Umkämpftes Grün: Zwischen neoliberaler Stadtentwicklung und Stadtgestaltung von unten 9783839435892

Urban gardens have become indispensable in many cities, while the communal cultivation of vegetables is often considered

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German Pages 268 Year 2017

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Umkämpftes Grün: Zwischen neoliberaler Stadtentwicklung und Stadtgestaltung von unten
 9783839435892

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Theoretische Perspektiven
Gemeinschaftlich gärtnern in der neoliberalen Stadt?
Real existierende Commons: Drei Momente von Raum in Gemeinschaftsgärten in New York City
Recht auf Stadt! Lefebvre, urbaner Aktivismus und kritische Stadtforschung
Forschungsansätze
Der Aufbau einer Strategieplattform: vom Politisieren urbaner Ernährungsbewegungen zu urbaner politischer Agrarökologie
Aktivismus trifft Forschung in Gemeinschaftsgärten Praktische Erfahrungen mit einer fruchtbaren Beziehung
Fallstudien
Zwischen grüner Imageproduktion, partizipativer Politik und Wachstumszwang: urbane Landwirtschaft und Gärten im Kontext neoliberaler Stadtentwicklung in Wien
Der Geschmack am Gärtnern
Gemeinschaftsgärten und freiwillige Umweltarbeit
Gemeinschaftsgärten, Gemeinwohl und Gerechtigkeit im Spiegel lokaler Planungskulturen
Das Politische eines Gemeinschaftsgartens – NeuLand in Köln als Experimentierort für urban commoning?
Autor_innen

Citation preview

Sarah Kumnig, Marit Rosol, Andreas Exner (Hg.) Umkämpftes Grün

Urban Studies

Sarah Kumnig, Marit Rosol, Andreas Exner (Hg.)

Umkämpftes Grün Zwischen neoliberaler Stadtentwicklung und Stadtgestaltung von unten

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2017 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagabbildung: Luise Müller Lektorat: Andrea*s Exner, Raphael Kiczka, Peter A. Krobath Satz: Sonia Garziz, Sarah Kumnig Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-3589-8 PDF-ISBN 978-3-8394-3589-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Vorwort Sarah Kumnig, Marit Rosol und Andrea*s Exner | 7

Theoretische Perspektiven Gemeinschaftlich gärtnern in der neoliberalen Stadt? Marit Rosol | 11 Real existierende Commons: Drei Momente von Raum in Gemeinschaftsgärten in New York City Efrat Eizenberg | 33 Recht auf Stadt! Lefebvre, urbaner Aktivismus und kritische Stadtforschung. Eine Rekonstruktion, Interpretation und Kritik Margaret Haderer | 63

Forschungsansätze Der Aufbau einer Strategieplattform: vom Politisieren urbaner Ernährungsbewegungen zu urbaner politischer Agrarökologie Barbara Van Dyck, Chiara Tornaghi, Severin Halder, Ella von der Haide und Emma Saunders | 81 Aktivismus trifft Forschung in Gemeinschaftsgärten – Praktische Erfahrungen mit einer fruchtbaren Beziehung Severin Halder, Ella von der Haide, Miren Artola und Dörte Martens | 109

Fallstudien Zwischen grüner Imageproduktion, partizipativer Politik und Wachstumszwang: urbane Landwirtschaft und Gärten im Kontext neoliberaler Stadtentwicklung in Wien Sarah Kumnig | 139 Der Geschmack am Gärtnern. Gemeinschaftsgärten und soziale Diversität in Wien Andrea*s Exner und Isabelle Schützenberger | 161 Gemeinschaftsgärten und freiwillige Umweltarbeit. Die Aushandlung von Stellenwert und Bedeutung der Bürger_innen­ beteiligung in der Herstellung von Grünraum Marion Ernwein | 187 Gemeinschaftsgärten, Gemeinwohl und Gerechtigkeit im Spiegel lokaler Planungskulturen Martin Sondermann | 209 Das Politische eines Gemeinschaftsgartens – NeuLand in Köln als Experimentierort für urban commoning? Alexander Follmann und Valérie Viehoff | 233

Autor_innen | 263

Vorwort

Die (Wieder-)Entdeckung urbanen Gärtnerns ist in vielen Städten unübersehbar. Sehr unterschiedliche Akteur_innen beziehen sich dabei sehr positiv auf diese Praktiken: Recht auf Stadt-Aktivist_innen bepflanzen Brachflächen, um Stadt­ gestaltung selbst in die Hand zu nehmen, Ernährungssouveränitäts-Interessierte üben Subsistenz­wirtschaft in Hinterhöfen und Stadtverwaltungen fördern »inter­ kulturelle« Nachbar_innenschaftsgärten. Zudem taucht Urban Gardening auch immer häufiger in Stadtentwicklungsplänen und Smart City Leitbildern sowie in Werbevideos und Imagebroschüren auf. Nicht zuletzt aus diesem Grund kommt ihnen eine Rolle in Aufwertungs- und Privatisierungsprozessen zu. Kollektiven Gemüseanbau in Städten per se als widerständige Praxis und Kritik an einer neo­ liberalen Stadtentwicklung zu beschreiben ist somit zunehmend verkürzt. Grüne urbane Aktivitäten in ihrer Vielfalt und auch dieser Widersprüchlichkeit zu fassen und zu analysieren, war das Vorhaben eines dreijährigen Forschungs­ projekts am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien1. Im Rahmen dessen wurde im Oktober 2015 eine Konferenz zum Thema »Grüne städtische Gemeingüter? Grüne urbane Aktivitäten im öffentlichen Raum – zwischen Aufwertung, Privatisierung, sozial-ökologischer Transformation und Recht auf Stadt« organisiert. Das große Interesse und die zahlreichen Teilnehmer_innen machten deutlich, dass eine Auseinandersetzung mit der widersprüchlichen Rolle von (meist) kollektivem Gemüseanbau in der Stadt dringend notwendig ist. Dieser Sammelband ist ein Ausschnitt der anregenden Diskussionen während des Treffens. 1 Das Projekt „Green Urban Commons. Reconfiguring Public Spaces through Green Urban Commons“ (2013-2016) wurde vom Wiener Wissenschafts- und Technikfonds (WWTF) finanziert. Mehr Infos unter: greenurbancommons.wordpress.com.

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Mit diesem Band soll der wachsenden, oftmals rein deskriptiven und affirmativen Literatur zu städtischen Gartenprojekten etwas entgegengesetzt und diese um eine notwendige kritische Analyse erweitert werden. Der Fokus liegt dabei auf der umkämpften und uneinheitlichen Rolle von grünen urbanen Aktivitäten in der Neo­ liberalisierung des Städtischen. In den einzelnen Beiträgen wird urbanes Gärtnern im Kontext von Kommodifizierung, Aufwertung und Privatisierung städtischer Räume ebenso diskutiert wie im Zusammenhang von Befriedung und Kanalisation poli­ tischer Unzufriedenheit, der Aktivierung unbezahlter ehrenamtlicher Arbeit sowie in Bezug auf Ausschlüsse und Exklusivität innerhalb der Gartenprojekte selbst. Während sich der erste Abschnitt theoretischen und konzeptionellen Fragen zu neoliberaler Stadtentwicklung, Commons und Recht auf Stadt widmet, werden im zweiten Teil die oft nur wenig diskutierten Möglichkeiten, Grenzen und Wider­ sprüchlichkeiten von aktivistischer Forschung und forschendem Aktivismus beleuchtet. Im dritten Abschnitt werden Fallstudien aus dem deutschsprachigen Raum in ihrer Komplexität und in Bezug auf die aufgeworfenen kritisch-theoretischen Fragen analysiert. Insbesondere hier wird auch die Vielfalt gemeinschaftlichen Gärtnerns und ihre emanzipatorischen und transformativen Potenziale sichtbar. Wir hoffen mit diesem Sammelband den Austausch, der bei dem Zusammentreffen in Wien begann, weiterzuführen und anderen zugänglich zu machen, um damit die Debatte zu urbanem Gärtnern und anderen grünen städtischen Aktivitäten solidarisch-kritisch zu bereichern. Ein großes Dankeschön gilt dabei allen Autor_innen, die mit ihren spannenden und wichtigen Beiträgen sowie der guten und solidarischen Zusammenarbeit den Band in dieser Form erst ermöglichten. Ganz herzlich danken wir außerdem Raphael Kiczka und Peter A. Krobath für das Lektorat, Sonia Garziz für das Layout und Luise Müller für die Illustration am Buchcover. Besonderer Dank gilt der anstiftung für ihre finanzielle Unterstützung der Publikation. Nicht zuletzt danken wir allen Freund_innen, die durch ihre Kreativität und ihre kritischen Anmerkungen den Entstehungsprozess begleitet und bereichert haben. Ohne euch gäbe es dieses Buch nicht.

Wien und Calgary im Oktober 2016. Sarah Kumnig, Marit Rosol und Andrea*s Exner

Theoretische Perspektiven

Gemeinschaftlich gärtnern in der neoliberalen Stadt? Marit Rosol Alle Projekte, die sich im Moment in diesem sogenannten Dritten Sektor bewegen, dazu gehören [Gemeinschaftsgärten, Anm. d. A.] ja, bewegen sich auf diesem Grat. Auf diesem ganz schmalen Grat von einerseits gesellschaftlicher Veränderung und andererseits totaler Verein­ nahmung für das System. Frau Bayer/Gemeinschaftsgärtnerin Berlin, Interview Rosol

Einleitung In ihrer äußeren Form und Größe recht unterschiedlich – von Straßenrand- und Brachflächenbegrünung über kleine Nutz- und Ziergärten bis zu parkähnlichen Anlagen – definieren sich Gemeinschaftsgärten v.a. über die gemeinschaftliche Praxis: Sie werden von einer Gruppe von Menschen gemeinsam und freiwillig geschaffen und betrieben. Vor allem in diesem sozialen Sinne unterscheiden sie sich von der stärker individualisierten Form der Kleingärten sowie von kommerziellen Formen urbaner Landwirtschaft, wie sie zumindest an den Rändern der Städte auch heute noch vielfach anzutreffen sind. Gemeinschaftsgärten bieten nicht-­ kommerzielle Treffpunkte und Freizeitbeschäftigungen, sind in stadtökologischer Hinsicht Lebensraum für Tiere und Pflanzen und verbessern das Mikroklima, tragen zur Subsistenz bei, erfüllen pädagogische und therapeutische Zwecke und

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können auch zu Demokratisierung und politischem Engagement über den Garten hinaus beitragen. Gemeinschaftsgärten repräsentieren die Bedürfnisse und Ideen der Aktiven und stehen so für einen „Graswurzelurbanismus, d.h. die aktive und progressive Aneignung urbaner Räume durch die Bewohner_innen. Indem ein öffentliches Gut erzeugt wird, welches nicht nur den direkt Gärtnernden zugutekommt, können Gemeinschaftsgärten gleichzeitig individuellen, kollektiven und gesellschaftlichen Zwecken dienen. Diese vielfältigen sozialen, ökologischen, ökonomischen und auch politischen Potentiale von Gemeinschaftsgärten stehen meist im Zentrum der medialen und auch wissenschaftlichen Aufmerksamkeit. In dem oben genannten Zitat benennt eine Aktivistin aus Berlin jedoch auch die inneren Widersprüche gemeinschaftlichen Gärtnerns und anderer freiraumbezogener Aktivitäten in der Stadt: Auf der einen Seite sind sie durch ihren transformatorischen Anspruch, ihre sub­ kulturellen Ursprünge und die freiwillig geleistete Arbeit gekennzeichnet. Doch genau dies, das Engagement und die ehrenamtliche Arbeit, kann auf der anderen Seite auch als Ressource genutzt werden, mit der die Privatisierung von ehemals staatlich-kommunalen Verantwortungsbereichen abgefedert werden soll. Insofern können Gemeinschaftsgärten auch im Dienste einer neoliberalen Privatisierung staatlicher Infrastrukturen stehen. In diesem einleitenden Beitrag werden städtische Gemeinschaftsgärten in Bezug auf ihre uneindeutige Positionierung zwischen den Polen neoliberaler versus progressiver Stadtpolitiken und urban commoning diskutiert. Ich möchte zeigen, dass städtische Gemeinschaftsgärten weder allein als Ausdruck einer neoliberalen Stadtplanung noch als rein oppositionell verstanden werden können. Stattdessen sollten die verschiedenen Formen und Beispiele für Gemeinschaftsgärten in ihrer unvermeidlichen Widersprüchlichkeit anerkannt werden. Dazu werden im Folgenden in Abschnitt zwei zunächst die Wurzeln der Gemeinschaftsgartenbewegung in den städtischen subkulturellen Bewegungen der 1970er Jahre aufgezeigt. Im dritten Abschnitt werden urbane Gemeinschaftsgärten als Teil einer neoliberalen urban governance seit etwa dem Jahr 2000 diskutiert. Verschiedene Formen der Beziehungen und Verbindungen zwischen urbanem Gärtnern und neoliberaler Governance werden anhand von Beispielen aus Deutschland und den USA, den Orten und Kontexten, mit denen ich selbst am meisten vertraut bin, aufgezeigt. Schließlich wird in Abschnitt vier das progressive Potential anhand der aktuellen Debatten um urban commoning diskutiert. Das Kapitel schließt mit einer kurzen Zusammenfassung sowie Schlussfolgerungen für weitere Forschungen.

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Die Wurzeln von urban gardening in städtischen Oppositionsbewegungen Eine zentrale Wurzel der heutigen Urban-Gardening-Bewegung sind die sub­ kulturellen und umweltbezogenen städtischen sozialen Bewegungen in den 1970er Jahren.1 Dabei spielte New York City eine wichtige Rolle. Hier gründeten Aktivist_innen 1973 in der Lower East Side den Liz Christy Garden (benannt nach einer der Gründer_innen, der Künstlerin Liz Christy), den ersten Gemeinschaftsgarten in NYC. Im gleichen Jahr gründeten sich auch die »Green Guerillas«, eine bis heute existierende überwiegend ehrenamtlich arbeitende Unterstützungsgruppe, welche als »militantpazifistische Selbsthilfeaktion« (Meyer-Renschhausen 2004: 120) ihren Ausgang nahm. Die »Green Guerillas« wurden u.a. dafür bekannt, dass sie in einer symbolischen wie praktischen Intervention sogenannte »Samen­ bomben« über Zäune auf leerstehende Grundstücke warfen, um diese »illegal« und gleichzeitig sichtbar anzueignen. Die Gärten entstanden damals als Antwort auf den Mangel an Grünflächen und auf städtischen Verfall, aber auch auf Armut, Nahrungsmittelmangel und Krimi­nalität. Durch Zwangsversteigerungen infolge von Steuerschulden fielen in den 1970ern – in Zeiten von Fiskalkrise und der Abwanderung der Mittel­ schichten in die Vororte – viele Grundstücke an die Stadt New York. Einige Gebäude auf diesen Grundstücken wurden durch Brandstiftung zerstört, andere durch die Stadt abgerissen (Schmelzkopf 2002). Genau diese dann leerstehenden Grundstücke begannen die Bewohner_innen der Lower East Side zu nutzen (bzw. zu besetzen), von Müll und Schutt zu befreien und in Gärten zu verwandeln – ohne offizielle Genehmigung oder gar staatliche Unterstützung. Mitte der 1980er Jahre gab es bereits 1000 Gemeinschaftsgärten in NYC (Smith/Kurtz 2003). Dieses enorme Wachstum hing damit zusammen, dass aufgrund einer fehlenden zahlungs­kräftigen Nachfrage nach Wohn- und Geschäftsräumen innerstädtische Grundstücke als wertlos betrachtet wurden. Deshalb wurden Gemeinschaftsgärten auf öffentlichen Grundstücken toleriert, legalisiert und seit 1978 sogar durch die städtische Operation Green Thumb in unterschiedlicher Form unterstützt. Dies veränderte sich in den frühen 1990er Jahren, als im Zuge der einsetzenden urban renaissance, d.h. einer Rückwanderung von gutverdienenden Schichten 1 Andere Wurzeln liegen in den war und victory gardens in den USA, welche mit dem Ziel der Nahrungsmittelversorgung der (städtischen) Bevölkerung in Kriegs- und Notzeiten staatlich initiiert und gefördert wurden (Lawson 2005, Pudup 2008), sowie in der deutschen Kleingarten- bzw. Schrebergartenbewegung (Stein 2000).

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und Kapital in die Innenstädte (Porter/Shaw 2009), innerstädtische Grundstücke wieder attraktiv für die profitorientierte Verwertung wurden (Schmelzkopf 2002, 1995; Staeheli/Mitchell/Gibson 2002, Smith/Kurtz 2003, Smith/DeFilippis 1999). Da inzwischen also wieder lukrativ, bot die Stadtregierung unter Bürgermeister Guiliani Mitte der 1990er Jahre mehrere hundert stadteigene Grundstücke zum Verkauf an, welche offiziell als leer bzw. ungenutzt klassifiziert waren, auf denen sich jedoch Gemeinschaftsgärten befanden. Die Gärtnernden reagierten auf diese Privatisierungsabsichten mit massivem Protest und Lobbyarbeit und gründeten u.a. die »NYC Community Gardens Coalition«. Sie protestierten gegen den Verkauf von öffentlichen Gärten und Grundstücken und damit gegen eine neoliberale Stadtentwicklung und einem Verständnis von Stadt als gewinnmaximierendem »Unternehmen«. Im Ergebnis dieser Proteste konnten bis 2002 etwa 500 Gärten erhalten werden, u.a. auch durch privaten Ankauf der Grundstücke (für eine Kritik dieser Lösung siehe Eizenberg 2012b). Auch in West-Berlin entstanden Ende der 1970er/Anfang der 1980er Jahre Gemeinschaftsgärten aus dem Spektrum städtischer Oppositionsbewegungen heraus. So ging z.B. ein immer noch existierender Kinderbauernhof in Berlin­Kreuzberg 1981 aus einer Grundstücksbesetzung direkt neben der Berliner Mauer (daher der Name »Kinderbauernhof Mauerplatz«) und aus der direkten Konfrontation mit Planung und lokaler Politik hervor (Rosol 2010a; 2010b). Eine Gruppe alleinerziehender Mütter machte den Anfang; bald entwickelte sich der Kinderbauernhof zu einem Projekt, welches im ganzen Stadtteil verankert war. Das Anliegen der Gruppe »Aktion Kinderbauernhof Mauerplatz SO 36« war es, im dichtbebauten Kreuzberg einen pädagogisch betreuten grünen Freiraum vor allem für Kinder zu schaffen. Das Projekt stand dabei im größeren Zusammenhang mit der Hausbesetzungsbewegung dieser Zeit und dem Widerstand gegen die städtische »Kahlschlagsanierung«. Die Vertreter_innen des nachbarschaftlich arbeitenden Projekts waren dabei nicht nur sozial und (umwelt)pädagogisch, sondern auch politisch engagiert. Eine Begründerin des Hofes war jahrelang in der Bezirkspolitik aktiv, u.a. als Abgeordnete in der Bezirksverordnetenversammlung. Der Kinderbauernhof ist seitdem ein integraler Bestandteil der Nachbar_innschaft und verstand und versteht sich als Kritik und gelebte Alternative zu einer ver­ fehlten Stadtentwicklungspolitik. Erst Ende 2001 wurde mit dem in der Bezirks­ politik lange umstrittenen Trägerverein »Kinderbauernhof Mauerplatz e.V.« ein Pachtvertrag abgeschlossen. Einige Gärten resultieren also aus langen Kämpfen von Bewohner_innen, welche das Aussehen und die Funktionsweise von städtischen Parks beeinflussen und

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insgesamt »andere Räume« schaffen wollen. Sie unterscheiden sich deshalb im Aussehen, in der Funktion und in den Nutzungsmöglichkeiten von traditio­ nellen Parks. Insofern können sie als Kritik und als realexistierende Alternative sowohl zu traditionellem, durch den Staat bereitgestelltem Grünraum, als auch zu kommerziell betriebenen Parkanlagen und Gärten interpretiert werden. Sie verfolgen damit also eine Dekommodifizierung städtischen Raums (und z.T. auch von Nahrungs­mitteln). Diese Gärten sind städtische Freiräume, welche von den Nutzer_innen selbst und nach ihren Vorstellungen geschaffen wurden. Die Bewohner_innen sind nicht nur Entscheider_innen darüber, wie z.B. ein leeres Grundstück genutzt werden soll, sondern auch verantwortlich für die Schaffung und den Betrieb dieser grünen Freiräume. Sie üben insofern Kontrolle über städtischen Raum aus – mit allerdings gegebenenfalls auch exkludierenden Wirkungen, wie im Weiteren ebenfalls gezeigt wird.

Urban Gardening als Teil neoliberaler Stadtentwicklung Der vorherige Abschnitt zeigte, wie Gemeinschaftsgärten sich autoritär-staatlichen wie auch neoliberalen Entwicklungen widersetzen können. Gleichzeitig können Gemeinschaftsgärten jedoch einer neoliberalen Stadtentwicklung dienen bzw. neoliberal vereinnahmt werden. Im Folgenden identifiziere ich drei aktuelle Formen der Indienstnahme von städtischem Gemeinschaftsgärtnern im Rahmen einer Neoliberalisierung städtischer Politik und zeige einige Beispiele auf. Gentrifizierung und Imagepolitiken Wie eingangs angedeutet, sind Gemeinschaftsgärten in ihrer Widersprüchlichkeit den sich historisch wandelnden Trends und Prozesse der Stadtpolitik unter­worfen. In den postindustriellen Städten des Nordens sind dies u.a. die Zyklen von städtischen Desinvestitionen, Verfall und Vernachlässigung, welche jedoch auch Raum für unkommerzielle Nutzungen bietet, auf der einen Seite, sowie Gentrifizierung, Aufwertung und Verdrängung unprofitabler Nutzungen auf der anderen. Letztere sind mit einer Neuorientierung des lokalen Staates weg von einer Politik des sozialen Ausgleichs hin zu einer Orientierung auf Wettbewerb um Investitionen (Harvey 1989, Mayer 1991) bzw. allgemeiner einer Entwicklung weg vom keynesianischen Wohlfahrtsstaat der 1970er Jahre hin zu neoliberalen Stadtpolitiken von heute verbunden. Im aktuellen Klima eines »Austeritäts-­Urbanismus« haben sich die Kürzungen in den öffentlichen Ausgaben und Privatisierungen von öffentlichen Dienstleistungen, Grundstücken und Infrastrukturen erneut verschärft. Ausgelöst

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bzw. verstärkt durch die Wirtschaftskrise seit 2008 wird der Abbau staatlicher (sozialer) Aufgaben und die Privatisierung öffentlichen Eigentums zunehmend als »fiskalische Notwendigkeit« definiert und legitimiert (Peck 2012: 626). So zeigte die Entwicklung der Gemeinschaftsgärten in New York eindrücklich, dass Gemeinschaftsgärten, welche in den 1970er und 80er Jahren »flourished through a kind of benign neglect by capital accumulation« (Pudup 2008: 1232) sich in umkämpfte Räume verwandeln und in ihrer Existenz bedroht sind, sobald Immobilien­preise im Zuge allgemeiner Gentrifizierungstendenzen und einer urban renaissance wieder steigen. Diese Bedrohung von Gemeinschaftsgärten durch eine neoliberale Stadtentwicklung ist inzwischen recht gut erforscht. Inzwischen – und nicht nur in New York – werden Gemeinschaftsgärten jedoch sowohl von den Kommunen als auch von Projektentwickler_innen zu­ nehmend als neues Instrument für eben jene Stadtentwicklung entdeckt. So sollen Gemeinschaftsgärten und urbane Landwirtschaftsprojekte der Aufwertung und Image­verbesserung dienen und damit auch die Verwertungsmöglichkeiten der jeweiligen und anliegenden Grundstücke verbessern und weitere Investitionen anlocken. So zeigen z.B. Quastel (2009) für Vancouver und Dooling (2009) für Seattle, dass Gentrification und die Vertreibung von Obdachlosen inzwischen oft im Namen von Nachhaltigkeit und grüner Entwicklung stattfinden. Gemeinschaftsgärten spielen dabei durchaus eine wichtige Rolle: So dienen sie z.B. ganz praktisch als Zwischennutzung für Baugrundstücke, während sie gleichzeitig die »grünen« Imagepolitiken und Marketingstrategien von Bauentwicklern untermalen sollen. Gemeinschaftsgärten werden also wie zuvor bereits sub­kulturelle Einrichtungen, Kunstprojekte, Bars und Clubs in profit-orientierte Strategien eingebunden, welche Viertel aufwerten und die Vermarktung von Bauprojekten vorantreiben sollen. Wie Quastel zeigt, werden Gemeinschaftsgärten dabei inzwischen sogar direkt von Projektentwicklern angelegt (Quastel 2009: 694f.). Daraus folgt: Wenn die Unterstützung von Gemeinschaftsgärten (durch die kommunalen Verwaltungen, private Investor_innen und andere) lediglich auf Aufwertung und Verschönerung zielen, ist eine Gentrifizierung regelmäßig die Folge. Daraus ergibt sich eine neue problematische Situation für die Garten­ ­aktivist_innen: Zwar sind Gemeinschaftsgärten nicht die Ursache für oder gar Profiteure von Gentrification (dies bleiben die Grundstücks-, Haus- und Hauseigentümer_innen), und oft genug leiden Aktivist_innen selbst unter steigenden Mietpreisen im Viertel (vgl. u.a. Rosol 2006: 259). Doch wenn Strategien zur Verbesserung der Lebensqualität in Stadtvierteln – wie z.B. die Anlage eines Gemeinschaftsgartens – nicht mit Mechanismen verbunden werden, welche die Verdrängung der ansässigen Bevölkerung verhindern und die Mietpreise

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bezahlbar halten, können selbst alternative Projekte ungewollt zum Motor von Gentrifizierung werden. Insofern besteht die politische Aufgabe heutzutage nicht nur darin, sich für die Unterstützung und die Akzeptanz urbanen Gärtnerns einzusetzen, sondern auch gegen Verdrängungsprozesse. Wie also können sich Aktivist_innen und ihre Unterstützer_innen weiterhin für Gärten einsetzen und sich gleichzeitig einer Gentrification entgegenstellen? Der erste Schritt wäre es, genau diese Zusammenhänge zu thematisieren. Weitergehend sind themen- und ortsübergreifende Koalitionen gegen Verdrängung und für die Schaffung politischer Mechanismen, um eben jene zu verhindern. So engagieren sich z.B. in Oakland, Kalifornien, urbane Landwirtschafts- und »Food Justice«-Gruppen wie »Phat Beets Produce« in politischen Koalitionen mit Wohn- und Anti-Gentri­fi­ cation-Gruppen gegen Gentrification.2 Vereinnahmung ehrenamtlicher Arbeit Zweitens kann auch die Nutzung unbezahlter ehrenamtlicher Arbeit der Gärtnernden als eine Form des Neoliberalismus bezeichnet werden. Peck und Tickell unterscheiden zwischen dem »roll-back« des keynesianischen Wohlfahrtsstaates in den 1980er Jahren und dem »roll-out« neoliberaler Institutionen in den 1990er Jahren, welche sie bereits als Reaktion auf die internen Widersprüche des neo­ liberalen Projekts ansehen (Peck/Tickell 2002). Dieser »roll-out« Neoliberalismus bein­haltet »new state forms, new modes of regulation, new regimes of gover­nance, with the aim of consolidating and managing both marketization and its consequences.« (Peck/Tickell 2007: 33, vgl. auch die Zusammenfassung auf S. 34). Zentral für die Diskussion von Gemeinschaftsgärten ist dabei die zunehmende Bedeutung einer »governance-beyond-the-state« (Swyngedouw 2005), d.h. die zunehmende Partizipation von nichtstaatlichen Akteur_innen in (lokal)staatlichen Entscheidungsprozessen und die Transformation von Rollen, Verantwortlich­keiten und institutionellen Konfigurationen des (lokalen) Staates, der Bürger_innen und Stadtentwicklungspolitiken. In vielen Fällen zielt diese Einbeziehung nichtstaatlicher Akteur_innen weniger auf die partizipativen Rechte der Bürger_innen, sondern auf eine Auslagerung traditioneller staatlicher Verantwortungsbereiche auf zivilgesellschaftliche Organisationen (z.B. Fyfe 2005). Dies wird besonders deutlich bei der Übertragung von Verantwortung für das Dienstleistungsangebot auf den profitorientierten und

2 Vgl. http://www.phatbeetsproduce.org/full-statement-on-gentrification/.

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gemeinnützigen Sektor und auf Ehrenamtliche (Bondi/Laurie 2005, Milligan/ Conradson 2006, Fyfe/Milligan 2003). Die Rolle des Ehrenamts- bzw. des Dritten Sektors besteht dann darin, die Defizite in den Diensten und Sozialleistungen aufzufangen, welche aus den Kürzungen der Hilfen und der Finanzausstattung resultieren (Wolch 1989, 1990). Die zunehmende Einbindung des Dritten Sektors in die Erbringung vormals staatlicher Leistungen wiederum führte zu einer zunehmenden Professionalisierung des Dritten Sektors, die Übernahme von betriebswirtschaftlichen Logiken und einer zunehmenden Konkurrenz zwischen ehrenamtlichen Organisationen zulasten von Kooperationen (Wolch 2006). Mit dem Ruf nach mehr bürgerschaftlichem Engagement und mehr Partizipation wird auch die Verantwortung für städtische Freiflächen verlagert. Somit kann die Nutzung der unbezahlten Arbeit von Gärtnernden als neoliberale Roll out-Strategie bezeichnet werden (Rosol 2012, Ghose/Pettygrove 2014; in Bezug auf urbane Landwirtschaft vgl. McClintock 2014). Oft gehen dabei Roll back und Roll out-Strategien Hand in Hand. In Berlin z.B. schuf der Roll back-Neoliberalismus die Voraussetzungen für diese neuen Formen des Betriebs öffentlicher Grünflächen, denn viele der Gartenprojekte entstanden aufgrund des Rückzugs des lokalen Staates aus der Bereitstellung von (sozialen) Infrastrukturen und aufgrund der Haushaltskrise. Zum einen lagen Flächen brach, weil öffentliche Infrastruktureinrichtungen aufgrund der fehlenden Finanzierung nicht gebaut wurden (konkret: ein öffentlicher Spielplatz, eine Polizeiwache, ein Schulgarten). Zweitens ist das Engagement der Be­wohner_innen auch als Reaktion auf die vernachlässigten Grünflächen zu verstehen, welche aus den Budget­kürzungen resultieren. Insofern sind diese Gärten also eine Antwort auf die Missstände und Kürzungen im Grünflächenbereich und damit eines Roll back-Neoliberalismus. Sie wurden gleichzeitig durch einen Roll out-Neoliberalismus und dessen Förderung von Ehrenamt ermutigt. Allerdings gelingt diese Vereinnahmung der ehrenamtlichen Arbeit nur begrenzt: Im Gegensatz zu anderen Formen des freiwilligen Engagements wie zum Beispiel die dauerhafte Verantwortungsübernahme für bestehende Grünflächen oder der sporadische Freiwilligen-Tag, schaffen die beteiligten Bewohner_innen i.d.R. neue Grünflächen nach ihren eigenen Ideen und Regeln und stellen deshalb i.d.R. auch keine Entlastung für die Grünflächenämter dar (vgl. empirisch für Berlin Rosol 2012). Auch jenseits des Engagements für Grünflächen im engeren Sinne ist eine Verlagerung der Verantwortung für soziale Wohlfahrt auf zivilgesellschaftliche Organisationen wie z.B. Gartengruppen zu erkennen. In ihrer Arbeit zu Gemeinschaftsgärten in Buffalo, NY, beobachtete Knigge (2009) z.B., dass Gemeinschaftsgartenorganisationen auch verschiedene soziale Dienste anbieten, welche über

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diejenigen, die typischerweise mit Gärten assoziiert werden, hinausgehen. Dazu gehören z.B. Angebote für Migrant_innen, Lebensmittelverteilstellen, Hort­ programme, Hausaufgabenbetreuung, Notunterkünfte sowie Kleiderkammern. Sie führt diese ausgeweiteten Aufgabenbereiche von Gemeinschaftsgärten auf die Verlagerung der Verantwortung für die öffentliche Wohlfahrt auf Individuen und die Zivilgesellschaft zurück, welche darüber hinaus insbesondere Frauen, ethnische Minderheiten und Migrant_innen treffe. Sie analysiert Gemeinschaftsgärten deshalb in einem allgemeineren Kontext von staatlicher Restrukturierung und Abbau des Sozialstaates und identifiziert sie als Selbsthilfe, mit denen die verheerenden Effekte neoliberaler Restrukturierung kompensiert werden sollen. Auch Pudup stellt diese Verbindung her und kritisiert, dass »voluntary and third sector initiatives organized around principles of self-improvement and moral responsibility stand in for state sponsored social policies and programs premised on collective responses to social risk« (Pudup 2008: 1229). Regieren über Gemeinschaft und Technologien des Selbst Die Betonung von Ehrenamt und Selbsthilfe auch in Bezug auf städtische Grünflächen wird umso problematischer, wenn zivilgesellschaftliches Engagement exklusiv mit bestimmten gesellschaftlichen Gruppen und Werten verbunden wird. Dies kann exklusive oder sogar »revanchistische« (Smith 1996) Räume befördern. Wenn Gemeinschaftsgärten in einigen Vierteln erlaubt oder sogar forciert werden und in anderen nicht und sie z.B. begrenzt werden auf Zwischen­ nutzungen, kann dies auch als staatliche Strategie zur Aufrechterhaltung von Kontrolle über Raum und die städtische Bevölkerung angesehen werden (Ghose/ Pettygrove 2014; für Berlin vgl. Rosol 2010b). Wenn der lokale Staat im Unter­ schied zu fordistischen Zeiten intensivierte Partizipation in der Gestaltung öffentlicher Grünflächen »erlaubt«, um sich selbst der Arbeit zu entledigen, werden diese Projekte und Räume von bestimmten Gruppen, i.d.R. aus der Mittelschicht, angeeignet, da diese besser ihre Bedürfnisse und Forderungen artikulieren können. Andere Gruppen verlieren hingegen möglicherweise an Einfluss. Ähnlich problematisch sind die zu be­obach­tenden Tendenzen der loka­ len Verwaltungen, die wenigen noch verfügbaren Finanzmittel für diejenigen Grünflächen und Parks einzusetzen, in denen bereits zivilgesellschaftliches Engagement stattfindet. Dies ist als Anerkennung dieses Engagements grund­ sätzlich zu begrüßen. Doch in der Folge verschärft sich die Unterfinanzierung der Gebiete, in denen es dieses Engagement nicht gibt. Und genau dies sind oft die Quartiere mit den größten Bedürfnissen, den größten Mängeln an öffentlicher und privater Infrastruktur und einer Bevölkerung unter starkem ökonomischen

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Druck und Zeitmangel, für welche ehrenamtliches Engagement für die Grün­ flächen im Quartier schlicht nicht möglich ist. Somit liegt das Problem eines zivilgesellschaftlich organisierten kollektiven Konsums nicht nur in der Verlagerung öffentlicher Aufgaben, sondern auch in Veränderungen der Logik des Regierens. Öffentliche Freiflächen, welche von Gemeinschaften von Nachbar_innen geschaffen und betreut werden, führen zu einer bestimmten Form sozialer Kontrolle und sind Teil einer Regierungsweise, genauer eines »governing through community« (Rose 1996). Das bedeutet, dass z.B. die Möglichkeiten von marginalisierten Stadtbewohner_innen, sichtbar zu werden und an politischen Entscheidungsprozessen teilzunehmen »are increasingly defined in terms of their own abilities to govern themselves as a community« (Maskovsky 2006: 77). Diese Regierungsweise kombiniert die politischen Rationalitäten eines neoliberalen Ethos von Selbstverantwortung des Individuums mit dem neokommunitaristischen Ideal von aktiver Bürgerschaft und der Förderung von Gemeinschaftssinn (Rose 1996). Wie Dean betont, ist der neoliberale Fokus auf das sich selbstregierende Individuum keineswegs antithetisch zu der Idee von Gemeinschaft. Wenn die zentrale Rationalität liberalen Denkens die »Freiheit« von »Individuen« ist, in einer Welt, in welcher »there is no such thing as society« (Thatcher 1987), funktioniert die Ausübung dieser Freiheit für verantwortliche und autonome Subjekte in Form von freiwilligen Assoziationen und ehrenamtlicher Arbeit, d.h. in und für die »Gemeinschaft« (Dean 1999: 152). Deshalb kompensiert Gemeinschaft nicht einfach nur das neoliberale Versagen wie oben bereits diskutiert (vgl. auch Mayer 2003; Jessop 2007). Sie ist die notwendige Verbindung von einer Regierung des Selbst mit der Regierung der Bevölkerung und deshalb ein Grundpfeiler neoliberalen Denkens (Rosol 2013). In Bezug auf städtisches Gärtnern beobachtet z.B. Pudup in ihrer Arbeit zu organisierten Gartenprojekten in der San Francisco Bay – welche sich oft in Einrichtungen wie Schulen, Kliniken oder Gefängnissen befinden – einen »rise of gardens […] as spaces in which gardening puts individuals in charge of their own adjustment(s) to economic restructuring and social dislocation through self-help technologies« (Pudup 2008: 1228). Diese Projekte konditionieren also die Teilnehmenden darauf, Veränderungen durch individuelle Anstrengung statt kollektiver Organisierung herbeizuführen. Ihr zufolge basieren diese Projekte auf dem Versprechen, dass »direct contact with nature, through gardening, will transform people who are otherwise poor and socially and culturally marginalized« (Pudup 2008: 1230). Sie interpretiert dies als Form neoliberaler Gouvernementalität (zum Begriff der – neoliberalen – Gouvernementalität ausführlich siehe Rosol/Schipper 2014)

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mit einer Betonung der Technologien des Selbst. Auch Eaton diskutiert lokale Ernährungsprojekte in Ontario, Kanada, als Form von Neokommunitarismus und neoliberaler Politiken (Eaton 2008).

Gemeinschaftsgärtnern als urban commoning »Commons suggest alternative, non-commodified means to fulfil social needs, e.g. to obtain social wealth and to organise social production. Commons are necessarily created and sustained by ›communities‹, i.e. by social networks of mutual aid, solidarity, and practices of human exchange that are not reduced to the market form.« (De Angelis 2003: 1)

Die progressiven Potentiale von Gemeinschaftsgärten werden heutzutage oft als »(green) urban commoning« diskutiert.3 Das wiedererwachte Interesse an Commons kann als Antwort auf Neoliberalisierungsprozesse und der zerstörerischen Effekte, die mit Liberalisierung, Privatisierung und Abbau des Wohlfahrtsstaates einhergehen, angesehen werden. Da zudem die neoliberalen Transformationsprozesse aktiv durch die Nationalstaaten vorangetrieben wurden – indem v.a. die Regulierung der Kapitalakkumulation abgebaut und Privatisierungen ermöglicht und gefördert wurden – wird nach Formen gesucht, welche sozialen Wohlstand und eine soziale Reproduktion außerhalb der dichtotomen Vorstellung von privat (=warenförmig und gewinnorientiert) versus öffentlich (=staatlich) ermöglichen können. Entsprechend reizvoll erscheint der Gedanke von Commons. Die Idee der Commons drückt den Anspruch auf kollektive Rechte und Interessen aus, welche weder warenförmig und mit individuellen Eigentumstiteln verbunden sind noch vom Staat kontrolliert werden (McCarthy 2009: 509). Es ist eine Suche nach alternativen sozialen Beziehungen und Werten. Dabei bestehen Commons keineswegs nur aus materiellen Ressourcen, weshalb auch eine Übersetzung als »Gemein­güter« zu kurz greift. Vielmehr können Commons nicht ohne Gemeinschaften sowie demokratisch ausgehandelte Regeln existieren. Insofern gibt es keine Commons ohne commoning und »the common is not to be construed, therefore, as a particular kind of thing, asset or even social process, but as an unstable and malleable social relation between a particular

3 Vgl. u.a. auch die schwedische Website http://www.urbangreencommons.com.

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self-defined social group and those aspects of its actually existing or yet- to-be-created social and/or physical environment deemed crucial to its life and livelihood« (Harvey 2012: 73).

In einem radikalen Sinne und über eine bloße gemeinsame Verwaltung von Gemeinschaftsgütern (»common-pool-resources«) hinaus, können die urban commons definiert werden als Orte und Prozesse der kollektiven (aber nicht notwendig vollständig frei zugänglichen), kooperativen und nicht-warenförmigen Schaffung, Erhaltung und Veränderung von städtischen Räumen (Chatterton 2010; für eine andere Definition siehe Colding et al. 2013).4 Urban commons versuchen, städtische Politiken und potentiell auch städtische Gesellschaften zu beeinflussen und sich den permanenten Prozessen von Einhegungen und Privatisierungen – bzw. immer neuen Runden von »accumulation by dispossession« (Harvey 2003) – in der neoliberalen Stadt entgegenzustellen. Harvey (2011) und Blackmar (2006) erinnern uns in ihren exzellente Kritiken an Garreth Hardins klassischen Artikel »The Tragedy of the Commons« und seiner weithin akzeptierten Missinter­pretation der Commons-Idee daran, dass das Problem, welches von Hardin identifiziert wird (Bodendegradation und Umweltzerstörung aufgrund von Übernutzung) die Folge von privatem Eigentum und dem Zwang zur Profit­maximierung im Rahmen eines unregulierten Kapitalismus ist. Die reale Tragödie liege im Verlust der Commons und dem Entzug der Existenzgrundlage der Menschen sowie im Eigentums­rechte-Diskurs. In ihrer Arbeit zu Gemeinschaftsgärten in NYC zeigt Eizenberg auf, dass die »manifestations of an alternative political project« (Eizenberg 2012a: 764) der Commons zwar niemals fertig und perfekt sind, nichtsdestotrotz bereits existieren (Eizenberg 2012a: 765; sowie Eizenberg 2017 in diesem Band). Sie müssen aller­dings tagtäglich hergestellt und verhandelt werden, basierend auf Kooperation und Kommunikation (Eizenberg 2012a: 766). Dies bedeutet, sich mit keineswegs trivialen Fragen zu beschäftigen wie z.B.: Sollten bestimmte städtische Räume für Wohnungsbau, Freizeit, Nahrungsmittelproduktion oder als soziale Treffpunkte genutzt werden? Von wem? Von wem nicht, d.h. wer oder welche Nutzungen müssen ggf. auch ausgeschlossen werden, um die urban commons zu schützen? Wie? Nach welchen Regeln wird dies entschieden – und wie können diese Regeln auch verändert werden? Wie können Sanktionen ge-

4 Die Stadt ist natürlich nicht die einzige geographische Maßstabsebene auf welcher Commons gefordert oder debattiert werden (McCarthy 2009), jedoch von besonderem Interesse für dieses Kapitel.

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gen Nutzer_innen, die gegen diese Regeln verstoßen, durchgesetzt werden? Und auch: Auf welche Weise steht dies dann jeweils im Zusammenhang mit anderen geographischen Maßstabsebenen – sowie staatlichen und öffentlichen Gütern? Die Commons müssen permanent bewahrt und geschützt werden, da der Kapitalismus fortwährend versucht, seine Warenlogik auszudehnen und entsprechend alle anderen Räume und Versuche banalisiert, herabsetzt, zerstört und einhegt (Harvey 2011). Die Commons zu schützen und zu bewahren erfordert deshalb z.B. auch die Suche nach rechtlichen Lösungen, um diese Räume, welche weder privat noch öffentlich sind, zu schützen – im Rahmen eines Rechtssystems, welches eben solche Räume und diese Form von sozialen Beziehungen negiert. Eizenberg war eine der Ersten, welche Gemeinschaftsgärten (in NYC) ausführlich als urban commons diskutierte. Dabei bezieht sie sich zunächst auf Karl Linn (1999), welcher den kollektiven Betrieb von Gemeinschaftsgärten und die Möglichkeit der Selbstversorgung als Beleg für ein urban commons anführt. Allerdings geht sie über Linn und sein im Wesentlichen nur materielles Verständnis von Commons als Gemeingut hinaus und entwickelt die Idee der Commons theoretisch weiter. Zu diesem Zweck präsentiert sie eine detaillierte Analyse von Gemeinschaftsgärten in New York und den dort vorzufindenden Praktiken, Erfahrungen, Subjektivierungen, Wissensproduktionen und sozialen Beziehungen. So identifiziert sie u.a. die Verschiebung von einer gärtnerischen Praxis hin zu einem politischen Aktivismus, welche in den 1990er Jahren angesichts der Bedrohung durch die Guiliani-Administration nötig wurde (s.o.). Sie folgert, dass die realexistierenden urban commons Alternativen zu kapitalistischen Verhältnissen und Beziehungen schaffen und befördern können, da sie einen Mechanismus für Umverteilung schaffen, die hegemoniale Ordnung der Organisation und Planung von städtischem Raum sowie die Markt- und Profitlogik, welche den städtischen Raum dominieren, herausfordern. Gemeinschaftsgärten fordern die Logik von Tauschwert und (abstraktem)5 privatem Eigentum heraus, welche die Nutzung und Produktion städtischer Räume bestimmt. Zudem können sie ehemals private und warenförmig organisierte Räume verändern und dekommodifizieren. Und sie können alternative Räume in einem sehr konkreten und doch weitreichenden Lefebvrianischen Sinne eines »Rechts auf Stadt« schaffen (Eizenberg 2012a: 779; zu einer Kritik vgl. Haderer 2017 in diesem Band).6

5 Abstrakt in dem Sinne, dass es nicht vom Eigentümer bzw. der Eigentümerin selbst genutzt wird. 6 Andere Autor_innen sehen z.B. auch die städtische Nahrungsmittelproduktion in Gemeinschaftsgärten als Recht auf Stadt an (Purcell/Tyman 2014).

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Jedoch nicht nur in New York werden Gemeinschaftsgärten als neue urban commons diskutiert. Zum Beispiel möchte auch das Berliner Gemeinschafts­ gartenprojekt »Allmende-Kontor« (Allmende ist das deutsche Wort für Commons, welches historisch die noch nicht eingehegten dörflichen landwirtschaftlichen Nutzflächen in gemeinschaftlichem Eigentum bezeichnet) zu Debatten um alternative Eigentumsregime und der Wiedererschaffung der (urban) commons beitragen (Meyer-Renschhausen 2015). Der Allmende-Kontor wurde 2011 auf dem früheren Flughafen Berlin-Tempelhof gegründet und wird momentan von etwa 500 Gärtnernden betrieben.7 Er dient als wichtiger Vernetzungsort und Knotenpunkt im Gemeinschaftsgärtennetzwerk in Berlin und Deutschland insgesamt. Er sieht sich selbst als Lernort für kollektive Selbstorganisation der urban commons und versucht, »Raum für Alternativen zur Konsum-, Wachstums- und Wegwerfgesellschaft« (Martens/Zacharias/Hehl 2014: 49) zu schaffen (vgl. Allmende-Kontor AG Forschung 2017 in diesem Band). In Köln wurde 2012 der Gemeinschaftsgarten »Neuland« als politisches Projekt auf einer politisch stark umstrittenen Brache gegründet (vgl. Follmann/ Viehoff 2017 in diesem Band). Der Auslöser war zunächst nicht die Idee eines Gartens, sondern der Wunsch, die Nutzung eines bestimmten brachliegenden Grundstücks und die Nutzung des städtischen Raumes insgesamt zu beeinflussen. Ein Garten wurde als Instrument bzw. Medium gewählt, um die Forderung nach einer grüneren und gerechteren Stadt zu vermitteln. So sollten mit neuen Formen von urban commoning und dem Slogan »Recht auf Stadt« experimentiert werden (Follmann/Viehoff 2015). Mit dem Ziel, politisches Bewusstsein zu bilden und zu erweitern und einen neuen Anspruch auf Stadt zu formulieren, bringen das Projekt und gerade auch die gärtnerischen Praktiken eine große Spannweite von Aktivist_innen und Nutzer_innen mit sehr unterschiedlichem Hintergrund zusammen. Das Projekt drückt dabei nicht nur allgemeinen Protest gegen die Neoliberalisierung von urbanen Räumen und Politiken aus, sondern fordert die neoliberalen Logiken, welche die aktuellen Flächennutzungen bestimmen, direkt heraus. Follmann und Viehoff interpretieren Neuland als »an example of an actually existing urban common in-the-making« (Follmann/Viehoff 2015: 1164) und diskutieren auch die Schwierigkeiten, die dies mit sich bringt (z.B. Neuland als offene und inklusive urban commons zu kommunizieren, neoliberale Vereinnahmung und Flächennutzungskonflikte, Neuland als Einhegung), und wie die

7 Http://www.allmende-kontor.de/index.php/gemeinschaftsgarten.html.

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Neuland-Gärtnernden mit diesen Herausforderungen umgehen. Die Autor_innen schlussfolgern, dass auch diese nicht-perfekten und vermutlich für lange Zeit im Entstehen begriffenen urban commons eine Transition hin zu einer demokratischeren Gestaltung von Stadt insgesamt befördern können (ebd.: 1169). Ebenfalls in Deutschland wurde 2012 ein Manifest mit dem Namen »Die Stadt ist unser Garten« von Aktivist_innen der oben genannten zwei und weiteren Gärten als politische Aktion und Intervention in Stadtpolitik initiiert. Es versucht, in Reaktion auf die in Abschnitt 3 diskutierten Tendenzen, die wachsende Gemeinschaftsgartenbewegung politisch zu (re-)positionieren. So definiert das Manifest Gemeinschaftsgärten z.B. als »Gemeingüter, die der zunehmenden Privatisierung und Kommerzialisierung des öffentlichen Raums entgegenwirken«.8 Es kritisiert Politik und Stadtplanung dafür, auf der einen Seite ehrenamtliches Engagement und Gemeinschaftsgärten zu begrüßen, auf der anderen Seite jedoch Politik v.a. an den Verwertungsmöglichkeiten von Flächen auszurichten. Diese zwiespältige Politik resultiere oft in einem prekären rechtlichen Status und einem Mangel an angemessener Perspektive für viele Gemeinschaftsgärten. Die Aktivist_innen kritisieren auch die zunehmende Vereinnahmung von Gemeinschaftsgärten für Werbe- und andere kommerzielle Zwecke durch Unternehmen. Gegen diese Tendenzen proklamieren sie Gemeinschaftsgärtnern als commoning und als »Recht auf Stadt«. Inzwischen (Stand Okt. 2016) haben fast 150 Gartengruppen und einige andere deutsche Organisationen dieses Manifest unterzeichnet. All diese Beispiele zeigen die progressiven und transformativen Potentiale von Gemeinschaftsgärten auf, welche sich den neoliberalen Tendenzen aktueller Stadtpolitiken entgegenstellen können – aber auch die Schwierigkeiten und Widersprüche in diesem Bestreben.

Schlussfolgerungen In diesem Beitrag wurden die widersprüchlichen Politiken vom städtischen gemeinschaftlichen Gärtnern diskutiert. Auf der einen Seite identifizierte ich drei Formen des Zusammenhangs von Gemeinschaftsgärtnern mit Neoliberalisierungsprozessen und wie sie diese gegebenenfalls auch verstärken. Zu diesem Zweck diskutierte ich in Abschnitt 3 Gentrifizierung, die Rolle von ehren­amtlichem

8 Http://urbangardeningmanifest.de.

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Engagement innerhalb neoliberaler städtischer Politiken und schließlich ein Regieren über Gemeinschaft und Technologien des Selbst. Auf der anderen Seite liegen die Wurzeln des Gemeinschaftsgärtnerns in städtischen Oppositionsbewegungen. In den letzten Jahren hat zudem die Diskussion um urban commoning eine große Bedeutung innerhalb der Gemeinschafts­ gartenbewegung erlangt. Dies erlaubt neue Perspektiven auf Urban Gardening und bringt neuen Enthusiasmus, da die Idee der Schaffung von urban commons weit über das eigentliche Gärtnern hinausgeht. Nichtsdestotrotz birgt der Bezug auf die Commons auch einige Fallstricke: So zeigt Blackmar die Wiederbelebung des Begriffs der Commons in den 1960er Jahren auch durch neoliberale Ökonom_innen (neben der Umweltbewegung sowie marxistischen Historiker_innen) sowie die Vereinnahmung des Begriffes durch New-Urbanism-Immobilienentwickler_innen seit den 1990ern auf (Blackmar 2006). Blackmar, ebenso wie McCarthy stellen zudem heraus, dass die Ablehnung des Staates innerhalb der Commons-Bewegung und die Privilegierung von Gemeinschaften für die Organisation sozialer Reproduktion frappierende Ähnlichkeiten mit neoliberalen Ideologien zeigt, die sie ja vorgeblich ablehnen (McCarthy 2009: 511–512, 2005). Insofern müssen auch weiterhin andere Antworten auf den ungezügelten Neoliberalismus gesucht und diskutiert werden, z.B. ein radikales Neudenken und Demokratisieren öffentlicher Eigentumsformen (Cumbers 2012). Was uns diese Beispiele urbanen Gärtnerns nichtsdestotrotz zeigen, ist, dass solcherart Projekte existieren und an Alternativen im Hier und Jetzt arbeiten. Oft sind es nur kleine Projekte, welche aber auf größere Veränderungen zielen, auf die Wiedererlangung einer kollektiven Kontrolle über den städtischen Raum und städtische Politik. Sie sind eine Provokation der Logik des Privateigentums und bieten Raum für nicht-kommerzielle Freizeitaktivitäten sowie für direktes Erlernen von Solidarität und gegenseitiger Hilfe. Zudem können Gemeinschaftsgärten ein Ort von sozialen und politischen Lernprozessen sein. So ermöglicht z.B. der Prozess der kollektiven Schaffung und Erhaltung solcher Gärten die Einübung (basis-) demokratischer Fähigkeiten. Die Besonderheit liegt daran, dass die Praxis des Gärtnerns niedrigschwellige Formen von Lernen durch non-verbale Formen der Kommunikation und Interaktion zwischen sozialen Gruppen ermöglicht. Gemeinschaftsgärten ermöglichen so Begegnungen über soziale und ethnisch-religiöse Grenzen hinweg (für die Beispiele Belfast und Dublin vgl. Corcoran/Kettle 2015) und können Knotenpunkte für Solidarität und wachsendes politisches Bewusstsein werden. Auf diese Weise können sie also auch helfen, Alternativen zu einer neoliberalen Stadtentwicklung denk- und erlebbar zu machen (Rosol 2010b).

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Aufgrund dieser Widersprüchlichkeit argumentiere ich, dass eine universale Frage, ob Gemeinschaftsgärtnern ein Ausdruck einer städtischen Neoliberalisierung oder aber von urban commoning ist, eine falsche Opposition aufmacht. Zumindest kann sie niemals abstrakt beantwortet werden. Das Interessante an Gemeinschaftsgärten ist gerade, dass sie niemals Entweder-oder sind, sondern immer das Potential haben, beides zu sein. Wie Ghose und Pettygrove schreiben, können Gemeinschaftsgärten »simultaneously contest and reinforce local neoliberal policies« (Ghose/Pettygrove 2014: 1092). Auch McClintock schreibt, dass städtische Landwirtschaft (ebenso wie urbanes Gärtnern) »radical and neoliberal at once« (McClintock 2014: 157) sein kann und notwendigerweise ist, denn »contradictory processes of capitalism both create opportunities for urban agriculture and impose obstacles to its expansion« (McClintock 2014: 157, Hervorhebung im Original). Deshalb stimme ich mit McClintock in seiner Forderung überein, den oben genannten Dualismus zu überwinden. Stattdessen, so schlägt er vor, sollten wir uns auf die spezifischen Projekte konzentrieren, um besser zu verstehen, welche Spannungen und Widersprüche dies beinhaltet – auf den verschiedenen Maß­ stabsebenen, also keinesfalls nur auf der lokalen Ebene. Auch ich plädiere für die detaillierte Analyse von sowohl spezifischen Projekten als auch dem allgemeinen Kontext ihrer Aktivitäten. Das bedeutet z.B., die Ziele und Ansprüche, Praktiken und Arbeitsweisen, sowie Reflexionen ihres eigenen Tuns und des Kontextes, in dem sie arbeiten, sowie die Effekte ihres Wirkens auf den verschiedenen Ebenen (z.B. für das alltägliche Leben einiger Bewohner_innen oder den grundsätzlicheren Strukturen städtischer Politik) zu untersuchen. Dies beinhaltet notwendig eine Reflexion des sich historisch verändernden Verhältnisses zum (lokalen) Staat und privatwirtschaftlichen Aktivitäten. Es muss dann also z.B. gefragt werden, inwieweit die Gärten bzw. das Engagement der Gärtnernden der Vergrößerung einer staatlichen Kontrolle oder einem wachsenden Einfluss von wirtschaftlichen Interessen von Unternehmen dienen. Gleichzeitig bleiben jedoch auch Verallgemeinerungen für Fälle mit ähnlichen Kontextbedingungen möglich und wissenschaftliche Aufgabe. McClintock warnt uns auch vor den potentiell kontraproduktiven Effekten einer Kritik an städtischen Garten- bzw. Landwirtschaftsprojekten, ähnlich wie sie im dritten Abschnitt dieses Beitrags dargelegt wurde. Ich halte diese Kritiken dennoch für sehr wichtig, da die Gärten dem sozialen, wirtschaftlichen und institutionellen Kontext nicht entfliehen können. Dabei muss zwar auch anerkannt werden, dass in einigen Fällen, wie z.B. in Griechenland, eine Kritik der neoliberalen Vereinnahmung von ehrenamtlichem Engagement »the level of bare necessity that needs to be covered on the spot [by grassroots-initiatives based on voluntary

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work, Anm.d.A.] and not in some opportune future moment« (Vaiou/Kalandides 2015) nicht ignorieren kann. Aber diese wichtige Feststellung stärkt letztlich mein Argument, dass wir eine sorgfältige und historisch wie geographisch spezifische Analyse der Projekte ebenso wie des Feldes, in dem sie agieren, brauchen. Dies ist aus meiner Sicht die Hauptaufgabe von kritischer und gleichzeitig solidarischer Wissenschaft. Das Wissen und das Bewusstsein um den sozialen, wirtschaftlichen und institutionellen Kontext soll uns helfen, uns kritisch mit dieser Realität auseinandersetzen, mit diesen Widersprüchen im Alltag umzugehen, und so zu einer tatsächlichen Transformation der derzeitig vorherrschenden (neoliberalen) Logik urbaner Prozesse zu gelangen.

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Real existierende Commons: Drei Momente von Raum in Gemeinschaftsgärten in New York City Efrat Eizenberg [...] in jeder Landschaft sind mehrere Artiku­ lationen distinkter Formen des Raums gleich­ zeitig präsent – und diese Artikulationen können mit dem Prozess einer erneuerten Wahrnehmung und der Erinnerung von Räumlichkeiten gegen-­ hegemonialer

kultureller

Praktiken

wieder­

verbunden werden. Keith/Pile 1993: 6

Das neoliberale politische Projekt schreitet kontinuierlich in der Erschaffung eines »real existierenden Neoliberalismus« voran (Brenner/Theodore 2002), wobei es die urbane Umwelt als hauptsächliches Werkzeug seiner Expansion benutzt (Harvey 1989a). Verschiedene Erscheinungsformen einer lokalen unternehmerischen Kultur (Peck/Tickell 2002) sind klar zu diagnostizieren, so etwa die Transition vom Managerialismus zum Unternehmertum im Rahmen urbaner Govern­ance (Harvey 1989b). Im Verlauf dieser urbanen Restrukturierung unter­ stützt die Stadtregierung den privaten Markt, kollaboriert mit ihm oder funktio­ niert andernfalls selbst wie ein privater Markt – mit weitreichenden Folgen für die Bereit­stellung sozialer Dienstleistungen und die Regulierung des öffentlichen Raums (Hackworth 2007). Im Ergebnis haben urbane Zentren weltweit seit den 1970er Jahren eine tiefreichende Erosion öffentlicher Räume erfahren, von Straßen, Parks und Plätzen (Harvey 2006). Diese urbane Restrukturierung, beherrscht von der Hegemonie des Privateigentums (Blomley 2004), resultierte in der Auflösung sozialer und kultureller Texturen lebendiger Nachbar_innen­ schaften, in der

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Enteignung gemeinsamer Ressourcen lokaler Einwohner_innen, die für die Bewältigung ihres Lebens in der Stadt zentral waren, und sogar in der Vertreibung der Einwohner_innen selbst (Hackworth 2007). Solche Prozesse sind allerdings nicht unangefochten geblieben. Dieser Artikel versucht Ausdrucksformen eines alternativen politischen Projekts zu identifi­zieren, indem er real existierende Commons untersucht, die im urbanen Raum entstehen. Folglich überarbeitet und aktualisiert er auch den Begriff der Commons. Diese bestehen in einer Art des Denkens und Handelns in der Welt, in einem Weg, soziale Verhältnisse und Ressourcen zu organisieren. Wie auch der real existierende Neoliberalismus zeigen real existierende Commons multiple Modalitäten, Entwicklungsmechanismen und »vielfältige sozio-­politische Effekte« (Brenner/Theodore 2002: 353). Real existierende Commons sind lebendige Relikte idealer Commons. Sie sind niemals vollständig und perfekt und mögen sogar Kompo­nenten beinhalten, die dem Idealtyp widersprechen. Dennoch: »Alter­nativen existie­ren tatsächlich«, sogar angesichts durch­dringender neo­liberaler Ide­ologie und Praktiken – und sie ebnen den Weg für neue Politiken und eine andere mögliche Welt (De Angelis 2003: 2). Es gibt urbane Systeme, die als real existierende Commons betrachtet werden könnten wie beispielsweise das Kollektiveigentum an Wohnraum für und verwaltet durch arme städtische Gruppen in der Form von Genoss_innenschaften mit limitiertem Anteilskapital (Saegert/Benitez 2005) oder Arbeiter_innenKoop­ erativen, die als eine gemeinsame Ressource für den Lebensunterhalt fungieren (DeFilippis 2004). Dieser Artikel untersucht Gemeinschaftsgärten in New York City als eine weitere Ausdrucksform real existierender urbaner Commons, stellt deren Komponenten dar, reflektiert die Herausforderungen, vor denen sie stehen und die Mechanismen, die ihre Nachhaltigkeit inmitten eines neoliberalen urbanen Raums erhöhen. Gemeinschaftsgärten in New York City sind ein paradigma­tisches Beispiel für gegen-hegemoniale Räume. Sie wurden kollektiv durch die Bewohner_innen der am meisten vernachlässigten Örtlichkeiten hergestellt und erst später ein Ziel kapitalistischer Entwicklung. Diese Versuche, die Gärten einzuhegen, löste eine Gegenreaktion der lokalen Bewohner_innen aus. Um diese Eigen­heiten urbaner Commons zu »entpacken« und zu rekonstruieren, ver­wende ich Henri Lefebvres (1991) kritische Raum­ analyse. Erstens, weil Lefebvres Rahmen­konzept der Produktion von Raum die Untersuchung von urbanem Raum in besonderem Maße unterstützt, dessen Produktion (und nicht nur dessen Konsumtion durch Management und Regulierung) fortwährend und öffentlich verhandelt wird. Und zweitens, weil Lefebvres Projekt, die drei ko-existierenden Momente des Raums zu entpacken, es erlaubt,

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die sozio-politische Praxis in die politische Ökonomie des Raums zu integrieren, und unser Verständnis urbaner Commons differenziert. Der verbleibende Teil der Einleitung präsentiert in Kurzfassung die akade­ mische Debatte zu Commons von den 1950er Jahren bis heute. Dabei bezieht sich die Argumentation auf die zeitgenössische Literatur, die der kapitalistischen Produktionsweise kritisch gegenübersteht, insbesondere auf die Arbeiten von De Angelis (2007) sowie von Hardt und Negri (2009). Der Hauptteil des Artikels – das »Entpacken der Commons« – stellt den analytische Rahmen und den Fall der Gemeinschaftsgärten in New York City. Vor. Er geht dann weiter zu einer Analyse von Gemeinschaftsgärten in Entsprechung zu Lefebvres drei Momenten des Raums. Abschließend verbindet die Schlussfolgerung die Komponenten der real existierenden Commons und formuliert Überlegungen zu ihrer künftigen Herstellung. Der Grundton der Debatte zu Commons in den letzten sechs Jahrzehnten war von einer Konzeptualisierung der Commons bestimmt, wonach diese als Eigentum ohne eine Zuweisung von Rechten und ohne Regulierung gelten, das allen gehört und daher niemandem (Gordon 1954 in Mansfield 2004). Diese Debatte geht allerdings bis auf die Commons in England zurück, die den Lebensunterhalt der landlosen Leibeigenen unterstützten. Schon im 14. Jahrhundert wurden diese Commons als Hindernisse für produktivere Formen der Landwirtschaft kriti­siert (und schließlich im 18. Jahrhundert eingehegt) (Goldman 1997). Ein halbes Jahrtausend später setzt Hardins »Die Tragödie der Commons« (1968) diesen Gedankengang fort und legt nahe, dass sowohl das Bevölkerungswachstum als auch der Antrieb menschlichen Verhaltens – zu Produktivität, Wettbewerbsfähigkeit und zur Maximierung kurzfristiger individueller Gewinne – es verhindern, ein Eigentum von allen und niemandem aufrechtzuerhalten. Dieses Dilemma, so Hardin, könnte durch die Zuweisung von Eigentumsrechten gelöst werden, ent­ weder durch die Nationalisierung oder Privatisierung von gemeinsamen Ressourcen (Hardin 1968). In Antwort auf Hardin meint Monbiot (1994), dass aus der Tragödie der Commons die Tragödie ihres Verschwindens wurde. Tatsächlich eliminiert die Natio­nalisierung oder Privatisierung der Commons (die deren Einhegung nach sich zieht) die komplexen Systeme der Selbstregulation, die von lokalen Gruppen über viele Jahre hinweg aufgebaut wurden, und die nachhaltige Formen einer gemeinsamen Nutzung von Ressourcen entwarfen (Monbiot 1994). In einer Analyse der Geschichte der Neoliberalisierung des Nordpazifik untersucht Mansfield die verschiedenen Mechanismen von Privatisierung und Nationalisierung in der Fischerei und kommt zum Schluss, dass »alle Formen [der Regulierung] die

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Reduktion von Optionen für jene zur Folge haben, die ehemals auf öffentliche Fischgründe angewiesen waren, während sie bestimmten Gruppen eine Form von Reichtum überantworten, der dann für weiteren Gewinn benutzt werden kann« (Mansfield 2004: 323). Das heißt, neoliberale Praktiken der Kommerzialisierung zerstören die Commons (Hardt/Negri 2004) und Praktiken der Einhegung sind noch immer eine Bedingung der Kapitalexpansion (und nicht nur eine historische Voraussetzung für die Entwicklung des Kapitalismus) (De Angelis 2007). Während die einander widersprechenden politischen Ideologien von Kapita­ lismus und Sozialismus beide ein Eigentumsregime vorantreiben, das Raum entweder als öffentlich oder als privat kennzeichnet, sind die Commons keines von beiden (Hardt/Negri 2009). Anstatt »Strategien zur Verbesserung der sozialen und ökologischen Verhältnisse« zu entwerfen, würde eine kritische Debatte der Commons eher die neoliberale Kontrolle über das Wissen untersuchen, das die Funktionsweise der Gesellschaft bestimmt und letztlich »den Bereich dessen, der als Commons definiert wird« (Goldman 1997: 3). Das erfordert, sich von einem Denken abzusetzen, das Commons nur als eine materielle und endliche Ressource betrachtet (entweder frei konsumiert oder zur Abwehr von Übernutzung reguliert). Und es erfordert eine Rekonstruktion des vorherrschenden Modells von Besitz, sodass es multiple und widersprüchliche Möglichkeiten akzentuiert, die in Eigentum eingebettet sind (Blomley 2004). Die Aufgabe steht an, eine neue Sicht auf Commons jenseits der Dichotomie von öffentlich und privat zu entwickeln und soziale, kulturelle und politische Praktiken einzuführen, die neue Möglichkeiten auftun, um die Commons als einen Gegenstand des Denkens zu rekonstituieren (Hardt/Negri 2009). Dann können Commons eine Plattform sein, um einen alternativen Rahmen sozialer Verhältnisse und sozialer Praktiken zu entwerfen und zu entwickeln (De Angelis 2003). Urbane Commons weisen mehrere Kernmerkmale auf. Zuerst einmal werden urbane Commons hergestellt. Zweitens bieten sie eine Reihe von Qualitäten, die für den Lebensunterhalt bedeutsam sind und in deren Hinblick Rechte verhandelt werden: Wohnen, offener Raum, Erholungs- und sozialer Raum, Bewegung im Raum und Kontrolle über den Raum – um nur ein paar davon zu nennen. Drittens erfüllen urbane Commons diese und andere soziale Bedürfnisse in einer nicht kommodifizierten Art. Viertens erfordern sie Gemeinschaften (De Angelis 2003), um sie mit Hilfe von Kollaboration, Kooperation und Kommunikation (Hardt/ Negri 2004) anstelle von Privatinteresse und Konkurrenz zu handhaben. All dies zusammengenommen eröffnet die Möglichkeit, mit Commons »sozialen Reichtum zu generieren und die soziale Produktion zu organisieren« (De Angelis 2003: 6).

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Die Commons entpacken Die Dekonstruktion von Raum – ganz gleich welcher Art – auf seine konstitutiven Elemente hin enthüllt, welche sozialen Verhältnisse, Alltagserfahrungen, materiellen Werte und Kämpfe Raum reproduzieren (Lefebvre 1991). Die folgenden Abschnitte dekonstruieren den Raum von Gemeinschaftsgärten. Damit zeigen sie seine Potentialitäten als real existierendes Commons auf. Lefebvre zufolge (1991) beinhaltet Raum eine Triade aus miteinander verschränkten Elementen: den materiellen Raum – also den tatsächlichen Raum, seine Formen und Objekte; Repräsentationen von Raum – das Wissen über Raum und seine Produktion; und den gelebten Raum – das heißt die emotionale Erfahrung von Raum und die subjektiven Praktiken, die mit dem Raum verbunden sind. Raum ist folglich zugleich eine physische Umwelt, die wahrgenommen werden kann; eine semiotische Abstraktion, die sowohl das allgemeine als auch das wissenschaftliche Wissen informiert; und ein Medium, wodurch der Körper sein Leben in der Interaktion mit anderen Körpern realisiert (Lefebvre 2003). Das Entpacken von Raum ist nicht nur eine intellektuelle, sondern auch eine politische Aufgabe, die sozialen Wandel durch den Raum hindurch unterstützen kann (Lefebvre 1991). Es enthüllt die sozialen Verhältnisse, die Raum produzieren ebenso wie die sozialen Verhältnisse, die dieser produziert und hilft, die Mechanismen zu explizieren, durch die Menschen sich kollektiv organisieren, um urbane Commons herzustellen, zu verwalten und aufrecht zu erhalten. Die folgende Analyse nutzt diese drei Momente von Raum, um die Funktionsweise von Gemeinschaftsgärten zu entziffern und zu einem Bild urbaner Commons zu verweben. Die Literatur zu Gemeinschaftsgärten analysiert diese auf (mindestens) drei verschiedene Arten: erstens als Räume der Auseinandersetzung, als räumliche Verkörperung der Reaktion auf soziale und ökologische Ungerechtigkeiten, die das Voranschreiten der Neoliberalisierung urbanen Raums verursacht (Eizenberg 2008, Staeheli/Mitchell/Gibson 2002); zweitens als kontrollierte Räume, in denen die Gärten und das Gärtnern selbst als Kontrollmechanismen durch kommunale Regierungen und andere Institutionen benutzt werden, um Bürger_innen-Subjekte zu »produzieren« (Pudup 2008); und drittens, als neoliberalisierende Räume, wenn Gärten – eingebettet in einem Paradigma ökologischer Gentrifizierung – unter dem Deckmantel einer Umweltagenda als ein Instrument zur Erzielung finanzieller Gewinne eingesetzt werden (Quastel 2009). Während die Gärten im ersten Fall als Plattform gesehen werden, um Kritik zu formalisieren und auszudrücken, werden sie in den beiden anderen Zugängen als Mechanismus betrachtet, um die Kritik

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an sozialen und ökologischen Ungerechtigkeiten zu unterdrücken und die urbane Neoliberalisierung zu befördern. Unbeschadet der neuen Top-down-Kooptierung des gemeinschaftlichen Gärtnerns sieht dieser Artikel Gemeinschaftsgärten in New York City als Teil eines breiteren Phänomens urbaner Auseinandersetzungen, in denen über den Raum alternative sozio-politische Arrangements ausgedrückt und für sie gekämpft wird. Gemeinschaftsgärten in New York City sind grüne offene Räume, die sich auf städtischen Grundstücken mit ehemaliger Bebauung befinden, die während der Krise der 1970er Jahre aufgegeben und abgerissen wurde. Angesichts einer devastierten Umwelt und der daraus folgenden sozialen und physischen Probleme engagierten sich Gruppen von Anwohnenden in Aufräumarbeiten und kultivierten das Land1. Auf ihrem Höhepunkt Anfang der 1990er Jahre gab es an die tausend Gärten. Heute sind davon etwa 650 übrig, wovon 550 mit der einen oder anderen Art von Schutzstatus2 ausgestattet sind. Dieser Artikel basiert auf einer weiter ausgreifenden Grounded Theory-Forschung zu Gemeinschaftsgärten in New York City, die von der Autorin 2003 bis 2007 durchgeführt worden ist. Die Forschung folgte einer ethnographischen Methodologie mit Tiefeninterviews, zahlreichen Beobachtungen und einer quantitativen Analyse von Daten, die von der Kommune und Organisationen zur Verfügung gestellt wurden.

Der materielle Raum der Commons Lefebvre (1991) bezieht sich auf materiellen Raum als einen tatsächlichen Raum von fixierten, identifizierten und diskreten Einheiten. Es ist dies ein Raum von ­durch seine nicht-kommodifizierten und nicht-kommerzialisierten Qualitäten (Harvey 2006). Es handelt sich um den tatsächlichen Raum eines Gartens mit seinem Boden, den Pflanzen, Tieren und Menschen. Heute beläuft sich dieser materielle Raum in New York City, wie erwähnt, auf etwa 650 Gemeinschaftsgärten. Karl Linn (1999) legt nahe, dass Gemeinschaftsgärten in den USA den Raum der Commons (re)produzieren. Besonders weist er auf jene Gärten hin, die gemeinschaftlich und lokal verwaltet werden und ein gewisses Maß an

1 Für eine ausführliche Geschichte der Gemeinschaftsgärten siehe Francis/Cashdan/ Paxson (1984), Schmelzkopf (1995), Eizenberg (2008). 2 Für detailliertere Informationen zu den verschiedenen Arten von Schutzstatus der Gärten siehe Eizenberg (2008).

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Selbstversorgung für jene ermöglichen, die daran teilnehmen. Linns Darstellung von Gemeinschaftsgärten als Commons betont die Materialität der Commons, das heißt, den tatsächlichen Raum und die tatsächliche Nutzung seiner materiellen Ressourcen wie Land, Luft, gesunde Nahrungsmittel, Gemeinschaft und »bodengebundene Unternehmungen, zum Beispiel kooperative Märkte« (Linn 1999: 43). Liste können wir Erholungs- und kulturelle Einrichtungen hinzufügen. Allerdings lässt Linns Darstellung von Gemeinschaftsgärten als Commons zwei große Komponenten vermissen, die dieser Artikel anspricht: Erstens braucht es einen theoretischen Rahmen, der die Untersuchung anderer real existierender Commons erlaubt. Zweitens erfordert eine Untersuchung der Commons auch, die neue Art von Denken, Praktiken, gelebten Erfahrungen, sozialen Verhältnissen und Subjektivitäten zu überprüfen, die von den Commons bedingt werden. Schon die bloße Idee einer gemeinschaftlichen Hoheit über Raum fordert den gegenwärtigen Alltagsverstand heraus. Aus diesem Grund braucht es einen beinahe ständigen Kampf, neue Konzeptualisierungen und rechtliche Lösungen, um solche Gartenräume zu schützen. Für viele Jahre hatten Gemeinschaftsgärten keinen rechtlichen Status. Sie wurden im Rahmen der Stadtentwicklung als un­ bebaute Grundstücke betrachtet. Der Angriff auf die Gemeinschaftsgärten in New York City seitens der von Giuliani geführten Verwaltung in den späten 1990er Jahren definierte die Gärten unverfroren als irrelevantes Phänomen, das einer vergangenen Ära angehörte und aus diesem Grund beseitigt werden sollte, um den Weg für Fortschritt und Entwicklung freizumachen.3 Wegen eines massiven öffentlichen Aufschreis scheiterte die Verwaltung daran, die Gärten zu zerstören, und drei unterschiedliche Ansätze zum Schutz von Raum vor Privatisierung wurden ins Werk gesetzt. Keiner davon bot eine dauerhafte Lösung, aber alle drei waren Mittel, um den materiellen Raum der Gemeinschaftsgärten in der neo­ liberalen Stadt aufrecht zu erhalten. Im ersten Ansatz wurden 400 Gärten im Rahmen der Abteilung für Parks und Erholung der New Yorker Stadtverwaltung erhalten. Gemäß städtischer Gesetzgebung kann Land unter dieser Rechtshoheit den Status eines Parks nicht ohne einen höchst komplizierten Zulassungsprozess verlieren, der auch eine Intervention seitens der staatlichen Ebene involviert. Wird einem Garten dieser

3 In einer Konfrontation mit Gärtnernden, die gegen Pläne der Versteigerung vieler Gärten protestierten, wandte sich Giuliani mit den folgenden Worten an das Publikum: »Das ist eine freie Marktwirtschaft. Willkommen in der Zeit nach dem Kommunismus« (Shepard/Hayduk 2002: 200).

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Status aberkannt, muss ein Stück Land ähnlicher Größe als Kompensation an­ geboten werden. Ein weiterer Typ von Zusicherung des Erhalts der Gärten ist die informelle Verpflichtung der Kommune auf Basis ihres modus operandi. »Wenn etwas wie eine Ente watschelt und wie eine Ente quakt, dann ist es ein Ente... [die] Verpflichtung seitens der Stadt... ist nur so bedeutsam wie eure Verpflichtung zu gärtnern. Wenn ihr das Gärtnern fortsetzt, schützen wir euren Garten«4, versicherte der stellvertretende Parkbeauftragte den Gärtnernden und befürwortete eine offizielle Gemeinschaftsgartenpolitik. Diese informelle Verpflichtung legt nahe, dass ein Garten solange geschützt wird, als dort eine Gemeinschaft besteht, die ihn erhält. Allerdings macht die Geschichte der Zerstörung von schönen, gut gepflegten Gärten durch die Stadtverwaltung diese Aussage, die politisch nicht verankert ist, fragwürdig. In einem zweiten Typ von Ansatz wurden 67 Gärten von der national tätigen Non-Profit-Organisation Trust for Public Land (TPL) gekauft und als Landstiftungen gesichert. Im Endergebnis eines nun in Gang gekommenen Prozesses werden Mitglieder dieser Gärten zu legalem kollektivem Eigentum am Boden5 berechtigt, so lange die Gärten als inklusive Gemeinschafts­ressource instand gehalten werden. Indem Gärten in Landstiftungen überführt werden, garantiert der TPL, dass Eigentum aus dem Marktsystem herausgenommen wird – allerdings nicht auf Dauer. Die Nachhaltigkeit dieser Lösung hängt von fortlaufender gemeinschaftlicher Partizipation in der Produktion der Gärten als Räume ab, die dem Gemeinwesen dienen. Das von TPL entwickelte Modell von Gemeinschaftsgärten betont die organisatorische Infrastruktur, die benötigt wird, um einen Raum aufrecht zu erhalten: Werden die Gärten zu wenig genutzt und fungieren sie nicht als kollektive Ressource oder werden sie nicht länger gebraucht und von der Gemeinschaft wertgeschätzt, verlieren sie ihren Zweck und ihr Recht auf Erhalt. Dieses Modell ähnelt am meisten dem Ideal der Commons, das einer breiten Vielfalt öffentlicher Zwecke und Bedürfnisse durch gemein­ schaftliche Verwaltungshoheit dient. Darin reflektiert sich auch die Hauptaussage von De Angelis (2007), dass Commons einer Gemeinschaft bedürfen,

4 Jack Linn am 22. April 2006 zu Gärtnernden beim zweiten Jahresforum der Gärtnernden in New York City. 5 TPL arbeitet mit Gärtnernden daran, Gremien von Direktor_innen unabhängiger Landstiftungen zu etablieren, die sich der Bedürfnisse der Gärten in jedem Bezirk annehmen werden.

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den Commoners, die sich im Besitz der Verwaltungshoheit über die Gärten befinden. Damit Commons erfolgreich sind, wird seitens des TPL erklärt, »ist entscheidend, dass es eine Organisation geben wird, die [die Gärten] für das öffentliche Wohl betreiben kann... Gemeinschaftsgärtner_innen werden eine wesentliche Rolle in der Leitung der Organisationen spielen und die Gärten werden zunehmend wichtig für ihre Nachbarschaften werden, indem sie so öffentlich wie möglich sind.« Der dritte Weg, um den materiellen Raum der Gärten aufrechtzuer­halten, wird vom New York Restoration Project (NYRP) eingeschlagen, einer Non-Profit-Organisation, die 59 Gärten gekauft hat, um das Land dem Markt zu entziehen. Anders als der TPL betont das NYRP die Rettung von Land gegen­über der Partizipation der Gemeinschaft und betreibt die Gärten mit einer Vision, sie als dauerhafte und schöne Grünräume instand zu halten. Zu deren Realisierung heuerte das NYRP professionelle Designer_innen an, die jeden der Gärten umgestaltet haben. In manchen wurde die Gemeinschaft danach erfolgreich integriert, aber in vielen Gärten bleibt sie dem Raum entfremdet, der nicht von ihr und nach Maßgabe ihrer Bedürfnisse und Visionen hergestellt wurde und ein bezahltes Belegschaftsmitglied benötigt, um ihn regelmäßig instand zu halten (ähnlich wie in städtischen Parks). Es ist daher schwierig, die Zahl an NYRP-Gärten anzugeben, die man als Beispiele für Commons anstatt als öffentliche Parks betrachten könnte. Obwohl die Organisation diese Räume vor dem Markt schützt, scheitern viele dieser Gärten daran, den Bedürfnissen der Gemeinschaft zu dienen und werden sowohl von vielen Anwohnenden als auch von vielen Aktivist_innen als wenig einladende, elitäre Räume wahrgenommen. Darüber hinaus macht das zentralisierte Management dieser Gemeinschaftsräume durch das NYRP deren fortlaufenden Bestand übermäßig von der Finanzierung durch die Organisation abhängig. Das sind die drei Lösungen, die zwischen 1999 und 2002 erarbeitet wurden, um Gemeinschaftsgärten als gemeinschaftliche Ressourcen in New York City zu schützen und zu sichern. Obwohl jede dieser Lösungen gewisse Vorbehalte inkludiert, die den zukünftigen Status der Gemeinschaftsgärten infrage stellt, fällt keine davon in einem strengen Sinn in die privaten oder öffentlichen Definitionen von urbanem Raum und sie bieten keinen Anlass dafür, alternative Konstellationen urbaner Commons zu überdenken. Diese Ansätze betonen die Koexistenz des lokalen materiellen Raums und eines Kollektivs – einer Gemeinschaft, die den Raum kollektiv instand hält – als zwei Schlüsselkoordinaten, die Gemeinschaftsgärten zu Commons machen.

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Die Intervention der Zivilgesellschaft über Nicht-Regierungs-Organisationen (TPL und NYRP) zum Schutz der Commons spiegelt nicht nur den erodierenden Handlungsspielraum von staatlichen und lokalen Regierungen, öffentlichen Raum angesichts von ökonomischem Druck zur Privatisierung zu schützen, sondern führt zu der Frage, wer über die Macht verfügt, Commons zu kontrollieren und zu definieren (Goldman 1997; siehe auch Eizenbergs Analyse von Gemeinschaftsgärten im Rahmen dieser beiden Organisationen, 2012), wie die verschiedenen Interpretationen der Gärten durch TPL und NYRP beleuchten. Dennoch betonen auf den Raum zentrierte Autor_innen wie Lefebvre und Harvey die Bedeutung des materiellen Raums in der Herausbildung jedweder Alternative, die antritt, die herrschende soziale Struktur zu transformieren. Sie bestehen darauf, dass reale und bedeutungsvolle Alternativen nur infolge eines kollektiven Handelns aufblühen können, das in der Umarbeitung des materiellen Raums verwurzelt ist (Harvey 2006). Die Gärten sind real existierende Räume, sie bestehen im absoluten Raum und in der absoluten Zeit. Die kollektiven Handlungen der Gärtnernden zielen darauf, den materiellen Raum zu schützen und zu kontrollieren. Allerdings reicht es nicht aus, den materiellen Raum zu schützen. Dies muss mit Mechanismen der Kooperation und Kommunikation verbunden werden, die eine Gemeinschaft von Nutzenden aktivieren, alternatives Wissen produzieren und alternative Erfahrungen von Raum ermöglichen. Die beiden anderen Facetten von Raum – die gelebte und die der Repräsentationen – enthüllen die Mechanismen, die nicht nur den materiellen Raum herstellen, sondern auch Bedeutung und Wert seiner Materialität verändern.

Gärten als Kulturträger: der gelebte Raum Der gelebte Raum ist ein Raum, wie er durch Bilder und Symbole erfahren wird, die sich nicht quantifizieren lassen. Es handelt sich um die emotionale Qualität des Raums – emotionale Werte und Bedeutungen, die immateriell sind und dennoch objektiv. Dies ist der Bereich der kollektiven Erinnerungen, kulturellen Symbole und der persönlichen Geschichte (Harvey 2006, Lefebvre 1991). »Als ein Raum von ›Subjekten‹ anstelle von Berechnungen, als ein Raum von Repräsentationen hat er einen Ursprung, und dieser Ursprung ist die Kindheit, mit ihren Härten, ihren Errungenschaften und ihren Mängeln« (Lefebvre 1991: 362). Die gelebte Facette des Raums von Gemeinschaftsgärten findet mehrfachen Ausdruck in Bildern, Erinnerungen, Emotionen, Identität und Alltagspraxis.

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Nachdem die meisten Gärtnernden extern oder intern nach New York City eingewandert sind, werden die Gärten als Symbolisierungen von Landschaften der Kindheit erfahren, die zurück gelassen wurden, zusammen mit verschiedenen, an diese Landschaften der Vergangenheit gebundenen Praktiken, die in den Gärten neu inszeniert werden. In den Gärten wird eine starke Bindung an den Ort und eine starke Identifikation mit der lebenden Umwelt entwickelt ebenso wie ein Sinn von Besitz und Kontrolle darüber (Eizenberg 2010). Der Raum der Gärten ist eine wichtige gemeinschaftliche Ressource, um Bedeutung herzustellen und eine positive emotionale Erfahrung der lebenden Umwelt zu intensivieren. Der am stärksten physisch hervorspringende Aspekt der symbolischen Bedeutung der Gärten ist ihre Konstitution als Kulturträger in der Stadt. Die hegemoniale Kultur drückt sich im Raum durch Mechanismen aus, die Ausdrucksweisen anderer Kulturen marginalisieren. Trotzdem wird der Raum der Gärten neu angeeignet, um diese zum Schweigen gebrachten Kulturen zu zelebrieren. Die meisten der Gärtnernden in New York City definieren sich selbst als Latin@s (die meisten davon stammen aus Puerto Rico) oder als Afro-Amerikaner_innen (der ersten oder zweiten Generation in der Stadt nach Immigration aus dem ländlichen Süden). Weil die Gärten Orte mit sehr lokalem Charakter sind, die von Menschen aus den umgebenden Häuserblocks etabliert werden, erklärt ethnische Segregation – oder was Thabit (2003) als Ghettoisierung6 definiert – den monoethnischen (latin@ oder afro-amerika­ nischen) Charakter vieler Gärten. Gemeinschaftsgärten, die in ethnisch diverseren Nachbar_innenschaften lokalisiert sind, spiegeln diese Diversität in der Zusammensetzung ihrer Mitglieder wider. Eines der Kernmerkmale des Pools an Gemeinschaftsgärten besteht in ihrer Vielfalt. Jeder Garten erlaubt eine einzigartige Erfahrung von Raum mit seinem je eigenen Arrangement, seiner je eigenen Ästhetik, Nutzung, und Farbgebung. Die Möglichkeit einer solchen Vielfalt beruht auf dem Umstand, dass Gärten räumliche Ausdrucksformen einer spezifischen Gruppe darstellen, die keinem formalen Training in Stadtplanung oder Landschaftsarchitektur unterzogen worden ist und die nicht danach strebt, die Prinzipien dieser Disziplinen zu

6 Ghettoisierung verweist auf den Prozess, in dessen Verlauf verschiedene Politiken Minderheiten davon abhalten, in weißen Gemeinschaften zu leben und sie in Gemeinschaften zwingen, die für Minderheiten vorgesehen sind, in denen die Vernachlässigung von Infrastrukturerhalt, Polizeidiensten und Bildung ihre Marginalität reifiziert.

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implementieren. Das erlaubt Gärtnernden ihre Kultur kollektiv zum Ausdruck zu bringen und zu erfahren (anstelle einer privaten Ausdrucksform in den Grenzen des eigenen Haushalts). Und in der Tat: Verschiedene Aspekte von Kultur werden in den Gärten realisiert, und zwar durch eine reiche Erfahrung, die ästhetische und kulinarische Vorlieben ebenso einbezieht wie Rituale, Gebräuche, künstlerische Ausdrucksweisen und soziale Interaktionen. Obwohl sie eine eindrucksvolle Diversität aufweisen, können die Gärten grob in drei Typen eingeteilt werden: in Casita-Gärten, Farm-Gärten und vielfältige Kultur-Gärten. »Casita-Gärten« werden vor allem von Latin@s genutzt und werden durch das Casita versinnbildlicht, wörtlich ein »kleines Haus« im Spanischen, das »traditionelle ländliche Häuser in Puerto Rico imitiert, [deren Design] bis zu den indigenen Tainos zurückverfolgt worden ist... [Es ist] in hellen Farben bemalt, um den Eindruck von Häusern auf der Insel hervorzurufen« (Martinez 2002: 67). Die Casitas werden dazu genutzt, um Nahrungsmittel und Musik­ equipment für kulturelle Feiern aufzubewahren und dienen als ein gemütlicher Ort des Verweilens für die Gärtnernden. Latin@-Gärtner_innen nehmen den Garten im allgemeinen als bedeutsam für die Gemeinschaftsentwicklung wahr und als einen Raum für ein soziales und kulturelles Zusammensein anstelle einer Sicherung von offenem Raum und zivilgesellschaftlicher Landwirtschaft (Saldivar-Tanaka/Krasny 2004). In einigen Casita-Gärten erkannten die Gärtnernden die Stärke des Gartens als eines Raums für die Vermittlung von Kultur und haben ihn offiziell zu einem Kulturzentrum transformiert. Ein Erfolgsbeispiel ist das Rincon Criollo (wörtlich: Kreoleneck) Kulturzentrum in der südlichen Bronx. Ilya, ein Mitglied des Gartens aus der Bronx, beschreibt dies wie folgt: »Jetzt haben wir den Rincon Criollo, der sehr toll ist. Es ist vor allem ein Kultur- und Musikzentrum. Sie haben ihre eigene Bomba und Plena gestärkt, also die Musik und den Tanz Puerto Ricos, die dort draußen aussterben, aber hier ganz lebendig sind. Und Gruppen nutzen das, Leute aus der ganzen Welt haben davon erfahren.«

Das Bemühen, die Musik und den Tanz der Arbeiter_innenklasse Puerto Ricos im Kontext des Casita-Gartens neu zu beleben, wird im NY Latino Journal wort­gewandt erläutert: »Für Menschen aus Puerto Rico, deren Immigrationserfahrung eher eine der Vertreibung als eine der Assimilation gewesen ist, hat uns der Aufbau von Casitas, wie dem in

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Rincon Criollo, ermöglicht, die Kontrolle über unsere unmittelbare Umwelt zu erlangen und in diesem Prozess unser kulturelles Erbe neu zu entdecken und uns damit wieder zu verbinden.«7

Der zweite Gartentyp, die »Farm-Gärten«, sind vor allem von Afro-Amerikaner_innen geprägt und ihr Raum ist überwiegend zum Zweck der Produktion von Lebensmitteln organisiert. Afro-amerikanische Gärtner_innen manifestieren ihre Kultur in der Praxis des Gärtnerns selbst und in dem dadurch möglichen Ausmaß von Selbstversorgung. Die folgende Erzählung eines afro-amerikanischen Gärtners aus Harlem verbindet seinen Familienhintergrund mit der gegenwärtigen Erfahrung des Gartens: »Ich komm aus NJ, dem Gartenstaat schlechthin, und ich hab früher auf Farmen und so gearbeitet. Und wie ich jung war, wie ich aufgewachsen bin, haben meine Eltern immer einen Garten im Hinterhof gehabt und wir hatten einen Weinstock und einen Pfirsichbaum und wir bauen Kohl und Peperoni an und Tomaten. Und meine Mutter hat eine Menge Gemüse und Obst eingelegt, weil sie sind aus dem Süden gekommen, weißt du, also das war wirklich wichtig für sie, eine stabile Gemeinschaft zu haben, die Früchte zu ernten und sie zu lagern. Wir sind zu Selbstversorgern geworden. Sie haben mir ein bisschen was davon mitgegeben.«

In den meisten Fällen sind Farm-Gärten gemeinschaftsorientiert, obwohl in einer etwas anderen Art als die Casita-Gärten. Viele Gärten organisieren mehrmals pro Gartensaison Lebensmittel-Giveaways und Gemeinschaftsessen. Eine andere Form von gemeinschaftlichem Engagement besteht in der wöchentlichen Verteilung von gespendeten Lebensmitteln und Frischprodukten an die Armen der Gemeinschaft. Manche Farm-Gärten organisieren auch gratis Workshops zur Konservierung von Nahrungsmitteln, zum Thema Stricken, zum Basteln von Hüten aus Pappmaché und zu anderen Themen. Den größten Stellenwert hat in Farm- und Casita-Gärten die Kultivierung von Gemüse und Kräutern, die Teil der ethnischen Küche, aber entweder nicht verfügbar oder nicht leistbar sind. Für die afro-amerikanische Küche produzieren die Farm-­ Gärten viele Arten von Blattgemüse wie Kohl und Grünkohl und eine Vielfalt an

7 Carlos Torres, NY Latino Journal (2006), http://nylatinojournal.com/home/culture_ education/ny_region/rincon_criollo_more_than_just_a_little_house_in_the_south_ bronx.html (letzter Zugriff 5.9.2010).

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Mais und Tomaten. Casita-Gärten sind bekannt für ihre scharfen und süßen Peperoni und verschiedene Kräuter. Thomas aus Brooklyn im Osten von New York spricht über diesen Aspekt der Gärten als Träger von Kultur und als Erzieher zur Kultur: »[W]eil es viele Kulturen in dieser Nachbar_innenschaft gibt, pflanzen manche Gärtnernde spezifisch für den persönlichen [Gebrauch] der Leute... so erfahre ich von Dingen wie Kulolo und all diesen verschiedenen Sachen, von denen ich sonst nie etwas gehört hätte, wenn ich... in den Supermarkt gehen würde, um meine Produkte zu bekommen, dann würde ich von all dem nichts wissen.«

Der dritte Typ von Garten, die »vielfältigen Kultur-Gärten«, sind durch eine vor allem weiße Mitgliederstruktur gekennzeichnet und vorwiegend in Regionen lokalisiert, die Aufwertung erfahren haben oder erfahren. Vielfältige Kultur-Gärten stellen üblicherweise eine Mischung aus sozialem Raum und Gartenraum dar und weisen größere Bereiche für Pflanzen auf. Dieser Unterschied ist wahrscheinlich mit dem höheren sozio-ökonomischen Status der Gärtnernden verbunden. Anders als in den beiden anderen Gartentypen ist die Produktion von Lebensmitteln hier weniger eine Notwendigkeit. Vielfältige Kultur-Gärten an der Lower East Side in Manhattan – ein Gebiet, das seit Mitte der 1980er Jahre eine intensive Aufwertung erfahren hat – sind besser mit verschiedenen grünen und Nachbar_innenschaftsorganisationen verbunden, die Gärten unterstützen, als die Casita-Gärten in der gleichen Nachbarschaft. Sie haben daher mehr Ressourcen, um sowohl in die Gartengestaltung als auch in die Zahl und die Art von Events zu investieren, die sie anbieten (Martinez 2002). Wie schon der Name andeutet, präsentieren die Vielfalts-Gärten eine Bandbreite an Kulturen. Viele dieser Kulturen gründen auf einer Sensibilität, die von Umweltbewegtheit bis zum modernen Heidentum reicht (Hassall 2002). Das jährliche Fest zum Earth Day und die halbjährliche Sonnwendfeier, die in diesen Gärten veranstaltet wird, gehören zu den Festlichkeiten, die diese Sensibilitäten zum Ausdruck bringen. Im Veranstaltungskalender dieser Gärten findet man Yoga- und Tai-Chi-Klassen, Vorträge über Natur, vielfältige Musikdarbietungen und Filmvorführungen. Bemerkenswert ist, dass die erste historische Phase des gemeinschaftlichen Gärtnerns in den USA in einem von der Regierung (zuerst 1894 in Detroit) initiierten Armenhilfsprogramm bestanden hat. Im Rahmen eines Designs mit dem Gedanken der kulturellen Assimilation im Hinterkopf diente das Programm in den Augen seiner Proponent_innen als ein Schmelztiegel, in dem neu Immigrierte eine von Arbeitsfleiß gekennzeichnete Haltung übernehmen und

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den amerika­nischen Weg erlernen würden (Bassett 1979, Lawson 2005). Das Programm wurde in weiten Teilen der USA wegen seines finanziellen Erfolgs als »Wohlfahrt-zur-Arbeit«-Programm übernommen, versandete jedoch nach dem Zweiten Weltkrieg (Bassett 1979). Im Gegensatz dazu reflektiert die gegenwärtige Phase der Gemeinschaftsgärten einen zur kulturellen Assimilation gegenläufigen Trend. Während der Mechanismus des Schmelztiegels de facto auf die Einebnung von Unterschieden abzielt und auf die Assimilation in eine hegemoniale Kultur, zelebrieren die Gemeinschaftsgärten in ihrer gegenwärtigen Phase die Erfahrungen der Vergangenheit und beleben kulturelle Praktiken wieder, anstatt sie zu unterdrücken. Gemeinschaftsgärten als Commons bieten eine tägliche und direkte Erfahrung der Multiplizität von Kulturen, als Ausdruck in der physischen Umwelt und den sozialen Praktiken, die der Landschaft der Stadt eingeschrieben sind. Über die Gelegenheit hinaus, unterdrückten Kulturen eine Stimme zu verleihen, gewähren und aktualisieren sie eine gelebte Erfahrung von Raum, die Vielfalt, das Feiern, ästhetische Ausdrucksweisen, Bindung und Zugehörigkeit sowie die Verbindung mit einer kollektiven und individuellen Geschichte betont. In der Perspektive des gelebten Raums betrachtet, unterstützen die Gärten die fortlaufende Herstellung einer Gemeinschaft von Anwohnenden und gewähren eine alternative gelebte Erfahrung innerhalb einer modernen urbanen Umwelt. Durch die Integration histo­ rischer und kultureller Erfahrungen in den Alltag baut diese gelebte Erfahrung die Entfremdung der physischen und sozialen Umwelten der Stadt ab8.

Neuer Rahmen, neuer Diskurs: die Repräsentationen von Raum Die Repräsentationen von Raum sind vom Blick abhängig, vom »Bezugsrahmen der Beobachtenden« (Harvey 2006: 122). Dabei handelt es sich um die abstrakten Wahrnehmungen von Raum, die bestimmt werden von oder im Verhältnis stehen

8 Lefebvres »Kritik des Alltagslebens« (Lefebvre 2002) zufolge wird die Reintegration sozio-kultureller Veranstaltungen in das Alltagsleben eine Dekolonisierung und einen Abbau der Entfremdung des Alltagslebens mit sich bringen. In der Sicht von Lefebvre muss jede Transformation des vorherrschenden sozialen Systems mit dem Abbau der Entfremdung des Alltagslebens beginnen und mit der Konstituierung einer alternativen gelebten Erfahrung, die vom Gebrauchswert bestimmt wird (mehr als vom Tauschwert).

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zu den Werkzeugen und Rahmengebungen, die dazu verwendet werden, um sie zu formulieren. Repräsentationen von Raum gehören mehrheitlich zum Bereich des Wissens (savoir)9, worin das Verstehen mit Ideologie und Macht verwoben ist (Lefebvre 1991). Harvey (2006) zufolge schreitet der Kapitalismus voran, indem er die Art unserer Wahrnehmung von Raum beeinflusst (als Ware) und dessen Materialität verändert. Neoliberale Repräsentationen von Raum werden durch den wissenschaftlichen Blick der Planenden, Ingenieur_innen und Stadtentwickler_innen hergestellt. Diese Repräsentationen drehen sich um den Tauschwert von Raum – seine quantifizierbaren und für die Warenform geeigneten Qualitäten (Harvey 2006, Lefebvre 1991). Repräsentationen von Raum sind Resultat kognitiver Akte, von Schemata, Ideen und Verständnissen, die einen Wissensbestand in formeller (über Bildung) oder informeller Weise (über Kultur/Medien, Alltagsverstand) herausbilden. Vygotsky folgend (1978) verstehe ich die Produktion von Wissen in Gemeinschaftsgärten als eine soziale Aktivität, die sowohl Lernen als auch die Mitteilung von Ideen über die Welt umfasst. Die Repräsentationen der Gärten folgen keiner neoliberalen Rationalität. Sie entwickeln sich im selben Maße wie die Gärt­ nernden lernen »einander zu sehen, ihre Gefühle auszutauschen, ihre Werte, Kate­ gorien, Erinnerungen, Hoffnungen und Beobachtungen, während sie mit ihren alltäglichen Angelegenheiten beschäftigt sind« (Lynch 1976 in Pile 1996: 24). Die Gärten sind Orte, an denen lokales Wissen (Sandercock 1998), das Wissen einer Multiplizität von Gruppen, das einzigartig ist für sie und im alltäglichen Kontext ihrer Lebensführung erzeugt wird, an die Oberfläche tritt, bewusst wird und eine Stimme findet. Es gibt verschiedene Wege, auf denen der Austausch von Erinnerungen, Werten, Gefühlen und alltäglichen Praktiken es in den Gemeinschaftsgärten erlaubt, dass sich Wissen unter denen, die es produzieren, entwickelt, dass es einsickert und sich tief verwurzelt. Manche dieser Mechanismen sind formeller Natur, während andere informell und spontan sind. Dieses Wissen ist praktisch und basiert auf spezifischen Fähigkeiten ebenso wie es diskursiv ist und abstrakt. Aus der

9 Lefebvre unterscheidet zwei Typen von Wissen: savoir, das hegemoniale Wissen, das von der Hegemonialmacht benutzt wird, um ihren Status zu erhalten, und connaissance, ein kritisches und subversives Wissen, »das sich weigert, die Macht anzuerkennen« (Lefebvre 1991: 10).

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reichen und vielfältigen Palette von neuen Repräsentationen von Raum, die sich in Gemeinschaftsgärten entwickeln, wird dieser Artikel auf zwei Beispiele fokussieren: die Entwicklung praktischer Fähigkeiten und die Erzeugung alter­ nativer Repräsentationen von Gemeinschaft und des Urbanen. Sowohl praktische als auch diskursive Wissensbestände dienen als wichtige kollektive Ressourcen für die Gärtnernden und beide, wie wir sehen werden, sind wesentlich für die Reproduktion von Raum als Commons.

Praktisches Wissen: Das Know-how der Produktion von Raum Die Produktion praktischen Wissens wird auf formellem Wege durch die Gärtnernden in den Gemeinschaftsgärten orchestriert. Dies inkludiert kostenlose Workshops, Vorträge, Abendprogramme und Sommercamps. Beispielsweise zeigt eine Um­frage auf Basis von eigenen Angaben in 114 Gärten im Jahr 2007, dass 42% aller Gärten mit Schulen in der Nachbar_innenschaft arbeiten, wo sie Schü­ler_innen über Pflanzen, Tiere und das Gärtnern unterrichten. Manche Gärten sind in nachhaltige Ernährungsprogramme involviert, in denen jungen Menschen Wissen zu lokal produziertem Frischobst und -gemüse vermittelt wird. Andere wiederum haben Programme für Frauen und Jugendliche, mit denen sie Umweltbewusstsein und die Ermächtigung der Nachbar_innenschaft fördern und gewisse Fähigkeiten vermitteln, um deren Kompetenz im Umgang mit der urbanen Umwelt zu erhöhen. Gleichzeitig bieten diese Programme ein alternatives Set an Repräsentationen. Das beginnt beim Hinterfragen der bestehenden Repräsentationen und geht weiter bis zum Überdenken von Platz und Rolle von Gärten in der urbanen Umwelt. Zusätzlich zum Angebot an formalen Unterrichtsprogrammen bilden die Gärten auch eine informelle urbane Ressource des Lernens. Sie dienen als ein Forum für eine Bandbreite an spontanem Lernen, das durch die fortwährende Interaktion mit Natur und den Menschen, die sie pflegen, erleichtert wird. Ein Beispiel sind die »Spiel-Gärten«, wo Kinder natürliche Elemente (wie Sand, Wasser, Zweige) in ihr Spiel aufnehmen können, während sie mit Leuten verschiedenen Alters interagieren, die im Garten arbeiten – eine Alternative zum abgeschlossenen, auf eine einzige Altersgruppe hin ausgerichteten und versperrten Spielplatz (Hart 2002). Auf einer subtileren Ebene findet auch eine spontane Produktion und Teilhabe an Wissen in den täglichen ungeplanten Interaktionen im Garten statt. Edie Stone, eine geschäftsführende Direktorin von Green Thumb, gibt ein Beispiel:

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»...durch ihr Engagement im Garten lernen [die Gärtnernden] eine Menge an Fähigkeiten, die sie in die Welt außerhalb des Gartens übersetzen können. Eine Menge neuer Gärtnernder sind aus Mexiko und sie sprechen kein Englisch und sie kommen in Kontakt mit älteren Gärtnernden und die älteren Gärtnernden erledigen am Ende eine Menge Dinge für sie. Sie übersetzen Rechnungen und sagen ihnen, was sie tun sollen. Es ist eine Art Weg, ein wirklich guter Weg, um Leute miteinander in Kontakt zu bringen auf eine Art, die, wie ich denke, wirklich wichtig ist... Menschen zusammenzubringen für ein Treffen, das ist großartig, sie hatten eine super Zeit, aber wird sie danach auch noch etwas verbinden?«

Stone spricht dabei die drei wesentlichen Potentialitäten von Räumen wie Gemeinschaftsgärten an: das vielfältige Kollektiv, das kooperiert und kommuniziert, um eine kollektive Ressource herzustellen in einem alltäglichen Rahmen. Der relative Mangel an Räumen, die sicher und offen genug sind für ein solches spontanes Lernen und das Teilen von Fähigkeiten und Wissen, unterstreicht den einzigartigen Beitrag von Gemeinschaftsgärten. Über das praktische Wissen hinaus treibt die kollektive Produktion von Raum die Entwicklung eines sozio-räumlichen Blicks der Anwohnenden voran, der einem konzeptionellen Rahmen für die Betrachtung von Raum und seinen Nutzer_innen gleichkommt. Der Raum der Commons erlaubt eine alternative Erfahrung des alltäglichen Lebens, die mit der herrschenden Erfahrung kollidiert. Als Ergebnis entwickelt sich ein neues Bewusstsein. Vor dem Hintergrund der größeren Dimension alternativer Repräsentationen von Gärtnernden in New York City10 gibt dieser Artikel einen kurzen Überblick über ein bestimmtes analytisches Feld: Gemeinschaft und urbane politische Ökonomie. Dieses Feld zeigt die Vision der Gärtnernden in Hinblick auf die Arten sozialer Verhältnisse und räumlicher Praktiken, die sie in ihrem Leben in der Stadt gern zur Geltung bringen würden – alternative Visionen, die Bauelemente von Commons darstellen.

Neue Repräsentationen von Gemeinschaft und des Urbanen Neues Wissen und ein neues Verständnis hinsichtlich der Bedeutung und der Zweckmäßigkeit von Gemeinschaft sind im Diskurs der Gärtnernden offensichtlich. Die

10 Siehe Eizenberg (2008, Kapitel 5) für eine genaue Analyse der Repräsentationen von Raum, die auch Themen der ökologischen Nachhaltigkeit und der Konstruktion von Klasse beinhaltet.

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Gärtnernden erkennen den Beitrag der Gärten zur Sicherheit und Verschönerung der Nachbar_innenschaften und für den sozialen Zusammenhalt und das Sozialkapital der Gemeinschaften (wie die Forschung in der Tat gezeigt hat, siehe beispielsweise Hancock 2001; Kingsley/Townsend 2006; Schmelzkopf 1995). Aber darüber hinaus entwickeln die Gärtnernden neue Repräsentationen von Raum, die darauf beruhen, die Begriffe von Nachbar_innenschaften, Gemeinschaften und Stadt kritisch zu untersuchen und ihre ungerechte und ungleiche Entwicklung zu enthüllen. Claudia aus Harlem spielt auf kritische Ideen zu Gemeinschaft und urbanem Leben an wie etwa die von Jane Jacobs (1961), wenn sie feststellt: »Nachbarschaften, die Gärten haben, sind sicher, weil es mehr Augen auf der Straße gibt.« Mike aus East Village vergleicht die Gärten mit anderen öffentlichen Räumen in der Nachbarschaft und legt nahe, dass die Gärten einen einzigartigen Raum bieten, der sonst nirgends existiert: »Dieser Garten... bietet einen wirklich interaktiven öffentlichen Raum. Er ist nicht nur ein Gemeinschaftsgarten in dem Sinn, dass die Mitglieder herkommen und ihre kleinen Parzellen begärtnern, ihre Barbecues machen und ihre Treffen und die ganzen sozialen Events. Die sind wirklich wichtig, besonders in einer Nachbarschaft wie der hier, weil es gibt nicht viele Möglichkeiten dafür. Wir neigen zu einem richtig introvertierten Lebensstil inzwischen... Ich kannte niemanden in meinem Haus, wie ich in den Garten eingestiegen bin und ich hab sicherlich niemanden im näheren Umkreis gekannt. Also das ist das eine, aber diese öffentliche Arena für Performance und das Zusammentreffen zu haben ist, denke ich, unglaublich wertvoll und das passiert woanders nicht.«

Die Gärten bieten eine bestimmte Erfahrung, die im modernen Leben der Stadt erodiert ist – eine Erfahrung, die durch die Bedeutung des Hyperspace, der Arbeit und der gut in Szene gesetzten Spektakel überrannt worden ist. Die Beschreibung von Mike sollte nicht als ein nostalgisches Verlangen nach vergangenen Tagen betrachtet werden. Er beschreibt vielmehr Erfahrungen, die zugleich mit den herrschenden stattfinden. Die Gärten verhandeln diese Herrschaft von Erfahr­ ungen, indem sie die alternative Alltagspraxis einer starken und unterstützenden Gemeinschaft voranbringen. Ilya aus der Bronx denkt im Paradigma der partizipativen und organisch gewachsenen Gemeinschaft, wenn er die Stärke der Gemeinschaftsgärten in seiner Nachbarschaft erläutert:

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»[Der] Garten tut das ganz natürlich. Er wächst, Menschen pflanzen was, wir haben Skulpturen, wir haben Performances, Kinder wachsen darin auf. Das heißt, er ist all die Menschen, die die Gemeinschaft bilden, wenn sie ihre Vision teilen von dem, woran sie glauben und was sie wollen... also wie das passiert ist und diese Gemeinschaften aufkamen, da kam eine Gemeinschaft von starken, nährenden Menschen auf.«

Bell, aktiv in einem Garten und von der Lower East Side, erklärt, was Menschen verbindet und sie als eine Gemeinschaft definiert: »...hier interagierst du mit den Leuten und es gibt viele Leute mit vielen verschiedenen Persönlichkeiten, es ist wirklich eine Nachbarschafts-Gemeinschaft, und es sind alle in einem gemeinsamen Bemühen und weil jeder sich um etwas kümmert, das größer ist, als er selbst, geht’s da nicht nur darum, ein Beet zu haben und ein paar Sachen anzubauen, weißt du, sondern es geht wirklich darum, etwas Schönes zu machen für die ganze Gemeinschaft und das mit der ganzen Gemeinschaft zu teilen.«

Diese Diskussion präsentiert eine alternative Vision von Gemeinschaft und beinhaltet eine Kritik der Bedingungen von Gemeinschaft in der neoliberalen Stadt von heute. Dieser neuen Bedeutung entsprechend bilden sie eine Gemeinschaft nicht, weil sie eine gemeinsame Eigenschaft miteinander teilen würden wie beispielsweise Lebensraum, Glaube oder Beruf. Sie sind vielmehr eine Gemeinschaft, weil sie kooperieren, kollaborieren und kommunizieren in Hinblick auf Nutzung, Produktion und Instandhaltung einer gemeinsamen Ressource (De Angelis 2003). Anstatt die vorherrschende Modalität der Konkurrenz und des Eigeninteresses zu akzeptieren, das unweigerlich zur Atomisierung führt und die Essenz von Gemeinschaft aushöhlt, fördern die Gärtnernden eine neue Modalität und Definition von Gemeinschaft, die ihren sozialen Zusammenhalt erhöht, das Ausmaß an Autonomie und die Intensität der sozialen Bindungen. Gemäß dieser neuen Repräsentationen von Raum sind die Herstellung von Raum und die Definition von Gemeinschaft eng miteinander verschränkt. Die Gemeinschaft ist nicht eine Gruppe von Leuten, die eine dafür ausgewiesene Umwelt belegt und in ihr entsprechend ihres festgelegten Zwecks operiert (wie etwa Clubs, religiöse Institutionen oder Parks) oder sogar gewisse widerständige Praktiken gegenüber dieser Umwelt vollzieht (im Sinn von De Certeau 1988). Vielmehr ist das eine Gruppe, die an der Produktion ihrer eigenen materiellen Umwelt partizipiert nach Maßgabe ihrer eigenen Kultur und Geschichte, ihres eigenen Begehrens und ihrer Vision und die aus diesem Grund als eine Gemeinschaft konstruiert wird.

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Ein großer Teil des Wissens über die politische Ökonomie der Stadt wird produziert und zirkuliert aufgrund des Kampfes, der seit 1999 andauert, um die Gärten zu erhalten. Neue Repräsentationen von Raum wurden von Gartengruppen produziert und von Koalitionen von Gärten, die bei Treffen von Gemeinschaftsgremien für ihren Erhalt stritten, Unterstützung seitens der Gemeinschaft und von Politiker_innen mobilisierten, mit Anwält_innen arbeiteten, um Gerichts­ entscheide anzufechten und sich in Proteste, Kundgebungen und Demonstra­ tionen einbrachten. Ein neuer Bestand an Wissen tritt in Erscheinung, wenn die Gärtnernden ihre eigene Position innerhalb der Machtstruktur der Stadt und der Prozesse ihrer (ungleichen) Entwicklung erkennen.11 Billy aus Brooklyn erläutert diese Erkenntnis sarkastisch: »Was ist mit der Idee des Grünraums passiert? Warum sollen die Gemeinschaftsgärten weg, wenn der Stadt die Flächen gehören? Weil es arme Nachbarschaften sind, die verdienen keine Parks [lacht]. Das ist es, was Giuliani im Grunde sagt, wenn er die Gemeinschaftsgärten wegnimmt, ›diese Nachbarschaften verdienen keinen Grünraum, sie verdienen Bruchbuden und noch mehr Bruchbuden‹.«

Die Gärtnernden erkennen, dass ihre Nachbar_innenschaften übermäßig dicht bebaut sind, über den geringsten offenen Raum pro Kopf in der Stadt verfügen und weniger öffentliche Einrichtungen haben als die besseren Nachbar_innenschaften. Sie erkennen, dass sie trotz ihres Beitrags für ihre Nachbar_innenschaften von der Kommune als Bedrohung empfunden werden. Außerdem haben sie gelernt, dass öffentliche oder private Investitionen nicht dazu dienen, ihre Lebensbedingungen zu verbessern, sondern dass diese sie in Wahrheit weiter marginalisieren. Die Gärtnernden protestieren gegen die Über-Ghettoisierung ihrer Nachbar_innenschaften, die aus der Errichtung von öffentlichen und altengerechten Wohnungen und Rehabilitationszentren resultiert (von denen eine große Zahl in ihren Nachbar_innenschaften existiert), gegen den Mangel an Lebensmittelgeschäften, Schulen und Parks und gegen die von der Kommune befeuerte Aufwertung und die lokale Wachstumsmaschine, die ihre Gärten und sie selbst mit Vertreibung bedroht.

11 Laclau und Mouffe (2001) bestimmen den Antagonismus als einen ersten Schritt in Richtung auf Bewusstsein und die Artikulation von Bedürfnissen und Forderungen.

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Claude von den Green Guerillas12 spricht über diese Wissensproduktion als einen Prozess des »Verlusts von Naivität«, durch den die Gärtnernden die wirklichen Mechanismen erkennen, die den politischen Strukturen zugrunde liegen: »Ich denke, diese Gärtnernden sind ganz schön schlau und die wissen auch, dass [die] Park [Abteilung] eine Art öffentlicher Ausfertigung von Dokumenten arrangieren könnte und sie ihnen zurückgeben könnte [für ihre Entwicklung].« Jemand aus dem Umweltrat von New York City mit Repräsentationsfunktion bezieht sich darauf als »kollektive Weisheit«, die für die Zukunft der Gärten entscheidend sei: »...auch wir haben diese ganze Erfahrung des Kampfes, den wir in den Jahren mit Giuliani geführt haben, sodass die Leute wissen, was zu tun ist... Ich denke, dass es genug kollektive Weisheit und kollektives Wissen und kollektive Erfahrung der Gärtnernden selbst gibt und all der für mehr Grün engagierten Gruppen und der Leute, die Gemeinschaftsgärten über die Jahre finanziell unterstützten und solang es einen fortwährenden Dialog darüber gibt, wohin wir gehen, weißt du, wir hören nicht auf darüber zu reden, ich denke, das ist der Schlüssel – zu kommunizieren. Solang die Kommunikation andauert zwischen all diesen Leuten, die interessiert sind und unterstützen, denke ich nicht, dass es da irgendeine Gefahr gibt, dass die Gemeinschaftsgärten verschwinden.«

Das kollektiv produzierte Wissen wird in Macht übersetzt. Es ist eine Ressource für die Gemeinschaft, um ihre Interessen zu schützen und es transformiert die Position der Gärtnernden in der lokalen politischen Struktur. Über Jahre hinweg wurden sie einfach als Gärtnernde wahrgenommen anstelle von Aktivist_innen. Sie gehörten sozialen Gruppen ohne Mittel an und mit wenig politischem Durchsetzungs­­ver­ mögen. Die Entwicklung eines angemesseneren Blicks auf die Machtstruktur in der Stadt war ein notwendiger erster Schritt in Richtung darauf, Handlungsfähigkeit zu entwickeln, zu Aktivist_innen zu werden und zu sozialen Akteuren mit größerem Gewicht. Die Einsicht in die Stellung der Gärten im breiteren Kontext der urbanen politischen Ökonomie entwickelte sich zu einem gut fundierten kritischen Verständnis der Partnerschaft zwischen der Stadtverwaltung und dem privaten Markt. Die

12 Die Green Guerillas sind eine Non-Profit-Organisation, die sich aus einer Gruppe von Aktivist_innen herausentwickelte, die den ersten Gemeinschaftsgarten 1973 errichteten. Die Organisation bietet Unterstützung in Bildungsfragen und materielle Hilfe für Gemeinschaftsgärten in der Stadt.

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Gärtnernden lernten eine Reihe neuer Konzepte und Praktiken, die es ihnen ermöglichen würden, für ihre Gärten zu kämpfen und eine alternative Vision städtischer Entwicklung zu entwickeln. Jemand von den Green Guerillas (in repräsentativer Funktion) reflektiert diesen Prozess, in dem Gärtnernde sich zu einem stärkeren Kollektiv hin entwickeln, das Wissen verbreitet und Handeln organisiert: »Die Bedeutung der Koalitionen ist mit den politischen Veränderungen verbunden, die sich in der Stadt in den späten 1990er Jahren ereigneten, als die Gärtnernden isoliert voneinander waren. Das hat ihnen nicht geholfen die Gärten für die Zukunft zu bewahren. Auch wenn sie in Koalitionen zusammenarbeiten, kämpfen sie immer noch für ihren Garten mit ihren Peers, aber sie helfen einander auch. Es war einfach ein Effekt der Zeit, die vergangen ist und der Entwicklung der Politik in New York City, dass es notwendiger für die Gärten geworden ist, mehr miteinander zu interagieren – auf manchen Ebenen, nicht auf allen. Sie sind immer noch unabhängig, voneinander verschieden, verfolgen verschiedene Programme. Irgendwie waren die Koalitionen, denen wir beim Start geholfen haben, in den verschiedenen Nachbar_innenschaften ein politischer Akt, um die Stimme der Gärten in einer Zeit zu stärken, als sie von den Leuten im Rathaus angegriffen wurden.«

Rene aus der Bronx erinnert sich an diesen Übergang von Gärtnern zu Aktivismus: »In der Bronx hatten wir seit Jahren gegärtnert, bis man uns bedroht hat. Wir haben unsere Haltung ändern müssen und mussten zu Aktivistinnen und Aktivisten werden. Wir mussten lernen, wie die Stadt funktioniert. Wir mussten nach Gärten in der Nachbar_innenschaft Ausschau halten, nachdem wir draufgekommen sind, dass es an uns liegt, an der Gemeinschaft, dass die Gärten nicht vernachlässigt werden. Das war der Grund, warum wir die Nachbarschafts-Koalitionen gebraucht haben. Wenn wir uns nur um unseren eigenen Garten kümmern, werden wir verlieren. Unsere Koalition, La Familia Verde, hat einen Bauernmarkt aufgebaut und Beziehungen mit Schulen und der Kirche entwickelt.«

Angesichts der Einhegung des materiellen Raums der Gärten wurde ein dialektischer Prozess aus Handlung und Wissen aktiviert, worin das eine Element die Produktion des anderen bestärkt. Die Gärtnernden mussten die Feinheiten der Stadt kennenlernen, um sie auszutricksen. Sie entwickelten Fähigkeiten und ein kritisches Wissen und wurden bewusste Bürger_innen, welche die lokale politische Maschinerie verstanden und ihr mit Forderungen nach sozialer und prozeduraler Gerechtigkeit beizukommen wussten. Die Gärtnernden bauten ein breites Verständnis der dominanten Repräsentationen des Raums auf genauso wie alternative Repräsentationen. Sie entwickelten zudem die Mechanismen zur

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Aufrechterhaltung der Wissensproduktion, um sie in Macht zu übersetzen und die Gärten in Zukunft zu schützen. Sie organisierten sich selbst in Nachbarschafts-Koalitionen und in einer stadtweiten Koalition der Gärtnernden (New York City Community Gardens Coalition), deren Hauptrolle darin bestand, den Dialog der Gemeinschaftsgärten am Laufen zu halten, ein starkes Kollektiv zu entwickeln und dieses Kollektiv zusammen mit der Öffentlichkeit zu bilden und sich mit bestehenden Organisationen, die im Interesse der Gärten agieren, zu vernetzen. Diese neuen Repräsentationen von Raum fordern einige gut etablierte Auffassungen von (ungleicher) städtischer Entwicklung heraus und kehren die ungerechte historische Verteilung von Ressourcen zwischen den städtischen Nachbar_innenschaften um. Sie schlagen stattdessen eine Reihe alternativer Werte vor, die auf dem Gebrauchswert von Raum anstelle seines Tauschwerts basieren, wie etwa den hohen Wert, den Gärten für den Lebensunterhalt von Menschen haben, ihren Beitrag zum sozialen und kulturellen Leben, der Rolle in der Verbesserung der Nachbarschaften und in der Schaffung von bedeutsamen Räumen für die Anwohnenden. Damit kündigen sie auch den Prinzipien der Akkumulation und den Werten kapitalistischer Praxis. Dieses neue Wissen ist sowohl eine kollektive Ressource für den Schutz der Commons als auch ein Mechanismus, der die Commons definiert, gestaltet und produziert.

Schlussfolgerung In diesem Beitrag habe ich versucht, den Begriff der Commons nicht als eine Utopie zu verstehen, sondern als einen real existierenden Raum inmitten der neoliberalen Stadt. Ich habe gezeigt, dass die Commons durch drei miteinander verbundene Elemente reproduziert werden: den materiellen Raum, Wissen und Bedeutung. Der materielle Raum der Commons wird kollektiv durch jene, die ihn nutzen, hergestellt, instand gehalten und geschützt. Der Wert des Raums kompensiert Ressourcen, die gebraucht werden, aber nicht verfügbar sind und ergänzt diese. Wissen gehört einerseits zum praktischen Wissen, das die fortlaufende Produktion der Commons ermöglicht, andererseits zum diskursiven Rahmen, der die Commons definiert. Der gelebte Raum der Commons, der hier durch die Wiederherstellung und das Zelebrieren verschiedener Kulturen illustriert wird, beinhaltet auch eine alternative ästhetische Erfahrung, die Normen im Bereich der Ästhetik infrage stellt. Die alternative soziale Erfahrung schließlich fordert die vorherrschende Entfremdung der Menschen von ihren physischen und sozialen Umwelten heraus. Und eine alternative

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psychologische Erfahrung gedeiht auf Grundlage eines gestärkten Sinns für Kontrolle und Zugehörigkeit. Die Existenz und Persistenz der Commons hängt von diesen drei miteinander verbundenen Elementen ab. Jedes davon konsti­ tuiert und bekräftigt die anderen und zusammen genommen erlauben sie es den Städter_innen, eine alternative Erfahrung der Stadt zu konstituieren. Das Bestehen der real existierenden Commons Seite an Seite mit dem »real existierenden Neoliberalismus« (Brenner/Theodore 2002) konstituiert das Lokale als eine umkämpfte Arena von Gegensätzen, Zweideutigkeiten und als einen paradigmatischen Ort für die Untersuchung von Kämpfen um Raum und die räumlich eingebetteten Potentialitäten eines sozialen Wandels. Ein Verständnis der Praktiken zur Produktion der Commons ergibt sich auf zwei verschiedenen Ebenen. Erstens können diese als Praktiken einer »subalternen Klasse, [die] um die Aneignung von materiellen und symbolischen Gütern kämpft« begriffen werden. Das heißt, als kollektives Handeln, das darauf abzielt, einen größeren Anteil an den Gütern zu erhalten, ohne die sozialen Mechanismen und Institutionen, die Ungleichheit produzieren, anzugreifen (Aronowitz 2003: 51). Güter und Rechte, beispielsweise offener Raum, saubere Nachbar_innenschaften, gesundes Essen und Besitz waren ungleich verteilt und die Gärtnernden waren davon abgeschnitten. Die Commons sind folglich ein Mechanismus zur Umverteilung, durch den die unterprivilegierten Anwohnenden sich selbst eine Kompensation für die ungleiche Entwicklung der Stadt organisieren. Die zweite Ebene, auf der die Produktion der Commons zu verstehen ist, besteht im kollektiven Handeln, das die hegemoniale soziale Ordnung herausfordert und an ihrer statt einer alternativen Logik der Gerechtigkeit folgt (Aronowitz 2003). Ich argumentiere, dass die Gärtnernden durch die Produktion von Raum eine widerständige und provokative Alternative zum herrschenden sozialen Raum präsentieren – eine Alternative, die das Recht auf öffentlichen Raum wiederherstellt, nicht nur im konkreten Sinn, sondern im Sinn von Lefebvre als »Recht auf Stadt« (Mitchell 2003). Es handelt sich um eine Alternative zur Logik der Organisation und der Planung von Raum, zur Verteilung der Kontrolle darüber und in Hinblick auf seine Bedeutung und Erfahrung. Durch die Einführung von Praktiken und Werten, die eine Alternative zum Kapitalismus darstellen, werden die Commons enthegt und die herrschende Produktionsweise wird herausgefordert (De Angelis 2007). Wie De Angelis (2007) festhält, sind Alternativen zum Kapitalismus wie die Commons permanent bedroht von Einhegung und davon, eine generative Kraft der kapitalistischen Reproduktion zu werden. Die Arbeiten von Quastel (2009) und

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Pudup (2008) bieten Beispiele dafür, wie Gärten ihres kritischen Potentials ent­ ledigt und zu Mechanismen der sozialen Reproduktion anstatt der Transformation werden. Dennoch argumentieren sowohl De Angelis (2007) wie auch Hardt/Negri (2009), dass wir nun an der Schwelle zu einer neuen Ära stehen. In ihrer Sicht erleben wir zunehmend alternative Modalitäten der sozialen Reproduktion nach dem Modell der Commons. Gemeinschaftsgärten als real existierende Commons bieten uns einen kleinen Einblick in eine Art sozialer Verhältnisse und räumlicher Praktiken und Werte, welche die Commons in unser alltägliches Leben in der Stadt zurückbringen können. Sie fördern eine kooperative und partizipierende Gemeinschaft, die sich um nicht-kommodifizierte Aktivitäten herum gruppiert und die Raum kollektiv nach Maßgabe ihrer Bedürfnisse und Visionen herstellt. Dieser Beitrag stellt Gemeinschaftsgärten als Orte der Herausbildung neuer Visionen dar, in den Worten von Keith und Pile (1993): die städtische Umwelt als »Commons«. Real existierende Commons sollten folglich nicht als »Wiederkehr« eines noblen aber vielleicht archaischen Ideals gesehen werden, sondern als Sprungbrett für die Kritik der gegenwärtigen sozialen Verhältnisse und als die Produktion einer neuen Räumlichkeit, welche die Transformation einiger grundlegender Aspekte des Alltagslebens initiiert, von sozialen Praktiken, sozialer Organisation und des Denkens.

Danksagung Ich danke Tovi Fenster und Eran Fisher für ihre Kommentare zu früheren Versionen und Stanley Aronowitz, Cindi Katz, Roger Hart und Susan Saegert sowie den Gemeinschaftsgärtner_innen von New York City, die meine Arbeit inspiriert und geleitet haben. Ich möchte auch dem Herausgeber Paul Chatterton und drei anonymen Reviewer_innen für ihre wertvollen und bereichernden Kommentare danken. Dieser Artikel wurde mit finanzieller Unterstützung des Immigrationsminis­ teriums in Israel verfasst. Aus dem Englischen übersetzt von Andrea*s Exner. Zuerst erschienen 2012 in: Antipode 44 (3), S. 764-782 unter dem Titel “Actually Existing Commons: Three Moments of Space of Community Gardens in New York City”. Mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

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Recht auf Stadt! Lefebvre, urbaner Aktivismus und kritische Stadtforschung Eine Rekonstruktion, Interpretation und Kritik Margaret Haderer

Der Recht auf Stadt-Diskurs erlebte in den letzten Jahren sowohl im urbanen Aktivismus, unter anderem in Verbindung mit Urban Gardening-Initiativen, als auch in der kritischen Stadtforschung eine Renaissance (vgl. Purcell 2014, Brenner/Markuse/Mayer 2012, Harvey 2012, Schmid 2012, Holm/Gebhardt 2011, Harvey 2008, Marcuse 2009, Mayer 2009). Das Recht auf Stadt ist aufs Engste mit radikal-demokratischen und Kapitalismus-kritischen Forderungen verknüpft, allen voran mit Forderungen nach Selbstbestimmung, politischer und sozialer Teilhabe sowie mit Forderungen nach urbanen Räumen, die sich der kapita­ listischen Verwertungslogik entziehen. Ideengeschichtlich steht das Recht auf Stadt in engem Zusammenhang mit den Arbeiten des französischen Philosophen, Soziologen und unorthodoxen Marxisten Henri Lefebvre (1901-1991), auf den auch in heutigen Aneignungen dieser Idee immer wieder verwiesen wird. Stark geprägt von den sozialen und politischen Geschehnissen im Paris der 1968er Revolten verstand Lefebvre das Recht auf Stadt als einen zentralen Schritt in Richtung radikaler gesellschaftlicher Transformation. Vor dem Hintergrund der heutigen Renaissance von Lefebvres Recht auf StadtIdee geht es im ersten Teil dieses Beitrags um dessen konzeptionelle Rekonstruktion (1). Im zweiten Teil wird auf die gegenwärtige Aktualität des Rechts auf Stadt im urbanen Aktivismus Bezug genommen. Es wird argumentiert, dass einer der möglichen Gründe für dessen Aktualität darin liegt, dass Lefebvre das Recht auf Stadt mit einer sehr offenen und unmittelbar umsetzbaren Konzeption von politischem Handeln in Verbindung bringt, ein Handeln das sich gewisser marxistischer

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Grundannahmen entledigt und damit nicht nur Kapitalismus-kritischen, sondern auch radikal-demokratischen und anarchistischen Aktivismen Anknüpfungspunkte bietet (2). Der Beitrag schließt mit einer Kritik an der neomarxistischen Stadtforschung. Es wird dabei argumentiert und anhand eines konkreten Beispiels illustriert, dass Lefebvres Recht auf Stadt-Idee und die ihr zugrundeliegenden Annahmen – vor allem die Annahme, dass Selbstbestimmung eine grundlegende Triebfeder für radikale Politik ist – tendenziell orthodox-normativ übernommen werden (3). Gerade wenn aber politische Transformation nach wie vor ein Ziel sein soll, gilt es, mit gegenwärtigen Theorien zu spätmoderner Subjektivität die Frage zu stellen, ob Selbstbestimmung auch heute noch jene politische Triebkraft hat, die ihr Lefebvre in den 1960ern zuschrieb.

Lefebvres Recht auf Stadt: Eine Rekonstruktion Von der Politik zum Politischen Für jemanden, der sich selbst der marxistischen Tradition zurechnet, ist es ungewöhnlich, sich affirmativ des Rechtsdiskurses zu bedienen. Bekanntlich wird bei Marx und Engels das Recht als Herrschaftsform des Bürgertums begriffen, das soziale Abhängigkeiten und politische Ungleichheiten festigt und perpetuiert (Marx [1844]1976a, [1844]1976b, Marx/Engels [1932]1969). Lefebvre ist sich der marxistischen Kritik am Rechtsdiskurs selbstverständlich bewusst, rekurriert aber dennoch auf den Begriff des Rechts – aus strategischen Gründen. Es geht ihm darum, mit der Forderung von neuen Rechten, wie dem Recht auf Stadt, gegebene gesellschaftliche Verhältnisse, die für Lefebvre immer auch sozial-räumliche Verhältnisse sind, zu problematisieren und zu politisieren (Lefebvre 1991, Schmid 2005). In der strategischen Aneignung des Rechtsdiskurses sieht Lefebvre zudem die Möglichkeit der Mobilisierung von neuen politischen Subjekten und Gesellschaftsvorstellungen (Lefebvre 2003). Das Ziel von Problematisierung, Politisierung und Mobilisierung ist für Lefebvre allerdings nicht die Erweiterung bestehender Rechtskataloge, sondern das Auslösen einer grundlegenden gesellschaftlichen Transformation in Richtung Postkapitalismus und radikale Demokratie (ebd.: 1-22). Lefebvre unterscheidet zwischen der Politik und dem Politischen (ebd.: 250) und nimmt dabei eine Grundunterscheidung heutiger Debatten rund um den Begriff post-politics vorweg (vgl. Badiou/Gauchet 2016, Wilson/Swyngedouw 2014, Agamben/Badiou/Bensaid/Brown et. al. 2012, Mouffe 2005, Rancière 2001, 2004, Žižek 1999). Während sich die Politik primär um graduelle Verbesserungen

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bestehender Gesetze, Normen, Praktiken und etablierter Institutionen bemüht, deutet das Politische auf radikale Praktiken hin, die Gegebenes grundlegend in Frage stellen und alternative Gesellschaftsentwürfe in den Vordergrund rücken (Lefebvre 2003: 242, 5, 16). Lefebvre ist – das ist ganz klar – ein Denker des Politischen und das Recht auf Stadt ist Teil seiner Vorstellung vom Politischen. Er betrachtet es als einen wesentlichen Schritt zum Neuverhandeln bestehender »Gesellschaftsverträge«, die in Lefebvres Augen von kapitalistischen Eigentumsverhältnissen, staatlicher Macht und von Konsum als Lebensform geprägt sind (ebd.: 243). Die Verortung des Politischen: Der städtische Lebensalltag Sowohl Politik als auch das Politische sind bei Lefebvre konkret im städtischen Lebensalltag verortet. »Jede Gesellschaft produziert ihren Raum« (Lefebvre 1991: 35), schreibt Lefebvre und verweist damit auf mehr als das Faktum einer bebauten Umwelt. Für Lefebvre ist der städtische Lebensalltag in seinen physischen und gelebten Realitäten sowie den ihn prägenden Normen und Vorstellungen zum einen ein Spiegel gegebener sozialer Verhältnisse und zum anderen ein Experimentier­ feld für mögliche gesellschaftliche Konstellationen (vgl. Purcell 2014, Vogelpohl 2011, Schmid 2005: 113-155). Lefebvre nähert sich der Stadt demnach sowohl deskriptiv als auch normativ, beide Annäherungen prägen sein Verständnis von Recht auf Stadt. Auf der deskriptiven Seite hebt Lefebvre die Urbanisierung als eine der bedeutendsten Entwicklungen im 20. Jahrhundert hervor, die weit über die Tatsache, dass immer mehr Menschen in Städten wohnen, hinausgeht. In der Urbanisierung verortet Lefebvre bereits in den 1960ern den Niedergang des industriellen Kapitalismus (Lefebvre 2003: 1-22, 1996: 65-85) und dessen mate­ rieller und lebensweltlicher Manifestationen, vor allem jener der fordistischen und funktionalistischen, auf Produktion ausgerichteten Stadt. Seine Beobachtung urbaner Entwicklungen in den 1960ern veranlassen Lefebvre den Kapitalismus als »Neokapitalismus« (Lefebvre 2003: 155) zu bezeichnen, in dessen Zentrum nicht mehr die Produktion von Gütern, sondern die Produktion von (globalem) Raum steht. Der Neokapitalismus, wie Lefebvre festhält, »scheint Dampf nicht mehr zu gebrauchen. Er hat seine neue Inspiration in der Eroberung von Raum gefunden […] in der Immobilienspekulation, in Leuchtturmprojekten (innerhalb und außerhalb der Stadt), im Kauf und Verkauf von Raum – eine Eroberung mit globaler Dimension. « (Ebd.) Urbanisierung bedingt für Lefebvre auch eine Neubestimmung des Ver­ hältnisses von Gesellschaft und Natur. Auch wenn dieses Verhältnis in seiner

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Forschung nicht sein zentraler Fokus war, stellt er bereits in den frühen 1970ern den bis heute noch weitverbreiteten Dualismus zwischen Gesellschaft und Natur ansatzweise in Frage. Für Lefebvre bleibt Natur eine zutiefst gesellschaftliche Konstruktion, auch wenn sie als außergesellschaftlicher Fluchtpunkt konstruiert wird. Im Wunsch nach Gärten, Parks, Grünräumen und Wochenendhäusern am Land sieht er eine »ideologische Überhöhung« der Natur, die die Urbanisierung begleitet (Smith 2003: xv). Im Gegensatz zur Ökologiebewegung in den 1970ern und vielleicht auch im Gegensatz zu manchen der heutigen Urban GardeningIni­tiativen hält Lefebvre aber fest, dass es die Natur als Gegenwelt nicht gibt. In der urbanisierten Gesellschaft ist ein Wochenendhaus im Grünen nicht weniger Teil des urbanen Gefüges als eine Autobahn (Lefebvre 2003: 4). Mit seinen Überlegungen zu Urbanisierung hat Lefebvre, so könnte man behaupten, schon früh vorweggenommen, was zumindest in der ökologischen Diskussion erst seit gut zwei Jahrzehnten als anerkannt gilt: Dass die Natur selbst eine zutiefst innergesellschaftliche Kategorie ist und als solche weder einen Fluchtpunkt zum Gesellschaftlichen noch eine außergesellschaftliche Bezugsquelle für normative Ideale darstellt (vgl. Blühdorn 2000, Latour 2010, McKibben 1989/1996). Auf der normativen Seite betrachtet Lefebvre die Urbanisierung aber auch als eine Chance für das Entstehen einer Vielfalt an sozialen Räumen, in denen das Mögliche erkundet und Selbstbestimmung praktiziert werden können (Lefebvre 1996). Weil der städtische Alltag von spontaner Begegnung (mitunter der Begegnung mit Differenzen), von Versammlung und Gleichzeitigkeit (von unterschiedlichen Menschen, Bedürfnissen, Wünschen und Lebensentwürfen) und von Poly-­ Zentralität (einer Vielzahl von oft spontan entstehenden Entscheidungszentren) geprägt ist, lässt sich laut Lefebvre der städtische Lebensalltag weder zur Gänze bestimmen, noch kontrollieren (Lefebvre 1996: 148, 2003: 13-14, 97, 118-119, 126-133). Es besteht daher immer die Möglichkeit, dass kollektive Subjekte und mit ihnen politische Räume entstehen, die über das »Reale« gegebener sozialer Verhältnisse, die den städtischen Alltag prägen, auf das »Virtuelle« möglicher gesellschaftlicher Verhältnisse verweisen (ebd.: 16-17) – Räume »experimenteller Utopie« (Lefebvre 1996: 151). Selbstbestimmung als Triebfeder des Politischen Die zentrale Stoßrichtung, die Lefebvre mit der Recht auf Stadt -Idee und, genereller, seiner Gesellschaftskritik verfolgt, ist ein grundlegender gesellschaftlicher Wandel basierend auf und vorangetrieben durch die Freiheit, sich selbst zu bestimmen. Anders als bei Kant bedeutet Selbstbestimmung bei Lefebvre mehr als die Freiheit, der eigenen Vernunft zu folgen. Selbstbestimmung hat für Lefebvre eine

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klar affektive Dimension, die das spielerische Erkunden von latenten Wünschen, Sehnsüchten, Vorstellungen und Imaginationen umfasst. Lefebvre ist ein Denker der Revolte des »wilden Verlangens« (ebd.: 338, vgl. 327, 2003: 32, 69, Smith 2003: xiii). Er betont, dass es ihm nicht darum geht, »den Menschen und das Menschliche zu definieren«, sondern darum, »Repräsentationen beiseite zu schaffen, die [den Menschen] zu definieren beanspruchen, um ihn frei in der Praxis sich selbst bestimmen zu lassen« (Lefebvre 1975: 327). Selbstbestimmung, so wie Lefebvre sie vorstellt, umfasst alle Lebensbereiche: ökonomische, politische und soziale genauso wie affektive und kreative. Gleichzeitig ist Selbstbestimmung aber immer sozial bedingt. Sie kann nur gelebt werden, wenn die für sie not­wendigen Möglichkeitsräume in Kollaboration mit anderen aktiv geschaffen werden. In den sozial hergestellten urbanen Möglichkeitsräumen soll Fremdbestimmung aufgebrochen werden, deren Wurzeln Lefebvre – wie bereits erwähnt – im Neokapitalismus, der Konsumgesellschaft und dem fordistischen Staat verortet. Dazu bedarf es konkreter politischer Praktiken, die Lefebvre aufs Engste mit dem Recht auf Stadt verknüpft: Selbstverwaltung [autogestion], räumliche Aneignung und Partizipation (Lefebvre 2003: 37-38, 130, 1975: 334 ff., 2009: 157). Recht auf Stadt als politische Praxis Selbstverwaltung [autogestion] bedeutet bei Lefebvre, aus einem fremd­ bestimmten Leben ein, in freier Assoziation mit anderen, selbstbestimmtes Leben zu schaffen – ein Oeuvre, das sowohl von kapitalistischen als auch staatlichen Imperativen befreit ist (Lefebvre 2009: 150, 1996: 147, 149). Bei Lefebvre umfasst die Praxis der Selbstverwaltung anders als in der Marxistischen Tradition nicht nur die ökonomische Sphäre (etwa in Form von Arbeiter_innenräten), sondern alle Bereiche des Lebensalltags. Selbstverwaltung ist aufs Engste mit der Praxis der (räumlichen) Aneignung verknüpft, die sich gegen kapitalistische Eigentumsrechte richtet. Letztere bezeichnet Lefebvre als »Enteignungsrechte«, die den Blick darauf verstellen, dass städtischer Raum immer ein soziales Produkt ist, das über Generationen in anonymer Kollektivität geschaffen wurde und deswegen in Tauschwert nicht fassbar ist (Lefebvre 1976, 1996: 100-103, 129, 174, 1991: 87, 166-167). Weil Lefebvre städtischen Raum als grundlegend soziales Produkt versteht, argumentiert er auch für einen gleichberechtigten Zugang zu und eine egalitäre Teilhabe an städtischen Räumen (Lefebvre 2009: 193-194). Lefebvres Betonung der Praxis der räumlichen Aneignung richtet sich gegen kapitalistische Eigentumsrechte, aber auch gegen andere Formen der Ab­straktionen von Stadt als ein grundlegend soziales Produkt, allen voran gegen den Urbanismus. Unter Urbanismus versteht Lefebvre technokratisch orientierte und auf

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Expertenwissen beruhende Stadtpolitik, Stadtplanung und Architektur, die lokales Wissen, Bedürfnisse und Lebensrealitäten als sekundär betrachten und räumliche Entwicklungen »von oben« bestimmen und durchsetzen (Lefebvre 2003: 151-164; 1991: 352-400). Durch (räumliche) Aneignung sollen den »abstrakten Räumen« des Kapitals sowie der staatlichen, instrumentellen und technokratischen Vernunft „gelebte Räume“ gegenübergestellt werden – eine Gegenüberstellung aus der, so argumentiert Lefebvre, »differenzielle Räume« entstehen können, in denen alternative Gesellschaftskonstellationen gelebt, erprobt und erkundet werden (Schmid 2005, Lefebvre 1991). Sowohl räumliche Aneignung als auch Selbstverwaltung bedingen Par­tizi­ pation, die dritte zentrale Praxis des Rechts auf Stadt. Lefebvres Vision von Par­ tizipation impliziert, dass alles, auch das Grundlegendste, in Frage gestellt und neu aufgerollt werden kann. Bereits in den 1970ern warnte er vor einer »Ideologie der Partizipation« ( McCann 2002), die Beteiligung als Form der Konsens­generierung zu bestehenden Normen, Praktiken und Ordnungen instrumentalisiert. Damit nahm er heutige Kritiken an »impotenter Partizipation« (Wilson/Swyngedouw 2014: 5) vorweg, die Mitbestimmung für den Zweck der Reproduktion neoliberaler Hegemonien instrumentalisiert, indem sie, wie Marit Rosol in ihrem Buchbeitrag und in anderen ihrer Arbeiten deutlich macht, zur Selbstverantwortung aktivieren (Rosol 2010). Inwiefern heutige Urban Gardening-Projekte, die sich dem Recht auf Stadt diskursiv verschreiben, tatsächlich an Lefebvres Idee des Freilegens von Selbstbestimmung und gesellschaftlichen Alternativen sowie seines Plädoyers für post-kapitalistische und radikal-demokratische Praxis anknüpfen, ist eine empirische Frage, deren Beantwortung nicht das Ziel dieses Beitrags ist. Das Ziel dieses Beitrags ist, wie eingangs erwähnt, die begriffliche Klärung des Rechts auf Stadt sowie der Versuch einer Interpretation dessen im Kontext heutiger Aktualität im urbanen Aktivismus, dem sich der folgende Abschnitt widmet. Im dritten Teil geht es um die Rezeption von Lefebvres Recht auf Stadt in der kritischen Stadtforschung.

Zur Aktualität des Rechts auf Stadt urbanen Aktivismus – Eine Interpretation

im gegenwärtigen

Das heutige Wiederaufgreifen der Recht auf Stadt-Idee scheint mit gesellschaftspolitischen Entwicklungen zu tun, allen voran mit der zunehmenden Kommodifizierung städtischer Lebensräume und – damit einhergehend – mit sozialen

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Verdrängungsprozessen (vgl. Harvey 2012, Holm/Gebhardt 2011, Mayer 2009). Selbstbestimmung, Partizipation und räumliche Aneignung sind für Lefebvre konkrete politische Strategien, hegemonialen Logiken der Fremdbestimmung entgegenzutreten. Lefebvres Recht auf Stadt scheint aber, wie im Folgenden argumentiert wird, auch noch aus einem anderen Grund attraktiv für gegenwärtigen, emanzipatorischen Aktivismus zu sein: durch seine offene Konzeption von politischem Handeln, die unterschiedlichsten urbanen Initiativen und Bewegungen Anknüpfungspunkte bietet. Aus ideengeschichtlicher Sicht könnte man behaupten, dass einer der wichtigsten und innovativsten Beiträge Lefebvres jener ist, sozialistische Ideen aus ihrem historischen Entstehungskontext, dem Kontext der industriellen Revolutionen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, herausgelöst und sie durch Neuinterpretation für einen anderen Kontext fruchtbar gemacht zu haben, nämlich jenem der counter culture der 1960er und frühen 1970er Jahre. Das Ergebnis ist eine Vorstellung von politischem Handeln als ein Handeln, das im unmittelbaren städtischen Lebensalltag (und nicht nur in der Fabrik) verankert ist, das experimentell (und nicht deterministisch) ist und das von spontan entstehenden (anstatt historisch bestimmten) kollektiven Subjekten getragen wird. Politisches Handeln hat bei Lefebvre einen konkreten Ort, dessen Realitäten, Probleme und Herausforderungen geteilt, wenngleich auch unterschiedlich betrachtet werden: den urbanen Lebensalltag, in dem Globales zum Lokalen und Lokales zum Globalen wird (Lefebvre 2003). Mit seinem Blick auf den konkreten urbanen Lebensalltag (der das Ökonomische umfasst, aber nicht zur Gänze bestimmt) entledigt sich Lefebvre des marxistischen Fokus auf ökonomische Produktionsprozesse und macht nicht die Fabrik, sondern das urbane Alltagsleben zum Gegenstand der Kritik sowie der experimentellen Utopie. Damit spielen für Lefebvre alltägliche Sphären des Affekts und der Empfindsamkeit, der Imagi­nation und Spontaneität ebenso eine zentrale Rolle für die soziale Reproduktion wie Sphären des Ökonomischen und Sphären institutionalisierter politischer Macht. Lefebvres Blick auf den urbanen Lebensalltag ist ein Blick, der die funktionale Differenzierung der Gesellschaft (vgl. Luhmann 1998),deren Komplexität, Dynamik und Ambiguität wahrnimmt. Gleichzeitig geht Lefebvre, anders als Luhmann, davon aus, dass auch eine funktional differenzierte Gesellschaft durch kollektives politisches Handeln grundlegend transformiert werden kann. Im Zuge der Urbani­ sierung werden Gesellschaften nicht nur differenziert und pluralisiert. Durch Begegnungen, Gleichzeitigkeit und Zentralität entsteht auch neue Kollektivität, anonyme Kollektivität, die politische Mobilisierung jenseits des Lokalen erlaubt und die Möglichkeit einer sozialen und politischen Revolution in Aussicht stellt.

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Ebenfalls in Abgrenzung zu Marx unterliegt Lefebvres Vorstellung von politischem Handeln keinem historischen Determinismus. Im Gegenteil, für Lefebvre ist poli­ tisches Handeln zutiefst experimentell, bedingt durch ein ständiges Aushandeln zwischen politischem Nahziel und politischem Fernziel (Lefebvre 1975: 334 ff.). Nahziele entstehen in der Problematisierung von lokalen hegemonialen Praktiken und Normen sowie in deren Veränderung auf mikropolitischer Ebene. Das Fernziel ist bei Lefebvre eine grundlegende Neugestaltung der Gesellschaft. Die Konturen einer »möglichen Gesellschaft« werden zum einen durch eine kritische Abgrenzung zu gegebenen gesellschaftlichen Verhältnissen sichtbar. Zum anderen sind sie normativ bedingt, allen voran von der Norm der Selbstbestimmung, die Lefebvre eng mit konkreten, im Alltag verankerten Praktiken – Selbstverwaltung, Partizipation, und Aneignung – verknüpft. Um eine mögliche, wie Lefebvre sie auch nennt, »urbane Gesellschaft« gilt es politisch zu kämpfen, mitunter mittels Kämpfe um ein Recht auf Stadt. Die Subjekte politischen Handelns sind bei Lefebvre, anders als bei Marx, weder historisch noch soziologisch bestimmt. Für Lefebvre entstehen poli­ tische Subjekte spontan und zwar vor dem Hintergrund im Alltag verankerter beziehungsweise entstehender Herausforderungen, die es gemeinsam zu lösen gilt. Politische Subjekte schaffen, wie der Stadttheoretiker Frank Cunningham argumentiert, Öffentlichkeiten im Deweyschen Sinne, also Teil-Öffentlichkeiten, die sich problembezogen formieren und organisieren (Cunningham 2010: 273). Lefebvre ist überzeugt, dass im urbanen Alltagsleben verankerte, spontan ent­ stehende politische Subjekte nicht nur eine mikropolitische, sondern durchaus auch eine makropolitische Veränderung bewirken können. Die anonyme Kollekti­ vität im urbanen Alltag, die von Begegnung, Versammlung und Gleichzeitigkeit geprägt ist, stellt für Lefebvre die Bedingung der Möglichkeit für eine radikale Makropolitik dar, die durch mikropolitische Problematisierungen, Mobilisie­ rungen und Teil-Öffentlichkeiten vorbereitet und vorangetrieben wird. Zusammenfassend wird hier argumentiert, dass eine der möglichen Erklä­rungen für die heutige Aktualität von Lefebvres Recht auf Stadt im emanzipatorischen, urbanen Aktivismus, in dessen Revision marxistischer Grundannahmen liegt. Die Verankerung politischen Handelns im konkreten Lebensalltag, die Offenheit der Handlungsziele und die Unbestimmtheit politischer Akteur_innen erlaubt es unterschiedlichen Initiativen, sich mit der Recht auf Stadt-Idee zu identifizieren. Lefebvres Recht auf Stadt erlebt aber nicht nur im urbanen Aktivismus eine Renaissance, sondern auch in sozialwissenschaftlichen und theoretischen Ana­ lysen. Vor allem in der kritischen, neomarxistischen Stadtforschung (s.a. Beitrag Eizenberg in diesem Band) scheint eine Tendenz diese Analysen zu einen: eine

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historisch unkritische Übernahme von der Vorstellung, dass Selbstbestimmung auch heute noch eine zentrale Triebfeder für radikale Politik ist, sowie von der Vorstellung, dass urbane Möglichkeitsräume auch heute noch vielversprechende Keimzellen für alternative Gesellschaftsentwürfe darstellen.

Zur Aktualität des Rechts auf Stadt Stadtforschung – Eine Kritik

in der kritischen

Für Lefebvre ist folgendes klar: Im Urbanen verankertes experimentelles Handeln, getragen von politischen Subjekten, die sich im Namen von Selbstbestimmung formieren und organisieren, hat nicht nur das Potenzial für lokale Reformen, sondern für eine grundlegende gesellschaftliche Transformation. Im Pariser Mai 1968 schien die politische Praxis die Möglichkeit einer von Mikropolitiken vor­angetriebenen makropolitischen Transformation sehr konkret in Aussicht zu stellen. Zumindest für die wenigen Wochen des Generalstreiks schien es, dass die Befreiung unterschiedlichster Verlangen, die Befreiung von Fremdbestimmungen, zur Entstehung von politischen Subjekten führt, die sich trotz ihrer Verschiedenheit zusammenschließen, um sich sowohl staatlicher als auch ökonomischer Zwänge (repräsentiert durch Gaullismus und Fordismus) zu entledigen (Ross 2002). Doch was im Pariser Mai 1968 hinsichtlich einer Revolution noch denkbar war, erscheint in der heutigen Spätmoderne als pervertiert: Der Kapitalismus hat die Befreiung diverser »wilder Verlangen« im Namen von Selbstbestimmung längst für seine eigene Reproduktionen fruchtbar gemacht, und der Staat wird in seiner Fragmentierung (vgl. Rhodes 2007, Bevir/Rhodes 2006, Rosenau/Czempiel 1992) und in seinen mannigfaltigen Künsten zu regieren (vgl. Foucault 1991) schon lange nicht mehr als jene äußere fremdbestimmende Gewalt wahrgenommen, die man im Mai 1968 noch zu sehen vermeinte und überwinden wollte. Aber nicht nur der Staat und das Kapital haben im Laufe anhaltender Modernisierungsprozesse ihre Gestalt verändert, sondern auch das selbstbestimmte Subjekt (Blühdorn 2009, Honneth 2002), welches Lefebvre als zentrale Triebkraft für grundlegende poli­ tische Veränderungen betrachtet. Während politische Kämpfe in den 1960ern noch von der Vorstellung getragen wurden, dass das primäre Ziel einer politischen Revolution die Befreiung des autonomen Subjekts von Fremdbestimmung sei, scheinen heutige, spätmoderne politische Kämpfe daran zu kranken, dass sich das Subjekt zusehends von dem regulativen Ideal der Selbstbestimmung und den damit verbundenen politischen Idealen der Demokratie (Selbstbestimmung im Kollektiv) und der Egalität (die auf

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der Idee des autonomen Subjekts beruht) verabschiedet (ebd.). Das spätmoderne Subjekt ist, wie Zygmunt Bauman argumentiert, ein zutiefst flüchtiges Subjekt, das vor dem Hintergrund heutiger sozioökonomischer Herausforderungen seine Identität flexibel gestaltet, sich anpasst, verändert und - wenn notwendig – wiederholt neu erfindet (vgl. Bauman 2007, 2005, 2001, 2000). Für eine grundlegende gesellschaftliche Transformation stellt flüchtige Subjektivität aber eine massive Herausforderung dar. Ohne eine zumindest in groben Zügen geteilte Vision von erstrebenswerten politischen Normen und Zielen und ohne eine zumindest grundlegende Konsistenz und Kohärenz in der Verfolgung dieser Normen und Ziele scheint die Möglichkeit eines Schulterschlusses zwischen mikropolitischen Subjekten zu erblassen. Damit erblasst aber auch die Möglichkeit jener makropolitischen Revolution, vorangetrieben durch ein wildes Verlangen nach Selbstverwaltung, Partizipation, und Aneignung, das Lefebvre in den Kämpfen um ein Recht auf Stadt verortete. Trotz dieser spätmodernen Veränderungen auf der Ebene des Subjekts, mit denen sich vor allem die politische Soziologie seit geraumer Zeit beschäftigt (vgl. Blühdorn 2009, Reckwitz 2006, Honneth 2002, Bauman 2000, 2001, Beck/Giddens/Lash 1994), werden in der wissenschaftlichen Rezeption von Lefebvres Recht auf Stadt dessen Grundannahmen bezüglich der Bedingungen der Möglichkeit grundlegender gesellschaftlicher Transformation tendenziell orthodox-normativ als historisch-kritisch übernommen (vgl. Purcell 2014, Brenner/Markuse/Mayer 2012, Harvey 2012, Schmid 2012, Holm/Gebhardt 2011, Marcuse 2009, Mayer 2009, Harvey 2008). Doch gerade wenn eine grundlegende politische Transformation auch heute noch ein Ziel sein soll, bedarf es einer genauen Analyse spätmoderner Subjektivität und politischer Handlungsspielräume. Im Vordergrund dieser Analysen muss zum einen das gegenwärtige Verhältnis von Selbst- und Fremdbestimmung und zum anderen das heutige Verhältnis von mikropolitischen Praktiken und der Möglichkeiten makropolitischer Transformation stehen. In anderen Worten, warum auch heute noch ein Grund zur Hoffnung auf eine im Namen der Selbstbestimmung emanzipatorische Politik bestehen soll, bedarf einer fundierten, sozialtheoretischen Erläuterung. Letztere kommt um eine Auseinandersetzung mit dem gegenwärtigen Phänomen der Emanzipation von Subjekten aus der Selbstbestimmung nicht umhin – einem Phänomen, das Ingolfur Blühdorn als »Emanzipation zweiter Ordnung« und Axel Honneth als »Befreiung aus der Mündigkeit« beschreibt (Blühdorn 2009, Honneth 2002). Dieser Beitrag schließt mit einer kurzen Illustration meiner Kritik an der wissen­ schaftlichen, vor allem neomarxistischen Rezeption von Lefebvres Denken und dessen Grundannahmen bezüglich Selbst- und Fremdbestimmung

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als Triebfeder des Politischen. Dabei beziehe ich mich auf den in diesem Sammelband erschienenen Text von Efrat Eizenbergs zu urbanen Gärten in New York, die Eizenberg als gegen-hegemoniale Räume interpretiert, in denen bestehende staatliche und kapitalistische Normen in Frage gestellt und mögliche Gesellschafts­ konstellationen erprobt werden. In derzeit laufenden historisch-­ kritischen Untersuchungen wird das Verhältnis von Subjektivität und radikaler Politik in emanzipatorischen urbanen Praktiken heute, in den 1960ern und den 1920ern detaillierter ausgearbeitet. Efrat Eizenberg beschäftigt sich in ihrem Beitrag sehr eindrücklich mit Urban Gardening-Initiativen in New York. Je nach Stadtteil sowie sozioökonomischer und ethnischer Zusammensetzung der Initiator_innen erfüllen die Stadtgärten unterschiedlichste Bedürfnisse. Während die Casita Gardens der in der Bronx lebenden puertorikanischen Latin@s primär dem kulturellen Ausdruck sowie der Selbstversorgung dienen, haben die Bauerngärten der in Harlem lebenden Afro-Amerikaner_innen primär die Selbstversorgung und community building zum Ziel. In den »eklektischen Gärten« der sozioökonomisch besser gestellten Bevölkerungsschicht in Manhattans Lower East Side hingegen spielt die Selbstversorgung eine marginale Rolle. Viel wichtiger ist dort die Selbstverwirklichung, eklektischer kultureller Ausdruck und community building. Mittels der Gärten, so argumentiert Eizenberg, machen Stadtbewohner_innen eine »alternative urbane Erfahrung«, die sie für gegen-hegemoniale gesellschaftliche Verhältnisse sensibilisiert. Diese alternative urbane Erfahrung besteht aus subalternen ästhetischen Erfahrungen, die dominanten ästhetischen Normen widersprechen, aus sozialen Erfahrungen, die Entfremdungen von der physischen und sozialen Umwelt durchbrechen, und aus psychologischen Erfahrungen, die den Sinn für Selbstwirksamkeit und belonging verstärken. Vor diesem Hintergrund interpretiert Eizenberg die von ihr untersuchten Gärten als tatsächlich existierende Commons, die, im Sinne Lefebvres Recht auf Stadt, dominante gesellschaftliche Verhältnisse, allen voran den »tatsächlich existierenden Neoliberalismus« (Brenner/Theodore 2002) in Frage stellen und über ihn hinausweisen. Vor dem Hintergrund gegenwärtiger Subjekttheorien ist Eizenbergs implizite Grundannahme (die auch bei Lefebvre zu finden ist), dass sich Subjekte über Partizipation, Selbstverwaltung und räumliche Aneignung ihrer jeweiligen Entfremdungen durch institutionalisierte Stadtpolitik und neoliberale Logiken zumindest teilweise entledigen, kritisch zu hinterfragen. Eizenberg scheint (ähnlich wie Lefebvre) die Möglichkeit einer relativ klaren Grenzziehung zwischen Fremdund Selbstbestimmung noch vorauszusetzen. Diese Grenzziehung prägt auch die Gegenüberstellungen von institutionalisierter Stadtpolitik und »von unten«

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angeeigneten städtischen Räumen, von tatsächlich existierendem Neo­liberalismus und den tatsächlich existierenden Commons. Wenn Honneths These stimmt, dass sich das Subjekt im Spätkapitalismus seiner eigenen Mündigkeit zusehends entledigt, verliert die Selbstbestimmung und ihre Gegenüberstellung mit der Fremdbestimmung aber grundlegend an politischer und auch an kritischer Stoßkraft. Während Lefebvre von dieser Stoßkraft noch explizit ausgeht, scheinen Eizenberg und andere kritische Stadtforscher_innen (vgl. Purcell 2014) diese zu implizieren. Ebenfalls vor dem Hintergrund heutiger Überlegungen zu spätmoderner Subjektivität, vor allem Baumans Thesen vom »flüssigen Subjekt«, dessen Identität und Bindungen flüchtig sind, stellt sich zudem die Frage, ob die von Efrat Eizenberg beschriebenen unterschiedlichen ästhetischen, sozialen und psychologischen Erfahrungen der städtischen Gärtner_innen tatsächlich als »alternative urbane Erfahrung« gebündelt werden können. Die Rolle, die Lefebvre der »anonymen urbanen Kollektivität« zuschreibt, scheint Eizenberg der »alternativen urbanen Erfahrung« zuzuschreiben. In beiden Fällen wird sie als Bedingung der Möglichkeit für das Entstehen von, im Kollektiv verankerten, gesellschaftlichen Gegen­entwürfen betrachtet. Doch, so könnte man vor dem Hintergrund Baumans Thesen zu spät­moderner Subjektivität argumentieren, könnten heutige urbane Gärten auch als lose verbundene Archipele der Selbstversorgung und der Selbsterfahrung betrachtet werden, die den real existierenden Neoliberalismus nicht herausfordern, sondern dessen integraler Bestandteil sind (vgl. Rosol 2012, 2010). Der zentrale Punkt, der mit dieser kurzen Analyse unterstrichen werden soll, ist folgender: Gerade wenn das politisch Mögliche im Sichtfeld bleiben soll, bedarf es messerscharfer Analysen heutiger Bedingungen von und Barrieren bei gesellschaftlicher Transformation. Diese Analysen müssen die Ebene des Subjekts ebenso im Blickfeld haben wie die Ebene heutiger Verflechtungen von Mikro- und Makropolitik. Lefebvres eigene Überlegungen und Theorien zum Möglichen wurden in engem Zusammenhang mit konkreten gesellschaftlichen Gegeben­heiten und Entwicklungen entworfen. Und obwohl er in der theore­tischen Tradition des Marxismus stand, übernahm er dessen Grundannahmen nicht, sondern ent­ wickelte sie vor dem Hintergrund der französischen Nachkriegs­moderne innovativ weiter. Das Mögliche aus dem Gegebenen zu erschließen, war ein Hauptanliegen Lefebvres, das, wie ich meine, auch heute noch Relevanz hat – eine Erschließung, die das Ausleuchten spätmoderner Subjektivität und dessen Implikationen für die Möglichkeit gegenwärtiger radikaler Politik im Namen von Selbstbestimmung bedingt.

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Danksagung Diese Publikation entstand im Rahmen des von der Stadt Wien (MA 7) geförderten Forschungsprojektes Otto Neurath (1882 –1945) und Henri Lefebvre (1901-1991). Zwei Visionäre der Emanzipation durch Transformation des urbanen Alltags.

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Forschungsansätze

Der Aufbau einer Strategieplattform: vom Politisieren urbaner Ernährungsbewegungen zu urbaner politischer Agrarökologie Barbara Van Dyck, Chiara Tornaghi, Severin Halder, Ella von der Haide, Emma Saunders

In verschiedenen Städten und auf vielfältige Weise sind wir – die Autor_innen dieses Beitrags – mit Gärten, Wissensproduktion und dem Aufbau urbaner Commons verbunden. Wir trafen uns bei der internationalen kritischen Geografiekonferenz »Precarious Radicalism on Shifting Grounds: Towards a Politics of Possibility« in Ramallah (Palästina) im Juli 2015. Die Organisator_innen der Konferenz wollten einen Raum schaffen, in dem Wissenschaftler_innen, Aktivist_innen, Künstler_innen und andere an kritischer sozio-räumlicher Praxis Interessierte gemeinsam darüber diskutieren können, wie der Anstieg von Autoritarismus und revanchistischen Reaktionen, die Eingriffe in Grundrechte und die Prekarisierung von Subsistenz, sozialen Beziehungen und Beschäftigung sowie das Erstarken von rechtspopulistischen und fundamentalistischen Bewegungen den politischen Raum und wesentliche Arbeit von Individuen, Gemeinschaften und Bewegungen rund um die Welt überschattet und untergräbt. Die Konferenz sollte eine Gelegenheit bieten, Gedanken darüber auszutauschen, wie die aktuellen Zeiten in einen Moment politischer Möglichkeiten transformiert werden könnte, indem bestehende Paradigmen überprüft und/oder erweitert und Solidaritäten und Kämpfe wieder miteinander verknüpft werden.1 Der Briefwechsel, der hier abgedruckt ist, entstand zum Teil in Vorbereitung und zum Teil nach dieser anregenden Konferenz. Für uns sind »Briefe« das passende Kommunikationsformat, um die Verbindungen

1 Für mehr Informationen zur Konferenz siehe: iccg2015.org.

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und Beziehungen widerzuspiegeln, die wir versuchen aufzubauen. Durch diese Briefe können wir in die Zukunft blicken, während wir gleichzeitig eine »aktive Erinnerung« unserer Prozesse, Gefühle und unseres Austausches schaffen. In diesen Briefen diskutieren wir unsere Erfahrung des Verankertseins in oftmals wider­ sprüchliche grüne urbane Aktivitäten, während wir als Wissenschaft­ler_innen diese Entwicklungen theoretisieren. Aus dieser Doppelposition heraus berichten wir in diesem Beitrag von unseren Zweifeln, Motivationen und Strategien, etwas zu (urbanen Ernährungs-)Bewegungen beizutragen, sowie von den Fragen, die dabei aufkommen und möglichen Antworten. ***

Liebe Alle, im Moment leben, forschen und gärtnern wir (hauptsächlich) in Belgien bzw. Großbritannien. Wir teilen große Frustration über die Dogmen von good governance und »Lösungsorientierung«, welche von einer neuen »Grünen Revolution« ausgehen. In Kombination mit neoliberaler Wirtschafts- und Austeritätspolitik zwingen diese Dogmen zivilgesellschaftliche Organisationen wie auch Forscher_innen dazu, in Zeiten wachsender Prekarisierung ihre Prioritäten nach Kriterien von Überleben und Anpassung zu setzen. Inmitten dieser Veränderungen sind urbane Ernährungsbewegungen zunehmend geprägt von konsumorientierten Bewusstseinsbildungskampagnen, Universalismus und von einem Fokus auf individuelle Verhaltensänderungen, welche Geschlechterverhältnisse, Klasse und Rassismus ausblenden. Marginalisiert werden dabei oft jene öffentlichen Debatten und urbanen Kämpfe, welche die zugrundeliegenden Ursachen (wie etwa privates und exklusives Eigentum an Land und Nahrungsgemeingütern) radikal infrage stellen oder Strategien und unvereinbare Entscheidungen bezüglich des Ernährungssystems herausfordern. Dies zeigt sich etwa durch das fehlende Bewusstsein über die Notwendigkeit und Möglichkeit sozialer Veränderung in großen Teilen der urbanen Ernährungsbewegungen (vgl. Alkon/Agyeman 2011, McClintock 2013, Tornaghi 2014). In unseren Überlegungen sind Fragen zum postpolitischen Zustand (vgl. Swyngedouw 2009), zur Auslagerung des Politischen aus dem Urbanen sowie zum Rückzug des Politischen aus urbanen Ernährungsbewegungen (vgl. Guthman 2008, Holtz-Giménez/Altieri 2013) allgegenwärtig. Wir sind uns sicher, dass wir

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mit diesen Analysen und Frustrationen nicht alleine sind. Aus diesem Grund wollen wir euch ansprechen, um gemeinsam Wege zu erkunden, die politisierende Kraft urbaner Ernährungsbewegungen wieder zu stärken. Wenn du dich davon angesprochen fühlst, laden wir dich zu unserer »Strategie­ plattform zur Politisierung von Ernährungsbewegungen im urbanen Kontext« ein, welche im Juli 2015 bei der internationalen kritischen Geografiekonferenz in Ramallah, Palästina, stattfinden wird. Wir wünschen uns einen Erfahrungsaustausch zu den Themen Lebensmittelproduktion, kollektives Lernen, kollektive direkte Aktion, Anbauerfahrung, Bildung von unten, Dezentralisierung von Macht, Bewegungsarbeit und aktivistische Forschung zu Ernährung. Wir freuen uns, von dir zu hören, Barbara und Chiara ***

Liebe gleichgesinnte Denker_innen und Praktiker_innen, ihr habt auf den Call für die Schaffung einer Strategieplattform zur Politisierung urbaner Ernährungsbewegungen geantwortet. Es ist aufregend zu wissen, dass wir uns bald persönlich in Ramallah treffen werden. Aber warum bis zum Sommer warten, um zu beginnen, gemeinsam über Strategien und Methoden von Aktionsforschung in der Ernährungsbewegung nachzudenken? Lasst mich damit beginnen, mich selbst vorzustellen. Was meine Forschung und mein soziales Engagement antreibt, ist meine Energie, Neugierde und Entrüstung über Ungerechtigkeit sowie mein Glaube an soziale Veränderung. Innerhalb der belgischen Ernährungsbewegung fühle ich mich den Werten und Strategien dessen verbunden, was wir anfingen, »patatistas« zu nennen. Der Begriff »patatista« bezeichnet die Idee, gemeinsam daran zu arbeiten, uns die Kontrolle über unser Leben anzueignen, indem wir Ernährungssysteme verändern. Wir wollen in Solidarität mit Kleinbäuer_innen arbeiten, träumen von nahrhafter und kulturell angepasster Ernährung als ein Recht und fühlen uns international mit der Nyéleni Ernährungssouveränitätsbewegung ebenso verbunden wie mit Kämpfen gegen sogenannte »große sinnlose Infrastrukturprojekte« wie Autobahnen, Flughafenerweiterungen, neue Gefängnisse usw. Dabei lehnen wir politische Lobby­ arbeit als Strategie nicht völlig ab, um Politiken einzufordern, die Bedingungen

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unterstützen, in denen kleinbäuerliche Landwirtschaft und faire Ernährungssysteme gedeihen können. Dennoch konzentrieren wir uns auf den Ausbau von Autonomie durch den Zugang zu Land für jene, die Lebensmittel anbauen, auf Saatgutsouveränität und das Umgehen von Zwischenhändler_innen für starke und kurze Versorgungsketten, auf den Kampf gegen genetisch veränderte Organismen und den Austausch von Wissen und Fertigkeiten. Bei etlichen Gelegenheiten wurde mir bewusst, dass die offene Äußerung meiner Empörung über Ungerechtigkeit und Umweltzerstörung, die mein Handeln und Denken stark antreibt, letztendlich eher dazu führt, meinen Ruf als Unruhestifterin und definitiv nicht den als ordentliche Wissenschaftlerin zu stärken. Denn wie mir gesagt wurde ist eine gute Forscherin letztendlich nicht nur neugierig, sondern auch fähig objektiv und distanziert vom eigenen Kontext zu arbeiten. In anderen Momenten hätte ich wiederum lieber meine wissenschaftlich-institutionelle Anbindung versteckt. Sie erweckt Misstrauen. Wahrscheinlich, so wird vermutet, bin ich »dort draußen«, um Karriere damit zu machen, »sie« zu beforschen. Und dieser Verdacht ist nicht unberechtigt. Haben wir Forsche­r_innen nicht damit Karrieren gemacht, Kleinbäuer_innen, soziale Bewegungen und Avantgardist_innen zu untersuchen? Wurden wir nicht dazu ausgebildet, eine übergeordnete Wissensposition einzunehmen? Und dennoch, je mehr »patatista« ich wurde, desto wichtiger erschien es mir, Forscherin als Teil meiner Identität anzunehmen. Im Jahr 2014 waren wir ein paar hundert Personen, die als Akt des zivilen Ungehorsams Kartoffeln auf landwirtschaftlichen und Parkflächen am Rande der Stadt Brüssel anpflanzten. Ein paar Jahre zuvor hatte der belgische Staat dieses Land mit der Intention gekauft, dort ein Gefängnis für bis zu 1.190 Inhaftierte zu bauen. Das neue Gefängnis, so wurde verkündet, sollte die unmenschlichen Zustände in den überfüllten belgischen Gefängnissen beseitigen, in denen hauptsächlich arme (und) People of Color festgehalten werden. Seit 2012 organisierten sich Menschen gegen den Bau dieses Riesen-Gefängnisses mit einer Vielfalt an Strategien: von politischer Lobbyarbeit über Aufklärungskampagnen bis zu direkten Aktionen. Die »illegale« Kartoffelpflanzaktion 2014 stärkte diesen bestehenden Widerstand. Das Ereignis brachte dem Kampf dabei nicht nur mehr Sichtbarkeit, indem die Aufmerksamkeit auf Fragen nach Zugang zu Land und Entscheidungen in Stadtentwicklungsprozessen gelenkt wurde, sondern es eröffnete gleichzeitig eine Reflexion über den Zusammenhang zwischen der Einhegung von Land und dem Einsperren von Menschen. Die Erfahrung der gegenseitigen Bestärkung von Kämpfen, Strategien und Taktiken im Widerstand gegen den Bau dieses Riesen-Gefängnisses in Brüssel war für meine eigenen Überlegungen darüber, wie Wissenschaft im Feld von

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Ernährungsfragen der Entpolitisierung urbaner Ernährungsbewegungen entgegenwirken könnte, extrem wichtig. Diese Frage ist letztendlich zentral für unser Zusammentreffen in Ramallah. Der Zusammenschluss gegen den Gefängnisbau zeigte mir das Potential von Ernährungsbewegungen, breitere Kämpfe zu stärken. Der Akt der Besetzung von öffentlichem Land durch das Pflanzen von Kartoffeln kann als Aufbau einer sozialen Bewegung rund um Ernährung und Landwirtschaft verstanden werden und hat wenig mit dem Aufbau einer Ernährungsbewegung zu tun. Demokratisierung und das Wiedererlangen der Kontrolle über das Ernährungssystem sind dabei keine Ziele an sich, sondern lediglich Mittel, um uns die Zukunft wieder anzueignen. Dieses Bewusstsein erscheint mir zentral, wenn wir durch aktivistische Forschung nicht jene Ernährungsbewegungen stärken wollen, die weder politisches Bewusstsein noch Veränderungspotenzial in sich tragen. Das bringt mich zu einer zweiten »patatista«-Erfahrung. Im Mai 2011 nahmen mehr als vierhundert Personen an einer öffentlichen Feldbefreiungsaktion teil, an der gentechnisch veränderte Kartoffeln ausgegraben wurden. Damals wurde ein Freilandversuch mit gentechnisch veränderten Kartoffeln von einem Konsortium an flämischen staatlichen Forschungseinrichtungen in Zusammenarbeit mit dem multinationalen Chemiekonzern BASF durchgeführt. Der sogenannte »Große Kartoffelaustausch«, also das Ausgraben von gentechnisch veränderten Kartoffeln mit dem Ziel, sie durch biologische zu ersetzen, war für uns ein Weg, am kollektiven Gentechnikexperiment teilzunehmen – und zwar auf unsere eigene Art und Weise. Die Aktion verwandelte eine vermeintlich rein technische Frage – die Entwicklung von gentechnisch veränderten Pflanzen – in eine politische über die Zukunft von Landwirtschaft, Ernährung und die Demokratisierung von Wissenschaft. Der »Große Kartoffelaustausch« war ohne Zweifel der Beginn einer höchst polemischen Auseinandersetzung über die Verwendung von Gentechnik in der Landwirtschaft und über die Privatisierung von Leben durch Genpatente, ging jedoch weit darüber hinaus. Die Rolle, Finanzierung und Funktionsweise von Universitäten schafften es bis in die Schlagzeilen und Fragen wie: »Staatliche Forschung in wessen Interesse?« oder »Was sind die Konsequenzen, wenn Universitäten zu Unternehmen gemacht werden?«, wurden zu viel diskutierten Themen in der öffentlichen Debatte Flanderns. Was bedeuten diese Erfahrungen also für Aktionsforschung im Bereich von urbanen Landwirtschafts- und Ernährungsthemen? Egal ob es darum ging, illegal Kartoffeln zu pflanzen oder zu ernten, in beiden Fällen gelang es den »patatistas«, wichtige, schwierige und marginalisierte Fragen in die öffentliche Debatte einzubringen. Aktivistische Forschung kann somit durch die Mobilisierung von Fertigkeiten, Wissen, Erfahrungen und Privilegien eine wichtige Rolle spielen,

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um unangenehme Fragen zu den Konsequenzen von technokratischen Lösungen, die von urbanen Aktivist_innen gestellt werden(!), so wichtig zu machen, wie sie tatsächlich sind. Der Gegensatz zur üblicheren (politischen) Rolle von Wissen­ schaftler_innen, die unhinterfragt neue Technologien vorantreiben und in der Vorstellung verharren, dass mehr Information zu technischen Einzelheiten von gentechnischer Veränderung oder anderen scheinbaren Wundermitteln breite öffentliche Akzeptanz bringen würde, könnte dabei nicht größer sein. Das bringt mich zum letzten Punkt dieses Briefes. Aktivistische Forschende sind oft Teil der gleichen Institutionen, die kleine Gruppen von Wissenschaft­ ler_innen anstellen, um in Kooperation mit der (Agrar-)Industrie hart daran zu arbeiten, festzulegen, wie unsere gemeinsame Zukunft aussehen wird. Egal ob Geo-Engineering zur Bekämpfung des Klimawandels oder moderne Gefängnisse zur Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung, ob zentralisierte Energienetzwerke, die auf Atomkraft basieren, oder industrialisierte Lebensmittelproduktion für die Ernährung der Stadtbevölkerungen. Ich glaube, wissenschaftlicher Aktivismus kann soziale Bewegungen in ihrem Bemühen bestärken, Menschen dazu zu ermutigen (auch Forschende, Studierende und Politiker_innen), Fortschrittsphantasien nicht länger zu akzeptieren. Indem Entscheidungswege für bestimmte Innovationsverläufen und deren jeweilige Implikationen (vgl. Stirling 2010) sichtbar gemacht werden, kann aktivistische Forschung einen Beitrag dazu leisten, kritische Untersuchungen, Glaubwürdigkeit und Legitimation für das zu stärken, was als realistische oder im Gegenteil als unrealistische Zukunftspfade präsentiert wird. Gesellschaftliche Veränderung hin zu gerechten und ökologisch nachhaltigen Ernährungssystemen (und Gesellschaften) ist keine technische Anstrengung, sondern in erster Linie eine Frage des Paradigmenwechsels und der Transformation von Macht- und Herrschaftsverhältnissen (vgl. Meadows 1999). Soziale Bewegungen wirken wie ein Gegenmittel zur herrschenden Vorstellung, es gäbe keine Alternative zur agrar-industriellen Ernährungszukunft in neoliberalen Städten. Sie treiben neue Initiativen, Visionen und Agenden voran. Vor diesem Hintergrund brauchen wir zuallererst Menschen, Aktionen und Initiativen, die ein Verständnis für die Notwendigkeit verinnerlicht haben, Macht- und Herrschaftsverhältnisse herauszufordern und zu verändern und die gleichzeitig andere inspirieren und einladen, sich daran zu beteiligen. Für mich erfüllt aktivistische Forschung dieses Bestreben, wenn es damit gelingt, die Vorstellungskraft von Menschen zu erweitern und den Rahmen des Möglichen somit auszudehnen. Ich glaube insbesondere, dass wir unsere soziale Position als Forschende nützen müssen, um uns der Instrumentalisierung von Wissenschaften zur Stärkung der unternehmerischen Macht entgegenzusetzen, indem wir kritisch in Fragen und

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Bereiche eingreifen (egal ob wir dazu eingeladen sind oder nicht). Die Vorstellung, es gäbe eine Forschung zu Ernährungsthemen ohne Eigeninteresse, zu hinterfragen ist kein leichtes Unterfangen. Schon gar nicht mit dem Wissen, dass Arbeiten im Interesse der Agrar-Industrie viel eher finanziert und in Top-Journals publiziert werden. Wir sind gefangen in einem Paradigma, in dem bestimmte Arten des Wissens normal, neutral und somit unanfechtbar geworden sind. Doch lassen wir uns dadurch nicht davon abhalten, klare unbequeme Fragen zu stellen, welche die zugrundeliegenden Werte, Themen und Vorannahmen in Forschungsstrategien zu Ernährung an die Oberfläche bringen. Der Versuch, aus dem Inneren der Universitäten heraus die hegemoniale Position der Naturwissenschaften innerhalb der Gesellschaft wie auch das Verständnis von technischer Expertise als überlegen und neutral herauszufordern, ist nicht neu. Berkely, Sorbonne und viele andere Universitäten waren in den späten 1960er und 70er Jahren wichtige Orte, an denen die Militarisierung von Forschung ebenso angegriffen wurde wie ihre »Massifizierung« und Orientierung am Primat der technologielastigen Wissenschaften, welche modernistische Entwicklungsstrategien untermauern. Heute sehe ich unter meinen Kolleg_innen viel an Enttäuschung über die Funktionsweise der zunehmend unternehmerischen Universitäten. Aktivistische Forschung kann an dieser Frustration anknüpfen und Studierende und Kolleg_innen dazu einladen, klare Entscheidungen zu treffen. Auseinandersetzungen wie jene rund um Kartoffel, von denen ich hier berichtete, sind Momente, die dazu auffordern, Stellung zu beziehen. Aus unserer Arbeit in den Bewegungen und in Verbindung mit unseren Privilegien (u.a. den Jobs und Möglichkeiten, die wir in der Gesellschaft haben) können wir lernen, die Frustration und Wut von Kolleg_innen, Kleinbäuer_innen, Forschenden und Studierenden in die Schaffung eines sozial-ökologischen Gewebes zu leiten, welches Alternativen tatsächlich tragen kann. Ich hoffe wirklich, dass der Aufbau einer Strategieplattform dazu beitragen wird, Räume zu öffnen, die jene Art von Ideen unterstützen, die wir voranbringen wollen. In Solidarität, Barbara ***

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Liebe forschenden Aktivist_innen und Gartengefährt_innen, inspiriert von eurem wunderbaren Call for Papers wollen wir von unseren Bestrebungen berichten, den Aufbau einer urbanen Gartenbewegung zu unterstützen. Wir sind beide urbane Gartenaktivist_innen, die gleichzeitig forschen. Wir leben in Berlin und München, sind allerdings inspiriert von politischen Kämpfen auf der ganzen Welt, besonders in Lateinamerika, wo wir uns beide an Graswurzelprojekten und urbaner Landwirtschaft beteiligt haben. Dort kamen wir zum ersten Mal mit Aktionsforschung, Bildung von unten und Agrarökologie in Berührung. Wir arbeiten zwar in unterschiedlichen Gärten, Projekten und Universitäten, doch wir unterstützen uns seit fast zehn Jahren gegenseitig durch Zuhören, Reflexion und Zusammenarbeit. In Deutschland gibt es zehntausende urbane Gärten, die meisten sind Schulgärten und Kleingärten. Manche existieren seit über 100 Jahren. Vor ca. 20 Jahren begann in Göttingen die Verbreitung einer neuen Art von »interkulturellen urbanen Gemeinschaftsgärten« mit einem starken Fokus auf die Teilnahme von Migrant_innen und Geflüchteten. Schon bald folgten andere ihren positiven Erfahrungen und ein nationales Netzwerk interkultureller Gemeinschaftsgärten entstand. Im Jahr 2009 tauchte eine neue Art von jungen, urbanen, künstlerischen und (manchmal) gestylten Gemeinschaftsgärten auf und wurde sehr bekannt. Inzwischen wurden mehr als 400 (interkulturelle) Gemeinschaftsgärten gegründet. Während der Großteil der Gemeinschaftsgärten gedeiht, wurden manche geräumt und einige von Politik oder Werbung vereinnahmt. Im Folgenden fragen wir uns, was getan werden kann, um das Wachstum einer Gartenbewegungen zu unter­ stützen und was dabei die Herausforderungen sind. Erstens beobachten wir, dass diese neuen urbanen Gemeinschaftsgärten kein gemeinsames Ziel haben. Diese Gärten funktionieren oft als Plattform für verschiedene Themen, wie etwa öffentlicher Raum, Migration, Commons, Gemeinschaftsbildung, Therapie und Bildung. Ernährung und Landwirtschaft sind in vielen Fällen nur ein Aspekt in einer Reihe von Themen. Es fehlt ihnen also an kollektiver Identität und an gemeinsamen Ideen für städtische Veränderung. Vor allem zwischen älteren interkulturellen Gemeinschaftsgärten und den neuen stylischen sehen wir eine wachsende Spaltung. Von urbanen Gemeinschaftsgärtner_innen selbst werden diese Differenzen kaum reflektiert. Zweitens sind die Gärten Opfer ihres eigenen Ruhms! Die Entstehung von hunderten Gemeinschaftsgärten brachte ein großes mediales und wissenschaftliches Interesse mit sich. Diese Aufmerksamkeit produziert positive Bilder und führt wiederum zum Aufbau von weiteren Gemeinschaftsgärten. Gleichzeitig

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sind wir jedoch auch mit der Vereinnahmung dieser Bilder für Auto-, Zigaretten- oder Möbelwerbung konfrontiert und befürchten eine Vereinnahmung der Garten­initiativen in bedeutungslose Greenwashing- Objekte und Werkzeuge einer neoliberalen Stadtentwicklung. U.a. die Tatsache, dass der berühmteste deutsche Gemeinschaftsgarten das Konzept der mobilen Gärten verbreitete, macht Gartenprojekte zu nützlichen Werkzeugen für neoliberale Stadtentwickler_innen. Drittens, verdammt nochmal, wir sind »nachhaltig«! Viele Gemeinschafts­ gärten erhielten in den letzten Jahren finanzielle und institutionelle Unterstützung und Anerkennung. Ein Ergebnis dieser Anerkennung ist, dass die Gärten zunehmend Teil des herrschenden Umweltdiskurses der Nachhaltigkeit werden. Eine gemeinsame Diskussion über Kämpfe urbaner Landwirtschaft, die historisch im »environmentalism of the poor« (vgl. Martinez-Alier 2002) verankert sind und die Verknüpfung mit politischen Kämpfen wie Recht auf Stadt oder Degrowth beginnen in manchen Gärten gerade erst. Aus diesem Grund werden urbane Gärten in vielen Fällen von Mainstream-Diskussionen vereinnahmt und in einen Bestandteil der aufkommenden, herrschenden urbanen »grünen« kapitalistischen Entwicklung verwandelt. Über die politischen Auswirkungen urbaner Gartenaktivitäten wird in den meisten Medienberichten geschwiegen. Stadtmarketing, Investor_innen sowie der Ernährungs- und Werbeindustrie fällt es daher leicht, das Image der urbanen Gärten zu vereinnahmen. So laufen urbane Gärten Gefahr, zum Bestandteil einer kommerziellen und neoliberalen Stadtentwicklung zu werden und sich in stylische Mittelklasse-Erholungsgärten zu verwandeln oder den Boden für innerstädtisches Agrobusiness (z. B. City Farming Projekt in Berlin) zu bereiten. Damit könnten sie ihr Potential für einen anderen sozio-ökologischen gesellschaftlichen Stoffwechsel (vgl. Köhler 2014) verlieren. Wir freuen uns darauf, mit euch darüber zu diskutieren, wie wir mit diesen Herausforderungen umgehen und eine urbane Gemeinschaftsgartenbewegung aufbauen und stärken können. Im Folgenden stellen wir zwei Beispiele bzw. Strategien vor, an denen wir, in Reaktionen auf die erwähnten Herausforderungen, in den letzten Jahren beteiligt waren. In beiden Fällen haben wir versucht, Aktivismus und Wissenschaft zu verbinden und gleichzeitig die urbane Gartenbewegung zu unterstützen, zu organisieren und zu politisieren. Das urbane Gartenmanifest – ein kollektiver Schreibprozess, um das Politische in urbanen Gärten zu verorten Vor dem Hintergrund von Vereinnahmung, unsicheren befristeten Zwischennutzungen und dem Fehlen einer kollektiven Identität innerhalb urbaner

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Gemeinschaftsgärten entschied sich 2012 eine Gruppe von Aktivist_innen aus unterschiedlichen Gärten und Institutionen, gemeinsam ein Manifest zu verfassen, um damit die politische Verortung der urbanen Gartenbewegung auszudrücken. Aus bereits bestehenden Netzwerken fand sich eine Redaktionsarbeitsgruppe zusammen, bestehend aus Wissenschaftler_innen, forschenden Aktivist_innen und Journalis­t_innen. Bei mehreren lokalen kollektiven Schreib- und Diskussions­ veranstaltungen nahmen insgesamt über hundert Gartenaktivist_innen teil. Das urbane Gartenmanifest spricht sich gegen Vereinnahmung aus und unterstreicht die Bedeutung von frei zugänglichen öffentlichen Räumen und deren Gefährdung durch zunehmende Privatisierung und Kommerzialisierung. Außerdem positioniert es sich politisch, indem es sich in der Recht auf Stadt-Bewegung verortet und die Relevanz von urbanem Grün für »buen vivir« und Commons, für nachbarschaftlich und kollektiv genutzten öffentlichen Raum sowie für soziale und ökologische Vielfalt, Ernährungssouveränität und Saatguterhalt betont. Im Manifest wird es folgendermaßen formuliert: »Wir fordern Politik und Stadtplanung auf, die Bedeutung von Gemeinschaftsgärten anzuerkennen, ihre Position zu stärken, sie ins Bau- und Planungsrecht zu integrieren und einen Paradigmenwechsel hin zu einer ›gartengerechten‹ Stadt einzuleiten. […] Wir wollen, dass diese Gärten dauerhaft Wurzeln schlagen. Die Stadt ist unser Garten.« (urbangardeningmanifest.de) Bis 2016 haben 148 urbane Gärten und andere Initiativen das Manifest unterzeichnet und es wurde auf Englisch, Türkisch, Arabisch und Polnisch übersetzt. Es hat einen Selbstreflexionsprozess und politische Diskussionen innerhalb der Gärten angestoßen. Auch die Idee einer »Bewegung« und das Gefühl einer kollektiven Identität wurde dadurch gestärkt. Außerdem dient es lokalen Garteninitiativen in der Kommunikation mit öffentlichen Stellen als Argumentationshilfe. Das Manifest veränderte die Außenwahrnehmung von urbanen Gärten hin zu einem politischeren Phänomen und half dabei, Allianzen zu anderen politischen Kämpfen zu schmieden. Trotz alledem wurde es fast vollständig von den Medien und der Öffentlichkeit ignoriert, während die kommerzielle Vereinnahmung von Gemeinschaftsgärten ihren Lauf nimmt. Gleichzeitig beobachten wir eine weitere Vertiefung der Spaltung zwischen »alten« und »neuen« Gemeinschaftsgärten und wir ärgern uns darüber, dass der interkulturelle Aspekt von urbanen Gärten im Manifest nicht explizit erwähnt wurde. Ohne Zweifel war das Manifest nur ein erster Schritt hin zu einer Diskussion über den politischen Raum von Gemeinschaftsgärten, die weitergeführt werden muss.

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Aufkleber Urban Gardening Manifest

Quelle: www.urban-gardening-manifest.de

„Allmende-Kontor“ – die urbane Gartenbewegung von innen vorantreiben Das Allmende-Kontor begann als Netzwerk von Gemeinschaftsgärten und urbaner Landwirtschaft in Berlin (siehe Halder/von der Haide/Artola/Martens in diesem Buch). Das sichtbarste Ergebnis dieses Prozesses ist der Allmende-Kontor Gemeinschaftsgarten, der im April 2011 auf der Fläche des ehemaligen Flug­ hafens Tempelhof gegründet wurde. Die Tempelhof Besetzungsdemonstration 2009, die Öffnung des Areals für öffentliche Nutzung 2010 wie auch die Einladung von Zwischennutzungsprojekten auf das Feld 2011 stärkten den Prozess der öffentlichen Aneignung dieses Flugfelds. Schlussendlich führte dies zu einem stadtweiten Referendum im Jahr 2014, in dem der Plan des Bürgermeisters, den ehemaligen Flughafen zu einer modernen »Parklandschaft« mit Wohnungen, Geschäftsflächen, riesiger öffentlicher Bibliothek und vielleicht einzelnen versteckten Gemeinschaftsgärten zu entwickeln, abgelehnt wurde. Das kann als ein wichtiger Erfolg im Kampf um öffentlichen Raum, urbane Ökologie, Commons und Gemeinschaftsgärten verstanden werden. Während der Allmende-Kontor-Gemeinschaftsgarten für öffentlichen Raum, urbane Ökologie, Commons und Gemeinschaftsgärten steht, ist das Allmende-­ Kontor Netzwerk, mit seinem Fokus auf Unterstützung, Organisation und

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Politisierung der Gartenbewegung in Berlin, weniger sichtbar. Die Größe von Berlin und die Quantität und Vielfalt der über hundert Gartenprojekte macht es schwierig, die urbane Gartenbewegung auf stadtweiter Ebene zu organisieren. Obwohl das Allmende-Kontor Netzwerk dazu beitrug, informelle persönliche Netzwerke zwischen Berliner Gartenaktivist_innen zu schaffen, so war es dennoch nicht möglich, eine wirkliche organisatorische Struktur oder kollektive Identität aufzubauen. Dennoch wurden kleine Schritte in Richtung einer Vernetzung und Visualisierung der vielfältigen urbanen Gartenbewegung durch Treffen, Karten und einer Online-Plattform umgesetzt. Diese kleinen Schritte waren zum Teil nur möglich durch den Zugang zu akademischen Ressourcen und der starken Interaktion zwischen Wissenschaft und Gartenaktivist_innen. Es wurde klar, dass fruchtbare Zusammenarbeiten zwischen Forschung und Aktivismus möglich sind, wenn sie auf Solidarität und einem gegenseitigen Verständnis für die jeweiligen Bedürfnisse und Möglichkeiten beider Seiten beruhen. Diese Kultur der Zusammenarbeit kann etwa durch die Wertschätzung des gemeinsamen Produktionsprozesses und nicht nur des endgültigen Produkts erreicht werden. Es ist auch zentral, Wissenschaftler_innen dazu zu animieren, »outside of the box« zu denken und zu kreativen und allgemein verständlichen Ergebnissen zu kommen. Doch die wichtigen und praktischen Projektergebnisse, die bisher erreicht wurden, waren begleitet von fehlender Klarheit über die Grenzen von Partizipationsprojekten und ihrer verdeckten Machtverhältnisse. Diese Situation, in Kombination mit der ungleichen Verteilung der ökonomischen Projektressourcen, führte zu Konflikten. Eine Reflexion darüber in der »Arbeitsgruppe Forschung« des Allmende-Kontor half, damit umzugehen und Handlungsmöglichkeiten zu diskutieren. Insgesamt war das Agieren in einem akademisch-aktivistischen Setting für das Allmende-Kontor-Netzwerk zwar wertvoll, doch für die forschenden Aktivist_innen führte dieses Arbeiten zwischen zwei unterschiedlichen Sphären zu einer anstrengenden Doppelbelastung. Letztendlich war es der Ausgangspunkt für einen Lernprozess, der uns zeigte, dass Aktionsforschung viel Zeit und Geduld benötigt und von stetigen Bemühungen für Anerkennung innerhalb der Wissenschaft wie auch für Verständnis innerhalb des Aktivismus begleitet werden muss (siehe Halder/von der Haide/Artola/Martens in diesem Buch; Halder/Jahnke 2014). Wie ihr euch vorstellen könnt, haben wir viele weitere Fragen und Zweifel, die sich aus unserer glücklichen und chaotischen Situation als forschende Aktivist_innen ergeben. Deshalb haben wir das starke Bedürfnis nach mehr Austausch mit Schwestern im Geiste wie euch! Wir freuen uns, euch bald zu treffen Severin & Ella

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Liebe_r Barbara, Ella, Emma und Severin, ich bin am Rückweg von einem Treffen der britischen Ernährungs­ souveränitätsbewegung in Hebden Birdge, hier in Großbritannien und ich habe so viele Gedanken im Kopf, dass ich das Gefühl habe, es ist Zeit, euch wieder zu schreiben. Es ist ein Weilchen her, seit wir alle von unserem Treffen in Ramallah zurück gekommen sind. Während dieser Monate hatte ich den Eindruck, dass unser Austausch bei der Konferenz nicht nur anregend, sondern wahrlich reinigend war. Zu sehen, wie viele von euch meinen Schmerz gänzlich verstehen können, ermöglichte es mir, über einen großen Teil meiner Frustration hinwegzukommen, aufzuhören mir selbst die Verantwortung dafür zu geben, wie Dinge sich entwickelt haben und wieder positive Energie zu finden, um weiter zu machen und mich in neuen Projekten zu engagieren. Jetzt in diesem Aufarbeitungsprozess erscheinen die Fragen und kritischen Themen noch klarer. Sie wirken schärfer, definierter, noch immer relevant und sie drängen mich dazu, unsere Strategieplattform weiter zu nähren. Ich kam an einem Wendepunkt meines Lebens nach Ramallah. Gerade hatte ich die Stadt verlassen, in der ich die letzten sieben Jahren gelebt, gearbeitet und mich aktiv engagiert hatte, um eine neue spannende wissenschaftliche Stelle in einer anderen Stadt und Institution anzunehmen. Das bedeutete auch, mich zu entscheiden, ein Projekt und eine Gruppe zu verlassen, an deren Aufbau ich mich über lange Zeit beteiligt hatte. Es war eine schwierige und schmerzhafte Entscheidung, welche ich dennoch schon viel früher hätte treffen sollen, als Unstimmigkeiten bezüglich Werten und Konflikte ihren Höhepunkt erreicht hatten. Doch als Teil eines Zusammenhangs, der durch eine Verknüpfung von Aktionsforschung und aktiver Bürger_innenschaft entstanden war, fühlte ich mich nicht bereit, diese Gruppe, die ich lange Zeit als eine Mischung aus gleichgesinnten Aktivist_innen und Freund_innen gesehen habe, aufzugeben. Stattdessen verbrachte ich Monate damit, meine Energie dafür aufzuwenden, die aufkeimenden Projekte und Träume zu stärken, während ich deren Übernahme, Sexismus und Manipulation erlebte und sprachlos darüber war, wie Freund_innen sich dazu nicht äußerten. Trotz alle­ dem war ich bemüht, konstruktive Beziehungen zwischen der Gruppe und dem Außen aufrechtzuerhalten. Ich konnte einfach nicht glauben, wie frustrierend alles geworden war. Wir waren so weit gemeinsam gekommen. Vom Umgraben der grasigen Erde eines Parks, um einzufordern, dass Essen für alle da sein sollte, bis zur Abhaltung von Treffen im Rathaus und der realpolitischen Zustimmung für die Umsetzung eines partizipativen Ernährungspolitikplans. Je mehr auf dem Spiel stand und je offensichtlicher die unterschiedlichen Wertevorstellungen

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aufeinanderprallten und Eigeninteressen zum Vorschein kamen, desto hässlicher wurden die Kämpfe. Eine geografische Veränderung half mir, dieses Projekt zu verlassen, allerdings nicht ohne das Gefühl versagt zu haben. Meine Motivation, das Panel bei der Ramallah Konferenz mitzuorganisieren, kam einerseits vom Bedürfnis, mit anderen über die Ambivalenzen, die ich rund um meine Erfahrungen mit Aktionsforschung, verwoben mit forschendem Aktivismus und aktiver Bürger_innenschaft spürte, zu reflektieren und andererseits vom Wunsch, nach vorne zu blicken. Während ich in unseren Diskussionen in Ramallah vor allem darauf konzentriert war, euren Erzählungen zu lauschen und mit euch die emotionalen Aspekte der Kämpfe und die Widersprüche in meiner eigenen Erfahrung mit urbanen Ernährungsbewegungen zu teilen, so habe ich jetzt das Gefühl, die methodologischen Knotenpunkte, aus denen diese hervorgegangen waren, viel klarer zu sehen. Obwohl die erste Erfahrung mich daran zweifeln ließ, ob es das überhaupt wert war und ob ich überhaupt die Fertigkeiten und Lust hatte, in einem politisch und ethisch so heterogenem Umfeld zu arbeiten, so half mir diese Veränderung der Lebens- und Arbeitsumstände dennoch dabei, wieder zu entdecken, in welche Richtung meine aktivistischen Bemühungen gehen. Ich nehme wieder einmal die Herausforderung an, aktivistische Wissenschaft außerhalb (oder vielleicht quer durch) »die radikale« Bewegung zu machen. Indem ich mich selbst als aktivistische Forscherin wiederentdecke, sehe ich die methodologischen Knotenpunkte, die wieder und immer wieder auftauchen, jetzt viel klarer. Vielleicht ist es also an der Zeit, mich diesen Fragen zu widmen und darüber nachzudenken, was auf der Tagesordnung unserer zukünftigen Diskussionen stehen sollte. Bericht- und Finanzierungssystem Die Umwandlung von Universitäten in neoliberale Institutionen, die zunehmend auf Zahlen und Buchhaltungsverfahren konzentriert sind, um den Forschungs-­ Impact zu bewerten und Forschungsförderungen einzubringen, hat einige meiner Handlungen, die ich während meiner Forschungserfahrungen als forschenden Aktivistin unternahm, massiv geprägt. Überhastete Entscheidungen, enge Zeitrahmen, der Druck, handfeste Ergebnisse zu liefern, all das hat organische Lernprozesse, Empowerment und Vertrauensaufbau sowie das Zusammenfassen und Weitergeben extrem eingeschränkt. Mit Sicherheit hatte all das einen großen Einfluss darauf, wie sich Dinge in meiner bitteren Erfahrung entwickelt haben. Ich hatte auch das Gefühl, dass die Abläufe von finanzierter »Aktionsforschung« sich meist schwer mit den unordentlicheren Abläufen der Bewegungen und forschenden Aktivist_innen vereinbaren ließen. Trotzdem sind wir oft von Förderungen abhängig,

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um die nötige Zeit und die Ressourcen freizuspielen, um überhaupt aktivistische Forschende sein zu können. Meine Fragen sind somit: Welche Strategien könnten wir anwenden, um diese Zwänge zu überwinden und unsere aktivistischen Abläufe zu stärken? Welche Kompromisse und Einschränkungen können wir akzeptieren, welche nicht? Und wie können wir dieses System so herausfordern und lenken, damit es zu einem besseren wird? Können wir eine Widerstandspolitik im Sinne der langsamen Wissenschaft des »Great Lake Feminist Collective«2 entwickeln (Mountz et al. 2015)? Werte und Gerechtigkeit Das Bewusstsein über unsere Positionalität ist zweifellos ein zentrales und wiederkehrendes Thema auf unseren Wegen. Als aktivistische Forschende lassen wir uns auf Aktionsforschung ein, in welcher die eigene Verortung, Werte und Gerechtigkeitsvorstellungen offengelegt werden. Gleichzeitig beteiligen wir uns als Aktionsforschende an Gruppenbildungsprozessen und dem Aufbau neuer Soli­ daritäten, was uns in eine Lage bringt, in der wir unsere eigenen Identitäten als Gruppenmitglieder aufbauen oder neu definieren. Der Enthusiasmus und das Gefühl von Gemeinsamkeit, das rund um manche Projekte und Aktionen entsteht, hält uns manchmal davon ab, die grundlegenden Werte der Menschen um uns tatsächlich zu sehen. Allerdings können tiefe Diskrepanzen zwischen Gerechtigkeitsvorstellungen aufkommen und meistens geschieht das in kritischen Momenten, in denen die Gruppe eine bestimmte inhaltliche Position einnehmen muss. In diesen Situationen kommen tief verwurzelte Wertesysteme ans Tageslicht und jene scharfen Differenzen werden sichtbar, die bis dahin von unserem Enthusiasmus und dem Vermischen unserer eigenen widersprüchlichen vielfältigen Identitäten verdeckt wurden. In meiner eigenen Erfahrung brachte mich ein konfrontativer Vorfall etwa dazu, mich entscheiden zu müssen, entweder meinen eigenen Werten und meiner Positionalität innerhalb von Ernährungsgerechtigkeit treu zu bleiben oder aber die Bedürfnisse der Gruppe (die zu der Zeit in eine besonders fragile politische Verhandlung involviert war) zu erfüllen und im Namen eines

2 Das Kollektiv besteht aus Wissenschaftlerinnen, die eine Strategie entwickelten, sich dem Druck der neoliberalen Universitäten auf Lehre, Forschung und Publikationsziele zu widersetzen, indem sie Räume für intellektuelle Freiheit und Kreativität aufrecht erhielten und somit ihre geistige Gesundheit schützten und ihre Work-Life Balance bewahrten. Ist es möglich im Kontext der Verknüpfung von (Aktions-)forschung und Aktivismus etwas ähnliches zu schaffen?.

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Zusammenhangs von Menschen zu sprechen, die viel weniger klar positioniert waren als ich. Konflikte, die als Konsequenz von unterschiedlichen Wertevorstellungen entstehen, können Gruppen spalten und jahrelange Arbeit aufs Spiel setzen. Gleichzeitig können diese Konflikte auch Gelegenheiten dafür bieten, »unklare« Beteiligte dazu zu bringen, Position zu beziehen oder etwa innerhalb der Gruppe regelmäßig »Werte-checks« stattfinden zu lassen, um damit die Motiva­ tion und die Werte jeder einzelnen sichtbar zu machen. Die schnell wachsende urbane Ernährungsbewegung, angetrieben von einer Mischung an neuen enthusiastischen Gärtner_innen, Stadt-Bäuer_innen, alten Aktivist_innen und aufkommenden »green-washers«, ist ein Kontext, der besonders anfällig für sehr unterschiedliche Werte und Visionen ist. Was ich aus meinen – zum Teil frustrierenden – Erfahrungen in diesem Kontext gelernt habe, ist die Notwendigkeit einer Reflexion über diese Vielfalt und einer klaren Positionierung darin. Das kann bedeuten, freundlicher zu sich selbst zu sein und Gruppen zu verlassen, wenn die Zeit dazu gekommen ist, regelmäßige »Werte-checks« einzufordern oder aber die Frage nach dem Verhältnis zwischen Aktionsforschung und Politik aktiver zu stellen. Kontexte – das Urbane In Ramallah begannen wir darüber zu diskutieren, wie eine »Schule« etwas sein könnte, das uns dazu bringt zusammenzuarbeiten. Meinem Gefühl nach war eine der Schwierigkeiten, die wir während dieser ersten Phase der Ideenfindung hatten, uns darauf zu einigen, mit wem wir uns vorstellen können, diesen Weg zu besprechen und zu begehen. Mit Kleinbäuer_innen? Städtischen Aktivist_innen? Ernährungsplaner_innen? Vor dem Hintergrund des Treffens (der britischen Ernährungssouveränitätsbewegung) von dem ich gerade zurückkomme, habe ich das Gefühl, dass noch mehr getan werden müsste, um die Besonderheiten des »Urbanen« speziell in unserer eigenen Arbeit und generell innerhalb der Kämpfe für Agrarökologie und Ernährungssouveränität zu verstehen. Was mir beim Treffen kürzlich am meisten auffiel war die große Stille rund um das Urbane. Ich hatte das Gefühl, hauptsächlich von städtischen Aktivist_innen umgeben zu sein, die sich eine ländliche und von Bäuer_innen geführte Revolution vorstellen und dafür kämpfen. Doch was ist mit der urbanen? In Zeiten, in denen die Vereinnahmung von Ernährungsinitiativen am Höhepunkt angelangt ist und urbane Ernährungs­ bewegungen scheinbar die Narrative und Ideale der Ernährungssouveränität annehmen, ist vielleicht der Moment gekommen, um die Frage aufzuwerfen, was eine Befreiung vom Ernährungsregime für den städtischen Raum tatsächlich bedeuten würde, ohne auf vereinfachende Vorstellungen der kleinbäuerlichen Revolution

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zu verweisen oder aber auf urbane Landwirtschaft als Lösung all unsere Probleme. Wir brauchen viel tiefgreifendere und verflochtenere Veränderungen, die sich nicht nur auf die Lebensmittelproduktion anderswo und auf lokalen Lebensmittelkonsum auswirken, sondern auf eine Reihe von Prozesse im Zusammenhang mit der Art und Weise, wie wir natürliche Ressourcen nutzen, teilen und reproduzieren. Anstatt die »Ernährungsbewegung« zu repolitisieren, sollten wir eine »urbane Agrarökologie« aufbauen. Ich habe das Gefühl, dass es an der Zeit ist zu fragen – und immer wieder zu fragen! –, wie der Kontext des Städtischen unsere Kämpfe für Agrarökologie und Ernährungssouveränität einschränkt und prägt. Was bedeutet »urban« in »urbaner Agrarökologie«? Wenn wir nicht nur einfach Vorstellungen und Ernährungspraktiken vom ländlichen Kontext in einen urbanen verschieben wollen, sondern die neoliberale Urbanisierung herauszufordern suchen und »das Urbane« als Commons neu denken wollen, welche Vorstellungen aktivieren wir dann für unsere urbane agrarökologische Perspektive? Was sind ihre spezifischen Herausforderungen? Und wie würde eine Strategieplattform, die sensibel für geografische Gegebenheiten ist, damit umgehen? Es wird Ende des Sommers (2016) eine Geografiekonferenz in London stattfinden. Was haltet ihr davon, ein Panel zu organisieren, um unsere Diskussionen von Ramallah weiterzuführen? Vielleicht können Barbara und ich einen Call planen? Chiara ***

Liebe Alle, es ist schön, sich die Zeit zum Schreiben zu nehmen und eure Gedanken, Geschichten und Fragen neben denen wieder zu lesen, die auch ich im Prozess des Nachdenkens über aktivistische Forschung, urbane Ernährungsbewegung und darüber »was getan werden sollte«, formulierte oder nicht formulierte. Im Moment erhole ich mich gerade von einem Fahrradunfall der mir weitere Komplikationen beschert hat. Mit meinem Bett und dem Himmel als Horizont meiner letzten Tage kam mein hastiges Leben plötzlich zum Stillstand. Beinahe kann ich die Sprechchöre der Proteste in Paris gegen die geplante Arbeitsrechtsnovelle hören, während ich über die Diskussionen nachdenke, die wir hatten. Eine gute Übung

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für Geduld und Reflexion, auch wenn gerade Kämpfe rufen. Während unseres Zusammentreffens fühlte ich mich von unserer Gruppe inspiriert und begeistert und gleichzeitig so, als käme ich aus einer anderen Welt. Ich bin zwar inzwischen nicht mehr in urbane Gärten und Recht-auf-Wasser-Bewegungen involviert, doch ich war erfreut über eine Gruppe, die unsere Institutionen und ihre aufgezwungenen Forschungsabläufe sowie unsere eigene Rolle als Personen, die Veränderung vorantreiben wollen und von institutionellen Verortungen abgesichert (und ausgebeutet!) werden, infrage stellt. Das Thema der aktivistischen Forschung hat sich für mich verändert, seit ich mehr in Community-Organizing-Gruppen in Frankreich und Großbritannien und in Mieter_innenaktivismus und internationaler Gewerkschaftsbewegung involviert bin als in Gärten, doch ich glaube, wir teilen dennoch den gleichen Kampf. Als ich meine Präsentation für Ramallah vorbereitete, habe ich Folgendes geschrieben: »Chiara und Barbara haben uns die Herausforderung gestellt, Wege zu finden, urbane Ernährungsbewegungen weiter zu politisieren. Da es ambitioniert erscheint, in dreißig Minuten neu zu definieren, was das Politische ist, würde ich gerne einige Gedanken mit euch teilen, die Ernährung und Wasser zusammenbringen: 1. Vergessen wir nicht, dass wir Emotionen und Körper, Wut und Freude vom Politischen nicht trennen sollten. Wenn eine Person keinen Zugang zu Wasser hat, gibt es eine ›rohe‹ Wut, welche auf einer der ersten Emotionen aufbaut, die ich als politisch verstehe: dem ›das ist ungerecht‹. Es wird eine grundlegende Grenze überschritten (etwa bei der Wasserbewegung in Irland), wodurch das ausgedrückt wird, was viele (Ranciere, Mouffe, Swyngedouw aber auch früher Marcuse) als grundsätzliche Verweigerung der aktuellen Verfasstheit der Realität identifizieren. In diesem einfachen Satz finden wir das weitverbreitete Verständnis davon, was gerecht und was ungerecht ist. Ich glaube, es ist dieses rohe, ›körperliche‹ und fast irrationale Gefühl von Ungerechtigkeit, das von urbanen Ernährungsbewegungen geweckt werden müsste, um politisch zu bleiben. 2. Denken wir darüber nach, auf welcher Maßstabsebene wir eingreifen wollen. Zum Schutz von Individuen oder Nachbar_innenschaften, von Städten oder einer Bewegung? 3. Was sind unsere Forderungen und Ziele? Ein Unternehmen, eine Gemeinde, ein Nationalstaat? Welche Machthebel haben sie und welche haben wir gegen sie? In welchen Diskursen sind sie verankert (Konsument_innen, Bürger_innen­schaft, Administration, öffentliches/privates Recht)?

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Ich hinterfrage ständig die Rolle von forschenden Aktivist_innen oder aktivistischen Forschenden. Die Trennlinie ist in Bezug auf Identitäten, Aufgaben, Ergebnisse, Loyalitäten, Ziele und Visionen sehr fein. Wir begeben uns in verschiedene Rollen im Laufe eines Tages. Trotzdem besteht ein großer Unterschied zwischen Aktivismus, der außerhalb der eigenen Arbeitsstunden gemacht wird, und der Rekonzeptualisierung unserer Arbeit als Aktivismus, vor allem, wenn diese Arbeit in Forschung und Lehre aufgeteilt ist. Wenn ich mit Bewegungen oder bestehenden aktivistischen Gruppen arbeite, frage ich mich genau, welche Rolle ich einnehme. Um meine Aufgaben und meine Beziehung zu dieser Gruppe zu klären, habe ich versucht verschiedene Typologien zu entwickeln: → Ist es eine Rolle, in der ich bei alltäglichen Aufgaben aushelfe, wie etwa Förderanträge zu schreiben? → Ist es eine beobachtende Rolle, in der ich dokumentiere (ethnografisch, mit Interviews, usw.), was passiert und dabei zentrale Themen und Forderungen aufzeige? → Ist es eine Rolle, in der ich Bewegungen bei der Reflexion ihrer eigenen Strategien nach außen und ihrer internen Praktiken, ihrer Erfolge und Misserfolge unterstütze? → Ist es eine Trainer_innenrolle, in der ich Methoden, Informationen zur Geschichte der Bewegung, bestimmte Fertigkeiten oder Wissen einbringe? → Ist es eine Rolle der Sammlung von Daten, mit denen die Bewegung arbeitet (also Interviews, Studien,..)? → Ist es eine strategische Rolle, in der spezielles Wissen (z.B. über die rechtliche Situation), bestimmte Netzwerke oder aber Daten und Nachweise für mögliche Gesetzesänderungen gebraucht werden? → … weiter zu führen!« Diese Gedanken zu Gerechtigkeit, der Maßstabsebene, den Zielen und Rollen beschäftigen mich nach wie vor. Ich mache noch immer Fehler und lerne dabei. In Ramallah hab ich Leute getroffen, bei denen ich den Eindruck hatte, sie haben ihre Emotionen (Wut, Sehnsucht, Trauer) in Fragen, Aktionen und Hoffnung umwandeln können. Ich hatte das Gefühl, dass wir auf ähnliche Weise Handlungen umsetzen und gelernt haben, simple Fragen zu stellen. Ist das normal? Ist das gerecht? Ist das gewaltvoll? Wer hält diese Gewalt aus? Wie können wir diese Situation bekämpfen und verändern? Wie können wir den Wunsch der Menschen nach Veränderung entfachen? Können die Konzepte von

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»Ernährung«, »Wasser« oder allgemein Commons eine mobilisierende Wirkung haben? Wenn ja, wie und wo? Keine Antworten heute, aber ich hoffe auf Austausch. Ich verorte mich nach wie vor im Konzept von Gerechtigkeit. Ich glaube dass der Bezug auf Commons, die nicht kommodifiziert werden sollen, Bewegungen viel Kraft gibt. Im Kampf für Mieter_innenrechte, für Arbeitsrechte, gegen Landgrabbing oder für öffentliche Wasserversorgung reagiere ich auf politische oder geografische Umstände, die plötzlich ein Gefühl von »das ist nicht gerecht« und »das muss verändert werden« entfachen. Ich glaube, dass es unsere Rolle ist, aufmerksam für diese Umstände zu bleiben und uns manchmal auch zu erlauben, im Hinblick darauf pragmatisch zu sein, was die beste Richtung für eine Angriff wäre. Ich nehme eher ein flexibles als ein prinzipientreues Politikverständnis an, obwohl die Grundlage die gleiche bleibt: Gerechtigkeit und Gleichberechtigung in konkreten Begegnungen. Ich frage mich, was ihr darüber denkt. Sind wir uns einig, uns nicht auf diese taktischen Standpunkte zu einigen? Die Maßstabsebene verweist auf dieses ständige Ringen um das Gemeins­ame in der Unterschiedlichkeit. Einige dieser Aspekte zeigen Severin und Ella in ihrem Bericht über die Spannung zwischen bestehenden Gärten, neuen kommerziellen Projekten und einem zögerlichen nationalen Netzwerk auf. Smith (1996) und viele andere diskutieren darüber, wie notwendig es wäre, dass Menschen und Bewegungen sich zwischen Maßstabsebenen so bewegen können, wie es auch das Kapital und Nationalstaaten gelernt haben zu tun. Doch was bedeutet das Springen zwischen Maßstabsebenen in der Theorie und in der Praxis, wenn ein Teil unseres Aktivismus (Organisierung oder Gärtnern) so stark lokal verankert ist? Was sind Werkzeuge, Werte, Vorstellungen und Forderungen, die eine gemeinsame Geschichte von fix verorteten und doch unterschiedlichen Hot-Spots (siehe Anderson 2015) aufbauen könnten? Arbeiten wir zusammen über persönliche Verbindungen, über institutionelle Strukturen oder in Form von temporären Treffen? Ich glaube, unser Austausch zeigt auch gemeinsame Lernprozesse auf: die Notwendigkeit, an alltäglichen Themen anzusetzen, an kleinen Erfolgen zu arbeiten, öffentlichen Austausch und Aktionen zu wagen und die Sphären von Produktion und Konsum als in einem dialektischen, politischen und starkem Verhältnis zueinander zu begreifen. Ich glaube, wir sollten weiterhin unsere verschiedenen Identitäten als Arbeiter_innen, Bürger_innen, Mitglieder einer Gemeinschaft und Konsument_innen miteinander verknüpfen, um uns somit unsere Commons wieder anzueignen. Eine andere Frage über die ich gestolpert bin: Wie ist es möglich, normativ aber nicht wertend zu sein, wenn wir in breiten Allianzen für Veränderung

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arbeiten? Indem ich den Erfahrungen unserer kleinen Gruppe zuhöre, versuche ich beides, dieses normative Verständnis von Gerechtigkeit, das an Emotionen geknüpft ist, ebenso zu kultivieren, wie die ständige Neugierde für andere. Ich versuche, mich in meiner wissenschaftlichen Community wie auch in meinem aktivistischen Leben klar zu positionieren und trotzdem mit Freundlichkeit und Neugierde Studierenden, Kolleg_innen und anderen Leuten zuzuhören. Ich versuche zu kämpfen, ohne zu verurteilen, und das möchte ich langfristig mit und neben euch und anderen Menschen aus sozialen Bewegungen tun. Ich hoffe, wir können diesen Austausch über Briefe sowie während und durch Veranstaltungen und praktische Tätigkeiten fortführen. Wir hören uns bald, mehr und woanders. Herzliche Gedanken, Emma ***

Liebe Barbara, Chiara, Emma, ich bin etwas schockiert darüber, wie lange ich gebraucht habe, um wieder an unsere Idee der Strategieplattform aus Ramallah anzuknüpfen. Ich war ziemlich beschäftigt damit, meinen Teil in unseren lokalen Kämpfen beizutragen, unsere Gemeinschaftsgärten zu unterstützen, kritische und kollektive Kartierungen vor­anzutreiben, den transatlantischen Wissensaustausch zu urbaner Agrar­ ökologie zu fördern und meine Dissertation zu schreiben. All das erfüllt mich mit Freude, Arbeit und Ideen. Ich fühle mich im Hier und Jetzt, doch während ich all diese tollen Dinge mache, wird eine »Plattform für kollektive Bildung und Aktion« auch immer relevanter. Aus diesem Grund freue ich mich, den Traum einer »Schule für politische urbanen Agrarökologie«, der in Ramallah entstand, weiterzuspinnen. Ich glaube, wir müssen mehr über das »Politische« in der urbanen Agrarökologie sprechen, vor allem in Zeiten wie diesen, in denen die Agrarökologie langsam von herrschenden Diskursen vereinnahmt oder hauptsächlich mit einem Fokus auf ökologische Fragen diskutiert wird (urban. agroeco.org), während urbane Gärten noch weiter zu grünen MainstreamStadt­entwicklungswerkzeugen werden und ihre Vereinnahmung ein neues Level erreicht (z.B. mind grabbing und ästhetische Gentrifizierung durch eine

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kommerzielle Wandmalerei im Prinzessinnengarten in Berlin Kreuzberg oder die berlinweite Green-Washing-Kampagne »Pflanz was!« von Vattenfall3). Doch was könnten wir in unserer Schule für politische urbane Agrarökologie lernen? Erstens ist es essentiell, radikale Überlegungen zu den sozialen, kulturellen und politischen Aspekten von urbaner Landwirtschaft einzubringen, indem urbane politische Ökologie (vlg. Köhler 2014), Umweltgerechtigkeit und Ernährungssouveränität diskutiert werden. Damit können wir die ungleichen Auswirkungen von politischen und ökonomischen Kräften innerhalb der Produktion städtischer Umwelt aus dem Blickwinkel marginalisierter Gruppen »denaturalisieren«. Dies wiederum hilft uns bei der Analyse der Rolle der urbanen Landwirtschaft in der Gestaltung und Veränderung sozio-ökologischer Verhältnisse. Unsere politische urbane Agrarökologieschule könnte urbane Ernährungs­ bewegungen und die Produktion von Grünflächen (re)politisieren, indem Agrar­ökologie (vgl. Altieri 2012) mit militanter Untersuchung (vgl. Colectivo Situaciones 2008) und Bildung von unten (vgl. Freire 2007) verknüpft wird. Agrarökologie lehrt uns, wie wir Wissenschaft mit traditioneller Landwirtschaft und sozialen Bewegungen zusammenbringen können. Wenn wir diese Idee in den städtischen Kontext übersetzen wollen, müssen wir Verbindungen einerseits mit peri-urbanen Kleinbäuer_innen und andererseits mit urbanen sozialen Bewegungen schaffen, die vielleicht (noch) nicht direkt mit landwirtschaftlichen Kämpfen vernetzt sind. Militante Untersuchung kann uns dabei helfen, einen kreativen Raum für Alternativen zur traditionellen Wissenschaft wie auch zum traditionellen Aktivismus zu schaffen. Sie zeigt uns Wege, wie diese Kämpfe vor Ort unterstützt werden können, indem kritische Theorie und radikaler Praxis fruchtbar kombiniert werden. Vom Ansatz der Bildung von unten können Werkzeuge übernommen werden, um Ermächtigung und kollektive Wissensproduktion durch einen Dialog zwischen Gärtner_innen, Kleinbäuer_innen und forschenden Aktivist_innen anzustoßen. Unsere Schule wird das herkömmliche Schulparadigma untergraben. Ich träume von einem Ort des gegenseitigen Austausches, an dem wir alle gleichzeitig Kleinbäuer_innen, Studierende, Lehrende, Forschende und Aktivist_innen sein können. Ein Ort, der kreative und kollektive Bildung außerhalb der Enge des

3 Im Sommer 2016 warb Vattenfall auf Postern und im Internet mit seinem Engagement für ein grüneres Berlin. De facto wurde ein einziger »Gemeinschaftsgarten« gebaut, der jedoch den Namen zu Unrecht trägt, da die soziale und ökologischen Praxis davon stark abweicht. Für mehr Informationen siehe: http://pflanz-was.vattenfall.de/.

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Klassenzimmers ermöglicht und an dem lokale Kämpfe für Gerechtigkeit durch Arbeit auf den Feldern, im Garten und auf den Straßen unterstützt werden. Eine Schule, in der wir durch kollektive Praxis eine gemeinsame Sprache für radikale sozio-ökologische Visionen entwickeln. Eine Schule, die lokal verankert ist und gleichzeitig auf einem internationalen Geflecht von forschenden Aktivist_innen und neuen Arten von selbstorganisierten, dezentralisierten und nicht-hierarchischen Allianzen und Netzwerken aufbaut (vgl. Escobar/Hartcourt 2005). Um unsere Ideen zu verwirklichen, würde ich es bevorzugen, uns das nächste Mal in einem weniger akademischen und mehr aktivistischen Kontext zu treffen. Vielleicht können wir gemeinsam einen Workshop organisieren? Wir könnten ihn langsam vorbereiten und den Gedankenaustausch schon jetzt starten, vielleicht indem wir gemeinsam einen Brief für dieses Urban Green Comons-Buch schreiben? Lang lebe die Agrarökologie! Severin

P.S.: Gartengrüße von Ella! Wir konkretisieren schon einige Ideen und planen einen ersten Workshop zu forschendem Aktivismus an der Nachbarschaftsakademie in Berlin im August, um die Widersprüche urbaner Landwirtschaft zu diskutieren. Wir hoffen, euch dort zu sehen. ***

Liebe_r Severin, Ella und Emma, wir haben es genossen, eure Briefe zu lesen und unsere eigenen zu schreiben. Ein anderer Brief, der uns vor einigen Jahren, als wir begannen, unsere eigenen Fragen und Zweifel darüber auszugraben und niederzuschreiben, wie Forschung und Aktivismus unter einen Hut gebracht werden kann (Tornaghi/VanDyck 2014),

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sehr inspiriert hat, ist der offene Brief an forschende Aktivist_innen4 von Laura Pulido (2008). Inzwischen verstehen wir viel besser, wie wir in den Dicho­tomien von Aktivismus und Forschung, von Forschenden und Beforschten und von Politik und Wissen gefangen waren. Indem wir versuchen, diese Dichotomien zu überwinden, sind wir heute weniger damit beschäftigt das eine mit dem anderen in Einklang zu bringen, sondern konzentrieren uns stärker darauf, Forschungs­ zugänge zu dekonstruieren und Wege zu finden, unsere Forschungsfertigkeiten so gut wie möglich in unserer politischen Arbeit zu nutzen. Ob durch das Publizieren von Texten, das Aufbringen von Themen oder durch gemeinsame Reflexion und strategische Arbeit. Als wir unsere Briefe erneut lasen, und zwar durch die Brille von Forschenden – welche wir schlussendlich doch liebend gerne tragen – machten wir uns darüber Gedanken, wie die Strategieplattform (oder »Aktionsforschungs-Austausch-Raum« ?) zu unserer eigenen Reflexivität und unseren Werkzeugen für das Vorantreiben einer urbanen Agrarökologie beitrug und was wir von diesem Prozess gelernt haben, das es auch wert ist, hier geteilt zu werden. Als wir darüber nachdachten, wurde uns klar, dass der Aufbau einer Strategieplattform einen nicht-linearen Weg nimmt, der aus dem Experimentieren mit einer Vielfalt an Interaktionsorten und -formaten entsteht und der es auch mal zulässt, einen Schritt zurück zu gehen und etwas umzuplanen. Auf diesem Weg gibt es Zeit zu Denken und die Möglichkeit, den Prozess zu verlassen oder auch wieder daran anzuknüpfen, mit unterschiedlicher Geschwindigkeit und an verschiedenen Orten. Es ist ein Prozess, der davon angetrieben wird, dass wir unseren Intuitionen folgen, uns selbst von unserer hinterfragenden Natur inspirieren und begeistern lassen und vor allem davon, dass wir offen unsere Emotionen teilen – unseren tiefen Schmerz über Ungerechtigkeit – und unseren Traum nähren, diesen Schmerz gemeinsam zu bekämpfen. Darüber nachzudenken, wie die Plattform uns in unserer eigenen Reflexivität unterstützt, macht den starken Fokus auf – und das oft unangenehme Gefühl über –

4 In »»FAQs: Frequently Asked Questions on Being a Scholar/Activist«« (2008) greift Laura Pulido auf ihre eigenen Erfahrungen zurück, um einen offenen Brief an (potentielle) forschende Aktivist_innen zu schreiben. In diesem Brief schreibt sie von häufig gestellten und nicht gestellten Fragen von Studierenden und jungen Forschenden, indem sie das weitergibt, was sie selbst von ihrer »organischen Praxis« gelernt hat. Wir fanden diese Initiative besonders hilfreich und inspirierend, da wir selbst auf unseren eigenen Wegen auch mit vielen dieser Themen, die sie aufwirft, konfrontiert sind.

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die Ambivalenzen, Problematiken und Uneindeutigkeiten in Bezug auf unsere Rolle als aktivistische Forschende, sowohl innerhalb der Bewegung als auch innerhalb der Wissenschaft, besonders deutlich. Durch den gemeinsamen Prozess konnten wir uns über die Ähnlichkeiten der Zwänge, die uns Förder- und Arbeitgeber_innen aufladen ebenso austauschen wie über die Relevanz, unsere eigene Positionalität zu bekräftigen und unseren Wurzeln in den Vorstellungen von Gerechtigkeit und Bescheidenheit treu zu bleiben. Sichtbar wurde dabei auch unser Bedürfnis danach, unsere Politiken mit unseren Körpern, Emotionen, mit unserer Wut und Freude zu verbinden. In Bezug auf den Austausch von Werkzeugen und Strategien war die Plattform bereits ein Ort, um Erfolge und Leerstellen zu teilen. Berichtet wurde vom Erarbeiten eines Manifests, um die Gartenbewegung politisch zu positionieren und von der Organisation von Debatten und Aktionen, um Menschen dazu zu bringen, Stellung zu beziehen, von der Relevanz regelmäßiger »Werte-checks«, der Notwendigkeit einer Vorstellungen über soziale Veränderung sowie vom Aufbau einer Bewegung durch die Verknüpfung städtischer Kämpfe. Diese Strategien erschienen zentral, doch gleichzeitig haben wir davon geträumt, uns weiter zu bewegen. Während des gemeinsamen Prozesses fand eine Verschiebung statt, von unserem Wunsch, urbane Ernährungsbewegungen zu stärken, hin zum Bedürfnis eine politische urbane Agrarökologie zu konkretisieren. In gewisser Weise ähnelt unser Austausch konventionellen Interaktionen zwischen Kolleg_innen in wissenschaftlichen Disziplinen. Dabei werden Forschende intellektuell in ihren Analysen und Beobachtungen mit dem Ziel herausgefordert, ihre Analysen und Wissensansprüche zu schärfen. Unsere lose Plattform bringt uns dazu, unsere Konzeptualisierung von urbaner Landwirtschaft und Politisierung, von urbanen Ernährungsbewegungen und forschendem Aktivismus zu hinterfragen. Während gemeinsames Nachdenken wichtig ist, wird Sorgearbeit, Raum für Emotionen und Zwischenmenschliches sowie der Austausch von praktischen Tipps darüber, wie wir uns in neoliberalen Universitäten am besten durchmanövrieren können oder gegenseitiges taktisches und strategisches Feedback oft als nicht-wissenschaftliche Arbeit abgetan. Doch in unserer Erfahrung ist all das für forschenden Aktivismus essentiell. Das erklärt auch, warum wir beschlossen haben, das geplante Panel zu politischer urbaner Agrarökologie bei der Geografiekonferenz dieses Jahr, mit dem wir die Strategieplattform weiter vorantreiben wollten, wieder abzusagen. Wir kamen zu dem Punkt, dass unser Call für Beiträge nicht nur zu vage formuliert war, sondern dass das Format der Konferenz, wie auch Severin schon betonte, für die Art des Austausches, den wir schaffen und stärken wollen, nicht geeignet ist. Die

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Plattform nimmt gerade erst Formen an und ist noch keine Bühne für die öffentliche Präsentation von Ideen. Während wir diesen Prozess lieben, in dem Reflexionen angeregt und Strategien geteilt werden und aktives Erinnern von Erfahrungen (vgl. Vercauteren 2011), Sorgearbeit und Inspiration stattfindet, sehnen wir uns dennoch schon jetzt danach, euch wieder zu treffen, um Wege zu finden, den Dialog und strategische Allianzen mit Bodenbakterien, Regenwürmern, Nährstoffen, weggeworfenem Essen, Schulkindern und Kleinbäuer_innen voranzutreiben. Das erinnert uns an eine Passage in Michael Newmans Teaching Defiance (2006: 174): »Es ist kein Zufall, dass Leute lange Distanzen auf sich nehmen, um an Treffen teilzunehmen. Probleme können verschwinden als Ergebnis einer Berührung des Ellbogens, durch ein Einhaken, einen Händedruck oder eine Umarmung […] in diesen Momenten findet ›das Gespräch‹ über körperliche Präsenz statt. Worte werden zweitrangig. Manchmal müssen wir das Gespräch in den Vordergrund stellen, aber das Gespräch selbst und nicht der Inhalt wird von Bedeutung sein.« (Übers. S.K.) Um die Energie und das Vertrauen für bedeutungsvolle Gespräche, politische Strategieplanung und gemeinsames Nachdenken zu schaffen, ist es letztendlich notwendig, Zeit miteinander zu verbringen, den Geruch der anderen kennenzulernen, ihre Ängste, ihren Geschmack, die Stimmen und die Arten der Interaktion. Barbara und Chiara Aus dem Englischen übersetzt von Sarah Kumnig.

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Aktivismus trifft Forschung in Gemeinschaftsgärten – Praktische Erfahrungen mit einer fruchtbaren Beziehung Severin Halder, Ella von der Haide, Miren Artola, Dörte Martens1 Emanzipatorische Wissensproduktion ist vor allem ein kollektiver Prozess, der aus der Verbindung von Aktivismus und Wissenschaft entspringt. Angela Davis 2013

Einleitung Urbane Gemeinschaftsgärten gelten als innovative Orte für soziale, ökologische, politische und ästhetische Experimente (Baier/Müller/Werner 2013). Sie werden als neue Räume des Zusammenlebens und der gelebten Alternativen beschrieben, die die Grenzen zwischen Stadt und Land, Natur und Kultur sowie privat und öffentlich in Frage stellen (Müller 2011). Dieser Artikel beschäftigt sich damit, wie in den Gärten auch die Trennung zwischen Wissenschaft und Aktivismus verschwinden kann. Neben zahlreichen Abschlussarbeiten entstehen immer mehr Forschungsprojekte2 zu Themen rund um urbane Landwirtschaft. Die urbanen

1 Der Text wurde gemeinsam verfasst, jedoch beziehen sich einzelne Abschnitte auf individuelle Erfahrungen bzw. andere Gruppenprozesse, weshalb die Autor_innenperspektive mehrmals im Textverlauf wechselt. 2 Eine Sammlung von Forschungsarbeiten befindet sich auf der Homepage der anstiftung (www.anstiftung.de) und des Allmende-Kontors (www.allmende-kontor.de). Eine Sammlung von Forschungsprojekten bietet www.stadtacker.net.

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Gartenaktivist_innen sind teilweise von der hohen Forschungsaufmerksamkeit überfordert – nicht inhaltlich, sondern vielmehr aufgrund geringer zeitlicher Ressourcen. Dieser Text liefert einen Überblick über die Bandbreite von Möglichkeiten, Forschung und Gartenaktivismus zusammenzudenken, und zu der Frage, wie Gartenaktivist_innen die hohe Forschungsaufmerksamkeit in ihrem Sinne lenken können. Einführend erläutern wir unsere Hintergründe, Fragen und Ziele und umreißen das Feld der Aktionsforschung. Anschließend stellen wir vier Beispiele aus der Praxis vor und reflektieren diese. Mit aus der Praxis abgeleiteten kritischen Gedanken werden wir abschließen. Wir vier Autor_innen des vorliegenden Artikels sind gleichzeitig Gärtner_innen, Aktivist_innen und Forscher_innen. Wir sind Teil des Allmende-Kontors und von »Eine andere Welt ist pflanzbar!« (vgl. Exkurs) und darüber eng vernetzt mit urbanen Gärtner_innen. Das Allmende-Kontor ist ein zivilgesellschaftliches Netzwerk, das sich seit 2010 der Vernetzung und Unterstützung von Gemeinschaftsgärten und anderen Formen der urbanen Landwirtschaft widmet, u.a. durch Publikationen, Bildungsarbeit, Beratung und Forschung (s.u.). Das Allmende-Kontor hat auch die Plattform stadtacker.net (s.u.) sowie in Zusammenarbeit mit dem kollektiv orangotango Gartenkarten (s.u.) erstellt. Das sicht- und erfahrbarste Ergebnis des Allmende-Kontors ist der Gemeinschaftsgarten auf dem Tempelhofer Feld, der ganz im Geiste seiner Gründung inzwischen selbstorganisiert ist und sich von den Strukturen, die ihn entstehen haben lassen, emanzipiert hat. Informa­tionen unter www.allmende-kontor.de. Eine andere Welt ist pflanzbar! besteht aus der Filmemacherin, Forscherin und Gartenaktivistin Ella von der Haide und verschiedenen Kooperationspartner_innen (u.a. Alexander Puell, Britta Schneider, Christoph Arndt). Seit 2004 sind eine Filmreihe über urbane Gemeinschaftsgärten in Argentinien, Südafrika, Nordamerika und Deutschland (Haide 2004-2016) und diverse Veröffentlichungen entstanden. Informationen unter www.eine-andere-welt-ist-pflanzbar.de. Wir gärtnern gerne in Gemeinschaft und gleichzeitig sind wir Forscher_innen, die zu urbaner Landwirtschaft arbeiten. Wir schreiben und begleiten Abschluss­ arbeiten und Dissertationen, halten Vorträge und Vorlesungen, geben Seminare und Workshops, organisieren Forschungsprojekte, Vernetzungstreffen und Exkursionen, publizieren und drehen Filme. So stehen wir mit einem Bein in den Gärten und mit einem Bein in der Welt der Wissenschaft. Uns verbindet

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der Versuch, Forschung zu betreiben, die von urbanen Gärtner_innen lernt, sie fördert und hinterfragt, denn als Aktivist_innen haben wir Interesse daran, dass Forschung die Beforschten kritisch-solidarisch begleitet und auch praktische Ergebnisse erzielt. Wir wollen durch unsere Forschung keine Energie aus den Gärten abziehen. Denn wir erfahren tagtäglich selbst, wie viel Energie es kostet, die Graswurzel­projekte aufrecht zu erhalten, dass jedes Interview Zeit kostet und dass Geld meist anderswo verdient wird. Gleichzeitig haben wir den Gärten viel zu verdanken, schlussendlich einen schönen Teil unseres Lebens, denn ohne sie wären wir nicht dort, wo wir sind, samt unseren Netzwerken, akademischen Titeln, Stipendien und Jobs. Wir forschen bewusst subjektiv und befinden uns auf der Suche nach einer situierten Forschung (Haraway 1995). Das Konzept des situierten Forschens richtet sich gegen einen vermeintlich objektiven Blick, der traditionell aus hege­ monialen Positionen heraus betrachtet und davon abweichende Versionen als inadäquat entwertet. Eine situierte Forschung fördert vielseitige Sichtweisen, macht ungehörte Stimmen hörbar, ermöglicht Reflexionsprozesse und hilft dabei Machtverhältnisse zu verschieben. In diesem Sinne nehmen wir Stellung und bekennen uns zu sozialer und ökologischer Gerechtigkeit, Emanzipation, Commons und Selbstorganisation. Manche von uns nennen das, was sie machen, Aktionsforschung3, andere versuchen allgemein eine verantwortliche Forschungspraxis zu entwickeln. Doch alle wollen wir die eindrücklichen Erfahrungen mit emanzipatorischen Transformationsprozessen in urbanen Gemeinschaftsgärten in die Wissenschaft zurücktragen, um eine andere Forschungspraxis und Praxisrelevantes zu erschaffen. Unser Ziel ist es daher, Diskurse nicht über Gärtner_innen zu führen, sondern sie mit ihnen gemeinsam zu formen. Gleichzeitig wollen wir kritische wissenschaftliche Diskurse in die urbanen Gärten tragen, um kritische Lernprozesse gemeinsam mit den Gärtner_innen anzustoßen. Im Rahmen dieses Textes möchten wir unsere eigene Forschungspraxis und unseren Aktivismus gemeinsam reflektieren, um andere Aktionsforscher_innen und Garten­aktivist_innen zu inspirieren. Wir stellen uns dazu folgende Frage: Wie kann die Garten-Bewegung kritisch forschend begleitet und im Sinne einer emanzipatorischen

3 Wir beziehen uns dabei primär auf die anglo- und lateinamerikanischen Debatten um z.B. (participatory) action research oder investigación-acción, verwenden jedoch bewusst den deutschen Begriff, um einer Depolitisierung der Diskussionen um partizipative Forschung und Transdiziplinarität entgegenzuwirken.

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Transformation unterstützt werden? Anhand der Beschreibung unserer eigenen Erfahrungen in der Beziehung von Wissenschaft und Aktivismus wollen wir uns Antworten annähern.

Gartenaktivismus trifft Aktionsforschung Die meisten der Forschungsarbeiten zur urbanen Landwirtschaft interessieren sich nicht wirklich für die Fragen, Bedürfnisse und das Wissen der Gärtner_innen. Oft wird eine in der Theorie durchaus spannende Fragestellung auf die Gärten angewandt, ohne die drängenden Fragen der Praxis und deren Expertise zu berücksichtigen. Das mündet oft in Forschungsarbeiten, die nicht einmal ihren Weg zurück in die Gärten finden, da sie weder von Interesse sind für die Gärtner_innen noch eine adäquate Form besitzen, um einen Wissenstransfer zu ermöglichen. Von einem direkten Nutzen für die urbanen Gemeinschaftsgärten selber kann also meist nicht die Rede sein. Doch es gibt auch andere Ansätze und positive Beispiele, die eine enge Verknüpfung zwischen Gärten und Forschungsfragen ermöglichen: Forschungsprojekte, die eng mit Gartenprojekten zusammen­arbeiten4, Forscher_innen, die Teil der urbanen Gartenbewegung sind5 und urbane Gartenakteur_innen, die selbst forschen (vgl. Clausen 2015, Halder/Jahnke 2014). Dabei bietet sich für eine fruchtbare Kombination von Praxis und Theorie eine Verknüpfung von aktivistischer Innen- und akademischer Außenansicht an (s.a. Follmann/ Viehoff in diesem Band; Herr/Anderson 2005). Darüber hinaus schätzen wir für unsere Forschung wie auch die Diskussionen in den Gärten auch eine »unpraktische« und kritische Sichtweise auf urbane Gärten (s.a. Rosol, Eizenberg, Exner/ Schützenberger und andere Beiträge in diesem Band; Tornaghi 2014, McClintock 2013). Für einige der Akteur_innen, die sich zwischen Praxis und Wissenschaft bewegen, stellt sich die Frage, wie der Anspruch erfüllt werden kann kritisch zu forschen und gleichzeitig mit und für Praktiker_innen zu arbeiten. Aktions­ forschung bezeichnet jene Forschungsansätze, die über Beschreibungen, Analysen

4 Berliner Projektbeispiele sind INNSULA (s.u.) und Urban Gardening in Berlin (s.u.). 5 Bekannte Beispiele dafür sind die anstiftung (Christa Müller, Andrea Baier und Karin Werner), der Verein Gartenpolylog (Ursula Taborsky und Nadja Madlener) und die Forscher_innen Katrin Bohn und Elisabeth Meyer-Renschhausen.

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und Theoriebildung hinaus konkrete Ergebnisse für die Praxis erzielen. Oder in den Worten ihres Vorreiters, des Psychologen Kurt Lewin: »Eine Forschung, die nichts anderes als Bücher hervorbringt, genügt nicht« (1946: 280). Aktionsforschung erhebt den Anspruch einen konkreten Beitrag zur Lösung von Problemen zu leisten, der für das Wohlbefinden von Individuen sowie Gemeinschaften von Interesse ist (Reason/Bradbury 2006: 1). Die »Beforschten« werden dabei aktiv in den Forschungsprozess involviert und damit von Forschungsobjekten zu Forschungssubjekten: Ihre Werte, alltäglichen Probleme und ihr Empowerment stehen im Mittelpunkt. Neben Publikationen sind konkrete Aktionen und deren anschließende kritische Reflexion wichtige Ergebnisse der Forschung (Kindon/ Pain/Kesby 2007). Es handelt sich dabei nicht um eine kohärente Methodologie, sondern vielmehr um eine Orientierung der Forschung, die eine starke Anpassung an den lokalen Kontext erfordert und darauf abzielt, Forscher_innen und Praktiker_innen in Forschungsgemeinschaften zu vereinen (Reason/Bradbury 2008). Die Anwendung partizipativer Methoden spielt dabei eine zentrale Rolle und bildet die Basis, um Praxis und Theorie durch die Zusammenarbeit von Forscher_innen und Praktiker_innen zusammenzubringen. Eine sich wiederholende Abfolge von Aktion und Reflexion ist ein wesentlicher Bestandteil des Forschungsprozesses. Ziel dieses Zyklus, der als gemeinsamer emanzipatorischer Lernprozess aller am Forschungsprozess Beteiligten verstanden wird, ist eine verbesserte Analyse, Planung und Durchführung der (nachfolgenden) Aktionen. Aktionsforschung ist ein Sammelbegriff, der nicht alle relevanten Aspekte abdeckt, denn das ganze Spektrum der Forschung im Dialog mit der Praxis reicht von der militanten Untersuchung (Shukaitis/Graeber 2007) über scholar activism (Chatterton/Hodkinson/Pickerill 2010) bis hin zu partizipativen Ansätzen (Unger 2014). Auch unser Spektrum an Forschung und Aktivismus im Kontext urbaner Gemeinschaftsgärten lässt sich nicht problemlos einordnen. Der Grundgedanke der Aktionsforschung gibt jedoch eine Richtung vor, die uns entspricht. Wir geben hier eine beispielhafte Darstellung, wie die Aktionsforschung genutzt werden kann, um einen Beitrag sowohl für die Gartenpraxis als auch für die Forschung zu leisten. Um einen Einblick in die Aktionsforschung in urbanen Gemeinschaftsgärten zu bieten, widmen wir uns in den folgenden Abschnitten einer Art Werkschau forschender Gartenaktivist_innen und aktivistischer Forschung in urbanen Gärten.

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Zyklen der Aktionsforschung

Quelle: Halder/Jahnke 2014: 232

AG Forschung des Allmende-Kontors6 Der Zuwachs an wissenschaftlichem Interesse an urbanen Gärten fordert auch enorme Ressourcen der Gärtner_innen: Die Beantwortung von Fragebögen und Interviews oder die Führungen von Exkursionsgruppen brauchen Zeit, die dann für Gartenarbeit oder Gruppenprozesse nicht mehr zur Verfügung steht. Als Gartenaktivist_innen stellen wir uns die Frage, wie das Forschungsinteresse praktisch und im Sinne einer kritisch-solidarischen Begleitung zu Gunsten der Gärten eingebracht werden kann. Aus diesem Grund riefen wir Anfang 2011 die Arbeitsgemeinschaft (AG) Forschung des Allmende-Kontors ins Leben. Es handelt sich dabei um eine aktivistische Gruppe mit interdisziplinärem wissenschaftlichem Hintergrund,

6 Autor_innen dieses Abschnitts sind Severin Halder, Dörte Martens a Miren Artola.

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die sich zum Ziel gesetzt hat, die vielfältigen Anfragen von Studierenden und Promovierenden ehrenamtlich zu koordinieren und damit eine reflektierte und qualitativ hochwertige Forschung zu unterstützen. Dabei verfolgen wir die Idee, Forschung im Sinne der Aktionsforschung zu fördern und innovativen Formen der praktischen Interaktion mit der Garten-Bewegung Raum zu geben. Bis 2015 haben wir dazu im Rahmen eines selbstorganisierten monatlichen Kolloquiums Forschende eingeladen ihr Konzept möglichst früh im Forschungsprozess vorzustellen und gemeinsam zu diskutieren, um eine – für Gemeinschaftsgärten und die Forschungsentwicklung in Hinblick auf die urbane Landwirtschaft – relevante Fragestellung zu entwickeln. Des weiteren zielten wir auf das Zurücktragen von wissenschaftlichen Ergebnissen in die Garten-Community und eine freie Veröffentlichung der Arbeiten im Sinne der Wissensallmende. Im Folgenden werden wir einige in diesem Rahmen gesammelte Erfahrungen und Ergebnisse aus den Bereichen »Fokus und Relevanz der Forschung« und »Reichweite der Ergebnisse« darstellen. Logo des Allmende-Kontor in Berlin

Quelle: Allmende-Kontor

Fokus und Relevanz der Forschung Urbane Gemeinschaftsgärten sind ein komplexes Phänomen, das sehr unterschiedliche Hintergründe, Motivationen und Herangehensweisen zeigt. Verallgemeinerungen werden dem Phänomen nicht gerecht. Oft werden lediglich die bekanntesten urbanen Gärten angesprochen (in Berlin beispielsweise die

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Prinzessinnengärten oder der Allmende-Kontor-Gemeinschaftsgarten), während andere Gärten kaum adressiert werden und u.a. deshalb unbekannt bleiben. Der geballte Forschungsfokus auf einzelne Gärten wird der urbanen Garten-Diversität jedoch nicht gerecht und verzerrt die Forschungsergebnisse. Parallel dazu stehen auch häufig bestimmte Gärtner_innen im Mittelpunkt, die eher bereit sind sich befragen zu lassen als andere und die so oftmals wiederholt zu denselben Fragestellungen zu Rate gezogen werden. Wer zu einem Interview bereit ist und die Zeit dafür aufbringt, beeinflusst bereits die Ergebnisse. Möglicherweise haben aber gerade die schüchternen Gärtner_innen etwas Neues beizutragen. Wer ein Forschungsdesign nur von Literaturrecherche und Rücksprache mit Akademiker_innen ausgehend entwickelt, verpasst die Chance, im Dialog mit Gärtner_innen eine stimmige und relevante Forschung entstehen zu lassen und dabei einen Beitrag zum Gedeihen eines Gartens zu leisten. Ein solcher Beitrag wäre auch erbracht, wenn zusätzlich zu den vorwiegend positiven wissenschaftlichen Sichtweisen auf urbane Gärten ihre Widersprüche im Spannungsfeld zwischen radikalen und neoliberalen Tendenzen thematisiert würden (s.a. Rosol, Exner/Schützenberger und andere Beiträge in diesem Band; Tornaghi 2014, McClintock 2013). Bei der Auswahl der Fallbeispiele ist eine aktive Forschungshaltung nötig, um das Garten-Panorama zu erfassen und die nötigen Informationen zu erhalten. Eine fundierte Online-Recherche (u.a. auf stadtacker.net und anstiftung.de) und eine Teilnahme an urbanen Gartennetzwerktreffen ermöglichen den Einstieg in die städtische Gartenwelt. Die AG Forschung macht auf die Vielfalt von Gärten aufmerksam, deren jeweilige Ausrichtung (auf Individuum oder Gemeinschaft, Zwischennutzung oder nachhaltige Nutzung, Gemeinnutzen oder Kommerzialität, um hier nur einige mögliche Eigenschaften zu erwähnen) die Gartengemeinschaft auf bestimmte Art beeinflusst (Martens/Zacharias/Hehl 2014). So konnten wir in den letzten Jahren durch unsere langjährige Vernetzungsarbeit im Allmende-Kontor Forscher_innen auch an bisher weniger bekannte Gärten vermitteln, die Interesse an bestimmten Forschungsfragen haben. Das bedeutet für die Praxis, dass eine relevante Fragestellung adressiert wird, wie beispielsweise die Möglichkeiten des Baus einer Komposttoilette für den Garten. Für die Forschung bedeutet es innovative Projekte anstelle redundanter Ergebnisse. Eine kritische Betrachtung urbaner Gärten und von deren Schattenseiten gemeinsam mit urbanen Gärtner_innen zu erarbeiten bietet Möglichkeiten, reflexive Praktiken in urbanen Gärten zu fördern. Dies wurde von uns jedoch nur im Ansatz realisiert.

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Ergebnisse und deren Reichweite Für wen werden die Ergebnisse aufbereitet? Oft geschieht die Veröffentlichung im Rahmen der akademischen Publikationslogik (Abschlussarbeiten, Artikel in internationalen Zeitschriften etc.). Manchmal werden die Arbeiten auch dem Garten zur Verfügung gestellt. Aber ist eine solche Arbeit überhaupt lesbar und regt sie darüber hinaus an, die Ergebnisse umzusetzen und den Garten in diesem Sinne weiter zu entwickeln? Leider ist das die Ausnahme und schriftliche Arbeiten führen vielmehr zu Unverständnis sowie Frustration bei den »Beforschten«. Ein wichtiger Aspekt ist die Lesbarkeit der Ergebnisse auch im nicht-wissenschaftlichen Bereich. Die AG Forschung regt spielerische, künstlerische und konkrete Umsetzungen von Hochschularbeiten an. Gelungene Beispiele hierfür sind die Werkzeuglager-Konstruktion einer Design-Studentin im Rosa Rose-Garten, die Evaluation der ersten Gartensaison des Allmende-Kontor-Gartens durch eine kollektive Kartierung (s.u.) oder die Umsetzung eines Modells für die Verstetigung eines im Forschungsprojekt begonnenen Vernetzungstreffens (Halder/Jahnke 2014: 243). Auch die Vernetzungs- und Bildungsarbeit kann anhand kreativer Outputs maßgeblich unterstützt werden, wie die Berliner Gartenkarte (s.u.), Videos (s.u.) und das Quartettspiel Berliner Gemeinschaftsgärten (allmende-kontor. de) zeigen. Letzteres basiert auf einer wissenschaftlichen Erhebung, die einerseits Fragen zur Verbindung mit Natur und Erholsamkeit von Gärten beleuchtet, und andererseits einige der Ergebnisse in einem Kartenspiel an die Gartenbewegung zurückgibt (Martens/Frick 2014). Zwischenfazit Die AG Forschung hat zahlreiche Forschungsarbeiten begleitet und dabei explizit Forschungsfragen unterstützt, die noch nicht beforscht wurden. Zum einen um zu vermeiden, dass Gärtnernde immer dasselbe beantworten müssen; zum anderen weil Forschungen, die in den letzten Jahren zum Thema realisiert wurden, eine gute Basis darstellen, die es zu berücksichtigen und zu ergänzen gilt. Die AG Forschung erweitert systematisch die Wissensallmende, indem bestehende Forschungsarbeiten digital zugänglich gemacht (allmende-kontor.de) und Abschlussarbeiten außerhalb der Universität präsentiert werden. Außerdem geben wir unseren Erfahrungsschatz gern im Rahmen von Vernetzungstreffen und Workshops weiter (u.a. bei der Degrowth-Konferenz 2014 in Leipzig, den Netzwerktreffen Interkultureller Gärten oder der Green Urban Commons-Tagung 2015 in Wien). Wir haben uns bemüht, drängende Fragen der Gärtner_innen im Rahmen von Vernetzungstreffen zu erheben und die AG Forschung zu verstetigen. Die Verstetigung sollte sowohl in Form einer Veranstaltungsreihe wie auch einer

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selbstorganisierten Fortführung des Kolloquiums durch die Teilnehmenden geschehen, was jedoch aufgrund von mangelnden Ressourcen und mangelndem Interesse der Teilnehmenden nur ansatzweise funktioniert hat. Da unsere Arbeit teilweise de facto fehlende Betreuung an Hochschulen kompensiert hat und da der Umfang von Master- und ganz besonders Bachelorarbeiten oft zu beschränkt ist, um interessante Ergebnisse zu produzieren, beschlossen wir, das Kolloquium vorübergehend einzustellen. Eine Fortführung in Zusammenarbeit mit Universitäten oder Forschungsprojekten wäre durchaus denkbar.

Kritische und kollektive Kartierungen mit urbanen Gärten7 Wie wissenschaftliche Methoden und Ressourcen in nützliche Werkzeuge für Aktivist_innen verwandelt werden können, möchten wir anhand von kollektiven Kartierungen zeigen. Als kollektiv orangotango begannen wir 2010 damit, kritische Kartographien in unsere Bildungspraxis einzuflechten. Wir wollen dabei Räume schaffen »für die Vernetzung und den Austausch zwischen sozialen Bewegungen, emanzipatorischen Kämpfen und alternativen Alltagspraxen« (orangotango.info). Dabei verfolgen wir das Ziel, »selbstorganisierte Strukturen und konkrete gesellschaftliche Interventionen, die zur Reflexion und Überwindung der bestehenden Verhältnisse beitragen«, zu unterstützen (ebd.). Wir bedienen uns sowohl emanzipatorischer Bildungspraktiken (Freire 1993) wie auch aktivistischer Geographien (Chatterton/Hodkinson/Pickerill 2010) und kritischer Kartographie (Cramptons/Krygier 2006). Inspiriert durch lateinamerikanische Erfahrungen8 konzentrieren wir uns auf Kartierungen als Werkzeug für kollektive Wissensproduktion, lokale Selbstbestimmung und die Stärkung sozialer Kämpfe. Durch persönliche Überschneidungen des kollektiv orangotango mit dem Allmende-Kontor ergaben sich vielfältige Möglichkeiten verschiedene kritische Karten und kollektive Kartierungen mit urbanen

7 Es berichtet Severin Halder für das kollektiv orangotango. Dieser Abschnitt basiert auf der kollektiven Wissens- und Textproduktion im kollektiv orangotango (vgl. Doktor­ arbeit von Severin Halder, erscheint voraussichtlich 2017) und mit Georilla (vgl. Garten­karte in Halder et al. 2014). 8 Zentrale Inspirationsquelle sind für uns das mapeo coletivo der Iconoclasistas aus Argentinien (Riser/Ares 2013) und die nova cartografia social da amazônia (novacartografiasocial.com).

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Gärtner_innen zu realisieren, darunter u.a. die »Berliner Gartenkarte« und die »Allmende-Kontor Gemeinschaftsgartenkarte«. Berliner Gartenkarte Der Grundstein für eine Berliner Gartenkarte (gartenkarte.de) war die kollektive Kartierung von orangotango beim Gartenvernetzungstreffen des Allmende-Kontors im November 2011. Anwesende Gartenaktivist_innen kartierten ihre Gärten auf einem Stadtplan und diskutierten dabei aktuelle Probleme und Möglichkeiten des Austauschs sowie der solidarischen Unterstützung urbaner Gartenaktivitäten in Berlin. Danach kursierte der Wunsch nach mehr Vernetzung und einer Berliner Gartenkarte. Die einzige bis dato existente Karte war eine veraltete Online-Kartierung, die jedoch dem Bedürfnis der Gärtner_innen nach einem (druckbaren) Werkzeug für Vernetzung, das sich freier Software und Daten bedient, nicht genügte. Da die zwei Forschungsprojekte »Urban Gardening in Berlin« (Halder et al. 2014) und »INNSULA« (s.u.) zeitgleich mit einem ähnlichen Kartierungsauftrag begonnen hatten, wurden sie mit ins Boot geholt. Den endgültigen Startschuss jedoch gaben Geographiestudent_innen, die im Rahmen einer Seminararbeit die Idee einer räumlichen Darstellung von Gemeinschaftsgärten in Berlin entwickelten und damit bei den Gartenaktivist_innen offene Türen einrannten. Bis zum Sommer 2013 erstellten sie unter dem Namen Georilla in Kooperation mit dem Allmende-Kontor, den Forschungsprojekten und dem kollektiv orangotango auf Datengrundlage der Online-Plattform stadtacker.net (s.u.) eine unter Creative Commons lizenzierte Gartenkarte, die insgesamt 99 Gemeinschaftsgärten in Berlin abbildet. Schlussendlich wurden über 150 großformatige Gartenkarten, zum Teil wetterfeste PVC-Planen, an Gemeinschaftsgärten, Akteur_innen der Umweltbildung und Verwaltung verteilt. Die Karte bildet einen bis heute nützlichen Baustein der Bildungsarbeit in und um die Berliner Gemeinschaftsgärten, da sie ihre Vernetzung und Größe visualisiert und damit ihre kollektive Identität fördert. Durch die Verbildlichung scheinbar vereinzelter Praktiken wurde ein visueller Eindruck der Gemeinschaft der Berliner Gärten vermittelt und deren Vernetzung erleichtert. Im Prozess wurde deutlich, dass die enge (personelle) Verbindung von Wissenschaft und Aktivismus eine notwendige Voraussetzung war. Denn ohne Gartenaktivist_innen wären die umfassende Datenerhebung samt Verifizierung und die Verbreitung der Karte nicht durchführbar gewesen. Gleichzeitig wäre die Bündelung paralleler Kartierungsprozesse sowie die Erstellung und Verteilung der Karte ohne akademische Netzwerke und Ressourcen wohl unmöglich gewesen. Die Produktion der Gartenkarte überstieg deutlich den üblichen Anspruch an studentische Arbeiten und

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an den Praxisbezug traditioneller wissenschaftlicher Projekte. Allerdings zeigten sich auch Probleme, da die Rollenverteilung in der Kooperation, die Grenzen der partizipativen Praxis und die Aktualisierung der Karte nicht ausreichend thematisiert wurden. Unter anderem führten die unter dem Deckmantel der Partizipation versteckte Hierarchie zwischen Akademiker_innen und Praktiker_innen im Projekt »Urban Gardening in Berlin« zu Konflikten und das Agieren der Aktionsforscher_innen in zwei Bereichen zu einer Doppelbelastung (Halder/Jahnke 2014; s.a. Beitrag zu stadtacker.net unten). Grundsätzlich kann von der Notwendigkeit einer Kultur der solidarischen Kooperation gesprochen werden, wenn eine hohe Praxisrelevanz der Forschung erreicht werden soll. Dafür bedarf es von Seiten der Akademiker_innen der Sensibilität für die aktivistischen Möglichkeiten und Notwendigkeiten, die geprägt sind von ehrenamtlichen Strukturen, langwierigen Prozessen und Idealismus. Das bedeutet beispielsweise, dass über die Projektlaufzeit hinaus geplant wird und Treffen außerhalb der Arbeitszeiten stattfinden. Gleichzeitig sollten Aktivist_innen Bereitschaft zeigen, die akademischen Rahmenbedingungen mit ihren Möglichkeiten und Zwängen zu verstehen. Allmende-Kontor Gemeinschaftsgartenkarte Während die Gartenkarte ganz Berlin erfasst, repräsentiert die folgende Kartierung einen Ausschnitt aus dem intersubjektiven Dialog der Gärtner_innen auf dem Tempelhofer Feld. Im Rahmen des winterlichen Auswertungstreffens des ersten Gartenjahres im Gemeinschaftsgarten Allmende-Kontor war ein kollektiver Kartierungstisch von orangotango Teil eines World Cafés. In mehreren Runden diskutierten ca. 50 Gärtner_innen ihren Blick auf den Garten, indem sie ihre Erfahrungen, Emotionen, Ideen, Visionen und Kritik auf einem großformatigen Beetplan einzeichneten. Am Ende des Treffens war eine bunte Kritzelkartierung entstanden, die mit den Ergebnissen der anderen Tische in einer Karte zusammenfließen sollte. Nach mehreren partizipativen Überarbeitungsschleifen konnte das kollektiv orangotango im darauf folgenden Sommer die ausgedruckte Karte im Garten präsentieren, als großformatige PVC-Plane dort aufhängen und unter den Gärtner_innen verteilen. Bei der Beurteilung der Allmende-Kontor Gemeinschaftsgartenkarte steht die sinnvolle Einbindung in die Prozesse der Selbstorganisation des Gartens im Vordergrund. Die Kartierung war ein Baustein, der dazu beigetragen hat, Kommunikations- und Entscheidungsprozesse für die Gemeinschaft der Gärtner_innen in Form einer eigenen Repräsentation zu visualisieren. Durch die Karte wurde gleichzeitig alltäglichen Erfahrungen (»Seit 35 Jahren in Berlin habe ich noch

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nie so viele Gespräche mit fremden Menschen geführt [wie hier im Garten]«), gesellschaftskritischen Positionen (»Reclaim the commons«) und den Regeln des sozio-ökologischen Miteinanders Sichtbarkeit geschenkt. Für einige Gemeinschaftsgärtner_innen des Allmende-Kontors repräsentiert die Karte einen Ausschnitt ihrer Wahrnehmung des Gartens, was zur Stärkung der territorialen Kollektividentität der Gärtner_innen beiträgt. Jedoch kreiert die Karte auch ein idealistisches Abbild des Gartens, das den widersprüchlichen und brüchigen Realitäten des Gartens nicht gerecht wird, auch wenn die Kartierung einzelne (selbst) kritische Reflexionen beinhaltete, wie z.B. die Frage der Privatisierung öffentlichen Raumes. Die limitierten zeitlichen Rahmenbedingungen und Ressourcen aktivistischer Prozesse führten dazu, dass die Karte nicht aktualisiert wurde und daher die Veränderung des Gemeinschaftsgartens nicht widerspiegelt.

Karte des Allmende-Kontor Gartens

Quelle: orangotango

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Zwischenfazit Nach der Berliner Gartenkarte und der Allmende-Kontor Gemeinschaftsgartenkarte wurden diverse Kartierungen bei Netzwerktreffen durchgeführt, wofür eine eigene Bildersprache entwickelt9 wurde. Die Berliner Gartenkarte fand Nach­ ahmer_innen u.a. in Dresden und Wien10, und auch im Umfeld der Bewegungen für Ernährungssouveränität und für ein Recht auf Stadt wurden kollektive Kartierungen realisiert. Der Reiz der Methode liegt darin, eine Plattform für einen offenen horizontalen Dialog zu schaffen, die einen visuellen, non-verbalen Austausch sowie einen spielerischen und kollektiven Gestaltungsprozess ermöglicht. Ihre Sinnhaftigkeit steht im direkten Zusammenhang mit der sinnvollen Einbindung in aktivistische Prozesse, was eine langfristige Planung, Verbindlichkeit sowie Anpassung an die lokalen Gegebenheiten erfordert. Dabei kann der Kartierungsprozess selbst ein kreativer, reflexiver und ermächtigender Prozess sein und ist daher mindestens so wichtig wie die Herstellung einer Karte. Diese wiederum hat in ihrer Funktion als beständiges Werkzeug der Vernetzung ihre unbestrittene eigene Qualität, ist jedoch sehr aufwendig. Die Methode besitzt darüber hinaus das Potential, kritische Reflexionen der eigenen Lebensumstände und deren politische Ursachenanalyse anzustoßen, was leider bei uns, wenn sie als Werkzeug der Organisation und Vernetzung interpretiert wurde, meist nicht zum Tragen kam. Auch wenn kritische Kartierungen ein Baustein emanzipatorischer Prozesse sein können, sind sie auch machtdurchdrungen und bedürfen daher einer ständigen kritischen Reflexion.

Partizipative Videos und Fotos in urbanen Gärten – Ikonographie der emanzipatorischen Transformation?11 Der Hype um urbane Gemeinschaftsgärten drückt sich auch in einer Bilderflut in den Medien aus, von spannungsreichen Darstellungen von Pflanzen in der Stadt bis zu Hipstern mit Bart und Zigarette im Mund beim Gießen im abendlichen Gegenlicht. Diese Bilder sind Teil des gesellschaftlichen Transformationsprozesses, an dem in den Gärten gebastelt wird. Doch auch Möbelhäuser, Zigaretten-,

9 Siehe orangotango.info/projekte/kollektives-kartieren/materialien-zum-kartieren/. 10 Siehe gartenpolylog.org/news/wiener-gartenkarte. 11 Autorin diese Abschnitts ist Ella von der Haide.

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Bekleidungs- und Autoindustrie nutzen diese Ikonographie für sich. Urbane Gärten haben sowohl den »Wilden Westen« als auch »Schöner Wohnen« abgelöst. Zu fragen, wie es gelingen kann, in dieser Bilderproduktion nicht nur Objekt der Abbildungen zu bleiben, sondern Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln und die Inhalte mitzugestalten, und welche Bildinhalte aus den urbanen Gärten transportiert werden sollen, macht die partizipative, audio-visuelle Arbeit und Forschung in urbanen Gärten spannend und relevant. Das Filmen oder auch Fotografieren im Rahmen partizipativer, audio-­visueller Forschungen in den Gärten ermöglicht es Inhalt zu besetzen und Bilder zu etablieren (Milne/Mitchell/de Lange 2012, Margolis/Pauwels 2011, Pink 2001). Die Produktion von Bildern ist dabei selbst eine machtdurchzogene Praxis, in deren Rahmen sich auch das partizipative Filmen positionieren muss. Gleichzeitig bieten sich Chancen, die Handlungsfähigkeit der Gärtner_innen auszuweiten, eine Kontextualisierung der einzelnen Gärten zu erarbeiten und ein Thema über die Grenzen der Universität hinaus und auch unter Einbeziehung des Nichtsprachlichen zu diskutieren. Den Bildproduzent_innen stellt sich die Herausforderung, Zuschreibungen und Ausschlüsse nicht zu reproduzieren. Der Prozess der Erstellung von Bildern ist ein Geflecht von unterschiedlichen Beziehungen im Umgang mit Technik vor und hinter der Kamera, eine Begegnung verschiedener kultureller Bildsprachen, der Frage von Objektivität und Bildgestaltung und des Zugangs zu Veröffentlichungsmöglichkeiten. Die in Interkulturellen Gärten gärtnernden Migrant_innen sind häufig mit rassistischen Bildern konfrontiert. Die Auseinandersetzung mit den nichtsprachlichen Medien Film, Foto und Ton führt dazu, über die eigene Bilderproduktion mehr Handlungsfähigkeit zu erlangen, der Rolle der Abgebildeten zu entwachsen, selber Impulse setzen zu können, über die Macht der Bilder zu reflektieren und Medienkompetenz zu entwickeln (White 2003). Ich habe bereits mehrere Filme in urbanen Gärten und anderen sozialen Projekten mit unterschiedlichen Partizipationsgraden gedreht und produziert (Haide 2004-2016). Manchmal war ich dabei Beraterin oder nur Technikerin und öfters auch Regisseurin und Forscherin. Der entscheidende Faktor für den Grad der Partizipation ist die zur Verfügung stehende Zeit, denn nur wenn genügend Zeit gegeben ist, um Wissen über das Medium Film und Foto auszutauschen und Vertrauen zum Medium und zu mir als der Medienschaffenden aufzubauen, kann die Schwelle überwunden werden selber journalistisch oder filmisch tätig zu werden, die Technik zu bedienen, oder auch vor der Kamera zu agieren und nachher das entstandene Werk vorzustellen. Ich beobachte immer wieder, dass diese Schwelle für Frauen oder auch Menschen, die rassistischen Erfahrungen ausgesetzt sind,

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besonders groß ist. Doch genau deren marginalisierte Stimmen sind es, die hörbar gemacht werden können durch audio-visuelle Forschung (Waite/Conn 2012, Kindon 2003). Im Folgenden werde ich mich hauptsächlich auf drei Film- und Fotoprojekte im Interkulturellen Garten Aalen beziehen. Im Herbst 2013 wurde ich vom Interkulturellen Garten Aalen eingeladen einen Film über den Garten zu drehen. Im Garten laufen schon seit 2012 partizipative Fotoprojekte (interkultureller-garten-aalen.de/Projekte) und im Winter 2015 entstand ein zweiter Film, in dem ein Fotoprojekt für Frauen dokumentiert und von den Gärtnerinnen reflektiert wird (Haide 2016). In dem mehrjährigen Fotoprojekt im Gemeinschaftsgarten in Aalen lernen Gärtner_innen nicht nur das Fotografieren, sondern erarbeiten sich auch ihre eigenen Interpretationen und ihre eigene Medienkompetenz, und vertreten diese auch vor Publikum. So entsteht ein vielfältiges Bild der Akteur_innen und von deren Intentionen (Haide 2016: Min. 55). Gärtnerin bei einem Fotoworkshop im Interkulturellen Gemeinschaftsgarten Aalen

Quelle: Anita Rudolf

Partizipative audio-visuelle Projekte können ein Schritt zu mehr Teilhabe in der Gesellschaft sein. So erzählt die Gärtnerin Reem Qiyaqos: »Mein Foto hat den ersten Preis gewonnen [in einem Fotowettbewerb, A.d.V]. Später war dieses Foto in der Zeitung, jetzt kennen mich viele Leute wegen diesem Foto. Das ist schön für mich.« (Haide 2016: Min. 50) Das Filmprojekt in Aalen im Herbst 2013 und auch die unterschiedlichen öffentlichen Vorführungen im Laufe des Jahres 2014 wurden von den Gärtner_innen

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so positiv aufgenommen, dass im Anschluss daran 2015 ein dokumentarisches Theaterprojekt zusammen mit dem Theater in Aalen entwickelt wurde. Die Gärtnerinnen Schirin Rachmanova und Viktoriya Mogylevska haben das im Februar 2016 beide sinngemäß so ausgedrückt: »Für den Film hast du uns auf die Bühne geholt, und seitdem gehen wir nicht mehr runter.« Beim Filmen und Fotografieren geht es nicht nur um Informationsvermittlung, sondern auch um schöpferische Arbeit. Die positive Wirkung auf das eigene Selbstbild beschreibt Viktoriya Mogylevska wie folgt: »Wenn man etwas Kreatives macht, vergisst man alles, was schlecht ist und bekommt wieder das Gefühl, dass man irgendwas Interessantes kann.« (Haide 2016: Min. 48) Dieser Aspekt kann unterstützend wirken, wenn es darum geht, eigene Standpunkte gegenüber rassistischer Konfrontationen zu vertreten und sich neue Handlungsmöglichkeiten zu erschließen. In der Arbeit am Film, ob dokumentarisch oder fiktional, wird eine Abstraktion der eigenen Geschichte entworfen, die dabei helfen kann, diese zu verarbeiten und einzuordnen, Selbstgeschaffenes und eigene Handlungsfähigkeit zu erkennen und einen Ausdruck dafür zu finden. Dies kann etwa für eine Gemeinschaftsgartengruppe gelten. So wurde z.B. 2014 in dem Gemeinschaftsgarten NeuLand in Köln (s.a. Follmann/Viehoff in diesem Band) ein partizipativer Film über das Projekt gedreht, und dieser Prozess hat nach eigenen Angaben der Teilnehmer_innen zur Selbstreflexion beigetragen (NeuLand 2015). Auch für die einzelnen Gärtner_innen kann das Erzählen vor einem fiktiven Publikum oder wirklich Zuhörenden als Zeug_innen der eigenen Geschichte eine wichtige und teilweise sogar therapeutische Rolle spielen (Holliday 2000, medico international 2005). Dabei müssen die Zuhörenden und Interviewenden selber auch das Gehörte verarbeiten können, um keine sekundäre Traumatisierung zu erfahren (Daniels 2006, sekundaertraumatisierung.de). Ich sehe meine Rolle der privilegierten akademischen Filmemacherin darin, meine Ressourcen und mein Erfahrungswissen solidarisch einzusetzen. Doch werden dadurch Strukturen verändert? Ist gleichberechtigte Partizipation im Umgang mit den Medien überhaupt möglich (Holliday 2000)? Hilfreich ist im konkreten Fall in den Gärten, dass ich und ebenso meine Kamerafrauen Gärtnerinnen und Umweltaktivistinnen sind. Der fachliche Austausch über Pflanzenwissen und die bewusste Anerkennung der von den Gärtner_innen geleisteten gärtnerischen und politischen Arbeit relativiert die Hierarchien im Wissen über den Umgang mit der Technik und situiert uns im Gemeinschaftsgarten. Trotzdem werden die Ideale der gleichberechtigten Beteiligung und des Ausgleichs der Machtpositionen oft nicht erreicht – es bleibt ein Lernprozess.

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Gemeinsam Commons verstehen lernen: das Beispiel stadtacker.net12 Der folgende Abschnitt bezieht sich auf meine Erfahrungen mit partizipativer Forschung im Rahmen meiner Magisterarbeit am Institut der Europäischen Ethnologie, die ich im Allmende-Kontor durchgeführt habe (Artola 2013). 2011 wurde ich von der Initiativ-Gruppe des Allmende-Kontors eingeladen, mit ihr zusammenzuarbeiten und über ihre Arbeit zu forschen. Ich kannte die Gruppe schon länger und wollte ihre Vernetzungsarbeit in der Berliner Gartenszene unterstützen und einer größeren Öffentlichkeit vorstellen. Bereits Monate vor dem Beginn meiner Forschung nahm ich regelmäßig am Plenum der Gruppe teil und stellte fest, dass die zunehmende Vereinnahmung von Gemeinschaftsgärten Thema einer zentral und kontrovers geführten Diskussion war. Gemeinschaftsgärten werden durch Medien, Politik und Wissenschaft allzu oft als Projektionsfläche benutzt, indem sie wesentliche Gartenthemen auf eine häufig stark vereinfachte und plakative Art und Weise behandeln. Darüber hinaus werden Gärten des Öfteren angefragt bei Forschungs- oder sonstigen Kooperationsprojekten mitzuwirken. Der Nutzen für die Gärten in dieser Zusammenarbeit ist jedoch oftmals unklar. Das Allmende-Kontor war von 2011 bis 2014 an dem Forschungsprojekt »Innovationsanalyse Urbane Landwirtschaft« (INNSULA) des Leibniz-Zentrums für Agrarlandschaftsforschung e.V. (ZALF) beteiligt, in dessen Rahmen die interaktive Plattform stadtacker.net aufgebaut wurde. Das Ziel der Plattform bestand darin, Wissen, Erfahrungen, Aktivitäten und Projekte aus dem Bereich der urbanen Landwirtschaft zu sammeln. Bei dieser Kooperation hat sich das Allmende-Kontor dazu entschlossen einer Vereinnahmung aktiv zu begegnen. Welche Strategien wendeten Aktivist_innen an, um einer potentiellen Vereinnahmung in Rahmen dieses Kooperationsprojekts entgegen zu wirken? Zwei Aspekte unterstreichen dabei die Relevanz meiner Forschung. Ausgehend von der Häufigkeit mit der dieses Problem in Gemeinschaftsgärten thematisiert wird, sind das erstens wichtige Fragen mit großer alltagspraktischer Relevanz. Zweitens greift meine Forschung ein Themenfeld auf, das in der Literatur über urbane Gärten häufig vernachlässigt wird. Viele Prozesse, die für die Bewegung wichtig sind, finden außerhalb der räumlichen Begrenzung des Gartens statt, wie z.B. der Runde Tisch mit der Stadtverwaltung, das Urban Gardening-Manifest, das Forum Stadtgärtnern, Gartenaktivist_innen-Treffen (s.a van Dyke et al. in diesem Band)

12 Autorin diese Abschnitts ist Miren Artola.

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oder eben die Plattform stadtacker.net – all das sind Beispiele dafür, dass urbane Gärtner_innen weit über ihren eigenen Garten hinaus denken, vielseitig im Dialog stehen und dass die praktische Gartenarbeit nur einen kleinen Teil des Engagements ausmacht. Um Vereinnahmung entgegen zu wirken, waren die Gartenaktivist_innen des Allmende-Kontors von Anfang an darauf bedacht, die Zusammenarbeit in dem Projekt stadtacker.net auf Augenhöhe zu gestalten. Aber was bedeutet Augenhöhe in der Praxis? Wodurch kommt sie zustande, wie wird sie hergestellt, wovon ist sie abhängig? Diese Frage aus ethnographischer Sicht zu beantworten beinhaltete, dass ich in den praktischen Alltag der Gruppe involviert war (Geertz 1983) und empirisches Material mittels teilnehmender Beobachtung und leitfadengestützter Interviews sammelte. Insofern lag es nahe, dass ich mich innerhalb des Allmende-Kontors um dokumentarische Aufgaben kümmerte, z.B. die Erstellung von Protokollen oder das Zusammentragen von Informationen. Die Übernahme dieser Aufgaben bewirkte außerdem, dass die Gruppe mir Vertrauen entgegen brachte und ich, bevor ich mich aktiv dazu entschließen konnte, zu einem festen Bestandteil wurde. In regelmäßigen Abständen informierte ich die Gruppe über den Verlauf meiner Forschung und eröffnete damit die Möglichkeit, vertraute Prozesse in einem neuen – theoretischen – Zusammenhang zu betrachten und gemeinsam zu diskutieren. Damit bezweckte ich freilich die aktive Teilnahme der Gruppe am Forschungsverlauf, aber darüber hinaus lag eine wissenschaftliche Überlegung zugrunde: Oft ist Forschung entweder empirisch oder theoretisch geleitet, d.h. entweder es werden Daten produziert bzw. ausgesucht, die direkt zu einer bestimmten, der Forschung zugrundeliegenden Theorie passen und sie bestätigen (oder ihr widersprechen), oder die empirischen Daten werden zu einer neuen Theorie ausgearbeitet. Stefan Hirschauer, ein ethnografisch arbeitender Soziologe, plädiert dafür, dass in qualitativer Forschung »Theorie und Empirie sich wechselseitig herausfordern, in Schwung bringen« (Hirschauer 2008: 174) sollen, sodass die Theorie immer wieder den Fokus auf das empirische Material verändert und die empirischen Daten wiederum die Theorie umformen. Dies habe ich mit meinen Kolleg_innen zusammen versucht: dass nämlich mein empirisches Material und die untersuchte Literatur »wechselseitig Innovationsdruck aufeinander ausüben« (ebd.: 184). Den Forschungsverlauf zusammen mit der Gruppe zu reflektieren, bedeutete außerdem, dass ich jeden Objektivitätsanspruch aufgeben musste, nicht zuletzt, weil ich in den Prozessen, die ich beforschte, auch als Aktivistin intervenierte und sie damit beeinflusste.

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Ich fand heraus, dass Gartenaktivist_innen den Ausdruck »Augenhöhe« dann verwendeten, wenn es um Fragen der gleichberechtigten Mitbestimmung ging. Ihnen war sehr wichtig, die Website aktiv und (auch) ihren Interessen entsprechend mitzugestalten. Außerdem stellten sie für ihre Teilnahme folgende Bedingung: stadtacker.net sollte nicht auf den Förderzeitraum begrenzt sein, sondern einen längerfristigen Nutzen für die Gartenbewegung haben, d.h. dass der künftige Betrieb der Webseite auch nach Beendigung des Förderzeitraums gewährleistet werden sollte. In dem Forschungsprojekt begegneten sich zwei Partner_innen mit komplementären Interessen, die strukturell sehr unterschiedlich waren und über unterschiedliche Ressourcen verfügten. Die Aktivist_innen hatten das Insider-Wissen, das Netzwerk und die Kontakte zu den anderen Gärten; das ZALF verfügte über die zeitlichen, institutionellen und finanziellen Ressourcen. Auch die Interessen waren unterschiedlich: Während das ZALF mit der Plattform Forschungszwecke verfolgte, waren Aktivist_innen in erster Linie an Vernetzung interessiert. Meine Untersuchung fokussierte zwei Aspekte: zum einen behandelte sie die Frage, wie die zwei strukturell so unterschiedlichen Partner dieser Kooperation in den verschiedenen Phasen jeweils beteiligt sind, wie sie also ihre Gestaltungsmöglichkeiten aushandeln; und zum anderen, wie die Beteiligung mit den jeweiligen materiellen, finanziellen und kognitiven Ressourcen zusammenhängt. Im Prozess der Entwicklung der Webseite wurde ganz praktisch über Mitgestaltung und Mitbestimmung, Zugang, Verantwortung und nicht zuletzt Eigentum an Daten, Karten, Software und technischer Infrastruktur verhandelt. Die Commons-Theorie (Bollier 2008, Helfrich 2009) ist sehr geeignet, diese Fragen zu analysieren. Es gab einen weiteren Grund, weshalb mich diese Perspektive so sehr reizte: Obwohl Commons immer wieder Thema im Allmende-Kontor waren, hatten sich bis dahin die wenigsten Allmende-KontorGarten­aktivist_innen eingehend damit wissenschaftlich befasst. Bei der zweiten Präsentation meiner Zwischenergebnisse stellte ich daher die Grundlagen der Commons-Theorie dar und skizzierte die wesentlichen Commons-Elemente des Projekts: (1) Die Ressource stadtacker.net, (2) die Nutzer_innengemeinschaft, bestehend aus Gartenaktivist_innen und Forscher_innen des ZALF und (3) die Regeln, die verhandelt wurden, also das commoning (Hess/Ostrom 2007). Die Garten­aktivist_innen fanden den Commons-Ansatz für die Beschreibung der stattfindenden Prozesse treffend und hilfreich: Er ermöglichte den Aushandlungsprozess, den sie mit der Forschungseinrichtung ZALF durchlaufen hatten, theoretisch zu erfassen und dessen politische Dimension herauszuarbeiten. Des

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Weiteren ermöglichte er ihnen eine neue Art der Reflexion, denn meine Darstellung der Commons-Theorie erschloss den Gartenaktivist_innen neues Wissen, das ihnen bei der weiteren Prozessgestaltung half. Die Zwischenergebnisse der Arbeit zeigten, dass ein Machtgefälle zwischen beiden Parteien bestand: Der Zugang zur Verwaltung der Hauptressource (die Website) war für die Aktivist_innen eingeschränkt und das hatte – nicht nur, aber doch viel – mit der angewandten Software, die lizenzpflichtig und nicht frei verfügbar ist, zu tun. Diese Zwischenergebnisse reflektierte ich nicht nur mit meinen Mitstreiteter_innen innerhalb des Allmende-Kontors, sondern auch mit den Mitarbeiter_innen des ZALF, was den Austausch zwischen beiden Parteien bei diesem schwierigen Thema unterstützte. Das eigentliche Problem des Abhängigkeitsverhältnisses und der Ungleichheit konnte dadurch zwar nicht gelöst werden, meine Intervention konnte aber zumindest dabei helfen das Problem zu verstehen und einzuordnen. Ich hoffe, dass ich mit meinen Erfahrungen zeigen konnte, dass auch eine Magisterarbeit einen – wenn auch geringen – praktischen Beitrag liefern kann. Ich merkte immer wieder, wie schwierig es ist, Wissenschaft alltagstauglich zu machen: Meine Mitstreiter_innen im Allmende-Kontor haben der Darstellung meiner Zwischenergebnisse zwar ohne Schwierigkeiten folgen können, aber eine aktive Auseinandersetzung mit theoretischen Inhalten erfordert Zeit, und diese wurde für praktischere Aufgaben benötigt. Auch wenn Wissenschaft oft wenig kompatibel mit den Prioritäten der Praxis ist, lohnt es sich in meinen Augen doch den Austausch zu suchen, jedoch bedarf es der Zeit und des beidseitigen Interesses, wenn der Austausch fruchten soll.

Zusammenschau Im vorliegenden Artikel haben wir Einblicke gegeben in alternative Forschungspraktiken, die urbane Gärten und deren Teilhabe an Diskursen sowie Wissenschaft unterstützen. Wir möchten abschließend einige zentrale Aspekte herausheben: • Mit der Fusion von Aktivismus und Forschung werden unterschiedliche Stimmen aus urbanen Gemeinschaftsgärten wahrnehmbar gemacht. Quartette, Gartenkarten und Online-Plattformen zeigen die Vielfalt der Gärten und Videos schenken ihnen mehr Sichtbarkeit. Dabei spielen Partizipation und kreative Formen der Vermittlung von Fach- wie von Methodenwissen durch

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Visualisierungen eine wichtige Rolle. Jedoch bedarf es auch in der Aktionsforschung eines sensiblen Vorgehens, damit leise Stimmen nicht untergehen. Der Forschungsprozess selbst kann dabei eine (positive) Wirkung haben. Der Prozess (hier beispielhaft die Kartierungen) ist mindestens so wichtig wie die Produkte (hier die Karten), die dabei entstehen. Und auch der reflexive und kreative Prozess des Filmens ist schon heilsam und ermächtigend, nicht erst das fertige Video. Wenn Zwischenergebnisse der Forschung in den Prozess eingespeist werden, kann ihn das unterstützen, indem Reflektion und Intervention angestoßen werden. Bisher wird den Widersprüchen urbanen Gärtnerns zwischen neoliberalen und radikal emanzipatorischen Praktiken in der Aktionsforschung meist zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt, ebenso wenig wie dem kritischen Blick auf das Verhältnis von aktivistisch-ehrenamtlicher und akademisch-hauptamtlicher Arbeit. Diese Themen sollten in Zukunft stärker fokussiert werden. Wenn Gärtner_innen im Forschungsprozess, ob beim Formulieren einer Forschungsfrage, beim Kartieren in einem Forschungsprojekt oder auch bei der Verbreitung der Ergebnisse Gestaltungsmacht haben, wird der Diskurs nicht mehr über sie geführt, sondern von ihnen beeinflusst. Gleichzeitig steigen dabei die Chancen, dass die Forschungsergebnisse für sie und die Projekte selber relevant und nützlich sind, sowie die Möglichkeiten, widersprüchliche Aspekte urbanen Gärtnerns gemeinsam zu diskutieren. Eine sinnvolle Kombination von Aktivismus und Forschung bedarf sensibler und langfristiger Planung. Wenn Forschung sich den größeren aktivistischen Zeiträumen und ehrenamtlichen Arbeitszeiten anpasst, erhöht das die Wahrscheinlichkeit für eine fruchtbare Zusammenarbeit.

Grenzen des Wissenschaftskontextes Im Folgenden wollen wir nun noch einige der Hindernisse aufzeigen, die sich einer in unseren Augen sinnvollen Forschungspraxis entgegen stellen: • Im Wissenschaftskontext ist Aktionsforschung aufgrund der »fehlenden Distanz« zum Forschungsgegenstand immer noch stark umstritten. Wer selbst aktiver Teil der beforschten Prozesse ist und im Bereich der gesellschaftlichen, emanzipatorischen Transformation forscht, läuft schnell Gefahr, dass die Ergebnisse als »tendenziös« bezeichnet werden. Die Dekonstruktion des Objektivitätsanspruchs und der Wert situierten Wissens werden oft nicht anerkannt.

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• Was für unabhängige Forschung und Dissertationen noch umsetzbar erscheint, ist in der Betreuung von Studierenden schwieriger: Aktionsforschung ist in einsemestrigen Seminar- und Abschlussarbeiten, wie sie heute vorherrschen, nur schwer möglich. Zusätzlich sind Studierende häufig weder mit kritischer Wissenschaft noch mit Fragen der Forschungsethik in ihrem Studium in Berührung gekommen. Auch wenn die Betreuer_innen sie dabei unterstützen, reichen die wenigen Stunden der aktivistischen Betreuung selten aus, um ihnen alternative Sichtweisen zu eröffnen. • In der (Förder-)Logik von Forschungsprojekten gibt es meist keinen angemessenen Platz für »unqualifizierte« Projektpartner_innen aus der Zivilgesellschaft, was sich in fehlender Bezahlung, geringen Partizipationsmöglichkeiten und wenig Anerkennung für die Expertise der Praxis widerspiegelt. Um den Wissenschaftskontext zu verändern, sollten Aktionsforscher_innen und Aktivist_innen zusammenarbeiten. Wichtig für eine Veränderung ist die Klarheit darüber, wie sehr die neoliberale universitäre Eigenlogik dem Kampf der Gärtner_innen gegen Privatisierung, Kommerzialisierung und für Gemeingüter, Kooperation, Subsistenz sowie Gerechtigkeit widerspricht. Die Rolle von Aktionsforscher_innen kann dabei helfen diesen Widerspruch offenzulegen und zusammen mit urbanen Gemeinschaftsgärten dagegen aufzubegehren, um den Idealen einer emanzipierten und ökologisch gerechten Welt gerecht zu werden. Gleichzeitig ist die Aktionsforschung in Zeiten, in denen die Forderungen nach mehr »impact«13 laut werden, mit der Gefahr der neoliberalen Vereinnahmung konfrontiert und darum dazu aufgefordert, ihr emanzipatorisches Verständnis von Wissensproduktion und Praxisrelevanz (Freire 1993) zu betonen. Urbane Gärten sollten zum einen anfangen, der wissenschaftlichen Vereinnahmung selbstbewusst entgegen zu treten. Das bedeutet, dass die Gärten sich nicht damit begnügen sollten, als Forschungsobjekt in Projektanträgen und Abschluss­ arbeiten zu dienen, sondern den Anspruch erheben, das Verhältnis zur Wissenschaft in ihrem Sinne zu prägen sowie Bildung und Wissenschaft zu verändern, um so die von den Gärten propagierten Werte und Modelle (urban-gardening-manifest.de) zu verbreiten und emanzipatorische Transformationsprozesse auch jenseits der Gärten zu fördern. Zum anderen sollten sich die urbanen Gärtner_innen mit der Kritik von Wissenschaftler_innen (s.a. Rosol, Eizenberg, Exner/Schützenberger u.a. Bei­träge

13 Siehe z.B. rcuk.ac.uk/innovation/impacts/.

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in diesem Band; Tornaghi 2014, McClintock 2013) auseinandersetzen, um ihre Ansprüche (vgl. ebd.) im Lichte ihrer Praxis kritisch und selbstreflexiv zu betrachten. Aufgabe der Aktionsforschung dabei sollte sein, sie in dieser Hinsicht kritisch-solidarisch zu unterstützen und zu helfen, den Blick über den Gartenzaun hinaus zu werfen, um neue Allianzen zwischen Gärten und anderen emanzipatorischen Prozessen in der Stadt und auf dem Land zu schmieden. »Wir sind gefordert, die Perspektive solcher Blickwinkel anzustreben, die niemals im Voraus bekannt sein können und die etwas sehr Ungewöhnliches versprechen, nämlich ein Wissen, das die Konstruktion von Welten ermöglicht, die in geringem Maße durch Achsen der Herrschaft organisiert sind.« (Donna Haraway 1995: 85)

Literatur Artola, Miren (2013): Eine Kooperation auf Augenhöhe – Wissenschaft, Zivilgesellschaft und der gemeinsame Aufbau von stadtacker.net. Die Commons Perspektive. Unveröffentlichte Magisterarbeit: Humboldt-Universität zu Berlin. Bollier, David (2009): »Gemeingüter – eine vernachlässigte Quelle des Wohlstands«, in: Helfrich, Silke; Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.): Wem gehört die Welt? Zur Wiederentdeckung der Gemeingüter. München: Oekom, S. 28-38. Baier, Andrea/Müller, Christa/Werner, Karin (2013): Stadt der Commonisten Neue urbane Räume des Do it yourself, Bielefeld. Transcript. Chatterton, Paul/Hodkinson, Stuart/Pickerill, Jenny (2010): »Beyond Scholar Activism: Making Strategic Interventions Inside and Outside the Neoliberal University«, in: ACME 9, S. 245-275. Clausen, Marco (2015): »Urban Agriculture between Pioneer Use and Urban Land Grabbing: The Case of ›Prinzessinnengarten‹ Berlin«, in: Cities and the Environment (CATE): 8 (2), Article 15, S. 1-5. Crampton, Jeremy/Krygier, John (2006): »An Introduction to Critical Cartograph«, in: ACME Journal, 4 (1), S. 11-33. Daniels, Judith (2006): Sekundäre Traumatisierung – kritische Prüfung eines Konstruktes, Bielefeld: Universität, Fakultät für Psychologie und Sportwissenschaft. Online unter: http://www.zpid.de/psychauthors/index.php?wahl=forschung&uwahl=psychauthors&uuwahl=p00733J (letzter Zugriff: 01.04.2016).

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Fallstudien

Zwischen grüner Imageproduktion, partizipativer Politik und Wachstumszwang: urbane Landwirtschaft und Gärten im Kontext neoliberaler Stadtentwicklung in Wien Sarah Kumnig

Wien präsentiert sich nicht nur als besonders soziale Stadt, sondern auch als ausgesprochen grün. Rund 50 % der Stadtfläche ist Grünraum, es gibt 630 land­wirtschaftliche Betriebe und immer mehr Gemeinschaftsgärten entstehen. Sehr unterschiedliche Akteur_innen beziehen sich dabei äußerst positiv auf den städtischen Gemüseanbau. Während sich Recht auf Stadt-Aktivist_innen durch die Bepflanzung von Brachflächen Stadtgestaltung (wieder)aneignen wollen, ruft inzwischen sogar die Stadtverwaltung zur Beteiligung an Nachbar_innen­ schaftsgärten auf. Selbst der neue Stadtentwicklungsplan bezeichnet Urban Gardening als innovativen Impuls für die Belebung der Stadt (siehe u.a. Magistrat Stadt Wien 2015a, 2016). Gleichzeitig geraten landwirtschaftliche Flächen vor dem Hintergrund eines konstanten Bevölkerungswachstums sowie eines massiven Baubooms zu­nehmend unter Druck. Die Folge davon ist jedoch nicht die komplette Verdrängung städtischer Gemüseproduktion. Stattdessen kommt es zu einer selektiven Erhaltung und sogar Aktivierung bestimmter Formen städtischer Landwirtschaft und Gärten. Ein aktuelles Beispiel dafür ist das Stadtentwicklungsgebiet Donaufeld, in welchem existierende Gemüsebetriebe Wohnbauten weichen sollen, während Gemeinschaftsgärten als wichtiger Bestandteil des neuen Stadtteils präsentiert werden. Innerhalb einer neoliberalen Stadtentwicklung ist die Rolle urbaner Land­ wirtschaft und Gärten durchaus widersprüchlich. Während sich selbstorganisierte

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kollektive StadtLandwirtschaftsprojekte oft als alternative Praxis zum her­ r­ ­schenden Ernährungssystem und einer neoliberalen Stadtpolitik verstehen (vgl. McClintock 2013), wird städtischer Gemüseanbau auch gezielt als Instrument eingesetzt, um Stadtteile attraktiver zu machen, was in vielen Fällen zu Aufwertungs- und Verdrängungsprozessen führt (siehe u.a. Tornaghi 2014, Quastel 2009, Dooling 2009). Zusätzlich kann die Partizipation und Aktivierung von Stadt­ bewohner_innen mit dem Ziel, bisher staatliche Verantwortungs­bereiche (wie etwa Grünraumpflege) auszulagern, als wesentliches Element einer neo­liberalen Stadtentwicklung verstanden werden (siehe u.a. Rosol und Ernwein in diesem Band). Für ein besseres Verständnis lokal spezifischer Ausformungen einer neo­ liberalen Umstrukturierung des Städtischen, widmet sich dieser Beitrag aktuellen Veränderungen urbaner Landwirtschaft und Gärten in Wien, sowie ihrer wider­ sprüchlichen und umkämpften Rolle innerhalb von Neoliberalisierungs­prozessen. Dazu werden die folgenden zwei Fragestellungen anhand der Ent­wicklungen in einem konkreten Stadtteil bearbeitet, dem Donaufeld. Bekannt für den Gemüse­ anbau, wurde dieses etwa 60 Hektar große Areal als Zielgebiet der Stadtentwicklung definiert. (1) Wie schreibt sich die Neoliberalisierung des Städtischen in land­ wirtschaftliche Räume und Praktiken in Wien ein? Welche Arten von urbaner Landwirtschaft und Gärten werden erhalten und gefördert, welche werden verdrängt und verschwinden? (2) Wie werden partizipative Politiken in Stadtentwicklungsprojekten um­ gesetzt und was ist die Rolle urbaner Landwirtschaft und Gärten innerhalb dieser Prozesse? Als Fallbeispiel eignet sich das Donaufeld nicht nur weil die bestehenden Gemüsebetriebe durch 6.000 Wohnungen verdrängt werden sollen, sondern vor allem weil der neue Stadtteil als besonders nachhaltig und grün präsentiert wird. Großzügige Grünflächen wie auch Selbsterntefelder und Gemeinschaftsgärten sind zentrale Bestandteile des Entwicklungsleitbilds. Zudem wurde ein Bürger_innen­ beteiligungsverfahren durchgeführt, um die Partizipation und Kooperation der Bevölkerung im Stadtentwicklungsprozesses anzuregen. Im Folgenden wird zu Beginn der theoretische Rahmen für die Analyse erläutert und konzeptionelle Überlegungen zur Neoliberalisierung des Städtischen mit dem Ansatz der Gouvernementalität zusammen gebracht. Durch diese Verschränkung ist es möglich, sowohl transnationale Umstrukturierungsprozesse wie auch lokal spezifische Entwicklungen und konkrete Regierungstechniken in den Blick zu nehmen. Es folgt eine kurze Beschreibung des Fallbeispiel und des

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methodischen Vorgehens. Anschließend werden die beiden Fragestellungen diskutiert. Der erste Abschnitt widmet sich dabei der Transformation urbaner Landwirtschaft und Gärten innerhalb einer neoliberalen Stadtentwicklung am Beispiel des Donaufelds. Im zweiten Teil wird das Bürger_innenbeteiligungsverfahren untersucht und der Frage nachgegangen, wie durch partizipative Politiken die sich verändernden Bedeutungen und Formen urbaner Landwirtschaft und Gärten verhandelt und umkämpft werden. Der Beitrag endet mit einigen strategischen Überlegungen.

Die Neoliberalisierung des Städtischen und das Konzept der Gouvernementalität Neoliberalisierung bezeichnet keinen fixen Zustand, sondern einen komplexen, vielschichtigen, widersprüchlichen und umkämpften Prozess einer markt-getriebenen Umstrukturierung der Gesellschaft und des täglichen Lebens. Die städtische Ebene spielt in diesen Prozessen eine zentrale Rolle und ist Experimentier­feld für neue Akkumulations-, Regierungs- und Regulations­weisen. Die Neoliberalisierung des Städtischen ist dabei charakterisiert durch eine zunehmend unternehmerische Stadtpolitik sowie durch eine Verschärfung und Übertragung markt­basierter Logiken auf alle gesellschaftlichen Bereiche. Wesentliche Elemente dieses Prozesses sind Deregulierung, Liberalisierung, Privatisierung und Kommodifizierung sowie eine wachsende soziale Kontrolle und Überwachung. Außerdem werden Austeritätspolitiken und ein technokratisches, ent­politisiertes ökonomisches Management des Städtischen zum urbanen Mainstream (siehe u.a. Brenner/ Theodore 2002, Brenner/Peck/Theodore 2010, Harvey 1989, Mayer 2013a, Peck/ Tickell 2002). Ein essentieller Bestandteil der Neoliberalisierung ist darüber hinaus der stetige Wachstumszwang: »Neoliberalism promotes and normalizes a ›growth-first‹ approach to urban development« (Peck/Tickell 2002: 394). Entgegen einer neoliberalen Ideologie, die von universellen Regeln und Entwicklungen sowie einer Zurückdrängung des Staates zugunsten des »freien Marktes« ausgeht, zeigen Neil Brenner und Nik Theodore, dass Neoliberalisierungs­ prozesse sogar eine Intensivierung staatlicher Interventionen benötigen, um diverse Formen von Marktherrschaft durchzusetzen. Für ein besseres Verständnis lokal spezifischer Ausformungen neoliberaler Umstrukturierungsprozesse verwenden sie das Konzept des actually existing neoliberalism. Damit soll Neo­ liberalisierung als pfadabhängig verstanden und analysiert werden, also sowohl eingebettet in und strukturiert von transnational verknüpften markt-orientierten

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Mechanismen wie auch in den konkreten Kontexten immer lokal spezifisch, differenziert, umkämpft und instabil (vgl. Brenner/Theodore 2002). Grüne Aufwertung und Imagepolitik Durch die wachsende Mobilität und Flexibilität von Finanzströmen befinden sich Städte zunehmend in einem globalen Wettbewerb um den attraktivsten Standort, welcher es vermag, Investitionen anzuziehen (siehe u.a. Harvey 1989). Das Image einer kreativen und innovativen Stadt ist dabei besonders erfolgversprechend. Margit Mayer analysiert in ihrer Arbeit, wie urbane soziale Bewegungen gezielt für diese Imageproduktion genutzt werden. Sie spricht von einer selektiven Verein­ nahmung von Kritik (etwa am paternalistischen Wohlfahrtstaat), von Forderungen (etwa nach mehr Selbstorganisation) und von bestimmten Aktivitäten stadt­ politischer Gruppen, sofern diese für die Reproduktion einer Neo­liberalisierung nützlich sind. In vielen Fällen komme es zu einer doppelten Strategie mit Zu­ geständnissen, Angeboten und Förderungen für bestimmte Organisationen und Protest­ bewegungen, während gleichzeitig andere, nicht so leicht verwertbare Projekte, Repression erfahren (vgl. Mayer 2013b). Wie Marit Rosol in diesem Band aufzeigt, werden auch urbane Gärten und Landwirtschafts­projekte immer häufiger als nützliche Instrumente einer neo­ liberalen Stadtentwicklung entdeckt und in profitorientierte Strategien zur Image­ verbesserung eingebunden. Ein aktuelles Forschungs­projekt zum Thema »Urban Agriculture Europe« kommt etwa zum Ergebnis, dass urbane Landwirtschaft nicht nur besonders innovativ und förderlich für eine nachhaltige Stadtentwicklung sei, sondern zudem eine wesentliche Rolle in Aufwertungs­prozessen spielen könne (vgl. Lohrberg/Licka/Scazzosi/Timpe 2015). Den selektiven Einsatz urbaner Gärten als Green Washing-Werkzeuge in scheinbar grünen und nachhaltigen Stadtentwicklungsprojekten kritisiert Chiara Tornaghi aufs Stärkste (vgl. Tornaghi 2014). Auch Nathan McClintock, der dafür plädiert, urbane Landwirtschaft in ihrer Widersprüchlichkeit zu fassen und ihre radikalen, reformistischen wie auch neoliberalen Aspekte zu analysieren, betont, dass urban greening strategies häufig den Wert von Immobilien in die Höhe treiben und somit letztendlich ausschließende Räume1 schaffen (vgl. McClintock 2013). Ein Beispiel dafür liefert Noah Quastel mit

1 Dass auch urbane Gartenprojekte selbst in vielen Fällen sozial exklusive sind, diskutieren Andrea*s Exner und Isabelle Schützenberger in diesem Band am Beispiel von Gemeinschaftsgärten in Wien.

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seiner Recherche zu Vancouver, wo Immobilienfirmen gezielt Gemeinschaftsgärten einsetzen, um Stadt­teile auf­zuwerten (vgl. Quastel 2009). Für die Analyse städtischer Begrünungs- und Umweltschutz­programme und ihrer Auswirkungen auf marginalisierte Bevölkerungs­gruppen verwendet Sarah Dooling das Konzept der ökologischen Gentrifizierung. In ihrer Arbeit zur Vertreibung wohnungsloser Personen aus Grün­räumen im Namen einer ökologisch nachhaltigen Stadt macht sie die Wider­sprüche zwischen ökologischen Diskursen und Programmen und der daraus resultierenden Verstärkung sozialer Ungleichheit deutlich (vgl. Dooling 2009). Partizipative Politiken und neoliberale Gouvernementalität Ein wesentliches Element neoliberaler Umstrukturierungsprozesse ist außerdem die zunehmende Einbindung nicht-staatlicher Akteur_innen in (lokal)staatliche Entscheidungs­prozesse und Verantwortungsbereiche. Erik Swyngedouw spricht dabei von governing beyond the state. In dieser über den Staat hinaus­greifenden Regierungs­weise komme es zu einer Transformation der institutionellen Kon­ figurationen des lokalen Staates und zu einer Externalisierung (vormals) staatlicher Aufgaben und Funktionen (vgl. Swyngedouw 2005). Ein Beispiel dafür ist die Übergabe der Verantwortung für Grünraumpflege an unbezahlte Gärtnernde in Berlin, wie Marit Rosol aufzeigt. Die Miteinbeziehung selbstverantwortlicher Stadtbewohner_innen und die Aktivierung bürgerschaftlichen Engagements ziele dabei weniger auf die Stärkung partizipativer Rechte der Bevölkerung ab als vielmehr auf die Auslagerung staatlicher Verantwortungsbereiche auf zivil­ gesellschaftliche Organisationen (vgl. Rosol 2012). In ihrer Arbeit zu Bürger_innenbeteiligungsverfahren analysiert Rosol zudem, wie ungleiche Macht- und Kräfteverhältnisse darin aus dem Blick geraten und es zu einer inhaltlichen Beschränkung auf konsensfähige Themen komme. Trotz mehr Mitsprachemöglichkeiten gäbe es kaum echte Entscheidungs­ befugnisse für die Zivilgesellschaft (vgl. Rosol 2006). Erik Swyngedouw bezeichnet Beteiligungs­prozesse als postpolitisch, da es durch diese Art der Konsens­politik zur Auslöschung eines genuin politischen Raumes der Uneinigkeit käme und zur Verhinderung, »abweichende, konfliktträchtige und alternative Entwicklungs­ linien zu artikulieren« (Swyngedouw 2013: 148). Durch die Formulierung scheinbar allgemeiner Interessen, wie etwa einer wettbewerbs­ fähigen Stadt, würden grund­legende Interessens­konflikte und unterschiedliche Bedürfnisse der Stadt­bevölkerung unsichtbar gemacht und Konflikte und Probleme externalisiert werden (vgl. Swyngedouw 2013).

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Die Durchsetzung einer neoliberalen Umstrukturierung des Städtischen, samt ihrer konsensorientierten Sprache von Wettbewerbsfähigkeit, Flexibilität und Effizienz, bedarf neuer formeller und informeller Regelungen und Steuerungs­ mechanismen. Der von Michel Foucault begründete Gouvernementalitäts­ansatz ist für eine Analyse dieser Prozesse besonders hilfreich, da er konkrete Mecha­ nismen und Regierungshandeln in den Blick nimmt (siehe dazu u.a. Rosol 2015). Das Konzept der Gouvernementalität als Technik des Regierens geht auf Foucaults späte machtanalytische Arbeiten zurück. Regieren wird dabei als Lenkung, Kontrolle und Leitung von Individuen und Kollektiven definiert. Dieses offene, nicht-staatszentrierte Regierungsverständnis ermöglicht es, den Fokus der Analyse nicht auf politische Institutionen, sondern auf die Tätigkeiten, Techniken und Alltagspraktiken des Regierens selbst zu legen. Dadurch können konkrete Prozesse der Neoliberalisierung des Städtischen im Detail untersucht werden. Regieren bedeutet dabei nach Foucault vor allem das Feld eventuellen Handelns anderer zu strukturieren. Das Ziel von Gouvernementalität sei es, zu beeinflussen und zu verwalten, um damit konditionierte Möglichkeiten zu schaffen, welche erwünschtes Verhalten anregen und unerwünschtes unterbinden (vgl. Foucault [1978] 2014). Dieses Strukturieren des Möglichkeitsraums dürfe allerdings nicht als Ab­ wesenheit von Macht missverstanden werden. Ebenso wenig hätten scheinbar »sanfte« Regierungstechniken disziplinierende Machttechnologien ersetzt. Vielmehr greifen unterschiedliche Machtmechanismen ineinander, bauen auf­ einander auf und ergänzen sich gegenseitig (vgl. Foucault [1978] 2014). Somit ist es essentiell, nicht nur das sanfte Regulieren und indirekte Lenken in den Blick zu nehmen, sondern ebenso das direkte und gewaltsame Unterbinden bestimmter Handlungen.

Urbane Landwirtschaft, Gärten und Stadtentwicklung im Donaufeld Gemüse in der Stadt anzubauen ist in Wien keine Besonderheit. Wie bereits erwähnt, existieren 630 landwirtschaftliche Betriebe und 5.733 Hektar, also rund 15% der Stadtfläche2, werden landwirtschaftlich genutzt (vgl. Magistrat Stadt Wien 2014a).

2 Die Gesamtfläche der Stadt Wien beträgt 41.495 ha (Magistrat Stadt Wien 2014a).

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Bemerkenswert ist auch der Selbstversorgungsgrad der Stadt bei Gemüse, welcher im Jahr 2014 über 30% betrug (vgl. Landwirtschaftskammer Wien 2015), sowie die Magistratsabteilungen für Landwirtschaft, welche mit rund 2.000 Hektar Ackerfläche selbst einen der größten Landwirtschafts­betriebe Österreichs besitzt3. Außerdem gibt es 26.831 private Kleingärten4, eine wachsende Anzahl an Gemeinschaftsgärten (derzeit etwa 70 Gärten5 und mehr in Planung), verschiedene kollektive StadtLandwirtschaftsprojekte6 und einige Guerilla Gärten7. Einer der Orte städtischer Gemüseproduktion ist das Donaufeld, ein etwa 60 Hektar großes Gebiet im 21. Wiener Gemeindebezirk Floridsdorf, nördlich der Donau. Als eines der letzten größeren offenen Areale in der Umgebung wird dieses besonders fruchtbare ehemalige Donauschwemmland nach wie vor zu weiten Teilen landwirtschaftlich genutzt. Im Stadtentwicklungsplan 2005 wurde das Donau­ feld als ein Zielgebiet der Stadtentwicklung ausgewiesen und ein im Jahr 2010 fertiggestelltes Stadtentwicklungsleitbild sieht den Bau von 6.000 Wohnungen sowie Büros und Infrastruktureinrichtungen vor. Geplant ist die Schaffung eines besonders nachhaltigen neuen Stadtteils mit »großzügigen öffentlichen Grün- und Freiräumen« und der »Möglichkeiten für Selbsternte­flächen und Gemeinschaftsgärten« (vgl. Magistrat Stadt Wien 2010). Zentraler Bestandteil des Stadtentwicklungsprozesses war außerdem ein Bürger_innen­beteiligungs­verfahren, welches zwischen April 2014 und Dezember 2015 durchgeführt wurde. Im Rahmen dessen fanden zahlreiche offene Informations- und Diskussionsveranstaltungen statt, wie etwa Vorträge von Stadtentwicklungs­ expert_innen, runde Tische mit Entscheidungsträger_innen aus Stadt- und Bezirkspolitik sowie Workshops zur zukünftige Gestaltung des Donaufelds. Offizielles Ziel des Beteiligungsprozesses war es, »das Donaufeld

3 Während die Erzeugnisse inzwischen verkauft werden, war die ursprüngliche Aufgabe dieses Betriebes, Wiener Spitäler und Kinderheime mit landwirtschaftlichen Produkten zu versorgen und eine unabhängige Notversorgung der Wiener Bevölkerung in Krisenfällen zu gewährleisten. Mit rund 1.000 ha Biofläche ist dieser Betrieb außerdem einer der größten Biobetriebe Österreichs (vgl. Landwirtschaftsbetrieb Stadt Wien). 4 Siehe: www.kleingaertner.at/wir/vereine/ver_wien.htm Im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung Wiens eine relativ hohe Anzahl, im Jahr 2015 betrug diese 1.814.225 Personen (Statistik Austria 2016). 5 Siehe: gartenpolylog.org/gardens. 6 Siehe u.a. solila.blogsport.eu und www.wilderauke.at. 7 Siehe u.a. www.laengenfeldgarten.at.

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gemeinsam mit der Bevölkerung zu entwickeln« (Magistrat Stadt Wien 2010: 3) bzw. diese über die Entwicklung im Gebiet zu informieren und Anregungen und Ideen für den Standort zu sammeln (vgl. Magistrat Stadt Wien 2015b). Für eine Analyse partizipativer Politiken in Stadtentwicklungsprojekten sowie der Veränderungen urbaner Landwirtschaft und Gärten innerhalb einer neoliberalen Umstrukturierung des Städtischen ist das Donaufeld somit besonders interessant. Nicht zuletzt weil der Stadtentwicklungsprozess vor Ort stark um­kämpft war. Über Jahre hinweg organisierten sich Anwohner_innen und eine lokale Bürger_inneninitiative (Initiative Donaufeld8), um die geplante Verbauung der Felder zu verhindern. Im Mai 2013 fand zudem eine Landbesetzung statt9. Methodisches Vorgehen Für die Forschungsarbeit wurden alle dafür relevanten Planungsdokumente der Wiener Stadtregierung und -verwaltung analysiert (für die gesamt­ städtische Ebene ebenso wie für das Donaufeld im Speziellen). Dazu zählt der aktuelle Stadt­ entwicklungsplan (2015) samt Fachkonzept Grün- und Freiraum sowie der Stadtentwicklungsplan aus dem Jahr 2005, die Smart City Rahmenstrategie (2014), der erste agrarstrukturelle Entwicklungsplan (2004) und die aktuelle Version (2014), wie auch das Entwicklungsleitbild Donaufeld (2010). Da Regierungsprogramme allerdings nicht genauso umgesetzt werden (können), wie sie geplant wurden, reicht es für ein tiefgreifendes Verständnis urbaner Restrukturierungsprozesse selbstverständlich nicht aus, nur Textmaterial von (lokal)staatlichen Stellen zu analysieren. Aus diesem Grund wurden zwischen Juli 2014 und Juni 2015 gemeinsam mit Andrea*s Exner insgesamt fünf Interviews mit zentralen Akteur_innen des Stadtentwicklungs­prozesses geführt. Dazu zählen Mitglieder der Bürger_inneninitiative Donaufeld, welche sich seit Jahren gegen die Verbauung und für den Erhalt von landwirtschaftlichen und Grünflächen im Donaufeld organisieren, das private Planungsbüro, welches den Beteiligungs­ prozess durchführte, eine Bezirkspolitikerin, die sich intensiv mit den Veränderungen städtischer Landwirtschaft im Bezirk beschäftigt, eine Landschaftsarchitektin und Autorin einer Studie zu produktiver Stadtlandschaft im Donaufeld sowie der Zuständige der Magistratsabteilung für Landwirtschaft.

8 Für mehr Informationen siehe: donaufeld.buergerprotest.at/alt/index.html. 9 Siehe: solila.blogsport.eu/presse/presseaussendungen/.

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Um die Aushandlungsprozesse und Argumentationsmuster sowie das Um­ kämpftsein dieses Stadtentwicklungsprojekts in den Blick zu nehmen, wurden außerdem zwei Veranstaltungen des Bürger_innenbeteiligungsverfahrens im Mai und Juli 2015 teilnehmend beobachtet und anschließend informelle Gespräche geführt.

Wachstumszwang, Imageproduktion und partizipative Politiken Der Wachstumszwang urbaner Landwirtschaft und das Imageprodukt Garten »Wien wächst« – dieser Satz ist inzwischen allgegenwärtig. Auf die Bevölkerung bezogen bedeutet dies laut Statistik Austria aktuell jährlich rund 30.000 Personen mehr in der Stadt10 (vgl. Statistik Austria 2016). Auf Basis dieser Zahlen wird ein zukünftiges Bevölkerungswachstum von 10% zwischen 2014 und 2024 prognostiziert (vgl. Magistrat Stadt Wien 2014b). Durch den damit zunehmenden Bedarf an Wohnraum kommen landwirtschaftliche und Grünflächen immer mehr unter Druck. Bei einer Veranstaltung zum neuen Stadtentwicklungsplan im Mai 2013 betonte die Vizebürgermeisterin etwa, dass die Frage nicht wäre, ob grüne Wiesen verbaut werden würden, sondern wo (vgl. Protokoll 22.5.2013). Gleichzeitig wird in offiziellen Planungsdokumenten, wie dem Agrar­ strukturellen Entwicklungsplan oder dem Fachkonzept Grün- und Freiraum, der Erhalt von Grün- und landwirtschaftlichen Flächen als Ziel der Wiener Stadtentwicklung formuliert. Welche Auswirkungen haben somit einerseits der wachsende Druck auf Flächen durch steigenden Wohnbedarf und andererseits das Vorhaben, städtische Landwirtschaft und Gärten zu sichern? Wie schreiben sich diese urbanen Restrukturierungs­prozesse in landwirtschaftliche Räume und Praktiken in Wien ein? Und welche Formen urbaner Landwirtschaft und Gärten werden konkret am Beispiel des Donaufelds erhalten und gefördert und welche werden verdrängt und verschwinden? Was sich in Wien im Umgang mit landwirtschaftlichen Flächen sehr deutlich zeigt, ist der von Jamie Peck und Adam Tickel genannte growth first approach (vlg. Peck/Tickel 2002). Diese Entwicklung wird von Veränderungen auf ver­schiedenen politischen Maßstabsebenen beeinflusst – der Europäischen Union ebenso wie der

10 Von 1.753.597 Personen im Jahr 2013 auf 1.814.225 im Jahr 2015 (vgl. Statistik Austria 2016).

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lokal städtischen Ebene. In Bezug auf Ersteres kommen Saturnino Jun Borras und Jennifer Franco in ihrem Forschungsbericht zur Restrukturierung der europäischen Landwirtschaft zum Ergebnis, dass aktuell eine massive und schnell voranschreitende Landkonzentration stattfinde. Zurückzuführen sei dies unter anderem auf die EU-Subventionierungsregelung der Gemeinsamen Agrar­politik, welche Förderungen nach Flächengröße vergibt. Damit werde ein Prozess des Wachsen oder Weichen vorangetrieben (vgl. Borras/Franco/Van der Ploeg 2013). Auch in Wien ist dieser Druck erkennbar. In den letzten 20 Jahren ist die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe in der Stadt von 1.200 im Jahr 1995 auf 630 im Jahr 2014 gesunken (vgl. Möhrs/Forster/Kumnig/Rauth 2014, Landwirtschaftskammer Wien 2015). Bei einem Blick auf die Betriebsgröße wird dabei sichtbar, dass beinahe 70% der geschlossenen Betriebe weniger als 5 Hektar Land hatten (vgl. Möhrs/Forster/Kumnig/Rauth 2014). Dieser Restrukturierungsprozess ist sowohl auf die genannten EU-Regelungen zurückzuführen wie auch auf Entwicklungen auf der Ebene des Städtischen. Eines der zentralen Planungsinstrumente in diesem Zusammenhang ist der Agrar­ strukturelle Entwicklungsplan (AgStEP), welcher erstmals 2004 im Rahmen des Stadtentwicklungsplans (StEP 05) von verschiedenen Magistrats­stellen gemeinsam mit der Wiener Landwirtschaftskammer erarbeitet wurde. Deklariertes Ziel des AgStEPs ist es, die Bewirtschaftung landwirtschaftlich genutzter Flächen zu erhalten. Um dies umzusetzen, wurden landwirtschaftliche »Vorranggebiete« definiert, welche gesichert werden sollen. Zu diesen »Vorranggebieten« zählen große, zusammenhängende Flächen sowie »kleinräumige Flächen mit besonderer örtlicher Bedeutung«, welche den landwirtschaftlichen Betrieben »optimale Entwicklungs­möglichkeiten« bieten. Alle anderen landwirtschaftlich genutzten Gebiete werden als »weitere Flächen« bezeichnet und in den Plänen des AgStEPs nicht (mehr) dargestellt (vgl. Magistrat Stadt Wien 2004). Die Bedeutung dieses Planungsinstruments wird in der aktualisierten Version (AgStEP 2014) durch die Datenlage zum Verlust an Agrarland aufgezeigt. Während es im Jahr 1997 in Wien noch um die 7.000 Hektar landwirtschaftliche Flächen gab, schrumpfte diese Zahl bis 2012 auf ca. 6.000 Hektar. Dass dieser Verlust von rund 1.000 Hektar fruchtbarer Böden fast ausschließlich im Bereich der »weiteren landwirtschaftlichen Flächen« stattfand, und »Vorrangflächen« davon kaum betroffen waren, wird als Beweis für die Wirksamkeit des AgStEPs präsentiert (vgl. Magistrat Stadt Wien 2014a). Durch die Kategorie der schützens­ werten »Vorrangflächen« hat dieses Planungsinstrument somit die Definitionsmacht darüber, was als städtische Landwirtschaft gilt und gesichert werden soll (nämlich eine wettbewerbsfähige und wachstumsorientierte Produktionsweise)

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und was als »Anderes«, »Weiteres« und »Abweichung« von dieser Norm nicht nur von den Plänen und Karten, sondern letztendlich auch von den Böden dieser Stadt zunehmend verdrängt wird. Das Donaufeld zählt zu diesen »anderen«, nicht als schützenswerte »Vorrangflächen« deklarierten Gebieten, da es weder zu den großen zusammen­hängenden Fläche am Stadtrand zählt, noch als »kleinräumige Flächen mit besonderer Bedeutung« definiert wurde. Trotz der geplanten Verbauung der Agrarflächen wird allerdings versucht, das Stadtentwicklungsprojekt mit einem ländlichen, grünen und landwirtschaftlichen Image zu versehen. Im Entwicklungs­leitbild (mit dem bezeichnenden Titel »Stadt Land Fluss«) wird etwa die Schaffung eines nachhaltigen Stadtteils mit großzügigen Grün- und Freiräumen, Gemeinschafts­gärten und Selbsterntefeldern als zentrales Ziel formuliert (vgl. Magistrat Stadt Wien 2010). Konkret ist ein 14 Hektar großer Grünzug in der Mitte des Baugeländes geplant, in welchem auch urbane Landwirtschaft stattfinden soll. Von der Bürger_innen­initiative wird dabei jedoch kritisiert, dass mit »urbaner Landwirtschaft« nicht etwa landwirtschaftliche Gemüseproduktion gemeint sei, sondern lediglich Nachbar_innen­schafts­gärten. Darüber hinaus sei die genaue Abgrenzung und Lage des Grünzugs noch nicht festgelegt, wodurch es keine Garantie gäbe, dass dieser jemals in der geplanten Form tatsächlich verwirklicht werde (vlg. Interview 8.7.2014). Auf ähnliche Weise äußert eine Landschaftsarchitektin und Autorin einer Studie zu produktiver Stadtlandschaft im Donaufeld ihr Bedenken bezüglich der Um­setzung dieses Grünzugs, da der Großteil der Flächen noch nicht im Eigentum der Stadt sei und die aktuellen Eigentümer_innen sie teilweise auch nicht verkaufen wollen würden (vgl. Interview 26.3.2015). Obwohl die Realisierung des Grünzugs also in keinster Weise gesichert ist, wird dieser bei Veranstaltungen und in Planungsdokumenten als zentraler Bestandteil des Stadtentwicklungsgebiets präsentiert. Vor allem die Darstellung des Grünzugs im Entwicklungsleitbild ist besonders aufschlussreich für eine Analyse der Herstellung eines bestimmten grünen Images des neuen Stadtteils. Darin wird der Grünzug in grüner Farbe eingezeichnet, während aktuell existierende Felder und Gebäude als weißlicher Hintergrund erscheinen (vgl. Magistrat Stadt Wien 2010). Vermittelt wird damit: Hier entsteht Grünraum. Unsichtbar gemacht wird dabei jedoch, dass die als weiß dargestellten Flächen bereits zum Großteil grün sind (oder bunt, je nach aktueller Gemüsekultur) und das Gebiet rund um dieses bestehende Grün versiegelt, also »ent-grünt« werden soll. Während des Beteiligungsprozesses wurden zudem verschiedene »grüne« Aktivitäten organisiert. Dazu zählte unter anderem ein botanischer Spaziergang zum Thema »Essbares Donaufeld« und das Anlegen eines Gemeinschaftsgartens.

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Nach einer Gartensaison wurde dieser jedoch wieder beendet, was deutlich zeigt, wie grüne Qualitäten selektiv und temporär gefördert und in den Stadt­ entwicklungsprozess integriert wurden. Die geplanten Selbsterntefelder und Gemeinschafts­gärten sind dabei weder in Bezug auf den Ertrag noch auf die Flächengröße mit den aktuell existierenden Gemüsebetrieben zu vergleichen. Die Produktion von Gemüse wird somit zunehmend von der Produktion von Garten­ bildern abgelöst. Der temporäre Gemeinschaftsgarten wie auch die geplanten landwirtschaftlichen Projekte im Grünzug dienen damit eher als Werkzeuge zur Herstellung eines gewünschten grünen Images des Stadtentwicklungsprojekts und sind nicht unbedingt Orte tatsächlicher Lebensmittelproduktion. Im Gegensatz zur bestehenden Erwerbslandwirtschaft beruhen die geplanten StadtLandwirtschaftsprojekte (wie auch der temporäre Gemeinschaftsgarten) außerdem auf unbezahlter freiwilliger Arbeit. Bei der Frage danach, wie sich die neoliberale Umstrukturierung des Städtischen in landwirtschaftliche Räume und Praktiken im Donaufeld einschreibt, ist die Aktivierung ehrenamtlicher Arbeit somit ein weiterer zentraler Aspekt. Dies führt zur zweiten Fragestellung nach der Umsetzung partizipativer Politiken in Stadtentwicklungsprojekten und der Rolle urbaner Landwirtschaft und Gärten innerhalb dieser Prozesse. Partizipation als neoliberale Regierungstechnik Neben der Schaffung eines neuen nachhaltigen Stadtteils wurde die Partizipation der Bevölkerung als zentrales Ziel des Entwicklungsleitbilds formuliert (vgl. Magistrat Stadt Wien 2010). Für eine Analyse des durchgeführten Beteiligungsprozesses bietet sich der von Michel Foucault begründete Gouvernementalitäts­ ansatz besonders an. Damit ist es möglich, konkrete Steuerungsmechanismen und Regierungs­ handlungen, welche für die Durchsetzung einer neoliberalen Umstrukturierung des Städtischen nötig sind, in den Blick zu nehmen. Sichtbar wird dabei etwa, wie bestimmte Rahmenbedingungen sowie konkrete Praktiken als normal, natürlich und unausweichlich dargestellt und akzeptiert werden, sowie auch umkämpft sind. Wie Marit Rosol in ihrer Arbeit zu Partizipations­prozessen in Vancouver aufzeigt, bewegen sich Beteiligungsmöglichkeiten in einem klar vorgegebenen Rahmen äußerer Zwänge (vgl. Rosol 2015). Im Donaufeld wird das Bevölkerungswachstum als dieser Druck von Außen präsentiert, welcher den lokalen Staat dazu zwinge, mehr Häuser bauen zu lassen (vgl. Protokoll 7.5.2015). Der massive Wohnungsleerstand in Wien wird dabei ebenso ausgeblendet wie die Möglichkeit andere Areale, wie großflächige Parkplätze oder einstöckige Einkaufshäuser, für die Errichtung von Wohn­raum umzunutzen. Der Anstieg der Bevölkerungszahl sowie die Definition des Donaufeldes

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als Baulandreserve (vgl. Magistrat Stadt Wien 2010) reicht aus, um den scheinbar unveränderlichen Rahmen des Möglichen festzulegen, innerhalb dessen das geplante Stadt­entwicklungsprojekt umgesetzt wird. Veranschaulicht wurde dieser limitierte Handlungsspielraum bei einem Workshops zum Thema »bauliche Dichte«. Die Teilnehmenden wurden dabei aufgefordert, mit Hilfe von Holzbauklötzen die Anordnung der zukünftigen Gebäude zu diskutieren. Weder die Anwesenheit der Bauklötze, noch ihre Größe oder Anzahl stand dabei zur Debatte, sondern lediglich die Frage, wie sie platziert werden könnten (vgl. Protokoll 7.5.2015). Mit dieser Aktivität wurden die Teilnehmenden in die Rolle von Planer_innen versetzt, welche innerhalb fix vorgegebener Rahmenbedingungen agieren müssen. Hochpolitische Stadtentwicklungsfragen wurden damit auf scheinbar sozial neutrale und technische Fragen reduziert – wie hoch, wie viel, wie dicht. Einige der Teilnehmenden stellten allerdings während des Workshops immer wieder den scheinbar natürlichen Wachstumszwang grundlegend in Frage, äußerten ihre Ablehnung gegenüber jeglicher Art der Versiegelung fruchtbarer Ackerböden und verwiesen auf Parkplätze und Einkaufszentren als mögliche Orte für Bauvorhaben (vgl. Protokoll 7.5.2015). Damit wurde der vorgegebene Rahmen des Möglichen in Frage gestellt und die Naturalisierung von Feldern als Baulandreserve kritisiert. Ein wesentliches Element neoliberaler Umstrukturierung ist außerdem die Tendenz des governing beyond the state (vgl. Swyngedouw 2005), also die zunehmende Einbindung privater Akteur_innen in Stadtentwicklungsprozesse. Im Fall des Donaufelds wurde nicht nur die Erstellung des Entwicklungsleitbilds an private Planungsbüros ausgelagert (in Zusammenarbeit mit Magistratsstellen), sondern auch die Durchführung des Beteiligungsverfahrens. In einem Interview erklärten Mitarbeiter_innen, dass es von Vorteil sei, als privates Planungsbüro den Partizipationsprozess umzusetzen, da sie im Gegensatz zur Stadtverwaltung oder -regierung von der Bevölkerung als neutrale Vermittler_innen wahrgenommen werden. Sie sehen sich als Schnittstelle und Sprachrohr zwischen Bevölkerung, Politik und Verwaltung (vgl. Interview 6.2.2015). Da das Planungsbüro selbst keinerlei Entscheidungskompetenzen im Stadt­ entwicklungsprozess hat, nimmt es die Rolle einer Moderatorin ein, welche einerseits der Bevölkerung die geplanten Entwicklungen präsentiert (ohne dafür verantwortlich zu sein) und andererseits Anregungen und Bedenken der Anwohner_innen an den lokalen Staat weitergibt. Dadurch wird ein Puffer zwischen Bevölkerung und Entscheidungsträger_innen geschaffen, welcher möglichen Widerstand abfedern kann. Denn auch wenn teilweise Politiker_innen bei

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Diskussionsveranstaltungen anwesend waren, so richtete sich in vielen Fällen die Kritik und Frustration über das Entwicklungsprojekt doch an das Planungsbüro in ihrer Funktion als Organisatorin und Anlaufstelle. Wie auch Georgina Blakeley in ihrer Arbeit zu Partizipationsverfahren in Barcelona und Manchester aufzeigt, verlieren staatliche Körperschaften trotz eines zunehmend pluralistischen Governance-Settings und einer wachsenden Anzahl an beteiligten Akteur_innen nicht unbedingt an Macht. Laut ihr nehme der Staat in diesen Prozessen nach wie vor eine zentrale Rolle ein, wodurch es nicht zu einem Transfer, sondern zu einer Transformation von Macht käme. Eine Zunahme an Partizipationsveranstaltungen würde somit nicht unbedingt zu mehr Mitbestimmungs­ möglichkeiten für nicht-staatliche Akteur_innen führen (vgl. Blakeley 2010). Auf ähnliche Weise wurde während des Beteiligungsverfahrens im Donau­feld häufig Skepsis darüber geäußert, tatsächlich Einfluss auf die geplanten Entwicklungen nehmen zu können (vgl. Protokoll 7.5.2015; 2.7.2015). Im Verlauf der zahlreichen Informations- und Diskussionsveranstaltungen wurde immer wieder grundsätzliche Kritik an der Verbauung laut, doch diese stand von Anfang an nicht zur Diskussion, wie Mitarbeiter_innen des Planungsbüros betonten. In einem Interview stellten sie klar, dass der Partizipationsprozess nicht bei Null beginne und die Inhalte des Entwicklungsleitbilds bereits davor festgelegt wurden. Im Beteiligungs­verfahren selbst gehe es nicht darum, Entscheidungen zu treffen, denn wie es ein Mitarbeiter auf den Punkt brachte: »Partizipation ist keine Basisdemokratie« (Interview 6.2.2015). Vielmehr sei die Zielsetzung des Beteiligungsprozesses die Information der Bevölkerung sowie die Sammlung von Anregungen und Ideen für das neue Stadtentwicklungsgebiet (vgl. Interview 6.2.2015). Aus diesem Grund wurden Teilnehmende eingeladen, ihre Empfehlungen und Vorschläge bei den Veranstaltungen oder auch am Internetblog abzugeben. Eine Zusammenfassung kann im Abschlussbericht des Beteiligungsverfahren nachgelesen werden (siehe Magistrat Stadt Wien 2015b). Darin wird die Sicherung des geplanten Grünzugs und der weitgehende Erhalt landwirtschaftlicher Flächen als Hauptan­ liegen formuliert. Gefordert wurde darüber hinaus mehr direkte Einfluss­nahme der Bürger_innen auf einzelne Planungsschritte. Diese Ergebnisse sind jedoch in keinster Weise bindend, sondern dienen lediglich als Empfehlungen an die Stadtverwaltung. Die Entscheidung darüber, ob Teile davon umgesetzt werden und wenn ja in welcher Form, liegt zur Gänze beim lokalen Staat (vgl. Interview 6.2.2015). Klaus Selle verwendet in diesem Zusammenhang den Begriff des Particitainments. Damit soll analysiert werden, wie Beteiligungsverfahren zwar als Möglichkeit präsentiert werden, an Stadtentwicklungsfragen teilzunehmen,

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diese jedoch damit kaum beeinflusst werden können (vgl. Selle 2011). Die Miteinbeziehung nicht-staatlicher Akteur_innen sowie die Aktivierung von bürger­ schaftlichem Engagement können laut Marit Rosol als zentrale Elemente einer Neoliberalisierung des Städtischen verstanden werden (vgl. Rosol 2012). »Das Donaufeld gemeinsam entwickeln«, der Titel des Beteiligungsverfahrens lässt bereits darauf schließen, dass sich Partizipation nicht unbedingt auf die Mit­bestimmung bei Entscheidungen bezieht, sondern vielmehr auf die Aktivierung der lokalen Bevölkerung und die Mobilisierung ehrenamtlicher Arbeit. Während des Beteiligungsprozesses wurden Teilnehmende beispielsweise dazu animiert, gemeinsam mit Schüler_innen Gartenmöbel für einen Begegnungsort im Donaufeld zu bauen (ohne dafür bezahlt zu werden), im temporären Gemeinschafts­garten (gratis) zu arbeiten und viele (unbezahlte) Stunden bei Diskussionsveranstaltungen zu verbringen. Systematisch ausgeschlossen bleiben dabei all jene Personen, die nicht die nötigen zeitlichen Ressourcen haben, um an den zahlreichen Aktivitäten teilzunehmen. Diese Art des Particitainments kann außerdem als Strategie verstanden werden, um Kritik und Widerstand zu schwächen, indem Nachbar_innen und lokale Aktivist_innen beschäftigt werden. Was jedoch in Bezug auf Beteiligungsprozesse generell wie auch konkret im Falle des Donaufelds nicht vergessen werden darf ist, dass scheinbar »sanfte« Regierungs­ techniken einer neoliberalen Stadtentwicklung disziplinierende Machttechnologien keineswegs ersetzt haben. Vielmehr greifen unterschiedliche Macht­mechanismen ineinander, bauen aufeinander auf und ergänzen sich gegenseitig, wie auch Michel Foucault in seiner Arbeit betont (vgl. Foucault [1978] 2014 ). Genauso wenig wurde im Donaufeld nur sanft reguliert und indirekt gelenkt, sondern manche Handlungen auch direkt und gewaltsam unterbunden. Ein Beispiel dafür ist die Räumung der Landbesetzung von SoliLa! (Solidarisch Landwirtschaften!) im Jahr 2013. Anfang Mai hatten Studierende, Klein­bäuer_innen und Aktivist_innen begonnen, eine etwa 1,5 Hektar große Brachfläche im Donau­feld zu bewirtschaften, um eine nicht-kommerzielle StadtLandwirtschaft aufzubauen. Mit dem Ziel, Stadtgestaltung selbst in die Hand zu nehmen und landwirtschaftliche Flächen zu erhalten, wurden Beete angelegt, vorgezogene Jungpflanzen eingesetzt und Nachbar_innen eingeladen. Dieser Versuch, einen offenen Raum für Austausch und kollektive Lebensmittelproduktion zu schaffen, wurde jedoch bereits nach zehn Tagen brutal beendet und polizeilich geräumt (vgl. SoliLa! 2013). Dabei wird deutlich, dass vom lokalen Staat nur bestimmte Formen von Partizipation und Eigeninitiative im Donaufeld geduldet wurden und urbane

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Landwirtschaft und Gärten auch in Wien mit einer selektiven Förderung mancher Aktivitäten bei gleichzeitiger Repression gegen andere konfrontiert sind (vgl. Mayer 2013b). Neben der Räumung der Landbesetzung sind mehrere Gerichtsverfahren gegen Bäuer_innen, die sich weigerten ihre landwirtschaftlichen Flächen für geplante Bauprojekten zu verkaufen, Beispiele dafür, dass lokale Restrukturierungsprozesse nicht alleine durch Beteiligungsverfahren umgesetzt werden (können).

Fazit – Widersprüche und Widerstände Wie schreibt sich also die Neoliberalisierung des Städtischen in landwirtschaftliche Räume und Praktiken in Wien und konkret im Donaufeld ein? Im Kontext einer wachsenden Stadt mit zunehmendem Bedarf an Wohnraum geraten land­ wirtschaftliche Flächen immer mehr unter Druck. Gleichzeitig wird in offiziellen Planungsinstrumenten der Erhalt urbaner Landwirtschaft und Gärten als zentrales Ziel formuliert. Diese sind somit von zwei Entwicklungen betroffen, die als Effekte einer neoliberalen Stadtentwicklung verstanden werden können: Erstens kommt es zu einer selektiven Erhaltung und Förderung von wett­ bewerbsfähigen landwirtschaftlichen Betrieben und einer Tendenz des Wachsen oder Weichen (vgl. Borras/Franco/Van der Ploeg 2013). Vorangetrieben wird diese Entwicklung durch Regelungen auf EU-Ebene (wie die Förderungen nach Betriebsgröße) sowie von lokalen Planungsinstrumenten (wie dem Agrar­ strukturellen Entwicklungsplan). Darin wird die Sicherung von Betrieben mit »optimalen Entwicklungsmöglichkeiten« als Ziel formuliert und somit festgelegt, welche Art der urbanen Landwirtschaft als schützens- und erhaltenswert gilt und welche anderen Formen zunehmend von den Böden dieser Stadt verschwinden. Zweitens werden urbane Landwirtschaft und Gärten gezielt als Imageprodukte in Stadtentwicklungsprojekten eingesetzt. Im Donaufeld wird dem neuen Stadtteil etwa durch »großzügige Grünflächen« mit Selbsterntefeldern und Gemeinschaftsgärten ein besonders grüner und ländlicher Charakter verschafft. Auch das Anlegen eines Gemeinschaftsgartens für nur eine Saison ist ein Beispiel dafür, dass die Produktion von Lebensmitteln zunehmend durch die Produktion von Gartenbildern abgelöst wird. Diese Entwicklungen sind jedoch alles andere als naturgegeben und sozial neutral, was im zweiten Abschnitt diskutiert wurde. Mit dem analytischem Werkzeug der Gouvernementalität wurde ein Blick darauf geworfen, wie partizipative Politiken als neoliberale Regierungstechniken im Stadtentwicklungsprojekt

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Donau­feld umgesetzt wurden und welche Rolle urbane Gärten in diesen Prozessen spielen. Fünf Aspekte sind dabei wesentlich: 1. Durch das Bevölkerungswachstum als Zwang von Außen sowie durch die Definition des Donaufelds als Baulandreserve wurde ein scheinbar unveränderlicher Rahmen des Möglichen geschaffen. Damit werden hoch­ politische Stadtentwicklungsfragen auf rein technische Fragen reduziert. Viele der Teilnehmenden kritisierten jedoch die vermeintlich natürliche und unvermeidbare Verbauung landwirtschaftlicher Flächen. 2. Private Akteur_innen werden zunehmend in Stadtentwicklungsprozesse eingebunden. Im Donaufeld äußert sich diese Entwicklung des governing beyond the state (vgl. Swyngedouw 2005) unter anderem durch die Auslagerung der Erstellung des Entwicklungsleitbilds sowie der Durchführung des Beteiligungsverfahrens an private Planungsbüros. Als scheinbar neutrale Moderatorin zwischen lokalem Staat und Bevölkerung hat das Planungsbüro keinerlei Entscheidungsbefugnisse, wodurch es eine Pufferfunktion einnimmt, welche mögliche Widerstände abfedern kann. 3. Partizipation bedeutet nicht Mitbestimmung der Bevölkerung in Entscheidungs­ prozessen. Die während des Beteiligungsverfahrens gesammelten Anregungen und Forderungen der Teilnehmenden wurden zwar im Abschlussbericht veröffentlicht, sind jedoch in keinster Weise bindend und dienen lediglich als Empfehlungen an den lokalen Staat. 4. Die Aktivierung der Bevölkerung durch Partizipationsverfahren ist ein zentrales Element neoliberaler Stadtentwicklung. Für die Umsetzung bereits durchgeführter sowie geplanter StadtLandwirtschaftsprojekte im Donaufeld ist die Mobilisierung ehrenamtlicher Arbeit notwendig. Durch die zahlreichen Aktivitäten kann das Partizipationsverfahren zudem als Strategie verstanden werden, Kritik und Widerstand abzuschwächen, indem Nachbar_innen und lokale Aktivist_innen beschäftigt werden. 5. Scheinbar »sanfte« Regierungstechniken haben disziplinierende Macht­ technologien keineswegs ersetzt, sondern bauen aufeinander auf und greifen ineinander. Die brutale Räumung der Landbesetzung von SoliLa! ist ein Beispiel dafür, dass einer neoliberalen Umstrukturierung des Städtischen nicht alleine durch Partizipationsverfahren umgesetzt wird. Ein prozesshaftes Verständnis der Neoliberalisierung des Städtischen macht es nötig, den Blick auch auf inhärente Widersprüche und Widerständigkeiten zu legen. Partizipationsverfahren generell, wie auch jenes im Donaufeld, sind keine

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zentral geplanten und linear umgesetzten Abwicklungen, sondern umkämpfte Prozesse. Jane Tooke zeigt in ihrer Arbeit auf, wie Teilnehmende immer wieder Wege finden, um Regierungstechniken umzudeuten und zu verändern: »Governments [...] face an inevitable risk that citizens will shift the parameters of that political space in unexpected ways« (Tooke 2003: 237). Partizipationsverfahren bedeuten somit gleichzeitig, regiert zu werden und sich dieser Regierung zu widersetzen (vgl. Tooke 2003). Auch andere Autor_innen machen deutlich, wie es sowohl innerhalb als auch außerhalb formaler Beteiligungsverfahren zu Widerständen und nicht-intendierten Nebeneffekten komme (vgl. Blakeley 2010; Lanz 2013). Gleichermaßen wäre es verkürzt, den Partizipationsprozess im Donaufeld als reines Befriedungs- und Entpolitisierungsprogramm darzustellen. Mehrmals wurde der geplante Veranstaltungsablauf durch Interventionen, Zwischenrufe oder das Verteilen von Flugzetteln gestört oder gar verunmöglicht. Bei einem der Workshops wurden beispielsweise die Bauklötze, welche die Dichte der zukünftigen Wohnbauten symbolisieren sollten, mit Gemüse aus dem Donaufeld vom runden Tisch geschoben. Teilnehmende nutzten den Raum, um ihre Themen, Forderungen und Grundsatzkritik einzubringen, sich zu vernetzen und einen Organisierungs­prozess auch außerhalb des vorgegebenen Rahmens anzustoßen. Damit wurde der Partizipationsprozess teilweise angeeignet, umgedeutet und für eine Repolitisierung von Stadtentwicklungsfragen genutzt. Beteiligungsverfahren in ihrer Prozesshaftigkeit zu analysieren, bedeutet außerdem, die möglichen Richtungen dieser Politisierung sichtbar zu machen. Im Donaufeld waren die Argumentationslinien der Teilnehmenden äußerst vielfältig. Während manche die Versiegelung fruchtbarer Böden und die Zerstörung lokaler Landwirtschaft als Hauptkritikpunkte formulierten, zeigten andere die fehlenden demokratischen Mitbestimmungsmöglichkeiten auf. Neben klassischen NIMBYs (not-in-my-back-yard), die ihre Lebensqualität durch Neubauten und mehr joggende Menschen in den Parks gefährdet sahen, wurden auch offen rassistische und fremdenfeindliche Meinungen geäußert. Demnach wären ausländische Inves­ to­r_innen und der Zuzug von Migrant_innen die größten Probleme für das Donaufeld. Die Kritik an Bauvorhaben wie auch die Umsetzung urbaner Landwirtschaft und Gärten sind somit in keinster Weise homogen, was einen kleinteiligen präzisen Blick darauf dringend nötig macht. Abschließend kann festgehalten werden, dass es für eine emanzipatorische Stadtpolitik nicht ausreicht, landwirtschaftliche Flächen vor Verbauung zu schützen und mit Nachbar_innen gemeinsam bunte Gärten zu pflegen. Stadt­Landwirtschaftliche Initiativen und die Aktivierung ehrenamtlicher Arbeit können zu effektiven

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Instrumenten einer Neoliberalisierung des Städtischen werden, wenn nicht über das eigene Gemüsebeet hinausgeblickt wird. Ebenso kann die Kritik an geplanten Wohnbauten auf landwirtschaftlichen Flächen leicht in einen reaktionären und lokalpatriotischen »Wien den Wiener_innen«-Diskurs kippen. Aus diesem Grund ist es wesentlich, nicht nur den scheinbar natürlichen Rahmen des Möglichen einer neoliberalen Stadtentwicklung zu hinterfragen und die jeweiligen Interessen, Prozesse und Regierungstechniken darin sichtbar zu machen, sondern auch verschiedene stadtpolitische Themen zusammen zu denken. Für eine tatsächliche Repolitisierung von Stadtpolitik müssen etwa Kämpfe um den Erhalt von landwirtschaftlichen Flächen mit jenen um Zugang zu Wohnraum für alle (unabhängig vom Aufenthaltsstatus) miteinander verknüpft werden. Um herrschenden Neoliberalisierungsprozessen etwas entgegenzusetzen, sind Allianzen und die gemeinsame Organisierung unterschiedlicher Gruppen unerlässlich. Vor allem braucht es eine aktive Zusammenarbeit zwischen privilegierteren Bewegungszusammenhängen und Gruppen, die in prekäreren Situationen und stärker repressionsbetroffen sind. Nur so ist es möglich, eine aus­schließende Restrukturierung des Städtischen zu destabilisieren und in ihren Rissen an einer Stadt für alle (weiter) zu bauen.

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Der Geschmack am Gärtnern Gemeinschaftsgärten und soziale Diversität in Wien Andrea*s Exner, Isabelle Schützenberger Tatsächlich steht einem nichts ferner und ist nichts weniger tolerierbar als Menschen, die sozial fern stehen, aber mit denen man in räumlichen Kontakt kommt. Bourdieu 1991: 32

Einleitung Gemeinschaftsgärten gelten häufig als sozial inklusiv, sie sollen das Miteinander verschiedener sozialer Gruppen ermöglichen, »Orte der kulturellen, sozialen und generationenübergreifenden Vielfalt und des nachbarschaftlichen Miteinanders« sein, wie es beispielsweise im Urban-Gardening-Manifest heißt, das mittlerweile von mehr als 140 Organisationen unterzeichnet worden ist (Anonym 2014, Stand Juli 2016). Unsere Feldforschung in Wien hat ergeben, dass in diesem räumlichen Kontext und auf der Ebene der sozialen Zusammensetzung Gemeinschaftsgärten weit weniger divers sind, als der Diskurs vermuten ließe. Im Verhältnis zu den genannten Beschreibungen von Gemeinschaftsgärten ist dies ebenso paradox wie gemessen an den expliziten Motiven und Zielen mancher Mitglieder beziehungsweise Initiator_innen, die wir befragten. Warum also fehlen bestimmte soziale Gruppen in den untersuchten Gemeinschaftsgärten? Diesen Sachverhalt versuchen wir in diesem Artikel mit Hilfe der relationalen und praxeologischen Klassentheorie von Pierre Bourdieu (1979) zu erklären. Diese geht davon aus, dass die soziale Welt nicht kontinuierlich differenziert ist, sondern sich in soziale Gruppen (Klassen) teilt. Deren Konstitution kann

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nicht aus sozio-ökonomischen Daten abgelesen werden, sondern ist erst über die Bedeutungen zu erschließen, die Personen dem eigenen Handeln, anderen Menschen und Dingen geben. Diese Bedeutungen erschöpfen sich nicht in expliziten Motiven oder Zielen der primären Sinnschicht. Mit Bourdieu gehen wir vielmehr davon aus, dass der primäre Sinn von Handeln und Sichtweisen auch von einem Kontext von Bedingungen abhängt, der diesen Sinn rahmt, und der den Handelnden in ihren alltäglichen Praktiken nicht notwendig beziehungsweise nur teil­ weise, häufig auch gar nicht bewusst ist (Bourdieu 1989: 16; vgl. Bourdieu 1970 in Bremer/Teiwes-Kügler 2013: 97f.). Uns interessiert vorrangig diese sekundäre, nicht notwendig bewusste, latente Sinnschicht, die mit der Beteiligung an Gemeinschaftsgärten verbunden ist und die der primären, manifesten Sinnschicht, wie Bourdieu argumentiert, erst ihre volle Bedeutung gibt (ebd.). Auf diese Weise ist das oben genannte Paradoxon zu erhellen, dass Gemeinschaftsgärten häufig als sozial integrativ beschrieben werden, dort aktive Menschen immer wieder gezielte Anstrengungen unternehmen, um verschiedene soziale Gruppen einzubinden, dies aber nur in eingeschränktem Maß gelingt. Die Untersuchung erfolgt in drei Schritten. Zunächst wird die Zusammen­ setzung von sechs Gemeinschaftsgärten nach einigen sozio-ökonomischen Variablen von Mitgliedern dargestellt. Darauf folgt, ähnlich wie in Bourdieu (1979), eine Analyse der Bewertungen von Fotomaterial durch Gärtnernde in diesen Initiativen. Den Abschluss bildet eine Diskussion eines weiteren thematischen Zusammenhangs.

Theoretischer Ansatz: die praxeologische Klassentheorie Bourdieus Vor der empirischen Untersuchung sei der theoretische Ansatz des Artikels vorgestellt. Es ist wichtig zu betonen, dass die empirische Forschung nicht mit diesem Instrumentarium ausgestattet war. Dieses hat sich erst nach Abschluss des Großteils der Erhebungen und Auswertungen als geeignet erwiesen, Widersprüche aufzulösen, die sich zwischen den anfänglichen Hypothesen, die weitgehend den eingangs erwähnten Zuschreibungen entsprachen, und den Beobachtungen ergaben. Zentral für die vorliegende Analyse ist das von Pierre Bourdieu eingeführte Konzept des Habitus, um die Struktur menschlichen Handelns, allgemein als Praxis bezeichnet, zu erklären. Dieses Konzept wurde insbesondere in »Die feinen Unterschiede« (Bourdieu 1979) an empirischem Material zur sozialen

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Differenzierung der französischen Gesellschaft entwickelt. Es bezeichnet ein Erzeugungsprinzip einerseits von klassifizierbaren Formen der Praxis und der Werke, die daraus folgen, andererseits der Klassifikation dieser Formen und Werke durch die Individuen – ihrer eigenen wie der von anderen. Damit bezeichnet der Habitus auch den Mechanismus, der zur Herausbildung von sozialen Klassen führt, denn Individuen gehören sozialen Klassen dadurch an, dass sie auf spezifische Weisen etwas tun, sich bewegen, sprechen, denken und fühlen ebenso wie sie andere Individuen und deren Werke auf spezifische Weisen unterscheiden und bewerten. Der Habitus generiert den von Bourdieu so genannten Raum der Lebensstile. Er äußert sich unter anderem im Geschmack und in der Mentalität. Der Habitus ist nicht Ergebnis individueller Neigungen oder Errungenschaften, sondern gesellschaftliches Produkt, nämlich »Inkorporation der Klassenlage und der von ihr erzwungenen Anpassungsprozesse« (Bourdieu 1979: 175). Dabei handelt es sich nicht um Prozesse, die dem Subjekt äußerlich sind. Vielmehr prägen sich diese in den Körper und die unwillkürlichen Regungen ein. Was als Ausdruck autonomen Willens und individuellen Geschmacks buchstäblich empfunden wird, ist in Wirklichkeit von Bedingungen, die nicht dem Willen unterliegen, abhängig: »...[der Habitus] gewährleistet die aktive Präsenz früherer Erfahrungen, die sich in jedem Organismus in Gestalt von Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata niederschlagen und die Übereinstimmung und Konstantheit der Praktiken im Zeitverlauf viel sicherer als alle formalen Regeln und expliziten Normen zu gewährleisten suchen« (Bourdieu 1980: 101). Allerdings wird das Handeln durch den Habitus nicht determiniert. Dieser definiert bloß klassenspezifische Spielräume des Handelns in Gestalt leiblicher, kognitiver und emotionaler Dispositionen (Sonderegger 2010, Vester 2013). »Die Dispositionen, die in einer betreffenden Position angeeignet werden«, schreibt Bourdieu, »implizieren eine Anpassung an diese Position, was Goffman ›the sense of one’s place‹ nennt. Es ist dieser Sinn für den eigenen sozialen Ort, der in Interaktionen dazu führt, dass Menschen, die wir im Französischen ›les gens modestes‹, die ›gewöhnlichen Leute‹ nennen, an ihrem gewöhnlichen sozialen Ort bleiben und die anderen ›Distanz wahren‹, ›ihren Status bewahren‹ und ›sich nicht gemein machen‹« (Bourdieu 1989: 17, Übers. d. A.). Die habituelle Ähnlichkeit bedingt folglich Anti- und Sympathien. Sie verbindet Individuen durch eine vergleichbare, oft auch physisch geteilte Alltagskultur und damit eine spezifische soziale Kohäsion. Gruppen von Personen mit ähnlichem Habitus werden im Folgenden als Milieus bezeichnet (Vester et al. 2001: 24f.).

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Von besonderer Relevanz für die vorliegende Untersuchung ist, dass der Habitus alle Praktiken eines Individuums umgreift, von der Art zu sprechen, der Wahl von Haustieren bis zur politischen Oppositionsbildung zwischen links und rechts (dazu auch die neuere Studie von Vester et al. 2001). Politische Lager beziehen sich jedoch nicht auf die alltägliche Lebensführung wie Habitus und Milieu, »sondern auf ein anderes Feld, das Feld der ideologischen und politischen Abgrenzungen und Kämpfe, das eigenen und anderen Gesetzmäßigkeiten folgt« (ebd.: 25). Den Sinn für die den Habitus konstituierenden Unterscheidungen nennt Bourdieu den Geschmack. Dieser ist dem Bewusstsein nicht direkt zugänglich. Er wird mit steigender sozialer Stufenleiter immer wichtiger für die Stilisierung des eigenen Lebens (Bourdieu 1979: 283). Der Geschmack bewirkt die Verwandlung von kontinuierlich verschiedenen Verteilungen der Dinge »in distinkte und distinktive Zeichen«, also »in diskontinuierliche Gegensätze« (Bourdieu 1979: 284). Durch den Geschmack »geraten die Unterschiede aus der physischen Ordnung der Dinge in die symbolische Ordnung signifikanter Unterscheidungen« (ebd.). Der Geschmack ist folglich Grundlage von Identität, die sich »durch die Gesamtheit dessen, was sie nicht ist«, bestimmt, »insbesondere jedoch durch das ihr Gegensätzliche: soziale Identität gewinnt Kontur und bestätigt sich in der Differenz« (ebd.: 279). Bourdieu verbindet den Habitus unter anderem mit dem für uns wichtigen Konzept des Kapitals. Darunter versteht Bourdieu – anders als Marx – alle Formen von Machtmitteln, die den Erhalt einer gesellschaftlichen Stellung oder sozialen Aufstieg ermöglichen. Darunter fallen ökonomische Ressourcen (»ökonomisches Kapital«) ebenso wie kulturelle Kompetenzen (»kulturelles Kapital« beziehungsweise in kodifizierter Form: »Bildungskapital«) und soziale Beziehungen (»soziales Kapital«). Das symbolische Kapital ist das gesellschaftlich anerkannte Gesamtkapital (aller drei Kapitalsorten), das heißt das Prestige oder der Status. Die Möglichkeiten, Kapital anzueignen, sind je nach Klassenposition beziehungsweise Milieu verschieden. Die entsprechenden Praktiken und Strategien der Distinktion, die den Habitus als Unterscheidungsprinzip sozialer Gruppen ausdrücken, sind damit Teil einer Herrschaftsstruktur, also von Unterscheidungen in vertikaler Richtung, nämlich von dominierenden gegen dominierte Gruppen – ebenso wie von Unterscheidungen in horizontaler Richtung, nämlich der Konkurrenz, die Bourdieu als eine Form des Klassenkampfes begreift. Die dominierenden Gruppen reproduzieren ihre Stellung durch Praktiken der Distinktion, die ein besonders hoher Distinktionswert und daraus folgender -gewinn auszeichnet. Fehlen »die Voraussetzungen zur materiellen Aneignung,

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so bleibt dem Streben nach Ausschließlichkeit nur die individuelle Eigenart des Aneignens: auf andere Weise dieselben Gegenstände lieben, auf dieselbe Weise andere, für die Bewunderung weniger designierte lieben: dies sind Strategien des Überholens, Überbietens, Verlagerns, Ursprung der permanenten Geschmacksmutation [...]« (ebd.: 441). Die aus dem Klassenkampf resultierende Dynamik führt zu einer fortwährenden Veränderung distinktiver Praktiken. Dadurch erhalten die dominierenden Gruppen beziehungsweise die herrschenden Klassen ihren sozialen Rang. Es geht, kurz gesagt, darum, den guten oder erlesenen Geschmack, also den Geschmack für das Tiefsinnige, Besondere, Feine gegenüber dem Oberflächlichen, Allgemeinen, Groben etc. auf neue Gegenstände auszurichten, Gegenstände des guten Geschmacks neu zu definieren und zu erzeugen, und neue Anforderungen an die Fähigkeit der ästhetischen Erfahrung von Gegenständen zu stellen und durchzusetzen, um den Abstand zu untergeordneten Gruppen zu wahren. Bourdieu hat die Konzeption von Habitus und Kapital auf Fragen der Aneignung und des Gebrauchs von physischem Raum bezogen (Bourdieu 1996). Der unsichtbare soziale Raum, den die Soziologie erschließt, übersetzt sich in den sichtbaren physischen Raum und belegt diesen mit einer symbolischen Ordnung, womit der physische Raum ein angeeigneter Raum wird. Der physische Raum ist mithin eine »spontane Metapher des sozialen Raums« (ebd.: 13). Damit ergibt sich, dass »der Ort und der Platz, der von Agent_innen im angeeigneten sozialen Raum eingenommen wird, exzellente Indikatoren für seine oder ihre Position im sozialen Raum darstellen« (ebd.: 13, Übers. d. A.). Die symbolische Macht resultiert aus Strategien der Distinktion, die wesentlich in der Aneignung von Raum bestehen

Material und Methoden Untersuchungsgegenstand und Erhebungsmethoden Die Basis des Artikels bildet eingehende Feldforschung zu sechs Fallstudien von Gemeinschaftsgärten in Wien. Diese Gärten decken das für Wien relevante Spektrum nach Größe, Lage, Eigentumsverhältnissen, Grad der Politisierung, Gründungsdatum und Einfluss von Personen in öffentlichen politischen Ämtern sowie von kommunalen, teils öffentlichen, teils halböffentlichen Körperschaften ab (im Folgenden als kommunaler Einfluss bezeichnet). Ende 2013, als die Auswahl getroffen wurde, gab es etwa 50 Gemeinschaftsgärten in Wien. Die Auswahl erfolgte nach Vorerkundungen, bei denen fast alle

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der Gärten besucht worden waren. Sowohl die einzelnen Gemeinschaftsgärten als auch die Gesamtheit dieser Initiativen in Wien wurden zum Erhebungszeitpunkt repräsentativ erfasst. Gemessen an der Gesamtzahl der Gärten untersuchten wir mehr als 10% aller Initiativen. Die folgende Tabelle (1) ermöglicht einen Überblick über die Eckdaten der sechs Fallstudiengärten. Für eine weiterführende Darstellung muss aus Platzgründen auf Exner/Schützenberger (2015) verwiesen werden. Tabelle 1: Eckdaten der Fallstudiengärten. Garten

Fläche Beete (m2)

Gründung

Rotation*

Passant_innenFrequenz

Eigentumsverhältnis

Formelle Gartenbesprechungen

Rechtsform

Direkt kommunal beeinflusste Gärten 1

377

ca. 20

2012

Ja

moderat

öffentlich

alle 2 Monate

Verein

2

1.400

ca. 25

2011

Ja(zumTeil)

hoch

öffentlich

alle 2 Monate

Verein

3

4.500

ca. 75

2011

Nein

sehr hoch

öffentlich

ca. einmal pro Jahr

Verein

jeden Monat

de facto Besetzung

Nicht direkt kommunal beeinflusste Gärten 4

1.500

ca. 20

2001

Nein

keine

öffentlich

5

300

ca. 30

2013

Nein

sehr hoch

öffentlich

wöchentlich

Verein

6

2.000

ca. 30

2006

Nein

keine

Kirche

ca. einmal pro Jahr

eine Person, die pachtet

* Rotation bezieht sich auf den von kommunalen Körperschaften oder der Bezirkspolitik zumeist vorgegebenen Wechsel von Mitgliedern meist im Drei-Jahres-Rhythmus, das heißt, ein Mitglied darf maximal drei Jahre den Garten nutzen.

Zur Untersuchung der Gärten kombinierten wir qualitative mit quantitativen Methoden (in Form von semi-strukturierten Interviews, Fragebögen und teilnehmender Beobachtung). Die Methodenwahl erfolgte einerseits aufgrund unserer Ausgangshypothese, andererseits aufgrund der methodologischen Grundhaltung, die Erhebungen möglichst offen für Fragestellungen zu halten, die sich aus dem Material ergeben würden. Nach den ersten explorativen Untersuchungen schälte sich unter anderem die Hypothese heraus, dass sich in der räumlichen Gestaltung der Gärten verschiedene soziale Ordnungsvorstellungen (vgl. Exner/Schützenberger 2015) und Selbstsichten der Gärtnernden ausdrücken und dass die wiederkehrende Positionierung dieser Initiativen im öffentlichen Raum eine besondere Rolle im Sinn einer Inszenierung dieser Vorstellungen spiele. Wir vermuteten, dass die dahingehende Spezifik der Gemeinschaftsgärten am besten herausgearbeitet werden kann, wenn die Sicht auf andere Gartentypen erhoben wird. Diesem Zweck diente eine Foto­ serie, die den Interviewten zur Bewertung vorgelegt wurde. Nach Beginn der systematischen und standardisierten Erhebungen über Interviews mehrten sich Anzeichen dafür, dass sich Gemeinschaftsgärten in

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der Wahrnehmung vieler Mitglieder insbesondere durch eine Abgrenzung von Schrebergärten symbolisch definieren und dass diese Initiativen durch relativ eng umgrenzte soziale Milieus geprägt sind. Wir untersuchten gegen Ende der Erhebungen daher zusätzlich Kleingärten mit einer eingeschränkteren Zahl von Interviews und Begehungen. Es wurden jeweils die Obleute (in unserem Fall nur Obmänner) und eine weitere Person pro Anlage interviewt, die aufgrund der Schwierigkeit der Kontaktaufnahme in den meisten Fällen vom Obmann kontaktiert wurde. Alle Kleingartenanlagen in Wien, in denen (noch) kein ganzjähriges Wohnen erlaubt ist, wurden kontaktiert. Die für diesen Artikel herangezogenen Daten, die Teil ausführlicherer Erhebungen sind, bestehen im Kern aus 78 semi-strukturierten Interviews, denen eine Fotoserie und danach ein Fragebogen angeschlossen war, sowie aus den Gedächtnisprotokollen der Begehungen. 66 Interviews wurden in den oben genannten Fallstudiengärten geführt, zwölf in Kleingartenanlagen. Das Sampling-Design der Interviews in den Gemeinschaftsgärten stellt sich dar wie folgt: Es wurde jeweils die initiierende Person interviewt und pro Garten je zehn weitere Personen zufällig ausgewählt. In einem Fall wurde nicht nur die initiierende Person, sondern auch die den Verein des Gartens leitende Person interviewt, weil dieser im Auftrag einer Gruppe von NGOs und der Bezirkspolitik gegründet wurde. In den wenigen Fällen, in denen eine Person eine Anfrage zurückwies oder nicht erreichbar war, wurde ein Ersatz zufällig ausgewählt. Wir untersuchten kulturelle Präferenzen anhand von Fotobewertungen, ergänzt um Beobachtungen in den Gärten, wo auch andere Momente der Lebensstile deutlich wurden. Soziale Akte der Distinktion wurden in beiden Materialtypen deutlich und entsprechend analysiert. Denn: »Das Erzeugungsprinzip des Habitus muss aus der Alltagspraxis herausgelesen werden« (Bremer/Teiwes-Kügler 2013: 96). In diesem Artikel konzentrieren wir uns auf die Ergebnisse der Analyse der Fotobewertungen. Das methodologische Grundprinzip entsprach im Grundsatz Vester et al. (2001: 228) in ihrer groß angelegten und an Bourdieu orientierten Milieustudie für Deutschland: »Die sozialen Teilungen entstehen nicht durch die Merkmale, sondern durch die Distinktionspraxis der Akteure, d.h. die unterscheidende Praxis sozialer Beziehungen und Abgrenzungen. Wir entschieden uns daher, die Klassifikations- und Bewertungsmuster dieser Praxis direkt zu untersuchen, seien sie implizit (in Gestalt verschiedener Lebensstile oder kultureller Präferenzen) oder explizit (in Gestalt von sozialen Akten der Nichtanerkennung, Konkurrenz, Ausschließung usw.).«

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Fotoserie und Fragebogen Im Anschluss an die semi-strukturierten Interviews wurden den Befragten in kontrastierendem Wechsel neun Fotos der sechs Fallstudiengärten, eines Barockund eines Schrebergartens sowie einer Brachfläche gezeigt, die von diesen beschrieben und bewertet wurden. Dazu wurde in jedem Fall (wenn nötig bei jedem Foto) danach gefragt, ob die Person das Dargestellte schön, neutral oder hässlich beziehungsweise abstoßend finde und welche Assoziationen (Gedanken, Gefühle) das Foto erwecke. Bei ausbleibenden Bewertungen wurden die Fragen wiederholt. In seltenen Fällen gaben die Personen keine oder keine eindeutig interpretierbare Bewertung. Was die Fotos jeweils darstellen, wurde nicht vor Abschluss der Aussagen der Befragten mitgeteilt. Das zu analysierende Material bestand also in den durch die Fotos ausgelösten Assoziationen, die geäußert wurden. Sie konnten sich, einem semi-strukturierten Interview entsprechend, sowohl auf die Art des Fotos, einzelne darauf differenzierte Gegenstände als auch auf symbolische Bedeutungen wie die einer solcherart bezeichneten »Unordnung« oder »Ordnung« oder auf abstrakte Kate­ gorien beziehen, die durch die Fotos evoziert wurden, etwa auf die Kategorie »Schrebergarten«. Die Auswahl der Fotos folgte keinem direkten methodischen Vorbild, jedoch hat Bourdieu – was wir bei Planung der Erhebungen noch nicht wussten – selbst mittels der Bewertung und Beschreibung von Fotografien sowie von Fotosujets distinktive Praktiken und damit Komponenten des Habitus erforscht (Bourdieu 1979, siehe weiter dazu unten). Eine grundlegende Überlegung bei der Auswahl der Fotos war, die zentralen Abgrenzungen gegenüber bestimmten Gartenpraktiken zu erfassen. Eine methodische Schwierigkeit besteht darin, dass Fotos nicht unbedingt nach dem Sujet beurteilt werden müssen, das dargestellt wird. Dies gilt jedenfalls für die Mitglieder in Gemeinschaftsgärten im Hinblick auf das Foto, das ihren eigenen Garten darstellt, denn darin geht ein anderes Verhältnis zum repräsentierten Gegenstand ein als in den anderen Fällen von Fotos. Zwar hat Bourdieu (1979) in seiner Untersuchung festgestellt, dass sich die Bewertungen von Fotos und von nur verbal genannten Sujets decken. Allerdings wäre eine solche Vorgangsweise in unserem Fall nicht möglich gewesen, weil wir Unterschiede der Wahrnehmung der sechs Fallstudiengärten beziehungsweise genauer, von deren fotografischer Darstellung, untersuchen wollten. Des Weiteren war den Befragten aus Kleingärten teilweise nicht oder nur peripher bekannt, was Gemeinschaftsgärten sind oder wie diese aussehen können. Die unterschiedlichen Kenntnisse zu den einzelnen Gartentypen und die unterschiedlichen Assoziationen zu diesen (beziehungsweise zu den konkreten Fotografien) sind in unserer Methodologie

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jedoch nicht als Defizit der Erhebungsmethode zu werten, sondern vielmehr ein wichtiger Bestandteil des dadurch zu gewinnenden Materials. Für die Erfassung distinktiver Praktiken, die Resultat eines Habitus sind und sich in einem spezifischen Lebensstil ausdrücken, der ein bestimmtes Milieu oder verwandte Milieus charakterisiert, wäre auch die Erhebung von Präferenzen in vielen anderen Lebensbereichen zielführend (Lektüre, Freizeit, Kunstgenuss, Kleidung, Wohnung, Ernährung usw.). Darüberhinausgehend besteht der Vorteil, eine Serie von Gartenfotos vorzulegen, jedoch zunächst darin, auch den zweiten Aspekt von Distinktion, die klassifizierenden Praktiken, untersuchen zu können. Zudem wird über die Vorlage von Gartenfotos ein unmittelbarer Bezug zu dem hier speziell interessierenden Praxisfeld hergestellt. Es ist auf diese Weise möglich, die verschiedenen Personen und Gartengruppen im Verhältnis zueinander zu vergleichen, indem diese nicht nur den eigenen Garten bewerten und beschreiben (siehe dazu die Anmerkung oben), sondern auch die anderen Gärten beziehungsweise (im Fall des Fotos des Kleingarten) Gartentypen. Dies wurde noch komplettiert durch das Foto der Brache und des Barockgartens, um Äußerungen zu Naturvorstellungen anzuregen, die hier nicht analysiert werden. Zudem bedeutet der Einsatz von Fotografien bei einem eng umgrenzten ästhetischen Gegenstand, wie ihn der Garten darstellt (im Unterschied zu den sehr unterschiedlichen Sujets in Bourdieu 1979), eine deutliche Standardisierung. In Hinblick auf den Effekt der Standardisierung ist nicht ausschlaggebend, ob die Fotos der Gemeinschaftsgärten diese auch »angemessen« oder »repräsentativ« darstellen, obwohl auf diese Kriterien bei der Fotoauswahl geachtet wurde. Diese Kriterien sind vielmehr für die Analyse des wechselseitigen Verhältnisses der dominierenden Bewertungsschemata der jeweiligen Gartengruppen von Interesse. Der Fragebogen enthielt Items zu sozio-ökonomischen Daten, zur Garten­ nutzung sowie Items, die soziale, ökologische und politische Einstellungen und Verhaltensweisen betrafen. Methoden der Auswertung Für den vorliegenden Artikel wurden zum einen die standardisierten Fragebogendaten ausgewertet und mittels deskriptiver Statistik dargestellt. Zum anderen wurden aus den transkribierten Interviews sowie aus den Gedächtnisprotokollen der Geländebeobachtungen jene Passagen ausgewählt, die Differenzmarkierungen anzeigen. Dahingehend wurden auch die Aussagen zu den Fotos ausgewertet. Die Assoziationen zu den Bildern nach den vorrangigen, implizit binären Codierungen durch die Befragten selbst, wurden systematisch erfasst, in einer Tabelle notiert und geordnet. Weiters wurden die Bewertungen nach einer siebenteiligen Skala

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von stark negativ zu stark positiv eingeschätzt, also skaliert, wie von Mayring für qualitative Daten vorgeschlagen (Mayring 1983, vgl. auch Flick 2005: 281). In den seltenen Fällen, in denen die Bewertungen nicht eindeutig als positiv oder negativ skaliert werden konnten, wurde der Wert »neutral« vergeben.1 Die skalierten Bewertungen je Individuum wurden zunächst in Typen von ähnlichen Bewertungsschemata gruppiert. Nachfolgend wurden die Typen (von Bewertungsschemata) mit den sozio-ökonomischen Daten der jeweiligen Individuen (insbesondere dem Bildungsgrad) in Beziehung gesetzt. Wie bereits angemerkt wurde diese Vorgehensweise nicht in Anlehnung an eine vergleichbare Studie entwickelt. Van den Berg/van Winsum-Westra (2010) wählten zwar eine annähernd ähnliche Methodik, jedoch mit anderer Fragestellung, einem gänzlich anderen theoretischen Kontext und einer rein statistischen Auswertungsmethode, allerdings mit ähnlichen Teilergebnissen (siehe dazu unten). Grundsätzlich sind habitusanalytische Verfahren unter Verwendung von Fotomaterial erst in methodischer Entwicklung befindlich, wie auch Brake deutlich macht (jedoch mit Fokus auf die Bildhermeneutik, die für unseren Ansatz keine Relevanz hat). Sie stellt »eine (gleichwohl mit großer methodologischer Wachsamkeit) gekoppelte extreme Freiheit in der Wahl der methodischen Hilfsmittel« bei Bourdieu fest und ermutigt dazu »weitere (auch unkonventionelle) methodische Wege zu beschreiten« (Brake 2013: 88). Die Beschreibungen der Fotos wurden paraphrasiert in eine Tabelle eingetragen, sodass unter anderem die damit verbundenen Adjektive übersichtlich geordnet interpretiert werden konnten.

Ergebnisse und Analyse Sozialstruktur der Gärten Zunächst werden die sozio-ökonomischen Daten aus den Fragebögen analysiert. Damit lässt sich die Sozialstruktur der sechs am intensivsten und standardisiert untersuchten Gemeinschaftsgärten anhand grob indizierter, objektiver

1 Die Skalierung selbst würde je nach skalierender Person in gewissem Grade schwanken. Weil die Skala jedoch sieben Stufen beinhaltet und für die Auswertungen vor­ rangig die Tendenzen und starken Oppositionen herangezogen wurden, dürfte sich das nicht-standardisierbare Moment der Skalierung in vertretbaren Grenzen halten. Zudem wurden die Ergebnisse mittels der weiteren qualitativen Informationen geprüft.

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Existenzbedingungen der Mitglieder charakterisieren. Aus Platzgründen beschränken wir uns auf das Gesamtbild und soweit möglich auf den Vergleich mit Durchschnittswerten der Stadt Wien (Tabelle 2). Tabelle 2: Vergleich sozio-ökonomischer Variablen der Gärtnernden in sechs repräsentativen Gemeinschaftsgärten mit Durchschnittswerten von ganz Wien (N = 66) Variable

Fallstudien Wien gesamt Binär gefasstes biologisches Geschlecht (%) Frauen 66,7 51,7 Männer 33,3 48,3 Altersdurchschnitt (Median) 42 41 Migrant_innen (%) 22,7 32 Bildungsgrad (%) Pflichtschule/Lehre 11 47 BMS 0 10,6 AHS 26 9,7 BHS/Kolleg 11 8,9 HVL/Universität 52 23,5 Erwerbslosigkeit (%) 6 10,2 Parteipräferenz/Wahlergebnisse GR 2010 [ohne AKP] SPÖ 11 39,59 FPÖ 3 30,79 ÖVP 3 9,24 Grünwählende 47 12,64 KPÖ/Andas 5 1,07 Neos 0 6,16 vermutlich linksorientiert 6 keine Angabe, ungültig, wechselnd 23 HVL: Hochschulverwandte Lehranstalt (in Wien 2,2%) Erwerbslosigkeit: https://www.wien.gv.at/statistik/arbeitsmarkt/tabellen/arbeitslosenquoten-zr.html - Erwerbslosigkeit wurde soweit möglich nach Statistik Austria gefasst Alter: http://www.wienerzeitung.at/nachrichten/wien/stadtleben/732534_Die-Verjuengung-der-Stadt.html Anteil

Migrant_innen:

https://www.wien.gv.at/menschen/integration/grundlagen/daten.

html – dafür wird die Kategorie „ausländische Herkunft“ herangezogen, die sich wie folgt

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definiert: „Personen mit ausländischer Herkunft sind entweder im Ausland geboren und/ oder besitzen eine ausländische Staatsangehörigkeit“ (ebd.). Ergebnisse Gemeinderatswahlen 2010: https://www.wien.gv.at/wahl/NET/GR101/GR101. htm – das Ergebnis der Grünpartei bei der letzten Nationalratswahl ist fast ident: http:// www.nationalratswahl.at/ergebnisse.html. Es werden die Ergebnisse 2010 herangezogen, weil sich kurz vor der Wahl 2015 erhebliche Verschiebungen in den öffentlichen Debatten (und späterhin im Wahlverhalten) aufgrund der Flüchlingsdebatte ergeben hatten. Die Repräsentativität des Wahlverhaltens in den Fallstudien-Gärten ist im Vergleich zu den Gemeinderatswahlen 2015 noch geringer als im Vergleich mit 2010. Reihung der Parteien gemäß Quellenangabe. Die KPÖ wurde als Parteipräferenz genannt, trat 2010 allerdings im Wahlbündnis Andas an. Die Wahlbeteiligung 2010 lag bei 67,6%, siehe http://www. wahlbeteiligung.at/wien-wahlen.html

Im Vergleich mit der Stadt Wien sind die dargestellten Variablen der untersuchten sechs Gemeinschaftsgärten nur im Hinblick auf den Median des biologischen Alters repräsentativ. Der Anteil an Personen mit Universitätsabschluss ist in diesen Gärten mehr als doppelt, der Anteil an Personen mit AHS-Abschluss knapp drei Mal so hoch wie in ganz Wien. Der Anteil an Personen ohne höhere Schulbildung beträgt in diesen Gärten dagegen nur etwa ein Fünftel des städtischen Anteils. Der Anteil der aus anderen Ländern Zugewanderten beträgt etwa zwei Drittel des städtischen Anteils. Im Vergleich zu der zum Erhebungszeitpunkt letzten Gemeinderatswahl 2010 ist der Anteil an Personen in diesen Gärten, die angeben, Grün wählen zu wollen, mehr als dreieinhalb Mal so hoch, der Anteil der SPÖ dagegen ein Viertel, der Anteil der FPÖ ein Zehntel. Der Abstand zwischen dem Anteil von Grünwählenden oder Personen mit einer Neigung zur Wahl der Grünpartei in diesen Gärten und in der Stadt insgesamt dürfte noch größer sein. Die Initiator_innen der betrachteten sechs Gemeinschaftsgärten haben alle ein Universitätsstudium abgeschlossen bis auf eine Person, die noch studiert. Die sozialen Positionen der Migrant_innen (siehe Definition in Tabelle 2) in diesen Gärten entsprechen in etwa der generellen Sozialstruktur dieser Initiativen. Der überwiegende Teil verfügt über ein großes kulturelles Kapital. Das ökonomische Kapital und Erfahrungen von Diskriminierung und Deklassierung unterscheiden sich in dieser Gruppe erheblich. Eine Auswertung nach Berufsfeldern (nach Daniel Oesch in der adaptierten Fassung in Vester/Weber-Menges 2014) zeigt eine Dominanz der nach kulturellem und ökonomischem Kapital höchstrangigen Berufsfelder (insgesamt 62%), gefolgt von den mittleren Berufsfeldern (14%). Auf die einzelnen Gärten bezogen sind diese Strukturen mit großer Sicherheit repräsentativ: In vier der Gärten wurde jeweils ein Drittel bis die Hälfte aller

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Mitglieder, in einem Garten wurden fast alle seiner Mitglieder interviewt. In einem Garten wurde etwa ein Zehntel aller dort Aktiven standardisiert untersucht. Für die Gemeinschaftsgärten in Wien müssen die Daten aus den nicht (direkt) kommunal beeinflussten drei Fällen etwas geringer gewichtet werden, weil die kommunalen Gärten deutlich zahlreicher sind. Die generellen Muster sind jedoch in beiden Gruppen von Initiativen die gleichen, mit dem Unterschied, dass die kommunal beeinflussten Gärten etwas heterogener sind. Auch im Vergleich dieser Gärten mit Daten der jeweiligen Bezirke, auf die das Einzugsgebiet in diesen drei Fällen formal beschränkt ist, zeigt sich, dass hohe Bildungsgrade und eine Präferenz für die Grünpartei überdurchschnittlich häufig sind. Primäre und sekundäre Sinnschicht Die sozio-ökonomischen Daten verweisen auf eine erhebliche soziale Exklusivität von Gemeinschaftsgärten in Wien. Entweder das Interesse am gemeinschaftlichen Gärtnern oder die Möglichkeit, daran teilzunehmen (oder beides), sind, gemessen an den sozio-ökonomischen Variablen, höchst ungleich verteilt. Dieser Umstand legt den Schluss nahe, dass sich die Zusammensetzung nicht aus im eigentlichen Sinn individuellen (von der Struktur des sozialen Raums unabhängigen) Präferenzen erklärt, sondern sich in den Präferenzen ein gesellschaftliches Muster zeigt. Damit ist jedoch noch nicht erklärt, wie diese Exklusivität zustande kommt, denn die Initiativen verstehen sich durchwegs als »offen« und versuchen teilweise aktiv und mit erheblichem Aufwand, soziale Gruppen mit niedrigem Status einzubinden, in zwei Fällen etwa die Be­wohner_innen benachbarter beziehungsweise umliegender Gemeindebauten oder, in einem Fall, Asylwerber_innen und Klient_innen einer sozialen Betreuungseinrichtung. Es stellt sich also die Frage: Woher kommt der sozial selektive Geschmack am gemeinschaftlichen Gärtnern – gleich ob er hedonistisch oder politisch begründet wird? Diese Frage kann auf der Ebene der primären Sinnschicht nicht beantwortet werden. Denn auf dieser Ebene erscheint der Geschmack für das Gärtnern wie für jedwede andere Tätigkeit, Wahrnehmung, Eigenschaft oder Gegenständlichkeit als eine natürliche Eigenschaft der Person (Bourdieu 1979). Die gesellschaftlichen Bedingungen des Geschmacks sind nicht unmittelbar zugänglich, etwa durch Fragen nach Motiven oder bloßen Beobachtungen von Handlungen als solchen (vgl. z.B. Bourdieu 1989: 16). Der Praxis des gemeinschaftlichen Gärtnerns muss vielmehr auf einer sekundären, das heißt nicht notwendig bewussten Sinnschicht, die erst durch Interpretation zu erschließen ist, eine Bedeutung zukommen, die mit anderen Merkmalen der in Gemeinschaftsgärten mehrheitlich tätigen Personen korrespondiert. Eine sozial distinktive Bedeutung könnte den

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dargestellten Sachverhalt erklären und würde das gemeinschaftliche Gärtnern als Teil verwandter Lebensstile begreifbar machen, die durch Abgrenzung von anderen Lebensstilen beziehungsweise Milieus Identität gewinnen. Soziale Distinktionen in den Fotobewertungen Solche Distinktionen zeigen sich unter anderem deutlich in der Analyse der Fotobewertungen. Die negative Bewertung des Fotos »Schrebergarten« stellt sich dabei als eine zentrale Distinktion der Mitglieder von Gemeinschaftsgärten heraus. 50% der Mitglieder von Gemeinschaftsgärten im Zufalls-Sample werten das Foto »Schrebergarten« ab. Sie vereint ein sehr großes bis großes Bildungskapital2. Die 50% der Mitglieder mit einer neutralen oder positiven Bewertung entfallen auf zwei abweichende Gruppen: Etwa 30% gehören einem Set von Bewertungsschemata an, das mehrheitlich von Personen mit geringem oder mittlerem kulturellen Kapital verkörpert wird beziehungsweise von Personen aus semiperipheren oder peripheren Ländern3 oder mit solchem Migrationshintergrund; etwa 20% gehören einem Bewertungsschema »reiner Ästhetik« an (vgl. Bourdieu 1979). Dieses Schema geht tendenziell mit großem Bildungskapital einher. Ihm entsprechend wird jedes oder fast jedes Foto in der Art einer dekontextualisierten Ästhetik (ebd.) positiv wahrgenommen oder, auf derselben Basis, gleichermaßen distanziert beziehungsweise entlang abstrakter Bewertungskriterien. Im Unterschied dazu wird von Personen geringen Bildungskapitals tendenziell jedes Foto in einer vollständig konkreten Ästhetik mit engem Bezug auf die eigene Gartenpraxis interpretiert. Das Bildungskapital erklärt demgemäß mehr als 70% der Varianz des Grades der Zuneigung zum Foto »Schrebergarten« zwischen den acht identifizierten Bewertungsschemata der Fotos4: Je niedriger der Bildungsgrad, desto

2 Entsprechend gaben 42,4% des Zufalls-Samples bei der Beantwortung des Frage­bogens an, keine Kleingartenparzelle bewirtschaften zu wollen (wobei die Bedingungen der Antwort auf diese Frage nicht die gleichen sind wie die der Fotobewertung). 3 Bezogen auf die Herrschaftsverhältnisse im kapitalistischen Weltsystem mit beispielsweise den Ländern der EU mit hohem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf im Zentrum. 4 Hierbei wird das Schema »reine Ästhetik« geringer gewichtet (weil nur als ein Be­ wertungsschema von insgesamt acht in die Analyse einbezogen), sodass sich die Ko­ rrelation verstärkt. Werden das Bildungskapital der Individuen und deren Bewertung des Fotos »Schrebergarten« verglichen, so fällt die Korrelation vor allem aufgrund der abweichenden Konstitution der Gruppe mit dem Schema »reine Ästhetik« deutlich geringer aus.

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positiver die Bewertung (vgl. ähnlich: van den Berg/van Winsum-Westra 2010). Wird der Bildungsgrad im Zusammenhang mit den Bewertungen der Garten- und des Brachefotos im Einzelnen betrachtet5, so zeigt sich die stärkste Trennung zwischen den Personen mit geringem Bildungskapital (also ohne höheren Schulabschluss) und der überwiegenden Gruppe mit größerem Bildungskapital. Die Gruppe mit AHS-Abschluss nimmt eine vermittelnde Position ein. Bei geringem Bildungskapital wird das Foto »Schrebergarten« im Schnitt sehr positiv eingeschätzt, während das Foto der Brache und die beiden besonders unübersichtlichen Initiativen ohne kommunalen Einfluss stark abgewertet werden. In allen anderen Gruppen ist das Muster umgekehrt, wobei Personen mit AHS-Abschluss das Foto »Schrebergarten« im Schnitt noch leicht positiv wahrnehmen.6 Die Gruppe mit AHS-Abschluss zeichnet sich auch durch die im Schnitt positivsten Bewertungen der Fotos der drei kommunal beeinflussten Gärten aus. Die Zuneigung zu diesen drei Gartenfotos nimmt bei den Gruppen mit noch höherem Bildungskapital im Schnitt merklich ab. Fast immer gehen mit der Bewertung der Gartenfotos Assoziationen zu den Gärtnernden einher. Das Bild des Schrebergartens wird also nicht nur ästhetisch als »klassisch«, »clean«, »ordentlich«, »aufgeräumt«, »monoton«, »steril«, »jämmerlich« und ähnlich beschrieben, sondern auch sozial beurteilt, sodass die Bewertung fast immer auch explizit auf eine Bewertung der Gärtnernden, ihre Mängel oder Vorzüge und ihre Art von Persönlichkeit und deren Weltverhältnis abzielt. Mit der Abwertung des Fotos „Schrebergarten« sind dementsprechend häufig die folgenden Adjektive oder entsprechende Beschreibungen verbunden: »politisch rechts«, »kleinbürgerlich«, »kleinkrämerisch«, »pingelig« oder »nutzlos« (Rasen, Zierpflanzen), »privatisiert«, »spießig«, »zwänglerisch«, »lächerlich«, »brav«, »verkrampft«, »engstirnig«, »notwendig für psychisch Instabile«, »nur für die Nachbarn so gestaltet« oder »sozial kontrolliert« bzw. »sozial normiert«, »überreguliert« und »streng«. Häufig erfolgt bei Vorlage dieses Fotos – im Unterschied zu jenen der Gemeinschaftsgärten oder der Brache (aber ähnlich wie beim Foto des Barockgartens) – eine ironische Geste. In einem Fall wird das Foto positiv bewertet aber irritiert festgestellt, dass es »mir eigentlich nicht

5 Inklusive der Interviews aus Kleingartenanlagen. 6 Des Weiteren wird das Foto des Barockgartens im Schnitt in allen Gruppen mit höherem Bildungskapital deutlich abgewertet, während es in der Gruppe ohne höheren Bildungsabschluss neutral beziehungsweise distanziert eingeschätzt wird. Besonders stark lehnt dieses Foto die Gruppe mit AHS-Abschluss ab.

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gefallen sollte«. Hier wird bewusst, dass mit der Einschätzung »the sense of one’s place« (Bourdieu 1989: 17; vgl. oben) einhergeht. Denn die Person zeigt in dieser Aussage, dass es der Norm beziehungsweise dem Ethos der sozialen Gruppe, der sie sich zugehörig fühlt, widerspricht (so wie diese Person das Ethos wahrnimmt), einen Schrebergarten schön zu finden. Bei jenen Personen aus Kleingartenanlagen, die sehr geringes Bildungskapital aufweisen, werden Gemeinschaftsgärten dagegen häufig als »unordentlich« und »verwahrlost« abgewertet. Die Fotos irritieren dann z.T. ersichtlich, insbesondere die Gruppe der nicht kommunal initiierten Gemeinschaftsgärten, wo sich ein höherer Anteil der Mitglieder als dezidiert linksorientiert und politisch bewusst versteht und die weniger übersichtlich gestaltet sind. Diese Gärten stehen der Ästhetik der Schrebergärten also am Fernsten, ebenso wie aufgrund des (großen) Bildungskapitals der meisten ihrer Mitglieder. Diese Ergebnisse lassen darauf schließen, dass der Geschmack für das gemeinschaftliche Gärtnern die Spur eines spezifischen Habitus ist, der sich in Distinktionen gegenüber einer dadurch als »anders« konstruierten sozialen Gruppe zeigt. Dieser Habitus bedingt eine emotionale, kognitiv oft politisch beziehungsweise sozial gerahmte Abneigung gegenüber einer Gruppe, die – wie die oben genannten Adjektive zeigen – als von niedrigerem Rang (z.B. »kleinbürgerlich«), übertrieben genau und kontrollierend (z.B. »pingelig«) sowie oberflächlich (z.B. »nutzloser Rasen«, »nutzlose Blumen«, »keine regionalen Pflanzen«) und lebensfeindlich oder langweilig (z.B. »steril«, »monoton«) definiert wird. Umgekehrt gilt die eigene Position implizit als ranghöher, souverän, frei, kreativ und an wahren Werten orientiert. Eine deutliche Differenzierung zwischen dem Gartengeschmack der unteren und der höheren sozialen Klassen haben auch Taylor (2008) und, mit der Unterscheidung zwischen Kleingartenanlagen und Gemeinschaftsgärten korrespondierend, Frauenfelder/Delay/Scalambrin (2014) beschrieben (vgl. Mestdagh 2015 mit Fokus auf Gemeinschaftsgärten). [siehe auch Ernwein in diesem Band] Die hier analysierte Distinktion zeigt sich auch in Geländebeobachtungen und Interviews, worin die Abwertung des Schrebergartens wiederkehrt. Sie schließt an den öffentlichen Diskurs an, der den Schrebergarten als rückständig, engstirnig und rigide konstruiert – und den die in Gemeinschaftsgärten dominierenden Milieus stärker prägen als jene, die in Kleingartenanlagen präsent sind. Dass auch die eigene, gemeinschaftliche Gartenpraxis sozialen Zwängen beziehungsweise Regeln unterliegt, wird mitunter, meist auf Nachfrage, auch erkannt, allerdings nur kognitiv. Emotional werden die Gemeinschaftsgärten wiederkehrend als

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»frei« und »ungezwungen« oder »regellos« erlebt.7 Mit Bourdieu lässt sich das damit erklären, dass die im Habitus inkorporierten Zwänge der sozialen Position, vorrangig in der Familie ansozialisiert, in leiblichen, emotionalen und kognitiven Tiefenstrukturen sedimentiert sind und daher als natürliche Eigenschaften der eigenen Person erlebt werden. Personen der gleichen Habitusform, die ein Milieu bilden, teilen grundlegende Wahrnehmungs- und Bewertungsschemata, weshalb die den Habitus bildenden Zwänge im gleichen Milieu nicht zu Bewusstsein kommen. Stilbrüche (vgl. Reckwitz 2006) können hier wie dort intentionale Distinktionen auslösen (siehe dazu schon Bourdieu 1979) und gewissen sozialen Druck, wie vereinzelt beobachtet wurde. Geschmacksmutationen Die Disposition, Gemüse gegenüber Zierpflanzen zu bevorzugen oder an bäuerliche Tätigkeiten erinnerenden Praktiken nachzugehen beziehungsweise diese damit zu assoziieren (wie vereinzelt in Interviews deutlich wurde) und Handarbeit positiv zu bewerten (wie mehrfach geäußert wurde), scheint vielleicht im ersten Moment der hier gegebenen Interpretation des gemeinschaftlichen Gärtnerns zu widersprechen. Es mag so aufgefasst werden, als ob dies gerade darauf hindeutet, Praktiken von Gruppen mit niedrigerem Status zu imitieren wie z.B. historisch von Landarbeiter_innen und Armen in der Stadt. Diese Tätigkeiten erhalten jedoch eine andere Bedeutung, wenn sie heute von Angehörigen hochrangiger sozialer Positionen ausgeübt werden. Erstens hat sich der gesamte soziale Raum in den letzten Jahrzehnten verändert. Arme Menschen bauen heute in Wien nicht mehr selbst Gemüse an, weil die Versorgung über den Supermarkt (oder karitative Einrichtungen) einfacher ist. Zweitens nehmen Gruppen mit unterschiedlichem Status die gleiche Praktik unterschiedlich wahr. Der Eigenanbau von Gemüse hat für die Angehörigen hoher Statuspositionen eine spezifische Bedeutung (vgl. Frauenfelder/Delay/Scalambrin 2014). So zeigen Äußerungen in den Interviews, dass sozialen Gruppen mit niedrigerem Status der Eigenanbau von Gemüse als widersinnig gelten kann, weil der Supermarkt günstigen Zugang zu ausreichender Qualität erlaubt und körperliche Anstrengung für diesen Zweck nicht als Erholung oder vorteilhaft gedeutet wird, während er für die Schichten mit höherem Status erneut als Ausweis ihrer

7 Freilich kommt auch vor, dass Zwänge erlebt werden. Dies ist in Situationen von Konflikt der Fall.

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Distinktion gelten kann (und objektiv auch gilt), das heißt ihres – aus ihrer Sicht (wie Interviews aus unseren Fallstudien dokumentieren) – überragenden politischen Bewusstseins, ihrer Gebildetheit und Problemeinsicht sowie ihrer spezifischen Fähigkeit zum Genuss (vgl. Rotenberg 1995). Das Verhältnis der wechselseitigen Wahrnehmungen von Personen der untersten und der höchsten Statuspositionen entspricht der Beobachtung Bourdieus (1979), wonach die soziale Distinktion der höheren Positionen durch fortwährende Verlagerung der sie distinguierenden Praktiken gewährleistet bleibt. Deshalb kann eine ehemals mit niedrigem Status assoziierte Praktik zu einem anderen historischen Zeitpunkt hohen Status ausdrücken und umgekehrt. Tatsächlich lässt sich die historische Verschiebung distinguierender Praktiken in bestimmten Fällen (wofür Bourdieu weitere Beispiele gibt) erst in dieser Umkämpftheit verstehen. Die hohe Statusposition wird gerade durch die Macht gesichert, das zu definieren, was zu einem Zeitpunkt als guter Geschmack gilt. Schon 1995 bemerkte Rotenberg in seiner Untersuchung von historischen und kontemporären Gärten in Wien die Distinktionsfunktion des damals so genannten ökologischen Gärtnerns, das Rotenberg als Typus eines »gardens of discovery«, das heißt, eines Gartens des Entdeckens bezeichnete, wenige Jahre bevor die heute als erster Gemeinschaftsgarten Wiens geltende Initiative (mit vorrangig sozial­ pädagogischen Zielsetzungen) ins Leben gerufen worden war: »Der Garten selbst ist die materielle Form der symbolischen Handlung« (Rotenberg 1995: 312). Im Hinblick auf die Möglichkeit einer Verallgemeinerung dieser Form des Gärtnerns, die sich heute insbesondere in denjenigen Gemeinschaftsgärten wiederfindet, die nicht kommunal beeinflusst sind, stellt Rotenberg fest: »Jene Menschen, die heute ökologisch gärtnern, sind zugleich jene, die vom urbanen System bereits profitiert haben. Sie allein haben die Freiheit, dieses System abzulehnen, nachdem ihnen seine Stärken bereits genützt haben. Wir sehen auf der Ebene dieser einzelnen Stadt die gleichen Argumente, die zwischen entwickelten und unterentwickelten Staaten über internationale Umweltschutzabkommen hin und hergehen. Genauso wie ein armes Land mit ernsthaftem Nahrungsmangel nicht auf billige Kühlung in der Hoffnung verzichten will, damit die Verschlechterung der oberen Atmosphäre zu verlangsamen, sieht eine arme, eigentumslose Wienerin die ökologische Bewegung als einen bürgerlichen Trick, die Spielregeln genau dann zu ändern, wenn der Wohlfahrtsstaat ein Minimum an sozialer Gleichwertigkeit zwischen allen Städter_innen erreicht hat. Während diese Familien etwa ein Jahrzehnt davon entfernt sind, einen Garten ihr eigen zu nennen und mit Hilfe dessen ein eigenes Haus, unterminieren die Umweltbewegten den prioritären Erholungszweck von Gärten, der eine andauernde Unterstützung sicherte, das Angebot [an Kleingärten, Anm.d.A.] zu erweitern.

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Eine Implikation der Bewegung ist, dass diese gartenlosen Familien sich mit einer von der Stadt finanzierten Kiste am Balkon zufrieden geben müssen anstelle einer Parzelle in einem Kleingarten. In diesem Sinn schließen die Gärten des Entdeckens die nicht Gärtnernden aus, mystifizieren die Rolle des Gärtnerns im städtischen Leben und verbergen die sozialen Widersprüche der Politik der Gärten.« (ebd.: 314f.: Übers.d.A).

1992 hat die Wiener Stadtregierung das Kleingartengesetz verändert und im Jahr von Rotenbergs Veröffentlichung den Kauf von Kleingartenparzellen ermöglicht (Shimpo et al. 2014), womit eine kurzfristige Privatisierung und mittelfristige Gentrifizierung jener Anlagen in Gang gesetzt worden ist, von denen Rotenberg als verbleichender Horizont der Bestrebungen der Arbeiter_innenklasse in Wien schrieb. Sie fördert demgegenüber inzwischen Gemeinschaftsgärten, die insgesamt freilich sehr viel weniger Mitglieder und Fläche aufweisen als die Kleingartenanlagen. Wir können im Anschluss an Rotenbergs historische Analyse von Parks und Gärten in Wien zusammenfassen: In einer historischen Periode, in der bestimmte Gruppen der unteren sozialen Schichten das zumindest zu imitieren in der Lage sind, was den höherrangigen Schichten lange Zeit als ein Merkmal ihrer Distinguiertheit galt – ein »Eigenheim mit Garten« – und ihrer mangelhaften Imitation ebenso wie der Sichtbarkeit ihres Bemühens um Imitation entsprechend mit Spott und Missachtung bedacht werden, verschiebt sich die Distinguierung weg vom »Eigenheim mit Garten« und hin dazu, »die Hände in die Erde zu stecken«, und auf jene mit einer Vorliebe für Rasen und für Blumen, die nun als »nutzlos«, »pingelig« etc. gelten, herabzublicken. Das Wort »Schrebergartenmentalität«, so wie es in Österreich gebraucht wird, verdichtet diese deutliche soziale Abwertung (vgl. ähnlich Frauenfelder/Delay/Scalambrin 2014 zu Genf). Auf ähnliche Weise, nämlich als Ausdruck einer Geschmacksmutation, ist das in einigen Gärten praktizierte »Upcycling« zu interpretieren oder die Verwendung von Gartenzwergen. Hier wird Distinktion durch die Fähigkeit zur ästhetischen Reinterpretation von Trash und Kitsch praktiziert. Diesbezüglich, wie auch im Fall insbesondere des unordentlichen gemeinschaftlichen Gärtnerns, spielt auch eine Rolle, dass, wie Bourdieu bemerkt, die Deutungen, was distinguiert und was nicht, gruppenspezifisch sein können, nicht von vornherein für alle sozialen Gruppen gleich oder überhaupt verständlich sind. Hochbeete wurden in einem Fall (von einer Anrainerin) z.B. als »Kindersärge« apostrophiert, Autoreifen als Gemüsebeet in einem anderen als »Müll« (von einer Grundstücksnachbarin). Unordentliche Gärten werden wiederholt nicht als Gärten »erkannt« (insbesondere in Interviews mit Gärtnernden aus Kleingartenanlagen). Auch wegen solcher Uneindeutigkeiten sind distinguierende Praktiken umkämpft (Bourdieu 1985: 728).

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Abschliessende Diskussion Die sozio-ökonomische Exklusivität von Gemeinschaftsgärten in Wien verdankt sich unserer Analyse nach also maßgeblich einer symbolischen Schwelle (Bourdieu 1991 in Lewitzky 2005: 37), die Gruppen mit geringem kulturellem Kapital tendenziell ausschließt, ohne dass dies intendiert würde.8 Dieser Mechanismus lässt sich in eine Politik der Lebensstile einordnen, die den öffentlichen Raum vielfach prägt, teilweise über Prozesse der partizipativen Stadtgestaltung. Wir sprechen dabei von Exklusivität mit einem Wort, das ein Moment von Herrschaft bezeichnet, nicht nur, weil offensichtlich bestimmte soziale Gruppen (wenngleich nicht-intendiert) der Tendenz nach ausgeschlossen bleiben, sondern auch, weil es sich bei diesen Gruppen um solche handelt, die einen niedrigeren sozialen Status als jene aufweisen, die in den Gärten dominieren. Diese Einsichten verweisen auf ein weitläufigeres und zentrales Problem von emanzipatorischer Politik heute, das heißt von Zielen und Handlungsformen, die sich auf eine gesamtgesellschaftliche Veränderung hin orientieren. Die sozialen Gruppen mit dem größten kulturellen Kapital betrachten ihren Lebensstil gemeinhin, wenngleich als verbesserungswürdig, so doch als relatives Vorbild. In diesem Lebensstil beziehungsweise in diesem Komplex ähnlicher Lebensstile spielen politische Rahmungen immer wieder eine wichtige Rolle. Damit gehen zwei Problematiken einher: Erstens wird zu einer Herausforderung und Aufgabe, zwischen genuin politischen Rationalitäten (in Hinblick auf gesamtgesellschaftliche Verbesserungen) und der Politik des Lebensstils (in Hinblick auf Distinktionsgewinne beispielsweise durch Aneignung von öffentlichem Raum) zu unterscheiden. Zweitens bestätigt die Identifikation des politisch Richtigen mit dem eigenen Lebensstil ein Gefühl kultureller Überlegenheit oder bestärkt dieses sogar. Diese Haltung ist jedoch Teil der von uns argumentierten symbolischen Schwelle, die sich auch in vielen anderen Bereichen so genannter alternativer Praxis zeigen ließe, wie wir annehmen. Als ein Beispiel sei die Studie von Cronin, McCarthy und Collins (2012) zu nicht-kommerziellen Ernährungspraktiken genannt. Die hierarchische Positionierung von Individuen im sozialen Raum kann in einer einzelnen sozialen Organisation nicht aufgehoben werden, wenn auch eine Abschwächung der Selbststilisierung, die selbst nicht notwendigerweise

8 Dass derartige Tendenzen nicht nur in Wien relevant sein dürften zeigt u.a. Mestdagh (2015), die in Bezug auf Gemeinschaftsgärten in Paris zu ähnlichen Ergebnissen kommt.

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intendiert ist oder vielleicht auch nicht intendiert werden kann, die intentionale Komponente von Distinktion reduzieren mag. Diese Problematik verweist auf eine grundsätzliche Grenze sozialer Organisationen im Kontext einer Politik der Lebensstile: In ihrem Rahmen ist kaum denkbar, soziale Ungleichheiten zu reduzieren. Denkbar scheinen in einzelnen sozialen Organisationen Kommunikationsformen, die es ermöglichen, zu sozial ausgewogeneren Entscheidungen für politische Aktionen mit einer größeren Bandbreite der Beteiligung verschiedener Gruppen zu kommen, die auf gesellschaftliche Veränderungen zu einem strukturellen Abbau sozialer Ungleichheit zielen. Anders liegt der Fall in Initiativen, die sich vor allem auf eine Veränderung von Lebensstilen oder deren Inszenierung als »gutes Beispiel« konzentrieren. Solche Initiativen schaffen, sofern sie sich im öffentlichen Raum befinden, vielmehr von Cornelia Dlabaja (2011) so genannte urbane Wohnzimmer, in unserem Fall alternativer Milieus. Die Politik der Lebensstile verräumlicht sich durch die klassenspezifische Aneignung von öffentlichem Raum, die nicht über formelle oder sichtbare Mechanismen des Ausschlusses wirkt, sondern über den Aufbau symbolischer Schwellen (vgl. Dangschat 2009). Diese Prozesse sind für den kontemporären Modus der Stadtentwicklung konstitutiv (vgl. z.B. allgemein: Reckwitz 2012; zu Gemeinschaftsgärten beziehungsweise Kleingartenanlagen: Frauenfelder/Delay/Scalambrin 2014 2014 sowie Mestdagh 2015): »Urbane Wohnzimmer verorten sich in den Zentren der Stadtquartiere und werden von Seiten des Stadtmarketings und der Medien sowie von Teilen der Stadtbevölkerung als die ›Places to be‹ beworben« (Dlabaja 2011: 149). Dass Gemeinschaftsgärten umstandslos als neue Art von Stadtgestaltung durch eine positive Aneignung von öffentlichem Raum zu sehen sind – gegen Prozesse der Privatisierung, »für alle«, »für die Öffentlichkeit« (z.B. Müller 2009, 2011, Werner 2011, Anonym 2014) – ist damit fraglich (ähnlich für Paris: Mestdagh 2015: 191, 204). Die so begriffene Problematik hat eine weitergehende Relevanz, nachdem jedenfalls in Wien nicht nur Gemeinschaftsgärten, sondern auch andere Initiativen der Partizipation vorrangig von Gruppen mit hohem sozialen Status geprägt sind. Sie schreiben damit ihren Habitus in den Habitus des Ortes (Dangschat 2009) und weiter in einen von Musner (2009) so bezeichneten Habitus der Stadt ein. Das Selbstverständnis von Widerständigkeit, das sich teilweise in den Initiativen findet, ist aus dieser Sicht fragwürdig. Tatsächlich sind auch solche Initiativen, die sich zu größeren Teilen als widerständig sehen, wovon wir zwei prominente Fälle in Wien untersucht haben, an kulturell privilegierten Orten lokalisiert. Sie genießen die durch kommerzielle Betriebe geschaffene Atmosphäre

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mit großem Distinktionswert, die ein Publikum mit hohem sozialen Status anzieht, zu dem auch die Mitglieder mehrheitlich zählen9 (vgl. dazu den Begriff des Raumprofits, Bourdieu 1991 in Lewitzky 2005: 37). Wenn wir uns wissenschaftlich mit einem Gegenstand befassen wie in diesem Fall mit Gemeinschaftsgärten, müssen wir immer auch fragen, wie dieser Gegenstand konstruiert wird. Denn Gemeinschaftsgärten existieren nicht einfach als bestimmte lokale Praktiken (wie Säen, Pflanzen, Jäten, sich zu Meetings treffen und so fort), sondern werden in einem breiteren Diskurs als solche hergestellt. Diese diskursive Herstellung von Gegenständen ist, jedenfalls im Fall von Gemeinschaftsgärten, wesentlich die Angelegenheit von Intellektuellen oder weitergehend von Personen mit großem kulturellen Kapital. Dies bedeutet unter anderem, dass schon der Gegenstand Gemeinschaftsgarten mit all den Bedeutungen, die im Diskurs daran geknüpft werden, darunter die eingangs skizzierten Zuschreibungen, ein bis zu gewissem Grad sozial exklusiver Gegenstand ist, der die Male seiner sozialen Herkunft trägt und perpetuiert. Allein bei der Betrachtung der sozialen Differenz – der Funktion und Machtposition im Garten nach (nicht notwendigerweise in Hinblick auf das Milieu) – zwischen denjenigen, die solche Gärten initiieren und den Gärtnernden, die zu Initiativen hinzukommen, zeigt, dass die Initiierenden eine oft andere Vorstellung von der Bedeutung solcher Gärten haben als viele oder die meisten, die darin gärtnern, und häufig auch andere Zwecke damit verfolgen. Noch deutlicher wird diese Differenz, der Tendenz nach, wenn die vergleichsweise wenigen Gärtnernden in den Blick kommen, die über geringeres kulturelles Kapital verfügen als der Durchschnitt in diesen Initiativen. Der Diskurs des Gemeinschaftsgartens ist somit klassenspezifisch und unser eigener Beitrag dazu entkommt dieser Spezifik nicht. Gleichwohl meinen wir, dass eine wesentliche Aufgabe einer sich kritisch verstehenden Wissenschaft darin besteht, Initiativen wie Gemeinschaftsgärten zunächst entlang der politischen Zielsetzungen zu betrachten, die damit verschiedentlich verbunden werden. Es wäre daher wichtig, stärker als bisher zu fragen, welche Praktiken in welchen Kontexten welchen politischen Ansprüchen genügen. »Die ästhetische Intoleranz kann durchaus gewalttätig werden. Vermutlich stellt die Aversion gegen andere unterschiedliche Lebensstile eine der stärksten Klassenschranken dar [...].« (Bourdieu 1979: 105f).

9 In einem Fall wurde dies quantitativ mit Zufallssample erfasst.

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Danksagung Wir danken in alphabetischer Reihung Ulrich Brand, Marion Ernwein, Dennis Eversberg, Michael Jonas, Sarah Kumnig, Marit Rosol, Markus Schwab und Niko Winter für hilfreiche Kommentare und Anregungen zu einer früheren Version. Alle Fehler, Einschätzungen und Schlussfolgerungen verantworten allein wir.

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Gemeinschaftsgärten und freiwillige Umweltarbeit Die Aushandlung von Stellenwert und Bedeutung der Bürger_innenbeteiligung in der Herstellung von Grünraum Marion Ernwein Die Welt der Gärten ist in zwei klar abgegrenzte Bereiche getrennt: die Familiengärten mit ihren Hütten und geometrischen Blumenbeeten auf der einen Seite und die plantages auf der anderen, in denen Städter_innen ihren Traum verwirklichen, kollektiv und neben den Wohnhäusern biologisch Pastinaken anzubauen […]. Wenn man den lokalen Bürgermeister_innen zuhört, so gehört die Zukunft den Gemeinschaftsgärten. Bernet 2016

Das Konzept der plantages – auch als urbane Gärten bezeichnet – wurde in der Schweizer Stadt Lausanne am Ende der 1990er Jahre geprägt. Im Jahr 2004 wurde es in Genf praktisch umgesetzt. Der Begriff, der zumeist als Gemeinschaftsgärten übersetzt wird, bezieht sich auf kleine innerstädtische Gartenparzellen, auf denen Nahrungsmittel biologisch und auf mehr oder weniger kollektiver Basis angebaut werden. Im Verlauf der letzten zehn Jahre haben solche Gärten ihren Weg in öffentliche Politiken gefunden bis hin zur Integration in Planungsprojekte der Kantone. Wie in Kommentaren bemerkt worden ist, ersetzen sie zunehmend Formen urbanen Gärtnerns wie die Familiengärten (Schrebergärten), die mehr Raum beanspruchen. Allerdings verläuft dies nicht ohne Auseinandersetzungen zwischen Institutionen und Graswurzel-Organisationen (Ernwein 2014) sowie zwischen den Befürworter_innen von Familiengärten und von Gemeinschafts­ gärten (Frauenfelder/Delay/Scalambrin 2014).

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In diesem Artikel analysiere ich die Sichtweise der Manager_innen von Grünraum, die für die Kommune Genf mit diesen Projekten befasst sind. Ein Überblick der Diskurse zeigt deren Zurückhaltung sich mit der Entwicklung von Gemeinschaftsgärten zu befassen und die Bevorzugung anderer Formen der Bürger_innenbeteiligung in der Herstellung von Grünraum. Die Manager_innen von Grünraum fordern eine Neudefinition des Verhältnisses von Staat und Zivilgesellschaft, beziehen sich auf Erfahrungen in den USA, und befürworten die Entwicklung von Freiwilligenarbeit im Grünraum-Management, indem sie dies als eine pragmatische Antwort auf Austeritätspolitiken der Budgetierung präsentieren sowie als ein Mittel, um gezielt eine neoliberale Gouvernmentalität zu implementieren. Der erste Abschnitt gibt einen Überblick über die Auseinandersetzungen zu Gemeinschaftsgärten und deren Verbindung mit Prozessen der Neoliberalisierung. Die Abschnitte zwei und drei stellen konzeptionelle und theoretische Einsichten dar sowie eine selbstreflexive Erläuterung der verwendeten Methoden. Schließlich analysiert Abschnitt vier das empirische Material.

Auseinandersetzungen um Gemeinschaftsgärten Es ist inzwischen üblich geworden davon auszugehen, dass urbanes Gärtnern das Potenzial zu einer Destabilisierung sozio-räumlicher Ungerechtigkeit hat. Die Literatur insistiert darauf, dass urbanes Gärtnern an Kämpfen für das Recht auf Stadt teilhat (Purcell/Tyman 2014, Staeheli/Mitchell/Gibson 2002) und an der Herstellung von urbanen Gemeingütern (Follmann/Viehoff 2014, Eizenberg 2012). Auch die Literatur zu Ernährungsgerechtigkeit rahmt urbanes Gärtnern als Beitrag zu einem potenziell gerechteren Ernährungssystem (Paddeu 2012) basierend auf Nähe, Solidarität, wechselseitiger Kenntnis zwischen Produzierenden und Konsumierenden sowie einer Ablehnung des Nahrungsmittel-Business. Allerdings argumentieren kritische Stimmen, dass urbanes Gärtnern – und urbane Landwirtschaft insgesamt – darin versagt, weiter gefasste kapitalistische Strukturen und Formen einer Herrschaft der Stadt über das Land zu adressieren (Saed 2012), dass seine Guerilla-Varianten möglicherweise weniger alternativ und heroisch sind als dargestellt (Adams/Hardman 2014), und dass die Aufnahme von urbanem Gärtnern in kommunale Programme zu einem Mainstreaming geführt hat (Baudry 2011). Dennoch bleibt der Stellenwert von urbanem Gärtnern in der Stadt umstritten. Während der paradigmatische Kampf zwischen Aktivist_innen von Gemeinschaftsgärten und dem früheren New Yorker Bürgermeister Rudolph Giuliani

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beispielhaft ist für den Konflikt zwischen Praktiken des commoning und neo­ liberaler Stadtentwicklung (Schmelzkopf 1995; Smith/Kurtz 2003), zeigen neuere Beispiele von Auseinandersetzungen, dass die Bedeutung von Gemeinschaft als solche umstritten ist. So hinterfragen manche Kommunen Forderungen nach der Aneignung von öffentlichem Raum durch zivilgesellschaftliche Gruppen mit dem Vorwurf, Raum zu privatisieren (Ernwein 2014). Darüber hinaus werden Verlagerungen von einem Modell urbanen Gärtnerns zu einem anderen von ästhetischen Differenzen und Klassenkämpfen begleitet, nachdem die durch die Arbeiter_innenklasse geprägten Gärten der Tendenz nach von neuen Gärten ersetzt oder durch diese ergänzt werden, die mehr auf die Sensibilitäten der Mittelklasse reagieren (Frauenfelder/Delay/Scalambrin 2014, Domene/Sauri 2007). Während bestimmte Kommunen zögern, öffentlichen Raum ihren Bürger_innen zu überantworten, haben andere öffentliche oder private Institutionen das ökonomische Potenzial einer solchen Überantwortung erkannt. Entsprechend wird von Fällen berichtet, in denen solche Programme von privaten Entwickler_innen benutzt werden, um den Bodenpreis zu erhöhen (Quastel 2009). Auch werden diese als ein Mittel eingesetzt, um neue Formen der Gouvernmentalität zu implementieren, worin »politische Entscheidungs­träger_innen durch den Gebrauch eines Narrativs der Gemeinschaft Menschen scheinbar davon überzeugen, dass es effektiver ist und mehr den Ansprüchen an Gleichheit entspricht, wenn sie Dienstleistungen selbst bereitstellen« (Drake 2014: 178). Wie Pudup (2007) argumentiert, ist »Gemeinschaft« ein Etikett, das strategisch eingesetzt wird, um Projekte zu bezeichnen, deren uneingestandenes Ziel darin besteht, Bürger_innen in selbstverwaltete Einheiten zu transformieren, die sich von der Abhängigkeit von Wohlfahrtssystemen lösen. Gemeinschaftsgärten als solche werden zu Regierungswerkzeugen, die mit der Produktion neoliberaler Subjektivitäten verwoben sind. Auf eine ganz ähnliche Weise identifiziert Rosol in ihrer Analyse von Politiken mit Bezug zu urbanem Gärtnern in Berlin »einen Wechsel von Gemeinschaftsgärten als Teil sozialer Bewegungen hin zu Gemeinschaftsgärten als eine Form der Freiwilligenarbeit« (Rosol 2010: 557). Im Kontext rückläufiger kommunaler Budgets werden sie von lokalen Entscheidungsträger_innen als ein Weg verstanden, den Erhalt von urbanen Grünräumen zu sichern, indem Gemeinschaftsgärtner_innen unbezahlte Arbeit verrichten. Dies spiegeln die Studien von Perkins zu Programmen freiwilliger Umweltarbeit in Milwaukee (USA) wieder: Wie Perkins (2009, 2011) zeigt, sind Gemeinschaftsgärten eines von mehreren Instrumenten, um Bürger_innen in Bereitsteller_innen von Umwelt-Dienstleistungen zu verwandeln. Andere bestehen beispielsweise in der Aufzucht von Bäumen, urbanem Waldbau und in

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der Einsaat von Prärieflächen. Entgegen der Betonung von Gemeinschaftsgärten seitens der Forschung handelt es sich dabei in der Tat nur um einen der vielen Wege, auf denen Städter_innen in die Herstellung von urbanem Grünraum involviert werden (Frøik Molin/Konijnendijk van den Bosch 2014). Die Analyse der Art und Weise, in der kommunale Entscheidungsträger_innen sich in Hinblick auf die verschiedenen Formen der Bürger_innenbeteiligung verhalten, kann dazu beitragen den spezifischen Stellenwert zu verstehen, der dem gemeinschaftlichen Gärtnern dabei zukommt. Die Versuche eine Praxis, die mit Ideen der sozialen Auseinandersetzung, des Rechts auf Stadt und der Wiederaneignung der Commons verbunden ist, in eine Praxis zu transformieren, die Individuen für öffentliche Dienstleistungen verantwortlich macht, führt zu Fragen. Diese Versuche werden besser mit einem breiteren Blickwinkel verstanden. Tatsächlich ist der Rückgriff auf Freiwillige im Management von Grünraum auch Teil einer breiteren Entwicklung, die Bereitstellung von öffentlichen Dienstleistungen an den so genannten Dritten Sektor auszulagern (Fyfe 2005). Der Charakter der Freiwilligenarbeit verändert sich in diesem Prozess in einem Wandel von langfristigem aktivistischem Engagement hin zu kurzfristigen Aktivitäten zugunsten des Curriculum Vitae, womit Freiwilligenarbeit Teil einer Karrierestrategie wird (Dean 2015, Mincyte/Dobernig 2016). Wie der empirische Abschnitt später zeigen wird, ermutigt die kommunale Grünraumabteilung in Genf die Entwicklung von Freiwilligenarbeit im Erhalt von Grünraum, während sie der Organisierung von Gemeinschaftsgärten zugleich abgeneigt gegenübersteht. Ich erkunde die Art und Weise, in der Manager_innen die einzelnen Praktiken rahmen, und die Gründe, die sie angeben, um ihre Unterstützung oder das Fehlen derselben zu legitimieren, um zu analysieren, wie wünschenswerte und unerwünschte Formen der Bürger_innenbeteiligung eingegrenzt und gerechtfertigt werden. Wie ich zeige, artikulieren meine Interview-Partner_innen eine neoliberale Rhetorik, die auf eine Sicht auf öffentliche Dienstleistungen zurückgreift, worin diese durch »aktive« Bürger_innen (Wohlfahrt 2003) bereitgestellt werden, um die Entwicklung von Freiwilligenarbeit im Erhalt von Grünraum zu legitimieren.

Environmentality in der neoliberalen Stadt Der Einsatz von freiwilligen Aktivitäten in Bereichen, die früher als alleinige Verantwortung öffentlicher Institutionen verstanden worden sind, wird als eines der Kernmerkmale des Neoliberalismus begriffen (Fyfe/Milligan 2003, Wolch 1990).

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Tatsächlich sind Phasen des Roll-out des Neoliberalismus (Pudup 2007, Peck/ Tickell 2002) mit dem Aufstieg des so genannten Dritten Sektors verbunden, über den sich Nicht-Regierungs-Organisationen involvieren und als flankierende Mechanismen operieren, um die Bereitstellung der vormals öffentlichen Dienstleistungen fortzusetzen (Fyfe 2005, Fyfe/Milligan 2003). Wie die an Foucault orientierte Literatur zeigt (v.a. basierend auf Foucault 2004), wird eine solche Entwicklung von dem Auftauchen neuer Figuren von Bürger_innen begleitet, zusammen mit der Vorgabe, ein Unternehmer oder eine Unternehmerin ihrer oder seiner selbst zu werden und »aktiv« zu sein, wobei Aktivierung mit freiwilligen Tätigkeiten assoziiert wird. In einer Erweiterung von Foucaults Konzept der Gouvernementalität und verstanden als »die gleichzeitige Neudefinition von Umwelt und Subjekt insoweit diese Neudefinition durch Mittel der politischen Ökonomie erzielt wird« (Agrawal 2005:24), beinhaltet Agrawals Konzept der environmentality den Vorschlag, simultan ablaufende Prozesse der Veränderung von politischen Rationalitäten, Praktiken der Governance und der Subjektivierung zu analysieren. Es bezieht sich auf von Foucault inspirierte Herangehensweisen an die Herstellung von Subjektivität, wo das Subjekt niemals a priori zum politischen und ökonomischen System existiert, sondern durch Regierungspraktiken aktiv geformt wird (Foucault 1983). Ich verwende eine mit Agrawal vergleichbare Perspektive, um den Einsatz von Freiwilligenarbeit beim Erhalt von urbanen Parks als eine Technologie des Regierens zu untersuchen, die darauf zielt, die Beziehung zwischen Bürger_innen und öffentlichen Dienstleistungen zu transformieren und spezifische Subjektivitäten zu produzieren. Als die neoliberale Staatsphobie (Anderson 2015, Foucault 2004) zu einer Re­ skalierung der Regierung mit Fokus auf die Ebenen von Städten und Stadtregionen führte, wurden Städte sowohl Experimentierorte für die Entwicklung neoliberaler Politiken als auch Versammlungsorte für Bewegungen, die sich widersetzten. Städte sind daher sowohl »wichtige Orte ziviler Initiativen als auch von sich akkumulierenden ökonomischen und sozialen Spannungen, die mit neoliberalen Projekten verbunden sind« (Jessop 2002: 108). Mit Hilfe eines Fokus auf die umstrittene Bedeutung von gemeinschaftlichem Gärtnern in Genf erkundet dieser Artikel das Spannungsverhältnis zwischen der Stadt als Raum von Widerstand und der Stadt als Raum von Akkumulation und Neoliberalisierung. Er untersucht, wie eine Praxis, die vorwiegend als widerständig begriffen wird, mit Bedeutung seitens institutioneller Akteur_innen belegt und dabei umgearbeitet wird, um sich mit neoliberalen Zielen zu verbinden. Dabei wird Neoliberalismus nicht als ein homogener Rahmen verstanden, sondern als ein räumlich (Brenner/Theodore 2002, Ong 2007) und historisch (Peck/Tickell 2002) ungleiches Phänomen. Seine

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neueste Phase, die Austerität, entspricht der Durchsetzung weiterer Roll back-­ Reformen in bereits neoliberalisierten Ländern (Peck 2012). Im verbleibenden Teil des Artikels verwende ich das Konzept der Austerität, wenn ich mich auf Haushaltskürzungen und materielle Bedingungen beziehe, die mit gegenwärtigen Austeritätspolitiken verbunden sind, und das Konzept des Neoliberalismus, um auf Diskurse zu verweisen, die eine Ausweitung von Marktlogiken unterstützen und den Willen zum Ausdruck bringen, Regulierungen und Regierungspraktiken entsprechend zu transformieren.

Untersuchungsdesign und Methodologie Dieser Beitrag beruht auf Ergebnissen eines Forschungsprojekts, das die Entwicklung der Governance von Grünraum in Städten der Schweiz untersuchte. Es konzentriert sich dabei auf die Sichtweisen von Grünraum-Manager_innen in Hinblick auf die Beteiligung von Bürger_innen in der Produktion von Grünraum. Die Schweiz ist föderal organisiert, wobei die meisten Hoheitsrechte außerhalb von Geld- und Zollpolitik, nationaler Verteidigung und Außenbeziehungen auf der Ebene der lokalen Staaten verortet sind, der so genannten Kantone. Die 26 Kantone schöpfen autonom Steuern ab, um die meisten öffentlichen Dienstleistungen zu organisieren, darunter das Schulwesen inklusive der höheren Bildungsstufen, Spitäler, die Polizei und anderes. Der Bundesstaat kann allerdings Regelungen erlassen, die eine Bandbreite von Anliegen betreffen, die als national bedeutsam interpretiert werden wie beispielsweise Transport-Infrastrukturen, Biodiversität, Landwirtschaft oder Energie. Diese Regelungen beeinflussen alle Ebenen der Regierung. So hatte etwa das jüngst erlassene Verbot des Gebrauchs von Chemikalien im öffentlichen Raum (Confédération Suisse 2005) einen erheblichen Einfluss auf das Management von Grünräumen in Städten. Dieses Management ist vor allem Aufgabe der Kommunen, die für Parks, Gärten, Plätze und alle verbleibenden Räume innerhalb ihrer Grenzen Sorge tragen. Während die Schweiz nicht zu den Ländern zählt, die am meisten für Austeritätspolitiken bekannt sind (Peck 2012), haben bestimmte Regionen in den letzten Jahren den öffentlichen Ausgaben schwerwiegende Restriktionen auferlegt, die Auswirkungen auf den Erhalt öffentlicher Räume zeitigen. Ich fokussiere hier auf die Stadt Genf, Hauptstadt des gleichnamigen Kantons, der sich im französisch-sprachigen Teil der Schweiz befindet. Genf ist eine internationale Stadt, einem ihrer Slogans zufolge »die Stadt der Parks«, die die Relevanz von Parks in der lokalen Vermarktung des Orts reflektiert ebenso wie das seit langem bestehende Engagement der Kommune in Hinblick darauf. Im Jahr

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2016 zählt die Grünraumabteilung der kommunalen Verwaltung 204 Beschäftigte. Davon arbeiten 9,5 Beschäftigte für die Direktion und das Ressourcenmanagement, 10 für Design und Planung, 33,5 für die Blumenproduktion und 151 für den Erhalt der Parks. Die Abteilung ist für 310 Hektar Grünraum zuständig, die 20% der Gesamtfläche der Stadt darstellen . Das Forschungsmaterial, das dieser Beitrag analysiert, setzt sich aus Interviews mit gewählten politischen Repräsentanten, die mit Planung und Entwicklung von Grünraum betraut sind, sowie aus Interviews mit Verwaltungspersonal, das in der Direktion arbeitet, zusammen. Im Kontext des breiteren Forschungsrahmens wurden zudem ethnographische Untersuchungen in einem Team von Gärtnernden durchgeführt – darunter teilnehmende Beobachtungen, Einzel- und Gruppeninterviews – sowie reflexive audiovisuelle Methoden eingesetzt. Diese Datenquellen werden allerdings zugunsten von Klarheit der Darstellung und aufgrund der Längenbeschränkung in diesem Beitrag nicht analysiert. Alle Daten wurden in einem breit definierten Rahmen Kritischer Diskursanalyse untersucht, den ich für am besten geeignet hielt um die sozialen Praktiken, situierten Interessen und institutionellen Bedingungen zu verstehen, die durch Diskurse zusammengehalten werden und zugleich das Entstehen eines Diskurses ermöglichen (Maingueneau 2012). Methodologisch gesprochen trägt eine Kritische Diskursanalyse zur Untersuchung des Inhalts eines Aussagensets eine Analyse der Ressourcen bei, die in ihrer Konstruktion mobilisiert werden (lexikalische Auswahl, rhetorische Effekte, Repertoires) (Bryman 2008, van Dijk 1993), sowie von den erwarteten Effekten des Diskurses um bestimmte Dinge wünschenswert zu machen und seinen (de)legitimierenden Effekten (Bryman 2008). Kritische Diskursanalyse trägt daher, zusammenfassend gesagt, der Rolle des Diskurses und seiner Organisation in der Reproduktion von sozio-politischen Bedingungen Rechnung (van Dijk 1993). Die Zwischen- und Endergebnisse wurden den Teilnehmer_innen der Forschung in Workshops und Gruppendiskussionen präsentiert und mit ihnen diskutiert. Zudem gab ich den Teilnehmer_innen kritisches Feedback als Teil eines reflexiven und iterativen Prozesses.

Die Auseinandersetzung um Gemeinschaftsgärten und die Unterstützung von freiwilliger Umweltarbeit Gemeinschaftliches Gärtnern im Kanton Genf: lokale Varianten eines globalen Konzepts Organisierte urbane Gartenbewegungen entstanden in Genf zuerst zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit der Entwicklung der Familiengärten, den Cousins der

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Schrebergärten. Von philanthropischen Geistlichen und Industriellen entwickelt, verfolgten diese Gärten den Zweck, Arbeiter_innen eine annehmbare und gesunde Beschäftigungsmöglichkeit zu verschaffen und sie von den Wirtshäusern fernzuhalten, sodass sie gesund und stark genug für die Fortsetzung der Wertproduktion blieben. Dank gesetzlichen Schutzes gibt es heute noch 1.500 Familiengärten­ parzellen (in 25 Kleingartenanlagen) im Kanton. Der größten Beliebtheit erfreuen sie sich in den Segmenten der unteren Bevölkerungsklassen (Frauenfelder/Delay/ Scalambrin 2011). Sie werden auf Vereinsbasis verwaltet und sind im allgemeinen in große, individuelle und umzäunte Parzellen mit einer Größe zwischen 150 und 200 Quadratmetern geteilt, die mit einer Gartenhütte ausgestattet sind. Während ein Kantonsgesetz sie in den 1960er Jahren langfristig schützte, planen neuere kantonale Politiken ihre fortschreitende Auflösung und ihren Ersatz durch kleinere Gärten, die in urbane Gärten oder plantages umbenannt werden (Frauenfelder/ Delay/Scalambrin 2014, République et Canton de Genève 2011). Dieser Wechsel reflektiert die Veränderung in anderen geographischen Kontexten, wo Gärten der unteren Klassen sukzessive durch neue Formen urbaner Gärten ersetzt werden (Slavuj Borcic/Lukic/Cvitanovic 2014, Rosol 2010, Domene/Sauri 2007) [s.a. Beitrag Exner/Schützenberger in diesem Band]. Verschiedene Kritiken an den Familiengärten werden mobilisiert um diesen politischen Wandel zu legitimieren, darunter ihre Lage im suburbanen Raum, die mit der Abhängigkeit vom Autoverkehr assoziiert wird, die Verwendung von Chemikalien und daraus folgende Bodenverschmutzung, sowie die Privatisierung und Schließung dieser häufig umzäunten Gärten (Ernwein 2015, Frauenfelder/Delay/Scalambrin 2014). Während die meisten Protagonist_innen sich auf plantages und urbane Gärten als Äquivalente der Gemeinschaftsgärten beziehen, wird die übliche französische Übersetzung der letzteren, jardin partagé (wörtlich »gemeinsamer Garten«), im Kontext der Schweiz nicht verwendet (zu den jardins partagés siehe Demailly 2014). Plantages und urbane Gärten (potagers urbains) bedeuten wörtlich verstanden beide »Gemüsegarten« und in der Tat sind diese Gärten vor allem für den Anbau von Nahrungspflanzen angelegt, im Unterschied zu anderen Kontexten, in denen Gemeinschaftsgärten keineswegs den Anbau von Nahrungspflanzen inkludieren (z.B. Rosol 2012). Zum Zeitpunkt der Forschung wurden fast alle plantages und urbanen Gärten institutionell geführt. Daraus folgt ein gewisses Maß an Standardisierung: die meisten plantages sind in individuelle, nicht umzäunte, sechs bis 20 Quadratmeter große Parzellen geteilt und normativ durch Gartenordnungen geregelt, die von den Teilnehmenden vor Übergabe der Parzelle unterzeichnet werden müssen. Diese untersagen im Allgemeinen den Gärtner_innen eine Gartenhütte zu errichten, Mährasen oder Bäume zu kultivieren und die Parzelle

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ungenutzt zu lassen. Sie binden die Teilnahme an einem Gemeinschaftsgarten auch an einen Wohnort in fünfminütiger Gehdistanz. Gemeinschaftsgärten im Kanton sind einander daher üblicherweise sehr ähnlich in ihren Aspekten und Modalitäten, abgesehen von topographischen Unterschieden und lokalen Anpassungen. Das gemeinschaftliche Gärtnern in Genf ist folglich eine gut identifizier­ bare, historisch eingegrenzte und normativ standardisierte Praxis. Lokale Akteure differenzieren sie von anderen Formen urbanen Gärtnerns ebenso wie von Gartengestaltung und Gartenbau, die bislang als eine ausschließlich berufliche Praxis verstanden werden. Ich komme nun zu meiner Fallstudie, die ich mit der (fehlenden) Involvierung der kommunalen Grünraumabteilung in der Entwicklung der Gemeinschaftsgärten beginne und mit den Begründungen dafür, bevor ich zu ihrem Eintreten für die Freiwilligenarbeit komme. Auseinandersetzungen um die Involvierung in das gemeinschaftliche Gärtnern Die ersten Experimente mit Gemeinschaftsgärten in Genf wurden von der Sozial­abteilung in den Jahren 2004 und 2006 durchgeführt. Im Verlauf der darauf folgenden Jahre implementierten mehrere weitere Kommunen solche Projekte und die Medien berichteten regelmäßig von Neu­eröffnungen solcher Gärten. Equiterre, eine Organisation, die sich auf die Beratung zu nachhaltiger Entwicklung spezialisiert hat, inkludierte die Entwicklung von Gemeinschaftsgärten in ihr Aufgabenspektrum und begann damit ihre Dienstleistungen an Kommunen zu verkaufen. Als Folge der Entwicklung und der Bewerbung von Gemeinschaftsgärten begannen sich Einzelpersonen und Gruppen an Vertreter_innen mehrere kommunaler Abteilungen zu wenden, darunter die Abteilungen für Soziales, Agenda 21 und Grünraum, mit der Bitte, ihnen die Einrichtung eines Gartens und/oder finanzielle und technische Hilfe dabei zu gewähren. Als klar wurde, dass eine gleiche Behandlung dieser Anfragen eine Zusammenarbeit erfordern würde, setzten die Vertreter_innen eine Arbeitsgruppe ein und die Kommune heuerte eine Person mit Soziologieabschluss an, um ein kohärentes Programm zu urbanem Gärtnern, urbaner Landwirtschaft und Geflügelhaltung zu entwickeln. Die meisten Anfragen betrafen öffentliche Grünräume, die unter die Verantwortlichkeit der Grünraumabteilung fallen. Diese war bereits in die ersten plantages involviert, die in den Jahren 2004 und 2006 eingerichtet worden waren und für die Angestellte der Abteilung die notwendigen technischen Arbeiten zur Entfernung des Mährasens, zur Düngung und zum Wasseranschluss erledigten. Allerdings beschreiben die Grünraum-­Manager_innen, dass sie eher

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in das Thema hineingedrängt worden waren ohne das Gefühl zu haben, dass ihre Rolle darin bestünde, daran aktiv teilzuhaben: Wir sind für diese Art von Projekten, weil sie nett sind und wir wollen, dass die Leute sich in unseren Parks wohl fühlen. Also unterstützen wir das Projekt, aber wir haben das Gefühl, dass das nicht zu unseren Verpflichtungen gehört. Es geht über unsere Verpflichtung zum Management und Erhalt von Parks hinaus. Das ist der Grund, weshalb wir mit der Sozialabteilung zusammenarbeiten. (Management, Grünraumabteilung, Genf, 2012). Dieses Zitat zeigt die Aufgabenteilung zwischen Grünraum und der Behandlung von sozialen Anliegen. Die interviewte Person erzählte dann weiter, dass diese Projekte zu »sozial« und nicht »ökologisch« genug seien, damit sich die Grünraumabteilung darin einbringe. Dieser Diskurs illustriert also die Hierarchisierung verschiedener Formen von Natur, wobei die gartenbaulich gestalteten Parks eher mit der Idee der Natur verbunden werden als die Gemüsegärten. Über das gemeinschaftliche Gärtnern hinaus: die Beteiligung von Bürger_innen am Erhalt von öffentlichem Grünraum und die Veränderung der Natur öffentlicher Dienstleistungen Obwohl Genf in Anspruch nimmt, eine »Stadt der Parks« zu sein, zeigen die letzten Jahre eine Stagnation des dafür gewidmeten Jahresbudgets, wobei das jährliche Wachstum des Budgets in den letzten drei Jahren zwischen +0,4 und -2,5 % schwankte (Ville de Genève, 2014-2016). Als Konsequenz daraus stoppte die Grünraumabteilung die Anwerbung von Gärtner_innen über langfristige Verträge und ging stattdessen zu Zeitarbeit und zur Auslagerung des Erhalts von bestimmten Arealen an private Gartengestaltungs- und Gartenbaufirmen über. Die interne Restrukturierung innerhalb der Kommunalverwaltung von Genf war ein weiterer Faktor, der dazu führte, dass die Grünraumabteilung zwischen 2012 und 2016 über 10% ihrer Arbeitskapazitäten verlor (Jahresentwicklung der Beschäftigung in der Grünraumabteilung in Genf.Quelle: Budgets prévisionnels par politique publique, Ville de Genève, 2012-2015.). Der Restrukturierung folgten Streiks und Demonstrationen seitens der Gärt­ ner_innen der Kommune im Frühling 2014, die nicht nur den Rückgang der Beschäftigung bekämpften, sondern auch das, was die Gewerkschaften als die daraus folgende »Entgrünung« der Stadt bezeichneten (SSP VPOD/SIT 2014). Angesichts dieses Kontextes versuchten die Manager_innen neue Strategien zu entwickeln, um den hohen Standard des Erhalts von Grünräumen fortsetzen zu können, darunter die Auslagerung von Erhaltungsarbeiten der Kreisverkehre an private Firmen, den Rückgriff auf professionelle Integrationsorganisationen für

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Maßnahmen über das Wochenende und die Transformation der Natur von Grünräumen durch die Anlage von Wiesen, ungeschnittenen Hecken und mehrjährigen Pflanzen (Ernwein 2015). Gegenwärtige Projekte beinhalten auch, Einwohner_innen zum freiwilligen Engagement von Grünraum zu ermutigen. Die für die Legitimation dieser Idee mobilisierten Diskurse beziehen sich explizit auf die Entwicklung neuer Beziehungen zwischen Bürger_in und Staat, was bestätigt, dass »Veränderungen der politisch-ökonomischen Beziehungen von keynesianischer Staatsintervention hin zu (neo)liberalen, marktorientierten Prinzipien eine Restrukturierung der Beziehungen zwischen Regierung und Zivilgesellschaft erfordern« (Perkins 2009: 396): Letzten Sommer war ich in den USA, wo manche Parks zur Gänze von Freiwilligen erhalten werden. Die Stadt New York musste 500 Beschäftigte aus finanziellen Gründen feuern, also haben sich die Leute organisiert: Sie haben Vereine aufgebaut, Geld aufgetrieben und Arbeitsprogramme eingerichtet. Manche leisten100% der Erhaltung. Ich glaube nicht, dass dieses Modell als solches hier in Genf übertragen werden kann, aber ich bin davon überzeugt, dass die Zukunft der öffentlichen Dienstleistungen nicht darin liegt, alles Nutzenden zu geben, die reine Konsumierende sind. Ich glaube, die Rollen werden geteilt werden. Zum Beispiel könnten Eltern in den Erhalt von Spielplätzen einbezogen werden. Es erscheint mir logisch, dass manchen Verpflichtungen nicht von Einzelpersonen, sondern von Gruppen nachgekommen wird. Ich bin davon überzeugt, dass es dazu Projekte geben wird. (Management, Grünraumabteilung, Genf, 2013) Die bestehenden Beziehungen zwischen Staat und Bürger_innen werden negativ beschrieben, indem Bürger_innen als »reine Konsumierende« dargestellt werden. Im Gegensatz dazu haftet Begriffen wie »Einbeziehung« oder »Verpflichtung« ein positiver Tonfall an, der den erwünschten Charakter der neuen Beziehung zwischen Staat und Bürger_innen reflektiert, worin Bürger_innen ihre eigenen personalisierten Dienstleistungen betreuen. Allerdings wird auch erwartet, dass die Individualisierung der Beziehung zwischen Staat und Bürger_in durch die Organisation von Bürger_innen in Vereinen vermittelt wird. Damit erfährt das an der Wurzel dieser Idee stehende individualistische Modell eine Nuancierung. Um die Relevanz dieses über einen solchen Diskurs vorangetriebenen Wandels zu verstehen, muss man wissen, dass gemeinschaftliches Gärtnern in Genf vollständig von der Idee der Freiwilligenarbeit entkoppelt ist. Auf jene, die daran teilnehmen, wird als »Teilnehmende«, »Nutznießende« oder »Gärtnernde« Bezug genommen, in keinem Fall jedoch als »Freiwillige« – im Gegensatz zu Settings, in denen die Ideen der Freiwilligenarbeit und des gemeinschaftlichen Gärtnerns eher assoziiert werden (siehe z.B. Thomas-Bailey 2014). Die Idee, Menschen dazu zu

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bringen, sich freiwillig in der Parkerhaltung zu engagieren, erscheint daher als Neuerung, und Manager_innen legen großen Wert darauf, diese Praxis von der Teilnahme in plantages zu unterscheiden: »M1: Während die Leute in den plantages ihr eigenes Gemüse anbauen, ist das Engagement in der Parkerhaltung eher ein Job für die Allgemeinheit. Das ist überhaupt nicht das, wofür die plantages gemacht werden. M2: Ja, die plantages sind eher für Familien, die etwas produzieren wollen und ihren Kindern zeigen, wie das wächst, und um andere Familien zu treffen. Es sind nicht die gleichen Leute, die an Vereinen teilnehmen und sich um die Parks kümmern. Das ist sicher ein anderes Publikum. M1: Eher eines von Leuten, die älter sind, die mehr Zeit haben und sich wünschen an etwas teilzunehmen und die Kontakte mit Leuten in ihrer Nachbarschaft aufbauen wollen.« (Management, Grünraumabteilung, Genf, 2013)

Die Darstellung seitens des Managements (M1, M2) zeigt erneut die enge Definition der plantages, wonach diese strikt dem Gemüseanbau gewidmet sind. Die Interview-Partner_innen kontrastieren deren Fokus auf den Gemüseanbau mit dem Erhalt von Parks – eine gartenbauliche Praxis, die in Genf bislang ausschließlich beruflich ausgeübt worden ist. Mit der Aussage, dass plantages Orte der Nutzung durch und Erziehung für Familien sind, rahmen sie die Teilnahme daran auch als eine häusliche Praxis, womit die fehlende Einbeziehung der Grünraumabteilung in einer solchen Politik zusätzlich legitimiert wird. Im Gegensatz dazu wird das Engagement in der Parkerhaltung als kollektive Errungenschaft gerahmt, für die Gemeinschaft außerhalb der familiären Grenzen. Auf diese Weise illustrieren sie, was ihnen als eine sozial akzeptablere Form der Soziabilität erscheint. Im Vergleich dieses Arguments mit dem vorgängigen Zitat, worin plantages mehr mit der Transformation der individuellen Beziehungen mit dem Staat zu tun haben als mit der Dynamik von Gemeinschaft, belegt die Zweideutigkeit des Gemeinschafts-Arguments: Sehr ähnlich wie in Drakes (2014) und Pudups (2007) Analyse begleitet das Gemeinschafts-Argument ein ihm unterliegendes Projekt, nämlich die Beziehung zwischen Bürger_innen und Staat zu transformieren. Darüber hinaus erkunden Grünraum-Manager_innen die Möglichkeit, Freiwilligenarbeit seitens von Firmen zu implementieren: »Ich glaube, dass wir in Zukunft neue Angebote entwickeln werden. Eines davon betrifft Unternehmen, die kommen und mit uns arbeiten wollen, die einen Umwelttag für ihre Beschäftigten machen wollen [...]. Die Kommune wird die Leitung übernehmen und sagen

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›an ein paar Orten bilden wir Teams aus Freiwilligen‹ und sie wird den Firmen sagen, ›pro Tag können wir uns um zehn bis zwanzig Freiwillige kümmern‹. Das heißt bestimmte Orte werden spezifisch von Freiwilligen erhalten werden, die Firmen bereitstellen. Das wird eine erhebliche Vorbereitungsarbeit erfordern. Die haben wir noch nicht gemacht, aber der Magistrat hat uns gebeten, das zu machen. Ich denke, es ist eine gute, interessante Idee. Aus dem Grund beschäftigen wir uns mit dem Thema.« (Management, Grünraumabteilung, Genf, 2013)

Das Verständnis von Freiwilligenarbeit wird also von ziviler oder sogar aktivistischer Tätigkeit zum Teambuilding in Unternehmen verschoben. Während es durchaus denkbar ist, dass Grünraumabteilungen eine Rolle in der Aufrechterhaltung lokaler sozialer Dynamiken spielen, so ist doch überraschend, kommunale Akteure soziale Events von Unternehmen organisieren zu sehen. Dies beleuchtet insbesondere auch den sich verschiebenden Ort der Produktion von Subjektivität, indem die Befassung mit sozial-ökologischen Fragestellungen über Unternehmen und die ihnen eigenen Technologien des Regierens vermittelt wird. Zum Verständnis der positiven Haltung von kommunalen Akteuren zur Freiwilligenarbeit Es mag auf den ersten Blick paradox erscheinen, dass Grünraum-Manager in Genf die Auslagerung von Projekten in so positiven Farben zeichnen im Angesicht einer Budget-Austerität, die außerhalb ihrer Einflussmöglichkeiten liegt. Es wäre in der Tat zu erwarten, dass ein solcher Prozess schmerzliche Aspekte inkludiert. Dieses Paradox kann am besten verstanden werden, wenn wir den Gebrauch von anderen Orten als Modelle vergegenwärtigen. Wie schon in einem der Zitate zuvor gezeigt worden ist, werden die USA als Bezugspunkt genutzt: »Letzten Sommer war ich in den USA, wo manche Parks zur Gänze von Freiwilligen erhalten werden. Die Stadt New York musste 500 Beschäftigte aus finanziellen Gründen feuern, also haben sich die Leute organisiert […].« (Management, Grünraumabteilung, Genf, 2013) Durch den Verweis auf das Beispiel der USA, wo, wie der Interviewte glaubt, solche Prozesse erfolgreich eingeleitet worden sind, gibt der Manager der Grünraumabteilung seinem eigenen Projekt eine größere Dimension und verortet es in einem globalen Trend. Er insistiert darauf, indem er erläutert, dass sein Magistrat die gleiche Neigung für eine US-amerikanische »Kultur« des öffentlichen Dienstes teile: »Unser Magistrat hat lange in den USA gelebt und studiert, also kennt er diese Kultur recht gut und er überlegt, diese Art von Projekten hier zu entwickeln. Momentan ist das nicht Teil

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unserer Kultur, weil in unserer Kultur stellt die Verwaltung Dienstleistungen bereit und die Öffentlichkeit denkt, ›wir zahlen Steuern, also hat uns die Verwaltung mit Dienstleistungen zu versorgen‹. Ich glaube, dass die Rollen in Zukunft geteilt werden.« (Management, Grünraumabteilung, Genf, 2013)

Dass der Manager darauf besteht in Genf zu adaptieren was er als US-Modell begreift, illustriert darüber hinaus die Rolle der Zirkulation von Einzelpersonen in der Verbreitung von Politiken, wie die Studie von Larner zum Einfluss der physischen Zirkulation von Telekommunikations-Expert_innen in der internationalen Verbreitung der darauf bezogenen Privatisierung zeigte (Larner 2010, Larner/ Laurie 2010). Bürger_innen in die Parkerhaltung einzubeziehen wird allerdings nicht nur als Auslagerung gerahmt oder als ein Versuch, die Beziehungen zwischen Staat und Zivilgesellschaft zu transformieren. In einer auf gewisse Weise subtileren Art wird dies auch als ein Weg aufgefasst sich der Unterstützung seitens der Bevölkerung zu versichern. Von den Freiwilligen wird erwartet, die Abteilung dabei zu unterstützen, indem sie aktiv soziale Kontrolle ausüben und Parks vor Verwüstungen schützen: »[Die Freiwilligen] unterstützen die Interessen der Abteilung, die Interessen der Parks. Sie stellen sicher, dass es keine Verwüstungen gibt. Das ist also ein interessantes Modell von verschiedenen Blickwinkeln aus gesehen.« (Management, Grünraumabteilung, Genf, 2013) Von den Teilnehmenden wird erwartet, dass sie Verbündete werden, welche die Interessen der Parks verteidigen, worin auch immer diese bestehen mögen. Aufgrund ihrer Partizipation an deren Erhalt, so wird erwartet, würde in ihnen auch ein Verantwortungsgefühl entstehen, sodass sie den Erhalt gegen Bedrohungen verteidigen. Diese Diskurse schildert auch Perkins’ (2009) Analyse der gemeinschaftlichen Produktion von Grünraum in Milwaukee. Er argumentiert, dass das Urban Tree House Program, ein Bundesprogramm, das waldbauliche Fertigkeiten an Freiwillige vermittelt, »darauf hofft, unbezahlte Freiwillige in der Stadt heute zu mobilisieren wird Zustimmung für die Finanzierung von Nationalparken und Wäldern morgen generieren. Aus diesem Grund zielen sie darauf die Fortführung, wenn nicht gar die Ausweitung von Bundesprogrammen in Zukunft abzusichern« (Perkins 2009: 400). Durch das Training von Freiwilligen sichern sich Verwaltungen Menschen, die ihre Existenz in Hinkunft verteidigen werden – eine pragmatische Maßnahme, die weit entfernt ist von direkten Erfahrungen eines Roll back-Neoliberalismus.

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Die umstrittenen Repräsentationen von Bürger_innen-Beteiligung Allerdings wirkt die Position von anderen Abteilungen in Hinblick auf den Stellenwert, der Bürger_innen im öffentlichen Raum zuerkannt wird, als ein Gegengewicht gegenüber der von den Grünraum-Managern entwickelten Vision. Wie in Ernwein (2014) im Detail analysiert wird, belegt ein Verein mit dem Namen Collectif Beaulieu seit 2010 einen großen Teil eines Parks, der von der Grünraumabteilung ungenutzt gelassen wurde, nachdem dessen gartenbauliche Produktionsstätte an die Peripherie der Stadt verlagert worden war. Das Kollektiv betreibt einen Gemüsegarten nach dem Motto »Nimm-dir-selbst« und beherbergt mehrere Vereine, die sich mit Bienenzucht, urbaner Geflügelhaltung, der Herstellung von Kräutertee und anderem befassen. Während das Kollektiv den Ort autonom verwalten möchte, steht die Sozialabteilung, die ihr eigenes Projekt für die Lokalität verfolgt, dem Wunsch nach einer gemeinschaftlichen Betreuung öffentlichen Raums misstrauisch gegenüber. Es fürchtet, ein solches Projekt drohe als eine elitistische Privatisierung von öffentlichem Raum zu enden. Auf der anderen Seite fasst die Grünraumabteilung diese Erfahrung als ein Positivbeispiel für Bürger_innen-Beteiligung in der Parkerhaltung auf und überlegt zusätzliche Funktionen, die dem Kollektiv überantwortet werden könnten sowie mögliche weitere Experimente in dieser Richtung: »Solche Erfahrungen existieren schon in gewissem Maße. Das können wir in Beaulieu sehen: Da gibt es einen Verein, der dort ansässig ist und ein Projekt entwickelt hat. Also überlege ich verschiedene Verpflichtungen, die ihnen überantwortet werden könnten. Und ich denke, ähnliche Erfahrungen könnten auch in anderen Parks entwickelt werden.« (Management, Grünraumabteilung, Genf, 2013)

Sowohl die Sozial- als auch die Grünraumabteilung sind also misstrauisch gegenüber bestimmten Praktiken des Gärtnerns im öffentlichen Raum, aber die Art ihres Misstrauens unterscheidet sich grundsätzlich: Während die Grünraumabteilung plantages als zu fokussiert auf die häusliche Produktion ansieht, als dass für sie ein Ort im öffentlichen Raum zur Verfügung stünde, und die Abteilung auf eine Transformation von Parkerhaltung und öffentlichen Dienstleistungen durch Freiwilligenarbeit zielt, befürchtet die Sozialabteilung, dass die Bürger_innen-Verwaltung eines Parks bestimmte Gruppen exkludieren könnte. Sie bringt dagegen eine eher häusliche Praxis des Gärtnerns in Stellung, die besser gesteuert werden kann. Der kritische Gesichtspunkt, den die Sozialabteilung gegenüber der Bürger_innen-Verwaltung von Parks geltend macht, könnte die Implementierung von Freiwilligenarbeit wie von der Grünraumabteilung

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geplant komplizieren und verlangsamen. In der näheren Zukunft sollte dies das Risiko verhindern, Parks großräumig an Freiwilligengruppen auszulagern.

Schlussfolgerung Mit einem Fokus auf den Standpunkt der Manager der kommunalen Grünraum­ abteilung in Genf (Schweiz), untersuchte dieser Beitrag wie verschiedene Praktiken der Bürger_innen-Beteiligung an grünraumbezogenen Aktivitäten hierarchisiert werden und analysierte die Rationalitäten, die zu dem Zweck mobilisiert werden, letztlich eine bestimmte Praxis gegenüber anderen zu bevorzugen. Entgegen der de facto Beteiligung an der Entwicklung von Gemeinschaftsgärten zeigt die Grünraumabteilung sich zurückhaltend, wenn es darum geht aktiv daran zu partizipieren, weil sie diese als zu sozial – im Gegensatz zu einer ökologischen Ausrichtung – und als zu häuslich orientiert betrachtet. Freiwillige Umweltarbeit wird auf der anderen Seite geschätzt, und zwar sowohl weil sie die Fortsetzung des Erhalts von Grünraum im Kontext von Budget-Austerität ermöglicht als auch weil sie eine erwünschte neoliberale Transformation des Charakters öffentlicher Dienstleistungen erlaubt. Die Transformation politischer Rationalitäten, die sich aus der Budget-Austerität ergibt und aus der Zirkulation von neoliberalen Politikmodellen wird von Versuchen begleitet, die Governance von Grünräumen zu verändern. Dabei wird Freiwilligenarbeit als eine Technologie von Regierung aufgefasst, die Bürger_innen dahin bringt, ihre Rollen und Beziehungen mit dem Staat neu zu definieren. Von der Transformation der Beziehungen von Bürger_innen zu Parks wird in der Tat die Produktion neuer Subjektivitäten entsprechend neo­ liberaler Ideale von Selbstverantwortung und einer »aktiven Bürger_innenschaft« erwartet. Wie die Forschung zum gouvernmentalen Charakter von Parkdesigns gezeigt hat, flößen die Gestaltung und Regulierung von Parks Verhaltensnormen ein, die darauf abzielen, Subjektivitäten auf politische und ökonomische Projekte hin anzugleichen (Certomà 2013, Gabriel 2011). Die Genfer Parks des 21. Jahrhunderts scheinen dabei keine Ausnahme zu bilden. Die dokumentierten Diskurse zeigen mehrere problematische Punkte auf: hinsichtlich des Ausmaßes der Partizipation von Bürger_innen an Governance, der Anwerbung von Freiwilligen und der Gerechtigkeit zwischen Nachbarschaften. Erstens insistieren die dokumentierten Diskurse auf der Partizipation an der tatsächlichen Erhaltungsarbeit und exkludieren jeden Hinweis auf die Beteiligung von Bürger_innen an Entscheidungsprozessen. Dies führt offenkundig zu der Frage nach dem ermächtigenden Potenzial einer solchen Praxis

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und verweist auf das Risiko, dass Bürger_innen lediglich bezahlte Beschäftigte ersetzen. Zweitens wird mit der expliziten Nennung von pensionierten Menschen als Hauptzielgruppe (siehe oben) die Frage nach der Diversität der repräsentierten Interessen virulent. Drittens steht auch das Ausmaß der öffentlichen Kontrolle über den Erhalt von öffentlichen Parks auf dem Spiel insoweit räumliche Variationen in der Bürger_innen-Beteiligung aufgrund von Faktoren wie Alter, Beschäftigung oder kulturellem Kapital Umweltungleichheiten zwischen Nachbarschaften verstärken könnten. Das soll nicht heißen, dass die gegenwärtige Situation frei von Ungleichheiten wäre. Aber die Auslagerung an Freiwillige riskiert eine weitere Verstärkung von sozial-räumlichen Differenzierungen. Jedenfalls gibt es zwischen den kommunalen Abteilungen keinen Konsens zu der Frage der Freiwilligenarbeit, und das Ausmaß der Übertragung von Verantwortung wird offenkundig Gegenstand von Debatten sein. Die hier präsentierte Forschung regt schließlich auch die Frage nach der Zustimmung der Bürger_innen zur Freiwilligenarbeit an und der tatsächlichen Produktion neoliberaler Subjektivitäten. Wie die Ergebnisse von Rosol für Berlin nahelegen, könnten sich Bürger_innen dagegen wehren zu Freiwilligen gemacht zu werden. Während Rosols Gemeinschaftsgärtnernde sich einer neuen Rahmung ihrer Aktivität von gemeinschaftlichem Gärtnern hin zu Freiwilligenarbeit widersetzten (Rosol 2012), sollte die strikte Trennung zwischen freiwilliger Umweltarbeit und gemeinschaftlichem Gärtnern im Diskurs der Grünraum-Manager_innen in Genf die Programme zur Freiwilligenarbeit vor solchen Spannungen allerdings bewahren. Tatsächlich behält das gemeinschaftliche Gärtnern seine Bedeutung und seine Spezifität trotz der Entwicklung der Freiwilligenarbeit. Im Licht dieser Hypothese wäre die Analyse von Praktiken der Produktion von Zustimmung zur Freiwilligenarbeit der nächste Schritt. Dies ist daher auch die Intention meines neuen Forschungsprojekts, das auf Technologien der Erziehung zur Aufmerksamkeit fokussiert (Arpin/Mounet/Geoffroy 2015). Diese kommen zum Einsatz, um gewöhnliche Bürger_innen in freiwillige Umweltarbeitende zu verwandeln. Aus dem Englischen übersetzt von Andrea*s Exner.

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Gemeinschaftsgärten, Gemeinwohl und Gerechtigkeit im Spiegel lokaler Planungskulturen Martin Sondermann

Einleitung Gartenaktivist_innen tragen mit ihren Projekten und Aktionen aktiv zu einer sozial-ökologischen Stadtentwicklung bei und verändern Räume durch ihre Aneignungen und Nutzungen. Von klassischen Kleingärten und anderen Formen des Stadtgrüns unterscheiden sich neue Gemeinschaftsgartenprojekte vor allem durch eine explizite und bewusste Orientierung auf Gemeinschaftlichkeit bzw. Kollektivität, weshalb sie auch als »green commons« angesprochen werden (s.a. Beitrag Eizenberg, Rosol und Viehoff/Follmann in diesem Band, Ioannou/ Moran/Sondermann/Certoma/Hardman 2016: 63 ff., 85 f., Colding/Barthel 2013). Diese Orientierung korrespondiert mit einem Wandel des Verständnisses von Stadtplanung und -entwicklung, welche seit dem communicative turn in den 1980er und 1990er Jahren (Healey 1996, 2011) zunehmend als kooperative Handlungsfelder verstanden werden: So übernehmen auch nicht-staatliche Akteur_innen zunehmend aktive Rollen in Planungsprozessen und arbeiten mit politisch-administrativen Akteur_innen kooperativ zusammen (Sondermann 2015: 107, Rosol/Dzudzek 2014, Rosol 2010: 549). Folglich können Formen kooperativer Zusammenarbeit auf zwei Ebenen beobachtet werden: innerhalb der Gemeinschaftsgartenprojekte sowie zwischen den zivilgesellschaftlichen Gartenaktivist_innen und politisch-administrativen Akteur_innen. Mit dieser Governance-Perspektive wird dabei zugleich der analytische Blick

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auf die Akteur_innen­verhältnisse und Interaktionen innerhalb bestimmter Handlungskontexte fokussiert (Nuissl/Heinrichs 2011: 54 ff.). In den Aushandlungsprozessen von zivilgesellschaftlichen und politisch-­ administrativen Akteur_innen treten immer wieder Konflikte zu Tage, welche die Nutzung und Gestaltung öffentlicher Grundstücke betreffen. Dabei geht es um die Frage, inwieweit urbane Gärten als grüne Gemeinschaftsgüter fungieren und dem Gemeinwohl dienen. Diese Frage berührt zum Beispiel die Stadtplanung in Deutschland im Kern ihres gesetzlichen Auftrags – der Koordination und Abwägung aller Interessen und Belange im Sinne des Gemeinwohls (§1 (5), (6) BauGB). So seien »eine dem Wohl der Allgemeinheit dienende sozialgerechte Bodennutzung zu gewährleisten« (§1 (5) Baugesetzbuch) und die »öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen« (§1 (7). Allerdings entsprechen solch hohe normative Ideale nie der Realität, da zwischen Planungstheorie und Planungspraxis eine generelle Differenz besteht, welche insbesondere für kommunikativ-kooperative Ansätze und in Hinblick auf ungleiche Machtverteilung festzustellen ist (vgl. Selle 2007, Reuter 2000, Allmendinger/ Tewdwr-Jones 1997). So kann zum Beispiel gefragt werden: Sollten öffentliche Grundstücke für urbanes Gärtnern oder doch eher für günstigen Wohnraum genutzt werden? Oder für einen Kinderspielplatz oder eine Skateanlage? Wer verfolgt in Aushandlungsprozessen welche Interessen und wie ist es möglich eine »sozialgerechte Bodennutzung« zu bestimmen? – Diese Fragen zeigen exemplarisch wie schwierig es (auch jenseits kapitalistischer Verwertungsinteressen) ist, zu bestimmen, was dem Gemeinwohl dient und der Allgemeinheit gegenüber gerecht ist. In diesem Beitrag wird zunächst die Frage erörtert, inwieweit Gemeinschaftsgärten dem Gemeinwohl dienen können (Kap. 2) und wie sich die Aushandlung des Gemeinwohls in städtischen Planungskulturen (Othengrafen/Sondermann 2015) im Allgemeinen (Kap. 3), sowie im Hinblick auf Gemeinschaftsgärten im Speziellen, in der kommunalen Stadtentwicklungspraxis vollzieht (Kap. 4). Dabei wird räumliche Planung als kulturelles Sinnsystem verstanden, welches aus empirischen Beobachtungen heraus rekonstruiert wird. Abschließend wird grundsätzlich überlegt, was sich aus dem Fallbeispiel zum planerischen Beitrag zu einer allgemein gerechten Raumnutzung lernen lässt (Kap. 5).

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Gemeinschaftsgärten als Gemeingut? Im empirischen Fokus dieses Beitrags steht das urbane Gärtnern, welches in den 2010er Jahren von zivilgesellschaftlichen Gruppen, Politik und Medien sowie in der Wissenschaft verstärkt wahrgenommen bzw. wiederentdeckt wurde. Es handelt sich dabei um kein grundsätzlich neues Phänomen: Ausgehend von den Armengärten Anfang des 19. Jahrhunderts und der Kleingartenbewegung Mitte des 19. Jahrhunderts sind urbane Gärten etablierter Bestandteil städtischer Strukturen in Deutschland. Traditionelle Ziele dieser Form urbanen Gärtnerns sind die Selbstversorgung mit Obst und Gemüse sowie Bewegung und Erholung für ein gesünderes Leben in der Stadt (Sondermann 2015: 99, Appel/Grebe/ Spitthöver 2011: 23-34). Die klassischen Kleingärten können dabei in funktionaler und sozialer Hinsicht als Gemeingüter angesprochen werden, da sie in der Mehrzahl über Vereinshäuser und Grünflächen zur gemeinschaftlichen Nutzung verfügen (BMVBS/BSSR 2008: 3), und eine »starke Gemeinschaftsorientierung« (ebd.: 5) aufweisen. Die in Deutschland in den 1980er Jahren und verstärkt seit Mitte der 1990er Jahren einsetzende Gemeinschaftsgartenbewegung stellt allerdings keine Weiterentwicklung des Kleingartenwesens dar und beruft sich auch nicht auf dessen Tradition. Vielmehr gelten die Community Gardens in New York City und andere internationale Bewegungen als Referenz (Appel/Grebe/Spitthöver 2011: 35 ff., Meyer-Renschhausen 2011: 328 f.). Von Kleingärten werden Gemeinschaftsgärten insofern abgegrenzt, als dass die einzelnen Parzellen nicht über Zäune de facto privatisiert werden und die Gärten insgesamt öffentlicher in ihrer Zugänglichkeit sind (Rosol 2006: 41). Entsprechend werden sie auch definiert: »Gemeinschaftsgärten sind gemeinschaftlich und durch freiwilliges Engagement geschaffene und betriebene Gärten, Grünanlagen und Parks mit Ausrichtung auf eine allgemeine Öffentlichkeit« (Rosol 2006: 7). Wenn diese Gärten auf Gemeinschaften (s.a. Kap. 1) oder sogar eine allgemeine Öffentlichkeit ausgerichtet sind, inwiefern stellen sie dann auch Gemeingüter dar? Diese Frage ist angesichts des nicht scharf definierten Gemeingutbegriffs nicht einfach zu beantworten. Mit anderen Worten: »Was ein Gemeinschaftsgut ausmacht, hängt von dem besonderen zeiträumlichen Kontext seiner Bereitstellung und Nutzung ab« (Moss/Gudermann/Röhring 2009: 36). Der zeiträumliche Kontext wird im Folgenden eingegrenzt auf die aktuellen Praktiken kooperativer Stadt(grün)entwicklung, wie sie sich im Handlungsbereich der Stadt­planung zwischen zivilgesellschaftlichen und politisch-administrativen

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Akteuren vollziehen (s.a. Kap. 3 und 4) und zur Bereitstellung von Gemeinschaftsgärten führen (vgl. Nikolaïdou/Klöti/Tappert/Drilling 2016, Sondermann 2015, Ernwein 2014). Was die Charakteristik des potenziellen Gemeinguts Gemeinschaftsgarten und seiner Nutzung angeht, erscheinen zwei Aspekte von zentraler Relevanz: Zugänglichkeit und Nutzbarkeit. In Rückgriff auf die klassische, ökonomische Kategorisierung von Gütern (Moss/Gudermann/Röhring 2009: 33 ff., basierend auf Ostrom 2005: 24), ergibt sich folgendes Bild (siehe Abb. 1, vgl. auch im Folgenden: BSSR 2015: 21 f., Röhring 2008: 35 ff., Rosol 2006: 35 ff.):

Abbildung 1: Gemeinschaftsgärten als Club- und Allmende-Gut Öffentliche Zugänglichkeit und allgemeine Nutzbarbarkeit Privates Grün Privatgärten

Gemeinschaftliches Grün (Club-Grün und Allmende-Grün)

Öffentliches Grün

Gemeinschaftsgärten

Öffentliche Parks

Quelle: Eigene Darstellung

Die Zugänglichkeit und Nutzbarkeit von verschiedenen Formen städtischen Grüns nimmt von privaten über gemeinschaftliche hin zu öffentlichen bzw. allgemeinen Formen insofern zu, als dass öffentliche Grünanlagen (wie städtische Parks) prinzipiell für jeden zugänglich und vielgestaltig nutzbar sind bzw. sein sollten. Dies trifft auf Gemeinschaftsgärten nur bedingt zu, da dort nicht jede_r stets freien Zugang hat und dieses Grün allgemein nutzen kann. Je nach Garten handelt es sich vielmehr um ein Club-Gut, wenn nur oder vorwiegend am Garten Beteiligte Zugang haben bzw. die vorwiegend gärtnerische Nutzung auf einen bestimmten Kreis an Gärtner_innen begrenzt ist. Alternativ können Gemeinschaftsgärten auch als Allmende-Gut angesprochen werden, wenn ein allgemeiner Zugang besteht und Konflikte um die Nutzung des Raums auftreten, beispielsweise durch zu viele Nutzer_innen auf begrenztem Raum oder durch konkurrierende Nutzungsinteressen. Als Club- bzw. Allmende-Güter stellen Gemeinschaftsgärten also Gemeingüter dar, mit den damit einhergehenden Einschränkungen und Konflikten in Zugänglichkeit und Nutzbarkeit. Gemeinschaftsgärten sind dabei weder eindeutig privat oder öffentlich noch marktwirtschaftlich oder staatlich (s.a. Beitrag Rosol in diesem Band), sondern befinden sich vielmehr in einem Kontinuum zwischen

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diesen dichotomen Polen (vgl. Abb. 1). Durch ihren gemeinschaftlich-kollektiven Charakter in Organisationsformen und Aushandlungsprozessen entsprechen sie zudem einer Definition von »Commons« (s.a. Beiträge von Rosol, Eizenberg und Viehoff/Follmann in diesem Band).

Stadtplanung zwischen Gemeinwohl-Orientierung und kooperativem Vollzug Gemeinschaftsgärten sind nicht nur auf der Projektebene Gegenstand von gemeinschaftlichen Aushandlungsprozessen, sondern als eine mögliche Form der Raumnutzung Gegenstand planerischer Abwägungen in der Stadtentwicklung. Die Stadtplanung folgt dabei – sowohl inhaltlich als auch in ihren Verfahrensweisen – bestimmten normativen Orientierungen. Ganz allgemein ist räumliche Planung in ihrem gesetzlichen Auftrag auf eine nachhaltige Raumentwicklung und die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse (Deutsches Raumordnungsgesetz §1 (2)) gerichtet und dabei am Gemeinwohl orientiert. Letzteres wird dabei sowohl (utilitaristisch) über eine »Maximierung der Summe individueller Bedürfnis­ befriedigung« (Altrock 2009: 239) als auch (moralphilosophisch) über die Frage einer möglichst gerechten Verteilung räumlicher Ressourcen operationalisiert. Mit anderen Worten wird in der Planung darum gerungen, ob von raumbezogenen Entscheidungen vor allem Mehrheiten oder die »am schlechtesten Gestellten« (ebd.: 421) profitieren sollen. Hier zeigt sich ein grundsätzliches Dilemma der Planung: Es wird nie eine Lösung geben, die tatsächlich allen Bedürfnissen gerecht wird, sondern immer nur eine bestmögliche Annäherung, die möglichst wenige Menschen benachteiligt (vgl. ebd.: 248). In diesem Sinne geht es in der Planungspraxis vor allem darum, wie diese prozedural vollzogen und das Gemeinwohl sozial aushandelt wird. Insbesondere im Kontext zunehmenden zivilgesellschaftlichen Engagements gilt es, die Substanz des Gemeinwohls immer wieder neu auszuhandeln und zwar für den jeweiligen räumlichen und gesellschaftlichen Kontext (Moss/Gudermann/Röhring 2009: 41 f.). Der Grundgedanke, dass die Gegenstände und Ziele räumlicher Planung kommunikativ ausgehandelt werden (sollten), entspricht dabei in besonderer Weise einem prozessorientieren, kommunikativ-kooperativen Planungsverständnis, wie es sich in Planungstheorie und -praxis seit den 1980er Jahren entwickelt hat (Peters 2004: 5, Häußermann/Läpple/Siebel 2008: 349 f.). Dieses Umdenken stellte einen Paradigmenwechsel in der Planungsdisziplin dar, welcher als communicative turn (Healey 1996) bezeichnet wird. Das kommunikative Planungsideal stellt eine

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reflektierte Erweiterung des weiterhin existenten hoheitlich-technokratischen Planungsverständnisses dar, welches vertikal (Top-down) organisiert ist und versucht, über entsprechende Instrumente und Verfahrensweisen ideale Lösungen zu finden (Siebel 2009; Selle 1998: 54 f.). Beide Modelle stoßen allerdings an ihre Grenzen, da jeweils zentrale Voraussetzungen (wie widerspruchsfreie Ziele oder die gleiche Verteilung von Macht) nicht erfüllt werden können (Siebel 2009, Peters 2004). Gleichwohl gilt heute ein kooperatives Stadtentwicklungs- und Planungsverständnis als normatives Ideal in Planungswissenschaft, -politik und -praxis (vgl. Mössner/Gomes de Matos 2015, DST 2013, Nuissl/Heinrichs 2011, Healey 2011): Dieses basiert normativ auf der kooperativen Zusammenarbeit gleichberechtigter staatlicher und nicht-staatlicher Akteure, einer entsprechenden Umverteilung von Entscheidungsmacht sowie der Anerkennung von Pluralität. In diesem Beitrag werden unter kooperativer Stadtentwicklung alle Prozesse subsummiert, bei denen unterschiedliche Akteur_innengruppen gemeinsam die Nutzung und Gestaltung städtischer Räume demokratisch aushandeln und realisieren. Unter kooperativer Stadtplanung wird dabei derjenige Ausschnitt des Handlungsfelds kooperativer Stadtentwicklung gefasst, innerhalb dessen die Koordinations- und Abwägungsprozesse der unterschiedlichen raumbezogenen Interessen und Belange stattfinden und die Ergebnisse der Aushandlungen planungsrechtlich und -instrumentell umgesetzt werden. Die verschiedenen Akteure mit ihren jeweiligen Werten, Wahrnehmungen, Interessen, Einstellungen, Organisationsformen etc. arbeiten also idealtypischer Weise horizontal zusammen (Selle 1994: 63 f.). Dabei sollen Planungsprozesse derart gesteuert werden, dass sie zu einer (gerechten) »Umverteilung von Macht, Einfluss-Chancen und Handlungsmöglichkeiten zugunsten schwächerer gesellschaftlicher Gruppen« (Lanz 1996: 17) beitragen und die »Gleichberechtigung unterschiedlicher gesellschaftlicher Wertsysteme und Lebensformen« (ebd.) anerkennen und fördern. Legitimiert werden die planerischen Aushandlungsprozesse letztlich immer durch einen demokratischen Konsens, der »bei ungleicher Machtverteilung und bei gegensätzlichen Interessen so gut wie nie zustande« (Siebel 2009: 43) kommt bzw. nie vollumfänglich allen Beteiligten gegenüber gerecht ist (vgl. auch: Selle 2007, Marx 2007).

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Gemeinschaftsgärten, Gemeinwohl und Gerechtigkeit im Spiegel lokaler Planungskulturen Um die Zusammenarbeit zivilgesellschaftlicher und politisch-planerischer Akteure in der planerischen Entwicklung von Gemeinschaftsgärten zu analysieren, wurde ein theoretischer Ansatz entwickelt, der möglichst nah an der Realität der handelnden Akteure ist. Dabei werden die spezifischen Denk- und Handlungsweisen der beteiligten Akteure in planerischen Handlungskontexten als Ausdruck lokaler Planungskulturen betrachtet (Levin-Keitel/Sondermann 2015). Aus empirischen Beobachtungen heraus wird – dem Grounded Theory-Ansatz (Strauss/Corbin 2010) folgend – ein eigenes, Empirie-basiertes Planungskulturmodell aufgestellt, in dem die zentralen Merkmale einer Planungskultur in ihren Sinnzusammenhängen herausgearbeitet werden (Sondermann 2016a). Empirische Grundlagen sind in Schriftdeutsch transkribierte von leitfadengestützten, qualitativen Interviews1, die mit zivilgesellschaftlichen und politisch-administrativen Akteur_innen (Abb. 2) im Zeitraum Oktober 2013 – August 2014 in Düsseldorf und Hannover geführt wurden. Die Interviews werden im Text in chiffrierter Form referiert.2 Planung als kulturelles Sinnsystem Eine zentrale Grundannahme in der Planungskulturforschung ist, dass Planung in ihren normativ-rechtlichen Grundlagen, ihren institutionalisierten Strukturen und ihren Praktiken per se Ausdruck von Kultur ist (vgl. Peer/Sondermann 2016, Hölzl/Nuissl 2015, Levin-Keitel/Sondermann 2015, Othengrafen/Reimer 2013,

1 Zusätzlich wurden politische Dokumente (wie Vorlagen und Protokolle aus den Stadträten und ihren Ausschüssen), Veröffentlichungen der Verwaltung und der zivilgesellschaftlichen Initiativen in die Analyse miteinbezogen. Diese basierte auf einer Theoretischen Kodierung des empirischen Materials, welche folgende Elemente umfasste: Sequenzierung in Sinnabschnitte und offene Kodierung, induktive Kategorienbildung und axiale Kodierung (Strauss/Corbin 2010: 43-55). Bei der axialen Kodierung wurde auf das sog. Kodierparadigma zurückgegriffen und das zentrale Phänomen der kooperativen Zusammenarbeit hinsichtlich in seinen Sinnzusammenhängen (Bedingungen, Kontext, Handlungen und Interaktionen, Konsequenzen) betrachtet (ebd.: 75-85). Der letzte Schritt bestand in einer deduktiven Überprüfung und iterativen Überarbeitung des Kategoriensystems am empirischen Material. 2 Interview-Chiffre: Zivilgesellschaftliche Akteure [Z] in Düsseldorf (DZ1-4) und Hannover (HZ1-5); politisch-administrative Akteure [V] in Düsseldorf (DV1-4) und Hannover (HV1-5).

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Knieling/Othengrafen 2009). Hier wird also ein holistisches Verständnis von Kultur zu Grunde gelegt, welches die gesamte Sphäre menschlichen Denkens und Handelns umfasst und welches zugleich die speziellen Ausprägungen von Kultur in definierten (zeitlichen und räumlichen) Kontexten adressiert (Peer/Sondermann 2016, Reckwitz 2005: 95, Riegler 2003: 8). Zugleich erscheint Planung als Teil bzw. als Ausdruck einer umfassenderen Gesellschaftskultur, in der Räume – entsprechend vorherrschender Normen und Werte – auf bestimmte Weise mit Bedeutungen aufgeladen bzw. sozial produziert werden. Durch ebensolche kulturellen Sinn-Systeme erschaffen »sich die Handelnden ihre Wirklichkeit als bedeutungsvoll« (Reckwitz 2000: 84) und lassen ihr Handeln dadurch leiten (ebd.). So korrespondieren beispielsweise die Gemeinwohl-Orientierung der Planung (s.a. Kap. 3) mit bestimmten planerischen Gesetzen, Instrumenten und Verfahrensweisen, welche in ihrer Anwendung dann die Raumnutzung und -gestaltung in diesem Sinne beeinflussen (vgl. Peer/Sondermann 2016 sowie Hölzl/Nuissl 2015: 171, Othengrafen/Reimer 2013). Dabei ist der Fokus auf das praktische Handeln der beteiligten Akteure entscheidend: »Nicht über die Frage, was sie ist, lässt sich Kultur erschließen, sondern nur darüber, was sie tut« (Hetzel 2001: 10). Dahingehend werden Planungskulturen in diesem Beitrag verstanden als Sinn-Systeme einer kulturellen Praxis, die sich in definierten Handlungskontexten räumlichen Planens in den Denk- und Handlungsweisen der beteiligten Akteur_innen zeigen und in der Nutzung und Gestaltung von Räumen (als Artefakte dieser Kultur) manifestieren. Ein planungskulturelles Sinn-System wurde am Beispiel kooperativer Stadtgrün-Entwicklung aufgestellt und soweit abstrahiert, dass es sowohl für Düsseldorf und Hannover – und damit potentiell auch für andere Kommunen – zutreffend ist. Das Kategoriensystem orientiert sich dabei am Kodierparadigma von Strauss und Corbin (2010: 75-85), wurde aber modifiziert und ergänzt (Abb. 2). Abb. 2: »Sinn-System« der Planungskultur kooperativer Stadtgrün-Entwicklung

Quelle: Eigene Darstellung (Sondermann 2016b)

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Im Mittelpunkt des Sinn-Systems steht das beobachtete Phänomen der kooperativen Zusammenarbeit zivilgesellschaftlicher und politisch-administrativer Akteur_innen (Abb. 2): Dieses Phänomen basiert ursächlich darauf, dass eine der Akteur_innengruppen die Initiative zur Zusammenarbeit (Bottom-up oder Topdown) ergreift und sich beide für kooperative Stadtgrün-Entwicklung (langfristig) engagieren. Die Möglichkeiten und Grenzen der Zusammenarbeit werden dabei u. a. durch Gesetze, kommunalpolitische Entscheidungen oder finanzielle Ressourcen beeinflusst. Derartige Faktoren bilden den Institutionellen Handlungsspielraum, der alle Handlungsmöglichkeiten umfasst (auch im Folgenden: Sondermann 2016, ebd. 2015). Interaktionen zwischen den Akteur_innengruppen vollziehen sich einerseits in Form von Kommunikationsprozessen, welche von handlungsleitenden Denkweisen beeinflusst werden. Zu den handlungsleitenden Denkweisen gehören die Orientierungen und Haltungen der Akteur_innen sowie ihre Rollenverständnisse. Je nachdem wie ähnlich oder unterschiedlich die Denkweisen sind, können Konflikte entstehen oder die kooperative Zusammenarbeit befördert werden. Zudem spielen auf der Interaktionsebene Lern- oder auch Anpassungsprozesse eine zentrale Rolle: So lernen sich die Akteur_innen im Laufe der Zusammenarbeit kennen und – im Idealfall – miteinander umzugehen. In den betrachteten Fallstudien Düsseldorf und Hannover ist zu beobachten, dass sich – aus unterschiedlichen Gründen und zu unterschiedlichen Zeiten – jeweils »Kulturen des Miteinander« zwischen zivilgesellschaftlichen und politisch-administrativen Akteur_innen herausgebildet haben, die sich u.a. durch gemeinsame Orientierungen und gegenseitiges Verständnis kennzeichnen. Dies charakterisiert und beeinflusst die Art und Weise wie die Akteur_innen kooperativ (gegenwärtig und zukünftig) zusammenarbeiten. Gemeinwohl-Orientierung als handlungsleitende Denkweise In der praktischen Zusammenarbeit zivilgesellschaftlicher und politisch-administrativer Akteur_innen tritt zunächst das Aufgaben- und Rollenverständnis der planenden Verwaltungen zu Tage. Sie sehen ihre Aufgabe bzw. Rolle darin, unterschiedliche Interessen und Belange zu berücksichtigen, zu koordinieren und abzuwägen. Handlungsleitend ist dabei – zumindest in den untersuchten Städten im Handlungsfeld Stadtgrün – an erster Stelle die Gemeinwohl-Orientierung als zentraler Handlungsmaxime (Sondermann 2015: 107; ebd. 2016a/b). Dies zeigt insbesondere dann, wenn neue Gärten auf kommunalen Grundstücken oder innerhalb öffentlicher Grünanlagen entwickelt werden sollen: Kriterien im Abwägungsprozess mit anderen potenziellen Nutzungen, Interessen und Belangen

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sind deren Zugänglichkeit und Nutzbarkeit – und diesbezüglich ein erkennbarer Mehrwert für die allgemeine (lokale) Öffentlichkeit. Projekte, die diesen Kriterien der Verwaltung entsprechen, werden entsprechend z.B. durch die Bereitstellung von Grundstücken und/oder finanzielle Förderung unterstützt. So gilt für einen mit öffentlichen Mitteln geförderten Gemeinschaftsgarten in Düsseldorf, »den Garten in seiner Schönheit dem Stadtteil zur Verfügung zu stellen« (DV2) und dass »die Öffentlichkeit Zutrittsrecht« (DV2) hat, wenn Gärtner_innen anwesend sind. Diese Orientierung deckt sich mit der Haltung erfolgreicher zivilgesellschaftlicher Garten-Initiativen. So war ein anderes Düsseldorfer Projekt von vornherein als vollständig öffentliche Anlage geplant: »Es ist eine öffentliche Grünanlage, was uns ganz wichtig ist. Das heißt, wir sind immer und zu jeder Zeit zugänglich und offen« (DZ1). Solche gemeinsamen Orientierungen, insbesondere auf das Gemeinwohl, fördern die Zusammenarbeit zwischen zivilgesellschaftlichen Gruppen und der Verwaltung. Demgegenüber stehen Konflikte, welche sich um die Nutzung öffentlicher Grünflächen und damit wiederum um das Gemeinwohl drehen. Sie treten vergleichsweise häufig auf und stellen sich aus Sicht der Hannoveraner Verwaltung zum Beispiel so dar: »Es gibt z.B. das Begehren im Moment [von einer zivilgesellschaftlichen Initiative; M.S.] eine bestimmte Nutzergruppe möglichst da [in einer öffentliche Grünanlage; M.S.] nicht sitzen zu haben, d.h. Alkoholkonsum zu verbieten. […] Das können wir nicht. Es ist als öffentliche Grünfläche eingetragen und gewidmet und auf öffentlichen Grünflächen darf jeder, wenn er möchte, seinen Prosecco trinken oder seinen Kasten Bier. Wo macht man da die Unterschiede? Geht nicht. Also ist es erlaubt. Und das ist auch eine ganz klare Haltung der Stadtverwaltung, die auch der Rat so vertritt: Es wird keine Vertreibung geben von bestimmten Nutzergruppen. Wir versuchen und überlegen, wie kann man dieser einen Gruppe gerecht werden ohne gegen jemand anders zu agieren und stellen dann einfach manchmal fest: es geht nicht. […] Und dann muss man leider zehnmal die gleiche Antwort geben: geht nicht. Und dann kriegt man gelegentlich einen auf den Deckel: ›Die Verweigerer von der Stadtverwaltung‹ . Das muss man irgendwie sportlich sehen (HV4).«

In diesem Beispiel geht es um einen Konflikt, der zwischen einer zivilgesellschaftlichen Gruppe und der zuständigen Verwaltungsstelle verläuft. Auf der einen Seite sind engagierte Bürger_innen, die sich für Erhalt und Pflege einer öffentlichen Grünfläche engagieren, zugleich aber fordern, die dort verweilenden Alkoholiker_innen de facto zu vertreiben. Dabei verfolgt eine bildungsbürgerlich-artikulationsstarke Gruppe ihre eigenen Interessen, die vermutlich sogar von vielen Anwohner_innen

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geteilt wird. Gleichwohl ist es eine explizite Haltung von den verantwortlichen politisch-administrativen Akteur_innen in Hannover, dort keine Maßnahmen zur Vertreibung einer Nutzer_innengruppe zu dulden oder zu unterstützten. Hier tritt eine sehr liberale Weltanschauung zu Tage, welche bei ähnlichen Konflikten auch in Düsseldorf von den Verwaltungsakteur_innen vertreten wird. Dort wird z.B. von Nachbar_innen immer wieder gefordert, Spiel- und Sport­flächen in öffentlichen Grünanlagen in ihrer Nutzung zeitlich einzuschränken, um die Lärmbelästigung durch Kinder und Jugendliche zu reduzieren. Derartigen Forderungen wird von Seiten zuständigen Verwaltungsstellen allerdings nicht entsprochen, sondern den sich beschwerenden Anwohner_innen vermittelt, »dass es auch andere Bedürfnisse gibt« (DV4) und versucht, derartige Interessenkonflikte »irgendwie aus[zu]tarieren« (DV2). Dieses »Austarieren« umschreibt dabei eine Rolle und ein Selbstverständnis vieler Planer_innen, im öffentlichen Interesse zu handeln und Aushandlungsprozesse möglichst in Richtung eines größtmöglichen Konsenses zu steuern, auch wenn dieser weder moralphilosophisch gerecht noch praktisch realisierbar erscheint (vgl. Kap 2., Lennon 2016, Huning 2015, Özmen 2014). Praktische Hürden resultieren vor allem in der ungleichen Verteilung sozialer, finanzieller und politischer Ressourcen zwischen den unterschiedlichen Akteur_innengruppen (vgl. Siebel 2009, Selle 2007, Reuter 2000). Der institutionelle Handlungsspielraum Die institutionellen Handlungsspielräume sind sowohl in Düsseldorf als auch in Hannover durch grundsätzlich offene und unterstützende Haltungen der zuständigen politischen Gremien und Verwaltungsstellen gegenüber Gemeinschaftsgärten gekennzeichnet. Dies ist in beiden Städten unter anderem auf lebendige Traditionen in der kooperativen Stadtgrün-Entwicklung und ein Selbstverständnis als »Gartenstadt« (Düsseldorf) bzw. als »Stadt der Gärten« (Hannover) zurückzuführen. So werden in beiden Städten seit Anfang der 1980er Jahre zivilgesellschaftliche Akteure aktiv in die Stadtgrün-Entwicklung eingebunden und z.B. die Bepflanzung von Baumscheiben gefördert (LHH 2013; LHD 70/6/2010), weshalb bis heute keine Konflikte um »Guerilla Gardening« in diesem Bereich zu beobachten sind. Auch darüber hinaus werden Bottom-up-Initiativen unterstützt bzw. mit zivilgesellschaftlichen Gruppen (wie Freundeskreisen für Parkanlagen, sozialen und ökologischen Projekten in öffentlichen Grünanlagen) traditionell kooperativ zusammengearbeitet und dies auf neue Formen (wie Gemeinschaftsgärten) übertragen, »weil natürlich jeder kleine Beitrag eben auch ein Beitrag ist. Und in der Masse macht das dann eben doch wieder etwas aus und trägt einfach dazu bei, dass die Stadt grüner ist. Und dass haben wir eben auch einfach weiter beibehalten, um eben diesem

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Beinamen von Hannover ›Stadt der Gärten‹ auch weiterhin treu zu bleiben« (HV4; vgl. Sondermann 2016a, Anna/Erben/Görtz 2010: 12, Neisser/Lange/Bartling 2006, Wolschke- Bulmahn/Gröning 1989: 763 f., Lange 1987). Spiegelt man die handlungsleitenden Denkweisen im institutionellen Handlungsspielraum der planenden Verwaltungen, wird deutlich, dass die Gemeinwohl-Orientierung sowie Fragen der rechtlichen (Ab-)Sicherung von zentraler Bedeutung für die praktische Zusammenarbeit sind. Dies wird zunächst in der Bereitstellung von Flächen offenbar: Diese sollten sich in Düsseldorf »möglichst längerfristig für eine gärtnerische Nutzung eignen, d.h. über einen längeren Zeitraum verfügbar sein und insbesondere unbelastete Böden aufweisen« (LHD 19/8/2012). Dabei kommt »auch die Umwidmung bestehender öffentlicher Grünflächen in Frage, sofern die Versorgung des jeweiligen Stadtquartiers mit öffentlichem Grün dadurch nicht beeinträchtigt wird« (ebd.). Allgemein ist der politische Auftrag an die Verwaltung »zu prüfen, wie Flächen zur Verfügung gestellt und der Versicherungsschutz für Arbeit für das Gemeinwohl gewährleistet werden können« (LHD 70/3/2014, auch: LHD 70/5/2015). Nach dem Finden geeigneter Grundstücke wird die kooperative Zusammenarbeit hinsichtlich von Nutzungsart, -dauer und -bedingungen durch das Schließen von Verträgen geregelt, formalisiert und geklärt, wer welche Rechte und Pflichten hat (LHD 70/5/2015; auch: LHH 15-0972/2013). In dieser Phase spielt die Gemeinwohl-Orientierung insofern eine Rolle, als dass vertragliche Regelungen entsprechend getroffen werden und zum Beispiel die Öffnung für die Allgemeinheit geregelt wird (HV2, HV4, HZ6, DV2, DZ1). Neben langfristigen gärtnerischen Nutzungen gibt es in beiden Städten auch temporäre Projekte, wie den »Satellitengarten am Kit« in Düsseldorf oder den »Wandergarten« in Hannover ( Sondermann 2015: 106). Bei solchen Zwischennutzungen werden »verbindliche Regelungen über die Befristung« (LHD 19/8/2012) getroffen, um eine Privatisierung öffentlicher Räume zu vermeiden, was der Gemeinwohlorientierung hinsichtlich einer allgemeinen Nutzbarkeit öffentlicher Räume widersprechen würde (vgl. HP3, HP5, HZ4). Hier wird der Grundsatz, »eine dem Wohl der Allgemeinheit dienende sozialgerechte Bodennutzung gewährleisten« gemäß des deutschen Baugesetzbuchs (§1 (5) BauGB) in den politischen und verwaltungsinternen Abwägungsprozessen berücksichtigt. Beispielhaft verdeutlicht heißt dies aus Verwaltungssicht: »Und wir sind ein bisschen empfindlich, wenn quasi öffentliche Grünflächen genutzt werden sollen, was dann so positiv dargestellt wird als gemeinschaftliches Gärtnern – ist aber nichts anderes als eine schleichende Privatisierung. Das heißt, über kurz oder lang machen

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die einen Zaun drum, machen ein Tor und das ist dann ihre Fläche. Und die wollen wir dann lieber planerisch auf dafür wirklich geeigneten und geplanten Flächen haben.« (HP1) »Das hängt von der Art der Flächennutzung […] ab. Wir können natürlich nicht ohne Ende auf diese Art öffentliche Grünflächen quasi so teilprivatisieren. Weil dann sind die dann irgendwann der öffentlichen Nutzung entzogen und das geht ja auch nicht, das dürfen wir dann auch gar nicht« (HP4).

Hier wird deutlich, wie die Gemeinwohl-Orientierung den institutionellen Handlungsspielraum der Verwaltung beeinflusst und dass freie Zugänglichkeit und Nutzbarkeit öffentlicher Räume als Prämissen gelten (s.a. Kap. 2 und 3). Folglich werden auch Urban Gardening-Projekte zeitlich begrenzt oder sogar – im Sinne pluralistischer gesellschaftlicher Interessen einer breiteren Allgemeinheit – untersagt. Neben den politisch-rechtlich gesetzten Rahmenbedingungen sind auch finanzielle Ressourcen von Bedeutung für die Handlungsmöglichkeiten der Verwaltungen. Diese müssen »viel stärker auf die Kosten achten […] und auf die Umsetzung ihrer Pflichtprojekte«, weshalb »das Korsett […] für die Verwaltung auch viel enger geworden« (DV2) ist. Trotz einer traditionellen Aufgeschlossenheit und unterstützenden Haltung gegenüber zivilgesellschaftlichen Grünprojekten (s.a.4.2) sehen sich die betrachteten Verwaltungen damit konfrontiert, angesichts eingeschränkter Ressourcen Prioritäten zu setzen: »Die Erwartungshaltung an das, was Verwaltung leisten kann, nicht nur personell, sondern auch finanziell, ist häufig zu hoch. Also die Budgets sind ja eh schon immer eher knapp und natürlich kann man sagen: Wir sind rechtlich dazu verpflichtet Parkbänke zu erhalten. Aber auch das ist – wie überall – ein Abwägungsprozess: Ist es wichtiger, eine Parkbank zu erhalten oder dafür zu sorgen, dass nicht eine Schaukel zusammenbricht? […] Da stößt sich dann manchmal das Interesse von Bürgern ein bisschen mit dem der Stadt (HV4).«

An diesem Beispiel wird noch einmal deutlich, wie der rechtliche Auftrag der Verwaltung in Relation mit der Gemeinwohl-Orientierung dazu führt, dass es angesichts knapper Budgets ein schwieriges Ringen ist, gerechte Entscheidungen zu treffen und finanzielle Ressourcen entsprechend einzusetzen. Dabei ist die Mittelverfügbarkeit auch von politischen Entscheidungen zu deren Einsatz abhängig (DV4). Trotz finanzieller Grenzen zeigte sich in den konkret betrachteten Gemeinschaftsgärten, dass die Verwaltung Finanzierungsmöglichkeiten finden konnte, beispielsweise aus Integrationsfonds (LHH 1825/2012), durch Stadtratsbeschlüsse zum Einsatz von Sondermitteln (HV5) oder das Bund- und Länderprogramm

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»Soziale Stadt« (LHD 2009). Hieran zeigt sich wiederum, wie die Praxis von den zu Grunde liegenden Denkweisen der jeweils beteiligten Akteure abhängt (s.a. 4.2) und dass auch finanzielle Hürden überwunden werden können, wenn es eine »Kultur des Miteinander« gibt, welche im nächsten Abschnitt eingehender in ihrer Entstehung und ihren Merkmalen betrachtet wird. Auf dem Weg zu einer »Kultur des Miteinander« Aus Sicht zivilgesellschaftlicher Akteure braucht es in der kooperativen Zusammenarbeit mit der Verwaltung »so eine Annäherungsphase, dass die Leute einen einschätzen können – ›wer ist denn das, der mir gegenüber sitzt?‹. Und danach finde ich die auch eher konstruktiv und unterstützend« (HZ3). Zu den zentralen Erfahrungen seitens der erfolgreichen zivilgesellschaftlichen Initiativen gehört es, dass sie viel Unterstützung von der Verwaltung erfahren, wenn sie sich in der Zusammenarbeit »verlässlich« bzw. »zuverlässig« (HZ3) zeigen und »vieles möglich« ist, »wenn man einen guten Plan hat« (ebd.). In dieser Annäherungsphase ist eine offene und unterstützende Haltung auf beiden Seiten zu beobachten (Sondermann 2015, 2016a) sowie ein zunehmendes gegenseitiges Verständnis für die Handlungslogiken der anderen Seite. Aus Sicht eines zivilgesellschaftlichen Vereines in Hannover, der mehrere Gartenprojekte koordiniert, stellt sich das beispielsweise so dar: »Ich sage mal, die ›normalen‹ Bewohner im Stadtteil, die haben ja keine Ahnung wie Verwaltung funktioniert. Und wenn man dann sagt: ›Ich hätte gerne einen Garten‹, dass das dann auch mal zwei Jahre dauern kann bis man alles geprüft hat, bis man Bodenuntersuchungen gemacht hat, bis man Genehmigungen hat, dann mit anderen Fachbereichen abstimmt – das dauert ja manchmal. Und das ist halt auch schwer zu verstehen und dafür ist auch der [Verein] da, um auch mal so die Sicht der Verwaltung im Stadtteil zu vertreten, also dass man sagt: ›die bemühen sich, die sind da dran, aber die müssen eben noch... ‹« (HZ3).

Die handlungsleitenden Denkweisen sind zugleich Ausgangspunkt und Ergebnis praktischer Zusammenarbeit: So können sich im Laufe der Zeit auch gemeinsame Denk- und Handlungsweisen entwickeln, welche sich in den beobachteten Fallstudien als »Kultur des Miteinander« manifestieren (auch im Folgenden: Sondermann 2015, ebd. 2016b). Diese zeichnet sich aus durch • eine konstruktive, offene Haltung der beteiligten Akteure gegenüber einer kooperativen Zusammenarbeit,

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• gemeinsame Orientierungen, insbesondere am Gemeinwohl sowie an sozialen und ökologischen Zielen, • Verständnis für »andere« Denkweisen und Handlungsspielräume, • gegenseitigen Respekt und Anerkennung sowie • eine Bereitschaft zur Anpassung von organisatorischen Strukturen und Verfahrensweisen. In den aktuellen Ausprägungen dieser Merkmale unterscheiden sich Düsseldorf und Hannover augenscheinlich zwar nur geringfügig voneinander, da in beiden Städten die Zusammenarbeit heute sehr gut funktioniert. Unterschiede bestehen allerdings hinsichtlich der Frage, wer ein Teil dieser Kultur ist und wer nicht: Während sie in Düsseldorf auf Verwaltungsseite von drei Ämtern (Garten-, Umwelt- und Stadtplanungsamt) getragen wird, ist in Hannover lediglich ein Fachbereich (Umwelt und Stadtgrün) beteiligt (vgl. auch im Folgenden: Sondermann 2016). Zudem unterscheiden sich die Städte hinsichtlich der Lernprozesse, welche in Hannover analog zur zivilgesellschaftlichen Gemeinschaftsgarten-Bewegung rund drei Jahre früher einsetzen als in Düsseldorf. Entsprechende Anpassungen von organisatorischen Strukturen (z.B. eine_n zentrale_n Ansprechpartner_in) und Verfahrensweisen (z.B. zum Schließen von Pachtverträgen) wurden dabei ebenfalls später vollzogen, sind aber heute de facto gleich. Die (tradierte) Offenheit des Düsseldorfer Gartenamts gegenüber zivilgesellschaftlichem Engagement zeigt sich in einem kooperativem Aufgaben- und Rollenverständnisses der Verwaltung. Dieses entwickelte sich in den 1980er Jahren aus praktischen Erfahrungen der Zusammenarbeit zivilgesellschaftlicher und administrativer Akteur_innen heraus (vgl. 4.3), herrscht bis heute vor (vgl. DV4) und wurde von einem Mitarbeiter des Düsseldorfer Gartenamts damals so formuliert: »Die bewusste Zusammenarbeit des Garten-, Friedhofs- und Forstamtes mit dem Bürger und die Einführung unbürokratischer Abstimmungen und Verfahrensweisen sind in den verschiedenen Bereichen der privaten Wohnumfeldverbesserung erfolgreich. […] Der Ruf nach Grün und Unterstützung sollte immer vom Bürger ausgehen – Aufgabe der Verwaltung ist es, schnell und kooperativ zu reagieren« (Lange 1987: 243).

Eine derart kooperative Zusammenarbeit aller beteiligten Akteure ist eine Grundvoraussetzung für die Entwicklung gemeinschaftlicher Organisationsformen und demokratischer Aushandlungsprozesse im Sinne eines »Commoning« (s.a. Kap 1, 2 und Beiträge von Eizenberg, Rosol und Viehoff/Follmann in diesem Band).

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Dieses »Commoning« bleibt dabei, zumindest in den betrachteten Fällen, nicht auf die zivilgesellschaftlichen Akteur_innen beschränkt, sondern umfasst eben auch die staatlichen Akteur_innen im Sinne einer »Kultur des Miteinander«.

Diskussion und Fazit: Gemeinschaftsgärten, Gemeinwohl und Gerechtigkeit In der empirischen Untersuchung konnte gezeigt werden, dass das Gemeinwohl in mehrfacher Hinsicht die planerische Aushandlung zur Nutzung von Räumen durch Gemeinschaftsgartenprojekte bestimmt: Als handlungsleitende Denkweise spiegelt sich die Gemeinwohl-Orientierung in Kommunikationsprozessen und Konflikten wider (vgl. 4.2): Konkret wirksam ist sie dabei vor allem bei planerischen Abwägungsprozessen im Spiegel des institutionellen Handlungsspielraums – insbesondere in Hinblick auf die Zugänglichkeit und Nutzbarkeit öffentlicher Räume (s.a. 2, 4.3). Schließlich ist die Gemeinwohl­orientierung ein zentrales Merkmal einer »Kultur des Miteinander«, wenn sie als gemeinsame Denkweise zivilgesellschaftlicher und politisch-administra­tiver deren Handeln leitet (s.a. 4.2, 4.4). Dies zeigt sich in der Praxis dann, wenn Gartenprojekte in ihrer Gemein­nützigkeit (z.B. als nachbarschaftliche, soziale, Bildungs- und Integrations-Projekte) anerkannt und dementsprechend planerisch und finanziell unterstützt werden (s.a. 4.2 und 4.3). Die Merkmale bzw. ihre Anerkennung als Gemeingüter ist dabei nicht immer gleich und per se gegeben, sondern wird immer wieder projektspezifisch verhandelt – insbesondere in Hinblick auf das Kontinuum ihrer privaten und öffentlichen Funktion (vgl. Kap. 2; Abb. 1). Mit anderen Worten: »Was privat oder öffentlich ist oder sein soll, ist […] immer Ergebnis eines Prozesses sozialer Meinungsbildung und politischer Entscheidungsfindung« (Moss/Gudermann/Röhring 2009: 37)3.

3 Dies lässt sich beispielsweise daran erkennen, dass es ein Nebeneinander an dauerhaft und temporär angelegten Gärten gibt: Dauerhafte Gartenprojekte entstehen an Orten, die von den planenden Verwaltungen als geeignet erachtet werden. Temporäre Gärten hingegen gibt es überall im Stadtgebiet, auch auf öffentlichen Plätzen, allerdings werden sie mit Verweis auf eine de facto Privatisierung ebendieser Räume von vornherein zeitlich befristet (vgl. 4.3, Sondermann 2015). Dies führt uns zur zweiten Diskussionsfrage wie sich die Aushandlung des Gemeinwohls in den beobachteten lokalen Planungskulturen widerspiegelt.

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Ob und inwieweit Gemeinschaftsgärten eine der Allgemeinheit gegenüber gerechte Raumnutzung – also von öffentlichem Interesse – sind, muss also immer wieder ausgehandelt werden (s.a. 4.2, 4.3): Aus planerischer Sicht können zwar zentrale Merkmale (wie Zugänglichkeit und Nutzbarkeit öffentlicher Grundstücke) gefunden und benannt werden. Allerdings ist in jedem spezifischen Fall zu diskutieren, wie die Zugänglichkeit geregelt, die Nutzbarkeit ausgestaltet und wie Gemeinwohl von den beteiligten Akteuren in den gegebenen Kontexten jeweils gedeutet wird. Dabei bleibt uns das »stetige, auch leidenschaftliche, aber […] im Wesentlichen durch Gründe und Argumente vollzogene Ringen um das normativ Richtige […] gerade in pluralistischen Gesellschaften nicht erspart« (Özmen 2014: 135). Den Rahmen dieser Aushandlungen bilden dabei • der jeweilige Handlungskontext (insbesondere gesellschaftliche Normen und Werte oder auch ethische Traditionen im Handlungsfeld räumlicher Planung, vgl. Lennon 2016) und • die jeweilige Handlungssituation (welcher Raum soll wie und durch wen genutzt werden?). In diesem Sinne gibt es nie eine normativ richtige Antwort auf die Fragen inwieweit Gemeinschaftsgärten – und andere Formen der Raumnutzung – dem Gemeinwohl dienen, von öffentlichem Interesse sind und eine allgemein gerechte Raumnutzung darstellen. Gleichwohl gibt es einen normativ guten Weg, der im bewussten, intensiven und fallspezifischen Aushandeln dieser Fragen zwischen zivilgesellschaftlichen und politisch-administrativen Akteuren besteht – und neue »Kulturen des Miteinander« hervorbringen kann.

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Das Politische eines Gemeinschaftsgartens – NeuLand in Köln als Experimentierort für urban commoning? Valérie Viehoff, Alexander Follmann

Einleitung »Guerilla Gardening« klingt rebellisch, subversiv und immanent politisch – und ist es oftmals auch (vgl. u.a. von der Haide/Halder/Mees/Jahnke 2011, Reynolds 2008). Im Gegensatz dazu hört sich »Gemeinschaftsgarten« oder »Community Gardening« eher brav, bieder, bürgerlich und fast schon konservativ an – was es teilweise auch ist, aber nicht immer und nicht überall. Das typische Guerilla Gardening oder Community Gardening gibt es ohnehin nicht, denn jedes Gartenprojekt ist anders. Die Übergänge sind zudem fließend. Nach unserem Verständnis können diese beiden Phänomene des Urban Gardening (wie viele andere) jedoch explizit politisch sein, wenn sie sich für eine ökologischere, sozial gerechtere oder radikal andere Stadt einsetzen. Die gärtnerischen Aktivitäten und deren Wirkungen sind allerdings nicht frei von Widersprüchen (Certoma/Tornaghi 2015, McClintock 2014). Am Beispiel des Kölner Gemeinschaftsgartens NeuLand und seiner Entwicklung vom Guerilla Gardening zum Gemeinschaftsgarten mit Privatbeeten diskutiert dieser Beitrag das Politische beim Gärtnern und die damit verbundenen Widersprüchlichkeiten mit einem besonderen Fokus auf Gemeinschaftsgärten als Experimentierorte für urban commoning. Mit Bezug auf einen Recht auf Stadt-Diskurs, der im weitesten Sinne auf Lefebvre zurückgeht, sehen wir das Politische des urbanen Gärtnerns darin, die gesellschaftliche Raumproduktion und die Entscheidungsgewalt darüber wieder in die Hände der Stadtbewohner_innen zu legen – sowohl politisch-diskursiv jenseits bestehender

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Partizipationsmöglichkeiten in der Stadtentwicklung als auch physisch-materiell hinsichtlich der Aneignung, Gestaltung und Selbstverwaltung städtischen Raums (Lefebvre 1991; s.a. Beitrag Haderer in diesem Band). Das Experimentieren mit urban commons betrachten wir insofern als Ausdruck der Suche der Gärtner_innen nach Alternativen jenseits von staatlicher und privatwirtschaftlicher Organisation sowie zusätzlich zu bestehenden Möglichkeiten der demokratischen Mitbestimmung.1

Gemeinschaftsgärten als Experimentierorte für urban commoning und ihr Verhältnis zur neoliberalen Stadt Urban Gardening und neoliberale Stadtentwicklung Während Urban Gardening-Initiativen oft als Protest gegen die ökonomisch dominierte Stadtentwicklung angesehen (u.a. Müller 2012, Werner 2011) oder sogar als eine explizite neue politische Bewegung interpretiert werden (u.a. Certoma/Tornaghi 2015), sehen andere die Gefahr, dass diese Initiativen freiwillig oder unfreiwillig zur Implementierung und Stabilisierung neoliberaler Ziele instrumentalisiert werden können (vgl. McClintock 2014, s.a. Beitrag Rosol in diesem Band). Auch hat der Urban Gardening-Hype dazu geführt, dass Politik und Stadtverwaltung Gemeinschaftsgärten ganz bewusst als Aufwertungsstrategie für benachteiligte Stadtteile implementieren und das ehrenamtliche Engagement in den Gärten als Ausgleich für wegfallende Leistungen des Staates im Sinne eines Outsourcing fördern (vgl. Rosol 2012, 2010; McClintock 2014, BBSR 2004). Hierbei stellt sich die Frage, welche Rolle – intendiert oder nicht – Gartenprojekte in Bezug auf die Immobilienentwicklung (Voicu/Been 2008) und den Prozess der (ökologischen) Gentrifizierung gerade in benachteiligten Stadtteilen spielen (Dooling 2009, Quastel 2009). Das Phänomen Gemeinschaftsgarten scheint zudem oftmals in einem unklaren oder sogar widersprüchlichen Verhältnis zu dem dichotomen Verständnis von öffentlichem und privatem Raum zu stehen. Während Gemeinschaftsgärten in öffentlichen Grünanlagen gegebenenfalls als (Teil-)Privatisierung öffentlichen Raums

1 Eine detaillierte Diskussion des Politischen im Urban Gardening findet sich z.B. in der Sondernummer der Zeitschrift Local Environment (2015, Vol. 20, No. 10) zum Thema Political Gardening.

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durch bestimmte Bevölkerungsgruppen betrachtet werden (vgl. Othengrafen/ Sondermann 2015; s.a. die Beiträge von Ernwein, Exner/Schützenberger und Sondermann in diesem Band), so machen andere Gartenprojekte vormals nicht zugängliche Brachflächen und Grundstücke (im privaten oder öffentlichen Besitz) erst öffentlich zugänglich (z.B. Crossan/Cumbers/McMaster/Shaw 2016). Hierbei sind die Übergänge fließend und auch die Motive der Akteur_innen können sich selbst innerhalb eines Gartenprojekts unterscheiden (Follmann/Viehoff 2015). Die zeitliche Dimension – v.a. die Temporalität vieler Gartenprojekte als Zwischennutzungen – sowie der jeweilige aktuelle Status der Projekte (gesicherte Nutzungsdauer durch Vertrag, Duldung, etc.) beeinflussen sowohl die von den Gärten ausgehenden Wirkungen als auch deren Wahrnehmung durch die Öffentlichkeit, Medien, Verwaltung und Politik. Insbesondere die Transformation der Gärten von einer Zwischennutzung zu einer Dauernutzung (siehe z.B. Prinzessinnengärten in Berlin) bringt viele Widersprüchlichkeiten sowohl der neoliberalen Stadtentwicklungsprozesse als auch der Projekte zum Vorschein. Deutlich unterscheiden sich die Gartenprojekte auch in Hinblick auf ihre Gründungsgeschichten und Ziele. Ist das Hauptanliegen das Gärtnern, die Produktion von Nahrungsmitteln, die Aufwertung einer Brachfläche, die Förderung des Zusammengehörigkeitsgefühls, Protest gegen eine geplante zukünftige Nutzung des Geländes oder ein politischer Akt gegen bestehende Systeme der Lebensmittelproduktion, der Stadtplanung oder der Immobilienspekulation? Mit anderen Worten, wo liegt das Politische in den Gartenprojekten? Insgesamt erscheint die Beziehung zwischen Urban Gardening-Projekten und neoliberaler Stadtentwicklung komplex und ambivalent (s.a. Beitrag Rosol in diesem Band). Auf der einen Seite steht das transformative Potential der Gärten das Empowerment zu fördern und (Frei-)Räume zu schaffen, um die Grundsätze der neoliberalen Stadtplanung zu kritisieren oder sogar, wie im Fall der urban commons, real existierende Alternativen auszuprobieren. Auf der anderen Seite steht die Instrumentalisierung der Gartenprojekte zur Durchsetzung neoliberaler Ziele und zur Erziehung »neoliberaler Identitäten« (Barron 2016) oder die (unfreiwillige) Rolle der Gartenprojekte als Lückenfüller, um die negativen Effekte der immer stärker reduzierten staatlichen (Sozial-)Leistungen abzufedern. Neoliberalismus darf dabei nicht als ein einheitliches Programm verstanden werden, sondern ist als ein kontinuierlicher Umstrukturierungsprozess zu verstehen, der sich aus unzähligen, vom historischen und geographischen Kontext abhängigen, sowohl in der Theorie als auch in der Praxis oft widersprüchlichen neoliberalisierenden Prozessen zusammensetzt (Harvey 2005, Brenner/Theodore 2002). Die unterschiedlichen Roll back-, Roll out- und

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Roll with it-Neoliberalisierungsprozesse mit ihren jeweiligen Governanceformen (z.B. Keil 2009, Peck/Tickell 2002) haben auch in Deutschland erhebliche Auswirkungen auf die Stadt (Rosol 2012, 2010; Holm 2006, Mayer 1996). Begleitet werden die Neoliberalisierungsprozesse durch die Schaffung von neoliberalen Subjektivitäten, d.h. eines Selbstverständnisses, das geprägt ist durch eine konsumfokussierte Geisteshaltung, eine breite Akzeptanz des Abbaus sozial- und wohlfahrtsstaatlicher Verantwortlichkeiten und einen Glauben an (neoliberale) Ideale und Tugenden, wie Individualismus, freie Wahl, Unternehmer_innengeist und Selbstverantwortung (Barron 2016: 5). Wie das Kölner Projekt NeuLand sich im Kontext dieser paradoxen neoliberalen Prozesse positioniert, sie durch die Schaffung eines real existierenden Commons konterkariert und dabei versucht, sich mit einem expliziten emanzipatorischen Anspruch in aktuelle Prozesse der Stadtentwicklung einzubringen, soll im Folgenden dargelegt werden. Gemeinschaftsgärten, Gemeingüter und commons Gemeinschaftsgärten werden immer häufiger als Vorreiter, Modelle oder Experimente für neue Formen eines städtischen Gemeinguts (Commons, Allmende) interpretiert (z.B. Barron 2016, Follmann/Viehoff 2015, Eizenberg 2012, Tornaghi 2012). Durch das Kreieren von real existierenden Formen (urbaner) Allmenden (Eizenberg 2012) zeigen sie praktisch und theoretisch neue Wege auf, wie eine gerechtere und nachhaltigere Stadt gedacht und geschaffen werden könnte. Da sich die Allmende jenseits von Markt und Staat verortet (Helfrich/ Heinrich-Böll-Stiftung 2012, 2009; Hardt/Negri 2009), bietet sie eine neue Perspektive für ein Raumverständnis und die Organisation städtischer Räume jenseits der Dichotomie öffentlich/privat. Darüberhinaus ermöglicht die Betrachtung der Begrenzung bzw. Einhegung der Allmende (im Sinne des englischen Ausdrucks »enclosure«) einen anderen Blick auf die Aufwertungs- und Privatisierungspotentiale von Gartenprojekten sowie deren Gefahren. Die Idee der Allmende ist keineswegs neu. In unterschiedlichen Gesellschaften war eine gemeinschaftliche Nutzung und Verwaltung von Ressourcen wie Wasser, Wald oder (Weide-)Land traditionell verankert und existiert teilweise noch heute. Basis dafür waren und sind immer gemeinschaftlich ausgehandelte Regeln und nicht, wie von Garret Hardin (1969) proklamiert, ein unreglementiertes Ausbeuten der Ressourcen. Die »Wiederentdeckung der Commons« (Helfrich/Heinrich-Böll-Stiftung 2009) beruft sich neben den historischen Beispielen auf real existierende Allmenden, z.B. Freeware-Software oder Wikipedia. Auch diese digitalen Allmenden funktionieren nicht ohne Regeln, wie das Beispiel der Creative Commons-Lizenzen verdeutlicht (Siefkes 2009). Regeln

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sollen Commons vor privater Aneignung und Ausbeutung schützen und einen gerechten Zugang sichern. Dabei wird den Commons transformatives Potential im Hinblick auf neue bzw. andere Sozialbeziehungen und auf Gemeinschaftlichkeit in einer ansonsten marktwirtschaftlich dominierten, neoliberalen Gesellschaft (Helfrich/Bollier 2012, McCarthy 2005) wie auch ein Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung (von Winterfeld/Biesecker/Katz/Best 2012) und zu kultureller und ökologischer Resilienz (Colding/Barthel 2013) zugeschrieben. Im Zusammenhang damit wird gemeinschaftliche Verwaltung als dritter Weg jenseits von Markt und Staat als umsetzbar und effektiv propagiert (Ostrom 1990). Das Transformationspotential der Commons im urbanen Kontext betonen u.a. David Harvey (2012, 2011) oder Paul Chatterton (2010). Auf der Suche nach räumlicher Gerechtigkeit (siehe »spatial justice« nach Soja 2010) sieht Chatterton (2010: 626) die Commons sowohl als das politisch Imaginäre und dessen Vokabular als auch als materielles Bestreben und organisatorisches Werkzeug. Spatial justice kann demnach nur erreicht werden, wenn das Potential der Commons in der Stadt ausgeschöpft wird bzw. wenn die Stadt als Ganzes als urban commons verstanden und durch die bewusste Schaffung und Pflege einzelner, kleinerer Commons gegen eine fortschreitende Privatisierung und Kommodifizierung der Stadt im Sinne kapitalistischer und neoliberaler Logik verteidigt wird (Harvey 2012: 80, 2011: 103). Andernfalls drohe die Gefahr, dass real existierende Commons durch die Macht des Kapitals eingehegt, zweckentfremdet und letztlich zerstört werden – und mit ihnen die Stadt als Commons als Ganzes endgültig verschwinde (Harvey 2011: 105). Andere weisen jedoch auf die Gefahr hin, dass Commons nicht immer kapitalismuskritisch sind, sondern als »Plan B« systemstabilisierende Funktionen haben und das System vor seinen »durch den Neoliberalismus entfesselten selbszerstörerischen, totalitären Tendenzen« bewahren (Caffentzis 2010: 23; vgl. Exner 2015). Interessanterweise werden Gemeinschaftsgärten in der kritischen Stadt­ forschung zu Commons relativ häufig als Beispiele erwähnt (Colomb 2012, Harvey 2012, Chatterton 2010) und auch die Commons-Literatur im engeren Sinn verweist auf Gartenprojekte (Siefkes 2009). Eine theoretisch-konzeptionelle Auseinandersetzung mit konkreten Fallbespielen bietet Efrat Eizenbergs Arbeit zu Gemeinschaftsgärten in New York, die gerade auf die Widersprüchlichkeiten und die Mehrdimensionalität der Gartenprojekte als Commons eingeht (Eizenberg 2012, 2013 und hier im Band; vgl. Beitrag Rosol). Aufbauend auf Eizenbergs Verständnis von real existierenden urban commons diskutiert dieser Beitrag am Fallbeispiel Kölner NeuLand, inwieweit Gartenprojekte

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in der Lage sein können, green commons als tatsächlich (er-)lebbare Alternative zur neoliberalen Stadtentwicklung zu propagieren und zu demonstrieren. Welchen Beitrag können commons-basierte Gemeinschaftsgärten dabei zur Aktivierung der lokalen Bevölkerung für Fragen der Stadtentwicklung im Sinne von Lefebvres Recht auf Stadt haben? Wie wirken sich potentielle Widersprüche auf die tagtägliche Organisation der Gärten aus und wie beeinflussen diese die Rolle der Gartenprojekte als neue Akteure in der Stadtentwicklung? Dabei beschäftigt sich der Beitrag auch mit der schwierigen Frage, ob stadtentwicklungspolitisch motivierte Gartenprojekte wie NeuLand ein Element der post-politischen (Swyngedouw 2013, 2009; Mouffe 2005) bzw. post-demokratischen (Crouch 2004) Stadt darstellen und Gefahr laufen, eben jenen Bevölkerungsgruppen eine einflussreichere Stimme zu verleihen, die ohnehin ihre Interessen nachdrücklich und eloquent vertreten können (s.a. den Beitrag von Exner/Schützenberger in diesem Band). Der Beitrag ist das Ergebnis eines intensiven Dialogs zwischen den beiden Autor_innen basierend auf der Analyse der empirischen Ergebnisse aus teilnehmender Beobachtung, Interviews mit NeuLändern_innen und einer Medienanalyse (NeuLand-Blog, Lokalzeitungen, Veröffentlichungen des Kölner Stadtrats usw.), wobei Alexander Follmann als NeuLand-Mitglied die Innensicht vertritt und Valérie Viehoff als wiederkehrende Besucherin des Gartens die Außensicht.

Gemeinschaftsgarten Kölner NeuLand Der Kölner NeuLand e.V. betreibt den mobilen, jederzeit öffentlich zugänglichen Gemeinschaftsgarten seit März 2012 auf einer ca. 8.000 Quadratmeter großen ehemaligen Brachfläche im Süden Kölns (vgl. Karte 1). In der Saison 2016 bewirtschafteten knapp 100 Gärtner_innen rund 400 mobile Pflanzkisten. Im Folgenden wird die Entstehung des Gartens vorgestellt, seine Organisation und Bewirtschaftung als Allmende erläutert und schließlich der Einfluss von NeuLand über den Garten hinaus diskutiert.

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Karte 1: Lage Gemeinschaftsgarten „Kölner Neuland“ im Stadtgebiet

Die Entstehung des Gartens im Kontext der Stadtentwicklung im Kölner Süden Die Entstehungsgeschichte des NeuLand-Gartens ist eng verknüpft mit der jüngeren Geschichte des Grundstücks, den aktuellen Stadtentwicklungsprozessen sowie dem in unmittelbarer Nähe liegenden städtebaulichen Großprojekt Rheinauhafen, das 2014 fertiggestellt wurde. Seit den späten 1990ern befindet sich das Gebiet am Rande der Kölner Südstadt (gründerzeitliche Stadterweiterung), das lange Zeit von Gewerbe, Industrie und Verkehrsinfrastruktur dominiert und nur relativ dünn besiedelt war, in einer Umbruchsphase. Mittelfristig soll das in der Stadtentwicklungsplanung vormals als Entwicklungskonzept Südliche Innenstadt-Erweiterung (ESIE) und nun als Parkstadt Süd bezeichnete Areal zu einem neuen, relativ hochverdichteten Stadtteil mit 26 Hektar neuen Grünanlagen umgebaut werden. Dabei soll der Innere Grüngürtel bis an den Rhein herangeführt werden (Stadt Köln 2016).

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Karte 2: Stadtentwicklungsgebiet Parkstadt Süd mit Gemeinschaftsgarten „Kölner Neuland“

Als im Sommer 2011 rund 150 Menschen dem Aufruf zweier Journalistinnen folgten, die damals seit drei Jahren brachliegende Fläche, die später der NeuLand-Garten werden sollte, im Rahmen eines Flash Mob zu bepflanzen, war die zukünftige Entwicklung des Grundstücks sowie des Stadtteils jedoch noch ungewiss. In dieser Zeit kam es zu Grundstückspekulationen und -transaktionen, in deren Verlauf Tochterfirmen der Immobiliengruppe BAUWENS Grundstücke kurzfristig aufkauften und dann mit einer Preissteigerung von 43,8% (Verkaufspreis 79,88 Mio. Euro) an den Bau- und Liegenschaftsbetrieb (BLB) des Landes NRW veräußerten (Landesrechnungshof NRW 2014: 4, siehe Karte 2). Die Unregelmäßigkeiten, personellen Verknüpfungen und engen Beziehungen zwischen Wirtschaft und Verwaltung, z.B. in Bezug auf dieses Brachland, aber auch bei der Erarbeitung des städtebaulichen Masterplans für Köln2, kamen unter anderem

2 Der Städtebauliche Masterplan Innenstadt Köln wurde vom Architekturbüro Albert Speer & Partner erarbeitet und am 5.5.2009 vom Rat der Stadt Köln angenommen. Die Liste der Sponsor_innen für den Masterplan umfasst viele einflussreiche Unternehmen der Region (http://www.masterplan-koeln.de/Sponsoren.sponsoren.0.html).

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durch Recherchen lokal ansässiger Journalist_innen an die Öffentlichkeit.3 Nach ihren negativen Erfahrungen mit mangelnder Bürger_innenbeteiligung im Rahmen des Rheinauhafenprojektes wollten die Journalist_innen mit dem Garten ein Zeichen setzen für bürger_innenschaftliches Engagement und gleichzeitig einen Akteur schaffen, der über das Gärtnern als raumaneignende Praxis auf sich aufmerksam macht und so von Seiten der Politik und Verwaltung ernst genommen und frühzeitig in die Planungen einbezogen wird. Die Organisation und Bewirtschaftung des NeuLand-Gartens als urbane Allmende Nach der Guerilla Gardening-Aktion im Sommer 2011 traf sich eine kleinere Gruppe regelmäßig auf der Fläche und entwickelte die Idee für einen mobilen Gemeinschaftsgarten. Sieben Aktive gründeten im Juli 2011 den Verein Kölner NeuLand e.V., um eine rechtliche Organisationsform zu finden, auf deren Basis ein Zwischennutzungsvertrag mit dem BLB für die Fläche geschlossen werden konnte. Die Gruppe lud mit Flyern und über soziale Medien im Oktober 2011 zu einem »offenen Planungsworkshop« ein, der Ideen für eine Zwischennutzung der Brache sammelte, die anschließend von Architekturstudierenden der FH Köln in einen Zwischennutzungsplan gefasst wurden. Gerüstet mit diesem Konzept leistete der Verein viel Lobbyarbeit auf politischer Ebene und überzeugte den BLB schließlich, dem Verein das Grundstück unentgeldlich, jedoch gegen eine Bürgschaft von 20.000 Euro für den potentiellen Rückbau, zu überlassen. Der eigentliche Startschuss fiel im März 2012 mit der Abdeckung des Geländes mit Tennissand (Auflage des Umweltamts auf Grund befürchteter Altlasten) und dem Aufstellen der ersten 100 Pflanzkisten aus Euro-Paletten. Seitdem entstanden auf dem Gelände über 400 Pflanzkisten, eine Workshop-Küche, zwei Gewächshäuser und eine Vielzahl an Projekten und Aktionen. Die Finanzierung erfolgte über Spenden, Einnahmen aus Festen sowie Förderungen der Stiftungs­ gemeinschaft anstiftung & ertomis, des KlimaKreis Köln sowie der Bürger­ stiftung Köln. Hervorzuheben sind hierbei die 189.000 Euro des KlimaKreis Köln im Zeitraum Juli 2012 bis Juli 2015, die durch Freiwilligenarbeit gegenfinanziert werden mussten und die Kosten für einen Vollzeit-Gartenkoordinator vor Ort (bis

3 Hohengarten, Dorothea & Wassily Nemitz, 2012. Chronologie eines dubiosen Geschäfts. In: Meine Südstadt. http://www.meinesuedstadt.de/dombrauerei-brache-und-fhumzug/chronologie-eines-dubiosen-gesch%C3%A4fts 28/04/2012 (letzter Zugriff: 27. April 2016).

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Ende 2014), Teilzeitkräfte für die Buchhaltung und die Öffentlichkeitsarbeit, regelmäßige Workshops sowie eine Teilfinanzierung für die Workshop-Küche und andere Infrastruktur abdeckten (Follmann/Viehoff 2015). Der ausgeprägte Allmende-Gedanken – sowohl im Sinn einer Wissens-­Allmende als auch im Hinblick auf eine gemeinschaftliche Bewirtschaftung des Gartens – wurde in der Vergangenheit von vielen Beteiligten als Alleinstellungsmerkmal des Gartens genannt (Follmann/Viehoff 2015: 1153). In den ersten Jahren (2012-2014) wurden alle Beetkisten (Ausnahme: Gruppenbeete von Schulklassen) gemeinschaftlich bewirtschaftet. Es gab keine privaten Beete. Die Entscheidung darüber, was wo angebaut wurde, übernahm eine Arbeitsgruppe, die auf Basis eines Fruchtwechselsystems Vorschläge für jede Beetkiste machte. Für die Ernte gab es keine festen Regeln – teilweise wurde das Gemüse bei Treffen verteilt, bei Festen verarbeitet, oder die Gärtner_innen bedienten sich. Ärger über die Verteilung gab es nie, lediglich die Ernte durch Nicht-Aktive verärgerte die Aktiven hin und wieder. Der Gemüsediebstahl wurde jedoch von der Mehrheit (wie auch Schäden durch Vandalismus) als »Preis« für die gewollte Offenheit – räumlich und metaphorisch – des Gartens verstanden. Von Beginn an wurde großer Wert auf die basisdemokratische Organisation des Gartens gelegt. Während sich der Vereinsvorstand federführend um die Abwicklung der Förderungen kümmert(e), werden alle weiteren Entscheidungen gemeinschaftlich und meistens im Konsens bei den regelmäßig stattfindenden öffentlichen »Orga-Treffen« gefällt. Die Teilnehmer_innenzahl der Treffen schwankt zwischen fünf und 25, wobei die Kerngruppe von rund acht bis zehn regelmäßig Anwesenden fast ausnahmslos aus Vereinsmitgliedern besteht. Dank der professionellen Öffentlichkeitsarbeit und vieler Aktionen und Feste vergrößerte die NeuLand-Community sich beständig, online (Januar 2013: gut 1.500 »likes« bei Facebook, im April 2016: knapp 3.800) und in der Praxis (ca. 40-50 regelmäßige Gärtner_innen im Jahr 2013). Im Sommer 2014 wuchs der Garten jedoch vielen Beteiligten über den Kopf, viele Beetkisten waren nicht bestellt und das regelmäßige Gießen4 wurde zu einer unlösbaren Aufgabe. Nach einem Erfahungsaustausch beim deutschlandweiten Urban Gardening Camp in Nürnberg und angesichts der vermehrten Anfrage nach Privatbeeten wurde schließlich auf einer außerordentlichen Vereinssitzung im Herbst 2014 ein duales Beetkistensystem beschlossen:

4 Neben Regenwassersammeltonnen nutzt NeuLand auch Leitungswasser, das ebenso wie die Stromversorgung aus dem laufenden Budget bezahlt wird.

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»Der NeuLand-Garten wird in überschaubare Verantwortungsbereiche aufgeteilt. NeuLänder und Neulinge gärtnern in Kisten für den Eigenbedarf. Im Gegenzug verpflichten sie sich, Allmendekisten für die Allgemeinheit zu bewirtschaften. Das Gärtnern erfolgt weiterhin nach den Regeln des ökologischen Landbaus und richtet sich nach dem […] aufgestellten Pflanzplan. Für jede Kiste erheben wir eine noch festzulegende symbolische Miete für die Nutzung von Wasser, Strom und vorhandenen Gerätschaften.« (Anzug aus dem Beschlussprotokoll der außerordentlichen Mitgliederversammlung am 11.9.2014). 5

Innerhalb des Vereins gab es jedoch konträre Ansichten sowohl zur Praxis als auch zur Theorie eines Allmendegartens. Auf der einen Seite wurde argumentiert, dass die Bewirtschaftung des Gartens zwar reformbedürftig sei, aber der Garten nicht das Allmendeprinzip zu Gunsten von Privatbeeten aufgeben sollte, weil die vorhandenen Probleme nicht in den Gemeinschaftsbeeten zu suchen seien, sondern es vielmehr an Regeln und Koordination der Allmende-Bewirtschaftung mangele. Auf der anderen Seite argumentierten die Befürworter_innen der Neuausrichtung jedoch, dass die Einführung von Privatbeeten eine pragmatische Lösung darstelle und keineswegs im Widerspruch zur Allmende stehe: »Allmende mit Individualgärtnern zu kombinieren heißt aus unserer Sicht nicht Abschied von Allmende. NeuLand würde dem Konzept nach ein Allmendegarten bleiben. Auch zukünftig würden wir Produktionsmittel und Ressourcen […] teilen. Der Großteil der Beete würde weiterhin im Sinne der Gemeinschaft bewirtschaftet. Die Gemeinschaft würde über Schwerpunkte der Gartenarbeit und Ausrichtung entscheiden. Es würde weiterhin gemeinsam gegärtnert, geerntet, gekocht, gefeiert. […] Im Übrigen gibt es auch in der klassischen Allmende durchaus individuelle Bewirtschaftung.« (E-Mail Vereinsvorstand an Mitglieder am 9.9.2014)

Der Start in die erste Saison (2015) unter dem dualen Beetkistensystem verlief holprig, da einige der rund 50 Neu-Gärtner_innen aus unterschiedlichen Gründen (u.a. fehlende Zeit, mangelnde Betreuung, Ernteklau) ihre Beete nicht pflegten bzw. sich nicht an Gemeinschaftsarbeiten beteiligten. Für die Saison 2016 wurden mehr als 60 Neuanmeldungen verzeichnet und knapp 90 Beetkisten werden als Privatbeete bewirtschaftet. Im Hinblick auf die Zahl der aktiven Gärtner_innen deutet sich also eine positive Wirkung an, inwiefern und wie die Neu-Gärtner_innen

5 Symbolische Miete pro Privatbeet von 24 Euro, pro Person; maximal zwei private Beetkisten, plus mindestens die gleiche Anzahl an obligatorischen Allmendekisten.

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jedoch den Allmendegedanken durch die vorgeschriebene Bewirtschaftung der Gemeinschaftsbeete verinnerlichen bleibt abzuwarten und wird von den Beteiligten unterschiedlich eingeschätzt. Der Einfluss NeuLands über den Garten hinaus Neben der Organisation des Gartens als urban commons war es von Anfang an ein Ziel der Initiator_innen sich aktiv in die Planungen für den neuen Stadtteil Parkstadt Süd einzubringen. NeuLand organisierte neben gärtnerischen Workshops auch Diskussionsveranstaltungen, z.B. zu Gentrifizierung, den ESIE-Planungen oder Cohousing-Konzepten. Eine Informationsveranstaltung zu Geschichte und Zukunft des Areals im Februar 2013 führte zum Zusammenschluss von zehn Initiativen – darunter NeuLand – und Einzelpersonen zum Bürgernetzwerk südliche Innenstadterweiterung (BÜSIE), das sich gegen die Pläne des BLB wandte, dort den Neubau des Kölner Justizzentrums zu realisieren. NeuLand trug so zur Entstehung eines breitangelegten Bürger_innen-Netzwerks bei, das nach der Verhinderung des Justizzentrums bestehen blieb und sich für »eine frühzeitige, durchgängige und umfassende Bürgerbeteiligung« einsetzte.6 Im Jahr 2015 nahmen etwa acht der aktiven NeuLand-Gärtner_innen regelmäßig an den Bürger_innenbeteiligungs-Veranstaltungen zum Kooperativen Planungsverfahren Parkstadt Süd (Stadt Köln 2016) teil und warben für die Integration von Gemeinschaftsgärten und Aspekten einer »essbaren Stadt« in den neu entstehenden Stadtteil. Langfristig ist es das Ziel der NeuLand-Gärtner_innen mit ihrem Projekt Teil des neuen Grüngürtels zu werden. In unterschiedlicher Form integrierten alle fünf beteiligten Planungsteams den Gemeinschaftsgarten in ihre Planungen für die Parkstadt Süd. Im Hinblick auf die Ergebnisse des Kooperativen Planungsverfahren bemängelt der Verein in seinem Blog jedoch: »Wir erkennen kaum Ansätze von alledem wieder, was wir und andere Initiativen in dem monatelangen Bürgerbeteiligungsprozess gefordert haben.«7

6 »Planen mit den Bürgern«, Positionspapier des Bürger_innen-Netzwerks (http://www. buesie.de/positionspapier/). Alle Mitglieder des Netzwerks finden sich unter www. buesie.de. 7 Http://www.neuland-koeln.de/parkstadtsued-stand-der-dinge/.

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Green commoning in der Praxis Als relativ junger Allmendegarten kann NeuLand als ein Experiment mit alternativen Formen der Stadtentwicklung und als ein »new urban commons in the making« angesehen werden (Follmann/Viehoff 2015). Da es für die Implementierung und Organisation eines solchen urbanen green commons wenige Vorbilder gibt, seine Organisationsprinzipien weder denen eines privaten Gartens noch denen eines öffentlichen Parks entsprechen und zudem der dominierenden neoliberalen »Gewinnlogik« widersprechen (Helfrich/Heinrich-Böll-Stiftung 2012), haben sich die NeuLänder_innen in einem kontinuierlichen Lern- und Entwicklungsprozess mit zahlreichen Problemen des green commoning auseinandersetzen müssen, von denen im Folgenden zwei Bereiche herausgestellt werden sollen. Der erste Konflikt besteht zwischen einer notwendigen Eingrenzung (»enclosure«) der Allmende einerseits (Matisoff/Noonan 2012, Harvey 2011, Ostrom 1990) und dem Selbstanspruch der Initiator_innen, einen offenen und integrativen Raum schaffen zu wollen andererseits. Zwar wird den Gärten regelmäßig zugeschrieben, dass sie Gemeinschafts- und Zugehörigkeitsgefühle fördern und Nachbarschaftskohäsion stärken (u.a. BBSR 2015, Firth/Maye/Pearson 2011), es bleibt dabei jedoch oft unklar, wie offen bzw. integrationsfördernd diese Gemeinschaften sind bzw. wer zu dieser Gemeinschaft Zutritt hat (s. dazu Beitrag von Exner/Schützenberger in diesem Band). Das Design der Commons (Ostrom 1990) sowie die Durchlässigkeit der »Grenze«, die die Commons schützend umgibt und abgrenzt, spielen eine entscheidende Rolle für das Integrationspotential. Der zweite Konfliktbereich ergibt sich aus den vielfältigen Berührungspunkten der real existierenden Allmende NeuLand mit den nach neoliberalen Prinzipien organisierten rechtlichen, sozialen und stadtplanerischen Rahmenbedingungen. NeuLand zwischen Abgrenzung und Integration? Da jedes Commons eine Gemeinschaft von commoners braucht, die sich um die Verwaltung und Pflege kümmern (Helfrich/Heinrich-Böll-Stiftung 2012, De Angelis 2007), und diese »Verantwortungs-Gemeinschaft« in irgendeiner Form definiert werden muss, kann eine Grenzziehung als Voraussetzung eines Commons angesehen werden. Bei Ressourcen mit begrenzter Verfügbarkeit und rivalisierenden Nutzer_innen ist zum Erhalt des Commons eventuell sogar der Ausschluss von Außenstehenden notwendig. Die Kernfrage, mit der sich die NeuLänder_innen auseinandersetzen müssen, lautet dann: Wie können gemeinschaftliche Regeln für urban commons aufgestellt werden, sodass der Schutz

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der Commons (z.B. auch vor »Outsiders« oder Ernteklau) sichergestellt ist und gleichzeitig »Outsiders« motiviert werden, Teil der Gemeinschaft zu werden und das Commons mitzugestalten? Von der ersten per Facebook organisierten Guerilla Gardening-Aktion an war klar, dass das Projekt dank der Journalist_innen an Bord Zugriff auf die notwendige fachliche PR-Expertise und lokale Netzwerke hatte, um dem Projekt einen hohen Bekannheitsgrad zu verschaffen. Die Tatsache, dass die Kommunikation vor allem über Social Media-Kanäle und Mundpropaganda lief, führte jedoch zu einer gewissen Selbstselektion der Aktiven, die sich größtenteils aus gut ausgebildeten Bürger_innen der Mittelklasse rekrutierten. Der Erfolg anderer Werbeaktionen, z.B. mit Postern und Flyern in der Nachbarschaft, war gering. Daneben stellten vermutlich auch inhaltliche Aspekte – wie z.B. die Priorisierung stadt- und bildungspolitischer Ziele und die Betonung des Allmendeprinzips ohne private Beete – eine Hemmschwelle dar. Im Gegensatz zum expliziten Fokus vieler innerstädtischer Community/ Neighbour­hood Gardens oder food justice projects in den USA, die Versorgung der Bevölkerung mit frischen Lebensmitteln direkt zu verbessern und die Ernährungspolitik der Städte neu zu gestalten (McClintock 2014, Ghose/Pettygrove 2014) sowie im Gegensatz zur expliziten Zielvorgabe in europäischen Kleingärten, Obst und Gemüse zum Eigenbedarf anzubauen (Miller 2015), lag der Fokus bei NeuLand nicht primär auf der Produktion und der Ernte, sondern vielmehr auf dem Demonstrationscharakter als ökologischer Gemeinschaftsgarten, dem Angebot an kostenlosen Kursen, dem Experimentieren mit verschiedenen Formen der Garten- und Wissensallmende und eben dem politischen Statement, dass eine andere Stadt möglich sei. Es lässt sich vermuten, dass diese Prioritätensetzung nicht den Bedürfnissen sozial benachteiligter potentieller Gärtner_innen entsprach, die eventuell aus pragmatischen bzw. existentiell-finanziellen Gründen eher den Anbau von Obst und Gemüse zum Eigenverzehr über die Teilnahme an sozial-politischen oder stadtplanerischen Experimenten priorisieren würden. Untermauert wird diese Hypothese durch die steigenden Zahlen der aktiven Gärtner_innen (auch mit Migrationshintergrund) seit der Einführung von Privatbeeten. Insofern erschien die rein commons-basierte Organisation des Gartens vielen Bewohner_innen aus den angrenzenden Stadtteilen als fremd – im Hinblick auf die Diskussion bezüglich der Einbettung in die neoliberale Stadt gegebenenfalls sogar als systemfremd, weil anders – und für viele Besucher_innen als nicht verständlich, nachdem etwas für andere gesät oder gepflanzt werden soll. Hierdurch entstand eine quasi natürliche Eintrittsbarriere, die die Gartenallmende schützte, weil nur Menschen beim Projekt mitgemacht haben, die sich mit ihren

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Bedürfnissen innerhalb des Allmendegedankens wiederfanden und hieraus eine Motivation zogen, dieses urban green commons mitzugestalten. Die Organisationsstruktur des Gartenprojektes als eingetragener Verein war eine bewusste Entscheidung der Gründer_innen, um die politische Agenda zu schützen. Erst nachdem die Genehmigung zur Nutzung der Fläche sichergestellt und die ersten Fördermittel eingeworben waren, wurden neue Mitglieder aufgenommen. Während das Experiment NeuLand ohne diesen anfänglichen Schutz vermutlich nie derart ambitionierte Ziele hätte festlegen können, so schwingt in diesen Schutzmaßnahmen bereits ein gewisser Zweifel an der Realisierbarkeit der von Lefebvre geforderten Partizipation und autogestion (kollektive Selbstverwaltung) mit (Lefebvre 2003b, s.a. Beitrag Haderer in diesem Band). Denn obwohl zunächst in einem offenen partizipativen Planungsworkshop Ideen gesammelt wurden, war es letztendlich die kleine Gruppe der Vereinsmitglieder, die Spielregeln für den Garten als green commons festsetzte. Es stellt sich die Frage, ob es sich hier also um eine Form der »impotenten Partizipation« (Wilson/ Swyngedouw 2014, vgl. Beitrag Haderer in diesem Band) oder eine Reduktion auf eine reine »Ideologie der Partizipation« (McCann 2002) handelte, also eine pro forma-Beteiligung ohne wahre basis-demokratische Praxis. Oder war es essentiell, das noch zarte Pflänzchen eines »commons in the making« durch verschiedene Maßnahmen und enclosures zu schützen, die, obwohl sie überhaupt erst die Existenz des commons sicherstellen, andererseits auch die »Reinheit« des commons verwässern? Auch David Harvey konzediert diese Widersprüchlichkeit und fügt hinzu, dass lokale Selbstverwaltung »actually a demand for some kind of enclosure« sei (Harvey 2012: 71) und meint: »[S]ome sort of enclosure is often the best way to preserve valued commons« (Harvey 2011: 102). NeuLand als Teil der neoliberalen Stadt Es würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen, alle Facetten der spannungsreichen Beziehung zwischen NeuLand und der neoliberalen Stadt im Detail zu beleuchten. Drei Aspekte sollen jedoch kurz betrachtet werden, da diese auch in der Literatur zu Urban Gardening oft diskutiert werden: (1) die Berührungspunkte mit den institutionellen, rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen eines nach neoliberalen Prinzipien organisierten Staates, (2) die Gefahr der Kooptierung und Domestizierung, (3) die widersprüchlichen Effekte von erfolgreichen Urban Gardening-Projekten im Kontext neoliberaler Stadtentwicklungsplanung und Gentrifizierung.

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(1) Die neoliberale Stadt als Rahmen: der Umgang mit den institutionellen, rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen Trotz seiner Entstehungsgeschichte aus einer Guerilla Gardening-Aktion handelt es sich beim Kölner NeuLand e.V. um einen eingetragenen Verein, dessen Gartennutzung rechtlich durch einen jährlich zu erneuernden Zwischennutzungsvertrag mit dem Bau- und Liegenschaftsbetrieb (BLB) des Landes NRW abgesichert ist. Auch war der Verein erfolgreich im Einwerben finanzieller Resourcen, womit regelmäßige Ausgaben, wie z.B. für Strom- und Wasserversorgung, Personal und die Bürgschaftsversicherung von 600 Euro pro Jahr finanziert werden. Dies wirft jedoch die Frage auf, ob eine solche Abhängigkeit von Fördergeldern insbesondere des von der RheinEnergie gesponserten KlimaKreis Köln den Nachhaltigkeitszielen und Commons-Prinzipien widerspricht (Follmann/Viehoff 2015). So gibt es unter den Gärtner_innen wiederkehrende Auseinandersetzungen bezüglich des schwierigen Balanceaktes, bei dem es darum geht, einerseits die notwendigen finanziellen Mittel zum Erhalt des Gartens zu generieren, aber andererseits die »Reinheit« des green commons nicht zu gefährden. Dies gilt sowohl für das Einwerben von Fördermitteln sowie den damit verbundenen Abhängigkeiten oder Gefahren des Green Washing (z.B. Annahme der Förderung des KlimaKreis Köln aus Mitteln eines Energieversorgers) als auch für die Erwirtschaftung von finanziellen Mitteln, z.B. aus der Nutzungsgebühr für individuelle Beete, dem Verkauf von Gartenerzeugnissen oder kostenpflichtigen Bildungsangeboten. Neben der Einnahmenseite gilt dies aber auch für die Ausgabenseite: So diskutieren die Gärtner_innen z.B. seit Jahren über die Zahlung von Übungsleiter_innen-Pauschalen für ehrenamtliche Bildungsangebote im Garten. Geld scheint hier stets zum Kristallisationspunkt der Konflikte zu werden, da es symbolisch als pars pro toto für eine auf Konsum ausgerichtete, neoliberale Gesellschaftsordnung steht, die unter anderem auf dem Prinzip fußt, dass etwas – inklusive Arbeitsleistungen – erst dadurch wertvoll wird, dass es einen (in Geld) messbaren (Tausch-)Wert zugewiesen bekommt. Diese Grundannahmen lehnen die Gärtnernden mehrheitlich ab. Andererseits müssen sie sich jedoch mit dieser real existierenden Alltagswelt arrangieren, in der Geld allgegenwärtig und notwendig ist – auch z.B. um gesellschaftskritische Projekte zu finanzieren. Die Realisierung egalitärer und basisdemokratischer Prinzipen in der Organisation der urbanen Allmende wird dadurch erschwert, dass die Gärtner_innen sich als Körperschaft eines eingetragenen Vereins organisatorisch nach dem deutschen Vereinsrecht richten müssen, das z.B. keine hierarchielose Basisdemokratie, sondern einen gewählten Vorstand vorsieht. Die NeuLand-Gärtner_innen sind dadurch in Zirkel unterschiedlicher Beteiligungsintensität, aber auch mit

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einem abnehmenden Ausmaß an Entscheidungsgewalt, Mitspracherechten und Haftung gegliedert. In der Zeit der Förderung durch den KlimaKreis hatte der Garten zudem einen Vollzeitangestellten und bis zu vier Teilzeitangestellte8, was zur Unterteilung in bezahlte und ehrenamtliche Tätigkeiten führte. Diese Beispiele zeigen, dass ein commons-basierter Gemeinschaftsgarten innerhalb der existierenden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen existieren muss, und, wie Helfrich/Bollier (2012: 22-23) argumentieren, in diesem Spannungsverhältnis »sein transformatives Potential [immer wieder neu] behaupten muss«. (2) Die neoliberale Stadt als Gefahr: Kooptierung und Domestizierung Einerseits als systemkritisch, subversiv und gemeinschaftsförderned gepriesen, wird Urban Gardening andererseits auch als system­stabilisierend und individualismusfördernd kritisiert. Insbesondere wenn der Fokus der Gartenprojekte auf der Nahrungsmittelproduktion, der Grünflächenpflege oder der Viertel-Verschönerung liegt, wird kritisiert, dass das Resultat – trotz vermeintlich entgegen gesetzter Intentionen – letztendlich neoliberal sein kann (McClintock 2014, Rosol 2012). Im Fall von NeuLand stellen sich beispielsweise Fragen nach der Rolle der Gärtner_innen als ehrenamtliche Dienstleister_innen, die Aufgaben der kom­ munalen Grün­flächenpflege abdecken, naturnahe Bildungs­aufgaben übernehmen und ein unternehmerisches DIY-Selbstverständnis im Sinne neo­liberaler Subjektivitäten fördern (Barron 2016). Obwohl Dezentralisation und Devolution, Reduktion des Verwaltungs­ apparates usw. als stärkere Mitbestimmung und freie Wahl verkauft werden, erklärt Harvey: »Decentralization and autonomy are primary vehicles for producing greater inequality through neoliberalization« (Harvey 2012: 83). So lässt sich schwer verneinen, dass durch die unzähligen Stunden ehrenamtlicher Arbeit, die die NeuLänder_innen in den Garten investiert haben, ein öffentlicher Raum entstanden ist, der zur Verbesserung der Lebensqualität in der Nachbarschaft beiträgt. In gewisser Weise machen die NeuLänder_innen die Stadt durch ihr Engagement attraktiver und erledigen dabei Dienst-, Sozial- und »Grünleistungen«. Durch die Übernahme solcher Aufgaben besteht die Gefahr, unfreiwillig und indirekt »Flankierungsmaßnahmen« ins Werk zu setzen, die das neoliberalen System absichern statt es zu destabilieren (McClintock 2014: 155, Jessop 2002; vgl. Rosol 2012, 2010).

8 Teilweise als Selbstständige.

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Während Pudup (2008: 1229) Gartenprojekte in San Francisco als »spaces of neoliberal governmentality« – d.h. als Räume, die als Selbsthilfe zur Anpassung an den Strukturwandel und die damit einhergehenden sozialen Verwerfungen fungieren und die Verantwortung damit umzugehen individualisieren – kritisiert, erscheint es unwahrscheinlich, dass NeuLand unfreiwillig eine neoliberale governmentality propagiert oder neoliberale Tugenden wie z.B. Gewinnmaximierung fördert. Dazu sind die Überzeugungen der Gärtner_innen gerade vor dem Hintergrund der Betonung der Allmende und der stadtentwicklungspolitischen Ziele sowie die Vereinsstatuten mit zu großer Ausdrücklichkeit auf das Entwickeln einer solidarischen, egalitären, fairen und nachhaltigen Gesellschaft ausgerichtet. (3) Die neoliberale Stadt als Realität: widersprüchliche Effekte von erfolgreichen Urban Gardening-Projekten Obwohl dies von den NeuLänder_innen in ihrem Fall nicht als direkt relevant eingeschätzt wird, so werden in vielen Fällen doch die Ausstrahleffekte von Gemeinschaftsgärten in Bezug auf Immobilienwertsteigerung und Gentrifizierungprozesse als problematisch angesehen. Auf den Garten-Treffen wurde oft diskutiert, welche Zielkonflikte mit der Forderung nach einem möglichst breiten Grüngürtel und einer großen Zahl an Gemeinschaftsgärten in den Quartieren einhergehen. Den Gärtner_innen ist bewusst, dass Ziele wie möglichst viel essbares Grün und bezahlbarer Wohnraum für alle nicht konfliktfrei realisierbar sind. Jedoch steht außer Frage, dass schon die innenstadtnahe Lage, hohe Grundstückskosten und der neue Grüngürtel (sowie dessen Finanizierung) den Bau hochpreisiger Wohnund Gewerbeimmobilien bedingen werden. Damit stellt sich für die Beteiligten die Frage, wie sie mit diesem Konflikt umgehen sollen ohne den Druck auf die (Frei-)Flächen und Immobilienpreise weiter zu erhöhen. Aus unserer Sicht sind beim Experimentieren mit neuen Formen von urban commons Ausstrahleffekte unvermeidbar – egal ob das Gartenprojekt in einem benachteiligten Stadtteil oder wie bei der Parkstadt Süd in einem komplett neugeplanten Stadtteil liegt. Wir verstehen diese Effekte als eine Zwickmühle im Sinne der von Staeheli, Mitchell und Gibson (2002) beschriebenen »conflicting rights to the city« (vgl. auch Schmelzkopf 2002), da Gemeinschaftsgärten als green commons nicht nur die Logik des Tauschwerts (exchange value) zu Gunsten des Gebrauchswerts (use value) für die Fläche des Gartenprojekts ändern (McClintock 2014), sondern der use value der Projekte auch den exchange value der angrenzenden Grundstücke positiv beinflusst. Diese Widersprüchlichkeit liegt also nicht in den Gartenprojekten selbst, sondern vielmehr in der Realität der neoliberalen Logik aktueller Stadtentwicklungsplanung begründet, die es scheinbar

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weitestgehend aufgegeben hat den Markt so zu regulieren, dass green commons ihre transformativen Kräfte entfalten können, ohne dass diese kapitalistisch abgeschöpft werden können. Commons-basierte Gartenprojekte und neoliberale Stadtentwicklung Angesichts der oft als paradox und widersprüchlich beschriebenen Prozesse, aus denen sich der Neoliberalismus zusammensetzt (Harvey 2005, Brenner/Theodore 2002), sollte es nicht verwundern, dass sich auch in den unterschiedlichen Formen des Urban Gardening viele dieser Widersprüche widerspiegeln. McClintock (2014) ebenso wie Rosol (s.a. Beitrag Rosol in diesem Band) kommen daher zu dem Schluss, dass urbane Gartenprojekte sowohl radikal als auch neoliberal seien und sich dies in gegensätzlichen Prozessen auf unterschiedlichen Ebenen in dialektischer Form manifestiere. So war der Gemeinschaftsgarten NeuLand zwar äußerst erfolgreich darin, durch kreative Formen der Raumaneignung ein Recht auf Stadt einzufordern – und zwar nicht nur als Recht auf »einen Nichtausschluss von städtischen Ressourcen und Dienstleistungen« (Holm 2011: 96), sondern auch als Recht auf die Beteiligung an der Entwicklung alternativer Visionen für eine demokratischere, gerechtere, grünere und nachhaltigere Stadt der Zukunft. Die NeuLand-­Gärtner_innen vertreten im Planungsprozess zur Parkstadt Süd jedoch ihre Interessen, nicht die Interessen aller. Sie bemühen sich allerdings über ihre Angebote möglichst viele Menschen aller Bevölkerungsschichten anzusprechen und das Interesse an den Stadtentwicklungsprozessen über das Gärtnern zu wecken. Die teilweise »Aufweichung« des Allmendeprinzips mit dem Ziel wirklich alle zu erreichen erscheint diesbezüglich als ein nachvollziehbarer Weg.9 Denn wenn es Gemeinschaftsgartenprojekten trotz größter Offenheit, intensiver Bemühungen und obwohl sich die beteiligten researcher-gardeners-environmentalists der Problematik bewusst sind – wie beispielsweise von Tornaghi/Van Dyck (2015) für das Projekt »Buslingthorpe Walk edible public garden« in Leeds, England, beschrieben – nicht gelingt, breite Schichten aus den umliegenden Stadtteilen für die Projekte zu begeistern bzw. langfristig in die »Kerngruppe« zu integrieren, dann drohen diese Projekte trotz hehrer Ideale entweder für die

9 Rosol beschreibt einen ähnlichen Prozess für den Interkulturellen Garten Perivoli in Berlin (Rosol 2006: 191-193).

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Durchsetzung neoliberaler Stadtentwicklungsziele instrumentalisiert zu werden oder aber »als Lifestyle-Revolte von Mittelschichtsangehörigen zu versanden« (Holm 2011: 97). Trotz dieses Risikos und der angeführten Kritik schafft NeuLand neue städtische und imaginäre Räume, um alternative Stadtentwicklungskonzepte zu denken und zu testen. Was als Guerilla Gardening begann, ist schließlich im Jahr 2016 zu einem vielseitig genutzten Treffpunkt nicht nur für Garteninteressierte geworden. Während sich der Fokus im Laufe der Zeit einerseits durch die Einführung von Privatbeeten von der Idee der reinen Gartenallmende entfernt hat, haben sich andererseits zahlreiche neue, offene und ungeplante Formen der gemeinschaftlichen Raumnutzung entwickelt. So dienen ein Weidenzweigtunnel und ein kleines Lehmhäuschen als Kinderspielplatz und ein großer Hügel als Liegewiese. Das Gelände wird zudem von einer Reihe anderer Initiativen mitgenutzt. Ein Container beherbergt die Kölner faradgang, eine Fahrradwerkstatt für Flüchtlinge, die Küche wird für Kochworkshops genutzt, in einer Ecke des Gartens hat der Bildung.Bauen e.V. den traditionellen Wellerlehmbau für den Bau einer Schule in Nicaragua geübt, der Stadtbienen e.V. bietet Imkereikurse auf dem Gelände und die so genannte Glasjurte, gebaut in Kooperation mit der Zug um Zug Beschäftigung und Qualifizierung gGmbH, dient als Treffpunkt und Veranstaltungsraum für Garten-Workshops, aber auch für Informationsveranstaltungen zur Stadtentwicklung. Fragen nach Grenzziehung und Integration müssen also nicht nur in Bezug auf das Gärtnern in privaten oder gemeinschaftlichen Pflanzkisten gestellt werden, sondern den gesamten – jederzeit öffentlich zugänglichen – Raum und seine vielfältigen Nutzungen und die kreative Gestaltung durch unterschiedliche Gruppen einbeziehen. Besonderheiten und theoretischer Beitrag der green commons Einer der Kerngedanken bei der Gründung NeuLands war, eine offene Form zu finden, in der die Widersprüche zwischen den Utopien einer gerechten und nachhaltigen Stadt und der gesellschaftlichen Realität sowie der Stadtplanung (in Köln) ausgehandelt werden können. Wichtig ist daher, nicht nur das Ergebnis, sondern auch die Prozesse, z.B. der gemeinschaftlichen Wissensproduktion und Regelfindung, zu betrachten. Dabei geht es nicht nur um Gartenfachwissen, sondern auch darum die Erfahrungen, Aushandlungsprozesse und eventuellen Fehler und Misserfolge in Bezug auf die stadtentwicklungspolitischen Ambitionen und das Experiment eines green commons zu dokumentieren. Das Besondere an der Konzeptualisierung der Gartenprojekte als green commons ist insofern das prozessuale Verständnis der commons in the making, denn »Gemeingüter sind nicht,

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sie werden gemacht« (Helfrich/Heinrich-Böll-Stiftung 2012: 85). Das heißt, ein Gartenprojekt als commons kann nie losgelöst von den commoners, den Menschen, die die Commons schaffen, und dem Prozess des commoning betrachtet werden. So hat z.B. das von den commoners innerhalb der Gartengemeinschaft generierte Wissen, wie von Eizenberg für die Community Gardens in New York City beschrieben, eine doppelte Bedeutung: »[it] is both a collective resource for protecting the commons and a mechanism that defines, shapes, and produces the commons« (Eizenberg 2012: 778). Zwar hat in den Community Gardens in New York City eine explizite (Re)Politisierung erst stattgefunden als die Existenz der Gärten bedroht war, wohingegen die NeuLand-Gärtner_innen sich von Beginn an als politische Aktivist_innen verstanden haben. Die gemeinschaftlichen Lernprozesse in Bezug auf politische Aktionen, Bürger_innenbeteiligung, place making und das Experimentieren mit Commons als Alternative zur neoliberalen Stadt sind jedoch vergleichbar. Insofern liegt der theoretische Mehrwert der Konzeptionalisierung der Gartenprojekte als green commons auch darin begründet, dass sie als (temporäre) Schutzräume verstanden werden sollten, in denen commons in the making wachsen und gedeihen können. Gleichzeitig hilft ein solches Verständnis, die Transformation der New Yorker Gärtner_innen zu Aktivist_innen besser zu begreifen – eine Transformation, die eventuell auch für die anfangs weniger politisch engagierten »Neu-NeuLänder_innen« zu erwarten ist, wenn die Existenz des Projekts bedroht ist (Follmann/Viehoff 2015). Zum Schutz dieser commons in the making kann zudem, so Harvey (2012: 79), enclosure als ein »temporary political means« notwendig sein, um ein »common political end« zu erreichen.

Fazit Obwohl als Guerilla Gardening-Aktion gestartet, hat der Gemeinschaftsgarten NeuLand nicht den für viele Gärten typischen Verlauf genommen, der dadurch gekennzeichnet ist, dass die Gartenprojekte durch Kapital-Rückzug und Dis­ investment entstandene Restflächen aufwerten, diese und ihre Nachbarschaft dadurch wieder für privates Kapital interessant machen und letztendlich von diesem verdrängt werden oder sich dieser Verdrängung entgegen stellen. Im Falle des NeuLand-Gartens wählten die Initiator_innen hingegen bewusst eine Fläche, bei der die kapitalistisch-neoliberale Verwertungslogik in Form von Grundstücksspekulation bereits offensichtlich und die explizite Kritik daran der Kristallisationspunkt der Gartengründung war. Insofern kann NeuLand als Beispiel für einen neuen Typ des »political gardening« gelten (Certomà/Tornaghi 2015, Follmann/Viehoff 2015),

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deren Initiator_innen das Urban Gardening nutzen, um einen neuen zivilgesellschaftlichen Akteur zu kreieren, der sich aktiv in die Stadtentwicklung einbringt – sowohl materiell über das Gärtnern als raumaneignende Praxis als auch diskursiv über die Bürger_innenbeteiligung sowie informelle Lobbyarbeit auf unterschiedlichen Ebenen. Explizit politische Urban Gardening-Initiativen können daher auch so interpretiert werden, dass sie, statt sich mit den für post-demokratische Gesellschaften als typisch beschriebenen informellen Arrangements zwischen (Stadt-)Regierungen und wirtschaftlichen und politischen Eliten abzufinden und sich resigniert aus der Politik und Stadtplanung zurückzuziehen (Werner 2011, Crouch 2004), kreativ neue Akteure schaffen, die versuchen existierende Hegemonien zu demontieren und eine neue, gegen-­hegemoniale Vorstellung von Stadt zu entwickeln (Purcell 2013: 560). Als die NeuLand-Gärtner_innen im Sommer 2012 die Anlieferung der ersten Kubikmeter roten Tennissandes zur Abdeckung des zukünftigen Gartens bejubelten und somit eine Art »Grundsteinlegung« feierten, konnte niemand absehen, wie sich das Projekt eines urban green commons entwicklen würde. Eine versuchsweise Bilanz nach gut vier Jahren könnte auf Grund unterschiedlicher Bewertungsmöglichkeiten sowohl als Erfolgsgeschichte als auch als gescheiterter Traum beschrieben werden: • NeuLand als Erfolgsgeschichte: Als nach drei Jahren der Gemeinschaftsgarten dem Scheitern nahe schien, wurde relativ undogmatisch und pragmatisch die Definition der urbanen Allmende NeuLand angepasst. Fünf Jahre nach der Gründung von NeuLand ist die Nachfrage nach Pflanzkisten so groß, dass es eine Warteliste für die Zuteilung gibt. Die Zukunft des mobilen Gemeinschaftsgartens scheint gesichert, denn laut derzeitigem Planungsstand soll NeuLand irgendwo in der neuen Parkstadt Süd wieder einen Platz finden, entweder als Zwischennutzung oder gar mit der Chance feste Wurzeln zu schlagen. • NeuLand als geplatzter Traum: Der Traum eines »reinen« Allmendegartens ist gescheitert. Auf der derzeitigen NeuLand-Fläche wird Wohnbebauung entstehen. Tausende von unbezahlten Arbeitsstunden der Gärtner_innen haben nur etwas Ephemeres geschaffen, das in kürzester Zeit zerstört werden kann. Obwohl NeuLand-Aktivist_innen sich aktiv in die Stadtplanung eingemischt und für eine grünere Stadt (z.B. Integration von essbarem Grün) mit partizipativen Anteilen (z.B. in der Gestaltung der öffentlichen Parkflächen) und Gemeinguteinflüssen (z.B. Erbpacht) geworben haben, findet sich von all diesen Anregungen kaum etwas in den Plänen für die neue Parkstadt Süd wieder.

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Darüberhinaus spricht sich die Kommunalpolitik in Köln pauschal gegen Gemeinschaftsgärten auf öffentlichen Grünflächen aus (Stadt Köln, Ausschuss für Umwelt und Grün 2016); der Traum der NeuLänder_innen, Teil des inneren Grüngürtels zu werden, scheint geplatzt. Bei der Beurteilung dieser widersprüchlichen Ergebnisse lässt sich festhalten, dass die Erwartungen an gemeinschaftliche Gartenprojekte oft überzogen und unrealistisch sind (McClintock 2014: 166), wenn diese in relativ kurzer Zeit als Zwischennutzungen »soziale, integrative, kommunikative, bildungsrelevante, gesundheitliche, ökologische sowie klimatische und damit für die Quartiersentwicklung relevante Wirkungen« (BBSR 2015) entfalten sollen und darüberhinaus auch noch bürger_innenschaftliches Interesse an der Stadtentwicklung steigern und das Recht auf Stadt für alle einfordern sollen. In einer Gesellschaft in der politische und zivilgesellschaftliche Partizipation ungleich verteilt ist (Böhnke 2011) sowie »der städtische Rahmen grundlegend – und vielleicht unwiderruflich – von einer durch und durch postpolitischen und postdemokratischen Ordnung verändert wurde« (Swyngedouw 2013: 141-142), können die letztgenannten Ziele, die darauf abzielen, dass alle im Sinne Lefebvres an der gesellschaftlichen Raumproduktion in der Stadt mitwirken, nur langfristig durch gesellschaftlichen Wandel einhergehend mit Druck auf Politik und Verwaltung erreicht werden. Urbane Gartenprojekte wie NeuLand können hierbei (nur) ein Baustein eines inkrementellen Prozesses sein. In Stadtentwicklungsprozessen können sie jedoch zu wichtigen Kristallisationskernen für Vorstellungen einer anderen Stadt(entwicklung) und deren Bühne werden (vgl. Hilbrandt 2016 zur Rolle der Pionierprojekte auf dem Tempelhofer Feld in Berlin). Die Widersprüchlichkeiten, zwischen denen sich das urban green commons NeuLand aufspannt, nämlich zwischen der radikalen Kapitalismuskritik und Auswirkungen, die den Neoliberalismus stützen, sollten zudem nicht verwundern, da auch der Neoliberalismus selbst, durch die dem Kapitalismus eigene Dialektik von Zerstörung und Aufbau, durch widersprüchliche und oft umkämpfte Prozesse charakterisiert ist. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass NeuLand als real existierendes urban green commons innerhalb einer neoliberalen Hegemonie Widersprüchlichkeiten aufwirft. Trotz dieser Widerspüchlichkeiten zeigen Gartenprojekte wie NeuLand, dass es möglich und notwendig ist, Commons als Alternativen zur derzeitigen hegemonialen, neoliberalen, post-demokratischen Stadt(-Planung) (Michel/Roskamm 2014) zu denken und mit ihnen zu experimentieren, um eine gerechtere, grünere und nachhaltigere Stadt zuschaffen. Denn erst durch die raumaneignende Praxis des urban green commoning entstand ein

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zivilgesellschaftlicher Akteur, der nicht nur eine andere Stadt(-entwicklung) forderte, sondern bereits für alle erlebbar zeigte, wie so eine andere Stadt aussehen könnte. Dieser Beitrag hat nicht zuletzt diskutiert, wie der aus einem Bedürfnis nach politischer Beteiligung entstandene Gemeinschaftsgarten NeuLand sich sowohl durch praktische, raumwirksame Prozesse als auch durch theoretische und planungsbezogene Interventionen für ein Recht auf Stadt im Sinne Lefebvres eingesetzt hat. Der Umgang mit den aufgezeigten Widersprüchlichkeiten wird aber letztendlich darüber entscheiden, inwieweit das Politische den Garten dahingehend positiv instrumentalisieren kann oder ob die mit einer solchen Instrumentalisierung einhergehenden Widersprüchlichkeiten dazu führen, dass das Projekt von der neoliberalen Hegemonie gezähmt und kooptiert wird. Tritt Letzteres ein, hat NeuLand als commons in the making dennoch Denkanstöße geliefert, innovative Konzeptualisierungen für die zukünftige Stadtentwicklung aufgezeigt und neue, kollaborativere Formen der Stadtplanung initiiert – selbst wenn der Garten als Zwischennutzung irgendwann wieder verschwinden sollte.

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Autor_innen

Miren Artola ist Mitinitiatorin des Allmende-Kontors und im Vorstand der workstation ideenwerkstatt e.V. Efrat Eizenberg ist Assistenzprofessorin an der Fakultät für Architektur und Stadtplanung, Technion, Israel. Ihre Forschungsschwerpunkte sind urbane Natur und Landschaftswahrnehmung, gemeinschaftsbasierte Planung, Stadterneuerung, urbane Kämpfe und Raumpolitiken. Sie hat u.a. das Buch »From the Ground Up« zu Gemeinschaftsgärten in New York City veröffentlicht (2013, Ashgate). Marion Ernwein hat in Geografie promoviert, lehrt an der Universität Freiburg (Schweiz) und forscht an der Universität Oxford im Rahmen eines Stipendiums des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung. Forschungsschwerpunkt sind die Verbindungen zwischen Neoliberalismus, Umwelt und Körper. Ihr gegenwärtiges Forschungsprojekt beschäftigt sich mit affektiven Politiken und freiwilliger Umweltarbeit. Andrea*s Exner studierte Ökologie und absolviert ein PhD-Studium in Politik­ wissenschaft. Schwerpunkte sind Landnutzung, solidarische Ökonomien, Commons, Ressourcenpolitik, sozial-ökologische Transformation. In den letzten drei Jahren Forschung vor allem zu Gemeinschaftsgärten in Wien im WWTF-­ Projekt »Green Urban Commons«. Alexander Follmann hat Geographie, Städtebau und Verkehrswissenschaften in Köln, Bonn und Vancouver studiert und wurde 2015 am Geographischen Institut in Köln promoviert. Er forscht zu städtischen Umweltveränderungen im Globalen Süden und in Deutschland. Seit 2012 engagiert er sich im Kölner Gemeinschaftsgarten NeuLand.

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Margaret Haderer promovierte 2014 in Politischer Theorie am Institut für Politikwissenschaft an der University of Toronto, Kanada. Derzeit arbeitet sie als Lektorin an der Universität Wien. Ihre zentralen Forschungsinteressen sind die Wechselbeziehungen zwischen politischen Ideologien und urbanem Lebensalltag sowie heutige Bedingungen der Möglichkeit für radikale Politik. Ella von der Haide arbeitet als wissenschaftliche Beschäftigte am Fachgebiet Freiraumplanung der Universität Kassel und forscht mit audiovisuellen Methoden in Gärten. Sie hat die fünfteilige Filmreihe »Eine andere Welt ist pflanzbar!« produziert und ist weltweit in urbanen Gärten unterwegs gewesen. Ihr Gartenaktivismus bezieht sich derzeit auf die Etablierung von Stadternährungsplanung. Severin Halder ist Geograph, Teil des Allmende-Kontors und des kollektiv orangotango. Dabei beschäftigt er sich u.a. mit Selbstorganisation, Aktions­ forschung, kritischer Kartographie und emanzipatorischer Bildung. Er promoviert und ist Mitherausgeber von »Wissen wuchern lassen« (AG Spak 2014) und »An Critical Atlas« (erscheint 2017). Nebenher gärtnert er auch gerne. Sarah Kumnig forscht und lehrt an der Universität Wien zur Neoliberalisierung des Städtischen, urbaner Landwirtschaft, lokalen Grenzpraktiken, urban Citizenship, Wohnpolitik und urbanen sozialen Bewegungen. Sie ist stadtpolitisch wie auch stadtlandwirtschaftlich aktiv in Wien. Dörte Martens ist eine von 13 Initiator_innen des Allmende-Kontors. 20092010 betreute sie den ersten interkulturellen Garten von Zürich wissenschaftlich, später initiierte sie Bildungsveranstaltungen in Berliner Gemeinschaftsgärten. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung beschäftigt sie sich mit Naturerfahrungsräumen für Kinder. Marit Rosol ist Geografin, hält den Canada Research Chair »Global Urban Studies« und arbeitet als Associate Professor am Department of Geography der University of Calgary/Canada. 2012 habilitierte sie an der Goethe-Universität Frankfurt/Main, 2006 promovierte sie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Gouvernementalität, Raum- und Gesellschaftstheorien, Kritische Stadtforschung, Critical Food Studies, Partizipation, Urban Gardening und Wohnen.

Autor_innen |

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Emma Saunders beschäftigt sich mit Geografien der Arbeit und forscht zu internationaler Gewerkschaftssolidarität. Sie macht Öffentlichkeitsarbeit für die schottische Mieter_innen-Gewerkschaft und war Wasser- und Gartenaktivistin in Paris. Sie strebt Orte, Gemeinschaften und Aktionen an, welche ermächtigend und demokratisch sind und den Status Quo herausfordern. Isabelle Schützenberger studierte Umwelt- und Bioressourcenmanagement an der BOKU Wien und Internationale Entwicklung an der Universität Wien und beschäftigte sich in den letzten drei Jahren im Rahmen des WWTF-Projekts »Green Urban Commons« mit Gemeinschafts- und Kleingärten in Wien. Martin Sondermann ist Geograf und wissenschaftlicher Referent an der Akademie für Raumforschung und Landesplanung (ARL). Er hat an der Humboldt-­ Universität zu Berlin studiert und an der Leibniz Universität Hannover promoviert. Seine Forschungsinteressen sind lokale Planungskulturen, demokratische Stadtentwicklung, räumliche und planerische Konflikte sowie Urban Gardening. Chiara Tornaghi ist wissenschaftliche Mitarbeiterin zum Thema urbane Ernährungs­souveränität und Resilienz am Centre for Agroecology, Water and Resilience, Coventry University, UK. Seit 2009 arbeitet sie als kritische Humangeografin. Ihre wissenschaftlichen wie auch aktivistischen Interessen sind urbane politische Agroökologie, Ressourcensouveränität und alternativer Urbanismus. Barbara Van Dyck ist Gärtnerin und Forscherin an der Université Libre de Bruxelles. Sie ist ausgebildet als Ingenieurin für Lebenswissenschaften und kritisch gegenüber dieser Ausbildung. Mit einem Doktorat in Sozialwissenschaften und als engagierte Bürgerin/Aktivistin gilt ihre Leidenschaft den Methoden, welche die Welt in Frage stellen und dabei disziplinäre und institutionelle Grenzen überschreiten. Valerie Viehoff ist Stadtgeografin, hat in Bonn, Mainz und Dijon studiert, in London promoviert und arbeitet zur Zeit als Post-Doc am Geographischen Institut der Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Ihre Forschungsschwerpunkte sind neoliberale Stadtentwicklung und Alternativen, Commons, Urban Gardening, Mega-Event Cities, Urban Regeneration, Environmental Justice, (Urban) Political Ecology.

Soziologie Uwe Becker Die Inklusionslüge Behinderung im flexiblen Kapitalismus 2015, 216 S., kart., 19,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-3056-5 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3056-9 EPUB: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-3056-5

Gabriele Winker Care Revolution Schritte in eine solidarische Gesellschaft 2015, 208 S., kart., 11,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-3040-4 E-Book: 10,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3040-8 EPUB: 10,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-3040-4

Johannes Angermuller, Martin Nonhoff, Eva Herschinger, Felicitas Macgilchrist, Martin Reisigl, Juliette Wedl, Daniel Wrana, Alexander Ziem (Hg.) Diskursforschung Ein interdisziplinäres Handbuch (2 Bde.) 2014, 1264 S., kart., 2 Bde. im Schuber, zahlr. Abb. 44,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-2722-0 E-Book: 44,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-2722-4

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Soziologie Silke Helfrich, Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.) Commons Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat 2014, 528 S., kart., 24,80 € (DE), ISBN 978-3-8376-2835-7 als Open-Access-Publikation kostenlos erhältlich E-Book: ISBN 978-3-8394-2835-1

Carlo Bordoni Interregnum Beyond Liquid Modernity März 2016, 136 p., 19,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-3515-7 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3515-1 EPUB: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-3515-7

Kijan Espahangizi, Sabine Hess, Juliane Karakayali, Bernd Kasparek, Simona Pagano, Mathias Rodatz, Vassilis S. Tsianos (Hg.)

movements. Journal für kritische Migrationsund Grenzregimeforschung Jg. 2, Heft 1/2016: Rassismus in der postmigrantischen Gesellschaft September 2016, 272 S., kart. 24,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-3570-6 als Open-Access-Publikation kostenlos erhältlich: www.movements-journal.org

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