden werden müsse. Schon allein zwischen den ICH-Regionen könne die Akzeptanz differieren. Daraus kann zweierlei gefolgert werden: zum einen stellt die Guideline hier nur deskriptiv auf eine mögliche Akzeptanz ab und äußerst sich gerade nicht normativ über die ethische Vertretbarkeit. Zum anderen wird davon auszugehen sein, dass wenn unter den ICH-Regionen eine wesentliche Divergenz besteht, auch unterschiedliche Standards in Entwicklungsländern vorherrschen werden. Indes bietet die ICH-Guideline im Gegensatz zu anderen Guidelines Vorschläge zum Studiendesign, um „ethische und praktische Angelegenheiten“ zu lösen. Freilich drängt sich dabei der Eindruck auf, „ethische Angelegenheiten“ seien vor allem deswegen problematisch, weil sie auch praktische Probleme mit sich bringen, wie etwa die Schwierigkeit, Versuchspersonen zu finden. Es werden jedenfalls viele verschiedene Möglichkeiten genannt. In methodischer Hinsicht werden u. a. add-on- und replacement-Studien vorgeschlagen. Aber auch early-escape-Designs, in denen die Maßnahme, Versuchspersonen unverzüglich aus dem Versuch auszuschließen und zu behandeln, wenn ihr klinischer Status sich verschlimmert,

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als ein Endpunkt im Studiendesign formuliert wird.288 Ein weiterer Vorschlag sind randomised withdrawals, in denen nach längerer Behandlung mit dem Prüfpräparat, ein randomisiert ausgewählter Teil der Versuchspersonen ein Placebo erhält.289 So kann unter Umständen eine Langzeit-Placebo-Behandlung verhindert werden. Wenn Placebo-kontrollierte Versuche – bei Verfügbarkeit einer Standardtherapie – als unethisch und damit unzulässig erklärt würden, sei es, wenn eine aktiv kontrollierte Studie keine verlässlichen („credible“) Daten erbrächte, sehr schwierig, neue Arzneimittel überhaupt zu testen.290 Die pragmatische Forschungsorientierung der ICH-Guideline wird hier deutlich. So wird beispielsweise eingeräumt, eine Placebo-kontrollierte Studie über Thrombolysetherapien bei Herzinfarkten müsse wohl als unethisch eingestuft werden. Allerdings sei es derzeit schwierig, aufgrund historischer Daten eine Marge zu bestimmen, innerhalb welcher eine Äquivalenz zur Standardtherapie nachgewiesen werden könne, da akute Revaskularisierungsverfahren aufgekommen seien, die den Nutzen von Thrombolysetherapien schmälern könnten. Weder die Deklaration von Helsinki noch die CIOMS-Guidelines gehen auf diese differenzierten Problematiken ein. Die Streitpunkte über Versuche in Entwicklungsländer sprechen die ICH-Guidelines indes nicht an. Allerdings wären diese wohl dahingehend zu lösen, dass im Zweifel unterschiedliche Standards gerechtfertigt wären. Das clinical-equipoise-Problem wird im Grunde nicht angesprochen, sondern es wird von einer grundsätzlichen Zulässigkeit ausgegangen. f)  Streitpunkte: Benefit Sharing und Verteilungsgerechtigkeit aa) Individuelle Nachbehandlung von Versuchspersonen Der Aspekt der medizinischen Nachbehandlung von Versuchspersonen wird an einer Stelle angesprochen. Nr. 4. 3. 2 verlang von Prüferinnen, dass sie für Versuchs­personen während und nach einer Studienteilnahme eine „angemessene medizinische Versorgung“ für alle adverse events291 gewährleisten. Sofern behandlungsbedürftige Zustände durch den Versuch verursacht werden, sollten diese durch die am Versuch beteiligten Ärztinnen auch über die Studie hinaus behan288  ICH Harmonised Tripartite Guideline, Choice of Control Group and Related Issues in Clinical Trials E10 vom 20. 7. 2000, Nr. 2. 1. 5.2.2. 289  ICH Harmonised Tripartite Guideline, Choice of Control Group and Related Issues in Clinical Trials E10 vom 20. 7. 2000, Nr. 2. 1. 5.2.4. 290  ICH Harmonised Tripartite Guideline, Choice of Control Group and Related Issues in Clinical Trials E10 vom 20. 7. 2000, Nr. 2. 1. 7.1. 291  Das Glossar definiert „adverse events“ in Nr. 1.2 als „any untoward medical occurrence in a patient of clinical investigation subject administered a pharmaceutical product and which does not necessarily have a causal relationship with this treatment. An adverse event can therefore be any unfavourable and unintended sign (including an abnormal laboratory finding), symptom, or disease temporally associated with the use of a medicinal (investigational) product, whether or not related to the medicinal (investigational) product.“

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delt werden. Eine sonstige Nachbehandlung ist jedoch nicht vorgesehen. Die GCPGuide­line, welche eine Harmonisierung der Standards in den USA, der EU, Japan, Kanada und der Schweiz vorsieht, ist gerade nicht für die Fälle ausgerichtet, in denen nach Beendigung der Studie faktisch keine medizinische Behandlung für eine zugrunde liegende Krankheit mehr zugänglich ist.292 Nr. 4. 3. 3 empfiehlt etwa, die behandelnde Ärztin der Versuchsperson – mit deren Einverständnis – über die Maßnahmen im Rahmen des Versuchs zu informieren. Eine Weiterbehandlung von ehemaligen Versuchspersonen – ggf. mit dem getesteten Arzneimittel – sieht die GCP-Guideline gerade nicht vor. bb) Gesellschaftlicher Zugang zu den getesteten Arzneimitteln Der Zweck der ICH-GCP-Guideline liegt gerade darin, in den ICH-Regionen die Zulassungen von Arzneimitteln durch Harmonisierung zu vereinfachen. Zwar greift die GCP-Guideline multizentrische Versuche auf, jedoch geht sie nicht explizit auf Arzneimittelversuche ein, die in Drittländern durchgeführt werden. Schon gar nicht befasst sie sich mit Arzneimittelversuchen in Entwicklungländern und deren Besonderheiten. Demnach verliert sie auch kein Wort über eine mögliche Pflicht oder Empfehlung zur Vermarktung in den Drittländern, in welchen Versuche durchgeführt werden. cc) Sonstiges Benefit Sharing Da die GCP-Guidelines nicht auf die Besonderheit von Versuchen in Dritt- bzw. Entwicklungsländern eingeht, adressiert sie auch keine Erfordernisse des benefit sharings. g)  Bewertung Die Good Clinical Practice Guideline und die Guideline zu den Studien­designs sind im Gegensatz zu der Deklaration von Helsinki sehr viel umfassender und detailorientierter. Nicht zuletzt wird diese größere Detailtiefe und Aufzählung von spezifischen Verantwortlichkeiten als wesentliches Argument von der FDA benannt, ihre Regulierung nicht mehr nach der Deklaration von Helsinki, sondern nach der GCP-Guideline auszurichten.293 Die Guidelines wurden gerade auch als legislative Vorlage konzipiert und sind dabei sehr forschungsorientiert, wie die direkte Mitarbeit der Vertreterinnen der pharmazeutischen Industrie auch vermuten lässt.294 Am besten zeigt sich dies in der Frage des Studiendesigns und in der Kon292  Auch wenn dies in den USA ohne ein allumfängliches Krankenversicherungssystem ähnlich wie in manchen Entwicklungsländern ein Problem darstellt(e). 293  Dies gilt für Versuche, die im Ausland durchgeführt werden. FDA, 73 Federal Register 22800 vom 28. 04. 2008 [22801]. 294  Deswegen die Vorteile der ICH Harmonisierung herausstellend: Kanusky, Rosemarie, Pharmaceutical Harmonization: Standardizing Regulations among the United States,

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trollgruppenauswahl. Die ICH-Guidelines gehen von einem wissenschaftlichen Paradigma aus und führen dabei umfangreich die verschiedenen Möglichkeiten des Studiendesigns aus, um Einzelsituationen besser gerecht zu werden. Sie sind damit sehr viel näher an der tatsächlichen Forschung als die Deklaration von Helsinki und über eine grobe Orientierung hinaus brauchbar. Dies zeigt sich auch bei Konzepten wie der informierten Einwilligung, deren grundsätzliche Bedeutung über alle Guide­lines anerkannt wird. In der konkreten Ausgestaltung enthält die ICH-GCP-Guideline einen Katalog an Aufklärungsaspekten, der Sponsorinnen und Prüferinnen als Checkliste eine relativ einfache Handhabung erlaubt. Allerdings liegt in der Standardisierung die Gefahr, Einzelfällen und individuellen Bedürfnissen nicht gerecht zu werden. Hilfreich ist auch ein Glossar, das alle entscheidenden Termini im Sinne der Guideline definiert. Durch die relative Detailtiefe ist es – jedenfalls als praktische Lösungshilfe – weniger schädlich, dass auch hier eine grundsätzliche moraltheoretische Begründung fehlt. Grundlegende Prinzipien, die, wie angegeben, auf der Deklaration von Helsinki basieren, bleiben jedoch unausgefüllt und es bleibt unklar, wie Konfliktfälle aufgelöst werden sollten. Die ICH-Guidelines sind demnach zwar tauglich, die Organisation, Dokumentation und das Management und Design von Studien in einer Art zu regeln, die relativ effektiv umzusetzen ist. Sie konzentrieren sich jedoch auf methodologisch-wissenschaftliche Anforderungen, die durch ethische Überlegungen, d. h. meist durch einen Mindestschutz von Versuchspersonen, begrenzt werden.295 Hierbei werden Aspekte und Diskussionen ausgeklammert, die im bioethischen Diskurs eigentlich vorherrschen. Die Guidelines sind folglich sehr permissiv. Risikogrenzen und Ersetzungen der informierten Einwilligung sind unbestimmt und vage.296 Besonders deutlich wird dies, wenn die ICH-Guidelines auf Forschung in Entwicklungsländern Anwendung finden. Zwar lässt sich einwenden, dass sie primär für Forschung in den reichen ICH-Regionen konzipiert worden ist, jedoch wird Forschung in Entwicklungsländern nicht zuletzt wesentlich durch Unternehmen der ICH-Regionen gesponsert. Auch bei einer regional isolierten Betrachtung bestehen damit unmittelbare Berührungspunkte mit Forschung in Entwicklungsländern. Darüber hinaus ist gezeigt worden, dass ein wesentlicher Druck für Drittstaaten besteht, diese Guidelines ebenfalls umzusetzen. Der Diskurs um ethische The European Economic Community, and Japan, Houston Journal of International Law 16 (1994), 665 – 707. 295 Auch Glickman, Seth W./McHutchison, John G./Peterson, Eric D./Cairns, Charles B./Harrington, Robert A., et al., Ethical and Scientific Imlications of the Globalization of Clinical Research, New England Journal of Medicine 360 (2009), 816 – 823 [820]. 296  So insbesondere hinsichtlich Versuche an Kindern. Zu Kritik an den unbestimmten Anforderungen an Ethikkommissionen siehe auch Ryan, Ann E., Protecting the Rights of Pediatric Research Subjects in the International Conference on Harmonisation of Technical Requirements for Registration of Pharmaceuticals for Human Use, Fordham International Law Journal 23 (2000), 848 – 934 [932 ff.].

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Besonderheiten in der Forschung an Menschen in Entwicklungsländern hat kaum Eingang in die ICH-Guidelines gefunden. Besonderheiten in Studiendesigns und Aufklärungsfragen finden kaum Erwähnung. Im Gegenteil wird argumentiert, dass sich für unethische Forschung wohl kaum frei einwilligende Versuchspersonen finden ließen. Genau dies ist jedoch einer der kolportierten Gründe für die Auslagerung von Versuchen. Gar keine Erwähnung finden Aspekte der Verteilungsgerechtigkeit. Die unter dem Stichwort der „Ausbeutung“ diskutierten Fälle, in denen in Ländern und Bevölkerungsgruppen Versuche durchgeführt werden, die weder konkret noch abstrakt davon profitieren können, finden keine Erwägung in den Guidelines. Für die Frage, wie ethisch vertretbare Forschung in Entwicklungsländern durchgeführt werden kann, sind die Guidelines nur bedingt hilfreich. Im Zweifel werden Einzelentscheidungen an Ethikkommissionen ausgelagert, für welche nur rudimentäre Verfahrensanweisungen bestehen. III.  Rat für internationale Organisationen der medizinischen Wissenschaften (Council for Coordination of International Organizations of Medical Sciences, CIOMS) 1.  Vertretungsgerechtigkeit und Verfahrensfairness a)  Mitgliedschaft Der Rat für internationale Organisationen der medizinischen Wissenschaften (Council for Coordination of International Organizations of Medical Sciences, CIOMS) besteht nach Art. 4 seiner Statuten 297 aus internationalen, nationalen und assoziierten Mitgliedern. Die internationalen Mitglieder sind internationale Föderationen, Assoziationen und Gesellschaften nationaler Assoziationen und Gesellschaften, die verschiedene Richtungen der biomedizinischen Wissenschaften repräsentieren. Nach Art. 5 der Statuten des CIOMS steht die internationale Mitgliedschaft Nichtregierungsorganisationen mit weltweitem Charakter offen „devoted to a) the encouragement of scientific research into the principles underlying health and into the causes of diseases, or b) the application of the medical sciences to the prevention and cure of disease and to the promotion of health.“

Ferner müssen potentielle internationale Mitglieder nach Art. 7 der Statuten einen anerkannten rechtlichen Statuts haben, bereits seit fünf Jahren existieren oder zwei internationale Konferenzen oder Kongresse gehalten haben und aus mindestens 150 individuellen Mitgliedern, bzw. zwölf nationalen Assoziationen bestehen, welche jeweils aus zwölf verschiedenen Staaten stammen und in „verschiedenen Regionen der Welt“ gelegen sind. 297 

Von 1952 in der ergänzten Fassung von 1979. CIOMS, Statutes/Statuts, 1985.

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Die mit Stand von 2015 15 internationalen Mitglieder sind die World Allergy Organization, International College of Angiology, International Society of Audiology, International Union of Basic and Clinical Pharmacology (IUPHAR), International Association of Bioethics, International Society of Internal Medicine, International Federation of Otorhinolaryngological Societies, World Association of Societies of Pathology and Laboratory Medicine (WASPaLM), International Society of Pharmacoepidemiology (ISPE), International Society of Pharmacovigilance (ISOP), World Psychiatric Association, International Rhinologic Society, World Federation for Ultrasound in Medicine and Biology, Medical Women’s International Association, World Medical Association.298 Diese privaten Assoziationen sind wiederum Vereinigungen nationaler Organisationen. Die 13 nationalen Mitglieder des CIOMS sind jeweils medizin-wissenschaftliche Gesellschaften, welche einen Zusammenschluss weiterer nationaler Fachgesellschaften repräsentieren 299 aus fünf EU-Mitgliedstaaten (darunter Deutschland), Norwegen, der Schweiz, sowie aus Israel, Kuwait, Südkorea und Südafrika. Nach Art. 8 der Statuten kann jeweils eine nationale Institution pro Staat nationales Mitglied werden, welche „may be either a) the national academy of sciences or the principal academy of medicine or the national council for general or specialized scientific research, or b) an institution of a similar nature, or a national committee broadly representative of the medical sciences sponsored by one of the institutions mentioned in paragraph a).“

Weitere 20 Mitglieder, teils internationale Assoziationen, teils nationale Gesellschaften300, die nicht die Bedingungen für internationale oder nationale Mitgliedschaft erfüllen, sind gemäß Art. 9 assoziiert. b)  Organe aa) Generalversammlung Das oberste Organ des CIOMS ist nach Art. 16 der Statuten die Generalversammlung, die aus Vertreterinnen aller Mitglieder besteht und alle drei Jahre zusammenberufen wird. Ihre Funktionen sind es nach Art. 16 Abs. 2 der Statuten, die grundlegenden policies des CIOMS zu bestimmen, die internationalen Mitglieder des Exekutivkomitees zu benennen, die Berichte des Exekutivkomitees abzunehmen, die Mitgliedsbeiträge zu bestimmen sowie die Finanzpolitik zu überwachen und das Budget und die Finanzberichte zu prüfen und abzunehmen. Die 298 Siehe

htm.

Internetauftritt http://www.cioms.ch/about/membership/frame_membership.

299 Deutsches Mitglied ist die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V., in welcher Stand 2015 158 wissenschaftliche Fachgesellschaften aus dem Bereich der Medizin zusammengeschlossen sind http://www.awmf.org/ fachgesellschaften/mitgliedsgesellschaften.html 300  Vor allem die American Society for Bioethics and Humanities sowie das American College of Chest Physicians.

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Generalversammlung wählt nach Art. 19 eine Präsidentin aus den Mitgliedern des Exekutivkomitees, deren Mandat dann im Exekutivkomitee von ihrer Vertreterin wahrgenommen wird. Die Generalversammlung gibt sich ihre eigenen Verfahrensregeln. Nach Art. 20 Abs. 1 hat jedes internationale Mitglied zwei Stimmen in der Generalversammlung. Nach Abs. 2 hat jedes nationale Mitglied eine Stimme und nach Abs. 3 haben assoziierte Mitglieder kein Stimmrecht. Nach Art. 20 Abs. 4 werden Entscheidungen in der Generalversammlung in einfacher Mehrheit getroffen. Änderungen der Statuten bedürfen einer Zweidrittelmehrheit. Bei Stimmengleichheit kommt der Präsidentin nach Abs. 5 die entscheidende Stimme zu. Beobachterinnen sind nach Abs. 8 zugelassen haben jedoch kein Stimmrecht. bb) Executive Committee Nach Art. 22 der Statuten wird der CIOMS von einem executive committee administriert, das aus vierzehn Personen besteht und mindestens jährlich einberufen wird. Acht Mitglieder sollen als Repräsentantinnen der internationalen Mitglieder und vier Mitglieder als Repräsentantinnen der nationalen Mitglieder von der Generalversammlung gewählt werden. Weitere Mitglieder sind die Präsidentin des CIOMS, die mit ihrer Wahl durch die Generalversammlung auch Präsidentin des executive committee wird sowie die ausscheidende Präsidentin. Jedes Mitglied hat eine Stimme. Entscheidungen werden wie in der Generalversammlung, entsprechend Art. 26 der Statuten mit einfacher Mehrheit getroffen. Bei Stimmgleichheit entscheidet die Stimme der Präsidentin. Das executive committee kann Repräsentantinnen weiterer Mitglieder einladen, den Treffen beizuwohnen. Diesen kommt jedoch kein Stimmrecht zu. Das executive committee ist nach Art. 27 der Statuten mit allen Vollmachten ausgestattet, den CIOMS zu vertreten und Management- und Verwaltungsmaßnahmen zu treffen sowie programmatische Aktivitäten in Einklang mit den Zielen des CIOMS zu bestimmen. Nach Art. 27 Abs. 2 der Statuten liegen alle Kompetenzen, die weder ausdrücklich noch notwendigerweise der Generalversammlung durch die Statuten vorbehalten sind, bei dem executive committee. cc) Arbeitsgruppen und Langzeitprogramme Der CIOMS unterhält verschiedene Langzeitprogramme mit stehenden Arbeitsgruppen zu Bioethics, Health Policy Ethics, International Nomenclature of Diseases, Drug Development and Use sowie Human Resources for Health.301 Die Themen und Bezeichnungen der Arbeitsgruppen sind weiter konkretisiert. Es bestehen aktuell beispielsweise Arbeitsgruppen zu „Considerations for applying good meta-analysis practices to clinical safety data within the biopharmaceutical regulatory process“ oder „Practical Considerations for Development and Application of a Toolkit for Medicinal Product Risk Management“. 301 

CIOMS, Organization, Activities, Members 1949 – 1989, 1989, S. 9.

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dd) Ad-hoc-Arbeitsgruppen und Leitungskomitees Darüber hinaus bildet der CIOMS je nach Bedarf ad-hoc-Arbeitsgruppen und ad-hoc-steering-committees. ee) Konferenzen Entscheidende inhaltliche Diskussionen erfolgen schließlich bei den CIOMS round table conferences mit Vertreterinnen der Mitglieder des CIOMS, individuellen Expertinnen und weiteren Interessenvertreterinnen und Vertreterinnen der WHO.302 Der hier erreichte „Konsens“ (bzw. die Mehrheitsmeinung) wird letztlich von den Guidelines reflektiert. ff) Sekretariat Unterstützt wird der CIOMS von einem permanenten Sekretariat, das in Genf im Gebäude der WHO untergebracht ist und in Paris Büros unterhält, die von der UNESCO bereitgestellt werden. Die Generalsekretärin wird vom executive committee ernannt. Das Sekretariat ist nach Art. 28 der Statuten des CIOMS für die Administration der Assoziation in Konformität mit den Direktiven des executive committee verantwortlich. c)  Entscheidungsfindung Im Folgenden soll die Enscheidungsfindung für die zweite Revision der CIOMS-Guidelines nach den veröffentlichten Verfahren der XXVI. CIOMS-Konferenz skizziert werden.303 Details zu der Zusammensetzung von Gremien oder die Art der Konsensfindung und der konkrete Umgang mit den verschiedenen Kommentaren und Minderheitsmeinungen waren nicht zugänglich. aa) Errichtung eines Steering Committees Der CIOMS richtete für die Revision der Guidelines zunächst ein steering committee ein, welches den Prozess begleiten sollte. Dieses steering committee beschloss dann die Schwerpunkte, die bei der Revision gesetzt werden sollten.304

302 Neben Vertreterinnen wissenschaftlicher Assoziationen nahmen bei der CIOMS Round Table Conference 1981 beispielsweise auch Vertreterinnen von Pharmaunternehmen oder des „Heiligen Stuhls“ teil. Bankowski, Zbigniew/Howard-Jones, N. (Hrsg.), Human Experimentation and Medical Ethics – Proceedings of the XVth CIOMS Round Table Conference, 1982, S. 496 ff. 303  Bankowski, Zbigniew/Levine, Robert J. (Hrsg.), Ethics and Research on Human Subjects International Guidelines, 1993. 304  Dies führte zu einer Erarbeitung separater International Guidelines for Ethical Review of Epidemiological Studies.

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bb) Ad-hoc-Beratergruppe Ein erster Entwurf wurde dann von einer ad hoc eingerichteten Beratungsgruppe erstellt. cc) Prüfung durch das Steering Committee Dieser Enwurf wurde dann von dem steering committee überprüft und überarbeitet. dd) Deliberation bei der CIOMS Konferenz Der überarbeitete Entwurf wurde daraufhin bei der XXVI. CIOMS Konferenz vorgestellt. Spezifische Aspekte wurden als Hauptthemen anschließend in Plenarsitzungen sowie Arbeitsgruppen diskutiert. Zum Ende der Konferenz kristallisierten sich schließlich Konsense bzw. Mehrheitsmeinungen heraus. ee) Revision des Entwurfs In Anschluss an die Konferenz wurde der Entwurf überarbeitet, so dass er den auf der Konferenz erzielten „Konsens“ reflektierte, wobei Minderheitsmeinungen „angemessen berücksichtigt“ wurden. ff) Kommentierung Der neue Entwurf wurde dann den Konferenzteilnehmerinnen, internationalen Assoziationen, medizinischen Forschungsräten und „anderen interessierten Institutionen“ in Industrie- und Entwicklungsländern für weitere Kommentare zugeschickt. Deren Kommentare wurden zuletzt durch die Guideline soweit berücksichtigt, so dass sie von ihr „reflektiert“ wurden. gg) Befürwortung Der finale Text wurde dann von dem executive committee des CIOMS und dem global advisory committee der WHO befürwortet. d)  Bewertung Der CIOMS besteht ganz überwiegend aus Organisationen, die Forschungsinteressen vertreten. Unter den nationalen Mitgliedern sind Entwicklungsländer klar unterrepräsentiert, ebenso wie unter den Mitgliedern der internationalen CIOMS-Mitglieder, auch wenn einige Assoziationen diverser sind als andere (einige haben fast keine afrikanischen Mitglieder). Was die fachliche Zusammensetzung anbelangt, so hat nur ein ganz geringer Anteil der Repräsentantinnen einen ethisch-wissenschaftlichen Hintergrund. Ferner fehlen auch hier Vertreterinnen ganzer Gruppen von Betroffenen, wie Patienten- und Probandenvertreterinnen insbesondere auch aus Entwicklungsländern.

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Diesem Defizit wird versucht, durch die round table conferences entgegenzutreten. Diese beziehen Repräsentantinnen verschiedener Regionen und Kulturkreise in die Deliberation mit ein, wobei auch hier nicht alle Regionen ihrer tatsächlichen Größe entsprechend vertreten sind.305 Positiv anzumerken ist, dass zur Entscheidungsfindung über die ersten Guidelines 1982 Fragebögen in die meisten Länder der Welt verschickt wurden, von denen 45 von Gesundheitsministerien und 91 von medizinischen Fakultäten aus 60 Entwicklungsländern beantwortet wurden.306 Gleichwohl werden auch die round table conferences und die Diskussionen letztlich von Vertreterinnen reicherer Länder dominiert. Indes ist die WHO an diesen Konferenzen und auch an der vorherigen Ausarbeitung beteiligt. Auch wurden die Guidelines von 1982 erst nach erfolgreichen Änderungsanträgen des WHO advisory committee on health research (bzw. damals advisory committee on medical research) von diesem befürwortet.307 Unabhängig davon wurden die Guidelines von dem executive committee des CIOMS in einer Resolution verabschiedet.308 Nach Art. 16 lit. a) der Statuten des CIOMS erschöpfen sich die inhaltlichen Aufgaben der Generalversammlung darin, grundsätzlich „to determine the policy of the Association“. Über die Guidelines in einer Resolution befand demnach letztlich ein Gremium aus vierzehn Mitgliedern. Für die Version 2002 wurden, in Vorbereitung der round table conference 2002, Kommentierungen der verschiedenen Entwürfe von Individuen und Organisationen über die Internetseite ermöglicht. Auch waren in den informellen redrafting groups Repräsentantinnen aus Afrika, Asien, Lateinamerika und den USA vertreten. Nach der Veröffentlichung des Entwurfs für Kommentierungen wurde dieser einer informellen redrafting group vorgelegt, der auch europäische Vertreterinnen angehörten.309 Es ist demnach versucht worden, den Kreis der Diskussionsteilneh305 Vgl. Bankowski, Zbigniew/Howard-Jones, N. (Hrsg.), Human Experimentation and Medical Ethics – Proceedings of the XVth CIOMS Round Table Conference, 1982; Bankowski, Zbigniew/Levine, Robert J. (Hrsg.), Ethics and Research on Human Subjects International Guidelines, 1993. 306 Vgl. Resolution on International Guidelines for Biomedical Research Involving Human Subjects des Executive Committee des CIOMS, 56th Session, XVth Round Table Conference, 1981, abgedruckt in: Bankowski, Zbigniew/Howard-Jones, N. (Hrsg.), Human Experimentation and Medical Ethics – Proceedings of the XVth CIOMS Round Table Conference, 1982, S. 440. 307  Bankowski, Zbigniew/Howard-Jones, N. (Hrsg.), Human Experimentation and Medical Ethics – Proceedings of the XVth CIOMS Round Table Conference, 1982, S. 451. 308  Vgl. Resolution on International Guidelines for Biomedical Research Involving Human Subjects, Executive Committee, CIOMS, 56th Session, XVth Round Table Conference, 1981, abgedruckt in: Bankowski, Zbigniew/Howard-Jones, N. (Hrsg.), Human Experimentation and Medical Ethics – Proceedings of the XVth CIOMS Round Table Conference, 1982, S. 440, 451. 309 Siehe zum Hintergrund der Guidelines  http://www.cioms.ch/publications/guidelines/guidelines_nov_2002_blurb.htm.

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merinnen möglichst zu vergrößern und ein globales Bild zu skizzieren. Ein genaueres Nachvollziehen ist leider nicht mehr möglich, da die entsprechenden Dokumente schwer zugänglich sind. Auch ist nicht klar, welchen Verfahrensregelungen die formellen wie informellen Treffen, Gruppenbildungen und Diskussionen unterlagen bzw. unterliegen. Der letztliche Weg der Entscheidungsfindung ist jedenfalls für die Öffentlichkeit äußerst intransparent. 2.  Effektive Problemlösung a)  Zugrundeliegende bioethische Theorien und Strömungen Im Gegensatz zu der Deklaration von Helsinki und der ICH-GCP-Guideline ist den International Ethical Guidelines for Biomedical Research Involving Human Subjects des CIOMS eine Begründung vorangestellt. So werden eingangs die grundlegenden Prinzipien dargestellt, welche konkretisiert und zur Anwendung gebracht werden sollen, sowie eine theoretische Begründung dieser Prinzipien.310 Demnach bestehe ein allgemeiner Konsens darüber, dass drei Prinzipien die gewissenhafte Vorbereitung wissenschaftlicher Studien beherrschten. Dies seien „respect for persons“, „beneficence“ und „justice“. Diese grundlegenden ethischen Prinzipien sollen abstrahiert ein jeweils gleiches moralisches Gewicht haben, auch wenn sie je nach den Umständen unterschiedlich Ausdruck fänden und unterschiedlich gewichtet würden. Diese Prinzipien sind diejenigen, die vom Belmont Report 1979 benannt worden sind,311 und welche auch von Beauchamp und Childress formuliert werden, auch wenn diese keine Zitierung finden. Das vierte der Vier Prinzipien („nonmaleficence“) wird nach den CIOMS-Guidelines unter „beneficence“ subsumiert. Hinter „respect for persons“ verbirgt sich „respect for autonomy“ und der Schutz von Personen „with impaired or diminished autonomy, which requires that those who are dependent or vulnerable be afforded security against harm or abuse.“

Der Schutz von Personen, wie er den CIOMS-Guidelines zugrunde liegt und im Belmont Report benannt wird, wird von Beauchamp und Childress nicht als eigenes Prinzip verstanden, aber unter die Prinzipien „respect for autonomy“ und „justice“ gefasst. Insofern wird dieses Prinzip, da es besonders wesentlich für Forschung ist, in den CIOMS-Guidelines gesondert betont.312 Ein wesentlicher Aspekt in der Forschung in Entwicklungsländern betrifft die Frage der Gerechtigkeit. Daher greifen die CIOMS-Guidelines das Konzept der Vulnerabilität auf, welches ebenfalls der Konzeption von Beauchamp und Childress zu entsprechen scheint, 310  Als „General Ethical Principles“ ist dieser Punkt der Präambel vorangestellt. Folgende Ausführungen beziehen sich auf diesen Abschnitt.  http://www.cioms.ch/publications/ guidelines/guidelines_nov_2002_blurb.htm. 311  Veröffentlicht in 44 Federal Register 23192 vom 18. 04. 1979. 312 Insoweit Beauchamp und Childress das „vulnerability“-Konzept unter dem Aspekt der „justice“ diskutieren nehmen sie explizit auf Forschung an Menschen Bezug. Beauchamp, Tom L./Childress, James F., Principles of Biomedical Ethics, 2009, S. 253 f.

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insofern jeweils nicht pauschal auf „vulnerable groups“ abgestellt wird, sondern auf „vulnerabilities“ als Merkmale einer besonderen Schützenswertheit.313 Die grundsätzliche Gleichstellung der einzelnen Prinzipien in den CIOMS-Guidelines entspricht ebenfalls der Konzeption von Beauchamp und Childress. Diese Bezugnahme scheint eine Orientierung zur Auslegung und Abwägung einzelner Guidelines zu bieten. Allerdings ist dies nur oberflächlich der Fall. Wie bereits angesprochen, liegt ein wesentlicher Kritikpunkt an dem principlism darin, dass gerade eine einheitliche zugrundeliegende Moraltheorie fehlt, die einen Universalitätsanspruch vertritt und eine kohärente Leitlinie zur Entscheidungsfindung und Entscheidungsrechtfertigung bietet. Clouser und Gert bemängelten, dass in der Argumentation der principlism-Vertreterinnen die Anwendung „der Prinzipien“ bedeute, dass auf die Diskussion unter dem jeweiligen Stichwort rekurriert werde.314 Die Anwendung des beneficence-Prinzips nach Beauchamp und Childress hieße demnach, die entsprechenden 42 Seiten Überlegungen, Ab- und Eingrenzungen und Abwägungen in den principles of biomedical ethics zu Rate zu ziehen. Das Fehlen eines kohärenten Begründungsansatzes, der den Prinzipien unterliegt, ist bereits an sich sehr kritisch zu erachten. Hinzu tritt, dass die CIOMSGuide­lines darlegen, dass die benannten Prinzipien moralisch gleichwertig seien und im Einzelfall gegeneinander abgewogen werden müssten, ohne jedoch zumindest „42 Seiten“ an Überlegungen hierfür anzubieten. Die Gesamtdarstellung erfolgt auf etwas mehr als einer Seite und suggeriert, sie baue auf einem etablierten und unumstrittenen System auf. Selbst wenn auf den Vier Prinzipien von Beauchamp und Childress aufgebaut werden soll, werden diese aber nicht zitiert. Es besteht auch keine klare Leitlinie dahingehend, auf wessen Überlegungen die Deliberation beruhen soll. b)  Streitpunkte: Querschnittsfragen aa) Grundsätzliches Verhältnis Individual- und Allgemeininteresse Die Präambel der CIOMS-Guidelines legt zunächst dar, dass (bio)medizinische Forschung grundsätzlich notwendig ist und dazu beiträgt, die menschliche Gesundheit zu verbessern. In der medizinischen Forschung sei es im Weiteren teilweise unumgänglich diese Forschung auch an Menschen durchzuführen. Die Formel, wie sie in der Deklaration von Helsinki und der ICH-GCP-Guideline zu finden ist, dass das Wohl der Einzelnen in bestimmtem Grade vor anderen Interessen zu beachten sein soll, ist so nicht in den CIOMS-Guidelines enthalten.315 Der Zweck dieser Formel liegt jedoch zum einen darin, Orientierung zu bieten, im Zweifel im Beauchamp, Tom L./Childress, James F., Principles of Biomedical Ethics, 2009, S. 253 f. Clouser, K. Danner/Gert, Bernard, A Critique of Principlism, Journal of Medicine & Philosophie 15 (1990), 219 – 236 [222]. 315  Sie findet sich indes im Kommentar zu Guideline 8 zur Frage der Risiko-Nutzen-Bewertung in Zitierung der Deklaration von Helsinki. 313 

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Sinne des Wohls der Versuchsperson zu entscheiden, und zum anderen darin einen Begründungszwang für die Forschung auszulösen. Einen solchen Begründungszwang verlangt Guideline 1. Hiernach bedarf es einer „ethischen Rechtfertigung“ für biomedizinische Forschung, die menschliche Versuchspersonen umfasst. Eine solche Rechtfertigung habe zweierlei Voraussetzungen: Zum einen muss die Forschung der Aussicht dienen, neue Wege zu finden, der menschlichen Gesundheit/der Volksgesundheit zu dienen (Satz 1), und zum anderen muss die Forschung in einer Weise durchgeführt werden, dass sie die Versuchsperson „achtet und schützt“ und ihr gegenüber „fair“ ist (Satz 2). Damit ist zwar klar, dass Forschung gerechtfertigt werden muss und dies nur gelingt, wenn das Wohl der Versuchsperson geachtet und geschützt wird. Jedoch wird keine Abwägungshilfe gegeben, wie eine Interessenkollision im Zweifel aufgelöst werden soll. Allerdings formuliert diese Guideline im Gegensatz zu der Vorrangsformel der anderen Steuerungsformen statt eines relativen Vorrangs einen absoluten Minimalschutz, auch wenn dieser sehr unbestimmt formuliert ist. Der Kommentar zu Guideline 1 trägt auch nicht substantiell zur Klärung bei. bb) Subsidiarität von Menschenversuchen Auch die CIOMS-Guidelines betonen in der Präambel, dass Forschung grundsätzlich notwendig und nützlich ist und es teilweise der Forschung an Menschen bedarf. Satz 3 der Guideline 1 über die ethische Rechtfertigung von Versuchen besagt, dass Prüferinnen und Sponsorinnen gewährleisten müssen, dass Versuche an Menschen „generally accepted scientific principles“ entsprechen und auf „angemessenem Wissen“ basieren, das der einschlägigen wissenschaftlichen Literatur zu entnehmen ist. Wissenschaftlich invalide Forschung sei schließlich unethisch, weil sie Versuchspersonen ohne möglichen Nutzen einem Risiko aussetzt. Im Gegensatz zu der ICH-GCP-Guideline fällt die Wortwahl „must“ auf. Dieses Erfordernis soll gerade nicht einschränkbar sein. Der Kommentar zu Guideline 1 erläutert, dass es zu den „essential features“ ethisch gerechtfertigter Forschung an Menschen gehöre, dass die Forschung eine Möglichkeit eröffnet, Informationen zu gewinnen, die „nicht anderweitig“ zu erzielen sind. Auch wenn die CIOMS-Guidelines dies nicht ausbuchstabieren, wie die ICH-Guidelines, wird daraus deutlich, dass vor dem Versuch an Menschen alle erzielbaren Informationen aus Tier- und Gewebeversuchen gewonnen werden müssen und dass Ergebnisse, die bereits publiziert worden sind, nicht dupliziert werden sollen. cc) Positive Nutzen-Risiko-Abwägung Im Gegensatz zu anderen Guidelines verpflichtet die CIOMS-Guideline 8 explizit die Prüferin, eine Ausgewogenheit zu gewährleisten.316 Somit ist auch aus316  Guideline 8 lautet: „For all biomedical research involving human subjects, the investigator must ensure that potential benefits and risks are reasonably balanced and risks are minimized.

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gesagt, dass eine Abwägung kontinuierlich während des Versuchs vorgenommen werden muss. Auffällig ist, dass die CIOMS-Guideline 8, als einzige unter den untersuchten Guidelines, Bezug nimmt auf unterschiedliche Studiendesigns und Versuchsgruppen. In Spiegelstrich 1 nimmt Guideline 8 Bezug auf Eingriffe, die potentiell einen direkten diagnostischen, therapeutischen oder präventiven Nutzen für die individuelle Versuchsperson in Aussicht stellen. Die Abwägung orientiert sich an bereits zugänglichen Alternativen. Im Gegensatz zu anderen Guidelines ist damit ein in jeder Krankheitssituation angemessener praktizierbarer Maßstab für die Risikoabwägung gegeben. Allerdings versagt dieser, wenn gerade keine alternative Behandlungsmöglichkeit vorhanden ist oder viele verschiedene Behandlungen mit unterschiedlichen Risiken möglich sind.317 Spiegelstrich 2 konkretisiert die Abwägungsparameter für Versuchspersonen die keinen potentiellen persönlichen unmittelbaren Nutzen erwarten. Damit nimmt die CIOMS-Guideline ausdrücklich Bezug auf Versuche ohne unmittelbaren persönlichen Nutzen, wie Phase I-Versuche. Spiegelstrich 2 müsste jedoch auch auf die Versuchspersonen der Kontrollgruppen in Placebo- oder Nicht-Behandlungs-Versuchen anwendbar sein. Für diese gilt, dass das Risiko im Verhältnis zur Relevanz des gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Nutzens stehen muss. Ohne Formulierung eines maximal zulässigen Risikos ist damit jedoch eine Inkaufnahme sehr großer persönlicher Bürden zulässig, wenn nur der Nutzen als sehr groß erachtet wird. c)  Streitpunkt: Informierte Einwilligung aa) Grundsatz Guideline 4 verlangt, dass für jede biomedizinische Forschung, die Menschen umfasst, die Prüferin grundsätzlich die freiwillige und informierte Einwilligung der potentiellen Versuchsperson einholen muss. Satz 2 legt dar, dass zwar ein Verzicht möglich ist, aber als „uncommon and exceptional“ zu erachten ist und in allen Fällen von einer Ethikkommission bewilligt werden muss. Der Kommentar erläutert detaillierter die Anforderungen an die Einholung der informierten EinInterventions or procedures that hold out the prospect of direct diagnostic, therapeutic or preventive benefit for the individual subject must be justified by the expectation that they will be at least as advantageous to the individual subject, in the light of foreseeable risks and benefits, as any available alternative. Risks of such ,beneficial‘ interventions or procedures must be justified in relation to expected benefits to the individual subject. Risks of interventions that do not hold out the prospect of direct diagnostic, therapeutic or preventive benefit for the individual must be justified in relation to the expected benefits to society (generalizable knowledge). The risks presented by such interventions must be reasonable in relation to the importance of the knowledge to be gained.“ 317  Diese Guideline außerdem wie aus dem Kommentar ersichtlich wird, von dem Paradigma der aktiv-kontrollierten Versuche aus. Hier zeigt sich ein grundsätzlicher Widerspruch zu den ICH-GCP-Guidelines, die von dem Paradigma der Placebo-kontrollierten Versuche ausgehen.

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willigung als Prozess. Der Kommentar erläutert, dass der Sinn des informed-consent-Prinzips darin liege, die Freiheit, Autonomie und Würde des Indviduums zu schützen. Für einen umfänglichen Schutz müsse es dabei immer von einer unabhängigen ethischen Überwachung flankiert werden. Um der Gefahr der reinen Formelhaftigkeit des informed consent zu begegnen, betont der Kommentar immer wieder, dass der ganze Prozess in einer Weise und Sprache vollzogen werden müsse, die gewährleistet, dass potentielle Versuchspersonen tatsächlich umfänglich aufgeklärt werden. Beispielsweise dürfe die obligatorische mündliche Aufklärung nicht nur „be simply a ritual recitation of the contents of a written document“.318 Der Wortlaut der Guideline schweigt sich über ein Schriftformerfordernis aus. Im Kommentar wird lediglich ausgeführt, dass die Versuchspersonen „im Regelfall“ ein informed-consent-Formular unterzeichnen sollten. Davon könne Abstand genommen werden, wenn das Risiko nur dem einer medizinischen Routineuntersuchung entspräche und eine Ethikkommission den Verzicht genehmigt habe. Prüferinnen sollten („should“) bei längeren Versuchen und neuen Erkenntnissen regelmäßig den informed-consent-Prozess wiederholen. bb) Informationskanon Ergänzend zur generellen Regel der Guideline 4 enthält Guideline 5 26 Nummern mit Informationen, über die Prüferinnen potentielle Versuchspersonen in einer individuell verständlichen Weise aufklären müssen. Diese Informationen umfassen Rechte,319 die Natur und das Design der Studie320 und weitere Informationen, die wesentlich den Entscheidungsprozess beeinflussen (können).321 318 

Der Kommentar schlägt auch vor, dass in einigen Fällen die Prüferin einen mündlichen oder schriftlichen Test durchführen kann, um sicherzugehen, dass alle Informationen tatsächlich verstanden worden sind. 319  Die Freiwilligkeit der Teilnahme; die Freiheit die Teilnahme zu jedem Zeitpunkt zu verweigern ohne Strafe und den Verlust von Vorteilen; das Recht über den eigenen Gesundheitszustand aufgeklärt zu werden und über die Ergebnisse der Studie; das Recht auf Zugang zu den eigenen Daten; das Recht einer Lagerung und späteren Nutzung von entnommenen Proben zu widersprechen und die Zerstörung zu verlangen; sowie eine Aufklärung darüber, ob nach der jeweiligen Rechtsordnung Entschädigungsansprüche gegeben seien. 320  Den Zweck der Studie und wie lange sie dauert, Randomisierungen, Verblindungen, das System der Kontrollgruppen und die Möglichkeit, dass das Individuum ohne ihr Wissen einer Kontrollgruppe zugehören könnte. 321  Solche Informationen sind: vorhersehbare Risiken, Schmerzen und Unannehmlichkeiten für die Versuchsperson selbst, und solche, die die Gesundheit oder das Wohlbefinden von Eheleuten und Partnerinnen beeinträchtigen können; der unmittelbare Nutzen oder der erwartete Nutzen für die Forschung und Wissenschaft, die Gemeinschaft oder die Gesellschaft; ob finanzielle oder sonstige materielle Entschädigungen für die Teilnahme geboten werden; ob nach einer erfolgreichen Studie die Versuchsteilnehmerinnen Zugang zu den erprobten Arzneimitteln haben werden und ob sie dafür werden zahlen müssen; gegenwärtige alternative Behandlungsmöglichkeiten; Maßnahmen zur Wahrung der Datengeheimhaltung; rechtliche und faktische Grenzen der Möglichkeiten der Prüferin Daten geheim zu

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cc) Flankierende Pflichten und Einschränkungen Guideline 6 ergänzt diese Erfordernisse mit Pflichten von Sponsorinnen und Prüferinnen. Demnach haben Sponsorinnen und Prüferinnen insbesondere die Pflicht, von „ungerechtfertigter Täuschung, ungebührlicher Beeinflussung oder Einschüchterung“

Abstand zu nehmen und Einwilligungen nur zu ersuchen, wenn sichergestellt ist, dass die potentielle Versuchsperson die relevanten Fakten und Konsequenzen der Teilnahme angemessen versteht und ausreichend Gelegenheit zur Überlegung hatte.322 Diese Pflichten ergeben sich eigentlich bereits aus den Guidelines 4 und 5. Täuschungen, ungebührliche Beeinflussungen und Einschüchterungen sind wesentliche Indikatoren dafür, dass die Freiwilligkeit beeinträchtigt ist. Eine Einwilligung ohne Verständnis wesentlicher Aspekte ist nicht informiert und das Erfordernis der Wiederholung ist auch bereits in Guideline 5 aufgezählt. Der Grund der erneuten Aufzählung wird auch nicht im Kommentar benannt, liegt aber wohl in der direkteren Ansprache und damit besseren Durchsetzung. Denn gerade Spiegelstrich 1, der „unjustified deception, undue influence, or intimidation“ verbietet, scheint sich zwar bereits evident aus den vorherigen Guidelines zu ergeben, spricht jedoch hier die in der Praxis angewandte Methode der „gerechtfertigten Täuschung“ an. Der Kommentar greift genau diese Praxis auf. Manchmal halte die Prüferin, um die Validität der Forschung zu gewährleisten, bestimmte Informationen im informed-consent-Prozess zurück. So werden in klinischen Versuchen typihalten und mögliche Konsequenzen; wie mit den Resultaten von Gentests umgegangen wird und Vorsichtsmaßnahmen, dass solche Informationen nicht Verwandten oder Dritten wie Versicherungsgesellschaften ohne Einwilligung zur Verfügung gestellt werden; die Sponsorinnen der Forschung; Art der Finanzierung und alle sonstig beteiligten Institutionen; potentielle direkte oder abgleitete Anwendungsmöglichkeiten der Forschung; ob entnommene Proben zerstört werden oder aufbewahrt und später genutzt werden sollen; ob kommerzielle Produkte aus biologischen Proben entwickelt werden sollen und ob die Versuchsperson einen finanziellen oder sonstigen Nutzen daraus ziehen wird; ob die Prüferin nur als Prüferin oder auch als Ärztin des Individuums fungieren wird; die Ausmaße zu denen die Prüferin verantwortlich ist, die Versuchsperson medizinisch zu behandeln; ob Verletzungen oder Komplikationen die mit der Forschung zusammenhängen kostenlos behandelt werden; von welcher Einrichtung diese behandelt werden und ob Unsicherheiten hinsichtliche der Finanzierung bestehen; ob und in welcher Art und durch welche Einrichtung die Versuchsperson oder dessen Familie bzw. Abhängige für Behinderungen oder den Tod entschädigt werden, die durch versuchsbedingte Komplikationen bedingt werden; und ob die Ethikkommission den Prüfplan bewilligt und freigegeben hat. 322  Weitere Pflichten liegen darin, im Regelfall von jeder potentiellen Versuchsperson ein unterschriebenes informed-consent-Formblatt einzuholen, bzw. Ausnahmen zu rechtfertigen; die informierte Einwilligung zu erneuern, wenn wesentliche Änderungen der Bedingungen eintreten oder neue Informationen verfügbar werden, die die Einwilligungsbereitschaft betreffen könnten; und in Langzeitstudien die informierte Einwilligung in vorher festgelegten Intervallen zu erneuern, auch wenn sich die Bedinungen nicht geändert haben sollten.

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scherweise Informationen über den Zweck bestimmter Testverfahren zurückgehalten, um die Einhaltung des Prüfplans durch die Versuchspersonen zu testen. Wenn sie wüssten, dass sie überprüft werden, würden sie möglicherweise ihr Verhalten ändern und damit die Testresultate invalidieren. Wesentliche Fragen sind damit, ob und wie eine Täuschung im ethischen Sinne gerechtfertigt werden und ob eine gerechtfertigte Täuschung schädlich für die freiwillige informierte Einwilligung sein kann. Die CIOMS-Guidelines legen einleitend (vor der Präambel) wesentliche ethische Prinzipien dar, die den Guidelines zugrunde liegen und als Auslegungsmaximen dienen sollen. Der Kommentar stellt indes zu dieser Frage lediglich deskriptiv fest: „In most such cases, the prospective subjects are asked to consent to remain uninformed of the purpose of some procedures until the research is completed; after the conclusion of the study they are given the omitted information. In other cases, because a request for permission to withhold some information would jeopardize the validity of the research, subjects are not told that some information has been withheld until the research has been completed.“

Deutlicher wird diese normative Unentschlossenheit bei der Frage der aktiven Täuschung, die laut Kommentar kontroverser perzipiert wird. In Bezug auf biomedizinische Forschung – im Gegensatz zu soziologischen oder epidemologischen Studien – stellt er fest: „Lying to subjects is a tactic not commonly employed in biomedical research.“

Ob dies zulässig sein soll oder nicht, werde von „some people“ unterschiedlich beantwortet. Der Kommentar legt sich daher nicht normativ fest. Jedenfalls bleibt unklar, ob damit eine aktive Täuschung in spezifischen „ungewöhnlichen“ Fällen zulässig sein soll oder nicht. Ethische Orientierung und Lenkung ist indes gerade in den strittigen Randfragen notwendig. Eine Täuschung kann dem Kommentar zufolge jedenfalls durch Einwilligung323 oder wissenschaftliche Notwendigkeit und die explizite Zustimmung einer Ethikkommission gerechtfertigt werden. Während im ersten Fall noch argumentiert werden kann, die Täuschung sei vom Willen der Versuchsperson gedeckt, kann im zweiten Fall mangels Aufklärung von keiner informierten Einwilligung gesprochen werden. Die Frage, ob die Zustimmung der Ethikkommission als Surrogat fungieren kann, wird nicht weiter thematisiert. Auch werden keine Grenzen die Risiken betreffend angesprochen. Nach den CIOMS-Guidelines ist das Prinzip des informed consent also nicht absolut, sondern kann aus wissenschaftlich-methodischen Gründen eingeschränkt werden. Spiegelstrich 2 verpflichtet Prüferinnen und Sponsorinnen dazu, die Einwilligung erst dann einzuholen, wenn die potentielle Versuchsperson „has adequate understanding of the relevant facts and of the consequences of participation.“ 323 

Die Versuchsperson willigt ein, nicht umfänglich aufgeklärt zu werden.

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Die Systematik legt nahe, dass, um ein „adäquates Verständnis aller relevanten Fakten und Konsequenzen“ zu erzielen, eine Aufklärung über alle Informationen notwendig ist, die in Guideline 5 aufgezählt werden. Nach Nr. 9 beinhaltet dies „any foreseeable risks, pain or discomfort, or inconvenience to the individual (or others) associated with participation in the research, including risks to the health or well-being of a subject’s spouse or partner.“

Der Kommentar zu Spiegelstrich 2 der Guideline 6 erklärt demnach auch zunächst, dass die Prüferin völlig objektiv über die Details der Eingriffe und Verfahren, Schmerzen, Unannehmlichkeiten, bekannte Risiken und mögliche Gefahren aufklären solle. Er erläutert dann jedoch: „In complex research projects it may be neither feasible nor desirable to inform prospective participants fully about every possible risk. They must, however, be informed of all risks that a ,reasonable person‘ would consider material to making a decision about whether to participate, including risks to a spouse or partner associated with trials of, for example, psychotropic or genital-tract medicaments.“

Defizite in der Aufklärung können demnach scheinbar mit pragmatischen bzw. methodischen Gründen gerechtfertigt werden. Vor allem ist dies eine Abkehr von dem individuellen Konzept, nach dem sich die Aufklärung nach der konkreten Person zu orientieren hat. Guideline 4 und der korrespondierende Kommentar betonen wiederholend, dass der informed-consent-Prozess dem Schutz der Autonomie und Würde der individuellen Versuchsperson diene, weshalb sich auch die Sprache am Individuum zu orientieren habe und Raum sein müsse für alle individuellen Fragen. An dieser Stelle jedoch greift der Kommentar auf die abstrakte „reasonable person“ zurück, deren Horizont der Maßstab für die Aufklärung über Risiken sein soll. Wer und wie den Horziont dieser „reasonable person“ ermitteln soll, bleibt unklar. Im Zweifel wird die Prüferin und Sponsorin ein eigenes Ermessen herauslesen können. Auch dies ist ein Beleg dafür, dass die CIOMS-Guidelines das Autonomieprinzip gegen methodische Argumente abwägt und einschränkt. d)  Streitpunkt: Inklusion vulnerabler Personen aa) Vulnerable Personen Nach Guideline 13 ist eine besondere Rechtfertigung notwendig, wenn besonders schützenswerte Personen als Versuchspersonen einbezogen werden. Wenn diese teilnehmen, müssen Schutzmaßnahmen streng beachtet werden.324 Der Kommentar definiert vulnerable Personen als „those who are relatively (or absolutely) incapable of protecting their own interests. More formally, they may have insufficient power, intelligence, education, resources, strength, or other needed attributes to protect their own interests.“

324  „Special justification is required for inviting vulnerable individuals to serve as re­ search subjects and, if they are selected, the means of protecting their rights and welfare must be strictly applied.“

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Konventionell als besonders schützenswert werden jene Personen qualifiziert, die in ihrer Fähigkeit oder Freiheit, einzuwilligen oder abzulehnen, beschränkt sind.325 Das Konzept der besonders schützenswerten vulnerablen Personen umfasst laut Kommentar aber auch solche Personen, die in hierarchisch organisierten Gruppen eigegliedert sind, wie Medizinstudentinnen, Krankenhaus- oder Laborangestellte, Arbeitnehmerinnen von pharmazeutischen Unternehmen oder Mitglieder der Streitkräfte oder Polizei. Alte Menschen werden ebenfalls benannt, insbesondere, wenn diese in Heimen untergebracht sind oder an Demenz leiden; aber auch marginalisierte Personen, wie Personen, die staatliche Transferleistungen erhalten, oder sonstige arme Menschen, Arbeitslose, Personen in der Notaufnahme, ethnische Minderheiten, Obdachlose, Nomaden, Geflüchtete, Vertriebene, Gefangene, Patientinnen mit unheilbaren Krankheiten,326 politisch ohnmächtige Personen und Mitglieder von Gemeinschaften, die nicht mit modernen medizinischen Konzepten vertraut sind, sind hier als vulnerabel zu qualifizieren. bb) Inklusion und Schutzmaßnahmen (1) Grundsätzliche Positionierung Die CIOMS-Guidelines knüpfen laut ihrem Kommentar an die Vulnerabilität Folgen, die ausschließenden Charakter haben. Ob eine „besondere Rechtfertigung“ für die Einbeziehung gegeben ist, soll laut Kommentar letztlich von der Ethikkommission entschieden werden. Die Kriterien für eine Einbeziehung sind dabei enger als sie in der ICH-GCP-Guideline oder der Deklaration von Helsinki formuliert werden.327

325  Dies sind Kinder oder Personen, die aufgrund mentaler Beeineinträchtigungen oder Verhaltsstörungen nicht fähig sind, einzuwilligen. 326  Personen, die ernsthaft, potentiell körperbehindernd oder lebensbedrohlich erkrankt sind, werden vom Kommentar gar als „highly vulnerable“ eingestuft. Insoweit sei, so führt der Kommentar aus, der „compassionate use“ von noch unerprobten Arzneimitteln – mit Verweis auf die Deklaration von Helsinki – zulässig. „Compassionate use“ als individueller Heilversuch fällt hier indes nicht unter den Begriff des Humanexperiments. 327  Der Kommentar zu Guideline 13 führt als grundsätzliche Überlegungen aus: „[…] the research could not be carried out equally well with less vulnerable subjects; – the research is intended to obtain knowledge that will lead to improved diagnosis, prevention or treatment of diseases or other health problems characteristic of, or unique to, the vulnerable class – either the actual subjects or other similarly situated members of the vulnerable class; – research subjects and other members of the vulnerable class from which subjects are recruited will ordinarily be assured reasonable access to any diagnostic, preventive or therapeutic products that will become available as a consequence of the research; – the risks attached to interventions or procedures that do not hold out the prospect of direct health-related benefit will not exceed those associated with routine medical or psychological examination of such persons unless an ethical review committee authorizes a slight increase over this level of risk (Guideline 9); and,

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Grundsätzlich soll laut Kommentar zu Guideline 13 die Einbeziehung subsidiär sein, mindestens einen Gruppennutzen hervorbringen und bei mangelndem individuellem Nutzen nur minimale Risiken enthalten. Hinzu tritt jedoch, dass die informierte Einwilligung nicht durch die der gesetzlichen Vertreterinnen ersetzt, sondern nur durch diese ergänzt werden kann. Darüber hinaus muss vorgesehen sein, dass nach Studienschluss die Versuchspersonen sowie andere Mitglieder dieser Gruppe Zugang zu den Ergebnissen der Studie erhalten. (2) Nicht-einwilligungsfähige Personen Forschung an nicht-einwilligungsfähigen Personen ist nach zusätzlicher informierter Einwilligung der gesetzlichen Vertreterin328 grundsätzlich möglich, auch wenn die Personen keinen individuellen unmittelbaren Nutzen davontragen, solange ein Gruppennutzen besteht.329 Da die Forschung jedoch nur subsidiär an nicht-einwilligungsfähigen Personen durchgeführt werden darf,330 kommen in der Regel Phase-I-Versuche für diese Personen nicht in Frage, wie auch der Kommen– when the prospective subjects are either incompetent or otherwise substantially unable to give informed consent, their agreement will be supplemented by the permission of their legal guardians or other appropriate representatives.“ 328  Guideline 4 Satz 1 legt grundsätzlich dar, dass für jede biomedizinische Forschung an Menschen die Prüferin die freiwillige informierte Einwilligung potentieller Versuchspersonen und in Fällen von Individuen, die nicht zur Einwilligung fähig sind, die Erlaubnis der gesetzlichen Vertreterin entsprechend dem anwendbaren Recht einholen muss. Ausnahmen sind jedoch mit expliziter Zustimmung der Ethikkommission möglich. 329 Guideline 9 legt bestimmte Risikogrenzen für die Forschung mit nicht-einwilligungsfähigen Personen fest. Die Forschung bedarf zunächst einer ethischen und wissenschaftlichen Rechtfertigung. Besteht eine solche, soll für Forschung, die der Versuchsperson keinen unmittelbaren individuellen Nutzen verspricht, das Risiko nicht wahrscheinlicher und nicht größer sein als eine medizinische oder psychologische Routineuntersuchung. Ein etwas höheres Risiko könne durch ein überragendes wissenschaftliches Interesse oder eine medizinische Begründung von einer Ethikkommission genehmigt werden. 330  Guideline 14 behandelt Forschung an Kindern und verlangt, dass die Prüferin vorher gewährleistet, dass die Forschung nicht gleich gut an Erwachsenen durchgeführt werden kann, dass der Zweck der Forschung der Gesundheit von Kindern dient, dass die gesetzlichen Vertreterinnen ihre Erlaubnis erteilen und dass die Zustimmung des Kindes im Rahmen seiner Möglichkeiten eingeholt wird. Die Weigerung des Kindes soll „respektiert“ werden. Guideline 15 behandelt Forschung an Personen, die aufgrund geistiger Behinderungen oder Verhaltensstörungen nicht fähig sind, angemessen informiert einzuwilligen, und verlangt, dass die Prüferin vorher gewährleistet, dass die Forschung nicht gleich gut an nicht beeinträchtigten Personen durchgeführt werden kann, dass der Zweck der Forschung den Bedürfnissen von Personen mit geistigen Behinderungen dient, dass die Einwilligung der Person im Rahmen ihrer Möglichkeiten eingeholt und ihre Weigerung respektiert wird, es sei denn, dass keine sinnvolle medizinische Alternative besteht und das anzuwendende Recht es erlaubt, die Weigerung zu übergehen. Darüber hinaus muss die gesetzliche Vertreterin einwilligen oder ein „verantwortliches Familienmitglied“, wenn das anwendbare Recht dies zulässt.

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tar zu Guideline 13 ausführt. Nach Guideline 9 darf im Regelfall das Risiko nicht höher sein, als es bei einer Routineuntersuchung dieser Personen sein würde, wenn die Person keinen potentiellen unmittelbaren individuellen Nutzen davon trägt. Im Umkehrschluss heißt dies, dass in der Aussicht eines Eigennutzens das Risiko nach der Grundregel von Guideline 8 mit dem Nutzen abgewogen werden kann. Die Einwilligung der gesetzlichen Vertreterin muss den Anforderungen von Guidelines 4, 5 und 6 genügen331 und muss zusätzlich zu der generellen Zustimmung der Versuchsperson eingeholt werden. Insgesamt verfolgt der CIOMS einen inklusiven Ansatz. Der Kommentar zu Guideline 14 rechtfertigt Forschung, die Kinder umfasst damit, dass diese „indispensable“ sei, um Kinderkrankheiten bekämpfen und um Arzneimittel testen zu können, die für Erwachsene als auch Kinder bestimmt sind. Früher sei solche Forschung unterlassen worden, aber „now it is widely agreed that, as a general rule, the sponsor of any new therapeutic, diagnostic or preventive product that is likely to be indicated for use in children is obliged to evaluate its safety and efficacy for children before it is released for general distribution.“

Derselbe Ansatz wird auch vom Kommentar zu Guideline 15 verfolgt. Demzufolge sollten aufgrund von geistigen Behinderungen nicht-einwilligungsfähige Personen niemals Studiensubjekte sein, wenn die Forschung an Gesunden durchgeführt werden kann. Aber „they are clearly the only subjects suitable for a large part of research into the origins and treatment of certain severe mental or behavioural disorders.“

In beiden Fällen soll die Weigerung der Personen „respektiert“ werden. Aber auch hier zeigt sich, dass die CIOMS-Guidelines das Autonomieprinzip anderen Prinzipien gegenüber nicht unbedingt als höherwertig ansehen. Der Kommentar zu Guideline 14 nimmt das Beispiel eines Kindes mit einer fatalen Krankheit, das der Weiterführung eines sehr belastenden Eingriffs vehement widerspricht. Unter solchen Umständen sollten die Eltern „press an investigator to persist with an investigational intervention against the child’s wishes.“

Es wirkt etwas befremdlich, dass an dieser Stelle die Eltern adressiert werden, zumal Guideline 14 selbst an Prüferinnen gerichtet ist: „when the prospective subjects are […] unable to give informed consent, their agreement will be supplemented by the permission of their legal guardians […]“

In Bezug auf Personen, die aufgrund geistiger Behinderungen nicht einwilligungsfähig sind, geht schon aus dem Wortlaut der Guideline 15 hervor, dass in 331  Der Kommentar zu Guideline 15 führt aus, dass auch nahe Familienangehörige oder sonstige Dritte eigene Interessen verfolgen können, die nicht primär dem Wohl der (potentiellen) Versuchsperson dienen müssen. Daher sei in Bezug auf geistig Behinderte in manchen Rechtsordnungen die substituierende Einwilligung durch Dritte nicht zulässig. Dennoch sei dies nach den CIOMS-Guidelines grundsätzlich zulässig.

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Ausnahmefällen ein Widerspruch der betreffenden Person „aus medizinischen Gründen“ übergangen werden kann, wenn dies nach geltendem Recht zulässig ist. (3) Marginalisierte Personen Guideline 13 verlangt, wie dargestellt, eine besondere Rechtfertigung für Forschung mit besonders schützenswerten Personen. Der Kommentar spezifiziert, welche Personengruppen als besonders schützenswert einzuschätzen sind. Von diesen im Kommentar benannten Personen, die nicht als nicht-einwilligungsfähig zu qualifizieren sind, geht Guideline 10 gesondert auf Personen wirtschaftlich armer Gemeinschaften ein. Obwohl Frauen von dem Kommentar nicht als besonders schützenswert benannt werden, geht Guideline 16 auf Frauen als Versuchspersonen und Guideline 17 auf Schwangere als Versuchspersonen ein. Guideline 10 normiert Voraussetzungen für eine aus CIOMS-Sicht ethische Forschung unter wirtschaftlich armen Bevölkerungsgruppen und Gemeinschaften. Sie normiert jedoch keine spezifischen Schutzstandards, sondern ist wie der entsprechende Passus der Deklaration von Helsinki vor allem als Rechtfertigungstatbestand zu lesen.332 Darüber hinaus spricht sie Aspekte der Verteilungsgerechtigkeit an. Guideline 10 ist wie Guideline 12 inklusiv.333 Demnach gelten nur die allgemeinen Anforderungen der Guideline 13. Der Kommentar zu dieser erfordert etwa, dass Forschung an besonders schützensewerten Personen nur durchgeführt werden soll, wenn sie an anderen Personen nicht möglich ist und wenn bei fehlendem individuellen Nutzen die eingegangenen Risiken nicht höher sind als bei medizinischen Routineeingriffen. Indes ist zu bemerken, dass dies nicht aus dem Wortlaut von Guideline 13 ersichtlich ist und gerade nicht in dieser normiert wurde – anders als im Fall nicht-einwilligungsfähiger Personen. Ebenfalls nur im Kommentar zu Guideline 4 werden einige Schutzmaßnahmen ausgeführt. Als Guideline, die auf Forschung in Entwicklungsländer angelegt ist, bedenkt sie zwar kulturelle Faktoren, geht jedoch nur im Kommentar auf diesen Aspekt ein. Hier wird ausgeführt, dass es in einigen Bevölkerungsgruppen nur „angemessen“ sein könne, Forschung durchzuführen, wenn die Erlaubnis einer Führerin oder eines Ältestenrates oder einer anderen Autorität eingeholt werde. 332 Guideline 10 verlangt von Sponsorinnen und Prüferinnen, dass diese im Vorfeld von Studien, die Bevölkerungsgruppen oder Gemeinschaften mit „limitierten Ressourcen“ umfassen, jede Anstrengung unternehmen, um zu gewährleisten, dass die Forschung den gesundheitlichen Bedürfnissen und Prioritäten dieser Bevölkerungsgruppen oder Gemeinschaften begegnen. Im Weiteren sollen sie gewährleisten, dass jedes Behandlungsverfahren oder Produkt das entwickelt wird, oder Wissen das generiert wird, zum Nutzen dieser Bevölkerungsgruppen oder Gemeinschaften in angemessener Weise zugänglich gemacht wird. 333  Guideline 12 wiederum verlangt eine gleichmäßige Verteilung von Lasten und Nutzen der Forschung unter verschiedenen Bevölkerungsgruppen und Gemeinschaften, die zur Teilnahme an der Studie eingeladen werden. Gleichsam bedarf es – dem inklusiven Ansatz entsprechend – einer Rechtfertigung, wenn Gruppen oder Gemeinschaften, die von der Studie profitieren könnten, ausgeschlossen werden.

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Solche Gebräuche müssten respektiert werden. Jedoch könne diese Erlaubnis unter keinen Umständen die individuelle informierte Einwilligung ersetzen. Diese Auslegung kann jedoch in einer Weise paternalistisch wirken, die die Autonomie potentieller Versuchspersonen untergräbt.334 Dies ist der Fall, wenn die Teilnahme einer freien und mündigen Person nicht nur von ihrer Einwilligung abhängt, sondern auch von derjenigen einer weiteren Autorität, und diese eine Teilnahme ablehnen kann. Dies ist ebenfalls ersichtlich im Umgang der Guidelines mit Frauen.335 Einerseits verfolgen die Guidelines einen inkludierenden Ansatz, indem sie festhalten, dass Frauen und auch Schwangere grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden sollen. Wesentlich sei jedoch, dass gewährleistet werden müsse, dass diese Frauen Zugang zu Kontrazeptionsmitteln erhalten.336 Dies kann rechtlich, aber auch kulturell oder religiös in einem Land eingeschränkt sein. Einerseits wird der grundsätzliche Ausschluss u. a. als unzulässige Verletzung des Selbstbestimmungsrechts erkannt,337 andererseits kann aufgrund „religiöser“ Gründe eine Teilnahme indirekt ausgeschlossen werden, wenn aus diesen Gründen kein Zugang zu Verhütungsmitteln besteht. Das Ausschlusskriterium des Nicht-Zugangs scheint rein normativer (und somit nicht logistischer oder sonstiger faktischer) Natur zu sein, in der Form, dass der Zugang nicht erlaubt ist. Insofern dies aus religiösen Gründen der Fall ist, bleibt unklar, ob dieses Verbot Rechtscharakter haben muss oder ob soziale und religiöse Ächtung hinreichend ist. Auch bleibt im zweiteren Fall unklar, wessen Religiösität ausschlaggebend ist und wer wie ein solches Verbot aussprechen kann, um für diesen Fall wirksam zu sein.338 Jedenfalls weist der Kommentar zu Guideline 16 334 Kritisch Meier, Benjamin Mason, International Protection of Persons undergoing Medical Experimentation: Protecting the Right of Informed Consent, Berkeley Journal of International Law 20 (2002), 513 – 554 [547]. 335  Guideline 16 richtet sich an Prüferinnen, Sponsorinnen und Ethikkommissionen mit der Aufforderung, diese sollten Frauen im gebärfähigen Alter nicht aus der Forschung ausschließen. Die Möglichkeit während einer Studie schwanger zu werden, sollte nicht Grund an sich sein, um eine Studienteilnahme auszuschließen. Jedenfalls sind die Risiken für die Schwangere und den Fötus wesentliche Aufklärungsaspekte. Nach Guideline 17 wiederum sollten schwangere Frauen grundsätzlich als potentiell teilnahmefähig erachtet werden. Allerdings sollten diese nur in Studien einbezogen werden, die relevant für die individuelle Person an sich oder für schwangere Frauen im Allgemeinen sind, wenn in angemessenen Fällen verlässliche Nachweise aus Tierversuchen, insbesondere hinsichtlich der reproduktionstoxischen Risiken, den Versuch stützen. 336  Guideline 16 führt aus, dass, wenn ein Versuch gefährlich für schwangere Frauen oder Föten sein sollte, die Sponsorin oder Prüferin im Vorfeld einen Schwangerschaftstest und Zugang zu Verhütungsmittel garantieren soll. Wenn jedoch aus rechtlichen oder etwa religiösen Gründen ein Zugang zu Verhütungsmitteln nicht möglich sei, sollten gebärfähige Frauen an für sie oder den Fötus gefährlicher Forschung nicht teilnehmen. 337  Commentary on Guideline 16, CIOMS International Ethical Guidelines for Biomedical Research Involving Human Subjects, 2002, Abs. 2. 338  Der Kommentar schweigt sich hierzu aus. Gleichsam konsistent scheint es, dass die CIOMS-Guidelines es grundsätzlich nach Guideline 1 Satz 2 als ein unverzichtbares Merk-

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darauf hin, dass Frauen in manchen Teilen der Welt besonders schützenswert seien, da sie durch ihre Sozialisation dazu konditioniert seien, sich Autoritäten unterzuordnen, keine Fragen zu stellen und Schmerzen und Leiden zu ertragen. In diesen Fällen sei dem informed-consent-Prozess besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Auch darf in keinem Fall die Einwilligung des Ehemanns oder Partners die individuelle Einwilligung ersetzen. Der Kommentar zieht hier jedoch keine eindeutige Grenze, insofern es in einigen Fällen ethisch „highly desirable“ sei, wenn Frauen freiwillig wünschen würden, sich mit ihren Partnern zu beraten bzw. deren Erlaubnis einzuholen. Nur die strikte Anforderung, dass die Erlaubnis des Ehegatten oder Partner eingeholt werden müsse, verstoße wesentlich gegen das Autonomie-Prinzip ­(respect for persons). e)  Streitpunkt: Studiendesign Guideline 11 stellt die allgemeine Regel auf, dass Versuchspersonen in der Kontrollgruppe eine etablierte wirksame Intervention erhalten sollten. Unter einigen Umständen möge es ethisch akzeptabel sein, eine alternative Vergleichsguppe zu wählen, wie ein Placebo oder die Nicht-Behandlung. Ein Placebo könne eingesetzt werden, wenn es keine etablierte wirksame Intervention gibt, wenn das Zurückhalten einer etablierten wirksamen Intervention die Versuchspersonen nur vorübergehenden Unannehmlichkeiten oder einer Verzögerung der Symptomlinderung aussetzt oder wenn eine aktive Kontrolle keine wissenschaftlich validen Resultate bringt und der Einsatz von Placebos den Versuchspersonen keine zusätzlichen Risiken schweren oder irreversiblen Schadens aufbürdet.339 mal ethischer Rechtfertigung erachten, dass die Forschung an sich in den „communities“, in denen sie durchgeführt wird, „moralisch akzeptabel ist“. Dieser Passus, der nicht weiter ausgeführt wird und auch im Kommentar nicht erläutert wird, nimmt explizit Rücksicht auf unterschiedliche Moralvorstellungen in unterschiedlichen Gemeinschaften. Rücksicht auf partikulare Moralvorstellungen sichert zwar eine höhere Akzeptanz. Allerdings darf dies nicht dazu führen, dass individuelle Entscheidungen nicht mehr möglich werden. An dieser Stelle ist der partizipatorische Aspekt beachtenswert. Partikulare Moralvorstellungen, die beispielsweise Kontrazeption ablehnen oder HIV und AIDS tabuisieren, würden dann verhindern, dass an Versuchen interessierte Personen teilnehmen können. Es bleibt aus dem Wortlaut und der Systematik unklar, ob die Forschungsmethoden oder der Forschungsgegenstand oder beide moralisch akzeptabel sein sollen. 339  „As a general rule, research subjects in the control group of a trial of a diagnostic, therapeutic, or preventive intervention should receive an established effective intervention. In some circumstances it may be ethically acceptable to use an alternative comparator, such as placebo or ,no treatment‘. Placebo may be used: – when there is no established effective intervention; – when withholding an established effective intervention would expose subjects to, at most, temporary discomfort or delay in relief of symptoms; – when use of an established effective intervention as comparator would not yield scientifically reliable results and use of placebo would not add any risk of serious or irreversible harm to the subjects.“

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Die CIOMS-Guidelines gehen damit vom Paradigma der aktiven Kontrolle aus. Ebenso bevorzugt der Kommentar die Randomisierung. Von den sonstigen methodologischen Gründen abgesehen, erwähnt dieser auch die Vorzugswürdigkeit aus einer Gerechtigkeitsperspektive, insofern durch eine Randomisierung alle Versuchspersonen am Anfang die gleichen Chancen und Risiken hätten. Das Paradigma der aktiven Kontrolle wird indes dadurch durchbrochen, dass der Einsatz von Placebos notwendig sein könne, um wissenschaftlich valide Ergebnisse zu erzielen. Der Kommentar führt aus, dass klinische Versuche grundsätzlich nur ethisch gerechtfertigt seien, wenn sie wissenschaftlich valide Resultate erbringen könnten. Um die Wirksamkeit und Sicherheit eines Prüfpräparats wissenschaftlich valide nachzuweisen, sei jedoch eine Placebo-Kontrolle „often much more likely“ besser geeignet als eine aktive Kontrolle. In den meisten Arzneimittelversuchen dürften demnach Placebo-Kontrollen – aus methodischen Gründen – den Vorzug erhalten. Unter Umständen, in denen die Vorenthaltung einer wirksamen Behandlung nur leichte Unannehmlichkeiten mit sich bringt oder nur eine Heilungsverzögerung, wie bei gewöhnlichen Erkältungen oder Haarverlust, sei der Placeboeinsatz grundsätzlich nicht unethisch. Nur bei ernsthaften Konsequenzen sei eine Vorenthaltung einer effektiven Behandlung nicht zu rechtfertigen, so etwa bei Krebs oder HIV/ AIDS. Der Kommentar macht auch deutlich, dass die CIOMS-Guideline hinsichtlich der Bestimmung, „if there is no effective intervention“, einen regionalen Ansatz wählt. Eine Ausnahme von der allgemeinen Regel, Versuche aktiv zu kontrollieren, sei nämlich dann gegeben, wenn in dem Land oder der Gemeinschaft eine etablierte wirksame Intervention gewöhnlich aus wirtschaftlichen oder logistischen Gründen gegenwärtig und in absehbarer Zukunft nicht erhältlich sei und der Zweck der Studie darin liege, eine wirksame Alternative zu erforschen, um diese dem Land oder der Gemeinschaft zugänglich zu machen. Demnach müsse die Studie den gesundheitlichen Bedürfnissen dieses Landes oder dieser Gemeinschaft entgegenkommen. In solchen Fälle könne eine Ethikkommission eine Abweichung von der aktiven Kontrolle erlauben. Auffällig ist, dass in solchen Fällen keine Limitierung des Risikos normiert ist, das in Kauf genommen werden kann. Dass dies umstritten ist, zeigt der Kommentar auf, indem er wesentliche ethische Kritikpunkte darlegt und den Vorwurf der Ausbeutung adressiert. Der Kommentar greift damit die gängigen Hauptargumente gegen Placeboversuche in Entwicklungsländern auf.340 Er diskutiert sie jedoch nicht, sondern führt nur einige 340  Die drei Hauptargumente sind dem Kommentar zufolge: (1) Placebo-Kontrollen setzen Versuchsteilnehmerinnen vermeidbaren Risiken großer oder irreversibler Schäden aus. (2) Es ist wissenschaftlich nicht unstreitig, unter welchen Bedingungen eine aktive Kontrolle nicht auch wissenschaftlich valide Ergebnisse erbringen kann. (3) Wirtschaftliche Gründe für die Nichterhältlichkeit einer etablierten wirksamen Intervention können den Einsatz von Placebos in armen Ländern nicht rechtfertigen, wenn es als unethisch angesehen würde, die Studie mit dem gleichen Design in einer Bevölkerungsgruppe, die generell Zugang zu der wirksamen Intervention hat, durchzuführen.

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Argumente an, die dafür sprechen, dass dieses Studiendesign ethisch vertretbar sein kann,341 ohne dezidiert auf die zuvor genannten Gegenargumente einzugehen. Der Kommentar zählt insbesondere nur Argumente gegen den Vowurf der Ausbeutung auf. Die Diskussion der Argumente und die ethische Auseinandersetzung überträgt der Kommentar indes den Ethikkommissionen. Ein Vorschlag des Kommentars liegt darin, Expertenmeinungen einzuholen, um die Frage zu evaluieren, ob dieses Studiendesign wissenschaftlich-methodisch tatsächlich notwendig ist. Ein anderer Vorschlag liegt darin, sich zusichern zu lassen, dass die neue erprobte Intervention der Bevölkerungsgruppe zugänglich gemacht werden soll. Um Placebo-Kontrollen komplett zu vermeiden, schlägt der Kommentar vor, stattdessen Äquivalenzstudien durchzuführen, wenn dies wissenschaftlich sinnvoll ist. Zur Minimierung der Risiken schlägt der Kommentar im Weiteren (die ICH Choice of Control Group Guideline zitierend) vor, add-on-Designs zu verwenden sowie unabhängige data and safety monitoring boards einzurichten, die die Wirkungen und Nebenwirkungen laufend überwachen und im Zweifel einschreiten und sogar den Versuch abbrechen können sollen, wenn die Risiken zu groß werden.

Laut Kommentar bestehen weitere Gründe, aus denen solche Placebo-Kontrollen ethisch kontrovers seien. So würden Sponsorinnen ärmere Länder als Testlaboratorien für Forschung verwenden, welche in reicheren Ländern, in denen allgemeiner Zugang zu etablierten wirksamen Interventionen besteht, nicht möglich ist, um dann, wenn das Prüfpräparat sich als sicher und wirksam erweist, dieses nicht in dem Gastland, sondern in dem reichen Land zu vermarkten. Ein weiterer Grund sei, dass die Versuchsteilnehmerinnen beider Studienarme Patientinnen mit schweren und möglicherweise lebensbedrohlichen Krankheiten seien, die normalerweise keinen Zugang zur etablierten wirksamen Intervention haben. Die Ärztinnen als Prüferinnen müssten nun nach diesem Studiendesign einige ihrer Patientinnen als Versuchspersonen einem Placeboarm (randomisiert) zuweisen. Dies könnte als eine Verletzung der ärztlichen Pflicht zur uneingeschränkten Loyalität gegenüber der Patientin gesehen werden, insbesondere in Fällen, in denen eine wirksame Therapie zugänglich gemacht werden könnte. 341  Ein Argument sei daher, dass, wenn kein allgemeiner Zugang zur wirksamen Intervention besteht, immerhin die neue erprobte Methode „wenn die finanziellen Mittel und Infrastruktur“ gegeben sind, zugänglich gemacht werden könnte. Indes ist dies kein Argument für oder gegen das Studiendesign selbst, wenn die aktive Kontrolle auch von der Sponsorin theoretisch bereitgestellt werden kann. Dies soll jedoch dem Ausbeutungsvorwurf entgegenwirken, insbesondere, wenn eine Gesundheitsbehörde des Gastlandes eine neue kostengünstige Intervention für den eigenen Markt entwickeln möchte. Das zweite Argument ist das der wissenschaftlichen Validität, insbesondere, wenn die Umstände nicht vergleichbar sind (etwa weil sich eine Krankheit unterschiedlich in verschiedenen Bevölkerungsgruppen auswirkt), unter denen bereits Daten zur Sicherheit und Wirksamkeit gewonnen worden sind. Dies ist jedoch ein Argument für die Frage, ob diese Studie grundsätzlich placebo-kontrolliert durchgeführt werden sollte und begegnet damit auch nicht dem Einwand, dass dies gerade wissenschaftlich strittig sein mag.

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f)  Streitpunkte: Benefit Sharing und Verteilungsgerechtigkeit aa) Individuelle Nachbehandlung von Versuchspersonen Nach Guideline 19 „sollten“ die Prüferinnen sicherstellen, dass Versuchspersonen, die aufgrund der Teilnahme an einem Versuch Schädigungen erleiden, berechtigt sind, freie medizinische Behandlung für diese zu erhalten, und für Behinderungen oder Schädigungen finanziell oder auf andere Weise entschädigt werden.342 Nach Guideline 5 Nr. 23 müssen Versuchspersonen hierüber im Vorfeld aufgeklärt werden.343 Der 2. Spiegelstrich der Guideline 21 bestätigt dies nochmals als „ethische Verpflichtung“ von externen Sponsorinnen.344 Eine grundsätzlich kostenlose medizinische Behandlung an sich stellt auch nach Guideline 7 prinzipiell keine „ungebührliche Beeinflussung“ („undue inducement“) dar.345 Einen individuellen Zugang der Versuchsteilnehmerinnen zu der Intervention, wenn sich diese als sicher und wirksam erwiesen hat, wird in keiner Guideline explizit normiert. Allerdings soll nach dem Kommentar zu Guideline 13 die „besondere [ethische] Rechtfertigung“ für Forschung an vulnerablen Personen umfassen, dass den Versuchspersonen und anderen Gruppenmitgliedern „will ordinarily be assured reasonable access to any diagnostic, preventive or therapeutic product that will become available as a consequence of the research.“

Demnach müsste eine inviduelle Nachbehandlung mit dem neuen erprobten Arzneimittel (jedoch nicht etwa mit dem zur Kontrolle verwendeten Standardmittel) zugesichert werden. Der Zugang zu dem neuen Arzneimittel müsste dabei nicht nur rechtlich sondern auch faktisch möglich sein, soll er „reasonable“ sein. Das heißt, dass Versuchspersonen besonders armer Bevölkerungsgruppen finanziell und infrastrukturell ein Zugang ermöglicht werden müsste. Der Kommentar zu Guideline 10 führt dazu aus, dass die Sponsorin den Versuchspersonen das neue 342  „Investigators should ensure that research subjects who suffer injury as a result of their participation are entitled to free medical treatment for such injury and to such financial or other assistance as would compensate them equitably for any resultant impairment, disability or handicap. In the case of death as a result of their participation, their dependants are entitled to compensation. Subjects must not be asked to waive the right to compensation.“ 343  Guideline 5: „Before requesting an individual’s consent to participate in research, the investigator must provide the following information, in language or another form of communication that the individual can understand: […] that treatment will be provided free of charge for specified types of research-related injury or for complications associated with the research, the nature and duration of such care, the name of the organization or individual that will provide the treatment, and whether there is any uncertainty regarding funding of such treatment.“ 344  Guideline 21: „External sponsors are ethically obliged to ensure the availability of: […] – treatment for subjects who suffer injury as a consequence of research interventions; […].“ 345  Guideline 7: „Subjects may be reimbursed for lost earning, travel costs and other expenses incurred in taking part in a study; they may also receive free medical services. […].“

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erprobte Arzneimittel auch während der Zeit, in der die Zulassung durch die Regulierungsbehörde noch schwebt, bereitstellen sollte.346 bb) Gesellschaftlicher Zugang zu den getesteten Arzneimitteln Der 2. Spiegelstrich der Guideline 10 verlangt von Sponsorinnen und Prüferinnen, dass sie vor Studien mit Bevölkerungsgruppen oder Gemeinschaften mit „limitierten Ressourcen“ jede Anstrengung unternehmen, um zu gewährleisten, dass die Intervention und das Produkt, das entwickelt oder das Wissen das generiert wird, diesen Bevölkerungsgruppen oder Gemeinschaften zu deren Nutzen „vernünftigerweise“ zugänglich gemacht werden.347 Für extern gesponserte Forschung verlangt Satz 2 der Guideline 3, dass Gesundheitsbehörden der Gastländer sowie die beteiligten Ethikkommissionen gewährleisten sollen, dass die Forschung den gesundheitlichen Bedürfnissen und Prioritäten der Gastländer entspricht.348 Der Kommentar zu Guideline 10 führt wiederum aus: „the ethical requirement of ,responsiveness‘ can be fulfiled only if successful interventions or other kinds of health benefit are made available to the population.“

Dies gelte vor allem dann, wenn Forschung in Ländern durchgeführt wird, deren Regierungen nicht über die Ressourcen verfügen, um das Produkt allgemein zur Verfügung zu stellen. Wesentlich sei, dass der Zugang „reasonable“ ist. Das heißt, wie der Kommentar zu Guideline 10 auch ausführt, dass das Arzneimittel finanziell erschwinglich für diese wirtschaftlich armen Bevölkerungsgruppen sein sollte. Wenn der Nutzen der Forschung an armen Bevölkerungsgruppen hauptsächlich nur reicheren Bevölkerungsgruppen zugute käme, die sich das Produkt finanziell leisten können, dann könne die Forschung als ausbeutend und damit als unethisch charakterisiert werden. Wenn daher ein Präparat geprüft werden soll, das wesentlich für die Gesundheitsversorgung in einem Gastland ist, dann sollte die Sponsorin praktisch Verhandlungen mit anderen Stakeholdern, wie z.B. Gesundheitsbehörden und Ministerien, wissenschaftlichen und ethischen Interessengruppen und Repräsentantinnen der Bevölkerungsgruppen führen, um Zugangsfragen verwaltungsrechtlicher, logistischer und wirtschaftlicher Art zu klären, die auch Fragen der Distribution und Lizensierung betreffen können, um damit 346 

Commentary on Guideline 10, CIOMS, International Ethical Guidelines for Biomedical Research Involving Human Subjects, Abs. 3. 347  Guideline 10: „Before undertaking research in a population or community with limit­ ed resources, the sponsor and the investigator must make every effort to ensure that: – the research is responsive to the health needs and the priorities of the population or community in which it is to be carried out; and – any intervention or product developed, or knowledge generated, will be made reasonably available for the benefit of that population or community.“ 348  Guideline 3 Satz 2: „The health authorities of the host country, as well as a national or local ethical review committee, should ensure that the proposed research is responsive to the health needs and priorities of the host country and meets the requisite ethical standards.“

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praktisch dem Erfordernis der „responsiveness“ und „reasonable availability“ zu begegnen.349 Dies gilt insbesondere, wenn das Studiendesign eine Placebo-Kontrolle vorsieht. In der Darlegung der ethischen Umstrittenheit von placebo-kontrollierten Studien in wirtschaftlich armen Ländern führt der Kommentar zu Guideline 11 aus, dass dem Ausbeutungsvorwurf wesentlich entgegengekommen werden könne, wenn nach dem Versuch die neue erprobte Intervention in dem Gastland zugänglich gemacht werde. Entsprechend solle die Ethikkommission sich die „Zusicherung“ der Parteien einholen, dass Pläne vereinbart sind, die untersuchte Intervention in dem Gastland bzw. der Gemeinschaft „angemessen“ zugänglich zu machen, sobald deren Sicherheit und Wirksamkeit nachgewiesen worden sind.350 Guideline 21 wiederholt darüber hinaus explizit die Pflicht externer Sponsorinnen, zu gewährleisten, dass nutzenbringende Interventionen und Produkte, die Resultat der Forschung sind, den betreffenden Bevölkerungsgruppen oder Gemeinschaften „vernünftigerweise“ zur Verfügung gestellt werden.351 cc) Sonstiges Benefit Sharing Guideline 20 führt aus, dass bei extern gesponserter, kollaborativer Forschung die Sponsorinnen und Prüferinnen die ethische Verpflichtung hätten, zu gewährleisten, dass biomedizinische Forschungsprojekte, für die sie verantwortlich sind, in Ländern, die nicht über die Kapazitäten verfügen, in ihren Jurisdiktionen wissenschaftliche Qualität oder ethische Akzeptabilität der Forschung zu gewährleisten, effektiv dazu beitragen, die nationalen oder lokalen Kapazitäten zu fördern. Ebenso hätten sie die Pflicht, eine wissenschaftliche und ethische Prüfung und ein Monitoring für solche Forschung bereitzustellen.352 Ein solches capacity build­ 349  Commentary on Guideline 10, CIOMS, International Ethical Guidelines for Biomedical Research Involving Human Subjects, Abs. 2. 350  Commentary on Guideline 11, CIOMS, International Ethical Guidelines for Biomedical Research Involving Human Subjects, Abs. 10, 13, 17. 351  Guideline 21: „External sponsors are ethically obliged to ensure the availability of: – health-care services that are essential to the safe conduct of the research; – treatment for subjects who suffer injury as a consequence of research interventions; and, – services that are a necessary part of the commitment of a sponsor to make a beneficial intervention or product developed as a result of the research reasonably available to the population or community concerned.“ 352  Guideline 20: „Many countries lack the capacity to assess or ensure the scientific quality or ethical acceptability of biomedical research proposed or carried out in their jurisdictions. In externally sponsored collaborative research, sponsors and investigators have an ethical obligation to ensure that biomedical research projects for which they are responsible in such countries contribute effectively to national or local capacity to design and conduct biomedical research, and to provide scientific and ethical review and monitoring of such research. Capacity-building may include, but is not limited to, the following activities: – establishing and strengthening independent and competent ethical review processes/ committees,

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ing könne folgende Aktivitäten, die nicht abschließend aufgezählt sind, umfassen: Einrichten und Stärken unabhängiger und kompetenter Ethikkommissionen und Überwachungsprozesse, Stärkung von Forschungskapazitäten, Entwicklung von Technologien, die angemessen für Gesundheitsversorgung und biomedizinische Forschung sind, Training von Forschungs- und Gesundheitsversorgungsmitarbeiterinnen und Fort- und Weiterbildung der Gemeinschaft, aus welcher die Versuchs­ personen rekrutiert werden. Insofern Kapazitäten aufgebaut werden müssen, um überhaupt eine wissenschaftlich valide und ethisch überwachte Forschung durchführen zu können, ist dies wohl als eine ohnehin bestehende praktische Notwendigkeit zu sehen. Über rein wissenschaftliche Belange hinaus bestehe jedoch auch die ethische Pflicht, Kapazitäten für eine ethische Überwachung der eigenen Forschung aufzubauen, die mit anderen capacity-building-Maßnahmen im Prüfplan festgehalten werden sollen.353 g)  Bewertung Die CIOMS-Guidelines wurden explizit für Forschung in Entwicklungsländern konzipiert. Als solche normieren sie beispielsweise zusätzlich besondere Pflichten von externen Sponsorinnen und sind dabei sehr viel weitreichender in ihren Verpflichtungen als die zuvor genannten Guidelines. Sie haben damit die besonderen Bedürfnisse von Entwicklungsländern besser im Blick. Dies zeigt sich auch an anderen Stellen, wie etwa der Frage des Studiendesigns oder in Aufklärungsfragen. Der Kommentar zu den Guidelines vereinfacht eine Umsetzung von Grundsätzen, indem er klarer macht, wie beispielsweise der besondere Schutz von vulnerablen Individuen ausgestaltet werden sollte. Die CIOMS-Guidelines sind auch die einzigen Normen, die eine theoretische Begründung darlegen und offenlegen auf welchem Diskurs sie aufbauen. Dies hilft bei der Prinzipienausfüllung und Auflösung im Konfliktfall. Indes sind die bereits aufgeführten Defizite des principlism zu erwähnen. So sind quasi kasuistisch für Einzelfälle Überlegungen anzustellen, wie verschiedene – gleichwertige – Prinzipien aufgelöst werden sollen; etwa in dem Fall der planmäßigen Irreführung von Versuchspersonen zu ihrem Wohl. Die Guidelines sind mit ihrem Kommentar umfangreicher, konsistenter und einfacher in der Anwendung und besser auf die Bedürfnisse von Entwicklungsländern zugeschnitten als die Deklaration von Helsinki. Gleichermaßen sind sie auch auf Wissenschaftlichkeit ausgelegt, jedoch mit einer sehr viel größeren Schwerpunktlegung auf Individualschutz und Verteilungsgerechtigkeit. – – – –

strengthening research capacity, developing technologies appropriate to health-care and biomedical research, training of research and health-care staff, educating the community from which research subjects will be drawn.“ 353  Commentary on Guideline 20, CIOMS, International Ethical Guidelines for Biomedical Research Involving Human Subjects, Abs. 1.

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Zur Frage der effektiven Problemlösung ist festzustellen, dass der Kommentar den Diskurs zu kontroversen Fragen, wie dem Placebo-Einsatz aufgreift und die unterschiedlichen Argumente benennt. Dies lässt Raum für Entscheidungen im Einzelfall. Eine eigene Positionierung wird jedoch nicht vorgenommen. Dies mag auch dem principlism geschuldet sein, der im Grunde eine eigene Abwägung für jeden Kollisionsfall von gleichwertigen Prinzipien vorsieht. Unklarheiten werden auch nach den CIOMS-Guidelines auf Ethikkommissionen ausgelagert.

C.  Ergebnis Dieses Kapitel hat aus normativen Legitimitätstheorien praktische Legitimitätsanforderungen, wie Vertretungsgerechtigkeit, Verfahrensfairness und Effektivität der Problemlösung, destilliert. Sodann wurde untersucht, inwieweit die Ethikguidelines diesen Anforderungen entsprechen. Dies wurde als umso dringlicher angesehen, als die Ethikguidelines gerade keine formale Legalität beanspruchen können, die zumindest eine Vermutung der Legitimität begründen würde. I.  Legitimitätsdefizite hinsichtlich Vertretungsgerechtigkeit und Verfahrensfairness Wie dargelegt sind die WMA, die ICH sowie der CIOMS zwar (in unterschiedlichem Maße) darum bemüht, möglichst viele Vertreterinnen verschiedener Länder in ihre Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Dennoch sind reichere Länder stark überrepräsentiert, was teilweise durch die verfolgte Mitglieder- und Abstimmungspolitik verstärkt wird. So sind etwa die Verfahren so gestaltet, dass die wesentliche Deliberation in kleineren Gremien stattfindet, die in einem nochmals überproportionalen Maße aus Repräsentantinnen reicherer Länder bestehen. Vertreterinnen von Versuchspersonen oder der Zivilgesellschaft bleiben zudem meist völlig ausgeschlossen. Vielmehr sind ohnehin sehr gut organisierte Gruppierungen, insbesondere von Ärztinnen, Forscherinnen und pharmazeutischen Unternehmen reicherer Länder, überall sehr stark vertreten. Und selbst innerhalb dieser Gruppen sind bestimmte Untergruppen gegenüber anderen stark überrepräsentiert, etwa große multinationale Unternehmen gegenüber kleinen und mittleren pharmazeutischen Unternehmen oder Ärztinnen in Ärztekammern gegenüber ihren nicht-organisierten Kolleginnen. II.  Legitimitätsdefizite hinsichtlich der effektiven Problemlösung Probleme zeigen sich nicht nur aus der Input-Perspektive: Zwar lässt sich nicht in Abrede stellen, dass die Guidelines von WMA, ICH und CIOMS praxisrelevante und überwiegend sachlich sinnvolle Lösungen für Dilemmata der Forschung in Entwicklungsländern bieten. Zur wichtigen Frage des Schutzes von Versuchspersonen bleiben die Guidelines indes oftmals vage und unbestimmt. Wichtige Aspek-

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te der Arzneimittelforschung und zentrale ethische Streitpunkte werden mitunter schlicht gar nicht adressiert. III.  Effektive materielle Problemlösung durch eine Gesamtschau der Guidelines? Um die Mängel der einzelnen Guidelines auszugleichen, sind verschiedene Akteure dazu übergegangen, zur „ethischen Absicherung“ pauschal auf zwei oder alle drei Guidelines zu verweisen.354 Dies ist jedoch nur bedingt sinnvoll: Gerade in strittigen Aspekten unterscheiden sich die Guidelines teils erheblich, so dass eine gleichberechtigte Anwendung auf eine konkrete normative Fragestellung nicht zu brauchbaren Ergebnissen führen kann. 1.  Unterschiedliche Perspektiven und Spezifizierung Es bestehen große Diskrepanzen darin, wie die Guidelines auf die Spezifika der Arzneimittelforschung eingehen. Die Deklaration von Helsinki, die nur grundsätzliche Prinzipien benennt, gibt auf viele in der Arzneimittelforschung virulente Fragen, etwa des Studiendesigns, keine Antworten.355 Diese finden sich teilweise wiederum in den ICH-Guidelines. Die CIOMS-Guidelines schließlich legen ihren Schwerpunkt mehr auf Fragen der Inklusion vulnerabler Gruppen als auf methodische Probleme.356 354  Siehe beispielsweise für private Unternehmen die Stellungnahme von Pfizer 2008 http://www.pfizer.com/files/research/Helsinki_statement_5_08.pdf; Eli Lillys 2010 entwickelter Bioethics Framework for Human Biomedical Research basiert laut eigener Aussage u. a. auf der Helsinki Deklaration, den ICH-Guidelines und den CIOMS-Guidelines http://www. lilly.com/research-development/approach/research-ethics/Pages/bioethics.aspx; die Posi­ tion von Merck 2012 http://www.merck.com/about/views-and-positions/clinical_trial_ ethics_march2012.pdf. Siehe beispielsweise für Handbücher internationaler Organisationen: UNAIDS/WHO Guidance Document, Ethical Considerations in Biomedical HIV Prevention Trials, 2007, http:// data.unaids.org/pub/manual/2007/jc1349_ethics_2_11_07_en.pdf, S. 8; UNAIDS, Good Participatory Practice, Guidelines for Biomedical HIV Prevention Trials, 2011,  http:// www.unaids.org/en/media/unaids/contentassets/documents/unaidspublication/2011/ JC1853_GPP_Guidelines_2011_en.pdf, S. 6, 48; WHO, Handbook for Good Clinical Re­ search Practice, 2002,  http://ori.hhs.gov/documents/WHOHandbookonGCP04  –  06.pdf, S. 6, 21 ff. Siehe schließlich auch für gesetzgeberische Beispiele oben. 355  Auch weitere praxisrelevante Fragen, etwa ob Sponsorinnen eine Pflichtversicherung abschließen müssen, um ggf. geschädigte Versuchspersonen zu kompensieren, werden von der Deklaration von Helsinki nicht angesprochen. Der Kommentar zur CIOMS-Guideline 19 empfiehlt immerhin eine adäquate Versicherung während die ICH-GCP-Guideline in 5. 8. 1 auf Versicherungspflichten nach nationalem Recht abstellt. 356  Kaan stellt eine fundamentale Entkoppelung der Deklaration von Helsinki und der ICH-GCP-Guideline fest, die er insbesondere an der Rolle der Ärztin und unterschiedlichen Perspektiven auf deren Rolle festmacht. Kaan, Terry, The Worth of Consent: The Ethics

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Grundsätzlich lässt sich damit in einer Zusammenschau ein Ergänzungspotential dergestalt erkennen, dass jeweils die spezifischere Regelung einer jeden Guide­ line zur Anwendung gebracht werden könnte. Bei unterschiedlichen oder gar widersprüchlichen Detailregelungen, denen abweichende normative Wertungen oder Interessen zugrunde liegen, stößt eine solche Lösung jedoch an ihre Grenzen. 2.  Unterschiedliche teils widersprüchliche Detailregelungen So sind mitunter Prinzipien, über die dem Grundsatz nach ein Konsens besteht, im Detail unterschiedlich ausgestaltet. Dass etwa die informierte Einwilligung eingeholt werden muss und dass Voraussetzung hierfür eine umfängliche Aufklärung ist, findet sich in allen drei Guidelines gleichermaßen. Unterschiede bestehen indes in der Aufzählung von Aspekten, die obligatorisch zu einer umfänglichen Aufklärung zählen sollen. Beispielsweise normieren die CIOMS-Guide­lines eine Aufklärungspflicht über alternative Behandlungsmöglichkeiten, über zu erwartende Unannehmlichkeiten für Ehegatten und Partnerinnen, über die Ergebnisse der Forschung oder über die Frage ob aus Proben kommerzielle Produkte hergestellt werden. Die ICH-Guidelines, die ebenfalls einen Aufklärungskanon umfassen, enthalten diese Aspekte nicht, wohl aber eine Aufklärungspflicht über die grundsätzlichen Verantwortlichkeiten der Versuchsperson. Die Deklaration von Helsinki belässt es bei grundsätzlichen Aussagen. Folglich kann es unklar bleiben, ob eine Einwilligung tatsächlich informiert war, wenn über einzelne Details, die Gegenstand abweichender Regelungen sind, nicht aufgeklärt wird. Ob und inwiefern es angemessen sein kann, Versuchspersonen gezielt in die Irre zu führen, wird nur von der CIOMS-Guideline diskutiert. Ähnliche Abweichungen bestehen bei Fragen der Definition und des Schutzes vulnerabler Personen. Alle Guidelines betonen die besondere Aufmerksamkeit, die vulnerablen Personen zukommen soll, und alle Guidelines unterscheiden zwischen nicht-einwilligungsfähigen und sonstigen marginalisierten Personen. Im Detail zeigen sich jedoch unterschiedliche Konzeptionen der verletztlichen Personen an sich, die (etwas paternalistischer) entweder auf grundsätzliche Schutzmaßnahmen – wie bei den CIOMS-Guidelines – oder auf Sicherung der Autonomie – wie bei den ICH-Guidelines – hinauslaufen. Während die CIOMS-Guidelines den Ausschluss von Frauen aufgrund der mangelnden Akzeptanz von Kontrazeptiva aus religiösen Gründen diskutieren, würde diese Problematik nach den ICH-Guidelines und der Deklaration von Helsinki durch die Einwilligung der betroffenen Frauen gelöst werden. Andererseits wären Versuche mit vulnerablen Gruppen nach den CIOMS-Guidelines nur dann zulässig, wenn diesen der Zugang zu den Ergebnissen zugesichert würde. Die ICH-Guidelines und die Deklaration von Helsinki sehen solche Maßnahmen hingegen nicht vor. of Research in a Global Environment, Santa Clara Journal of International Law 5 (2006), 78 – 99 [81  ff.].

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Unterschiede zeigen sich auch in der Konzeption der Einwilligungsfähigkeit an sich. So scheint die Deklaration von Helsinki auf eine faktische Einwilligungsfähigkeit abzustellen. Demgegenüber kommt es nach den ICH-Guidelines auf die rechtliche Einwilligungsfähigkeit an. Unter den CIOMS-Guidelines schließlich muss die Einwilligungsfähigkeit in rechtlicher wie in faktischer Hinsicht vorliegen. Besonders deutlich werden Widersprüche bei der Normierung der Zulässigkeit bzw. Ausgestaltung bestimmter Studiendesigns. Bereits die zugrundegelegten Paradigmen sind unterschiedlich. Während die CIOMS-Guidelines und die Deklaration von Helsinki von einem Paradigma der aktiven Kontrolle ausgehen und somit andere Designs nur ausnahmsweise für zulässig erklären, beruhen die ICH-Guidelines auf dem gegenteiligen Paradigma einer Placebo-Kontrolle, von der nur in bestimmten Fällen aus ethischen Gründen Ausnahmen gemacht werden sollen. 3.  Gegensätzliche Grundausrichtungen Gegensätze bestehen sogar in der jeweiligen Grundausrichtung. Dies zeigt sich beim Kontrollgruppenparadigma, womit die ICH-Guidelines grundsätzlich von den beiden anderen Normbeständen abweichen. Ein weiteres Beispiel stellt der Schutz marginalisierter Personen dar, d. h. vulnerabler Individuen, die nicht aufgrund mangelnder Einwilligungsfähigkeit besonders schützenswert sind. Die CIOMS-Guidelines normieren hier Schutzmaßnahmen (wie beispielsweise eine Subsidiarität) und zusätzliche Anforderungen (wie beispielsweise Zugang zu neuen Arzneimitteln nach Studienende), die die anderen Guidelines nicht aufweisen. Auch in weiteren Fragen der Verteilungsgerechtigkeit gehen die CIOMS-Guidelines weiter, indem sie Pflichten zur Ermöglichung des Zugangs zu Arzneimitteln sowie Pflichten des darüber hinausgehenden capacity buildings normieren. Bei vielen Fragen stehen sich folglich gegensätzliche Prinzipien gegenüber, die eines Ausgleichs bedürfen. Eine Möglichkeit des Umgangs wäre die bereits angesprochene Zweifelsregelung, wonach etwa bei Fragen der Inklusion verletzlicher Personen in Arzneimittelversuche die CIOMS-Guidelines als die restriktivste Regelung zum Tragen kommen sollte. Allerdings steht diesem Vorgehen entgegen, dass eine Inklusion auch vorteilhaft ist und gerade auch ermöglicht werden soll. Auch bleibt die Frage ungeklärt, wie viele Leistungen von Unternehmen zu erwarten sind, die in Entwicklungsländern forschen, d. h. ob diese überhaupt die Pflicht haben, ihre Arzneimittel allgemein zugänglich zu machen, ob sie auch andere Arzneimittel zugänglich machen müssen und ob sie darüber hinaus In­ frastrukturmaßnahmen übernehmen sollten. Hier treffen die Guidelines ebenfalls unterschiedliche Aussagen. Es bestehen gerade keine anerkannten Metaprinzipien oder Konfliktlösungsregeln. Folglich stehen sich einzelne Guideline-Normen mit einer unterschiedlichen Gewichtung bestimmter Prinzipien gegenüber, ohne dass Widersprüche aufgelöst werden können.

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Teil 2: Arzneimittelversuche und Ethikguidelines

4.  Universaler oder regionaler Standard? Nicht völlig deckungsgleich sind die Guidelines schließlich in der Frage, ob ein regionaler oder universaler Standard verfolgt wird. Die Deklaration von Helsinki und die CIOMS-Guidelines scheinen grundsätzlich einen universalen Ansatz zu verfolgen. Sie lassen jedoch gerade in strittigen Fragen, wie etwa dem Studiendesign die Anwendung eines regionalen Ansatzes zu. Demgegenüber scheinen die ICH-Guidelines von vornherein stärker auf einen regionalen Ansatz ausgerichtet. 5.  Zusammenschau In der Zusammenschau ergibt sich damit ein Bild, das fraglich erscheinen lässt, wie die Guidelines gleichzeitig zur Anwendung kommen sollen. Grundsätzlich lautet die Frage, ob ein Maximalziel oder ein Minimalziel verfolgt werden soll. So könnte einerseits vertreten werden, dass in Kollisionsfällen im Zweifel die Guideline mit dem höchsten Schutzstandard zur Anwendung kommen sollte. Andererseits ließe sich auch argumentieren, dass im Zweifel die permissivste und damit forschungsfreundlichste Guideline Anwendung finden sollte. Dies ist noch relativ unproblematisch, wenn nur ein Prinzip betroffen ist, über das im Grundsatz ein Konsens besteht. So ließe sich etwa bei Fragen der Aufklärung wohl noch am ehesten eine Maximalforderung begründen. Schwierigkeiten treten indes gerade dann auf, wenn verschiedene Belange konfligieren und kein Konsens besteht. Die Anwendung der Guidelines ist also genau dann prekär, wenn sie als besonders notwendig erscheint. Es sind genau diese Fragen, die besonders ethisch umstritten sind und genau diese Fragen, zu deren Klärung Guidelines beitragen sollen, wie etwa Fragen der zulässigen Studiendesigns. Der reflexhafte Gesamtverweis lässt damit in entscheidenen Detailfragen offen, was als „ethische Forschung“ anzusehen ist. Im Zweifel werden diese Fragen weiter an Ethikkommissionen ausgelagert. Damit ist die Gefahr verbunden, dass die formale Inbezugnahme an die Stelle einer konkreten Umsetzung tritt. So führte Japan offenbar das Erfordernis einer schriftlichen Einwilligung erst im Zuge der ICH-GCP-Guideline ein, obwohl eine Befolgung und Umsetzung der Deklaration von Helsinki schon lange vorher im japanischen Recht vorgesehen war.357 Ferner besteht die Befürchtung, dass sich im Zweifel die praktikabelste, das heißt wohl meist die permissivste, Guideline durchsetzen wird. Dies legt zumindest die rasche Verbreitung der ICH-Guidelines nahe. Damit setzt sich in der Praxis ausgerechnet derjenige Normenbestand durch, der am wenigsten für die Forschung in Entwicklungsländern ausgelegt ist. Dasselbe lässt sich auch im Hinblick auf die Frage des Studiendesigns konstatieren. Denn während die Deklaration von Helsin357  Molzon, Justina A./Giaquinto, Alex/Lindstrom, Lenita/Tominaga, Toshiyoshi/Ward, Mike, et al., The Value and Benefits of the International Conference on Harmonisation to Drug Regulatory Authorities: Advancing Harmonization for Better Public Health, Clinical Pharmacology & Therapeutics 89 (2011), 503 – 512 [508 f.].

§ 4  Legitimität der Ethikguidelines

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ki und die CIOMS-Guidelines vom Paradigma der aktiven Kontrolle ausgehen, ist das Paradigma der Placebo-Kontrolle, wie es von den ICH-Guidelines vertreten wird, als Goldstandard in der Forschung vorherrschend. Im Ergebnis birgt so die kombinierte Anwendung der Ethikguidelines die Gefahr, dass sich Akteure im öffentlichen Diskurs hinter den strengsten Normen verstecken, während sie sich in der Praxis an den permissivsten Regelungen orientieren. IV.  Weitere Fragestellung Eine Regulierung globaler Arzneimittelversuche durch private Guidelines weist demnach wesentliche Legitimitätsdefizite auf, nicht nur aus der Perspektive der Vertretungs- und Verfahrensgerechtigkeit, sondern auch in Hinblick auf ihre Fähigkeit, sinnvolle Handlungsanweisungen zu bieten. Vor diesem Hintergrund untersucht der nun folgende dritte Teil dieser Arbeit, ob sich Antworten auf die drängenden Fragen von Arzneimittelversuchen nicht dem Völkerrecht, namentlich den Regeln des internationalen Menschenrechtsschutzes, entnehmen lassen. Zu prüfen ist mithin, ob und inwieweit einzelne Streitpunkte der Forschung an Menschen de lege lata von universalen und regionalen Menschenrechtsübereinkommen erfasst werden und vielleicht bereits völkergewohnheitsrechtlich oder als allgemeiner Rechtsgrundsatz entschieden sind. In diesem Zusammenhang wird auch zu erörtern sein, inwieweit private Unternehmen an den menschenrechtlichen Mindeststandard zum Schutz von Versuchspersonen unmittelbar gebunden sind und ob Staaten (das heißt insbesondere westliche Industriestaaten) verpflichtet sind, diesen menschenrechtlichen Standard ggf. extraterritorial durchzusetzen.

Teil 3

Arzneimittelversuche und Menschenrechte Teil 3: Arzneimittelversuche und Menschenrechte

§ 5  Menschenrechte der Forschung an Menschen A.  Zunehmende Perzeption bioethischer Fragen als Regelungsgegenstände des Völkerrechts I.  Gemeinsamer Ursprung, unterschiedliche Entwicklung Fragen der klassischen Medizin- und Bioethik sind traditionell ausschließlich als ethische Fragen wahrgenommen worden und weniger als solche internationalen Rechts. Dies zeigt sich auch darin, dass der moderne Menschenrechtsschutz sowie die moderne Bioethik ihren gemeinsamen Ursprung in der Aufbereitung des Zweiten Weltkrieges in den Nürnberger Prozessen hatten, in dem Versuch eine Wiederholung dieser Gräueltaten zu verhindern.1 Die Deklaration von Helsinki von 1964 und die Menschenrechtspakte der Vereinigten Nationen von 1966 sind dabei in die gleiche Zeit gefallen. Beide Regimes entwickelten sich jedoch zunächst relativ unabhängig von einander. In das Blickfeld des Menschenrechtsdiskurses scheinen Fragen der Forschung an Menschen erst mit dessen dynamischer Entwicklung in jüngerer Zeit gekommen zu sein, obwohl und gerade auch weil diese Aspekte von vornherein im Menschenrechtsschutzsystem mitbedacht waren, wie Art. 7 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte zeigt. II.  Konvergenz von Bioethik und Menschenrechten? Seit den 1990er Jahren sind einige unverbindliche Übereinkommen erzielt worden, die bioethische Themen adressieren, insbesondere die UNESCO Universal Declaration on Bioethics and Human Rights, sowie rechtlich verbindliche Übereinkommen auf regionaler Ebene, namentlich die Biomedizinkonvention des Europarates und ihre Zusatzprotokolle. Die Emergenz dieser Übereinkommen hat die Frage aufgeworfen, ob es zu einer Konvergenz von Bioethik und Menschenrechten 1  Es ist wohl kein Zufall, dass die Geburtsstunde der modernen Bioethik und des modernen Menschenrechtsschutzes zur gleichen Zeit am gleichen Ort stattfanden. Ashcroft, Richard E., The Troubled Relationship between Bioethics and Human Rights, in: Freeman, Michael (Hrsg.), Law and Bioethics, 11, 2008, S. 31 – 51 [31].

§ 5  Menschenrechte der Forschung an Menschen

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kommen 2 bzw. ob der Menschenrechtsansatz die Bioethik ablösen könnte oder ob sich die medizinische Ethik unter den Menschenrechtsschutz subsumieren ließe.3 Prämisse der Diskussion ist die getrennte Perzeption der Regelungsbereiche von Menschenrechten und Bioethik. Mit den Übereinkommen, die eine Konvergenz nahe legen, ist – insbesondere im ethischen Diskurs – eine Debatte losgetreten worden, die sich letztlich darum dreht, welcher normative Ansatz „besser“ bzw. adäquater sei. Hierfür werden vor allem praktische Argumente angeführt, die für oder gegen einen „rechtsnormativen Ansatz“ sprechen sollen. So wird etwa der Vorteil der Sprache des Menschenrechtsdiskurses als lingua franca hervorgehoben ebenso wie die rechtspolitisch wirksamere „Hebelwirkung“ der Menschenrechte.4 Darüber hinaus wird das Argument der Notwendigkeit der Verpflichtung anderer Akteure insbesondere multinationaler Unternehmen erhoben, da diese „wenig Verständnis für medizinische Ethik“ zeigten, jedoch eine immer größere Rolle in medizin-ethischen Bereichen spielen.5 Dem liegt eine gewisse Ratlosigkeit zugrunde, wie mit diesen Übereinkommen umzugehen ist. Wohl besteht aus bioethischer Sicht auch die Angst einer Übernahme der Diskussionshoheit durch den menschenrechtlichen Diskurs. Allerdings bestehen auch im menschenrechtlichen Diskurs Vorbehalte dagegen, „die Menschenrechte“ mit zuviel Inhalt zu überlasten.6 Die Fragen des Verhältnisses der UNESCO Erklärung und der Biomedizinkonvention des Europarates und ihrer Zusatzprotokolle zu „klassischen“ Menschenrechtsübereinkommen und zum bioethischen Diskurs stellen sich, da diese durchaus als „Konvergenzen“ oder als „Schnittstellen“ erachtet werden können, zumal die Interdependenzen und Bezugnahmen offensichtlich sind. Aus rechtspositivistischer Perspektive ist jedoch festzuhalten, dass, ungeachtet der Diskussionen im bioethischen Diskurs, die Biomedizinkonvention und ihre Zu2  Ashcroft, Richard E., The Troubled Relationship between Bioethics and Human Rights, in: Freeman, Michael (Hrsg.), Law and Bioethics, 2008, S. 31 – 51; Ashcroft, Richard E., Could Human Rights Supersede Bioethics?, Human Rights Law Review 10 (2010), 639 – 660; kritisch Sperling, Daniel, in: Freeman, Michael (Hrsg.), Law and Bioethics, 2008, S.  52 – 78. 3  Faunce, T.A., Will International Human Rights Subsume Medical Ethics? Intersections in the UNESCO Universal Bioethics Declaration, Journal of Medical Ethics 31 (2005), 173 – 178; Corrigan, Oonagh/McMillan, John/Liddell, Kathleen/Richards, Martin/Weijer, Charles (Hrsg.), The Limits of Consent – A Socio-Ethical Approach to Human Subject Research in Medicine, 2009, S. 173 – 178; in Antwort auf Faunce weniger weitgehend: Manson, Neil C./O‘Neill, Onora, Rethinking Informed Consent in Bioethics, 2007, S. 639 – 660. 4  Ashcroft, Richard E., Could Human Rights Supersede Bioethics?, Human Rights Law Review 10 (2010), 639 – 660 [643, 646]. 5  Faunce, T. A., Will International Human Rights Subsume Medical Ethics? Intersections in the UNESCO Universal Bioethics Declaration, Journal of Medical Ethics 31 (2005), 173 – 178 [176]. 6 Grundsätzlich Alston, Philip, Conjuring up New Human Rights: A Proposal for Quality Control, American Journal of International Law 78 (1984), 607 – 621.

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Teil 3: Arzneimittelversuche und Menschenrechte

satzprotokolle als völkerrechtliche Abkommen Rechtsgeltung beanspruchen. Ashcroft kritisiert zu Recht, dass Faunce keine Unterscheidung von hard und soft law vornimmt, die UNESCO Erklärung jedoch ein rechtlich unverbindliches Übereinkommen ist.7 Dennoch ist diese Erklärung das Ergebnis eines umfassenden Abstimmungsprozesses von Staaten, die, wenn es beabsichtigt gewesen wäre, auch als rechtsverbindlich hätte abgeschlossen werden können. Maßgeblich ist daher, dass die Biomedizinkonvention und ihre Zusatzprotokolle sowie die UNESCO Universal Declaration on Bioethics and Human Rights, die u. a. den Schutz der Würde, des Lebens, der Integrität und Gesundheit von einzelnen Menschen normieren, zwar Interdependenzen mit dem ethischen Diskurs und Ethikguidelines aufweisen, jedoch als Recht bzw. als soft law, Instrumente des Menschenrechtsschutzes darstellen. Mit der Feststellung der Legalität gilt für sie schließlich die Vermutung der Legitimität.

B.  Relevante Übereinkommen Insoweit eine zunehmende Notwendigkeit erkannt wurde, Fragen der Bioethik im Allgemeinen und der Forschung an Menschen im Speziellen durch Übereinkommen auf Staatenebene bzw. auf Ebene internationaler Organisationen zu regeln, sind in den letzten zwei Dekaden solche spezifischen unverbindlichen und verbindlichen Vereinbarungen erzielt worden. Da jedoch auf universaler Ebene noch kein verbindliches Übereinkommen zur Regelung von Forschung an Menschen besteht, ist es umso wesentlicher herauszustellen, dass die Materie auch von allgemeinen Menschenrechtspakten umfasst ist. Relevante allgemein universale Abkommen sind insbesondere der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) von 19668 sowie dessen 1. Fakultativprotokoll von 19669, der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPWSKR) von 196610 sowie dessen 1. Fakultativprotokoll von 200811, das Übereinkommen zur Beseitigung 7  Ashcroft, Richard E., Could Human Rights Supersede Bioethics?, Human Rights Law Review 10 (2010), 639 – 660 [652]. 8  UN Doc. A/6316 (1966), 999 U.N.T.S. 171; BGBl. 1973 II, 1533. Der IPBPR von 1966 ist am 03. 01. 1976 in Kraft getreten. Der IPBPR ist von 167 Staaten – auch von Deutschland und den USA – ratifiziert worden. China hat den IPBPR gezeichnet aber bisher nicht ratifiziert. Zum Menschenrechtsausschuss siehe Tomuschat, Christian, Human Rights Committee, in: Wolfrum, Rüdiger (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, online edition [www.mpepil.com], 2008, Rnrn. 16 ff. 9  999 U.N.T.S. 171; BGBl. 1992 II, 1246. Das 1. Fakultativprotokoll ist am 23. 03. 1976 in Kraft getreten und mit Stand von 2015 von 114 Staaten (nicht von den USA) ratifiziert worden. 10  BGBl 1973 II, 1569. Der IPWSKR ist am 03. 01. 1976 in Kraft getreten und mit Stand von 2015 von 164 Staaten – auch von Deutschland, aber nicht von den USA (dafür von China) – ratifiziert worden. Ähnlich dem HRC verfügt der IPWSKR über ein Organ, das Staatenberichte auswertet und General Comments verfasst. 11  G.A. Res. A/RES/63/117, UN Doc. A/63/435. Das 1. Fakultativprotokoll zum IPWSKR ermöglicht es ähnlich dem 1. Fakultativprotokoll zum IPBPR, Individualbeschwerden

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jeder Diskriminierung der Frau (CEDAW) von 197912 und dessen Zusatzprotokoll13, das Übereinkommen über die Rechte des Kindes von 198914, das Übereinkommen über die Rechte von Personen mit Behinderungen von 200615 und dessen Fakultativ­ protokoll von 200616 sowie die ILO Konvention Nr. 169 über die Rechte indigener Völker von 198917. Regionale allgemeine Übereinkommen umfassen insbesondere die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) von 195018, die Europäische (bzw. Individualmitteilungen) zum CESCR zu erheben. Es ist 2013 in Kraft getreten und mit Stand von 2015 von 20 Staaten ratifiziert. Hierzu Grote, Rainer, The Optional Protocol to the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights – Towards a more Effective Implementation of Social Rights?, in: Hestermeyer, Holger/König, Doris/MatzLück, Nele/Röben, Volker/Seibert-Fohr, Anja, et al. (Hrsg.), Coexistence, Cooperation and Solidarity – Liber Amicorum Rüdiger Wolfrum, I, 2012, S. 417 – 436. 12  1249 U.N.T.S. 13. Die CEDAW ist am 03. 09. 1981 in Kraft getreten und mit Stand von 2015 von 188 Staaten ratifiziert worden. Sie zielt dem Titel entsprechend auf die Beseitigung jeder Diskriminierung von Frauen und ist von der ganz überwiegenden Mehrheit der UN-Mitgliedstaaten und somit auch von der überwiegenden Mehrheit der islamisch geprägten Staaten ratifiziert worden, von denen jedoch viele einen Sharia-Vorbehalt formuliert haben. Die CEDAW enthält auch soziale Rechte wie das Recht auf Gesundheit. Ein Committee on the Elimination of all Forms of Discrimination against Women wertet Länderberichte aus und verfasst General Comments. Vgl. auch Tomuschat, Christian, Human Rights – Between Idealism and Realism, 2. Aufl., 2008, S. 76 f. 13  2131 U.N.T.S. 83; BGBl 2001 II, 1237. Das Committee on the Elimination of all Forms of Discrimination against Women nimmt, nach Erschöpfung des nationalen Rechtswegs, Mitteilungen von Individuen entgegen, die der Herrschaftsgewalt eines der 105 Staaten unterliegen, die mit Stand von 2015 das Fakultativprotokoll zur CEDAW ratifiziert haben. 14 1577 U.N.T.S. 3; BGBl 1992 II, 121. Die UN-Kinderrechtskonvention ist am 02. 09. 1990 in Kraft getreten und mit Stand von 2015 von 194 Staaten ratifiziert worden. Sie ist auf jede Person anzuwenden, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, soweit die Volljährigkeit nach dem auf das Kind anzuwendende Recht nicht eher eintritt. Die Kinderrechtskonvention enthält unter anderem das Recht auf Leben oder den Schutz vor körperlicher und geistiger Schädigung und auch soziale Rechte wie das Recht auf Gesundheit. 15  G.A. Res. A/RES/61/106, UN Doc. A/61/611; BGBl 2008 II, 1419. Die Behindertenrechtskonvention ist 2008 in Kraft getreten und mit Stand von 2015 von 153 Staaten ratifiziert worden – u. a. von Deutschland, der EU und auch China oder Indien, jedoch nicht von den USA, welche das Übereinkommen jedoch gezeichnet haben. Die Implementierung wird von dem Committee on the Rights of Persons with Disabilities (CRDP) überwacht. 16  G.A. Res. A/RES/61/106, UN Doc. A/61/611; BGBl 2008 II, 1419. Das CRDP prüft Mitteilungen von Individuen, die der Herrschaftsgewalt der 86 Staaten unterliegen, die mit Stand von 2015 das Fakultativprotokoll zur Behindertenrechtskonvention von 2006, das seit 2008 in Kraft ist, ratifiziert haben. 17  72 ILO Official Bull. 59. Die ILO Konvention Nr. 169 ist 1991 in Kraft getreten und eine Revision der früheren ILO Konvention Nr. 107 von 1957. Sie zählte 2015 20 Vertragsparteien; in der überwiegenden Mehrzahl lateinamerikanische Staaten. 18  C.E.T.S. No.: 204. Die EMRK ist 1953 in Kraft getreten und von allen 47 Mitgliedstaaten des Europarates ratifiziert worden. Mittlerweile bestimmt auch Art. 6 Abs. 2 S. 1 des EUV den Beitritt der EU zur EMRK. Auf Seiten des Europarates ist mit der bis zuletzt ausstehenden Ratifikation Russlands des 14. Zusatzprotokolls am 18. 02. 2010 die EMRK

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Sozialcharta von 196119, die Amerikanische Menschenrechtskonvention (AMRK) von 196920 und deren Zusatzprotokoll über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Protokoll von San Salvador) von 198821 und die Afrikanische Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker (Banjul-Charta) von 198122. dahingehend geändert worden, dass mit Inkrafttreten am 01. 06. 2010 ein Beitritt der EU ermöglicht wird. Der Grundrechtstatbestand ist mit Stand von 2015 durch 14 Zusatzprotokolle erweitert worden. Die Besonderheit der EMRK liegt in ihrem Rechtsschutzsystem zur gerichtlichen Durchsetzung ihrer Garantien mit der seit dem 1998 in Kraft getretenen 11. Zusatzprotokoll (C.E.T.S. No. 155) für alle Mitgliedstaaten obligatorischen Einräumung der direkten Individualbeschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. 19 C.E.T.S. No. 35; BGBl 1964 II, 1261. Die Europäische Sozialcharta von 1961 ist 1965 in Kraft getreten und ist bis 2015 von 27 Staaten ratifiziert worden. Sie enthält über die EMRK hinaus wirtschaftliche und soziale Rechte, derer weitere im Zusatzprotokoll (C.E.T.S. No. 128) zur Sozialcharta garantiert werden. Sie garantiert unter anderem das Recht auf Schutz der Gesundheit. 20  O.A.S.T.S No. 36, 1144 U.N.T.S. 123. Die AMRK ist 1978 in Kraft getreten und bis 2015 von 25 der 35 Mitgliedstaaten der Organization of American States (OAS), aber nicht von den USA und Kanada, ratifiziert worden. Jedoch haben alle Mitgliedstaaten die Charta der OAS ratifiziert, die allgemein gehaltene Bestimmungen zum Schutz der Menschenrechte enthält. Die AMRK enthält bürgerliche und politische Rechte, auch wenn teilweise eine soziale Dimension dieser Rechte aus der AMRK abgeleitet wird. Die AMRK sieht die Einrichtung der Interamerikanischen Menschenrechtskommission und des Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte (Corte Interamericana de Derechos Humanos, CIDH) vor. Der CIDH ist dem Modell des EGMR vor Inkrafttreten des 11. Zusatzprotokolls nachempfunden und kann nicht direkt sondern nur durch die Vertragsstaaten und die Kommission angerufen werden. Individualbeschwerden können jedoch der Kommission vorgetragen werden. Die Gerichtsbarkeit durch den CIDH ist nicht obligatorisch wie die des EGMR, sondern muss nach Art. 62 Abs. 1 der AMRK ausdrücklich anerkannt werden. Hierzu Tomuschat, Christian, Human Rights – Between Idealism and Realism, 2008, S. 257. 21  O.A.S.T.S. No. 69. Das Protokoll von San Salvador ist 1999 in Kraft getreten und mit Stand von 2015 von 16 Staaten ratifiziert worden. Es enthält wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte wie das Recht auf Gesundheit. Hierzu Labardini, Rodrigo, El Protocolo Adicional a la Convención Americana sobre Derechos Humanos en Materia de Derechos Económicos, Sociales y Culturales, Protocolo de San Salvador, Revista de Investigaciones Jurídicas 22 (1998), 189 – 251. 22  Die Banjul-Charta ist 1986 in Kraft getreten und von 53 der 54 Mitgliedstaaten der Afrikanischen Union ratifiziert worden. Sie wurde mit Stand 2015 noch nicht durch den Südsudan ratifiziert. Die Banjul-Charta enthält sowohl individuelle bürgerliche, politische sowie wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte als auch kollektive Rechte. Die Durchsetzung obliegt der Afrikanischen Kommission der Menschenrechte und Rechte der Völker (ACommHPR). Die ACommHPR nimmt Mitteilungen von Staaten entgegen und hat ein Individualbeschwerdeverfahren entwickelt. Mit in Kraft treten des Protokolls zur Banjul-Charta im Jahr 2004 ist ein Afrikanischer Gerichtshof für Menschenrechte und Rechte der Völker (ACtHPR) errichtet worden, dessen Gerichtsbarkeit die 24 Vertragsparteien (Stand 2015) des Protokolls unterliegen. Allerdings sieht das Protokoll keine Möglichkeit der Individualbeschwerde zum ACtHPR vor. Individuen können aber nach Art. 5 Abs. 1 des Protokolls von ihren Staaten oder der ACommHPR vertreten werden. Hierzu Killander, Magnus, Regional Co-operation and Organization: African States, in: Wolfrum, Rüdiger

§ 5  Menschenrechte der Forschung an Menschen

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Als spezifische regionale23 Übereinkommen, die Forschung an Menschen thematisieren, sind die Biomedizinkonvention des Europarates von 1996,24 die 1999 in Kraft getreten ist, und ihr Zusatzprotokoll betreffend biomedizinische Forschung25 von 2005 hervorzuheben. Die Reichweite der Konvention ist jedoch relativ eingeschränkt, da die Konvention mit Stand 2015 nur von 29 Mitgliedstaaten ratifiziert worden ist, unter anderem nicht von bedeutenden Mitgliedstaaten wie Deutschland, Großbritannien, Italien oder den Niederlanden. Insbesondere in der deutschen Debatte ist der niedriege Schutzstandard der Konvention bemängelt worden.26 Die Biomedizinkonvention wird mit Stand 2015 von vier Zusatzprotokollen ergänzt. Das Zusatzprotokoll betreffend biomedizinische Forschung ist Stand 2015 von (nur) neun Staaten ratifiziert und von weiteren 13 gezeichnet worden und seit 2007 in Kraft. Es enthält neben programmatischen Prinzipien konkretere Ausführungen der bereits in der Biomedizinkonvention niedergelegten Rechte und Pflichten. Der Umfang der rechtlichen Verpflichtung der Staaten ergibt sich nach Art. 38 Abs. 1 des IGH-Statuts aus den Bestimmungen dieses benannten einschlägigen Völkervertragsrechts, Völkergewohnheitsrecht sowie den allgemeinen Rechtsgrundsätzen als „eine Art offizielle Rechtsquellenlehre“27 nach klassischem Verständnis des Völkerrechts. Neben den verbindlichen völkerrechtlichen Überein(Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, online edition [www.mpepil. com], 2008. 23  Die BMK ist regional auf die Mitglieder des Europarates beschränkt, auch wenn sie nach Art. 33 Nr. 1 den Nichtmitgliedsstaaten, die an der Ausarbeitung mitgearbeitet haben, Australien, Kanada, Japan, den USA und dem Vatikan sowie der Europäischen Union offen steht. Vgl. Explanatory Report on the Convention for the Protection of Human Rights and Dignity of the Human Being with regard to the Application of Biology and Medicine: Convention on Human Rights and Biomedicine, C.E.T.S. No. 164, Rn. 171. 24  Convention for the Protection of Human Rights and Dignity of the Human Being with regard to the Application of Biology and Medicine: Convention on Human Rights and Biomedicine, C.E.T.S. No. 164. 25  C.E.T.S. No. 195. 26  Der Umstand, dass die BMK nicht-therapeutische Forschung an Nicht-Einwilligungsfähigen nicht ausschließt war dabei der umstrittenste Kritikpunkt. de Wachter, Maurice A. M., The European Convention on Bioethics, The Hastings Center Report 27 (1997), 13 – 23; Riedel, Eibe, Die Menschenrechtskonvention zur Biomedizin des Europarats – Ein effektives Instrument zum Schutz der Menschenrechte oder symbolische Gesetzgebung?, in: Taupitz, Jochen (Hrsg.), Das Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin des Europarates, 2002; Taupitz, Jochen, Die Menschenrechtskonvention zur Biomedizin zwischen Kritik und Zustimmung, in: Taupitz, Jochen (Hrsg.), Das Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin des Europarates, 2002; optimistisch Roscam Abbing, Henriette D.C., The Convention on Human Rights and Biomedicine – An Appraisal of the Council of Europe Convention, European Journal of Health Law 5 (1998), 377 – 387. 27  Bothe, Michael, Private Normunternehmer im Völkerrecht: Gedanken zur Fortentwicklung des Völkerrechts durch nicht-staatliche Institutionen, in: Hestermeyer, Holger/König, Doris/Matz-Lück, Nele/Röben, Volker/Seibert-Fohr, Anja, et al. (Hrsg.), Coexis­tence,

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kommen, kann dabei auch soft law, welches auf einen Staatenwillen zurückgeführt werden kann,28 von Bedeutung sein, insofern es entweder zur Auslegung des geltenden Rechts herangezogen wird oder als „Kristallisationspunkt des Völkergewohnheitsrechts“29 fungiert. Als solches soft law ist die UNESCO Universal Declaration on Bioethics and Human Rights an (Allgemeine Erklärung über Bioethik und Menschenrechte) von 2005 zu benennen.30 Die Erklärung umfasst als erste ihrer Art, ethische Fragen der Forschung an Menschen in einem Dokument, das auf universeller Ebene den Anspruch erhebt, als Modell für ein universelles multilaterales Übereinkommen dienen zu können.31

Cooperation and Solidarity – Liber Amicorum Rüdiger Wolfrum, II, 2012, S. 1399 – 1412 [1399]. 28  Es wird wie bereits dargelegt ein soft-law-Begriff zugrunde gelegt, der solche verhaltensbezogenen Regelungen umfasst, die von Hoheitsträgern bzw. mit der Ausübung von Hoheitsgewalt befassten Stellen geschaffen werden. Siehe oben § 3 A. I. Begriffsbestimmung Soft Law. 29  Riedel, Eibe, Standards and Sources. Farewell to the Exclusivity of the Sources Triad in International Law?, European Journal of International Law 2 (1991), 58 – 84 [68]; Heusel, Wolfgang, „Weiches“ Völkerrecht, 1991, S. 279 f. 30 Zum Hintergrund und zur Entstehungsgeschichte ten Have, Henk, The UNESCO Universal Decaration on Bioethics and Human Rights, 2009, S. 17 – 55. 31  Die Erklärung steht dabei nicht isoliert, sondern ist eingebettet in den Menschenrechtsrahmen und verweist in ihrer Präambel nicht nur auf relevante Menschenrechtsübereinkommen und unverbindliche Beschlüsse der FAO oder WHO, sondern auch auf die drei als besonders relevant erachteten bioethischen Instrumente BMK, Deklaration von Helsinki und International Ethical Guidelines for Biomedical Research Involving Human Subjects der CIOMS. Explanatory Memorandum on the Elaboration of the Preliminary Draft Declaration on Universal Norms on Bioethics vom 21. 02. 2005; UNESCO Doc. SHS/EST/05/ CONF.203/4, Rn. 15. Unter dem Stichwort „Existing International Legal Framework“ werden vom Report of the IBC on the Possibility of Elaborating a Universal Instrument on Bioethics die Ethikrichtlinien als „other texts of different legal force“ neben der Universellen Deklaration der Menschenrechte benannt. UNESCO Doc. SHS/EST/02/CIB-9/5 (Rev. 3) vom 13. 06. 2003, Rn. 5. Entsprechend sind in ihr grundlegende Prinzipien niedergelegt, wie sie auch in diesen Guidelines Beachtung finden. Sie geht jedoch darüber hinaus, insofern sie den Anspruch erhebt, umfassend auch Aspekte des gewerblichen Rechtsschutzes oder Schutzes der Umwelt und Biodiversität zu thematisieren. Die Erklärung soll gerade alle wesentlichen Thematiken auf dem Gebiet der Bioethik adressieren, da eine Bioethik, die sowohl die ethische, rechtliche, soziale und kulturelle Dimension der Medizin und der Life Sciences und aller verbundener Technologien umfasst, eine herausragende Rolle spiele in der Gewährleistung der Achtung der Menschenwürde, der Menschenrechte sowie der fundamentalen Freiheiten. So der Report of the IBC on the Possibility of Elaborating a Universal Instrument on Bioethics UNESCO Doc. SHS/EST/02/CIB-9/5 (Rev. 3) vom 13. 06. 2003, Rn. 7 ff. Art. 1 Abs. 1 definiert den Anwendungsbereich der Deklaration.

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C.  Grundsätze der Auslegung und Typologie I.  Dynamische Auslegung Die Besonderheit von Menschenrechtsverträgen liegt darin, dass sie über das klassische reziproke Verhältnis hinausgehen. Ihre Natur liegt nicht in einem traditionell vertragstypischen Austauschverhältnis. Vielmehr bestehen der Sinn und Zweck von Menschenrechtsverträgen darin, die universelle Beachtung von Menschenrechten zu etablieren.32 Daher ist, über die Regeln zur Auslegung von Völkerrechtsverträgen 33 nach Art. 31 – 33 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge (WVK)34 hinaus, eine Interpretation zu wählen, die diesem Zweck Rechnung trägt und den in den Verträgen niedergelegten Rechten effektive Wirkung verleiht und gerade nicht eine solche, die nach dem in dubio mitius Prinzip am wenigsten in die Souveränität der Staaten eingreift.35 In diesem Sinne sind die Menschenrechtsverträge als living instruments36 dynamisch zu interpretieren.37

32  Bernhardt, Rudolf, Thoughts on the Interpretation of Human Rights Treaties, in: Matscher, Franz/Siehr, Kurt (Hrsg.), Multilaterale Staatsverträge erga omnes und deren Inkorporation in nationale IPR-Kodifikationen – Vor- und Nachteile einer solchen Rezeption, 1986 S. 65 ff. [66]. 33  Herdegen, Matthias, Interpretation in International Law, in: Wolfrum, Rüdiger (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, online edition [www.mepil. com], 2010; Aust, Anthony, Vienna Convention on the Law of Treaties (1969), in: Wolfrum, Rüdiger (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, online edition [www.mepil.com], 2006. 34  1155 U.N.T.S. 331. 35  Bernhardt, Rudolf, Evolutive Treaty Interpretation, especially of the European Convention of Human Rights, German Yearbook of International Law 42 (1999), 11 – 25 S. 11 ff. [14]; Reindel, Florian, Auslegung menschenrechtlicher Verträge am Beispiel der Spruchpraxis des UN-Menschenrechtsausschusses, des Europäischen und des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte, 1995; Pechota, Vratislav, The Development of the Covenant on Civil and Political Rights, in: Henkin, Louis (Hrsg.), The International Bill of Rights – the Covenant on Civil and Political Rights, 1981 S. 32 ff. [67 ff.]. 36  Bernhardt, Rudolf, Evolutive Treaty Interpretation, especially of the European Convention of Human Rights, German Yearbook of International Law 42 (1999), 11 – 25 S. 12. Vgl. auch EGMR, Entscheidung vom 12. 12. 2001, Bankovic et al. v. Belgium et al. (GK) 52207/99, Rn. 64. 37  Bernhardt, Rudolf, Thoughts on the Interpretation of Human Rights Treaties, in: Matscher, Franz/Siehr, Kurt (Hrsg.), Multilaterale Staatsverträge erga omnes und deren Inkorporation in nationale IPR-Kodifikationen – Vor- und Nachteile einer solchen Rezeption, 1986 S. 69 ff.; Fitzmaurice, Malgosia, Dynamic (Evolutive) Interpretation of Treaties, ­Hague Yearbook of International Law 21 (2009), 101 – 153 [117 ff.].

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II.  Unteilbarkeit und Interdependenz der Menschenrechte Historisch erfolgte eine Typologie der Menschenrechte in „klassische“ Freiheitsrechte Einzelner gegenüber dem Staat38 und wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte, die auf die Verwirklichung der sozialen Freiheit und die Garantie eines menschenwürdigen Daseins durch den Staat abzielen.39 Als Menschenrechte der dritten Dimension werden teilweise gemeinschaftsorientierte Rechte bezeichnet, deren Verwirklichung nur auf der Ebene der Weltgemeinschaft erfolgreich erscheint, da sie eine Zusammenarbeit aller Akteure erfordern.40 Diese umfassen neben individuellen Rechten auch kollektive Rechte, auf welche sich Gruppen, Völker und auch Staaten berufen können.41 Die UN verfolgte jedoch stets den Ansatz, dass alle Menschenrechte und fundamentalen Freiheiten unteilbar und voneinander abhängig sind („indivisible and interdependent“), wie von der Generalversammlung in einer Resolution konzeptionalisiert.42 Die Präambel des Fakultativprotokolls zum IPWSKR bekräftigt ebenso „the universality, indivisibility, interdependence and interrelatedness“ aller Menschenrechte und fundamentalen Freiheiten. 38  Historische Wurzeln bürgerlicher und politischer Rechte können bis zur Magna Carta Libertatum zurückgeführt werden. Wichtigste Vorläufer waren jedoch liberale Freiheitsideen und Legitimitätsfragen der Aufklärung. Die französische Revolution und amerikanische Unabhängigkeitserklärung und die Bewegungen vor der europäischen Restauration 1815 ebneten schließlich den Weg für die volle Entfaltung von Freiheitsrechten des Einzelnen gegenüber dem Staat. Barthel, Armin, Die Menschenrechte der dritten Generation, 1991, S. 11; van Boven, Theodoor C., Les Critères de Distinction des Droits de l’Homme, in: Vasak, Karel (Hrsg.), Les Dimensions Internationales des Droits de l‘Homme – Manuel Destiné à l‘Enseignement des Droits de l‘Homme dans les Universités, 1978, S. 45 ff. [52 ff.]. 39  Während „der Westen“ die Garantie der Freiheitsrechte betonte, nahm „der Osten“ die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte politisch für sich ein, was dazu führte, dass die beiden Dimensionen von Menschenrechten getrennt in zwei verschiedenen Konventionen verabschiedet wurden. Barthel, Armin, Die Menschenrechte der dritten Generation, 1991, S. 41. 40  Die Bezeichnung „solidarische Rechte“ könnte den falschen Eindruck erwecken, bürgerliche und politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte hätten keine solidarische Dimension. Gros Espiell, Hector, Community-Oriented Rights, in: Bedjaoui, Mohammed (Hrsg.), International Law – Achievements and Prospects, 1991, S. 1167 – 1175; Barthel, Armin, Die Menschenrechte der dritten Generation, 1991, S. 44. 41  Riedel, Eibe, § 89 „Recht auf Entwicklung (und Drittgenerationsrechte)“, in: Wolfrum, Rüdiger (Hrsg.), Handbuch Vereinte Nationen, 2. Aufl., 1991, Rn. 9. Insbesondere das Recht auf Entwicklung, eine lebenswerte Umwelt, das gemeinsame Menschheitserbe und das Selbstbestimmungsrecht der Völker fallen neben weiteren in diese Kategorie: Riedel, Eibe, Menschenrechte der dritten Dimension, EuGRZ 16 (1989), 9 – 21. 42  Resolution 32/130, Alternative approaches and ways and means within the United Nations system for improving the effective enjoyment of human rights and fundamental freedoms, vom 16. 12. 1977, UN Dok. A/RES/32/130. Die Zusammengehörigkeit sollte auch durch die Verabschiedung der Pakte am selben Tag demonstriert werden.

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Wesentlich ist, dass alle Menschenrechte ihrer Natur nach gleich sind. Alle Menschenrechte unabhängig von ihrer Dimensionalisierung als bürgerliche und politische oder soziale, wirtschaftliche und kulturelle Rechte umfassen eine Bandbreite an Verpflichtungen, die in Abwehrrechten, Schutzrechten oder Maßnahmen zur Erfüllung bestehen können.43 Die Trennung von sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechten einerseits und politischen und bürgerlichen Rechten andererseits, in der Form, dass erstere allein Aufwendungen des Staates bedürfen, zweitere jedoch nicht, ist allein in Situationen statthaft, in denen der Fokus bei sozialen und wirtschaftlichen Rechten auf eine Pflicht zu erfüllen und bei bürgerlichen und politischen Rechten auf eine Pflicht zu achten liegt.44 Ein solches Szenario ist, wie etwa Asbjørn Eide betont, jedoch willkürlich. Vielmehr bedürfen einige bürgerliche und zivile Rechte staatlicher Aufwendung,45 während wirtschaftliche und soziale Rechte in einigen Fällen durch Nichteinmischung des Staates am besten realisiert werden.46 Diesem einheitlichen Ansatz folgend ist auch keine unterschiedliche Behandlung bürgerlicher und politischer Rechte einerseits und sozialer, wirtschaftlicher und kultureller Rechte andererseits zu vertreten, die durch eine vermeintliche Unjustiziabilität letzter begründet sein soll. So ist grundsätzlich zwischen der Geltung eines Rechts und dessen Justiziabilität zu unterscheiden.47 Davon abgesehen sind bestimmte wirtschaftliche, soziale und kulturelle Normen auch als individuelle Rechte formuliert und haben nicht bloß „programmatischen Charakter“48, erfahren im Wege der Auslegung ihre Konkretisierung49 und damit Bestimmtheit und sind somit justiziabel. Der IGH sah jedenfalls in seinem Gutachten zu den Folgen des Mauerbaus im besetzten palästinensischen Gebiet auch Rechte des IPWSKR ver-

43  Siehe auch Sepúlveda, M. Magdalena, The Nature of the Obligations under the International Covenant on Economic, Social and Cultural rights, 2003, S. 171. 44  Eide, Asbjørn, Realization of Social and Economic Rights and the Minimum ­Threshold Approach, Human Rights Law Journal 10 (1989), 35 – 51 [40]. 45  Selbst das Recht auf Teilhabe am politischen Prozess durch Wahlen etwa bedarf finanzieller Aufwendungen des Staates, um Wahlen zu organisieren. 46  Eide, Asbjørn, Realization of Social and Economic Rights and the Minimum ­Threshold Approach, Human Rights Law Journal 10 (1989), 35 – 51 [40 f.]. 47 Ausführlich zur Justiziabilität von wirtschaftlichen und sozialen Rechten: Hestermeyer, Holger P., Access to Medication as a Human Right, Max Planck Yearbook of United Nations Law 8 (2004), 101 – 180 [114 ff.]; Toebes, Brigit C. A., The Right to Health as a Human Right in International Law, 1999, S. 167 ff. 48  Hailbronner, Kay, 3. Abschnitt, in: Vitzthum, Wolfgang/Bothe, Michael (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Aufl., 2004, Rn. 226; Ipsen, Knut, § 48, in: Ipsen, Knut/Menzel, Eberhard (Hrsg.), Völkerrecht, 4. Aufl., 1999, Rn. 44. 49  Die General Comments des UN-Ausschusses über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sind zwar keine authentischen Auslegungen des IPWSKR, sie beruhen aber auf der Auswertung vieler Länderberichte und geben somit Hinweise auf die Staatenpraxis, die nach Art. 31 Abs. 3 lit. b) WVK für die Auslegung des Vertrags maßgeblich ist.

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letzt.50 Im Übrigen ermöglicht das Fakultativprotokoll zum IPWSKR, wie das Fakultativprotokoll zum IPBPR, neben Staatenbeschwerden, Individualbeschwerden über Verletzungen eines jeden sozialen, wirtschaftlichen oder kulturellen Rechts des IPWSKR. Anstatt die Menschenrechte an sich in zwei bzw. drei Dimensionen zu teilen, sind drei verschiedene Dimensionen oder Ebenen der Staatenverpflichtung zu unterscheiden, die allen Menschenrechten gleichermaßen inhärent sind. III.  Ebenen der Staatenverpflichtung Die fortentwickelte dreiteiligen Typologie51 von Eide52 geht von einer Staatenverpflichtung auf drei Ebenen aus, die allen Menschenrechten eigen ist und die hier vertreten werden soll: Der Verpflichtung die Menschenrechte zu achten (to respect), zu schützen (to protect) und zu realisieren (to fulfil).53 Die Pflicht des 50  IGH, Advisory Opinion, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, ICJ Reports 2004, S. 136, Rnrn. 112, 130. Die Advisory Opin­ ion ist allerdings an sich nicht bindend, auch wenn sie autoritativ wirkt. Israel hat sich vehement gegen diese Advisory Opinion geäußert. Israel bestritt die Zuständigkeit des IGH und forderte das Gericht auf, im Falle es sollte eine Zuständigkeit bejahen, von einer Antwort abzusehen. ICJ Request for an Advisory Opinion from the 10th Emergency Special Session of the United Nations General Assembly on „the Legal Consequences arising from the Construction of the Wall being built by Israel, Written Statement of the Government of Israel on Jurisdiction and Propriety vom 30. 01. 2004. Der israelische Supreme Court urteilte in der Sache entsprechend entgegen der vom IGH geäußerten Auffassung. Supreme Court Urteil vom 15. 09. 2005, Mara’abe v. The Prime Minister of Israel, HCJ 7957/04. Der Supreme Court hält damit in der nur kurz vor der IGH Advisory Opinion getroffenen Entscheidung Beit Sourik Village Council v. The Government of Israel an der grundsätzlichen Legalität der Mauer fest. Dazu auch Pertile, Marco, Beit Sourik Village Council v. The Government of Israel: A Matter of Principle (and Neglected Rules), ZaöRV 65 (2005), 677 – 734. 51  Shue schlug 1980 die dreigeteilte Staatenverpflichtung als Pflichten „to avoid depriving“, „to protect from deprivation“ und „to aid the deprived“ vor. Van Hoof schlug die Kategorien „to respect“, „to protect“ und „to ensure“ vor und fügte als vierte Pflichtenebene die Pflicht „to promote“ vor. Diese sind in „to fulfil“ zusammengefasst. Shue, Henry, Basic Rights – Subsistence, Affluence & US Foreign Policy, 1980, S. 17; van Hoof, Godefridus J.H., The Legal Nature of Economic, Social and Cultural Rights: a Rebuttal of some Traditional Views, in: Alston, Philip/Tomasevski, Katarina (Hrsg.), The Right to Food, 1984, S. 97 – 110 [106 ff.]. 52  UN Economic and Social Council, Commission on Human Rights, Special Rapporteur Asbjørn Eide, The New International Economic Order and the Promotion of Human Rights – Report on the Right to Adequate Food as a Human Right vom 07. 07. 1987, UN Dok. E/CN.4/Sub.2/1987/23, Rn. 66; Eide, Asbjørn, Realization of Social and Economic Rights and the Minimum Threshold Approach, Human Rights Law Journal 10 (1989), 35 – 51 [37]. 53  Siehe auch Grote, Rainer, The Optional Protocol to the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights – Towards a more Effective Implementation of Social Rights?, in: Hestermeyer, Holger/König, Doris/Matz-Lück, Nele/Röben, Volker/Sei-

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Staates, die Rechte zu achten, bindet all seine Organe und Agenten, von jeglichen Handlungen Abstand zu nehmen, die in die Integrität eines Individuums eingreifen oder dessen Freiheit verletzen.54 Schutzpflichten sind die Verpflichtung des Staates, Maßnahmen zu treffen, um Individuen vor Rechtsverletzungen durch dritte Private zu schützen.55 Dies folgt aus der Horizontalwirkung der Menschenrechte unter Privaten (im Gegensatz zu der Vertikalwirkung zwischen Staat und Individuum).56 Die Pflicht zur Realisierung erfordert vom Staat, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um den Genuss der Menschenrechte zu erleichtern sowie Leistungen zu erbringen, die notwendig sind, um die Bedürfnisse zu befriedigen, die in den Menschenrechtsinstrumenten anerkannt sind.57 IV.  Progressive Implementierung und Core Obligations wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte Dennoch wird ein Verpflichtungscharakter sozialer, wirtschaftlicher und kultureller Rechte oftmals verneint. Als pragmatisches Argument hierfür wird oftmals Ressourcenknappheit angeführt. Eine dynamische Implementierung der Rechte verlangt jedoch, dass sie zumindest Teil um Teil zu implementieren sind.58 Dies ist dem Wortlaut von Art. 2 Abs. 1 IPWSKR zu entnehmen: „Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, einzeln und durch internationale Hilfe und Zusammenarbeit, insbesondere wirtschaftlicher und technischer Art, unter Ausschöpfung aller seiner Möglichkeiten Maßnahmen zu treffen, um nach und nach mit allen geeignebert-Fohr, Anja, et al. (Hrsg.), Coexistence, Cooperation and Solidarity – Liber Amicorum Rüdiger Wolfrum, 2012, S. 417 – 436 [431 f.]. 54  Ibid., Rn. 67. 55  UN Economic and Social Council, Commission on Human Rights, Special Rapporteur Asbjørn Eide, The New International Economic Order and the Promotion of Human Rights – Report on the Right to Adequate Food as a Human Right vom 07. 07. 1987, UN Dok. E/CN.4/Sub.2/1987/23, Rn. 68. 56  Nowak, Manfred, U.N. Covenant on Civil and Political Rights – CCPR Commentary, 2. Aufl., 2005, Art. 2, Rn. 20. Nowak legt dar, dass der Begriff Horizontalwirkung im Gegensatz zu dem Term (mittelbare) Drittwirkung weiter sei, dadurch dass er die Pflicht der Staaten umfasse ggf. zusätzliche Maßnahmen zu ergreifen, wie beispielsweise strafrechtliche Sanktionen, und nicht nur meine, dass Grundrechte einen gestalterischen Einfluss auf die zivilrechtlichen Beziehungen zwischen Privaten haben. Der Begriff Horizontalwirkung ist außerdem nicht national grundrechtstheoretisch „vorbelastet“. Vgl. auch Bernhardt, Rudolf, Völkerrechtliche Pflichten des einzelnen und Drittwirkung von Menschenrechten, in: Kokott, Juliane (Hrsg.), Gesellschaftsgestaltung unter dem Einfluss von Grund- und Menschenrechten, 2001, S. 91 ff. [109 ff.] auch zur unmittelbaren Drittwirkung. 57  UN Economic and Social Council, Commission on Human Rights, Special Rapporteur Asbjørn Eide, The New International Economic Order and the Promotion of Human Rights – Report on the Right to Adequate Food as a Human Right vom 07. 07. 1987, UN Dok. E/CN.4/Sub.2/1987/23, Rn. 69. 58  Hestermeyer, Holger P., Access to Medication as a Human Right, Max Planck Yearbook of United Nations Law 8 (2004), 101 – 180, [118 ff.].

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Teil 3: Arzneimittelversuche und Menschenrechte

ten Mitteln, vor allem durch gesetzgeberische Maßnahmen, die volle Verwirklichung der in diesem Pakt anerkannten Rechte zu erreichen.“

Der IPWSKR sieht demnach eine progressive Implementierung der Rechte vor, die prima facie im Gegensatz zur sofortigen Umsetzungspflicht von Art. 2 IPBPR steht. Der general comment Nr. 3 zu Art. 2 Abs. 1 IPWSKR stellt zu den zu ergreifenden Maßnahmen fest, dass die volle Realisierung der relevanten Rechte zwar progressiv zu erreichen ist, die Schritte zu diesem Ziel jedoch „within a reasonably short time“ nach Inkraftreten des Paktes im betreffenden Staat unternommen werden müssen.59 Einige Verpflichtungen wirken demnach sogar sofort.60 Der Mangel an wirtschaftlichen Möglichkeiten kann die Verpflichtung lediglich begrenzen. Wie der general comment jedoch feststellt, ist es die raison d’être des Paktes, klare Verpflichtungen für seine Vertragsstaaten aufzustellen, die in ihm niedergelegten Rechte voll zu realisieren.61 In diesem Sinne unter Überprüfung eines Jahrzehnts der Vertragsstaatenberichte folgert der UN-Ausschuss über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, dass eine mindest core obligation für jeden Vertragsstaat besteht, ein minimales Grundniveau eines jeden Rechtes zu gewährleisten.62 Ein Staat in welchem einem signifikanten Teil der Bevölkerung diese essentiellen Grundbedürfnisse nicht ermöglicht werden, verletzt prima facie seine Verpflichtung aus dem Pakt. Eine Rechtfertigung aufgrund von Ressourcenmangel kommt nur dann in Betracht, wenn der Staat darlegt, dass er jede Anstrengung unternommen und jede zur Verfügung stehende Ressource genutzt hat, um die core obligation mit Priorität zu erfüllen.63 Die Maßnahmen, die zu ergreifen sind, sind dabei nicht nur legislativer, sondern auch administrativer und judikativer oder sonstiger notwendiger Art.64 Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte können dabei progressiv implementiert werden. Bürgerliche und politische Rechte sind, soweit sie sehr weitgehende positive

59  CESCR, General Comment No. 3, The Nature of States Parties Obligations (Art. 2 para. 1) vom 14. 12. 1990, Rn. 2. 60  Wie beispielsweise das Diskriminierungsverbot: CESCR, General Comment No. 3, The Nature of States Parties Obligations (Art. 2 para. 1) vom 14. 12. 1990, Rn. 1. 61  CESCR, General Comment No. 3, The Nature of States Parties Obligations (Art. 2 para. 1) vom 14. 12. 1990, Rn. 9. 62  Wie essentielle Nahrung, medizinische Grundversorgung, Grundbehausung und die grundlegenste Form von Bildung: CESCR, General Comment No. 3, The Nature of States Parties Obligations (Art. 2 para. 1) vom 14. 12. 1990, Rn. 10. 63 Ibid. 64  Siehe auch Art. 2 Abs. 2 IPBPR. Der General Comment Nr. 3 zu Art. 2 Abs. 1 IPWSKR legt dar, dass die „geeigneten Mittel“ i.S.v. Art. 2 Abs. 1 IPWSKR (nicht abschließend) administrative, finanzielle, Bildungs- und soziale Maßnahmen umfassen. CESCR, General Comment No. 3, The Nature of States Parties Obligations (Art. 2 para. 1) vom 14. 12. 1990, Rn. 7.

§ 5  Menschenrechte der Forschung an Menschen

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Maßnahmen begründen,65 wie die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte, relativ zu betrachten.66

D.  Menschenwürde als universelle Basis aller Menschenrechte I.  Menschenwürde im Völkerrecht Als eines der ersten völkerrechtlichen Dokumente, nimmt nach dem zweiten Weltkrieg die Charta der Vereinten Nationen67 Bezug auf die Menschenwürde.68 In der Präambel benennt sie die Ziele der Vereinten Nationen.69 Der zweite Absatz bekräftigt, dass die Völker der Vereinten Nationen fest entschlossen sind „to reaffirm faith in fundamental human rights, in the dignity and worth of the human person […].“

Demnach kann die Menschenwürde nicht nur als Ziel der Vereinten Nationen, sondern auch als ihre fundamentale Grundlage angesehen werden.70 Die Bedeutung auch als fundamentale Grundlage der internationalen Rechtsordnung,71 zeigt sich in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen72 von 1948. Der erste Absatz der Präambel beginnt mit den Worten: 65  Das HRC befand beispielsweise zum Umfang des Rechts auf Leben, dass es wünschenswert wäre, wenn die Staaten alle möglichen Maßnahmen ergriffen, um die Kindersterblichkeit zu reduzieren und die Lebenserwartung zu erhöhen, insbesondere durch die Maßnahmen gegen Mangelernährung und Epidemien. CCPR General Comment No. 6, The Right to Life (Art. 6) vom 30. 04. 1982, Rn. 5. 66  Vgl. auch Nowak, Manfred, U.N. Covenant on Civil and Political Rights – CCPR Commentary, 2005, Art. , Rn. 19. Nach Art. 2 Abs. 3 IPBPR umfasst die Pflicht „to fulfil“ auch, die Rechte durch prozedurale Garantien und die Möglichkeit der Beschwerde bei einem zuständigen Gerichts-, Verwaltungs- oder Gesetzgebungsorgan oder bei sonstigen Stellen, institutionell zu schützen. Soweit die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte justiziabel sind, sollte für diese ebenfalls die Möglichkeit einer „wirksamen Beschwerde“ („effective remedy“) bestehen. Der General Comment Nr. 3 benennt beispielhaft die Art. 3, 7 lit. a) i), 8 Abs. 3, 1 3, Abs. 2 lit. a), Abs. 4 und Art. 15 Abs. 3 als fähig, unmittelbar durch Gerichte und andere Organe in vielen nationalen Rechtsordnungen angewendet zu werden. CESCR, General Comment No. 3, The Nature of States Parties Obligations (Art. 2 para. 1) vom 14. 12. 1990, Rn. 5. 67  15 U.N.T.S. (1945), 143. 68  Zur historischen Bedeutung der Menschenwürde: Ruiz Miguel, Carlos, Human Dignity: History of an Idea, Jahrbuch des öffentlichen Rechts 50 (2002), 281 – 299; Arieli, Yehoshua, On the Necessary and Sufficient Conditions for the Emergence of the Doctrine of the Dignity of Man and his Rights, in: Kretzmer, David (Hrsg.), The Concept of Human Dignity in Human Rights Discourse, 2002, S. 1 – 39. 69  Zur Entwurfsgeschichte des Menschenwürdebezuges: Tiedemann, Paul, Menschenwürde als Rechtsbegriff, 2. Aufl., 2010, S. 10 ff. 70  Vöneky, Silja/Chang, Mira/Wilms, Hans Christian, Internationales Recht in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert Analyse und Vergleich, in: Anderheiden, Michael/Eckart, Wolfgang/Schmitt, Eva (Hrsg.), Handbuch Sterben und Menschenwürde, 3. Band, 2012, S.  1479 – 1513 [1482]. 71 Ibid.

Teil 3: Arzneimittelversuche und Menschenrechte

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„Whereas recognition of the inherent dignity and of the equal and inalienable rights of all members of the human family is the foundation of freedom, justice and peace in the world“ 72

und stellt die Menschenwürde als Grundlage für die sonstigen Ziele der Vereinten Nationen heraus. Entsprechend lautet Art. 1 der Erklärung73: „All human beings are born free and equal in dignity and rights. They are endowed with reason and conscience and should act towards one another in a spirit of brotherhood.“

Sowohl die Charta der Vereinten Nationen als auch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte müssen im historischen Kontext gesehen werden. Als Antworten auf den Zweiten Weltkrieg und die Gräueltaten des nationalsozialistischen Regimes ist das Konzept der Menschenwürde als Eckpfeiler und Grundlage der gesamten internationalen Rechtsordnung im UN-System verankert worden.74 Als Gegenentwurf zur nationalsozialistischen Ideologie war das Konzept der Menschenwürde zwingend.75 Nicht zufällig ist dem deutschen Grundgesetz vom 23. 05. 1949 in Art. 1 die Unantastbarkeit der Würde des Menschen – wie in zahlreichen anderen modernen Verfassungen – vorangestellt.76 Allerdings weist die UN-Charta den Makel auf, dass sie formale rechtliche Verbindlichkeit nur für die operativen Teile beanspruchen kann, nicht jedoch für die Präambel.77 Ebenso sind zwar einige Teile der Allgemeinen Erklärung für Menschenrechte völkergewohnheitsrechtlich anerkannt, jedoch nicht in Bezug auf den Schutz der Menschenwürde, der lediglich programmatisch ist.78 Der Bezug auf die 72 

UN Doc. A/Res.217 (III), UN Doc. A/810 bei 71 vom 10. 12. 1948. Entstehungsgeschichte: Tiedemann, Paul, Menschenwürde als Rechtsbegriff, 2010, S. 20 ff. 74  Arieli, Yehoshua, On the Necessary and Sufficient Conditions for the Emergence of the Doctrine of the Dignity of Man and his Rights, in: Kretzmer, David (Hrsg.), The Concept of Human Dignity in Human Rights Discourse, 2002, S. 1 – 39 [1]. 75  Vöneky, Silja/Chang, Mira/Wilms, Hans Christian, Internationales Recht in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert Analyse und Vergleich, in: Anderheiden, Michael/Eckart, Wolfgang/Schmitt, Eva (Hrsg.), Handbuch Sterben und Menschenwürde, 3. Band, 2012, S.  1479 – 1513 [1482]. 76  Eckert, Jörn, Legal Roots of Human Dignity in German Law, in: Kretzmer, David (Hrsg.), The Concept of Human Dignity in Human Rights Discourse, 2002, S. 41 – 53; P. Häberle, in: Isensee, Josef/Kirchhof, Paul (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl., I. Band, 1995, § 20 die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, Rn. 4. 77  Wolfum, Rüdiger/Vöneky, Silja, Who is Protected by Human Rights Conventions? Protection of the Embryo v. Scientific Freedom and Public Health, in: Vöneky, Silja/ Wolfrum, Rüdiger (Hrsg.), Human Dignity and Human Cloning, 2004, S. 133 – 143 [138]. 78  Wolfum, Rüdiger/Vöneky, Silja, Who is Protected by Human Rights Conventions? Protection of the Embryo v. Scientific Freedom and Public Health, in: Vöneky, Silja/Wolfrum, Rüdiger (Hrsg.), Human Dignity and Human Cloning, 2004, S. 133 – 143 [138]; Eckert, Jörn, Legal Roots of Human Dignity in German Law, in: Kretzmer, David (Hrsg.), The Concept of Human Dignity in Human Rights Discourse, 2002, S. 41 – 53. 73 Zur

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Menschenwürde ist jedoch auch in späteren Menschenrechtsübereinkommen aufgenommen worden. Die Präambel des IPBPR beginnt wortgleich mit dem IPWSKR mit den Worten: „The States Parties to the present Covenant, considering that in accordance with the principles proclaimed in the Charter of the United Nations, recognition of the inherent dignity and of the equal and inalienable rights of all members of the human family is the foundation of freedom, justice and peace in the world, Recognizing that these rights derive from the inherent dignity of the human person […].“

Diese Formulierung legt bereits dar, dass die Menschenrechte ihre Begründung in der Menschenwürde finden, welche jedem inhärent, d. h. allein aufgrund seines Menschseins zueigen ist. Die Menschenwürde, findet auch besondere Betonung in den Präambeln der Konvention zur Unterbindung des Menschenhandels und der Ausnutzung der Prostitution anderer von 1950, der Anti-Rassismuskonvention von 1965, der Konvention über die Unterbindung und Bestrafung der Verbrechen der Apartheid von 1973, der Behindertenrechtskonvention von 1975, der Konvention gegen Apartheid im Sport von 1977, der CEDAW von 1979, der Anti-Folterkonvention von 1984, der Kinderrechtskonvention von 1989, dem zweiten Fakultativ­ protokoll zum IPBPR zur Abschaffung der Todesstrafe von 1989 sowie in dem Fakultativprotokoll zum IPWSKR von 2008. Insofern in Spezialkonventionen auf die Menschenwürde explizit Bezug genommen wird, heißt dies nicht, dass dadurch der Geltungsbereich der Menschenwürde eingeschränkt würde. Ebensowenig, soweit in operativen Teilen der besagten Übereinkommen eine ausdrückliche Bezugnahme besteht. So positiviert Art. 10 Abs. 1 IPBPR, dass alle der Freiheit entzogenen Personen, menschlich „and with respect for the inherent dignity of the human person“

zu behandeln sind. Auf regionaler Ebene verlangt Art. 5 Abs. 2 S. 2 der AMRK wortgleich zu Art. 10 Abs. 1 IPBPR ebenfalls, dass Menschen im Freiheitsentzug in Achtung der ihnen als Menschen inhärenten Würde behandelt werden müssen. Art. 5 der Banjul-Charta führt aus: „Every individual shall have the right to the respect of the dignity inherent in a human being and to the recognition of his legal status. All forms of exploitation and degradation of man particularly slavery, slave trade, torture, cruel, inhuman or degrading punishment and treatment shall be prohibited.“

Art. 11 Abs. 1 der AMRK befindet darüber hinaus zum Recht auf Privatsphäre: „Everyone has the right to have his honor respected and his dignity recognized.“

In der Grundrechtecharta der Europäischen Union proklamieren das Europäische Parlament, der Rat und die Kommission im zweiten Absatz der Präambel, dass sich „die Union auf die unteilbaren und universellen Werte der Würde des Menschen, der Freiheit, der Gleichheit und Solidarität [gründet].“

Art. 1 der Grundrechtecharta lautet: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie ist zu achten und zu schützen.“

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Teil 3: Arzneimittelversuche und Menschenrechte

II.  Menschenwürde in der konkreten Anwendung Die Menschenwürde wird nur sehr vereinzelt ausdrücklich in den operativen Teilen erwähnt und ihr konkreter Anwendungsbereich erscheint somit beschränkt.79 Allerdings bedeutet dies nicht, dass die Menschenwürde nur in diesen Fällen Geltung hat. Vielmehr sind dies bewusste Ausprägungen einer grundsätzlichen Verpflichtung eines Menschenwürdeschutzes.80 Die Menschenwürde ist unantastbar und unaufgebar; selbst oder gerade in extremen Situationen wie dem Freiheitsentzug.81 Nicht zuletzt finden sich die meisten operativen Bezüge in der Kinderrechtskonvention. Diese verpflichtet die Vertragsstaaten, geistig oder körperlich behinderten Kindern ein erfülltes und „decent“ Leben zu ermöglichen, unter Bedingungen welche die Würde des Kindes sicherstellen (Art. 23 Abs. 1). Die Vertragsstaaten sind darüber hinaus verpflichtet sicherzustellen, dass schulische Disziplinierungsmaßnahmen nur in einer Art erfolgen, die mit der Würde des Kindes vereinbar ist (Art. 28 Abs. 2); Kinder in Freiheitsentzug menschenwürdig zu behandeln (Art. 37 lit. c)); dafür Sorge zu tragen, dass Kinder, die Opfer irgendeiner Form von Vernachlässigung, Ausbeutung und Misshandlung, der Folter oder einer anderen Form grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe oder bewaffneter Konflikte geworden sind, in einer Umgebung genesen und sozial wiedereingegliedert werden, die der Würde des Kindes förderlich ist (Art. 39); und Kinder, die einer Verletzung der Strafgesetze verdächtigt, beschuldigt oder überführt werden, in einer Weise zu behandeln, die das Gefühl des Kindes für die eigene Würde und den eigenen Wert fördert (Art. 40 Abs. 1). Dort wo in operativen Teilen auf die Menschenwürde Bezug genommen wird, geht es demnach um die Unterstreichung der Schutzpflicht in einer bestimmten extremen Situation bzw. besonders schützenswerter Personen in besonders sensiblen Bereichen. Ein im operativen Teil nur einzeln erfolgter Würdeschutz einerseits und die Fragmentierung des Menschenrechtsschutzes in viele einzelne Spezialübereinkommen andererseits, sind kein Zeichen für eine Einschränkung des Menschenwürdeschutzes, sondern vielmehr eine Ausweitung. Sie sind die Positivierung von Menschenrechten, die alle ihre Begründung in der Menschenwürde finden. Auch die EMRK, in welcher jeglicher explizite Bezug auf die Menschenwürde fehlt,82 ist 79 Wolfrum und Vöneky reden von „hidden sunflowers: nice to see […] but limited in scope“: Wolfum, Rüdiger/Vöneky, Silja, Who is Protected by Human Rights Conventions? Protection of the Embryo v. Scientific Freedom and Public Health, in: Vöneky, Silja/ Wolfrum, Rüdiger (Hrsg.), Human Dignity and Human Cloning, 2004, S. 133 – 143 [140]. 80  Wolfum, Rüdiger/Vöneky, Silja, Who is Protected by Human Rights Conventions? Protection of the Embryo v. Scientific Freedom and Public Health, in: Vöneky, Silja/ Wolfrum, Rüdiger (Hrsg.), Human Dignity and Human Cloning, 2004, S. 133 – 143 [140]. 81  Dicke, Klaus, Menschenwürde und Universalität der Menschenrechte, in: Bielefeldt, Heiner/Schwartländer, Johannes (Hrsg.), Würde und Recht des Menschen – Festschrift für Johannes Schwartländer, 1992, S. 161 – 182 [174]. 82  Eine gemutmaßte Begründung könnte sein, dass den Verhandlungsführerinnen die Menschenwürde ein zu weites Konzept war, um es in den Vertragstext mit aufzunehmen:

§ 5  Menschenrechte der Forschung an Menschen

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dem Menschenwürdeschutz verschrieben. Die Straßburger Organe legen die Konvention im Lichte der Menschenwürde aus und haben ein bestimmtes Verständnis dieser entwickelt.83 III.  Menschenwürde als Begründung universeller Menschenrechte Die Menschenwürde ist Begründung der Menschenrechte sowohl von Abwehrrechten als auch von Gewähr- und Erfüllungspflichten des Staates.84 Sie ist auch Lehrauftrag. Nach Art. 13 Abs. 1 des IPWSKR kommen die Vertragsstaaten überein, dass „education shall be directed to the full development of the human personality and the sense of its dignity, and shall strengthen the respect for human rights and fundamental freedoms.“

Als Begründung der Menschenrechte ist die Menschenwürde auch essentiell für die Auslegung von Menschenrechten. Es besteht opinio iuris darüber, dass die Menschenwürde ein gültiges Prinzip des Völkerrechts darstellt.85 Allerdings ist die Menschenwürde zunächst ein objektives Prinzip und weniger subjektives Recht.86 Ausformuliert, kann ein Menschenrecht jedoch ein subjektives Recht auf den Menschenwürdeschutz begründen. Die einzelnen Menschenrechte sind als Konkretisierung der Menschenwürde zu sehen und als living instruments dynamisch auszulegen.87 Eine solche dynamische Interpretation, die den Menschenrechtsschutz Frowein, Jochen Abraham, Human Dignity in International Law, in: Kretzmer, David (Hrsg.), The Concept of Human Dignity in Human Rights Discourse, 2002, S. 121 – 132 [123]. 83  Frowein, Jochen Abraham, Human Dignity in International Law, in: Kretzmer, David (Hrsg.), The Concept of Human Dignity in Human Rights Discourse, 2002, S. 121 – 132 m.w.N. 84  Schachter, Oscar, Human Dignity as a Normative Concept, American Journal of International Law 77 (1983), 848 – 854 [851]. 85  Vöneky, Silja/Chang, Mira/Wilms, Hans Christian, Internationales Recht in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert Analyse und Vergleich, in: Anderheiden, Michael/Eckart, Wolfgang/Schmitt, Eva (Hrsg.), Handbuch Sterben und Menschenwürde, 3. Band, 2012, S. 1479 – 1513 [1483]. 86  Vöneky, Silja/Chang, Mira/Wilms, Hans Christian, Internationales Recht in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert Analyse und Vergleich, in: Anderheiden, Michael/Eckart, Wolfgang/Schmitt, Eva (Hrsg.), Handbuch Sterben und Menschenwürde, 3. Band, 2012, S.  1479 – 1513 [1486]; ähnlich wohl Schachter, Oscar, Human Dignity as a Normative Concept, American Journal of International Law 77 (1983), 848 – 854 [853]; Mathieu, Bertrand, La Dignité, Principe Fondateur du Droit, Journal International de Bioéthique 21 (2010), 77 – 83 [80]. 87  Bernhardt, Rudolf, Evolutive Treaty Interpretation, especially of the European Convention of Human Rights, German Yearbook of International Law 42 (1999), 11 – 25 [2]. Vgl. auch EGMR, Entscheidung vom 12. 12. 2001, Bankovic et al. v. Belgium et al. (GK) 52207/99, Rn. 64; Bernhardt, Rudolf, Thoughts on the Interpretation of Human Rights ­Treaties, in: Matscher, Franz/Siehr, Kurt (Hrsg.), Multilaterale Staatsverträge erga omnes

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Teil 3: Arzneimittelversuche und Menschenrechte

ausweitend stärkt, kann mit Rekurs auf die Menschenwürde begründet werden, die Ausgangspunkt der Menschenrechte ist und es mitunter erfordert, neue Rechte zu formulieren oder bestehende Rechte neuen Situationen anzupassen.88 1.  Reichweite und Inhalt Damit ist jedoch noch keine Aussage über die Reichweite und den Inhalt der Menschenwürde getroffen und inwiefern sie Maßstab und Auslegung der für die Forschung an Menschen relevanten Menschenrechte sein kann. Es findet sich an keiner Stelle (auch nicht – soweit ersichtlich – in nationalen Verfassungen) eine Definition der Menschenwürde. Die Ermangelung einer Definition bedeutet jedoch nicht, dass die Vertragsstaaten frei wären, Inhalt und Reichweite der Menschenwürde zu bestimmen.89 Die erste Erwägung der Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte spricht von „recognition of the inherent dignity […]“, also von einer Würde die anerkannt werden muss. Die fünfte Erwägung zitiert die Charta der Vereinten Nationen, nach welcher die Völker „reaffirmed their faith in fundamental human rights, in the dignity and worth of the human person.“

Die Bekräftigung des „Glaubens“ an die Menschenwürde bekräftigt den „prä-normativen Charakter“ der Menschenwürde.90 Die Menschenwürde ist in ihrer Geltung zwar nicht abhängig von einer Anerkennung, sie verlangt sie jedoch.91 So ist daraus zu schließen, dass die Menschenwürde von den Staaten nur entdeckt werden kann (und muss).92 und deren Inkorporation in nationale IPR-Kodifikationen – Vor- und Nachteile einer solchen Rezeption, 1986 S. 69 ff.; Fitzmaurice, Malgosia, Dynamic (Evolutive) Interpretation of Treaties, Hague Yearbook of International Law 21 (2009), 101 – 153 S. 101 ff. [117 ff.]. 88  Schachter, Oscar, Human Dignity as a Normative Concept, American Journal of International Law 77 (1983), 848 – 854 [853]; Alston, Philip, Conjuring up New Human Rights: A Proposal for Quality Control, American Journal of International Law 78 (1984), 607 – 621 [609], der zugleich jedoch angesichts dessen, dass neue Rechte in „anarchischer“ Weise „have been literally conjured up, in the dictionary sense of being ‘brought into existence by magic’“ [607] vor einer Erosion der Menschenrechte warnt und materielle wie prozedurale Qualitätskriterien vorschlägt. 89  Vöneky, Silja/Chang, Mira/Wilms, Hans Christian, Internationales Recht in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert Analyse und Vergleich, in: Anderheiden, Michael/Eckart, Wolfgang/Schmitt, Eva (Hrsg.), Handbuch Sterben und Menschenwürde, 3. Band, 2012, S.  1479 – 1513 [1486]. 90  Dicke, Klaus, The Founding Function of Human Dignity, in: Kretzmer, David (Hrsg.), The Concept of Human Dignity in Human Rights Discourse, 2002, S. 111 – 120 [115]. 91  Dicke, Klaus, The Founding Function of Human Dignity, in: Kretzmer, David (Hrsg.), The Concept of Human Dignity in Human Rights Discourse, 2002, S. 111 – 120 [114]. 92  Vöneky, Silja/Chang, Mira/Wilms, Hans Christian, Internationales Recht in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert Analyse und Vergleich: Anderheiden, Michael/Eckart, Wolfgang/Schmitt, Eva (Hrsg.), Handbuch Sterben und Menschenwürde, 3. Band, 2012, S.  1479 – 1513 [1487].

§ 5  Menschenrechte der Forschung an Menschen

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Art. 1 der Allgemeinen Erklärung „all human beings are born free and equal in dignity and rights. They are endowed with reason and conscience and should act towards another in a spirit of brotherhood“

verzichtet ausdrücklich auf jegliche Referenz an philosophische oder religiöse Begründungen. Ein Entwurf der den Wortlaut „all human beings are by nature free and equal“ war von der chinesischen Delegation abgelehnt worden, weil er zu sehr an naturrechtliche Denkweisen der französischen Aufklärungsphilosophie gelehnt gewesen sei.93 Zwar finden sich Referenzen an angelsächsische als auch kontinentaleuropäische Denktraditionen u. a. in der Präambel der Allgemeinen Erklärung insoweit auf „the dignity and worth of the human person“ Bezug genommen wird,94 jedoch ist später gelegentlich „worth“ durch „value“ einerseits und „human being“ statt „person“ andererseits ausgetauscht worden, um wohl einen „neutraleren“ Begriff anzubieten.95 Darüber hinaus ist eine solch historische Auslegung im Völkerrecht nur nachrangig vorzunehmen. Das Würdekonzept kann losgelöst von abendländischer – christlicher – Tradition mit universeller Geltung aufgefasst werden. Begründung findet sie im Menschen selbst. Dies ist als metaphysisches Postulat zu verstehen. 2.  Universaler Geltungsanspruch Der Geltungsanspruch der Menschenwürde ist gerade in ihrem Kern universal, womit ein im Kern universaler Geltungsanspruch der Menschenrechte einhergeht. Trotz kultureller Unterschiede96 sind bestimmte Formen der extremsten Würdeverletzungen wie Sklaverei und Folter überall unstreitig gleichermaßen geächtet. Da dem Menschen Würde allein aufgrund seines Menschseins unbesehen seiner Stellung, seines Geschlechts, seines Alters oder Ansehens, seiner Ethnie, Religion, Intelligenz oder sonstiger Differenzierung inhärent ist, ist sie universal. Muslimi93  Dicke, Klaus, Menschenwürde und Universalität der Menschenrechte, in: Bielefeldt, Heiner/Schwartländer, Johannes (Hrsg.), Würde und Recht des Menschen – Festschrift für Johannes Schwartländer, 1992, S. 161 – 182 [170]. 94  Dicke, Klaus, The Founding Function of Human Dignity, in: Kretzmer, David (Hrsg.), The Concept of Human Dignity in Human Rights Discourse, 2002, S. 111 – 120. Der Bezug in der fünften Erwägung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte auf „the dignity and worth of the human person“ legt einen Kompromiss zwischen angelsächsischer und kontinentaleuropäischer Denktradition nahe, insoweit im angelsächsischen Diskurs die Unterscheidung zwischen „worth“ und „dignity“ bekannt war und der Bezug auf die „human person“ eine Referenz an die komplexe platonisch/christliche ontologische Tradition der „persona“ darstellt. 95  Dicke, Klaus, Menschenwürde und Universalität der Menschenrechte, in: Bielefeldt, Heiner/Schwartländer, Johannes (Hrsg.), Würde und Recht des Menschen – Festschrift für Johannes Schwartländer, 1992, S. 161 – 182 [116]. 96 Ausführlich zu kulturrelativistischen Argumenten: Riedel, Eibe, Die Universalität der Menschenrechte, 2003; derselbe, in: Starck, Christian/International Association of Constitutional Law (Hrsg.), Constitutionalism, Universalism and Democracy, 1999, S. 25 – 52.

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Teil 3: Arzneimittelversuche und Menschenrechte

sche, afrikanische oder asiatische Völker „sind nicht von einem anderen Planeten“, deren Mitglieder ihre Würde nicht als „bourgeoise westlich hegemoniale Intervention“ abgesprochen werden kann.97 Im Gegenteil, grundlegende Konkretisierungen der Menschenwürde insbesondere politische und bürgerliche Menschenrechte und Freiheiten sind als bisher oft als unvereinbar mit „islamischen Kulturen“ erachtet worden; mit den Revolutionen des „arabischen Frühlings“ in Tunesien, Ägypten, Lybien und weiteren Freiheitsbewegungen in Teilen der islamisch arabischen Welt, ist diese Annahme nicht haltbar, auch wenn der enthusiastische Optimismus von 2010 und 2011 sich nicht halten konnte. In Hinblick auf eine von manchen Autorinnen so gefundene Dichotomie von etwa westlichen und asiatischen Werten, die kolportiert, dass Freiheiten und Rechte toleranter Gesellschaften westliche Normen seien, die dem konfuzianisch geprägten, kollektivistischen, asiatischen Wertesystem fremd seien, legt etwa Amartya Sen zunächst dar, dass zwei Drittel der Weltbevölkerung in Asien lebt und in keinster Weise von einer einheitlichen Kultur zusammengehalten wird, sondern dass die Denomination asiatischer Werte ein Produkt einer eurozentrischen Persepektive ist.98 Auch wenn oder gerade weil ein Politiker wie Lee Kuan Yew, Premierminister von Singapur von 1959 – 1990, solche „asiatischen Werte“ zu Kohäsionszwecken bei der Staatsgründung des heterogenen Singapurs beschworen hat, argumentiert Sen überzeugend, dass diese Abgrenzung vor allem von autoritären Regierungen zur Legitimierung ihrer Methoden der Kontrolle missbraucht würde und kritisiert westliche Nationen für ihren Chauvinismus mit welchem sie indirekt die Annahme „asiatischer Werte“ stützen würden, um Menschenrechtsverletzungen zu entschuldigen oder zu relativieren.99 3.  Konzeption nach Kant zur Ausfüllung eines universalen Menschenwürdeschutzes Der universale Geltungsanspruch der Menschenwürde sucht kulturell und religiös verschiedene Ansichten vereinen zu können, weshalb der Inhalt der Menschenwürde nicht festgelegt ist. Es handelt sich dennoch nicht um eine „leere Floskel“. Eine Konzeption, die sich dafür eignet, der Menschenwürde mit universaler Geltung Substanz zu verleihen, ist die Objektformel nach Immanuel Kant gemäß

97  Bezogen auf Freiheit als universeller Standard und asiatische Völker: Kelly, David, Freedom as an Asian Value, in: Jacobsen, Michael (Hrsg.), Human Rights and Asian Val­ ues, 2000, S. 178 – 198 [186]; zur Menschenwürde als Prinzip in islamischer politischer und rechtlicher Theorie: Baderin, Mashood A., International Law and Islamic Law, 2008. 98  Sen, Amartya Kumar, Human Rights and Asian Values, 1997, aufrufbar unter Carnegie Council on Ethics and International Affairs, http://www.carnegiecouncil.org/resources/ publications/morgenthau/254.html/_res/id=sa_File1/254_sen.pdf. 99  Vor allem widerlegt Sen auch die These, dass die Unterdrückung von zivilen Rechten Grund für das rasante Wirtschaftswachstum von Ländern wie China, Südkorea und Singapur in den 1990er Jahren war.

§ 5  Menschenrechte der Forschung an Menschen

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seiner „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“.100 Demnach existiert der Mensch als vernünftiges Wesen nie „bloß als Mittel“, sondern jederzeit als „Zweck an sich selbst“.101 Eine solche Begründung klingt auch in Art. 1 der Allgemeinen Erklärung an: „All human beings are born free and equal in dignity and rights. They are endowed with reason and conscience and should act towards one another in a spirit of brotherhood.“102

„Der Grund der Würde der menschlichen und jeder vernünftigen Natur“ ist nach Kant die Autonomie.103 Der Schutz der Autonomie und der Menschenwürde sind zentral in der Forschung an Menschen. Ganz wesentlich ist auch der universale Geltungsanspruch der Menschenwürde und somit der Menschenrechte in der Forschung an Menschen, die global durchgeführt wird. Ganz grundlegende Prinzipien, wie das der informierten Einwilligung, sind durch die Menschenrechtskonventionen begründet und sind konkretisierte Ausformungen des Menschenwürdeschutzes. Gerade in der Forschung an Menschen liegt die Gefahr sachlich sehr nahe, Menschen als bloße Versuchsobjekte für den medizinischen Fortschritt und für das Allgemeinwohlinteresse zu missbrauchen. IV.  Menschenwürde als Begründung völkervertraglicher Übereinkommen zur Forschung an Menschen Bereits 1947 urteilte das amerikanische Militärtribunal im Nürnberger Ärzteprozess, dass bestimmte Humanexperimente wie sie von den angeklagten deutschen Ärztinnen durchgeführt worden waren, ganz evident gegen die Menschenwürde und die Menschlichkeit verstoßen.104 Die einzigen völkerrechtlich 100  Vgl. auch Graf Vitzthum, Wolfgang, Back to Kant! An Interjection in the Debate on Cloning and Human Dignity, in: Vöneky, Silja/Wolfrum, Rüdiger (Hrsg.), Human Dignity and Human Cloning, 2004, S. 87 – 106 [104]; Riedel, Eibe, Universality of Human Rights and Cultural Particularism, in: Starck, Christian/International Association of Constitutional Law (Hrsg.), Constitutionalism, Universalism and Democracy, 1999, S. 25 – 52 [37]. Kritisch ob der universalen Geltung beispielsweise: Mastronardi, Philippe, Menschenwürde und kulturelle Bedingtheit des Rechts, in: Marauhn, Thilo (Hrsg.), Die Rechtsstellung des Menschen im Völkerrecht, 2003, S. 55 – 81 [61]. 101  Kant, Immanuel/Horn, Christoph, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 2007, S. 61 ff. = S. 58 ff. Weischedel-Ausgabe. 102  Eigene Hervorhebung. 103  Kant, Immanuel/Horn, Christoph, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 2007, S. 71 = S. 69 Weischedel-Ausgabe. 104  Dokumentensammlung von Mitscherlich und Mielke: Mitscherlich, Alexander/Mielke, Fred, Das Diktat der Menschenverachtung, 1947 und das Urteil vom 20. 08. 1947 die Vereinigten Staaten von Amerika gegen Karl Brandt und andere, in deutsch abgedruckt in: Frewer, Andreas/Wiesemann, Claudia/Oppitz, Ulrich-Dieter, Medizinverbrechen vor Gericht, 1999, S. 111 – 254. Siehe auch Taylor, Telford, The Nazi Experience: Origins and Aftermath, The Hastings Center Report, Special Supplement: Biomedical Ethics and the Shadow of Nazism 6 (1976), 1 – 9.

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Teil 3: Arzneimittelversuche und Menschenrechte

verbindlichen Übereinkommen zu Fragen der Forschung an Menschen, die Biomedizinkonvention des Europarates und ihr 3. Zusatzprotokoll betreffend die Forschung an Menschen, stellen den Würdeschutz in ihren Mittelpunkt. So bekräftigen die Vertragsstaaten in den Absätzen 9 und 10 der Präambel der Bio­ medizinkonvention: „Convinced of the need to respect the human being both as an individual and as a member of the human species and recognising the importance of ensuring the dignity of the human being; Conscious that the misuse of biology and medicine may lead to acts endangering human dignity“

und kommen im letzten Absatz überein, Maßnahmen zu ergreifen „necessary to safeguard human dignity and the fundamental rights and freedoms of the individual with regard to the application of biology and medicine.“

Art. 1 S. 1 der Biomedizinkonvention benennt Sinn und Zweck des Übereinkommens: „Parties to this Convention shall protect the dignity and identity of all human beings and guarantee everyone, without discrimination, respect for their integrity and other rights and fundamental freedoms with regard to the application of biology and medicine.“

Eine wesentliche Kritik an der Konvention liegt zwar darin, dass ein Dissens über den Umgang mit Embryonen durch Formelkompromisse kaschiert wurde,105 und der explanatory report somit erläutert, dass „everyone“ bzw. „toute personne“ von der Konvention nicht definiert würden, da eben kein Konsens über den Schutz von Embryonen erreicht werden konnte.106 Jedoch ist als allgemein anerkanntes Prinzip zu sehen, dass die Würde eines jeden geborenen Menschen zu schützen ist.107 Versuchsteilnehmerinnen ist unstreitig Würde inhärent und ihre Menschenwürde ist zu schützen.

E.  Ethische Streitpunkte der Forschung an Menschen aus völkervertragsrechtlicher Perspektive Nach Klärung von Auslegungs- und Typologierungsgrundsätzen sowie der Hervorhebung der Begründung der Menschenrechte durch die Menschenwürde sollen im Folgenden die aufgeworfenen ethischen Streitpunkte der Forschung an Menschen (in Entwicklungsländern) daraufhin untersucht werden, inwiefern sie de lege lata vom internationalen Menschenrechtsschutz adressiert und ggf. entschieden werden. 105  Riedel, Eibe, Die Menschenrechtskonvention zur Biomedizin des Europarats – Ein effektives Instrument zum Schutz der Menschenrechte oder symbolische Gesetzgebung?, in: Taupitz, Jochen (Hrsg.), Das Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin des Europarates, 2002, S. 29 – 47 [36]. 106  Explanatory Report to the Convention on Human Rights and Biomedicine, C.E.T.S. No. 164, Rn. 18. 107  Vgl. auch Explanatory Report to the Convention on Human Rights and Biomedicine, C.E.T.S. No. 164, Rn. 19.

§ 5  Menschenrechte der Forschung an Menschen

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I.  Querschnittsfragen, Grundsätze des Versuchspersonenschutzes 1.  Ausgleich von Individual- und Allgemeininteressen a)  Spezifische Regelung Die einzigen spezifischen völkerrechtlich verbindlichen Übereinkommen zur medizinischen Forschung am Menschen sind die Biomedizinkonvention des Europarates (BMK) sowie ihr 3. Zusatzprotokoll betreffend biomedizinische Forschung (im Folgenden 3-ZP-BMK abgekürzt). Art. 2 BMK und Art. 3 3-ZP-BMK normieren, dass das Interesse und das Wohl des einzelnen Menschen Vorrang gegenüber dem bloßen Interesse der Gesellschaft oder Wissenschaft genießen. Dieses Prinzip, das in seiner Formulierung der Deklaration von Helsinki entlehnt ist, ist auch das erste grundlegende Prinzip der BMK sowie ihres 3. Zusatzprotokoll und dient als Auslegungsanleitung für die nachfolgenden Regelungen.108 Allerdings bietet es einen relativ weiten Auslegungsrahmen, da das Wohl und Interesse der Einzelnen nur gegenüber dem bloßen Interesse der Gesellschaft und Wissenschaft Vorrang findet. Es ist somit kein absoluter Vorrang des Wohls der Einzelnen formuliert. Darüber hinaus handelt es sich lediglich um einen Grundsatz. Die eigentliche Funktion dieser Klausel lässt sich demnach vor allem in dem durch sie ausgelösten Begründungszwang sehen.109 b)  Grundsätzliche Verortung Dem Grundsatz des Vorrangs des Interesses und Wohls des einzelnen Menschen gegenüber bloßen Interessen der Gesellschaft und Wissenschaft, wie er in der BMK formuliert ist, liegt der Menschenwürdeschutz zugrunde. Die Einzelne soll im kantschen Sinne nicht zum Wohle der Allgemeinheit instrumentalisiert – objektiviert – werden. Die Menschenwürde stellt zwar eher einen objektiven Wert dar und weniger ein subjektives Menschenrecht,110 sie ist aber Grundlage und Quelle dieser.111 Die universelle Geltung der Menschenwürde als Basis aller Menschenrechte im Völkerrecht ist bereits erörtert worden. Soweit demnach Bestimmungen für die Arzneimittelforschung am Menschen aus den Menschenrechtspakten abgeleitet werden, sind diese im Lichte des Prinzips der Menschenwürde zu lesen. Insofern ist das Prinzip, dass bei Forschungsvorhaben die Einzelne Vorrang vor dem Wohl der Gemeinschaft genießt, auch in die menschenrechtsvertraglichen 108  Albers, Marion, Die rechtlichen Standards der Biomedizin-Konvention des Europarates, EuR (2002), 801 – 831 [810]. 109 Ibid. 110  Wolfrum, Rüdiger/Vöneky, Silja, Who is Protected by Human Rights Conventions? Protection of the Embryo v. Scientific Freedom and Public Health, in: Vöneky, Silja/ Wolfrum, Rüdiger (Hrsg.), Human Dignity and Human Cloning, 2004, S. 133 – 143 [140]. 111 Die Menschenwürde als normative Quelle moderner Menschenrechte: Habermas, Jürgen, Das Konzept der Menschenwürde und die realistische Utopie der Menschenrechte, DZPhil 58 (2010), 343 – 357.

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Bestimmungen als Auslegungsleitlinie zu lesen. Zwar ist dies nur als weit zu interpretierender Grundsatz zu verstehen, jedoch ist damit bereits eine äußerste Begrenzung der Forschungsfreiheit zu formulieren, die in ihrem Kern die Einzelne vor der Verobjektivierung schützt. 2.  Verbot von Versuchen an Menschen bei bestehenden Alternativen Ein Problem des indischen M4N-Falles lag darin, dass Verfahren an Menschen getestet worden sind, obwohl noch keinerlei vorherige Erkenntnisse durch Tierversuche vorlagen. Dies wirft die Frage nach Versuchen zu Forschungszwecken auf, die entweder nicht notwendig sind, da genau solche Versuche bereits hinreichend durchgeführt worden sind oder die durchgeführt werden, bevor zusätzliche Informationen in silico (d. h. in Computersimulationen), in vitro und/oder in vivo an Tieren gewonnen worden sind. Praktisch ist eine unterschiedliche Behandlung dieser Fälle zu sehen. a)  Spezifische Regelung Eine explizite Regelung des Sachverhalts findet sich in Art. 16 i) BMK und Art. 5 des 3-ZP-BMK. Demnach ist Forschung an Menschen nur zulässig, wenn es „keine Alternative von vergleichbarer Wirksamkeit zur Forschung am Menschen“

gibt. Der explanatory report zum 3-ZP-BMK erläutert, dass die „Alternative von vergleichbarer Wirksamkeit“ sich auf die vorhersehbaren Ergebnisse der Forschung an sich bezieht und nicht auf individuelle Vorteile für die Versuchsteilnehmerinnen.112 Nur wenn alternative Methoden „clearly unreasonable“ seien, könne Forschung am Menschen zulässig sein. Alternative Methoden beinhalten Computersimulationen, Tierversuche oder auch nicht-invasive Eingriffe (als Alternative vergleichbarer Wirksamkeit zu einem invasiven Eingriff). b)  Verbot von Versuchen an Menschen bei bestehenden Alternativen als Ausfluss der Menschenwürde Im Vorfeld des Forschungsvorhabens stehen den Wissenschaftlerinnen mehrere Mittel zur Verfügung, wie Computersimulationen, Tierversuche, Versuche an gezüchteten Organen und Versuche an Menschen. Wenn nun alle Mittel als gleichwertig angesehen werden, wird der Mensch letztlich zum bloßen Forschungsobjekt degradiert.113 Versuche, bei denen das Experiment am Menschen nur ein Mittel von vielen ist, einen Forschungszweck zu erreichen, objektivieren die involvierten 112  Explanatory Report to the Additional Protocol to the Convention on Human Rights and Biomedicine concerning Biomedical Research, CoE Doc. DIR/JUR (2004) 4, Rn. 24. 113  Koenig, Christian/Beer, Daniela/Busch, Christiane/Müller, Eva-Maria, Rechtsgutachten – Bestandsaufnahme und Handlungsbedarf hinsichtlich des Übereinkommens zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin und seiner Zusatzprotokolle, 2003, S. 202 f.

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Versuchspersonen. Wenn demnach andere Möglichkeiten gleicher Wirksamkeit zur Verfügung stehen, so müssen diese vorgezogen werden, so dass Versuche an Menschen nur subsidiär durchgeführt werden. c)  Unterlagenschutzproblematik Eine Teilproblematik der Frage der Zulässigkeit von Versuchen an Menschen bei bestehenden Alternativen liegt in der Notwendigkeit bzw. Nicht-Notwendigkeit bestimmter Versuche und damit der Rechtfertigung von duplizierten Versuchen an Menschen. Der Special Rapporteur on the Right of everyone to the enjoyment of the highest attainable standard of physical and mental health, führt zur Risikominimierung aus, dass keine Versuchspersonen für medizinisch unnötige klinische Studien gesucht werden sollten.114 Klinische Studien seien etwa dann unnötig, wenn hinreichende Informationen über die Sicherheit und Wirksamkeit eines Arzneimittels bereits vorlägen. Damit angesprochen ist der sog. Unterlagenschutz oder data exclusivity im Zusammenhang mit Generika. Auf Zulassungsebene (d. h. nicht auf Patentschutzebene) wird von vielen nationalen Zulassungsregimes ein Schutz für die Erst­ anmelderin eines Arzneimittels gewährt, insofern Zweitanmelderinnen, d. h. Ge­ne­rika­herstellerinnen für einen bestimmten Zeitraum bei der Anmeldung des wirkstoffgleichen Nachahmerpräparats sich nicht auf die Zulassungsunterlagen – d. h. auch die Unterlagen über die klinische Prüfung – der Erstanmeldung oder auf produktspezifische, wissenschaftliche Veröffentlichungen (die meistens von der Erstanmelderin stammen) beziehen können.115 Entscheidend ist dabei, dass wenn eine Zweitverwertung von Daten klinischer Studien überhaupt nicht möglich ist, Zweitanmelderinnen eigene klinische Studien durchführen müssen, um bereits bekannte Daten zu generieren. Das grundsätzliche Spannungsfeld liegt hier zwischen dem Interesse der Innovationsförderung durch in Aussicht gestellte zeitlich befristete Monopole und dem Interesse einer Förderung eines Generikamarktes und somit billigerer Arzneimittel zum Wohle der öffentlichen Gesundheit.116 Dieses Spannungsfeld ist in den betrachteten Zulassungsregimes in einer zeitlichen Begrenzung des Unterlagenschutzes aufgelöst worden.117 Keine Generikaherstellerin ist demnach gezwungen, eigene klinische 114  UN Report by Anand Grover, Special Rapporteur on the Right of Everyone to the Enjoyment of the Highest Attainable Standard of Physical and Mental Health vom 10. 08. 2009, UN Dok. A/64/272, Rn. 41. 115  Zum Unterlagenschutz in der EU: Gassner, Ulrich M., Unterlagenschutz im Europäischen Arzneimittelrecht, GRUR Int (2004), 983 – 994. 116  Insofern wirkt der zulassungsrechtliche Unterlagenschutz wie der Patentschutz. 117  Nach Art. 14 Abs. 11 VO (EG) 726/2004 und Art. 10 Abs. 1 der durch RL 2004/27/EG revidierten RL 2001/83/EG gilt für zentrale wie dezentrale Zulassungen das 8+2+1 Prinzip, nach welchem ein grundsätzlicher Unterlagenschutz von acht Jahren besteht und eine zweijährige Marktexklusivität für die Originalpräparate. Dies umfasst jedoch, dass Generikaherstellerinnen nach acht Jahren bereits Zulassungsanträge einreichen können. Die Markt­

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Studien durchzuführen,118 könnte aber im Einzelfall ein Interesse daran haben solche durchzuführen, wenn somit die Markteinführung wesentlich verkürzt werden kann.119 In diesem Fall ließe sich auch Art 16 i) BMK und Art. 5 3-ZP-BMK so auslegen, dass es in der Tat keine – legale – Alternative zur Forschung am Menschen gibt. Der explanatory report zum ZP deutet auch an, dass diese Fälle nicht Hintergrund der Regelung waren.120 Als Ausfluss der Menschenwürde sind Versuche an Menschen nicht zulässig, solange Mittel wie Computersimulationen und Tierversuche zur Erreichung des Forschungszwecks gleichermaßen bestehen. Ein grundsätzliches Verbot von Unterlagenschutz ist daraus jedoch nicht abzuleiten, soweit dieser zeitlich begrenzt ist. Allerdings wäre zu hinterfragen, ob nicht vor dem Hintergrund der zu wahrenden Menschenwürde, die Durchführung von klinischen Studien unzulässig sein sollte, wenn die entscheidenden Daten bereits vorhanden und innerhalb einer bestimmten Zeitspanne verfügbar gemacht werden. 3.  Verbot von Versuchen bei Menschen bei unverhältnismäßiger Risiko-Nutzen-Abwägung a)  Spezifische Regelung Art. 16 ii) BMK und Art. 6 3-ZP-BMK formulieren die Notwendigkeit einer positiven Risiko-Nutzen-Abwägung als Forschungsvoraussetzung. Die unverbindliche UNESCO Declaration on Bioethics and Human Rights jedoch äußert sich hierzu nicht explizit. Nach Art. 16 ii) BMK darf Forschung an Personen nur durchgeführt werden, wenn die ex ante zu bestimmenden Risiken für die Person nicht im exklusivität kann auf drei Jahre erhöht werden, wenn die Originalherstellerinnen innerhalb der ersten acht Jahre die Zulassung für ein neues Anwendungsgebiet erwirken können. 118 Wolfrum legte bereits dar, dass die Prüfnachweise der Erstanmelderin nach dem AMG nach dessen Sinn und Zweck nicht dazu bestimmt sind, um ihr gegenüber etwaigen Nachanmelderinnen einen Wettbewerbsvorsprung zu sichern, sondern um ihr den Marktzugang zu ermöglichen und die Allgemeinheit vor unsicheren Arzneimitteln zu schützen. Stünde die Unschädlichkeit eines Mittels für die Zulassungsbehörde fest, so entfiele unter dem Gesichtspunkt des Verhältnismäßigkeitsprinzips jede Rechtfertigung, von der Nachanmelderin eine entsprechende Prüfung zu verlangen. Wolfrum, Rüdiger, Verfassungsrechtliche Fragen der Zweitanmeldung von Arzneimitteln, Pflanzenbehandlungmitteln und Chemikalien – Zugleich ein Beitrag zum Schutz technischer Innovationen, GRUR (1986), 512 – 518 [516]. 119  Aufgrund der hohen Kosten klinischer Studien, wird dies jedoch kaum der Fall sein. So bietet der Unterlagenschutz gerade deswegen eine verlängerte Monopolstellung der Originalherstellerinnen, wegen der mangelnden Bereitschaft von Generikaherstellerinnen die Kosten für eigene Studien zu tragen. Gassner, Ulrich M., Unterlagenschutz im Europäischen Arzneimittelrecht, GRUR Int (2004), 983 – 994 [984]. 120  Jedenfalls fehlt jeglicher Hinweis auf die Problematik: Explanatory Report to the Additional Protocol to the Convention on Human Rights and Biomedicine concerning Biomedical Research, CoE Doc. DIR/JUR (2004) 4, Rn. 24.

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Missverhältnis zum möglichen Nutzen der Forschung stehen. Art. 6 Abs. 1 3-ZPBMK ist ähnlich formuliert mit dem Zusatz, dass die Risiken und Unannehmlichkeiten für die Person nicht im Missverhältnis stehen dürfen. Da der Bezug relativ ist, können ein höheres Risiko und mehr Unannehmlichkeiten in Kauf genommen werden, wenn der erwartete Nutzen entsprechend höher ist. So kann bei einem neuen Arzneimittel etwa zur Krebsbehandlung ein höheres Risiko eingegangen werden als bei der Behandlung einer Erkältung. Insofern nur nicht ein Missverhältnis bestehen darf, ist der Beurteilungsspielraum relativ großzügig bemessen, soweit die Versuchsperson einen eigenen direkten Vorteil aus dem Versuch bezieht. Besteht kein persönlicher Nutzen, so ist zwar der mögliche Nutzen für die Wissenschaft und Gesellschaft in die Abwägung mit einzubeziehen,121 das mögliche Risiko und die möglichen Unannehmlichkeiten müssen dann aber nach Art. 6 Abs. 2 3-ZP-BMK vertretbar („acceptable“) sein. Die Risikobewertung muss dabei individuell – bei der Auswahl der Testpersonen – vorgenommen werden und gilt damit für alle Teilnehmerinnen einer Studie.122 b)  Verbot eines unverhältnismäßigen Risiko-Nutzen-Verhältnisses nach dem IPBPR als Ausfluss der Menschenwürde In dem Fall, dass einem hohen Risiko oder großen Unannehmlichkeiten kein Nutzen (oder nur ein marginaler Nutzen) – auch nicht für die Wissenschaft oder Gesellschaft im Allgemeinen – gegenüberstehen sollte, wie beispielsweise bei den von den Nationalsozialistinnen durchgeführten Versuchen, ist ein Verbot nach Art. 7 S. 2 IPBPR denkbar. Art. 7 ist Ausfluss der Menschenwürde und genau vor dem Hintergrund völlig objektivierter Testpersonen und evidenten Missverhältnissen von Risiken und Nutzen verfasst worden. II.  Informierte Einwilligung Das Prinzip der freien informierten Einwilligung bzw. das Verbot von Versuchen ohne freie informierte Einwilligung ist ein zentraler Grundsatz im Verhältnis von Ärztinnen und Patientinnen sowie in der Forschung an Menschen. Es ist zuvorderst in Art. 7 S. 2 des IPBPR verankert, aber auch Art 17 IPBPR und Art. 12 IPWSKR zu entnehmen. Es ist ebenso in Art. 8 EMRK, Art. 11 AMRK, Art. 5 und 16 Banjul-Charta und Art. 10 des Protokolls von San Salvador verankert. Darüber hinaus ist es konkreter und ausführlicher in Art. 5 – 9, 16, 17 BMK niedergelegt sowie in Art. 14 – 20 3-ZP-BMK. In Bezug auf besonders schützenswerte Personengruppen ist das Prinzip der informierten Einwilligung ausdrücklich in Art. 15 Nr. 1 der Behindertenrechtskonvention verankert und auch dem Recht auf Gesund121  So der Explanatory Report to the Additional Protocol to the Convention on Human Rights and Biomedicine concerning Biomedical Research, CoE Doc. DIR/JUR (2004) 4, Rn. 25. 122  Das heißt, dass auch für die Versuchspersonen in der Kontrollgruppe eine positive Risikobewertung vorliegen muss.

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heit nach Art. 12 CEDAW zu entnehmen, zusätzlich zu dem grundsätzlichen Diskriminierungsverbot von Frauen. 1.  Spezifische Regelungen a)  Biomedizinkonvention Nach Art. 16 Nr. v) BMK ist Forschung an Personen nur zulässig, wenn die nach Art. 5 BMK notwendige Einwilligung ausdrücklich und eigens für das konkrete Forschungsvorhaben erteilt und urkundlich festgehalten worden ist, nachdem die Probandinnen über ihre Rechte und die von der Rechtsordnung zu ihrem Schutz vorgesehenen Sicherheitsmaßnahmen unterrichtet worden sind (Art. 16 Nr. iv) BMK). Nach Art. 5 als allgemeine Regel gilt: „Eine Intervention im Gesundheitsbereich darf erst dann erfolgen, nachdem die betroffene Person über sie aufgeklärt worden ist und frei eingewilligt hat. Die betroffene Person ist zuvor angemessen über Zweck und Art der Intervention sowie über deren Folgen und Risiken aufzuklären. Die betroffene Person kann ihre Einwilligung jederzeit frei widerrufen.“

Wie bemerkt, ist die BMK in vielen Punkten umstritten, da vor allem in der deutschen Debatte ein zu niedriger Schutzstandard bemängelt worden ist.123 Die grundsätzliche Anforderung einer informierten Einwilligung ist indes zu keinem Zeitpunkt strittig gewesen, zumal es auch ein in allen Mitgliedstaaten der EU und auch weiteren Mitgliedern des Europarates anerkanntes Prinzip darstellt.124 Der explanatory report zur BMK legt dar, dass eine Einwilligung als frei und informiert angesehen werden könne, wenn sie auf der Basis von objektiven Informationen über die Natur und potentielle Folgen des geplanten Eingriffs sowie deren Alternativen erfolgt, die von der verantwortlichen Prüferin/Ärztin125 stammen, und die Einwilligung ohne äußeren Druck erfolgt.126 Art. 5 Abs. 2 benennt – nicht abschließend – die wichtigsten Informationen, die mitgeteilt werden müssen, also 123  de Wachter, Maurice A.M., The European Convention on Bioethics, The Hastings Center Report 27 (1997), 13 – 23; Riedel, Eibe, Die Menschenrechtskonvention zur Biomedizin des Europarats – Ein effektives Instrument zum Schutz der Menschenrechte oder symbolische Gesetzgebung?, in: Taupitz, Jochen (Hrsg.), Das Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin des Europarates, 2002; Taupitz, Jochen, Die Menschenrechtskonvention zur Biomedizin zwischen Kritik und Zustimmung, in: Taupitz, Jochen (Hrsg.), Das Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin des Europarates, 2002; optimistisch Roscam Abbing, Henriette D.C., The Convention on Human Rights and Biomedicine – An Appraisal of the Council of Europe Convention, European Journal of Health Law 5 (1998), 377 – 387. 124  Schlussantrag des Generalanwalt van Gerven, EuGHE 1994, I-4737, Rn. 23. 125  Der Explanatory Report zur allgemeinen Regel spricht von „Health Care Professionals“. 126  Explanatory Report on the Convention for the Protection of Human Rights and Dignity of the Human Being with regard to the Application of Biology and Medicine: Conven-

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den Zweck, die Art, die Folgen und Risiken des Eingriffs. Diese Informationen müssen stets konkret auf die Patientin/Probandin bezogen sein. Das heißt, es muss über das individuelle Risiko (etwa aufgrund des Alters, Vorerkrankungen und Dispositionen) aufgeklärt werden. Nachfragen sind stets angemessen zu beantworten. Im Sinne einer individuellen Aufklärung sind die Informationen hinreichend klar darzulegen, ausgerichtet am Verständnishorizont der Patientin/Probandin. Die Patientin/Probandin muss in eine Position gesetzt werden, in welcher sie ein hinreichendes Verständnis über den Eingriff erlangt und die Notwendigkeiten und den Nutzen der Ziele und Methoden gegen die Risiken und Unannehmlichkeiten oder Schmerzen des Eingriffs abwägen kann.127 Nach der allgemeinen Regel kann die Einwilligung explizit oder implizit erfolgen, letztere insbesondere für medizinische Routineeingriffe. Schon die Natur des Versuchs verdeutlicht indes, dass es sich bei dem Arzneimittelversuchs keinesfalls um einen kleineren Routineeingriff handelt. Dementsprechend muss nach Art. 16 Nr. v) die Einwilligung in Forschungsvorhaben ausdrücklich und für den konkreten Fall erteilt werden und „dokumentiert“ werden. Der explanatory report erläutert, dass die Einwilligung schriftlich zu erfolgen habe.128 Dies würde die Teilnahme von Analphabetinnen ausschließen. Allerdings dürfte dem Wortlaut „documented“ eine ausdrückliche mündliche Aufklärung und explizite Einwilligung, die in einem schriftlichen Protokoll festgehalten wird dem Erfordernis der schriftlichen Dokumentation genügen.129 b)  Das 3. Zusatzprotokoll zur Biomedizinkonvention betreffend biomedizinische Forschung Das 3-ZP-BMK ist zwar mit Stand Mai 2015 nur von neun Staaten ratifiziert worden, dennoch kann es zur weiteren Konkretisierung des Umfanges des Prinzips der informierten Einwilligung herangezogen werden. Art. 1 legt die Zielsetzung des Zusatzprotokolls dar, wonach die Vertragsparteien die Würde und Identität aller Menschen schützen und jedem die Achtung vor ihrer Integrität und weiterer Rechte und fundamentalen Freiheiten in der biomedizinischen Forschung an Menschen garantieren sollen. Entsprechend formuliert Art. 14 das Einwilligungsprintion on Human Rights and Biomedicine, C.E.T.S. No. 164, Rn. 35. So deutlich bereits im Konventionstext in der französischen Sprachfassung. 127  Explanatory Report on the Convention for the Protection of Human Rights and Dignity of the Human Being with regard to the Application of Biology and Medicine: Convention on Human Rights and Biomedicine, C.E.T.S. No. 164, Rn. 36. 128  Explanatory Report on the Convention for the Protection of Human Rights and Dignity of the Human Being with regard to the Application of Biology and Medicine: Convention on Human Rights and Biomedicine, C.E.T.S. No. 164, Rn. 102. 129  Der Explanatory Report zu dem in diesem Punkt wortlautgleichen Art. 14 Abs. 1 des 3-ZP-BMK legt auch entsprechend dar, dass die schriftliche Einwilligung der Best Practice entspräche, aber auch mündliche dokumentierte Einwilligungen der Vorschrift genügten. Explanatory Report to the Additional Protocol to the Convention on Human Rights and Biomedicine concerning Biomedical Research, CoE Doc. DIR/JUR (2004) 4, Rn. 79.

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zip. Demnach darf nach Absatz 1 kein Forschungsvorhaben an Personen ausgeführt werden ohne deren informierte, freie, ausdrückliche, spezifische und dokumentierte Einwilligung. Diese Einwilligung kann nach freiem Ermessen jederzeit zurückgezogen werden. Absatz 2 stellt darüber und über die allgemeine Regelung in der BMK hinaus klar, dass die Weigerung einer Einwilligung oder die Rücknahme einer Einwilligung zu keinerlei Diskriminierung führen darf, insbesondere nicht das Recht auf medizinische Versorgung betreffend.130 Da das 3-ZP-BMK auf die besonderen Umstände der Forschung eingeht, enthält Art. 13 einen umfassenden Katalog an Informationen, die Versuchsteilnehmerinnen in einer verständlichen, individuell angemessenen Weise mitgeteilt werden müssen. Da diese Informationen der Ermöglichung einer selbstbestimmten Entscheidung der Versuchsteilnehmerinnen dienen, ist gleichermaßen das negative Informationsrecht umfasst, bestimmte Informationen nicht zu erfahren. Allerdings muss die Versuchsteilnehmerin soweit aufgeklärt werden, dass eine informierte Einwilligung dennoch möglich ist.131 Dieser Einschätzung folgend, muss indes auch gefolgert werden, dass für eine informierte Einwilligung an sich, unter Umständen auch weniger Aufklärung möglich sein kann als in Art. 13 gefordert. Dies könnten Informationen sein, die für die umfassende Abwägung des Nutzens und des Risikos für das eigene Leben und die Gesundheit unter Einbeziehung von Alternativen nicht direkt relevant sind, wie beispielsweise die Finanzierung des Versuchs oder die Art der kommerziellen Verwertung.132 Hierbei muss im Weiteren auf den Einzelfall abgestellt werden. Der explanatory report bietet keine Beispiele. Denkbar sind Situationen, in denen eine Patientin nicht über großen Nebenwirkungen aufgeklärt werden möchte, wenn die Patientin an einer aller Wahrscheinlichkeit nach tödlichen Krankheit leidet und keine Standardbehandlung mehr helfen kann und die Patientin auf jeden Fall eine (letzte) Chance ergreifen möchte. Die Aufklärungsanforderungen, die der explanatory report benennt, entsprechen denen, wie sie sich bereits aus der BMK ergeben. Je nach Versuchsteilnehmerin können sich die notwendigen Informationen anders gestalten. Jedenfalls soll sie in die Position versetzt werden, sich ein stichhaltiges Urteil über die Notwendigkeit und den Nutzen der Ziele und Methoden des Versuchs in Verhältnis zu 130 

Die besondere Problematik, die sich indes stellt, wenn die Teilnahme an einem Versuch die einzige Möglichkeit einer zumindest potentiellen Behandlung darstellt, weil faktisch keine Zugangsmöglichkeit zu einer Behandlung besteht, wird von dieser Regelung nicht erfasst und wird im Sinne des ZP wohl nicht als schädlich zu bewerten sein. 131  Explanatory Report to the Additional Protocol to the Convention on Human Rights and Biomedicine concerning Biomedical Research, CoE Doc. DIR/JUR (2004) 4, Rn. 72. 132  Auch Anand Grover stellt fest, dass Forschungsteilnehmerinnen zwar über den angestrebten Nutzen einer Forschung informiert werden sollten, aber wohl nicht müssten: UN Report by Anand Grover, Special Rapporteur on the Right of Everyone to the Enjoyment of the Highest Attainable Standard of Physical and Mental Health vom 10. 08. 2009, UN Dok. A/64/272, Rn. 40.

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sich und anderen bilden zu können, um diese gegen die Risiken und Lasten abwägen zu können.133 Die individuellen Risiken und Alternativen müssen hierzu bekannt sein. Art. 13 Abs. 2 verlangt eine der Natur und dem Zweck des Versuchs entsprechende Aufklärung über Umfang und Dauer der geplanten Maßnahmen, insbesondere Details über daraus resultierende Lasten, über verfügbare präventive, diagnostische und therapeutische Maßnahmen, über die Vorkehrungen, die getroffen werden, um auf mögliche Nebenwirkungen zu reagieren, über Vorkehrungen, um die Privatsphäre der Versuchsteilnehmerin zu schützen und die Vertraulichkeit von privaten Daten zu sichern, über den Zugang zu relevanten Informationen, die aus dem Forschungsvorhaben und den Ergebnissen resultieren, über vorhersehbare potentielle Nutzungsmöglichkeiten der Versuchsergebnisse auch kommerzieller Art sowie über die Finanzierung des Forschungsvorhabens. Art. 13 Abs. 2 verlangt ausdrücklich auch eine Informierung über das Votum der Ethikkommission. Versuchsteilnehmerinnen müssen darüber hinausgehend nach Art. 13 Abs. 3 über ihre Rechte und die zu ihren Gunsten getroffenen Schutzmaßnahmen aufgeklärt werden, so insbesondere über das Recht die Einwilligung zu verweigern bzw. jederzeit zurückzuziehen ohne Diskriminierungen befürchten zu müssen, vor allem nicht bezüglich des Rechts auf Zugang zu medizinischer Versorgung. c)  UNESCO Universal Declaration on Bioethics and Human Rights Der Grundsatz, dass wissenschaftliche Versuche nur durchgeführt werden dürfen, wenn die Versuchsperson ihre vorherige, freie, ausdrückliche und informierte Einwilligung gegeben hat, ist in Art. 6 Abs. 2 normiert. Er ist als Ausdruck des Autonomiegrundsatzes zu verstehen, der ausdrücklich vorangehend in Art. 5 bestätigt wird. So muss die Autonomie einer Person, Entscheidungen zu treffen, für die sie die Verantwortung trägt und die gleichermaßen die Autonomie anderer achten muss, geachtet werden („is to be respected“). Art. 6 normiert dann das informed-consent-Prinzip; in Absatz 1 für mediznische Eingriffe und in Absatz 2 für wissenschaftliche Versuche. Auch die Erklärung trägt den durchaus unterschiedlichen Situationen dadurch Rechnung, dass das Erfordernis einer grundsätzlichen ausdrücklichen Einwilligung für medizinische (Routine-)Eingriffe zu eng ist. Die Einwilligung in wissenschaftliche Versuche muss auf einer Aufklärung basieren, die angemessen und in verständlicher Form erfolgen und die Modalitäten für den Widerruf der Einwilligung beinhalten soll. Ein Widerruf darf der betroffenen Person keinen Nachteil oder Schaden bereiten. Die Erklärung erkennt indes an, dass verschiedene Ausformungen der Einwilligung unter nationalem Recht bestehen. Eine Einwilligung kann etwa auch substituiert werden (das explanatory memorandum nennt als Beispiel den Fall tödlich unheilbar kranker Patientinnen) oder in Notsituationen angenommen werden kann.134 133  Vgl. auch Explanatory Report to the Additional Protocol to the Convention on Human Rights and Biomedicine concerning Biomedical Research, Europarat Dok. DIR/JUR (2004) 4, Rn. 72. 134  SHS/EST/05/CONF.203/4, Rn. 68.

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Teil 3: Arzneimittelversuche und Menschenrechte

Soweit Ausnahmen vom Grundsatz der ausdrücklichen informierten Einwilligung unter nationalem Recht möglich sind, sollten diese jedoch „nur in Einklang mit nationalen rechtlichen wie ethischen Standards“ erfolgen, die wiederum den Grundsätzen der Erklärung und Art. 27 entsprechen. Art. 27 formuliert Schranken für die Einschränkung der Anwendung der Grundsätze der Erklärung. So sollten Einschränkungen nur aufgrund von Gesetzen erfolgen. Das heißt, eine Einschränkung allein aufgrund von ethischen Erwägungen wäre nicht konsistent mit Art. 27. Eine solche Regelung muss im Weiteren „im Interesse der öffentlichen Sicherheit, zum Zweck der Untersuchung, Aufdeckung und Verfolgung von Straftaten, zum Schutz der öffentlichen Gesundheit oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer“ sein. Der explanatory report gebraucht folgende Formulierung bezüglich der Einschränkungen: „necessary in a democratic society in the interest of public safety […].“135

Dies entspricht der Formulierung der Schrankenbestimmung in Art. 8 Abs. 2 EMRK. So scheint ein ensprechendes Verhältnismäßigkeitserfordernis intendiert zu sein. Einschränkungen müssen den internationalen Menschenrechten ensprechen. 2.  Verbote nach allgemeineren Menschenrechtsübereinkommen a)  Verbot nach dem IPBPR und der Behindertenrechtskonvention Art. 7 IPBPR lautet wortgleich zu Art. 15 Nr. 1 der Behindertenrechtskonvention: „Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Insbesondere darf niemand ohne seine freiwillige Zustimmung medizinischen oder wissenschaftlichen Versuchen unterworfen werden.“

Den travaux préparatoires zu Art. 7 IPBPR lässt sich entnehmen, dass Hintergrund der ausdrücklichen Regelung in Satz 2 die Versuche von nationalsozialistischen Ärztinnen an Gefangenen in deutschen Vernichtungslagern waren.136 Es wurde die Ansicht vertreten, dass ungehörige medizinische und wissenschaftliche Versuche bereits implizit umfasst seien; letztendlich bestand jedoch Einigung, dass aufgrund der Relevanz der Sache, eine spezifische Regelung nötig sei, auch wenn das Risiko der Wiederholung bestünde.137 Verdeutlicht wird dies auch durch den Wortlaut „insbesondere“ („in particular“, „en particulier“). Aufgrund des Wortlauts und des Hintergrundes sind demnach zunächst nur solche Versuche von Art. 7 S. 2 IPBPR verboten, welche ihrer Natur nach als Folter oder grausame, un135 

SHS/EST/05/CONF.203/4, Rn. 123. A/2929 § 14, in: Bossuyt, Marc J., Guide to the „Travaux Préparatoires“ of the International Covenant on Civil and Political Rights, 1987, S. 151 f. 137  A/2929 § 14, in: Bossuyt, Marc J., Guide to the „Travaux Préparatoires“ of the International Covenant on Civil and Political Rights, 1987, S. 151 f. 136 

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menschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Satz 1 zu qualifizieren sind. Klinische Arzneimittelversuche ohne freiwillige Zustimmung138 fallen demnach in den Anwendungsbereich, wenn der Versuch eine grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung begründet.139 Es wird allerdings nicht allein auf die Schwere der Auswirkungen abzustellen sein. Vielmehr ist Art. 7 als Konkretisierung des Menschenwürdeschutzes zu sehen und soll verhindern, Menschen in Versuchen zu objektivieren.140 Entsprechend fallen Heilversuche nicht in den Anwendungsbereich.141 Als sinnvolle medizinische Behandlung, die das Wohl des Individuums als Zweck betrachtet, werden somit auch nicht Notfallsituationen unter das Verbot von Art. 7 zu fassen sein, in welchen die Patientin (etwa wegen Bewusstlosigkeit) nicht einwilligen kann, jedoch schnell gehandelt werden muss und eine experimentelle Behandlung als am sinnvollsten erachtet wird. Eine Objektivierung wird indes anzunehmen sein, wenn ohne Einwilligung der Versuchsperson, Versuche durchgeführt werden, die allein dem Wohle der Allgemeinheit, der Wissenschaft oder der einzelnen Wissenschaftlerin dienen.142 Das Fehlen einer freiwilligen Zustimmung in Versuche, die allein Interessen verfolgen, die nicht medizinisch sinnvoll für die individuelle Versuchsperson sind, ist dann als Merkmal eines unmenschlichen Charakters eines medizinischen Versuchs zu werten. Nach Art. 4 Abs. 2 dürfen die Bestimmungen nach Art. 7 auch nicht im Falle eines öffentlichen Notstandes außer Kraft gesetzt werden. Für die restriktive Behandlung von Humanexperimenten spricht nun, dass unabhängig von dem Derogationsverbot nach Art. 4, beispielsweise im humanitären Völkerrecht das Gefährdungspotential durch Humanexperimente anerkannt und absolut verboten ist.143

138  Der Wortlaut verlangt keine informierte freiwillige Einwilligung (informed consent). Allerdings kann eine Einwilligung nur als freiwillig bewertet werden, wenn sie auf der Grundlage aller relevanten Informationen den Versuch betreffend erteilt wird. Eine Aufklärung wird über alle wesentlichen Aspekte des Versuchs erfolgen müssen, die sich am Verständnishorizont der Versuchsperson orientiert. Konkret wird dies jedoch im Einzelfall zu beurteilen sein. 139  Nowak, Manfred, U.N. Covenant on Civil and Political Rights – CCPR Commentary, 2005, Art. 7, Rn. 59. 140  Ziel und Zweck der Bestimmung ist es, die Würde sowie physische und mentale Integrität des Individuums zu schützen: Siehe auch CCPR General Comment No. 20, 1992, Art. 7, Rn. 2. 141  Die aus den travaux préparatoires zu entnehmende lange Diskussion um den Wortlaut drehte sich vor allem um die Frage wie auch ohne freiwillige Zustimmung (Einwilligung) sinnvolle medizinische Behandlungen von dem Verbot ausgenommen werden könnten. A/2929 § 15 Bossuyt, Marc J., Guide to the „Travaux Préparatoires“ of the International Covenant on Civil and Political Rights, 1987, S. 152. 142  Die Diskussionen um den Wortlaut stellten damit klar, dass solche Versuche die allein „in the interest of community health“ stehen, nicht ohne Einwilligung durchgeführt werden dürfen und eben keine sinnvolle medizinische Behandlung für das Individuum darstellen.

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Teil 3: Arzneimittelversuche und Menschenrechte

b)  Recht auf Achtung der Privatsphäre

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Das Verbot von Versuchen ohne informierte und freie Einwilligung ist nach Art. 7 IPBPR und Art. 15 Nr. 1 Behindertenrechtskonvention relativ eng. Es sind nur Versuche umfasst, die eine grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung begründen, womit Heilversuche beispielsweise nicht vom Anwendungsbereich erfasst werden. Jedoch kann flankierend aus dem Recht auf Achtung der Privatsphäre und dem Recht auf Gesundheit ein umfassenderes Verbot nicht-konsensualer medizinischer und experimenteller Eingriffe begründet werden. Das Recht auf Achtung der Privatsphäre bzw. des Privatlebens ist in Art. 17 IPBPR, Art. 8 EMRK und Art. 11 AMRK verankert, sowie Art. 16 der Kinderrechtskonvention, Art. 22 und Art. 17 der Behindertenrechtskonvention. Art. 17 IPBPR lautet: „(1) Niemand darf willkürlichen oder rechtswidrigen Eingriffen in sein Privatleben, seine Familie, seine Wohnung und seinen Schriftverkehr oder rechtswidrigen Beeinträchtigungen seiner Ehre und seines Rufes ausgesetzt werden. (2) Jedermann hat Anspruch auf rechtlichen Schutz gegen solche Eingriffe oder Beeinträchtigungen.“

Nach dem IPBPR ist nicht nur das Leben, die körperliche und mentale Integrität und die Anerkennung vor dem Recht als Person eines jeden Menschen anerkannt, sondern auch seine Individualität als menschliches Wesen.144 Diese ist durch das Recht auf Privatsphäre geschützt, welches auch in Art. 12 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte niedergelegt ist. Die Staaten sind demnach verpflichtet, nicht in die Privatsphäre einzugreifen, aber auch rechtliche (und weitere) Maßnahmen zu ergreifen, um solche Eingriffe durch Dritte zu verhindern. Wie weit der Umfang der geschützten Privatsphäre zu ziehen ist, ist nicht klar zu bestimmen. Obwohl die englische Sprachfassung von der Formulierung von Art. 8 der EMRK abweicht („privacy“ statt „private life“), wird vertreten, dass im Grunde gleiches umfasst sei,145 zumal die französische Sprachfassung als Schutzbereich die „vie privée“ ausgibt. Nach der Rechtsprechung des EGMR ist die physische und psychische Integrität von Art. 8 EMRK umfasst. Somit ist jede medizinische Zwangsuntersuchung/-behandlung, auch wenn sie noch so klein ist, grundsätzlich unzulässig.146 143  Art. 12 Genfer Konvention I und II, Art. 13 Genfer Konvention III, Art. 32 Genfer Konvention IV, Art. 5 Nr. 2 lit. e) Zusatzprotokoll II; am umfassendsten Art. 11 Zusatzprotokoll I, welches medizinische und wissenschaftliche Versuche trotz Zustimmung verbietet. Indes ist das Zusatzprotokoll I von entscheidenden Staaten wie den USA nicht ratifiziert worden. 144  Nowak, Manfred, U.N. Covenant on Civil and Political Rights – CCPR Commentary, 2005, Art. 17, Rn. 2. 145  Nowak, Manfred, U.N. Covenant on Civil and Political Rights – CCPR Commentary, 2005, Art. 17, Rn. 16. 146  EGMR Urteil vom 22. 07. 2003, Y.F. v. Turkey, 24209/94, Rn. 33; KOM Entscheidung vom 10. 12. 1984, Acmanne and Others v. Belgium, 10435/83, Decisions and Reports

§ 5  Menschenrechte der Forschung an Menschen

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Indes sind Eingriffe auf Gesetzesgrundlage möglich. Art. 8 Abs. 2 EMRK formuliert hierbei eine Schranken-Schranke nach welcher ein Eingriff zulässig ist, welcher gesetzlich vorgesehen und „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist, für die „nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer“. Art. 17 IPBPR enthält zwar keine formulierte Schranken-Schranke, indes ist aus der Verbotsformulierung „willkürlicher oder rechtswidriger Eingriffe in das Privatleben“ zu schließen, dass ein Eingriff nur zulässig ist, wenn er auf Gesetzesgrundlage und in sonstigem Einklang unter nicht-willkürlichen Umständen mit dem nationalen Rechtssystem steht, d. h. insbesondere einem legitimen Zweck dient und verhältnismäßig ist.147 Einschränkungen des Prinzips der informierten Einwilligung sind demnach beispielsweise in Notfallsituationen zulässig, in denen eine Patientin nicht einwilligungsfähig ist und ein Eingriff in ihrem Sinne notwendig ist. Eine erzwungene Teilnahme an einem Arzneimittelversuch wäre allerdings nicht zu begründen, insofern als legitimes Ziel das Allgemeinwohl steht, welches hinter dem Einzelinteresse zurückstehen muss. c)  Recht auf Gesundheit Das Recht auf den höchsten erreichbaren Standard an Gesundheit ist eigentlich ein Recht auf Zugang zu Gesundheitsversorgung.148 Als solches ist es in Art. 12 des IPWSKR niedergelegt,149 sowie in Art. 10 des Protokolls von San Salvador, als auch in Art. 16 der Banjul-Charta, Art. 12 CEDAW, Art. 24 der Kinderrechtskonvention und in Art. 25 der ILO Konvention Nr. 169. Art. 12 Abs. 1 IPWSKR lautet150: „Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines jeden auf das für ihn erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit an.“

(DR) 40, S. 254; KOM Entscheidung vom 13. 12. 1979, X v. Austria, 8278/78, Decisions and Reports (DR) 18, S. 155. 147  Nowak, Manfred, U.N. Covenant on Civil and Political Rights – CCPR Commentary, 2005, Art. 17, Rn. 20. 148  Dies ist nur logisch, da immerwährende Gesundheit nur utopisch sein kann. So auch CESCR General Comment No. 14, The Right to the Highest Attainable Standard of Health (Art. 12) vom 11. 08. 2000, UN Dok. E/C.12/2000/4, Rn. 8. Insofern ist auch nicht auf den nicht zu erreichenden Gesundheitsbegriff der Präambel des WHO Statuts abzustellen: ­„Health is a state of complete physical, mental and social well-being and not merely the absence of disease or infirmity.“ 149  Der IPWSKR ist mit Stand Mai 2015 von 160 Staaten ratifiziert worden, jedoch beispielsweise nicht von den USA oder Südafrika. 150  Abs. 2 enthält einen nicht abschließenden Katalog von Zielen, die durch erforderliche Maßnahmen verwirklicht werden sollen, um das Recht auf Gesundheit auch voll verwirklichen zu können.

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Teil 3: Arzneimittelversuche und Menschenrechte

Art. 12 ist wie andere Bestimmungen des IPWSKR als weit und vage verstanden worden. Indes wurde der Inhalt von Art. 12 durch die Staatenpraxis weiter konkretisiert.151 Auf Grundlage dieser formulierte das CESCR den general comment Nr. 14, welcher im Folgenden zur Konkretisierung des Rechts in Bezug auf die relevanten Fragen herangezogen werden soll. Das Abwehrrecht aus Art. 12 IPWSKR umfasst das Recht zur Kontrolle des eigenen Körpers und der Gesundheit und stellt somit ein Abwehrrecht gegen (ungewollte) äußere Einwirkungen dar. Dies umfasst laut general comment die Freiheit von nicht-konsensualen medizinischen Behandlungen und Versuchen („non-consensual medical treatment and experimentation“).152 Soweit jede Behandlung, also auch die therapeutische Behandlung, ohne Zustimmung verboten sein soll, geht Art. 12 IPWSKR weiter als Art. 7 IPBPR, welcher in Satz 2 bestimmt, dass niemand ohne seine freiwillige Zustimmung medizinischen oder wissenschaftlichen Versuchen unterworfen werden darf. Umso mehr sind jegliche Arzneimittelversuche ohne Zustimmung, die bereits unter das Verbot des Art. 7 IPBPR fallen, als unzulässig zu erachten. Wenn nicht schon nach Art. 7 IPBPR, so sind nach Art. 12 IPWSKR jegliche Versuche, die in die physische oder psychische Integrität eingreifen und somit jegliche Arzneimittelversuche, zustimmungsbedürftig. Eine Zustimmung im Sinne von Art. 12 IPWSKR kann nur freiwillig und somit auch informiert erfolgen. Der Special Rapporteur on the right of everyone to the highest attainable standard of physical and mental health betont, dass die Garantie der informierten Einwilligung ein fundamentaler Aspekt in der Achtung der individuellen Autonomie, Selbstbestimmung und Menschenwürde darstellt.153 Die Vertragsstaaten des IPWSKR sind verpflichtet, eigene staatliche Versuche nicht ohne informierte Einwilligung durchzuführen, sowie – wie der Special Rapporteur spezifisch betont – Maßnahmen zu treffen, damit Individuen ihrer Möglichkeit zur informierten Einwilligung nicht beraubt werden und vor Missbrauch geschützt werden.154 Die Vertragsstaaten trifft demnach die Pflicht vor Verletzungen durch Private zu schützen. Vor allem sind die Staaten verpflichtet, Private zu verpflichten, keine medizinischen Behandlungen und keine Arzneimittelversuche ohne informierte Einwilligung durchzuführen. 151 „The General Comment is based on the Committee’s experience in examining ­ tates parties’ reports over many years“. CESCR, General Comment No. 14, The Right to S the Highest Attainable Standard of Health (Art. 12 ICESCR) vom 11. 08. 2000, UN Doc. E/C.12/2000/4, Rn. 6. 152  CESCR, General Comment No. 14, The Right to the Highest Attainable Standard of Health (Art. 12 ICESCR) vom 11. 8. 2000, UN Dok. E/C.12/2000/4, Rn. 8. 153  UN Report by Anand Grover, Special Rapporteur on the Right of Everyone to the Enjoyment of the Highest Attainable Standard of Physical and Mental Health vom 10. 08. 2009, UN Doc. A/64/272, Rn. 18. 154  UN Report by Anand Grover, Special Rapporteur on the Right of Everyone to the Enjoyment of the Highest Attainable Standard of Physical and Mental Health vom 10. 08. 2009, UN Doc. A/64/272, Rn. 19.

§ 5  Menschenrechte der Forschung an Menschen

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Der Special Rapporteur spezifiziert in seinem Bericht im Weiteren den Umfang der Pflicht zur Aufklärung in medizinischer Forschung, um den Anforderungen der informierten Einwilligung, wie sie sich bereits aus Art. 7 S. 2 IPBPR ergeben, zu entsprechen. Demnach muss jede potentielle Versuchsperson angemessen über die Ziele, Methoden, den erwarteten Nutzen und das potentielle Risiko des Versuchs aufgeklärt werden.155 Des Weiteren kann die Einwilligung jederzeit widerrufen werden, so dass der Prozess der informierten Einwilligung kontinuierlich ist und ständig neue Entwicklungen berücksichtigt.156 Auch weist der Special Rapporteur auf die Unzulässigkeit hin, Probandinnen in „therapeutische Missverständnisse“ zu führen und eine Erwartungshaltung zu schaffen, nach welcher eine therapeutische Behandlung erwartet wird, obwohl Placebos eingesetzt werden. Besondere Vorsichtsmaßnahmen zur Autonomiesicherung sollen des Weiteren bei Forschung in Bevölkerungsgruppen mit niedriger Alphabetisierung getroffen werden. Ebenso sind verschiedene Sprachen und kulturelle Barrieren beachtlich. Informationen müssen daher in einer verständlichen Weise vermittelt werden, was beispielsweise die Notwendigkeit von Übersetzungen begründen kann.157 Um sicherzustellen, dass die potentiellen Versuchsteilnehmerinnen die hauptsächlichen Nutznießerinnen der Forschung sind, sollten sie über den angestrebten Nutzen und die Profiteure der Forschung informiert werden. Der Special Rapporteur spricht hier von should und nicht must, was auch darauf hinweist, dass er diese Informationen für eine wirksame Einwilligung für verzichtbar ansieht.158 III.  Vulnerable Personen 1.  Das Konzept der Vulnerabilität im Kontext der Forschung a)  Spezifische Übereinkommen aa) 3. Zusatzprotokoll zur Biomedizinkonvention Das 3-ZP-BMK bekräftigt in der Präambel „that particular protection shall be given to human beings who may be vulnerable in the context of research.“

155  UN Report by Anand Grover, Special Rapporteur on the Right of Everyone to the Enjoyment of the Highest Attainable Standard of Physical and Mental Health vom 10. 08. 2009, UN Doc. A/64/272, Rn. 35. 156  An dieser Stelle bezieht sich der Special Rapporteur auf Art. 24 des 3-ZP-BMK. 157  UN Report by Anand Grover, Special Rapporteur on the Right of Everyone to the Enjoyment of the Highest Attainable Standard of Physical and Mental Health vom 10. 08. 2009, UN Doc. A/64/272, Rn. 39. 158  UN Report by Anand Grover, Special Rapporteur on the Right of Everyone to the Enjoyment of the Highest Attainable Standard of Physical and Mental Health vom 10. 08. 2009, UN Doc. A/64/272, Rn. 40.

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Teil 3: Arzneimittelversuche und Menschenrechte

Nach Art. 12 sollen Ethikkommissionen entsprechend ihre besondere Aufmerksamkeit dem Schutz vulnerabler oder abhängiger Personen widmen. „The ethics committee must be satisfied that no undue influence, including that of a financial nature, will be exerted on persons to participate in research. In this respect, particular attention must be given to vulnerable or dependent persons.“

Die Vulnerabilität, die im Abkommen selbst nicht erläutert wird, ist dabei doppeldeutig zu sehen. Einerseits ist jede Versuchsperson verletzlich, da Versuche ihrer Definition nach unsicher sind.159 Andererseits habe einige Personen eine darüber hinaus gehende Verletzlichkeit, die sie anfällig für eine „unethische Behandlung“ macht.160 Das Konzept der Vulnerabilität ist nicht zuletzt aus dem bioethischen Diskurs übernommen worden.161 Der explanatory report zum 3-ZPBMK führt dies umfassend aus162 und versucht damit umfassend auf bestimmte 159  Page, Alice K., Prior Agreements in International Clinical Trials: Ensuring the Benefits of Research to Developing Countries, Yale Journal of Health Policy, Law, and Ethics 3 (2002 – 2003), 35 – 66, Rn.  68. 160  Page, Alice K., Prior Agreements in International Clinical Trials: Ensuring the Benefits of Research to Developing Countries, Yale Journal of Health Policy, Law, and Ethics 3 (2002 – 2003), 35 – 66, Rn.  68. 161  Siehe Erläuterungen bei Patrão Neves, Maria, Art. 8: Respect for Human Vulnerability and Peronal Integrity, in: ten Have, Henk (Hrsg.), The UNESCO Universal Decaration on Bioethics and Human Rights, 2009, S. 155 – 164. 162  „Human beings asked to take part in research can be classified as being vulnerable due to cognitive, situational, deferential, medical, economic, and social factors. Persons with cognitive vulnerability may not have the capacity to come to an informed decision on whether to give consent or not. Such persons might be minors or persons suffering from dementia. Persons with situational vulnerability may have the capacity to make a decision, but are deprived of their ability to exercise their capacity by the situation at hand (for example during an emergency or due to a lack of fluency in the language being used to inform and request the consent). Persons subject to institutional vulnerability could be individuals with full cognitive capacity to consent, but who find themselves subject to the authority of persons or bodies who could have their own, and possibly conflicting, interests in relation to a research project. Examples of those subject to this type of vulnerability could be persons fulfiling their service in the military or other uniformed services, prisoners or medical students. Persons subject to institutional vulnerability could also be described as being dependent. Deferential vulnerability is similar to institutional vulnerability, but in contrast to institutional vulnerability, it is characterized by informal, rather than formal, hierarchies. These hierarchies can be based on social frameworks or on subjective deference to the opin­ ion of a family member. It could also be the deference of a patient to the wishes (perceived or real) of his/her physician. Medical vulnerability affects those suffering from ailments for which there is no satisfactory standard treatment. This type of patient may be vulnerable to exploitation by someone promising him/her a ‘miracle cure’. Economic vulnerability affects those with the cognitive ability to consent to participation but who might easily be induced to take part in research in order to obtain a financial gain or in order not to lose access to some benefits, even if they would not otherwise participate in the research. Social vulnerability arises from the position of certain groups in a given society. Such groups may be stereotyped, may have been historically discriminated against, may have recently arrived in

§ 5  Menschenrechte der Forschung an Menschen

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Personengruppen hinzuweisen, die typischerweise vulnerabel sind, und zeigt darin die Verbindung und Beeinflussung durch den ethischen Diskurs auf. bb) UNESCO Universal Declaration on Bioethics and Human Rights Art. 8 der UNESCO Erklärung lautet: „In applying and advancing scientific knowledge, medical practice and associated technologies, human vulnerability should be taken into account. Individuals and groups of special vulnerability should be protected and the personal integrity of such individuals respected.“

Art. 8 bezweckt ebenfalls eine doppelte Aussage: Zum einen, die Erinnerung an und die Aufforderung dazu die Verletzlichkeit einer jeden Person bewusst werden zu lassen und zum anderen, Personen mit zusätzlicher Vulnerabilität einen besonderen Schutz zukommen zu lassen.163 Das Konzept der Vulnerabilität, das in Art. 17 und 24 der UNESCO Declaration on the Human Genome and Human Rights von 1997 auf Personengruppen bezogen wird, ist hier auch dem bioethischen Diskurs entlehnt.164 Die Erklärung verzichtet indes auf eine Definition und darauf, das Konzept in sonstigen operativen Teilen aufzugreifen. b)  Allgemeine Übereinkommen: Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte Das Konzept der Vulnerabilität wie es aus dem bioethischen Diskurs stammt und in den spezifischen Übereinkommen aufgegriffen worden ist, ist in allgemeineren Übereinkommen in diesem bioethischen Verständnis nicht benannt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass für Personen, die unter den so verwendeten Begriff der Verletzlichkeit fallen würden, grundsätzlich nicht in sonstigen Menschenrechtsübereinkommen anerkannt wären. Im Gegenteil, in spezifischen Konventionen wie beispielsweise der CEDAW oder ILO Konvention Nr. 169 werden Rechte Angehöriger bestimmter Personengruppen gestärkt. Dies kann auch Implikationen für die Inklusion dieser Personen in Arzneimittelforschung haben. Gleichermaßen verfolgt der Special Rapporteur on the right of everyone to the highest attainable standard of physical and mental health Anand Grover in dieser Thematik in Zusammenhang mit dem Prinzip der informierten Einwilligung einen rechtsbasierten Ansatz. Der general comment zu Art. 12 IPWSKR greift – ohne sie so zu bennen – Aspekte der Vulnerabilitätskonzeption auf und legt dar, dass die Staaten eine the community, may not speak the language, and may be economically disadvantaged (like economically vulnerable).“ 163  Patrão Neves, Maria, Art. 8: Respect for Human Vulnerability and Peronal Integrity, in: ten Have, Henk (Hrsg.), The UNESCO Universal Decaration on Bioethics and Human Rights, 2009, S. 155 – 164 [161]. 164  Patrão Neves, Maria, Art. 8: Respect for Human Vulnerability and Peronal Integrity, in: ten Have, Henk (Hrsg.), The UNESCO Universal Decaration on Bioethics and Human Rights, 2009, S. 155 – 164.

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Teil 3: Arzneimittelversuche und Menschenrechte

besondere Pflicht trifft, das Recht auf Gesundheit von Personen zu achten, schützen und zu realisieren, die aufgrund ihres Gesundheits- oder Sozialstatus oder ihrer ökonomischen oder politischen Situation benachteiligt sind.165 Der Special Rapporteur on the right of everyone to the highest attainable standard of physical and mental health vertieft dies in seinem Bericht von 2009. Er verfolgt einen rechtsbasierten Ansatz im Kontext des Prinzips der informierten Einwilligung, der strukturelle Ungleichheiten beachten muss, die einen wesentlichen Einfluss auf mentale oder physische Bedingungen oder auf die Beziehung zur Gesundheitsversorgerin haben können.166 Der Special Rapporteur identifiziert dabei zehn besonders schützenswerte Personengruppen und deren Recht zur informierten Einwilligung, unter die nicht-einwilligungsfähige Personen und nicht freie Personen fallen. Darüber hinaus identifiziert er – insbesondere in Entwicklungsländern – bestimmte Personengruppen, die einen besonders niedrigen wirtschaftlichen und sozialen Status aufweisen und deren Durchsetzung des Rechts zur freien informierten Einwilligung fragil ist, insbesondere Frauen, ethnische Minderheiten, indigene Völker, Personen die mit HIV/AIDS leben sowie drogenabhängige Personen.167 2.  Nicht-einwilligungsfähige Personen Das Erfordernis der freien informierten Einwilligung ist das zentrale Prinzip in der medizinischen Forschung und fungiert als Korrektiv in der Patientin/Probandin-Ärztin-Beziehung. Bestimmte Personen sind jedoch aufgrund kognitiver Einschränkungen oder des Alters, faktisch oder rechtlich nicht einwilligungsfähig. Darüber hinaus können weitere Personen zwar grundsätzlich einwilligungsfähig, aber möglicherweise besonders schützenswert sein, da sie beispielsweise aufgrund struktureller oder ökonomischer Zwänge a priori darin eingeschränkt sein könnten, eine freie Entscheidung zu treffen.168 Aufgrund wesentlicher struktureller 165  CESCR General Comment No. 14, The Right to the Highest Attainable Standard of Health (Art. 12) vom 11. 08. 2000, UN Doc. E/C.12/2000/4, Rnrn. 12, 17 ff., 34 ff., 43. 166  UN Report by Anand Grover, Special Rapporteur on the Right of Everyone to the Enjoyment of the Highest Attainable Standard of Physical and Mental Health vom 10. 08. 2009, UN Doc. A/64/272, Rn. 23. 167  UN Report by Anand Grover, Special Rapporteur on the Right of Everyone to the Enjoyment of the Highest Attainable Standard of Physical and Mental Health vom 10. 08. 2009, UN Doc. A/64/272, Rnrn. 47 ff. Er listet im Weiteren Sexarbeiterinnen auf, welche de lege und de facto oftmals massiv benachteiligt werden und deren Recht auf informierte Einwilligung oftmals eingeschränkt wird. Für den Fall der Arzneimittelversuche stellen sich indes keine gruppenspezifischen Besonderheiten. 168  Das deutsche Recht unterstellt etwa Personen, die sich in amtlicher Verwahrung befinden, dass sie, da sie einem besonderen Gewaltverhältnis ausgesetzt sind, nicht über die hinreichende Freiheit verfügen, um ihre Willensentscheidung unbeeinflusst herbeizuführen. Rehmann, Wolfgang A./Greve, Kai, Arzneimittelgesetz (AMG) – Kommentar, 2008, § 40, Rn. 6.; Deutsch, Erwin/Ratzel, Rudolf (Hrsg.), Kommentar zum Arzneimittelgesetz (AMG), 2. Aufl., 2007, § 40, Rn. 12.

§ 5  Menschenrechte der Forschung an Menschen

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Machtgefälle zwischen Versuchspersonen und Prüferinnen können in bestimmten Fällen Maßnahmen geboten sein, um die Autonomie verletzlicher Versuchspersonen zu schützen.169 a)  Einwilligungsfähigkeit In der ethischen Auseinandersetzung ist die Konzeption der Einwilligungsfähigkeit an dem zugrundegelgten Konzept der Einwilligung zu orientieren. Sie wurde hier definiert als die Fähigkeit, die erforderliche Geisteshaltung zur Einwilligung zu entwickeln sowie die Fähigkeit diese nach außen zu kommunizieren.170 Sie kann auch im völkerrechtlichen Kontext als Ausübung von Autonomie, als die Fähigkeit verstanden werden, eine gegebene Situation und ihre Umstände zu verstehen und zu bewerten und in der Abwägung aller gegebenen Umstände eine rationale Entscheidung zu treffen sowie die Fähigkeit der getroffenen Entscheidung entsprechend zu handeln.171 Unterschieden werden muss bei dieser Konzeption jedoch zwischen einer Einwilligungsfähigkeit de iure oder de facto.172 aa) Spezifische Regelungen (1) Biomedizinkonvention und ihr 3. Zusatzprotokoll Die BMK gestattet unter der Voraussetzung der Alternativlosigkeit die Forschung an nicht-einwilligungsfähigen Personen nach Art. 16 und 17, wenn die erwarteten Forschungsergebnisse für die Gesundheit der betroffenen Person voraussichtlich einen tatsächlichen und unerwarteten Nutzen enthalten. Die Einwilligungsfähigkeit wird dabei nach Art. 6 Abs. 2 und 3 BMK grundsätzlich rechtlich determiniert. Sie wird jedoch durch die faktische Einsichtsfähigkeit ergänzt insofern, je nach Alter und/oder Einsichtsvermögen, die Meinung der rechtlich nicht einwilligungsfähigen Person beachtet werden muss. Die ausdrückliche Ablehnung der betroffenen Person wirkt ausschließend nach Art. 17 Abs. 1 v) BMK und Art. 15 Abs. 1 v) 3-ZP-BMK.

169  Coleman, Carl H./Menikoff, Jerry A./Goldner, Jesse A./Neveloff Dubler, Nancy, The Ethics and Regulation of Research with Human Subjects, 2005, Rn. 36. 170  Siehe oben § 2 C. II. 2. c) Elemente der informierten Einwilligung in der Forschung S. 47 ff.; MacLean, Alasdair, Autonomy, Informed Consent and Medical Law – a Relational Challenge. 171  Martin, Jean F., Art. 7: Persons without the Capacity to Consent, in: ten Have, Henk, The UNESCO Universal Decaration on Bioethics and Human Rights, 2009, S. 139 – 153 [144]. 172  Vgl. auch Martin, Jean F., Art. 7: Persons without the Capacity to Consent, in: ten Have, Henk, The UNESCO Universal Decaration on Bioethics and Human Rights, 2009, S. 139 – 153 [144 f.].

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Teil 3: Arzneimittelversuche und Menschenrechte

(2) UNESCO Universal Declaration on Bioethics and Human Rights Nach Art. 5 der UNESCO Universal Declaration on Bioethics and Human Rights ist die Freiheit einer Person, Entscheidungen zu treffen, ausdrücklich zu achten. Satz 2 normiert wiederum den Fall, dass für Personen, die nicht fähig („capable“) sind, sich frei und selbstständig zu entscheiden, besondere Maßnahmen zum Schutz ihrer Rechte und Interessen zu ergreifen sind. Art. 7 konkretisiert diese Maßgabe für den Fall der Forschung an nicht-einwilligungsfähigen Personen. Die Bestimmung wann eine Person nicht-einwilligungsfähig sein soll, ist dabei nach nationalem Recht zu treffen. Dass für bioethische Fragestellungen der faktischen Einwilligungsfähigkeit jedoch die größere Bedeutung zukommt, schlägt sich zumindest insoweit nieder, dass (de iure) nicht-einwilligungsfähige Personen, nach Art. 7 lit. a) S. 2 in größtmöglichem Maße an dem Entscheidungsprozess bezüglich der Einwilligung wie auch des Widerrufs der Einwilligung beteiligt sein sollten. bb) Allgemeinere Übereinkommen (1) Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte und Behindertenrechtskonvention Einwilligungsfähigkeit wird zum Teil als die uneingeschränkte Fähigkeit zum Abschluss von Rechtsgeschäften aufgefasst und somit mit Geschäftsfähigkeit gleichgesetzt.173 Insbesondere im Kontext vom IPBPR und der Behindertenrechtskonvention lässt sich so eine dogmatische Verankerung begründen. Sie kann dann allgemein aus Art. 16 IPBPR abgeleitet werden.174 Sie kann indes insbesondere in Bezug auf Kinder, Heranwachsende und geistig Beeinträchtigte beschränkt werden,175 darf aber ansonsten nicht willkürlich und/oder diskriminierend eingeschränkt werden, etwa in der Form, dass erwachsenen Männern die Einwilligungsfähigkeit aberkannt wird. Nach Art. 12 Nr. 4 des Übereinkommens über die Rechte von Personen mit Behinderungen kann eine Einschränkung der Rechtsfähigkeit von Personen mit Behinderungen, die verhältnismäßig und den Umständen wie der

Deutsch, Erwin/Spickhoff, Andreas, Medizinrecht, 2003, Rn. 507. Volio, Fernando, Legal Personality, Privacy and the Family, in: Henkin, Louis (Hrsg.), The International Bill of Rights – the Covenant on Civil and Political Rights, 1981 S. 185 – 208 [186 ff.]; Robertson, A. H., The United Nations Covenant on Civil and Political Rights and the European Convention on Human Rights, The British Yearbook of International Law 43 (1968 – 69), 21 – 48 [39]; Lillich, Richard B., in: Meron, Theodor (Hrsg.), Human Rights in International Law – Legal and Policy Issues, 1, 1984 S. 130 f.; a. A. Nowak, Manfred, U.N. Covenant on Civil and Political Rights – CCPR Commentary, 2005, Art. 16, Rn. 2 ff. 175  Robertson, A. H., The United Nations Covenant on Civil and Political Rights and the European Convention on Human Rights, The British Yearbook of International Law 43 (1968 – 69), 21 – 48 [39]. 173  174 

§ 5  Menschenrechte der Forschung an Menschen

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Behinderung angemessen sein muss, nur unter Aufsicht einer kompetenten, unabhängigen und unparteiischen Behörde oder eines Gerichts erfolgen.176 (2) Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte Der Special Rapporteur on the right of everyone to the highest attainable standard of physical and mental health Anand Grover stellt zu Beginn seines Berichtes von 2009 klar, dass Einwilligungsfähigkeit („competency to consent“) im Allgemeinen als faktische Fähigkeit verstanden wird, Informationen zu verstehen, zu behalten, zu glauben und abzuwägen, welche bei Volljährigkeit vermutet wird.177 Geschäftsfähigkeit ist damit nicht mit Einwilligungsfähigkeit gleichzusetzen, lässt diese jedoch stark vermuten. Die Einwilligungsfähigkeit von Kindern wird dabei weltweit unterschiedlich gehandhabt, entweder indem Reifetests durchgeführt werden, wodurch die faktische mit der rechtlichen Einwilligungsfähigkeit gleichgesetzt wird, oder indem auf die Geschäftsfähigkeit abgestellt wird und die Einwilligung durch die gesetzliche Vertreterin ersetzt werden kann. b)  Kinder und Heranwachsende aa) Spezifische Regelungen (1) Biomedizinkonvention und ihr 3. Zusatzprotokoll Zusätzlich zu grundsätzlichen Schutzmaßnahmen nach Art. 16 BMK normiert Art. 17 Schutzvorschriften für Forschung an nicht-einwilligungsfähigen Personen.178 Grundsätzlich soll solche Forschung nur nachrangig und unter Beachtung aufgezählter Schutzmaßnahmen erfolgen, wenn ein direkter und realer individuel176  So auch § 7 der Declaration on the Rights of Mentally Retarded Persons, GA Res. 2856 (XXVI), UN Dok. A/8429 (1971); vgl. auch Art. 4 der Empfehlung Nr. Rec (2004)10 des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten zum Schutze der Menschenrechte und der Würde von Personen mit psychischer Störung. 177  Coleman, Carl H./Menikoff, Jerry A./Goldner, Jesse A./Neveloff Dubler, Nancy, The Ethics and Regulation of Research with Human Subjects, 2005, Rn. 10 f. 178  „(1) Research on a person without the capacity to consent as stipulated in Article 5 may be undertaken only if all the following conditions are met: – the conditions laid down in Article 16, sub-paragraphs i to iv, are fulfilled; – the results of the research have the potential to produce real and direct benefit to his or her health; – research of comparable effectiveness cannot be carried out on individuals capable of giving consent; – the necessary authorisation provided for under Article 6 has been given specifically and in writing; and – the person concerned does not object. (2) Exceptionally and under the protective conditions prescribed by law, where the research has not the potential to produce results of direct benefit to the health of the person concerned, such research may be authorised subject to the conditions laid down in paragraph 1, sub-paragraphs i, iii, iv and v above, and to the following additional conditions:

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Teil 3: Arzneimittelversuche und Menschenrechte

ler Nutzen für die Versuchsperson oder unter engeren Voraussetzungen, auch wenn „nur“ ein Gruppennutzen zu erwarten ist. Art. 15 des 3-ZP-BMK – ansonsten wort- bzw. inhaltsgleich – ergänzt diese Maßnahmen.179 Zum einen soll Forschung an nicht-einwilligungsfähigen Personen grundsätzlich nur subsidiär durchgeführt werden; die gesetzliche Vertreterin muss einwilligen und die Person ist soweit wie möglich in den Entscheidungsprozess miteinzubeziehen, was sich auch darin zeigt, dass Forschung nicht durchgeführt werden darf, wenn die Person dem widerspricht. Als Grundregel soll nur Forschung durchgeführt werden, wenn diese potentiell einen tatsächlichen und unmittelbaren Nutzen für die Versuchsperson mit sich bringt. Allerdings ist auch fremdnützige Forschung statthaft, wenn zumindest einen Gruppennutzen in Aussicht steht. (2) UNESCO Universal Declaration on Bioethics and Human Rights Die UNESCO Erklärung normiert diese Frage in Art. 7.180 Sie erfordert gleichermaßen eine Subsidiarität dieser Versuche, die Einwilligung der gesetzlichen – the research has the aim of contributing, through significant improvement in the scientific understanding of the individual’s condition, disease or disorder, to the ultimate attainment of results capable of conferring benefit to the person concerned or to other persons in the same age category or afflicted with the same disease or disorder or having the same condition; – the research entails only minimal risk and minimal burden for the individual concerned.“ 179  „(1) Research on a person without the capacity to consent to research may be undertaken only if all the following specific conditions are met: […] – iii. the person undergoing research has been informed of his or her rights and the safeguards prescribed by law for his or her protection, unless this person is not in a state to receive the information; – iv. the necessary authorisation has been given specifically and in writing by the legal representative or an authority, person or body provided for by law, and after having receiv­ ed the information required by Article 16, taking into account the person’s previously expressed wishes or objections. An adult not able to consent shall as far as possible take part in the authorisation procedure. The opinion of a minor shall be taken into consideration as an increasingly determining factor in proportion to age and degree of maturity; […] (2) Exceptionally and under the protective conditions prescribed by law, where the research has not the potential to produce results of direct benefit to the health of the person concerned, such research may be authorised subject to the conditions laid down in paragraph 1, sub-paragraphs ii, iii, iv, and v above, and to the following additional conditions: […] ii. the research entails only minimal risk and minimal burden for the individual concerned; and any consideration of additional potential benefits of the research shall not be used to justify an increased level of risk or burden. (3) Objection to participation, refusal to give authorisation or the withdrawal of authorisation to participate in research shall not lead to any form of discrimination against the person concerned, in particular regarding the right to medical care.“ 180  „In accordance with domestic law, special protection is to be given to persons who do not have the capacity to consent:

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Vertreterin und eine möglichst umfassende Einbeziehung der Person in den Entscheidungsprozess, allerdings ohne ein Ausschlussverbot bei Weigerung der Person zu normieren. Ebenso soll grundsätzlich Forschung an nicht-einwilligungsfähigen Personen nur durchgeführt werden, wenn ein unmittelbarer Nutzen für diese in Aussicht steht. Als Ausnahme soll auch Forschung mit Gruppennutzen möglich sein. In diesen Fällen solle die Weigerung an der Forschung teilzunehmen respektiert werden, wenn sie auch nicht unumstößlich ist. bb) Allgemeinere Übereinkommen: Kinderrechtskonvention In Bezug auf Kinder ist im Sinne von Art. 12 und Art. 24 der Kinderrechtskonvention181 beachtlich, dass das Kind seinem Alter und seiner Entwicklung entsprechend, über die Risiken und den Nutzen einer medizinischen Behandlung aufgeklärt wird, und dass der von ihm geäußerte Wille Beachtung findet, auch wenn die letzte Entscheidungskompetenz bei den gesetzlichen Vertreterinnen bleibt. Aus Art. 3 Nr. 1 der Kinderrechtskonvention folgt, dass bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, das Wohl des Kindes vorrangig zu berücksichtigen ist und so auch in allen Maßnahmen, die das Recht auf Gesundheit des Kindes anbelangen.182 Demnach ist aufgrund des notwendigen Schutzes von Kindern und ihrer Autonomie als spätere Erwachsene183 nicht für jeden medizinischen Eingriff die ersetzende informierte Einwilligung der gesetzlichen Vertreterinnen (a) authorization for research and medical practice should be obtained in accordance with the best interest of the person concerned and in accordance with domestic law. However, the person concerned should be involved to the greatest extent possible in the deci­sionmaking process of consent, as well as that of withdrawing consent; (b) research should only be carried out for his or her direct health benefit, subject to the authorization and the protective conditions prescribed by law, and if there is no research alternative of comparable effectiveness with research participants able to consent. Research which does not have potential direct health benefit should only be undertaken by way of exception, with the utmost restraint, exposing the person only to a minimal risk and minimal burden and if the research is expected to contribute to the health benefit of other persons in the same category, subject to the conditions prescribed by law and compatible with the protection of the individual’s human rights. Refusal of such persons to take part in research should be respected.“ 181  Vgl. auch CRC, General Comment No. 4, Adolescent Health and Development in the Context of the Convention on the Rights of the Child vom 01. 07. 2003, UN Doc. CRC/ GC/2003/4, Rnrn. 7 f., 32. 182  CESCR, General Comment No. 14, The Right to the Highest Attainable Standard of Health (Art. 12 ICESCR) vom 11. 08. 2000, UN Doc. E/C.12/2000/4, Rn. 24; speziell zur HIV/AIDS Problematik, CRC, General Comment No. 3 HIV/AIDS and the Rights of the Child vom 17. 03. 2003, UN Doc. CRC/GC2003/3, Rn. 10. 183  Das kolumbianische Verfassungsgericht betont die „Freiheit und Autonomie in der Entwicklung“ von Kindern, zumal die Kinder nur in Obhut nicht im Eigentum der Eltern stehen: Corte Constitucional de la República de Colombia, Urteil SU-337/99 vom 12. 05. 1999, II. Rn. 23.

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hinreichend.184 Da nur zum Wohle der Kinder eine Ersetzung ihrer informierten Einwilligung durch die ihrer gesetzlichen Vertreterinnen erfolgen kann, könnte geschlossen werden, dass zumindest die Teilnahme von Kindern als gesunde Probanden an Arzneimittelversuchen nicht zulässig ist. Für risikoreiche und methodisch nicht notwendige Eingriffe jedenfalls – an gesunden Kindern – kann eine Ersetzung der informierten Einwilligung nicht zulässig sein, da solche zum einen keine positive Risiko-Nutzen-Relation aufweisen und zum anderen weder dem Wohl des Kindes selbst noch dem Wohle anderer Kinder dienen.185 Ein Verbot eines Einbezugs von kranken Kindern in Versuche, die für diese Kinder nur einen Gruppennutzen darstellen, wäre jedoch nicht im Sinne der grundsätzlichen Kindeswohlförderung, wenn ein solcher Versuch das Wohl der Kinder bzw. einer bestimmten Kindergruppe im Fokus hat und unabdingbar für die Entwicklung von Arzneimitteln für diese Kinder ist. c)  Nicht-einwilligungsfähige Erwachsene aa) Spezifische Übereinkommen Die Biomedizinkonvention, das 3-ZP-BMK ebenso die UNESCO Universal Declaration on Bioethics and Human Rights unterscheiden nicht zwischen nicht-einwilligungsfähigen Erwachsenen und Kindern. Damit gilt entsprechendes. Letztlich war die Zulässigkeit von Versuchen an nicht-einwilligungsfähigen Erwachsenen wie geistig behinderten Erwachsenen bei Gruppennutzen einer der wesentlichen Punkte, die zu der Ablehnung der Biomedizinkonvention in Deutschland geführt hat.186 Diese rigorose Ablehnung widerspricht allerdings dem Inklu184  Dies gilt insbesondere für stark invasive oder nicht reversible Eingriffe in Nicht-Notfallsituationen. Der späteren Erwachsenen sollte in solchen Fällen eine nicht reversible Entscheidung nicht vorweggenommen werden, wie bspw. das kolumbianische Verfassungsgericht in einem Fall entschied, in welchem die Einwilligung der Eltern in die geschlechtsorgan-remodellierende Operation ihrer intersexuellen zweijährigen Tochter als unzureichend angesehen wurde und die informierte Einwilligung des Kindes nicht ersetzen konnte. Corte Constitucional de la República de Colombia, Urteil T-551/99 vom 02. 08. 1999, Rnrn. 8 ff.; ebenfalls Urteil SU-337/99 vom 12. 05. 1999. 185 Der General Comment zu Art. 7 empfiehlt daher, dass nicht-einwilligungsfähige Personen Versuchen nicht ausgesetzt werden sollten, die sich nachteilig auf ihre Gesundheit auswirken könnten. Lavery, James V., Putting International Research Ethics Guidelines to Work for the Benefit of Developing Countries, Yale Journal of Health Policy, Law, and Ethics 4 (2004), 319 – 336, Rn. 7: „Article 7 expressly prohibits medical or scientific experimentation without the free consent of the person concerned. […] The Committee also observes that special protection in regard to such experiments is necessary in the case of persons not capable of giving valid consent, and in particular those under any form of detention or imprisonment. Such persons should not be subjected to any medical or scientific experimentation that may be detrimental to their health.“ 186  de Wachter, Maurice A.M., The European Convention on Bioethics, The Hastings Center Report 27 (1997), 13 – 23; Riedel, Eibe, Die Menschenrechtskonvention zur Biomedizin des Europarats – Ein effektives Instrument zum Schutz der Menschenrechte oder sym-

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sionsgedanken, so dass kritisert wird, dass dadurch die Erforschung bestimmter Krankheiten wie beispielsweise Alzheimer verhindert wird.187 bb) Allgemeine Übereinkommen Das Folterverbot aus Art. 7 IPBPR und das Verbot nach Satz 2, Humanexperimente ohne freiwillige Zustimmung durchzuführen, gilt grundsätzlich auch für behinderte Personen. Ausdrücklich wiederholt wird dies durch Art. 15 Nr. 1 der Behindertenrechtskonvention, der wortgleich zu Art. 7 IPBPR ist. Im Weiteren verlangt Art. 17 der Behindertenrechtskonvention, dass jede Person mit Behinderungen gleichermaßen wie Personen ohne Behinderungen in ihrer physischen und mentalen Integrität geschützt sind und dass die Ausübung ihres Rechts auf Gesundheit nach Art. 25 desselben Übereinkommens auf Grundlage des Prinzips der freien und informierten Einwilligung zu erfolgen hat. Behinderungen dürfen grundsätzlich keinen Grund für Eingriffe ohne informierte Einwilligung darstellen. Staaten müssen demnach Sorge dafür tragen, dass Personen mit Behinderungen vor Versuche ohne ihre Einwilligung geschützt werden.188 Werden Art. 7 S. 2 IPBPR und Art. 15 Nr. 1 Behindertenrechtskonvention als Konkretisierungen des Würdeschutzes verstanden, um Menschen in Versuchen nicht zu objektivieren, fallen Heilversuche nicht in den Anwendungsbereich, jedoch Versuche, die allein Dritten dienen.189 Daraus könnte geschlossen werden, dass für erwachsene Personen, die aufgrund einer mentalen Behinderung nicht einwilligungsfähig sind, eine Teilnahme an Experimentalversuchen grundsätzlich ausgeschlossen ist. Wenn diese Personen jedoch einen eigenen Nutzen aus dieser Forschung erwarten, wird keine Verobjektivierung anzunehmen sein. Es kann jedoch sein, dass um einen bestimmten Zustand zu erforschen, der ursächlich für die Nicht-Einwilligungsfähigkeit ist, die Inklusion von Personen notwendig sein kann, die diesen Zustand aufweisen und keinen persönlichen Nutzen aus dem Versuch erhalten. Aus Art. 25 der Behindertenrechtskonvention folgt schließlich die staatliche Pflicht, Maßnahmen zu ergreifen, um sichere, wirksame und qualitativ bolische Gesetzgebung?, in: Taupitz, Jochen (Hrsg.), Das Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin des Europarates, 2002; Taupitz, Jochen, Die Menschenrechtskonvention zur Biomedizin zwischen Kritik und Zustimmung, in: Taupitz, Jochen (Hrsg.), Das Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin des Europarates, 2002; optimistisch Roscam Abbing, Henriette D.C., The Convention on Human Rights and Biomedicine – An Appraisal of the Council of Europe Convention, European Journal of Health Law 5 (1998), 377 – 387. 187  Stühlinger, Verena/Fortwengel, Gerhard/Thoeni, Magdalena/Staudinger, Roland, Biomedical Research and Human Research Subject Protection: Is there a Need for Action in Germany and Austria?, European Journal of Health Law 16 (2009), 45 – 68 [65]. 188  Vgl. auch UN Report by Anand Grover, Special Rapporteur on the Right of Everyone to the Enjoyment of the Highest Attainable Standard of Physical and Mental Health vom 10. 08. 2009, UN Doc. A/64/272, Rn. 72. 189  Siehe oben § 5 E. II. 2. a) informierten Einwilligung Verbot nach dem IPBPR und der Behindertenrechtskonvention.

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hochwertige Arzneimittel auch für Personen mit Behinderungen bereitzustellen. Daher wird in Fällen, in denen Personen mit Behinderungen als Subjekte in der Forschung anzusehen sind, deren informierte Einwilligung durch die einer gesetzlichen Vertreterin ersetzbar sein.190 Dies gilt jedoch ausdrücklich nur für Versuche, für deren Teilnahme der Zustand Voraussetzung ist, auf Grund dessen die Person nicht-einwilligungsfähig ist.191 Die gesetzliche Vertreterin, die das Wohl und die Interessen der nicht-einwilligungsfähigen Person zu vertreten hat, soll damit eine Verobjektivierung verhindern und gleichermaßen, Versuche zum Wohl der Versuchsperson oder zur Erforschung ihres Zustands gegebenenfalls ermöglichen. Ältere Personen, die aufgrund altersbedingter Behinderungen insbesondere aufgrund degenerativer Erkrankungen de facto erschwert ihre informierte Einwilligung geben können, erfordern ebenfalls einen erhöhten Schutz ihrer Autonomie. Soweit aufgrund einer degenerativen Erkrankung eine gesetzliche Vertreterin bestimmt wird und die Person de lege nicht mehr einwilligungsfähig ist,192 gilt entsprechendes. Ein Verbot von Versuchen ohne individuellen dafür mit Gruppennutzen ist daraus nicht abzuleiten. 3.  Unfreie Personen Aufgrund des besonderen Gewaltverhältnisses ist klar indiziert, dass Personen, die ihrer tatsächlichen Freiheit durch Haft oder Arrest beraubt sind, in ihrer Willensbildung in einer Weise beeinflusst sein können, dass eine Einwilligung ihrerseits nicht als frei zu erachten ist. Die Freiheit einzuwilligen kann jedoch auch in anderen strukturell bedingten Abhängigkeitsverhältnissen beschränkt sein, wie etwa hinsichlich Personen, die in (Pflege-)Heimen leben. a)  Spezifische Übereinkommen Das von Deutschland nicht gezeichnete 3-ZP-BMK stellt es den Mitgliedstaaten grundsätzlich offen, Forschung an unfreien Personen zu gestatten.193 Grundsätzlich 190  Vgl. auch UN Report by Anand Grover, Special Rapporteur on the Right of Everyone to the Enjoyment of the Highest Attainable Standard of Physical and Mental Health vom 10. 08. 2009, UN Doc. A/64/272, Rnrn. 69 ff. 191  Vgl. auch Principle 11 lit. c) Nr. 15 der Principles for the Protection of Persons with Mental Illness and the Improvement of Mental Health Care, General Assembly Resolution 46/119 vom 17. 12. 1991. 192 Wie Art. 12 der Berhindertenrechtskonvention betont, kann eine (altersbedingte) Behinderung an sich ohne kompetente Überwachung nicht die Beschränkung der legalen Einwilligungsfähigkeit rechtfertigen. 193  In Deutschland sind beispielsweise Versuche an aufgrund einer gerichtlichen oder behördlichen Anordnung in Anstalten untergebrachten Personen generell und im Besonderen nach § 40 Abs. 1 Nr. 4 AMG unzulässig, eben wegen der möglichen Willensbeeinflussung der betroffenen Personen durch das besondere Gewaltverhältnis. Es wird jedoch

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ist nach Art. 20 Forschung zulässig, die der Versuchsperson einen unmittelbaren Nutzen in Aussicht stellt. Für Forschung ohne unmittelbaren Nutzen stellt Art. 20 die Subsidiarität und Alternativlosigkeit dieser Forschung, die nur minimale Risiken und Lasten enthalten darf, als weitere Bedingungen: „Where the law allows research on persons deprived of liberty, such persons may participate in a research project in which the results do not have the potential to produce direct benefit to their health only if the following additional conditions are met: i. research of comparable effectiveness cannot be carried out without the participation of persons deprived of liberty; ii. the research has the aim of contributing to the ultimate attainment of results capable of conferring benefit to persons deprived of liberty; iii. the research entails only minimal risk and minimal burden.“

Hinsichtlich Personen, die nicht ihrer Freiheit entzogen sind, aber sich dennoch in strukturellen Abhängigkeitsverhältnissen befinden, verlangt Art. 12 3-ZP-BMK eine Überprüfung durch die entsprechende Ethikkommission. Die Ethikkomis­sion soll sicherstellen, dass keine ungebührliche Einflussnahme („undue influence“) auf (potentielle) Versuchsteilnehmerinnen ausgeübt wird und soll schutzbedürftigen oder abhängigen Personen eine besondere Aufmerksamkeit zukommen lassen. Unter ungebührlicher Einflussnahme ist ein bereits geringer (psychologischer) Druck zu verstehen, der ein Individuum dazu bringt, sich verpflichtet zu fühlen, gegen den eigentlichen Willen einzuwilligen.194 Abhängig sind solche Personen, die der Autorität anderer oder Anstalten unterliegen, die andere Interessen verfolgen könnten als sie selbst. Beispiele sind Militärangehörige, Gefangene oder auch Medizinstudentinnen.195 Dies trifft auch auf Personen zu, die auf Pflege angewiesen sind wie etwa ältere Personen in Pflegeheimen, bei denen ebenfalls verstärkt auf Wahrung ihrer Autonomie zu achten ist.196 Der Wortlaut „Die Ethikkommis­ sion muss überzeugt sein“ („must be satisfied“) impliziert, dass dies explizit geeine teleologische Reduktion befürwortet, so dass, wenn der Behandlungsgedanke im Vordergrund steht, eine mögliche Lebensrettung durch die ein experimentelles Arzneimittel möglich sein soll. Vgl. Deutsch, Erwin/Ratzel, Rudolf (Hrsg.), Kommentar zum Arzneimittelgesetz (AMG), 2007 § 40, Rn. 12; Koenig, Christian/Beer, Daniela/Busch, Christiane/ Müller, Eva-Maria, Rechtsgutachten – Bestandsaufnahme und Handlungsbedarf hinsichtlich des Übereinkommens zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin und seiner Zusatzprotokolle, 2003 S. 286 m.w.N. 194  Explanatory Report to the Additional Protocol to the Convention on Human Rights and Biomedicine concerning Biomedical Research, CoE Doc. DIR/JUR (2004) 4, Rn. 62. 195  Explanatory Report to the Additional Protocol to the Convention on Human Rights and Biomedicine concerning Biomedical Research, CoE Doc. DIR/JUR (2004) 4, Rn. 69. 196  So auch UN Report by Anand Grover, Special Rapporteur on the Right of Everyone to the Enjoyment of the Highest Attainable Standard of Physical and Mental Health vom 10. 08. 2009, UN Doc. A/64/272, Rn. 51 ff. Zur besonderen Verletzbarkeit von älteren Personen in Heimen: WHO, Abuse of the Elderly in World Report on Violence and Health, 2002, S. 123 ff.

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prüft wird.197 Die UNESCO Universal Declaration on Bioethics and Human Rights geht nicht auf unfreie Personen gesondert ein. b)  Allgemeine Übereinkommen Der general comment Nr. 20 zu Art. 7 IPBPR fordert Schutzmaßnahmen für Personen, die nicht fähig sind wirksam – frei – einzuwilligen und fasst insbesondere solche Personen hierunter, die sich in Arrest oder Haft befinden.198 Solche Personen sollten überhaupt nicht medizinischen oder wissenschaftlichen Versuchen unterworfen werden, die negative Auswirkungen auf deren Gesundheit haben könnten. Dies scheint sinnvoll, da aufgrund extremer Machtasymmetrien im Verhältnis von Gefangenen und ihren Aufseherinnen anzuzweifeln ist, ob die Einwilligung eines Gefangenen unbeeinflusst sein kann. Für Kriegsgefangene ist dies explizit anerkannt, insofern nach Art. 13 der Dritten Genfer Konvention199 medizinische Versuche ohne therapeutischen Zweck an Kriegsgefangenen ausnahmslos verboten sind. Dass dies auch für Gefangene in Friedenszeiten gelten sollte, befand die UN Generalversammlung in ihrer Resolution Body of Principles for the Protection of all Persons under any Form of Detention or Imprisonment. Laut Prinzip 22 sollte keine inhaftierte oder sonst ihrer Freiheit beraubte Person einem medizinischen oder wissenschaftlichen Versuch unterworfen werden, der nachteilig für ihre Gesundheit sein könnte und dies – so wird explizit betont – ungeachtet einer Einwilligung durch die Person.200 Auch hiernach wären Versuche allerdings nicht absolut verboten. Versuche die den betreffenden Gefangenen einen persönlichen Nutzen böten, wären durchaus als zulässig zu erachten, insofern sich solche potentiell vorteilig und nicht nachteilig für die Gesundheit darstellten. Ein Versuch, der den Gefangenen lediglich einen Gruppennutzen zu Teil werden ließe, wäre allerdings nachteilig für die persönliche Gesundheit. Allerdings ist diese Resolution nicht rechtsverbindlich. Sie zeigt jedoch, was der Special Rapporteur als „serious concern“ über die Zulässigkeit von medizinischen Versuchen an Gefangenen ausdrückt.201 Die grundsätzliche Autonomie von Gefangenen, jegliche, auch ihrem Wohl dienende, medizinische Eingriffe ablehnen zu können, ist auch vom Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien festgestellt worden (wenn auch mit der Einschränkung, Koenig, Christian/Beer, Daniela/Busch, Christiane/Müller, Eva-Maria, Rechtsgutachten – Bestandsaufnahme und Handlungsbedarf hinsichtlich des Übereinkommens zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin und seiner Zusatzprotokolle, 2003 S. 238. 198  CCPR General Comment No. 20, Replaces General Comment No. 7 concerning Prohibition of Torture and Cruel Treatment or Punishment (Art. 7) vom 10. 03. 1992, Rn. 7. 199  Dritte Genfer Konvention vom 12. 08. 1949, 75 U.N.T.S. 135. 200  UN General Assembly Resolution 45/111 vom 09. 12. 1988, UN Doc. A/Res/45/111. 201  UN Report by Anand Grover, Special Rapporteur on the Right of Everyone to the Enjoyment of the Highest Attainable Standard of Physical and Mental Health vom 10. 08. 2009, UN Doc. A/64/272, Rn. 79. 197 

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dass im Fall einer suizidären Intention die Einwilligung der Gefangenen durch die Entscheidung der Anstaltsärztin ersetzt werden müsse).202 4.  Pflichten zu besonderen Schutzmaßnahmen bei Versuchen mit marginalisierten Personen Als ethischer Streitpunkt ist die Frage aufgeworfen worden, ob nicht nur strukturell abhängigen Personen besondere Aufmerksamkeit zu widmen ist, sondern auch Personen, die aus wirtschaftlichen, medizinischen oder sozialen Gründen oder wegen mangelnder formaler Bildung durch ungebührliche Einflussnahme oder aufgrund mangelnder Aufklärung tendenziell einfacher in der Freiheit ihrer Einwilligung zu beschränken sind. a)  Spezifische Übereinkommen Über den Schutz nicht-einwilligungsfähiger Personen und unfreier Personen hinaus, weist das 3-ZP-BMK keine spezifischen Schutzmaßnahmen aus. Es verlangt jedoch nach Art. 12, dass die Ethikkommissionen ein „besonderes Augenmerk“ auf Versuche mit Personen legen sollen, die typischerweise vulnerablen Gruppen angehören. Die UNESCO Universal Declaration on Bioethics and Human Rights sieht besondere Schutzmaßnahmen nur für nicht-einwilligungsfähige Personen vor. b)  Allgemeine Übereinkommen Übereinkommen wie die CEDAW, die International Convention on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of Their Families203, die Convention relating to the Status of Refugees204, oder das Protocol Relating to the Status of Refugees205, aber auch die grundsätzlichen Diskriminierungsverbote wie sie sich aus Art. 2 Abs. 1 IPBPR und Art. 2 Abs. 2 IPWSKR ergeben, verbieten Diskriminierungen hinsichtlich der Einwilligungsmöglichkeiten in medizinische Behandlung im Allgemeinen und in medizinische Versuche im Speziellen gegenüber Personengruppen, die verletztlich im bioethischen Sinne sein können. aa) Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte Nach dem Bericht des Special Rapporteurs sind insbesondere Schutzmaßnahmen für vulnerable Personen zu ergreifen, die die Autonomie dieser Personen wahren. Dies gilt insbesondere auch für die von ihm charakterisierten zehn Perso202 IStGHJ, Entscheidung vom 25.  08. 2010, IT-05 – 88/2-T = NStZ 2011, 468 – 470, Rn. 23. 203  G.A. Res. 45/158, UN Doc. A/45/49 (1990). 204  189 U.N.T.S. 150. 205  606 U.N.T.S. 267.

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nengruppen. Daher können bestimmte Anforderungen an die Aufklärung gestellt sein. Grundsätzlich muss eine umfassende Beratung stattfinden, um ein adäquates Verständnis sicherstellen zu können, welches eine angemessene Entscheidungsfindung erst ermöglicht. Daher sollten grundsätzlich Gesundheitsinformationen der höchsten Qualität frei und diskriminierungsfrei zur Verfügung gestellt werden, die den physisch oder kulturell bedingten besonderen individuellen Kommunikationsbedürfnissen entsprechen.206 Insbesondere bei Analphabetinnen ist dies zu beachten. Da sprachliche und kulturelle Barrieren die Kommunikation erheblich behindern können, muss besonders darauf geachtet werden, dass notwendige Informationen in einer verständlichen Weise vermittelt werden, auch wenn zusätzlicher Aufwand betrieben werden muss, beispielsweise durch die Bereitstellung von Übersetzerinnen. Wenn es sich bei den (potentiellen) Versuchsteilnehmerinnen um Analphabetinnen handelt, kann eine nicht-schriftliche Einwilligung zulässig sein, wenn die mündliche Einwilligung formal dokumentiert wird.207 bb) ILO Konvention Nr. 169 Forschung mit Angehörigen indigener Völker kann problematisch sein, da es sich bei den indigenen Bevölkerungsgruppen in vielen Staaten im Verhältnis zur Mehrheitsbevölkerung um wirtschaftlich benachteiligte und um relativ weniger formal gebildete Personen handelt. Die Autonomie Angehöriger indigener Völker,208 in medizinische Eingriffe und Forschung einzuwilligen, ist nach den 206  UN Report by Anand Grover, Special Rapporteur on the Right of Everyone to the Enjoyment of the Highest Attainable Standard of Physical and Mental Health vom 10. 08. 2009, UN Doc. A/64/272, Rn. 79. 207  UN Report by Anand Grover, Special Rapporteur on the Right of Everyone to the Enjoyment of the Highest Attainable Standard of Physical and Mental Health vom 10. 08. 2009, UN Doc. A/64/272, Rn. 39. 208  Es besteht keine international anerkannte Definition indigener, bzw. originärer Völker. Die WHO nutzt in ihrer Guideline Indigenous Peoples & Participatory Health Research mit Bezug auf die u. a. von der UN verwendeten Abgrenzungskriterien folgende Aspekte zur Unterscheidung indigener Völker: „residence within or attachment to geographically distinct traditional habitats, ancestral territories, and natural resources in these habitats and territories; – maintenance of cultural and social identities, and social, economic, cultural and political institutions separate from mainstream or dominant societies and cultures; – descent from population groups present in a given area, most frequently before modern states or territories were created and current borders defined; – self-identification as being part of a distinct indigenous cultural group, and the display of desire to preserve that cultural identity.“ Mit Bezug auf das UN Development Program, das festhält, dass „despite common characteristics, no single accepted definition of Indigenous peoples that captures their diversity exists“, erkennt auch die WHO „self-identification as indigenous or tribal is usually regarded as a fundamental criterion for determining indigenous or tribal groups, sometimes in

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UN-Menschenrechtspakten diskriminierungsfrei zu gewährleisten.209 Aus ergebnisorientierten, praktischen Gründen, kann es dem Special Rapporteur zufolge in einigen Gemeinschaften nachteilig für eine effektive Gesundheitsversorgung sein, die individuelle Einwilligung über eine traditionell kollektive Einwilligung zu fördern.210 Aus den gleichen Gründen und zum Schutz vor einer gefürchteten „Ausbeutung“ Angehöriger indigener Völker empfiehlt die WHO dreistufig nicht nur die unerlässliche individuelle Einwilligung der Versuchsperson einzuholen, sondern als nächste Stufe, auf der Ebene der Gemeinschaftsführung, die Einwilligung einer anerkannten Repräsentantin des indigenen Volkes als kollektive Einwilligung.211 Auf einer dritten Stufe sollte – wenn vorhanden – die Einwilligung einer indigenen Dachorganisation eingeholt werden. Dieser paternalistische Ansatz der WHO erstaunt insofern, dass das Autonomieprinzip der Einzelnen zugunsten eines Autonomieprinzips des Kollektivs relativiert wird. Zwar ist die individuelle Einwilligung unabdingbar und kann nicht ersetzt werden,212 aber eine Versuchsteilnahme gegen den durch eine Repräsentantin ausgedrückten Gemeinschaftswillen, wäre nach der WHO-Guideline nicht möglich. Der hier verfolgte ethno-zentrische Ansatz erkennt zwar die kulturelle Identität indigener Völker an, indem (kollektivistischere) Traditionen und Gewohnheiten gewährleistet werden,213 schwächt jedoch das individuelle Autonomieprinzip, insbesondere das von Personen mit weiteren Marginalisierungsmerkmalen wie indigenen Frauen, Kindern und Behinderten, deren Autonomieprinzip ansonsten betont wird.214 Im grundlegenden Meinungsstreit im Umgang mit indigenen Gewohnheiten und Traditionen, ob eine soziale Transformation im Lichte der Menschenrechte

combination with other variables such as language spoken and geographic location or concentration“ an. WHO, Indigenous Peoples & Participatory Health Research, abrufbar unter http://www.who.int/ethics/indigenous_peoples/en/print.html, 2.2 Ethics and Consent. Siehe auch Study of the Problem of Discrimination against Indigenous Populations, Final Report submitted by José R. Martínez-Cobo, UN Doc. E/CN.4/Sub.2/1983/21/Add.6. 209  Auch Art. 2 UN Declaration on the Rights of Indigenous Peoples G.A. Res. 61/295, UN Doc. A/RES/61/295. 210  UN Report by Anand Grover, Special Rapporteur on the Right of Everyone to the Enjoyment of the Highest Attainable Standard of Physical and Mental Health vom 10. 08. 2009, UN Dok. A/64/272, Rn. 67. 211  WHO, Indigenous Peoples & Participatory Health Research, abrufbar unter http:// www.who.int/ethics/indigenous_peoples/en/print.html, 2.2 Ethics and Consent. 212  So auch die WHO: WHO, Indigenous Peoples & Participatory Health Research, abrufbar unter http://www.who.int/ethics/indigenous_peoples/en/print.html, 2.2 Ethics and Consent. 213  Anaya, S. James, Indigenous Peoples in International Law, 2. Aufl., 2004, S. 131 ff. 214  UN Report by Anand Grover, Special Rapporteur on the Right of Everyone to the Enjoyment of the Highest Attainable Standard of Physical and Mental Health vom 10. 08. 2009, UN Doc. A/64/272, Rn. 55.

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oder eine absolute kulturelle Integrität vorzugswürdig ist,215 scheint der WHO-Ansatz ein pragmatischer, kulturell integrierender zu sein. Im Zweifel sollten Versuche mit Angehörigen indigener Völker nicht stattfinden. Problematisch wird dieser Ansatz jedoch, wenn der Wunsch einer Person an einer ihr persönlich potentiell therapeutisch nutzenden Studie teilzunehmen aufgrund dessen verwehrt wird, dass eine kollektive Einwilligung fehlt. Die kollektive Einwilligung ist jedenfalls nicht völkervertraglich verpflichtend; vor allem kann sie die inviduelle Einwilligung nicht ersetzen. IV.  Verbote bestimmter Studiendesigns 1.  Spezifische Übereinkommen Grundsätzlich ist zunächst auf das Gebot der individuellen Risikobewertung nach Art. 16 ii) BMK und Art. 6 3-ZP-BMK abzustellen. Aufgrund dieses Gebots und seines Zwecks (der Schutz der Versuchspersonen) muss auch für Kontrollgruppen eine positive Risikobewertung vorliegen. Für den Fall verblindeter, randomisierter Versuche, darf demnach kein Missverhältnis im Risiko der Versuchsbehandlung und der Kontrollbehandlung zu dem erwarteten Nutzen liegen. Besteht die Kontrollbehandlung jedoch in „keiner Behandlung“, entfällt der persönliche direkte Nutzen der Versuchsperson. In diesem Fall müsste nach Art. 6 Abs. 2 3-ZP-BMK der Beurteilungsspielraum verkleinert werden. Das Risiko dürfte nur noch vertretbar sein. Nach dem Sinn und Zweck der Regelung müsste daher bei verblindeten, randomisierten Versuchen, das jeweils größere Risiko – ob in der Kontroll- oder Prüfgruppe – als Beurteilungsmaßstab herangezogen werden und für den Fall einer Placebo- oder Nicht-Behandlungskontrolle, der engere Beurteilungsspielraum zutragen kommen. Die Bewertung des Nutzen-Risiko-Verhälnisses ist von einer zuständigen Ethikkommission vorzunehmen. Spezifischer trifft Art. 23 3-ZP-BMK als einziges verbindliches Übereinkommen Aussagen über das Studiendesign. Abs. 1 legt als Grundsatz fest, dass die Forschung notwendige Maßnahmen nicht verzögern bzw. der Patientin nicht vorenthalten soll. Abs. 2 und 3 lauten: „(2) In research associated with prevention, diagnosis or treatment, participants assigned to control groups shall be assured of proven methods of prevention, diagnosis or treatment. (3) The use of placebo is permissible where there are no methods of proven effec­ tiveness, or where withdrawal or withholding of such methods does not present an unacceptable risk or burden.“

Das 3-ZP-BMK scheint hier – im Gegensatz zum EU- und US-Arzneimittelrecht und den ICH-Guidelines – von einem Paradigma der aktiven Kontrolle auszugehen. Wie der explanatory report erläutert, wird jedoch nicht der Einsatz der 215  Insbesondere bezüglich Frauenrechte entgegen traditioneller Gewohnheiten: Thornberry, Patrick, Indigenous Peoples and Human Rights, 2002, S. 421 ff.

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„besten erprobten Methode“ als Standardtherapie, sondern nur „einer erprobten Methode“ verlangt. Außerdem ist ein regionales Verfügbarkeitskonzept zugrunde gelegt.216 Darüber hinaus wird einschränkend der Placebo-Gebrauch auch dann gestattet, wenn dieser keine „nicht akzeptierbaren Risiken oder Lasten“ darstellt. Beurteilt werden soll dies, laut explanatory report, von einer Ethikkommission.217 Zwar wird damit ein gegenteiliges Paradigma zum Unionsrecht formuliert, es wird jedoch soweit relativiert, dass es in der Anwendung nicht im Widerspruch zu diesem stehen muss. Dies liegt auch daran, dass wie bei der Deklaration von Helsinki bereits kritisiert, wenig auf die vielen verschiedenen Arten und Möglichkeiten des Studiendesigns eingegangen wird. Dennoch erfordert Art. 23 eine Rechtfertigung für den Einsatz von Placebos. Indes ist zu bemerken, dass das Zusatzprotokoll bis 2015 nur von neun Staaten ratifiziert worden ist. Dennoch formuliert es einen Perspektivwechsel zugunsten des Individualschutzes. 2.  Allgemeine Übereinkommen Das Recht auf Zugang zu Arzneimitteln ist allgemein in einem bestimmten Umfang von den Rechten auf Leben und auf Gesundheit des IPBPR und IPWSKR umfasst. Das Recht auf Gesundheit ist ebenfalls in der Kinderrechtskonvention, der Behindertenrechtskonvention, der CEDAW oder der ILO Konvention Nr. 169 und regionalen Konventionen verankert. Von dem Recht auf Zugang zu Arzneimitteln sind wesentliche Fragen umfasst, die das Studiendesign von Versuchen betreffen, sowie Fragen der Nachversorgung und Vermarktung von Arzneimitteln. Bezüglich des Studiendesigns kann es unter Umständen geboten sein, auf bestimmte Kontrollen wie die Placebo- und Nicht-Behandlungskontrolle zu verzichten. a)  Recht auf Leben Das Recht auf Leben, das „fundamentalste aller Rechte“,218 ist im IPBPR in Art. 6 verankert, wo es dem Katalog der materiellen Rechte des Teil III vorangestellt ist.219 Ebenso ist es an prominenter Stelle in den regionalen Menschenrechtsverträgen in Art. 2 EMRK, Art. 4 AMRK und Art. 4 der Banjul-Charta niedergelegt. Als Grundrecht ist es auch in Art. 3 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 enthalten. Art. 6 Abs. 1 des IPBPR lautet: 216  Explanatory Report to the Additional Protocol to the Convention on Human Rights and Biomedicine concerning Biomedical Research, CoE Doc. DIR/JUR (2004) 4, Rn. 120. 217  Explanatory Report to the Additional Protocol to the Convention on Human Rights and Biomedicine concerning Biomedical Research, CoE Doc. DIR/JUR (2004) 4, Rn. 121. 218  So bereits die Feststellung in der Beratungsphase des Artikels: A/2929, Chapter VI, § 1 Bossuyt, Marc J., Guide to the „Travaux Préparatoires“ of the International Covenant on Civil and Political Rights, 1987, S. 115. 219  Das Recht auf Leben ist auch in Art. 3 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte niedergelegt: „Jeder Mensch hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person“.

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Teil 3: Arzneimittelversuche und Menschenrechte

„Jeder Mensch hat ein angeborenes Recht auf Leben. Dieses Recht ist gesetzlich zu schützen. Niemand darf willkürlich seines Lebens beraubt werden.“

Der Umfang des Rechts umfasst zunächst das Recht vor intendierter und willkürlicher220 Tötung.221 Arzneimittelversuche der Phasen II und III werden indes an bereits erkrankten Personen durchgeführt; d. h. Patientinnen werden bereits krank für die Studie rekrutiert. In dieser Situation fehlt es an der Tötungshandlung, die dem Staat zuzurechnen wäre. Denn eine Patientin, die während eines Versuchs nicht behandelt wird, stirbt im Zweifel an der Krankheit, an welcher sie schon vorher erkrankt war und nicht an einer dem Staat zuzurechnenden Handlung. Dennoch kann dies ein Töten durch Unterlassen sein.222 Die Horizontalwirkung der Menschenrechte begründet eine Schutzpflicht des Staates, jeden vor Einwirkungen Privater durch alle notwendigen Maßnahmen zu schützen.223 Nach der Rechtsprechung des EGMR untersagt das Recht auf Leben 220  In der Bedeutung sowohl illegal als auch ungerecht; in den Vertragsverhandlungen wurde festgehalten, dass der eigentlich unjuristische Begriff der Willkürlichkeit sowohl „illegally“ als auch „unjustly“ bedeuten solle. Bossuyt, Marc J., Guide to the „Travaux Préparatoires“ of the International Covenant on Civil and Political Rights, 1987, S. 121 – 124. Die Abweichung im Wortlaut des Art. 2 EMRK, der statt „willkürlicher“ „absichtliche“ Tötungen verbietet, führt auch zu keinem anderen Ergebnis, da der Ausnahmenkatalog nach Abs. 2 abschließend ist. Art. 4 der AMRK und Art. 2 der Banjul-Charta folgen dem Wortlaut des IPBPR und verbieten ebenso „willkürliche“ Tötungen. 221  Bzw. „the right to life, in effect, is the right to be safeguarded against (arbitrary) killing“: Dinstein, Yoram, The Right to Life, Physical Integrity and Liberty, in Henkin, Louis (Hrsg.), The International Bill of Rights – the Covenant on Civil and Political Rights, 1981, S. 114 ff. [115]. Przetacznik trennt zwischen right to life und right to living. Ersteres als Recht nicht getötet zu werden sei von Art. 6 Abs. 1 IPBPR geschützt, zweiteres sei als sozio-ökonomisches Recht mit der Erfüllung des Recht auf Leben verbunden, insofern ein angemessener Lebensstandard erreicht werden solle. Przetacznik, Franciszek, The Right to Life as a Basic Human Right, Revue des Droits de l’Homme / Human Rights Journal 9 (1976), 585 – 609 [586 f.]. 222  Jedenfalls ist es nach dem UN-Menschenrechtsausschuss einem Staat gleichermaßen zuzurechnen, ob er es versäumt, seinen Schutzpflichten durch Handeln oder durch Unterlassen nachzukommen. Human Rights Committee, Communication No. 84/1981, Guillermo Ignacio Dermit Barbato and Hugo Haroldo Dermit Barbato v. Uruguay, Report of the Human Rights Committee, UN General Assembly, Official Records, 38th Session, Suppl. No. 40 (A/38/40), S. 124, Rn. 9.2. 223  Nowak, Manfred, U.N. Covenant on Civil and Political Rights – CCPR Commentary, 2005, Art. 2, Rn. 20. Nowak legt dar, dass der Begriff Horizontalwirkung im Gegensatz zu dem Term (mittelbare) Drittwirkung weiter sei, da er die Pflicht der Staaten umfasse ggf. zusätzliche Maßnahmen zu ergreifen, wie beispielsweise strafrechtliche Sanktionen, und nicht nur meine, dass Grundrechte einen gestalterischen Einfluss auf die zivilrechtlichen Beziehungen zwischen Privaten haben. Der Begriff Horizontalwirkung ist außerdem nicht national grundrechtstheoretisch „vorbelastet“; Bernhardt, Rudolf, Völkerrechtliche Pflichten des einzelnen und Drittwirkung von Menschenrechten, in: Kokott, Juliane (Hrsg.), Gesellschaftsgestaltung unter dem Einfluss von Grund- und Menschenrechten, 2001, S. 91 ff. [109 ff.] auch zur unmittelbaren Drittwirkung; siehe auch Entscheidungen des HRC nach

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dem Staat nicht nur, absichtlich zu töten, sondern verpflichtet ihn, angemessene Maßnahmen zum Schutz des Lebens zu ergreifen, wie etwa Krankenhäuser so zu regulieren – und zwar unabhängig davon, ob sie privat oder öffentlich sind – dass diese verpflichtet sind, angemessene Maßnahmen für den Schutz des Lebens ihrer Patientinnen zu ergreifen.224 Private Krankenhäuser müssen damit Maßnahmen zum Schutz des Lebens ergreifen, da sie in einer Garantenstellung gegenüber „ihren“ Patientinnen stehen. Ein solches Garantenverhältnis ist auch in der klinischen Prüfung gegeben. Die Verantwortliche für das Studiendesign – die Sponsorin – bestimmt durch den Prüfplan das Behandlungsverhältnis zwischen der Prüferin (der Ärztin) und der Versuchsperson. Nach diesem Prüfplan bestimmt sich, ob eine Versuchsperson eine experimentelle, erprobte oder keine Behandlung erhält. Aufgrund der Garantenstellung sind jedoch Maßnahmen zu ergreifen, um lebensgefährliche Situationen der Versuchspersonen abzuwehren, indem das Studiendesign entsprechend gestaltet wird, bzw. indem, wenn notwendig, von diesem abgewichen wird. Es besteht dabei keine Pflicht eine bestimmte Behandlung zu wählen, sie muss jedoch geeignet sein das Leben zu schützen. b)  Recht auf Gesundheit Das Recht auf Gesundheit insbesondere aus Art. 12 IPWSKR, ist vor allem das Recht auf Zugang zu verschiedenen Einrichtungen, Gütern und Dienstleistungen, die für die Realisierung des höchsten (individuell) erreichbaren Gesundheitszustands notwendig sind. Die Frage ist mithin, ob hieraus eine Pflicht herührt, allen Teilnehmerinnen einer klinischen Studie Zugang entweder zu der experimentellen oder Standardtherapie oder überhaupt einer Behandlung zu ermöglichen. Die Frage ist demnach, ob in diesen Situationen ein Recht auf Zugang zu bestimmten Arzneimitteln besteht. Aus Art. 12 IPWSKR folgernd, wird vermehrt ein Recht auf Zugang zu Arzneimittel diskutiert und postuliert.225 Im Falle lebensgefährlicher Situationen in klinischen Studien wurde bereits die Pflicht, Maßnahmen zu ergreifen, festgestellt. dem Fakultativprotokoll: Human Rights Committee, Communication No. R. 11/45, Fanny Suarez de Guerrero v. Colombia, Report of the Human Rights Committee, UN General Assembly, Official Records, 37th Session, 1982, Suppl. No. 40 (A/37/40), S. 137, insbes. Rn. 13.3; Communication No. 84/1981, Guillermo Ignacio Dermit Barbato and Hugo Haroldo Dermit Barbato v. Uruguay, Report of the Human Rights Committee, UN General Assembly, Official Records, 38th Session, Suppl. No. 40 (A/38/40), S. 124, Rn. 9.2, Communication No. 821/1998, Communication No. 161/1983, Herrera Rubio v. Colombia, Report of the Human Rights Committee, UN General Assembly, Official Records, 43rd Session, Suppl. No. 40 (A/43/40), S. 190, Rn. 11.; Rodger Chongwe v. Zambia, UN Doc. CCPR/ C/70/D/821/1998 (2000), Rn. 5.2; Communication No. 859/1999, Jiménez Vaca v. Colombia, Report of the Human Rights Committee, Vol. II, UN General Assembly, Official Records 57th Session, Suppl. No. 40 (A/57/40), S. 187, Rn. 7.3. 224  EGMR Urteil vom 17. 01. 2002, Calvelli and Ciglio v. Italy, (GK) 32967/96, Rnrn. 48 f.; EGMR Urteil vom 17. 01. 2008, Dodov v. Bulgaria, 59548/00, Rnrn. 79 f., EGHR Urteil vom 05. 06. 2015, Lambert et al. v. France, (GK) 46043/14, Rn. 140.

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Wie weit das Recht auf Gesundheit gezogen werden kann, zeigt sich beispielsweise an zwei Entscheidungen des südafrikanischen Verfassungsgerichts. In der Entscheidung Soobramoney v. Minister of Health (KwaZulu Natal)226 ist der Zugang zu einer lebensnotwendigen Dialyse in den Anwendungsbereich des entsprechenden südafrikanischen Verfassungsartikel227 über das Recht auf Zugang zu Gesundheitsleistungen gefasst worden.228 In Minister of Health et al. v. Treatment Action Campaign et al. ging es darum, ob die Maßnahmen der südafrikanischen Regierung zur Bekämpfung der Mutter-Kind-HIV-Übertragung bei der Geburt mit dem Recht auf Zugang zu Gesundheitseinrichtungen und -maßnahmen in Einklang standen. Das Gericht befand, dass die Ausgabe des Arzneimittels Nevirapin 229, welches das Risiko einer Mutter-Kind-HIV-Übertragung wirksam senkt, nicht beschränkt und allgemein zugänglich gemacht werden sollte. Der Zugang zu diesem lebensnotwendigen Arzneimittel ist jedenfalls vom Anwendungsbereich des Rechts auf Zugang zu Gesundheitseinrichtungen angesehen worden.230 Ebenso entschied das venezolanische Verfassungsgericht in Cruz Bermudez et al. v. Ministerio de Sanidad y Asistencia Social,231 das den Zugang von HIV- und AIDS-Patientinnen zu lebensverlängernden Arzneimitteln klar – „auch vom Völ225

225  Hestermeyer, Holger P., Access to Medication as a Human Right, Max Planck Yearbook of United Nations Law 8 (2004), 101 – 180; Toebes, Brigit C. A., The Right to Health as a Human Right in International Law, 1999; Yamin, Alicia Ely, Not just a Tragedy – Access to Medications as a Right under International Law, Boston University International Law Journal 21 (2003), 325 – 371; Chirwa, Danwood Mzikenge, The Right to Health in International Law – its Implications for the Obligations of State and Non-State Actors in Ensuring Access to Essential Medicine, South African Journal on Human Rights 19 (2003), 541 – 566; Rubenstein, Leonard S., Human Rights and Fair Access to Medication, Emory International Law Review 17 (2003), 525 – 534. 226  Constitutional Court of South Africa, Urteil vom 27. 11. 1997, Soobramoney v. Minister of Health (Kwazulu-Natal). 227  Art. 27: „Health care, food, water and social security: (1) Everyone has the right to have access to (a) health care services, including reproductive health care; (b) sufficient food and water; and (c) social security, including if they are unable to support themselves and their dependants, appropriate social assistance. (2) The state must take reasonable legislative and other measures, within its available resources, to achieve the progressive realization of each of these rights. (3) No one may be refused emergency medical treatment“. 228  Letztlich ist die Verweigerung der Dialyse für den Beschwerdeführer mit der Knappheit der Ressourcen gerechtfertigt worden, als dass aufgrund mangelnder Mittel eine Beschränkung derjenigen Patientinnen, die in den Genuss einer Behandlung kommen können, reale Notwendigkeit sei. Auch ist eine Notfallsituation nach Art. 27 Abs. 3 verneint worden. 229  Nevirapin steht auf der WHO Model List of Essential Medicines: WHO, Model List of Essential Medicines, 16. Aufl., 2010, S. 11. 230  Auch erkannte das Gericht keine Rechtfertigung aufgrund mangelnder Ressourcen an, da Nevirapin von der Herstellerin kostenlos zur Verfügung gestellt worden ist. 231  Tribunal Supremo de Justícia, Urteil vom 17. 07. 1999, Cruz del Valle Bermúdez et al. v. Ministerio de Sanidad y Asistencia Social abrufbar unter http://www.tsj.gov.ve/sentencias/SPA/spa15071999 – 15789.html.

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kerrecht anerkannten“ – Recht auf Gesundheit umfasst sah.232 Um den Zugang zu HIV-Arzneimitteln ging es auch in dem von Odir Miranda et al. gegen El Salvador vor der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte vorgebrachten Fall, in welchem die Kommission El Salvador auftrug, lebensnotwendige Arzneimittel den Beschwerdeführern zugänglich zu machen.233 Grundsätzlich kann zunächst ein Recht auf Zugang zu Arzneimitteln aus dem Recht auf Gesundheit gefolgert werden. Allerdings gilt ebenfalls, dass für eine grundsätzliche Distribution die Wirksamkeit und Sicherheit von Arzneimitteln wissenschaftlich validiert sein muss.234 Dies ist gerade der Grund für die klinischen Studien. Das heißt jedoch auch, dass zumindest kein Recht auf grundsätzlichen Zugang zu der experimentellen Behandlung besteht. In Fällen, in denen diese sich als einzige Möglichkeit einer lebensrettenden Maßnahme anbietet, kann dies indes anders sein. In Bezug zu bestehenden Standardtherapien gilt, dass das Recht auf Gesundheit progressiv zu realisieren ist. Es ist klar, dass hieraus kein Recht auf Zugang zu jeglichen Arzneimitteln abgeleitet werden kann, wenn es zu keiner Aushöhlung der Menschenrechte kommen soll. Entsprechend formuliert der general comment als core obligation den Zugang zu essential drugs,235 wie sie vom WHO action programme on essential drugs immer wieder aktualisiert definiert werden.236 Die WHO model list of essential medicines enthält Arzneimittel, welche u. a. sicher und wirksam sind, d. h. welche die erprobt sind und daher auch als Standardtherapie eingesetzt werden. Wird nun ein Arzneimittel für einen medizinischen Befund getestet, für welchen es bereits eine Standardtherapie gibt und welche sich auf der essential medicines list befindet, so müsste den Teilnehmerinnen der Kontrollgruppe der Zugang zu diesen essential drugs gewährt werden. Nur wenn ein grundsätzlicher Zugang besteht, ist auch eine echte Wahlfreiheit von potentiellen Versuchspersonen gewährleistet, entweder sich – möglicherweise an anderer Stelle – mit der Standardtherapie behandeln zu lassen oder an experimenteller Forschung teilzunehmen, mit dem Risiko, möglicherweise der nicht-aktiven Kontrollgruppe zugeteilt zu werden. Dies ist somit auch eine Aufklärungsfrage, aber die Alternative muss auch tatsächlich, d. h. auch finanziell zugänglich sein – zumindest wenn es sich um ein essentielles Arzneimittel handelt. 232 

Auch das venezolanische Tribunal Supremo de Justicia bezog sich auf die mangelnde Finanzierbarkeit eines umfassenden Rechts auf Gesundheit, diskutierte dieses jedoch als Budgetproblem des Gesundheitsministeriums und nicht als grundsätzlicheres Ressourcenproblem. 233  Comisión Interamericana de Derechos Humanos, jährlicher Bericht 1999, Kapitel III, Rn. 28, http://www.cidh.oas.org/annualrep/99span/capitulo3.htm. 234  Alvino, Lori A., Who’s Watching the Watchdogs? Responding to the Erosion of Research Ethics by Enforcing Promises, Columbia Law Review 103 (2003), 893 – 924, Rn. 12. 235  CESCR General Comment Nr. 14, Rnrn. 12, 43. 236  WHO Model List of Essential Drugs, 16. Aufl., 2009 abrufbar unter http://www.who. int/medicines/publications/essentialmedicines/en.

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V.  Benefit Sharing und Verteilungsgerechtigkeitsaspekte 1.  Individuelle Nachbehandlung von Versuchspersonen a)  Individuelle Nachbehandlung nach dem spezifischen 3. Zusatzprotokoll zur Biomedizinkonvention Art. 27 des 3-ZP-BMK formuliert als duty of care: „If research gives rise to information of relevance to the current or future health or quality of life of research participants, this information must be offered to them. That shall be done within a framework of healthcare or counseling. In communication of such information, due care must be taken in order to protect confidentiality and to respect any wish of a participant not to receive such information.“

Grundsätzlich formuliert Art. 27 eine Verantwortlichkeit der Forscherin gegenüber der Versuchsperson, für diese zu sorgen. Konkret sind – wenn die Versuchsperson dies wünscht – individuelle Versuchsergebnisse mitzuteilen. Darauf beschränkt sich die Pflicht allerdings nicht, sondern erstreckt sich darüber im Zweifel auch auf eine entsprechende Gesundheitsversorgung oder Beratung. Die alternative Formulierung soll dabei laut explanatory report nicht meinen, dass zugunsten einer bloßen Beratung auf Versorgung verzichtet werden könne, sondern dass je nach Situation das eine oder andere angemessen sein könnte.237 b)  Recht auf Gesundheitsversorgung Von dem spezifischen 3-ZP-BMK abgesehen, können auch aus der positiven Dimension des Rechts auf Leben und des Rechts auf Gesundheit unter engen Voraussetzungen, Rechte von Patientinnen auf eine Nachbehandlung als Gesundheitsversorgung bestehen. Wie unter dem Aspekt eines „Verbots bestimmter Studiendesigns“ diskutiert, bestehen staatliche Schutzpflichten das Leben zu schützen, unter Umständen sogar über eine Verpflichtung Privater, jedenfalls wenn eine Garantenstellung besteht, wie sie hier anzunehmen ist.238 Aber auch über lebensbedrohliche Situationen hinaus, stellt der Zugang zu einigen wesentlichen Arzneimitteln, wie sie auf der WHO model list of essential medicines aufgezählt sind, core obligations dar.239 2.  Gesellschaftlicher Zugang zu den getesteten Arzneimitteln a)  Gesellschaftlicher Zugang als Benefit Sharing nach der spezifischen UNESCO Universal Declaration on Bioethics and Human Rights Die Situation, dass Arzneimittel in einer Region zwar getestet, aber nicht vermarktet werden, wird explizit nur von der unverbindlichen UNESCO Univer237  Explanatory Report to the Additional Protocol to the Convention on Human Rights and Biomedicine concerning Biomedical Research, CoE Doc. DIR/JUR (2004) 4, Rn. 132. 238  Siehe oben § 5 E. IV. 2. a) Recht auf Leben. 239  Siehe oben § 5 E. IV. 2. b) Recht auf Gesundheit.

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sal Declaration on Bioethics and Human Rights adressiert. Art. 15 Abs. 1 der Erklärung verlangt, dass Vorteile (benefits), die aus der Forschung und ihren Anwendungen gewonnen werden, mit der gesamten Gesellschaft sowie der internationalen Gemeinschaft und insbesondere Entwicklungsländern geteilt werden sollen. Als Beispiele werden etwa die Anerkennung und Unterstützung von Versuchspersonen, Zugang zu qualitativer Gesundheitsversorgung und die Bereitstellung von neuen diagnostischen oder therapeutischen Anwendungen, die aus der Forschung resultieren benannt.240 Dieser Artikel wurde einstimmig von der Generalkonferenz der UNESCO angenommen.241 Auch wenn die Erklärung unverbindlich ist, ist dennoch ein klarer Konsens in dieser Frage zu erkennen. Buchstabe (c) fordert die Teilhabe an neuen Methoden, die aus Forschung herrühren. Denkbar wären Umsetzungen in Rechtsvorschriften, die die Durchführung klinischer Studien, an die Bedingung einer Vermarktung bei Erfolg der Forschung zu knüpfen, wie es auch die CIOMS-Guidelines Entwicklungsländern als Regulierung empfehlen. b)  Allgemeine Übereinkommen Wie dargelegt bestehen Rechte auf Zugang zu bestimmten Arzneimitteln individuell in lebensgefährlichen Situationen und grundsätzlich, wenn diese essentiell sind. Wenn sich neu getestete Arzneimittel als „essentiell“ erweisen sollten, ist ein genereller Zugang zu diesen zu ermöglichen. Die „Essentialität“ der neuen Arzneimittel kann, muss aber nicht, über eine Aufnahme auf die jährlich aktualisierte WHO model list of essential medicines ermessen werden. 3.  Sonstiges Benefit Sharing a)  Spezifische Übereinkommen Der bereits zitierte Art. 15 der UNESCO Universal Declaration on Bioethics and Human Rights geht über die Teilhabe an neu entwickelten Arzneimitteln hinaus: 240 „Benefits resulting from any scientific research and its applications should be shared with society as a whole and within the international community, in particular with develop­i ng countries. In giving effect to this principle, benefits may take any of the follow­ ing forms: (a) special and sustainable assistance to, and acknowledgement of, the persons and groups that have taken part in the research; (b) access to quality health care; (c) provision of new diagnostic and therapeutic modalities or products stemming from re­ search; (d) support for health services; (e) access to scientific and technological knowledge; (f) capacity-building facilities for research purposes; (g) other forms of benefit consistent with the principles set out in this Declaration.“ 241  Galjaard, Hans, Article15: Sharing Benefits, in: ten Have, Henk (Hrsg.), The UNESCO Universal Decaration on Bioethics and Human Rights, 2009, S. 231 – 241 [231].

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„Benefits resulting from any scientific research and its applications should be shared with society as a whole and within the international community, in particular with developing countries. In giving effect to this principle, benefits may take any of the follow­ ing forms: (a) special and sustainable assistance to, and acknowledgement of, the persons and groups that have taken part in the research; (b) access to quality health care; (c) provision of new diagnostic and therapeutic modalities or products stemming from research; (d) support for health services; (e) access to scientific and technological knowledge; (f) capacity-building facilities for research purposes; (g) other forms of benefit consistent with the principles set out in this Declaration.“

Der Sinn des benefit sharings liegt darin, den weltweiten Unterschieden in der medizinischen Versorgung entgegenzuwirken. Hinsichtlich Forschung kann dies verschiedene Ausprägungen erfahren, die etwa auch Änderungen auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtschutzes bedürfen könnten.242 Wesentlich für Arzneimittelforschung, die in Entwicklungsländern durchgeführt wird, ist es jedoch zuvorderst, Wissen zu teilen und Infrastrukturkapazitäten aufzubauen. Da in aller Regel auf Ärztinnen, Pflegerinnen und weiteres Personal aus den Gaststaaten zurückgegriffen wird, sollten diese nachhaltig geschult werden. Ebenso sollten Einrichtungen die möglicherweise ohnehin für die Zwecke der Forschung geschaffen werden auf eine nachhaltige Nutzung ausgerichtet werden, um den betreffenden Regionen auch nach Beendigung der Studien einen Nutzen aus dieser zu ermöglichen. Allerdings handelt es sich bei der UNESCO Erklärung um kein verbindliches Übereinkommen. b)  Allgemeine Übereinkommen Das Recht auf Gesundheit umfasst nicht nur das Recht auf Zugang zu Arzneimitteln, sondern auch weitere Elemente wie das Vorhandensein funktionierender Gesundheitseinrichtungen und Dienstleistungen mit adäquater Sachmittelausstattung und gut ausgebildetem Personal.243 Dies sind Elemente die im Rahmen von Forschungsvorhaben eingerichtet werden können. VI.  Zusammenfassung der Staatenpflichten Aspekte der Arzneimittelforschung an Menschen werden von spezifischen, aber auch allgemeinen Menschenrechtsübereinkommen adressiert und umfasst. Es 242  Galjaard, Hans, Article 15: Sharing of Benefits, in: ten Have, Henk (Hrsg.), The UNESCO Universal Decaration on Bioethics and Human Rights, 2009, S. 231 – 241 [239]. 243  Alvino, Lori A., Who’s Watching the Watchdogs? Responding to the Erosion of Research Ethics by Enforcing Promises, Columbia Law Review 103 (2003), 893 – 924, Rn. 12.

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handelt sich hierbei jedoch um Staatspflichten, auch wenn alle Mitglieder der Gesellschaft Verantwortung tragen, um die Rechte zu verwirklichen.244 Wie bereits ausgeführt sind Staaten auf drei Ebenen verpflichtet, nämlich dahingehend alle Menschenrechte zu achten, zu schützen und zu realisieren, wobei die Pflicht to fulfil einer ressourcenabhängigen progressiven Realisierung unterliegt. Das heißt, dass alle einzelnen Rechte und Verbote der Forschung an Menschen Pflichten auf allen drei Ebenen umfassen. Das Verbot der Durchführung von Versuchen ohne informierte Einwilligung beispielsweise umfasst die Pflicht des Staates von solchen Experimenten selbst Abstand zu nehmen. Darüber hinaus verlangt die Schutzpflicht des Staates jedoch, Maßnahmen zu ergreifen, um Rechtsverletzungen durch Private zu verhindern, d. h. Maßnahmen, um zu verhindern, dass etwa Unternehmen oder Ärztinnen Versuche an Menschen ohne deren Einwilligung vornehmen. Schließlich sind auch Aufwendungen notwendig, um das Recht vollständig zu realisieren, indem beispielsweise Aufklärungskampagnen initiiert und finanziert werden, wenn dies notwendig sein sollte. 1.  Schutzmaßnahmen Zum Schutz vor Rechtsverletzungen durch Private sind die Staaten verpflichtet, notwendige Maßnahmen zu ergreifen, die legislativer, administrativer oder sonstiger Art sein können. Bei der Durchführung von Versuchen sind dies vor allem auch Inspektionen von Zentren klinischen Studien.245 Es können auch Schutzpflichten des Staates bestehen. Aus dem Recht auf Leben wird etwa gefolgert, unter Umständen Private in Garantenstellungen zu verpflichten, Maßnahmen zu ergreifen, um das Recht zu verwirklichen. Konsequenterweise müssen auch Pflichten der Staaten bestehen, Private in einer Garantenstellung in der Forschung an Menschen dazu zu verpflichten, ebenfalls Maßnahmen zu treffen, um die Wahrung der Autonomie der (potentiellen) Versuchspersonen voll zu realisieren. Hieraus sind jedoch nicht nur umfangreiche Aufklärungspflichten abzuleiten, sondern auch uneigennützige Forschung an bestimmten verletzlichen Personen wie Gefangenen oder geistig Behinderten zu unterlassen oder nur subsidiär durchzuführen. 2.  Realisierungspflichten Die Staaten treffen viele Aufwendungspflichten, die grundsätzlich progressiv, je nach ökonomischer Leistungsfähigkeit, realisiert werden können. Allerdings bestehen auch core obligations, die eine sofortige Implementierung verlangen. Das können Aufklärungskampagnen sein, um über die bestehenden Rechte und Pflich244  Alvino, Lori A., Who’s Watching the Watchdogs? Responding to the Erosion of Research Ethics by Enforcing Promises, Columbia Law Review 103 (2003), 893 – 924, Rn. 42. 245 Urteil in der Sache GlaxoSmithKline: Argentina S.A. – Abate Héctor – Tregnaghi Miguel s/ Infracción ley 16.463 des Juzgado Nacional en lo Penal Económico vom 28. 12. 2011, S. 15 f., abrufbar unter http://www.cij.gov.ar/nota-8521-Fallo-del-juez-Aguinsky-en-causa-por-multa-al-laboratorio-Glaxo.html.

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ten in der Forschung an Menschen aufzuklären oder besondere Maßnahmen wie die Einrichtung von Beratungsstellen zum Wohle von Kindern, die unter Umständen an Versuchen teilnehmen. Sehr viel schwieriger und aufwendiger gestalten sich die Realisierungspflichten aus dem Recht auf Gesundheit hinsichtlich des Zugangs zu Gesundheitseinrichtungen und Arzneimitteln.246 Erst die grundsätzliche Möglichkeit Standardtherapien zu erhalten, eröffnet tatsächliche Wahlmöglichkeiten, an Studien, die Placebo oder nicht-behandlungskontrolliert sind, teilzunehmen oder eben nicht teilzunehmen. Soweit diese alternativen Behandlungsmethoden essentielle Arzneimittel sind, besteht die sofortige core obligation diese tatsächlich zugänglich zu machen. 3.  Internationale Kooperation Die benannten Pflichten sind zunächt und zuvorderst Pflichten des Staates, in welchem Versuche durchgeführt werden, die Menschenrechte zu realisieren. Die Rechte des IPWSKR sind jedoch nach Art. 2 Abs. 1 auch mit internationaler Hilfe und Kooperation zu realisieren. Der general comment zu Art. 12 verweist daher auf die Alma-Ata-Erklärung welche ausführt: „that the existing gross inequality in the health status of the people, particularly between developed and developing countries, as well as within countries, is politically socially and economically unacceptable and is, therefore, of common concern to all countries.“247

Die Verabschiedung des zitierten Art. 15 der UNESCO Universal Declaration on Bioethics and Human Rights, wonach der Nutzen von Forschung international geteilt werden sollte, ist einstimmig ergangen.248 Inwiefern dies konkrete Pflichten reicherer Länder begründet, „ihre“ pharmazeutischen Unternehmen auf Leistungen in Entwicklungsländer zu verpflichten, ist jedoch eher unkontuiert. Jedenfalls sind Staaten verpflichtet, dritte Parteien davon abzuhalten das Recht auf Gesundheit in anderen Staaten zu verletzen, wenn sie diese rechtlich oder politisch beeinflussen können.249 Es wäre jedenfalls denkbar, auf dieser Grundlage eine Pflicht anzunehmen, Zulassungsbegehren von Unternehmen, die in anderen Ländern klinische Studien durchgeführt haben, an die Voraussetzung zu knüpfen, dass die Absicht besteht auch im Land der klinischen Studien eine Vermarktung anzustreben. 246  Grundsätzlich sind die Staaten nach Art. 2 Abs. 1 IPWSKR verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen „deliberate, concrete and targeted towards the full realization of the right to health“. Alvino, Lori A., Who’s Watching the Watchdogs? Responding to the Erosion of Research Ethics by Enforcing Promises, Columbia Law Review 103 (2003), 893 – 924, Rn. 30. 247  Alvino, Lori A., Who’s Watching the Watchdogs? Responding to the Erosion of Research Ethics by Enforcing Promises, Columbia Law Review 103 (2003), 893 – 924, Rn. 38. 248  Galjaard, Hans, Article15: Sharing Benefits, in: ten Have, Henk (Hrsg.), The UNESCO Universal Decaration on Bioethics and Human Rights, 2009, S. 231 – 241 [231]. 249  Alvino, Lori A., Who’s Watching the Watchdogs? Responding to the Erosion of Research Ethics by Enforcing Promises, Columbia Law Review 103 (2003), 893 – 924, Rn. 39.

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F.  Streitpunkte der Forschung an Menschen im Völkergewohnheitsrecht Neben den Menschenrechtsverträgen bestehen Normen des Völkergewohnheitsrechts eigenständig, auch wenn sie den gleichen Inhalt haben wie die Vertragsnormen und dieselben Staaten binden sollten.250 Zwar wurden der IPBPR und IPWSKR sowie alle weiteren angesprochenen universalen Menschenrechtspakte von einem Großteil oder zumindest einem Teil der UN-Mitgliedsstaaten ratifiziert, dennoch sind sie gerade nur für diese Staaten bindend. Die regionalen Menschenrechtspakte sind in ihrer Öffnung von vornherein auf bestimmte Staaten begrenzt. Durch Normen des Völkergewohnheitsrechts werden indes alle Staaten gebunden, soweit ein Staat als persistent objector sich nicht dieser Bindung entzieht. Darüber hinaus ist ein wesentlicher Unterschied auf nationaler Ebene zu sehen, da eine wachsende Anzahl von Verfassungen, Völkergewohnheitsrecht nicht nur unmittelbar als nationales Recht inkorporieren, sonder auch einen höheren Rang als nationales Gesetzesrecht einräumen.251 I.  Völkergewohnheitsrecht Dem IGH zufolge entsteht Völkergewohnheitsrecht durch eine allgemeine Übung und eine Anerkennung dieser als Recht (opinio iuris sive necessitatis).252 Sollten bestimmte Rechte (der Forschung an Menschen) Völkergewohnheitsrecht darstellen, so müssten die Staaten durch ein Verhalten253, das von einer gewissen

250  IGH Urteil vom 27. 06. 1986, Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), ICJ Reports 1986, S. 14, Rn. 178 f. 251  Bspw. Art. 25 GG; Simma, Bruno/Alston, Philip, The Sources of Human Rights Law: Custom, Jus Cogens, and General Principles, Australian Yearbook of International Law 12 (1988 – 1989), 82 – 108 [83  f.]. 252  IGH Urteil vom 20. 02. 1969, North Sea Continental Shelf Cases (Federal Republic of Germany v. Denmark; Federal Republic of Germany v. Netherlands), ICJ Reports 1969, S. 3, Rn. 77; The Case of the S.S. Lotus (French Republic v. Turkish Republic), PCIJ Reports 1927, Series A, No. 10, S. 28.; Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), ICJ Reports 1986, S. 14, Rn. 184; vgl. auch Brownlie, Ian, Principles of Public International Law, 7. Aufl., 2008, S. 6 ff. Verdross, Alfred/ Simma, Bruno, Universelles Völkerrecht, 2. Aufl., 1981, S. 277. Zur Verzichtbarkeit der Opinio Iuris als essentielles Element Kelsen, Hans, Théorie du Droit International Coutumier, Revue Internationale de la Théorie du Droit 1 (1939), 253 [263 f.]. Nach anderer Ansicht ist Staatenpraxis kein notwendiges konstitutives Element sondern nur Opinio Iuris. Cheng, Bin, United Nations Resolutions on Outer Space: „Instant“ International Customary Law?, Indiana Journal of International Law 5 (1965), 23, nachgedruckt in: Cheng, Bin (Hrsg.), International Law – Teaching and Practice, 1982, S. 237 ff. Wiederum ist die Bildung von Völkergewohnheitsrecht als schlicht „mysteriös“ bezeichnet worden. Jennings, Robert Yew­ dall, The Identification of International Law, in: Cheng, Bin (Hrsg.), International Law – Teaching and Practice, 1982, S. 3 ff. [4].

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Dauer, Einheitlichkeit und Verbreitung254 gekennzeichnet ist, zeigen, dass sie selbst danach verfahren, sowie Private zu einem entsprechenden Verhalten verpflichten, und dass diese Praxis von dem Bewusstsein einer rechtlichen Verbindlichkeit getragen ist. Dabei kann oftmals dasselbe Verhalten als Nachweis für Staatenpraxis und opinio iuris gleichermaßen herangezogen werden.255 Üblicherweise ist die relevante Staatenpraxis im Verhältnis zwischen den Staaten zu sehen. Da Menschenrechte jedoch das vertikale Verhältnis von Individuen zu Staaten betreffen, ist hier die relevante Staatenpraxis auch in der Behandlung von Individuen durch die Staaten zu finden.256 253

II.  Völkergewohnheitsrecht der Forschung an Menschen Aufgrund der hohen Anforderungsschwellen an die Qualifikation von Völkergewohnheitsrecht wäre es müßig, der bisher gefolgten Struktur zu folgen und alle als relevant identifizierten Menschenrechte auf ihre völkergewohnheitsrechtliche Qualität hin zu untersuchen. Der Grundsatz der informierten Einwilligung und der Grundsatz, dass bestimmte vulnerable Personen zu schützen sind, scheinen indes prima vista so konsensual, dass eine Qualifikation als Völkergewohnheitsrecht indiziert ist.

253  Dies können alle Verhaltensweisen der Staaten sein wie Handlungen, Äußerungen oder Unterlassen im rechtlich relevanten oder auch faktischen Bereich. Heinegg, Wolff Heintschel von, in: Ipsen, Knut/Menzel, Eberhard (Hrsg.), Völkerrecht, 1999, § 16, Rn. 6. Brownlie zählt nicht abschließend auf: diplomatische Korrespondenz, offizielle Rechtshandbücher, Regierungsstellungnahmen zu Entwürfen der ILC, staatliche Gesetzgebung, internationale und nationale gerichtliche Entscheidungen, die Präambeln von Verträgen und anderen internationalen Instrumenten, Verträge die nach derselben Form ausgestaltet sind, die Praxis internationaler Organe und Resolutionen bezüglich rechtlicher Fragen in der UN Generalversammlung. Brownlie, Ian, Principles of Public International Law, 2008, S. 6 f. Nach anderer Ansicht können nur tatsächliche Staatshandlungen (also z. B. nicht Stellungnahmen) eine relevante Praxis konstituieren. D‘Amato, Anthony A., The Concept of Custom in International Law, 1971, S. 88 f. Zur reinen Nachweis- und nicht Begründungsfunktion von Staatenverhalten Cheng, Bin, United Nations Resolutions on Outer Space: „Instant“ International Customary Law?, Indiana Journal of International Law 5 (1965), 23, nachgedruckt in: Cheng, Bin (Hrsg.), International Law – Teaching and Practice, 1982, S. 237 ff. [251]. 254  Heinegg, Wolff Heintschel von, in: Ipsen, Knut/Menzel, Eberhard (Hrsg.), Völkerrecht, 1999, § 16 Rnrn. 7 ff; Brownlie, Ian, Principles of Public International Law, 2008, S. 7 f. Sørensen, Max, Principes de Droit International Public, Recueil des Cours 101 (1960), 6 – 254 [38  ff.]. 255  Baxter, Richard Reeve, Treaties and Custom, Recueil des Cours 129 (1970), 27 – 105 [69]; Sørensen, Max, Principes de Droit International Public, Recueil des Cours 101 (1960), 6 – 254 [51]; Brownlie, Ian, Principles of Public International Law, 2008, S. 8. 256  Schachter, Oscar, International Law in Theory and Practice, Recueil des Cours 178 (1982), 9 – 396 [333 ff.].

§ 5  Menschenrechte der Forschung an Menschen

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1.  Verbot der Forschung an Menschen ohne deren informierte Einwilligung a)  Internationale Praxis Das Prinzip der informierten Einwilligung bei Forschungsvorhaben an Menschen ist wie dargelegt im IPBPR, dem Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie der regionalen BMK und ihrem 3. ZP ausdrücklich und im IPWSKR, in spezifischeren Konventionen wie der CEDAW sowie in den regionalen Menschenrechtskonventionen implizit verankert. Es ist ebenso ein zentraler Grundsatz von soft-law-Instrumenten wie der UNESCO Universal Declaration on Bioethics and Human Rights, wie von autoritativen zu soft law formal funktional äquivalenten Ethikguidelines privater Akteure wie der Guideline for Good Clinical Practice der ICH, der International Ethical Guidelines for Biomedical Research Involving Human Subjects des CIOMS, der Deklaration von Helsinki des Weltärztebundes und in Handbüchern und Guidelines, die auf diesen aufbauen wie dem Handbook for Good Clinical Research Practice der WHO, dem Guidance Document über Ethical Considerations in Biomedical HIV Prevention Trials von UNAIDS und WHO, dem Guidance Document über Ethical Consideration in HIV Preventive Vaccine Research von UNAIDS, den Model Laws on the Protection of Human Rights and Dignity in Biomedical Research des Commonwealth of Independent States oder der Good Clinical Practices: Document of the Americas der Pan American Health Organization. Von den 168 Vertragsparteien des IPBPR (Stand 2015) wurde trotz vieler sonstiger Vorbehalte gerade keiner zu Art. 7 S. 2 IPBPR formuliert. Die Biomedizinkonvention ist zwar mit Stand 2015 nur von 29 Staaten ratifiziert worden; vor allem wurde sie nicht von Deutschland, Italien, Großbritannien oder Russland und auch von keinem Nichtmitgliedsstaat des Europarates ratifiziert oder gar gezeichnet.257 Die Nicht-Ratifikationen lagen jedoch gerade nicht an dem verankerten Prinzip der informierten Einwilligung, sondern etwa im Fall von Deutschland vielmehr an dem vermeintlich zu niedrigen Schutzstandard der Biomedizinkonvention.258 Frankreich hat die Konvention nach vielen Vorbehalten 2011 ratifiziert. Die bereits erwähnte Publikation einer Historikerin von 2010 über US amerikanische Syphilis Versuche in Guatemala sorgte vor allem auch deswegen für großes Aufsehen, weil hier Versuche an Prostituierten, Soldatinnen, Inhaftierten und in Psychatrien eingewiesenen Personen durchgeführt worden sind, die ohne deren 257  Art. 33 Abs. 1 und Art. 34 der BMK öffnen diese auch für Nichtmitgliedsstaaten des Europarates. 258 Vgl. für Deutschland: Drs. 13/1816; Drs. 13/8469; Drs. 13/11241. In Frankreich war das in der BMK verankerte Prinzip der informierten Einwilligung in Forschungsvorhaben bereits vorher statuiert: Penneau, Michel, Country Report France, in: Taupitz, Jochen (Hrsg.), Das Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin des Europarates, 2002, S. 565 – 571 [569]; im Grundsatz auch in Italien: Patti, Salvatore, Landesbericht Italien, S. 619 – 637 [620 f.].

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Teil 3: Arzneimittelversuche und Menschenrechte

Wissen und Einwilligung mit Syphilis infiziert worden sind.259 Ungeachtet dessen, dass diese Versuche vor längerer Zeit 1946 – 1948 stattgefunden hatten, sahen sich US-Präsident Barack Obama, US-Außenministerin Hillary Clinton und US-Gesundheitsministerin Kathleen Sebelius zu einer gemeinsamen Stellungnahme verlanlasst, sich für diese Versuche u. a. bei der guatemaltekischen Regierung zu entschuldigen, da die Versuche „cleary unethical“ gewesen sind.260 Trotz der vielen Jahrzehnte die vergangen waren, sorgte der Unwert der ohne Einwilligung durchgeführten Versuche für eine außenpolitisch heikle Situation, in welcher (wenn auch nur implizit) Bekräftigungen der Achtung des Wertes der Autonomie in der Forschung von Regierungsseite erforderlich erschien. b)  Nationale Gesetzgebung Die grundsätzliche Überzeugung, dass das Prinzip der informierten Einwilligung als rechtliches Prinzip anzuerkennen ist, zeigt auch die Übernahme in nationale Rechtsordnungen. Das US Department of Health and Human Services listet in einer aktuellen International Compilation of Human Research Protection jeweilige nationale Bestimmungen zu Schutzbestimmungen bei wissenschaftlichen Versuchen an Menschen in über 103 Staaten.261 In einer Entscheidung des United States Court of Appeals 2nd Circuit, stellten die Richterinnen fest, dass es unbestritten sei, dass alle Staaten, die in dieser Aufstellung benannt werden,262 eine informierte Einwilligung für medizinische Versuche voraussetzen.263 Auch ist die informierte Einwilligung Voraussetzung für medizinische Versuche nach europäischem Unionsrecht.264 Das Prinzip der informierten Einwilligung in der medizinischen Forschung ist in vielen nationalen Rechtsordnungen kodifiziert worden, weil die Überzeugung bestand, dass dieses von internationalen ethischen Guidelines geförderte Prinzip 259  Reverby, Susan M., „Normal Exposure“ and Inoculation Syphilis: A PHS „Tuskegee“ Doctor in Guatemala, 1946 – 48, 2011, aufrufbar unter http://www.wellesley.edu/WomenSt/ Reverby%20Normal%20Exposure.pdf. 260  British Medical Journal online vom 04. 10. 2010, doi: 341:c5494; New York Times vom 02. 10. 2010, S. A1 New York Edition. 261  Office for Human Research Protection, U.S. Department of Health and Human Servies, International Compilation of Human Research Protections, 2012, abrufbar unter http:// www.hhs.gov/ohrp/international/intlcompilation/intlcompilation.html. 262  Das Gericht nahm Bezug zu einer Auflage der Liste, die noch 84 Staaten umfasste. 263  United States Court of Appeals, 2nd Circuit, Abdullahi et al. v. Pfizer, Inc., Entscheidung vom 30. 01. 2009, 526 F.3d 163, FN. 12. Für die Nicht-EU-Mitgliedstaaten Australien, Brasilien, Kanada, Israel, Japan, Neuseeland, Südkorea und Türkei siehe auch Länderberichte von Naffine, Ngaire, Villela, Joo Baptista, Bergin, Fiona, Shapira, Amos, Urakawa, Michitaro, Skegg, P.D.G., Kim, Min-Joong, Dural, Mustafa in: Taupitz, Jochen (Hrsg.), Das Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin des Europarates, 2002, S. 261 ff., 307 ff., 319 ff., 639 ff., 661 ff., 677 ff., 739 ff., 773 ff. 264  Insbesondere Art. 3 Abs. 2 lit. d) RL 2001/20/EG.

§ 5  Menschenrechte der Forschung an Menschen

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rechtlich bindend sei. Die Gesetzesbegründung zum Entwurf des Gesetzes zur Neuordnung des deutschen Arzneimittelrechts von 1976 bringt zum Ausdruck, dass die Bestimmungen zum Schutz der Versuchspersonen in Arzneimittelversuchen – wie das Erfordernis der informierten Einwilligung – eine Konkretisierung strafrechtlicher Rechtsprechung, aber auch der ethischen Normen, die in der Deklaration von Helsinki ihren Niederschlag gefunden haben, darstellen.265 Erwägungsgrund 2 der RL 2001/20/EG zur guten klinischen Praxis erläutert, dass die anerkannten Grundsätze für die Durchführung klinischer Prüfungen am Menschen – so auch das Prinzip der informierten Einwilligung – sich auf den Schutz der Menschenrechte und der Würde des Menschen im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin, wie beispielsweise in der Erklärung von Helsinki verankert, stützen. Nach dem schweizerischen Bundesbeschluss zu einem Verfassungsartikel über die Forschung am Menschen vom 25. 09. 2009 und der Annahme durch den Volksentscheid vom 07. 03. 2010266 hat das grundsätz­liche Prinzip der informierten Einwilligung bei Forschungsvorhaben in der Schweiz gem. Art. 118b nach Abs. 2 lit. a) der Schweizer Bundesverfassung sogar Verfassungsrang.267 Mit den Kefauver Drug Amendments im Jahr 1962 wurde in den USA die grundsätzliche informierte Einwilligung erforderlich. Die FDA führte daraufhin die genauen Bedingungen des Erfordernisses der informierten Einwilligung aus und stützte sich dabei auf den Nürnberger Kodex sowie die Deklaration von Helsinki.268 Bis 2008 mussten nach 21 CFR § 312.120 klinische Studien, die außerhalb der USA durchgeführt worden sind und für eine Zulassung in den USA genutzt werden sollten, den Anforderungen der Deklaration von Helsinki 1989 entsprechen. Dieser Verweis auf die Deklaration von Helsinki wurde zwar trotz Kritik 2008 zugunsten eines geringeren Schutzstandards entfernt,269 jedoch ist das grundsätzliche Prinzip der informierten Einwilligung auch zentrale Anforderung der für Auslandsversuche faktisch maßgeblichen Good Clinical Practice Guideline der ICH. Die in China maßgebliche Good Clinical Practice Richtlinie, die das Prinzip der informierten Einwilligung übernommen hat, gründet ebenfalls auf den ethischen Prinzipien der Deklaration von Helsinki sowie den ethischen Guidelines der 265 

Drs. 7/3060, Drucksachen Bd. 200, S. 53. Schweizer BBl. 2010, 2625. 267  Schweizer BBl. 2007, 6713; 2009, 6649. Es ist auch Angelpunkt des Bundesgesetzes über die Forschung am Menschen, das am 21. 10. 2009 vom Bundesrat dem Parlament als Entwurf und Botschaft zur Beratung überwiesen worden ist. Schweizer BBl. 2009, 8163. 268  Bassiouni, M. Cheriff/Baffes, Thomas G./Evrard, John T., An Appraisal of Human Experimentation in International Law and Practice: The Need for International Regula­ tion of Human Experimentation, The Journal of Criminal Law and Criminology 72 (1981), 1597 – 1666 [1625  f.]. 269  FDA, 21 CFR Part 312, Human Subject Protection; Foreign Clinical Studies not conducted under an Investigational New Drug Application, FDA 21 CFR Part 312, Finale Rule, 73 Federal Register 22800 vom 28. 04. 2008 [22807]. 266 

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Teil 3: Arzneimittelversuche und Menschenrechte

CIOMS.270 Der chinesische Vizeminister für Gesundheit legte dar, dass in China seit langem ein Wertesystem der medizinischen Ethik bestehe, das seine Quellen im Konfuzianismus, Taoismus und Buddhismus habe und seinen Fokus mehr auf persönliche Tugendhaftigkeit von individuellen Ärztinnen lege als auf strikte Gesetze.271 Mit der Einführung westlicher Medizin und der Technologie seien indes neue ethische Fragen aufgeworfen worden, die neue Richtlinien bräuchten, welche China aus dem internationalen Diskurs übernehme.272 Auch in den entsprechenden Regulierungen Australiens, Belgiens, Brasiliens, Indiens, Israels, Japans, Neuseelands, Norwegens, Ugandas und des Vereinigten Königreichs wird auf die Verwurzelung des Prinzips der informierten Einwilligung in der Deklaration von Helsinki bzw. den CIOMS-Guidelines verwiesen.273 c)  Nationale Rechtsprechung Das Prinzip der informierten Einwilligung wird auch durch nationale Gerichte durchgesetzt. Darüber hinaus stellte der EuGH-Generalanwalt Walter van Gerven in einem Schlussantrag fest, dass der Grundsatz, der häufig mit dem aus den Vereinigten Staaten stammenden Begriff informed consent bezeichnet werde, seines Erachtens im Arztrecht der Mitgliedstaaten allgemein anerkannt sei und durchweg aus dem Recht auf körperliche Integrität und dem (weiteren) Recht auf Selbstbestimmung hergeleitet werden könne.274 Das United States Court of Appeals, 2nd Circuit stellte sogar explizit fest, dass das Verbot nicht-konsensualer medizinischer Versuche, d. h. das Prinzip der informierten Einwilligung in Forschungsvorhaben eine universal akzeptierte Norm des 270 

Siehe für die englische Version http://www.chinafdc-law.com/laws/detail_140.html. Huang, Jiefu, Ethical and Legislative Perspectives on Liver Transplantation in the People’s Republic of China, Liver Transplantation 13 (2007), 193 – 196 [194 f.]. 272  Huang, Jiefu, Ethical and Legislative Perspectives on Liver Transplantation in the People’s Republic of China, Liver Transplantation 13 (2007), 193 – 196 [194 f.]. Zwar konkret für Fragen der Organtransplantation, aber auch auf die Arzneimittelforschung übertragbar. Die Übernahme von internationalen (bspw. FDA kompatiblen) Richtlinien wird natürlich auch dem wirtschaftlichen Kalkül gefolgt sein, mehr Forschung in das Land zu locken. 273  Human, Delon/Fluss, Sev S., The World Medical Association’s Declaration of Helsinki: Historical and Contemporary Perspectives, 2001 (fünfter Entwurf), abrufbar unter http://www.wma.net/en/20activities/10ethics/10helsinki/draft_historical_contemporary_ perspectives.pdf . Eine vergleichende Analyse der Deklaration von Helsinki und EU- und US-Recht, sowie Regelungen der Schweiz, Deutschland, Frankreich, dem Vereinigten Königreich sowie Kanada: Sprumont, Dominique/Girardin, Sara/Lemmens, Trudo, The Helsinki Declaration and the Law: An International and Comparative Analysis, in: Schmidt, Ulf/Frewer, Andreas (Hrsg.), History and Theory of Human Experimentation, 2007, S.  223 – 252. 274  Schlussantrag Generalanwalt van Gerven Rs. T-121/89 und T-13/90 = EuGRZ 1995, 231 – 247, Rn.  23. 271 

§ 5  Menschenrechte der Forschung an Menschen

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Völkergewohnheitsrechts darstelle.275 In dem Verfahren Abdullahi et al. v. Pfizer, Inc., in der juristischen Aufarbeitung des eingangs geschilderten Trovan-Falles in Nigeria,276 hatte das Gericht die Frage zu beantworten, ob das Verbot nicht-konsensualer medizinischer Versuche eine Norm des Völkergewohnheitsrechts im Sinne des Alien Tort Statute (ATS) darstelle und die vom United States District Court for the Southern District of New York abgewiesene Klage doch zulässig sei.277 Nach dem ATS konnten bisher zivile Ansprüche vor US-Gerichten geltend gemacht werden, auch wenn weder Handlungs- noch Erfolgsort Gebiete der USA waren und die Beteiligten weder Staatsbürgerinnen der USA sind noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in den USA haben,278 wenn eine Verletzung des Völkerrechts oder eines völkerrechtlichen Vertrags der USA geltend gemacht wird.279 Der United States Supreme Court schränkte den Anwendungsbereich in seiner Entscheidung Kiobel et al. v. Royal Dutch Petroleum im April 2013 zwar sehr ein, indem die Mehrheitsmeinung eine extra-territoriale Geltung des ATS verneinte.280 Der Supreme Court scheint jedoch die in Sosa v. Alvarez-Machain aufgestellte Definition des Geltungsbereiches des ATS nicht zu überwerfen. Demnach können nur solche Völkerrechtsnormen nach dem ATS verfolgt werden, die „so bestimmt und allgemein anerkannt sind“ wie die historischen Paradigmen: Verletzung von Diplomatenrechte, sicheres Geleit und Piraterie.281 Solche Völkerrechtsnormen sind etwa Verbote von Genozid, Folter, außerrechtlichen Tötungen, Vergewaltigung, Zwangsarbeit und längerer grausamer und unmenschlicher Behandlung.282 Der Court of Appeals, 2nd Circuit stellte das Verbot nicht-konsensualer medizinischer Versuche in diese Reihe.

275  U.S. Court of Appeals, 2nd Circuit, Abdullahi et al. v. Pfizer, Inc., Entscheidung vom 30. 01. 2009, 562 F.3d 163. Mit Order vom 29. 06. 2010 lehnte der US Supreme Court den Antrag von Pfizer auf Writ of Certiorari ab. Order List: 561 US, 09 – 34. 276  Siehe oben § 2 C. II. 2. a) aa) Trovan, Nigeria. 277 Hierzu Coyne, Dennis M., International Pharmaceutical Mistrials: Existing Law for the Protection of Foreign Human Subjects and a Proposal for Reform, Boston University International Law Journal 29 (2011), 427 – 450 [431 ff.]. 278  Zwar muss die beklagte Person der US-Gerichtsbarkeit unterliegen, diese kann aber bereits durch eine sogenannte „transient-“ oder „tag-jurisdiction“ gegeben sein, wenn die beklagte Person durch das Gebiet des Forum-Staates reist oder auch bloß darüber fliegt. Menon, Jaykumar A., The Alien Tort Statute, Journal of International Criminal Justice 4 (2006), 372 – 386 [374]. 279  28 U.S.C. § 1350. 280  United States Supreme Court, Kiobel et al. v. Royal Dutch Petroleum, Urteil vom 13. 04. 2013, 569 U.S. (2013). 281  Vgl. auch Seibert-Fohr, Anja, United States Alien Tort Statute, in: Wolfrum, Rüdiger (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, online edition [www.mpepil. com], 2008, Rn. 6. 282  United States Supreme Court, Sosa v. Alvarez-Machain et al., Entscheidung vom 29. 06. 2004, 542 U.S. 692, 124 S.Ct. 2739 [2761 ff.].

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Teil 3: Arzneimittelversuche und Menschenrechte

d)  Fazit Es lässt sich erkennen, dass die Staaten bei Forschungsvorhaben selbst nach dem Prinzip der informierten Einwilligung verfahren und die ihrer Herrschaftsgewalt Unterworfenen zu einem entsprechenden Verhalten verpflichten, und dass diese Übung von dem Bewusstsein einer rechtlichen Verbindlichkeit getragen ist. Dies gilt jedoch nur im Grundsatz. Wie unten zu zeigen, besteht keine einheitliche Übung hinsichtlich des Umgangs mit besonders schützenswerten Personen. 2.  Pflichten zur Ergreifung besonderer Schutzmaßnahmen bei Versuchen an besonders schützenswerten Personen a)  Keine einheitliche, von Rechtswillen getragene Praxis Das Prinzip der informierten Einwilligung ist als Grundsatz der medizinischen Forschung an Menschen wie unter 1. dargelegt völkergewohnheitsrechtlich anerkannt. Eine entsprechende Übung und Überzeugung ist hierbei auch hinsichtlich der Schutzwürdigkeit von Minderjährigen und geistig behinderten Personen gegeben. Die konkreten Möglichkeiten der Ersetzung der informierten Einwilligung bei nicht-einwilligungsfähigen Personen sind jedoch weniger einheitlich. So fordert die UNESCO Universal Declaration on Bioethics and Human Rights in Art. 7, dass nicht-einwilligungsfähigen Personen ein besonderer Schutz gewährt werden muss, dies aber in Einklang mit nationalem Recht. So wird gekennzeichnet, dass kein Konsens über den konkreten Umgang besteht. Die in Art. 7 weiter bestimmten Schutzvorschriften sind, wie zu zeigen, hierzu auch vage genug bestimmt. Jedenfalls ist in den betrachteten Staaten die Unterscheidung von eigennützigen, d. h. therapeutischen und uneigennützigen oder fremdnützigen, d. h. nicht-therapeutischen Versuchen gegeben. Die Praxis zeigt, dass im Falle von eigennützigen Versuchen, die Ersetzung der informierten Einwilligung durch die einer gesetzlichen Vertreterin stets möglich ist. Jedoch besteht keine gefestigte einheitliche Übung beim Umgang mit fremdnütziger Forschung. Diese ist zwar nach allen betrachteten Bestimmungen unter dem Stichwort „Gruppennutzen“ möglich, mit jedoch ganz unterschiedlichen Vorstellungen darüber, was die maßgebliche Gruppe konstituiert. Unter engen Voraussetzungen ist nach Art. 17 Abs. 2 i) BMK Forschung an nicht-einwilligungsfähigen Personen zulässig, wenn die Forschung das Ziel hat, anderen Personen zu nützen, welche derselben Altersgruppe angehören oder an derselben Krankheit oder Störung leiden oder sich in demselben Zustand befinden. Die recht unbestimmte Voraussetzung „derselben Altersgruppe“ gestattet somit auch Forschung an Minderjährigen, die nicht krank sind. Aus der Formulierung lässt sich schließen, dass jedoch Forschung an nicht-einwilligungsfähigen Erwachsenen nur möglich ist, wenn diese an der untersuchten Krankheit oder Störung leiden. Art. 7 der UNESCO Erklärung ist in dem Punkt noch vager formuliert.283 Hiernach ist Forschung an nicht-einwilligungsfähigen Personen möglich, wenn sie das

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Potential hat, anderen Personen „derselben Kategorie“ zu nützen. Die Deklaration von Helsinki ist ähnlich offen formuliert, als dass fremdnützige Forschung – unter weiteren Voraussetzungen – an nicht-einwilligungsfähigen Personen zulässig ist, soweit sie darauf abzielt 283

„to promote the health of the population represented by the potential subject.“

Art. 4 lit. e) RL 2001/20/EG regelt jedoch, dass uneigennützige Forschung nur an kranken Minderjährigen möglich ist. So muss die klinische Prüfung für die „Patientengruppe“ mit einem direkten Nutzen verbunden sein und sich auf einen klinischen Zustand beziehen, unter dem die betroffene Minderjährige leidet, oder die klinische Prüfung muss ihrem Wesen nach nur an Minderjährigen durchführbar sein. Nach Art. 5 lit. e) und i) der RL 2001/20/EG ist jedoch überhaupt keine fremdnützige Forschung an nicht-einwilligungsfähigen Erwachsenen möglich. Ebenso ist die fremdnützige Forschung an nicht-einwilligungsfähigen Erwachsenen nach § 41 Abs. 3 AMG unzulässig und an Minderjährigen nach § 41 Abs. 2 AMG nur dann, wenn diese an einer Krankheit leiden und die Forschung mit einem Nutzen für andere Personen, die an derselben Krankheit leiden, verbunden ist. Im US-Recht ist nach 21 CFR § 50.51 fremdnützige Forschung an Kindern möglich, wenn die Risiken nur minimal sind. Gruppennützige Forschung an kranken Kindern ist nach 21 CFR § 50.53 auch noch möglich, wenn die Risiken geringfügig höher als minimal sind,284 und wenn neues Wissen über die Krankheit oder Störung gewonnen werden kann. Unter sehr engen Voraussetzungen gibt es nach 21 CFR § 50.54 darüber hinaus die Möglichkeit auch Forschung an Kindern zu ermöglichen, die nicht den Voraussetzungen der vorgenannten Bestimmungen genügt, aber die als notwendig erachtet wird, um das Verständnis, die Prävention oder Erleichterung eines ernsten Problems zu fördern, das die Gesundheit oder das Wohlergehen von Kindern betrifft. Allein diese aufgezeigten Unterschiede lassen kaum den Schluss auf einen völkergewohnheitsrechtlichen Umgang mit nicht-einwilligungsfähigen Personen zu. Zwar lässt sich feststellen, dass die Staaten in der Übung und Überzeugung soweit übereinstimmen, dass Schutzmaßnahmen für nicht-einwilligungsfähige Personen getroffen werden, jedoch sind die Ausgestaltungen und geforderten Voraussetzungen nicht einheitlich. Von nicht-einwilligungsfähigen Personen abgesehen, ist auch der Umgang mit unfreien Personen uneinheitlich. Wie bereits dargelegt sind völkervertraglich Versuche an inhaftierten Personen nicht grundsätzlich verboten, vielmehr wird anerkannt, dass dies unterschiedlich gehandhabt wird. So stellt etwa Art. 20 3-ZP-BMK 283  Zu Art. 7 der UNESCO Declaration on Bioethics and Human Rights: Martin, Jean F., Art. 7: Persons without the Capacity to Consent, in: ten Have, Henk (Hrsg.), The UNESCO Universal Decaration on Bioethics and Human Rights, 2009, S. 139 – 153. 284  „Minimal Risk“ wird nach 21 CFR § 50.3 (k) so definiert, dass die Wahrscheinlichkeit und das Ausmaß des erwarteten Schadens oder der Unannehmlichkeit im Versuch nicht größer sind, als solche, wie sie im alltäglichen Leben auftreten oder während der Durchführung einer physischen oder psychologischen Routineuntersuchung.

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Teil 3: Arzneimittelversuche und Menschenrechte

nur Mindestanforderung an die Forschung an Personen, die ihrer Freiheit entzogen sind, wenn dies nach nationalem Recht zulässig ist. Die ergänzte RL 2001/20/EG schweigt sich über den Umgang mit Inhaftierten und oder Verwahrten aus. Nach § 40 Abs. 1 Nr. 4 AMG sind Versuche an verwahrten Personen unzulässig.285 Nach Art. 27 des Schweizer Humanforschungsgesetzes ist Forschung an Personen im Freiheitsentzug grundsätzlich zulässig. Es stellt unterschiedliche Anforderungen je nach dem, ob mit der Forschung ein individueller Nutzen oder nur Fremdnutzen verbunden ist. Die US-Regulierung trifft in 21 CFR § 50 keine konkreten Anforderungen. Es ist jedenfalls keine einheitliche Übung erkennbar. b)  Fazit Es scheint insofern eine Übung zu bestehen, Maßnahmen zum Schutz nicht-einwilligungsfähiger Personen zu treffen, deren Einwilligungen grundsätzlich von der oder den gesetzlichen Vertreterinnen ersetzt werden können.286 Über diesen Grundsatz hinaus ist keine einheitliche Praxis in der konkreten Ausgestaltung dieser Schutzmaßnahmen zu sehen. Gleiches gilt für unfreie Personen.

G.  Allgemeine Rechtsgrundsätze der Forschung an Menschen I.  Allgemeine Rechtsgrundsätze Weitere Völkerrechtsquelle nach Art. 38 Abs. 1 lit. c) IGH-Statut sind „die von den Kulturvölkern anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätze.“287

Allgemeine Rechtsgrundsätze sind solche Grundsätze, die in foro domestico entwickelt worden sind und in einer großen Mehrheit der Staaten, die die wichtigs285  Es wird jedoch eine teleologische Reduktion befürwortet, so dass, wenn der Behandlungsgedanke im Vordergrund steht, eine mögliche Lebensrettung durch ein experimentelles Arzneimittel möglich sein soll. Vgl. Deutsch, Erwin/Ratzel, Rudolf (Hrsg.), Kommentar zum Arzneimittelgesetz (AMG), 2007 § 40, Rn. 12; Koenig, Christian/Beer, Daniela/Busch, Christiane/Müller, Eva-Maria, Rechtsgutachten – Bestandsaufnahme und Handlungsbedarf hinsichtlich des Übereinkommens zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin und seiner Zusatzprotokolle, 2003 S. 286 m.w.N. 286  So ist dem bereits skizzierten Trovan-Fall von den Beschwerdeführerinnen geltend gemacht worden, dass Pfizer es versäumt habe, die informierte Einwilligung der Kinder oder ihrer gesetzlichen Vertreterinnen einzuholen. Das Gericht erörterte daraufhin den gewohnheitsrechtlichen Charakter des Prinzips der informierten Einwilligung in Forschungsvorhaben. Den Aspekt der Vertretungsmöglichkeit der Eltern ist – wohl da als unproblematisch angenommen – nicht angesprochen worden. Auch die Dissenting Opinion nahm keinen Bezug auf diesen Aspekt. 287 Zur Unterscheidung der „allgemeinen Rechtsgrundsätze“ von den „allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechts“: Verdross, Alfred/Simma, Bruno, Universelles Völkerrecht, 1981 S. 311; Brownlie, Ian, Principles of Public International Law, 2008, S. 19.

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ten Rechtskreise der Erde repräsentieren,288 nachgewiesen werden können.289 Es können auch Grundsätze sein, die außerhalb der Rechtsordnung entwickelt worden sind, aber allgemeine Akzeptanz und Anerkennung durch diese Staaten erfahren haben.290 Dies sind in der Mehrzahl Grundsätze die dem Zivilrecht entlehnt sind wie pacta sunt servanda291 oder die unrechtmäßige Bereichung, sowie neue Grundsätze die aufgrund neuartiger der Regelung bedürftiger transnationaler Sachverhalte aufzustellen sind.292 Dies schließt allerdings nicht aus, dass nicht auch Menschenrechte allgemeine Rechtsgrundsätze darstellen können.293 Der IGH stellte im Corfu Channel Fall fest, dass die relevanten „obligations are based […] on certain general and well-recognized principles, namely: elementary considerations of humanity […].“294

Nach dem Barcelona Traction Fall bestehen erga-omnes-Pflichten, die unter anderem aus den „principles and rules concerning the basic rights of the human person“ folgen.295 II.  Allgemeine Rechtsgrundsätze der Forschung an Menschen 1.  Verbot der Forschung an Menschen ohne deren informierte Einwilligung Das Verbot von Forschung an Menschen ohne deren informierte Einwilligung ist, wie oben dargelegt, in mindestens 94 nationalen Rechtsordnungen, in Staaten 288  Der eurozentrische Ansatz der Kulturvölker ist nicht mehr vertretbar und das Attribut „civilized“ hat keine einschränkende Bedeutung mehr. Graf Vitzthum, Wolfgang, in: Vitzthum, Wolfgang/Bothe, Michael (Hrsg.), Völkerrecht, 2004, 1. Abschn., Rn. 143. 289  Mosler, Hermann, Völkerrecht als Rechtsordnung – Grundlagen und Quellen ZaöRV 36 (1976), 6 – 49 [42 f.]. Zur positivistischen Konzeption Guggenheim, Paul, Contribution à l‘Histoire des Sources du Droit des Gens, Recueil des Cours 94 (1958), 5 – 82 [78]. 290  Simma, Bruno/Alston, Philip, The Sources of Human Rights Law: Custom, Jus Cogens, and General Principles, Australian Yearbook of International Law 12 (1988 – 1989), 82 – 108; Vitányi, Béla, Les Positions Doctrinales Concernant le Sens de la Notion de „Principes Généraux de Droit Reconnus par les Nations Civilisées“, Revue Générale de Droit International Public 86 (1982), 48 – 116 [85 ff.]; Mosler, Hermann, Völkerrecht als Rechtsordnung – Grundlagen und Quellen ZaöRV 36 (1976), 6 – 49 [44]; Verdross, Alfred/Simma, Bruno, Universelles Völkerrecht, 1981, S. 312. 291  Wenn auch mittlerweile in der Wiener Vertragskonvention kodizifiert. 292  Verdross, Alfred/Simma, Bruno, Universelles Völkerrecht, 1981, S. 312. 293  Simma, Bruno/Alston, Philip, The Sources of Human Rights Law: Custom, Jus Cogens, and General Principles, Australian Yearbook of International Law 12 (1988 – 1989), 82 – 108; zustimmend Hestermeyer, Holger P., Access to Medication as a Human Right, Max Planck Yearbook of United Nations Law 8 (2004), 101 – 180 [177]. Zur zwischenstaatlichen Relevanz von Menschenrechten bereits IGH, Interpretation of Peace Treaties, Advisory Opinion, ICJ Reports 1950, S. 65 ff. [70]. 294  IGH, Urteil vom 09. 04. 1949, Corfu Channel, ICJ Reports 1949, S. 4 ff. [22]. 295  IGH, Urteil vom 05. 02. 1970, Barcelona Traction, Light and Power Company, Limit­ ed, ICJ Reports 1970, S. 3 ff. [32].

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Teil 3: Arzneimittelversuche und Menschenrechte

aller Kontinente, u. a. den USA und Kanada, allen Mitgliedstaaten der EU, Russland, Australien, China, Indien, Japan, Argentinien, Brasilien, Mexiko, Ägypten, Nigeria und Südafrika, verankert.296 Im Jahr 1900 wies eine Anweisung des preußischen Kultusministers an die Vorsteher der Kliniken, Polikliniken und sonstigen Krankenanstalten darauf hin, dass „medicinische Eingriffe zu anderen als diagnostischen, Heil- und Immunisierungszwecken, auch wenn die sonstigen Voraussetzungen für die rechtliche und sittliche Zulässigkeit vorliegen, doch unter allen Umständen ausgeschlossen sind, wenn die betreffende Person nicht ihre Zustimmung zu dem Eingriffe in unzweideutiger Weise erklärt hat [und] dieser Erklärung nicht eine sachgemässe Belehrung über die aus dem Eingriffe möglicherweise hervorgehenden nachtheiligen Folgen vorausgegangen ist.“297

Auch im bis zum Ende des „Dritten Reiches“ rechtsverbindlichen Rundschreiben des Reichsministers des Inneren betreffend Richtlinien für neuartige Heilbehandlung und für die Vornahme wissenschaftlicher Versuche am Menschen von 1931 ist in Abs. 5 verankert, dass die betreffende Person oder ihre gesetzliche Vertreterin nach vorangegangener zweckensprechender Belehrung sich in unzweideutiger Weise mit der Vornahme einverstanden erklärt haben muss.298 In Deutschland wurde das Prinzip als Rechtsprinzip demnach schon früh entwickelt. In den USA wiederum wurde mit der Akzeptanz des Nürnberger Kodexes in der frühen zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als ein Kodex von „quasi rechtlicher“ Qualität, das Prinzip der informierten Einwilligung als Kernstück des Nürnberger Kodexes zumindest als ethisches Prinzip anerkannt.299 Allgemeine Anerkennung erlangte der Grundsatz der informierten Einwilligung schließlich im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts durch die allgemeine Akzeptanz der Deklaration von Helsinki des Weltärztebundes. Wie sich vielen nationalen Gesetzesbegründungen und Gesetzen selbst entnehmen lassen,300 beruhen viele auf den Prinzipien dieser 296  Office for Human Research Protection, U.S. Department of Health and Human Servies, International Compilation of Human Research Protections, 2010, abrufbar unter http:// www.hhs.gov/ohrp/international/HSPCompilation.pdf. 297 Abgedruckt bei Elkeles, Barbara, Der moralische Diskurs über das medizinische Menschenexperiment im 19. Jahrhundert, 1996, S. 209. 298  Abgedruckt bei Sass, Hans-Martin, Reichsrundschreiben 1931: Pre-Nuremberg German Regulations Concerning New Therapy and Human Experimentation, Journal of Medicine & Philosophy 8 (1983), 99 – 112. 299  Beecher, Henry K., Research and the Individual: Human Studies, 1970; Deutsch, Erwin, Die zehn Punkte des Nürnberger Ärzteprozesses über die klinische Forschung am Menschen: der sog. Nürnberger Codex, in: Broda, Christian/Wassermann, Rudolf (Hrsg.), Festschrift für Rudolf Wassermann 1985, S. 69 – 79 [72]. 300 Beispielsweise Shapira, Amos, Country Report Israel, in: Deutsch, Erwin/Duttge, Gunnar/Schreiber, Hans-Ludwig/Spickhoff, Andreas/Taupitz, Jochen (Hrsg.), Die Implementierung der GCP-Richtlinie und ihre Ausstrahlungswirkungen, 2011, S. 241 – 248. Dadurch dass die Deklaration von Helsinki als gemeinsames Vorbild diente, gleichen sich auch heute noch viele entsprechende Gesetzgebungen. So die Feststellung z. B. für Südafrika im Verhältnis zur EU: Van Wyk, Christa, Country Report South Africa, in: Deutsch, Erwin/

§ 5  Menschenrechte der Forschung an Menschen

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Deklaration. Der Grundsatz der informierten Einwilligung, ist somit nicht nur als ethisches, sondern als rechtlicher Grundsatz anerkannt und kodifiziert. Als grundlegendes Menschenrecht stellt das Verbot nicht-konsensualer medizinischer Versuche, das in der großen Mehrheit der Staaten rechtlich verankert ist, auch einen allgemeinen Rechtsgrundsatz dar. 2.  Pflichten zur Ergreifung besonderer Schutzmaßnahmen bei der Forschung an besonders schützenswerten Personen Auch wenn das Verbot nicht-konsensualer medizinischer Versuche an sich einen allgemeinen Rechtsgrundsatz darstellt, kann dies für den Umgang von besonders schützenswerten Personen nicht festgestellt werden. Wie bereits dargelegt sind in gewichtigen Staaten die Regelungen recht unterschiedlich und können nicht als einheitlich nachgewiesen werden.

H.  Ergebnis Der internationale Menschenrechtsschutz zeichnet sich dadurch aus, dass er sich gegenüber dem bioethischen Diskurs durch eine dezidierte Dogmatik auszeichnet, die sich in Auslegungs- und Abwägungsregeln widerspiegelt. Darüber hinaus begründet die Menschenwürde die universale Geltung der Menschenrechte, welche auf dieser beruhen. Da Versuchen an Menschen das Potential der Würdeverletzung inhärent ist, sind aus der Geltung der Menschenwürde Grundsätze für die Durchführung von Versuchen zu ziehen. Die Gefahr einer Instrumentalisierung von Versuchspersonen zur Erlangung wissenschaftlicher Erkenntnisse ist evident. Querschnittsfragen, wie diejenige der grundsätzlichen Positionierung in der Abwägung des einzelnen Risikos gegenüber dem Nutzen vieler, in der Ausprägung etwa ob Versuche zulässig sein sollen, die für die Einzelne sehr schädlich sind, wenn der erwartete Gewinn für die Wissenschaft sehr groß ist, können damit im Duttge, Gunnar/Schreiber, Hans-Ludwig/Spickhoff, Andreas/Taupitz, Jochen (Hrsg.), Die Implementierung der GCP-Richtlinie und ihre Ausstrahlungswirkungen, 2011, S. 219 – 240; siehe beispielsweise auch für Venezuela: Di Tillio-Gonzalez, Dannie/Fischbach, Ruth L., Harmonizing Regulations for Biomedical Research: A Critical Analysis of the US and Venezuelan Systems, Developing World Bioethics 8 (2008), 167 – 177 [173 ff.]. Für die Verwurzelung der entsprechenden Regulierungen Australiens, Belgiens, Brasiliens, Indiens, Japans, Neuseelands, Norwegens, Ugandas und des Vereinigten Königreichs in der Deklaration von Helsinki und den CIOMS Guidelines: Human, Delon/Fluss, Sev S., The World Medical Association’s Declaration of Helsinki: Historical and Contemporary Perspectives, 2001 (fünfter Entwurf), abrufbar unter http://www.wma.net/en/20activities/10ethics/10helsinki/ draft_historical_contemporary_perspectives.pdf. Eine vergleichende Analyse der Deklaration von Helsinki und EU- und US-Recht, sowie Regelungen der Schweiz, Deutschland, Frankreich, dem Vereinigten Königreich sowie Kanada: Sprumont, Dominique/Girardin, Sara/Lemmens, Trudo, The Helsinki Declaration and the Law: An International and Comparative Analysis, in: Schmidt, Ulf/Frewer, Andreas (Hrsg.), History and Theory of Human Experimentation, 2007, S. 223 – 252.

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Teil 3: Arzneimittelversuche und Menschenrechte

Grundsatz beantwortet werden. Werden die Bestimmungen der Arzneimittelforschung im Lichte der Menschenwürde als Basis aller Menschenrechte betrachtet, wird deutlich, dass damit eine äußerste Grenze formuliert wird. Zwar ist Forschung zum Wohle aller dringend notwendig, jedoch muss der Schutz vor der Verobjektivierung der einzelnen Versuchsperson absolute Grenze der Abwägung der Risiken der Einzelnen gegenüber jedem Nutzen sein. Darüber hinaus war es Ziel dieses Kapitels zu demonstrieren, dass konkretere Streitpunkte der Forschung an Menschen von spezifischen Abkommen aber vor allem auch vom allgemeinen Menschenrechtsschutz adressiert und umfasst werden. Über Art. 7 IPBPR hinaus werden viele Streitpunkte durch weitere Menschenrechte, wie das Recht auf Leben und auf körperliche Integrität, das Verbot unmenschlicher Behandlung und durch Teilhaberechte adressiert. Insbesondere das Recht auf Gesundheit wird zunehmend – zwar nicht authentisch, aber mit Autorität – durch die general comments und die Berichte des Special Rapporteurs umfassender in einer Weise interpretiert, die dieses Recht zum Zentrum eines ausführlichen Schutzes von Versuchspersonen und ihrer Autonomie in der Forschung an Menschen gestaltet. Grundsätzlich zeigt sich, dass der allgemeine Menschenrechtsschutz Fragen der Forschung an Menschen nicht immer im Detail beantwortet, aber äußere Grenzen und Mindestanforderungen aufzeigt. Dies wird etwa beim Grundsatz der informierten Einwilligung deutlich. Spezifischere Abkommen mögen Detailfragen auffüllen. Bereiche der Arzneimittelforschung an Menschen, die im Weiteren das Recht auf Leben oder das Recht auf Zugang zu essentiellen Arzneimitteln betrifft, sind von Menschenrechten zumindest in Grundsätzen normiert, auch wenn sie nicht spezifiziert sind, wie das Verbot bestimmter Studiendesigns. Zwar werden wesentliche Detailfragen (etwa die Frage ob nicht-einwilligungfähige Personen in Versuche inkludiert werden sollten, wenn ein Gruppennutzen besteht) nicht von allgemeinen Übereinkommen angesprochen, es werden jedoch äußere Grenzen und Mindeststandards formuliert. Aus den Menschenrechtsüberkommen können schließlich auch Folgerungen für die Forschung an Menschen geschlossen werden, die von den betrachteten Ethikguidelines gar nicht angesprochen werden. Dies sind beispielsweise Fragen des Unterlagenschutzes oder auch die Überlegungen zu den Einschränkungen der Freiheit des Studiendesigns durch das Konzept der essentiellen Arzneimittel. Der Menschenrechtsschutz hat insbesondere auch die Stärkung und Gleichbehandlung benachteiligter Personengruppen und den Schutz besonders schwacher Personen im Sinne. Daher ist zwar das Konzept vulnerabler Personen in der Forschung in dieser Bezeichnung zwar bioethischer Herkunft, in anderer Diktion ist es jedoch selbstverständlich auch Teil des Menschenrechtsschutzes. Übereinkommen zum Schutz von Kindern und Behinderten sowie gegen die Diskriminierung von Frauen, ethnischen Minderheiten und Geflüchteten sowie Indigenen umfassen Rechte, die selbstverständlich auch in der Arzneimittelforschung zu beachten sind. Hinsichtlich unfreier Personen sind die völkerrechtlichen Instrumente schließlich

§ 5  Menschenrechte der Forschung an Menschen

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reicher an Überlegung als die betrachteten Ethikguidelines, die diesen Konstellationen kaum Aufmerksam schenken. Aspekte der Verteilungsgerechtkeit betreffend, geht die Entwicklung dahin, Pflichten zur internationalen Kooperation ernster zu nehmen, die sich auch in der Verpflichtung Privater ausdrücken kann. Die Menschenrechtsüberkommen verpflichten zwar zunächst nur die Staaten, diese können jedoch im Rahmen von Schutz- und Realisierungspflichten wiederum verpflichtet sein, private Akteure im Sinne der Horizontalwirkung der Menschenrechte zu verpflichten. Noch zögerlich, aber in diese Richtung sah etwa der EGMR eine Staatsverpflicht, Private zur Ergreifung von Maßnahmen zu verpflichten.301 Ein Grundsatz des Menschenrechtsschutzes ist, dass die Menschenrechtsübereinkommen als living instruments dynamisch zu entwickeln sind. Über Mindeststandards hinaus ist daher eine Entwicklung in eine umfassendere Erfassung denkbar. Auch wenn auf universaler Ebene noch kein rechtsverbindliches spezifisches Übereinkommen besteht, zeigen die unverbindliche UNESCO Erklärung und die regional verbindliche Biomedizinkonvention sowie die Arbeiten des Committee on Economic, Social and Cultural Rights, dass Fragen der Forschung an Menschen originär menschenrechtliche Fragen sind. Hinzu kommt, dass bestimmte Fragen nicht nur völkervertraglich angesprochen werden, sondern dass zumindest das Verbot nicht-konsensualer Versuche sogar völkergewohnheitsrechtlichen Charakter erlangt hat und auch als allgemeiner Rechtsgrundsatz zu qualifizieren ist. Das informed-consent-Prinzip, ist damit nicht nur ein bioethischer Grundsatz, sondern ein Rechtssatz, der alle Staaten bindet. Die dynamische Entwicklung des Menschenrechtsschutzes und der Bioethikdiskurs sind selbstverständlich nicht berührungslos. Von evidenten Entwicklungen, wie den spezifischen Übereinkommen abgesehen, sind auch die Auslegungen des Rechts auf Gesundheit etwa von Ethikguidelines bzw. ethischen Auseinandersetzungen geprägt.302 Dies kann auch als „Heimholung“ der Materie verstanden werden, nachdem mit Verabschiedung von Art. 7 IPBPR die Thematik vom Menschenrechtsdiskurs zugunsten des Ethikdiskurses lange nicht beachtet wurde. Es soll auch nicht postuliert werden, dass durch Menschenrechtsübereinkommen etwas genuin anderes normiert wird. Entscheidend ist, dass durch eine menschenrechtliche Regelung Grundsätze der Forschung an Menschen auf völkerrechtlich legalen Abkommen beruhen, deren Legitimität stark zu vermuten ist. 301  Der EGMR sah in der zitierten Entscheidung eine staatliche die Pflicht, Krankenhäuser so zu regulieren – und zwar unabhängig davon ob sie privat oder öffentlich sind – dass diese verpflichtet sind, angemessene Maßnahmen für den Schutz des Lebens ihrer Patientinnen zu ergreifen. EGMR Urteil vom 17. 01. 2002, Calvelli and Ciglio v. Italy, (GK) 32967/96, Rn. 48 f.; EGMR Urteil vom 17. 01. 2008, Dodov v. Bulgaria, 59548/00, Rn. 79 f. 302  Siehe beispielsweise UN Report by Anand Grover, Special Rapporteur on the Right of Everyone to the Enjoyment of the Highest Attainable Standard of Physical and Mental Health vom 10. 08. 2009, UN Doc. A/64/272.

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Teil 3: Arzneimittelversuche und Menschenrechte

§ 6  Extraterritoriale Staatenpflichten und unternehmerische Verantwortung Die im ersten Teil genannten Fallbeispiele können als Indizien dafür gelten, wie in der kommerziellen Arzneimittelforschung multinationale pharmazeutische Unternehmen gegen einzelne Personen übergreifen können, indem schwächere Strukturen der Durchsetzung höherer Standards in Gaststaaten ausgenutzt werden.303 Über den Kontext von Arzneimittelversuchen hinaus können multinationale Unternehmen mitunter wenig bedrängt oder auch kollusiv mit oppressiven Gaststaaten zusammenarbeitend Menschenrechtsverletzungen begehen. Dies geschieht insbesondere auch in Entwicklungsländern, die wesentliche Menschenrechtsübereinkommen ratifiziert haben und an diese gebunden sind, jedoch aufgrund schwächerer Durchsetzungsmechanismen oder auch Korruption ihre Verpflichtungen nicht erfüllen.304 Aufgrund ihrer Internationalisierung vermögen sich transnationale Unternehmen durch die Verlegung ihrer Aktivitäten in Staaten mit geringer Regulierung staatlicher Kontrolle zu entziehen. Dies ist gerade ein Vorwurf der im Kontext klinischer Versuche erhoben wird. Angesichts dieser Missstände wird vermehrt unter dem Begriff der corporate social responsibility versucht, eine unmittelbare Verantwortlichkeit von Unternehmen zur Achtung von Menschenrechten dogmatisch herzuleiten. Der rechtswissenschaftliche Fokus einer

303  Über rein wirtschaftliche Macht hinaus verfügen große transnationale Unternehmen auch über wesentliche politische Macht, die sich mitunter darin manifestiert, dass Staaten um ausländische Investitionen werben oder Regierungen unmittelbar auf Unternehmensressourcen zurückgreifen. Ratner, Steven R., Corporations and Human Rights: A Theory of Legal Responsibility, Yale Law Journal 111 (2001), 443 – 545 [462]; International Commission of Jurists, Corporate Complicity and Legal Accountability – Report, 2008, aufrufbar unter http://www.business-humanrights.org/Updates/Archive/ICJPaneloncomplicity, 2008. 304  Der bereits öfter zitierte und eingangs geschilderte Trovan-Versuch, der von Pfizer in Nigeria durchgeführt worden ist, hat neben der juristischen Aufarbeitung in den USA auch in Nigeria zu jeweils einem Zivil- und Strafverfahren auf Ebene des Kano Bundestaates sowie vor dem Federal High Court geführt. Nach US-Botschaftsdepeschen, die über Wikileaks veröffentlicht worden sind, scheinen die Federal High Court Verfahren auch deswegen eingestellt worden zu sein, weil der betreffende Federal Attorney General mit der Androhung einer Veröffentlichung kompromittierenden Materials unter Druck gesetzt worden zu sein scheint. Die Verfahren vor dem Kano State Court endeten mit einer Einigung über die Zahlung in Höhe von 75 Mio. USD, wovon u. a. 35 Mio. USD an die betroffenen Familien und 30 Mio. USD an die Kano-State-Regierung ausgeschüttet werden sollen. Laut der Botschaftsdepesche scheint es zumindest fraglich, ob diese Summen tatsächlich ihrer Bestimmung zugeführt werden. Wikileaks, Reference ID 09ABUJA671, erstellt am 20. 04. 2009, veröffentlicht am 09. 12. 2010, Botschaft von Abuja; Chirwa, Danwood Mzikenge, The Doctrine of State Responsibility as a Potential Means of Holding Private Actors Accountable for Human Rights, Melbourne Journal of International Law 5 (2004), 1 – 36 [26 f.].

§ 6  Extraterritoriale Staatenpflichten und unternehmerische Verantwortung

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„zweiten Generation menschenrechtlicher Mobilisierung um das Thema ‚Menschenrechte und transnationale Unternehmen‘“305

liegt demnach auf der extraterritorialen Verantwortung der OECD-Staaten sowie der großen Schwellenländer, „ihre“ Unternehmen in Gaststaaten zur Achtung von Menschenrechten zu verpflichten.

A.  Unmittelbare Bindung von Unternehmen an Menschenrechtsübereinkommen Mit dem Versuch einer dogmatischen Herleitung einer unmittelbaren Bindung von Unternehmen an Menschenrechtsübereinkommen ist die Überlegung verbunden, der Durchsetzung von Menschenrechten dadurch Nachdruck zu verleihen, dass zunächst grundsätzlich der Druck auf Unternehmen erhöht wird und möglicherweise langfristig – wie in der Entwicklung der völkerstrafrechtlichen Verfolgung von Individuen – die Entwicklung eines Regimes gefördert wird, Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen unmittelbar zu verantworten. I.  Völkerrechtssubjektivität von Unternehmen Die Frage nach einer Verpflichtung von transnationalen Unternehmen umfasst, ob Privatunternehmen durch Völkerrecht unmittelbar verpflichtet und ob die direkten Verträge zwischen Staat und Unternehmen als völkerrechtliche Verträge angesehen werden können, wenn davon ausgegangen wird, dass ein völkerrechtlicher Vertrag nur zwischen Völkerrechtssubjekten geschlossen werden kann. Völkerrechtssubjektivität, und somit die Frage, ob transnationale Unternehmen Völkerrechtssubjekte sein können, wird uneinheitlich beurteilt, soll jedoch an dieser Stelle jenen Einheiten zugesprochen werden, denen die Völkerrechtsordnung unmittelbar Rechte und/oder Pflichten zuordnet.306 Grundsätzlich können demnach auch juristische Personen Völkerrechtssubjekte sein, wenn ihnen durch die

305  Nach von Bernstorff auch die zwei Generationen menschenrechtlicher Mobilisierung um das Thema „Menschenrechte und transnationale Unternehmen“: Bernstorff, Jochen von, Extraterritoriale menschenrechtliche Staatenpflichten und Corporate Social Responsibility AVR 49 (2011), 34 – 63. 306 Daher können Völkerrechtssubjekte alternativ Pflichtsubjekte und/oder Berechtigungssubjekte sein, da in jedem Fall das Verhalten unmittelbar von der Völkerrechtsordnung geregelt wird. Verdross, Alfred/Verosta, Stephan, Völkerrecht, 5. Aufl., 1964, S. 188 f.; Kischel, Uwe, State Contracts, 1992, S. 234 ff. [244]; Schmalenbach, Kirsten, Multinationale Unternehmen und Menschenrechte, AVR 39 (2001), 57 – 81 [63]; Epping, Volker, in: Ipsen, Knut/Menzel, Eberhard (Hrsg.), Völkerrecht, 1999, 2. Kapitel vor Rn. 1; Hailbronner, Kay, in: Vitzthum, Wolfgang/Bothe, Michael (Hrsg.), Völkerrecht, 2004, 3. Abschn., Rn. 2. Feststellend, dass Völkerrechtssubjekt sei, wer Trägerin von Rechten und Pflichten ist: Brownlie, Ian, Principles of Public International Law, 2008, S. 57; Anzilotti, Dionisio, Lehrbuch des Völkerrechts, Übersetzung der 3. italienischen Aufl., 1929, S. 89.

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Teil 3: Arzneimittelversuche und Menschenrechte

Völkerrechtsordnung unmittelbar Rechte und/oder Pflichten zugeordnet werden.307 Die Fähigkeit für Verletzungen möglicher zugewiesener Verpflichtungen auf internationaler Ebene zur Verantwortung gezogen zu werden, ebenso wie die Fähigkeit zugewiesene Rechte auf internationaler Ebene geltend zu machen, können als Indiz dafür genommen werden, dass die Verpflichtung respektive Berechtigung tatsächlich unmittelbar dem Völkerrecht entstammt und nicht bloß Reflex einer möglichen Staatenverpflichtung bzw. Staatenberechtigung ist.308 Die Bestimmung einer Völkerrechtssubjektivität an sich ist jedoch nicht an Fragen der Durchsetzbarkeit zu knüpfen.309 Die EMRK und AMRK weisen Unternehmen bestimmte Rechte zu, so insbesondere Verfahrensgarantien,310 Eigentumsgarantien,311 Meinungsfreiheit312 oder 307  Ausführlich geht Kelsen dem Problem der Rechtssubjektivität nach: Kelsen, Hans, Reine Rechtslehre, 1960, S. 172 ff. Die Rechtssubjektivität sei eine Fiktion, die dazu diene, die Vorstellung aufrechtzuerhalten, dass die Existenz des Rechtssubjekts als des Trägers des subjektiven Rechtes (des Privateigentums) gegenüber der objektiven, positiven, durch Menschen geschaffenen und somit veränderbaren Rechtsordnung abzugrenzen sei [175]. Inhalt von Rechtspflichten und subjektiven Rechten sei das menschliche Verhalten, weshalb der Mensch Rechtssubjekt, das heißt Subjekt von Rechten und Pflichten sei [178]. Deshalb bedürfe es übertragen auf Körperschaften nicht unbedingt der Fiktion der juristischen Person, da die Verleihung einer juristischen Persönlichkeit durch die Rechtsordnung die Statuierung von Rechten und Pflichten bedeute, die – doch wieder – das Verhalten von Menschen zum Inhalt haben, die Organe und Mitglieder der Körperschaft sind. Die juristische Person sei indes ein nützlicher Hilfsbegriff, der die Darstellung des Rechts vereinfache (dessen man sich aber nicht bedienen müsse) [194]. Wenn jedoch die Rechtssubjektivität in nützlicher vereinfachender Weise den Zustand beschreibt, „dass die Rechtsordnung Pflichten und Rechte statuiert, die das Verhalten von Menschen zum Inhalt haben, die Organe und Mitglieder der durch ein Statut konstituierten Körperschaft sind“, bedeutet dies, dass nach Kelsen das Vorliegen von Rechten und Pflichten – unabhängig von Durchsetzungsmöglichkeiten – dazu führt, eine Einheit als Rechtssubjekt zu erachten [194]. Nach dem Scelleschen Kompetenzbegriff ist die Frage, wem die (Völker)Rechtsordnung Kompetenz zuweist, dahingehend zu beantworten, dass dies nur Individuen nicht aber juristische Personen (oder gar Staaten) sein können. Scelle, Georges, Règles Générales du Droit de la Paix, Recueil des Cours 46 (1933), 331 – 697 [373 ff]; kritisch Kelsen, Hans/Ringhofer, Kurt, Auseinandersetzungen zur reinen Rechtslehre – kritische Bemerkungen zu Georges Scelle und Michel Virally, 1987, S. 91 ff. 308  Schmalenbach, Kirsten, Multinationale Unternehmen und Menschenrechte, AVR 39 (2001), 57 – 81 [63]; Epping, Volker, in: Ipsen, Knut/Menzel, Eberhard (Hrsg.), Völkerrecht, 1999, § 7, Rn. 5; wohl auch Hailbronner, Kay, in: Vitzthum, Wolfgang/Bothe, Michael (Hrsg.), Völkerrecht, 2004, 3. Abschn., Rn. 3. 309  Kischel, Uwe, State Contracts, 1992, S. 243 f.; bezogen auf Menschen als Völkerrechtssubjekte: Wengler, Wilhelm, Völkerrecht, 1964, S. 160. 310  Art. 8 AMRK; Art. 6 EMRK; EGMR Urteil vom 07. 07. 1989, Unión Alimentaria Sanders S.A. v. Spain, 11681/85. 311  Art. 21 AMRK; Art. 1 des 1. ZP, C.E.T.S. No. 9; KOM Entscheidung vom 09. 03. 1983, Allgemeine Gold- und Silberscheideanstalt AG v. UK, 9118/80, Decisions and Reports (DR) 32, S. 159.

§ 6  Extraterritoriale Staatenpflichten und unternehmerische Verantwortung

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auch die Garantie der Privatsphäre von Geschäftsräumen313. Nach Art. 34 EMRK sind juristische Personen darüber hinaus als nicht-staatliche Organisationen fähig, Individualbeschwerde zu erheben.314 Nach Art. 44 AMRK können juristische Personen zwar ebenso wenig wie natürliche Personen direkt Klage zum Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte erheben, jedoch Individualbeschwerden an die Kommission richten. 312

Im Weiteren enthält das Übereinkommen zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (International Centre for Settlement of Investment Disputes Convention, ICSID)315 vom 18. 03. 1965316 einen Zugang für Unternehmen zu Streitbeilegungsverfahren um Investitionsstreitigkeiten mit dem jeweiligen Gaststaat vor allem in Schiedsgerichtsverfahren zu klären. Das ICSID-Übereinkommen garantiert damit Unternehmen eine verfahrensrechtliche Position, wenn beide Parteien einem Schiedsgerichtsverfahren zugestimmt haben. Die Zustimmung des Gaststaates ist nunmehr häufig Schiedsklauseln in bilateralen und einigen multilateralen317 Investitionsschutzabkommen zu entnehmen.318 Insofern Unternehmen in diesem Umfang Rechte aus der Völkerrechtsordnung zugewiesen werden, können sie in betreffenden Fällen den Staaten gegenüber als zumindest partielle Völkerrechtssubjekte angesehen werden.319 Aus einer Qualifikation als (partielles) Völkerrechtssubjekt folgt jedoch nicht unmittelbar eine wie auch immer geartete Pflichtenstellung. Pflichten stehen Rechten nicht entsprechend gegenüber. Zur Beantwortung der Frage einer Pflichtenstellung von transnationalen Unternehmen, die unmittelbar aus dem Völkerrecht folgt, ist die bloße

312  Art. 13 AMRK; Art. 10 EMRK; EGMR Urteil vom 26. 04. 1979, Sunday Times v. UK (GK) 6538/74. 313  Art. 11 AMRK; Art. 8 EMRK; EGMR Urteil vom 16. 04. 2002, Société Colas Est et al. v. France, 37971/97. 314 Vgl. Peukert, Wolfgang, in: Frowein, Jochen Abr./Peukert, Wolfgang, Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK-Kommentar, 3. Aufl., 2009, Art. 34, Rn. 18; EGMR Urteil vom 07. 07. 1989, Unión Alimentaria Sanders S.A. v. Spain, 11681/85; EGMR Urteil vom 26. 04. 1979, Sunday Times v. UK (GK) 6538/74; EGMR Urteil vom 16. 04. 2002, Société Colas Est et al. v. France, 37971/97. 315  575 U.N.T.S. 159; 4 ILM 524 (1965); BGBl. 1969 II, S. 369. 316  Es ist am 14. 10. 1966 inkraft getreten und wurde Stand 2015 von 159 Staaten ratifiziert. 317 Art. 1122 North American Free Trade Agreement, NAFTA, 32 ILM 605 (1993); Art. 26 Abs. 3 lit. a) Energy Charter Treaty, ECT, 34 ILM 360, 399 (1995); Art. 9 Protocolo de Colonia para la Promoción y Protección Reciproca de Inversiones en el MERCOSUR. 318  Dolzer, Rudolf/Schreuer, Christoph, Principles of International Investment Law, 2008, S. 242 f. 319  Auch der IGH befand in seiner Advisory Opinion im Reparations-for-injuries-Fall, „the subjects of law in any legal system are not necessarily identical in their nature or in the extent of their rights“: Reparations for injuries suffered in the service of the United Nations, Advisory Opinion: I.C.J. Reports 1949, S. 174 [178].

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Teil 3: Arzneimittelversuche und Menschenrechte

Feststellung einer Völkerrechtssubjektivität nicht hinreichend.320 Entsprechende Pflichten lassen sich nur empirisch feststellen.321 II.  Verpflichtung von Unternehmen aus Völkervertragsrecht 1.  Pflichtenstellung von Unternehmen in völkerrechtlichen Verträgen a)  Allgemeine Menschenrechtsübereinkommen Im Gegensatz zu der Entwicklung insbesondere im Völkerstrafrecht, Individuen auch als Pflichtenträgerinnen zu erachten,322 werden Unternehmen von den beiden universellen Menschenrechtspakten der UN und der EMRK und AMRK, eher „nur beiläufig als potentielle Menschenrechtsverletzer wahrgenommen“.323 Die beiläufige Kenntnisnahme zeigt sich lediglich in einer Missbrauchsklausel: „Nothing in this Convention may be interpreted as implying for any State, group or person any right to engage in any activity or perform any act aimed at the destruction of any of the rights and freedoms set forth herein or at their limitation to a greater extent than is provided for in the Convention.“324

Diese Klausel ermöglicht es Staaten, menschenrechtsfeindlich gesonnenen Privatpersonen eine Berufung auf ihre Konventionsrechte zu verwehren. Damit sollen die entsprechenden Konventionen wehrhaft gestaltet werden, damit die niedergelegten Rechte nicht von Privaten zu eigentlich konventionsfeindlichen Zwecken 320  Schmalenbach, Kirsten, Multinationale Unternehmen und Menschenrechte, AVR 39 (2001), 57 – 81 [65]. Insofern hat das Konzept der Völkerrechtssubjektivität nur sehr beschränkte Aussagekraft Kischel, Uwe, State Contracts, 1992, S. 259, welcher Wengler zitiert, der das Konzept der Völkerrechtssubjektivität aufgrund des geringen Wertes als wissenschaftlicher Begriff in seinen Ausführungen nicht weiter verwenden will Wengler, Wilhelm, Völkerrecht, 1964, S. 164, 168. 321  Im Reparations-for-injuries-Fall wird zwar die Frage nach der Völkerrechtssubjektivität der UN aufgeworfen und positiv beantwortet. Für die Frage der Rechte und Pflichtenstellung der UN und ihrer Möglichkeit der Durchsetzung bemüht sich der IGH um die Herleitung dieser („Whereas a State posseses the totality of international rights and duties recognized by international law, the rights and duties of an entity such as the Organization must depend upon its purposes and functions as specified or implied in its consituent documents and developed in practice.“ Reparations for injuries suffered in the service of the United Nations, Advisory Opinion: I.C.J. Reports 1949, S. 174 [180]). D. h. die Feststellung einer Völkerrechtssubjektivität ist nicht maßgeblich für die Definition bestimmter Rechte und Pflichten (sondern andersherum). 322 Es gab indes einen Vorschlag Frankreichs, die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs auf juristische Personen auszudehnen, der jedoch nicht Eingang in das Rom-Statut gefunden hat. UN Doc. A/Conf.183/C.1/L.3 vom 16. 06. 1998. 323  Schmalenbach, Kirsten, Multinationale Unternehmen und Menschenrechte, AVR 39 (2001), 57 – 81 [65]. 324  Wortgleich in Art. 5 Abs. 1 IPBPR, Art. 5 Abs. 1 IPWSKR, Art. 17 EMRK, ähnlich formuliert in Art. 29 lit. a) AMRK.

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missbraucht werden.325 Aus dieser Klausel sind jedoch keine Pflichten abzuleiten, sie stellt lediglich eine besondere Schranke der gewährleisteten Rechte dar.326 Im Umweltvölkerrecht ist es indes nicht unüblich, dass völkerrechtliche Verträge eine zivilrechtliche Haftung Privater für die von ihnen verursachten Schäden anordnen.327 b)  Spezifische Übereinkommen Im spezifischen Bereich der medizinischen Forschung lässt sich ebenfalls eine Entwicklung erkennen, juristische Personen als Pflichtenträgerinnen zu erachten. Die Verantwortlichkeit von Unternehmen als Sponsoren328 wird im Völkervertragsrecht nun auch in dem 3. Zusatzprotokoll zur Biomedizinkonvention biomedizinische Forschung betreffend in einem gewissen Umfang explizit anerkannt. Art. 29 S. 1 3-ZP-BMK legt Sponsorinnen, die einem Vertragstaat zuzuordnen sind, explizit die Pflicht auf, zu gewährleisten, dass Forschungsvorhaben in Drittstaaten den Prinzipien entsprechen, die dem 3-ZP-BMK zugrunde liegen: „Sponsors or researchers within the jurisdiction of a Party to this Protocol that plan to undertake or direct a research project in a State not party to this Protocol shall ensure that, without prejudice to the provisions applicable in that State, the research project complies with the principles on which the provisions of this Protocol are based.“

Allerdings ist einschränkend zu bemerken, dass die Pflicht sich nicht auf die konkreten Pflichten des 3-ZP-BMK erstreckt, sondern nur auf dessen Prinzipien, wie das grundsätzliche Prinzip der informierten Einwilligung, den Schutz von nicht Einwilligungsfähigen, Vertraulichkeit, der Notwendigkeit einer Risiko-Nutzen-Abwägung oder der „ethischen Überprüfung“ von Forschungsvorhaben.329 Zudem ist das 3-ZP-BMK mit Stand 2015 nur von neun Staaten ratifiziert worden. Nichtsdestotrotz ist hier in einem völkerrechtlichen Vertrag die Verantwortlichkeit 325  Nowak, Manfred, U.N. Covenant on Civil and Political Rights – CCPR Commentary, 2005, Art. 5 Rn. 7 ff.; Frowein, Jochen Abr./Peukert, Wolfgang, Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK-Kommentar, 2009, Art. 17, Rn. 1 f. 326  Röben, Volker, in: Grote, Rainer/Allewedt, Ralf (Hrsg.), EMRK/GG – Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz, 2006, Kap. 5, Rn. 101; Frowein, Jochen Abr./Peukert, Wolfgang, Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK-Kommentar, 2009, Art. 17, Rn. 1. 327  Beispielsweise Internationales Übereinkommen über die zivilrechtliche Haftung für Ölverschmutzungsschäden von 1969, BGBl. 1975 II, S. 305; Vienna Convention on Civil Liability for Nuclear Damage von 1963; der 2005 angenommene, noch nicht inkraft getretene Haftungsannex zum Umweltschutzprotokoll des Antarktisvertrages, abrufbar unter http:// www.ats.aq/documents/recatt/Att249_e.pdf. 328  Sponsorinnen sind im nationalen Recht gerade als diejenigen natürlichen oder juristischen Personen definiert, die die Gesamtverantwortung für einen klinischen Versuch tragen. Vgl. etwa Art 2 lit. e) RL 2001/20/EG; 21 CFR § 312.3 (b). 329  Explanatory Report to the Additional Protocol to the Convention on Human Rights and Biomedicine concerning Biomedical Research, CoE Doc. DIR/JUR (2004) 4, Rn. 138.

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von Sponsorinnen für das Studiendesign klar anerkannt und mit einer Pflichtenstellung verbunden. Somit ist hier eine Pflicht in der klinischen Forschung festzustellen, bestimmte menschenrechtliche Standards, wie etwa das grundsätzliche Verbot nicht-konsensualer Versuche, die Unternehmen aus dem Völkervertragsrecht zugewiesen werden. Die rechtlich unverbindliche UNESCO Universal Declaration on Bioethics and Human Rights vom 19. 11. 2005, welche für die Forschung an Menschen relevante Bestimmungen enthält, wie etwa das Verbot nicht-konsensualer Eingriffe oder den Schutz von nicht-einwilligungsfähigen Personen, ist nach Art. 1 Abs. 2 S. 1 an Staaten adressiert. Nach Satz 2 jedoch möchte die Erklärung zumindest eine Leitlinie (guidance) auch für Individuen, Gruppen, Gemeinschaften, Institutionen und eben Unternehmen bieten. Der Anspruch auch normativ für Privatpersonen zu wirken, drückt sich auch in Art. 21 der Erklärung aus. Absatz 1 richtet sich an Staaten, öffentliche und private Institutionen sowie Fachleute, die mit grenzüberschreitenden Tätigkeiten befasst sind. Diese sollen danach streben sicherzustellen, dass jede Tätigkeit innerhalb des Geltungsbereichs dieser Erklärung, die ganz oder teilweise in verschiedenen Staaten durchgeführt, finanziert oder anderweitig verfolgt wird, die Grundsätze dieser Erklärung befolgt. Forschung die (von Staaten oder Privatpersonen) in unterschiedlichen Staaten durchgeführt und finanziert wird, soll in den beiden (oder mehr) Staaten einer Bewertung unterzogen werden, deren ethischer wie rechtlicher Standard im Einklang mit den in der Erklärung niedergelegten Grundsätzen stehen. Allerdings ist die Erklärung rechtlich unverbindlich und selbst wenn sie ein verbindliches völkerrechtliches Abkommen darstellte, wären Unternehmen nicht unmittelbar aus ihr verpflichtet, auch wenn zumindest ihre Rolle in der Forschung an Menschen anerkannt wird. 2.  Unmittelbare Anwendbarkeit Die Durchsetzung von Pflichten von transnationalen Unternehmen aus völkerrechtlichen Verträgen gestaltet sich effektiver, wenn Individuen wie Versuchspersonen sich auf subjektive Rechte aus diesen Verträgen gegen Unternehmen berufen können. Die Menschenrechte auf Unternehmen derart unmittelbar anzuwenden, liegt jedoch im Ermessen der einzelnen Staaten. Denn die Voraussetzung mit der sich Individuen auf subjektive Rechte gegen Unternehmen aus völkerrechtlichen Verträgen berufen können ist, dass diese in dem jeweiligen Staat gelten und self-executing sind.330 Eine vertragliche Vorschrift ist dann self-executing, wenn sie ohne weiteren Umsetzungsakt anwendbar ist und „die innerstaatlichen Ver330  Emmerich-Fritsche, Angelika, Zur Verbindlichkeit der Menschenrechte für transnationale Unternehmen, AVR (2007), 541 – 565 [554]; Weilert, Katarina, Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum? – Geltung und Reichweite völkerrechtlicher Standards, ZaöRV (2009), 883 – 917 [902]. Zur unklaren Trennung von innerstaatlicher Geltung und innerstaatlicher Anwendbarkeit: Zuleeg, Manfred, Die innerstaatliche Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge am Beispiel des GATT und der europäischen Sozialcharta, ZaöRV 35 (1975), 341 – 363.

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waltungsbehörden und Gerichte aus dem Vertrag Rechtsfolgen für den Einzelfall ableiten dürfen“.331 Des Weiteren muss ein Anwendungsvorbehalt ausgeschlossen sein und die entsprechenden Normen müssen anwendungsfähig, d. h. klar und bestimmt genug sein.332 Die Entscheidung darüber, wie der völkervertraglich eingegangen Verpflichtung entsprochen werden soll, liegt dabei bei den Staaten selbst. Im deutschen Recht bzw. in der Praxis der deutschen Gerichte ist es beispielsweise unentschieden, ob die Bestimmungen des IPWSKR unmittelbar anwendbar sind.333 Das Völkerrecht kann daher unterschiedliche Beachtung auf nationaler Ebene finden. Dem trägt beispielsweise auch der oben angesprochene Art. 29 S. 1 3-ZPBMK Rechnung, welcher Sponsorinnen, d. h. auch Unternehmen, die einem Vertragstaat zuzuordnen sind, die Pflicht auflegt zu gewährleisten, dass Forschungsvorhaben in Drittstaaten den Prinzipien entsprechen, die dem ZP zugrunde liegen. Satz 2 bestimmt, „where necessary, the Party shall take appropriate measures to that end.“ Im Falle, dass ein Vertragsstaat diese Bestimmung nicht als self-executing erachtet, ist er jedenfalls verpflichtet anderweitig für die Erfüllung der Norm zu sorgen. Art. 1 Abs. 2 BMK wiederum verlangt, dass die Vertragsparteien die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um der BMK Wirksamkeit zu verleihen. Dies kann dadurch erreicht werden, dass die Bestimmungen der BMK unmittelbar angewendet oder in nationales Recht umgesetzt werden. Eine Vielzahl von Bestimmungen der BMK, insbesondere diejenigen, die individuelle Rechte formulieren, beispielsweise die Einwilligungsrechte von (potentiellen) Versuchspersonen sind bestimmt genug, dass sie unmittelbar anwendungsfähig wären, worauf auch der explanatory report hinweist.334 3.  Unmittelbare Drittwirkung Zur Begründung unmittelbarer subjektiver Rechte von Individuen wie Versuchs­ personen gegen Unternehmen ist weitere Voraussetzung neben der unmittelbaren Anwendbarkeit, dass die Bestimmungen der betreffenden völkerrechtlichen Verträge drittwirksam sind, d. h. unmittelbar zwischen privatem Unternehmen und Versuchsperson gelten. Zu unterscheiden ist die unmittelbare Drittwirkung von der mittelbaren Drittwirkung, d. h. der Wirkung der Menschenrechte auf die Interpretation zivilrechtlicher Normen und der Pflicht des Staates, die Einzelne vor Rechts331  Zuleeg, Manfred, Völkerrechtliche Verträge, JA 15 (1983), 1 – 6 [6]; Geiger, Rudolf, Grundgesetz und Völkerrecht, 5. Aufl., 2010, S. 141. 332  Zuleeg, Manfred, Völkerrechtliche Verträge, JA 15 (1983), 1 – 6 [6]. 333  Weilert, Katarina, Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum? – Geltung und Reichweite völkerrechtlicher Standards, ZaöRV (2009), 883 – 917 [903 f.] m.w.N.; vgl. auch Geiger, Rudolf, Grundgesetz und Völkerrecht, 2010, S. 158 f. 334  Explanatory report on the convention for the protection of human rights and dignity of the human being with regard to the application of biology and medicine: Convention on Human Rights and Biomedicine, C.E.T.S. No. 164, Rn. 20.

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beeinträchtigungen durch andere Private zu schützen. Das Bestehen einer solchen horizontalen Wirkung der Menschenrechte ist bereits oben festgestellt worden.335 Eine unmittelbare Drittwirkung der Menschenrechte ist wesentlich umstrittener. Das Human Rights Committee verneint in ihrem general comment, dass der IPBPR unmittelbar drittwirksam sei: „[…] obligations are binding on States [Parties] and do not, as such, have direct horizontal effect as a matter of international law.“336

In der Literatur wird indes vereinzelt für ausgewählte Rechte, wie das der Meinungsfreiheit, eine unmittelbare Drittwirkung angenommen.337 Die einzelnen Artikel des IPWSKR – insbesondere auch das Recht auf Gesundheit aus Art. 12 – betonen alle, dass die Vertragstaaten bestimmte Rechte anerkennen bzw. gewährleisten. Es ist derzeit nicht von einer unmittelbaren Drittwirkung der IPWSKR Rechte auszugehen.338 Die unmittelbare Drittwirkung wird auch für die EMRK nach überwiegender Ansicht in der Literatur abgelehnt;339 ebenso für die AMRK.340 Auch die 335 Vgl. Nowak, Manfred, U.N. Covenant on Civil and Political Rights – CCPR Commentary, 2005, Art. 2, Rn. 20. Nowak legt dar, dass der Begriff Horizontalwirkung im Gegensatz zu dem Term (mittelbare) Drittwirkung weiter sei, indem er die Pflicht der Staaten umfasse ggf. zusätzliche Maßnahmen zu ergreifen, wie beispielsweise strafrechtliche Sanktionen, und nicht nur meine, dass Grundrechte einen gestalterischen Einfluss auf die zivilrechtlichen Beziehungen zwischen Privaten habe. Der Begriff Horizontalwirkung ist demnach nicht national grundrechtstheoretisch „vorbelastet“. Vgl. auch Bernhardt, Rudolf, Völkerrechtliche Pflichten des Einzelnen und Drittwirkung von Menschenrechten, in: Kokott, Juliane (Hrsg.), Gesellschaftsgestaltung unter dem Einfluss von Grund- und Menschenrechten, 2001, S. 91 ff. [109 ff.] auch zur unmittelbaren Drittwirkung. 336  Human Rights Committee, General Comment No. 31 vom 26. 05. 2004, UN Doc. CCPR/C/21/Rev.1/Add.13, Rn. 8. 337  Eine solche gleichermaßen für das Diskriminierungsverbot ablehnend: Bernhardt, Rudolf, Völkerrechtliche Pflichten des Einzelnen und Drittwirkung von Menschenrechten, in: Kokott, Juliane (Hrsg.), Gesellschaftsgestaltung unter dem Einfluss von Grund- und Menschenrechten, 2001, S. 91 – 116 [110 f.]. 338  Vgl. jedoch CESCR in General Comment Nr. 18 (Art. 6 Right to Work), Rn. 52: „While only States are parties to the Covenant and are thus ultimately accountable for compliance with it, all members of society – individuals, local communities, trade unions, civil society and private sector organizations – have responsibilities regarding the realization of the right to work. States parties should provide an environment facilitating the discharge of these obligations. Private enterprises – national and multinational – while not bound by the Covenant, have a particular role to play in job creation, hiring policies and non-discriminatory access to work. They should conduct their activities on the basis of legislation, ad­ministrative measures, codes of conduct and other appropriate measures promoting respect for the right to work, agreed between the government and civil society. Such measures should recognize the labour standards elaborated by the ILO and aim at increasing the awareness and responsibility of enterprises in the realization of the right to work.“ 339  Frowein, Jochen Abr./Peukert, Wolfgang, Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK-Kommentar, 2009, Art. 1, Rn. 16; Krieger, Heike, in: Grote, Rainer/Allewedt, Ralf (Hrsg.), EMRK/GG – Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz, 2006, Kap. 6, Rn. 77 ff.; Drzemczewski, Andrew, The European Human

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spezifischere BMK ist in erster Linie an die Vertragsstaaten gerichtet. Art. 1 Abs. 1 der BMK, der Gegenstand und Ziel der Konvention darlegt, beginnt mit: 340

„die Vertragsparteien schützen die Würde und die Identität aller menschlichen Lebewesen und gewährleisten jedermann […]“,

während Abs. 2 klarstellt, dass „jede Vertragspartei“ die notwendigen Maßnahmen ergreifen müsse, um der BMK Wirksamkeit zu verleihen. Wie bereits bemerkt, sind eine Vielzahl von Normen der BMK bestimmt genug, um unmittelbar anwendungsfähig zu sein. Gleichermaßen betrifft eine Vielzahl dieser Bestimmungen gerade das Verhältnis zwischen einer Patientin und einer Ärztin oder einer Versuchsperson und einer Forscherin bzw. Sponsorin. Werden diese Bestimmungen als unmittelbar anwendbar angesehen, wäre es wider ihrem Zweck, sollten sie nicht auch unmittelbar zwischen einer Versuchsperson und einer Forscherin wirksam sein. Sinn ist gerade die Regulierung zwischen zwei privaten Parteien. 4.  Zwischenfazit Eine unmittelbare Verpflichtung von Unternehmen aus völkerrechtlichen Verträgen abzuleiten, stellt sich de lege lata als fruchtloses Unterfangen dar, auch wenn in neueren Verträgen und insbesondere zur BMK wie dem 3-ZP-BMK eine unmittelbare Pflichtenstellung von Unternehmen als Sponsoren normiert ist. Allerdings ist die Reichweite dieses Zusatzprotokolls angesichts der wenigen Ratifizierungen eher gering. III.  Corporate Social Responsibility Auf UN-Ebene ist das Vorhaben einer unmittelbaren Verpflichtung von Unternehmen 2003 zur höchsten institutionellen Anerkennung341 gelangt und gleichermaßen gescheitert. Die Draft Norms on the Responsibilities of Transnational Corporations and other Business Enterprises with regard to Human Rights (im Folgenden Norms) der Expertenkommission der alten UN-Menschenrechtskommission verorteten zwar die primäre Verantwortung für den Menschenrechtsschutz bei den Staaten, sahen jedoch vor, bestimmte Menschenrechtsverpflichtungen un-

Rights Convention and relations between private parties, Netherlands International Law Review 26 (1979), 163 – 181 [176 ff.]; nach Ansicht von van Dijk und van Hoof sieht die EMRK zwar nicht zwingend eine unmittelbare Drittwirkung vor, schließt jedoch auch nicht aus, dass die Vertragsstaaten eine solche in ihren nationalen Rechtsordnungen vorsehen van Dijk, Pieter/van Hoof, Godefridus J. H., Theory and Practice of the European Convention on Human Rights, 3. Aufl., 1998, S. 25. 340  Bernhardt, Rudolf, Völkerrechtliche Pflichten des einzelnen und Drittwirkung von Menschenrechten, in: Kokott, Juliane (Hrsg.), Gesellschaftsgestaltung unter dem Einfluss von Grund- und Menschenrechten, 2001, S. 91 – 116 [114]. 341  Bernstorff, Jochen von, Extraterritoriale menschenrechtliche Staatenpflichten und Corporate Social Responsibility AVR 49 (2011), 34 – 63 [35 f.].

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mittelbar auch auf Unternehmen zu erstrecken.342 Eine Koalition von Staaten erwirkte jedoch, dass der Expertenentwurf von der übergeordneten UN-Menschenrechtskommission nicht anerkannt wurde, was das Projekt in eine „diplomatische Sackgasse“ führte.343 Als Ausweg ist daraufhin das Mandat einer Sonderbeauftragten des UN-Generalsekretärs zum Thema Wirtschaft und Menschenrechte geschaffen worden. Die Sonderbeauftragte legt ihren Schwerpunkt zum einen auf staatliche Schutzpflichten und zum anderen auf die „courts of public opinion“, deren Verdikte auch ohne rechtliche Sanktionsmöglichkeiten Unternehmen auf die Wahrung von Menschenrechten verantworten könnten.344 1.  Unverbindliche Beschlüsse internationaler Organisationen Mit dem Scheitern der UN Norms der Expertenkommission in der alten UN-Menschenrechtskommission, liegt der Fokus auf der freiwilligen Selbstverpflichtung transnationaler Unternehmen wie sie insbesondere auch Beschlüssen internationaler Organisationen entnommen werden können. a)  UN Draft Norms on the Responsibilities of Transnational Corporations and other Business Enterprises with regard to Human Rights Die UN Norms, wurden zwar nicht von der UN-Menschenrechtskommission, dennoch 2003 von der UN Sub-Commission for the Promotion and Protection of Human Rights einstimmig angenommen und stellen daher zusammen mit dem Kommentar345 zumindest eine autoritative Anleitung für unternehmerische Verantwortung dar.346 Vorangegangen war der UN Code of Conduct for Transnational Corporations, der jedoch den Nord-Süd-Konflikt nicht überbrücken konnte und gescheitert ist.347 Die Norms stellen in ihrer ersten Nummer fest, dass die primäre 342  Draft Norms on the Responsibilities of Transnational Corporations and other Business Enterprises with regard to Human Rights, 2003 UN Doc. E/CN.4/Sub.2/2003/12 vom 30. 05. 2003. 343  Bernstorff, Jochen von, Extraterritoriale menschenrechtliche Staatenpflichten und Corporate Social Responsibility AVR 49 (2011), 34 – 63 [35]. 344  Ruggie, John, Report of the Special Representative of the Secretary-General on the Issue of Human Rights and Transnational Corporations and Other Business Enterprises „Protect, Respect and Remedy: a Framework for Business and Human Rights“ vom 07. 04. 2008, UN Doc. A/HRC/8/5, Rn. 53. 345  UN Doc. E/CN.4/Sub.2/2003/38/Rev.2 vom 26. 08. 2003. 346 Zum Hintergrund und zur Entstehungsgeschichte: Hillemanns, Carolin F., UN Norms on the Responsibilities of Transnational Corporations and other Business Enterprises with regard to Human Rights, German Law Journal 4 (2003), 1065 – 1080. 347  Zum Hintergrund und zur Entstehungsgeschichte: Spröte, Wolfgang, Negotiations on a United Nations Code of Conduct on Transnational Corporations, German Yearbook of International Law 33 (1990), 331 – 348; vgl. auch Fatouros, Arghyrios A., The UN Code of

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Verantwortung, internationale Menschenrechte zu achten und zu gewährleisten, bei den Staaten liege, jedoch „within their respective spheres of activity and influence“ Unternehmen die Pflicht haben, internationale Menschenrechte ebenfalls zu achten und zu gewährleisten. Die Norms beinhalten eine Reihe von Pflichten (der Gebrauch von „shall“ verdeutlicht, dass eine Verpflichtung intendiert ist), die Rechte umfassen, die typischerweise von Unternehmen verletzt werden (können), wie Diskriminierungsverbote, Arbeiterinnen/Arbeitnehmerinnenrechte (wie das Verbot der Zwangsarbeit, aber auch die Zahlung eines angemessenen Lohns), Gewerkschaftsrechte, Sicherheits- und Gesundheitsvorkehrungen am Arbeitsplatz, Bestechungsverbote, Umweltschutzgebote, Achtung von Verbraucherrechten, Achtung des precautionary principle oder das Verbot, sich an Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Genozid oder Folter zu beteiligen oder daraus Profit zu schlagen. Mit konkretem Bezug auf klinische Versuche ist vor allem Norm Nr. 14 zu nennen, nach welcher Unternehmen ihre Aktivitäten nicht nur in Einklang mit den entsprechenden Regulierungen durchführen sollen, sondern auch in Einklang mit „human rights, public health and safety, bioethics and the precautionary principle.“

Inwiefern konkret public health und der Bioethik entsprochen werden soll, wird auch im commentary nicht erörtert. Auf Bioethik wird darüber hinaus neben Menschenrechten gesondert Bezug genommen, was als Indiz für die allgemeine Perzeption der beiden Regelungsbereiche als getrennte Sphären gelten kann. Eine andere Interpretationsmöglichkeit läge darin, dass über den menschenrechtlich „gesicherten“ Teil hinaus bioethische Guidelines diese Beachtung finden sollen. So rekurriert auch der Bericht des UN-Sonderberichterstatters John Ruggie aus dem Jahr 2008 darauf, dass der Umfang der Unternehmensverantwortung durch soziale Erwartungen definiert werde.348 Dies könnte als weiteres Indiz für die Bestimmungskapazitäten spezifische Ethikguidelines herangezogen werden. b)  Global Compact Neben den Norms besteht der Global Compact als eine öffentlich private Partnerschaft innerhalb des UN-Systems mit der Zielsetzung, Unternehmen in die Verantwortung für die Verwirklichung von Menschenrechten sowie arbeits-, sozial- und umweltpolitische Ziele mit einzubeziehen.349 Der Global Compact geht Conduct on Transnational Corporations: a Critical Discussion of the First Drafting Phase, in: Horn, Norbert (Hrsg.), Legal Problems of Codes of Conduct for Multinational Enterprises, 1980, S. 103 – 125. 348  Ruggie, John, Report of the Special Representative of the Secretary-General on the Issue of Human Rights and Transnational Corporations and Other Business Enterprises „Protect, Respect and Remedy: a Framework for Business and Human Rights“ vom 07. 04. 2008, UN Doc. A/HRC/8/5, Rn. 54. 349  Zur Vereinbarkeit mit den Norms: Nowrot, Karsten, Die UN-Norms on the Responsibility of Transnational Corporations and Other Business Enterprises with Regard to Human Rights – gelungener Beitrag zur transnationalen Rechtsverwirklichung oder das Ende des Global Compact?, 2003, S. 22 ff.

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auf eine Initiative im Jahr 1997 vom damaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan zurück und ist im Juli 2000 offiziell gestartet.350 Im Mittelpunkt stehen zehn Prinzipien, die ein Destillat internationaler Rechtsdokumente zum Menschenrechts-, Arbeits- und Umweltschutz sowie zur Bekämpfung von Korruption bilden.351 Das erste Prinzip lautet: „Businesses should support and respect the protection of internationally proclaimed human rights.“

Unternehmen sollen eine größere Verantwortung übernehmen: corporate responsibility im Inneren und corporate citizenship im Äußeren durch die Unterstützung von UN-Politiken und Aktivitäten auf lokaler Ebene.352 Der Global Compact beruht auf einer rein freiwilligen Teilnahme und zielt auf eine freiwillige Selbstbindung. Eine Teilnahme hängt damit vom Belieben des Unternehmens ab und es gibt keine Sanktionen bei Nichterfüllung, zumal auch kein monitoring vorgesehen ist. Der Global Compact versteht sich selbst auch eher als „guide dog“ denn als „watch dog“.353 Der Global Compact ist auch (noch) nicht dem soft law zuzuordnen. Allerdings ist die partnerschaftliche Beziehung, die zwischen der intergouvernmental strukturierten UN und privatwirtschaftlichen Akteuren besteht, auch schon als Beginn einer Transformation der völkerrechtlichen Beziehung gedeutet worden.354 c)  ILO Tripartite Declaration of Principles Concerning Multinational Enterprises Die Norms verweisen auf die Tripartite Declaration of Principles Concerning Multinational Enterprises der ILO von 1977, die 2000 ergänzt wurde und ebenfalls 350  Zur Entstehungsgeschichte und zum Hintergrund: Schorlemer, Sabine von, in: von Schorlemer, Sabine (Hrsg.), Praxishandbuch UNO – die Vereinten Nationen im Lichte globaler Herausforderungen, 2003, S. 507 – 552. 351 Vgl. auch http://www.unglobalcompact.org/AboutTheGC/TheTenPrinciples/index. html. 352  Die Konzeption von Unternehmen als „organs of society“ als Begründung für eine Unternehmensverantwortung zu erachten, die die Ergreifung von Maßnahmen fordern würde, die über diejenigen hinausgehen, die notwendig sind, um die Menschenrechte wirksam zu achten, wird vom UN Sonderberichterstatter John Ruggie noch als höchst problematisch erachtet, auch wenn eine solche Konzeption moralische Verpflichtungen für einzelne bedeuten mag. John Ruggie, Promotion of all Human Rights, Civil, Political, Economic, Social and Cultural Rights, including the Right to Development, Business and Human Rights: Towards Operationalizing the „Protect, Respect and Remedy“ Framework, Report of the Special Representative of the Secretary-General on the Issue of Human Rights and Transnational Corporations and Other Business Enterprises vom 22. 04. 2009, UN Doc. A/ HRC/11/13, Rn. 65. 353  So die Selbstbeschreibung unter http://www.unglobalcompact.org/AboutTheGC/faq. html. 354  Schorlemer, Sabine von, in: Schorlemer, Sabine von (Hrsg.), Praxishandbuch UNO – die Vereinten Nationen im Lichte globaler Herausforderungen, 2003, S. 507 – 552 [509].

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unverbindlich355 ist. Diese empfiehlt (der Sprachgebrauch von „should“ zeigt einen geringeren intendierten Verpflichtungscharakter an) die weitergehende Beachtung von arbeits- und sozialpolitischen Bestimmungen und enthält beispielsweise Richtlinien zu Sicherheits- und Gesundheitsvorkehrungen am Arbeitsplatz, über die Möglichkeiten von Gewerkschaften oder zu angemessenen Arbeitsentgelten. d)  OECD Guidelines for Multinational Enterprises Regional bedeutsam sind die OECD Guidelines for Multinational Enterprises von 1976 (im Folgenden „OECD Leitsätze“),356 die betont unverbindliche Empfehlungen der Regierungen an transnationale bzw. multinationale Unternehmen darstellen. Die OECD Leitsätze sind zuletzt 2011 neu gefasst worden und alle 34 Mitgliedstaaten sowie acht Nicht-Mitgliedstaaten verpflichten sich zur Einhaltung.357 Die OECD Leitsätze verfolgen ebenfalls arbeits-, sozial- und umweltpolitische sowie verbraucherschutz-, wettbewerbs-, und antikorruptionspolitische Ziele. Darüber hinaus verfolgen die OECD Leitsätze in den anderen Verhaltenskodizes nicht konkret benannte Ziele im Bereich der Wissenschaft und Technologie (und deren Transfer), Wettbewerb, Steuern und Berichterstattung. Die Neufassung von 2011 legt einen Fokus auf die Umsetzung des UN Protect, Respect and Remedy Framework und betont hierbei die Verpflichtungen von Unternehmen zu einer guten corporate governance und stellt vor allem auf due diligence Pflichten ab. In diesem Zusammenhang wurde auch geplant, die Nationalen Kontaktstellen zu stärken.358 Als Implementierungsmaßnahme richteten die Leitsätze von 2000 Nationale Kontaktstellen ein, die auch Beschwerden gegen Unternehmen entgegen nehmen. Die Nationalen Kontaktstellen können dann diesbezüglich Stellungnahmen verfassen, verfügen aber über keine Sanktionsmöglichkeiten. Die Neufassung von 2011 sieht entsprechend der Betonung der freiwilligen Selbstverpflichtung von Unternehmen keine Sanktionsmöglichkeit durch die Nationalen Kontaktstellen vor, sondern insbesondere eine Stärkung der auslegenden Funktion der Nationalen Kontaktstellen und deren Rolle als Diskussionsforum.

355  Vgl. etwa Ziff. 7: „This Declaration sets out principles in the fields of employment […] and multinational enterprises are recommended to observe on a voluntary basis; […].“. 356  Zur Entstehungsgeschichte und zum Hintergrund: Vogelaar, Theo W., The OECD Guidelines: Their Philosophy, History, Negotiation, Form, Legal Nature, Follow-up Procedures and Review, in: Horn, Norbert (Hrsg.), Legal Problems of Codes of Conduct for Multinational Enterprises, 1980, S. 127 – 139. 357 http://www.oecd.org/document/58/0,3746,en_2649_201185_1889402_1_1_1_1,00. html: demnach wollen die acht Nicht-Mitgliedstaaten Ägypten, Argentinien, Brasilien, Lettland, Litauen, Marokko, Peru und Rumänien die Guidelines beachten. 358 OECD Terms of Reference for an Update of the OECD Guidelines for Multina­ tional Enterprises vom 04. 05. 2010, S. 3 f., abrufbar unter http://www.oecd.org/dataoecd/ 61/41/45124171.pdf.

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e)  Zwischenfazit Der Fokus von Beschlüssen zur freiwilligen Selbstverpflichtung von Unternehmen liegt materiell insbesondere auf Arbeits- und Sozialstandards, Diskriminierungsverboten und Umweltschutzstandards. Aspekte medizinischer Forschung und ihre Menschenrechtsrelevanz spielen keine prominente Rolle und werden wenn explizit dann als bioethische Problemkomplexe referiert. Nichtsdestotrotz wird betont und anerkannt, dass Unternehmen auf alle Menschenrechte einwirken können. Mehr noch wird jedoch die Freiwilligkeit der Beschlüsse betont. 2.  Spezifische Ethikguidelines als funktionale Äquivalente zu rechtlich unverbindlichen Beschlüssen öffentlicher Gewalt a)  Deklaration von Helsinki des Weltärztebundes Die Deklaration von Helsinki ist primär an Ärztinnen gerichtet. Da jedoch auch andere Akteure wesentlichen Einfluss auf die Achtung der hierin enummerierten Prinzipien haben, richtet sich die Deklaration von 2013 in Ziffer 2 der Präambel auch an diese. Sie „encourages others who are involved in medical research involving human subjects to adopt these principles.“

Da viele Entscheidungen auf Seiten von Unternehmen in ihrer Kapazität als Sponsorinnen klinischer Studien liegen, sollen diese ebenfalls angesprochen werden. b)  ICH Guideline for Good Clinical Practice Die dem Zweck entsprechend sehr technische Guideline der ICH ist an Unternehmen gerichtet soweit diese Sponsorinnen sind. Sponsorinnen wiederum sind natürliche oder juristische Personen, die die Gesamtverantwortung359 für den Beginn, die Organisation und/oder die Finanzierung des klinischen Versuchs tragen.360 Entsprechend sind alle diesbezüglichen Pflichten auch an das Sponsor-Unternehmen gerichtet.361 Damit sind Unternehmen in ihrer Kapazität als Sponsorinnen unmittelbar verpflichtet, die in der GCP-Guideline formulierten Pflichten zum Schutz von Versuchspersonen umzusetzen.

359  Daher hat die Sponsorin auch im Studiendesign die ICH-Guideline-Bestimmungen zu beachten und hat bei Verstößen durch die Prüferin oder andere unverzüglich für die Beachtung zu sorgen. Bei schwerwiegenden oder andauernden Verstößen sollte die Sponsorin die betreffende Prüferin oder die Institution ausschließen. Ziff. 5.20. 360  Ziff. 1.53 der Guideline. 361  Konkret sind die spezifischen Sponsorenpflichten in einem langen Katalog unter der Ziff. 5 dargelegt.

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c)  CIOMS International Ethical Guidelines for Biomedical Research Involving Human Subjects Die CIOMS-Guidelines aus dem Jahr 2002 enthalten über das Verbot nicht-konsensualer Versuche hinausgehende Bestimmungen über Versuche an Menschen, wie etwa über die Wahl der Kontrollgruppe. Die CIOMS-Guidelines sind sowohl an Prüferinnen (also Ärztinnen) als auch Sponsorinnen, d. h. auch Unternehmen adressiert, wenn auch bestimmte Guidelines nur an Prüferinnen oder Sponsorinnen gerichtet sind. Sponsorinnen sollten etwa ihre Forschungsprotokolle einer ethischen sowie wissenschaftlichen Überprüfung unterwerfen (Guideline 3), in ordnungsgemäßer Weise informierte Einwilligungen einholen (Guideline 6) oder Frauen von der Forschung nicht ausschließen (Guideline 16). Sie sind gar „ethisch verpflichtet“ für die Forschung wesentliche Gesundheitsleistungen anzubieten, Behandlungsmöglichkeiten für Individuen, die aufgrund der Forschung geschädigt werden sowie die Teilhabe der Bevölkerung oder Gemeinschaft an den Ergebnissen der Forschung (Guideline 21). IV.  Völkergewohnheitsrechtliche Verpflichtung? Unverbindliche Beschlüsse, die als soft law zu qualifizieren sind, können als Kristallisationspunkte und Indizien in der Entwicklung von Völkergewohnheitsrecht erachtet werden.362 In ihrer funktionalen Äquivalenz gilt dies entsprechend für bestimmte Ethikguidelines. Entsprechend kann auch eine bestimmende Wirkung auf transnationale Unternehmen festgestellt werden.363 Für die Frage jedoch, ob eine unmittelbare Bindung von transnationalen Unternehmen an Menschenrechte völkergewohnheitsrechtlich anerkannt ist, kommt es allein auf die Praxis

362  Riedel, Eibe, Standards and Sources. Farewell to the Exclusivity of the Sources Triad in International Law?, European Journal of International Law 2 (1991), 58 – 84 [68]; Heusel, Wolfgang, „Weiches“ Völkerrecht, 1991, S. 279 f.; Horn, Norbert, Internationale Verhaltensrichtlinien, Rabels Zeitschrift 44 (1980), 423 – 454 [449]; Hailbronner, Kay, Überlegungen zu Verhaltenskodizes transnationaler Unternehmen, in: von Münch, Ingo/Schlochauer, Hans-Jürgen (Hrsg.), Staatsrecht, Völkerrecht, Europarecht – Festschrift für Hans-Jürgen Schlochauer zum 75. Geburtstag 1981, S. 329 – 362 [351]. 363  Vgl. bspw. die – progressive – Implementierung des Global Compact durch Novartis: Tavis, Lee A., Novartis and the U.N. Global Compact Initiative, Vanderbilt Journal of Transnational Law 36 (2003), 735 – 763; Bayers Selbstverpflichtung zur effektiven Bekämpfung von Kinderarbeit (in Indien) nach Beschwerde bei einer Nationalen Kontaktstelle: Erklärung der deutschen Nationalen Kontaktstelle für die „OECD Leitsätze für multinationale Unternehmen“ zum Beschwerdeverfahren von German Watch, Global March und der Coordination gegen Bayer-Gefahren gegen Bayer CropScience vom 30. 08. 2007. Vgl. Ruggie, John, Promotion of all Human Rights, Civil, Political, Economic, Social and Cultural Rights, including the Right to Development – Report of the Special Representative of the Secretary-General on the issue of Human Rights and Transnational Corporations and other Business Enterprises. 2009, Rn. 47.

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und die Rechtsüberzeugung der Staaten und nicht der Unternehmen selbst an.364 Die Staaten sind jedoch sehr darauf bedacht, stets die Freiwilligkeit der Projekte und Kodizes der UN Norms, des Global Compacts, der ILO Declaration sowie der OECD Leitsätze zu betonen und es sind keine Beispiele bekannt, in denen explizit eine Transformation der Richtlinien in nationales Recht erfolgt wäre.365 Nicht zuletzt hat eine Koalition von Staaten erfolgreich darauf hingewirkt, dass die UN Norms nicht von der UN-Menschenrechtskommission angenommen wurden. So ist auch die lakonische Antwort des Europäischen Rates auf die schriftliche Anfrage eines Europaparlamentsabgeordneten in Reaktion auf die Annahme einer entsprechenden Entschließung zu verstehen. Die Anfrage lautete, wann das Parlament mit einem Vorschlag für einen Verhaltenskodex für in Drittländern tätige europäische Unternehmen rechnen könne, mit dem diese verpflichtet würden, die Menschenrechte in all ihren Dimensionen einzuhalten, wozu auch Kontroll- und Sanktionsmechanismen auf der Grundlage des vorliegenden OECD-Vorschlags gehörten. Die Antwort beschränkte sich auf den Hinweis, die Verträge enthielten keine Bestimmungen für einen solchen Vorschlag.366 Sofern corporate social responsibility policies von Staaten angenommen werden, stellen diese, so scheint es, eine auf Freiwilligkeit setzende Anregung dar.367 1.  Staatenkonsens über eine extrarechtliche Verpflichtung von Unternehmen Allerdings lässt sich trotz der Betonung der Freiwilligkeit, in der Zustimmung zu diesen Guidelines ein Konsens der Staaten erkennen. Der UN-Sonderberichterstatter John Ruggie stellte in seinen Berichten fest, dass zwar eine unmittelbare Unternehmensverantwortlichkeit (noch) nicht völkergewohnheitsrechtlich zu begründen sei, jedoch eine corporate responsibility to respect bestehe, die zwar nicht rechtlich, wohl aber moralisch verpflichtend sei und abgegrenzt werden könne von anderen moralischen „Verpflichtungen“, über die kein fast universeller Konsens 364  Deshalb ist eine Beachtung durch Unternehmen – ob freiwillig oder nicht – unerheblich für die Frage nach der völkergewohnheitsrechtlichen Qualifizierung. Baade, Hans W., The Legal Effects of Codes of Conduct for Multinational Enterprises, in: Horn, Norbert (Hrsg.), Legal Problems of Codes of Conduct for Multinational Enterprises, 1980, S. 3 – 38 [11]. 365 Ausführlich Schmalenbach, Kirsten, Multinationale Unternehmen und Menschenrechte, AVR 39 (2001), 57 – 81 [68 ff.]. 366  Schriftliche Anfrage Nr. 3376/97 von Richard Howitt an den Rat. Amtsbl. Nr. C 158 vom 25. 05. 1998, S. 93. http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:91997E3376:DE:HTML. 367  Ruggie, John, Promotion of all Human Rights, Civil, Political, Economic, Social and Cultural Rights, including the Right to Development, Business and Human Rights: Towards Operationalizing the „Protect, Respect and Remedy“ Framework, Report of the Special Representative of the Secretary-General on the Issue of Human Rights and Transnational Corporations and Other Business Enterprises vom 22. 04. 2009, UN Doc. A/HRC/11/13, Rn. 21 ff.

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besteht. Er schichtet in seinen Berichten im Verbindlichkeitsgrad ab und sieht eine „Pflicht“ zur Achtung von Menschenrechten durch einen (nicht in ein rechtsverbindliches Instrument gegossenen) Konsens der Staaten, der sich in den benannten Guidelines widerspiegelt und durch soziale Erwartungen legitimiert wird. Zwar seien soziale Normen von Region zu Region unterschiedlich, doch bestehe über die Verantwortung zur Achtung von Menschenrechten eine „near-universal recognition“ durch alle bereits aufgezeigten Initiativen durch beispielsweise die OECD oder ILO.368 So wird zwar die Freiwilligkeit der Guidelines betont, jedoch zeigt sich in der Vielzahl dieser, dass dennoch ein staatlicher Konsens besteht, dass Unternehmen unmittelbar auf die Achtung von Menschenrechten verpflichtet werden sollten. Die Forschung an Menschen betreffend wird dies sogar noch deutlicher. Mit Annahme der UNESCO Erklärung zeigten sich die Staaten darin einig, dass auch Unternehmen wie andere Individuen und Gruppen ihre Forschung in Einklang mit den Grundsätzen dieser Erklärung, die Konkretisierungen von Menschenrechten enthält, durchführen sollten. So bietet sich die Erklärung nicht nur als Leitlinie für Unternehmen an, sondern fordert auch Staaten auf, u. a. Unternehmen auf die Einhaltung der Grundsätze der Erklärung auch bei grenzüberschreitenden Tätigkeiten im gesamten Geltungsbereich der Erklärung zu verpflichten. Auch die weiteren Beschlüsse, die Forschung an Menschen betreffen, stellen ganz selbstverständlich die exponierte Rolle der Unternehmen heraus und verpflichten diese unmittelbar auf ihre Prinzipien, die mitunter Konkretisierungen von Menschenrechten darstellen, wie beispielsweise die Guideline 6 der CIOMS-Guidelines, welche Unternehmen als Sponsoren auf die ordnungsgemäße Einholung der informierten Einwilligung verpflichtet. Ebenso sind die ICH-Guidelines und die Handbücher der WHO zu sehen, die Unternehmen unmittelbar auf Grundsätze verpflichten, welche Menschenrechtskonkretisierungen darstellen (wie das Prinzip der informierten Einwilligung) und deren Urheberschaft jedenfalls mittelbar auf einen Staatenwillen zurückgehen. Diese konkreten Verhaltenskodizes und Leitlinien die Forschung an Menschen betreffend sind schließlich auch (in verschiedenem Umfang) in nationales Recht umgesetzt worden. Die UNESCO Erklärung und die weiteren Ethikkodizes können somit eine wesentliche Rolle in der Fortentwicklung einer opinio iuris darstellen. Insofern der völkerrechtlichen Entwicklung auf dem Gebiet der Forschung an Menschen eine gewisse Vorreiterrolle zugeschrieben werden soll, darf auch Art. 29 des 3-ZP-BMK nicht unerwähnt bleiben. So bestand Konsens darüber, Unternehmen, die in Drittstaaten Versuche durchführen, auf ein Mindestmaß an Standards zu verpflichten. Trotz der bisher wenigen Ratifikationen ist diese Unternehmensverpflichtung auf bestimmte menschenrechtliche Mindeststandards 368  Ruggie, John, Promotion of all Human Rights, Civil, Political, Economic, Social and Cultural Rights, including the Right to Development – Report of the Special Representative of the Secretary-General on the Issue of Human Rights and Transnational Corporations and Other Business Enterprises. 2009, Rn. 46 f.

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in der Forschung an Menschen in einem verbindlichen völkerrechtlichen Vertrag festgehalten worden. 2.  Einzelstaatliche Durchsetzung von Menschenrechten Ebenfalls eine wesentliche Rolle in der Fortentwicklung des Völkergewohnheitsrechts können einzelstaatliche Durchsetzungen von Menschenrechten spielen.369 Bestes Beispiel für die Möglichkeit einer nationalen zivilrechtlichen Verfolgung von Unternehmen aufgrund von Menschenrechtsverletzungen ist das US-amerikanische Alien Tort Statute (ATS), welches eine Zuständigkeit von US-Bundesgerichten für Klagen von Ausländerinnen wegen im Ausland von Unternehmen „under the color of law“ begangener Verletzungen von bestimmten Menschenrechten mit völkergewohnheitsrechtlicher Qualität begründet. Wie bereits dargestellt, ist das ATS gerade auch für die Forschung an Menschen relevant geworden, insofern das zuständige Bundesgericht befand, dass die Missachtung des Prinzips der informierten Einwilligung eine Völkergewohnheitsrechtsverletzung darstelle, die unter das ATS falle. In dieser Art zwar einzigartig, bestehen auch in anderen common law Ländern, insbesondere Großbritannien und Australien, Vorstöße, multinationale Unternehmen auf Rechtsgrundlage des common law, zu welchem das Völkergewohnheitsrecht zählt, für Menschenrechtsverletzungen im Ausland deliktisch haftbar zu machen.370 In Kontinentaleuropa sind die Vorstöße eher zaghaft, Menschenrechtsverletzungen im Ausland deliktisch zu ahnden, was, wie vorgebracht wird, am Haftungs- und Prozessrisiko des Prozessrechts liegen mag, nach welchem – wie in Deutschland371 – die Verliererseite die Kosten des Rechtsstreits und die Kosten der gegnerischen Partei zu tragen hat oder relativ hohe Eintrittsgelder bezahlt werden müssen (zumal eine ausdrückliche Gesetzesgrundlage wie das ATS fehlt).372 Weitere Besonderheiten des US-Zivilprozessrechts liegen zum einen in der Möglichkeit Sammelklagen zu erheben, die von privaten Kanzleien als Investitionen vorfinanziert werden, und zum anderen darin, dass eine Klageerhebung sehr einfach ist und wesentliche Umstände in der „discovery“ von dem beklagten Unternehmen dargelegt werden müssen.373 Dennoch wäre eine Verfolgung von unternehmerischen Menschenrechtsverletzungen wie nach dem ATS ein Vorbild, die, wenn mehr Staaten folgten, langfristig der Herausbildung einer opinio iuris dienen Seibert-Fohr, Anja/Wolfrum, Rüdiger, Die einzelstaatliche Durchsetzung völkerrechtlicher Mindeststandards gegenüber transnationalen Unternehmen, AVR 43 (2005), 153 – 186. 370  Seibert-Fohr, Anja/Wolfrum, Rüdiger, Die einzelstaatliche Durchsetzung völkerrechtlicher Mindeststandards gegenüber transnationalen Unternehmen, AVR 43 (2005), 153 – 186. 371  Grundsatz nach § 91 ZPO. 372  Stephens, Beth, Corporate Liability: Enforcing Human Rights through Domestic Litigation, Hastings International and Comparative Law Review 24 (2001), 401 – 414 [411]. 373  Stephens, Beth, Corporate Liability: Enforcing Human Rights through Domestic Litigation, Hastings International and Comparative Law Review 24 (2001), 401 – 414, [412]. 369 

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würde. Allerdings werden in den USA die Klagemöglichkeiten unter dem ATS zunehmend eingeschränkt. Bereits in Sosa v. Alvarez-Machain entschied der Supreme Court entsprechend der „political question doctrine“, dass außenpolitische Implikationen, inbesondere Einschätzungen des US-amerikanischen Außenministeriums, zur Klageabweisung führen können, um keine gerichtliche Einflussnahme auf die amerikanische Außenpolitik zu nehmen.374 Im April 2013 entschied der Supreme Court dann in Kiobel et al. v. Royal Dutch Petroleum vor dem Hintergrund der „political question doctrine“, dass der ATS nicht die Vermutung widerlegen könne, nicht-extraterritorial zu gelten.375 Der Supreme Court hat damit den Anwendungsbereich des ATS sehr eng definiert. Der US-Gesetzgeber habe mit dem ATS nicht beabsichtigt, Völkerrechtsverletzungen im Ausland zu ahnden. Vielmehr sei der ATS dazu gedacht gewesen, ausländischen Diplomatinnen, deren Rechte in den USA verletzt würden, einen Klageweg zu eröffnen.376 Im Ergebnis ist die Entscheidung einstimmig ergangen. Die Richterinnen Breyer, Ginsburg, Sotomayor und Kagan sprachen sich in ihrem Sondervotum zwar gegen die grundsätzliche Annahme gegen eine Extraterritorialität des ATS aus. Dennoch wäre auch nach diesem Sondervotum der Anwendungsbereich des ATS eingeschränkt. Der ATS solle nur Anwendung finden, wenn das in Frage stehende Delikt im Territorium der USA stattfinde, die Beschuldigte US-Bürgerin sei oder das Verhalten der Beschuldigten negativ wichtige nationale US-amerikanische Interessen berühre. Amerikanische Interessen seien vor allem dann berührt, wenn es darum ginge, keinen sicheren Hafen für Feinde der Menschheit, wie Folterinnen,377 zu bieten. Es müsse damit eine bestimmte Verbindung zu den USA vorliegen. Diese sei durch eine Zweigniederlassung des Unternehmens in den USA und eine Listung bei der New Yorker Börse jedoch nicht gegeben. Aus dem ATS als Form der einzelstaatlichen Durchsetzung lässt sich spätestens mit der Supreme Court-Entscheidung in Kiobel keine hinreichende von einer Rechtsüberzeugung getragene Staatenpraxis ableiten.

374  United States Supreme Court, Sosa v. Alvarez-Machain et al., Urteil vom 29. 06. 2004, 542 U.S. 692, 124 S.Ct. 2739, in Fn. 21. Zur „political question doctrine“ Kottmann, Mat­ thias, Introvertierte Rechtsgemeinschaft – Zur richterlichen Kontrolle des auswärtigen Handelns der Europäischen Union, 2014, S. 52 ff. 375  United States Supreme Court, Kiobel et al. v. Royal Dutch Petroleum, Urteil vom 13. 04. 2013, 569 U.S. (2013). 376  Der Supreme Court ging damit sehr viel weiter als der US Court of Appeals, 2nd Circuit, gegen dessen Urteil der Supreme Court Certiorari zugelassen hatte. Er griff auch nicht die Argumentation des Court of Appeals auf, welches Unternehmen als passive Klagesubjekte ausgeschlossen hatte. United States Court of Appeals, Second Circuit, Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., vom 17. 09. 2010, 2010 WL 3611392 (C.A.2 (NY)). 377 Folterinnen seien die modernen Piratinnen und Sklavenhändlerinnen und damit Feinde der Menschheit.

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V.  Zwischenergebnis Transnationale Unternehmen können durch ihre in Drittstaaten durchgeführten Arzneimittelversuche wesentliche Menschenrechte von Versuchspersonen verletzen und beeinträchtigen. Soweit zwar einige, aber nur sehr spezifische, völkervertraglich begründete staatliche Pflichten nachzuweisen sind, Auslandsaktivitäten von zurechenbaren Unternehmen auf die Achtung von Menschenrechten zu verpflichten, besteht das Bedürfnis, Unternehmen selbst unmittelbar zu verpflichten. Völkervertraglich sind den UN-Menschenrechtspakten und den regionalen Menschenrechtskonventionen zwar keine unmittelbaren Unternehmenspflichten zu entnehmen. Allerdings zeigt sich hier, dass im spezifischen Bereich der medizinischen Forschung die Entwicklung besteht, juristische (sowie natürliche) Personen als Pflichtenträgerinnen zu erachten. Nicht nur zahlreiche unverbindliche Beschlüsse und Guidelines, sondern auch das 3-ZP-BMK verpflichtet explizit natürliche wie juristische Personen, bestimmte Grundsätze zu wahren bei der Durchführung von Versuchen in Drittstaaten. Neben vielen Guidelines und codes of conduct, deren Freiwilligkeit von Staaten stets betont wird, bestehen unverbindliche Ethikguidelines die Forschung an Menschen betreffend, in denen die wesentliche Rolle, die Unternehmen bei Versuchen und somit in der Beachtung von menschenrechtlichen Mindestgrundsätzen innehaben, betont wird. In ihrer bestimmenden Wirkung tragen diese zu der Herausbildung einer corporate social responsibility bei. Es zeigt sich zwar, dass sich gegenwärtig ein grundsätzliches Übereinkommen zu einer rechtlichen unmittelbaren Verpflichtung von Unternehmen nicht durchsetzen lässt und die unverbindlichen Beschlüsse auch nicht als hinreichende Indizien einer von Rechtsüberzeugung getragenen Staatenpraxis herangezogen werden können, so dass der Fokus der Bemühungen derzeit auf einer außerrechtlichen (freiwilligen) Verpflichtung von Unternehmen liegt. Jedoch ist im spezifischen Bereich der medizinischen Forschung, bei der Annahme des Primats der Menschenrechtsrelevanz die Möglichkeit zumindest angelegt, langfristig eine von Rechtswillen getragene opinio iuris herauszubilden, Unternehmen unmittelbar bei der Durchführung von Versuchen an die Menschenrechte zu binden.

B.  Extraterritoriale Staatenpflichten Neben der Konturierung einer corporate social responsibility, die auf eine außerrechtliche Verpflichtung von Unternehmen auf die Einhaltung von Menschenrechten setzt, lenkt die „zweite Generation zivilgesellschaftlicher Mobilisierung um das Thema ‚Menschenrechte und transnationale Unternehmen‘“ den Blick auf die rechtlichen Pflichten von Heimatstaaten betreffender transnationaler Unternehmen, typischerweise OECD-Staaten und größeren Schwellenländern.378 Die 378  Bernstorff, Jochen von, Extraterritoriale menschenrechtliche Staatenpflichten und Corporate Social Responsibility AVR 49 (2011), 34 – 63; Weilert, Katarina, Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum? – Geltung und Reichweite völkerrechtlicher Stan-

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Schutzpflichten von Staaten, Unternehmen auf die Achtung und ggf. auch Gewährleistung und Erfüllung von Menschenrechten zu verpflichten, wurde dargelegt. Das Territorialitätsprinzip379 zugrundelegend, kann somit zunächst jeder Staat, der die betreffenden Menschenrechtsübereinkommen ratifiziert hat, dazu verpflichtet sein, auf seinem Staatsgebiet auch private Unternehmen zur Achtung und Gewährleistung zu verpflichten. Mit Blick auf die Pflichten der OECD Heimatstaaten wurden Fragen extraterritorialer Pflichten zur Regulierung von Unternehmensverhaltensweisen in Gaststaaten aufgeworfen. Zum einen steht in Frage, ob aufgrund einer möglicherweise extraterritorialen Geltung von Menschenrechtsverträgen, ein Vertragsstaat zum Schutz von Personen, die sich zwar außerhalb seines Territoriums befinden, aber dennoch seiner Hoheitsgewalt ( jurisdiction) unterliegen, verpflichtet ist, Auslandssachverhalte zu regeln. Zum anderen ist die Frage aufgeworfen, ob die jeweiligen Übereinkommen auch eine Pflicht des Vertragsstaates begründen, das Verhalten von privaten Unternehmen im Ausland, über die ein Staat Hoheitsgewalt ( jurisdiction) ausüben kann, zu reglementieren. Damit ist erstens die Zulässigkeit einer Reglementierung extraterritorialer Aktivitäten zu erörtern, also die Frage unter welchen Voraussetzungen ein Staat private Akteure im Ausland reglementieren kann. Daran schließt sich zweitens die Frage an, ob ein Staat möglicherweise private Akteure im Ausland reglementieren muss, entweder weil der räumliche Geltungsbereich von Menschenrechtsverträgen über das Territorium hinausgeht oder weil die Verträge den Staaten eine Pflicht zur Reglementierung auferlegen. Insofern sollen hier Fragen der normativen Hoheitsgewalt, legislative jurisdiction oder compétence normative, im Vordergrund stehen und weniger Fragen der Durchsetzung oder executive jurisdiction oder compétence d’exécution.380

dards, ZaöRV (2009), 883 – 917; Chirwa, Danwood Mzikenge, The Doctrine of State Re­ sponsibility as a Potential Means of Holding Private Actors Accountable for Human Rights, Melbourne Journal of International Law 5 (2004), 1 – 36; Deva, Surya, Acting Extraterritorially to Tame Multinational Corporations for Human Rights Violations: Who should ‚Bell the Cat‘?, Melbourne Journal of International Law 5 (2004), 37 – 65. 379  Das Territorium des Staates ist dabei enger zu fassen als das Staatsgebiet, soweit nach der Kompetenztheorie das Staatsgebiet als Geltungsbereich der staatlichen Rechtsordnung erachtet wird und sich demnach das Staatsgebiet auch in das Ausland erstrecken kann, sofern dort Gebietshoheit ausgeübt wird. Kelsen, Hans, Allgemeine Staatslehre, 1925, S. 97 ff.; Meng, Werner, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, 1994, S. 73. 380  Grundsätzlich darf ein Staat seine Hoheitsgewalt zur Durchsetzung nicht auf dem Territorium eines anderen Staates ohne dessen Einwilligung ausüben. Milanovic, Marko, From Compromise to Principle: Clarifying the Concept of State Jurisdiction in Human Rights Treaties, Human Rights Law Review 8 (2008), 411 – 448 [420].

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I.  Zulässigkeit der Reglementierung extraterritorialer Aktivitäten von Unternehmen Hinsichtlich der Zulässigkeit der Reglementierung extraterritorialer Aktivitäten Privater kommt es auf die Bestimmung der Grenzen extraterritorialer Regelungsbefugnisse an. Es kommt mithin darauf an, wann eine solche Regelung eine völkerrechtswidrige Intervention darstellt.381 Anerkannt ist jedenfalls, dass ein Staat nur extraterritoriale Regelungen treffen kann, sofern ein Anknüpfungspunkt besteht,382 da anerkannt ist, dass die Staaten nur Kompetenzen zur Regelung über solche Gegenstände haben, die eine gewisse Nähe und Beziehung zu dem Herrschaftsbereich des Staates aufweisen.383 Die entscheidende Frage ist daher, welche Anknüpfungspunkte völkerrechtlich anerkannt sind. Ausgehend von den drei Wesenselementen des Staates, dem Staatsgebiet, dem Staatsvolk und der Staatsgewalt werden aus dem internationalen Strafrecht folgernd384 als Anknüpfungspunkte für eine völker381 Auf die Diskussion der rechtstheoretischen Grundfrage, ob das Völkerrecht den staatlichen Souveränitätsbereich einschränkt oder durch eine völkerrechtliche Befugnisnorm zur staatlichen Hoheitsausübung erst ermächtigt, die sich im Lotus-Fall entzündete, soll hier nicht mehr eingegangen werden. IGH Urteil vom 7. 9. 1927, The Case of the S.S. Lotus (French Republic v. Turkish Republic), PCIJ Reports 1927, Series A, No. 10, S. 28. Zu der Diskussion m.w.N.: Wildhaber, Luzius, Jurisdiktionsgrundsätze und Jurisdiktionsgrenzen im Völkerrecht, Schweizerisches Jahrbuch für internationales Recht 41 (1985), 99 – 109 [103 f.]; Puttler, Adelheid, Völkerrechtliche Grenzen von Export- und Reexportverboten – eine Darstellung am Beispiel des Rechts der Vereinigten Staaten von Amerika und der Bundesrepublik Deutschland, 1989, S. 83 ff.; Ress, Hans-Konrad, Das Handelsembargo – völker-, europa- und außenwirtschaftsrechtliche Rahmenbedingungen, Praxis und Entschädigung, 2000, S. 29. 382  Es braucht hier nicht auf die Diskussion des dogmatischen Ansatzes eingegangen zu werden, ob auf die beabsichtigten und erzielten Folgen einer extraterritorialen Maßnahme abgestellt werden soll oder auf die Form des Eingriffs. Hierzu Hofmann, Rainer, Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte, 1994, S. 165 f.; Ress, Hans-Konrad, Das Handelsembargo – völker-, europa- und außenwirtschaftsrechtliche Rahmenbedingungen, Praxis und Entschädigung, 2000, S. 30; Meng, Werner, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, 1994, S. 551 ff. 383  Eine Ausnahme stellt die Berechtigung der Staaten dar, bestimmte Verbrechen wie Völkermord und Sklavenhandel zum Schutz besonderer Rechtsgüter nach dem Weltrechts­ prinzip zu verfolgen, wobei es umstritten ist, welche Straftatbestände im Einzelnen dazuzurechnen sind. Puttler, Adelheid, Völkerrechtliche Grenzen von Export- und Reexportverboten – eine Darstellung am Beispiel des Rechts der Vereinigten Staaten von Amerika und der Bundesrepublik Deutschland, 1989, S. 99 ff.; Weilert, Katarina, Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum? – Geltung und Reichweite völkerrechtlicher Standards, ZaöRV (2009), 883 – 917 [892]. 384  Im internationalen Privatrecht, Steuerrecht oder auch Sozialversicherungsrecht beispielsweise ergeben sich neben der Staatsangehörigkeit oder dem Territorialprinzip andere spezifische Anknüpfungspunkte. Vgl. Wildhaber, Luzius, Jurisdiktionsgrundsätze und Jurisdiktionsgrenzen im Völkerrecht, Schweizerisches Jahrbuch für internationales Recht 41 (1985), 99 – 109 [105].

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rechtlich zulässige Ausübung von staatlicher Hoheitsgewalt das Territorialprinzip, das Personalitätsprinzip und das Schutzprinzip385 abgeleitet.386 1.  Direkte Reglementierung von extraterritorialen Unternehmensaktivitäten Die Frage nach der direkten Reglementierung von extraterritorialen Unternehmensaktivitäten umfasst die Regelung des Verhaltens von heimischen Unternehmen im Ausland sowie des Verhaltens ausländischer Tochtergesellschaften durch staatliche Normen. Aus der Annahme des Staates als Personenverband, der somit auf einer „persönlichen“ Grundlage basiert, folgt ein bestimmtes Treueverhältnis zwischen dem Staat und seinem Staatsvolk.387 Dies drückt sich in der Personalhoheit aus, als der staatlichen Befugnis die rechtlichen Beziehungen von Staatsangehörigen auch im Ausland zu regeln.388 Die Personalhoheit gilt grundsätzlich nicht nur über natürliche Personen,389 den Staatsangehörigen, sondern auch über juristische Personen als Staatszugehörige. Problematisch stellt sich nur die Bestimmung der Staatszugehörigkeit dar, die eine gewisse Bindung zu dem Staat vor385  Das Schutzprinzip knüpft an die Sicherheit und Selbsterhaltung des Staates an und erfasst Staatsschutzdelikte wie Delikte gegen Staatsbeamtinnen, Urkunden und Staatssiegel oder unter Umständen auch gegen die Währung. Eine Ausprägung ist bspw. § 5 Nr. 1 – 5, 10 StGB. Die Strafbarkeit ist hier unabhängig von der Nationalität der Täterin und des Handlungsortes. Vgl. Oppenheim, Lassa F./Lauterpacht, Hersch, International Law, a Treatise – Peace, 8. Aufl., 1, 1955, S. 331; Meng, Werner, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, 1994, S. 180 f. Das Schutzprinzip als Anknüpfungsmerkmal ist für den hier betrachteten Sachverhalt nicht weiter relevant. 386  Ress, Hans-Konrad, Das Handelsembargo – völker-, europa- und außenwirtschaftsrechtliche Rahmenbedingungen, Praxis und Entschädigung, 2000, S. 30; Meng, Werner, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, 1994, S. 170 ff. 387  Gloria, Christian, in: Ipsen, Knut/Menzel, Eberhard (Hrsg.), Völkerrecht, 1999, § 24, Rn. 1. 388  Statt vieler: Bleckmann, Albert, Die Personalhoheit im Völkerrecht, in: Fiedler, Wilfried/Geck, Wilhelm Karl (Hrsg.), Verfassungsrecht und Völkerrecht – Gedächtnisschrift für Wilhelm Karl Geck, 1989, S. 79 – 90 [85]; Oppenheim, Lassa F./Lauterpacht, Hersch, International Law, a Treatise – Peace, 1955, S. 330; Brownlie, Ian, Principles of Public International Law, 2008, S. 303. 389  Dies bedeutet grundsätzlich auch, dass eine direkte Regulierungsmöglichkeit von Ärztinnen, die die Staatsangehörigkeit des Heimatstaates besitzen, in dem Sinne möglich ist, dass diese bei Versuchen im Ausland bestimmte Grundsätze zu wahren haben. Neben der Staatsangehörigkeit ist auch eine Reglementierung von solchen Ärztinnen denkbar, die ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort und beruflichen Mittelpunkt im Heimatstaat haben. Jedoch werden in aller Regel zumindest zusätzlich Ärztinnen, d. h. Prüferinnen von Prüfstellen (insbesondere Krankenhäusern) vor Ort hinzugezogen. Wenn demnach Ärztinnen hinzugezogen werden, die gerade nicht dem Heimatstaat zuzurechnen sind, besteht kein zulässiger Anknüpfungspunkt zur Reglementierung. Es käme lediglich eine strafrechtliche Verfolgung nach dem Weltrechtsprinzip in Frage. Ipsen, Knut, in: Ipsen, Knut/Menzel, Eberhard (Hrsg.), Völkerrecht, 1999, § 42, Rn. 7.

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aussetzt und einen genuine link,390 einen Anknüpfungspunkt zwischen regelndem Staat und Regelungsgegenstand, voraussetzt. Völkerrechtlich allgemein anerkannt ist eine Anknüpfung nach Sitz- oder Gründungstheorie. Da aufgrund von Konzernstrukturen gerade von multinationalen (pharmazeutischen) Unternehmen eine Zurechnung von Tochterunternehmen, die die entscheidenden im Ausland tätigen Akteure sind, zum Heimatstaat der Mutter nach Sitz- und Gründungstheorie jedoch oftmals nicht gelingt, werden unter dem Stichwort piercing the corporate veil andere Durchgriffsmöglichkeiten wie etwa die Kontrolltheorie391 skizziert. a)  Gründungs- und Sitztheorie als Anknüpfungspunkt Die Staatszugehörigkeit juristischer Personen392 wird in aller Regel anhand der Gründungstheorie oder der Sitztheorie ermessen. Nach der Gründungstheorie knüpft die Staatszugehörigkeit an diejenige Rechtsordnung an, nach der das Unternehmen gegründet wurde. Nach der Sitztheorie knüpft die Staatsangehörigkeit an diejenige Rechtsordnung an, in welcher das Unternehmen seinen (tatsächlichen) Hauptverwaltungssitz hat. Die USA, wie auch die Mitgliedstaaten der EU,393 knüp390  Die Genuine Link-Theorie wurde vom IGH entwickelt. IGH Urteil vom 06. 04. 1955, Nottebohm (Second Phase), ICJ Reports 1955, S. 4 [23]; siehe auch Dörr, Oliver, Nottebohm Case, in: Wolfrum, Rüdiger (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, online edition [www.mpepil.com], 2008. 391  Die im konkreten Fall der Reglementierung von Arzneimittelversuchen in Drittländern weniger relevanten Anknüpfungspunkte (wie beispielsweise die Auswirkungstheorie, die im Recht gegen Wettbewerbsbeschränkungen oder Börsen- und Wertpapierrecht Anerkennung gefunden hat, oder die umstrittene Warenursprungstheorie) sollen hier außen vor bleiben. Siehe Meng, Werner, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, 1994, S. 478 ff.; Puttler, Adelheid, Völkerrechtliche Grenzen von Export- und Reexportverboten – eine Darstellung am Beispiel des Rechts der Vereinigten Staaten von Amerika und der Bundesrepublik Deutschland, 1989, S. 120 ff. 392  Im Folgenden soll, wenn auf Unternehmen Bezug genommen wird, von diesen als juristische Personen ausgegangen werden. Damit soll dem EuGH in den Leitentscheidungen zum Personalstatut von Unternehmen zugrunde gelegten Kriterium der Rechtsfähigkeit entsprochen werden. Ungeachtet der deutschen Unterscheidung von Personen- und Kapitalgesellschaften gilt die entsprechende Anknüpfung (Gründungstheorie) im deutschen Recht nicht nur für Kapitalgesellschaften sondern auch für rechtsfähige OHGs, KGs und GbRs. Hopt, Klaus, in: Baumbach, Adolf/Hopt, Klaus J./Merkt, Hanno (Hrsg.), Handelsgesetzbuch, 34. Aufl., 2010, Vor. § 105, Rn. 29; Wertenbruch, Johannes, in: Ebenroth, Carsten Thomas/Boujong, Karlheinz/Joost, Detlev/Strohn, Lutz (Hrsg.), Handelsgesetzbuch, 2. Aufl., 2008, § 105, Rn. 212. 393  Siehe Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit. EuGH, Slg. 1988, 5483 – Daily Mail; EuGH, Urteil vom 09. 03. 1999, Rs. C-212–97 = NJW 1999, 2027 = BB 1999, 809 – Centros; EuGH, Urteil vom 05. 11. 2002, Rs. C-208/00 = NZG 2002, 1164 – Überseering; EuGH, Urteil vom 30. 09. 2003, Rs. C-167/01 = NJW 2003, 3331 = BB 2003, 2195 – Inspire Art. Die Sitztheorie, die in vielen kontinentaleuropäischen Mitgliedstaaten wie Deutschland oder Frankreich vorherrschte war danach – jedenfalls gegenüber anderen Mitgliedstaaten –

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fen an die Gründung an.394 Es wird dabei hingenommen, dass durch ein Nebeneinander der beiden Anknüpfungsmöglichkeiten, die jeder Staat selbst bestimmen kann, unterschiedliche, zum Teil auch doppelte Zugehörigkeiten entstehen. Die Reglementierung von extraterritorialen Aktivitäten wäre demnach zulässig, wenn das betreffende Unternehmen nach Sitz- oder Gründungstheorie dem regelnden Staat zugehörig ist. Problematisch würde sich dann nur die rechtliche Verfolgung im Gaststaat gestalten, da aufgrund der Souveränität des Gaststaates und dem daraus folgenden Grundsatz der Nichteinmischung, die Vollstreckung eines Urteils des Heimatstaates im Gaststaat ein entsprechendes Vollstreckungsabkommen voraussetzt.395 b)  Piercing the Corporate Veil Allerdings stellt sich die Zurechnung schwieriger dar, wenn die betreffenden Auslandsaktivitäten von einem Tochterunternehmen durchgeführt werden, das Sitz- oder Gründungstheorie dem Gaststaat zuzurechnen ist. Dies trifft insbesondere auf große transnationale Unternehmen zu. Unabhängig davon, ob nach der Gründungs- oder Sitztheorie angeknüpft wird, wird das Tochterunternehmen in aller Regel die Staatszugehörigkeit des Gaststaates innehaben, wenn es nach dortigem Verfahren gegründet und registriert worden ist oder es dort seinen effektiven Hauptverwaltungssitz hat. Es handelt sich dann um rechtlich selbstständige Töchter.396 In diesen Fällen wäre die Tochter anders zu behandeln, obwohl sie tatsächlich gerade nicht selbstständig ist. Aufgrund der Ausgestaltung der Konzernstruktur wäre es demnach möglich, die Auslandsaktivitäten durch die Tochter einem Regelungszugriff „zu entziehen“, wodurch es nach einiger Ansicht durch gesellschaftliche „Tricks“ zu einer Bevorzugung des Staates käme, unter dessen Recht das Tochterunternehmen gegründet worden war (bzw. wo es seinen Hauptnicht mehr haltbar. BGH, Urteil vom 14. 03. 2005, II ZR 5/03 (LG Hagen) = NJW 2005, 1648 = BB 2005, 1016. Aber gegenüber der Schweiz BGH, Urteil vom 27. 10. 2008, II ZR 158/06 (OLG Hamm) = NJW 2009, 289. 394  Bzw. nach dem satzungsmäßigen Sitz. Auf in den USA gegründete Gesellschaften war nach Art. XXV Abs. 5 des Deutsch-Amerikanischen-Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrages (BGBl. 1956 II, 488) bereits in Deutschland die Gründungstheorie anwendbar. Mit der Rechtsprechung des EuGH ist die Gründungstheorie dann auch auf EU Gesellschaften und schließlich mit dem Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) nach den hinzugefügten/geänderten § 4a GmbHG und § 5 AktG auch gegenüber Drittstaaten anzuwenden. Zur Anwendbarkeit auch auf Personengesellschaften: Hopt, Klaus, in: Baumbach, Adolf/Hopt, Klaus J./Merkt, Hanno (Hrsg.), Handelsgesetzbuch, 2010, § 106, Rn. 8. 395  Weilert, Katarina, Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum? – Geltung und Reichweite völkerrechtlicher Standards, ZaöRV (2009), 883 – 917 [892]. 396  Die Tochter unterläge bereits allein aufgrund des Territorialprinzips dem Gaststaat unabhängig sonstiger Zurechnungen. An dieser Stelle sollen aber allein die Regelungsmöglichkeiten durch den Heimatstaat der Mutter betrachtet werden.

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sitz hat).397 Unter dem Stichwort piercing the corporate veil (d. h. disregarding the legal entity)398 werden Möglichkeiten (und die Notwendigkeit) diskutiert, gesellschaftsrechtliche Ausgestaltungen aufzubrechen, insofern das Mutterunternehmen die Tochter faktisch kontrolliert.399 In Friedensverträgen und Abkommen über Reparationszahlungen nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg ist vor allem zur Bestimmung des Feindeigentums die Kontrolltheorie angewendet worden.400 Die Anknüpfung nach der Kontrolltheorie besagt, dass die Staatszugehörigkeit einer juristischen Person sich nach der Nationalität der sie kontrollierenden Person oder Personengruppen richtet. Hiernach wäre ein „Durchgriff“ auf das Tochterunternehmen möglich. Zwar sind in völkerrechtlichen Abkommen die beteiligten Staaten frei, jedwede Anknüpfungspunkte zur Bestimmung der Staatszugehörigkeit festzulegen; fraglich indes ist die völkerrechtliche Zulässigkeit der einseitigen innerstaatlichen Normsetzung und einseitigen Anknüpfung der Staatszugehörigkeit an die Nationalität der das Unternehmen kontrollierenden Personen. Der IGH scheint im Barcelona-Traction-Fall401 die Kontrolltheorie verworfen zu haben. Barcelona Traction Light and Power Company, Ltd. war eine unter kanadischem Recht gegründete Aktiengesellschaft und eine in Kanada ansässige holding für in Spanien tätige Unternehmen. Die Anteile sind mehrheitlich von natürlichen wie juristischen Personen gehalten worden, die die belgische Staatsangehörigkeit bzw. Staatszugehörigkeit hatten. In der zweiten Phase des Barcelona-Traction-Falles machte Belgien diplomatischen Schutz als 397  Weilert, Katarina, Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum? – Geltung und Reichweite völkerrechtlicher Standards, ZaöRV (2009), 883 – 917 [894 f.]; Thompson, Robert B., United States Jurisdiction over Foreign Subsidiaries: Corporate and International Law Aspects, Law & Policy in International Business 15 (1983), 319 – 400 [372 ff.]; kritisch Puttler, Adelheid, Völkerrechtliche Grenzen von Export- und Re-exportverboten – eine Darstellung am Beispiel des Rechts der Vereinigten Staaten von Amerika und der Bundesrepublik Deutschland, 1989, S. 112 ff. 398  IGH Urteil vom 05. 02. 1970, Barcelona Traction, Light and Power Company (Second Phase), ICJ Rep. (1970), S. 3, Rn. 56. 399 Bereits Domke, Martin, „Piercing the Corporate Veil“ in the Law of Economic Warfare, 1955; Ginther, Konrad, Nationality of Corporations, Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht 16 (1966), 27 – 83 [46 f.]; Weilert, Katarina, Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum? – Geltung und Reichweite völkerrechtlicher Standards, ZaöRV (2009), 883 – 917 [894 f.]. 400  Ginther, Konrad, Nationality of Corporations, Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht 16 (1966), 27 – 83 [47]; Puttler, Adelheid, Völkerrechtliche Grenzen von Export- und Re-exportverboten – eine Darstellung am Beispiel des Rechts der Vereinigten Staaten von Amerika und der Bundesrepublik Deutschland, 1989, S. 109. 401  IGH Urteil vom 05. 02. 1970, Barcelona Traction, Light and Power Company (Second Phase), ICJ Reports 1970, S. 3. Der IGH bestätigte diese Rechtsprechung in 2010 insofern, dass Fragen nach dem Bestehen eines Unternehmens nach nationalem Recht – nach Gründungs- oder Sitztheorie – zu bestimmen sei. IGH Urteil vom 30. 11. 2010, Case concerning Ahmadou Sadio Diallo (Republic of Guinea v. Democratic Republic of the Congo), Rn. 104 ff.

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Heimatstaat der Mehrheitsaktionärinnen geltend und beantragte Schadensersatz.402 Der IGH verneinte jedoch ein ius standi Belgiens, da nach den beiden durch die lange Praxis und viele völkerrechtliche Instrumente anerkannten Anknüpfungspunkten des Gründungs- und Sitzortes, eine starke Bindung zu Kanada und nicht Belgien bestand.403 Allerdings erkannte der IGH an, dass ein Durchgriff, ein lifting of the veil, ausnahmsweise zulässig sein könne, um Missbrauch zu verhindern, dritte Personen zu schützen und um speziell eine „evasion of legal requirements or of obligations“ zu verhindern.404 Die Möglichkeit, die Nationalität auch nach der Kontrolltheorie zu bestimmen, wird in den Voten der Richter Fitzmaurice405 und Jessup406 jedenfalls angedeutet.407 Darüber hinaus ging es nur um den Fall der Ausübung diplomatischen Schutzes, woraus geschlossen werden könnte, dass das Urteil viel eher die Anwendbarkeit der Kontrolltheorie an sich offen lässt.408 Jedoch ist auch im Schrifttum nicht von einer allgemeinen Anerkennung der Kontrolltheorie zur Bestimmung der Staatszugehörigkeit eines Unternehmens auszugehen.409 Eine mangelnde Anerkennung lässt sich auch aus den europäischen Reaktionen auf eine Änderung des amerikanischen Exportkontrollrechts im sog. Pipeline Fall ableiten.410 Nach diesem sollten u. a. alle Personengesellschaften, Vereinigungen ohne Rechtspersönlichkeit, Kapitalgesellschaften und andere Organisationen, die im Eigentum oder unter der 402  Belgien machte geltend, dass Barcelona Traction durch diskriminierende Maßnahmen spanischer Behörden ihrer Substanz beraubt worden sei. 403  IGH Urteil vom 05. 02. 1970, Barcelona Traction, Light and Power Company (Second Phase), ICJ Reports 1970, S. 3, Rn. 70 f. 404  IGH Urteil vom 05. 02. 1970, Barcelona Traction, Light and Power Company (Second Phase), ICJ Reports 1970, S. 3, Rn. 56. 405  Separate Opinion of Judge Sir Gerald Fitzmaurice, ICJ Reports 1970, S. 65, Rn. 33. 406  Separate Opinion of Judge Jessup, ICJ Reports 1970, S. 162, Rn. 68. 407  Nach Richter Ammoun hat die Kontrolltheorie jedoch keine allgemeine Anerkennung im Völkerrecht gefunden, sondern diente nur nach den beiden Weltkriegen zur Feststellung von Feindeigentum. Opinion Individuelle de Fouad Ammoun, ICJ Reports 1970, S. 287, Rn. 13. 408 So Puttler, Adelheid, Völkerrechtliche Grenzen von Export- und Reexportverboten – eine Darstellung am Beispiel des Rechts der Vereinigten Staaten von Amerika und der Bundesrepublik Deutschland, 1989, S. 110. 409 Mann stellt fest, dass die Kontrolltheorie keine völkerrechtlich relevante allgemeine Anerkennung gefunden habe: Mann, Fritz A., The Doctrine of International Jurisdiction Revisited after Twenty Years, Recueil des Cours 186 (1984), 9 – 116 [60]; vgl. auch Puttler, Adelheid, Völkerrechtliche Grenzen von Export- und Reexportverboten – eine Darstellung am Beispiel des Rechts der Vereinigten Staaten von Amerika und der Bundesrepublik Deutschland, 1989, 108 ff.; Ress, Hans-Konrad, Das Handelsembargo – völker-, europa- und außenwirtschaftsrechtliche Rahmenbedingungen, Praxis und Entschädigung, 2000, S. 32. 410  Vgl. hierzu Puttler, Adelheid, Völkerrechtliche Grenzen von Export- und Reexportverboten – eine Darstellung am Beispiel des Rechts der Vereinigten Staaten von Amerika und der Bundesrepublik Deutschland, 1989, S. 21 ff.

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Kontrolle von den USA zuzurechnenden (natürlichen wie juristischen) Personen stehen der US-Jurisdiktion unterfallen.411 Die EWG reagierte mit großer Kritik in einer Protestnote auf diese Regelung, insbesondere ist die weite extraterritoriale Wirkung der US-Nomen als völkerrechtlich unzulässig zurückgewiesen worden.412 Eine Anknüpfung nach der Kontrolltheorie, um klinische Versuche im Ausland zu regulieren, die von beherrschten Unternehmenstöchtern, die nach ausländischem Recht inkorporiert wurden und im Ausland ihren Sitz haben, scheint zumindest völkerrechtlich sehr problematisch. Ein anderer Aspekt ist derjenige, dass oftmals contract research organisations vertraglich mit der Durchführung von klinischen Studien beauftragt werden. Sind diese nicht dem Heimatstaat der Sponsorin zuzuordnen, bestünde noch nicht einmal eine Anknüpfungsmöglichkeit nach der Kontrolltheorie. 2.  Indirekte Reglementierung von extraterritorialen Unternehmensaktivitäten Wenn sich auch mangels einer zulässigen Anknüpfung ein (Tochter-)Unternehmen nicht direkt reglementieren lässt, ist eine indirekte Reglementierung denkbar, indem auf das im Heimatstaat gelegene Mutterunternehmen Einfluss genommen wird, durch Normsetzung413 oder durch faktische Druckausübung auf die Unternehmensleitung414. Nach dem Personalitätsprinzip der Mutter und dem Territorialprinzip bestehen hierfür zunächst zulässige Anknüpfungspunkte. Allerdings haben Anweisungen an das Mutterunternehmen mit dem Ziel der Einflussnahme auf die Tochtergesellschaft praktisch die gleiche Wirkung wie eine direkte Maßnahme gegenüber der Tochter. Aus diesem Grund wird vertreten, dass eine indirekte mit einer direkten Maßnahme in diesem Fall gleich zu behandeln sein müsste.415 Denn aufgrund der faktischen Regulierung fühle sich der Gaststaat in gleicher Weise in seiner Souveränität beeinträchtigt.416 Indes besteht weiterhin kein direkter Zusammenhang zwischen der Maßnahme gegen die Mutter und dem Tochterunternehmen. Darüber hinaus ist das Territorialprinzip nicht einfach beiseitezuschieben. Ein Staat kann grundsätzlich die auf seinem Territorium gelegenen und agierenden Gesellschaften 411  Export Administration Regulations, 15 CFR § 385.2 (c) (2) vom 22. 06. 1982 abgedruckt in International Legal Materials 21 (1982), S. 853 ff. [866]. 412  International Legal Materials 21 (1982), S. 891 ff. 413  Ein – weniger umstrittenes – Beispiel sind Berichtspflichten. 414  Ein Beispiel hierfür ist der Fruehauf-Fall der 1960er. Siehe Craig, William Laurence, Application of the Trading with the Enemy Act to Foreign Corporations owned by Americans: Reflections on Fruehauf v. Massardy, Harvard Law Review 83 (1969 – 1970), 579 – 601. 415  Puttler, Adelheid, Völkerrechtliche Grenzen von Export- und Reexportverboten – eine Darstellung am Beispiel des Rechts der Vereinigten Staaten von Amerika und der Bundesrepublik Deutschland, 1989, S. 119 f. 416  Puttler verweist beispielhaft auf die Reaktion Frankreichs im Fruehauf Fall. Ibid. Vgl. auch Mann, Fritz A., The Doctrine of International Jurisdiction Revisited after Twenty Years, Recueil des Cours 186 (1984), 9 – 116.

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regulieren, auch wenn dies extraterritoriale Auswirkungen auf die Tochtergesellschaft hat.417 Nach Mann kann in diesem Fall auch die Kontrolltheorie Anwendung finden, wenn dies nach nationalem Recht vorgesehen ist, sie habe nur für die direkte Regulierung keine völker(gewohnheits)rechtliche Anerkennung gefunden.418 3.  Verwaltungsrechtliche Reglementierung extraterritorialer Aktivitäten Eine Form der indirekten Reglementierung extraterritorialer Arzneimittelversuche besteht in der Formulierung von Voraussetzungen an diese Versuche, wenn die so gewonnenen Forschungsergebnisse zur Unterstützung eines obligatorischen Zulassungsantrags genutzt werden sollen. Die Formulierung von Zulassungsvoraussetzungen zum Markt des Heimatstaates hat dann Auswirkungen auf den Gaststaat, wo die Versuche durchgeführt werden. Nach Art. 6 Abs. 1 S. 2 VO (EG) 726/2004 müssen Unterlagen, die einem Antrag auf zentrale Genehmigung durch die EMA beigefügt werden müssen, eine Bestätigung darüber enthalten, dass die klinischen Versuche, die außerhalb der Europäischen Union durchgeführt wurden, den ethischen Anforderungen der Richtlinie 2001/20/EG über die gute klinische Praxis entsprechen. Ebenso ist nach dem Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel, der konsolidierten RL 2001/83/EG gem. Art. 8 Abs. 3 lit. ib) auch dezentralen Genehmigungsanträgen in einem EU Mitgliedsstaat eine Erklärung dahingehend beizufügen, dass die klinischen Versuche, die außerhalb der Europäischen Union durchgeführt wurden, den ethischen Anforderungen der RL 2001/20/EG entsprechen. Nach 21 CFR § 312.120 müssen auch zur Unterstützung einer US-Zulassung im Ausland durchgeführte klinische Versuche bestimmten ethischen Anforderungen der good clinical practice entsprechen. Aber auch wenn die Regelungen extraterritoriale Wirkungen haben, ist der entscheidende Anknüpfungstatbestand rein territorial, nämlich die Entscheidung über eine Zulassung (Genehmigung) eines Arzneimittels im Heimatstaat. In erster Linie wird somit die Lebensordnung im Inland geschützt.419 Denn mit Anforderungen, die an im Ausland durchgeführte klinische Versuche gestellt werden, soll die heimische Bevölkerung vor möglicherweise unsicheren und unwirksamen Arzneimitteln geschützt werden. Darüber hinaus wird mit der Formulierung bestimmter ethischer Standards aber auch ein Schutz der Versuchsteilnehmerinnen im Ausland verfolgt. Die betrachteten verwaltungsrechtlichen Regelungen mit extraterritorialer Wirkung gehen indes noch weiter, als dass nach Art. 15 Abs. 4 vorbehaltlich der ggf. zwischen der EU und Drittländern getroffenen Vereinbarungen, die Kommission 417  So wohl auch Weilert, Katarina, Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum? – Geltung und Reichweite völkerrechtlicher Standards, ZaöRV (2009), 883 – 917 [893]. 418  Mann, Fritz A., The Doctrine of International Jurisdiction Revisited after Twenty Years, Recueil des Cours 186 (1984), 9 – 116. 419  Meng, Werner, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, 1994, S. 187 ff. [204].

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oder ein Mitgliedstaat den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten vorschlagen kann, dass in einem Drittland in der Prüfstelle und/oder in den Einrichtungen der Sponsorin (und/oder bei der Herstellerin) eine Inspektion zur Überprüfung der Übereinstimmung mit den Bestimmungen zur guten klinischen Praxis (und zur guten Herstellungspraxis) durchgeführt wird. Deutschland hat diese Bestimmung in § 15 Abs. 3 GCP-Verordnung umgesetzt. Nach Satz 2 kann diese Inspektion in einem Drittland in eigener Zuständigkeit durchgeführt werden, wenn bei der zuständigen deutschen Behörde ein Antrag auf Zulassung gestellt worden ist. Auch die FDA kann eine Inspektion von Prüfstellen im Ausland durchführen. Diese Form der Durchsetzung der gestellten Anforderungen unterliegt zwar den Bedingungen des Gaststaates über die physische Einreise der Inspektorinnen; die entscheidende Anknüpfung bleibt indes territorial, da das Ergebnis der Inspektion nur über die Arzneimittelzulassung im Heimatstaat entscheidet. Es besteht demnach von dem Aspekt der physischen Einreise der Inspektorinnen und dem so zu beachtenden Territorialprinzip des Gaststaates nur eine einseitige verwaltungsrechtliche Norm, zwar mit faktischer extraterritorialer Wirkung, aber ohne kollisionsrechtlichen Inhalt.420 Eine solche Reglementierung ist grundsätzlich zulässig. 4.  Schranken der Zulässigkeit der Reglementierung extraterritorialer Aktivitäten Auch wenn – unter bestimmten Umständen – die Reglementierung extraterritorialer Aktivitäten von Unternehmen völkerrechtlich grundsätzlich zulässig ist, greift sie in die Hoheitsgewalt eines anderen Staates ein bzw. kollidiert mit dieser. Das heißt, die Befugnis zur Reglementierung kann ihre Grenze in der domaine réservé des Gaststaates finden, auch wenn diese nach modernem Verständnis bereits weitgehend reduziert worden ist. Stattdessen sind darüber hinaus jedoch, gerade was die verwaltungsrechtliche indirekte Reglementierung anbelangt, Vorbehalte unter welthandelsrechtlichen Aspekten hinzugetreten. a)  Die Domaine Réservé Wenn eine ausreichend enge Beziehung zwischen dem Heimatstaat und geregeltem Sachverhalt vorliegt und eine extraterritoriale Regelung bzw. eine Regelung mit extraterritorialer Wirkung grundsätzlich zulässig ist, stellt sich dennoch das Problem eines Jurisdiktionskonfliktes. Denn während dem Heimatstaat aufgrund des Personalitätsprinzips Regelungskompetenz zukommt, wohnt diese dem Gaststaat aufgrund des Territorialprinzips inne. Der Sachverhalt unterliegt dann mindestens zwei Hoheitsgewalten.421 Die Frage ist demnach, wie dieser Konflikt 420 Ibid. 421  Aufgrund der nebeneinander möglichen, unterschiedlichen Anknüpfungspunkte bei der Bestimmung der Nationalität von juristischen Personen (nach Gründungs- oder Sitz-

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aufzulösen ist, insbesondere, wenn eine Pflichtenkollision entsteht, weil der Heimatstaat etwas verbietet, was der Gaststaat erlaubt, oder weil der Heimatstaat etwas gebietet, was der Gaststaat nicht gestattet. Die Grenze eines Eingriffs in die Jurisdiktionshoheit des Gaststaates wird grundsätzlich durch die domaine réservé bestimmt. Diese folgt aus dem Souveränitätsprinzip und ist per definitionem der staatliche Regelungsbereich, der frei von sonstigen internationalen Verpflichtungen und Regulierungen ist.422 Nach traditionellem Verständnis ist diese sehr weit zu fassen423 und jeder Konflikt zwischen Personalitätsprinzip und Territorialprinzip wäre im Grunde immer zugunsten des Territorialprinzips aufzulösen, so dass ein Heimatstaat grundsätzlich nicht gebieten kann, was im Gaststaat verboten ist und nicht untersagen kann, was geboten ist.424 Jedoch ist die domaine réservé nach modernem Verständnis relativ weit reduziert worden, vor allem durch die Entwicklung des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte. Die Behandlung eigener Staatsangehöriger und der Personen auf eigenem Territorium unterliegt gerade nicht mehr der eigenen freien Behandlung, sondern ist durch internationale Menschenrechte beschränkt.425 Das heißt für die Betrachtung hier, dass eine Reglementierung von Arzneimittelversuchen im Ausland in der Art, dass von den dem Heimatstaat zuzurechnenden natürlichen wie juristischen Personen die Einhaltung von den oben dargelegten menschenrechtlich verbindlichen Prinzipien der medizinischen Forschung auch im Ausland gefordert wird, zulässig sein muss, insofern der Gaststaat der menschenrechtlichen Verpflichtung unterliegt. Eine extraterritoriale Maßnahme zur Durchsetzung von Menschenrechten, zu denen der Gaststaat ebenfalls verpflichtet ist, kann keine unzulässige Intervention darstellen. Bei den völkergewohnheitsrechtlichen Prinzipien wie dem Verbot nicht-konsensualer Versuche gilt dies – mit der Ausnahme von theoretischen persistent objectors – für alle Staaten. Soll eine weitergehende

theorie) kann derselbe Sachverhalt durchaus auch der Jurisdiktionsgewalt weiterer Staaten unterfallen. Auch können natürliche Personen Doppelstaatsbürgerinnen sein. 422  Ziegler, Katja S., Domaine Réservé, in: Wolfrum, Rüdiger (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, online edition [www.mepil.com], 2008, Rn. 1; Weilert, Katarina, Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum? – Geltung und Reichweite völkerrechtlicher Standards, ZaöRV (2009), 883 – 917 [893]. 423  Ziegler, Katja S., Domaine Réservé, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, 2008, Rn. 2. 424  Oppenheim, Lassa F./Lauterpacht, Hersch, International Law, a Treatise – Peace, 1955, § 128; Jennings, R. Y., Extraterritorial Jurisdiction and the United States Antitrust Laws, British Yearbook of International Law 33 (1957), 146 – 175. 425  Hailbronner, Kay, in: Vitzthum, Wolfgang/Bothe, Michael (Hrsg.), Völkerrecht, 2004, 3. Abschn., Rn. 218; Ziegler, Katja S., Domaine Réservé, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, 2008, Rn. 5 ff.; Weilert, Katarina, Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum? – Geltung und Reichweite völkerrechtlicher Standards, ZaöRV (2009), 883 – 917, [893 f.]; Schmalenbach, Kirsten, Multinationale Unternehmen und Menschenrechte, AVR 39 (2001), 57 – 81 [59].

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extraterritoriale Verpflichtung – beispielsweise zu weitergehende ethische Grundsätze – erfolgen, wird der Jurisdiktionskonflikt aufgelöst werden müssen. b)  Internationale handelsrechtliche Protektionsverbote nach dem GATS Durch eine verwaltungsrechtliche Reglementierung, nach welcher im Ausland durchgeführte Versuche bestimmten (auch ethischen) Anforderungen genügen müssen, um eine Arzneimittelzulassung im Inland unterstützen zu können, kann eine innerstaatliche Regelung getroffen werden, die sich sachlich wie eine Marktzugangsregelung auswirken kann, die im Falle einer Mitgliedschaft in der World Trade Organization (WTO)426 nach dem General Agreement on Trade in Services (GATS) unzulässig sein könnte.427 Insofern die hier betrachteten klinischen Studien als Arzneimittelforschung als Dienstleistung in den Anwendungsbereich des GATS fallen428 und die Forschungsergebnisse von dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates erbracht werden, ohne dass eine Person die territorialen Grenzen überschreitet (cross-border supply),429 kann das Erfordernis bestimmte Anforderungen zu erfüllen als eine Maß426  Die WTO hatte 2012 155 Mitglieder, darunter die EU als eigenständiges Mitglied sowie alle EU-Mitgliedstaaten und die USA. Eine WTO-Mitgliedschaft geht nach Art. II Nr. 2 Übereinkommen zur Errichtung der WTO mit der Übernahme des gesamten WTO acquis einher, weshalb jedes WTO Mitglied auch Vertragsstaat des GATS ist. 427  Bei dem hier betrachteten Vorgang sind es letztlich nur die Forschung bzw. die Forschungsergebnisse, welche gehandelt werden, und nicht etwa das Arzneimittel selbst (auch wenn Prüfpräparate in den Gaststaat geliefert werden), weshalb an dieser Stelle kein Handel mit Waren stattfindet, der dem GATT unterfallen könnte. 428  Nach Art. I GATS findet das Übereinkommen Anwendung auf alle Dienstleistungen (bzw. auf den Handel mit Dienstleistung definiert als Erbringung von Dienstleistungen). Der Begriff der Dienstleistung ist nicht legal definiert und terminologisch offen. Er kann aber so verstanden werden, dass er den Austausch einer wirtschaftlichen Tätigkeit gegen Entgelt beinhaltet. Weiß, Wolfgang/Herrmann, Christoph, Welthandelsrecht, 2003, § 18, Rn. 838. Praktisch orientieren sich die WTO-Mitglieder indes an einer Liste von Sektoren, die auch als Grundlage über spezifische Verpflichtungen dient und einen Auszug aus der Central Product Classification (CPC) darstellt, die im Rahmen der UN entwickelt worden ist. Demnach werden Research and Development Services (CPC 851 – 853) als Dienstleistungen praktisch als Unterpunkt C unter I. Business Services behandelt. WTO Doc. MTN. GNS/W/120 vom 10. 07. 1991. 429  Die vom GATS erfassten vier Erbringungsformen sind in Art. I Nr. 2 abschließend aufgezählt. Der entscheidende Schritt im hier betrachteten Fall ist aus der Perspektive des Heimatstaates, in dem eine Arzneimittelzulassung verfolgt wird, dass die Forschungsergebnisse vom Ausland in den Heimatstaat erbracht werden, um dort für die Zulassung genutzt zu werden. Das heißt, auch wenn die Forschung nicht an einem anderen Unternehmen im Ausland in Auftrag gegeben worden ist, sondern vorher im Gaststaat Tochterunternehmen gegründet worden waren oder Ärztinnen des Heimatstaates im Gaststaat präsent waren, ist die hier betrachtete Dienstleistung diejenige, dass die Forschungsdaten (zurück) in den Heimatstaat an das (Mutter-)Unternehmen übermittelt werden, das die Zulassung beantragt

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nahme mit gleicher Wirkung wie eine Marktbeschränkung wirken und bei Übernahme sektorspezifischer Liberalisierungspflichten unzulässig sein. Im Gegensatz zum GATT ist das GATS lediglich ein Rahmenabkommen. Spezifische Verpflichtungen zur Gewährung von Marktzugängen etc. kommen erst durch weitere Vereinbarungen zwischen den Mitgliedern bzw. einseitigen Erklärungen zustande. Das heißt, jeder Mitgliedstaat entscheidet selbst über den Umfang seiner Marktzugangsliberalisierung. Enthalten sind diese Erklärungen in den Listen spezifischer Verpflichtungen (schedules of specific commitments). In diesen sind für spezifische Sektoren Liberalisierungen oder Beschränkungen zum Marktzugang, zur Inländerbehandlung und zusätzlichen Verpflichtungen enthalten. Die spezifische Pflicht, Marktzugang zu gewähren, entsteht erst durch eine Erklärung, diese für einen bestimmten Dienstleistungssektor positiv anzunehmen. Nach dem sog. Positiv-Listen-Prinzip sind Inhalt und Umfang im Einzelfall demnach nur soweit garantiert, wie der Marktzugang ausdrücklich in der Liste eines Mitgliedstaates eingeräumt wird.430 In ihrer Liste spezifischer Verpflichtungen431 vom 09. 10. 2006 hat die EG für ihre damals 25 Mitgliedstaaten folgendes für die Erbringung von Dienstleistungen im Sektor Research and Development Services (R&D Services) als Cross-Border-Supply432 festgehalten: Für R&D Services on Natural Sciences (CPC 851) erstellen Österreich, Estland, Ungarn, Lettland und Slowenien keine („none“) Marktzugangsbeschränkungen, alle anderen Mitgliedstaaten gehen keine Verpflichtungen ein („unbound“);433 ebenso bezüglich Beschränkungen der Inländerbehandlung. Für Interdisciplinary R&D Services (CPC 851) stellen Österreich, Estland, Ungarn und Slowenien keine Beschränkungen für Marktzugang und Inländerbehandlung auf, alle anderen Mitgliedstaaten gehen keine Verpflichtung ein. hatte. Diese Daten können auch in einem Gegenstand (etwa in gedruckter Form) verkörpert erbracht werden. 430  Weiss, Friedl, The General Agreement on Trade in Services 1994, Common Market Law Review 32 (1995), 1177 – 1225 [1207]; Weiß, Wolfgang/Herrmann, Christoph, Welthandelsrecht, 2003, § 18, Rn. 861 ff.; Jarreau, J. Steven, Interpreting the General Agreement on Trade in Services and the WTO Instruments Relevant to the International Trade of Financial Services – the Lawyer’s Perspective, North Carolina Journal of International Law and Commercial Regulation 25 (1999), 1 – 74 [42 ff.]. 431  Communication from the European Communities and its Member States – Certification – Draft consolidated GATS Schedule, WTO Doc. S/C/W/273 vom 09. 10. 2006. 432 Je Erbringungsform der Dienstleistung können unterschiedliche Verpflichtungen eingegangen werden. 433  Um eine einheitliche Terminologie zu erreichen bedeutet der Eintrag „none“ in der Liste, dass für einen bestimmten Sektor oder eine Erbringungsform keine Beschränkungen hinsichtlich des Marktzuganges oder der Inländerbehandlung bestehen. Die Eintragung „unbound“ bedeutet, dass der Staat keinerlei Verpflichtungen bei Marktzugang oder Inländerbehandlung eingehen will. Guidelines for the scheduling of specific commmitments under the General Agreement on Trade in Services (GATS), WTO Doc. S/L/92 vom 28. 03. 2001, S.  11.

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Die USA wiederum hat in ihrer Liste spezifischer Verpflichtungen den kompletten Punkt R&D Services nicht mit aufgenommen, weshalb nach dem Positiv-Listen-Prinzip keinerlei Verpflichtung zur Marktöffnung (und Inländerbehandlung) in diesem Sektor besteht.434 Im Falle der USA und der Mehrheit der Mitgliedstaaten der EU – auch Deutschland – bestehen demnach keine Verpflichtungen zur Marktöffnung. Dann besteht aber auch keine Verletzung von Liberalisierungspflichten, wenn verwaltungsrechtliche Anforderungen an Versuche gestellt werden, die in Drittländern durchgeführt werden. Aber selbst wenn spezifische Verpflichtungen eingegangen werden, sind als Widerspiegelung der durch das GATS nur geringfügig eingeschränkten Souveränität der WTO-Mitglieder435 nach Art. VI GATS innerstaatliche Regelungen aus Gründen des öffentlichen Interesses zulässig, als dass beispielsweise eine behördliche Genehmigung für die Erbringung einer bestimmten Dienstleistung, für die eine spezifische Verpflichtung eingegangen wurde, notwendig gemacht wird.436 Die WTO-Mitgliedstaaten müssen indes geeignete Verwaltungs- und Rechtsweggarantien gewähren und die nationalen Regulierungen müssen bestimmten Kriterien entsprechen, wie etwa der Objektivität, Transparenz und Verhältnismäßigkeit. 5.  Zwischenfazit Eine direkte Reglementierung von Unternehmen im Ausland ist grundsätzlich zulässig, wenn ein völkerrechtlich anerkannter Anknüpfungspunkt besteht. Dies sind Sitz- und Gründungstheorie. Eine Anknüpfung nach der Kontrolltheorie mag in einigen Ausnahmefällen zulässig sein, sie ist jedoch nicht allgemein anerkannt.437 Eine indirekte Reglementierung durch rechtliche oder faktische Einflussnahme auf Mutterunternehmen ist grundsätzlich auch zulässig, da diese dem regelnden Staat meistens nicht nur zugerechnet werden können, sondern weil sie auf dem Territorium des regelnden Staates agieren. Soweit jedoch in diesen Fällen eine extraterritoriale Regelung bzw. eine Regelung mit extraterritorialer Wirkung grundsätzlich zulässig sein mag, findet die Zulässigkeit ihre Grenze in der domaine réservé des 434  Communication from the United States – United States’ Schedule of Specific Commitments under the General Agreement on Trade in Services, WTO Doc. USA S/DCS/W/ USA vom 27. 02. 2003. 435  Weiß, Wolfgang/Herrmann, Christoph, Welthandelsrecht, 2003, § 18, Rn. 878. 436  Vgl. auch Barth, Dietrich, Das Allgemeine Übereinkommen über den internationalen Dienstleistungshandel (GATS), EuZW (1994), 455 – 460 [456 f.]; Feketekuty, Geza in: Sauvé, Pierre (Hrsg.), GATS 2000 – New Directions in Services Trade Liberalization, 2000, S.  85 – 111 [90]. 437  Eine direkte Reglementierung von Ärztinnen als natürlichen Personen ist ebenso grundsätzlich zulässig, wenn ein Genuine Link gegeben ist, der durch die Staatsangehörigkeit oder aufgrund einer Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthaltsort begründet wird.

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Gaststaates. Indes ist diese, wenn der Gaststaat ebenfalls nach den hier betrachteten Menschenrechten vertraglich oder gewohnheitsrechtlich verpflichtet ist, nicht berührt (jedenfalls dann, wenn die Regelung auf die Achtung und Gewährleistung der Rechte drängt). Als weitere Möglichkeit der indirekten Reglementierung von Auslandssachverhalten sind verwaltungsrechtliche Erfordernisse zulässig, in der Art, dass die Auslandsstudien bestimmte Vorgaben des Heimatstaates beachten müssen, wenn diese im Heimatstaat für eine Zulassung genutzt werden sollen. In den Fällen der USA und der Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten stehen dem prima facie auch keine Liberalisierungspflichten nach dem GATS entgegen, soweit diese keine spezifischen Verpflichtungen zur Marktöffnung für Dienstleistungen der Forschung und Entwicklung eingegangen sind. Sollte sich dies ändern bzw. in den Fällen der EU-Mitgliedstaaten, die solche Verpflichtungen eingegangen sind, bestehen trotz allem grundsätzlich GATS-konforme Möglichkeiten der innerstaatlichen Zugangsregulierung. II.  Pflicht zur Reglementierung extraterritorialer Aktivitäten von Unternehmen Staatliche Reglementierungen von transnationalen Unternehmen bei klinischen Versuchen im Ausland zur Einhaltung von Menschenrechten sind grundsätzlich zulässig. Voraussetzung ist, dass sie dem regulierenden Heimatstaat zuzurechnen sind. Auch ist die verwaltungsrechtliche Regulierung, dass Auslandsversuche bestimmten Anforderungen – zumindest die Einhaltung der benannten Menschenrechte – genügen müssen, zulässig, wenn die Ergebnisse dieser Versuche eine Arzneimittelzulassung im Inland unterstützen sollen. Allerdings läge eine extraterritoriale Reglementierung bzw. eine mit extraterritorialer Wirkung allein in der Entscheidung der jeweiligen Staaten, wenn nicht eine Pflicht zu einer solchen Regelung besteht. Eine Pflicht zur Achtung aber auch Gewährleistung von Menschenrechten nicht nur auf eigenem Territorium ist den einzelnen Übereinkommen zu entnehmen, dem IPBPR, IPWSKR und der speziellen BMK und 3-ZP-BMK. Dies kann sein, weil der räumliche Geltungsbereich dieser Übereinkommen über das Territorium des Heimatstaates hinausgeht oder weil die Übereinkommen den Vertragsstaaten ausdrücklich eine Pflicht zur Achtung und Gewährleistung bestimmter Rechte auch im Ausland auferlegen. 1.  Extraterritoriale Anwendung der UN-Pakte Eine extraterritoriale Anwendung bürgerlicher, politischer Rechte einerseits und wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte andererseits wird aufgrund unterschiedlicher Formulierungen in den UN-Pakten verschiedentlich dogmatisch begründet, so dass sich auch im Ergebnis ein uneinheitliches Bild im UN-Menschenrechtssystem zeigt.

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a)  Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte Eine Pflicht zur extraterritorialen Anwendung des IPBPR ist u. a. in Bezugnahme zur Rechtsprechung des EGMR unter engen Bedingungen durchaus denkbar in Situationen wie dem Soering-Fall, indem der EGMR eine Verpflichtung der Vertragsstaaten feststellte, sicherzustellen, dass ihr Verhalten nicht Menschenrechtsverletzungen durch andere Staaten begünstigt.438 Ebenso sind Verpflichtungen in Bezug auf Personen denkbar, die sich wie im Banković-Fall nicht auf dem Territorium des Vertragsstaates (des Heimatstaates) befinden.439 Die Konstellation des Soering-Falles ist an dieser Stelle für die Behandlung von Arzneimittelversuchen jedoch nicht relevant. In Frage steht hier, wie die Verpflichtung aus Art. 2 Abs. 1 IPBPR zu verstehen ist: „Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, die in diesem Pakt anerkannten Rechte zu achten und sie allen in seinem Gebiet befindlichen und seiner Herrschaftsgewalt unterstehenden Personen […] zu gewährleisten.“440

Entscheidend ist, dass die zu schützenden Personen „within its territory and subject to its jurisdiction“ sein müssen, um eine Pflicht des Staates ihnen gegenüber auszulösen, die betreffenden Rechte zu achten und zu gewährleisten. Bei einer alternativen Lesart im Sinne „within its territory“ und/oder „subject to its jurisdiction“441 wäre also zu erörtern, ob die Versuchspersonen, die sich gerade nicht auf dem Territorium des Heimatstaates befinden, unter dessen Hoheitsgewalt fallen. Im Gegensatz zu der oben eruierten Frage der Zulässigkeit der Reglementierung von Unternehmen (und Ärztinnen) ist also in einem Perspektivwechsel die Frage nach der Hoheitsgewalt über die (potentiellen) Opfer und nicht Täterinnen von Menschenrechtsverletzungen zu bestimmen. 438 Dies betrifft die Konstellation, dass sich eine Person auf dem Gebiet eines Vertragsstaates befindet, aber nach Ausweisung in einem anderen Staat dem reellen Risiko einer schweren Menschenrechtsverletzung gegenübersteht. EGMR Urteil vom 07. 07. 1989, Soering v. The United Kingdom, 14038/88. Vgl. auch Deutsch, Ulrike, Soering Case, in: Wolfrum, Rüdiger (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, online edition [www.mepil.com], 2008. 439  EGMR, Entscheidung vom 12. 12. 2001, Banković et al. v. Belgium et al., 52207/99 (GK). 440  „[…] undertakes to respect and to ensure to all individuals within its territory and subject to its jurisdiction“; „[…] s’engagent à respecter et à garantir à tous les individus se trouvant sur leur territoire et relevant de leur competence“. 441 Dafür sprechen der Sinn und Zweck des IPBPR, die nachfolgende Staatenpraxis sowie die Travaux Préparatoires: ICJ, Advisory Opinion, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, ICJ Reports 2004, S. 136, Rn. 108 ff.; McGoldrick, Dominic, Extraterritorial Application of the International Covenant on Civil and Political Rights, in: Coomans, Fons (Hrsg.), Extraterritorial Application of Human Rights Treaties, 2004, S. 41 – 72 [47 ff.]; Scheinin, Martin, Extraterritorial Effect of the International Covenant on Civil and Political Rights, in: Coomans, Fons (Hrsg.), Extraterritorial Application of Human Rights Treaties, 2004, S. 73 – 81 [74]; Nowak, Manfred, U.N. Covenant on Civil and Political Rights – CCPR Commentary, 2005, Art. 2, Rn. 26 ff.

§ 6  Extraterritoriale Staatenpflichten und unternehmerische Verantwortung

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Es kann hier dahingestellt bleiben, ob die Bestimmung der jurisdiction nach der eng an das Territorium gebundenen Auffassung von jurisdiction im allgemeinen Völkerrecht wie im Banković-Fall angemessen für Menschenrechtsverträge ist.442 Auch wenn im Sinne eines umfassenden Menschenrechtsschutzes das Verständnis der ausgeübten Kontrolle, die einer faktischen vorzuziehen wäre, da die Befreiung von Verantwortung trotz tatsächlich ausgeübter Kontrolle eine Leerzeile im Menschenrechtsschutz bedeutet443 ist das Verständnis in der Völkerrechtspraxis ein anderes. Die vom EGMR benannten Ausnahmefälle, in denen Hoheitsgewalt außerhalb des eigenen Territoriums ausgeübt wird, sind die Fälle, in denen in Ausübung von effektiver Kontrolle über das relevante Gebiet und seine Bewohnerinnen durch militärische Okkupation, Einwilligung, Einladung oder Duldung durch die Regierung des Gebietes alle oder einige Hoheitsaufgaben ausgeübt werden, die normalerweise die betreffende Regierung wahrnimmt.444 Es kann natürlich sein, dass Arzneimittelversuche in ausländischen Gebieten ausgeübt werden, in denen der Heimatstaat in diesem Sinne effektive Kontrolle ausübt. In diesen Fällen würden die Versuchspersonen, die der effektiven Kontrolle unterstehen, unter die Hoheitsgewalt des Heimatstaates fallen. Darüber hinaus bedeutet dieses sehr enge Verständnis des EGMR, welches in vielen Teilen der Literatur als nicht angemessen erachtet wird,445 dass im Hinblick auf Unternehmen, Staaten typischerweise keine Schutzpflichten gegenüber Personen trifft, deren Menschenrechte im Ausland von Unternehmen verletzt werden, da sie typischerweise keine effective control über diese ausüben. Auch wenn Staaten 442  EGMR, Entscheidung vom 12. 12. 2001, Banković et al. v. Belgium et al., 52207/99 (GK), Rn. 59 ff. 443  Scheinin, Martin, Extraterritorial Effect of the International Covenant on Civil and Political Rights, in: Coomans, Fons (Hrsg.), Extraterritorial Application of Human Rights Treaties, 2004, S. 73 – 81 [75 ff.]; Lawson, Rick, Life after Banković: on the extraterritorial Application of the European Convention on Human Rights, in: Coomans, Fons (Hrsg.), Extraterritorial Application of Human Rights Treaties, 2004; Nowak, Manfred, U.N. Covenant on Civil and Political Rights – CCPR Commentary, 2005, S. 83 – 123; Orakhelashvili, Alexander, Restrictive Interpretation of Human Rights Treaties in the Recent Jurisprudence of the European Court of Human Rights, European Journal of International Law 14 (2003), 529 – 568, [541]; Rüth, Alexandra/Trilsch, Mirja, International Decisions: Banković v. Belgium, American Journal of International Law 97 (2003), 168 – 172 [171]; Milanovic, Marko, From Compromise to Principle: Clarifying the Concept of State Jurisdiction in Human Rights Treaties, Human Rights Law Review 8 (2008), 411 – 448 [434]; Wilde, Ralph, Trigger­ing State Obligations Extraterritorially – the Spatial Test in Certain Human Rights Treaties, Israel Law Review (2007), 503 – 526 [513 ff.]. 444  EGMR, Entscheidung vom 12. 12. 2001, Banković et al. v. Belgium et al., 52207/99 (GK), Rn. 71. 445  Siehe Fn. 442. Siehe auch CCPR, General Comment No. 31, The Nature of the General Legal Obligation Imposed on State Parties to the Covenant, UN Doc. CCPR/C/21/Rev.1/ Add.13 vom 26. 05. 2004. Der General Comment betont in Rn. 10, dass die Vertragsstaaten allen, die unter ihrer effektiven Kontrolle – ungeachtet der Nationalität – stehen, die Rechte des IPBPR gewährleisten müssen.

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Teil 3: Arzneimittelversuche und Menschenrechte

faktisch Kontrolle über Unternehmen ausüben (können), die wiederum faktisch Kontrolle über Personen im Ausland ausüben, löst diese Beziehung derzeit noch keine Schutzpflicht gegenüber den Personen im Ausland aus, wenn keine effektive Kontrolle besteht. b)  Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte Im Gegensatz zum IPBPR enthält der IPWSKR keine Jurisdiktionsklausel. Der räumliche Geltungsbereich ist damit aber nicht nach Art. 29 WVK auf das Territorium des Vertragsstaates beschränkt. Der IGH schließt es zumindest nicht aus, dass die gleiche Jurisdiktionsregel für den IPWSKR wie für den IPBPR gilt, und stellt in der advisory opinion zum Mauerbau in Palästina fest,446 dass Israel auch dann an die Bestimmungen des IPWSKR gebunden ist, soweit es effektive Kontrolle über Palästina und die dortigen Personen ausübt.447 Der IGH stützt sich auf Art. 14 IPWSKR der eine Übergangsregelung für „jede[n] Vertragsstaat, der zu dem Zeitpunkt, da er Vertragspartei wird, im Mutterland oder in sonstigen seiner Hoheitsgewalt unterstehenden Gebieten“448

noch keine Grundschulpflicht auf unentgeltlicher Basis einführen konnte. Der IPWSKR hat dann einen räumlichen Geltungsbereich, wie er sich auch für den IPBPR ergibt. Art. 2 Abs. 1 IPWSKR ist bewusst anders formuliert als Art. 2 Abs. 1 IPBPR: „Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, einzeln und durch internationale Hilfe und Zusammenarbeit,449 insbesondere wirtschaftlicher und technischer Art, unter Ausschöp446 

Die Advisory Opinion ist allerdings an sich nicht bindend, auch wenn sie autoritativ wirkt. Israel hat sich vehement gegen diese Advisory Opinion geäußert. Israel bestritt die Zuständigkeit des IGH und forderte das Gericht auf, sollte es eine Zuständigkeit bejahen, von einer Antwort abzusehen. ICJ Request for an Advisory Opinion from the 10th Emergency Special Session of the United Nations General Assembly on the Legal Consequences arising from the Construction of the Wall being built by Israel, Written Statement of the Government of Israel on Jurisdiction and Propriety vom 30. 01. 2004. Der israelische Supreme Court urteilte in der Sache entsprechend entgegen der vom IGH geäußerten Auffassung. Supreme Court Urteil vom 15. 09. 2005, Mara‘abe v. The Prime Minister of Israel, HCJ 7957/04. Der Supreme Court hält damit in der nur kurz vor der IGH Advisory Opinion getroffenen Entscheidung Beit Sourik Village Council v. The Government of Israel an der grundsätzlichen Legalität der Mauer fest. Dazu auch Pertile, Marco, Beit Sourik Village Council v. The Government of Israel: A Matter of Principle (and Neglected Rules), ZaöRV 65 (2005), 677 – 734. 447  ICJ, Advisory Opinion, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, ICJ Reports 2004, S. 136, Rn. 112. 448  „Each State Party to the present Covenant which, at the time of becoming a Party, has not been able to secure in its metropolitan territory or other territories under its jurisdiction […]“. 449  „Individually and through international assistance and co-operation“ bzw. „par son effort propre que par l’assistance et la coopération internationales“.

§ 6  Extraterritoriale Staatenpflichten und unternehmerische Verantwortung

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fung aller seiner Möglichkeiten Maßnahmen zu treffen, um nach und nach mit allen geeigneten Mitteln, vor allem durch gesetzgeberische Maßnahmen, die volle Verwirklichung der in diesem Pakt anerkannten Rechte zu erreichen“.

Ein ähnliches Gebot zu internationaler Zusammenarbeit ist auch in Art. 11 IPWSKR verankert.450 Das Prinzip der internationalen Zusammenarbeit ist dabei auch in Art. 55 und 56 der UN-Charta anerkannt.451 Unabhängig vom räumlichen Geltungsbereich legt der IPWSKR den Vertragsstaaten Verpflichtungen auf, die extraterritorial wirken. Zur Systematisierung der so erwachsenden Pflichten ist es sinnvoll, internationale (extraterritoriale) Verpflichtungen nach den drei Ebenen respect, protect und fulfil zu orientieren. Aus der Pflicht zur Zusammenarbeit folgt zunächst, dass die Staaten die Erfüllung der Rechte aus dem IPWSKR in anderen Ländern beachten müssen, d. h. nicht behindern oder verletzen dürfen.451 Daraus ist nach einer Ansicht geschlossen worden, dass die Vertragsstaaten verpflichtet sind, Abstand von Unternehmungen zu nehmen, die den Menschenrechtsstandard in anderen Ländern verringern können452 und auch in internationalen Organisationen wie dem IMF und der Weltbank darauf hinzuwirken, dass Projekte nicht die Rechte nach dem IPWSKR beeinträchtigen.453 Dies wird auch vom CESCR gefordert, wie es die Kommentierung von Länderberichten von beispielsweise Belgien,454 Deutschland,455 Italien456 und 450  Speziell legt auch Art. 11 Abs. 1 fest, dass zur Verwirklichung des Rechts auf einen angemessenen Lebensstandard einschließlich ausreichender Ernährung, Bekleidung und Unterbringung die Vertragsstaaten auch die entscheidende Bedeutung einer internationalen und auf freier Zustimmung beruhenden Zusammenarbeit anerkennen. Nach Abs. 2 führen die Vertragsstaaten in Anerkennung des Rechts vor Hunger geschützt zu werden einzeln und im Wege internationaler Zusammenarbeit die erforderlichen Maßnahmen durch. 451  Es ist nachfolgend in der UN General Assembly Declaration on Principles of International Law concerning Friendly Relations and Cooperation among States in Accordance with the Charter of the United Nations, UN Doc. A/RES/2625 (XXV) vom 24. 10. 1970, und der UN General Assembly Declaration on the Right to Development, UN Doc. A/ RES/41/128 vom 04. 12. 1986, weiterentwickelt worden. Rosenstock, Robert, The Declaration of Principles of International Law concerning Friendly Relations: A Survey, American Journal of International Law 65 (1971), 713 – 735. 452  Künnemann nennt ein Beispiel, nach welchem 1993 die Überschüsse des stark subventionierten Rindfleisches von der EU auf dem Markt von Burkina Faso zu so geringen Preisen gebracht worden sind, dass die Produzentinnen (vor allem Nomadinnen der Sahel-Zone) aus dem Markt gedrängt worden sind. Dies soll einen Prozess in Gang gesetzt haben, der zu Hunger und Mangelernährung führte. Künnemann, Rolf, Extraterritorial Application of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, in: Coomans, Fons (Hrsg.), Extraterritorial Application of Human Rights Treaties, 2004, S. 201 – 231 [218 f.]. 453  Sepúlveda, M. Magdalena, The Nature of the Obligations under the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, 2003, S. 273. 454  CESCR, Concluding Observations Belgium, UN Doc. E/2001/22, Rn. 493. 455  CESCR, Concluding Observations Germany, UN Doc. E/C.12/1/Add.68, Rn. 31. 456  CESCR, Concluding Observations Italy, UN Doc. E/2001/22, Rn. 126.

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Teil 3: Arzneimittelversuche und Menschenrechte

Japan457 zeigt. Hier bestärkt („encourages“) das CESCR besagte Vertragsstaaten als Mitglieder internationaler Finanzinstitute, insbesondere des IMF und der Weltbank, alles in ihrer Macht stehende zu tun, um zu gewährleisten, dass die Vorhaben und Entscheidungen dieser Institutionen mit den Verpflichtungen der Vertragsstaaten aus dem IPWSKR die internationale Hilfe und Zusammenarbeit betreffend konform sind. Die Formulierung „encourages“ ist indes keine sehr starke. Für den IPWSKR ist weiter nach einzelnen Rechten zu unterscheiden. Entsprechend anders ist dagegen die Formulierung des CESCR im general comment Nr. 14 über das Recht auf Gesundheit. Dies ist vor allem auch maßgeblich, weil die hier relevanten Menschenrechtsverpflichtungen, die aus den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten abgeleitet wurden, ihre Basis in Art. 12 IPWSKR dem Recht auf Gesundheit haben. Im general comment stellt das CESCR fest: „to comply with their international obligations in relation to article 12, States parties have to respect the enjoyment of the right to health in other countries.“458

Werden Versuche staatlich durchgeführt, sollte demnach der betreffende Vertragsstaat verpflichtet sein, die Grundsätze aus Art. 12 auch im Ausland zu achten. Da hier das Augenmerk auf Versuchen liegt, die von privaten Unternehmen gesponsert werden, ist die Frage nach einer extraterritorialen Verpflichtung die Rechte des IPWSKR zu schützen interessant. In Bezug auf Art. 12 stellt das CESCR in seinem general comment in Fortsetzung der oben zitierten Passage fest, „to comply with their international obligations in relation to article 12, States parties have […] to prevent third parties by way of legal or political means, in accordance with the Charter of the United Nations and applicable international law.“459

Denn „while only States are parties to the Covenant and thus ultimately accountable for compliance with it, all members of society – individuals, including health professionals, families, local communities, intergovernmental and nongovernmental organizations, civil society organizations as well as the private business sector – have responsibilities regarding the realization of the right to health.“460

Nach dieser Auslegung wären die Vertragsstaaten verpflichtet, auf jede zulässige Weise darauf hinzuwirken, dass Private die Rechte aus Art. 12 im Ausland wahren, und sind insbesondere verpflichtet, im Rahmen der oben erörterten Zulässigkeit (und Möglichkeit) „ihre“ Unternehmen so zu reglementieren, dass sich hieraus extraterritoriale Schutzpflichten ableiten ließen.

457 

CESCR, Concluding Observations Japan, UN Doc. E/C.12/1/Add.67, Rn. 37. CESCR General Comment No. 14, The Right to the Highest Attainable Standard of Health (Art. 12) vom 11. 08. 2000, UN Dok. E/C.12/2000/4, Rn. 39. 459  CESCR General Comment No. 14, The Right to the Highest Attainable Standard of Health (Art. 12) vom 11. 08. 2000, UN Dok. E/C.12/2000/4, Rn. 39. 460  CESCR General Comment No. 14, The Right to the Highest Attainable Standard of Health (Art. 12) vom 11. 08. 2000, UN Dok. E/C.12/2000/4, Rn. 42. 458 

§ 6  Extraterritoriale Staatenpflichten und unternehmerische Verantwortung

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Allerdings hat der IGH in seiner angesprochenen advisory opinion den gleichen jurisdiction Test auf den IPWSKR angewendet wie auf den IPBPR, womit dem Gaststaat nur bei effektiver Kontrolle eine Schutzpflicht zukäme, die sich auf die Reglementierung von Unternehmen im – effektiv kontrollierten – Ausland erstreckt. Fraglich ist darüber hinaus, selbst wenn kein effective-control-Kriterium als maßgeblich erachtet werden sollte, ob auch Pflichten für die einzelnen Vertragsstaaten bestehen, die Rechte des IPWSKR in der internationalen Arena auch zu erfüllen. Bereits früh bestand Unklarheit darüber, ob Art. 2 Abs. 1 neben Art. 11 als Grundlage für eine Pflicht von reicheren (Industrie-)Ländern herangezogen werden könne, ärmeren (Entwicklungs-)Ländern Hilfe bei der Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus dem IPWSKR zu leisten.461 Das CESCR bemerkt in general comment Nr. 3, dass der Satzteil „unter Ausschöpfung aller seiner Möglichkeiten“462 so gedacht sei, dass damit Ressourcen innerhalb eines Staates und den von der internationalen Gemeinschaft durch internationale Hilfe und Zusammenarbeit bereitgestellten Mitteln gemeint seien.463 Somit scheinen vor allem Fragen der Entwicklungszusammenarbeit im Raum zu stehen.464 Eine konkrete Pflicht, die ein-

461  Der ehemalige IGH-Richter Kéba M’Baye befand während einer Sitzung der UN Commission on Human Rights, dass diese Normen ebenso spezifische internationale Verpflichtungen auf Seiten der Industrieländer begründe wie sie die Grundlage für die Existenz eines Rechts auf Entwicklung lege. Die Carter-Regierung hingegen schlug, als sie die Zustimmung des US-Senats für eine Ratifikation suchte, vor, einen Vorbehalt gegenüber Art. 2 Abs. 1 und Art. 11 zu formulieren, dass diese keine rechtlich bindende Verpflichtung mit sich brächten, anderen Ländern Hilfe zu leisten. Siehe Alston, Philip/Quinn, Gerard, The Nature and Scope of States Parties’ Obligations under the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, Human Rights Quarterly 9 (1987), 156 – 229 [187] mit Nachweisen. 462  „To the maximum of its available resources“. 463  CESCR, General Comment No. 3, The Nature of States Parties Obligations (Art. 2 para. 1) vom 14. 12. 1990, Rn. 13. 464  Hierzu passen die Kommentierungen des CESCR zu Länderberichten. Finnland und Belgien empfiehlt es, das Budget für die internationale Zusammenarbeit neu zu bewerten und zu erhöhen, um der Empfehlung der UN zu entsprechen (UN Doc. E/2001/22, Rn. 449, 492). Die UN empfiehlt 0,7 % des BIP, früher BNE, für Entwicklungshilfe zu alloziieren. Im Falle Deutschland bedauert das CESCR, dass es nicht das Ziel von 0,7 % BNE erreicht hat (UN Doc. E/C.12/1/Add.68, Rn. 15). Bei Irland wiederum begrüßt das CESCR, dass der Anteil des für Entwicklungshilfe alloziierten Budgetanteils vom BNE um mehrere hundertstel Prozentpunkte gesteigert wurde (UN Doc. E/2000/22, Rn. 126). Das CESCR drängt Japan wiederum, seine Entwicklungshilfe zu erhöhen und einen Zeitplan aufzustellen, wann das Ziel von 0,7 % BNE erreicht werden soll (UN Doc. E/C.12/1/Add.67, Rn. 37). Das CESCR bedauert, dass Frankreichs Anteil gesunken ist, und empfiehlt die 0,7 % zu erreichen (UN Doc. E/C.12/1/Add.72, Rnrn. 14, 24). Im Falle Schwedens erkennt das CESCR an, dass das Land über mehrere Jahre 0,7 % oder mehr seines BIP für Entwicklungshilfe bereitgestellt hat (UN Doc. E/C.12/1/Add.70, Rn. 7).

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Teil 3: Arzneimittelversuche und Menschenrechte

zelnen Rechte aus dem IPWSKR in anderen Ländern zu erfüllen, ist indes nicht ersichtlich.465 Allerdings betont general comment Nr. 14, dass „depending on the available resources, States should facilitate access to essential health facilities, goods and services in other countries, wherever possible and provide the necessary aid when required.“466

2.  Extraterritoriale Anwendung von Übereinkommen des Europarates a)  Europäische Menschenrechtskonvention Wesentlicher Ansatzpunkt zur Bestimmung des räumlichen Geltungsbereichs der EMRK ist Art. 1: „Die Hohen Vertragschließenden Teile sichern allen ihrer Herrschaftsgewalt unterstehenden Personen die in Abschnitt I. dieser Konvention niedergelegten Rechte und Freiheiten zu.“467

Wie bereits dargelegt, ist die Rechtsprechung des EGMR zur Bestimmung der jurisdiction auch zur Auslegung der Jurisdiktionsklausel im IPBPR herangezogen worden. Demnach ist der EGMR im Banković-Fall davon ausgegangen, dass jurisdiction nach allgemein völkerrechtlichen Grundsätzen bestimmt werden müsse und der räumliche Geltungsbereich der EMRK nur dann ausnahmsweise über das Staatsterritorium hinausgehe, wenn der Staat effective overall control über ein anderes Staatsgebiet ausübe.468 Im Loizidou-Fall hatte der EGMR noch mit weniger Begründungsaufwand festgestellt, dass das Konzept der jurisdiction nicht auf das nationale Territorium begrenzt sei, sondern dass es sich aus dem Sinn und Zweck der Konvention ergebe, dass die Vertragsparteien verpflichtet seien, die Rechte und Freiheiten aus der EMRK zu sichern, wenn sie – unabhängig von der Legalität der militärischen Operation – effective control über ein Gebiet außerhalb ihres eigenen Territoriums ausübten.469 In Banković betonte das Gericht letztlich den Ausnahmecharakter der extraterritorialen jurisdiction und verlangte überdies die sehr eng konturierte effective overall control. 465  So auch Künnemann, Rolf, Extraterritorial Application of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, in: Coomans, Fons (Hrsg.), Extraterritorial Application of Human Rights Treaties, 2004, S. 201 – 231 [223]. 466  CESCR General Comment No. 14, The Right to the Highest Attainable Standard of Health (Art. 12) vom 11. 08. 2000, UN Dok. E/C.12/2000/4, Rn. 39. Bezüglich der Pflichten das Recht zu achten und zu schützen hieß es noch „state parties have to“ während es bezüglich der Pflicht das Recht zu erfüllen weicher heißt „states should“. 467  „The High Contracting Parties shall secure to everyone within their jurisdiction the rights and freedoms defined in Section I of this Convention.“ 468  EGMR, Entscheidung vom 12. 12. 2001, Banković et al. v. Belgium et al., 52207/99 (GK), Rn. 71. 469 EGMR, Entscheidung vom 23. 03. 1995, Loizidou v. Turkey (Preliminary Objections), 51318/89 (GK), Rn. 62.

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Ein so enges Verständnis von effektiver Kontrolle wie im Banković-Fall anzunehmen,470 statt etwa auf eine faktische Kontrolle abzustellen,471 schränkt die extraterritorialen Schutzpflichten des Staates wie angemerkt ein. Nach dem effective control Test sind jedenfalls derzeit keine Schutzpflichten der Heimatstaaten für Versuchspersonen im Ausland bei unternehmensgesponserten klinischen Versuchen im Ausland festzustellen. b)  Biomedizinkonvention Der räumliche Geltungsbereich der BMK ist mangels sonstiger Jurisdiktionsklausel im Sinne von Art. 29 WVK auf die Territorien der Vertragsstaaten beschränkt. Insofern ist grundsätzlich eine Pflicht zur extraterritorialen Anwendung nicht anzunehmen. Art. 35 Abs. 1 BMK ermöglicht sogar, zur Zeit der Zeichnung oder Hinterlegung der Ratifikationsurkunde die Territorien zu bezeichnen, für welche die BMK Geltung haben soll. Nach Abs. 2 und 3 kann jede Vertragspartei dabei nachträglich die Anwendung der BMK auf jedes weitere Territorium erstrecken oder zurücknehmen, für dessen internationale Beziehungen sie verantwortlich ist oder für die sie befugt ist, Verpflichtungen einzugehen.472 Entgegen des offeneren Wortlauts macht der explanatory report deutlich, dass Art. 35 BMK darauf abzielt, dass Überseegebiete von dem räumlichen Geltungsbereich der BMK ausgenommen werden können. So bestand Einigung darüber, dass es klar gegen die Philosophie der Konvention verstoßen würde, wenn eine Vertragspartei Gebiete des Hauptterritoriums aus dem Geltungsbereich nähme, weshalb es als nicht notwendig erachtet worden ist, dies explizit in der Konvention niederzulegen.473 Andererseits ist die BMK nach Art. 33 Abs. 1 und Art. 34 auch offen für Nicht470  EGMR, Entscheidung vom 12. 12. 2001, Banković et al. v. Belgium et al., 52207/99 (GK), Rn. 59 ff. 471  Scheinin, Martin, Extraterritorial Effect of the International Covenant on Civil and Political Rights, in: Coomans, Fons (Hrsg.), Extraterritorial Application of Human Rights Treaties, 2004, S. 73 – 81 [75 ff.]; Lawson, Rick, Life after Banković: on the extraterritorial Application of the European Convention on Human Rights, in: Coomans, Fons (Hrsg.), Extraterritorial Application of Human Rights Treaties, 2004; Nowak, Manfred, U.N. Covenant on Civil and Political Rights – CCPR Commentary, 2005, S. 83 – 123; Orakhelashvili, Alexander, Restrictive Interpretation of Human Rights Treaties in the Recent Jurisprudence of the European Court of Human Rights, European Journal of International Law 14 (2003), 529 – 568 [541]; Rüth, Alexandra/Trilsch, Mirja, International Decisions: Banković v. Belgium, American Journal of International Law 97 (2003), 168 – 172 [171]; Milanovic, Marko, From Compromise to Principle: Clarifying the Concept of State Jurisdiction in Human Rights Treaties, Human Rights Law Review 8 (2008), 411 – 448 [434]; Wilde, Ralph, Triggering State Obligations Extraterritorially – the Spatial Test in Certain Human Rights Treaties, Israel Law Review (2007), 503 – 526 [513 ff.]. 472  „Any other territory specified in the declaration and for whose international relations it is responsible or on whose behalf it is authorised to give undertakings“. 473  Explanatory Report on the Convention for the Protection of Human Rights and Dignity of the Human Being with regard to the Application of Biology and Medicine: Convention on Human Rights and Biomedicine, C.E.T.S. No. 164, Rn. 172.

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Teil 3: Arzneimittelversuche und Menschenrechte

mitgliedstaaten des Europarates. In diesen könnte Art. 35 herangezogen werden, um den Geltungsbereich einzuschränken. Somit besteht in der BMK statt einer die Anwendung (extraterritorial) erweiternde eine potentiell einschränkende Bestimmung. c)  3. Zusatzprotokoll zur Biomedizinkonvention betreffend biomedizinische Forschung Zunächst ist festzuhalten, dass das 3-ZP-BMK ein eigenständiges Abkommen ist. Im Gegensatz zur BMK enthält das 3-ZP-BMK keine Provision zum Ausschluss von Gebieten des staatlichen Territoriums aus dem Geltungsbereich. Die Möglichkeit zur Ratifikation, Annahme oder Genehmigung des 3-ZP-BMK setzt jedoch nach Art. 31 S. 3 BMK und Art. 36 3-ZP-BMK voraus, dass vorher oder gleichzeitig die BMK ratifiziert, angenommen oder genehmigt werden muss. Da die Zusatzprotokolle zur BMK eine Weiterentwicklung der Grundsätze der BMK darstellen sollen (Art. 31 S. 1 BMK), ist ein Auseinanderfallen der räumlichen Geltungsbereiche auf dem Territorium eines Vertragsstaates weder sinnvoll noch erwünscht. Daher ist im Sinne von Art. 29 WVK anzunehmen, dass der räumliche Geltungsbereich deckungsgleich mit demjenigen ist, der sich für den Vertragsstaat für die BMK ergibt. Über den territorialen Geltungsbereich hinaus begründet indes Art. 29 eine Pflicht zur Reglementierung von Privaten, die der Hoheitsgewalt eines Vertragsstaates unterfallen. Zumal auch in Abs. 6 der Präambel betont wird, dass Forschung an Menschen häufig interdisziplinär und international ist. Art. 29 S. 1 lautet: „Sponsors or researchers within the jurisdiction of a Party to this Protocol that plan to undertake or direct a research project in a State not party to this Protocol shall ensure that, without prejudice to the provisions applicable in that State, the research project complies with the principles on which the provisions of this Protocol are based.“

Der explanatory report macht deutlich, dass jurisdiction hier nicht wie in Art. 1 EMRK (oder Art. 2 Abs. 1 IPBPR) zu verstehen ist, sondern dass jurisdiction hier nach den kollisionsrechtlichen Regeln zu bestimmen ist, also nach der Regelungszulässigkeit. Die Staatszugehörigkeit juristischer Personen ist demnach nach Sitz- oder Gründungstheorie zu bestimmen. Natürliche Personen befinden sich within the jurisdiction eines Vertragsstaates im Sinne von Art. 29 ZP, wenn sie ihren Aufenthaltsort oder beruflichen Mittelpunkt auf dem Gebiet des Vertragsstaates haben oder die Staatsangehörigkeit des Staates besitzen.474 Für diese begründet Art. 29 ZP eine Pflicht zur Reglementierung. Zwar ist die Norm direkt an die Sponsorinnen und Forscherinnen adressiert, jedoch können völkerrechtlich Private aus einem Übereinkommen zwischen zwei oder mehreren Staaten nicht unmittelbar verpflichtet werden.475 Eine unmittelbare Verpflichtung Privater könn474  Explanatory Report to the Additional Protocol to the Convention on Human Rights and Biomedicine concerning Biomedical Research, CoE Doc. DIR/JUR (2004) 4, Rn. 139. 475  Weilert, Katarina, Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum? – Geltung und Reichweite völkerrechtlicher Standards, ZaöRV (2009), 883 – 917 [902].

§ 6  Extraterritoriale Staatenpflichten und unternehmerische Verantwortung

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te indes auf nationaler Ebene bestehen, wenn ein Übereinkommen self-executing ist. Die Entscheidung über eine unmittelbare Anwendbarkeit liegt jedoch allein bei den Vertragsstaaten.476 Dem scheint Art. 29 S. 2 ZP Rechnung zu tragen, der lautet: „Where necessary, the Party shall take appropriate measures to that end.“

Die Vertragsstaaten haben demnach die Pflicht, Maßnahmen legislativer oder sonstiger Art zu ergreifen,477 um sicherzustellen, dass die ihnen zuzurechnenden Privaten bei Forschungsvorhaben in Drittländern die Prinzipien beachten, die den Regelungen des ZP zugrunde liegen. Somit besteht eine Pflicht zur extraterritorialen Regelung. Allerdings sind benannte Sponsorinnen und Forscherinnen nicht an alle Anforderungen des ZP zu binden, sondern lediglich an die zugrunde liegenden Prinzipien, weshalb nicht alle einzelnen Vorschriften des ZP zu beachten sind.478 Der explanatory report benennt als Beispiele dieser Prinzipien, das Prinzip der informierten Einwilligung, den Schutz nicht-einwilligungsfähiger Personen, Vertraulichkeit, die Nutzen-Risiko-Abwägung sowie die ethische Überwachung von Forschungsvorhaben.479 III.  Zwischenergebnis Die Vertragsstaaten haben durchaus die Möglichkeit, Auslandstätigkeiten von Unternehmen (und Ärztinnen) zu reglementieren, wenn ein völkerrechtlich anerkannter Anknüpfungspunkt besteht. Eine Pflicht kann aus den Menschenrechtsübereinkommen gefolgert werden, soweit der räumliche Geltungsbereich über die Territorien der Vertragsstaaten hinausgeht. So unterfallen Gebiete und Personen, die unter der effektiven Kontrolle eines Staates stehen, dessen Hoheitsgewalt ( jurisdiction), weshalb sich die Geltung von Menschenrechtsverträgen wie der EMRK und dem IPBPR auf diese extraterritorialen Gebiete erweitert. Jedoch sind die dogmatischen Begründungen in einer Art unterschiedlich, die sich auch auf den Um476  Craven, M. C., The Domestic Application of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, Netherlands International Law Review 40 (1993), 367 – 404 [384]; Schneider, Jakob, Die Justiziabilität wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Menschenrechte – Studie, 2004, S. 27 f. 477  Von der schlichten Formulierung von Normen, die die relevanten Sponsorinnen und Forscherinnen verpflichten, benannte Prinzipien zu beachten, abgesehen, benennt der Explanatory Report als Beispiel für eine Maßnahme, dass die Forschungsvorhaben, die im Ausland durchgeführt werden sollen, einer Ethikkommission im Inland vorgelegt werden müssen. Explanatory Report to the Additional Protocol to the Convention on Human Rights and Biomedicine concerning Biomedical Research, CoE Doc. DIR/JUR (2004) 4, Rn. 140. 478 Vgl. auch Koenig, Christian/Beer, Daniela/Busch, Christiane/Müller, Eva-Maria, Rechtsgutachten – Bestandsaufnahme und Handlungsbedarf hinsichtlich des Übereinkommens zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin und seiner Zusatzprotokolle, 2003, S. 305. 479  Explanatory Report to the Additional Protocol to the Convention on Human Rights and Biomedicine concerning Biomedical Research, CoE Doc. DIR/JUR (2004) 4, Rn. 138.

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Teil 3: Arzneimittelversuche und Menschenrechte

fang und die Voraussetzungen der extraterritorialen Pflichten auswirkt.480 In der Weise, in der in der völkerrechtlichen Praxis das Element der effective control verlangt wird,481 ist trotz anderweitiger Forderungen noch kein Verständnis staatlicher Schutzpflichten zu erkennen, das sich auf Personen im Ausland erstreckt, die in ihren Menschenrechten durch Unternehmen verletzt werden, über die der Heimatstaat keine effective control ausübt.482 Hinsichtlich der Rechte des IPWSKR sind extraterritoriale Pflichten dogmatisch so abgleitet worden, dass mit Bezug auf spezifische Rechte, wie dem hier relevanten Recht auf Gesundheit, einerseits weitgehende Regulierungspflichten von Privaten bestehen, andererseits jedoch dem IGH zufolge, dem IPWSKR die gleiche Jurisdiktionsregel wie dem IPBPR inhärent ist. Es bleiben damit Unklarheiten bestehen. Hinsichtlich der spezifischen Übereinkommen medizinische Forschung betreffend hat die BMK indes keine Jurisdiktionsregel und formuliert keine ausdrücklichen extraterritorialen Pflichten. Das 3-ZP-BMK hingegen gibt ihren Vertragsstaaten die Pflicht auf, Sponsorinnen und Forscherinnen dahingehend zu regulieren, dass diese bei Forschungsvorhaben in Drittländern zumindest die Prinzipien, die dem ZP zugrunde liegen, zu beachten. Das ZP, auch wenn es sehr begrenzt in seiner Reichweite ist, zeigt indes eine Vorreiterrolle im internationalen Menschenrechtsschutz. IV.  Extraterritoriale Staatenverpflichtungen aus dem Recht der Staatenverantwortung und der UN-Charta Von der unmittelbaren Verpflichtung von Unternehmen und dem Versuch einer dogmatischen Herleitung direkter, auf Unternehmensaktivitäten erweiterter Schutzpflichten der Heimatstaaten, die den Fokus auf die Pflichten des Heimatstaates legt, sind in der Debatte um die menschenrechtliche Verpflichtung von Unternehmen Überlegungen angestellt worden, extraterritoriale Staatenpflichten zu begründen, die sich auf bereits jetzt dogmatisch gefestigte Elemente völkerrechtlicher Verantwortung stützen.483 Dieser Ansatz nach Jochen von Bernstorff stützt sich auf das allgemeine Völkerrecht und ist damit unabhängig von einzelnen Rech480  Bernstorff, Jochen von, Extraterritoriale menschenrechtliche Staatenpflichten und Corporate Social Responsibility AVR 49 (2011), 34 – 63. 481  Weshalb es unter anderem denkbar wäre, einen abgewandelten effective control Begriff zu entwickeln, der auf eine faktische Einflussmöglichkeit auf private Verletzerinnen von Menschenrechten abstellt. Bernstorff, Jochen von, Extraterritoriale menschenrechtliche Staatenpflichten und Corporate Social Responsibility AVR 49 (2011), 34 – 63 [55]. 482  Der UN-Sonderbeauftragte John Ruggie sieht entsprechend auch noch keine Rechtspflicht zur Regulierung von Unternehmensaktivitäten im Ausland, wenn der Heimatstaat keine effektive staatliche Kontrolle über die betroffenen Personen ausübt. Ruggie, John, Promotion of all Human Rights, Civil, Political, Economic, Social and Cultural Rights, including the Right to Development – Report of the Special Representative of the Secretary-General on the Issue of Human Rights and Transnational Corporations and Other Business Enterprises. 2009, Rn. 15.

§ 6  Extraterritoriale Staatenpflichten und unternehmerische Verantwortung

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ten und Jurisdiktionsregeln verschiedener Übereinkommen. Im Mittelpunkt stehen nicht der Heimatstaat, sondern (erneut) der Gaststaat und dessen grundsätzliche Pflicht, menschenrechtswidrige Praktiken durch Unternehmen auf seinem Territorium zu unterbinden. Über Beihilferegeln erstreckt sich diese Verantwortung unter Umständen auf den Heimatstaat, der wie dargelegt grundsätzlich dazu berechtigt ist, „seine“ Unternehmen zur Achtung von Menschenrechten zu reglementieren. Hiernach stützt sich der Ansatz auf drei völkerrechtliche Regeln: Erstens auf die Zulässigkeit der Heimatstaaten, ihre Unternehmen zu reglementieren, zweitens auf die Pflicht zur Kooperation nach der UN-Charta, und drittens auf dem Verbot Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen des Gaststaates zu leisten. 483

Das Prinzip der internationalen Zusammenarbeit stützt sich auf Art. 1 Abs. 3 i. V. m. Art. 55 und 56 UN-Charta,484 woraus eine Pflicht zur kooperativen Verwirklichung der Menschenrechte in der UN sowie in den Mitgliedstaaten abgleitet wird.485 Folge dieser grundsätzlichen Kooperationspflicht wäre,486 dass bei offenkundigen Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen im Ausland, deren Heimatstaaten verpflichtet sind, mit dem Gaststaat zusammen, dem die Hauptverantwortung obliegt, rechtliche und politische Abhilfemöglichkeiten zu suchen.487

483 Im folgenden nach Bernstorff, Jochen von, Extraterritoriale menschenrechtliche Staatenpflichten und Corporate Social Responsibility AVR 49 (2011), 34 – 63 [57 ff.]. 484  Delbrück, Jost, The International Obligation to Cooperate – An Empty Shell or a Hard Law Principle of International Law? – A Critical Look at a much Debated Paradigm of Modern International Law, in: Hestermeyer, Holger/König, Doris/Matz-Lück, Nele/ Röben, Volker/Seibert-Fohr, Anja, et al. (Hrsg.), Coexistence, Cooperation and Solidarity – Liber Amicorum Rüdiger Wolfrum, 2012, S. 3 – 16 [6 f.]. Es ist nachfolgend in der UN General Assembly Declaration on Principles of International Law concerning Friendly Relations and Cooperation among States in Accordance with the Charter of the United Nations, UN Doc. A/RES/2625 (XXV) vom 24. 10. 1970 und der UN General Assembly Declaration on the Right to Development, UN Doc. A/RES/41/128 vom 04. 12. 1986 weiterentwickelt worden. Rosenstock, Robert, The Declaration of Principles of International Law concerning Friendly Relations: A Survey, American Journal of International Law 65 (1971), 713 – 735. 485  Bernstorff, Jochen von, Extraterritoriale menschenrechtliche Staatenpflichten und Corporate Social Responsibility AVR 49 (2011), 34 – 63 [59]; Riedel, Eibe, in: Simma, Bruno/Mosler, Hermann/Randelzhofer, Albrecht/Tomuschat, Christian/Wolfrum, Rüdiger (Hrsg.), The Charter of the United Nations – A Commentary, 2002, Art. 55, Rn. 8. 486  Wolfrum stellte bereits 1995 fest, dass Kooperation an sich keinen Wert darstellt. Stattdessen diene Kooperation „among States for the purposes of development to increase the social welfare of the world community“. Wolfrum, Rüdiger, International Law of Cooperation, in: Bernhardt, Rudolf/Macalister-Smith, Peter (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, II, 1995, S. 1242 – 1247 [1242]. 487  Bernstorff, Jochen von, Extraterritoriale menschenrechtliche Staatenpflichten und Corporate Social Responsibility AVR 49 (2011), 34 – 63 [59].

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Teil 3: Arzneimittelversuche und Menschenrechte

Das internationale Beihilfeverbot ist gewohnheitsrechtlich anerkannt.488 Die ILC kontuiert dieses Verbot in ihren Draft Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts von 2001489 in Art. 16 wie folgt: „A State which aids or assists another State in the commission of an internationally wrongful act by the latter is internationally responsible for doing so if: (a) that State does so with knowledge of the circumstances of the internationally wrongful act; and (b) the act would be internationally wrongful if committed by that State.“

Voraussetzungen für eine völkerrechtswidrige Beihilfe sind damit erstens die Rechtsverletzung durch den Gaststaat, etwa von menschenrechtlichen Schutzpflichtverletzungen hinsichtlich der auf ihrem Territorium operierenden Unternehmen, zweitens die Unterstützung dieser Rechtsverletzung durch den anderen Heimatstaat, drittens das Wissen des Heimatstaates um die Verletzungen durch den Gaststaat, und viertens die Rechtswidrigkeit der Tat oder Unterlassung, wenn der Heimatstaat sie selbst begangen hätte. Bei der Verletzung von Menschenrechtsübereinkommen, die beide Staaten binden, ist letzteres stets gegeben. Die Unterstützung, die der Heimatstaat leistet, muss indes signifikant sein; sie muss zwar nicht essentiell, darf aber auch nicht nur marginal sein.490 Mit Bezug auf Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen, kann beispielsweise eine solche signifkante staatliche Unterstützung in der Ausfuhrgewährleistung für Unternehmen im Rahmen der Außenwirtschaftsförderung liegen, wenn für die betreffenden staatlichen Organe vorhersehbar ist, dass das geförderte Projekt zu Menschenrechtsverletzungen durch den Gaststaat führt.491 Ein anderes grundsätzliches Beispiel wäre eine politische Intervention des Heimatstaates gegen den Gaststaat, was dazu führen würde, dass der Gaststaat nicht mehr gegen menschenrechtswidrige Praktiken der Unternehmen des Heimatstaates vorgeht.492 Konkret auf unternehmensgesponserte Arzneimittelprüfungen in Gaststaaten bezogen, könnte eine solche rechtswidrige Unterstützungshandlung etwa darin liegen, wenn der Heimatstaat verwaltungsrechtliche Vorschriften derart gestaltet, dass menschenrechtswidrige Versuche in Gaststaaten zur Begründung von Arzneimittelzulassungen im Heimatstaat ausdrücklich zulässig oder gewünscht sind. Dies wäre etwa in Fällen 488  Epiney, Astrid, Umweltvölkerrechtliche Rahmenbedingungen für Entwicklungsprojekte, in: Meng, Werner/Magnus, Ulrich/Schlemmer-Schulte, Sabine/Cottier, Thomas/ Stoll, Peter-Tobias, et al. (Hrsg.), Das internationale Recht im Nord-Süd-Verhältnis, 2005, S. 329 [360 ff.]; Nolte, Georg/Aust, Helmut Philipp, Equivocal Helpers, Complicit States, Mixed Messages and International Law, The International and Comparative Law Quarterly 58 (2009), 1 – 30. 489  Y.I.L.C., 2001, Vol. II, Part 2. 490  Absatz 5 des Kommentars zu Art. 16 der ILC Draft Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts. 491  Bernstorff, Jochen von, Extraterritoriale menschenrechtliche Staatenpflichten und Corporate Social Responsibility AVR 49 (2011), 34 – 63 [61]. 492 Ibid.

§ 6  Extraterritoriale Staatenpflichten und unternehmerische Verantwortung

363

denkbar, in denen wissenschaftliche Validität von Daten durch Menschenrechtsverletzungen „erkauft“ werden kann. Die Förderung von Standardunterschieden wäre so auch völkerrechtlich in der Verwaltungspraxis der Heimatstaaten unzulässig.

C.  Ergebnis In der Diskussion um das Verhältnis von Menschenrechten und Bioethik ist als Argument angeführt worden, Menschenrechtsübereinkommen verpflichteten nur Staaten und nicht private Unternehmen. In der Tat stellt sich der Versuch, eine unmittelbare Verpflichtung von Unternehmen aus völkerrechtlichen Verträgen abzuleiten, de lege lata als eher fruchtloses Unterfangen dar. Insofern ist die sich herausbildende corporate social responsibility, die eine (freiwillige) Verpflichtung von Unternehmen auf soft-law-Basis vorsieht, zunächst nicht rechtlich verbindlicher als die Bindung von Unternehmen an Ethikguidelines. Eine solche „weiche“ extralegale Verpflichtung wäre indes auch nicht schwächer als eine rein „ethische Verpflichtung“. Im Gegenteil bestehen einerseits Ansätze einer indirekten Verpflichtung von Unternehmen, insofern Staaten verpflichtet sind Unternehmen zu verpflichten, sowie Ansätze einer unmittelbaren Verpflichtung in (sehr kleinen) Nischen wie in dem 3-ZP-BMK, das eine unmittelbare Pflichtenstellung von Unternehmen als Sponsorinnen normiert. Andererseits bleibt die Möglichkeit der einzelstaatlichen unmittelbaren Verpflichtung. So haben die Vertragsstaaten durchaus die Möglichkeit, Auslandstätigkeiten von Unternehmen zu reglementieren, wenn ein völkerrechtlich anerkannter Anknüpfungspunkt besteht. Unter engen Voraussetzungen kann auch eine Pflicht aus Menschenrechtsübereinkommen gefolgert werden, soweit der räumliche Geltungsbereich über die Territorien der Vertragsstaaten hinausgeht. Über eine extraterritoriale Staatenverpflichtung, wie sie auch aus dem Prinzip der internationalen Zusammenarbeit und dem Beihilfeverbot gefolgert werden kann, kann letztlich unter Umständen eine Reglementierung von Unternehmen zur Achtung von Menschenrechten erreicht werden. Auch wenn eine unmittelbare Verpflichtung von Unternehmen an Menschenrechtsübereinkommen de lege lata schwierig zu begründen ist, bestehen zumindest bereits jetzt Möglichkeiten der rechtlichen Handhabe, die über eine Normierung durch Ethikguidelines hinausgehen. Dies zeigt sich auch in Entwicklungen auf nationaler und supranationaler Ebene. Die Europäische Union ist seit Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon gehalten, gemäß ihrem in Art. 3 Abs. 5 EUV genannten Ziel, in ihren Beziehungen zur übrigen Welt ihren Beitrag zur Solidarität zum Schutz der Menschenrechte zu leisten. In der Formulierung einer menschenrechtlichen Verpflichtung zur Achtung bestimmter Rechte in der Forschung an Menschen lässt sich hieraus eine prima facie Pflicht der EU erkennen zumindest keine Standardunterschiede zu dulden, in denen zuzurechnende Sponsor-Unternehmen in der Union und in Drittstaaten Versuche durchführen, die menschenrechtsrelevante Implikationen aufweisen.

§ 7 Schlussbetrachtung § 7 Schlussbetrachtung

Zentrale Prämisse dieser Arbeit und Schlussbetrachtung ist die grundsätzliche Notwendigkeit von Forschung und Entwicklung in der Medizin und Pharmakologie nach wissenschaftlichen Grundsätzen und Methodiken. Die wissenschaftlich sinnvollste Methodik in der Forschung ist dabei häufig der statistisch aussagekräftige (randomisierte, verblindete) Vergleich. Eine Medizin, die allein auf Intuition, jahrtausendealtem Dogma oder Mystik beruht, verschreibt Aderlasse gegen Anämie oder vertraut auf Zuckerperlen und ein vermeintliches Gedächtnis von Wasser. Es ist vor dem Hintergrund der grundsätzlichen Befürwortung von Forschung und wissenschaftlicher Methodik, dass hier Aussagen in der Regel zum wie und nur seltener zum ob getroffen werden sollen. Arzneimittelforschung in Entwicklungsländern und für Entwicklungsländer ist unbestritten notwendig. Wenn jedoch Arzneimittel in Entwicklungsländern getestet werden, obwohl sie (primär) nur für reichere Länder gedacht sind, liegt ein wesentliches Problem in einem Auseinanderfallen von Nutzen und Risiko für die Gesellschaften von reichen und armen Staaten. Fragen der Forschung an Menschen sind vorher unter Prämissen adressiert worden, nach denen aus der Mitte der Nutznießerinnen von Forschung diejenigen Personen stammten, die als Versuchspersonen die entsprechenden Risiken eingingen. Auf nationaler/regionaler Ebene begrenzt, muss eine Gemeinschaft, die um ihres Allgemeinwohls willen Forschung fördert und ermöglicht, auch selbst die Risiken tragen. Die Höhe des zu tragenden potentiellen Risikos wird dabei normativ bestimmt. Fragen der Risikound Nutzenverteilung werden somit zu Fragen der Mitbestimmung. Diejenigen, die als Versuchspersonen betroffen sind, sind im Falle einer nationalen/regionalen Begrenzung ebenfalls an der Normgenese beteiligt, die das Grundverhältnis bestimmt wonach zu entscheiden ist, wie viele Risiken und Bürden von Einzelnen verlangt werden können zum Wohl der Gemeinschaft. In der globalisierten Forschung jedoch liegt mitunter eine Trennung der profitierenden Gemeinschaft1 von den das Risiko eingehenden Versuchspersonen vor. Die strukturelle Schwäche von Versuchspersonen in Entwicklungsländern wird dadurch erheblich verstärkt. Diese strukturelle Schwäche wird selbst dann verstärkt, wenn Arzneimittel in Entwicklungsländern für diese Entwicklungsländer getestet werden, die für das Studiendesign Verantwortlichen jedoch aus anderen, reicheren Ländern stammen. Im Mittelpunkt der öffentlichen sowie der überwiegenden fachlichen Diskussion stehen die Fragen, ob und unter welchen Umständen Versuche in Entwicklungs1  Selbstverständlich kann einmal generiertes Wissen weltweit zugänglich und von Nutzen sein. Der unmittelbare Nutzen für die Allgemeinheit bei Arzneimittelversuchen liegt indes in der zeitnahen Vermarktung und Zugänglichmachung von eben diesen Arzneimitteln.

§ 7 Schlussbetrachtung

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ländern „ethisch“ sind. Der Diskurs, der die Zulässigkeiten und Voraussetzungen von Forschung in Entwicklungsländern erörtert, wird durch einige internationale Ethikguidelines bestimmt. Insbesondere die Deklaration von Helsinki des Weltärztebundes kann als Kristallisationspunkt einer Normgenese und „Schlachtfeld“ verschiedener Wertvorstellungen und Interessen erachtet werden. Die Offenheit des Feldes ethische Normen zu formulieren, zeigt sich dabei in dem Hinzutreten weiterer Ethikguidelines, die den Anspruch erheben, die Anforderungen an „die Ethik“ der internationalen Arzneimittelforschung zu bestimmen. Die vorherigen Kapitel haben insbesondere zwei weitere Ethikguidelines erörtert, die besonders sichtbar, prominent und häufig in Gesetzgebung und Literatur zitiert werden. Zusammen bilden sie ein Konvolut an Normen, das nicht selten als internationaler – ethischer – Standard bezeichnet wird. In den vorangegangenen Kapiteln sind aus rechtlicher Perspektive zwei grundsätzliche Fragen erörtert worden: Zum einen, wie die Normen dieser spezifizierten Ethikguidelines rechtlich einzuordnen sind, und zum anderen, wie mit ihnen umzugehen ist. (1) Der globale Sachverhalt erfordert dabei rechtliche Antworten auf internationaler Ebene. Hauptakteure des Völkerrechts sind immer noch die einzelnen souveränen Staaten. Darüber hinaus wird jedoch völkerrechtstheoretisch versucht, all jene Phänomene zu beschreiben, einzuordnen und einzufangen, die nicht-staatliche globale Regulierungsmechanismen für globale Probleme zum Inhalt haben. Wenn keine Regelungen existieren, aber ein Regelungsbedürfnis besteht, wird die Materie meist durch außerrechtliche private oder hybride Normen bestimmt. Klassische Beispiele sind die lex mercatoria oder lex tecnica. Globale Arzneimittelforschung ist ebenfalls ein Bereich, der regelungsbedürftig erscheint, und daher von außerrechtlichen Normen, den bezeichneten Ethikguidelines, beherrscht wird. In der Auseinandersetzung mit diesen Ethikguidelines ist eine Konzeption von öffentlicher Gewalt zugrundegelegt worden, die über die Anordnung und zwangsweise Durchsetzung bindender Rechtsfolgen hinausgeht, insofern sie die Kapazität bezeichnet, einseitig die tatsächliche oder rechtliche Situation Dritter zu gestalten. Die betrachteten Ethikguidelines zeichnen sich dabei dadurch aus, dass sie eine starke bestimmende Wirkung haben, der sich auch staatliche Akteure kaum unkommentiert entziehen können. Sie sind zwar kein positives Recht, wirken aber funktional äquivalent zu Akten internationaler öffentlicher Gewalt. Sie wirken als Vorbilder und Modelle der rechtlichen Normgenese auf internationaler wie nationaler Ebene. Sie ergänzen insbesondere auf nationaler Ebene positives Recht und in manchen Fällen ersetzen sie dieses, insofern in der Administration etwa auf die Ethikguidelines verwiesen wird und damit die Genese von Rechtsnormen verzichtbar scheint. Damit soll anerkannt werden, dass diese Ethikguidelines eine wesentliche normative Wirkung ausüben, wie sie sonst von staatlichen und zwischenstaatlichen Akten ausgeht. Diese Phänomene sind damit nicht nur in den Sphären privater Werte, sondern auch in einem Bereich zu verorten, der vom rechtswissenschaft-

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§ 7 Schlussbetrachtung

lichen Radar erfasst wird. Mit der Feststellung, dass diese Guidelines normative Funktionen in gleicher Weise ausüben, wie sie sonst von legalen Akten legitimierter Normgeber wahrgenommen werden, geht die Notwendigkeit ihrer Legitimation einher. Insofern diese Akte Dritte bestimmen und in ihrer Freiheit einschränken sowie bestimmend für das zwischenstaatliche wie staatliche Recht wirken, sind sie nicht mehr nur als private Akte der Selbstregulierung zu behandeln, sondern in gleicher Weise äquivalenten Legitimationsanforderungen zu unterwerfen. Es ist dargelegt worden, dass die Ethikguidelines unter legitimatorisch defizitären Bedingungen zustandegekommen sind. Die unterschiedlichen Urheberinnen der Guidelines sind auf die Verfolgung von Partikularinteressen ausgerichtet. Insbesondere ist in keinem Fall eine interessengerechte Vertretung derjenigen zu beobachten, die am unmittelbarsten von den Regelungen betroffen sind, d. h. der Versuchspersonen. Darüber hinaus sind die Interessen von Entwicklungsländern durch die Verfahrensstrukturen deutlich unterrepräsentiert. Im Gegenzug sind die Interessen reicher Länder und insbesondere der pharmazeutischen Industrie deutlich vertreten. Aber auch materiell drängen sich bei näherer Betrachtung Fragen auf, die die Fähigkeit der Guidelines zur Lösung spezifischer Probleme, die durch globale klinische Arzneimittelforschung aufgeworfen werden, zumindest anzweifeln lassen. Dies zeigt sich insbesondere in der Zusammenschau der Guidelines. Insofern die Guidelines als Bestandteile eines „globalen ethischen Standards“ erachtet und referenziert werden, werden damit zugrundeliegende Wertungswidersprüche verschleiert. (2) Wie soll demnach das Recht auf diese Entwicklungen reagieren? Forschung an Menschen birgt das inhärente Risiko einer Verobjektivierung der Versuchspersonen und einer Missachtung ihrer Würde und Autonomie und kann mitunter lebensgefährlich oder zumindest gesundheitsgefährdend und integritätsverletzend sein. Die völkerrechtliche Antwort auf solche Bedrohungen der individuellen Person liegt im internationalen Menschenrechtsschutz. Auch wenn die Durchsetzung internationaler Menschenrechte realiter nur zu oft hinter Idealen zurückbleibt, ist festzuhalten, dass es sich um positives Recht mit einer dezidierten Dogmatik, der Potenz der unabhängigen Durchsetzung und einem im Kern universellen Geltungsanspruch handelt. Vor allem gilt für legale, positive Menschenrechte die Vermutung der Legitimität. Die Sorge um Versuchspersonen war seit den Nürnberger Ärzteprozessen nicht zuletzt eine genuine Frage des internationalen Menschenrechtsschutzes, wie er in der Aufarbeitung des Zweiten Weltkrieges entwickelt worden war. Insofern Arzneimittelforschung die Würde, die Autonomie, das Leben, die Gesundheit und Integrität von Versuchspersonen berührt, ist dies nicht allein eine Frage der Ethik, sondern genuiner Gegenstand des Menschenrechtsschutzes. Wegen seiner langwierigen Abstimmungsprozesse zur Erweiterung und Vertiefung des Menschenrechtsschutzes kann er in vielen konkreten Fragen nur einen Mindestschutz bzw. äußere Grenzen aufzeigen. Die langwierigen Abstimmungsprozesse sind jedoch wesentliche legitimierende Elemente. Zwar fällt es derzeit noch schwer, extraterritoriale Pflichten und unmittelbare Pflichten privater Akteure zu begründen; jedoch unterminiert dies die grundsätzliche Geltung und staatliche Verpflichtung nicht. Insofern bisher nur Mindeststandards durch das in-

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ternationale Menschenrechtsregime beschrieben werden und konkrete Fragen der klinischen Forschung ungeregelt bleiben, ist der Rekurs auf Ethikguidelines, die an einen ethischen Diskurs rückgekoppelt sind, sinnvoll und einer Nicht-Regelung vorzuziehen. Was jedoch für das Verhältnis von Ethik und Recht auf nationaler Ebene zu konstatieren ist, muss auch international gelten: Der ethische Diskurs darf nicht die Geltung und Bedeutung der Menschenrechte einschränken.2 Das wesentliche Argument liegt in der schwächeren Legitimität von Handlungsanweisungen aus der Bioethik im Gegensatz zu den internationalen Menschenrechten. Dies ist ein wichtiger Grund, um auf ein Menschenrechtsparadigma hinzuwirken. Hinzu treten praktische Erwägungen. Beide Diskurse mögen es gleichermaßen zum Ziel haben, eine gerechtere und bessere Welt zu normieren, aber nur in einem starken Menschenrechtsrahmen können die schnelllebigen, konjunkturellen Moden des bioethischen Diskurses3 aufgefangen werden und der Missachtung von Normen zum Schutz von Versuchspersonen entgegengewirkt werden. Die Entwicklungen im Völkervertrags- und Gewohnheitsrecht gehen in die Richtung, die Thematik „heimzuholen“ und Forschung an Menschen menschenrechtlich detaillierter und umfassender zu normieren. Die Interdependenzen, die zwischen Ethik und Recht und auch Ethikguidelines und Recht bestehen, sind offenkundig. Sie zeigen sich nicht zuletzt in der Normgenese und unmittelbarer in der Begründung von Völkergewohnheitsrecht. Dies schmälert nicht die Notwendigkeit der Perzeption dieser „ethischen Fragen“ als rechtliche Thematik. Das Desiderat eines Paradigmenwechsels von der „Ethik der Forschung an Menschen“ zu einschlägigen „Menschenrechten in der Forschung an Menschen“ umfasst auch, dass Staaten sich nicht durch eine „Flucht in die Ethik“ ihrer Verpflichtung zur Achtung, Durchsetzung und Weiterentwicklung der Menschenrechte (in der klinischen Arzneimittelforschung) entziehen können. Gesetzgebung, wie sie auf europäischer Ebene besteht, kann sich nicht durch den Verweis und die Inkorporierung „internationaler ethischer Standards“ freizeichnen. Vielmehr ist etwa die Europäische Union gehalten, gemäß ihrem in Art. 3 Abs. 5 EUV genannten Ziel, in ihren Beziehungen zur übrigen Welt ihren Beitrag zur Solidarität und zum Schutz der Menschenrechte zu leisten. Ein starker Menschenrechtsrahmen mit universeller Geltung, der gegebenenfalls extraterritorial durchgesetzt wird, kann wohlmöglich zu einem medizinischen Fortschritt führen, dem kein grundsätzliches Misstrauen durch diejenigen entgegengebracht wird, die seiner am meisten bedürfen. 2  Vöneky, Silja, Recht, Moral und Ethik – Grundlagen und Grenzen demokratischer Legitimation für Ethikgremien, 2010, S. 636 f. 3  Auf dominante Strömungen erfolgen – fast naturgemäß – stets Gegenbewegungen. Derzeit scheint eine Reihe von Autorinnen die „Tyrannei der Autonomie“ zu fürchten und der Autonomie Krankheit zu diagnostizieren. Foster, Charles, Choosing Life, Choosing Death – The Tyranny of Autonomy in Medical Ethics and Law, 2009; Tauber, Alfred I., Sick Autonomy, Perspectives in Biology and Medicine 46 (2003), 484 – 495. Ein Grund liegt möglicherweise in der Angst, die Diskurshoheit zu verlieren. So wird kritisiert, dass die rechtliche Sprache und somit auch rechtliche Konzepte, wie etwa die Autonomie, den Diskurs dominieren.

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Sachwortregister Sachwortregister

Alien Tort Statute (ATS)  305, 332 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte  248 Amerikanische Menschenrechtskonvention  238, 249, 261, 268, 289, 316, 318, 322 Anti-Folterkonvention  249 Anti-Rassismuskonvention  249 Arzneimittelgesetz (AMG)  53, 54, 60, 66, 308 Azidothymidin  69, 88, 90 Banjul-Charta  238, 249, 261, 269, 289 Belmont Report  62, 208 Benefit sharing  92, 94, 111, 176, 199, 224, 294 Bioethik  34, 83, 94, 108, 234, 236, 313, 325, 363, 367 Biomedizinkonvention  134, 234, 239, 256, 262, 271, 275, 277, 282, 288, 294, 301, 319, 357 Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM)  54, 141 Charta der Vereinten Nationen  247, 252 Choice of Control Group and Related Issues in Clinical Trials Guideline  107, 144, 197 Clinical equipoise  73, 89, 90 ClinicalTrials.gov  142 Common rule  56, 61 Commonwealth of Independent States Model Laws on the Protection of Human Rights and Dignity in Biomedical Research  301 Compas  75 Compétence d’exécution  335 Compétence normative  335

Contergan  52, 53 Convention relating to the Status of Refugees  285 Core obligation  245, 293, 294, 297 Corporate citizenship  326 Corporate governance  327 Corporate responsibility  326 Corporate responsibility to respect  330 Corporate social responsibility  314, 323, 330, 334, 363 Council for Coordination of International Medical Congresses  107 Council for Coordination of International Organizations of Medical Sciences (CIOMS)  107, 118, 120, 202, 228 Cross-over  47 Deklaration von Helsinki  58, 59, 62, 63, 64, 67, 69, 103, 111, 112, 116, 132, 147, 161, 166, 189, 192, 194, 198, 200, 208, 229, 230, 232, 234, 257, 301, 303, 307, 310, 328, 365 Deontologie  97 Domaine réservé  344, 348 Europäische Arzneimittelagentur (EMA)  54, 55, 58, 64, 107, 146, 147, 174, 343 Europäische Menschenrechtskonvention  237, 250, 261, 266, 268, 289, 316, 318, 322, 356 Europäischer Gerichtshof (EuGH)  51, 304, 338 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)  268, 313, 350, 356 European Federation of Pharmaceutical Industries and Associations (EFPIA)  106, 179, 180, 185

Sachwortregister FDA Modernization Act  54, 142 Feministische Ethik  98 Food, Drug and Cosmetic Act (FDCA)  52 Forschungsrahmenprogramm  138, 148 Fürsorglichkeitsethik  98 Gemeinschaftskodex  58, 60, 62, 64, 66, 343 Gesellschaftsvertrag  153, 158 Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelrechts  53 Global administrative law  120 Global Compact  325, 330 Global governance  118, 121, 122 Good Clinical Practice Guideline  63, 67, 107, 112, 140, 148, 189, 208, 232, 303, 328 Health Canada  106, 180 Horizont 2020  138 Humanitäres Völkerrecht  267, 345 ICH Guideline Clinical Investigation of Medicinal Products in the Pediatric Population  195 IGH-Statut  308 ILO Konvention Nr. 169  237, 269, 273, 286, 289 Informierte Einwilligung (informed consent)  67, 73, 85, 87, 170, 172, 176, 178, 193, 195, 211, 214, 217, 218, 220, 230, 261, 279, 281, 301, 306, 309, 329 International Centre for Settlement of Investment Disputes Convention, (ICSID)  317 International code of medical ethics  104, 166 International Committee of Medical Journal Editors  137, 142 International Conference on Harmonisation of Technical Requirements for Registration of Pharmaceuticals for Human Use (ICH)  106, 179

389

International Convention on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of Their Families  285 Internationaler Gerichtshof (IGH)  309, 340, 352 International Ethical Guidelines for Biomedical Research Involving Human Subjects  64, 107, 111, 112, 144, 208, 229, 230, 231, 233, 295, 301, 329, 331 International Federation of Pharmaceutical Manufacturers and Associations (IFPMA)  106, 179, 180, 182, 185 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR)  236, 244, 246, 249, 261, 266, 268, 270, 276, 281, 284, 285, 289, 301, 312, 322, 350, 356, 359 Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPWSKR)  236, 242, 245, 249, 251, 261, 269, 273, 277, 285, 291, 298, 301, 322, 352 Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien  284 Japan Pharmaceutical Manufacturers Association (JPMA)  106, 179, 185 Kasuistik  98 Kefauver Drug Amendments Act  53, 133, 303 Konsequentialismus  96, 97 Kontrolle  44, 72, 82, 222 – Add-on  45, 198, 223 – Aktive Kontrolle  46, 65, 176, 221, 231, 233, 288 – Dosisvariation  176 – Early escape  198 – Nicht-Behandlung  46, 90, 93, 221, 288, 298 – Placebo  45, 46, 69, 87, 90, 93, 173, 178, 197, 221, 226, 228, 271, 288, 298 – Randomised withdrawal  199 – Replacement  45, 176, 198 – Wash-out  46, 48

390

Sachwortregister

Konvention gegen Apartheid im Sport  249 Konvention über die Unterbindung und Bestrafung der Verbrechen der Apartheid  249 Konvention zur Unterbindung des Menschenhandels und der Ausnutzung der Prostitution anderer  249 Narrative Ethik  98 Nürnberger Ärzteprozess  34, 103, 132, 255 Nürnberger Kodex  34, 62, 132, 134, 303, 310 Öffentlich Private Partnerschaft 

105, 145

Pan American Health Organization Good Clinical Practices Document of the Americas  301 Pharmaceutical Research and Manufacturers of America (PhRMA)  106, 180, 185 Preußisches Kulturministerium Anweisung an die Vorsteher der Kliniken, Polikliniken und sonstigen Krankenanstalten  132, 310 Principlism  64, 96, 97, 101, 167, 173, 208, 209, 227 Protocol Relating to the Status of Refugees  285 Randomisierung  46, 75, 90, 197, 222, 288, 364 Reichsministerium des Inneren Rundschreiben betreffend Richtlinien für neuartige Heilbehandlung und für die Vornahme wissenschaftlicher Versuche am Menschen  310 Schweizer Bundesverfassung  303 Schweizer Humanforschungsgesetz  308 Soft law  64, 104, 114, 124, 145, 236, 240, 301, 326, 329 Surfaxin  81, 86, 89, 92

Swissmedic  106, 180 Theologische Ethik  98 Tierversuch  29, 41, 42, 73, 169, 258, 260 Trovan  29, 74, 89 Tugendethik  98 Übereinkommen über die Rechte des Kindes (Kinderrechtskonvention)  237, 249, 250, 268, 269, 279, 289 Übereinkommen über die Rechte von Personen mit Behinderungen (Behindertenrechtskonvention)  237, 249, 266, 268, 276, 281, 289 Übereinkommen zur Beseitigung jeder Diskriminierung der Frau (CEDAW)  237, 249, 262, 269, 273, 285, 289, 301 Umweltvölkerrecht  319 UNAIDS Guidance Document on Ethical Consideration in HIV Preventive Vaccine Research  301 UNAIDS/WHO Guidance Document on Ethical Considerations in Biomedical HIV Prevention Trials  136, 149, 301 UN Draft Norms on the Responsibilities of Transnational Corporations and other Business Enterprises with regard to Human Rights  324, 326, 330 UNESCO Declaration on the Human Genome and Human Rights  273 UNESCO Universal Declaration on Bioethics and Human Rights  234, 240, 265, 273, 276, 278, 280, 284, 285, 295, 298, 301, 306, 320 UN Resolution Body of Principles for the Protection of all Persons under any Form of Detention or Imprisonment  284 US Department of Health and Human Services International Compilation of Human Research Protection  102, 120, 302 US Food and Drug Administration (FDA)  56, 61, 67, 106, 133, 144, 148, 179, 303, 344

Sachwortregister US Supreme Court  Utilitarismus  96

51, 305, 333

Verblindung  46, 47, 197, 288, 364 Verordnung über die Anwendung der Guten Klinischen Praxis bei der Durchführung von klinischen Prüfungen mit Arzneimitteln zur Anwendung am Menschen (GCP-VO)  60, 66 Versorgungsstandard (standard of care)  87, 90, 98 Verteilungsgerechtigkeit  34, 70, 92, 110, 135, 146, 176, 199, 202, 224, 231, 294

391

Völkerrechtsgemeinschaft  155 Vulnerable Personen  271, 300

81, 170, 194, 215,

Weltärztebund (WMA)  103, 117, 120, 132, 159, 228 WHO  107, 118, 142, 144, 147, 149, 180, 188, 205, 206, 287, 331 WHO Handbook for Good Clinical Research Practice  301 WHO model list of essential medicines  293, 294, 295