Tätigkeit, Arbeit und Praxis: Grundbegriffe für eine praktische Psychologie 3593331926

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Tätigkeit, Arbeit und Praxis: Grundbegriffe für eine praktische Psychologie
 3593331926

Table of contents :
1. Subjektverhältnisse als Gegenstand der 9
psychologischen Wissenschaft und Praxis
1.1 Das Problem: Welche kategoriale Grundlage braucht eine 14
Psychologie, die auch Theorie ihrer Praxis sein kann ?
(1) Besonderheit der Psychologie 18
(2) Inhalt des Problernprozesses 20
(3) Psychologen und "Klienten" 23
1.2 Übersicht: Wie wird die Problemstellung bearbeitet ? 26
1.3 Regulation der Tätigkeit: Zur psychologischen Form 31
des Theorie-Praxis-Problems
(1) Das Problem des Wissen-Können-Übergangs 32
(2) Zur Theorie der Handlungsregulation 35
(3) Tätigkeitsregulation und Psychologentätigkeit 37
(4) Stand der Entwicklung einer praktischen Psychologie 41
1.4 Einfaches Subjektmodell und der Primat 44
der Erkenntnisproduktion
Schema 1: Einfaches Subjekt model 1 46
1.5 Verhältnisse zwischen Subjekten und ein 51
differenziertes Subjekt model 1
Schema 2: Differenziertes Subjektmodell 52
2. Der Begriff der psychologisch konkreten Funktion 58
und das "Netz der Funktionen"
als objektiver Gegenstand der Psychologie
2.1 Gegenstandsprozeß, Arbeitsprozeß, Reproduktionsprozeß 58
2.2 Die leitende Rolle des Gegenstands und die Perspektive 60
einer system-historischen Herangehensweise an die
Entwicklung der Arbeitsmittel
2.3 Konkrete Systeme als Ausgangspunkt der Untersuchung 63
2.4 Konkrete Funktion und Variabilität der Mittel 71
2.5 Die Frage nach der "höchsten konkreten Funktion" 75
der lebendigen Aktivität
5Exkurs 1: Zur sozialen Basis und Funktion
des analytischen Systemdenkens
Schema 3: Analytischer Systemabschluß
und isolierende Naturbeherrschung
81
78
2.6 Die Systemabschlüsse in der Psychologie
und das konkrete funktionelle System
Schema 4: Darwin und Piaget
Schema 5: Reproduktiver Systemabschluß
und konkretes funktionelles System
89
93
83
2.7 Überwindung der Abschließung: Netz der Funktionen
Tabelle 1: Netzwerk der Funktionen auf fünf Ebenen
94
96
2.8 Noch einmal zur höchsten, psychologisch relevanten,
konkreten Funktion: Reproduktion des Gemeinwesens
98
2.9 "Motivation11: Abstraktiv erfaßbarer Teilprozeß konkreter
Funktionen, oder selbst eine konkrete Funktion ?
101
3. Versuch, die Entwicklung 105
der materialistischen Praxiskategorie
zu rekonstruieren
3.1 Die Theorie von Marx und Engels als ein 108
Kernbeispiel für eine Theorie der Praxis
3.2 Leitende Hypothese und Denkmittel für die Rekonstruktion: 112
Reflexionsfigur, Verzweigung, Entwicklungs-Fünfschritt,
materielle Analogie, Arbeit und Reflexion
Schema 6: Begriffsfeld der Reflexionsfigur 114
(1) Materielle Analogie zwischen Arbeit und 118
theoretischer Arbeit
Schema 7: Materielle Analogie und funktions- 118
koordinierendes Subjektsystem
(2) Arbeitskategorie und Reflexionsgestalten 121
3.3 Vorgeschichte der materialistischen Theorie: Marx1 Arbeit 124
im Zusammenhang der politischen Praxis der Rheinprovinz
3.4 Erste Phase: Das Gemeinwesen als soziales Gattungswesen 134
3.5 Die erste Phase als urzentrierte Reflexion und der 138
Übergang durch das Mittel "Entfremdete Arbeit"
Exkurs 2: Wie kann die materialistische Psychologie 145
im Marxismus begründet werden ?
63.6 Zweite Phase: Das Gemeinwesen als Produktionsprozeß 152
3.7 Mittel der Überwindung der Dezentrierung: 160
"Produktivkräfte und Verkehrsformen11
3.8 Dritte Phase: Gemeinwesen als Reproduktionsverhältnis 165
3.9 Ergebnisse der Rekonstruktion 173
Tabelle 2: Modi der Reflexion und Kategorien 180
der menschlichen Aktivität
182
184
187
189
191
193
Technische Notiz:
Die Druckvorlage zu diesem Buch wurde vom Autor selbst auf
einem Mikrocomputer-Textsystem produziert. Wegen einiger
Mängel dieses Systems ist nicht nur das Druckbild uneinheitlich, sondern es wurden auch alle Hervorhebungen, sowohl in
den Zitaten, wie auch im Originalmanuskript der Dissertation
von 1982, weggelassen. Weitere kleinere Unebenheiten sind
sicher trotz aller Mühe noch im Text verblieben. Ich bitte
um Verständnis. Berlin, Sylvester 1982, Arne Raeithel.
4. Thesen zur psychologischen Methodologie
4.1 Subjekt: Ein kooperatives, reproduktives und reflexives
Verhältnis von Mitteln und Formen lebendiger Aktivität
4.2 Die Figur der drei Reflexions modi ist ein methodologisches Grundprinzip reflexiver Praxis im Gemeinwesen
4.3 Entwicklungsprozesse können und müssen in symbolischen,
operativen Strukturen modelliert und studiert werden
4.4 Als Kontext der Entwicklung einer praktischen Psychologie muß die kooperative Verkoppelung von Forschungsund Praxissituationen hergestellt werden
Literatur-Verzeichnis

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Arne Raeithel Tätigkeit, Arbeit und Praxis Grundbegriffe für eine praktische Psychologie

Campus

Forschung

Tätigkeit, Arbeit und Praxis

Campus Forschung Band 328

Arne Raeithel, Dr. phil., Diplom-Psychologe, von 1977 bis 1982 Assistent am Psychologischen Institut der FU Berlin, derzeit Projektforschung am Institut für Psychologie der FU Berlin.

Arne Raeithel

Tätigkeit, Arbeit und Praxis Grundbegriffe für eine praktische Psychologie

Campus Verlag Frankfurt/New York

CEP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Raeithel, Arne: Tätigkeit, Arbeit und Praxis : Grundbegriffe für e. prakt. Psychologie / Arne Raeithel. Frankfurt/Main; New York: Campus Verlag, 1983. (Campus : Forschung; Bd. 328) ISBN 3-593-33192-6 NE: Campus / Forschung Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Photokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Copyright © 1983 bei Campus Verlag GmbH, Frankfurt/Main Umschlaggestaltung: Eckard Warminski, Frankfurt/Main Druck und Bindung: difo-druck, Bamberg Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis 1.

Subjektverhältnisse als Gegenstand der psychologischen Wissenschaft und Praxis

1.1

Das Problem: Welche kategoriale Grundlage braucht eine Psychologie, die auch Theorie ihrer Praxis sein kann ? (1) Besonderheit der Psychologie (2) Inhalt des Prob lern prozesses (3) Psychologen und "Klienten"

18 20 23

1.2

Übersicht: Wie wird die Problemstellung bearbeitet ?

26

1.3

Regulation der Tätigkeit: Zur psychologischen Form des Theorie-Praxis-Problems (1) Das Problem des Wissen-Können-Übergangs (2) Zur Theorie der Handlungsregulation (3) Tätigkeitsregulation und Psychologentätigkeit (4) Stand der Entwicklung einer praktischen Psychologie

31

1.4

1.5

Einfaches Subjektmodell und der Primat der Erkenntnisproduktion Schema 1: Einfaches Subjekt model 1 Verhältnisse zwischen Subjekten und ein differenziertes Subjekt model 1 Schema 2: Differenziertes Subjektmodell

9 14

32 35 37 41 44 46 51 52

2.

Der Begriff der psychologisch konkreten Funktion und das "Netz der Funktionen" als objektiver Gegenstand der Psychologie

58

2.1

Gegenstandsprozeß, Arbeitsprozeß, Reproduktionsprozeß

58

2.2

Die leitende Rolle des Gegenstands und die Perspektive einer system-historischen Herangehensweise an die Entwicklung der Arbeitsmittel

60

2.3

Konkrete Systeme als Ausgangspunkt der Untersuchung

63

2.4

Konkrete Funktion und Variabilität der Mittel

71

2.5

Die Frage nach der "höchsten konkreten Funktion" der lebendigen Aktivität

75

5

Exkurs 1: Zur sozialen Basis und Funktion des analytischen Systemdenkens Schema 3: Analytischer Systemabschluß und isolierende Naturbeherrschung 2.6

Die Systemabschlüsse in der Psychologie und das konkrete funktionelle System Schema 4: Darwin und Piaget Schema 5: Reproduktiver Systemabschluß und konkretes funktionelles System

78 81 83 89 93

2.7

Überwindung der Abschließung: Netz der Funktionen Tabelle 1: Netzwerk der Funktionen auf fünf Ebenen

94 96

2.8

Noch einmal zur höchsten, psychologisch relevanten, konkreten Funktion: Reproduktion des Gemeinwesens

98

2.9

"Motivation 11 : Abstraktiv erfaßbarer Teilprozeß konkreter Funktionen, oder selbst eine konkrete Funktion ?

101

3.

Versuch, die Entwicklung der materialistischen Praxiskategorie zu rekonstruieren

105

3.1

Die Theorie von Marx und Engels als ein Kernbeispiel für eine Theorie der Praxis

108

3.2

Leitende Hypothese und Denkmittel für die Rekonstruktion: Reflexionsfigur, Verzweigung, Entwicklungs-Fünfschritt, materielle Analogie, Arbeit und Reflexion Schema 6: Begriffsfeld der Reflexionsfigur (1) Materielle Analogie zwischen Arbeit und theoretischer Arbeit Schema 7: Materielle Analogie und funktionskoordinierendes Subjektsystem (2) Arbeitskategorie und Reflexionsgestalten

112 114 118 118 121

3.3

Vorgeschichte der materialistischen Theorie: Marx 1 Arbeit im Zusammenhang der politischen Praxis der Rheinprovinz

124

3.4

Erste Phase: Das Gemeinwesen als soziales Gattungswesen

134

3.5

Die erste Phase als urzentrierte Reflexion und der Übergang durch das Mittel "Entfremdete Arbeit"

138

Exkurs 2: Wie kann die materialistische Psychologie im Marxismus begründet werden ?

145

6

3.6

Zweite Phase: Das Gemeinwesen als Produktionsprozeß

152

3.7

Mittel der Überwindung der Dezentrierung: "Produktivkräfte und Verkehrsformen 11

160

3.8

Dritte Phase: Gemeinwesen als Reproduktionsverhältnis

165

3.9

Ergebnisse der Rekonstruktion Tabelle 2: Modi der Reflexion und Kategorien der menschlichen Aktivität

173 180

4.

Thesen zur psychologischen Methodologie

182

4.1

Subjekt: Ein kooperatives, reproduktives und reflexives Verhältnis von Mitteln und Formen lebendiger Aktivität

184

4.2

Die Figur der drei Reflexions modi ist ein methodologisches Grundprinzip reflexiver Praxis im Gemeinwesen

187

4.3

Entwicklungsprozesse können und müssen in symbolischen, operativen Strukturen modelliert und studiert werden

189

4.4

Als Kontext der Entwicklung einer praktischen Psychologie muß die kooperative Verkoppelung von Forschungsund Praxissituationen hergestellt werden

191

Literatur-Verzeichnis

193

Technische Notiz: Die Druckvorlage zu diesem Buch wurde vom Autor selbst auf einem Mikrocomputer-Textsystem produziert. Wegen einiger Mängel dieses Systems ist nicht nur das Druckbild uneinheitlich, sondern es wurden auch alle Hervorhebungen, sowohl in den Zitaten, wie auch im Originalmanuskript der Dissertation von 1982, weggelassen. Weitere kleinere Unebenheiten sind sicher trotz aller Mühe noch im Text verblieben. Ich bitte um Verständnis. Berlin, Sylvester 1982, Arne Raeithel. 7

Es ist unmöglich, die Rätsel der Psychologie zu lösen, wenn man sich nur innerhalb der Psychologie selbst aufhält. Michail Jaroschewski Für jeden Gesellschaftswissenschaftler gilt es, Kenntnisse zu erwerben, um die Gegenwart zu meistern, und Unkenntnisse zu schaffen, um die Zukunft gestalten zu können. Jürgen Kuczynski Please, don't bite my finger ... look where I'm pointing ! Warren McCulloch

8

1. SUBJEKTVERHÄLTNISSE ALS GEGENSTAND DER PSYCHOLOGISCHEN WISSENSCHAFT UND PRAXIS

Im Sommersemester 1980 wurde am Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin eine "Ringvorlesung zur Wissenschafts- und Erkenntnistheorie" veranstaltet, um den Nutzen und die Wichtigkeit erkenntnis- und wissenschaftstheoretischer Untersuchungen für die Psychologie vor der studentischen Öffentlichkeit zu diskutieren und - wenn möglich - auch überzeugend nachzuweisen. Das folgende Kapitel ist aus meinem Beitrag zu dieser Veranstaltung entstanden. Ich habe mich damals an der Ringvorlesung beteiligt, weil das Problem, um das es in diesem Text gehen soll, meines Erachtens nur nach einer gründlichen erkenntnistheoretischen Analyse ausreichend scharf sichtbar wird: das Problem nämlich, wie ein angemessener Begriff von psychologischer Methodik entwickelt und begründet werden kann. Diese Problemformulierung unterstellt aber bereits, was im f o l genden noch gezeigt werden muß: Die derzeit herrschenden Auffassungen über "methodisch angemessenes" Psychologen-Handeln sind - dies ist die These - hinderlich für die Fortentwicklung psychologischen Wissens und Könnens. Es gibt nämlich traditionell eine deutliche Kluft zwischen den Methodenauffassungen der theoretischen Psychologie und den in der psychologischen Praxis akzeptierten methodischen Grundsätzen. Obgleich vor allem von der Seite der "nomothetischen", theoretischen Psychologie viele Versuche gemacht wurden, um die methodischen Richtlinien namentlich der experimentellen Psychologie als allgemein gültig zu etablieren, ist die Situation nach wie vor unentschieden. Zur Zuspitzung des Problems hat kürzlich Theo Herrmann (1979) einen Beitrag geleistet, in dem er dafür plädiert, dem vorhandenen Graben zwischen Theorie und Praxis eine klarere Form zu geben. Er argumentiert, daß eine Einebnung sowohl illusorisch wie auch schädlich für die Wissenschaftlichkeit der Disziplin sei, und schlägt als eigenständige "Brücken-Disziplin" eine psychologische "Technologie" vor, die die Möglichkeiten der Übertragung grundwissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis zu prüfen und zu realisieren h ä t t e . Der gegenwärtig wieder zugespitzte Gegensatz zwischen grundwissenschaftlichen, theoretischen und anwendungsbezogenen, praktischen Methodenauffassungen verweist auf einen grundlegenden Dissens über die Kriterien für methodische Angemessenheit. Dieser Dissens ist deshalb entwicklungshemmend, weil er bisher kaum von einem übergeordneten Standpunkt aus diskutierbar ist, sondern nur 9

als Kleinkrieg zwischen eingegrabenen Fronten ausgetragen wird: Die "Kliniker" und die "Grundlagenforscher" stehen sich mißtrauisch und auch ängstlich gegenüber, die "qualitativen Methoden" werden von den einen als Erlösung von den "Signifikanz-Zwängen" begrüßt, von den anderen lediglich für Vorstudien gerade noch akzeptiert. In engem Zusammenhang mit dem Dissens der Psychologen über "ihre" Methodik steht auch die irritierend unklare Gegenstandsdefinition der Disziplin (vgl. etwa Eberlein & Pieper 1976). Diese Situation der korrespondierenden Unsicherheit und Spaltung in der Methoden- und Gegenstandsauffassung ist historisch keineswegs neu. Seeger hat gezeigt, daß solche Krisen periodisch aufgetreten sind, und die These begründet, daß nur eine Verbindung von psychologischer Theorie und Praxis eine dauerhafte Lösung erbringen könnte (1977, 1 12 und 114-124). Die Schule der Kritischen Psychologie vertritt die Auffassung, daß in der heutigen Situation nur eine konsequente Neubegründung der Psychologie möglich ist, die sowohl eine Bestimmung des (historisch relativen) Gegenstands erlaubt, wie auch selbst eine universelle Methode ist (die "historisch-funktionale Ableitungsmethode", vgl. Holzkamp 1978, 1979, Jäger u.a. 1979, Maiers 1979). Leontjew, von dem die Kritische Psychologie viel gelernt hat, verteidigt in seinem letzten großen Text die Auffassung, daß die Grundkategorien der Psychologie ausgehend vom Begriff der gegenständlichen Tätigkeit rekonstruiert werden müssen (1979, 18). Dabei ist wichtig zu bemerken, daß der Begriff Tätigkeit über die Kette: Handlung - Regulation der Handlung - bewußte Handlungsregulierung methodisches Handeln, auch zur Klärung der Methodenfrage verwendet werden kann, wenn auch Leontjews Hauptabsicht eine Klärung der K a t e gorien für den psychologischen Gegenstand war. Die verschiedenen Vorschläge für eine Überwindung der Gegenstands- und Methodenkrise durch materialistisch orientierte Psychologen sind vor allem auf die Entwicklung des Inhalts der Psychologie und der Psychologentätigkeit orientiert. Demgegenüber zeichnet sich die Diskussion unter nicht-materialistisch orientierten Psychologen durch eine höhere Abstraktheit aus: Neuere Konzepte aus der philosophischen, historischen und empirischen Wissenschaftswissenschaft werden auf die Psychologie angewendet; die Frage nach dem besonderen Gegenstand der Psychologie wird nachgeordnet, wird erst im Rahmen des jeweiligen abstrakten Konzepts beantwortet, so etwa in den Diskussionen zur Verwendung des Zauberworts "Paradigma" oder zum Sneedschen Ansatz der Rekonstruktion von Theorieentwicklung (z.B. in Eberlein & Pieper 1976, bei Herrmann 1976 und Groeben & Westmeyer 1975, 59-75). Die Entwicklungen in der Wissenschaftswissenschaft selbst aber haben in jüngerer Zeit dazu geführt, daß mehr und mehr von psychologischen Teilerkenntnissen auch in sogenannten metatheoretischen Analysen ausgegangen wird: Herrmann rekurriert zum Beispiel auf die psychologische Problemlösungs-Theorie (1979, 42-48), um sein Konzept der Beschreibung von psychologischer Wissenschaft als Bearbeitung von Forschungsprogrammen zu entwickeln; oder - ein Beispiel eines Philosophen - Weimer fordert für die Klärung des 10

Entwicklungsproblems des Wissens explizit sozio-psychologische Untersuchungen (1979, 62-86). Als hypothetische und auch wünschenswerte Tendenz formuliert: Die Psychologen beginnen sich aus der unverarbeiteten, wenn auch deutlich verspürten Abhängigkeit von fremden Methodologien zu lösen; der "Import" von Begriffen aus der Wissenschaftstheorie (namentlich der analytischen) läßt nach und wird durch einen "Export" von einzelwissenschaftlichen Begriffen ausgeglichen. Diese Bewegung läuft parallel mit dem Scheitern der Hoffnung in der Wissenschaftsstheorie, daß das Begründungsproblem von wissenschaftlichem Wissen g e trennt vom Entwicklungs- und Praxisproblem der Wissenschaften b e handelt werden könnte (vgl. die Einleitung von Eberlein & Pieper 1976; Weimer 1979, 20-38). Es wird zunehmend klar, daß die wissenschafts-theoretische Verwendung von Begriffen wie "Wissen", "Methode", "Problem" usw. einerseits in letzter Zeit zu sehr auf die neueste Tradition mit ihrer mathematisch-formalen Uberbetonung b e schränkt war, weshalb etwa die klassische deutsche Philosophie wieder verstärkt zur Kenntnis genommen wird. Andererseits deutet sich in der Entwicklung der Anfänge einer allgemeinen Kognitionswissenschaft (vgl. Pylyshyn 1978, Haugeland 1978, Chomsky 1980, Pylyshyn 1980, Norman 1980, Simon 1980, Newell 1980) meiner Überzeugung nach an, daß in einigen Jahrzehnten die einzel Wissenschaft liehe Klärung und Erklärung der Wissenschaftsentwicklung und der Wirksamkeit von Wissenschaft möglich sein wird. Die Philosophen werden dann wieder stärker verallgemeinernde begriffliche Arbeit machen können, wie es die materialistischen Philosophen der sozialistischen Länder a u f grund anderer Bedingungen z.B. im biologischen Gegenstandsbereich erfolgreich versuchen (vgl. etwa Hörz und Nowinski 1979). Die Philosophen werden dann erstmalig auf einzel Wissenschaft lieh gesicherten Erkenntnissen darüber aufbauen können, welche materiellen Verhältnisse und Prozesse mit den Begriffen Wissen, Können usw. adäquat beschrieben werden können, und welches die Grundmuster, Ordnungen, "Gesetze" dieser Prozesse sind. Als notwendige Aufgabe ergibt sich meiner Meinung nach aus den angedeuteten, empirisch überprüfbaren Veränderungen in der Art, psychologische Metatheorie zu betreiben: Es ist von der gegenwärtigen, theoretischen wie realisierenden Praxis der Psychologie aus, und das heißt auch: vom heutigen, historisch relativen Gegenstand der Psychologie aus, eine einzelwissenschaftliche, also psychologische Analyse der metatheoretischen Konzepte zu erarbeiten. Das Verhältnis zwischen wissenschaftstheoretischen und psychologischen Begriffsentwicklungen sollte zugunsten einer Dominanz der Psychologie umgekehrt werden. Mit dieser Forderung soll die Psychologie jedoch nicht zu einer neuen "SuperWissenschaft" ausgerufen werden. Es geht mir hier nur um das Zweierverhältnis Philosophie/Psychologie, und die interdisziplinären Beziehungen z.B. zur Biologie und Soziologie sind d a mit noch nicht näher bestimmt. Der Verweis auf diese noch zu leistende Bestimmung der Disziplingrenzen mag aber bereits genügen, um klar zu machen, daß die geforderte Dominanzumkehr mit einer Gegenstandsauffassung der Psychologie zu verbinden ist, in der die g e ll

seilschaftlich-praktische Funktion der Psychologie insgesamt mitbeachtet ist. Der Vorschlag von Herrmann: Theorieproduktion, Technologieentwicklung und Praktikerarbeit als getrennte Bereiche der psychologischen Berufstätigkeit zu behandeln (1979), ist daher nur als Vorschlag zum nächsten Schritt akzeptabel; nach einer Klärung der wesentlichen Unterschiede muß aber die dann auch einfacher zu realisierende Verallgemeinerung erfolgen. "Gegenstand" in diesem Sinne ist das gesellschaftlich und institutionell den Psychologen aufgegebene Problem: eine reale, problematische Struktur, die unabhängig davon "existiert" (sich entwickelt), ob und in welchen sozialen Formen sie wissenschaftlich-begrifflich reproduziert ist, deren Entwicklung aber von einer ideellen Reproduktion ihrer selbst entscheidend beeinflußbar ist. Für die Psychologie gilt sicher auch, was Wolfgang Maiers allgemein feststellt: Wissenschaft greift auf, "was aus bestimmten Lebensnotwendigkeiten heraus an 'Fragwürdigem' entsteht. D.h. sie knüpft an einen Bereich gesellschaftlichen Wissens an, der das Ergebnis der Problematisierung präexistenter ... selbstverständlicher Bestandteile unserer alltäglichen Lebenspraxis ist, und entwickelt diese gnostischen Beziehungen in einer spezifischen Weise der Gegenstandsbearbeitung weiter" (1979, 59). Das Anfangsstadium eines solchen wissenschaftlichen Gegenstands hat die bei Herrmann skizzierte Form des unklaren, problematischen Verhältnisses zwischen dem realen Problemprozeß und seiner noch ganz vorläufigen, mit Gegebenheitszufällen belasteten Formulierung in wissenschaftlichen Texten bzw. den bewußten Repräsentationen im Kopf und in der Diskussion von Wissenschaftlern (1979, 42-48). Zur vollständigen Analyse der Entwicklung eines wissenschaftlichen Gegenstands vom Problem zur Aufgabe gehört aber mehr, als die Problemlösungs-Theorien an Beschreibungsmitteln anzubieten haben; Rainer Seidel hat erste psychologische Untersuchungen zur gesellschaftlichen Entstehung von wissenschaftlichen Problemen angestellt und eine überzeugende Skizze eines historischen Problemprozesses vorgelegt (1976, 83-104.) Die gleichen problematischen Verhältnisse, die von den Universitätswissenschaftler durch die Filter ihrer disziplinaren Tradition und ihrer institutionellen Möglichkeiten wahrgenommen und zu ihrer Problemstellung umgearbeitet werden, wirken aber als Praxisanforderungen in der alltäglichen Psychologentätigkeit (bzw. der Tätigkeit verwandter Berufe, wie die der Lehrer, Ärzte, Pfarrer usw.); sie finden ihren Ausdruck in politischen Bewegungen, wie etwa den Anstrengungen vieler (Bürger-) Initiativen, die Reproduktionsbedingungen, die Lebens- und Arbeitsverhältnisse unter die Kontrolle eines demokratischen Gemeinwesens zu bringen. Die Art, wie sich die realen Problemverhältnisse den einzelnen Psychologen offenbaren, ist demgemäß äußerst variabel und kann selbstverständlich nicht normativ b e schrieben werden. Aber es folgt dennoch aus gesellschaftspolitischen und berufspolitischen Notwendigkeiten, daß auch die ganz individuelle Beschäftigung mit einem innertheoretischen Problem sich gegenüber der akzeptierten oder nur herrschenden Problemdefinition verantwor12

ten muß. Dabei wird es den auf "reine Wissenschaft" orientierten Wissenschaftlern durch die vorherrschende, teil-autonome Wissenschaftsorganisation einfach gemacht, sich mit dem Hinweis auf höhere theoretische Notwendigkeit zu rechtfertigen. Herrmann braucht denn auch nicht mehr zur Rechtfertigung der reinen Theoriearbeit als den Verweis auf andere Wissenschaften (1979, 25 f). Den Psychologen jedoch, die vorrangig die praktische Wirksamkeit ihrer theoretischen Arbeit anstreben, wird es durch die Kehrseite der Teil-Autonomie, die relativen Macht- und Mittellosigkeit zumal der Sozial Wissenschaften, sehr schwer gemacht, ihre Absicht der Erhöhung von Praxisrelevanz zu realisieren. Wenn im folgenden Text der Versuch gemacht wird, die nötigen begrifflichen (kategorialen) Bestimmungen für ein einheitliches, jedoch in sich differenziertes, Konzept von "methodisch angemessenem" wissenschaftlichem Handeln im Bereich der Psychologie zu skizzieren, dann geschieht dies nach den vorangegangenen Erläuterungen auf der Grundlage folgender Voraussetzungen: (1) Es ist grundsätzlich möglich, eine relativ klare Beschreibung der gesellschaftlichen Anforderungen zu geben, die auf die Berufstätigkeit von Psychologen in allen Bereichen im Sinne von expliziter Aufgabenstellung oder impliziter Begrenzung regulierend einwirken. (2) Die Berufstätigkeit von Psychologen unterscheidet sich insofern nicht von anderen Arbeitstätigkeiten, als sie ein Entwicklungsprodukt aus ehemals unspezialisierten Teiltätigkeiten (wie "Helfen", "Beraten", "Lehren" etc.) ist, das jedoch durch die Entwicklung von Werkzeugen und spezifischer sozialer Organisation sich von der ursprünglichen, nicht-professionellen Tätigkeit weit entfernt hat. (3) Das Selbstbild des "reinen Wissenschaftlers", der seine Tätigkeit unter das verabsolutierte Erkenntnisinteresse stellt und demgemäß als Ordnung seiner Praxis nur die Methodologie der Wissenbegründung anerkennt, ist eine individualistische Illusion. Auch die Produkte des reinen Theoretikers haben, wenn auch vermittelt, gesellschaftliche Wirkungen, die die Problemprozesse beeinflussen. Es ist daher nur halb folgerichtig, wenn Herrmann ein "Programm aufklärender Verbreitung wissenschaftlicher E r kenntnis" als Basis der Theoretikertätigkeit begrüßt (1979, 26), aber dann die Frage nach den Inhalten dieser Erkenntnisse e i gentlich nur den hochspezialisierten Professionellen gestattet (169-186). Gerade die wissenschaftliche Rationalität würde n ä m lich erfordern, daß nicht die Aufklärer selbst beurteilen, ob sie aufklären. (4) Die individualistische Illusion zu überwinden, bedeutet auch, den Gegenstand der Psychologie nicht auf die explizit im theoretischen Betrieb formulierten Forschungsprobleme einzuschränken. Vielmehr ist davon auszugehen, daß die praktisch arbeitenden Psychologen den engsten Kontakt mit dem Gegenstand haben. Dies ist einerseits ein Vorteil, da sich die praktische Wahrheit psychologischer Theorien deutlicher zeigen kann als über die t r a 13

ditionelle, vielfach filternde Empirie; andererseits ist selbstverständlich zuzugeben, daß die mit der Gegenstandsnähe einhergehenden unmittelbaren Handlungszwänge nicht unbedingt förderlich sind für die Produktion wirklich tragfähiger, theoretischer Verallgemeinerungen. Dennoch, wenn wir von der leitenden Rolle des Gegenstands ausgehen (vgl. Maiers 1979), ist es unumgänglich, ihn als realen, gesellschaftlichen Problemprozeß zu verstehen. 1.1 Das Problem: Welche kategoriale Grundlage braucht eine Psychologie, die auch Theorie ihrer Praxis sein kann ? Aus der vorangegangenen Argumentation ergibt sich zunächst, daß Überlegungen zu einer "angemessenen Methodologie" einer Gegenstandsbestimmung nachgeordnet werden müssen, da sonst der reale Gegenstand seine "Leitungsfunktion" nicht erfüllen kann. Die psychologische Methodik soll gegenstandsangemessen sein, die Suche nach einem angemessenen Gegenstand für eine vorgegebene Methodik läßt sich nur dezisionistisch oder als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme rechtfertigen. Gehen wir zunächst von der oben gegebenen, vorläufigen Bestimmung aus: Wenn unser psychologischer Gegenstand ein realer, gesellschaftlicher Problemprozeß ist, dann gilt einmal, daß die Praxis der Psychologie als ein gesellschaftlicher Teilprozeß nicht außerhalb des Problemprozesses stattfinden, sondern allenfalls mehr oder weniger gründlich gegen seine Einflüsse abgeschirmt werden kann. Oder anders gesagt: Die Psychologie als eine gesellschaftliche Teilpraxis ist Teil ihres Gegenstands, sobald sie versucht, ihn zu verändern. Daraus folgt nun aber zweitens, daß die psychologische Theorie, sobald sie zur Regulation der eingreifenden Berufspraxis dienlich sein soll, notwendig selbstanwendungsfähig sein muß: Sie muß also sowohl den Problemprozeß wie auch ihre eigene Funktion in diesem Prozeß erklären (begrifflich repräsentieren) können. Wird eine psychologische Theorie, die diesem Kriterium der Selbstanwendung nicht genügt, dennoch angewendet, dann wird sie dem wirklichen Gegenstand, der die Anwendung ja enthält, nicht gerecht werden können, wird zur Erklärung der tatsächlich erzielten E f f e k t e nicht taugen. Das Schicksal der behavioristischen Therapietheorie (vgl. den Gemeinsamen Kongreß der GwG und der DGvT 1980, oder als neuesten Versuch einer Weiterentwicklung durch Kritik: Witt mann 1981) wäre ihr gewiß. Das hier von mir verwendete Kriterium der Selbstanwendung ist nicht gleich dem von Norbert Groeben (1975, 1977) behaupteten und von Theo Herrmann (1979, 52-59) diskutierten "Postulat der Selbstanwendung", das Herrmann wie folgt definiert: "Sind P und O Menschen, so darf P sich von O kein anderes Bild ... machen, als P von sich selbst macht" (aaO, 55). So gefaßt, läßt sich die Selbstanwendungsforderung auf eine Forderung reduzieren, die aus pragmatischen Gründen entweder erfüllt oder - wenn es nützlich ist - auch nicht e r füllt werden kann. Groeben ist auf die Position einer moralischen 14

Argumentation zurückgewichen, und fordert nunmehr (vgl. 1979) nur noch die explizite Rechtfertigung der Anwendung einer Theorie im Zusammenhang mit einem "Klienten", sobald der anwendende Psychologe die gleiche Theorie nicht auch auf sich anwenden würde. Der Unterschied des pragmatischen bzw. moralischen Selbstanwendungs-Postulats zum oben angebenen Kriterium der Selbstanwendung liegt darin, daß es zunächst sekundär ist, ob in der psychologischen Theorie für die Funktion der Psychologen eine andere Beschreibungsweise als für die anderen Teilprozesse im Problemprozeß gewählt wird: Selbstverständlich "dürfen" sich die einzelnen Psychologen ein anderes "Bild" von sich machen, in ihrer Funktion als Berater, Therapeut, Lehrer u.ä., als das "Bild", das sie von den anderen am Prozeß beteiligten Personen haben. Dies dürfen sie nicht nur, sondern im Interesse der Problemlösung müssen die Psychologen ihre spezifische Funktion sehr genau kennen, und sollten sich nicht z.B. mit einem naiven Gleichheitspostulat in die Praxis begeben (vgl. die Beiträge in Keupp & Zaumseil 1978). Das Kriterium der Selbstanwendung zielt weniger auf die einheitliche, begriffliche Repräsentation von Psychologen und anderen Personen, als vielmehr auf die explizite Verbindung der Theorie des Problemprozesses mit der Theorie der eingreifenden psychologischen Praxis. Mit anderen Worten: Die Selbstanwendungsfähigkeit kommt solchen psychologischen Theorien zu, die nicht nur Theorie eines Gegenstands, sondern zugleich Theorie der Praxis, Theorie des Umgehens mit diesem Gegenstand, sind. Es geht mithin nicht primär darum, daß einzelne Personen, Psychologen und Nicht-Psychologen, gleichartig abgebildet werden, sondern darum, das praktische Verhältnis der Psychologen zu ihren "Klienten" zusammen mit ihren jeweiligen Besonderheiten abbilden zu können. In der vorliegenden Arbeit möchte ich untersuchen, welche möglichen, denkbaren und herstellbaren, psychologischen Theorien diesem Kriterium genügen könnten. Hierbei werde ich nicht die Vielfalt der produzierten Theorien in der Psychologie zu ordnen versuchen, um aus Ähnlichkeiten und Differenzen "meta-induktiv" die allgemeinen Eigenschaften einer psychologischen Theorie der Praxis zu erschließen, sondern werde von einem bestimmten Vorverständnis einer solchen Theorie ausgehen: von dem aussichtsreichsten Kandidaten, sozusagen. Ist dieser Theorieansatz gefunden, dann möchte ich untersuchen, durch welches System von Begriffen (durch welchen kategorialen Aufbau) die Selbstanwendungsfähigkeit entweder bereits vorhanden ist, oder aber befördert werden könnte. Etwas präziser ausgedrückt, lautet das Problem in einer ersten Formulierung: Mit welchen entwicklungsfähigen Grundbegriffen (Kategorien) kann eine Theorie aufgebaut werden, die das Verhältnis der sie anwendenden Wissenschaftler zum Gegenstand dieser Theorie ebenso widerspiegeln und regulieren kann wie die Verhältnisse innerhalb des Gegenstands dieser Theorie selbst ? Eine auf der Hand liegende Folgerung aus der noch relativ abstrakten Problemstellung kann bereits hier gezogen werden: Es kann sich nur um solche Theorien handeln, die im weiteren Sinne sozialwissenschaftlich sind, in denen also überhaupt Beziehungen zwischen Personen repräsentiert werden können, sonst könnte ja die Beziehung 15

Psychologen-"Klienten" nicht thematisiert werden. Dies heißt im übrigen auch, daß die gesuchte Theorie das Handeln der Psychologen als Berufstätigkeit, Arbeit und soziale Praxis betrachten muß. Damit ist jedoch bereits eine gewisse Vorentscheidung gefallen: Wie Frigga Haug auf dem 2. internationalen Kongreß für Kritische Psychologie zeigte, "ist es die dem Augenschein mehr entsprechende Sichtweise von der Übelkeit der Arbeit, die die traditionelle Psychologie b e stimmt, sie das Wesen des Menschen in der Freizeit, in der Familie eher vermuten läßt" (1980, 26). Würden solche, "traditionellen" Theorien übernommen, dann würde die Arbeit der Psychologen entweder der Selbstverwirklichung der "Klienten" abstrakt gegenübergestellt, oder aber die Beziehung zwischen Psychologen und Klienten würde romantisch verklärt und in Verkennung der realen gesellschaftlichen Situation als eine gegenseitige Hilfe zur Selbstverwirklichung ausserhalb der Arbeitssphäre idealisiert. Es bleiben damit nur noch solche Kandidaten-Theorien in der engeren Wahl, die das Verhältnis von Arbeit und Nicht-Arbeit so repräsentieren, daß die Möglichkeiten und Begrenzungen von Entwicklungen in beiden Bereichen aufeinander bezogen werden können. Es sind dies jedoch nicht nur Theorien, die zur materialistischen Psychologie gezählt werden können; als Beispiel sei der Ansatz von Klaus Dörner und Ursula Plog (1978) g e nannt, in dem versucht wird, die Arbeit der "psychosozialen Helfer" zugleich als gesellschaftliche Arbeit und als — für die "Klienten" hilfreiche — "Selbstaufklärung" der Helfer zu verstehen und in diesem Sinne anzuleiten. Aber die bisher getroffene Eingrenzung — Theorien, die das V e r hältnis der sie in der sozialen Praxis anwendendenden Wissenschaftler zum Gegenstand der Theorie, einem gesellschaftlichen Problemprozeß, widerspiegeln können — ist noch zu weit, denn sie würde solche Formen naturwissenschaftlicher Technologien einschließen, die neben einer Theorie ihres Gegenstands (z.B. chemischer Prozesse) auch eine Theorie des Verhältnisses des Gegenstands zum Anwender (z.B. der ökologischen Wirkungen chemischer Produkte) und eine Theorie der ökonomischen Beziehungen der Forschungs- und EntwicklungsIngenieure zu ihren Auftraggebern bzw. in ihrer Lohnabhängigkeit (Verhältnis zwischen Personen, bzw. ökonomischen Subjekten) enthalten. Gewiß — solche technologische Theorien werden erst, noch relativ vereinzelt, gefordert, dennoch wird durch diese Möglichkeit klar, daß die Problemstellung noch zu unspezifisch ist. Wir brauchen an dieser Stelle also bereits eine präzisere Abgrenzung des Gegenstands der gesuchten Theorie der Praxis der Psychologie; da auch die Produktion chemischer Rohstoffe ein gesellschaftlicher Problemprozeß ist, gilt es genauer anzugeben, welche Art aus dieser Gattung ein psychologischer Problemprozeß genannt werden kann. Nun erst wird die Frage wichtig, ob Psychologen in der gesuchten Theorie grundsätzlich mit den gleichen Begriffen beschrieben werden sollen wie die anderen, am Problemprozeß beteiligten Personen. Wenn wir hier die gleichen Kategorien verwenden, ist es in jedem Fall sparsamer, also im Sinn des Prinzips von Occam, nicht 16

mehr Unterscheidungen zu machen, als zur Erfassung des Gegenstands notwendig sind. Es ist bekannt, daß das Occamsche "Rasiermesser" auch mißbraucht werden kann, indem der Gegenstand der Sparsamkeit halber so zurechtgeschnitten wird, daß er auf den Gegenstand einer bekannten Theorie reduzierbar erscheint. B.F. Skinners Versuch der Reduktion von Sprache auf Ketten von "operants" ist vielleicht der am schnellsten g e scheiterte Versuch dieser Art. Das Prinzip der leitenden Rolle des Gegenstands ist ein gutes Korrektiv gegenüber übermäßiger Vereinfachung; in unserem Fall wäre zu untersuchen (gemäß Voraussetzung 4, oben, S. 13), welche grundlegenden (wesentlichen) Unterscheidungen sich aus der Praxis der Psychologie ergeben haben. Prüfen wir daher eine mögliche Abgrenzung von psychologischen Problemprozessen: Könnte eine Einschränkung auf die "problematischen Verhältnisse und Beziehungen zwischen Personen" uns weiterhelfen ? Zweifellos wird in der psychologischen Praxis mit einer solchen Abgrenzung gearbeitet, als Beispiele seien die Familientherapien (vgl. Stierlin 1975, Haley 1977, Minuchin 1977) genannt. Es gibt jedoch ebenso wichtige Einwände gegen eine solche Definition (vgl. z.B. Kappeler u.a. 1977, Zaumseil 1978, Gleiss 1979, Bergold 1980), die sich folgendermaßen zusammenfassen lassen: Problematische Verhältnisse zwischen Personen hängen stets eng mit den gegenständlichen Verhältnissen (Einkornmens, Wohn- und Arbeitssituation) zusammen, in denen die Personen leben und arbeiten. Dieser Einwand ist nur dann stichhaltig, wenn eine in der Psychologie noch weitverbreitete Bedeutung von "Person" unterstellt wird, die sich in etwa mit Holzkamps Definition des "abstrakt-isolierten Individuums" (vgl. 1972, 99-103), oder mit der Charakterisierung "mittelloses Subjekt" von Peter Ruben (1978, 32) deckt. Maiers hat sehr klar herausgestellt, daß es sich bei dieser Sichtweise nicht einfach um falsches Denken handelt, sondern daß die Vorstellung von der von ihren gegenständlichen Verhältnissen getrennten Person (eine außerordentlich abstrakte Vorstellung) sich aufgrund der realen gesellschaftlichen Verhältnisse stets aufs Neue in der Alltagserfahrung reproduziert, und als das Konkreteste erscheint, was sich denken läßt (1979, 70-74). Unter diesen Umständen erscheint es nicht sinnvoll, mit einem so belasteten Wort zu arbeiten, im Gegenteil muß nun erst gezeigt werden, wie ein Begriff des personalen Subjekts entwickelt werden kann, in dem sowohl die real vorhande Trennung der Personen von ihren Arbeitsmitteln (sofern sie nicht z.B. "Selbständige" oder "Unternehmer" sind), wie auch der dennoch wirksame Zusammenhang der Personen mit ihren gegenständlichen V e r hältnissen darstellbar ist. Damit ist aber die Grenze um die Kandidaten-Theorien so gezogen, daß nur noch materialistische Ansätze in Betracht kommen. Das zuletzt verwendete Argument ist nämlich bereits mit den Kategorien der materialistischen Gesellschaftstheorie formuliert worden, wenn auch von dieser Theorie unabhängige Praxiserfahrungen zur Stützung der Argumentation herangezogen wurden. Unter Benutzung der materialistischen Subjekt-Kategorie können wir den Gegenstand der gesuchten 17

Theorie der psychologischen Praxis folgendermaßen definieren: Ein psychologisch zu bearbeitender Problemprozeß ist ein reales, problematisches Verhältnis zwischen Subjekten, das in der sozialen Praxis ohne bewußte Absicht der Subjekte entstanden ist, das dennoch von den Subjekten in den Grenzen ihrer gegenständlichen Verhältnisse b e ständig reproduziert wird, aber auch von den Subjekten selbst e r kannt und zu einem neuen, harmonischeren Verhältnis fortentwickelt werden kann. Mit dieser Abgrenzung des Gegenstands läßt sich das Problem, zu dessen richtiger Stellung und möglicher Lösung ich mit dem vorliegenden Text beitragen möchte, folgendermaßen in die nunmehr zweite Formulierung bringen: Mit welchen Kategorien kann eine Theorie realer Problemprozesse aufgebaut werden, die das Verhältnis der Subjekte, die diese Theorie als Mittel verwenden, zum Problemprozeß, an dem sie selbst beteiligt sind, ebenso widerspiegeln und regulieren kann wie die übrigen Verhältnisse im Problemprozeß ? Sowohl an der Definition des Gegenstands, des realen Problemprozesses, wie auch an der Definition der gesuchten Theorie der Praxis, ist noch einiges unklar: ( l ) Wiederum ist die Besonderheit der Psychologie nicht erfaßt. (2) Es ist unklar, worin die "Problematik" der Subjektverhältnisse inhaltlich besteht. (3) Der Unterschied zwischen Wissenschaftlern (Psychologen) und "Klienten" ist ohne Begründung verschwunden. Mit der Diskussion dieser Punkte wird auch eine Eingrenzung des Problems auf eine bearbeitbare Fragestellung möglich. — Ein weiterer Unterschied zwischen den beiden Problemformulierungen wird uns weiter unten ausführlich beschäftigen: Statt von der "Anwendung" einer Theorie ist in der zweiten Formulierung davon die Rede, daß sie "als Mittel verwendet" wird. Damit soll angedeutet werden, daß die Theorie der Praxis nicht im üblichen, etwa von Herrmann verwendeten Sinn (1979, 141-148), eine Technologie sein kann, wie noch zu begründen sein wird. ( l ) Besonderheit der Psychologie Die Möglichkeit, daß die Gegenstandsdefinition auch für n a t u r wissenschaftliche Technologien zutrifft, ist mit der Beschränkung der problematischen Verhältnisse auf Verhältnisse zwischen Subjekten nicht mehr gegeben, es sei denn, wir würden alle Technologien als Teil der Gesellschaftswissenschaften institutionalisieren können: eine offensichtlich utopische Vorstellung. Die Definition schließt durch die Verwendung der Subjektkategorie auch solche Problemprozesse aus, die von den biologischen Wissenschaften untersucht werden. Es ist jedoch wichtig zu bemerken, daß "Verhältnisse zwischen Subjekten" auch die gegenständlichen Verhältnisse umfaßt, und daher die Verhältnisse zwischen Natur und Gesellschaft nicht aus dem Gegenstandsbereich ausgeschlossen werden. Somit verbleiben nur die Sozialwissenschaften, die eine eingreifende, realisierende Praxis ausüben können, als mögliche Konkurrenten um den abgegrenzten Gegenstandsbereich. 18

Möglicherweise ist es hier nötig, ausdrücklich zu erklären, daß mit dieser Gegenstandsbestimmung keine Ausdehnung der Psychologie auf alle sozial Wissenschaft liehen Bereiche angestrebt wird. Auf die Probleme der Abgrenzung und Verbindung der Psychologie zu anderen Disziplinen der Sozialwissenschaften gehe ich in diesem Text nicht näher ein. Sie ist auch für die Psychologen zunächst uninteressant, wenn sie ihren Gegenstand reflektieren. Im übrigen müßten gerade die Disziplingrenzen in den Sozialwissenschaften auch historisch erklärt werden (vgl. Wolf 1976, Jaeger & Staeuble 1978), da ihre Gegenstände sich historisch entwickelt haben. Ich bin jedoch der Ansicht, daß sich die Entstehung der Psychologie nicht allein mit ideologischen bzw. politischen Gründen erklären läßt (eine Zeitlang wurde das von radikalen Psychologiekritikern vertreten, vgl. Holzkamp 1972, 207288), und werde versuchen, im Verlauf der weiteren Argumentation dafür Belege zu bringen, daß die Psychologie als eine Subjektwissenschaft, die es vor allem mit personalen Subjekten zu tun hat, relativ klar einerseits von der Soziologie und andererseits von der Makrobiologie abgegrenzt werden kann: Soziale Subjekte und SubjektVorformen bei Tieren müßten dazu eindeutig von personalen Subjekten unterschieden werden, was erst am Ende des dritten Kapitels der vorliegenden Arbeit geschehen kann. Wie aber steht es mit dem "Psychischen", den "inneren" Prozessen und Strukturen, die dieser Wissenschaft schon im Namen zugeordnet sind ? Die Entwicklung unserer Wissenschaft vom frühen Strukturalismus über den Funktionalismus zum Behaviorismus und über ihn hinaus hat gezeigt, daß die Psychologen nicht dabei stehenbleiben können, die Verhältnisse zwischen Subjekten in ihrer gegenständlichen Umgebung zu untersuchen. Die Psychologen würden die historische Entwicklung ihrer Disziplin, der scheinbar selbstverständlichen Grundannahmen und der gesellschaftlichen Funktion der Psychologie verleugnen müssen (vgl. den frühen Text von Foucault: "Psychologie und Geisteskrankheit" 1968), wenn sie sich nicht auch für die V e r hältnisse innerhalb der personalen Subjekte für zuständig erklärten. Nach materialistischer Argumentation sind diese inneren Verhältnisse von personalen Subjekten Repräsentationen der "äußeren" Verhältnisse, in denen die Person steht, und die ihrerseits innere Verhältnisse von sozialen Subjekten sind (vgl. Leiser 1978, 29 f f ) . Und weiter sind sie nicht nur Widerspiegelungen, sondern zugleich Vorwegnahmen, Antizipationen von erst noch durch Arbeit herzustellenden Verhältnissen zwischen Subjekten oder zwischen Natur und Gesellschaft. Der Übergang von äußeren zu inneren und wieder zu äußeren Verhältnissen ist nicht unvermittelt möglich, sondern wird durch die lebendige Aktivität des Subjekts realisiert, sowohl in "Aneignung s rieht ung", von außen nach innen, als auch in "Vergegenständlichungsrichtung", von innen nach außen. A.N. Leontjew (1972; 1973; 1977, 18-22; 1979, 75-83) hat vorgeschlagen, aus diesem Grund ein triadisches Grundschema zum Ausgangspunkt der Kategorie-Entwicklung zu machen: Objekt - Tätigkeit - Subjekt, oder: Gegenstand - Tätigkeit - Ideelles. Von diesem Schema werde ich weiter unten ebenfalls ausgehen und dann auch eine konkretere Interpretation der drei Glie19

der des Schemas vorschlagen. Dabei werde ich mich auf zwei von Leontjew und voneinander relativ unabhängige Arbeiten stützen können, in denen ebenfalls eine triadische Grundstruktur vorgeschlagen wird: Eckart Leisers Arbeit zu den methodischen Grundlagen der Kritischen Psychologie, in der er von einer Piaget-Kritik ausgehend die Triade Subjekt - Handlung - Objekt vorschlägt (1978, 34-41), ohne noch Leontjews Vorschlag zu kennen, und die Arbeiten von Peter Damerow (1980 a und b), in denen er die triadische Struktur der Arbeitskategorie und der Hegeischen Reflexionsbegriffe benützt und ebenfalls Piagets Ergebnisse, nicht jedoch Leontjews Arbeit einbezieht. Die materialistische Argumentation beinhaltet jedoch auch, daß die äußeren Verhältnisse bestimmend gegenüber den inneren Verhältnissen sind (als Formel: "Das Sein bestimmt das Bewußtsein"), und dennoch können bewußte Antizipationen dazu beitragen, daß die äußeren Verhältnisse gemäß den Bedürfnissen der Subjekte entwickelt werden: Die Subjekte produzieren ihre materiellen, objektiven Bedingungen zu einem wesentlichen Teil selbst, sind jedoch zu ihrer Reproduktion von den tatsächlichen, und nicht nur von den erkannten und bewußt regulierten Bedingungen abhängig (vgl. Holzkamp 1979, Teil II, 8; Holzkamp spricht von "Bestimmungen" statt von "Bedingungen"). Obwohl also die genaue Beschreibung der "inneren Verhältnisse" von personalen Subjekten eine wesentliche Aufgabe der Psychologie ist, werde ich in dieser Arbeit nicht im Detail darauf eingehen können, sondern werde mich darauf konzentrieren, den Vermittlungsprozeß, also in Leontjews Terminologie, die gegenständliche Tätigkeit, zu untersuchen, wobei die Hauptfrage sein wird, durch welchen kategorialen Aufbau dieser zentrale Teil des psychologischen Gegenstands angemessen erfaßt werden kann: Wie die Kategorie der gegenständlichen Tätigkeit mit den Kategorien der gesellschaftlichen Arbeit und der Praxis im Gemeinwesen zu verbinden ist. (2) Inhalt des Problemprozesses Ist es überhaupt möglich, die Vielfalt der Problematiken in den Verhältnissen zwischen personalen Subjekten auf den Begriff zu bringen ? Meiner Überzeugung nach hat die Kritische Psychologie genau dies geleistet. Ute H.-Osterkamp hat in ihren funktional-historischen Arbeiten zum Problem der Motiviertheit menschlicher Tätigkeit (1975, 1976, 1978) die Besonderheit der menschlichen Bedürfnisse als ein Produkt der Naturgeschichte und der historischen Entwicklung und zugleich als eine grundlegende Reproduktionsnotwendigkeit für die Menschengattung herausgearbeitet: "Die gesellschaftliche Natur des Menschen ist eindeutig unterbestimmt, wenn man sie nur als Inbegriff der Befähigung zu Gesellschaftlichkeit b e t r a c h t e t , der Mensch muß seiner Natur nach auch die Bereitschaft, d.h. das in emotionalen Wertungen gegründete Bedürfnis zur Vergesellschaftung (als Moment seiner Befähigung) haben, was zwingend eine phylogenetisch gewordene Bedürfnisgrundlage nicht nur für Aktivitäten zur Reduzierung individueller Mangel- und Spannungszustände, sondern auch für seine produktiven Beiträge zur gesellschaftlichen Lebenssicherung voraussetzt" (1976, 19). Ute Osterkamp begründet in ihren Texten, auch 20

mit Ergebnissen der Ethologie, eine wichtige Unterscheidung zweier Richtungen der Bedürfnisse: Innere ("sinnlich vitale") und äußere ("produktive") Bedürfnisse sind gerichtet auf die Reproduktion (**) einerseits der inneren, "organismischen" Bedingungen der lebendigen Aktivität und andererseits der äußeren, gegenständlichen Lebensbedingungen (aaO, 23 f f ) . Die Einheit beider Bedürfnisrichtungen in personalen Subjekten kann dadurch hergestellt werden (ist also nicht von vornherein gegeben), daß die Subjekte mit ihrem "Beitrag zur bewußten gesellschaftlichen Realitätskontrolle auch die Kontrolle über ihre eigenen Daseinsumstände erhöhen" (Holzkamp 1978, 215, im Original kursiv). Der höchste, subjektive Zweck, von dessen dauerndem Übergang in sein objektives Resultat die Reproduktion der Gemeinwesen abhängig ist, ist demnach die Beteiligung der einzelnen Subjekte an der kooperativen (dies schließt Widerspruch ein), vorsorgenden Regulation der gesellschaftlich produzierten Lebensbedingungen ihres Gemeinwesens, womit nicht nur die Erhaltung der gegenwärtigen Lebensbedingungen gemeint ist, da ja die Vorsorge auch auf die Veränderung der Lebensbedingungen gerichtet sein muß: Einmal wegen des Primats der objektiven, materiellen Verhältnisse, die in ihrer Eigenbewegung neue Anforderungen und auch neue Möglichkeiten hervorbringen, zum anderen aber auch, weil die heutigen Lebensbedingungen durch Antagonismen geprägt sind, die im Interesse der Reduzierung menschlichen Leidens und im Interesse der Reproduktion der Gattung überwunden werden müssen. Die Beteiligung an der Vorsorge ist jedoch eine abstrakt-allgemeine, "einfache Kategorie" (Marx, Grundrisse, 21-25), die "eine uralte und für alle Gesellschaftsformen gültige Beziehung ausdrückt" **

Anmerkung 1: "Reproduktion" wird von mir im gesamten Text nicht als Bezeichnung für die identische Erhaltung verwendet, sondern als Bezeichnung für das übergreifend Allgemeine von E r haltung und Veränderung. Reproduktionsprozesse sind also in diesem Verständnis die materielle Basis für Entwicklung, die ich folgendermaßen verstehe: Entwicklung ist eine Einheit von Erhaltung und Veränderung, deren Verände rungs reihe wieder eine Ordnung, d.h. eine Erhaltung höherer Stufe, aufweist. Im Unterschied zu einem Entwicklungsprozeß kann also ein Reproduktionsprozeß ohne Vorannahme einer Höherentwicklung oder einer einheitlichen Ordnung beschrieben werden. Dann aber ergibt sich auch die Aufgabe, Entwicklungsprozesse nicht als gegeben und unendlich vorauszusetzen (auf diesen Fehler der Hypostasierung der Kontinuität weist Foucault nachdrücklich hin, 1981, 9-26, 33 f), sondern sie in den Reproduktionsprozessen nachzuweisen; insbesondere sind die Anfänge (Verzweigungen, vgl. Prigogine & Stengers 1981, und/oder Zusammenschlüsse, vgl. Wahlert & Wahlert 1981) und die Endefn (Abbrüche oder Verzweigungen oder Zusammenschlüsse) von Entwicklungsprozessen empirisch aufzuzeigen. Die Begründung für diese Bestimmungen versuche ich im zweiten Kapitel zu geben. 21

(aaO, 25), aber in dieser einfachen, abstrakten Form in den kapitalistischen Gesellschaften nicht allgemein praktisch wahr ist (auch in den sozialistischen Gesellschaften ist noch ungeheuere gesellschaftliche Arbeit zu leisten, um die Beteiligung an der Vorsorge zur allgemeinen, gegenständlichen Wahrheit werden zu lassen — aber das ist ein anderes Thema). Mit Hilfe der Leontjewschen Unterscheidung von objektivem Motiv und persönlichem Sinn (vgl. 1977, 55-61, 1979, 144-152) läßt sich die verständige Abstraktion der Beteiligung an der Vorsorge mit den konkreten Gerichtetheiten der Tätigkeiten von Menschen in unserer Gesellschaft in Verbindung bringen: Das objektive, d.h. gegenständliche, Motiv vieler subjektiv als resignierendes Sich-Beugen unter einen Zwang "der" Gesellschaft oder als (oft sogar zerstörerisch gemeintes) Kämpfen gegen die Zwänge empfundenener Tätigkeiten ist die unabsichtliche Beteiligung an der Vorsorge, ohne daß eine bewußte, verantwortliche Beteiligung an der sozialen Planung, eine Mit-Bestimmung über die Lebensverhältnisse, möglich ist (vgl. z.B. die Reanalyse eines Therapieprozesses in Kappeler u.a. 1977, besonders 173-189). Die paradoxe Form der Beschreibung als unabsichtliche Beteiligung drückt nur die Widersprüchlichkeit von persönlichem Sinn und objektivem Resultat (das die gegenständliche Form des Motivs ist, wenn wir Leontjews Terminologie folgen) aus: Die zerstörerischen Taten "randalierender 11 Jugendlicher und auch die der RAF-Terroristen hatten vermehrte gesellschaftliche Anstrengungen zur "Integration" der Jugendlichen und "Randgruppen" zur Folge; eine durchaus widersprüchliche Form der sozialen Vorsorge zwischen staatlicher Repression und Ansätzen der realen Verbesserung der Lage der Betroffenen. Ute Osterkamp versucht gegenwärtig eine psychologische Erklärung der Lebensgeschichten deutscher Faschisten mit Hilfe der Kategorie der Beteiligung an der Vorsorge (vgl. 1980 a und b), eine notwendige Arbeit zum Verständnis unserer eigenen Geschichte, durch die sowohl die Dämonisierung wie auch die Verharmlosung des deutschen Faschismus vermieden werden könnte. Mit den referierten Erkenntnissen der Kritischen Psychologie ist ein Ansatz zur Beschreibung der wichtigsten, allgemeinen Problematik unserer historischen Subjektverhältnisse gefunden, sofern es sich um eine mit Leiden verbundene (eine defizitäre) Problematik handelt: Der "Widerspruch zwischen der Antizipation erweiterter Handlungsmöglichkeiten einerseits und der durch die Handlungsrealisierung drohenden Gefährdung schon erworbener Existenzbedingungen andererseits" (Kappeler u.a. 1977, 191) ist die Ursache von Angst, die als emotionales Signal des bestehenden Problems, des psychischen Konflikts, zu verstehen ist. Osterkamp hat diese Form des Widerspruchs gewonnen, indem sie die psychoanalytische Konflikttheorie des Widerspruchs von Lust- und Realitätsprinzip kritisch aufgehoben hat (1976, 184-366). Auch die Beschreibung eines Problems als Widerspruch zwischen Antizipation und Beschränkung führt auf eine abstrakt-allgemeine Kategorie und müßte in konkreten Formen aufgewiesen werden; auf diese Frage kann ich jedoch in der vorliegenden Arbeit nicht eingehen. Auf eine weitere wichtige Arbeit, die auf den Leontjewschen Katego22

rien aufbaut, ist hier noch hinzuweisen: Irma Gleiss hat den Zusammenhang von Widerspiegelung und psychischen Störungen untersucht, und den Begriff der Orientierungskrise entwickelt (1979), allerdings keinen Bezug zur Konflikttheorie der Kritischen Psychologie hergestellt, der meiner Überzeugung nach relativ leicht herstellbar wäre. Eine wichtige Ergänzung zur inhaltlichen Beschreibung der allgemeinen Problematik von Subjekt Verhältnissen ist allerdings noch n o t wendig: Wenn wir das Praxisfeld der Psychologie nicht auf therapeutische, Fehlentwicklungen korrigierende Arbeiten beschränken wollen, müssen wir aus dem Motiv der Beteiligung an der Vorsorge auch solche Probleme herleiten können, die nicht mit der Überwindung von zwängenden Begrenzungen, mit einem Defizit, sondern mit einem Zuviel an realen Möglichkeiten einhergehen: Nicht Problematiken der Beschränkung, sondern Problematiken der Freiheit, die vor allem im pädagogischen Bereich, daneben im Bereich der "Freizeit" auftreten können (was selbstverständlich nicht heißen soll, daß in diesen Bereichen keine Beschränkungs-Problematiken, keine entwicklungsbehindernden Zwänge existieren). Noch recht vorläufig lassen sich Freiheits-Probleme dadurch charakterisieren, daß im Feld der antizipierten und der realen Möglichkeiten keine deutlichen Grenzen abgesteckt werden können, daß folglich die einzuschlagende Richtung unklar ist, weil der Unterschied von wünschbaren und unerwünschten Möglichkeiten mangels einer Grenze zwischen ihnen diffus bleibt. Diese Ergänzung ist vor allem auch deshalb wichtig, weil in der theoretischen Praxis der Psychologie (und der Wissenschaften überhaupt) Problematiken der Freiheit das Übergewicht haben; nicht u m sonst kann Klaus Holzkamp die Beliebigkeit der Theoriebildung in der Psychologie konstatieren (1978, 133-146). Das Problem der Wahl zwischen Möglichkeiten tritt jedoch auch in noch so stringent "abgeleiteten" Theorieentwicklungen auf, denn es ist untrennbar mit der Produktion des Neuen verbunden, sei es auf der historischen oder auf der "ontogenetischen" Ebene. Auch auf diese Fragen kann ich in diesem Text nicht näher eingehen (vgl. jedoch Brom me & Homberg 1976, 1977, Bromme, Otte & Raeithel 1977, Keitel, Otte & Seeger 1980). (3) Psychologen und "Klienten" Während in der ersten Formulierung des Problems der vorliegenden Arbeit (s.o. S. 15) die Rede war vom Verhältnis der theorieanwendenden Wissenschaftler zum Gegenstand der Theorie, der sowohl die Wissenschaftler, d.h. Psychologen, wie auch ihre "Klienten" umfaßt, wurde in der zweiten Formulierung (s.o. S. 18) das Verhältnis von Subjekten allgemein zu dem von ihnen selbst mit-konstituierten Problemprozeß thematisiert, wobei die Subjekte scheinbar unterschiedslos über "theoretische", repräsentationale und operative, Mittel verfügen können. Die zweite Formulierung abstrahiert also davon, daß die Psychologen als Wissenschaftler (d.h. dem Anspruch nach) über eine Theorie des Problemprozesses und ihres "inneren", methodisch regulierten Verhältnisses zu ihm verfügen, während die "Klienten" ihr "gesellschaftswüchsig" entstandenes Alltagswissen und -können zur Erkenntnis und Lösung der Problematik einsetzen. 23

Ist diese Verallgemeinerung und gleichzeitige Abstraktion bei der Problemformulierung zulässig, oder besteht hier eine ähnliche Gefahr wie die von Heinrich Keupp an den behavioristischen Ansätzen einer Theorie der Gemeindepsychologie festgestellte: "Der gesellschaftliche Lebenskontext fügt sich nicht zwanglos der verhaltenstheoretischen Strukturierung. Das komplexe Gefüge der sozialen Lebenswelt wird in der falschen Abstraktion von simplen Reiz-Reaktions-Kategorien verfehlt" (1978, 198) ? Keupp fordert an dieser Stelle, daß die Abstraktionen, die in der wissenschaftlichen Arbeit notwendig produziert werden, keine falschen Abstraktionen sind. In der Abstraktion soll, so läßt sich die Kritik positiv wenden, die Komplexität des "lebensweltlichen" Problemprozesses, sein Zusammenhang, noch erhalten bleiben. Dafür, daß es sich bei der zweiten Problem formulierung um eine verständige, den wesentlichen Zusammenhang erhaltende, Abstraktion handelt, läßt sich argumentieren: Wenn wir zunächst keinen Unterschied zwischen Wissenschaftlern und anderen Subjekten machen, wird die gemeinsame, allgemeine Struktur des Problems sichtbar: Es geht darum, daß die Personen ihre gegenständlichen und sozialen Verhältnisse selbst regulieren können. Damit wäre die gesuchte Theorie in der Lage, das "Prinzip der Selbsthilfe" (Keupp 1978, 199) zu e n t f a l ten. Auch der Unterschied zwischen den "Helfern" oder "sozialen Vermittlern" (Therapeuten, Lehrer, Eltern, Gleichbetroffene mit größerer Erfahrung) und denen, deren Problematik erkannt und gelöst werden soll, ist in der Formulierung noch implizit vorhanden. Ein Teil der am Problemprozeß beteiligten Subjekte verwendet eine "Theorie" im weiteren Sinne, der andere Teil, dies ist nun hinzuzufügen, soll sie sich ebenfalls aneignen, und dadurch zur sozialen Selbst regulation fähiger werden. Dies bedeutet aber, daß der Unterschied zwischen Subjekten, die über adäquates Wissen und Können verfügen, und Subjekten, deren Wissen und Können gerade nicht mehr zur Problembewältigung ausreicht, nicht durch die Abstraktion aufgehoben wurde. Damit kann das Problem der Distribution, also der unterschiedlichen Verteilung, von Wissen und Können, sowie die Analyse von Wissens-Austauschprozessen unabhängig davon behandelt werden, ob es sich bei denjenigen, die über das Wissen und Können verfügen, um professionelle oder um "Laien"-Helfer handelt. Das Verhältnis von Psychologen und "Klienten" ist daher neben der Asymmetrie im Verfügen über die Mittel durch die Professionalität gekennzeichnet, die die Psychologen als Vertreter eines institutionalisierten Berufs unvermeidbar ausüben müssen. Keupp spricht von einem "Widerspruch von Erweiterung professioneller Kompetenz ins soziale Feld hinein und der Forderung nach Entprofessionalisierung" (1978, 199). Von diesem Widerspruch, wie überhaupt von der Frage nach der Berufspraxis der Psychologen, wurde also in der zweiten Problemformulierung abstrahiert. Hier könnte nun eingewendet werden, daß zwar nach einer Theorie der Praxis gefragt wird, aber nicht auch nach der Praxis der Theorie. Das wäre eine Kritik an der Problemstellung im ganzen, zugleich eine Aufforderung, ein anderes Problem 24

zu bearbeiten: Gesucht eine Theorie der Praxis, die zugleich schon die Praxis dieser Theorie e r f a ß t . Dieser Einwand fordert jedoch Unmögliches: Es ist nämlich keineswegs möglich, eine Theorie zu entwickeln, die bereits als Theorie ihre eigene Wirkung in der g e sellschaftlichen Praxis vollständig antizipieren könnte, wie ich im dritten Kapitel durch eine Rekonstruktion der Entwicklung der Theorie von Marx und Engels zu zeigen versuche. "Praxis der Theorie" soll im folgenden nur gebraucht werden, um nach dem Zusammenhang der theoretischen Arbeit mit der sozialen Praxis zu fragen; es wird also unterschieden zwischen der Praxis der Theoretiker und der Praxis der Praktiker, die eine, nicht: "die", Theorie als Mittel verwenden. Vorwegnehmend, ohne ausreichende Begründung, kann hier nur angedeutet werden, wie an die Frage nach der Umsetzung der gesuchten Theorie in die soziale Praxis herangegangen werden kann. Zunächst wäre ein Unterschied festzuhalten: Die Produktion einer Theorie und die praktische Verwendung dieser Theorie sind strukturell sehr verschiedene Tätigkeiten (vgl. Raeithel 1976, 101-115; Seeger 1977, 8690; Brom me u.a. 1978; Herrmann 1979, 141-149): Gegenstand der theoretischen Tätigkeit ist die Theorie selbst, es soll ein Modell des Gegenstands der Theorie produziert werden, an dem die Geltung der Theorie gezeigt werden kann (Ruben 1978, 19). In der praktischen Tätigkeit wird dieses Modell des Gegenstands benutzt, um eben diesen Gegenstand, und nicht sein Modell, zu bearbeiten. Dies bedeutet aber, daß der Praktiker über mehr als das bloße Modell verfügen muß: Er muß insbesondere auch wissen, wie es an einen konkreten Fall angepaßt werden kann, in welchen Kontext es gestellt werden muß. Handelt es sich, wie in unserem Fall, um eine Theorie der Praxis, dann ist diese Anforderung an den Praktiker zu einem gewissen, allgemeinen Teil bereits im Modell berücksichtigt, dennoch bleibt die Notwendigkeit der Erfassung des besonderen Kontextes bestehen. Keupp schreibt zu dieser Sachlage: "Die Komplexität der Lebensrealität ... erfordert eine Komplexität des Wissens, die einen einzelnen überfordert und die eine einzelne Berufsgruppe von ihren spezifischen Ausbildungsvoraussetzungen her kaum wird erreichen können" (1978, 198). Diese Einschätzung ist bezogen auf die aktuelle Ausbildung der psychosozialen und medizinischen Berufsgruppen, die in der Tat zu spezialisiert ist, um z.B. sowohl den psychologisch erfaßbaren, wie den sozialarbeiterischen, wie auch den medizinischen Aspekten eines Problemprozesses zu genügen. Andererseits ist auf die Berufsgruppe der Lehrer hinzuweisen: "Der Lehrer ist zugleich Sachverständiger in einer oder mehreren Einzel Wissenschaften, Organisator von Sozialbeziehungen mit starker Abhängigkeit von persönlichen, lebensgeschichtlichen Hintergründen und Vermittler eines vorgegebenen, gesellschaftlich kodifizierten Bestandes an kognitiven und normativen Deutungen der Wirklichkeit. Die das Bildungswesen gegenüber anderen Institutionen auszeichnende spezifische Verbindung von Wissensvermittlung, Organisation und Persönlichkeitsentwicklung wird durch seine Tätigkeit realisiert. Allein die Perspektive des Lehrens erlaubt daher eine integrative Sicht von Schule und Unterricht" (IDM-Arbeitsgruppe Mathematiklehrerausbildung 1981, 140 f ) . Im Fall 25

der Institution Schule finden wir keine auf verschiedene Subjekte verteilte Multiprofessionalität, die Keupp als Mittel zur Oberwindung der Beschränkung einzelner Professionen empfiehlt. Es gibt also anscheinend eine Verbindung von Institutionalisierung und Ausbildung einer universellen Professionalität, die es näher zu untersuchen gälte. Auch Keupp schlägt eine stärkere Beachtung der institutionellen Verbindungen innerhalb und zwischen den verschiedenen Einrichtungen für psychozoziale Hilfeleistung vor, und faßt seine Überlegungen im Ziel der "Vergesellschaftung der Praxis" zusammen, womit gemeint ist, die bisherigen isolierten Arzt-, Psychologen- usw. Praxen durch "Koordination, Kooperation und Integration" (1978, 200) in ein sozial regulierbares Verhältnis zu bringen (wobei die s t a a t liche Sozialpolitik ein determinierender Faktor ist, der nicht vergessen werden d a r f ) . An dieser Stelle der vorliegenden Arbeit kann nur soviel f e s t gehalten werden: Die "Praxis einer Theorie" ist immer mit weiteren Praxisteilen verknüpft; mit der Praxis anderer Theorien, mit organisatorischer, die Kooperation Aller herstellender, Tätigkeit, mit sinn- und deutungsvermittelnden Subjektbeziehungen (Mode 11 funkt ion des Vermittlers). Oder kurz: Von der Praxis einer Theorie zu sprechen, ist eine unzulässige, falsche Abstraktion. Für die Frage nach einer Theorie der psychologischen Praxis ist daher, wie im Fall der Schulpraxis, die Perspektive des Helfens/Lehrens einzunehmen, um nicht in einem bornierten Fach-Denken steckenzubleiben. Für die Theorie von Therapie- und Präventionsprozessen bedeutet diese Perspektive gegenwärtig, vom Standpunkt eines multiprofessionellen Teams oder vom Standpunkt einer Selbsthilfegruppe aus zu denken. Die vorangegangene Argumentation scheint mir schlüssig zu zeigen, daß in einem ersten Schritt mit der Abstraktion der zweiten Problem formulierung gearbeitet werden kann, da sie allgemein das Problem der sozialen Selbstregulation faßt. Ich gehe daher im weiteren davon aus, daß das Absehen vom Problem der Professionalität vorläufig nötig ist, aber dann durch "Aufsteigen zum Konkreten" in einer Weise aufgehoben werden muß, die den Kontext der Verwendung der Theorie in der Praxis angemessen berücksichtigt. Zusammenfassend kann die Fragestellung der vorliegenden Arbeit so formuliert werden: Mit welchen Kategorien kann eine psychologische Theorie der sozialen Selbstregulation aufgebaut werden, die durch Konkretisierung auf die realen Verhältnisse der psychosozialen und pädagogischen Praxis zu einer Theorie der psychologischen Praxisanteile weiterentwickelt werden kann ? 1.2 Übersicht: Wie wird die Fragestellung bearbeitet ? Im Verlauf der Präzisierung und Eingrenzung der Fragestellung hat sich ein allgemein und wissenschaftstheoretisch gestelltes Problem als rückführbar auf ein Problem der allgemeinen Psychologie (im 26

weiteren Sinn) erwiesen: Die Frage nach einer Theorie der sozialen Selbst regulation ist allgemeiner als die Frage nach der Regulation der Praxis durch Subjekte, die eine psychologische Theorie als Mittel verwenden. Allerdings haben wir diese Verallgemeinerung nur durch Ausklammerung der institutionellen Aspekte erreichen können. Es handelte sich mithin, wie bereits gesagt, um eine Verallgemeinerung mittels Abstraktion. Dabei ist auch das Verhältnis von Theorie und Praxis abstrakt verallgemeinert worden: Nunmehr wird nach dem Verhältnis von gesellschaftswüchsigem Wissen zum Prozeß seiner V e r wendung in der sozialen Selbst regulation gefragt, vom Unterschied des wissenschaftlich gewonnenen Wissens und des Alltagswissens wurde abgesehen. Dieser Prozeß der Vereinfachung läßt sich noch ein wenig weiterführen: Eine Theorie der sozialen Selbst regulation läßt sich als besondere Form einer allgemeineren Theorie der Regulation der gegenständlichen Tätigkeit begreifen, wodurch das Verhältnis von Alltagswissen und sozialer Praxis als besondere Form des allgemeinen Verhältnisses von subjektiven Widerspiegelungen zum Gegenstandsprozeß erscheint. Damit sind wir bei einem allgemeinpsychologischen Problem im engeren Sinne angelangt, und können mit Leontjews Kategorien beginnen. Im nächsten Abschnitt dieses Kapitels (1.3) wird daher untersucht, wie mit den Mitteln der Tätigkeitstheorie die "psychologische Form des Theorie-Praxis-Problems" untersucht werden kann: das Verhältnis zwischen Wissen, Können und Gegenstandsprozeß. Nun wird das gleiche Problem (wie ist das Verhältnis von subjektiven Widerspiegelungen und Gegenstand zu bestimmen) auch von der philosophischen Erkenntnistheorie untersucht; verschiedene Lösungen führen zu verschiedenen Wissenschaftstheorien. Die traditionelle Hierarchie h ä t t e erfordert, daß zunächst die philosophischen Ansätze geprüft worden wären, um einen von ihnen auszuwählen und psychologisch zu konkretisieren. Im Sinn der eingangs als notwendig postulierten Dominanzumkehr zugunsten der Psychologie (s.o. S. 11) habe ich mich anders entschieden. Dafür gibt es außer den obengenannten noch folgende, inhaltlichen Gründe: In Leontjews allgemeine Psychologie (und übrigens auch in die Kritische Psychologie) sind die Grundaussagen des dialektischen und historischen Materialismus eingegangen (vgl. Leontjew 1979, 23-74; exakt diese Begründung im Materialismus fehlt in 1977, und ist dem westdeutschen Leser daher schwer zugänglich). Der Kontakt mit der materialistischen Philosophie im Sinn des "Juxtastruktur-Verhältnisses" der Psychologie zur Philosophie (vgl. Seve 1972, 146-166; Stadler, Seeger & Raeithel 1975, 36-41) ist also gewahrt. Durch die Ausarbeitung dieser allgemeinen, materialistischen Erkenntnisse in der Psychologie ist meiner Überzeugung nach ein Vorsprung in der Entfaltung der Kategorie "Widerspiegelung" (die philosophisch immer noch als problematisch gilt) und auch der Kategorie "Tätigkeit" entstanden, durch den die erkenntnis- und wissenschaftstheoretischen Ansätze in ein neues Licht kommen. Dies werde ich in den beiden folgenden Abschnitten (1.4 und 1.5) zu zeigen versuchen. 27

Das Ergebnis dieser Prüfung der Erkenntnis- und Wissenschaftstheorien am Kriterium einer Theorie der Praxis ist, daß auch der fortgeschrittenste Ansatz, das Forschungsprogramm von Peter Ruben (1976), für das psychologische Problem nicht ausreicht. Andererseits wird gerade die Diskussion dieses Ansatzes ergeben, daß auch die von Leontjew entwikkelte Tätigkeitstheorie nicht ausreicht, um die Frage nach der Theorie der sozialen Selbst regulation zu beantworten. Der Hauptgrund für das Nicht-Zureichen beider Ansätze ist der gleiche: Sowohl in Rubens Programm der "Wissenschaft als allgemeine Arbeit" wie auch in Leontjews Tätigkeitstheorie wird in verständiger Abstraktion nur ein einzelnes, arbeitendes bzw. tätiges, Subjekt b e t r a c h t e t . Dies heißt aber, daß die Verhältnisse zwischen den Subjekten, die nach der oben (S. 18) gegebenen Gegenstandsdefinition für die Psychologie zentral sind, nicht explizit untersucht und modelliert werden, obwohl für beide Ansätze gilt, daß als Kontext der Untersuchung des einzelnen Subjekts selbstverständlich die historisch-materialistische Kategorie der Produktionsverhältnisse regulativ wirksam ist, sodaß keine falsche Abstraktion des isolierten Individuums entstehen kann. Die Ähnlichkeit der beiden Ansätze bezüglich der Abstraktion von den Verhältnissen zwischen den Subjekten schließt jedoch eine w e sentliche Differenz ein, durch die beide Ansätze als komplementär zueinander gesehen werden können: Leontjews Hauptabsicht ist die Klärung der Vermittlung zwischen psychischen und gegenständlichen Prozessen durch die lebendige Aktivität. Die gegenständlichen Mittel, die in der Aktivität gebraucht werden, werden als Bestandteil der gegenständlichen Tätigkeit gesehen. Ruben dagegen klammert e x plizit die psychischen Prozesse aus seiner Untersuchung aus, und konzentriert sich auf die Vermittlung von lebendigem Arbeitsvermögen und materiell-gegenständlichem Prozeß, die durch die Arbeitsmittel ermöglicht wird. In strenger Analogie zum materiellen Produktionsprozeß versucht er, auch die Produktion von Wissen als Vermittlung von lebendiger Arbeit und theoretischen Gegenständen durch gegenständlich-symbolische Arbeitsmittel zu verstehen. Beide Ansätze sind also insofern komplementär, als Ruben ausschließlich die "äußere", realisierende Tätigkeit b e t r a c h t e t , während Leontjews zentraler Gegenstand die "innere", kognitive Tätigkeit ist (die er, wie bereits gesagt, aus der "äußeren" herleitet). Durch ein Zusammenführen beider Ansätze kann, wie ich zu zeigen versuche, ein wesentlicher Fortschritt in der psychologischen Theorie erreicht werden: Bisher wurde die "Vergegenständlichung" von ideell antizipierten Strukturen in symbolischen Gegenständen nicht klar genug getrennt von der Realisierung ideell antizipierter Produktionsprozesse in der materiellen Produktion. Durch Rubens Vorarbeiten (und durch die Arbeiten der Autoren des Hegel-Colloquiums, vgl. besonders Damerow u.a. 1981) ist der Prozeß der theoretischen Arbeit als materielle Analogie, d.h. als unabhängig von ihrer Erkenntnis bestehende ähnliche Prozeßlogik, zum gesellschaftlichen Produktionsprozeß erkennbar geworden. Damit wird das Theorie-PraxisProblem, von dem ausgehend die Fragestellung meiner Arbeit entwik28

kelt wurde, folgendermaßen formulierbar: Welche Vermittlungsprozesse sind zwischen Arbeit und theoretischer Arbeit wirksam ? Das Forschungsprogramm von Ruben schließt nur die Vermittlung in einer Richtung ein: Die Mittel der theoretischen Arbeit sind abstrakte Verallgemeinerungen bestimmter Mittel der gesellschaftlichen Produktion. Die Vermittlung der verallgemeinerten theoretischen Arbeitsmittel zurück in den Produktionsprozeß wird jedoch bisher in Rubens Forschungsprogramm nicht explizit e r f a ß t . Die psychologische Frage wäre hier: Wie findet die Aneignung der symbolischen Mittel s t a t t , und in welchem Verhältnis steht sie zur Aneignung der gegenständlichen Mittel allgemein ? Das zweite Kapitel wird daher ganz der Frage gewidmet sein, wie die Kategorie der Arbeit, deren Vermittlungsmoment die Arbeitsmittel sind, psychologisch zu entfalten ist. Gegenüber Leontjews Ansatz, das Verhältnis von Tätigkeit und Gegenstand vor allem aus der Perspektive des personalen Subjekts (das ist eine "urzentrierte" Perspektive) zu entfalten, wird durch eine Dezentrierung der Gegenstand der Psychologie neu bestimmt als Einheit von Tätigkeit, Gegenstandsprozeß und Mittel im "Netz der konkreten Funktionen", wobei eine konkrete Funktion einem einzelnen Arbeitsprozeß streng analog und zugleich ein Mittel für "höhere" konkrete Funktionen ist. Meine Hauptthese im zweiten Kapitel wird sein, daß mit dem Schema (d.h. dem Zeichenmodell des Begriffs) der konkreten Funktion ein elementarer Baustein, die "Zellenform", für die Beschreibung psychologischer Prozesse gefunden ist. Dieses Ergebnis war möglich, weil ich von der Skizze einer konkreten Systemtheorie des sowjetischen Physiologen Pjotr K. Anochin ausgehen, und das auch von Leontjew benutzte Prinzip der "rekursiven Selbstähnlichkeit" der übereinander liegenden Prozeß-"Ebenen" (bei Leontjew: Tätigkeit, Handlung, Operation) a n wenden konnte. Das überraschende Ergebnis ist, daß auf allen Beschreibungsebenen, von der elementaren physiologischen Funktion bis "hinauf" zur Funktion der Reproduktion eines Gemeinwesens, die gleiche, allgemeine Struktur, die der Arbeitsprozeß hat, anwendbar ist. Dieses Ergebnis kann für die empirische Forschung und für die psychologische Teilpraxis nur dann nutzbar gemacht werden, wenn "konkrete Funktionen" in den beobachteten Prozessen abgegrenzt werden können. Ein Anwendungsproblem macht vielleicht deutlicher, um was es geht: In der familientherapeutischen Theorie wird angenommen, daß bestimmte Interaktions- und Handlungsmuster stets erneut ein problematisches Verhältnis in der Familie erzeugen. Versuchen wir das problematische Verhältnis als ein Resultat einer konkreten Funktion zu begreifen, dann ist anzugeben, welchen objektiven Zweck das R e sultat hat (z.B. eine widersprüchliche, paradoxe Form der Beteiligung an der Vorsorge) und durch welche regulativen Strukturen, welche Mittel-Funktionen und welche gegenständlichen Verhältnisse es stets erneut reproduziert wird — entgegen den bewußten Absichten der Familienmitglieder. Als abstrakt-allgemeine Lösung des Abgrenzungsproblems habe ich versucht, die "Regel des reproduktiven Systemabschlusses" aufzustel29

len, die angibt, wie Grenzen gezogen werden können. Das Funktionieren dieser Regel wird jedoch nur an gedachten Beispielen gezeigt; der Nutzen für die empirische und die therapeutische und pädagogische Psychologie muß also erst noch erwiesen werden. Die Gegenstandsabgrenzung, die durch Dezentrierung im zweiten Kapitel gefunden wurde, ist jedoch alles andere als eine genuin psychologische, vom Standpunkt des tätigen Subjekts gemachte Bestimmung. Im dritten Kapitel muß daher eine Rezentrierung vorgenommen werden, die "äußerliche" Betrachtung des Verhältnisses von Tätigkeit und Gegenstandsprozeß muß aufgehoben werden, damit die Frage nach der Theorie der sozialen Selbstregulation überhaupt sinnvoll g e stellt werden kann. Wie bin ich hierbei vorgegangen ? Ich war zunächst ratlos. Dann aber stellte ich mir die Aufgabe, die entwickeltste Theorie des Subjekts als Modell zu benutzen: Bei der Entwicklung ihrer dialektisch- und historisch-materialistischen Theorie (kurz: der materialistischen Theorie) waren Marx und Engels ebenfalls von einer dezentrierten Sicht (auf den gesellschaftlichen Produktionsprozeß) übergegangen zu einer "rezentrierten" Sicht, in der sie sich selbst als Teil des Gegenstands der materialistischen Theorie begriffen, und zwar als politische und soziale Revolutionäre. Der Hauptteil des dritten Kapitels besteht daher in einem Rekonstruktionsversuch der Entwicklung der materialistischen Theorie, so weit wie möglich eingeschränkt auf den sich verändernden Begriff des Gemeinwesens. Ich konnte mich hierbei auf unveröffentlichte Vorarbeiten von Thomas Mies (1979) stützen, dessen Hauptthese ich übernommen und durch zusätzliche Argumente zu stützen versucht habe: Der von Louis Althusser konstatierte Einschnitt zwischen den "Manuskripten von 1844" und den "Thesen über Feuerbach" markiert die Bildung der materialistischen Praxis-Kategorie, mit der erst die Vorgeschichte der materialistischen Theorie abgeschlossen ist. Im Gegensatz zu Althussers Interpretation des Schnittes bedeutet diese Erkenntnisleistung die Geburt einer materialistischen Subjekttheorie, ein Ergebnis, das für die Kritische Psychologie selbstverständlich nicht überraschend kommt (vgl. Holzkamp 1978, 41-128), hier aber auf neue Weise gezeigt wird. Für die Hauptfragestellung meiner Arbeit: auf welchen Kategorien eine Theorie der sozialen Selbst regulation, dann auch eine Theorie der psychologischen Praxisteile, aufgebaut werden kann, ergibt sich aus dem dritten Kapitel folgende Antwort: Die Theorie kann weder auf der Kategorie der Tätigkeit allein, noch auf der Kategorie der Arbeit allein aufgebaut werden, vielmehr muß sie auf einer Entwicklungsfolge der drei Kategorien: Tätigkeit, Arbeit, Praxis aufgebaut werden, denen jeweils ein bestimmter "Modus" des Reflektierens zugeordnet ist: Urzentrierung, Dezentrierung, Rezentrierung. Diese These konnte ich nur begründen, weil ich (erstens) mit der vom HegelColloquium (vgl. Furth 1980) entdeckten Strukturgleichheit des Hegeischen Arbeitsbegriffes und seiner Reflexionsbegriffe arbeiten konnte. Mögliche Mißverständnisse bei dieser schwierigen Materie gehen aber allein auf mein Konto. Das zweite wesentliche Mittel waren Klaus Holzkamps "gnostische Stufen" der anschauenden, pro30

blemlösenden und begreifenden Erkenntnis (vgl. 1973, 336-391), sowie seine methodische Regel des "Fünfschritts" bei der Analyse des Übergangs von einer Stufe der Entwicklung zur nächsten. Im abschließenden vierten Kapitel werden die Ergebnisse und Folgerungen für die Fragestellung der Arbeit thesenhaft dargestellt. Die wichtigste These ist, daß die drei Modi der Reflexion, die Holzkamps gnostischen Stufen in mehrerlei Hinsicht entsprechen, keine "nur aufsteigende" Linie bilden: Interpretieren wir sie als Phasen der sozialen Selbstregulation, dann ist zum gekonnten Handeln eines Subjekts stets die Rückkehr in die Urzentrierung nötig, da die R e zent rie rung in meiner Interpretation nicht in das reflektierende Subjekt selbst, sondern in das "nächsthöhere" Subjekt, das jeweilige Gemeinwesen, zentriert. Allerdings: Soll die Beteiligung an der Vorsorge bewußt und in "kooperativer Integration" mit anderen Subjekten erfolgen, dann muß die Rezentrierung durchlaufen werden, bevor zur Urzentrierung zurückgekehrt wird. Die "Abkürzung", aus der Dezentrierung unmittelbar in die Urzentrierung zurückzukehren, entspricht Holzkamps Stufe des problem lösenden Erkennens, das dadurch gekennzeichnet ist, daß das Subjekt ein Problem im wesentlichen so löst, wie es "sich" stellt, ohne nach der Beziehung des Problems zu sich oder zum Gemeinwesen zu fragen. In weiteren Thesen versuche ich die Kriterien einer Theorie sozialer Selbst regulation inhaltlich und methodisch so zu konkretisieren, daß einzelne Forschungsfragen bearbeitbar werden. Für den Übergang von der abstrakt-allgemeinen Theorie sozialer Selbstregulation zu einer Theorie psychologischer Teilpraxen begründe ich schließlich die Notwendigkeit einer Verallgemeinerung der existierenden praktischen Theorien mit den in der Arbeit entwickelten b e grifflichen Mitteln: eine ungelöste Forschungsaufgabe. 1.3 Regulation der Tätigkeit: Zur psychologischen Form des Theorie-Praxis-Problems In einem Text zur Methodologie der Psychologie beklagt sich Anzyferowa darüber, daß das Problem der Wechselbeziehung von Psychischem und Tätigkeit nur sehr langsam einer Lösung näher gebracht wird: "In der Psychologie gibt es keine Forschungen, die speziell diesem Problem gewidmet sind. Das ist unter anderem darauf zurückzuführen, daß in der Philosophie der Mensch vorwiegend als Subjekt der Erkenntnis betrachtet wird und nicht als Subjekt der praktischen und theoretischen Tätigkeit. Sinn der Erkenntnis ist aber die Regulierung der Tätigkeit" (1974, 52). Diese Feststellung der sowjetischen Psychologin liest sich fast wie eine Reformulierung der "2. These über Feuerbach", die Karl Marx im Jahr 1845 so niederschrieb: "Die Frage, ob dem menschlichen Denken gegenständliche Wahrheit zukomme, ist keine Frage der Theorie, sondern eine praktische Frage. In der Praxis muß der Mensch die Wahrheit, das heißt die Wirklichkeit und Macht, die Diesseitigkeit seines Denkens beweisen ..." (MEW 3, 533). 31

Was Marx als allgemeine erkenntnistheoretische Folgerung formuliert, die im übrigen enorme politische Bedeutung h a t t e und noch hat, das faßt Anzyferowa als allgemeinpsychologisches Problem: Die konkrete Erklärung der Wechselbeziehung von Wahrnehmen, Reflektieren und Planen mit der realisierenden, "äußeren" Tätigkeit der Menschen gilt es zu erreichen, sonst bleibt die Theorie der gegenständlichen Tätigkeit unvollständig. Eine Seite dieser Wechselbeziehung ist allerdings schon sehr gründlich untersucht worden: Es gibt eine ganze Anzahl theoretischer Konzeptionen, die beanspruchen erklären zu können, wie die "inneren Prozesse" des Wahrnehmens, Reflektierens und Planens aus der "äußeren" Tätigkeit der Menschen hervorgehen; neben der sowjetischen Theorie der "Interiorisation" (vgl. Galperin 1980) ist vor allem Piaget zu nennen, aber auch die behavioristischen Lerntheoretiker versuchten eine Erklärung der Genese von verhaltenssteuernden Strukturen aus dem Verhalten der Organismen gegenüber wechselnden Umgebungsbedingungen. Die andere Seite der Wechselbeziehung, nämlich die Umsetzung der Resultate des Reflektierens und Planens in die realisierende Tätigkeit ist dagegen äußerst unzureichend untersucht. Die radikal-behavioristischen Theoretiker konnten das Problem nicht einmal stellen, denn für sie gab es keine Differenz zwischen "innerer" und "äußerer" Tätigkeit: Beide wurden als quasi-automatischer Prozeß konzeptualisiert, auf deren regulative Strukturen nur die Kontingenzen (zufälligen Umgebungsbedingungen) Einfluß haben, nicht aber die Subjekte selbst, deren Prozesse es doch sind. Nun, die Zeiten sind vorbei, in denen das Paradigma der "Verhaltenswissenschaft" relativ unangefochten als "die" Psychologie verkauft werden konnte, und dennoch gibt es noch wenige Fortschritte bei der Erklärung des Übergangs vom Wissen zum Können, wie ich die zweite Seite der Wechselbeziehung nennen möchte. Da das Problem dieses Übergangs mich seit Beginn meiner Berufstätigkeit in der psychologischen Forschung (1970) bis heute intensiv beschäftigt hat, und auch die vorliegende Arbeit von einer grundsätzlicheren Stellung dieses Problems, nämlich von der Frage nach einer Theorie der psychologischen Praxisteile, ausgeht, möchte ich im folgenden einen knappen Exkurs zur Geschichte meines eigenen Problemverständnisses geben (1). Daran anschließend wird die Hackersche Handlungsregulationstheorie besprochen (2), und gezeigt, daß sie nur eine Teillösung darstellt. Das Problem des Übergangs vom Wissen zum Können wird daher (3) noch einmal grundsätzlich von der Tätigkeitstheorie Leontjews her entwickelt, und schließlich (4) werden existierende Theorieansätze in der Psychologie am zuvor entwickelten Kriterium der Verwissenschaftlichung der Praxis gemessen. (1) Das Problem des Wissen-Können-Übergangs Ich war von 1970 bis 1972 Mitglied der Projektgruppe "Schullaufbahnberatung" an der Universität München, die sich die Aufgabe g e stellt h a t t e , Lehrer der "Orientierungsstufe" bei ihren pädagogischdiagnostischen Tätigkeiten beratend zu unterstützen. Wir gingen d a von aus, daß die Lehrertätigkeit mit den Mitteln der herrschenden 32

behavioristischen Theorie nicht erfaßt werden kann, und suchten nach theoretischen Mitteln, um die Planungs- und Diagnoseprozesse des Lehrers vor und während seiner Unterrichtstätigkeit zu erfassen. Miller, Galanter & Pribrams Text: "Plans and the Structure of Behavior" (i960) schien mir mit dem Begriff des Plans ein universelles Mittel bereitzustellen, denn er war von den Autoren ausdrücklich dazu entwickelt worden, "um die Lücke zwischen Wissen und Handlung zu überbrücken" (zit. nach Hacker 1973, 75), um "zu beschreiben, wie die innere Vorstellung, die ein Organismus vom Universum hat, die Handlungen steuert" (zit. nach der deutschen Übersetzung, 1973, 21 f). Das Resultat unserer ersten Versuche (vgl. Kutscher, Raeithel & Stevens 1973) befriedigten jedoch keinen von uns. Es war klar, daß dieses Mittel allein nicht ausreichen würde, daß viel mehr, nämlich eine ganze Gesellschaftstheorie gebraucht wird, um die "Lücke zwischen Wissen und Handlung" zu schließen, und daß es insbesondere nicht ausreicht, einen "Organismus" direkt dem "Universum" gegenüberzustellen, wie der im gleichen Jahr erschienene Text von Holzkamp ("Sinnliche Erkenntnis", 1973) eindrücklich klar machte. Das Grundproblem der Verbindung von Erkenntnis und Tätigkeit scheint mir auch weiterhin dadurch angehbar zu sein, daß zunächst ein konkretes Modell der regulativen Strukturen in den Köpfen der Menschen erarbeitet wird, und dann eine Anwendung dieses Modells auf Fragen der Tätigkeitsregulation von Psychologen, Lehrern, Eltern usw. seine Erklärungskraft zeigen muß (vgl. Raeithel 1980, 1980 a). In vielen intensiven Diskussionen an den Universitäten Bielefeld und Münster haben wir eine einheitliche Auffassung einer zu schaffenden materialistischen Psychologie erarbeitet, die vor allem das Problem der Regulation der Tätigkeit ins Zentrum der Untersuchung stellt, um für die unterschiedlichen Praxen der Psychologie nützlich sein zu können. Ein erstes Produkt dieser Auffassung war unser einführender Text zur Wahrnehmungspsychologie, in dem wir ein "Psychologischkybernetisches Modell der individuellen Aneignung" (Stadler, Seeger & Raeithel 1975, 58-68) zur Argumentationsgrundlage für die das Buch beherrschende These machten: Die sinnlichen Wahrnehmungen sind nicht die einzige Erkenntnisquelle, über die die Menschen verfügen. "Durch die geplante Tätigkeit können die Menschen aktiv auf die Gegenstände einwirken. Zwar kann die Wirkung dieser Tätigkeit auch wieder nur über die sinnliche Wahrnehmung erfaßt werden; die praktische Aktivität bricht jedoch den Zirkel der rein bewußtseinsmäßigen Interpretation der Wahrnehmungsinhalte auf, greift in die objektive Realität ein. Eine absolute Abhängigkeit von den Reizen ist also nicht gegeben. Damit entfällt auch jede Notwendigkeit, solipsistisch nur die Wahrnehmungsinhalte für Realität zu erklären; die gegenständliche Tätigkeit (Marx) der Menschen ist ebenso real und objektiv" (aaO, 50). Diese wichtige These hatten wir durch das Studium zweier Vorträge von A.N. Leontjew auf internationalen Psychologie-Kongressen (1966, 1972) gewonnen. Im zweiten Vortrag entwickelte Leontjew auch sein triadisches Grundschema "Subjekt-Tätigkeit-Objekt" (vgl. auch Leontjew 1973, 1977, 18-22 und 1979, 75-83), das seither der katego33

riale Rahmen für meine gesamte Arbeit geblieben ist, und das in einer veränderten Form auch den Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit bildet. Die Veränderungen betreffen vor allem den Term "Subjekt" in dieser Triade: In vielen Diskussionen haben Martin Hildebrand und ich mit den Texten gerungen und uns schließlich darauf geeinigt, diesen Term als die "ideellen, potentiell regulativen Strukturen des Subjekts" , kurz: als lebendiges Wissen zu verstehen, und folglich den Begriff Subjekt für die lebendige Einheit dieser Strukturen in der Tätigkeit zu reservieren (vgl. Hildebrand-Nilshon 1980 und 1980 a). Dies sollte ermöglichen, sowohl die äußere Tätigkeit in ihrer Einheit mit den materiellen Gegenständen, als auch die "innere" Tätigkeit mit "ideellen" Gegenständen gleichartig zu b e schreiben. (Im weiteren Gang der Argumentation werde ich noch zeigen, daß auch dieser Subjektbegriff noch zu eng ist: Zum Subjekt gehören, wie im 3. Kapitel deutlich werden wird, auch seine gegenständlichen Verhältnisse). Der zweite Term der Triade, die "Tätigkeit", erfaßt nach meinem Verständnis den Prozeß der lebendigen Aktivität, dessen Strukturen ebenfalls "regulativ" sind, jedoch nicht nur potentiell, sondern tatsächlich. Diese "operativ-regulativen" Strukturen (kurz: das Können) sind also die wirklichen Möglichkeiten (Hegel) der Subjekte, im Unterschied zu den "ideellen" Möglichkeiten, die in den symbolischen Strukturen des Wissens liegen. In Übereinstimmung mit dem inzwischen üblichen Sprachgebrauch werde ich künftig von kognitiven Strukturen sprechen, wenn Strukturen des lebendigen Wissens gemeint sind (vgl. Leiser 1978, Damerow 1980 b, Klix 1980), und von operativen Strukturen, wenn in der T ä tigkeit aktivierbare, regulative Strukturen bezeichnet werden müssen ("operativ" heißt also in meinem Gebrauch nicht das gleiche wie bei Piaget, der diesen Terminus für spezielle kognitive Strukturen vorbehält, die reversibel und abgeschlossen-vollständig sind). In Leontjews Text (1979) ist nicht vollkommen eindeutig auszumachen, wie der dritte Term der Triade zu verstehen ist; Leontjew spricht z.B. von den "fließenden Zuständen des Subjekts" (82), vom "Abbild" (83), von der "psychischen Widerspiegelung" (86 f), vom "subjektiven Produkt der Tätigkeit" (88), woraus sich sowohl entnehmen läßt, daß er einen Prozeß meint, wie auch, daß er die überdauernde Struktur dieses "inneren" Prozesses meint. Ob die soeben skizzierte Interpretation tragfähig ist, wird sich im Verlauf der Argumentation zeigen müssen. Der entscheidende Punkt bei der Leontjewschen Triade ist jedoch nicht die Interpretation der beiden "Pole", sondern daß diese Pole einander nicht unvermittelt gegenübergestellt werden, vielmehr ein besonderes Vermittlungsmoment, eben die gegenständliche Tätigkeit angenommen wird. In dieser Sicht ist ein vollkommen mittelloses Subjekt nicht auch als lebendiges Subjekt denkbar, das Hauptmittel, das einem lebendigen Subjekt immer bleibt, ist seine eigene Tätigkeit. Dies stimmt durchaus mit der Marxschen T e r minologie überein, denn das wichtigste Produktionsmittel ist die lebendige Arbeitskraft, ohne die das Kapital sich nicht verwerten läßt. 34

Für das Problem, wie die theoretische Lücke zwischen Wissen und Handlung am besten auszufüllen wäre, schien mir diese Einsicht lange Zeit auszureichen, und ich versuchte, das doppelte Verhältnis der Tätigkeit (T) zum materiellen Gegenstand (G) einerseits und zum "ideellen Gegenstand" (I) andererseits zu klären, ohne die Rolle der gegenständlichen Mittel, worunter sowohl Werkzeuge, wie auch sprachliche, symbolische Mittel zu verstehen sind, näher zu betrachten. Im vorliegenden Text korrigiere ich diese theoretische Lücke; die Gründe dafür habe ich in der Übersicht bereits angedeutet und sie werden weiter unten noch ausführlich dargestellt. Das Fazit der Entwicklung des Problems des Übergangs vom Wissen zum Können bis hierher lautet: Die kategoriale Struktur des Problems, die im I-T-G Schema f e s t g e halten ist, hat sich bisher bewährt, erweist sich aber noch als zu einfach. Es kommt nun darauf an, einen weiteren Schritt in der E n t faltung des Problems zu gehen. Damit ist vor allem ein theoretischer Fortschritt gemeint, empirische Fortschritte durch die Orientierung auf die Erforschung der Praktikertätigkeit, die die Gruppe von Bielefelder und Münsteraner Psychologen gemeinsam erarbeitet hat, sind durchaus festzustellen (vgl. Breuer, Franke & Seeger 1980, Brom me 1981). (2) Zur Theorie der Handlungsregulation Ein theoretischer Fortschritt müßte über die materialistische Re-Interpretation der Ansätze von Miller, Galanter und Pribram h i nausreichen, die Winfried Hacker (1973) für den Bereich der Arbeitspsychologie vorgelegt hat, und deren Fruchtbarkeit in der Anwendung auf Probleme der Arbeitsgestaltung gezeigt worden ist (vgl. z.B. Hacker & Matern 1980). Für den Bereich der allgemeinen Psychologie und für die Anwendung auf andere psychologische Teilpraxen ist die Handlungsregulationstheorie jedoch nur sehr bedingt geeignet, wie sich in den oben genannten Arbeiten zeigte: (a) In Therapieprozessen können mit dem Modell der "hierarchischsequentiellen Struktur" der Handlung zwar wesentliche Aspekte des Könnens von Therapeuten und von Klienten beschrieben und erklärt werden (Automatisierung, bewußte Zielhierarchie, regulative Funktion des Handlungsresultats usw.), jedoch ist die Entwicklung des Könnens, d.h. die Ausbildung und Veränderung der regulativen Struktur nicht detailliert modellierbar, obwohl gute Trainings-Methoden zur Verfügung stehen (vgl. Skell 1980). Dies gilt sowohl für die Entwicklung des Könnens in der realisierenden Tätigkeit (also ohne größere Reflexionsanstrengungen) wie auch für den Übergang vom Wissen zum Können, sei es nun Wissen, das die Subjekte selbst in der Reflexion produziert haben, oder vergegenständlichtes Wissen, das sie sich erst aneignen, d.h. wieder in subjektive Form, in lebendigen Begriffen fassen müssen. Ein wesentlicher Grund hierfür ist sicher, daß die Theorie der kognitiven Strukturen noch erst im Stadium der Modell-Inflation angekommen ist, und die Forschungsarbeiten im Bereich der Mechanismen des Gedächtnisses noch zu keinem allgemein anerkann35

ten Resultat geführt haben (vgl. zur Übersicht: Ueckert & Rhenius 1978, Aebli 1980). (b) In der Kritik der Handlungsregulationstheorie von Seiten der Kritischen Psychologie (Haug, Nemitz & Waldhubel 1980, die ihrerseits wegen vieler grober Vereinfachungen und Naivitäten, z.B. über die "Kybernetik", wo eigentlich die Informatik gemeint ist, 41-43, kritisiert werden muß) ist neben dem soeben konstatierten Mangel die zu große Einfachheit der formalen Struktur des Modells hervorgehoben worden: "Die hierarchische Verhaltensorganisation bildet ... nur einen Aspekt ab". Auch wenn man eine Vielzahl hierarchischer Ebenen annimmt, "ist das Problem nicht gelöst, da diese Ebenen sich keineswegs, wie das hierarchische Modell suggeriert, friedlich in die von oben kommenden Steuerungsbefehle einfügen" (aaO, 45). Durch die Annahme einer strengen Hierarchie können also weder kognitive und operative Konflikte abgebildet werden, noch — dies ist Haug u.a. wegen ihres Hauptinteresses an Fragen der Macht und Selbstbestimmung entgangen — können zirkuläre Beziehungen zwischen den einzelnen repräsent at ionalen und operativen Elementen der Struktur explizit gemacht werden: Dadurch ist die Kooperation von Einzeloperatoren und die Repräsentation von Widersprüchen nicht modellierbar. Eine alternative Strukturannahme ist die der heterarchischen Struktur von kooperierenden Operationen (vgl. Raeithel 1980/81, Osterloh 1981, 213-226 und 392-397), die bei Problemen der Informatik und der künstlichen Intelligenz bisher erfolgreich angewandt werden konnte. (c) Die bisher genannten Kritikpunkte könnten durch eine Erweiterung des zugrundeliegenden Modells überwunden werden. Dies gilt meiner Überzeugung nach nicht mehr für das Fehlen einer Motivationstheorie, das sowohl von den Vertretern der Handlungsregulationstheorie selbst, wie auch von den Kritikern als schwerwiegendster Mangel angesehen wird. Oesterreich hat soeben, 1981, einen Text veröffentlicht, den ich noch nicht durchsehen konnte, und der eine Erweiterung des Grundmodells in Richtung auf Modellierung von Motivation enthalten soll. Ein solcher Versuch ist meines Erachtens nur aussichtsreich, wenn von einer Handlungstheorie zur Tätigkeitstheorie übergegangen wird. Mit dem Begriff "Tätigkeit" wird nämlich nicht nur die Aktivität einer einzelnen Person e r f a ß t , sondern er beschreibt eine gesellschaftlich e r zeugte Form von kooperativer Aktivität, sobald er inhaltlich konkret (als Einzeltätigkeit mit konkretem Produkt, d.h. objektivem Motiv) gefüllt ist. Anders gesagt: Die Motive der tätigen Menschen entstehen im sozialen Verkehr, und nicht nur innerhalb eines kognitiv erfaßten "Handlungsraums" einer Person. Die Handlungsregulationstheorie ist genetisch und strukturell eine Spezialisierung der Theorie der Tätigkeitsregulation. Die aussichtsreichste Strategie für die Entwicklung eines besseren Modells liegt daher meines Erachtens im Zurückgehen auf die allgemeinere Theorie, um unter Beachtung der gewonnenen Begrenzungserfahrungen einen neuen Konkretisierungsversuch zu machen. 36

(3) Tätigkeitsregulation und Psychologentätigkeit Ein weiterer Einwand von Haug, Nemitz und Waldhubel gegen eine gemeinsame Grundannahme der Theorien der Handlungs- und Tätigkeitsregulation ist noch nicht behandelt worden: Die Basisannahme, daß menschliches Handeln zielorientiert sei, t r e f f e die Spezifik menschlicher Tätigkeit nicht, vielmehr beschreibe die Handlungstheorie allenfalls "das Planungsverhalten von Menschenaffen oder Affenmenschen" (1980, 44), da nirgends eine Definition (!?) der Spezifik gegeben werde. Dieser Einwand ist schwierig nachzuvollziehen, zumal die Kritiker an späterer Stelle selbst referieren, welche Erkenntnisse über spezifisch menschliche Denkleistungen in die Handlungsregulationstheorie Eingang gefunden haben (52-56). Der Einwand wird auch nicht klarer, wenn wir zu Anfang des zitierten Textes lesen: "Als das wesentliche auszugeben, daß die Menschen denken, bevor sie handeln, heißt zugleich auch, die Menschlichkeit immer schon als gegeben anzunehmen, wo gedacht wird und geplant, sie letztlich zu begreifen als eine Art von Eigenschaft, nicht als Entwicklung, nicht als Möglichkeit. Geplant ist zwar gewiß die einzelne menschliche Handlung, nicht zwangsläufig aber die menschliche Arbeit, deren historische Planlosigkeit in gesellschaftlichem Maßstab und deren zunehmende Gesellschaftlichkeit auf diese Weise begrifflich nicht zu fassen sind" (26). Einerseits also planen auch Tiere (oder sollten wir sagen: "verhalten sich planend" ?), andererseits aber ist Planung, bewußte Planung, eine perspektivische Kategorie, etwas den Menschen nur gelegentlich mögliches, das sie erst noch erringen müssen. Es scheint so, als wollten die Autoren den ganzen Unterschied zwischen Menschen und Tieren in der Bewußtheit der Planung suchen, aber für diese Charakteristik geben sie keine handhabbare Bestimmung. Eine materialistische Bestimmung der Spezifik menschlichen Planens h ä t t e zunächst die Planungsmittel anzugeben (Haben Tiere überhaupt Planungsmittel ? Gibt es andere als symbolische Mittel ?), und es wäre die Gefahr eines teleologischen Arbeitsbegriffs zu vermeiden: "die Gleichsetzung der Arbeit mit subjektiver Teleologie, mit Zweckrealisation. Diese Auffassung geht letztlich auf die Privilegierung des Moments der Zwecksetzung in der Arbeit gegenüber ihren anderen Momenten zurück. Es sind die Freiheitserwartungen, die sich an dieses Moment der Arbeit knüpfen, die zum Übergang in die Kommunikationstheorie treiben" (Furth 1980 c, 7). Eine teleologische Auffassung des gesamtgesellschafichen Produktionsprozesses scheint mir darin impliziert, daß Planen nicht als reale Möglichkeit, sondern als perspektivisch zu ereichende Fähigkeit angesehen wird. Das Problem liegt nicht darin, daß noch nicht geplant werden könnte, sondern darin, zu welchem objektiven Zweck geplant wird oder werden sollte. Die wesentliche Frage scheint mir die nach der richtigen Fassung der durchgehenden Zielorientiertheit menschlicher Aktivität und gleichzeitigen Planlosigkeit des gesellschaftlichen Gesamtprozesses: Wie ist es zu erklären, daß jede einzelne Arbeit geplant ist, und dennoch das Gesamtresultat der Produktion immer noch "hinter dem Rücken" der Menschen zustandekommt ? 37

Hierzu ist einerseits, wie bereits gefordert, eine Theorie der kognitiven und gegenständlichen Mittel der antizipierenden Aktivitäten der Menschen nötig (hierzu hat die Kritische Psychologie bisher nur wenig beigetragen, vgl. Seidel 1976, 1979; Leiser 1978, 1979; PAQ 1981, 240-293), andererseits geht es um die materialistische Fassung der Praxiskategorie, die an der Arbeitskategorie zu orientieren ist, aber in ihr nicht aufgeht (vgl. Furth 1980 c, 6 und passim). Diese Klärung hat zu beginnen mit einem klaren Verständnis der Kategorie der gegenständlichen Tätigkeit, die nicht allein durch das Moment der Zielorientiertheit bestimmt ist. Eine solche Klärung ist vor allem deshalb wichtig, weil in den Sozialwissenschaften inzwischen das behavioristische Forschungsprogramm, das die Zielorientiertheit aus methodischen Gründen geleugnet h a t t e , aus seiner b e herrschenden Position vertrieben wurde. Es gibt inzwischen eine Unzahl von theoretischen Entwürfen, die das zielgerichtete Handeln als Basisprozeß des psychologischen Gegenstands ansehen (vgl. Lenk 1981), aber die Mehrzahl der Forschungsarbeiten in der allgemeinen Psychologie berichten nicht über den Zusammenhang von "äußerer" und "innerer" Tätigkeit in den Begrenzungen der materiellen Gegenstandsprozesse, sondern behandeln die Mechanismen der "kognitiven Prozesse", d.h. nur das Verhältnis der Tätigkeit zu symbolischen Gegenständen. Dies ist schon ein Fortschritt: Die regulative Struktur des Wahrnehmens, Denkens und Planens kann so aufgeklärt werden, die Subjekte treten immerhin als Subjekte ihres Denkprozesses auf, und Hans Aeblis neuester Text heißt sogar programmatisch: "Denken - Das Ordnen des Tuns" (1980). Das Interessante an der gegenwärtigen Entwicklung ist die sich abzeichnende Möglichkeit, daß die Theoretiker ihre eigene kognitive Aktivität erklären könnten und damit der alte Traum vieler Psychologen - besonders Piaget ist hier zu nennen - wahr werden könnte: Eine empirische Erkenntnistheorie zu erarbeiten, die selbstanwendungsfähig und für die gesellschaftliche, speziell die pädagogische Praxis verallgemeinerbar ist. Leider muß aus materialistischer Sicht ein gewichtiger Einwand gegen die Realisierbarkeit dieser Hoffnung vorgebracht werden: "Der Auffassung, daß die eigentliche psychologische Untersuchung der Tätigkeit vor sich gehen könnte, ohne auf die Untersuchungsebene der äußeren Tätigkeit, ihrer Struktur überzugehen, kann man nur zustimmen, wenn man eine einseitige Abhängigkeit der äußeren Tätigkeit von dem sie steuernden psychischen Abbild, der Zielvorstellung oder ihrem gedanklichen Schema vornimmt", bemerkt Leontjew (1979,92), und fährt fort: "Aber das ist nicht so. Die Tätigkeit tritt notwendig mit dem Menschen Widerstand entgegensetzenden Gegenständen in praktische Kontakte, die der Arbeit eine andere Richtung geben, sie verändern und bereichern. ... Demnach geht die Tätigkeit in den Gegenstand der Psychologie ein, aber nicht mit einem besonderen Teil oder einem besonderen 'Element', sondern in ihrer besonderen Funktion, durch die das Subjekt die gegenständliche Wirklichkeit erfaßt und sie in der Form der Sub-jektivität umgestaltet" (aaO). 38

Sowohl die Zielgerichtetheit der menschlichen Aktivität gilt es also zu beachten, als auch die Tatsache, daß es sich um gegenständliche Tätigkeit handelt, die der unabhängig von den Zielen, den Theorien und den Wünschen der Menschen existierenden (sich entwikkelnden) gegenständlichen Realität adäquat sein muß. Dies gilt nun aber in einem doppelten Sinn: Einmal muß die Psychologie die ganze, gegenständliche Tätigkeit der Menschen als gnostische und als praktische Beziehung zwischen lebendiger Aktivität und materieller R e a lität erfassen. Zum anderen müssen auch beide Seiten der Beziehung zwischen der wissenschaftlichen Tätigkeit der Psychologen und ihrem Gegenstandsprozeß in die Selbst reflexion unserer Wissenschaft einbezogen werden: Sowohl die Seite der Erkenntnisproduktion, wie auch die Seite der praktischen Auseinandersetzung mit den psychologischen Gegenständen. Die zweite Seite, das praktische Eingreifen der Psychologen in die gesellschaftlichen Reproduktionsprozesse, kann aber mit den herkömmlichen Kriterien der Wissenschaftstheorie nicht mehr gemessen werden, die fast auschließlich Geltungskriterien für die produzierten Theorien sind. Es geht natürlich auch weiterhin um die Verallgemeinerbarkeit und Wahrheit der Theorien, aber nun um die praktische Verallgemeinerbarkeit und um die gegenständliche Wahrheit. Ein Kriterium für die Wissenschaftlichkeit der Psychologie wird also sein müssen, inwieweit es ihr gelingt, theoretisch erfaßte Möglichkeiten in der sozialen Praxis zu realisieren. Dies allerdings ist nun kein rein innerwissenschaftliches Problem, sondern es wird vom gesamten sozialen Kontext der Psychologentätigkeit abhängen, was realisierbar ist und was wegen der gesellschaftlichen Verhältnisse vorerst ungeprüfte Antizipation bleiben muß. Die bisherige Argumentation läßt sich folgendermaßen konzentrieren: Wenn erst einmal die gegenständliche Tätigkeit der Menschen insgesamt als zum Kernbereich des psychologischen Gegenstands gehörig akzeptiert wird, muß die methodologische Reflexion auch die g e samte Psychologentätigkeit im Zusammenhang mit ebendemselben Gegenstand erfassen. Würde sie nämlich auf die Theorieproduktion b e schränkt, dann ließe sich gegen diese Beschränkung das gleiche Argument vorbringen, das zuvor schon zur Einbeziehung der realisierenden Tätigkeit in den psychologischen Gegenstand zwang: Die wissenschaftliche Tätigkeit wäre als rein zielorientierte Aktivität ohne gegenständliches Korrektiv, und es bliebe nur der Konsens der Experten. Wenn das so ist, dann brauchen wir Psychologen zuerst eine inhaltliche Theorie über die menschliche Tätigkeit als Teilsystem der gesellschaftlichen Praxis, bevor wir aus den Charakteristika dieser Tätigkeit und ihrem Verhältnis zu den Gegenständen eine Methodologie abstrahieren und diese wiederum für die Regulation der Tätigkeit von Wissenschaftlern in einer verallgemeinerten, bewußteren Form konkretisieren können. Andererseits bedeutet die Konstruktion einer Theorie (als Rekonstruktion der materiellen Verhältnisse im Ideellen) selbst schon eine wissenschaftliche, nämlich theoretische Tätigkeit, die klarerweise möglichst bewußt, also insbesondere auch methodisch reguliert vor sich gehen sollte. Wir brauchen folglich bereits eine Methodologie, bevor wir beginnen können, die Theorie zu entwickeln, 39

die wir brauchen, um eine gegenstandsangemessene Methodologie zu entwickeln. Wir geraten also in einen VoraussetzungsWiderspruch; kommen sozusagen gar nicht erst zum Ausgangspunkt der theoretischen und methodologischen Arbeit — es sei denn, und dies wäre recht vernünftig: wir bauen auf unserem bereits vorhanden Wissen und Können auf. Dieser Aufbau wird jedoch nicht rein kumulativ erfolgen können; wir müssen damit rechnen, daß das vorhandene Wissen und Können dem intendierten Gegenstand nicht völlig gerecht wird. Allerdings können wir auch darauf bauen, daß die vorhandenen Erkenntnisse und Methoden stets relativ wahre Repräsentationen und relativ optimale Operationen enthalten. Für die Isolierung dieses "rationalen Kerns" des vorhandenen Wissens und Könnens ist entscheidend, daß rekonstruiert werden kann, in welchem praktischen Zusammenhang die Erkenntnisse und Methoden gewonnen wurden. Das soll heißen: Bei der Beurteilung einer Theorie sollte nicht nur die eigene Auffassung über den Gegenstand dieser Theorie mit ihr verglichen werden, sondern Ausgangspunkt einer Herausarbeitung des rationalen Kerns sollte sein, daß das praktische Verhältnis der jeweiligen Theoretiker zum Gegenstand ihrer Theorie erfaßt wird. Stellt sich etwa heraus, daß sie ihren Gegenstand als sich entwikckelnden zu begreifen versucht haben, dann ist zu erwarten, daß sie "spontan-dialektische" bzw. "spontan-materialistische" Elemente in ihren Begriffen aufgenommen haben. Diese Orientierung auf das Verhältnis von Theoretikertätigkeit und deren Gegenstand hat Anneliese Griese in einem Artikel zum heutigen Stand der Naturdialektik klar herausgearbeitet (1980, 410); B.M. Kedrow hat begründet, daß Engels seine eigene Arbeit so verstanden hat (1979, 425-442). Sobald die Produktion von Theorien und Methoden als abhängig von bereits bestehendem Wissen und Können gesehen wird, entfällt der Voraussetzungswiderspruch. Das uns interessierende Verhältnis von Theorie und Praxis, von Wissen und Können läßt sich nun als ein dynamisches, das heißt: durch Kräfte und Gegenkräfte in Bewegung gehaltenes Verhältnis analysieren. Die Produktion von Theorien über die Praxis und ihre Gegenstände und die Verwissenschaftlichung der Praxis (vgl. zum letzteren: Mies & Otte 1978) sind in dieser Sicht leicht als die dynamischen Gegenpole des Aneignungsprozesses zwischen Natur und Gesellschaft zu verstehen. Als eine Konkretion dieser allgemeinen Pole finden wir im Bereich der Psychologie: die Konstruktion psychologischer Theorien einerseits, und auf der anderen Seite die bewußte, methodische Regulierung der Psychologentätigkeit (die Vermitlung beider Pole, z.B. durch die institutionellen Kontexte beider Tätigkeiten, wird hier wiederum nicht beachtet). Der spezielle Aneignungsprozeß, zu dem theoretische und methodische Arbeit der Psychologen beitragen sollen, ist die Aneignung der menschlichen, natürlichen und gesellschaftlichen, Möglichkeiten durch die Subjekte selbst. Eine Erläuterung ist notwendig. In dem Wort "Aneignung", das im allgemeinen Verständnis "Übernahme eines Gegenstandes in meinen Besitz" bedeutet, liegt nämlich die Gefahr eines großen Mißverständ40

nisses. Der Aneignungsprozeß zwischen Natur und Gesellschaft umfaßt genau so sehr die Herausbildung, erstmalige Produktion eines neuen Gegenstands, wie andererseits die In-Besitznahme und die dauernde Erhaltung des Besitzes, also die Reproduktion dieses Gegenstands. In der Psychologie geht es demnach auch nicht allein um die Erkenntnis und das Verständnis bereits fertiger, andauernd reproduzierter Charakteristika "des Psychischen" und "der Tätigkeit", sondern genau so sehr um die Herstellung, erstmalige Produktion, von neuen Teilen des "menschlichen Wesens", also um Fortschritte bei der Aneignung ihrer Möglichkeiten durch die Menschen, die auch Fortschritte in ihrer individuellen Entwicklungsfähigkeit darstellen. In dieser Sicht stehen die vergesellschafteten Menschen nicht nur einer "äußeren Natur" in Gestalt der ökologischen Bedingungen der materiellen Umgebung gegenüber, sondern sie "haben" ebenso eine, ihnen zu wesentlichen Teilen noch "äußerliche" Natur in Gestalt ihrer organismischen und psychischen Bedingungen. Es ist die Leistung der Kritischen Psychologie, herausgearbeitet zu haben, wie diese organismische Natur der Menschen bereits "von Geburt an" der Möglichkeit nach eine gesellschaftliche Natur ist (vgl. hierzu zusammenfassend: Holzkamp 1979). Jede sich entwickelnde Person muß sich diese ihre Möglichkeit erst nach und nach aneignen, und ebenso gilt dies für die Menschen insgesamt, die nach materialistischer Überzeugung erst ein geringes ihrer Möglichkeiten verwirklichen können. Im übrigen gilt dies genauso für die "gerade noch nicht" angeeignete Natur der ökologischen Entwicklungsprozesse; auch von ihnen kann gesagt werden, daß sie insoweit gesellschaftliche Natur sind, als sie der Möglichkeit nach (!) in gesellschaftliche Verhältnisse und Entwicklungsprozesse verwandelt, und damit zu "kontrollierten" Lebensbedingungen werden können. Die Erweiterung der Bedeutung des Begriffs der gesellschaftlichen Natur macht auch auf eine Gefahr aufmerksam, die in der unvorsichtigen Verwendung des Ausdrucks "natürliche Möglichkeiten" liegt: Was von den Möglichkeiten der Menschen als gesellschaftlich formbar, und was als "naturgegeben" angesehen werden muß, ist nicht ohne eine historische Relativierung anzugeben. Mehr noch: mit der Entwicklung der Mittel der menschlichen Tätigkeit, seien es gegenständliche Arbeitsmittel, oder "einverleibbare", habituelle (Bourdieu 1976), sozial produzierte Orientierungen und Fähigkeiten, werden neue natürliche Möglichkeiten zugänglich. (4) Stand der Entwicklung einer praktischen Psychologie Diese notwendige Klärung des Aneignungsbegriffs verhilft uns auch gleich zu einem differenzierten Fortschrittskriterium für die Beurteilung von theoretischen und methodischen Entwicklungen in der Psychologie: Psychologische Theorie kann ein Mehr an Erkenntnis sowohl durch die erweiterte Rekonstruktion realer, gesellschaftlich reproduzierter, psychologischer Prozesse, als auch durch die Antizipation neuer, gesellschaftlich erst noch zu produzierender Möglichkeiten erbringen. Dies zweite gilt selbst dann, wenn diese Antizipation sich in der späteren (psychologischen) Praxis als nur teilweise 41

praktisch wahr herausstellen sollte, was wohl der Regelfall ist. Die Erkenntnis des aktuell Wirklichen und die Antizipation des künftig Möglichen bleiben jedoch solange "bloße Theorie", wie sie außerhalb und getrennt von der umfassenderen, gesellschaftlichen Praxis produziert werden. Es genügt folglich nicht, bloß die Produktion von Erkenntnissen bewußt und methodisch zu betreiben, die methodologische Reflexion muß vielmehr vor allem auch auf das Problem der V e r wissenschaftlichung (psychologischer) Praxis gerichtet werden: auf ein Mehr an bewußt ausgeübter Fähigkeit zur Bearbeitung von Problemen, die von den "Klienten" der Psychologen gestellt und zusammen mit ihnen (evtl. mehrmals neu gestellt und) gelöst werden. Messen wir die Theorieproduktion in der Psychologie an diesem Kriterium, dann sind die Fortschritte allerdings nicht sehr überzeugend. Eine Ausnahme bildet die handlungstheoretische Arbeitspsychologie (vgl. Volpert 1980), in der pädagogischen Psychologie und in der Psychotherapietheorie kann jedoch kaum von einer Regulation der praktischen Tätigkeit durch eine einheitliche Theorie gesprochen werden. Zwar hat die lange Zeit herrschende behavioristische Psychologie zu eigenen Praxisformen, z.B. der Verhaltenstherapie geführt, aber die Entwicklung in der Praxis hat die Ursprungstheorie überholt. Die "Praktiker" müssen daher, um den Anforderungen ihrer Auftraggeber entsprechen zu können, eigenständige Synthesen vieler divergenter Theorie- und Methodenbruchstücke erarbeiten, oder sie suchen die Lösung in einer eklektizistischen "Handwerkelei", oder sie schränken den von ihnen akzeptierten Problembereich so ein, daß ihre jeweilige Basistheorie (z.B. die Psychoanalyse) auszureichen scheint (vgl. zum therapeutischen Praxisbereich: Breuer 1979). Wenn auch die gegenwärtig erreichte Praxisrelevanz der psychologischen Theorien noch nicht sehr groß ist, so gibt es doch mehrere Ansätze zu einer Orientierung auf praktischere Theorie. Neben den bereits genannten handlungstheoretischen Versuchen sind meiner Übersicht nach folgende Richtungen zu nennen: Kognitionspsychologen, die die Wechselbeziehung von Kognition, Tätigkeit und gegenständlicher Umwelt als wichtiges Problem hervorheben (Neisser 1976, Norman 1980); die sich herausbildende Schule der ökologischen Psychologie, die auf den bedeutsamen Arbeiten von J.J. Gibson (1977, 1979, vgl. Turvey & Shaw 1979) aufbaut; ein erster psychologischer Versuch, die organismischen Grundlagen der realisierenden Tätigkeit aufzuklären: C.R. Gallistels Text: "The Organization of Action" (1980); und schließlich eine Anzahl neuerer entwicklungspsychologischer Versuche, die im Anschluß an Piaget und oft unter Einbeziehung der m a t e rialistischen Theorie unternommen wurden (Riegel 1980 und die Autoren der Zeitschrift Human Development). Als gemeinsames Kennzeichen dieser Ansätze könnten wir folgendes "Syndrom" definieren; in variierender Betonung werden jeweils mehrere, seltener alle, der folgenden Grundthesen übernommen: (1) Die Grundcharakteristik psychologischer Prozesse ist ihre Entwicklungsfähigkeit. (2) Die psychologischen Prozesse sind nur im Verhältnis zu den gegenständlichen Umgebungsprozessen zu verstehen. (3) Der Verhaltensbegriff ist nur sehr eingeschränkt brauchbar, er muß durch 42

einen Begriff der zielgerichteten, bewußt regulierten Aktivität e r setzt werden. (4) Menschliche Aktivität basiert auf natürlichen Möglichkeiten, deren Entstehung durch die Evolutionstheorie erklärbar ist, die Realisierungsformen dieser Möglichkeiten sind jedoch historisch entstanden und variabel. (5) Die Menschen sind einzigartig durch die Produktionsfähigkeit für gegenständliche, d.h. auch symbolische Mittel. Alle fünf Thesen werden auch von der materialistischen Psychologie vertreten, wenngleich diese in durchaus unterschiedliche Schulen differenziert ist. Die hier von mir vertretene Auffassung, daß vom Primat der Verwissenschaftlichung der Praxis auszugehen ist, wird im Prinzip wohl von allen materialistischen Psychologen anerkannt, es gibt jedoch unterschiedliche Auffassungen darüber, wie die Praxisrelevanz am besten zu erreichen ist. Und es gibt selbstverständlich arbeitsteilige Spezialisierungen (es wäre sinnlos, z.B. von der G e dächtnisforschung schon jetzt praktische Relevanz zu verlangen). Dies ändert jedoch nichts an der prinzipiell gleichen Auffassung des Theorie-Praxis-Verhältnisses. Denn: Die materialistische Argumentation betont die führende, richtungsgebende Rolle des Pols der Verwissenschaftlichung der Praxis vor allem wegen des Wahrheitskriteriums für theoretische und methodische Entwicklungen. Danach kann eine Theorie nur dann (relative) Wahrheit beanspruchen, wenn die durch sie beschriebenen Prozesse und Strukturen in praktischer Auseinandersetzung mit den Gegenständen der Theorie als realisierbar bzw. bereits realisiert aufgewiesen werden können. Es reicht nicht aus, daß eine "wissenschaftliche Gemeinschaft" zu einem Konsens über die Beurteilung einer Theorie oder Methode kommt; ein solcher Konsens kann jedoch sehr wohl ein Hinweis dafür sein, daß es sich lohnt, die praktische Wahrheit der Theorie bzw. die Effizienz einer Methode durch eine Anwendung auf gesellschaftlich wichtige Probleme zu erweisen. Diese materialistische Argumentation steht durchaus noch im Gegensatz zur herrschenden akademischen Meinung: "Es ist nicht die Aufgabe der Psychologie als Wissenschaft, wohl aber der psychologischen Technologien, anwendungsorientiert zu sein und die nicht-forschende Praxis vorzubereiten und zu verbessern", so lautet Theo Herrmanns (1979, 186) Fazit, in dem die Festschreibung des Grabens zwischen Theorie und Praxis klar zum Ausdruck kommt. Dagegen führt die materialistische Argumentation zu folgender methodologischen Regel: Die Frage nach der kategorialen Grundlage und den angemessenen Methoden der Psychologie muß immer im Kontext der gesellschaftlichen Berufstätigkeit der Psychologen behandelt werden, wobei dann die Frage nach den für die Erkenntnisgewinnung angemessenen Methoden (also die traditionelle wissenschaftlichmethodologische Frage) zur Frage nach dem besten theoretischen Mittel zur Verwissenschaftlichung der Praxis wird. In einer Analogie zur materiellen Produktion ausgedrückt: Methoden der Erkenntnisproduktion sind werkzeugproduzierende Methoden; die Werkzeugproduktion ist jedoch nur sinnvoll zu regulieren, wenn danach gefragt wird, wo, wann, durch wen und wie sie als Werkzeuge eingesetzt werden. Wird diese methodologische Regel nicht beachtet, so ergibt sich "fast 43

automatisch" eine abstrakte, von der Berufspraxis losgelöste, rein erkenntnistheoretische Methodologie, wie etwa in den vielfältigen Formen des Logischen Empirismus, Kritischen Rationalismus und ähnlicher szientistischer Konzeptionen. Es geht mir in dieser Arbeit darum, begriffliche und methodische Mittel zur bewußteren, wissenschaftlicheren Regulierung der theoretischen und vor allem der realisierenden Praxis der Psychologie vorzuschlagen. Ich möchte versuchen, gegen den Primat der Erkenntnisproduktion bei der wissenschaftstheoretischen Analyse den Primat der Verwissenschaftlichung der Praxis zu setzen. Dies bedeutet j e doch nicht, daß ich die Ansicht vertrete, eine rein grundlagentheoretische Arbeit sei in der Psychologie (oder generell in der Wissenschaft) nicht verantwortbar. Im Gegenteil wird es stets nötig sein, bestimmte theoretische Fragen unter Abstraktion von der praktischen Relevanz möglicher Antworten zu verfolgen. Diese Erkenntnis dürfte unter den materialistischen Wissenschaftlern auch nicht u m stritten sein. In einem kürzlichen erschienenen Text (Damerow u.a. 1981) resümieren die Autoren ihre "Historischen Fallstudien zur Entstehung der exakten Wissenschaften" in folgender Fassung des Demarkationskriteriums für den Beginn von Wissenschaft: "Wissenschaft liegt dann vor, wenn es Ziel einer gesellschaftlichen Tätigkeit geworden ist, die gegenständlichen Mittel der geistigen Arbeit, die sonst zur Planung der Arbeit verwendet werden, unabhängig von diesen Planungszwecken auf die in ihnen enthaltenen Möglichkeiten des Mittelgebrauchs zu untersuchen" (226 f ) . Um diese Definition auf die Psychologie anzuwenden, muß zunächst einmal geklärt werden, wie die Arbeit der Psychologen bzw. der anderen "Reproduktionsarbeiter" aussieht, in der die "gegenständlichen Mittel der geistigen Arbeit zu Planungszwecken" entwickelt werden, die dann in theoretischer Arbeit auf die in ihnen verborgenen, allgemeinen Möglichkeiten untersucht werden können. Jedoch: Genauere Ausführungen zu den Mitteln der wissenschaftlichen Arbeit würden an dieser Stelle weit vorgreifen. Zunächst geht es jetzt darum, die Einheit von Tätigkeit und Gegenstand, sowohl in der Psychologie als auch in ihrem Gegenstand, in einem Modell vorläufig festzuhalten. Dazu werden wir wieder einen Schritt zurück tun müssen, um von der Position der analytischen Wissenschaftstheorie aus schrittweise die Struktur der wissenschaftlichen Tätigkeit zu entwickeln, die ja nach der vorausgegangenen Argumentation zur Struktur des psychologischen Gegenstands streng analog sein muß. 1.4 Einfaches Subjektmodell und der Primat der Erkenntnisproduktion Konzeptionen, die den Primat der Erkenntnisproduktion bei der Untersuchung der Wissenschaften unterstellen, sind leicht daran zu erkennen, daß bei der Modellierung der Subjekt-Objekt-Beziehung die Wechselwirkung zwischen Objekten und dem erkennenden Subjekt vorran44

gig untersucht wird, während die sozialen Verhältnisse und Prozesse zwischen Subjekten, wenn überhaupt, dann äußerst abstrakt erscheinen. In der bei uns herrschenden analytischen Wissenschaftstheorie (in den Varianten des kritischen Rationalismus oder des induktivist ischen Empirismus) wird das Subjekt model 1 noch abstrakter durch die Ausklammerung der konkreten Tätigkeit der Wissenschaftler. Dies bedeutet, daß den objektiven Strukturen die "ideellen", begrifflichen Strukturen fast gänzlich unvermittelt gegenüberstehen; in der hauptsächlich noch betrachteten Vermittlung - den Meßinstrumenten zeigt sich der unbegründet unterstellte Primat der Erkenntnisproduktion sehr deutlich: Die Produktion der Daten, die in der frühen Form des logischen Positivismus den Gegenstand fast völlig ersetzen, wird als die einzige Verbindung mit der Realität betrachtet. Die wissenschaftliche Tätigkeit scheint sich in dieser Sicht auf die Datenproduktion und das Auffinden bzw. sogar das Erfinden von Ordnungen in den symbolischen Strukturen zu beschränken. Auch die konkurrierende Schule der konstruktiven Wissenschaftstheorie verkürzt die Tätigkeit auf die argumentative, sprachliche Seite (vgl. Ruben 1978, 14). Dadurch erscheint trotz des Primats der Erkenntisproduktion die eigentliche produktive Tätigkeit nicht mehr im wissenschaftstheoretischen Modell; es werden nur noch die Produkte der wissenschaftlichen Arbeit — sei es als Aussagensysteme oder als ganzheitliehe, mathematische Strukturen — untersucht; die Methodologie reduziert sich auf die Geltungsprüfung bereits vorhandener wissenschafticher Begriffssysteme (dies ist andernorts bereits ausreichend belegt: vgl. neben Ruben auch Holzkamp 1977, aber ebenso Weimer 1979 als Position eines Nicht-Materialisten). Die Ausklammerung der Tätigkeit der Wissenschaftler bedeutet unter anderem, daß die historische Konstitution der Gegenstände der Wissenschaften mangels eines historischen bzw. genetischen Ansatzes nicht verstanden werden kann. Die Tatsache, daß die wissenschaftlichen Gegenstände historisch in der Praxis ( r e - ) produziert wurden, erscheint lediglich noch in der verkürzten Form, daß empirische Daten stets von den zu ihrer Produktion benötigten Theorien abhängig sind, und nur in deren "Licht" überhaupt Bedeutung gewinnen (vgl. Weimer 1979, 20-31). Im Schema 1 auf der nächsten Seite wird dagegen festgehalten, daß die Tätigkeit der Wissenschaftler als die grundlegende Vermittlungsinstanz zwischen den Gegenständen und ihren begrifflichen Repräsentationen in der Wissenschaft anzusehen ist. Was die Begriffssysteme (I) sind, die in der Tätigkeit der Wissenschaftler zugleich eine regulierende Rolle, als Kontext von Bedeutungen, haben und durch die Tätigkeit produzierte Mittel der in diesem Kontext sich bewegenden Tätigkeit sind, wird von der analytischen und konstruktiven Wissenschaftstheorie reduktiv beantwortet: Sie betrachten nur solche symbolischen Strukturen, die sich in eine, klassische oder konstruktive, Formallogik übersetzen lassen. Das heißt aber zugleich, daß die operativen Strukturen der Tätigkeit (T) auf logische Operationen reduziert werden und im wesentlichen nur noch das I-T-Verhältnis untersucht wird. Der Gegenstand (G) der Tätigkeit erscheint nur noch als empirischer Aussagesatz, der mit 45

Schema 1: Einfaches Subjekt mode 11 S Oe

: Subjekt : Objekte, unabhängig vom Subjekt T : Tätigkeit des Subjekts G : Gegenstand, der durch die Tätigkeit des Subjekts aus dem Bereich aller möglichen Objekte herausgehoben und (re)produziert wird I : Ideelle, subjektive Mider^ Spiegelung in kognitiven Strukturen (Begriffs-Systemen) auf materiellem Träger f l : Durch Arbeitsmittel ermög* lichte Wechselwirkung zwischen T und G ^ : Selbstbewegung des Gegenstands (Vermittlung in ihm selbst) ß y : Konstruktion und Anwendung von Begriffs-Systemen (I) in kognitiven Prozessen

den theoretischen Sätzen zu vergleichen ist; die Selbstbewegung des Gegenstands verschwindet in den einzelnen Resultaten der Experimente und das Experimentieren selbst wird nicht als praktische Auseinandersetzung mit dem Gegenstand angesehen, sondern als Setzen von Anfangsbedingungen und Beobachten des Resultats, das der dem Subjekt äußerliche Prozeß aufgrund seiner zu erkennenden Gesetze hervorbringt. Diese Reduktionen ergeben insgesamt ein Bild eines Subjekts, das beginnend von einem unerklärten Anfang mit streng normierten symbolischen Konstruktionen ein komplexes symbolisches System schafft, und beobachtend prüft, ob die experimentellen Resultate es zulassen, weiter an diesem System festzuhalten, oder ob es durch eine neue Konstruktion ersetzt werden muß. Die von Thomas Kuhn ausgelöste Gegenbewegung zur normativen, analytischen Wissenschaftstheorie hebt die Einseitigkeit der Produktanalyse nicht auf, sondern setzt zunächst nur eine wissenschaftshistorische und soziologische Untersuchung der Wissenschaftsentwicklung dagegen, ohne vom Primat der Erkenntnisproduktion abzugehen. Allerdings wird seit Kuhn die Tätigkeit der Wissenschaftler wieder als Aktivität von Subjekten betrachtet, die nicht äußerlich normierbar ist: "Die Existenz der Wissenschaft hängt davon ab, daß die volle Macht, zwischen Paradigmata zu wählen, den Mitgliedern einer besonderen Gemeinschaft übertragen ist" (Kuhn zit. nach Krüger 1978, 21). Das Verdienst von Kuhn liegt zweifellos darin, daß er die 46

herrschende Vorstellung von einer bruchlosen Akkumulation des wissenschaftlichen Wissens als unhaltbare Idealisierung zu Fall bringen konnte. Das Problem jedoch, wie neues Wissen produziert wird, das ihn sehr stark beschäftigt (vgl. Kuhn 1978), konnte von ihm bisher nicht anders gelöst werden, als durch die Annahme von intuitiven Einsichten ("gestalt switches") und ähnlichen, rein psychischen oder kommunikativen Prozessen. Daher reduziert sich ihm unter der Hand die Frage nach der Entstehung des Neuen auf die Frage nach der Wahl zwischen mehreren, auf geheimnisvolle Weise entstandenen, miteinander nicht kompatiblen Theorien. Und die Wiederentdeckung der Subjektivität in der Wissenschaftstheorie führte auch dazu, daß bei der Erklärung der Theoriewahl die Widerständigkeit der Gegenstände g e genüber der "Ausbildung und Kommunikation" der Wissenschaftler ein geringeres Gewicht erhält (Kuhn 1978, 38). Dies bedeutet aber, daß eine modifizierte Konsens-Theorie zur Erklärung der Theorie-Akzeptanz herangezogen wird: Die Wissenschaftler erwerben nach Kuhn eine habituelle Orientierung durch die Akzeptierung von Standardbeispielen, ohne darüber eine bewußte Verständigung herzustellen (aaO, 41 f ) . Wird diese "disziplinäre Matrix" jedoch nicht auch als Kristallisation der bisherigen Erfahrungen mit den Gegenständen gesehen, dann sind Subjektivistische Tendenzen bei der Erklärung der Wissensentwicklung nur schwer zu vermeiden. Daß die Willkürlichkeit der Theoriewahl damit nicht mehr bei einzelnen Wissenschaftlern und auch nicht mehr in bewußten Entscheidungen g e sehen wird, sondern in naturwüchsig-sozialen Gruppenprozessen, macht es sogar schwerer, für die Möglichkeit einer Überwindung der "Beliebigkeit" der Theoriewahl zu argumentieren. Im Ergebnis wird von Kuhn zwar die operative Struktur (T) der wissenschaftlichen Tätigkeit differenzierter gesehen, sie wird als Produkt der Sozialisation in bestehende Gemeinschaften erklärt, doch wiederum bleibt ihr Verhältnis zu den Gegenständen beschränkt auf die Datenproduktion und immer noch wird vorrangig das I-T-Verhältnis untersucht: Die von den Wissenschaftlern produzierten Ideen und ihre kreative Tätigkeit stehen im Zentrum der Kuhnschen Untersuchungen. Gegenüber diesen Beschränkungen durch Ausklammerung oder subjektivist ische Fassung der Tätigkeitskategorie bedeutet der Ansatz von Peter Ruben, Wissenschaft als "allgemeine Arbeit" zu begreifen, e i nen wesentlichen, theoretischen Fortschritt auch der materialistischen Wissenschaftstheorie. Dieser Fortschritt wurde möglich durch konsequenten Aufbau auf dem dialektischen Materialismus und durch die Verwendung des entwickelten Arbeitsbegriffs aus dem Marxschen "Kapital" (Ruben 1978, 9-51). Die vorrangige, einseitige Betrachtung von Erkenntnismethoden in der analytischen Wissenschaftstheorie e r scheint überwunden, da in der Tätigkeit der Wissenschaftler bei Ruben ein materielles Produkt, das Modell, hergestellt wird. Ruben schlägt also vor, nun endlich das Verhältnis der Tätigkeit zu ihren Gegenständen (T-G) ins Zentrum der Betrachtung zu nehmen. Die spezifischen Gegenstände der wissenschaftlichen Tätigkeit sind jedoch vergegenständlichte Begriffe, die gleichzeitig Mittel zum Umgang mit dem Gegenstand der Theorie (z.B. Meß- und Vergleichsmittel) sein 47

können: "Während wir in der materiellen Produktion ... unmittelbar Gebrauchswerte der Potenz nach erzeugen ... erzeugen wir in der Wissenschaft ... Modelle (einschließlich der zu ihnen gehörigen Theorien). Modelle aber sind Gegenstände oder Gegenstandssysteme unter der Bedingung, Geltungsinstanzen für die Urteile der entsprechenden Theorien zu sein" (19). An späterer Stelle erläutert er den Widerspiegelungscharakter dieser Modelle (sie sind materielle Kristallisationen von Erkenntnis) und sagt anschließend umstandslos, daß wir diejenige Arbeit, "die wir 'allgemeine Arbeit' nennen ... nun auch 'Widerspiegelungstätigkeit' nennen können" (30). Damit ist aber die Gesamttätigkeit von Wissenschaftlern keineswegs voll erfaßt. Die wissenschaftliche Tätigkeit läßt sich nicht auf die Produktion von "Standard-Modellen" oder "Etalons" und die anschließende Verwendung dieser gegenständlichen "Werkzeuge der (analytischen) Erkenntnis" (32) als Vergleichsmittel reduzieren. Ruben sieht zwar, daß durch die wissenschaftliche Arbeit der Gegenstand entwickelt wird, indem er durch den Vergleich mit dem Modell auf neue Weise bedeutungsvoll erscheint (35), aber er übersieht die Auswirkungen auf das dritte Moment des Arbeitsprozesses: die Entwicklung der lebendigen Arbeitsfähigkeit. Genauer ausgedrückt: Ruben läßt den Beitrag der wissenschaftlichen Tätigkeit zur Reproduktion der Struktur eben dieser Tätigkeit, und was noch schwerer wiegt: auch zur Reproduktion der außer Wissenschaft liehen Arbeitsfähigkeit, unberücksichtigt, und begründet dies implizit, indem er sich gegen den "'Psychologismus 1 in der Erkenntnistheorie" wendet. Das Motiv für seinen fast behavioristisch zu nennenden Rückzug auf die gegenständlichen Modelle ist, die Erkenntnistheorie von F r a gestellungen zu entlasten, "die sie - als philosophische Disziplin gar nicht zu beantworten imstande ist" (33), womit Ruben die Frage nach der subjektiven Form der Widerspiegelung meint. Was erreicht Ruben durch die "Emanzipation der Erkenntnistheorie von der Psychologie" (aaO) ? Zunächst einmal wird eine wesentliche Vereinfachung des erkenntnistheoretischen Problems möglich, wodurch sich eine klare, bearbeitbare Fragestellung ergibt: Die wissenschaftliche T ä tigkeit (T) ist nunmehr als eine Art der Gattung "gegenständliche Arbeitstätigkeit" in ihrem durch Arbeitsmittel realiserten Verhältnis zu einem Gegenstand (G) behandelbar, und die subjektiven Absichten, Vorstellungen und lebendigen Begriffe der Wissenschaftler (I) brauchen nicht rekonstruiert zu werden, weil in den gegenständlichen Mitteln der wissenschaftlichen Arbeit bereits das Resultat der V e r mittlung des Subjektiven mit dem Objektiven vorliegt. Daß diese Orientierung gerade durch die Beschränkung auf die Arbeitsmittel außerordentlich fruchtbar ist, kann z.B. an den Ergebnissen abgelesen werden, die in der Ausführung des von Ruben skizzierten F o r schungsprogramms durch Autoren des "Hegel-Colloquiums" (s. Furth 1980, Damerow u.a. 1981) erreicht werden konnten. Dies war auch zu erwarten, denn Rubens Forschungsprogramm folgt der Orientierung, die Marx im "Kapital" vorgezeichnet hat: Zur Untersuchung des Arbeitsprozesses als Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur kann in verständiger Abstraktion ein einzelnes arbeitendes 48

Subjekt betrachtet werden, da im Arbeitsmittel die praktische Allgemeinheit und gegenständliche Wahrheit als gesellschaftliches Produkt offen zu Tage liegt. Daher sind die Arbeitsmittel "nicht nur Gradmesser der Entwicklung der Arbeitskraft, sondern auch Anzeiger der gesellschaftlichen Verhältnisse, worin gearbeitet wird" (MEW 23, 195) schreibt Marx und begründet damit die zunächst eingeführte Beschränkung der Analyse auf ein einzelnes Subjekt: "Wir hatten daher nicht nötig, den Arbeiter im Verhältnis zu anderen Arbeitern darzustellen. Der Mensch und seine Arbeit auf der einen, die Natur und ihre Stoffe auf der anderen Seite genügten" (aaO, 198 f). Die verständige Abstraktion ist aber wieder aufzuheben, sobald wesentliche Teile des ganzen zu erfassenden Gegenstands, die außerhalb der eingeführten Grenzen liegen, zur Erklärung der Entwicklung des ausgegrenzten Gebiets wichtig werden. Wir haben oben für den Behaviorismus bereits gesehen, daß die Ausklammerung der "inneren", subjektiven Widerspiegelungen dazu führt, daß das Problem des Übergangs vom Wissen zum Können nicht einmal mehr gestellt werden kann. Dies gilt auch für Rubens Versuch, die Erkenntnisprodukte ausschließlich "in der Gestalt unserer m a t e riellen Bilder, also unserer Standards und Etalons" (1978, 33) zu erfassen: Zwar wird durch die Ausklammerung der subjektiven Widerspiegelungen vermieden, diese auf formallogische Strukturen zu reduzieren. Aber die Transformation des in den Modellen vergegenständlichten Wissens in repräsentationale und operative Strukturen von Subjekten, die die gegenständlichen Modelle nicht selbst produziert haben, also in der Terminologie der materialistischen Psychologie: die individuelle Aneignung des gesellschaftlich produzierten Wissens, erscheint fälschlicherweise unproblematisch. Da die Modelle ja Werkzeuge sind, scheint es zu genügen, wenn die Subjekte "nur" auf ihrem Gebrauch "abgerichtet" werden (das meint Wittgenstein, vgl. auch Rubens Fußnote Nr. 40, aaO, 50), damit die in ihnen vergegenständlichte Wahrheit und Allgemeinheit auch in der Tätigkeit dieser Subjekte wieder wirksam werden kann. In dieser Sicht wäre die wissenschaftliche Tätigkeit unmittelbar allgemeine Arbeit, die Wissenschaftler wären die direkten Produzenten des Allgemeinen, das in der nicht-wissenschaftlichen, gesellschaftlichen Praxis "nur" noch angewendet zu werden bräuchte. Diese Sicht ist aber wesentlich zu einfach, da sie eine rein erkenntnistheoretische Sicht ist: "Es ist ... erkenntnistheoretisch nicht wesentlich, daß die Reproduktion des materiellen Bilds im geistigen erfolgt", sagt Ruben (aaO, 32). Erkenntnistheoretisch scheint in der Tat das Allgemeine produziert, sobald es erkannt und in gegenständliche Form gebracht ist. Aber in einer weiteren, sozialen Bedeutung von "allgemein" ist damit noch gar nichts erreicht: Das neue Mittel muß allgemein verfügbar werden, und hierzu müssen die subjektiven Fähigkeiten des Wissenschaftlers ebenfalls verallgemeinert werden können, da das Mittel nichts ist ohne die Fähigkeit mit ihm umzugehen: Ein Mittel ist nur vollständig beschreibbar als prozessierende Einheit von subjektiver Aktivität und objektivem Widerpart, als Operation im Sinn von Leontjew (1977, 36 ff; 1979, 106 49

f f ) . Oder in Leontjews eigenen Worten: "Die Gegenstände ... können nur im System der menschlichen Tätigkeit die Qualität von Impulsen, Zielen und Werkzeugen erhalten. Herausgenommen aus diesem System verlieren sie diese Eigenschaften. Zum Beispiel wird ein Werkzeug, das außerhalb seines Zusammenhangs mit einem Ziel betrachtet wird, zu einer ebensolchen Abstraktion wie eine Operation, betrachtet man diese außerhalb ihres Zusammenhangs mit der Handlung, die sie realisiert" (1979, 108). Was also normalerweise als Mittel gilt, das isolierte Werkzeug, das einzelne Modell, der einzelne Begriff, ist nur Teil der Möglichkeit eines Mittels (als Prozeß verstanden), die erst real werden kann, wenn das ihm entsprechende Können beim tätigen Subjekt vorhanden ist, wenn lebendiges Wissen den Kontext der bewußten Mittelverwendung bildet, und wenn das Subjekt ein Motiv hat, das Mittel zu verwenden, wenn es eine Notwendigkeit für seine Verwendung gibt. Für den Aufbau einer praktischen Psychologie bedeutet dies, daß bei der Kategorie der Tätigkeit begonnen werden muß, und daß die Kategorie der Arbeit, als Einheit von Gegenstand und Tätigkeit im und durch das Mittel, aus ihr gewonnen werden muß. Ist die kritisierte, zu einfache Sicht auch die Sicht von Ruben, oder habe ich hier etwas unterstellt, das Ruben selbst nicht vertreten würde? Diese Frage ist anhand der mir zugänglichen Texte schwer zu entscheiden, denn die Verwendung der Modelle in der übrigen g e sellschaftlichen Praxis wird nicht mehr konkret in die Analyse einbezogen, noch weniger aber das Ergebnis dieser Modellverwendung: die Verwissenschaftlichung der Praxis. Die wesentliche Einsicht, daß die Erkenntnis letztlich ein Mittel zur Ordnung der Praxis sein muß, wird nicht genutzt. Wie ist das zu erklären? Es könnte sein, daß Ruben durch die Verwendung der Kategorie "Arbeit" als Grundkategorie seinen Blick auf die Wissenschaften eingeengt hat, die unmittelbar zur Verwissenschaftlichung der materiellen Produktion beitragen. Dabei bleiben jedoch die Wissenschaften, die nicht das Verhältnis zwischen Natur und Gesellschaft, sondern die sich entwickelnden Verhältnisse innerhalb der Gesellschaften zum Gegenstand haben, außerhalb der Analyse. Dies zeigt sich auch daran, daß der Begriff "Überbau" in Rubens Analyse keine Rolle spielt. Es ist daher noch völlig offen, ob Praxisebenen jenseits der materiellen Produktion (Ausbildung, psychiatrische und psychologische Therapie, betriebliche "Menschenführung" als die historischen Kernbereiche des psychologischen Gegenstands, vgl. Jaeger & Staeuble 1978, 224-279) durch den Theorieansatz von Ruben erfaßt werden können. Meine Vermutung ist, daß der Rubensche Ansatz nicht ohne Aufhebung der verständigen Abstraktion von den subjektiven Widerspiegelungen für die Sozial Wissenschaften fruchtbar werden kann. Mir scheint, daß die "Emanzipation" der Erkenntnistheorie von der Psychologie auch schon eine Abtrennung von den Sozialwissenschaften insgesamt ist, denn auch das gesellschaftliche Bewußtsein läßt sich nicht auf gegenständliche Modelle reduzieren. Dies würde aber bedeuten, daß die Rubensche Orientierung nicht ebenso konsequent historisch ist, wie sie andererseits durch das Zurückgehen auf Hegel 50

konsequent dialektisch gedacht ist. In einem Vorgriff auf das dritte Kapitel und etwas verkürzt läßt sich sagen, daß ein wesentlicher Fortschritt der materialistischen Theorie gegenüber Hegel darin liegt, daß der von Hegel entwickelte Begriff der Arbeit als V e r m i t t lung von Subjektivem und Objektivem in der Kategorie der materiellen, sozialen, historisch konkreten Praxis aufgehoben werden konnte. Wir werden daher im Fortgang des vorliegenden Textes zu prüfen h a ben, ob nicht "Praxis" statt "Arbeit" als Grundkategorie verwendet werden muß, wobei selbstverständlich die Arbeit das zentrale, letztlich entscheidende Moment der gesellschaftlichen Praxis bleibt, aber auch die Reduzierung aller menschlichen Tätigkeit auf die Auseinandersetzung mit der Natur vermieden ist. Auf eine zugespitzte These gebracht, heißt dies: Die Auffassung von Wissenschaft als "allgemeiner Arbeit" ist ständig in der Gefahr, einseitig die Produktivkraftentwicklung zu betrachten, also das sich entwickelnde Verhältnis zwischen Natur und Gesellschaft, wobei die Entwicklung der Produktionsverhältnisse nur in der abstrakten Form der Beziehungen zwischen Produzenten und nur als Kontext, historischer Hintergrund der Produktivkraftentwicklung Beachtung findet. Wird dieser Gefahr nicht begegnet, so können die Gesellschaftswissenschaften und ihre zugehörigen Praxen nicht adäquat verstanden werden. Sie entstehen nämlich erst bei einer bestimmten Entwicklungsstufe ihres Gegenstands: Sobald die Produktionsverhältnisse selbst Gegenstand der planenden und realisierenden Tätigkeit der herrschenden Klasse werden, also im Übergang vom Feudalismus zum bürgerlichen Staat, wird auch die wissenschaftliche Behandlung dieser neuen Praxen möglich. Jaeger & Staeuble (1978) zeigen ausführlich, wie die Herausbildung des Kapitalismus und seiner Überbauform, des bürgerlichen Staats, mit der Herausbildung des Gegenstands der Psychologie einhergehen. Für die Soziologie läßt sich ebenfalls ein enger Zusammenhang mit der bürgerlichen, speziell der französischen Revolution aufzeigen, wie Thomas Mies (1979) in einer unveröffentlichten Arbeit gezeigt hat, auf deren Ergebnisse ich im dritten Abschnitt wesentliche Teile meiner eigenen Argumentation stützen kann. 1.5 Verhältnisse zwischen Subjekten und ein differenziertes Subjektmodell Aus der vorangegangenen Argumentation folgt für die Beurteilung des "einfachen Subjektmodells" von Schema 1, daß es für die Charakterisierung der gesellschaftswissenschaftlichen, speziell der psychologischen Tätigkeit nicht geeignet sein kann, da es nur ein undifferenziertes Subjekt enthält. Wenn ein solches Schema einer Wissenschaftstheorie zugrundeliegt, dann heißt dies daß entweder eine individualistische Theorie, die prinzipiell nur die Tätigkeit eines Wissenschaftlers betrachtet, entwickelt wird, oder daß nur ein a b straktes Subjekt betrachtet wird: So ist etwa das Konzept der "wis51

Schema 2: Differenziertes Subjektmodell Se : Kooperierende Subjekte Oe : Mögliche Objekte gG 2 Gesellschaftlich reproduzierte Gegenstände gl : Gesellschaftliches, objektiviertes Ideelles, 11 Teil des "Überbaus W : Bewußter, sprachlich und symbolisch objektivierbarer Teil von gl, kurz: Wissen T : Tätigkeit eines Subjekts G : Gegenstand einer Tätigkeit (vgl. Schema 1) Kognitive Struktur eines Subjekts (vgl. Schema 1) Prozessierendes Verhältnis zwischen den Subjekten, auf drei Ebenen: (0) Koordination, (1) Kooperation, (2) Komunlkatlon senschaftlichen Gemeinschaft" dann als ein Begriff für ein abstraktes Subjekt anzusehen, wenn die Reproduktion dieser Gemeinschaft durch die übrige Gesellschaft aus dem Begriff ausgegrenzt wurde. Ein anderes Beispiel für die Bildung eines abstrakten Subjekt ist, daß die Gesellschaft insgesamt als ein einheitliches Subjekt betrachtet wird. Gegen die letztere Ansicht argumentierte schon Marx: "Die Gesellschaft als ein einziges Subjekt betrachten, ist sie ... falsch betrachten, spekulativ. Bei einem Subjekt erscheinen Produktion und Konsumtion als Momente eines Akts. ... In der Gesellschaft aber ist die Beziehung des Produzenten auf das Produkt, sobald es fertig ist, eine äußerliche und die Rückkehr desselben zu dem Subjekt hängt ab von seinen Beziehungen zu anderen Individuen. ... Zwischen den Produzenten und die Produkte tritt die Distribution, die durch die gesellschaftlichen Gesetze seinen Anteil an der Welt der Produkte bestimmt" (Grundrisse, 15 f). Wir müssen folglich zur Analyse der Wissenschaft als Kooperationsprozeß mehrerer Subjekte ein differenziertes Subjektmodell verwenden, das gegenüber dem ersten Schema um die Verhältnisse zwischen den Subjekten erweitert ist. In diesen Verhältnissen findet die Wissensproduktion, der Austausch von Wissen und die Konsumtion von Wissen in seiner Anwendung statt, ebenso wie die Produktion, der Austausch und die Konsumtion der anderen materiellen Güter. Ich verwende hier die Terminologie aus den "Grundris52

sen", wo Marx den Austausch als Zirkulationsprozeß von der Distribution als relativ fixe Verteilungsregelmäßigkeit unterscheidet (vgl. Grundrisse 16-21). Der Austausch, die Verteilung auf die Subjekte, und die Konsumtion des Wissens durch seine Anwendung sind diejenigen Prozesse, in denen die Verwissenschaftlichung der Praxis realisiert wird, und wir haben zu untersuchen, woher das gesellschaftlich produzierte Wissen die gegenständliche und praktische Wahrheit erhält: Bereits in seiner Produktion, oder erst durch seine praktische V e r allgemeinerung ? Als gegenständlich-symbolisches Arbeitsmittel soll uns dabei das nebenstehende Schema 2 dienen, das daher zunächst zu erläutern ist. In diesem zweiten Schema sind die Verhältnisse zwischen den Subjekten in drei "Ebenen" aufgeteilt. Das heißt: Die Vermittlungsprozesse, in denen die Subjekt Verhältnisse realisiert werden, sich reproduzieren und entwickeln, sollen analytisch in drei Arten unterschieden werden. Diese Aufteilung halte ich für notwendig, um der Gefahr des Ökonomismus zu entgehen, der mit einer möglichen Reduktion der Beziehungen zwischen den Subjekten auf ökonomische bzw. Eigentumsbeziehungen verbunden wäre. Rilling (1975) belegt in seiner Untersuchung über den Stand der Wissenschaftssoziologie in der BRD und DDR, daß die materialistischen Ansätze noch sehr stark mit der Berücksichtigung der ökonomischen und politischen Beziehungen zwischen den (Wissenschaftler-) Subjekten beschäftigt sind; eine Situation, die für ein tieferes Verständnis der Rolle und Funktion der Sozial Wissenschaften keineswegs günstig ist. Im Unterschied zu den Naturwissenschaften, deren Funktion und Geschichte deshalb auch mit Hilfe eines einfachen Subjektmodells bereits weitgehend geklärt werden konnte, haben die Sozialwissenschaften gerade die Verhältnisse zwischen den Subjekten zum zentralen Problem. Für die Psychologie ist dies allerdings nur erkennbar, wenn sie nicht naturwissenschaftlich verkürzt als Wissenschaft von "denkenden Organismen" aufgefaßt wird. In bewußter Opposition zu solcher "nomothetischen" Psychologie — die sich im übrigen an der klassischen Physik orientiert, nicht j e doch an der modernen Biologie und deren entwicklungsbezogener Methodologie — hat sich eine Unzahl konkurrierender Ansätze herausgebildet, die das Problem der Gesellschaftlichkeit der Individuen ganz unterschiedlich zu lösen versuchen. Holzkamp hat versucht, sie von materialistischer Position aus zusammenzufassen und einige Fehlorientierungen zu korrigieren (1978, 202-231). Betrachten wir deshalb die im Schema 2 unterschiedenen drei Ebenen der Verhältnisse zwischen den Subjekten etwas genauer. Die mittlere Ebene ( l ) b e t r i f f t die Verhältnisse zwischen den Tätigkeiten der Subjekte, allgemein gesprochen sind dies Kooperationsverhältnisse, wenn der Begriff der Kooperation nicht auf harmonische Subjektbeziehungen eingeschränkt wird, sondern auch "antagonistische", feindselige, aber dennoch im Widerspruch zusammengeschlossene Subjektbeziehungen beschreiben soll. Nach materialistischer Argumentation ist diese mittlere Ebene der "wirklichen Lebensprozesse" e i nerseits primär gegenüber den Verhältnissen zwischen den ideellen Widerspiegelungen (obere Ebene, 2), andererseits sind die Koopera53

tionsverhältnisse zwischen den Subjekten zu einem wesentlichen Teil durch die Gegenstände der Praxis der Subjekte bestimmt, und diese wiederum sind für jede Gesellschaftsformation als besondere Reproduktionsweise historisch relativ. Die untere Ebene der Verhältnisse zwischen den Gegenständen ist daher als eine Basisebene der Verhältnisse zwischen den Subjekten anzusehen (ich nenne sie darum "nullte 11 Ebene, oder Ebene 0). Marx hat im 11. Kapitel des "Kapital" (MEW 23, 341-355) herausgearbeitet, wie die neuen Produktivkräfte der großen Industrie eine zwangsweise, unter dem Kommando des Kapitalisten s t e henden Koordination der Arbeiten verlangten und so zu komplizierteren Formen der Kooperation führten. Die Ebene der Verhältnisse zwischen den Gegenständen der Praxis ist also die Ebene der Koordinationsprozesse zwischen den Subjekten, die nicht schon Kooperationsprozesse sind. Diese gehören zur Ebene 1, und enthalten auch den Austausch von Informationen zwischen den Subjekten. Wie ich im weiteren noch genauer zeigen möchte, ist es aber notwendig, von den eigentlichen Kooperationsprozessen und dem darin verlaufenden Austausch von Signalen ("analogic communication" nennt Bateson - 1972, 1979 - diesen Typ von Informationsaustausch) noch die Ebene 2 der Kommunikationsprozesse mit symbolischen Austauschprozessen ("digital communication", Bateson) zu unterscheiden. Kommunikation in diesem Sinn sind die prozessierenden Verhältnisse zwischen den ideellen Widerspiegelungen; in sprachlichen und anderen symbolischen Austauschprozessen bilden sich die kognitiven Strukturen der personalen Subjekte und die objektivierten Wissens- und Habitusstrukturen der sozialen Subjekte aus (vgl. auch Bourdieus Begriff des "symbolischen Kapital", 1976, 335-377, mit dem die ungleiche Distribution des Wissens beschreibbar wird). Wenn im differenzierten Subjektmodell nunmehr zwei Subjekte a b gebildet sind, dann können und müssen sie vielfach interpretiert werden: Als zwei beliebige Subjekte repräsentieren sie in einer minimalen, nicht mehr reduziblen Form den Gegenstand der Psychologie; als "Praktiker" und "Klient" die Situation einer psychologischen Teilpraxis, als "Lehrer" und "Student" die Weitergabe und Wiederaneignung von Wissen und Können; als zwei "Wissenschaftler" schließlich erst die Produktion von Wissen. Damit wird der Gegenstand der Psychologie abstrakt-allgemein bestimmt als die Verhältnisse zwischen und innerhalb von personalen Subjekten in der Praxis des Gemeinwesens, wobei allerdings in dieser schematischen Repräsentation der jeweilige soziale Kontext nur als unspezifizierter Hintergrund vorkommt. Dieser Kontext bildet die äußeren Verhältnisse der zwei (oder mehr als zwei) Subjekte, und in jeder konkreten Anwendung des Schemas muß er genau spezifiziert werden. Nach der obigen Definition zählt der äußere Kontext einer Gruppe von Subjekten aber nicht mehr zum wissenschaftlichen Gegenstand der Psychologie, wissenschaftlich ausweisbares Wissen darüber können die Psychologen entweder von den Nachbarwissenschaften beziehen, oder sie müssen es sich mit hierzu von ihnen entwickelten, neuen Methoden selbst b e schaffen, was stets die Gefahr der psychologistischen Verzerrung mit sich bringt. 54

Dagegen wird der äußere Kontext notwendig in den Gegenstand der Berufstätigkeit einbezogen werden müssen, denn wie in jedem Berufsfeld müssen die berufstätigen Psychologen sich auch mit ihren (institutionellen, regionalen) Rahmenbedingungen auseinandersetzen, müssen Grenzen erweitern oder neu ziehen, usw. Die Tätigkeit der Psychologen ist auch insofern zu verstehen als Teil der entwickelnden, erweiternden, verallgemeinernden Reproduktion der Verhältnisse zwischen und innerhalb von Personen. Oder, auf eine Kurzformel g e bracht: Psychologenarbeit ist Reproduktionsarbeit. — Die genaue Bedeutung dieser Formel läßt sich an dieser Stelle noch nicht e n t falten; sie ist als perspektivische Formulierung zu verstehen, die zum Kontext der nächsten zwei Kapitel gehört. Der äußere Kontext der kooperativen Tätigkeit der Subjekte ist im Schema 2 einerseits als System der gesellschaftliche ( r e p r o d u zierten Gegenstände (gG) angegeben, andererseits als System des " g e sellschaftlichen Ideellen" (gl). Diese Bestimmung ist sehr vorläufig, ebenso wie die Heraushebung des Wissens aus dem gl-System. An dieser Stelle muß der Hinweis genügen, daß damit der Term "Wissen" zweierlei Bedeutung bekommt: Einmal soll er das lebendige Wissen eines personalen Subjekts bezeichnen, zum anderen aber auch die im sozialen Diskurs (im Sinn von Foucault 1981) lebendigen, bewußt verfügbaren Teile der sozialen, symbolischen Strukturen. Dies heißt aber auch folgendes: Symbolische Gegenstände werden hier nicht mit dem Wissen gleichgesetzt, sondern sie werden als Vergegenständlichung von Wissen betrachtet und gehören daher zur Ebene 0, genau wie die symbolisch-gegenständlichen Wahrnehmungs-, Denk-, Planungs- und Eingriffsmittel als potentielle Vermittler der theoretischen Arbeit. Die Gegenstandsbestimmung durch das Schema 2 ist in zweifacher Weise nur vorläufig: Einmal müssen sowohl die kooperativen und kommunikativen Verhältnisse zwischen den Subjekten, wie auch die gegenständlichen Verhältnisse der Subjekte als materielle Vermittlungsprozesse konkretisiert werden; dies erfordert die Einbeziehung der bisherigen Ergebnisse der materialistischen Wissenschaft über die Rolle der Werkzeuge als gegenständliche und der Kooperations- und Kommunikationsmittel als soziale Vermittler. Die Analyse gegenständlicher Mittel erfordert den Übergang zur Kategorie der Arbeit, der im zweiten Kapitel geleistet werden wird. Dadurch ergibt sich zugleich eine Neubestimmung des psychologischen Gegenstands als Einheit von Tätigkeiten, Mitteln und Gegenständen im "Netz der psychologisch konkreten Funktionen". Im dritten Kapitel wird sodann durch eine Rekonstruktion der Entwicklung der Theorie und Praxis von Karl Marx und Friedrich Engels gezeigt, daß auch diese Gegenstandsbestimmung noch unzureichend ist: Die These wird begründet, daß die Kategorie der gesellschaftlichen Arbeit in der Kategorie der Praxis aufgehoben werden muß, wenn die materialistische Psychologie nach dem Vorbild des dialektischen und historischen Materialismus zu e i ner Theorie der Praxis fortentwickelt werden soll. Damit erst erhalten wir eine einigermaßen endgültige Gegenstandsbestimmung der Psychologie, wonach die Psychologie die Wissenschaft des " Einander-Entwickelns personaler Subjekte" ist. 55

Zum anderen ist schon die Gegenstands-Definition im Schema 2 höchst voraussetzungsvoll und eigentlich nur perspektivisch zu verstehen: Als eine Vorwegnahme des angezielten Ergebnisses der vorliegenden Arbeit, die eine vorläufige Orientierung schaffen soll. Die einzelnen verwendeten Kategorien (personales Subjekt, gegenständliches Verhältnis, Koordination, Kooperation, Kommunikation) sind im Fortgang der Argumentation erst noch zu entwickeln und zueinander in ein vernünftiges Verhältnis zu bringen. Diese Zirkularität der Argumentation ist unvermeidlich, denn das angezielte Resultat einer begrifflichen Entwicklung muß den Kontext der einzelnen Schritte bilden, und wird doch erst durch die Schritte erzeugt (vgl. das "Paradox des Textverstehens", Keitel, Otte & Seeger 1980, 83 f; weitere wichtige Zirkularitätsprobleme behandelt Hofstadter 1979). Dies gilt jedoch nicht nur für die Leser dieses Textes — das ist der mindestens seit Fichte bekannte "hermeneutische Zirkel", sondern galt ebenso für mich selbst, während der Arbeit an diesem Text. Im zweiten Kapitel werde ich zu zeigen versuchen, daß diese zirkuläre Figur, in der das wirkliche Resultat der systembildende Faktor eines Produktionsprozesses ist, als theoretischer Grundbaustein (Zellenform) einer materialistischen Psychologie verwendet werden kann; dies wird auf den Begriff der psychologisch konkreten Funktion führen. Ein wichtiger Unterschied zwischen der Zirkularität des Textverstehens und der Zirkularität der Textproduktion darf jedoch nicht unterschlagen werden: Für den Leser ist der ganze Text tatsächlich bereits vorhanden, aber nicht der Hintergrund der lebendigen Begriffe und Operationen, durch die der Text produziert wurde. Für mich als Autor stand am Anfang der Arbeit nur das kategoriale Schema 2, eine bloß symbolische Antizipation des möglichen Resultats, und ich konnte nicht sicher sein, war auch nicht sicher, was das wirkliche Resultat meiner Arbeit sein würde. Hier ist das bekannte Problem der Differenz von Entdeckungs- und Begründungs- (bzw. Darstellungs-) Zusammenhang angesprochen, das bei der Diskussion der von Marx im "Kapital" angewandten Methode eine große Rolle gespielt hat (vgl. Holzkamps Aufsatz dazu in 1978, 41-128). Hier auf diese Diskussion einzugehen, würde zu weit vom Thema abführen; es geht mir an dieser Stelle darum, die Darstellungsweise meines eigenen Textes zu klären und zu erklären. Ich habe es mir während meiner Arbeiten am Problem der Regulation und ihrer psychologischen Erforschung angewöhnt, mit symbolischen Schemata vollkommen streng umzugehen, wie mit mathematischen Gegenständen. Jedes Schema habe ich viele Male neu gezeichnet, z.B. verschiedene Pfeilformen und Umgrenzungsformen benutzt, um die Verhältnisse zwischen den zu entwickelnden Begriffen so klar wie möglich, und das heißt: gegenständlich, vor Augen zu haben. Dadurch habe ich mir einen symbolisch-begrifflichen Raum für das Nachdenken über die in den Schemata abstraktiv erfaßten Gegenstände geschaffen, in dem ich müheloser reisen konnte, als in diskursiven Texten, in denen die Verhältnisse zwischen den Begriffen alle auf einen Faden gezogen werden müssen. 56

Die Erstfassung der nächsten beiden Kapitel ist durch diese Arbeitsform wesentlich mitbestimmt: Stets h a t t e ich ein bestimmtes Schema ausgearbeitet, bevor ich versuchte, den Weg bis zu seiner argumentativen Begründung tatsächlich zu durchlaufen, wobei des ö f teren das Schema geändert, präzisiert, oder auch verworfen werden mußte. Die Schemata tauchen im Text erst an den Stellen auf, wo ich mir ihrer bereits sicher genug war, insofern spiegelt der Text also den Entwicklungsprozeß seines Inhalts nicht wider. Andererseits habe ich an mehreren Stellen bestimmte Festlegungen aufgeschrieben, deren Relevanz mir erst viel später klar geworden sind. Dies heißt, daß der Text der Erstfassung keine vollkommen stringente Entwicklungslinie durchläuft, sondern etliche Rücksprünge, Neuformulierungen a u f weist, die Ausdruck der realen Entwicklung meines Problemverständnisses sind. Soll ich nun auch weiter dem mathematischen Arbeitsstil folgen und eine klare, scheinbar unangreifbare Herleitung der verschiedenen Ergebnisse versuchen, so wie ich es im aktuellen Kapitel versucht habe ? Als Psychologe glaube ich, daß es nützlicher sein könnte, die problematischen Stellen des Textes nicht zu verdecken, sondern sie im Gegenteil durch einen Kommentar aus der Sicht des ganzen Textes hervorzuheben. Ich werde daher den folgenden Text der Kapitel 2 und 3 im wesentlichen so belassen, wie er vom März bis August 1981 e n t standen ist, was den Vorteil hat, daß der Zusammenhang der realen Entwicklung noch nachvollziehbar ist. Es wird dabei allerdings d a rauf ankommen, daß auch ein Begründungszusammenhang sichtbar wird. Wenn dies zutrifft, dann scheint mir eine noch stringentere Darstellung derzeit nicht nötig zu sein, zumal sie den Nachteil h ä t t e , bestimmte (sicherlich nicht nur persönliche, sondern tendenziell allgemeine) Schwierigkeiten bei der Entwicklung des Problems zu verdecken, die im gegenwärtigen Text noch sichtbar sind, in einer g e s t r a f f t e n Darstellung jedoch nur in Exkursen oder gar nicht mehr aufscheinen würden.

Das Verhältnis von gegenständlicher Koordination, tätiger Kooperation und reflexiver Kommunikation — also ein Verhältnis von auseinander hervorgehenden Subjekt Verhältnissen — ist bisher nur strukturell, nur statisch beschrieben worden. Es ist nun notwendig, das strukturelle Subjektmodell in Bewegung zu setzen und diese Bewegung nicht nur - wie bisher - als Tätigkeit der Subjekte zu b e schreiben, sondern auch als gesellschaftlichen Arbeitsprozeß, als Produktion der Lebensmittel, die zur Reproduktion der Subjekte n o t wendig sind.

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1. DER BEGRIFF DER PSYCHOLOGISCH KONKRETEN FUNKTION UND DAS "NETZ DER FUNKTIONEN" ALS OBJEKTIVER GEGENSTAND DER PSYCHOLOGIE

Es gehört zu den größten Leistungen von Karl Marx und Friedrich Engels, erkannt zu haben, daß die Verhältnisse zwischen den Gegenständen der gesellschaftlich organisierten Tätigkeit stets auch Kristallisationen von Verhältnissen zwischen Subjekten sind; also innergesellschaftliche, historisch produzierte und keineswegs vollständig naturgesetzlich determinierte Verhältnisse. Marx hat im "Kapital" dargestellt, daß das abstrakteste und gegenwärtig allgemeinste Verhältnis zwischen Gegenständen der Wert der zu Waren g e wordenen Gegenstände ist, und er hat diesen Wert auf ein Verhältnis zwischen Subjekten (Verhältnis der durchschnittlich notwendigen Arbeitszeit) zurückgeführt. Die Untersuchung, Beschreibung und planmäßige Herstellung von Verhältnissen zwischen Gegenständen ist Aufgabe der verschiedenen technologischen Wissenschaften, wobei selbstverständlich neben dem Wert als abstraktestem Verhältnis weitere, konkretere Verhältnisse zu beachten sind: Voraussetzungsverhältnisse etwa, wenn der eine Gegenstand Rohstoff und der andere Werkzeug ist; koordinative Verhältnisse zwischen notwendigen Teilen eines größeren Gegenstands; und so fort. Für den Gegenstand der technologischen Wissenschaften ist der Begriff der "technologischen Verhältnisse" vorgeschlagen worden. Er ist auch von verschiedenen Seiten kritisiert worden (vgl. Rilling 1975, 43 f ) . In unserem Zusammenhang ist die Aufgabenzuweisung an Technologie, sie habe nur die Verhältnisse zwischen Gegenständen zu bearbeiten, auch höchst problematisch, da wir ja durchaus von sozialwissenschaftlichen Technologien, d.h. die gesellschaftlichen Verhältnisse einbeziehenden Produktionswissenschaften, sprechen können. Für diese Formen gesellschaftlichen Wissens und Könnens ist aber, wie schon mehrfach betont, die Untersuchung der "höheren" Ebenen der Verhältnisse zwischen Subjekten unumgänglich. 2.1 Gegenstandsprozeß, Arbeitsprozeß, Reproduktionsprozeß In diesem Kapitel geht es jedoch nicht vorrangig um die Verhältnisse zwischen Subjekten, sondern zunächst um einen adäquaten, allgemeinen Gegenstandsbegriff, der uns als kategoriales "Muster" für 58

die Ausarbeitung und Abgrenzung "des" Gegenstands der Psychologie dienen soll. Die materialistische Argumentation greift zur Klärung des Gegenstandsbegriffs auf das allgemeinste Verhältnis zurück, innerhalb dessen die Gegenstände ein wesentliches Moment bilden: auf das Verhältnis von Natur und Gesellschaft, das sich im Arbeitsprozeß realisiert. Zunächst ist es außerordentlich wichtig zu bemerken, daß das Verhältnis von Natur und Gesellschaft nicht ein Verhältnis zweier Teile eines Ganzen zueinander, sondern ein Verhältnis eines Teils zum Ganzen ist. Der Entwicklungsprozeß der Gesellschaft ist also als eine besondere "Gattung 11 innerhalb der "Stammfamilie" der Naturprozesse zu verstehen; eine These, von der nicht nur die m a t e rialistische Psychologen, sondern etwa auch Piaget ausgeht (vgl. "Biologie und Erkenntnis", 1974), wenn er auch vorrangig den E n t wicklungsprozeß von Personen im Auge h a t . Der Arbeitsprozeß wurde von Marx im Anschluß an Hegel durch drei wesentliche Momente gekennzeichnet: Die subjektive Arbeitsfähigkeit, der objektive Arbeitsgegenstand, um dessen Transformation vom relativen Rohstoff zum Produkt es geht, und das zugleich subjektive wie auch objektive Arbeitsmittel, das erst die Einwirkung des Subjekts auf das Objekt ermöglicht und zugleich die Art der Einwirkung bestimmt und begrenzt, bilden zusammen die "einfachen Momente des Arbeitsprozesses" (MEW 23, 193 f f ) . Als Prozeß b e t r a c h t e t , werden aus den dynamischen Polen die reale Arbeitstätigkeit und der reale Transformationsprozeß des Gegenstands, der Gegenstandsprozeß. Beide aufeinander bezogenen Prozesse sind prinzipiell als Entwicklungsprozesse zu analysieren. Beim Gegenstandsprozeß liegt dies auf der Hand, da die Produktion des Produkts ja gerade geplante Entwicklung ist. Bei der Arbeitstätigkeit muß jedoch erst die Illusion der Nicht-Entwicklung der Arbeitsfähigkeit während des Arbeitsprozesses überwunden werden; eine Illusion, die selbstverständlich eine reale Basis zum Beispiel in der Entwicklung verhindernden Struktur der Fließbandarbeit hat (vgl. Volpert 1975), die aber nichtsdestoweniger eine Illusion ist, weil auch die Fließbandarbeit Entwicklung nicht absolut verhindern kann. Demgegenüber ist jedoch das Arbeitsmittel in jedem konkreten Arbeitsprozeß notwendig invariant bezüglich des mit ihm bewirkten Effekts und auch bezüglich eines gewissen, "normalen" Bereichs von möglichen Störungen im Arbeitsprozeß. Die Invarianz-Aussage bedeutet nicht zugleich, daß das Arbeitsmittel kein Prozeß sein könnte; sie sagt nur aus, daß das Arbeitsmittel keine vom Subjekt unabhängige Entwicklung haben darf, wenn es noch den allgemeinen Zweck erfüllen soll, für den es konstruiert wurde. Die Invarianz des Arbeitsmittels im konkreten Arbeitsprozeß ist eine aktive Invarianz: Basierend auf den natürlichen, stofflich-energetischen Strukturmöglichkeiten wird die wirkliche und wirkende Struktur der Arbeitsmittel von den Produzenten dauernd erhalten gegenüber der natürlichen Tendenz zur Strukturdissipation (Entropiezunahme, zweiter Hauptsatz der Thermodynamik, vgl. Prigogine & Stengers 1981). Dieser Kampf gegen den materiellen Verschleiß der Arbeitsmittel kann nur dadurch gewonnen werden, daß ein reproduktiver Kreislauf 59

zum ständigen Ersatz der Arbeitsmittel durch neue Exemplare derselben Art gesellschaftlich aufrechterhalten wird. In diesem Kreislauf nun geschieht nicht nur die identische Reproduktion der Arbeitsmittel, sondern es können Varianten der gleichen Art zufällig oder aber — das ist wichtiger — geplant produziert werden. Die Reproduktion der Arbeitsmittel ist damit zugleich der Möglichkeit nach auch die Entwicklung der Arbeitsmittel durch die Produzenten. Neue Arten von Arbeitsmittel können entwickelt werden, die die alten als "moralisch verschlissen" zwar nicht unbrauchbar, aber im zeitlichen und energetischen Sinne unökonomisch machen. Ich kann an dieser Stelle selbstverständlich nicht noch darauf eingehen, welchen Gesetzen die Reproduktion der Arbeitsmittel unter kapitalistischen Produktionsverhältnissen folgt (Maximierung der Mehrwertproduktion auch bei der Produktion der Arbeitsmittel usw.); im Zusammenhang dieses Textes ist zunächst wichtig, den Begriff der Arbeitsmittel für die Arbeit von Psychologen zu konkretisieren. Die Wirkung des gesellschaftlichen Kontextes auf die Reproduktion dieser psychologischen Arbeitsmittel ist erst im Anschluß an eine klare Definition zu analysieren, dann allerdings unumgänglich notwendig für die Entwicklung einer angemessenen Perspektive der psychologischen Praxis in Wissenschaft und Gesellschaft. Für eine materialistische Argumentation beginnt eigentlich erst an dieser Stelle, die wir den Ausgangspunkt von der Arbeit nennen können, die kategoriale Entwicklung des Materialistischen an einer spezifischen Theorie. Wie materialistische Wissenschaftler hierbei am besten vorgehen, ist Gegenstand eines umfangreichen Disputs (vgl. die Darstellung aus Sicht der Kritischen Psychologie in Klaus Holzkamps Aufsätzen, 1978). Ich kann hier nicht auf diese Diskussion eingehen, sondern werde im folgenden versuchen, das Verhältnis von Tätigkeit, Mittel und Gegenstand schrittweise im Begriff der "konkreten Funktion" zu konkretisieren. 2.2 Die leitende Rolle des Gegenstands und die Perspektive einer system-historischen Herangehensweise an die Entwicklung der Arbeitsmittel Die Kategorie der Arbeitsmittel, das hat Marx im "Kapital" g e zeigt, ist nur als ein Moment, als vermittelnder dynamischer Pol, des Arbeitsprozesses vernünftig zu verstehen. Der Arbeitsprozeß selbst ist wiederum nur ein Moment des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses, in dem auch die Reproduktion der Arbeitsmittel realisiert wird. Vom Reproduktionsprozeß soll jedoch zunächst noch abgesehen werden. Die beiden entgegengesetzten Pole des Arbeitsprozesses sind der Gegenstand und die (Arbeits-)Tätigkeit, zwischen denen das Arbeitsmittel vermittelt. Diese abstrakte Sicht auf den Arbeitsprozeß mag für die (Kritik der) Politische(n) Ökonomie genügen — für die psychologische Praxis und Theorie sind konkretere Bestimmungen notwendig. 60

Wie aber ist an diese Bestimmungen der psychologisch relevanten Momente des Arbeitsprozesses heranzugehen? Die Kritische Psychologie hat eine Antwort auf diese Frage: Klaus Holzkamp hat kürzlich eine revidierte Version der "funktional-historischen Methode" veröffentlicht (1979, I, 46-53); Wolfgang Maiers hat den "Primat gegenstandsbezogener Analysen für die kritische Weiterentwicklung der Psychologie" verteidigt und präzisiert (1979, 97-123). Ich will im folgenden versuchen, diesen Orientierungen zu folgen und die Entwicklung der Gegenstände, der Mittel und der lebendigen Aktivität begrifflich nach den wesentlichen Stufen zu charakterisieren. Das Besondere an meiner Problemformulierung ist, daß der Terminus "Gegenstand" doppelt a u f t r i t t : einmal als das Ganze beschreibend (Gegenstand der Psychologie), zum anderen als ein Moment des Ganzen beschreibend (Gegenstand im Arbeitsprozeß). Was kann in dieser Problemformulierung nun aber "gegenstandsbezogene Analyse" heißen? Wenn wir die Formulierung "Gegenstand der Psychologie ist das Psychische in seiner n a t u r - und sozialhistorischen Entwicklung" a k zeptieren — und dies ist wohl die Kerndefinition, mit der die g e genstandsbezogenen Analysen der Kritischen Psychologie bisher durchgeführt wurden — dann entfällt allerdings die Doppeldeutigkeit der Problemformulierung. Es braucht dann innerhalb der Psychologie nicht explizit nach der Entwicklung des Gegenstands der lebendigen Aktivität gefragt zu werden; die ökonomischen Bestimmungen (Gebrauchswert, Wert, Ware, Produktionsmittel, Lebensmittel etc.) und die historisch-materialistischen Ergebnisse zur Entwicklung der Gesellschaftsformationen und ihrer Produktivkräfte scheinen auszureichen. Folgen wir dagegen der Gegenstandsbestimmung von Leontjew, die besagt, daß sowohl "äußere", realisierende, wie auch "innere", orientierende Tätigkeit zum Gegenstand der Psychologie notwendig gehören (1979, 17f, 90-94), dann muß sich eine historische Analyse auf alle drei Momente des Arbeitsprozesses beziehen. Obwohl die Kritische Psychologie auf der Kulturhistorischen Psychologie der "Troika" Wygotski, Leontjew, Luria (vgl. Lurias wissenschaftliche Biographie, 1979, 38-57) aufgebaut hat, konnte sie nach meiner Übersicht einen ganz wesentlichen Fortschritt Wygotskis bisher noch nicht durch eine funktional-historische Analyse einholen: Wygotski hat als erster Pychologe die These, daß Symbole und Werkzeuge die beiden wesentlichen neuen Klassen von Vermittlungsprozessen in der gesellschaftlichen Praxis sind, materialistisch formuliert. Luria faßt es so zusammen: "Wygotski argumentierte, daß die höheren psychologischen Funktionen komplexe funktionale Systeme darstellen und eine vermittelte Struktur haben. Sie haben sich historisch akkumulierte Symbole und Werkzeuge einverleibt. Folglich muß die Organisation höherer Funktionen grundsätzlich von allem, was wir bei Tieren finden können, verschieden sein. Weiter, da das menschliche Hirn Millionen Jahre zu seiner Entwicklung benötigte, die menschliche Geschichte aber auf Tausende von Jahren beschränkt ist, muß eine Theorie der Hirnorganisation der höheren Funktionen auch solche Prozesse erklären, die wie etwa die zum Schreiben notwendigen Prozesse - zum Teil von äuße61

ren, historisch bedingten Vermittlern abhängen. In anderen Worten, Wygotski nahm an, daß seine historische Herangehensweise an die Entwicklung solcher psychologischen Prozesse wie des aktiven Gedächtnisses, des abstrakten Denkens und der willentlichen Handlungen auch für die Erforschung der Prinzipien ihrer Organisation im Hirn geeignet sein müßte" (Luria 1979, 126, wie auch alle folgenden Zitate von Luria aus dem Englischen übersetzt). Diese Perspektive von Wygotski hat sich in Lurias lebenslanger Arbeit als äußerst fruchtbar erwiesen: Sprache und andere Symbolisierungen konnten als gegenständliche Mittel der menschlichen Tätigkeit ausgewiesen werden; allerdings bedeutet dies gleichzeitig eine Erweiterung dessen, was "Gegenständlichkeit" der Mittel bedeuten muß. Bisher haben jedoch Lurias Erkenntnisse kaum Eingang in den "Kern" der Kritischen Psychologie gefunden (Jantzen 1979 ist eine wichtige Ausnahme). Symbolische Mittel (Begriffe, Modelle, Sprache) werden fast nirgendwo explizit und psychologisch als Werkzeuge analysiert (Ausnahme: Seidel 1979), sondern fast ausschließlich als Widerspiegelungsformen (Bedeutungen), werden damit aber tendenziell auf ihre Repräsentationsfunktion reduziert. Eckart Leiser hat in seinem methodologischen Text eine ganz ähnliche Kritik formuliert: "Wenn (die) Tätigkeit (des Subjekts) in die Betrachtung eingeht, dann entweder ... als von außen untersuchtes selbständiges Objekt psychologischer Forschung oder ... als von außen eingeführte Kontrollinstanz. Weder im einen noch im anderen Fall wird an die Tätigkeit von innen und reflexiv als konstituierendes oder zentrales Moment des widerzuspiegelnden Zusammenhangs herangegangen" (1978, 38f). Zusammenfassend: Ich meine, daß die Genese des Zusammenhangs von Tätigkeit, Mittel und Gegenstand bisher durch die Kritische Psychologie vor allem in bezug auf die einverleibten Mittel und die symbolischen Mittel nicht ausreichend erklärt werden konnte. Gemessen an dem Ziel einer vollständigen Erklärung der Genese des genannten Zusammenhangs von Tätigkeit, Mittel und Gegenstand bleiben diese drei Kategorien noch psychologisch unterbestimmte Basisbegriffe, deren inhaltliche Ausformung aus der traditionellen Psychologie, der Biologie (besonders der Ethologie) und der materialistischen Philosophie übernommen wurde, die also bisher nicht historisch und psychologisch rekonstruiert werden konnten. Ich sehe einen wesentlichen Grund für diesen Mangel darin, daß die bisherigen Analysen der Kritischen Psychologie noch (mindestens implizit) den Primat der E r kenn tnisprodukt ion unterstellten, und zwar im psychologisch konkretisierten Sinn: als Schwerpunkt legung auf die Erkärung der Genese der Widerspiegelungsfunktion der lebendigen Aktivität (also des Psychischen, der Orientierungstätigkeit). Galperin, dessen grundlagentheoretischer Text in den "Studien zur Kritischen Psychologie aufgenommen wurde, scheint die hier kritisierte psychologische Form des Primats der Erkenntnisproduktion zum expliziten Programm machen zu wollen, indem er den Gegenstand der Psychologie mit der Orientierungstätigkeit identifiziert (1980, 196). Notwendig wäre dagegen, das ist die These, die ich hier verteidigen möchte, die primäre 62

Betonung der Realisierungsfunktion der lebendigen Aktivität: des Körperlichen, der Ausführungstätigkeit, der wirklichen Veränderung der Welt durch die Lebewesen, insbesondere durch die vergesellschafteten Menschen. Es liegt auf der Hand, daß die gerade ausgesprochene Orientierung nur die psychologische Konkretisierung der bereits oben von mir vertretenen wissenschaftstheoretischen Orientierung ist: Der Primat der Erkenntnisproduktion ist aufzugeben. Erkenntnis ist primär als Mittel zur praktischen Verallgemeinerung von einzelnen TätigkeitsGegenstand-Verhältnissen, also als Mittel zur Verwissenschaftlichung der Praxis, zu betrachten. Nur dann können verständige methodologische Orientierungen auch für die Berufspraxis der Psychologie erarbeitet werden, die in einer expliziten Verbindung zur Erkenntnismethodologie stehen, und das heißt: die Erkenntnismethoden und die Erkenntnisse selbst als Werkzeuge der Berufspraxis zugänglich zu machen. Ich verstehe meine Orientierung auf die Ordnung der Berufspraxis, auf die realisierende Tätigkeit der Psychologen nur als eine Variante des "Ausgehens von der Arbeit" als dem dominanten Verhältnis der geschichtlichen Entwicklung — eine Variante, die nach den natürlichen Vorformen der Arbeitsprozesse f r a g t , nach der Struktur der organismischen, symbolischen und (im engeren Sinn) gegenständlichen Mittel, und selbstredend auch nach ihrer Funktion für die R e produktion der jeweils betrachteten Formen der lebendigen Aktivität. Das Fragen nach den Vorformen kann nun entweder historisch erfolgen, oder aber — diesen Weg werde ich im folgenden gehen — indem die den heutigen Menschen verfügbaren "organismischen" Mittel als der Ausgangspunkt einer Systemanalyse der Arbeit genommen wird. Dies ist eine Variante der Systemherangehens weise (vgl. Blauberg, Sadowski & Judin 1977), die für die Psychologie zu einer systemhistorischen Herangehensweise entwickelt werden könnte, in der das funktionalhistorische Vorgehen der Kritischen Psychologie den generativen Kern bildet. In der vorliegenden Arbeit werde ich zu dieser Perspektive nur eine psychologisch angemessene Formulierung des System- und Funktionsbegriffs beitragen können; weitere Arbeiten müßten folgen. 2.3 Konkrete Systeme als Ausgangspunkt der Untersuchung Das in der Überschrift ausgesprochene positive Prinzip habe ich selbst erst kürzlich richtig verstanden, als ich einen eigenen Text über "Regulation und Tätigkeit" aus dem Jahr 1976 überarbeitet habe. Ich halte es für ein "tiefliegendes", nicht leicht gewinnbares Prinzip, jedenfalls wenn es nicht nur eine wohlfeile Ermahnung, sondern eine konkrete, methodische Richtschnur bieten soll. Das Prinzip des konkreten Systems läßt sich vorläufig so ausdrücken: Auf jeder Ebene des untersuchten gesellschaftlichen oder natürlichen Prozesses muß eine Systemgrenze so gezogen werden, daß der reproduktive Zyklus des Systems auf dieser Ebene abgeschlossen ist. Nennen wir diese Forde63

rung an Abgrenzungen des Systems vorläufig: die Forderung nach dem reproduktiven System ab Schluß. Die Formulierung ist höchst voraussetzungsvoll, das ist mir klar, dennoch ist sie zur Orientierung notwendig: Es geht zunächst um den Systembegriff, um die Verallgemeinerung des analytischen Systembegriffs (vgl. Brockmeier 1979) und um die Frage nach den Grenzen in einem Prozeß der entwickelnden Reproduktion. Das Prinzip des konkreten Systems wurde vor allem von P.K. Anochin (vgl. 1978) a u f gestellt, und von A.R. Luria für die Psychologie adaptiert. Wie oben bereits begründet wurde (S. 44), ist es wichtig, die Erkenntnisse von Wissenschaftlern im Zusammenhang ihrer Tätigkeit mit dem intendierten Gegenstand zu prüfen. Ich möchte daher zunächst konkret schildern, wie Anochin (und dann auch Luria) dieses Prinzip im Laufe ihrer Bemühungen, einen natürlichen Entwicklungsprozeß zu verstehen (den Entwicklungsprozeß des Hirns und seiner funktionellen Systeme) herausgearbeitet haben. Erst im Anschluß daran will ich versuchen, das Prinzip im allgemeinen zu diskutieren. Pjotr Kusmitsch Anochin (1898 - 1974) war ein sowjetischer Neurophysiologe, der als Assistent Pawlows von vornherein die Orientierung verfolgte, die höhere Nerventätigkeit im Zusammenhang mit der globalen Aktivität des betrachteten Tieres zu untersuchen. Die Aktivität, die er anfangs noch in Pawlowscher Orthodoxie als reflektorische Tätigkeit auffaßte, versuchte er als überzeugter Materialist stets als sich entwickelnde, für die Lebensgewinnung funktionale, lebendige Aktivität zu verstehen. Sein Begriff des "funktionalen Systems", den er 1935 erstmals in Veröffentlichungen beschrieb (s. Anochin 1978, 17 - 24), und den er bis zu seinem Tod weiter ausbauen konnte (vgl. Sudakow 1978), ist insofern für die materialistische Psychologie von größter Wichtigkeit, als Anochin ein allgemeines Prinzip der Entwicklung organismischer Systeme angeben und empirisch als gültig ausweisen konnte: Der systembildende Faktor für die speziellen neuronalen Erregungssysteme, die eine konkrete Funktion des Tieres realisieren, ist das "konkrete, nützliche Resultat" der Aktivität (Anochin 1978, 151-153 und 159-167). Die spezielle Verbindungs- und Verrechnungsstruktur der Nervennetze entwickelt sich also zusammenhängend mit der immer adäquateren Erreichung des "konkreten, nützlichen Resultats". Bildlich: Ein organismisches Werkzeug bildet sich dadurch heraus, daß es an seinem Gegenstand abgeschliffen und vereindeutigt wird, wodurch wiederum der Gegenstand klarere Konturen annimmt usw. Diese Sicht der Systementwicklung hat Anochin aus der Erklärung von Experimentalergebnissen gewonnen. Experimentelle Nervenkreuzungen und Beobachtung der daraus resultierenden Veränderungen führten ihn zu einer differenzierteren Sicht der Plastizität der zentralen Nervennetze. Zuvor war die Ansicht vorherrschend, daß zentrale Neuronensysteme beliebig umstellungsfähig seien, wenn sie durch Nervenkreuzung an andere periphere sensorische oder effektorische Organe gekoppelt werden. Anochin konnte jedoch zeigen, daß dies nur innerhalb schon bestehender funktioneller Systeme zutrifft; Umstellungen zwischen verschiedenen Systemen sind dagegen weitaus langwieriger 64

und manchmal unmöglich (1978, 22). Anochin hat den Begriff des funktionellen Systems folglich zur Erklärung empirisch aufgewiesener Entwicklungsunterschiede benötigt; erst in der Folge wurde dieser Begriff zu einem generativen Kern für weitere theoretische und empirische Untersuchungen. Im hiesigen Argumentationszusammenhang ist vor allem wichtig, daß Anochin damit ein erstes Kernbeispiel für einen reproduktiven Systemabschluß gegeben hat: Die Grenzen des zu betrachtenden Systems sind so gewählt, daß eine Invariante angegeben werden kann, die durch das System reproduziert wird: Neuronale Regulationsstrukturen und konkretes Resultat der Aktivität sind die beiden Pole, zwischen denen die sensorischen und effektorischen Prozesse vermitteln, und in der Bewegung zwischen den Polen wird zuverlässig die konkrete Funktion realisiert. Das historisch Besondere an Anochins Formulierung (vgl. seine Darstellung in 1978, 43f) ist die 1935 bereits erfolgte, aber damals noch unausgesprochene Zurückweisung der Reflexvorstellung als Reflexbogen mit linear fortschreitender Determination der zentralen Neuronenaktivität durch die sensorischen Signale und der motorischen Aktivität durch die zentralen Signale. Anochin erkennt (noch vor Holst & Mittelstaedt 1950) die wichtige Tatsache, daß in den sensorischen Signalen zwei qualitativ verschiedene Typen von Informationen zusammenfließen: Einmal die Signale, die sich auf "Umgebungs-" änderungen beziehen, die unabhängig vom Tier zustandekamen, zum zweiten aber die reafferenten Signale, die aufgrund der Aktivität des Tieres so und nicht anders "zurückkommen" und objektive Information über den Effekt der Aktivität beinhalten. Und fast noch wichtiger als diese Erkenntnis ist Anochins weitere Verwendung des R e a f f e renz-Begriffs: Während Holst und Mittelstaedt sich ganz auf die "subjektive Seite" des funktionalen Systems konzentrieren und der Frage nachgehen, wie die zentralen Mechanismen ihre eigenen Wirkungen verrechnen können, betrachtet Anochin das konkrete Resultat, also die "objektive Seite", als den dominanten Pol und untersucht daher weiterhin die Einheit von konkretem Resultat und regulativer, neuronaler Struktur. Diese Behauptung über die unterschiedliche Orientierung beider Entdeckergruppen des Reafferenzprinzips möchte ich noch kurz qualifizieren: Die spätere Seewiesener Gruppe (MPI für Verhaltensphysiologie, See wiesen; wo auch Konrad Lorenz längere Zeit forschte) konnte aus ihrer biologischen Orientierung heraus natürlich nie aus dem Auge verlieren, daß die Aktivität der Tiere bestimmte gegenständliche E f f e k t e hat, bestimmte biologische Funktion. Dennoch steht dies niemals im Zentrum des Interesses, vielmehr konzentriert sich das Interesse auf die genau (mathematisch) zu modellierende Struktur der innerorganismischen Verrechnungen, die den regulativen Kern des funktionellen Systems ausmachen. Als zentrale Problembereiche wählen diese Wissenschaftler daher solche Regulationsvorgänge, deren gegenständliche Wirkungsnetze physikalisch gut bekannt sind: Stellungs-, Lage- und Bewegungsregulationen sind Regulationen mechanischer Systeme, die abstraktiv als Hebel-, Gelenk- und Kraftsysteme gefaßt werden können. Dieser Gegenstand der lebendigen Aktivität, die e i 65

gene Körpermechanik, enthält aber keine sichtbare Entwicklung (vom Zeitraum der Embryogenese abgesehen), kann daher als konstante Struktur mit den Mitteln der klassischen Physik analysiert werden. Die Ergebnisse der Seewiesener (Holst, Mittelstaedt, Bischoff u.a.) sind schon von daher für die (Erklärung der) Entwicklung von funktionellen Systemen nur sehr beschränkt verwendbar: Sie definieren, welche Struktur entwickelt worden ist, aber geben kaum Hinweise auf den Weg dieser Entwicklung. Typisch für die Ausblendung des Entwicklungsproblems ist Hoists Ansicht, daß er als Techniker die organismischen Regulationssysteme nur als unvollkommen bezeichnen könne (1961, 23 f f ) . Diese Meinung läßt nichts von der Tatsache durchblikken, daß sich die evolutionäre Optimierung auf alle Leistungen des Organismus zugleich bezieht, und daß gegen diese erreichte Vollkommenheit der Regulation des Gesamtsystems die spezifisch menschlichen Teiloptimierungen, die das Ganze nur in Unordnung bringen (vgl. Churchman 1973), nicht besonders berühmt aussehen. Anders dagegen die weitere Entwicklung der sowjetischen Forscher der Anochin-Schule: Sie konzentrierten sich zunächst nicht auf die abstrakte Struktur des regulativen Teilsystems, sondern bildeten offene, flexible Begriffe für die Subsysteme des funktionellen Systems: Afferenzsynthese, Entscheidungsbildung, Aktionsprogramm, Aktionsakzeptor, Aktion, Resultat und Reafferenz (Anochin 1978, 167182). Diese flexiblen Begriffe und ihre Struktur (die "Architektur des funktionellen Systems") bildeten so ein symbolisches Modell des reproduktiv abgeschlossenen Systems jeder Funktion, das bei den konkreten Untersuchungen forschungsleitend war. Die Untersuchungen selbst konzentrierten sich auf die Entwicklung der funktionellen Systeme. Und dies heißt im Modell von Anochin selbstverständlich: Entwicklung des Resultats zusammen mit den regulativen Strukturen. Hierin vor allem zeigt sich der Unterschied des konkreten Systemdenkens von Anochin und des mehr oder minder abstrakten Systemdenkens der meisten anderen Wissenschaftler, die das vom Technischen h e r stammende abstrakte, mathematische Modell des kybernetischen Systems auf ihren Gegenstandsbereich anzuwenden versuchten: Für Anochin war "System" ein offener Begriff, der in der Arbeit am Gegenstand, also an der höheren Nerventätigkeit erst konkretisiert werden sollte, für die anderen aber ein bereits existierendes Schema, ein symbolisches Modell-Objekt, dem die empirischen Ergebnisse zu assimilieren waren. Dies gilt noch am wenigsten für Holst selbst, der ebenfalls stets von konkreten Systemen, wenn auch nur von technisch realisierbaren, ausgegangen ist. Am stärksten ist die Abstraktheit in den MetaDiskussionen der "Allgemeinen Systemtheorie" zu spüren, die bisher erst zu wenigen konkreten Erkenntnissen über einzelne biologische Systeme geführt haben. Anochin beurteilte die Lage so: "Uns scheint, daß eine der Hauptursachen für diese bedauerliche Situation bei der Suche nach den konkreten Qualitäten des Systems in der übermäßigen Theoretisierung des Problems als Ganzes liegt. ... Die Vorzüge des Systemdenkens wurden theoretisch ausgedacht, doch sie hatten noch kein entsprechendes, in der konkreten Forschung gefundenes Äquivalent. ... Dadurch aber läßt sich bis zu einem g e 66

wissen Grade die bestehende paradoxe Erscheinung erklären: Bei a l len Systemtheoretikern und Philosophen sind die Definitionen für den Begriff System erstaunlich ähnlich, obwohl dieser Begriff bei beiden keine Bedeutung als ein Instrument besitzt, das die konkrete Forschungsarbeit anleitet" (1978, 149). Die Ergebnisse der Forschungen von Anochin haben auf der Gegenstandsebene und auf der methodologischen Ebene ganz analoge Konsequenzen: Für die Forschungen zur regulativen Struktur der lebendigen Aktivität läßt sich ein Prinzip der leitenden Rolle des gegenständlichen Resultats der Aktivität formulieren: systembildender Faktor ist das konkrete Resultat. Auf der Meta-Ebene der Frage nach dem besten Vorgehen ist Anochins Arbeit eine glänzende Bestätigung der These vom "Primat der gegenstandsbezogenen Analyse" (Maiers 1979) bei der Entwicklung der grundlegenden Kategorien einer Wissenschaft. Der konkrete Systembegriff von Anochin folgt so eng wie möglich der Struktur des Gegenstands (Entwicklungsfähigkeit, Resultatausrichtung etc.), wird also zum echten symbolischen Werkzeug des Forschers, das organisierend auf den Zusammenhang der empirischen Befunde einwirkt. Dieses analoge Auftauchen der leitenden Rolle des Gegenstands auf zwei weit auseinanderliegenden Ebenen (Entwicklung von funktionellen Systemen des Hirns; Entwicklung von Theorien im gesellschaftlich organisierten Wissenschaftssystem) ist natürlich bei näherem Hinsehen gar nicht erstaunlich: Handelt es sich doch immerhin um Prozeßebenen einer gut definierten Klasse von Prozessen: der lebendigen Aktivität auf der qualitativen Stufe der Tiere und Menschen. Meine Kritik an der Kritischen Psychologie kann sich klarerweise nicht darauf beziehen, daß sie die leitende Rolle des Gegenstands unberücksichtigt gelassen h ä t t e , - das Gegenteil ist richtig. Die Kritik bezieht sich darauf, daß der Gegenstand nicht als systembildender Faktor verstanden wurde, und daß daher der Systembegriff selbst keine regulierende Kraft in der Kritischen Psychologie hat gewinnen können. Es gibt im Gegenteil ein großes, gegenüber den abstrakten Systemtheorien auch berechtigtes, Mißtrauen gegenüber dem Systemdenken. Anstelle eines konkret-allgemeinen Systembegriffs tritt so in der Kritischen Psychologie z.B. der Begriff des "Organismus-Umwelt-Zusammenhangs" bzw. des "Mensch-Welt-Zusammenhangs" (Holzkamp 1978, 147-157). Die organisierende Funktion dieses Begriffs entspricht der des konkreten Systems: Die Gegenständlichkeit, Produktivität und naturverändernde Kraft (mindestens) der gesellschaftlich organisierten, menschlichen Tätigkeit kann so nie aus dem Auge verloren werden. Verglichen mit diesem Grundschema psychologischer Theoriebildung wirkt die ansonsten in der Psychologie übliche Verwendung des Systembegriffs defizitär: Sowohl in einem Text von Friedhart Klix (1980a, 123f), einem der profiliertesten materialistischen Psychologen der informations- und regulationstheoretischen Richtung, wie auch bei Donald Norman (1980, 12), einem führenden Vertreter des neuen "Paradigmas" der Informationsverarbeitung, finden wir ein Grundschema der Struktur der menschlichen Tätigkeit, in dem es keinen expliziten Gegenstand der Tätigkeit gibt (da kommen "Input"-Pfeile aus dem Leeren, und enden "Output"-Pfeile im gleichen 67

Nichts), ganz zu schweigen davon, daß der nicht-abgebildete Gegenstand noch in vielfältigen Verhältnissen zur übrigen Welt darzustellen wäre. In unserem Lehrbuch zur Wahrnehmung haben wir (Stadler, Seeger & Raeithel 1975, 59 u. 65) dagegen stets versucht, die Einheit von Tätigkeit und Gegenstand zu erhalten, auch in einem "psychologisch-kybernetischen Modell". Die Einsicht Anochins, daß nur die Tätigkeit in Einheit mit ihrem Gegenstand, ihrem Resultat, ein reproduktiv abgeschlossenes System darstellt, ist also in der herrschenden Verwendung des Systembegriffs (als Steuerungssystem, control system) gerade nicht aufgehoben: "In der Tat setzt der Ausdruck 'Steuersystem 1 seinem Wesen nach voraus, daß das Objekt keine Komponente des 'Steuersystems' ist; das heißt mit einfachen Worten, es befindet sich außerhalb der Grenzen (!) des eigentlichen Steuersystems" (Anochin 1978, 163). Wir müssen folglich konstatieren, daß das Mißtrauen der Kritischen Psychologie gegenüber dem abstrakten Systembegriff vollauf berechtigt ist: Er suggeriert eine Abgeschlossenheit der damit b e zeichneten Verhältnisse innerhalb der Tätigkeit, die vollkommen irreführend ist, wenn die Frage nach der Entwicklung dieser Verhältnisse beantwortet werden soll: "Woher 'weiß' das Steuersystem, welches Objekt es steuern muß, wenn es bereits ein System ist? Um irgendetwas steuern zu können, muß es doch außerordentlich adäquate Verbindungen und Beziehungen zu dem haben, was gesteuert werden soll. Liegen die Dinge nicht überhaupt so, daß schon die Anfangsprozesse der Ausbildung des 'Steuersystems' selbst in vollem Umfang der Steuerung durch das künftige, im betreffenden Augenblick für den Organismus notwendige Resultat unterliegen? - Genau so aber geht die Theorie des funktionellen Systems an die Behandlung dieser Frage heran, indem sie das Anpassungsresultat der Funktion des Systems als organischen Bestandteil des Systems faßt" (Anochin, aaO). Indem die Kritische Psychologie ihren Gegenstand von vornherein historisch begriffen hat, und durch den "Ausgang von der Arbeit" als dem kategorialen Grundmuster, konnte sie grundsätzlich nicht in die Gefahr kommen, die Tätigkeit von ihrem Gegenstand zu trennen. Was aber hätte es geholfen, wenn der Begriff des reproduktiv abgeschlossenen, konkreten Systems in den gegenstandsbezogenen Analysen verwendet worden wäre? Oder andersherum: Was hat es geschadet, daß er nicht verwendet wurde? Um diese Fragen anzugehen, sollten wir uns vergegenwärtigen, daß dieser Begriff auf allen Prozeß- und V e r m i t t lungsebenen erneut anwendbar wird: "Mensch-Welt-Zusammenhang", das meint - verstanden als konkretes System - die höchste Prozeßebene, die für die Psychologie noch relevant ist. Etwa am anderen Ende, auf der niedrigsten, noch psychologisch relevanten Ebene, stehen die funktionellen Systeme Anochins: so etwa das funktionelle System der Atmung, dessen Gegenstand, nützliches Resultat, die Sauerstoff Versorgung des Organismus ist. Eine Hypothese von enormer, forschungsleitender Potenz ist nun die Annahme der rekursiv selbstähnlichen Struktur aller Prozeßebenen (vgl. Raeithel 1980/81). Sie eröffnet auf jeder betrachteten Prozeßebene einen Frageraum, der strukturell 68

gleich ist: Was ist der gegenständliche Pol des Systems? Was ist der subjektiv-tätige Pol des Systems? Welches sind die Mittel, durch die die Einheit von Tätigkeit und Gegenstand erst hergestellt wird? Was ist die das System überhaupt erst organisierende, konkrete Funktion für die anderen beteiligten Systeme und Prozeßebenen, letztlich für die Lebenserhaltung "in erweiterter Vorsorge" ? An den beiden paradigmatischen Arbeiten der Kritischen Psychologie, der "Sinnlichen Erkenntnis" von Klaus Holzkamp und der "Motivationsforschung" von Ute H.-Osterkamp läßt sich nun aber feststellen, daß zwar die Frage nach der Funktionalität für die Lebensgewinnung erkenntnisleitend war und die Grundlage für die Erklärung der Entwicklung der menschlichen Fähigkeiten "herauszuarbeiten" ermöglicht hat, daß aber ein wesentliches Merkmal herkömmlicher Psychologie noch nicht endgültig überwunden werden konnte: die Trennung von sogenannten "Funktionen" wie "Wahrnehmung", "Denken", "Motivation" usw. Anzyferowa schreibt hierzu: "Die Analyse der Struktur der T ä tigkeit ist besonders deshalb von größter Wichtigkeit, weil dadurch die Möglichkeit geschaffen wird, den immer noch in der Psychologie herrschenden Funktionalismus - die aneinanderreihende Beschreibung einzelner, relativ isolierter psychischer 'Funktionen' zu überwinden" (1974, 60). Die Trennung der Haupt funkt ionen Wahrnehmung und Motivation drückt sich bereits in der Trennung der Texte aus, und im Aufbau beider Texte ist nicht erkennbar, daß zunächst der reproduktive Systemabschluß gesucht wurde, der den Gegenstand des Textes zu bilden h ä t t e , sondern es mußte in jedem Kapitel erneut versucht werden, den Zusammenhang der speziellen untersuchten Teilfunktion mit den übrigen Teil funkt ionen des jeweils gemeinten, konkreten Systems herzustellen. — Ich möchte dies zunächst nur an einem Beispiel erläutern: Im 4. Kapitel von Holzkamps "Sinnliche Erkenntnis" (1973, 63104) wird wie folgt vorgegangen: Zunächst wird der kritisch-psychologische Funktionsbegriff als "Relevanz einer Lebenserscheinung für die selektionsbedingte Erhöhung der Fortpflanzungswahrscheinlichkeit einer Organismen-Population" (64) kurz eingeführt und in dieser Fassung auf phylogenetische Analysen beschränkt. Mit dieser Definition ist bereits entschieden, daß jede "Lebenserscheinung" in ebenenübergreifender Analyse auf ihren Beitrag zur Lebensgewinnung untersucht wird, ohne daß zunächst nach der konkreten Funktion der "Lebenserscheinung" innerhalb "ihres" konkreten Systems gefragt werden müßte (dennoch wird sehr oft auch nach dieser konkreten Funktion gefragt, nur eben ist diese Frage nicht methodisch vorgeschrieben). Der 1. Abschnitt des Kapitels behandelt dann - übrigens unter zentraler Verwendung des Systembegriffs in konkreter Fassung (67) - die Leontjewsche These von der Herausdifferenzierung der Sensibilität aus der Reizbarkeit, wobei die konkrete Funktion der Sensibilität (Orientierung in bestimmte Richtung auf Lebensmittel zu, von Gefahren weg) zusammen mit der evolutionären Funktion (vergrößerter Bereich, in dem Lebensmittel gesucht werden können) behandelt wird (72 f ) . Der 2. Abschnitt faßt dann - dies ist mein wesentlicher Kritikpunkt im aktuellen Zusammenhang - zwei konkrete Teil funkt ionen der Wahrneh69

mungsorgane in eine Argumentationslinie, die aber zu verschiedenen konkreten Systemen gehören, und zwar außerdem noch zu Systemen, die auf unterschiedlich hohen Prozeßebenen angesiedelt sind: Die erste Funktion ist die bereits auf der Stufe der Sensibilität behandelte Orientierung im aktuellen Lebensraum (nunmehr aber mittels komplexer, sensorischer Analysatoren); sie wird realisiert durch das Zusammenspiel von Körperbewegungen und Wahrnehmungsaktivität und ist ein konkretes System auf der Ebene der Teilsysteme des einzelnen Tieres. Die zweite Funktion ist die der Aktivitäts-Koordination zwischen verschiedenen Tieren der gleichen Art, die auf sensorischer Seite mittels der gleichen Analysatoren realisiert wird, deren e f fektorische Seite jedoch neben den Lokomotionssystemen weitere E f fektoren (Lautbildung, optische Signalisierung, Körperhaltung mit Signalcharakter) aufweist, und die ein konkretes System auf der Ebene der Tiergruppe (Familie, Herde etc.) ist. Dieser Ebenensprung wird unter anderem damit begründet, daß "die kommunikative Aktivität ... eine Form der orientierenden Aktivität des Organismus" (77) ist. Ich halte diese Charakterisierung jedoch für irreführend: Die Subsumtion der Kommunikation unter die Orientierung des Einzel «Organismus, die hiermit angedeutet ist, ist meines Erachtens insofern g e fährlich, als die typische individualistische Betrachtungsweise der herkömmlichen Psychologie (und auch der früheren Evolutionstheorie, die noch nicht von einer konsequenten, konkreten Populationsgenetik ausging, vgl. auch die "Produktionsbiologie", Wahlert & Wahlert 1981) damit verstärkt wird. Richtiger wäre es, und darin würde mir Holzkamp sicherlich zustimmen, Kommunikation als eine Fähigkeit des ganzen sozialen Systems der jeweiligen Tierart anzusehen. Für konkrete Tiergruppen, und erst dadurch auch für die Einzeltiere, stellt die Entwicklung kommunikativer Fähigkeiten einen evolutionär vorteilhaften Faktor dar, der zur Selektion dieser auf die einzelnen Tiere verteilten "Lebenserscheinung" führt. Ein weiterer kritischer Punkt ist der Bedeutungswandel von "Orientierung" (bezogen auf das konkrete nützliche Resultat), der mit dem Ebenensprung verbunden ist: Bedeutet dieser Begriff zunächst auf der Subsystem-Ebene eine konkrete, räumliche Orientierung der Lokomotionsbahn des Organismus auf bestimmte Raumpunkte, oder von ihnen weg, so wird diese Bedeutung tendenziell erweitert durch die Subsumtion von Kommunikation: "Orientierung" heißt nun die Einnahme eines bestimmten räumlichen und variablen Verhältnisses zwischen den Orientierungen der Einzeltiere; etwa das parallele Ausrichten zweier Hirsche im Kampf ritual und das gleichzeitige Gegeneinanderschwenken, das vermutlich den Sinn hat, daß sich die männlichen Tiere nicht allzusehr verletzen bei ihrem Kampf um die Herrschaft als Platzhirsch. Die Vermittlung dieser Art von Orientierung zur unmittelbaren Lebensgewinnung ist klarerweise um Größenordnungen komplexer als das optische Aufsuchen von Nahrung und die Eigenkoordination der Bewegung, um sie auch zu erreichen. Es wäre daher für eine konkrete Systemanalyse unumgänglich, die Orientierungsfunktion auf der Subsystemebene als ein Mittel der Koordination auf der sozialen Ebene zu analysieren, und folglich umgekehrt zu formulieren, daß die orientierende Aktivität 70

des Einzeltieres eine die Kommunikation vermittelnde Funktion innerhalb der Tiergruppe haben kann (nämlich die der Ausrichtung auf den Partner). Um es noch einmal zu verdeutlichen: Der Fokus meiner Kritik liegt darauf, daß die unterschiedlichen Prozeßebenen und ihre konkreten Systeme nicht explizit als Darstellungsmittel verwendet werden; die generellen Ergebnisse der funktional-historischen Analyse von Holzkamp über die evolutionäre Bedeutung der Wahrnehmungsund Erkenntnisprozesse bleiben davon unberührt. 2.4 Konkrete Funktion und Variabilität der Mittel Im aktuellen Problem Zusammenhang der methodologischen Orientierung, die durch den konkreten Systembegriff möglich wird, ist noch ein weiterer Begriff genauer zu analysieren, der bisher schon verwendet worden ist: der Begriff der konkreten Funktion. Auch hier geht es darum, was ein reproduktiver Systemabschluß für die Bedeutungsfestlegung dieses Begriffs ändert, im Vergleich zur Bedeutung, die "Funktion" im Kontext des abstrakten Systemdenkens hat. Auch hier möchte ich, wie angekündigt, die Entwicklung dieses Begriffs durch einen bestimmten Wissenschaftler, nämlich durch Alexander Luria, darstellen, und wieder bezogen auf den Gegenstand seiner Forschungstätigkeit, der von vornherein als sich entwickelnder verstanden wurde. Alexander Romanowitsch Luria (1902 - 1977) war einer aus der Troika (Wygotski, Leontjew, Luria) sowjetischer Psychologen, die mit der Ausbildung der kulturhistorischen Herangehensweise die Basis einer materialistischen Psychologie fixiert haben. In den westdeutschen Ansätzen materialistischer Psychologie ist bisher vor allem Leontjew, weniger schon Wygotski, und am wenigsten noch Luria rezipiert worden. Dies liegt wohl daran, daß seine Texte vor allem im Englischen zugänglich sind, wobei sich Michael Cole als Herausgeber (z.B. von Wygotski 1978, Luria 1976, 1979) verdient gemacht h a t . — Luria war als Sohn eines Mediziners und als früher Schüler und Kollege Wygotskis während seiner ganzen wissenschaftlichen Laufbahn in einer für die Psychologie höchst fruchtbaren Spannung zwischen Interesse an der Aufklärung der organismischen Basis menschlicher T ä tigkeit und Interesse an der höchstentwickelten Teilfunktion: des sprach lieh-symbolisch vermittelten Denkens (vgl. seine Autobiographie, Luria 1979). Quasi senkrecht zu dieser Spannungsdimension liegt eine weitere, für Luria lebenslang produktive Spannung: der Gegensatz zwischen einer analytischen, "klassischen" Vorgehensweise, die auf die Aufdeckung allgemeiner Gesetzmäßigkeiten und Mechanismen aus ist und einer synthetischen, "idiographischen" oder in Lurias eigener Bezeichnung (aaO, 174): "romantischen" Vorgehensweise, die auf den Zusammenhang der Vielfalt allgemeiner Gesetze in einem konkreten Individuum, in der Entwicklung einer einzelnen Person abzielt. Die erste Spannung war steter Antrieb für inhaltiche Entwicklungen, z.B. für die konkrete Frage nach der handlungsregulierenden ' 71

Funktion des Sprechens (aaO, 104-119), die zweite der Motor für die vielen methodischen Innovationen und Variationen, die Luria auf seine Fragestellungen anzuwenden wußte. Wie schon bei Anochin greife ich eine wichtige Einsicht Lurias aus den mannigfaltigen Ergebnissen seiner Arbeit heraus: seine Weiterentwicklung des Begriffs des funktionellen Systems im Bereich der Psychologie, die wesentlich durch die Herausarbeitung des Begriffs der konkreten Funktion möglich wurde. War für Anochin das Kernbeispiel eines funktionellen Systems noch physiologisch gefaßt (Neuronengruppe als tätiger Pol, physiologischer Effekt als gegenständlicher Pol), so mußte Luria diesen Begriff zunächst psychologisch verallgemeinern, da sein Forschungsgegenstand die Entwicklung höherer, psychologischer Funktionen war, und dies sowohl als modale, "gesellschaftswüchsige" Entwicklung, wie auch als Wiederherstellungs- bzw. Ersatzbildungs-Entwicklung nach Krankheit oder Kriegsverletzung (seine Arbeiten zur Neuropsychologic datieren von etwa 1936-1945 und 1950-1977; vgl. das Kapitel zur Rolle des 2. Weltkriegs für die Neuropsychologie, 1979, 138-156). Wygotskis Überzeugung, daß sich die höheren psychologischen Funktionen gesellschaftlich produzierte Mittel, d.h. Fähigkeiten zum Umgang mit Werkzeugen und Sybolen, "einverleiben", habe ich oben b e reits zitiert. Von dieser Grundthese ging auch Luria aus und versuchte daher stets, die Mittel, die eine Person für den "Betrieb" ihrer Funktionen einsetzen kann, genau zu analysieren. Dieses Problem war besonders relevant in der Rehabilitationspraxis von Hirnverletzten (bzw. in der speziellen Förderung von behinderten Kindern): Wie kann eine gegenüber dem modalen Normalzustand herabgesetzte Realisierbarkeit einer Funktion durch veränderte Mittel b e seitigt werden? Diese spezielle Fassung des praktischen Kernproblems der Rehabilitation (Wiederbefähigung) beruht nun aber bereits auf einem konkreten Funktionsbegriff: Voraussetzung dafür, daß das Problem so gestellt werden kann, ist nämlich eine genaue Kennzeichnung der gestörten Funktion. Luria beschreibt die Entwicklung des konkreten Funktionsbegriffs in der Neuropsychologie folgendermaßen (1975, 337-344): Für die a b strakt-analytische, mechanistische Denkweise des 19. Jahrhunderts war es eine wichtige Bestätigung, als durch Broca und Wernicke (1861 und 1873) empirische Belege für die These vorgebracht werden konnten, daß bestimmte Hirngebiete jeweils spezifische Funktionen realisierten. Die Möglichkeit schien gegeben, daß eine elementaristische Karte des Hirns erstellt werden könnte, die gleichzeitig eine Karte der elementaren Funktionen sein würde. "Funktion" wurde hier im Sinn von "Funktion einer fixen, definierten Struktur, eines Organs" verstanden, analog zu Funktionsbestimmungen von somatischen Organen wie z.B. der Leber, der Niere und der Schilddrüse. Nach der Diskussion des Systembegriffs (siehe oben) ist jedoch klar, daß ein solches Verständnis von "Funktion" relativ beliebig eine Teilstruktur des Organismus isoliert, ohne daß nach dem nützlichen Resultat des konkreten Systems gefragt wird, in dem das jeweilige Organ eine wichtige Rolle spielt. Dies heißt aber insbesondere, daß der Zusammenhang verschiedener Organe und ihrer Funktionen nicht 72

im Frageraum dieses abstrakt-analytischen Vorgehens abbildbar ist, es liegt hier ein analytischer Systemabschluß vor, der einen unselbständigen Teilprozeß isoliert, und weiter eine abstrakte Funktionsbestimmung, die nach der Relation von "Input" und Output" f r a g t , ohne anzugeben, zu welchem globalen nützlichen Resultat diese Umformung durch die Funktion einen Beitrag liefert. Dieses a b s t r a k t analytische Vorgehen wurde in den frühen Versuchen der Etablierung einer neuen Querschnittswissenschaft "Kybernetik" nicht überwunden (vgl. die Definitionen von "System", "Funktion" und "Struktur" in Georg Klaus' "Wörterbuch der Kybernetik", 1969); der entscheidene Faktor hierbei scheint wiederum die von Anochin gerügte "übermäßige Theoretisierung" zu sein. Die Entwicklung in der Neuropsychologie zeigt, daß die Erforschung eines konkreten Gegenstands in seiner Entwicklung (einschließlich Störung und Wiederherstellung) zur Überwindung des abstrakt-analytischen Vorgehens führen kann — wenn die Forscher auf die Erkenntnis des Zusammenhangs und der Entwicklung des Gegenstands aus sind, also im Sinn der Engelsschen Unterscheidung eine dialektische Herangehens weise der metaphysischen vorziehen (vgl. Maiers 1979, 82-86). Die dialektische Herangehensweise ist aber nicht einfach die Umkehrung (undialektische Negation) des a b strakt-analytischen Vorgehens. Eine solche war aber zunächst die einzige, historische Reaktion auf den Elementarismus der Lokalisationstheoretiker: Luria nennt als frühe Opponenten Flourens (um 1820) und Hughlings Jackson (um 1880), die auf die Plastizität der Hirnprozesse hinwiesen und bereits vermuteten, daß es flexible, koordinative Systeme im Hirn geben könnte, die nicht an einem umgrenzten Gebiet des Hirns lokalisiert werden könnten: Das Argument der Nicht-Lokalisierbarkeit war stets, daß die höheren, insbesondere psychologischen Leistungen unmöglich von einem bestimmten Hirnareal allein realisiert werden können; Belege dafür, daß trotz Zerstörung großer, eigentlich als essentiell behaupteter Gebiete Funktionen noch realisierbar waren, konnten von ihnen ebenfalls beigebracht werden. Für ihre Position konnten die Lokalisationisten jedoch andere Fakten anführen; gerade in neuerer Zeit gelang es Hubel & Wiesel (1962) nachzuweisen, daß einzelne Zellgruppen der Sehrinde außerordentlich spezielle Antworten auf visuelle Reize p r o duzieren (sie feuern z.B. nur, wenn ein heller Balken einer bestimmten Raumrichtung im Sehfeld vorhanden ist). Luria nennt diese Situation zweier gleichermaßen empirisch g e stützter, aber sich widersprechender Grundsätze der Neuropsychologie eine "faktische Krise" (1975, 339) und sieht die einzige Möglichkeit ihrer Überwindung in einer Revision der Bedeutungen von "Funktion" und "Lokalisation". Die empirische Basis einer Neudefinition des Funktionsbegriffs kann hierbei das Ergebnis der experimentellen N e r venkreuzungen der Anochin-Schule bilden: "Der spezifische Charakter der Aktivität einer Nervenzelle wird hauptsächlich durch die architektonische Einheit bestimmt, zu der sie gehören" (Luria 1975, 338). Diese "architektonische Einheit" ist das konkrete System, das vor allem durch das "nützliche Resultat" organisiert wird. Daher kann "eine 'Funktion' verstanden werden als eine komplexe, adaptive Akti73

vität, die auf die Lösung einer lebenswichtigen Aufgabe zielt, oder, mit anderen Worten, als ein komplexes funktionelles System, das sein konstantes (invariantes) Ziel verfolgt, indem es komplexe und variable Methoden einsetzt" (340). Luria zeigt die allgemeine Struktur eines funktionellen Systems im folgenden Schema (ein essentiell gleiches Schema, wenn auch mit behavioristischer Interpretation, ist das "Linsenmodell" von Brunswik 1952):

Diese Definition von "Funktion" hat nun den Vorteil, daß die jeweilige Funktion auch bei einer Änderung oder Entwicklung der realisierenden Struktur noch als dieselbe Funktion erkannt wird. Es wird also auch in der Frage nach der Entwicklung der Funktionen möglich, von der Isolierung eines speziellen Organs abzugehen und die Entwicklung von Funktionen vor allem als Entwicklung der sie realisierenden Vermittlungsprozesse aufzufassen. Damit sind wir wieder bei der Möglichkeit, eine Störung einer Funktion als Störung eines wesentlichen Vermittlungsprozesses zu verstehen und zugleich schon eine allgemeine Problemstellung für die Rehabilitation zu erhalten: Durch welches neue Mittel kann das funktionelle System wieder hergestellt werden? Als schlagendes Beispiel für ein solches neue Mittel kann Wygotskis Idee dienen, bei Parkinson-Kranken bewußte Vermittlungsprozesse einzusetzen: Diese Kranken sind nicht mehr in der Lage, die intern generierte, rhythmische Bewegung der Beine zu erzeugen, so daß sie kaum zwei Schritte machen können, ohne zu straucheln. Es genügt jedoch, jeden künftig zu machenden Schritt als Papierstückchen auf dem Boden zu markieren. Die Kranken können diese Signale in der gegenständlichen Umgebung dazu nutzen, jedesmal einen bewußten Schritt zu tun. Auf diese Weise geht die Kontrolle der Bewegung auf die höheren Zentren über, die durchaus noch funktionsfähig sind, und die Kranken können gehen (Luria 1979, 128-130). Ob eine noch praktikablere Methode gefunden wurde, die den Parkinson-Kranken wieder eine halbwegs intakte LokomotionsFunktion zurückgeben kann, entzieht sich meiner Kenntnis. Wichtig ist, daß dieser Wechsel der Mittel möglich ist, und zwar schon bei relativ niedrig entwickelten Lebewesen: Lashley zeigte 1937, daß Ratten, denen operativ das Kleinhirn entfernt wurde, zwar keine ihrer früheren Bewegungsmöglichkeiten mehr besaßen, aber dennoch noch Mittel fanden, um entfernte räumliche Ziele zu erreichen (nach Luria 1975, 340). Der wesentliche Unterschied einer abstrakt-analytischen und e i ner konkreten Funktionsbestimmung ist also folgender: Das abstraktanalytische Vorgehen hält zunächst eine bestimmte Struktur fest und fragt dann nach ihrer Funktion (im Sinn der Input-Output-Relation) für ein übergeordnetes System. Deutlichstes Beispiel ist das a b 74

strakt-funktionale Vorgehen in der Soziologie: Die individuelle Person wird isoliert, und dann nach ihrer Funktion gefragt, was zum abstrakten Rollenbegriff führt. Bei einer konkreten Vorgehensweise würden hier jedoch zunächst wichtige Teil funkt ionen der gesellschaftlichen Reproduktionsprozesse unterschieden und die Tätigkeit der einzelnen Personen als variable Mittel der Funkt ions real isie rung aufgefaßt. Dieses Vorgehen führt zum Begriff der (Re-) Produktionsmittel, in dem ihre Entwicklung bereits eingeschlossen ist. Weitere wichtige Unterschiede des abstrakten und des konkreten Herangehens an die Bestimmung von Funktionen finden sich bei Warnke (1974), Marwedel (1976), Holzer (1977). Im ideologiekritischen Sinn ist die abstrakt-funktionale Vorgehensweise eindeutig als von einem Erhaltungsinteresse geleitet zu kritisieren. Eine bestimmte Architektonik der Funktionen wird als ewige Ordnung verstanden, die nicht hinterfragt wird, nicht als variables Mittel einer höheren Funktion verstanden werden darf: Der kapitalistische Staat mit seiner obersten Invariante, der Mehrwert-Produktion als Motor der Reproduktion, ist aber nur ein vorübergehend notwendiges Mittel; ein Mittel, das sich schon seit längerem verselbständigt hat und nahe daran ist, die Reproduktion der ganzen Gattung per Atomkrieg zu unterbrechen. 2.5 Die Frage nach der "höchsten konkreten Funktion" der lebendigen Aktivität Klaus Holzkamp hat in einer früheren Arbeit (in 1972, 100-110) den scheinbar so konkreten Ausgangspunkt von der Einzelperson als "Verkehrung von Konkretheit und Abstraktheit" kritisiert. Das ist für nicht dialektisch vorgehende Wissenschaftler fast unverständlich. In der Tat scheint es zunächst so, als würde beim Fragen nach der konkreten Funktion von allzu vielem, insbesondere eben vom "konkreten Individuum" abgesehen. Diese Abstraktheit aber, die der Kern der "funktional-historischen Methode" ist, ist eine verständige Abstraktion, nämlich eine Abstraktion des Zusammenhangs der Einzelprozesse, eine Abstraktion der wechselnden Vermittlung dieses Zusammenhangs im Fortgang der historischen Entwicklung (vgl. Maiers 1979, 70-81). Wir könnten zugespitzt formulieren: Die verständige Abstraktion führt auf konkrete, jedoch hoch-allgemeine Bestimmungen; durch das verständige Abstrahieren wird die Konkretheit (d.h. der Zusammenhang) nicht eliminiert (vgl. Ruben 1978, 57-60). Die in diesem Sinne abstrakt-allgemeinste Funktionsbestimmung von lebendiger Aktivität ist das Hinterlassen von Nachkommen. Dieses "nützliche Result a t " des obersten konkreten Systems (einer sozialen Gruppe, einer Population) organisiert die gesamten Lebensprozesse im Sinn einer Begrenzung der die Funktion realisierenden, unteren Prozeßebenen. Für das oberste System sind die unteren Systeme variable Mittel der invarianten Reproduktion des Resultats; für die unteren Systeme e r scheint die Begrenzung durch die höchste Funktion als ihnen äußerliche, jedoch notwendige Entwicklungsform. 75

Diese Formulierungen sind noch nicht genügend begründet. Vor allem zwei mögliche Einwände sind zu behandeln, die allerdings geradezu diametral Entgegengesetztes behaupten: Die Ausdehnung des konkreten Funktionsbegriffs bis auf die obersten Prozeßebenen impliziere einen unzulässigen Teleologismus, eine Zielgerichtetheit der lebendigen Aktivität ganzer Populationen, die ein durch die klassische Analytik längst überwundener Erklärungsansatz sei. Dies der erste Einwand. Dahingegen weist der zweite Einwand auf die Zirkularität der obersten Funktionsdefinition hin (am geeignetsten für das Hinterlassen von Nachkommen sind die Systeme, die die meisten Nachkommen hinterlassen) und leitet ab, daß der Entwicklungsprozeß im wesentlichen zufälligen Richtungen folgen müsse, was aber gerade wegen der evidenten Zielgerichtetheit der Lebensprozesse unannehmbar sei. Wir kommen mit der Aufnahme dieser Einwände an den Kern des Entwicklungsproblems: Folgen die verschiedenen Stadien der Entwicklung konkreter Systeme einer "inhaltlichen Logik", einer bestimmten Richtung, oder gibt es "eigentlich" keine Entwicklung im dialektischen Sinn, sondern nur mechanische, zufällig variierende Bewegungen in einem vorbestimmten Raum von Möglichkeiten? Kann die Bewegung, die wir Entwicklung nennen, tatsächlich Neues hervorbringen, also letztlich auch ihre eigene Richtung bestimmen, oder ist sie nur kombinatorische Ausfaltung elementarer Möglichkeiten (Whitehead 1979, Weizsäcker 1971), die einem alles übergreifenden, determinierenden Gradienten folgt, etwa dem Entropiegradienten, der durch den 2. Hauptsatz der Thermodynamik behauptet wird? Es ist unklar, wie wir an die Beantwortung einer derartig g e stellten Grundfrage gehen können, handelt es sich doch im Kern um die Frage nach der absolut höchsten Prozeßebene und ihres Resultats, eine Frage, die bisher nur entweder von Religionen oder von der ersten Naturwissenschaft, der Physik, zu beantworten versucht wurde. Was geht diese Frage uns Psychologen an? Nun, die große Kontroverse zwischen Behavioristen und Kognitivisten, die derzeit von den zweiten dominiert wird, scheint doch unterschiedliche Antworten auf diese Grundfrage zu implizieren: Extremer Vertreter der Zufälligkeit der obersten Gradienten ist wohl B.F. Skinner mit seiner wissenschaftlich begründeten Widerlegung der "Illusion von Freiheit und Menschenwürde" (1971) und auf dem diametral entgegengesetzten Standpunkt der freien, kreativen Wahl der obersten Richtung durch einen subjektiv verstandenen Prozeß finden wir Jean Piaget; vor allem in seiner genetischen Epistemologie (vgl. Tripp 1978), aber auch bei einer biologisch-einzelwissenschaftlich gemeinten These über die kreativen Fähigkeiten der organismischen Strukturen (Piaget 1975). Wie überall, so fällt auch hier der materialistischen Argumentation die Aufgabe zu, mittels einer dialektischen und historischen Herangehensweise die unvermittelten Extreme in einer konkret-allgemeinen Theorie aufzuheben, die Vermittlung des Zusammenhangs zugleich zu leisten und zu erklären. Die grundsätzliche Antwort auf die Frage nach dem höchsten Gradienten der materiellen Prozesse, seiner zufälligen oder kreativen Grundqualität, die in der materialistischen Argumentation meines 76

Erachtens gegeben werden muß, ist die Zurückweisung der Frage als einer praktisch irrelevanten Frage und die gleich anschließende Untersuchung, welcher Funktion die Stellung dieser Frage dennoch dienen könnte, und welchem Zweck daher verschiedene Antworten dienen könnten, womit die praktische Relevanz in Form des ideologischen Zwecks wieder reproduziert, und die Frage als eine real gestellte Frage anerkannt wird. So gesehen fallen aber beide Extreme zusammen: Weder die radikal-behavioristische Auffassung vom Herrschen der Kontingenzen (der zufälligen Verbindungen), noch die genetischstrukturalistische Vorstellung von der wesentlich kreativen Natur vermögen eine bestimmte Aussage über die konkret notwendige Richtung der gesellschaftlichen Entwicklung zu begründen, sie tragen insoweit zur theoretischen Orientierungslosigkeit, vorgeblichen Neutralität oder "Beliebigkeit" (Holzkamp) der Gesellschaftswissenschaften bei. Hiermit ist noch nichts Spezifisches über die Erkenntnisleistung der beiden angesprochenen Wissenschaftler (-Schulen) gesagt, die innerhalb der angedeuteten Beschränkung für sie erreichbar war (vgl. Maiers 1979 zum Denken "in" bzw. "über" Verhältnissen). Die materialistische Argumentation besteht dagegen darauf, daß jede Frage nach einem Gegenstand als Frage nach dem Verhältnis des Gegenstands zum Subjekt der Frage gestellt und beantwortet wird: Es geht um den Gegenstand-für-uns, wie Engels treffend formulierte, und nicht um den Gegenstand-an-sich. Es mag daher im Kontext einer physikalisch begründeten Fragestellung angehen, nach den höchsten, allgemeinen Gradienten der Materiebewegung zu fragen, jedoch ist im Kontext der Gesellschaftswissenschaften eine bestimmte Prozeßebene nicht vernünftigerweise überschreitbar: Die Ebene der Entwicklung der Gesellschaftsformationen. Eine Abstraktion hört mit anderen Worten dort auf, verständig zu sein, wo eine übermäßige Verallgemeinerung versucht wird. Die Frage nach dem Gesamtzusammenhang aller Materieprozesse muß in eine Entwicklung der wirklich, in der Praxis beantwortbaren Fragen transformiert werden; unsere Antwortversuche müssen als historisch relative, praktische Wahrheiten in möglicherweise ideologischer Verkleidung verstanden und auch bewußt so reguliert werden. Eine methodologische Regel für die Begrenzung der Fragestellung ist bereits genannt worden: Der Ausgangspunkt muß die Identifikation eines konkreten Systems sein, dessen Aktivität durch die stets e r neute Realisierung seiner konkreten Funktion, durch die Reproduktion des nützlichen Resultats organisiert wird. Wir hatten außerdem f e s t gehalten, daß bei der Bestimmung eines konkreten Systems die lebendige Aktivität nicht von ihrem Gegenstand getrennt werden darf, daß also ein reproduktiver Systemabschluß gesucht werden muß. Wie ist diese Regel nun auf die oberste, noch psychologisch relevante Prozeßebene anzuwenden? Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir versuchen, die Regel genauer zu beschreiben, sie insbesondere auf ihre Verallgemeinerbarkeit zu untersuchen. Sie wurde ja an einem bestimmten Forschungsgegenstand, dem neuronalen Regulationssystem tierischer Organismen, gewonnen; ihre Übertragbarkeit etwa auf das regulierende 77

System von sozialen Gruppen wurde bisher einfach unterstellt. V e r gleichen wir zunächst den analytischen Systemabschluß (Brockmeier 1979, 1981) und dessen Verallgemeinerbarkeit mit dem reproduktiven Systemabschluß. Dazu wird uns ein historischer Exkurs zur Entstehung des Denkens mit und in analytisch abgeschlossenen Systemen recht nützlich sein. Exkurs 1: Zur sozialen Basis und Funktion des analytischen Systemdenkens Dieser Exkurs beansprucht nicht, eine wissenschaftshistorisch ausgewiesene Untersuchung darzustellen, sondern ist ein eher ungeschützter Entwurf einer plausiblen These zur Geschichte des analytischen Systemdenkens. Der Argument-Sonderband "Materialistische Wissenschaftsgeschichte" (Bonik u.a. 1981) hat mich zu dieser These angeregt: Im Licht meiner eigenen Problemstellung verstand ich diese Sammlung einzelner Artikel überraschenderweise als eine kohärente, komplexe Aussage, die ich im folgenden zu formulieren versuchen will. Betrachten wir die Geschichte der wissenschaftlichen Erkenntnis, so scheint zunächst folgendes Bild zutreffend: In der klassischen Periode der neuzeitlichen Wissenschaft wurden an der Untersuchung der Natur die grundlegenden Modelle (das dynamische System bei Newton) und Methoden (die experimentelle Methode z.B. bei Galilei) entwickelt, die im folgenden auf immer weitere Bereiche der Natur angewendet wurden, bis schließlich auch die Gesellschaftswissenschaften weitgehend von diesen Modellen und Methoden bestimmt waren. Gegen diese "äußerliche" Bestimmung speziell der Psychologie durch die paradigmatische Vorgehensweise der Physik haben sich immer wieder Stimmen erhoben, ohne jedoch durchdringen zu können (vgl. die geisteswissenschaftliche Psychologie; neuerdings die interaktionistischen, phänomenologischen Strömungen). Wir können jedoch, das zeigen die Autoren des AS 54 in u n t e r schiedlicher Akzent Setzung, das folgende, zutreffendere Bild der Wissenschaftsentwicklung begründen: Der inhaltich bestimmende Grundzug schon der Newtonschen Physik, war die Isolierung einer dynamischen, von Kräfteverhältnissen geprägten, Struktur von der übrigen Welt und die Beschreibung der gleichgewichtssuchenden Bewegung des solchermaßen analytisch abgeschlossenen Systems. Diese Grundfigur des dynamischen Systems ist keineswegs genuin naturwissenschaftlich, sondern kann genauso als eine bereits vor ihrer wissenschaftlichen Kodifizierung bestehende Denkfigur der Gesellschaftserkenntnis verstanden werden: Die Nationalstaaten des 17. Jahrhunderts mit ihren umkämpften Grenzen, ihren inneren, ökonomischen Verhältnissen und ihre Vorgänger sind sozusagen die materiellen Vorbilder des physikalischen Systems. So stellt Michael Wolff (1981) die These auf, daß der Newtonsche Kraftbegriff genetisch auf eine frühe, dynamische Fassung des ökonomischen Wertbegriffs (die Arbeitskraft, formende Kraft, vis impressa, als wertbildende Substanz) durch die "Impetus78

Theoretiker" zurückgeht. So zeigt Johannes Rohbeck (1981), wie Adam Ferguson in seiner frühen Geschichtstheorie bei Ablehnung der mechanischen Kraft und der mechanischen Bewegung als Erklärungsgrundlage für die historische Bewegung dennoch eine ganz analoge Struktur findet: Er postuliert eine fixe Kraft, ein "Streben nach Höherentwicklung", und nimmt ansonsten Entwicklung durchaus noch im analytischabgeschlossenen Sinn einer "Auswicklung", "Entrollung", linearen Bewegung von bereits vollständig präformierten Strukturen. So zeigt schließlich Brockmeier (1981), wie nach der ontogenetischen "Auswicklungstheorie", bei der noch die fixe, konstante Art unterstellt werden mußte, eine phylogenetische Entwicklungstheorie durch Darwin endgültig ausgeformt werden konnte, wobei die wesentlichen Erscheinungen des Frühkapitalismus, Konkurrenz und Verdrängung aus umkämpften Geschäftsbereichen, als natürliche Ursachen der Höherentwicklung in Gestalt des Kampfes um das Überleben, nunmehr naturwissenschaftlich ausgeformt, wieder erscheinen (vgl. dazu auch Marx, MEW 30, 248 f und Engels in Kedrow 1979, 335-343). Naturwissenschaftliche Theorien und Methoden sind folglich nicht als etwas anzusehen, das im Gegensatz zu einer irgendwie gearteten Gesellschaftsauffassung entwickelt wurde, sondern sowohl natur- wie auch gesellschaftswissenschaftliche Konzeptionen gehen auf materielle Praxisordnungen, d.h. Arbeiten und ihnen entsprechende Diskurse (Foucault 1981), der historischen Gesellschaften zurück, in denen sie entstanden sind. Diese jeweiligen vor- und außerwissenschaftlichen Auffassungen über Natur und Gesellschaft sind zugleich habituelle Orientierungen der Wissenschaftler, die mit den Verfassungen der Institutionen und Organisationen der Wissenschaftler in Korrespondenz stehen (vgl. Bourdieu 1980, zit. nach IDM-Arbeitsgruppe Mathematiklehrerausbildung 1981, 143 f f ) . Ein Beispiel: Da der experimentell-isolierende Zugriff auf die Natur eine allgemeine habituelle Orientierung ist, gegen die erst seit kurzer Zeit eine ökologische Bewegung opponiert, haben in der institutionalisierten Psychologie solche Wissenschaftler größere Chancen auf einen Professorenposten, die die nomothetisch-experimentelle Ausrichtung nach dem Vorbild der klassischen Physik vertreten. Wenn Psychologen auch deshalb gegen die "Vorherrschaft der naturwissenschaftlichen Vorgehensweise" rebellieren, so sollten sie nicht übersehen, daß sie eine Koalition gerade mit den Naturwissenschaftlern eingehen können, die eine entwicklungsbetonte Grundauffassung durchsetzen wollen (vgl. als neueres Beispiel Prigogine & Stengers 1981). Das Interessante, geradezu Aufregende an der aktuellen wissenschaftshistorischen Situation ist gerade dieses, den vorgeblichen Gegensatz von Gesellschaft und Natur übergreifende, Interesse an entwicklungsbetonten Sichtweisen, das stets in der Forderung einer neuen, genetischen Synthese von bisher getrennten Bereichen mündet: Naturentwicklung und Entwicklung der Erkenntnis (Jacob 1972, Piaget 1974, Bateson 1980, Prigogine & Stengers 1981), Gesellschafts- und Individualentwicklung (Holzkamp 1978, Riegel 1980), Individualentwickung und Entwicklung von Fähigkeiten (Leontjew 1979, Galperin 1980). Diese Forderung nach einer Synthese unter dem Primat der 79

Entwicklung ist nun wiederum nicht eine rein wissenschaftliche Neuorientierung, sondern der wissenschaftliche Ausdruck einer allgemeinen, gesellschaftlichen, selbstverständlich widersprüchlichen, Bewegung in Richtung einer Synthese von bisher antagonistischen gesellschaftlichen Teilbereichen, mit dem Ziel einer harmonischen Koordination der Produktion mit der Reproduktion der Produzenten, oder einer Synthese der Gesellschafts- mit der Naturentwicklung, mit dem Ziel einer ökologischen Koordination der gesellschaftlichen mit der natürlichen Reproduktion. Eine der wesentlichen theoretischen Voraussetzungen dafür, daß Wissenschaftler in diesem Prozeß eine vorausweisende, also nicht nur beschreibende Rolle einnehmen können, ist meiner Überzeugung nach die Neudefinition des kategorialen Grundgerüstes für die angemessene Fassung des Entwicklungsproblems. Mit dieser Betonung einer b e g r i f f lichen Voraussetzung sollen die, vor allem von der Kritischen Psychologie betonten, politisch-ideologischen Voraussetzungen einer Entwicklungs-Sichtweise (eingenommener Standpunkt in den Klassenauseinandersetzungen; Parteinahme gegen Entwicklungsbeschränkungen usw.) nicht als minder wichtig zurückgedrängt werden. Sie allein reichen jedoch nicht aus, da die "wissenschaftlich-metaphysischen" Vorgehensweisen (Maiers 1979, 76 f f ) , die zu überwinden sind, eben wissenschaftliche, also gegenständlich und operativ begründete Begriffssysteme verwenden, die nicht einfach zurückgewiesen werden können, sondern als begrenzte Wahrheiten "aufgehoben" werden müssen. Ilya Prigogine und Isabelle Stengers (1981) betonen vor allem eine Grundentscheidung, die dem klassischen, analytischen Systembegriff zugrundeliegt: die Trennung des "Beobachters", d.h. des erkennenden Subjekts von seinem Gegenstand, die implizit auch die Trennung eines naturmächtigen Subjekts von seiner, von ihm beherrschten Umgebung ist. Die letztere Trennung tritt als strenge Unterscheidung der gesamten Prozeßordnung in zwei disjunkte Teilbereiche auf: Die vom Subjekt prinzipiell beliebig wählbaren (logisch voraus-setzbaren, aber auch real setzbaren) Anfangsbedingungen einerseits werden den im Systemabschluß gewinnbaren, "ewigen", dynamischen Gesetzen andererseits gegenübergestellt. Dabei ist sowohl die "Illusion des Herrschers" wirksam: die Subjekte glauben, die von ihnen abgetrennte Natur durch Setzen von Anfangsbedingungen beliebig manipulieren zu können, als auch - paradoxerweise - die genau entgegengesetzte "Illusion des ohnmächtigen, unterworfenen Sub-jekts": Sobald jemand Bedingungen gesetzt hat — der Schöpfergott, der gottähnliche Herrscher, der allgewaltige Kapitaleigner — verlaufen die weiteren Bewegungen in starren, linearen Bahnen, folgen den "ehernen Naturgesetzen". Dieses unvermittelte Ineins-Gehen von beliebigem Eingriff und völligem Unterworfensein hatten wir bereits oben gefunden: als dem nur scheinbaren Gegensatz von radikalem Behaviorismus und genetischem Strukturalismus unterliegend. Die gleiche paradoxe Struktur ist von der Kritischen Psychologie im unvermittelten Gegensatz von "abstrakt-isoliertem" Individuum und determinierender, feindlicher Gesellschaftsstruktur aufgezeigt worden (vgl. Holzkamp 1978, H.-Osterkamp 1978). Wie Maiers treffend 80

bemerkt, reicht es aber nicht aus, diese Struktur in psychologischen Theorien jeweils nur "wiederzufinden" (1979, 74), es kommt darauf an, ihre beschränkte Rationalität genau zu erläutern und eine neue Form der dialektischen Beziehung von Natur und Gesellschaft, E r kennt issubjekt und Gegenstand, gesellschaftlicher Anforderung und personalem Subjekt auszuarbeiten. Die Trennung von Subjekt und Naturgegenstand hat einen rationalen Kern, denn sie ist angenähert durchaus möglich, und wird dauernd in der gesellschaftlichen Produktion wirklich vollzogen. Daß die Entwicklung der Physik gerade die isolierende Naturbeherrschung zum Ziel und Antrieb h a t t e , ist ganz unbestreitbar (vgl. Wolff 1981, 42 f). Die Zusammenhänge zeigt das folgende Schema. Schema 3: Analytischer Systemabschluß und isolierende Naturbeherrschung Eingebung^ Genie

- > ET

Theorieproduktion Theorie

kontingentei Anfangsbedingungen

System \ \

Technologie

\

(experiment .T t e i l e Setzung) AM organismische Arbeitsfähigkeit

N J-

* — • Ing/Kap

r-^

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Problemlösendes Erkennen (PE)

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(PE)

Anschauliches Erkennen (AE)

ÜR

Gnostische Stufen nach Holzkamp (1973)

(AE)

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> UR f

Dezentrierung (operativ) Urzentrierung (repräsentational)

Modi der Reflexion

Das Schema versucht folgende Idee einzufangen: Die gnostischen Stufen von Holzkamp hatten mir immer nur soweit eingeleuchtet, als sie als Durchgangsstufen zu einem entwickelteren Können zu verstehen sind: Von einer bestimmten Ausgangslage aus muß ein erster Schritt der Reflexion (1) erfolgen, in dem das reflektierende Subjekt Rückschau hält auf einen vergangenen Prozeß und versucht, in der Erscheinungsform des Gegenstands eine Ordnung zu sehen. Diese Reflexion auf das "anschaulich", in der gedanklichen Repräsentation Gegebene erfolgt aus der Perspektive des reflektierenden Subjekts, es "blickt aus seiner Tätigkeit auf die Struktur der erscheinenden 114

Wirklichkeit 11 . Da das urzentrierte Subjekt also nicht auch seine eigene Tätigkeit im Verhältnis zum Gegenstand reflektiert, bleibt es gefangen in den Grenzen seiner repräsentationalen Begriffe, hält sich entweder für ohnmächtig oder für allmächtig (das Zusammenfallen beider Ansichten wurde oben schon gezeigt, vgl. S. 77 u. 80). Ein weiterer Schritt (2) der Reflexion ist jedoch möglich: Das Subjekt kann versuchen, eine dezentrierte Position zu seiner eigenen Arbeit einzunehmen: Dies erfordert "reflektierende Abstraktion", wie Piaget es nennt, d.h. die "Differenzierung der Erkenntnisinhalte in die Momente des sinnlich Gegebenen und der vermittelnden Aktivität" (Damerow 1980 a, 166), wodurch das Verhältnis der Tätigkeit zum Gegenstandsprozeß und dadurch auch das Arbeitsmittel Gegenstand der Reflexion wird. Auf dieser Stufe ist problem lösendes Erkennen möglich: Die eigene Arbeit wird als besonderer Prozeß verstanden, dessen allgemeine Struktur zu finden ist: Ein System von Operationen (eine konkrete Funktion) wird erzeugt, das (die) zuverlässig das zugehörige Resultat produziert. Dabei muß jedoch notwendig der jeweilig oberste Zweck der Arbeit fixiert bleiben. Die Reproduktion dieses Zwecks bleibt damit noch außerhalb der Reflexion, über die Gründe für die Wiederkehr der Funktionsnotwendigkeit wird das Subjekt in dezentrierter Position nicht reflektieren, da seine Denktätigkeit auf die Erreichung des Zwecks konzentriert ist. Wiederum ist ein weiterer Schritt (3) möglich: Das Subjekt kann versuchen, seinen Arbeitsprozeß im Zusammenhang der Reproduktion des Gemeinwesens zu reflektieren. Damit erst erreicht es die Stufe des begreifenden Erkennens: Es sieht den Zweck seiner Arbeiten als zugleich objektiv bestimmt und als subjektive Notwendigkeit des höheren Subjekts, des Gemeinwesens als Gesamtprozeß aller Arbeiten. Das Subjekt reflektiert wieder aus einer zentrierten Position, es denkt über die konkret-einzelne Praxis seines Gemeinwesens nach. Aber die Rezentrierung unterscheidet sich von der anfänglichen Zentrierung dadurch, daß es selbst im Gegenstand der Reflexion enthalten ist, während es in der Urzentrierung "aus sich herausblickt" und sich selbst nicht sieht. Das Subjekt kann nun perspektivisch reflektieren: Es wird erkennen, daß die Entwicklungsrichtung des gesamten Gemeinwesens durch es selbst mitbestimmt ist, es wird verschiedene wirksame Perspektiven erkennen, d.h. von vielen Subjekten verfolgte Entwicklungsrichtungen, und es kann Widersprüche zwischen diesen Perspektiven ausmachen und reflektierend eine Wahl zwischen alternativen, antagonistischen oder parallelen, Perspektiven treffen. Aber in dieser Rezentrierung im höheren Subjekt ist das reflektierende Subjekt nicht mehr wirklich in sich zentriert, es befindet sich ja in einer theoretischen Phase und muß die Ergebnisse seines Denkens, das produzierte Wissen, wieder dorthin zurückbringen, wo es seinen Ausgang nahm: in die Auseinandersetzung mit dem Gegenstand seiner praktisch-realisierenden Tätigkeit. Aus der Rezentrierungsposition ist zwar die Wahl eines Zwecks in Beteiligung an der Vorsorge möglich, aber diese Wahl heißt noch nicht, daß die operativen Möglichkeiten bereits gegeben sind. Deshalb muß das Subjekt einen weiteren Schritt (4) tun und erneut dezentrieren, um seine Arbeit vo115

rauszuplanen. Dieser Plan muß sodann vom Subjekt zum regulativen Kern seiner Tätigkeit gemacht werden und die Rückkehr in die Urzentrierung (5) ist vollständig, sobald das Wissen, das im Plan operativ gemacht wurde, in Können des Subjekts transformiert ist. Das Können wird die Einengung der Aufmerksamkeit des Subjekts auf den Prozeß der erscheinenden Wirklichkeit des Gegenstandes erlauben, wird also die Reflexion auf die eigene Tätigkeit erübrigen, weil diese dem Gegenstand adäquat ist und ihn daher formen kann. Auf dieser letzten Stufe der Reflexion wird das neue Wissen und Können vielfach in neuen Kontexten angewendet und bereichert, bis es zum Fundus des praktisch bewährten gehört. Dann kann die gesamte Reflexionsphase als vorläufig abgeschlossen gelten, und das Subjekt kehrt — bezüglich dieses Gegenstands — zurück zu einer "nur" realisierenden, selbstverständlichen und gekonnten Tätigkeit (Schritt 6). Mit den Schritten 4 bis 6 ist also eine Erweiterung der von Holzkamp angenommenen Stufenfolge verbunden: Die Reflexionsmodi müssen alle drei immer wieder durchschritten werden, sowohl in Richtung Rezentrierung oder begreifendem Erkennen, wie auch als Rückkehr aus der Reflexion in die Selbstverständlichkeit des gekonnten Handelns. Die von Holzkamp (1973) noch vorgenommene Deutung der Stufen als jeweils spezifische Beschränkung der Erkenntnisweise durch die e r reichte Stufe erscheint in meinem Schema ebenfalls wieder: als möglicherweise, aber nicht notwendig unangemessene Abkürzungen der ganzen Figur sind die Wege 11AE" und MPE" zu verstehen. Unangemessen ist das Verbleiben im Modus des anschaulichen, urzentrierten Erkennens, wenn das Problem im Verhältnis von Tätigkeit und Gegenstandsprozeß zu suchen wäre, und ebenso ist das Verbleiben im Modus des dezentrierten Problemlösens dann unangemessen, wenn nicht einfach vom gegebenen Zweck zur Planung seiner Ausführung übergegangen werden kann, sondern der Zweck selbst zu rechtfertigen, eine Wahl der Perspektive zu t r e f f e n ist. Diese "Reflexionsfigur" war also die leitende Idee der Rekonstruktion, von ihr ist nun zu zeigen, wie sie die realen Entwicklungen der materialistischen Theorie widerspiegelt, und welche Änderungen dabei nötig werden. Es handelt sich, formal gesehen, um eine Hypothese von aufeinanderfolgenden, qualitativen Stufen der t h e oretischen Arbeit. Für die Analyse von solchen qualitativen Sprüngen in Entwicklungsprozessen gibt es noch weitere Mittel: Zunächst haben wir eine abstrakte Vorstellung, ein formales Modell, des Verhältnisses von Entwicklungsnotwendigkeit und Möglichkeitsentwicklung zur Verfügung: das Bild der Gabelung, der "Bifurkation", der Wahl zwischen zwei Wegen (vgl. Prigogine & Stengers 1981). Daraus ziehe ich für den vorliegenden Fall die Vermutung, daß das Übergehen zu einer höheren Stufe der eine Weg einer Gabelung ist, der andere Weg wäre das Verbleiben auf der aktuellen Stufe oder sogar ein Zurückfallen. Der Nachweis der Möglichkeit des Übergangs wäre also dadurch zu f ü h ren, daß eine real bestehende, qualitative Alternative für die b e treffende Zeit gezeigt wird: Marx mußte den Weg, den er gehen würde, sowohl frei wählen können, als auch notwendig so gehen, um sein t h e oretisch-praktisches Problem richtig zu stellen und zu lösen. 116

Das zweite Denkwerkzeug ist ein Produkt der Kritischen Psychologie, genauer gesagt, von Klaus Holzkamp: Der Begriff der entwicklungsnotwendigen Stufe und der "Fünfschritt" der Analyse des Funktionswechsels und des Dominanzwechsels der Mittel des Subjekts, die zusammen eben die Überwindung der Stufe ausmachen sollen, so jedenfalls die Modellvorstellung, die ich aus noch unveröffentlichten Texten von Holzkamp (1979, 1981) entnommen habe. Aus diesem Modell folgt für unseren Fall zunächst, daß der Übergang von einer bestimmten Phase der Theorieentwicklung (die als ein System zu zeigen ist: Schritt 1), im konkreten Fall notwendig gewesen sein muß, um eine Entwicklungskrise der Theorie (und Praxis) zu meistern. Schritt 2 besteht in der Angabe dieser Krise. Zu zeigen ist weiter, daß ein altes Mittel eine neue Funktion erhalten hat (Schritt 3, Funktionswechsel), und dann als nunmehr neues Mittel im Gesamtsystem der Mittel dominant wurde (Schritt 4, Dominanzwechsel). Schließlich ist zu zeigen, daß das System "sich" auf der neuen Stufe vorerst beruhigt (Schritt 5). Diese neue Stufe wäre (ebenso wie die alte, in Schritt 1) als selbst reproduktives System, in unserem Falle: als relative Konsistenz der erreichten Stufe der materialistischen Theorie der Praxis auszuweisen.— Soweit das formale Programm. Zusammenfassend heißt die leitende Hypothese der folgenden Rekonstruktion: Die Entwicklung der materialistischen Theorie läßt sich konsistent beschreiben als Überschreitung dreier qualitativer Stufen der theoretischen Reflexion, wobei jede Stufe sowohl als gewählte theoretische Alternative, wie auch als notwendig durchlaufene Entwicklungsphase zu zeigen ist. Diese Formulierung enthält nun ersichtlich weniger als die ganze Reflexionsfigur fordern würde: Es werden nur die Schritte 1, 2 und 3 zu rekonstruieren versucht, während die Realisierung der materialistischen Theorie in der politischen Praxis der Jahre nach 1846 nicht mehr in die Analyse aufgenommen wird. Es wird sich zeigen, was mit dieser Teilrekonstruktion für eine Theorie der psychologischen Teilpraxen bereits gewonnen ist, und was in weiteren, späteren Arbeiten noch zu tun bleibt. Nachdem nunmehr der Kontext und drei der Mittel meiner Rekonstruktion vorläufig geklärt sind, möchte ich vorwegnehmend einige der Mittel beschreiben, die Marx, und später Engels, selbst bewußt verwendeten, während sie die Theorie der historischen Entwicklung ausarbeiteten. Diese Darstellung ist auf die abstrakte Struktur dieser Mittel bezogen und wird im folgenden Abschnitt ergänzt durch die Beschreibung des praktischen Zusammenhangs, in dem sie verwendet wurden. Diese Vorwegnahme ist nötig, weil ich die gleichen Mittel bei der Rekonstruktion verwenden muß; im Unterschied zu den bisher genannten Strukturen lassen sie sich explizit in den Texten a u f f i n den und müssen daher nicht erst aus der realen Entwicklung herausfiltriert werden. Es handelt sich: (1) um das Verhältnis von Arbeit zu theoretischer Arbeit, oder — in Marx Worten — um "die Reflexionsform, die die Beziehung des Gedankens auf das Sein, das Verhältnis derselben darstellt" (MEW Erg.Bd.l, 274), und (2) handelt es sich um das Verhältnis der Kategorien Arbeit und Reflexion, so wie es von Hegel gefaßt und von Marx genutzt wurde. 117

( l ) Materielle Analogie zwischen Arbeit und theoretischer Arbeit Für eine Theorie der Praxis ist entscheidend, wie das Verhältnis von Theorieproduktion und Verwissenschaftlichung der Praxis gefaßt wird. Genauer gesagt: Entscheidend ist sogar, daß diese Beziehung überhaupt als Verhältnis zu begreifen versucht wird. Ich möchte zunächst wiederum in einem Schema darzustellen versuchen, was der strukturelle Kern der von Marx und Engels entwickelten Theorie der Praxis meiner Auffassung nach ist, nämlich: die bewußte Herstellung und Nutzung einer materiellen Analogie. Was ich hier als "materielle Analogie" bezeichne, nämlich ein bestimmtes Verhältnis von Arbeit zu theoretischer Arbeit, ist von Marx bereits in seiner Dissertation, als er noch Hegelianer war (vgl. Lapin 1974, 42-53), speziell für die Philosophie so beschrieSchema 7: Materielle Analogie und funkt ionskoordinierendes Subjektsystem Subjektsystem ^LebendigeN Begriffe Wissen Können/

Widerspiegelung

pZ pM pT mG R

theoretisches Ziel praktischer Zweck tZ theoretisches Mittel praktisches Mittel tM kognitive Tätigkeit praktische Tätigkeit kT symbolischer Gegenmaterieller, sozialer sG stand Gegenstand 2 Gesamtresultat, systembildender Faktor für das koordinierende Subjektsystem

: : : :

118

ben worden: "In dem allgemeinen Verhältnisse, das der Philosoph der Welt und dem Gedanken zueinander gibt, verobjektiviert er sich nur, wie sein besonderes Bewußtsein sich zur realen Welt verhält" (MEW Erg.Bd.l, 274). Das Verhältnis von praktischer und theoretischer Tätigkeit der Philosophen untersucht Marx zu dieser Zeit allerdings noch in Hegelscher Manier, unter dem Primat der theoretischen P r a xis, der Erkenntnisproduktion. Er versucht den materiellen Gegenstand zu finden, der dem in der philosophischen Theorie sprachlichsymbolisch gefaßten Gegenstand insofern analog ist, als die philosophische Tätigkeit zu beiden ein analoges Verhältnis hat. Später erst wird Marx die Suchrichtung umkehren: Ausgangsverhältnis ist dann seine politische Arbeit im Zusammenhang der Praxis eines Gemeinwesens, und er wird versuchen, den symbolischen Gegenstand erst herzustellen, zu dem er in theoretischer Arbeit ein zu seiner politischen Arbeit analoges Verhältnis entwickeln kann. Jedoch ist sich Marx auch als Hegelianer klar darüber, daß das Verhältnis von theoretischer zur wirklichen Praxis der Philosophen ein Verhältnis der p r a k tischen Wahrheit sein muß, daß es eine materielle Analogie sein muß, wenn die Philosophie (bzw. die Wissenschaft allgemein) praktisch wirksam werden soll. "Materielle Analogie": Das ist also ein Name für ein bestimmtes, unabhängig von seiner Widerspiegelung bestehendes, Verhältnis zweier Arbeitsprozesse (vgl. Raeithel 1980 b), das durch die gleiche E n t wicklungs-Logik sowohl der Tätigkeit wie des Gegenstandes auf beiden Seiten der Analogie gekennzeichnet ist. Im Schema 7 ist nun die spezielle materielle Analogie, die zwischen Arbeit und theoretischer Arbeit herzustellen ist, als Struktur aufgezeichnet, die ein Subjekt realisieren muß. Wie schon bei der konkreten Funktion und dem sie realisierenden konkreten System ist auch bei der materiellen Analogie der systembildende Faktor im nützlichen, gegenständlichen, m a t e riell-sozialen Resultat zu suchen, auf das die beiden koordinierten Funktionen konvergieren. Im Schema 7 ist jedoch eine schwerwiegende Abstraktion vorgenommen worden: Das Resultat wird nämlich niemals nur durch das eine Subjekt bestimmt werden können; der Gegenstand hat seine subjektunabhängige Eigenaktivität (es müßten daher die r e produktiven Zyklen hinzugefügt werden) und es gibt nicht nur ein Subjekt, sondern der Gegenstand ist vielmehr auch Objekt der Aktivität vieler anderer Subjekte, die in einem Gemeinwesen zusammengeschlossen sind. Das Schema 7 ist also letztlich nur eine d i f f e r e n zierte Version des einfachen Subjektmodells (Schema 1) in dezentrierter Sichtweise, die sozialen Verhältnisse des Subjekts, sein oberer Kontext, sind lediglich als abstrakter Zyklus der Wiederkehr der Funktionsnotwendigkeit in den praktischen Zwecken und theoretischen Zielen abgebildet. Dies läßt sich leicht durch die Zentrierung von Schema 7 zeigen: Versetzen wir uns in das Subjekt system, so können materieller und symbolischer Gegenstand zum "erscheinenden", virtuellen Gegenstand zusammenfallen. Wir sind damit in der problematischen Lage, entweder bewußt zwischen theoretischer und praktischer Auseinandersetzung wechseln zu müssen, oder beide Gegenstände miteinander zu identifi119

zieren. Da auch unsere Sinne "Theoretiker" sind (MEW Erg. Bd. 1, 540; vgl. auch Raeithel 1981, These 11), und überdies auch die wissenschaftlich geschärfte Wahrnehmung nur durch Begriffe hindurch erfolgen kann, ist der materielle Gegenstand für das urzentrierte Subjekt repräsentational nur als kognitiv vorstrukturierte, erscheinende Wirklichkeit zugänglich. Die Unterscheidung von materiellem und symbolischem Gegenstand ist also immer eine Aufgabe und Leistung der Reflexion, die nur möglich wird, wenn es gelungen ist, den in den lebendigen Begriffen repräsentierten ideellen, vorgestellten Gegenstand als gegenständlich-symbolisches Mittel zu objektivieren (vgl. Damerow u.a. 1981, besonders auch die Analyse des Experiments als theoretisches Mittel durch Brockmeier und Rohbeck). Wir erhalten also durch die Zentrierung insgesamt folgenden Übergang: Bezeichnungen s. Schema 1 und 7* außerdem: IG : ideeller,vorgestellter.,. vG : virtueller Gegenstand; sT : subjektive Tätigkeit. Für das urzentrierte Subjekt ist seine subjektive Tätigkeit das Haupt mittel, das die gegenständlichen Mittel organisiert, und das die scheinbar getrennten Reiche des Ideellen und des Gegenständlichen vermittelt. Auf diesem Weg kann auch der Popperschen "DreiWelten-Lehre 11 ein gewisser Sinn abgewonnen werden, wenngleich die Tätigkeit des Subjekts dort auf das individuelle Selbstbewußtsein reduziert wird, was besonders klar bei Eccles physiologischer Interpretation der "zweiten Welt" zu Tage tritt (Popper & Eccles 1977). Der entscheidende Interpretationsunterschied liegt jedoch nicht nur in der operativen Struktur (T), sondern darin, daß die kognitive Struktur (I) von mir als das (sozial oder individuell) einverleibte, lebendige Wissen verstanden wird, während die produzierten symbolischen Gegenstände und Mittel als materielle angesehen werden, also genauso zur gegenständlichen Struktur (G) gehören wie die "natürlichen" Gegenstände. Dagegen enthält Poppers "Welt 3" diese Vergegenständlichungen zusammen mit "noch nicht verkörperten Ideen" (unembodied objects, ein Widerspruch bereits in den Termen), die der "physikalischen Welt 1" gegenübergestellt werden. Beide Welten werden bei Popper als durch die "Welt 2 der mentalen Prozesse" vermittelt gesehen (Popper & Eccles 1977, 36-50). Wenn wir die Struktur der materiellen Analogie dagegenhalten, so ist erkennbar, daß die Tätigkeit des Subjekts mit dem lebendigen Wissen zusammengeworfen wird, und dadurch auch das Problem der "noch nicht verkörperten Ideen" wieder in platonistischer Weise gelöst wird: Sie scheinen unabhängig vom erkennenden Subjekt zu existieren und entdeckt werden zu können, wo es doch darum geht, sie in den intuitiven, erfahrungsabhängigen Strukturen des Könnens und Wissens aufzufinden, sie als symbolische Gegenstände in theoretischer Arbeit zu entwickeln, und schließlich die vorhandenen materiellen Analogien aufzufinden und praktisch zu nützen. 120

Nach diesem kurzen Rückfall in die Abstraktion des einfachen Subjektmodells, der die Verbindung zwischen den ersten zwei Kapiteln des vorliegenden Textes verdeutlichen sollte, müssen wir erneut diese Abstraktion überwinden, die ja - wie im ersten Kapitel näher ausgeführt - stets die Gefahr der Reduktion der sozialen Praxis auf die Arbeit enthält. Diese Reduktion kann aber zur Behauptung des Primats der Erkenntnisproduktion führen, wenn Wissenschaft als unmittelbar allgemeine Arbeit, als Produktion der Erkenntnismitteln, und nicht auch als Verallgemeinerung dieser Mittel in der sozialen Praxis verstanden wird. Das Verhältnis von Produktion der theoretischen Mittel und Anwendung dieser Mittel in der je besonderen, einzelnen Arbeit sollte durch die Struktur der materiellen Analogie näher erläutert werden, die wir weiter unten als eine zentrale Struktur der wissenschaftlichen und politischen Biographie von Marx herausheben werden. Dieses Vorgehen, das Herausheben der realen Einheit von theoretischer und politischer Arbeit in der einen Person des Karl Marx, wird uns noch einmal zurückführen zum einfachen Subjektmodell. Die Betrachtung der weiteren Entwicklung der materialistischen Theorie wird dann aber auch zeigen müssen, wie diese Abstraktion durch einen konkreten Begriff des Gemeinwesens als Vielfalt einzelner Subjekte überwunden werden kann. (2) Arbeitskategorie und Reflexionsgestalten "Das Große an der Hegeischen 'Phänomenologie 1 und ihrem Endresultate - der Dialektik der Negativität als dem bewegenden und e r zeugenden Prinzip - ist also einmal, daß Hegel die Selbsterzeugung des Menschen als einen Prozeß faßt ...; daß er also das Wesen der Arbeit faßt und den gegenständlichen Menschen, wahren, weil wirklichen Menschen, als Resultat seiner eignen Arbeit begreift" - so formulierte Marx in seiner zweiten Hegel-Kritik von 1844 (MEW Erg. Bd.l, 574), was ihm in dieser Zeit der Herausbildung der materialistischen Theorie als ein wichtiger Fortschritt Hegels bewahrenswert schien. Hegel zeigt also in aller Schärfe, daß die Antinomie von Selbstbestimmung und objektiver Determination des Subjekts gedanklich nicht anders bewältigt werden kann als durch die theoretische Analyse des Arbeitsprozesses, in dem die subjektive Zwecksetzung in ein objektiv reales Resultat, in ein Produkt des Subjekts übergeht. Der Reflexionsprozeß, in dem dieses Denkresultat und andere theoretische Resultate möglich werden, hat - auch das zeigt Hegel - die gleiche Struktur, die der Arbeitsprozeß selbst hat. Arbeit und R e flexion fallen irgendwie zusammen, sind der Form nach - und für Hegel überhaupt - dasselbe: "In der Reflexion, als Vermittlung, das heißt als Beziehung auf sich durch anderes, haben wir den strukturellen Nachweis der konkreten Arbeit und ihrer Abstraktion in der wissenschaftlichen Erkenntnis als allgemeiner Arbeit vor uns, und zwar so, daß Natur ... in der Vermittlung selbst tätig ist" (Furth 1980 b, 72). Die wesentliche Leistung von Hegel bei der Erklärung der E n t wicklung von theoretischen Prozessen ist jedoch nicht leicht herauszuarbeiten. Das liegt an zwei fundamentalen Schwierigkeiten, die man 121

allgemein mit Hegel hat: "Einmal weiß Hegel den Prozeß, wodurch der Philosoph vermittelst der sinnlichen Anschauung und der Vorstellung von einem Gegenstand zum anderen übergeht, mit sophistischer Meisterschaft als Prozeß des imaginierten Verstandeswesen selbst, des absoluten Subjekts, darzustellen. Dann aber gibt Hegel sehr oft innerhalb der spekulativen Darstellung eine wirkliche, die Sache selbst ergreifende Darstellung. Diese wirkliche Entwicklung innerhalb der spekulativen Entwicklung verleitet den Leser dazu, die spekulative Entwicklung für wirklich und die wirkliche Entwicklung für spekulativ zu halten", stellt Marx in der "Heiligen Familie" (MEW 2, 63) fest, und hat dabei die enorme Schwierigkeit der Entschlüsselung des Hegeischen Textes noch gar nicht beachtet. Texte, wie der bereits zitierte Artikel "Arbeit und Reflexion" von Peter Furth (1980 b), machen es mir ein wenig leichter zu erkennen, ob Hegels Fassung der Reflexion psychologisch sinnvoll angewendet werden kann. Hören wir zunächst Furth: "Nach Hegel erscheint die Reflexion in drei Gestalten, der 'setzenden Reflexion', der 'äußeren Reflexion' und der 'bestimmenden Reflexion' und er stellt die Bewegung der Reflexion als das Ineinanderübergehen und Zusammenwirken dieser drei Gestalten dar. ... Der setzenden Refelxion entspricht die Arbeit als eine zwecksetzende, den zweckentsprechenden Gegenstand ideell antizipierende Tätigkeit; der äußeren Reflexion e n t spricht die Arbeit als Transformation lediglich der äußeren Form des Gegenstandes, der in seiner Substanz unveränderlich als passives Substrat der Formierung vorausgesetzt ist; der bestimmenden R e f l e xion entspricht die Arbeit als im Arbeitsmittel materiell vergegenständlichte Einheit von zwecksetzender Tätigkeit und vorausgesetztem Arbeitssubstrat." (1980 b, 75 f ) . Wenn ich in der zu Anfang dieses Abschnitts dargestellten Reflexionsfigur ebenfalls drei "Gestalten" der Reflexion als aufeinanderfolgende Modi geschildert habe, dann ergibt sich jedoch eine andere Entsprechung: Im Modus der urzentrierten Reflexion erscheint die eigene Aktivität dem reflektierenden Subjekt als subjektive Tätigkeit, der es keine Beachtung schenken muß, der Gegenstandsprozeß dagegen erscheint unmittelbar in der Wahrnehmung als von ihm selbst gesteuerter Resultatestrom. Auf der nächsten Stufe, dem Modus der dezentrierten Reflexion, wird dem reflektierenden Subjekt deutlich, daß seine Tätigkeit nur die subjektive Seite eines objektiven, g e genständlichen Arbeitsprozesses ist, in dem das Subjekt verständig den Notwendigkeiten der objektiven Wirkungszusammenhänge folgt und dazu mannigfache Mittel einsetzt. Schließlich wird auf der Stufe der rezentrierten Reflexion die Einsicht erreicht, daß der Arbeitsprozeß in einen umfassenden, materiell-sozialen Praxiszusammenhang eingebettet ist, wodurch das Subjekt sich als ein Teil eines umfassenderen Subjektsystems verstehen kann. Diese Folge: Tätigkeit-Arbeit-Praxis stimmt nicht überein mit der Folge bei Furth: Tätigkeit-Gegenstand-Mittel. Furths Darstellung der parallelen Form von Arbeit und Reflexion bei Hegel bezieht sich nämlich nicht auf unterschiedliche Sicht weisen des ganzen Prozesses, sondern rekonstruiert Stufen der begrifflichen Fassung einzelner Mo122

mente: Setzende Reflexion hebt das tätige, subjektive, zwecksetzende Moment heraus; äußere Reflexion dagegen das objektive, dem Zweck äusserlich vorausgesetzte Moment; und erst die bestimmende Reflexion vermag beide Momente zu vermitteln. Unterstellen wir jedoch das hierdurch gewonnene Verständnis des Arbeitsprozesses bereits von Anfang an, dann erhalten wir: (1) die urzentrierte Sicht aus der subjektiven Tätigkeit, (2) die dezentrierte Sicht auf den materiellen Arbeitsprozeß und schließlich (3) die rezentrierte Sicht in den Prozeß der Praxis als gerichtete, gesellschaftliche Entwicklung. Dies erscheint mir eine psychologisch angemessene Fassung der Reflexionsstufen (vgl. auch Damerow 1980 a); die Verbindung der drei Reflexionsmodi mit den drei Reflexionsgestalten ist an dieser Stelle der Entwicklung meines Textes noch nicht klarer herauszuarbeiten, und ebenso war sie mir zur Zeit der Erstfassung des vorliegenden Abschnitts auch noch sehr rätselhaft. Daher werde ich im Verlauf des Textes immer wieder auf dieses hier noch offengelassene Problem zurückkommen. In meiner Fassung der Reflexionsmodi erscheint nun die dezentrierte, objektive Betrachtung des Arbeitsprozesses als die wesentliche Vermittlung bei der ( R e - ) Konstruktion des materialistischen Praxisbegriffs, der zu den Begriffen des gesellschaftlichen Subjekts und des realen Gemeinwesens führen soll. Diese These stimmt gut überein mit der These des Hegel-Colloquiums, daß der wesentliche, weiterführende Teil der Hegeischen "Logik" in der ebenfalls die Mittelstellung einnehmenden "Lehre vom Wesen" besteht (Heidtmann 1978, 205; Furth 1980 b, 72). Und dies Ergebnis ist auch inhaltlich schlüssig: Der materialistische Praxisbegriff kann nur "durch die Arbeit hindurch" entwickelt werden. Die Alternative der Kritischen Theorie von Habermas und der phänomenologischen und interaktionistischen Soziologie, vor die Arbeit die reflexive Genese des Subjekts (reduziert auf Selbstbewußtsein oder gegenseitige Anerkennung) zu stellen, muß notwendig scheitern, weil das Resultat der Entwicklung bereits fertig vorausgesetzt werden muß. Ahrweiler (1978, 225 f) und ebenso Furth (1980 b, 71) weisen darauf hin, daß die Behauptung einer vorausgesetzten Reflexivität vor der Arbeit einen Rückfall hinter Hegel bedeutet. Furth spitzt die entscheidende Alternative folgendermaßen zu: "Zur Frage steht, ob für die Praxis als Realisierung von Produktionsverhältnissen die aus der Subjekt-Objekt-Beziehung stammende Objektivität gilt, das soll heißen, dominiert, oder ob das Wesen dieser Praxis Intersubjektivität ist, das heißt, ob für die Praxis Objektivität nur im Sinne erweiterter Subjektivität gilt. Anders gesagt, zur Verhandlung steht an, ob die Kategorie der Praxis an der Arbeit zu orientieren ist, und zwar an der wirklichen Arbeit als Einheit der Tätigkeit und ihrer gegenständlichen Bedingungen, also an der Arbeit gerade im Hinblick auf ihre Naturbedingtheit; oder, ob diese Auffassung eine Reduktion des Praxisbegriffes bedeutet, die nur aufzuhalten ist, wenn die Kategorie der Praxis von der Reflexivität kommunikativen Handelns her verstanden wird. Es ist also die Stellung zur Arbeit das Schibboleth, an dem sich die Geister scheiden"(1980c, 6). 123

Das wesentliche Mittelglied zwischen der Kategorie der Tätigkeit und der Kategorie der Praxis ist also die Kategorie der Arbeit. Bei ihr jedoch stehenzubleiben, wäre ein Rückfall hinter Marx, würde b e deuten, daß die dritte Reflexionsstufe der Betrachtung der historischen Entwicklung der gesellschaftlichen Praxis nicht erreicht würde. Für Hegel war diese Erkenntnis nicht vollständig erreichbar. Seine "Logik" folgt zwar in den drei Hauptteilen einer ähnlichen Stufung — die "Lehre vom Sein" entspricht der urzentrierten Sicht auf die Repräsentationen der erscheinenden Gegenstände; die "Lehre vom Wesen" der dezentrierten Sicht auf die objektive Bewegung; die "Lehre vom Begriff" der rezentrierten Sicht in das Subjekt — aber der Endpunkt von Hegels Reflexionen ist beileibe nicht das Begreifen der gesellschaftlichen Praxis (vgl. Lenin LW 38, 201-205), sondern ist die spekulative Geburt der "absoluten Idee", durch deren Erzeugung Hegel h o f f t , auch gleich alle Gegenstände mit erzeugt zu haben. Diese theoretische Illusion, "daß die Entwicklung des Begriffs auch die Entwicklung des gegenständlichen Anderen des Begriffs, der Sache selbst, ist" (Heidtmann 1978, 212), hat Marx als Illusion zeigen können, indem er Hegels Reflexionstheorie als Mittel der Kritik gegen Hegels Staatstheorie wandte. Heidt mann (aaO) hat untersucht, wie die materialistische Wendung der dialektischen Methode in der Kritik ihrer idealistischen Anwendung auf die Staatstheorie möglich wurde. Wie aber kam Marx auf das Problem der Staatstheorie? Wie konnte er zeigen, daß Hegels Behauptung, der Gegensatz von Gesellschaft und Staat sei aufgehoben durch die Vermittlung der Stände bzw. der Bürokratie, eine Idealisierung des real bestehenden Verhältnisses war, und weiter: daß auch allgemein der Gegensatz von Selbstbestimmung des Subjekts und äußerer Determination in der Hegeischen Philosophie nicht als real aufhebbar gezeigt war, weil darin kein Begriff der materiellen Praxis entwickelt war? Um diese Fragen zu beantworten, müssen wir bei der Vorgeschichte der materialistischen Theorie b e ginnen, bei Marx, als er noch überzeugter objektiver Idealist war. 3.3 Vorgeschichte der materialistischen Theorie: Marx Arbeit im Zusammenhang der politischen Praxis der Rheinprovinz In den Biographien von Hegel und Marx gibt es eine interessante Parallele: Nach ersten, systematischen Anstrengungen in der Philosophie wurden beide, mehr oder weniger gezwungenermaßen, in der Publizistik tätig: Hegel als Redakteur der "Bamberger Zeitung" (1807-08) und Marx in Köln bei der "Rheinischen Zeitung" (1842-43). Vor diesen parallelen Sequenzen und mehr noch nach ihnen unterscheiden sich die Biographien jedoch erheblich. Dies liegt wohl hauptsächlich daran, daß die Sequenzen 35 Jahre auseinanderliegen, daß ihre Vorgeschichten an Orten mit unterschiedlichen sozialen Verhältnissen spielen (bei Hegel im Württembergischen und am traditionsreichen, protestantischen Tübinger Stift, bei Marx in der Moselgegend und an der 1810 124

neu gegründeten, bürgerlich-national verfaßten Universität Berlin), und daß die spätere Sequenz durch die frühere stark beeinflußt wurde, vermittels der Hegeischen Theorie, speziell der "Logik", die auf die erste Sequenz folgte. Um das allgemeine Problem näher zu kennzeichnen, auf das beide Sequenzen eine Antwort waren, genügt es, die politischen Verhältnisse zu betrachten: Einer radikal aufklärerischen, durchaus bürgerlichen Philosophie stand 1807 wie auch 1842 staatliche Repression gegenüber. Hegels "Bamberger Zeitungsjahre und ihre starke Bindung an die kulturellen Ereignisse in Weimar und Jena belegen einen aktiv auf der Seite des aufsteigenden Bürgertums kämpfenden Chefredakteur, der vergeblich gegen rückständige kulturelle Gegebenheiten angeht und bei der Häufung der polizeilichen 'Inquisitionen', 'Maßnahmen' und politischen Verfolgungen den gefährlichen Zeitungsberuf fluchtartig verläßt" (Beyer 1977, 134). Für Hegel war die Publizistik eine Art Verlegenheitslösung, sein Hauptmotiv bei dieser Tätigkeit war die Suche nach Anerkennung der kulturellen Leistungen des Deutschen Idealismus, "mehrfach h a t t e er in seiner Zeitung versteckt und doch bemerkbar darauf hingewiesen, daß Napoleon die wahrhaft Großen des Geistes auszuzeichnen wisse, während die deutschen Kleinfürsten sich häufig vollkommen unwürdige Objekte für ihre Auszeichnungen suchen" (aaO,132). Hegels Flucht in den Beamtenstand (Rektor und Schulrat in Nürnberg) fand zur Zeit der französischen Hegemonie über den Rheinbund s t a t t . In Nürnberg verfaßte Hegel seine "Wissenschaft der Logik" und gründete eine Familie, sobald Aussicht auf eine Professorenstelle bestand: "Ich habe damit im ganzen ... mein irdisches Ziel erreicht, denn mit einem Amte und einem lieben Weibe ist man fertig in dieser Welt", schrieb er in einem Brief zu dieser Zeit (zit. nach Gulyga 1974, 129; vgl. auch Beyer 1977, 165-186 u. 213-276). Hegels weitere Entwicklung, vor allem was seine politischen Ansichten und öffentlich verfochtenen Ziele b e t r i f f t , wurde von seinen Zeitgenossen sehr zwiespältig beurteilt (vgl. Gulyga 1974, 173-199). Die Vertreter der bürgerlichen, burschenschaftlichen Studentenbewegung sahen in ihm einen Verfechter der staatlichen Repression gegen sie, und tatsächlich stellt Hegel in seinen Vorlesungen zur Philosophie der Weltgeschichte (ab 1822) die preußische Monarchie "als die Vollendung der Entwicklung des Weltgeistes, als das Ideal einer Staatsordnung dar. Es ist charakteristisch, daß er in Preußen eine bürgerliche Monarchie sah, die es damals noch nicht gab, daß er das preist, was in Preußen noch nicht Wirklichkeit geworden war" (Gulyga 1974, 214). Die Haltung Hegels gegenüber sozialen Bewegungen war vor allem durch seine Staatstheorie bestimmt. Er lehnte Revolutionen nicht etwa grundsätzlich ab, bewahrte vielmehr seine Hochachtung vor der französischen Revolution sein ganzes Leben lang, aber er war der festen Überzeugung, daß eine vernünftige, staatspolitische Haltung in Deutschland nur darin bestehen konnte, die konstitutionelle Monarchie einzuführen, in der der Monarch das verkörperte Allgemeininteresse sein sollte (daraus erklärt sich jedoch nicht, daß er im damaligen Preußen bereits ein solches aufgeklärtes Staatswesen sah). 125

Nach Hegels Tod zeigte sich sehr schnell eine Spaltung seiner Schüler und Interpreten, die allerdings nicht explizit an seiner Staatstheorie, sondern an Hegels Verhältnis zur Religion festgemacht wurde. Hegel wurde von den Jung- oder Links-Hegelianern eine opportunistische Anpassung an die Verhältnisse vorgeworfen, auch insofern, als er die Rolle der Religion nicht genügend kritisch untersucht h a t t e (vgl. Gulyga 1974, 236-248). Marx vertrat in einer Anmerkung zu seiner Dissertation (abgeschlossen im März 1841, fast zehn Jahre nach Hegels Tod) eine andere Ansicht: "... in betreff Hegels ist es bloße Ignoranz seiner Schüler, wenn sie diese oder jene Bestimmung seines Systems aus Akkomodation u. dgl., mit einem Wort, moralisch erklären. ... Daß ein Philosoph diese oder jene scheinbare Inkonsequenz aus dieser oder jener Akkomodation begeht, ist denkbar; er selbst mag dieses in seinem Bewußtsein haben. Allein was er nicht in seinem Bewußtsein hat, daß die Möglichkeit dieser scheinbaren Akkomodationen in einer Unzulänglichkeit oder unzulänglichen Fassung seines Prinzips selber ihre innerste Wurzel hat. Hätte also ein Philosoph sich akkomodiert: so haben seine Schüler aus seinem inneren wesentlichen Bewußtsein das zu erklären, was für ihn selbst die Form eines exoterischen Bewußtseins h a t t e . Auf diese Weise ist, was als Fortschritt des Gewissens erscheint, zugleich ein Fortschritt des Wissens" (MEW Erg. Bd.l, 327). Marx folgt in dieser Herangehensweise gerade dem Hegeischen, g e schichtstheoretischen Grundprinzip: "Die philosophische Geschichtsschreibung hat ... den stumm fortwirkenden Maulwurf des wirklichen philosophischen Wissens von dem gesprächigen, exoterischen, sich mannigfach gebärdenden phänomenologischen Bewußtseins des Subjekts (zu trennen), das das Gefäß und die Energie jener Entwicklungen ist" (aaO, 247), so formuliert er die in seiner Dissertation zu lösende Aufgabe, zwischen Notizen zu Ciceros Wiedergabe der Philosophie Epikurs. Es geht ihm um die Erfassung der historischen Entwicklung des Wissens als objektiven Prozeß, der durchaus auch außerhalb des Selbstbewußtsein des einzelnen Philosophen verläuft. Bei seinen Studien zur Epikureischen Philosophie kommt Marx auf die Idee, die nacharistotelischen Philosophien in Analogie zu den nachhegelianischen Strömungen zu verstehen (vgl. Taubert & Labuske 1977), wodurch die Grundthese seiner Dissertation entsteht und zugleich eine differenziertere Einschätzung der verschiedenen HegelSchulen möglich wird: "Es ist ein psychologisches Gesetz, daß der in sich frei gewordene theoretische Geist zur praktischen Energie wird, als Wille aus dem Schattenreich des Amenthes heraustretend, sich gegen die weltliche, ohne ihn vorhandene Wirklichkeit kehrt. ... Indem die Philosophie als Wille sich gegen die erscheinende Welt herauskehrt: ist das System zu einer abstrakten Totalität herabgesetzt, es ist zu einer Seite der Welt geworden, der eine andere gegenübersteht" (MEW Erg.Bd.l, 327 f f ) . Die Konfrontation eines "großen" philosophischen Systems mit der sozialen Wirklichkeit bringt mehrere Möglichkeiten hervor, auf den stets vorhandenen Mangel an Übereinstimmung der Theorie mit der Praxis zu antworten. 126

Diese inhaltlichen Möglichkeiten sind nach Marx Meinung bereits in den Widersprüchen des Systems selbst vorgezeichnet, und führen einzelne Momente der Widersprüche aus. Der allgemeinen Form nach können dagegen nur zwei Weiterführungen erfolgen: Die eine Richtung hält am System fest und verlangt eine Änderung der Verhältnisse, die andere hält die Verhältnisse fest und verlangt daher eine Revision des Systems (aaO, 329 f f ) . In bezug auf Hegel sind diese beiden Richtungen die "liberale Partei" (sonst Junghegelianer genannt) und die religionsapologetische "Positive Philosophie", und Marx bezieht eindeutig Stellung für die "liberale Partei", die "das Sich-nach-außen-Wenden der Philosophie" vertritt, den "Mangel der Welt" sieht und ihn beheben will, indem sie versucht, die Welt "philosophisch zu machen" (aaO, 331). Für Marx ist also die Grundfrage eindeutig die richtige Gestaltung des Verhältnisses von theoretischer Arbeit zur politischen Arbeit im Zusammenhang eines Gemeinwesens, wobei der Theorie das Primat zugesprochen wird: Es kommt ihm darauf an, aufgeklärte Verhältnisse, so wie sie philosophisch-theoretisch antizipiert werden können, t a t sächlich zu verwirklichen. "Marx orientierte sich an Hegels objektiv-idealistischer Geschichtsdialektik und e r f a ß t e das gesellschaftliche Leben und Handeln der Menschen als gesetzmäßigen historischen Prozeß, der sich unabhängig vom Bewußtsein des einzelnen Individuums vollzog, in dem aber geistige Vorgänge, Zusammenhänge und Triebkräfte die entscheidende Rolle spielten und der geistigen Tätigkeit sowie den geistigen Kämpfen das Primat zukam" (Taubert 1978, 217). Mit dieser wissenschaftlich gewonnenen Überzeugung versuchte Marx 1842 seinen weiteren Berufsweg in Übereinstimmung zu bringen. Einen ursprünglich gefaßten Plan, eine Dozentenstelle an der Universität Bonn anzustreben, stellt er zurück, als seinem damals noch engen Freund, Bruno Bauer, die Dozentenstelle wegen religionskritischer Schriften Anfang 1842 genommen wurde (vgl. Lapin 1974, 54-59). Marx sah in einer publizistischen Tätigkeit die Chance, die - wie er sie verstand - revolutionäre Theorie Hegels als Waffe gegen die politische Reaktion zu wenden. Die politischen Kämpfe der Jahre 1842 /43 drehten sich um die Pressefreiheit, um die Ersetzung der feudalständischen Interessenvertretung durch eine wahre Volksvertretung, und um die Verteidigung der Rechtsgleichheit von Stadt und Land (Taubert 1978, 217 f). Alle diese Probleme versuchte auch Marx in politischen Artikeln aufzunehmen und an der Hegeischen Staatstheorie zu messen. Bei der Besprechung der Hegeischen Reflexionsgestalten haben wir gesehen, daß der Endpunkt der Bewegung der "Logik", die Geburt der absoluten Idee, oder des absoluten Geistes, gerade die Stelle ist, an der das reflektierende Subjekt sich als Teil der gesellschaftlichen Praxis, als Glied eines konkreten Gemeinwesens begreifen kann. "Hegel will gerade nicht bei der Arbeit als subjektiver Teleologie stehenbleiben, also bei der Auffassung, die von Einzelarbeit unter den Bedingungen des Privateigentums ausgeht. Hegel will die Arbeit vom Standpunkt des Allgemeinen als Konkretem, vom Standpunkt des Gemeinwesens denken. ... Hegels Geistbegriff ist ... der begriffli127

che Ersatz für ein Gemeinwesen als konkretes Produkt ionsverhältnis", so beschreibt Furth (1980 c, 10) die in der Hegeischen "Logik" stekkende Möglichkeit ihrer Weiterentwicklung, die von Hegel selbst nicht mehr ergriffen wurde. Inge Taubert begründet die These, daß Marx gerade in der Zeit vor 1842 intensiv die "Wissenschaft der Logik", darin vor allem die "Lehre vom Wesen" studierte (1978, 209 f f ) . Dies würde heißen, daß Marx auch in der Hegel-Aufarbeitung noch nicht an dem entscheidenden Punkt angelangt war, der eine materialistische Wendung der Praxiskategorie ermöglichte. In der Tat läßt sich zeigen, daß Marx zunächst noch die Hegeische, idealistische Vorstellung vom Gemeinwesen für gültig nahm, und an ihr die bestehenden Verhältnisse maß (s. unten). Wir können also festhalten, daß es gerade die Hegeische Staatstheorie, also die Theorie des abstrakten Gemeinwesens war, die Marx auf die politischen Tagesfragen anwendete, und an deren Kritik er später die Hegeische Dialektik überwinden konnte. Diese Konzentration auf die Politik unterschied Marx von den anderen Junghegelianern, die sich auf Religionskritik konzentrierten. Die Religion ist aber nur eine Form der politischen Herrschaft, über ihre Kritik ist allenfalls ein Begriff der christlichen Gemeinde zu gewinnen, nicht aber eine konkrete Theorie ganzer Gemeinwesen. Als Marx Redakteur der "Rheinischen Zeitung" geworden war (Nov. 1842), schrieb er daher an Arnold Rüge, es sei notwendig, "die Religion mehr in der Kritik der politischen Zustände, als die politischen Zustände in der Religion zu kritisieren" (MEW 27, 412). Dies war wohl auch gegen Feuerbach gerichtet, so sehr auf der anderen Seite die materialistische Wendung der Religionskritik durch Feuerbach für Marx, Engels und viele andere eine Befreiung aus den eingefahrenen Problemstellungen der Junghegelianer bedeutete (vgl. Engels 1 "Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie", MEW 21, besonders S. 272.). — Die früher als gültig angenommene Autorschaft von Marx an einer Feuerbachverteidigung von 1842 ist inzwischen widerlegt (vgl. Taubert 1978, 206 f, 214-217), sodaß davon ausgegangen werden muß, daß Marx bis Mitte 1843 am Hegeischen System festhielt. Was waren nun die kritikwürdigen politischen Zustände, an deren Analyse Marx die Notwendigkeit eines konkreten Begriffs des Gemeinwesens erkannt hat ? In mehreren Artikeln über den Rheinischen Landtag und in der "Rechtfertigung des Korrespondenten von der Mosel" ging es Marx im wesentlichen um eine zentrale Frage: Wie sieht die Vermittlung zwischen den partikulären Interessen der Bürger und dem nach Hegel vom Staat vertretenen Allgemeininteresse tatsächlich aus? Wie weit weicht die Realität von der Theorie ab: Handelt es sich um korrigierbares Fehlverhalten der Standesvertreter bzw. der Staatsbeamten, oder ist die Behauptung, der jetzige, reale Staat vertrete das Allgemeininteresse, ein ideologischer Schleier, hinter dem sich die eigentlich wichtigen Kämpfe vieler Privatinteressen verbergen ? Der einfacheren Darstellung wegen möchte ich die Ergebnisse von Marx auf drei zentrale Einsichten verdichten, die in den drei g e nannten Texten vergegenständlicht sind. Im Text zur "Preßfreiheit" (MEW 1, 28-77) hebt Marx die Tendenz vor allem der Redner aus dem 128

Fürsten- und Ritterstand hervor, den Landtag gegenüber den ihn legitimierenden Instanzen zu verselbständigen. Er zeigt das an der Argumentation des Ritters von Loe, der die Veröffentlichung der Debatten beschränkt sehen möchte: Die Forderung nach Einschränkung der Publikation erweist sich als ein Mittel zur Durchsetzung der ständischen Interessen. Ähnliche Tendenzen kann Marx sogar bei den Fürsprechern der Preßfreiheit feststellen: Indem sie fordern, daß die Preßfreiheit als eine Form der Gewerbefreiheit anerkannt werde, was unter anderem mit sich bringen würde, daß es befugte und unbefugte Autoren analog den geprüften Handwerksmeistern und den nicht zum selbständigen Gewerbe Berechtigten geben müßte, fördern sie nur das Geschäftsinteresse der Buchdrucker und Verleger. Die oberen drei Stände also vertreten ihr Standesinteresse, nur die Vertreter des vierten Standes bestehen auf der Allgemeinheit des Rechts auf Veröffentlichung. Marx faßt dieses Allgemeininteresse in noch ganz idealistischer Form zusammen: "Die Presse ist die allgemeinste Weise der Individuen, ihr Dasein mitzuteilen. Sie kennt kein Ansehen der Person, sondern nur das Ansehen der Intelligenz. ... Was ich nicht für andere sein kann, das bin ich nicht für mich und kann ich nicht für mich sein. ... So gut, wie jeder schreiben und lesen lernt, muß jeder schreiben und lesen dürfen" (aaO, 73). Fazit: Im ständisch gegliederten Landtag, der ein Mittel zwischen Privat- und Allgemeininteresse bilden soll, kämpfen Standesvertreter um ihre ständischen Interessen, die nur im Ausnahmefall mit dem Allgemeininteresse übereinkommen, und das Mittel hat die Tendenz sich zu verselbständigen. Es folgt, daß die Vertretung des Volkes "rein sinnlos (ist), wenn nicht eben darin ihr spezifischer Charakter besteht, daß hier nicht für die Provinz gehandelt wird, sondern daß sie vielmehr selbst handelt; daß sie hier nicht repräsentiert, sondern vielmehr sich selbst repräsentiert. Eine Repräsentation, die dem Bewußtsein ihrer Kommittenten entzogen ist, ist keine. Es ist der sinnlose Widerspruch, ... daß meine Selbsttätigkeit die mir unbewußte Tat eines anderen sein soll" (aaO, 44). Im zweiten Artikel über die Debatten des Landtags zum "Holzdiebstahlsgesetz" (MEW 1, 109-151), der ein halbes Jahr nach dem ersten geschrieben wurde (Marx war gerade Chefredakteur geworden), kommt Marx zu einer präziseren Bestimmung der Art, wie und zu welchem Zweck sich das Mittel des Landtags verselbständigt. Thomas Mies faßt diese neue Einsicht von Marx wie folgt zusammen: "Marx Analyse der Diskussion des Landtags zeigt: Seine Mitglieder ordnen nicht die aus ihrer Stellung in der bürgerlichen Gesellschaft hervorgehenden Interessen der allgemeinen Staatsvernunft unter, sie machen vielmehr den Staat zum Instrument ihrer Privatzwecke. Die staatsbürgerlichen Rechte des Holzdiebs verlieren jede Bedeutung gegenüber dem Schutz und der Sicherung des Eigentums. Das Privatinteresse der Besitzenden wird zum Prinzip des Staates erhoben. ... Diese Staat sauf fassung der Abgeordneten des rheinischen Landtags konnte nicht als Ausdruck f e u dal-reaktionärer Interessen betrachtet werden. ... Marx schlußfolgert daher, daß jede gesetzgebende Versammlung, die nach einem s t ä n dischen Prinzip zusammengesetzt ist, unweigerlich zur Unterordnung 129

des Staates unter das Privatinteresse führt. ... Da aber die Hegelsche Vermittlung von Staat und bürgerlicher Gesellschaft sich als bloßer Schein herausgestellt hat, konnte politische Vernunft nur mehr in abstrakter Entgegensetzung gegen die materielle Realität des Sozialen behauptet werden. Ganz im Geiste der Jakobiner heißt es d a her bei Marx: 'In einem wahren Staat gibt es kein Grundeigenthum, keine Industrie, keinen materiellen Stoff, die als solche rohen Elemente mit dem Staat ein Abkommen t r e f f e n könnten, es gibt nur geistige Mächte und nur in ihrer staatlichen Auferstehung, in ihrer politischen Wiedergeburt sind die natürlichen Mächte stimmfähig im Staate' (MEGA 1,1 1975, 285). Hegel h a t t e solchem Jakobinismus schon entgegengehalten: 'Worauf es ankommt, ist, daß sich das Gesetz der Vernunft und der besonderen Freiheit durchdringe und sein besonderer Zweck identisch mit dem Allgemeinen werde, sonst steht der Staat in der L u f t ' (Hegel 'Grundlinien der Philosophie des Rechts', Ausgabe von 1957, Glöckner Bd. 7, 344). Marx wird ihm wenig später darin recht geben und den Staatsbegriff selbst einer ersten Revision unterziehen" (Mies 1979, 92-94). Im dritten wichtigen Artikel, der "Rechtfertigung des ++-Korrespondenten von der Mosel" (MEW 1, 172-199) untersucht Marx nicht mehr den gesetzgebenden Teil der Vermittlung zwischen Staat und Gesellschaft, sondern die Art und Weise, wie sich b e a m t e t e , bürokratische Exekutive und Gewerbeorganisationen zueinander verhalten. Das b e troffene Gewerbe waren in diesem konkreten Fall die Winzer an der Mosel, deren schlechte Ertragslage durch die Aufhebung eines WeinImportverbots dazu führte, daß sie die bürokratisch festgesetzten Steuern kaum mehr aufbringen konnten und daher durch ihre "Vereine" auf eine Veränderung der Steuer-Berechnungsgrundlage drangen. Marx geht hier insofern über seine bisherigen Analysen hinaus, als er nicht mehr nur Protokolle des Landtags analysiert, sondern eine "konkrete soziologische Untersuchung" (Lapin 1974, 160) anleitet, in deren Verlauf verschiedene Briefwechsel und amtliche Dokumente g e sammelt, Gespräche mit den betroffenen Winzern und Beamten geführt wurden. "Für Marx sind die Fakten nicht mehr bloßes Mittel zur Illustration allgemeintheoretischer Lehrsätze, sondern jene empirische Grundlage, welche die aus ihr abgeleiteten theoretischen Schlußfolgerungen unwiderlegbar macht. ... Marx sagte sich jetzt endgültig und ganz bewußt vom spekulativen hegelschen Verhältnis zu den empirischen Fakten als einem bloßen Widerschein der abstrakten Idee los, das heißt von einem Verhältnis, bei dem die Nichtübereinstimmung von Idee und Tatsache vorzugsweise als Mangel der Tatsache und nicht der Idee angesehen wird" (aaO, 160 f). Gleichzeitig wird auch Marx' Verständnis des Gemeinwesens notwendig konkreter. Hatte er bisher vorwiegend den vagen Ausdruck "die Provinz" gebraucht, so spricht er nun von den konkreten, materiellen Verhältnissen, ohne sie allerdings als solche zu bezeichnen: "Bei der Untersuchung staatlicher Zustände ist man allzuleicht versucht, die sachliche Natur der Verhältnisse zu übersehen und alles aus dem Willen der handelnden Personen zu erklären. Es gibt aber Verhältnisse, welche sowohl die Handlungen der Privatleute als der einzelnen 130

Behörden bestimmen und so unabhängig von ihnen sind als die Methode des Atemholens. Stellt man sich von vornherein auf diesen sachlichen Standpunkt, so wird man den guten oder den bösen Willen weder auf der einen noch auf der anderen Seite ausnahmsweise voraussetzen, sondern Verhältnisse wirken sehen, wo auf den ersten Blick nur Personen zu wirken scheinen 11 (MEW 1, 177). In der Terminologie des vorigen Kapitels: Marx stellt sich e x plizit die Aufgabe, konkrete Funktionen zu untersuchen; in diesem Fall das Verhältnis der Verwaltungsfunktion zur Funktion der korporativen Interessenvertretung, wobei er die personenunabhängige Ordnung dieses Widerstreites zweier Funktionen herauszuheben bemüht ist: "Bei jeder ernsthaften Kollision zwischen Administration und gewerblicher Selbstverwaltung verdächtigt der Beamte die Korporation der Eigensüchtigkeit und macht gegen sie seine Berufung als V e r t r e ter des allgemeinen Interesses und die Regeln einer ordentlichen Verwaltung geltend, umgekehrt unterstellen die gewerblichen Interessenvertreter den Beamten, daß ihnen die Funktionsfähigkeit ihrer Behörde zum Selbstzweck wird und sie ihre eigentliche Aufgabenstellung, die Förderung des Allgemeinwohls, davon abhängig machen. Dies gilt umsomehr, wenn die betroffenen Bürger ökonomisch verelendet und ungebildet sind, also der Hilfe der Verwaltung am dringendsten b e dürfen. Die Verwaltung erweist sich als unfähig, für die elementarste Not ganzer Landstriche entschiedene Abhilfe zu schaffen. " (Mies 1979, 94 f) Das reale Verhältnis von bürgerlicher Gesellschaft und Regierungsbehörde ist also der Gegensatz von Bürokratismus und Anarchie der Privatinteressen, und nicht, wie Hegel meinte: die Versöhnung von Privatinteresse und Staatsvernunft. Zusammengenommen führten alle drei Einsichten Marx zu der Erkenntnis, daß es die Vorherrschaft der bürgerlichen Gesellschaft über den Staat ist, die den Grundcharakter der historischen Entwicklung in seiner Epoche b e stimmt. Daraus ergab sich zwingend die Notwendigkeit, die "Anatomie" dieser bürgerlichen Gesellschaft und ihrer scheinbar chaotischen Bewegung widerstreitender Partikularinteressen genau zu erforschen. Wie aber damit beginnen? Durch die gegenständliche Wendung in Marx 1 Verständnis der Hegeischen Methode war ja nun die "eigentümliche Logik des eigentümlichen Gegenstandes" (MEW 1, 296) zu erforschen und nicht mehr die spekulativ erdachte Logik im Gegenstand wiederzufinden. Das wesentliche an dem neu erarbeiteten Verständnis der leitenden Rolle des Gegenstandes war aber, daß dieser nicht nur als naturhaft-unabhängig, vor allem sinnlich-empirisch erfaßbar, verstanden wurde, "vielmehr ist dieser (materialistisch verstandene, A.R.) Gegenstand in sich vermittelt, es handelt sich um einen durch die Wissenschaften bereits angeeigneten und verarbeiteten Gegenstand" (Heidtmann 1978, 213). Hieraus folgte später die Notwendigkeit, die wissenschaftlichen Texte zur politischen Ökonomie u m f a s send zu studieren, zunächst aber andere, allgemeinere Texte zur G e schichte. Lapin schildert, wie sich Marx, gerade von der Hochzeitsreise zurückgekehrt, "in einem Meer von Büchern zur allgemeinen Geschichte" vergrub (1974, 225). 131

Aber: Hätte Marx' Verständis seines Gegenstand sich nur auf die wissenschaftliche Form von dessen Widerspiegelung in Texten bezogen, dann h ä t t e er Hegel nicht wirklich überwunden. Seine Arbeit wäre nur eine methodisch geleitete Reflexion über die Praxis gewesen, möglicherweise gute, empirische Sozial Wissenschaft. Marx' Arbeit war j e doch weit mehr: Sie war Reflexion im Zusammenhang der realen Praxis des konkreten, widersprüchlichen, unselbständigen Gemeinwesens, das die Rheinprovinz seiner Zeit bildete. Sein Gegenstand war also ebensosehr durch die nicht wissenschaftsförmigen Erfahrungen der Rheinländer und durch seine eigenen Erfahrung vermittelt. Wir können mithin formulieren: Der Gegenstand der wissenschaftlichen Tätigkeit von Marx enthielt ihn selbst, und zwar als das Subjekt seiner politischen Tätigkeit. Seine Reflexion in der Praxis war damit notwendig auch Selbst reflexion, in der er sich als Teil eines überpersonalen Subjekts verstehen konnte, als Mitglied einer sozialen Bewegung, die ihre Ziele teils explizit formulieren konnte, teils ihren sozialen Zweck noch nicht klar erkannt h a t t e . Im Sinn der leitenden Hypothese der Rekonstruktion können wir festhalten: Marx Reflexion auf die politischen und sozialen Verhältnisse der Rheinprovinz war bereits durch eine Rezentrierung hindurchgegangen, die allerdings noch hegelianisch durchgeführt war. Das höhere Subjekt war aber nicht mehr eine idealisierte Monarchie, sondern ein konkreter, kooperativer Zusammenschluß von demokratisch gesinnten Personen. "Als revolutionärer Demokrat (hatte Marx) im Verlaufe des Kampfes selbst dessen Gesetze tiefer verstanden. Er vermochte die 'Rheinische Zeitung' von der abstrakt-theoretischen Kritik am preußischen Staate zur kritischen Auseinandersetzung in den konkreten politischen, sozialen und schließlich ökonomischen Fragen führen, die für die erniedrigten Massen von unmittelbarer Bedeutung waren. Dadurch fand die Zeitung die Unterstützung des Volkes, die noch zu schwach war, um das königliche Verbot zu brechen, aber sie war schon stark genug, ihm eine Zeit lang Widerstand zu leisten. In dieser Tatsache sah Marx mit vollem Recht ' e i nen Forschritt des politischen Bewußtseins 1 (MEW 27, 415). Das machte die Ergebnisse des Kampfes für ihn in gewissem Sinne zufriedenstellend, obgleich sein unmittelbarer Ausgang schmerzlich war" (Lapin 1974, 186 f). Unter den Zensurbedingungen der preußischen Rheinprovinz war es nur kurze Zeit (etwa ein Jahr) möglich, solche tiefgehenden politischen Analysen zu veröffentlichen, wie sie in den beiden Artikelserien zu den Verhandlungen des Rheinischen Landtags ("Debatten über Preßfreiheit" und über das "Holzdiebstahlsgesetz") von Marx vorgelegt wurden. Die öffentlichmachung der sozialen Mißstände in der Moselgegend war dann der Auslöser für das Verbot der "Rheinischen Zeitung", das Marx durch sein bewußtes Ausscheiden noch zu verhindern suchte (Lapin 1974, 179-182). Seine Verarbeitung der Repressionserfahrungen bestand aber nicht in der Flucht in Amt und Familie, sondern in der Verstärkung seines politischen Engagements und seiner theoretischen Anstrengungen: In Kreuznach versucht Marx eine erste Aufarbeitung seiner Erfahrungen mit der Anwendung der Hegeischen 132

Staatstheorie, zwischendurch heiratet er und verhandelt mit Arnold Rüge über die geplanten 11 Deutsch-Französischen Jahrbücher 11 . Ein h a l bes Jahr nach seiner Kündigung siedelt er nach Paris über (1843), beginnt sogleich mit vielen Gesprächen und Diskussionen, kontaktiert französische Geheimgesellschaften und Weitlings "Bund der Gerechten". Um die Jahreswende schreibt er die "Einleitung der Hegeischen Rechtsphilosophie", die zusammen mit Engels "Umrissen zu einer Kritik der Nationalökonomie" in der einzigen Ausgabe der "DeutschFranzösischen Jahrbücher" im Februar 1844 erscheint, und Marx kurz darauf einen preußischen Haftbefehl einträgt, und in dessen Folge die Ausweisung aus Paris. Damit kamen in Paris 1844 die "drei Quellen des Marxismus" (vgl. Lenin, LW 19, 3-9) zusammen: die dialektische Methode der Reflexion als Mittel der Subjektentwicklung (klassische deutsche Philosophie), die empirisch fundierte Theorie des Produktionsprozesses, des Kerns der historischen Bewegung (englische politische Ökonomie) und die Perspektive des Sozialismus und Kommunismus als richtungsgebende Kraft (französische utopische Sozialisten). Lenins in Klammern wiedergegebene Bezeichnung der "drei Quellen" spiegelt nicht den ganzen Reichtum der von Marx und Engels verwendeten Quellen wider, sondern nennt den jeweiligen Hauptbestandteil auf wissenschaftlichem Gebiet. Ebensogut hätte er auch den jeweiligen Beitrag der von Marx und Engels aufgenommenen sozialen Erfahrung zu Methode, Theorie und Perspektive nennen können: Die methodischen Organisations- und Kampferfahrungen von Jakobinern, Geheimbündlern und des "Bundes der Gerechten"; die den realen Zustand der Gemeinwesen betreffenden Beschreibung der sozialen Lage des englischen Proletariats durch Engels und andere Berichte über soziale Bewegungen, die zusammen den empirischen Gehalt der damaligen materialistischen Ökonomie ausmachten; schließlich die Erfahrungen der ersten praktischen Versuche der Herstellung eines kommunistischen Gemeinwesen, z.B. Robert Owens "New Harmony", durch deren Auswertung die Perspektive der sozialistischen Bewegung geschärft und realistischer gemacht werden konnte. Dieser Erfahrungsanteil an den "drei Quellen" wäre jedoch ohne den wissenschaftlichen Anteil nicht zur materialistischen Theorie verallgemeinerbar gewesen; insofern hat Lenin völlig zu Recht zum 3o. Todestag von Marx vor allem dessen wissenschaftliche Leistung herausgehoben. Wir sehen, daß Marx im Unterschied zu Hegel die soziale, reproduktive Basis seiner theoretischen Arbeit vergrößert, daß er sich bewußt in die historische Bewegung, so wie sie aktuell besteht, hineinbegibt und bestrebt ist, einen kooperativen Arbeitszusammenhang als politischer Theoretiker innerhalb der kommunistischen Bewegung zu erreichen. Dieser Ausgang von Marx' Erfahrungen als Publizist ist nicht etwa allein Ausdruck der politischen oder revolutionären Energie des 26-jährigen Marx, sondern ist vor allem auch eine theoretische Konsequenz, die aus der Konfrontation der Hegeischen Politiktheorie mit der gesellschaftlichen und politischen Realität logisch notwendig hervorging. Diese logische Notwendigkeit konnte jedoch nur innerhalb eines neuen kognitiven Systems gelten, sie war die Entwicklungslogik der 133

materialistischen Theorie in ihrer Entstehungsphase, eine Logik, die ausdrücklich dazu gedacht war, eine materielle Analogie zwischen der Ordnung der realhistorischen Bewegung und einer theoretischen Ordnung der Bewegung von Kategorien herzustellen. Die Entwicklung dieses Systems beginnt bei der Hegel-Kritik von 1843, die wir nun näher ansehen müssen. 3.4 Erste Phase: Das Gemeinwesen als soziales Gattungswesen In der "Kritik des Hegeischen Staatsrechts" (MEW 1, 203-333) geht Marx noch sehr theoretisch und abstrakt an die Aufgabe heran, eine den wirklichen Verhältnissen entsprechende Vorstellung von Staaten und anderen Gemeinwesen zu entwickeln. Marx ist noch weit davon entfernt, die Geschichte als eine Folge von materialistisch verstandenen Gesellschaftsformationen dazustellen. Vorerst kämpft er noch mit dem äußerst abstrakten Subjektbegriff von Hegel und hält diesem den Begriff der lebendigen, einzelnen Subjektivität entgegen: "Es versteht sich von selbst, da Persönlichkeit und Subjektivität nur Prädikate der Person und des Subjekts sind, so existieren sie nur als Person und Subjekt, und zwar ist die Person Eins. Aber, mußte Hegel fortfahren, das Eins hat schlechthin nur Wahrheit als viele Eins. ... Stattdessen schließt Hegel: 'Die Persönlichkeit des S t a a tes ist nur als eine Person, der Monarch, wirklich'. Also weil die Subjektivität nur als Subjekt und das Subjekt nur als Eins, ist die Persönlichkeit des Staates nur als eine Person wirklich. Ein schöner Schluß. Hegel könnte ebensogut schließen: Weil der einzelne Mensch ein Eins ist, ist die Menschengattung nur ein einziger Mensch. ... Die Persönlichkeit ist allerdings nur eine Abstraktion ohne die Person, aber die Person ist nur die wirkliche Idee der Persönlichkeit in ihrem Gattungsdasein, als die Personen" (aaO, 228). Gegen Hegels abstrakten Subjektbegriff setzt Marx hier also den Feuerbachschen Begriff der Gattung als Einheit der vielen Personen. Er versteht diesen Begriff jedoch von vornherein in einem Sinn, der die sozialen Eigenschaften der Menschen gegenüber ihren nur natürlichen Eigenschaften betont, und hebt hervor, "daß das Wesen der 'besonderen Persönlichkeit' nicht ihr Bart, ihr Blut, ihre abstrakte Physis, sondern ihre soziale Qualität ist und daß die Staatsgeschäfte etc. nichts als Daseins- und Wirkungsweisen der sozialen Qualitäten des Menschen sind" (aaO, 222). Auf politischem Gebiet setzt Marx ganz entsprechend die Idee der Demokratie gegen Hegels Idee der Monarchie als höchster Form des Staates, und argumentiert in genauer Analogie zur Feuerbachschen Erklärung der Religion: "Die Demokratie ist das aufgelöste Rätsel aller Verfassungen. Hier ist die Verfassung nicht nur an sich, dem Wesen nach, sondern der Existenz, der Wirklichkeit nach in ihren wirklichen Grund, den wirklichen Menschen, das wirkliche Volk, stets zurückgeführt und als sein eignes Werk gesetzt. Die Verfassung erscheint als das, was sie ist, freies Produkt des Menschen. ... Hegel geht vom Staat aus und macht 134

den Menschen zum versubjektivierten Staat; die Demokratie geht vom Menschen aus und macht den Staat zum verobjektivierten Menschen. Wie die Religion nicht den Menschen, sondern wie der Mensch die Religion s c h a f f t , so schafft nicht die Verfassung das Volk, sondern das Volk die Verfassung" (231). In dieser Fassung des Gemeinwesens, als Einheit der Gattung in einem Volk mit einer von ihm geschaffenen Verfassung, ist nur die Art der Verfassung historischen Veränderungen unterworfen, nicht aber die Merkmale der Menschen selbst: "Gattung" ist noch ein ganz und gar ahistorischer Begriff, und alle politischen Anstrengungen müssen darauf gerichtet werden, die Demokratie hervorzubringen, in der "das Wesen aller Staatsverfassung, der sozialisierte Mensch, als eine besondere Staatsverfassung" (231) endlich hervortreten kann, aus allen bisherigen Verkrüppelungen und Fesselungen befreit. Daß dieses Ideal der zukünftigen Gesellschaft noch nicht ausreichend konkret ist, muß wohl auch Marx selbst sehr deutlich gespürt haben: Lapin hat in textkritischer Analyse nachgewiesen, daß Marx kurz nach Abfassung der soeben zitierten Stelle seine Arbeit an der Hegel-Kritik unterbrochen und sich in das bereits erwähnte "Meer von Büchern zur allgemeinen Geschichte" vergraben hat (1974, 223-225). Vorher h a t t e Marx nur eine sehr abstrakt-allgemeine Idee von den wesentlichen Merkmalen der aufeinanderfolgenden Gesellschaftsformen, formuliert aber bereits das Problem: "Die Abstraktion des Staats als solchen gehört erst der modernen Zeit, weil die Abstraktion des Privatlebens erst der modernen Zeit gehört" (MEW 1, 233). Nach seinen Geschichtsstudien, die insbesondere das Studium der französischen Revolution einschlössen, kann Marx diese "Abstraktion des Privatlebens" wesentlich konkreter beschreiben: Durch die französische Revolution wurden die Unterschiede zwischen den ständisch organisierten Individuen politisch nivelliert (gleiches Recht für alle), und die weiterhin vorhandenen sozialen Unterschiede konnten nun nicht mehr mit politischen Sonderprivilegien verbunden sein: "Die Trennung des politischen Lebens und der bürgerlichen Gesellschaft war damit vollendet. ... Der Ständeunterschied ist ... nicht mehr ein Unterschied des Bedürfnisses und der Arbeit als selbständiger Körper. Der einzige allgemeine, oberflächliche ... Unterschied ist hier nur noch der von Stadt und Land. Innerhalb der Gesellschaft aber bildete sich der Unterschied aus in beweglichen, nicht festen Kreisen, deren Prinzip die Willkür ist. Geld und Bildung sind die Hauptkriterien. ... Das charakteristische ist nur, daß die Besitzlosigkeit und der Stand der unmittelbaren Arbeit, der konkreten Arbeit, weniger einen Stand der bürgerlichen Gesellschaft als den Boden bilden, auf dem ihre Kreise ruhen und sich bewegen. ... (Es ist) teils Zufall, teils Arbeit etc. des Individuums ..., ob es sich in seinem Stand hält oder nicht. ... In seiner politischen Bedeutung macht sich das Glied der bürgerlichen Gesellschaft los von seinem Stande, seiner wirklichen Privatstellung; hier ist es allein, daß es als Mensch zur Bedeutung kommt oder daß seine Bestimmung als Staatsglied, als soziales Wesen, als seine menschliche Bestimmung erscheint. ... Die j e t zige bürgerliche Gesellschaft ist das durchgeführte Prinzip des In135

dividualismus; die individuelle Existenz ist der letzte Zweck; T ä tigkeit, Arbeit, Inhalt etc. sind nur Mittel" (MEW 1, 283-285). Durch die Herausbildung des "bürgerlichen Stands", also der privaten, individuellen Einzelnen, die nichts mit den anderen Individuen verbindet als ihre abstrakte Eigenschaft, auch Staatsbürger zu sein, werden alle bisher bestehenden Gemeinwesen tendenziell aufgelöst, wird "das gegenständliche Wesen des Menschen als nur ein äusserliches, materielles" (aaO) von ihm, dem sozialen Wesen, getrennt. Hierbei denkt Marx noch vor allem an die Entfremdung des Staates von der Gesellschaft, des sozialen Menschen (Citoyen) vom "wirklichen" Menschen (Bourgeois) und hat noch keinen materialistischen Begriff vom "gegenständlichen Wesen" der Menschen, denn die ökonomischen Analysen des Jahres 1844 liegen noch vor ihm. In die programmatischen Formulierungen seiner Artikel in den "Deutsch-Französischen Jahrbüchern", die Anfang 1844 erschienen, gingen folglich auch kaum ökonomische Argumente ein, es handelte sich noch wesentlich um ein Programm der vollständigen Emanzipation der Menschen zu ihrem sozialen Gattungswesen, wie vor allem an Marx 1 Artikel "Zur Judenfrage" (MEW 1, 347-377) deutlich wird: "Alle Emanzipation ist Zurückführung der menschlichen Welt, der Verhältnisse, auf den Menschen selbst. Die politische Emanzipation ist die Reduktion des Menschen, einerseits auf das Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft, auf das egoistische unabhängige Individuum, andrerseits auf den Staatsbürger, auf die moralische Person. Erst wenn der wirkliche individuelle Mensch den abstrakten Staatsbürger in sich zurücknimmt und als individueller Mensch in seinem empirischen Leben, in seiner individuellen Arbeit, in seinen individuellen Verhältnissen, Gattungswesen geworden ist, erst wenn der Mensch seine eigenen Kräfte als gesellschaftliche Kräfte erkannt und organisiert hat und daher die gesellschaftliche Kraft nicht mehr in Gestalt der politischen Kraft von sich trennt, erst dann ist die menschliche Emanzipation vollbracht" (aaO, 370). Wie diese "gesellschaftlichen Kräfte" näher zu bestimmen sind, die "der Mensch" als seine eigenen erkennen muß, kann Marx hier noch nicht angeben. Er kennt bisher als einziges dynamisches Prinzip das Privateigentum, das er noch nicht auf seine Entstehung hin u n t e r sucht hat, dessen Eigendynamik er jedoch bereits in groben Umrissen erfaßt. Noch in der Kritik des Hegeischen Staatsrechts erkennt Marx, daß das Privateigentum bereits im römischen Recht ohne Begründung auftaucht, "der eigentliche Grund des Privateigentums, der Besitz ist ein Faktum, ein unerklärliches Faktum, kein Recht" (MEW 1, 315). Aber im römischen Recht ist der Besitzer noch völliger Herr seines Eigentums, er hat uneingeschränktes Verfügungsrecht, und zwar kann er bestimmen, wer sein Erbe sein soll. Dies ändert sich im " g e r manischen Recht", das das Majorat, das Erbrecht des ältesten Kindes, über die Willkür des Besitzers stellt: "Das Privateigentum (der Grundbesitz) ist gegen die eigne Willkür des Besitzers dadurch f e s t gestellt, daß die Sphäre seiner Willkür aus einer allgemein menschlichen zur spezifischen Willkür des Privateigentums umgeschlagen ... ist... Das Eigentum ist hier nicht mehr, insofern 'ich meinen Willen 136

darin lege', sondern mein Wille ist, 'insofern er im Eigentum liegt'. Mein Wille besitzt hier nicht, sondern ist besessen" (aaO, 305 f ) . Bereits in diesen kurzen Zitaten ist erkennbar, daß Marx hier noch einen ganz abstrakten Begriff vom Privateigentum hat, im Grunde drückt er hier nichts weiter aus, als die reine Verkörperung des Privatinteresses. Dennoch schließt er bereits: "Das Majorat ist der politische Sinn des Privateigentums, das Privateigentum in seiner politischen Bedeutung, d.h. in seiner allgemeinen Bedeutung. Die Verfassung ist also hier Verfassung des Privateigentums" (aaO, 314), die Dynamik des Privateigentums bestimmt die Art, wie sich die Menschen zueinander verhalten. Im Artikel "Zur Judenfrage" zeigt Marx sodann durch eine Analyse des Textes der "Declaration des droits de l'homme et du citoyen" von 1793, daß die bürgerliche Revolution diesen grundlegenden Charakter aller bisherigen Staatsverfassungen in reiner Form als "allgemeines Menschenrecht" behauptet: "Vor allem konstatieren wir die Tatsache, daß die sogenannten Menschenrechte, die droits de l'homme im Unterschied von den droits du citoyen, nichts anderes sind als die Rechte des Mitglieds der bürgerlichen Gesellschaft, d.h. des ... vom Gemeinwesen getrennten Menschen. ... Die Freiheit ist also das Recht, alles zu tun und zu treiben, was keinem anderen schadet. ... Es handelt sich um die Freiheit des Menschen als isolierter auf sich zurückgezogener Monade. ... Das Menschenrecht der Freiheit basiert nicht auf der Verbindung des Menschen mit dem Menschen, sondern vielmehr auf der Absonderung des Menschen vom Menschen. Es ist das Recht dieser Absonderung, das Recht des beschränkten, auf sich b e schränkten Individuums. Die praktische Nutzanwendung des Menschenrechts der Freiheit ist das Menschenrecht des Privateigentums ... das Recht, willkürlich ..., ohne Beziehung auf andere Menschen, unabhängig von der Gesellschaft, sein Vermögen zu genießen und über dasselbe zu disponieren, das Recht des Eigennutzes. Jene individuelle Freiheit, wie diese Nutzanwendung derselben, bilden die Grundlage der bürgerlichen Gesellschaft. Sie läßt jeden Menschen im anderen Menschen nicht die Verwirklichung, sondern vielmehr die Schranke seiner Freiheit finden" (MEW 1, 364 f ) . Die durch die bürgerliche Revolution erreichte Emanzipation ist also nichts weiter als die Freiheit des Eigennutzes, sagt Marx hier, die wahre Freiheit aber wird nicht erreicht: Auch im praktischen Leben, nicht nur als a b strakter Citoyen, sich mit anderen verbinden zu können, "Gattungswesen", also sozialisierter Mensch sein zu können, wird gerade durch die Deklaration der Liberte des Bourgeois verhindert. Wie konnte dies nur geschehen? "Es ist schon rätselhaft, daß ein Volk, welches eben erst beginnt, sich zu befreien, alle Barrieren zwischen den verschiedenen Volksgliedern niederzureißen, ein politisches Gemeinwesen zu gründen, daß ein solches Volk die Berechtigung des egoistischen, vom Mitmenschen und vom Gemeinwesen abgesonderten Menschen feierlich proklamiert. ... Noch rätselhafter wird die T a t sache, wenn wir sehen, daß das Staatsbürgertum, das politische Gemeinwesen von den politischen Emanzipatoren sogar zum bloßen Mittel für die Erhaltung dieser sogenannten Menschenrechte herabgesetzt, 137

daß also der citoyen zum Diener des egoistischen homme erklärt, die Sphäre, in welcher der Mensch sich als Gemeinwesen verhält, unter die Sphäre, in welcher er sich als Teilwesen verhält, degradiert, endlich nicht der Mensch als citoyen, sondern der Mensch als bourgeois für den eigentlichen und wahren Menschen genommen wird11 (aaO, 336). Marx stellt sich hier das zentrale Problem, wieso die politische Theorie, die Antizipation einer emanzipierten Gesellschaft, und die Praxis dieser Theorie, das politische Handeln der Emanzipatoren, so weit auseinanderfallen. Aber er löst dieses Problem nicht wirklich, sondern behauptet nur: "Das Rätsel löst sich einfach" (368), denn: "Die Abschüttlung des politischen Jochs war zugleich die Abschüttlung der Bande, welche den egoistischen Geist der bürgerlichen Gesellschaft gefesselt hielten. ... Der egoistische Mensch ist das passive, nur vorgefundene Resultat der aufgelösten Gesellschaft, Gegenstand der unmittelbaren Gewißheit, also natürlicher Gegenstand. Die politische Revolution löst das bürgerliche Leben in seine Bestandteile auf, ohne diese Bestandteile selbst zu revolutionieren und der Kritik zu unterwerfen. Sie verhält sich zur bürgerlichen Gesellschaft, zur Welt der Bedürfnisse, der Arbeit, der Privatinteressen, des Privatrechts, als zur Grundlage ihres Bestehens, als zu einer nicht weiter begründeten Voraussetzung, daher als zu ihrer Naturbasis" (369). Dies ist aber eine rein erkenntnistheoretische Auflösung des Rätsels, es scheint so, als sei nur die Erkenntnis dieses Sachverhalts vonnöten, als müsse nur diese Stufe der R e f l e xion erreicht werden, um die wahre Emanzipation zu vollbringen. Ganz folgerichtig proklamiert Marx in seinem zweiten großen Artikel aus den "Jahrbüchern", der "Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie" (MEW 1, 378-391), die führende Rolle der Theorie, der politischen Philosophie bei der künftigen Revolution in Deutschland: "Die Theorie wird zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift. Die Theorie ist fähig, die Massen zu ergreifen, sobald sie ad hominem demonstriert, und sie demonstriert ad hominem, sobald sie radikal wird. Radikal sein ist die Sache an der Wurzel fassen. Die Wurzel für den Menschen ist aber der Mensch selbst. Der evidente Beweis für den Radikalismus der deutschen Theorie, also für ihre praktische Energie, ist ihr Ausgang von der entschiedenen positiven Aufhebung der Religion. Die Kritik der Religion endet mit der Lehre, daß der Mensch das höchste Wesen für den Menschen sei, also mit dem kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist" (aaO, 385). 3.5 Die erste Phase als urzentrierte Reflexion und der Übergang durch das Mittel "Entfremdete Arbeit" Betrachten wir die ganze erste Phase, von der Hegel-Kritik 1843 bis zu den "Jahrbüchern", nunmehr im Hinblick auf das Verhältnis von Marx' theoretischer Arbeit und der "Arbeit" der politischen Bewegung 138

in Deutschland und Frankreich, und versuchen wir, diese Phase als Reflexion aus einer anfänglichen Zentrierung heraus zu verstehen, dann fällt eine historische Parallele ins Auge: Jedem, der erlebt hat, wie das oben zitierte Programm in den Jahren der Studentenrebellion (1967-70) kursierte, wie insbesondere Rudi Dutschke es immer wieder verteidigte: in durchaus christlich-religiösem Sinn, der durch die Aufhebung des Christentums in eine politische Ethik g e schärft und auf wirkliche, hiesige und vietnamesische, fürchterliche Verhältnisse gerichtet war, allen Zeugen dieser Jahre ist wohl klar geworden, daß Marx selbstverständlich recht hat, wenn er einer radikalen Theorie die Fähigkeit zuspricht, "die Massen zu ergreifen". Nur fragt es sich, wie groß diese Massen sind, und wer sie sind, daß sie sich von einer Theorie ergreifen lassen, statt umgekehrt die Theorie als ihr eigenes Mittel zu ergreifen. Die von Marx Ende 1843 erreichte Stufe der Einsicht in die h i storische Entwicklung wird durch diese historische Parallele als frühe, unfertige, noch voluntaristische Programmatik erkennbar. Die politische Praxis von Marx besteht hier in der leidenschaftlichen Anklage der von ihm analysierten Erscheinungsformen der bürgerlichen Gesellschaft, und sie gipfelt in der Verkündung des Programms der Emanzipation der Menschen zu ihrem sozialen Gattungswesen. Dies ist ein Programm der Wiederherstellung eines ursprünglichen Gemeinwesens, das früher einmal bestanden hat, oder aber immmer schon im "Wesen" der Menschen verborgen war. Die hier zugrundeliegende Vorstellung einer ahistorischen Natur des Menschen, zwar nicht einer nur biologischen, sondern wesentlich sozialen Natur, ist eine a b strakte Anthropologie, die notwendig mit einem idealistischen Praxisbegriff zusammengehen muß, wie Thomas Mies (im Anschluß an Marx" eigene, aber späterliegende Erkenntnis) hervorhebt: "Nur eine menschliche Natur, die außerhalb des gesellschaftlichen Kontextes steht, gibt einer Kritik, die sich ebenso als tranzendem gegenüber der sozialen Wirklichkeit begreift, eine Basis" (1979, 129). Nun gibt es jedoch eine Unzahl von Möglichkeiten, abstrakte Anthropologie und idealistische Praxis zu formulieren und zu begründen. Furths bereits mehrfach zitierte Aufsätze (1980 a, b, c) zeigen eine Anzahl solcher Möglichkeiten in der Entwicklung der Dialektikauffassung der letzten Jahre auf. So gibt Furth etwa eine Kritik der abstrakten Anthropologie der Intersubjektivität in der Habermasschen Fortsetzung der Kritischen Theorie, aus der ebenfalls eine idealistische Praxisauffassung hervorgeht, was sich recht deutlich darin zeigt, daß für Habermas die Entwicklung von normativen Rationalitätsstrukturen "der Schrittmacher der sozialen Evolution ist" (1976, 35, vgl. zur generellen Kritik: Holzer 1978, 107-163). Wie Furth ausführlich zeigt (1980 a, 44-55), ist für die Kritische Theorie, wie für Marx in der ersten Phase, der Dualismus von Citoyen und Bourgeois der Ausgangspunkt ihres praktischen Programms: "Wenn sie (die Kritische Theorie) den Citoyen gegen den Bourgeois ausspielte, dann nicht auf der Grundlage des common-sense-Dualismus des wirklichkeitstüchtigen Bourgeois, für den die Erweiterung des Rechtsstaats zum Sozialstaat eine Frage der ökonomischen und politi139

sehen Opportunität ist. Die Grundlage dafür war vielmehr die Fiktion des sozialen Freischwebens der Intelligenz. In der Perspektive d a rauf sollte der Bourgeois im Citoyen verschwinden und sein Doppelleben verlieren, indem seine natürlichen und sozialen Besonderheiten auf die Ebene der autonomen Person gehoben wurde. Es ging der Negativen Dialektik also um die Übertragung des Citoyen auf das private Individuum in der Besonderheit seiner seelischen und sinnlichen Bedürfnisse. Im Namen der Kultur sollte der Bourgeois zum Citoyen revolutioniert werden, 'die Emanzipation der Sinnlichkeit' sollte die politische Emanzipation zur menschlichen vollenden" (Furth 1980 a, 53). Wir sehen also, daß aus einer analogen Problemstellung dennoch entgegengesetzte Konsequenzen folgen können, und tatsächlich gefolgt sind: Sowohl gab es zu Marx 1 Zeiten die Alternative der "privat-anarchistischen Gegenwelten" (aaO, 55), die von den Junghegelianern und - modifiziert - von Bakunin und weiteren, frühen Anarchisten gewählt wurde, als auch gibt es immer noch solche Denk- und Verkehrsformen, wie die von Furth konstatierte Wiederkehr der historischen Alternative zur Zeit der Entwicklung der Kritischen Theorie ausweist. Und es gab den Weg, den Marx und später auch Engels gegangen sind. Die Alternative hat folglich bestanden, eine Wahl war möglich. Wir müssen jetzt untersuchen, wieso für Marx' spezifische Auffassung in dieser historischen Periode der Übergang aus der erreichten Stufe der Reflexion in die höhere nicht nur eine allgemeine Möglichkeit, sondern auch eine besondere Notwendigkeit war. Dies bedeutet, daß aufgewiesen werden muß, inwiefern Marx 1 freie Wahl zugleich zwingende Entwicklungsnotwendigkeit war. Es wurde bereits behauptet, daß Marx in der ersten Phase der Entwicklung des Gemeinwesenbegriffs (innerhalb der materialistischen Theorie) im Modus der urzentrierten Reflexion verblieben ist. Was soll das heißen? Marx betrachtet als Theoretiker die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse so, wie sie durch seine Begriffe hindurch erscheinen: als Beschränkung des ideell Möglichen, als Aufsplitterung des wahren Gemeinwesens in die Monaden der vielen Bourgeois, die jeder für sich versuchen, das von ihnen abgelöste Allgemeine als Mittel für ihre egoistischen Zwecke zu nützen. Er sieht diese Verhältnisse aus der Perspektive des an diesen Verhältnissen leidenden Subjekts, das seine eigene Tätigkeit und deren Beitrag zu diesen Verhältnissen nicht im Blick hat: aus der Urzentrierung können nur die Resultate der Geschichte mit den ideellen Denkmöglichkeiten verglichen werden. Marx erklärt darüberhinaus die Tatsache, daß die Antizipation der politischen Freiheit in der Menschenrechts-Deklaration gerade als Schranke der Freiheit zum Zusammenschluß formuliert wurde, damit, daß die politischen Emanzipatoren selbst in der Urzentrierung befangen sind: Ihnen erscheint das nunmehr endlich b e f r e i t e , "egoistische Individuum" als der "wahre natürliche Mensch", und zwar deshalb, weil die Begriffe der politischen Theorie dies erzwingen: "Im Bewußtsein der politischen Emanzipatoren" ist das Verhältnis von allgemeinen und besonderen Rechten "auf den Kopf gestellt ... und der Zweck ( e r scheint) als Mittel, das Mittel als Zweck" (MEW 1, 367). Den Revolu140

tionsführern ist ihre eigene Praxis nicht bewußt, in der Marx b e reits "die richtige Stellung des Verhältnisses" (aaO) vermutet. Diese Übereinstimmung der urzentrierten Position, die Marx selbst einnimmt, mit der Position, die er völlig richtig als die erreichte Reflexionsstufe der politischen Emanzipatoren erkennt, zeigt die Systemizität seiner Auffassung in dieser Phase: Es paßt alles zusammen. Auch das Handlungsprogramm von Marx ist aus urzentrierter Sicht formuliert: als eine ideelle Vorwegnahme eines idealen Zustands, dem "nur noch" materielle Gewalt verliehen werden muß. Nicht umsonst verwendet Marx daher das Bild eines menschlichen Körpers für das von ihm anvisierte Bündnis von revolutionären Theoretikern und praktischen Revolutionären: "Die Emanzipation des Deutschen ist die Emanzipation des Menschen. Der Kopf dieser Emanzipation ist die Philosophie, ihr Herz das Proletariat" (aaO, 391). Seine eigene Praxis ist in dieser Phase vor allem kommunikative Tätigkeit: " V e r gemeinsamung" über die publizistische Arbeit, die vor allem auf die Etablierung eines neuen, eines revolutionären Diskurses zielt, der in der gerade begonnenen Reihe der "Deutsch-Französischen Jahrbücher" geführt werden soll. Die künftige Gesellschaft wird noch als Produkt eines einheitlichen Subjekts verstanden, Marx generalisiert die Figur der materiellen Analogie in der einfachen Form (vgl. S. 148) auf die revolutionäre Bewegung und schlägt eine Arbeitsteilung in "Herz- und Kopfarbeit" vor. Die Einheit von Theorie und Praxis, die er in seiner eigenen, publizistischen Tätigkeit entwickeln konnte, versucht er als organische Einheit von Philosophie und Proletariat zu denken, allerdings ohne noch zu bemerken, daß die so gedachte Einheit nur ein voluntaristisches Bündnis sein kann, in dem die Spaltung zwischen Theorie und Praxis nur durch das lebendige Wissen eines idealisierten Subjekts überbrückt wird. Und obwohl doch alles so gut zusammenpaßt, steckt irgendwo ein Widerspruch, durch den die Theorie und Praxis von Marx auf eine höhere Reflexionsstufe gehoben werden kann, wenn er ihn erkennt und anerkennt, also nicht aus seinem Denken ausgrenzt. Es ist dies der gleiche Widerspruch, der Marx dazu führte, das Hegeische System für sich aufzubrechen und flüssig zu machen: Der Widerspruch zwischen eigener Theorie und eigener Praxis. Wir haben bereits gesehen, wie grundsätzlich Marx die Forderung nach der Einheit beider verstanden und gelebt hat, und wie er durch seine gegenständliche Wende das Primat der Praxis begründete. Er konnte daher die Erkenntnis nicht abweisen, daß das, was er an den politischen Emanzipatoren kritisiert h a t t e , auch auf ihn selbst zutraf, denn — wie bereits g e schildert — in seiner Pariser Zeit trat er nicht nur in denkenden und publizistischen Kontakt mit den kämpfenden Arbeitern, sondern führte viele wirkliche Diskussionen, war bei Versammlungen und so fort. Ihm konnte folglich nicht verborgen bleiben, daß die Arbeiterbewegung eine von ihm unabhängige Bewegung ist, die nicht einfach von einer Theorie ergriffen werden kann, und sei sie noch so gut begründet: "Es genügt nicht, daß der Gedanke zur Verwirklichung drängt, die Wirklichkeit muß sich selbst zum Gedanken drängen" schreibt Marx im gleichen Programm (MEW 1, 386), das wir bisher 141

allein unter dem Gesichtspunkt des Verbleibens auf der urzentrierten Stufe betrachtet haben. Die Überwindung dieser Stufe ist damit als persönliche Entwicklungsnotwendigkeit für Marx plausibel gemacht, so h o f f e ich. Allein dies genügt noch nicht. Es handelt sich ja schließlich nicht nur um eine persönliche, eine Alltagstheorie, deren Entwicklung hier zu rekonstruieren ist, sondern um eine paradigmatische, wissenschaftliche Theorie. Um die theoretische Notwendigkeit der Überwindung der urzentrierten Reflexion zu zeigen, möchte ich darauf zurückgreifen, daß Hegels Gestalt der "setzenden Reflexion" mit dem Modus der u r zentrierten Reflexion zusammenhängen könnte. Diese Vermutung habe ich weiter oben nicht recht begründen können. Hier ziehe ich nun zusätzlich die Bemerkung von Furth (1980 b, 77) heran, daß der s e t zenden Reflexion die analytische Methode entspricht. Leider nennt Furth keine genauen Belegstellen bei Hegel, sodaß mein Verständnis dessen, was Hegel unter der analytischen Methode versteht, allein auf einem Teil der "Logik" (Suhrkamp-Werkausgabe = HW 6, 502-541) gründet, wo vom analytischen und synthetischen Erkennen die Rede ist. Hegel erläutert, daß das analytische Erkennen von einem "vorausgesetzten, somit einzelnen, konkreten Gegenstande" ausgehend zu Begriffsbestimmungen kommt, die "unmittelbar in dem Gegenstande e n t halten" sind. Hier findet eine "Verwandlung des gegebenen Stoffes in logische Bestimmungen s t a t t " (502), die in der "abstrakten Form, in welche es die Analyse heraushebt, allerdings nur im Erkennen vorhanden" sind (503). Das heißt: die logischen Setzungen und ihre unmittelbaren Folgerungen gehören zur analytischen Vorgehensweise, sie ist "nur das Auffassen dessen, was ist" (511). Was kommt dabei heraus, wenn wir die komplexe Aussage der zitierten Texte aus der Phase von 1843 bis zu den "Jahrbüchern" analytisch als eine Art Rechenaufgabe formulieren? Sehen wir zu: 'Gesetzt, die reale Gesellschaft sei eine Menge von Monaden, die jede nur auf ihr Eigeninteresse gerichtet sind. Betrachte die Möglichkeit des Zusammenschlusses der Monaden. Was ist zu folgern für die Bedingungen einer Revolution der egoistischen Verhältnisse ?'. Diese Aufgabe enthält nun in der Tat idealisierende Setzungen, wie sie für die analytische Vorgehensweise in der Mathematik typisch ist: Selbstverständlich ist es nicht praktisch wahr, daß die bürgerliche Gesellschaft zu Marx' Zeit oder heutzutage eine Menge isolierter Monaden ist. (Und ebenso ist es idealisiert zu sagen, der Staat sei bloßes Mittel des Eigennutzes der Bourgeois.) Dennoch folgt etwas, und zwar mit zwingender Logik, aus dieser gesetzten Problemsituation: 'Diejenigen aus allen Monaden, deren Eigeninteresse mit dem Allgemeininteresse zusammenfällt, sind in der Lage sich zusammenzuschließen, und können das Gemeinwesen herstellen, wenn ihre Zahl ausreicht, um die zersplitterten Eigeninteressen der anderen Monaden zu überwinden'. Ist meine Analyse richtig, dann ist die Formulierung der " w e l t historischen Rolle des Proletariats" im Jahr 1843 ein analytischer Schluß von Marx, den er folgendermaßen in Worte gefaßt hat: "Wo also die positive Möglichkeit der deutschen Emanzipation? Antwort: In der 142

Bildung einer Klasse mit radikalen Ketten, einer Klasse der bürgerlichen Gesellschaft, welche keine Klasse der bürgerlichen Gesellschaft ist, eines Standes, welcher die Auflösung aller Stände ist, einer Sphäre, welche einen universellen Charakter durch ihre universellen Leiden besitzt und kein besondres Recht in Anspruch nimmt, weil kein besondres Unrecht, sondern das Unrecht schlechthin an ihr verübt wird, ... welche in keinem einseitigen Gegensatz zu den Konsequenzen, sondern in einem allseitigen Gegensatz zu den Voraussetzungen des deutschen Staatswesens steht, einer Sphäre endlich, welche sich nicht emanzipieren kann, ohne sich von allen übrigen Sphären der Gesellschaft und damit alle übrigen Sphären der Gesellschaft zu emanzipieren, welche mit einem Wort der völlige Verlust des Menschen ist, also nur durch die völlige Wiedergewinnung des Menschen sich selbst gewinnen kann. Diese Auflösung der Gesellschaft als ein besonderer Stand ist das Proletariat" (MEW 1, 390). Auch in der Formulierung dieses Schlusses ist die Idealisierung erkennbar: In der Realität kann es eine so beschriebene "Sphäre" überhaupt nicht geben, und die Hoffnung auf die Bildung einer Klasse mit derart "radikalen Ketten" kann sehr leicht als eine Endzeitvision, eine marxistische Version des Jüngsten Gerichts mißgedeutet werden, wie das immer wieder geschieht (z.B. durch Popitz). Dies ist jedoch kein Argument gegen die praktische Wahrheit eines analytisch gewonnenen Satzes, wie an den mannigfachen Beispielen erfolgreicher Idealisierung in der Naturwissenschaft abgelesen werden kann. Die Wahrheit eines analytisch gewonnenen Satzes zeigt sich in seiner Verwendung als Antizipation einer Möglichkeit, die sich in der Praxis der Anwendung als reale oder aber auch als Un-Möglichkeit h e r austellen kann und muß. Die Konsequenz aus diesem Schluß jedenfalls mußte sein: Die Setzung der Möglichkeit des Zusammenschlusses aufzuheben und die realen Prozesse zu studieren, die zur Bildung des Proletariats g e führt haben und, in Deutschland, noch führen konnten. Und dies b e deutete für Marx: Sich wiederum in ein Meer von Büchern zu vergraben, diesmal allerdings (und endgültig bis zu seinem Lebensende) in die Literatur zur politischen Ökonomie. Damit begann aber zugleich die lebenslange Zusammenarbeit von Marx und Engels, denn als erste Skizze einer Kritik der bürgerlichen Wirtschaftswissenschaft h a t t e Engels in den "Jahrbüchern" seine "Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie" (MEW 1, 499-524) vorgelegt. Vergleichen wir diesen Text mit Marx 1 Texten aus der gleichen Zeit, so finden wir unschwer zweierlei: Einmal war Engels bereits überzeugter Materialist: seine Hegel-Phase war kürzer und weniger intensiv, er verfügte auch über eine reiche Erfahrung und konkrete Anschauung der Mechanismen und der Folgen der industriellen Produktion, vor allem der englischen Verhältnisse. Zum zweiten zog Engels die gleichen programmatischen Schlüsse aus seinen Erkenntnissen, wie sich am Schluß der folgenden Textpassage über das "Gesetz der Konkurrenz", der widerstreitenden Eigeninteressen, sehr klar zeigt: "Das Gesetz der Konkurrenz ist, daß Nachfrage und Zufuhr sich stets und eben deshalb nie ergänzen. ... Der Ökonom kommt mit seiner schönen Theorie von Nachfrage und 143

Zufuhr heran, beweist euch, daß 'nie zuviel produziert werden kann', und die Praxis antwortet mit den Handelskrisen, die so regelmäßig wiederkehren wie die Kometen. ... Was soll man von einem Gesetz denken, das sich nur durch periodische Revolutionen durchsetzen kann ? ("Revolutionen" hier als Zyklen gemeint, A.R.) Es ist eben ein Naturgesetz, das auf der Bewußtlosigkeit der Beteiligten beruht. Wüßten die Produzenten als solche, wieviel die Konsumenten bedürften, organisierten sie die Produktion, verteilten sie es unter sich, so wäre die Schwankung der Konkurrenz und ihre Neigung zur Krisis unmöglich. Produziert mit Bewußtsein, als Menschen, nicht als zersplitterte Atome ohne Gattungsbewußtsein, und ihr seid über alle diese künstlichen und unhaltbaren Gegensätze hinaus" (MEW 1, 514 f). Im Zitat ist gleichfalls erkennbar, daß Engels gern und gut mit naturwissenschaftlich-analytischen Analogien arbeitete. Wir können schon ahnen, daß er später versuchen wird, "die Einheit von n a t u r wissenschaftlichem und philosophischem, von 'verständigem' und 'vernünftigem' Denken zu begründen" (Griese 1980, 410), also eine "Dialektik der Natur" bzw. der Naturwissenschaften auszuarbeiten. Zunächst arbeitete Marx jedoch weiterhin allein, wobei er sich neben anderen Schriften besonders auf Engels Text stützte und auch dessen Betonung der Konkurrenz übernahm. Nach meiner übergreifenden Hypothese beginnt Marx nunmehr den Übergang zur Stufe der dezentrierten Reflexion, wählt mithin den Weg, der das bisherige System sprengen und zu einem neuen System führen wird. Es wurde bereits festgehalten, daß Marx einerseits das Privateigentum als ein grundlegendes, dynamisches Prinzip der historischen Entwicklung identifiziert h a t t e , und andererseits aus dem analytischen Schluß auf die Rolle des Proletariats das Problem gewann, die Entstehungsbedingungen dieser Klasse mit "radikalen Ketten" nicht zu kennen. Marx b e ginnt daher mit einer vergleichenden Untersuchung der von den Ökonomen unterschiedenen drei Einkommensarten: Kapitalprofit, Grundrente und Arbeitslohn, mit dem Ziel, die Entwicklungsgesetze des Privateigentums zu erforschen. In diesem vergleichenden Vorgehen gewinnt nun ein bestimmtes Denkmittel eine neue Funktion: Es handelt sich um den Begriff der Entfremdung, der in der alten Funktion von Feuerbach stammt, den Marx aber in dieser Phase insofern neu verwendet, als er ihn nicht mehr zur Charakterisierung des Verhältnisses von realen Prozessen und ihrer theoretisch-ideellen Widerspiegelung (Volk und Religion, Volk und Staat) benutzt, sondern zur Untersuchung eines Verhältnisses im materiellen Gesamtprozeß: des Verhältnisses von Arbeitsprozeß und Verteilungsprozeß der Produkte der Arbeit. Dieses durch den Funktionswechsel neue Mittel gewinnt im Verlauf der weiteren Entwicklung die Dominanz über die anderen Arbeitsmittel: Das erste der drei "ökonomisch-philosophischen Manuskripte von 1844" (MEW Erg.Bd. 1, 467-588) schließt mit der Herausarbeitung der Grundkategorie dieser zweiten Phase: der entfremdeten Arbeit. Die fundamentale Bedeutung des neuen Denkmittels zeigt sich besonders im dritten Manuskript dadurch, daß Marx nun erst die Tragweite der Hegeischen Dialektik richtig versteht: Sie enthüllt sich ihm ganz klar als metho144

disch gewendete Erkenntnis der Grundstruktur des Arbeitsprozesses (die betreffende Textstelle habe ich bereits auf S. 152 zitiert: MEW Erg.Bd.l, 574). Dies bedeutet aber zugleich: Erst in der dezentrierten Phase versteht Marx den gesellschaftlich organisierten Arbeitsprozeß als grundlegenden, basalen Prozeß der Lebensgewinnung, erst hier wird er wirklich Materialist. Exkurs 2: Wie kann die materialistische Psychologie im Marxismus begründet werden ? Dies Zwischenergebnis meiner Rekonstruktion hat mich überrascht. Ich habe es nicht erwartet, da ich bisher von einer anderen Sicht der "ökonomisch-philosophischen Manuskripte" ausgegangen bin, die durch folgende Sätze aus Lucien Seves Buch "Marxismus und Theorie der Persönlichkeit" bestimmt wurde: "Die 'Psychologie' von 1844 ist als Zugang zur menschlichen Persönlichkeit illusorisch, weil sie der Zugang zu einer illusorischen Auffassung von dieser Persönlichkeit ist. Der 'Reichtum' der Analysen von 1844, die literarisch glänzende Darlegungen ermöglichen, ist in diesem Sinne zutiefst trügerisch - es handelt sich um ein theoretisches Irrlicht. Deshalb kann gesagt werden, daß die 'ökonomischphilosphischen Manuskripte' - beziehungsweise die Werke aus jener Zeit - nicht das gesuchte Bindeglied zwischen Psychologie und Marxismus sind. Es handelt sich tatsächlich nicht um eine Nahtstelle, sondern um eine Schwachstelle in der Theorie des jungen Marx, eine Schwachstelle, die die Unausgereiftheit seiner Auffassung von der Gesellschaft anzeigt. Nichts von alledem, was man vermeintlich d a rauf bauen könnte, ließe sich halten. Jede so in Angriff genommene Theorie der 'Person' oder der 'Subjektivität' wäre ein Zurückfallen - hinter den Marxismus, in den abstrakten Humanismus, in die bürgerliche Ideologie" (Seve 1972, 70). Hier scheint doch folgender Widerspruch auf: Einerseits ist es eine elementare Einsicht, daß jeder Versuch zu einer materialistischen Psychologie "ausgehend von der Arbeit" entwickelt werden muß, und Marx gewinnt gerade hier in den "Manuskripten von 1844" die gleiche Einsicht für die materialistische Theorie insgesamt. Und andererseits sollen ebendieselben Texte ein "theoretisches Irrlicht", eine "Schwachstelle 11 sein? Wenn Marx hier erstmals bewußt "von der Arbeit ausgeht" und dazu das Denkmittel des Entfremdungsbegriffs in neuer Form verwendet, haben dann nicht diejenigen recht (z.B. Garaudy oder Lorenzer), die die "Manuskripte" als zentralen Ursprung der materialistischen Psychologie ansehen, einer Psychologie, die allerdings nicht mehr von Engels oder Marx ausgearbeitet wurde, sondern als "Ergänzung der Ökonom ist ischen Spät-Theorie" auszuarbeiten wäre? Wir müssen uns den aufscheinenden Widerspruch in einem kurzen Exkurs genauer ansehen, denn hier wird von einer anderen Seite als der bisher von mir beleuchteten die Bedeutung einer Rekonstruktion 145

der Entwicklung der materialistischen Theorie deutlich: Die aus ihr herzuleitende, nach ihrem Vorbild zu entwickelnde, materialistische Psychologie kann offensichtlich aus verschiedenen Teilen des Werks von Engels und Marx auf verschiedene Weise und mit divergierender Zielsetzung "abgeleitet" werden. Es ist keineswegs gleichgültig, wo eine solche Herleitung ansetzt, es gibt vielmehr einen ausgedehnten, wissenschaftlichen Streit um den "richtigen Ansatz". Diesen Streit möchte ich in seinen wesentlichen Punkten betrachten und mich dabei auf die kulturhistorische Schule und ihre Nachfolger-Schule, die Kritische Psychologie beschränken, wenn auch einige Kontrahenten dieser Richtungen miteinbezogen werden müssen. Die Geschichte der Kulturhistorischen Schule ist meines Wissens noch nicht geschrieben. Es gibt jedoch folgende wichtige Quellen (neben den wissenschaftlichen Texten der Autoren): Jaroschewskis Problemgeschichte der Psychologie (1975, bes. 382-438), Lurias wissenschaftliche Autobiographie, samt Vor- und Nachwort von Cole (Luria 1979) und die Arbeit von Scheerer (1980), in der dem Einfluß der Gestaltpsychologie in der Sowjetunion nachgegangen wird, die ich jedoch nur über einen Aufsatz von Stadler (im Druck) kenne. Die Arbeit der Troika (Wygotski, Leontjew, Luria) beginnt mit der Grundüberzeugung, daß auf dem gesamten Werk von Marx, Engels und Lenin eine materialistische Psychologie aufgebaut werden kann, deren Hauptforschungsziel die Erklärung der Entwicklung der Mittel der subjektiven Tätigkeit zu sein hat, wobei an alle normalerweise unterschiedenen Ebenen der Entwicklung gedacht ist: Entwicklung des Lebens (organismische Mittel), Entwicklung des Gemeinwesens (Werkzeuge und Begriffe), Entwicklung der personalen Subjekte (Fähigkeiten, also einverleibte Mittel, und Haltungen, also habituelle Persönlichkeitszüge), Entwicklung der einzelnen konkreten Tätigkeiten in der Einheit von Tätigkeit und Gegenstandsprozeß. Für die Troika und ihre Studenten und Mitarbeiter gibt es zunächst kein Begründungsproblem, im Vordergrund steht vielmehr das Entwicklungsproblem: Wie ist dieser komplexe Gegenstand am besten zu studieren, welche begrifflichen Mittel, welche empirischen Mittel sind notwendig, um Entwicklung adäquat fassen zu können? Die radikal neue F r a gestellung gegenüber den damaligen Psychologieauffassungen bestand darin, alle dem Alltagswissen bekannten Mittel (Denken, Fühlen, Wissen, Können, Ahnen und so fort, genauso wie Sprechen, Ergreifen, Behandeln, Bearbeiten) als historisch produzierte, gesellschaftliche Mittel begreifen zu wollen. Kern dieser Perspektive war die Grundüberzeugung, daß die menschliche Aktivität nur angemessen verstanden werden kann, wenn sie als gegenständliche Tätigkeit, als Teil der gesellschaftlichen Arbeit und der sozialen Praxis verstanden wird. Diese Perspektive, die vor allem durch Wygotski aufgespannt wurde als Zone der nächsten Entwicklung der materialistischen Psychologie, wurde jedoch kurz nach seinem Tod durch einen generellen Tendenzwandel in der gesellschaftlichen Organisation der sowjetischen Wissenschaft wesentlich eingeschränkt. Es dürfte nicht leicht sein, diesen allgemeinen Wandel historisch korrekt und objektiv zu b e schreiben, handelt es sich doch um den sogenannten Stalinismus, 146

nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen. Meine eigene Kenntnis dieser historischen Periode ist beklagenswert gering, was unter anderem auch daran liegt, daß die psychologischen Texte aus den sozialistischen Ländern diese Periode stillschweigend übergehen, oder - wie bei Luria (1979) - lediglich äußerliche Fakten nennen. Ich glaube aber auf der anderen Seite auch nicht, daß es meine Aufgabe sein könnte, etwa an der Stelle der sowjetischen Wissenschaftler diese ihre Geschichte stellvertretend aufzuarbeiten, jedenfalls so lange nicht, wie wir d e u t schen Psychologen unsere eigene, nationalsozialistische Vergangenheit nicht aufgearbeitet haben, in der z.B. fast die gesamte Gest altpsychologie aus Deutschland vertrieben wurde. Für die sowjetische Psychologie war die stalinistische Phase eine Phase des Zurückgeworfenwerdens auf einen mechanisch-materialistischen Standpunkt; auf die doch recht doktrinären Anschauungen von Iwan Petrowitsch Pawlow (1849-1936), die zur letzten Weisheit erklärt wurden: "Wie Leuchtfeuer einer gewaltigen Macht und eines wahrhaften Orientierungspunktes leuchten die Namen der großen russischen Physiologen Setschenow und Pawlow an den Entwicklungspfaden der Wissenschaft; es sind Namen, die Genosse Stalin neben die Namen der hervorragendsten und dem russischen Volke teuersten Männer aus der Geschichte und Kultur unseres Vaterlandes stellte" (Koschtojanz 1953, 1). Dies bedeutete aber, daß nicht mehr die Kategorie Arbeit zur Grundlage der Psychologie erklärt wurde, sondern die Kategorie der materiellen Lebensprozesse, die überdies noch in streng reflexologischer, fast behavior istischer Weise verzerrt war (vgl. dazu J a roschewskis differenziertere Einschätzung, 1975, 396 f, die auf die gleiche Folgerung hinausläuft). Im zweiten Kapitel habe ich Anochins Arbeit in der Physiologie bereits referiert, in der ebenfalls die Kategorie des materiellen Lebensprozesses als grundlegende Kategorie benutzt wurde, die aber durch den Primat der Entwicklung den mechanischen Materialismus (bzw. den "biologischen Determinismus" der Darwinbewegung) überwindet. Diese Arbeit war in der gleichen Periode möglich, woraus hervorgeht, daß die historische Zufälligkeit bei der Einschränkung der Psychologie eine große Rolle gespielt hat: Wäre nicht der alte, kämpferische Materialist Pawlow es gewesen, der die Theorie der bedingten Reflexe entwickelt hat, sondern irgendein deutlich als Bürgerlicher zu erkennender, ausländischer Wissenschaftler, oder wäre Pawlow nicht nur Materialist, sondern auch Marxist gewesen (was er nicht war, vgl. Razran 1978, Jaroschewski 1975, 397), dann wäre vielleicht der junge Anochin zum "Leuchtfeuer" erklärt worden — doch das ist pure Spekulation, da Anochin ja Schüler von Pawlow war, folglich nicht der Anochin geworden wäre, der er in Auseinandersetzungen mit dem alten Pawlow wurde. Auch für die Mitglieder der kulturhistorischen Schule bedeutete diese Phase, die mit dem 20. Parteitag der KPdSU endete, wenn auch nicht endgültig vorbei war, eine Herausforderung, die Beschränkungen mit wissenschaftlichen Argumenten zu überwinden (vgl. Lurias Darstellung seiner Pawlow-Phase, 1979, 104-137), und nicht eine völlige Verhinderung der Arbeit an Wygotskis Perspektive. Im Ergebnis stellt 147

sich sogar heraus, daß sowohl der "westliche 11 Behaviorismus, wie auch der sowjetische Pawlowismus die Kritik einer kulturhistorischen Psychologie nicht überstanden, daß beide vielmehr als Varianten e i ner mechanisch-materialistischen Psychologie dialektisch aufgehoben werden müssen (vgl. die Konversion von Michael Cole, die er im Nachwort zu Luria 1979 schildert). Aus der Sicht der hier zugänglichen Literatur kommt A.N. Leontjew das entscheidende Verdienst zu, die Basiskategorie der gegenständlichen Tätigkeit zum heute unumstrittenen Ausgangspunkt des kategorialen Umbaus der Psychologie erhoben zu haben (vgl. die Diskussion von A.A. Leontjew und Lomow 1980 und das erste Kapitel). Sowohl in Frankreich, durch Lucien Seves Arbeit, als auch in West-Berlin, durch die Kritische Psychologie, wurde Anfang der siebziger Jahre, relativ unabhängig von der aktuellen sowjetischen Psychologie, der Versuch gemacht, die zu entwickelnde materialistische Psychologie streng auf das Werk von Engels und Marx zu beziehen, wobei statt der Kategorie Tätigkeit die Basiskategorie der gesellschaftlichen Arbeit verwendet wurde. Behandeln wir zuerst die Arbeit von S&ve, denn sie liegt kategorial gesehen vor den Leontjewschen Arbeiten. Seves Text von 1972 ist in zweierlei Hinsicht außergewöhnlich: Erstens ist er das Produkt der Arbeit eines psychologischen Laien, die nicht auf dem aktuellen Stand der Psychologie, weder der materialistischen, noch der übrigen Psychologie, ausgeführt wurde. Aber zweitens ist sie dennoch eine für die materialistische Psychologie grundlegende Arbeit, denn sie ist der Text eines materialistischen Philosophen, der den Psychologen ihre Aufgabe klarmacht, indem er psychologische Unkenntnis schafft (wie der schöne Begriff von Kuczynski lautet, 1978, 125 f), durch die Formulierung zweier zusammengehöriger Probleme: "Es entzieht sich bisher der Kenntnis, wie eigentlich jene Einheit des Psychischen beschaffen sein soll, die bewirkt, daß es sich qualitativ von der Nerventätigkeit unterscheidet, und doch nichts anderes ist als diese. ... (Und) leider entzieht es sich bisher der Kenntnis, wie eigentlich jene Besonderheit der psychologischen Persönlichkeit beschaffen sein soll, die bewirkt, daß sie sich qualitativ von allen gesellschaftlichen Gegebenheiten unterscheidet und doch durchgängig gesellschaftlich ist" (1972, 3o f, im Original kursiv). Für mich persönlich hat diese doppelte Problemstellung von S&ve außerordentlich große Bedeutung gehabt, und hat sie noch, denn ich bin der festen Überzeugung, daß beide Probleme immer noch ungelöst sind, wenngleich auch gesagt werden muß, daß wir sie heute wesentlich schärfer stellen können. Ich h o f f e mit der Entwicklung des Konzepts der rekursiven Selbstähnlichkeit zu dieser verbesserten Problemstellung beigetragen zu haben. Im Licht dieses Modells wäre S&ves Frage so zu stellen: Wie sind die Übergänge vom oberen Kontext zu den psychologischen Prozessen und weiter zum unteren Kontext genau zu beschreiben und zu erklären, welche spezifischen Mittel gehören zu den jeweiligen Ebenen? Wenn wir von diesem Problem aus das Jahrzehnt betrachten, das seit den ersten Arbeiten der Kritischen Psychologie vergangen ist, was läßt sich an Entwicklung ausmachen? 148

Meine These heißt: Die Entwicklung der materialistischen Psychologie in Westdeutschland und West-Berlin in den 70er Jahren ist gekennzeichnet durch die Überschreitung der Basiskategorie der materiellen Lebensprozesse, und durch die Dominanz der Grundkategorie gesellschaftliche Arbeit unter dem Primat der Entwicklung. Nachdem zunächst die gegenständlichen Verhältnisse der Menschen (zum Teil unter dem Primat der Erkenntnisproduktion) im Vordergrund der Analyse standen, werden in letzter Zeit verstärkt weitere Ebenen der Subjektverhältnisse untersucht. Es kündigt sich somit bereits die Realisierung des Übergangs zur Basiskategorie der Praxis im Gemeinwesen an, der mit einer Rezentrierung auch in die Praxen der Psychologie verbunden sein wird, die wir in unserer programmatischen F o r derung der Entwicklung durch Selbstanwendung (vgl. Seeger 1977, Bromme & Homberg 1976, Raeithel 1980 und 1980 a, sowie das erste Kapitel) abstrakt vorweggenommen haben. Die behauptete Tendenz des Übergangs zur Praxiskategorie kann etwa daran abgelesen werden, daß Klaus Ottomeyer in einer Replik auf den Vorwurf, er sei ein 11 spontane istischer Subjektivist 11 , folgendes schreibt: "Ich habe - entgegen etwa dem interaktionistisch-psychoanalytischen Praxisbegriff, der der Theorie vom 'Neuen Sozialisationstyp 1 zugrundeliegt - einen Praxisbegriff, der sehr stark um die menschliche Arbeit, die allgemeinen Notwendigkeiten und Möglichkeiten solidarischer Vergegenständlichung und Aneignung zentriert ist" (1980, 170). Ottomeyer soll hier stellvertretend für diejenigen s t e hen, die von soziologischer Seite an die Entwicklung einer materialistischen Theorie herangehen, die daher völlig folgerichtig eher Subjektbeziehungen in mehreren Ebenen des oberen Kontexts untersuchen, und eine Zeitlang geneigt waren oder auch nur verdächtigt wurden, den gegenständlichen Verhältnissen der Menschen, mithin dem Arbeitsprozeß, zu wenig Beachtung zu schenken. Ein weiterer Beleg ist Klaus Holzkamps Artikel zur "Kritisch-psychologischen Theorie der Subjektivität" (1979) in dem der Begriff "SubjektVerhältnis" im Kontrast zu "Instrumentalverhältnis" begründet wurde. Es fragt sich aber: Welche Zentrierung in die Subjekte ist die Voraussetzung dafür, daß die nächste Stufe für die Entwicklung der materialistischen Psychologie erreicht werden kann? Es gibt nämlich zwei mögliche Zentrierungen: Erstens die unmittelbare Rückkehr in die Urzentrierung und zweitens das Aufsteigen zur Rezentrierung. Was von beidem ist richtig? Sollen wir Marx folgen, der zur rezentrierten Reflexionsstufe aufstieg, und in seinen "Thesen zu Feuerbach" behauptete, daß der Materialismus auch subjektiv sein muß, daß aber das Gemeinwesen als höheres Subjekt nicht mit den Personen, die es doch ausmachen, identisch ist, sondern im Gegenteil als eine Art von "automatischem Subjekt" (Althusser) beschrieben werden kann, das Praxisordnungen aufweist, die hinter dem Rücken der einzelnen Personen, sogar entgegen ihren Absichten sich reproduzieren können? Dies scheint zu bedeuten, daß wir uns endgültig von der Psychologie e n t fernen, indem wir die Personen als bloße Mittel des Gemeinwesens betrachten. Das aber darf doch gerade nicht unsere Absicht als Psychologen sein, wenn wir gleichzeitig politische Menschen sein und 149

als solche handeln wollen: Die allgemeine Zweck-Mittel-Verkehrung der bürgerlichen Gesellschaft, die Marx bereits aus urzentrierter Position festhielt, ist doch gerade im allgemeinen Interesse der "Klienten 11 der Psychologen zu überwinden. Es kommt darauf an, den kooperierenden Subjekten, die an diesen verkehrten Verhältnissen leiden, Mittel der sozialen Selbst regulation zugänglich zu machen, die als besondere Fähigkeiten bereits existent sind, aber t h e o r e tisch und praktisch verallgemeinert werden müssen. Wenn die Interpretation der Produktionsverhältnisse als " a u t o m a tisches Subjekt" durch Althusser richtig wäre, dann bliebe nur e n t weder die Ablehnung einer materialistischen Subjektwissenschaft durch Zentrierung in das "automatische Subjekt", oder die Ergänzung der materialistischen Theorie durch eine anderswo hergeholte Theorie der personalen Subjektivität, d.h. die unmittelbare Rückkehr in die Urzentrierung des persönlichen Selbstbewußtseins. Was also tun in diesem augenscheinlichen Dilemma? Ein guter Rat in solchen Dilemmata ist immer: Mach es Dir nicht leicht, wähle den schwierigeren Weg, mach beides gleichzeitig! Genau diesen Rat gibt uns Lucien Sbve, der das obige Dilemma der materialistischen Psychologie als erster glasklar herausgearbeitet hat (1972, 64-77), und genau diesen schwierigen Weg wählten wenig später die Kritischen Psychologen: Durch die Rezentrierung in das von den Personen verschiedene Gemeinwesen hindurch muß gegangen werden, um später wieder zu den Personen und ihrer individuellen Entwicklung zurückzukommen. Es darf also weder in der Rezentrierung stehengeblieben, noch kurzschlüssig und unmittelbar zur Urzentrierung zurückgekehrt werden, ein Drittes ist zu tun, beide Sichtweisen sind zusammenzubringen: "Sofern man der Oberfläche der bürgerlichen Gesellschaft aufsitzt und nur individuelle Subjekte und gesellschaftliche Verhältnisse begrifflich zulassen will, kann man niemals verstehen, wie Menschen bewußten Einfluß auf ihre gesellschaftlichen Daseinsumstände gewinnen können, denn das jeweils einzelne Subjekt kann als solches naturgemäß gesellschaftliche Verhältnisse nicht ändern, sondern steht ihnen im Zustand der Ausgeliefertheit und Machtlosigkeit gegenüber. ... Demgemäß können die individuellen Subjekte stets nur in dem Maße Einfluß auf ihre eigenen relevanten Lebensbedingungen, die ja immer gesellschaftliche Lebensbedingungen sind, gewinnen, wie sie Gruppen oder Klassen in gleicher objektiver Lage als gesellschaftlichen Subjekten mit historisch bestimmendem Einfluß zugehören und somit im Beitrag zur bewußten gesellschaftlichen Realitätskontrolle auch die Kontrolle über ihre eigenen Daseinsumstände erhöhen" so faßt Holzkamp das Problem (1978, 214 f) im Eröffnungsvortrag zum ersten Kongreß für Kritische Psychologie 1977. Was sagt uns Holzkamp hier? Er verweist darauf, daß es ein Mittleres zwischen dem "automatischen Subjekt" und den personalen Subjekten gibt: Die bewußte Kooperation von Personen ist ihr Mittel, um die Verhältnisse zu verändern. Die sozialen Verhältnisse sind mit den Personen über ihren Zusammenschluß in der Praxis, über den sozialen Verkehr vermittelt; indem sie miteinander tätig sind, können sie einander entwickeln und schaffen dabei die Verhältnisse, das 150

Gemeinwesen, als ihr eigenes, und doch von ihnen unabhängiges, mit ihnen nicht identisches Produkt. Dabei wird stets ein nicht antizipierter "Zuschuß" produziert, auch das Resultat der sozialen Praxis darf nicht teleologisch als bloße Umsetzung einer Antizipation verstanden werden. Zum Abschluß dieses Exkurses über die Begründung der materialistischen Psychologie in der allgemeineren materialistischen Theorie muß aber noch auf folgendes hingewiesen werden: Weder Lucien Seve, noch die Kritischen Psychologen haben die Notwendigkeit der Aufhebung der Arbeitskategorie in der Praxiskategorie explizit ausgearbeitet. Bei Seve findet sich nicht einmal das Stichwort "Praxis" im Sachverzeichnis, und die Kritischen Psychologen, besonders die Mitglieder des Projekts "Automation und Qualifikation" (PAQ) dominierten den zweiten Kongreß für Kritische Psychologie (1979) mit ihrer These, daß die Kategorie der "gesellschaftlichen Arbeit" der nicht überschreitbare Ausgangspunkt der materialistischen Psychologie sei. Frigga Haug, die Leiterin des PAQ, bringt die gemeinsame Überzeugung der damals Beteiligten zum Ausdruck, wenn sie in der Einleitung zum 1. Band des Kongreßberichts schreibt: "In diesem Gegeneinander hier Grundbegriffe, dort Praxis (gemeint ist hier die Psychologenpraxis, A.R.) - läßt sich kaum fruchtbar streiten. Dennoch ist das Problem der Grundbegriffe und ihrer Herleitung für eine Theorie e n t scheidend, weil am Ende die konkrete Praxis, die als Handlungsaufforderung aus der Theorie folgt, von der richtigen Bestimmung des Ausgangspunktes abhängt" (1980 a, 23). Im weiteren wird nun zu zeigen sein, daß der Ausgangspunkt weder in einzelnen Texten von Marx und Engels zu suchen ist, wie Lucien Seve ein für alle mal zeigte, noch aber auch in einzelnen Basiskategorien, sondern nur in der gesamten Entwicklungslogik der materialistischen Theorie zu finden sein wird. Es handelt sich folglich garnicht um einen Punkt, sondern um eine Ordnung der theoretischen und realisierenden Praxis, um eine Methode der Weltveränderung durch Reflexion und Realisierung, die aufzufinden ist: "Es ist klar, daß der methodische Weg, auf welchem im Alltagsleben der bürgerlichen Gesellschaft das bloß orientierende durch begreifendes Erkennen überwindbar ist, nicht mit der Marxschen 'Methode 1 der Kritik der Politischen Ökonomie identisch sein kann. Ebenso klar ist es, daß zwischen dem Prozeß des Begreifens der b ü r gerlichen Gesellschaftsstruktur durch Menschen innerhalb ihrer alltäglichen Praxis und dem Erkenntnisprozeß der Kritik der Politischen Ökonomie dennoch wesentliche Gemeinsamkeiten bestehen müssen", schreibt Holzkamp 1973 (365). Die materialistische Methode ist ein theoretisches und ein praktisches "Mittel zur Erkenntnis der bürgerlichen Klassenwirklichkeit" (aaO, 366) und zu ihrer Veränderung. Dies gilt es im folgenden an der Entwicklung der materialistischen Theorie selbst aufzuweisen.

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3.6 Zweite Phase: Das Gemeinwesen als Produktionsprozeß Wir waren stehengeblieben bei einer sehr allgemeinen Charakterisierung der dezentrierten, zweiten Phase: Marx 1 neues Mittel zur R e flexion auf den gesellschaftlichen Gesamtprozeß war der Begriff der entfremdeten Arbeit. Aus dem Exkurs hat sich nun die These ergeben, daß dieser Arbeitsbegriff in den Begriff der Praxis aufgehoben werden muß, wenn die materialistische Auffassung der Arbeit rekonstruiert werden soll. Dies heißt aber auch, daß ein Arbeitsbegriff vor dieser Aufhebung noch nicht vollständig entwickelt sein kann. Um welchen Arbeitsbegriff handelt es sich hier, in der dezentrierten Phase der Entwicklung der materialistsichen Theorie? Betrachten wir dazu die Einzelheiten seiner Entwicklung in den "ökonomisch-philosophischen Manuskripten". Nach Lapins textkritischer Analyse (1974, 301-422) läßt sich folgende Rekonstruktion der Arbeit von Marx im Zeitraum von Januar bis August 1844 belegen (ich wähle eine tabellarische Form, um eine erste Übersicht zu erleichtern, Zahlen in Schrägstrichen sind die Belegstellen in Lapins Text). 1. Erstes Manuskript: Erste ökonomische Studien zur Konkurrenz führen zum Problem der Arbeitsteilung und zum Beweis, daß die Lohnarbeiter unter allen Bedingungen ausgebeutet werden. Daraus wird der Begriff der entfremdeten Arbeit gebildet, seine "vier Bestimmungen" untersucht und abschließend werden zwei neue Probleme formuliert: Das "allgemeine Wesen des Privateigentums" ist zu bestimmen, und die Geschichte der Entfremdung ist aufzudecken /304-342/. Im einzelnen: 1.0 Exzerpthefte 1-3 zu Say, Skarbek, Smith: Marx exzerpiert fast ohne Kommentare, mit dem Hauptziel, die Entstehung des Privateigentums zu klären. In Heft 2 und 3 konzentriert er sich auf Smith und die drei Quellen des Einkommens /306-312/. 1.1 Teil 1 des 1. Msk. (Blatt I-VII): Marx trägt zunächst in den Spalten "Kapitalprofit" und "Grundrente" Zitate aus den Exzerptheften zusammen, die belegen, daß die Konkurrenz das allgemeine Merkmal für die Entwicklung aller drei Einkommensarten ist, daß Teilung der Arbeit und Fortschritte der Produktivität nur den Gewinn des Kapitalisten erhöhen, daß Konkurrenz und Kapitalakkumulation im Sinn der Konzentration des Kapitals zusammenwirken. In der Spalte "Arbeitslohn" zieht Marx sodann die Folgerungen für die Lage der Lohnarbeiter: Wie auch immer die volkswirtschaftliche Entwicklungstendenz, die Lohnarbeiter gewinnen nichts, sondern leben allenfalls im "stationären Elend". Er konfrontiert sodann dieses Ergebnis mit der ökonomischen Grundthese, daß Kapital nur aufgehäufte Arbeit ist, daß die Arbeit alle Produkte s c h a f f t , obwohl doch die Arbeiter in Wirklichkeit nur das Lebensnotwendige und weniger erhalten. Auf Blatt VII schreibt Marx über alle drei Spalten, und endet mit zwei Problemen: Wie ist es in der Entwicklung zur "Reduktion des größten Teils der Menschheit auf die abstrakte Arbeit" (ÖPhM 477 = MEW Erg.Bd.1, 477) gekommen, wie geht die Entwicklung weiter? Und: 152

Was folgt daraus für die Politik der sozialen Revolution? / 3 1 2 324/. 1.2 Teil 2 des 1. Msk. (Blatt VIII-XV): Wiederum beginnt Marx mit der Spalte "Kapitalprofit". Er untersucht zunächst noch gründlicher die Entwicklungsgesetze der Konkurrenz, hebt den allseitigen Vorteil des großen Kapitals heraus. Danach zitiert Marx nicht mehr bürgerliche Ökonomen, sondern Wilhelm Schulz und Constantin Pecqueur, einen revolutionären Demokraten und einen s o zialistischen Ökonomen. Von Schulz übernimmt er die Ansicht, daß das wesentliche Moment des großen Kapitals in der koordinierten Anwendung neuer Arbeitsmittel besteht. Von Pecqueur, daß der A r beiter seine Arbeit vermieten muß, sich damit in die Herrschaft begibt, daß der Kapitalist jedoch die Arbeitsmittel "vermietet", und dadurch seine Freiheit gewinnt. Erst jetzt zitiert Marx auch Ricardo: "Die Nationen sind nur Ateliers der Produktion, der Mensch ist eine Maschine zum Konsumieren und Produzieren; das menschliche Leben ein Kapital; die ökonomischen Gesetze regieren blind die Welt. Für Ricardo sind die Menschen nichts, das Produkt alles" (ÖPhM 494). Sodann (z.T. auch parallel) trägt Marx die entsprechenden Zitate in die Spalte "Arbeitslohn" ein, die die Entwicklung der Arbeitsteilung b e t r e f f e n (wiederum aus Schulz1 Werk "Bewegung der Production"): Einförmigkeit und e x treme Zerlegung der Industriearbeit, der Gewinn an Zeit wird ganz vom Kapital usurpiert, die Zahl der Arbeiter hat enorm zugenommen, dabei werden Frauen und Kinder einbezogen. Von Pecqueur zitiert er dessen Bild der industriellen Armee, deren einzelne Soldaten, "um der harten Notwendigkeit des Hungers zu entwischen", gezwungen sind, "ihre Person und ihre Kraft für den Preis, den man ihnen akkordieren will, anzubieten" (ÖPhM 483) /324-326/. — Lapin ist an dieser Stelle inhaltlich ungenau, da er die Einzelheiten über Arbeitsteilung e t c . übergeht, in denen jedoch, wie ersichtlich, schon wesentliche Elemente für die Theorie der Entwicklung der Produktivkräfte stecken, zu der Marx in dieser Phase allerdings keine eigenständigen Gedanken vorträgt. 1.3 Abschluß des Grundrententeils (Blatt XVI-XI): Marx analysiert hier völlig eigenständig die Entwicklung des Grundeigentums. Er kann dazu bereits auf frühere Analysen von 1842/43 (Holzdiebstahlsfrage, Moselbauern) zurückgreifen. Neu ist eine Analyse der Abhängigkeit der Grundrente von der Bodenqualität, Lage etc., und neu ist die Folgerung, daß die Teilung des Grundbesitzes und dessen Übergang in die Hände des Kapitals dazu führt, daß es "im großen und ganzen nurmehr 2 Klassen der Bevölkerung gibt, die Arbeiterklasse und die Klasse der Kapitalisten" (ÖPhM 505). Marx zeigt, daß ein großer Teil der Grundbesitzer sein Eigentum verlieren und zum Proletariat herabsinken wird, andererseits wird das Kapital immer mehr Grund besitzen: "Das führt dann notwendig zur Revolution. Das Grundeigentum muß sich auf jede der beiden Weisen entwickeln, um in beiden seinen notwendigen Untergang zu erleben, wie auch die Industrie in der Form des 153

Monopols und in der Form der Konkurrenz sich ruinieren mußte, um an den Menschen glauben zu lernen" (ÖPhM 510) /326-329/. 1.4 Die entfremdete Arbeit (Blatt XXII-XXVII): Dies ist das erste Resümee von Marx 1 ökonomischen Studien. Ich werde gleich nach dem Ende der Tabelle darauf eingehen /329-342/. 2. Zweites Manuskript, Mill-Exzerpte, drittes Manuskript, Artikel zum Weberaufstand: Diese zweite Etappe der 8 Monate von 1844 e r bringt die Synthese aus den bisherigen Arbeiten von Marx. Hier führt er erstmals alle drei Quellen (Ökonomie, Philosophie, Sozialismus bzw. Inhalt, Methode, Perspektive) zusammen und versucht eine erste Geschichte der Entfremdung der Arbeit durch fortschreitende Arbeitsteilung /343-422/. Im einzelnen: 2.0 Exzerpthefte 4 und 5: Ricardo, Mill, Sismondi, Quesnay, Malthus und weitere Autoren, oft mit ausführlichen Korrimentaren (besonders zu Mill, MEW Erg.Bd.l, 445-463), werden von Marx studiert /344-355/. 2.1 Zweites Manuskript (größtenteils verloren): Vermutlich hat Marx hier fünf Etappen der Entwicklung der entfremdeten Arbeit theoretisch e n t f a l t e t , die Lapin zu rekonstruieren versucht hat /355-364/. 2.2 Teil 1 des dritten Manuskriptes (Blatt I-XI): Marx zieht, nach einigen Anmerkungen zum verlorenen 2. Manuskript, politische Folgerungen aus den bisherigen Untersuchungen zur Entwicklung der entfremdeten Arbeit und begründet die historische Notwendigkeit des Kommunismus /364-379/. 2.3 Aufarbeitung der Weberaufstände in Schlesien (Juni 1844): Diese Arbeit schlägt sich nicht unmittelbar in den vorhandenen Manuskripten nieder, sie könnte im 2. Manuskript enthalten sein (dann wäre jedoch die Reihenfolge zu ändern). Marx' Artikel zum Weberaufstand (MEW 1, 392-409) erscheint am 7. und 10. August. Am 11. August schreibt Marx ganz spontan an Feuerbach (MEW 27, 425): "Sie haben - ich weiß nicht, ob absichtlich - in diesen Schriften ("Philosophie der Zukunft" und "Wesen des Glaubens" A.R.) dem Sozialismus eine philosophische Grundlage gegeben". Weil aber Marx mit keinem Wort erwähnt, daß Feuerbach ihn auf die zweite Hegel-Kritik gebracht hat, nehme ich an, daß dieser Brief, und damit auch der Artikel zu den Weberaufständen, noch vor der Abfassung des zweiten Teils des dritten Manuskripts liegt, der mit der Würdigung des Fortschritts von Feuerbach gegenüber Hegel beginnt. Außerdem h ä t t e Marx sehr gut deswegen spontan an Feuerbach schreiben können, weil er kürzlich erst den ersten Teil mit den Worten: "Der Kommunismus ist die n o t wendige Gestalt und das energische Prinzip der nächsten Zukunft" (ÖPhM 546) abgeschlossen h a t t e , und dem Mann danken wollte, dessen Zentralbegriff bei der Erzielung dieses Ergebnisses so wichtig war. Lapin vermutet eine noch frühere Entstehung des Weber-Artikels, damit würde das ganze dritte Manuskript nach dem ersten Augustdrittel datiert /403-422/. 2.4 Teil 2 des dritten Manuskripts (Blatt XII-XLIII): Marx beginnt 154

mit einer Würdigung des Fortschritts von Feuerbach über Hegel, behandelt dann die Perversion der Bedürfnisse durch die kapitalistischen Verhältnisse, geht wiederum auf Hegel ein, behandelt den Fetischismus des Geldes, und entdeckt endlich den rationalen Kern bei Hegel: "daß er das Wesen der Arbeit faßt" (ÖPhM 574). Marx schließt mit der Feststellung, Teilung der Arbeit und Austausch seien vorrangig zu untersuchen /379-403/. Wenn wir die soeben skizzierte Arbeit von Marx in der zweiten Phase auf den wesentlichen Punkt zusammendrängen, dann ergibt sich folgendes Bild: Marx benutzt seinen realen Standpunkt außerhalb der materiellen Produktion dazu, ein objektives Bild von der Einheit der mannigfaltigen Bewegungen der Produktionsprozesse und der Geschichte dieser Bewegungen zu entwerfen. Die dezentrierte Position war ihm in der ersten Phase nicht möglich, da er dort das allgemeine Verhältnis von Bourgeois und Citoyen untersuchte, und selbst auch unter dem Zwang dieser abstrakten Rollen stand. Nun aber, da er selbst weder Grund noch Kapital besitzt, und auch kein Lohnarbeiter ist, kann er den Standpunkt des Wirtschaftswissenschaftlers außerhalb der Produktion einnehmen, und diese als einen Naturprozeß mit eigener Gesetzmässigkeit analysieren. Aus den gewonnenen Gesetzmäßigkeiten lassen sich durch Synthese auch neue Erkenntnisse über die mögliche Zukunft der Entwicklung des Produktionsprozesses auffinden. Marx 1 Denkprozeß in dieser Phase ist eine äußere Reflexion im Sinne Hegels, die der synthetischen Methode entspricht (vgl. Furth 1980 b, 77): "Das synthetische Erkennen geht auf das Begreifen dessen, was ist, d.h. darauf, die Mannigfaltigkeit von Bestimmungen in ihrer Einheit zu erfassen" (Hegel, HW 6, 511). Hegel hebt hervor, daß das synthetische Erkennen insofern eine höhere Reflexionsstufe als die analytische Erkenntnis ist, als nicht mehr von abstrakten Setzungen ausgegangen wird, sondern vom Verhältnis der verschiedenen analytischen Begriffe. Aber die noch vorhandene Beschränktheit der synthetischen Erkenntnis, der äußeren Reflexion, gegenüber der höheren Stufe des dialektischen Erkennens, der bestimmenden Reflexion, liegt darin, daß diese Verhältnisbestimmungen noch nicht aktiv vermittelt werden, "wodurch der Begriff als Subjekt" (aaO) wäre. Soll heißen: Erst durch die Rezentrierung können die Verhältnisse als Verhältnisse von Subjekten, als deren Produkt und Form insgesamt überblickt und gestaltet werden, während die dezentrierte Sicht weise, die äußere Reflexion, es lediglich g e s t a t t e t , einzelne Ableitungsergebnisse aufzufinden: "Dies Erkennen verwandelt die objektive Welt daher zwar in Begriffe, aber gibt ihr nur die Form nach den Begriffsbestimmungen und muß das Objekt nach seiner Einzelheit, der bestimmten Bestimmtheit, finden; es ist noch nicht selbst bestimmend" (aaO, 512). Damit können wir zu der Frage zurückkehren, welcher Arbeitsbegriff im Schritt 1.4 der zweiten Phase durch Marx entwickelt wurde. Auf welchem Material konnte Marx seine Verallgemeinerung der e n t fremdeten Arbeit aufbauen? Er entdeckte zunächst, daß die Konkurrenz ein allgemeines dynamisches Prinzip ist, und versteht sie als eine 155

Art der Kooperation, im Sinn von koordinierten Operationen; eben konkurrente, zusammen und gegeneinander ablaufende Tätigkeiten, die zu bestimmten Resultaten konvergieren: den einzelnen Einkommensformen. Geradeso, wie der "Marktpreis nach dem natürlichen Preis als Zentralpunkt 11 strebt (ÖPhM 472), sammelt sich die "aufgespeicherte Arbeit" (484) bei immer weniger Kapitalisten an, die dadurch ein immer größeres Potential an Produktionsmöglichkeiten gewinnen, das sie in von ihnen gewählten Richtungen aktivieren können, während die Arbeiter nur ihre konkrete, speziell ausgebildete Arbeitsfähigkeit besitzen, was ihnen zum Nachteil gereicht: "Bei der Arbeit tritt die ganze natürliche, geistige und soziale Verschiedenheit der individuellen Tätigkeiten heraus und wird verschieden belohnt, während das t o t e Kapital immer denselben Tritt geht und gleichgültig gegen die wirkliche individuelle Tätigkeit ist" (472). Mehr beiläufig noch notiert Marx die Tendenz, daß mit der Entwicklung der Produktivkräfte diese Tätigkeiten aus komplexen handwerklichen zu maschinenhaften zerstückelten Aktivitäten werden, daß deren Zusammenfügung, Koordination zum gesamten Produktionsprozeß die einzige Tätigkeit der Kapitalisten ist, keine produktive Arbeit folglich, sondern nur der steuernde Teil des tätigen Pols der konkreten Produktionsf unkt ion. Aus dieser Materialfülle ist nunmehr die Einheit in der Vielfalt herauszuheben, aber anders als die Wirtschaftswissenschaftler es taten: "Die Nationalökonomie geht vom Faktum des Privateigentums aus. Sie erklärt dasselbe nicht. Sie faßt den materiellen Prozeß des Privateigentums, den es in der Wirklichkeit durchmacht, in allgemeine, abstrakte Formeln, die ihr dann als Gesetze gelten. Sie begreift diese Gesetze nicht, d.h. sie zeigt nicht nach, wie sie aus dem Wesen des Privateigentums hervorgehen. ... Wir haben also jetzt den wesentlichen Zusammenhang ... zu begreifen. Versetzen wir uns nicht wie der Nationalökonom, wenn er erklären will, in einen nur erdichteten Urzustand. Ein solcher Urzustand erklärt nichts. Er schiebt bloß die Frage in eine graue, nebelhafte Ferne. Er unterstellt ... was er deduzieren soll, nämlich das notwendige Verhältnis zwischen zwei Dingen, z.B. zwischen Teilung der Arbeit und Austausch. ... Wir gehen von einem nationalökonomischen, gegenwärtigen Faktum aus. Der Arbeiter wird umso ärmer, je mehr Reichtum er produziert, je mehr seine Produktion an Macht und Umfang zunimmt. Der Arbeiter wird eine umso wohlfeilere Ware, je mehr Waren er s c h a f f t . ... Die Arbeit produziert nicht nur Waren; sie produziert sich selbst und den Arbeiter als eine Ware, und zwar in dem Verhältnis, in welchem sie überhaupt Waren produziert. "Dies Faktum drückt weiter nichts aus als: Der Gegenstand, den die Arbeit produziert, ihr Produkt, tritt ihr als ein fremdes Wesen, als eine von dem Produzenten unabhängige Macht gegenüber. Das Produkt der Arbeit ist die Arbeit, die sich in einem Gegenstand f i xiert, sachlich gemacht h a t , es ist die Vergegenständlichung der Arbeit. Die Verwirklichung der Arbeit ist ihre Vergegenständlichung. Diese Verwirklichung erscheint in dem nationalökonomischen Zustand als Entwirklichung des Arbeiters, die Vergegenständlichung als V e r lust und Knechtschaft des Gegenstandes, die Aneignung als E n t f r e m 156

dung, als Entäußerung" (ÖPhM, 510 f f ) . Es ist äußerst wichtig, folgende zwei Punkte zu betonen: Marx will hier ausdrücklich nicht ein "ewiges" Verhältnis zwischen Mensch und Natur herausheben, sondern den Zustand in der Mitte des 19. Jahrhunderts beschreiben. Und: Marx unterscheidet sehr genau zwischen Vergegenständlichung, als allgemeinem Merkmal des Arbeitsprozesses, und Entfremdung als besonderem Merkmal des "nationalökonomischen Zustands", also der frühindustriellen Produktion dieser Zeit. Dies ist wichtig, weil es heute Theoretiker gibt, die in der Nachfolge der Kritischen Theorie Vergegenständlichung und Entfremdung in den Unbegriff der Verdinglichung zusammenwerfen, die dann zum allgemeinen Merkmal des auf "zweckrationales Handeln" reduzierten Arbeitsprozesses hypostatiert wird (vgl. dazu wiederum Furth 1980 a und c). Es besteht folglich kein Zweifel daran, daß der Begriff der entfremdeten Arbeit hier Arbeiten im materiellen Produktionsprozeß unter kapitalistischen Verhältnissen erfaßt, in dem den Arbeitern ihr eigenes Produkt nicht mehr gehört, sondern ihnen sogar (auf noch nicht detailliert analysierte Weise) als die fremde Macht des Kapitals wieder gegenübertritt. Mit diesem Denkmittel gewinnt Marx nun schrittweise eine Hypothese über den Ursprung des Privateigentums als einer Reihe von Trennungen: Zunächst wird der Arbeiter vom Produkt seiner Arbeit getrennt, dann aber (2.) wird ihm auch seine eigene Tätigkeit etwas Fremdes: "Der Arbeiter fühlt sich ... erst außer der Arbeit bei sich und in der Arbeit außer sich. ... Seine Arbeit ist daher nicht f r e i willig, sondern gezwungen, Zwangsarbeit. Sie ist daher nicht die Befriedigung eines Bedürfnisses, sondern sie ist nur ein Mittel, um Bedürfnisse außer ihr zu befriedigen" (ÖPhM 514). Aber nicht nur wird der einzelne Arbeiter damit sich selbst entfremdet, sondern er bleibt auch (3.) hinter dem wesentlichen Merkmal der Menschengattung zurück: "Eben in der Bearbeitung der gegenständlichen Welt bewährt sich der Mensch ... erst wirklich als Gattungswesen. Diese Produktion ist sein werktätiges Gattungsleben. Durch sie erscheint die Natur als sein Werk und seine Wirklichkeit. Der Gegenstand der Arbeit ist daher die Vergegenständlichung des Gattungslebens des Menschen: indem er sich nicht nur wie im Bewußtsein intellektuell, sondern werktätig, wirklich verdoppelt und sich selbst daher in einer von ihm geschaffenen Welt anschaut. Indem daher die entfremdete Arbeit dem Menschen den Gegenstand seiner Produktion entreißt, entreißt sie ihm sein Gattungsleben, seine wirkliche Gattungsgegenständlichkeit" (517). Und schließlich trennt die Entfremdung des Produzenten von seinem Produkt (4.) auch die Menschen untereinander: "Was von dem Verhältnis des Menschen zu seiner Arbeit, zum Produkt seiner Arbeit und zu sich selbst, das gilt von dem Verhältnis des Menschen zum a n dren Menschen, wie zu der Arbeit und dem Gegenstand der Arbeit des andren Menschen" (518). Eine allgemeine Form dieser Trennung ist die Konkurrenz, die besondere Form aber die Spaltung in Kapitalisten und Lohnarbeiter, denn: "Das fremde Wesen, dem die Arbeit und das Produkt der Arbeit gehört, in dessen Dienst die Arbeit und zu dessen Genuß das Produkt der Arbeit steht, kann nur der Mensch selbst sein" 157

(aaO). Daraus folgt nun, daß das Privateigentum durch die Aneignung des Arbeitsprodukts entsteht: "Also durch die entfremdete, äußere Arbeit erzeugt der Arbeiter das Verhältnis eines der Arbeit fremden und außer ihr stehenden Menschen zu dieser Arbeit. Das Verhältnis des Arbeiters zur Arbeit erzeugt das Verhältnis des Kapitalisten zu derselben ... Das Privateigentum ist also das Produkt, das Resultat, die notwendige Konsequenz der entäußerten Arbeit, des äußerlichen Verhältnisses des Arbeiters zur Natur und zu sich selbst" (519 f). Marx meint jedoch nicht, damit bereits eine historische Erklärung gefunden zu haben, es handelt sich vielmehr um eine dynamische Erklärung im kapitalistischen System. Für die weitere Arbeit stellt er sich zwei Probleme: 1. im Kontrast zum Privateigentum das "wahrhaft menschliche und soziale Eigentum" genau zu bestimmen, und 2. die Entstehung des Privateigentums im "Entwicklungsgang der Menschheit" zu suchen. Kurz nach dieser Aufgabenstellung bricht das erste Manuskript ab und Marx beginnt die zweite Etappe der dezentrierten Phase (Schritte 2.0 bis 2.4). Welchen Begriff vom Gemeinwesen hat Marx nunmehr gewonnen? Inwiefern ist er über den vorherigen Bägriff des sozialen Gattungswesens hinausgegangen? In der urzentrierten Phase h a t t e Marx das G a t tungswesen abstrakt gesetzt als ursprüngliche Verbundenheit der Subjekte miteinander, und dann festgestellt, daß die Dynamik des Privateigentums alle Verbindungen zerreißt und die Subjekte als isolierte Monaden gegeneinander stellt. Nunmehr, in der Dezentrierung, betrachtet er die Tätigkeit dieser isolierten Individuen als Produktion ihres Einkommens, und entdeckt eine gemeinsame Eigenschaft a l ler Subjekte: "Das praktische Erzeugen einer gegenständlichen Welt, die Bearbeitung der unorganischen Natur ist die Bewährung des Menschen als eines bewußten Gattungswesens. ... Zwar produziert auch das Tier. Es baut sich ein Nest, Wohnungen, wie die Biene, Biber, Ameise etc. Allein es produziert nur, was unmittelbar für sich oder sein Junges bedarf; es produziert einseitig, während der Mensch universell produziert; ... es produziert nur sich selbst, während der Mensch die ganze Natur reproduziert" (ÖPhM 516 f). Das Gemeinwesen liegt für Marx also im gemeinsamen Wesen der Menschen, in ihrem produktiven Verhältnis zur Natur, in dessen Universalität. Aber indem Marx nunmehr das Naturverhältnis betrachtet, auf den Arbeitsprozeß fokussiert, geht ihm die Beziehung der Personen untereinander verloren, die er in der urzentrierten Phase immerhin in abstrakter Form, als das spekulativ ursprüngliche Wesen der Menschen erfaßt h a t t e . Deutlichstes Symptom dafür ist die durchgängige Verwendung der Einzahl: "der Mensch" produziert universell, "der Arbeiter" wird immer ärmer, das fremde Wesen, dem das Produkt gehört, kann nur "der Mensch" sein und so weiter. Lucien Shve notiert, daß nach den Feuerbachthesen, die Marx erst noch schreiben wird, "jede philosopisch-humanistische Spekulation über 'den Menschen' im allgemeinen ... unwiderruflich disqualifiziert (ist). Von 'dem Menschen' in der Einzahl zu sprechen ist - außer im Sonderfall - eine Mystifikation" (1972, 68, in der Fußnote). Die neue Bestimmung des Gemeinwesens als Produktionsprozeß, der 158

zusammengesetzt ist aus den Aktivitäten der vielen einzelnen Produzenten, ist folglich noch keineswegs eine endgültige Bestimmung, vielmehr betrachtet Marx das Gemeinwesen immer noch als ein Subjekt, jetzt allerdings als ein produzierendes, arbeitendes Subjekt, das sich fortwährend vergegenständlicht in seinen Produkten und diese wiederum aneignet, wodurch es sich zurückgewinnt. Dies wäre nun nur der teleologische Arbeitsbegriff (vgl. Furth 1980 c), wenn Marx nicht außerdem die Scheidung der Gesellschaft in die zwei Klassen der Lohnarbeiter und der Kapitalisten, also die Unterschiede zwischen dem Subjekt der Vergegenständlichung und dem Subjekt der Aneignung, entdeckt und begrifflich erfaßt h ä t t e . Er kennt also andererseits zwei einander antagonistisch gegenüberstehende Subjekte, eben "den" Arbeiter und "den" Kapitalisten, deren Verhältnis kein soziales, im alten, urzentrierten Sinn, sondern ein gegenständlich vermitteltes ist: Was "der" Arbeiter produziert, e i g n e n d e r " Kapitalist sich an, wodurch sich die gegenständliche Macht ergibt, die "der" Kapitalist über "den" Arbeiter hat. Die klarste Form, die diese gegenständliche Vermittlung zwischen den beiden Subjekten a n nimmt, ist die des Geldes, das Marx daher in der zweiten Etappe nach allen möglichen Seiten untersucht. In den Bemerkungen von Marx, die er während des Lesens von James Mills "Elementen der politischen Ökonomie" machte (MEW Erg.Bd.l, 459 -463), läßt sich die Abstraktion der zwei Subjekte ("Du und ich") am klarsten aufweisen. Aber ebenso läßt sich zeigen, daß Marx zwischendurch bereits nahe daran kommt, die gegenständlichen Verhältnisse als gesellschaftliche Verhältnisse zu begreifen, um gleich wieder zurückzufallen, und die Individuen erneut mit der Gesellschaft zu identifizieren: "Der Austausch sowohl der menschlichen Tätigkeit innerhalb der Produktion selbst, als auch der menschlichen Produkte gegeneinander ist gleich der Gattungstätigkeit und Gattungsgeist, deren wirkliches, bewußtes und wahres Dasein die gesellschaftliche Tätigkeit und der gesellschaftliche Genuß ist. Indem das menschliche Wesen das wahre Gemeinwesen der Menschen, so schaffen, produzieren die Menschen durch Betätigung ihres Wesens das menschliche Gemeinwesen. ... Es hängt nicht vom Menschen ab, daß dies Gemeinwesen sei oder nicht; aber solange der Mensch sich nicht als Mensch erkennt und daher die Welt menschlich organisiert hat, erscheint dies Gemeinwesen unter der Form der Entfremdung. Weil sein Subjekt, der Mensch, ein sich selbst entfremdetes Wesen ist. Die Menschen, nicht in einer Abstraktion, sondern als wirkliche, lebendige, besondere Individuen sind dies Wesen. Wie sie sind, so ist es daher selbst" (aaO, 450 f ) . Noch klarer im l.Teil des dritten Manuskripts: "Es ist vor allem zu vermeiden, die 'Gesellschaft' wieder als Abstraktion dem Individuum gegenüber zu fixieren. Das Individuum ist das gesellschaftliche Wesen. Seine Lebensäußerung ... ist daher eine Äußerung und Bestätigung des gesellschaftlichen Lebens. Das individuelle und das Gattungsleben des Menschen sind nicht verschieden" (ÖPhM 539). Thomas Mies bemerkt treffend zu dieser Stelle: "Die Forderung des ersten Satzes ist mit der These des zweiten nicht in Übereinstimmung zu bringen. Wenn die gesellschaftliche Existenz des Men159

sehen ihre Realität in der Industrie haben soll, dann können Individuum und Gesellschaft nicht unmittelbar zusammenfallen. ... Das G e sellschaftliche muß daher eine eigenständige, materielle Realität gegenüber den Individuen besitzen, so sehr diese ihr eigenes Produkt ist" (1979, 119). Der damit ausgesprochene Widerspruch zwischen dem Gehalt des Marxschen Textes und Marx 1 bewußt gezogener Folgerung, die noch auf der Stufe der äußeren Reflexion verbleibt, die Verhältnisse zwischen den Gegenständen noch nicht als Subjektverhältnisse begreift, ist der Widerspruch, der zur Überwindung der aktuellen Stufe, zur Erreichung der rezentrierten Position führen wird. — Doch betrachten wir zunächst noch, welche Folgerungen sich für Marx aus dem gegenwärtigen Wissen über das Gemeinwesen als Produktionsprozeß im Hinblick auf die politische Strategie, und im Hinblick auf sein eigenes Verhältnis zur sozialen Bewegung ergeben. Da die Dezentrierung beim Reflektieren eine Position außerhalb des Reflexionsgegenstands impliziert, ist es die Regel, daß der so reflektierende Theoretiker seine politische Praxis vor allem als Aufklärung über die von ihm erkannten Zusammenhänge versteht. In seinem Artikel zum Weberaufstand formuliert Marx denn auch folgerichtig gegen Arnold Rüge, der wie die anderen Junghegelianer in urzentrierter Position verharrte, die Maxime: "Die einzige Aufgabe eines denkenden und wahrheitsliebenden Kopfes, angesichts des ersten Ausbruchs des schlesischen Arbeite rauf standes, bestand nicht darin, den Schulmeister dieses Ereignisses zu spielen, sondern vielmehr seinen eigentümlichen Charakter zu studieren" (MEW 1, 405 f ) , und diesen dann, wie durch die Publikation des Artikels im "Vorwärts !" geschehen, den kämpfenden Arbeiter zurückzuspiegeln, in verallgemeinerter, klarer Form. Wir können mit großer Sicherheit annehmen, daß der zweite Teil des dritten Manuskripts (wenn nicht sogar das ganze) erst nach diesem Artikel geschrieben wurde. Marx sieht die Arbeiterbewegung dort keineswegs mehr als sein Herz an, mittels dessen seine Theorie materielle Gewalt gewinnen kann, sondern er versucht, von den realen sozialen Bewegungen zu lernen, um die Ergebnisse seines Nachdenkens dann der Bewegung zurückzugeben. Zahlreiche Stellen in den "ökonomisch-philosophischen Manuskripten" weisen nämlich darauf hin, daß Marx in dieser Zeit sehr genau die realen Handwerker-Assoziationen von Paris beobachtet, mit den Mitgliedern des "Bunds der Gerechten" gesprochen hat. Lapin spricht davon, daß Marx eine Art Sozialpsychologie des Arbeiters in den Manuskripten untergebracht hat (1972, 403 f f ) . Eingedenk der Sevesehen Kennzeichnung der Manuskripte als "Schwachstelle" zwischen Marxismus und Psychologie sollten wir diesen Hinweis nur sehr vorsichtig aufnehmen. 3.7 Mittel der Überwindung der Dezentrierung: "Produktivkräfte und Verkehrsformen" Die sogenannte Psychologie von 1844 findet sich in den Abschnitten 4 und 5 des dritten Manuskripts (ÖPhM 539-546). Marx stellt sich 160

in diesem Teil der Arbeiten von 1844 Probleme, die er mit den Mitteln der zweiten Phase noch nicht angemessen lösen kann, die aber hier genannt werden müssen, damit erkennbar wird, wo die Entwicklungsnotwendigkeit des praktisch-theoretischen Systems der zweiten Phase liegen. Hier sei gleich angemerkt, daß der Haupt Widerspruch nicht in der Psychologie von 1844 liegt; es soll also nicht etwa die These vertreten werden, daß Marx durch ein psychologisches Problem zur nächsten Reflexionsstufe gekommen ist, sondern es sollen für die Psychologie wichtige ungelöste Probleme der Manuskripte genannt w e r den. Das e r s t e Problem ist folgendes: Was bedeutet die vollständige, soziale Emanzipation für das Leben und die Persönlichkeit der Menschen; kann der anzustrebende Zustand konkret geschildert werden, damit eine klare Perspektive erkennbar wird? Marx antwortet darauf folgendermaßen: "Die Aufhebung des Privateigentums ist ... die vollständige Emanzipation aller menschlichen Sinne und Eigenschaften; aber sie ist diese Emanzipation grade dadurch, daß diese Sinne und Eigenschaften menschlich, sowohl subjektiv als objektiv, geworden sind. Das Auge ist zum menschlichen Auge geworden, wie sein Gegenstand zu einem gesellschaftlichen, menschlichen, vom Menschen für den Menschen herrührenden Gegenstand geworden ist. ... Der Mensch verliert sich nur dann nicht in seinem Gegenstand, wenn dieser ihm als menschlicher Gegenstand oder gegenständlicher Mensch wird. Dies ist nur möglich, indem er ihm als gesellschaftlicher Gegenstand und er selbst sich als gesellschaftliches Wesen, wie die Gesellschaft als Wesen für ihn in diesem Gegenstand wird. Indem daher überall e i nerseits dem Menschen in der Gesellschaft die gegenständliche Wirklichkeit als Wirklichkeit der menschlichen Wesenskräfte, als menschliche Wirklichkeit und darum als Wirklichkeit seiner eignen Wesensk r ä f t e wird, werden ihm die Gegenstände als die Vergegenständlichung seiner selbst, als die seine Individualität bestätigenden und verwirklichenden Gegenstände, als seine Gegenstände, d.h. Gegenstand wird er selbst" (ÖPhM, 54o f ) . Wir erkennen leicht, daß in dieser abstrakt-individuellen Fassung des Problems kein Weg zu diesem idealen Zustand angebbar ist, in dem die Menschen ihre gegenständlichen, gesellschaftlichen Verhältnisse als ihre eigenen, subjektiv a n g e strebten und objektiv erreichten Verhältnisse geschaffen haben. Denn worin bestehen die menschlichen "Sinne und Eigenschaften" nach Marx' eigener Analyse? — "Man sieht, wie die Geschichte der Industrie und das gewordene gegenständliche Dasein der Industrie das aufgeschlagne Buch der menschlichen Wesenskräfte, die sinnlich vorliegende menschliche Psychologie ist, die bisher nicht in ihrem Zusammenhang mit dem Wesen des Menschen, sondern immer nur in einer äußeren Nützlichkeitsbeziehung gefaßt wurde. ... In der gewöhnlichen, materiellen Industrie ... haben wir unter der Form sinnlicher, f r e m d e r , nützlicher Gegenstände, unter der Form der Entfremdung, die vergegenständlichten Wesenskräfte des Menschen vor uns. Eine Psychologie, für welches dies Buch, also grade der sinnlich gegenwärtigste, zugänglichste Teil der Geschichte zugeschlagen ist, kann nicht zur wirklichen, inhaltvollen und reellen Wissenschaft werden" (aaO, 542 f ) . 161

Wenn aber dieser dem Individuum äußerliche, wesentliche Teil der menschlichen Fähigkeiten so gesehen wird, dann ist die abstraktindividuelle Fassung des Gemeinwesens nicht haltbar. Es deutet sich an, daß die Vermengung von Vergegenständlichung und Enteignung im Entfremdungsbegriff aufgelöst werden muß, damit beide Seiten des Produktionsprozesses in ihrem historisch veränderbaren Verhältnis begriffen werden können: Einerseits schaffen die Menschen durch die materielle Produktion ihre gegenständlichen Verhältnisse stets neu, reproduzieren ihre allgemeinen und besonderen Fähigkeiten in gegenständlicher Form, können also auch neue, "menschlichere" Verhältnisse schaffen, können einander entwickeln. Andererseits werden durch die Eigentumsverhältnisse die Produkte der Arbeit in historisch b e stimmter Form als äußere Begrenzungen der Freiheit der arbeitenden Menschen fixiert, und es kommt darauf an, solche Eigentumsformen zu finden, die allen Individuen den Zugang zum gesellschaftlichen Reichtum, an Gütern aber mehr noch an Fähigkeiten, gleichmäßig g e s t a t t e n . Dies aber zu erkennen, heißt bereits, die Dialektik von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen im Ansatz erfaßt zu haben, wodurch nicht mehr eine abstrakte Gegenüberstellung von V e r gegenständlichung und Enteignung erfolgt, sondern die reale V e r m i t t lung zwischen Produktionsprozessen und den Eigentumsverhältnissen aufgewiesen wird. Nach Hegel bedeutet dies auch die Überwindung der nur äußeren Reflexion, das Übergehen von der synthetischen zur dialektischen Methode: Die Begriffsbestimmungen im synthetischen Erkennen "stehen erst im Verhältnisse zueinander oder sind in unmittelbarer Einheit, aber damit eben nicht in derjenigen, wodurch der Begriff als Subjekt ist" (HW 6, 511). In der zweiten Phase der Entwicklung der materialistischen Theorie gibt es aber noch zwei hauptsächliche Identifikationen, unmittelbare Einheiten: "Die Entäußerung der Arbeit ist im Unterschied zu der Religion die Selbstrealisierung des menschlichen Wesens. Die unmittelbare Identität von Individuum und Gesellschaft hat ihre E n t sprechung in der von Vergegenständlichung und Selbstentfremdung der menschlichen Arbeit. Beide sind aber mit dem neugewonnenen materialistischen Arbeitsbegriff unvereinbar. Daß das Gesellschaftliche eine objektive Realität außerhalb des produzierenden Menschen d a r stellt, hat offenbar selbst einen positiven Sinn, ist kein Gegenstand der Sozialkritik" (Mies 1979, 122). Sobald beide Seiten aus der Identifizierung gelöst werden, und ihre materiellen Vermittlungen gesucht und begriffen werden, ist die nächste Reflexionsstufe erreicht: Der Reproduktionsprozeß des gesamten Gemeinwesens wird als komplexer Prozeß des Einander-Entwickelns durch die gesellschaftliche Praxis verstehbar, und damit beginnt die reale Möglichkeit der bewußten Entwicklung des Gemeinwesens perspektivisch sichtbar zu werden. Tatsächlich finden wir am Ende des dritten Manuskripts eine Problemstellung, die nach dem Verhältnis zweier bisher in der Ökonomie regelmäßig identifizierter Momente fragt: "Die Betrachtung der Teilung der Arbeit und des Austauschs sind von höchstem Interesse, weil sie die sinnfällig entäußerten Ausdrücke der menschlichen T ä tigkeit und Wesenskraft als einer gattungsmäßigen Tätigkeit und We162

senskraft sind" (ÖPhM 561). Dieses Verhältnis von Arbeitsteilung und Warenverkehr wird von Marx in den "ökonomisch-philosophischen Manuskripten" nicht mehr geklärt. Seine Klärung setzt ja voraus, daß die Dialektik von Verkehrsformen (Austausch, Distribution, Akkumulation) und Produktivkräften (Arbeitsteilung, Produktionsmittel) entdeckt wurde. Betrachten wir auch diesen Übergang wieder mithilfe des Denkmittels von Holzkamp, dem Fünf schritt der Überwindung einer Stufe: Daß das Denken von Marx und seine politische Praxis auf dieser Reflexionsstufe wiederum ein System bildeten (Schritt 1 des neuen Übergangs und Schritt 5 des alten), wurde bereits gezeigt (Arbeitsbegriff, Dezentrierung, Aufklärung gehören zusammen). Es ist jedoch wichtig hervorzuheben, daß dieses System äußerst instabil, sogar "explosiv" (Althusser) war. Dies zeigt sich auch daran, daß die Alternative zum Aufsteigen zur Rezentrierung nicht so sehr das Verbleiben auf der dezentrierten Stufe ist, sondern das Zurückfallen in die Urzentrierung. Damit ist eine weitere, eher formale Seite der Entwicklungsnotwendigkeit gezeigt (Schritt 2), deren inhaltliche Dynamik soeben behandelt wurde. Nicht so klar indes ist bisher, welches alte Mittel durch einen Funktionswechsel zum neuen Mittel werden konnte (Schritt 3), wohl aber kennen wir das neue Denkmittel, das die Dominanz im System der dritten Phase h a t t e : Es ist die dialektische Fassung des Verhältnisses von Produktivkräften und Verkehrsformen, die in der zweiten gemeinsamen Arbeit von Engels und Marx, der "Deutschen Ideologie", nach allen möglichen Seiten entwickelt wird. Von dieser Festlegung des Inhalts von Schritt 4 können wir, rückwärts gesehen, vermuten, daß das Verhältnis von Arbeitsteilung und Austausch, so wie es durch die Wirtschaftswissenschaft bis zur Aufnahme durch Engels und Marx entwickelt war, das alte Mittel gewesen sein könnte, durch dessen Wendung auf das Gemeinwesen insgesamt (Funktionswechsel) die Dialektik von Produktivkräften und Verkehrsformen entdeckt werden konnte. Ich mußte wegen der Zeitbedingungen dieser Arbeit davon Abstand nehmen, diese Hypothese durch textkritische Analysen zu stützen, zumal ich gegenwärtig kein Analogon zu den äußerst gründlichen Arbeiten von Lapin für die Zeit nach 1844 kenne. Für das Hauptanliegen des vorliegenden Kapitels, die Klärung des Verhältnisses der zwei Gegenstandsdefinitionen der Psychologie (Subjektverhältnisse, Netz der konkreten Funktionen), ist eine solche Detailarbeit aber auch keineswegs mehr notwendig. Der Nachvollzug der Entwicklung der materialistischen Theorie bis hierher hat uns nämlich direkt zu der Ausgangsfrage dieses Kapitels zurückgebracht: Wie kann der aus dezentrierter Position gewonnene Funkt ions-Raum durch Rezentrierung zu einem Raum der Subjektentwicklung erweitert werden? Resümieren wir kurz das Ergebnis des zweiten Kapitels: Ausgehend von der formalen Struktur des Arbeitsbegriffs des reifen Materialismus war gezeigt worden, daß diese Struktur bereits bei physiologischen, konkreten Funktionen sinnvoll zur theoretischen Erfassung des Gegenstands angewendet werden kann. Die Erweiterung zum reproduktiven System ab Schluß gestattet die Definition des durch seine Funktion gebildeten konkreten, funktionellen Systems, und die 163

Aufhebung des Abschlusses führte zum Netz der Funktionen im Funktions-Raum. Es wurde damit gezeigt, wie die konsequente, dezentrierte Erfassung des Gemeinwesens durchgeführt werden kann, indem das Gemeinwesen als sich reproduzierender Naturprozeß betrachtet wird. Allerdings ging dabei der Subjektbegriff fast vollkommen verloren, er h a t t e jedenfalls keine systemeigene Notwendigkeit mehr. Komplementär zu dieser Sichtweise war aber die Ausgangssicht des ersten Abschnitts, in der nur die Subjekte und ihre prozessierenden Verhältnisse auftauchten. In der Argumentation des vorliegenden Kapitels wurde die noch unentwickelte Vorform dieses komplementären Verhältnisses von subjektzentrierter und naturzentrierter Sicht weise bei Marx selbst nachgezeichnet: Seine urzentrierte Phase hat vor allem die reale Isoliertheit und natürliche Verbundenheit der Personen zum Thema, in seiner dezentrierten Phase ist dagegen vor allem der Prozeß der Produktion der gegenständlichen Verhältnisse der o r ganisierende Gegenstand der theoretischen Arbeit von Marx, wenngleich seine sozialen und politischen Interessen ihn dazu führen, schon jetzt Folgerungen für die Subjektverhältnisse zu ziehen, für die er aber eigentlich erst die Rezentrierung vollziehen müßte. Eben diese dauernde Vermischung des organisierenden Gegenstands, des Arbeitsprozesses, mit dem antizipierten Gegenstand der nächsten Phase, dem Reproduktionsprozeß des gesamten Gemeinwesens, macht das Verständnis der "ökonomisch-philosophischen Manuskripte" so schwierig. Wenn Althusser (hier nach der Wiedergabe durch Seve) meint, vor dem "Schnitt" 1844/1845 sei Marx in der Illusion befangen gewesen, daß der Subjekt begriff etwas Wesentliches der historischen Bewegung erfassen könne, und nach dem Schnitt habe er erkannt, daß nicht Subjekte, sondern Prozeßstrukturen das eigentlich Bestimmende der Geschichte seien (vgl. S&ve 1972, 80-83), so ist es nach meiner Analyse in gewissem Sinn genau umgekehrt: Vor dem "Schnitt" entwikkelt Marx den materialistischen Arbeitsbegriff und damit die Voraussetzungen für die Betrachtung des Geschichtsprozesses als strukturierter Naturprozeß, obwohl die verwendete "Phraseologie" (MEW 3, 217 f) das genaue Gegenteil anzuzeigen scheint. Nach dem "Schnitt" erst kommen Engels und Marx dazu, einen historisch-materialistischen Subjektbegriff zu entwickeln. Dies bringt uns zu einem letzten wichtigen Punkt: Der Übergang von der Dezentrierung zur Rezent rierung entspricht auch dem Übergang vom nur dialektischen Materialismus zum auch historischen Materialismus: "Nicht der Arbeitsbegriff der 'Manuskripte 1 , sondern der in ihnen nur angedeutete 'Praxisbegriff' ist der Ausgangspunkt des "Historischen Materialismus", betont Thomas Mies (1979, 125) und erläutert: "Es scheint ein Widerspruch zu sein: die Ansätze zum materialistischen Arbeitsbegriff bilden die theoretische Voraussetzung des neuen Praxisbegriffs, aber nicht jenes, sondern dieses Konzept ist der wirkliche Ausgangspunkt des Historischen Materialismus und des gesamten Marxismus als wissenschaftlicher Theorie. Das Rätsel löst sich dahin auf, daß beiden Konzepten ein gemeinsames reales Problem zugrundeliegt: Für den Marx der 'Manuskripte' geht es um die soziale Revolution, die sich 'in der politischen Form der Arbeiteremanzipa164

tion 1 (MEW 2, 41) vollzieht. ... Der 'Arbeitsbegriff' der Manuskripte ermöglicht es nicht zu zeigen, wie die Politik aus der Ökonomie hervorgeht. ... Im Politikbegriff, der mit der sozialkritischen V e r wendung Feuerbachscher Kategorien verbunden ist, tritt ihr latenter Idealismus deutlicher hervor als im Arbeitsbegriff. Auf dem Feld der Politik muß dieser Idealismus für Marx aber besonders unerträglich gewesen sein, war doch eine materialistisch begründete Politik das theoretische Leitmotiv seit der Kritik der Hegeischen Rechtsphilosophie. Die Aneignung der Erfahrung der Arbeiterorganisation, die politische Parteinahme für die Arbeiter, das Studium der politischen Ökonomie waren wichtige Schritte in der Konkretisierung und inhaltlichen Ausarbeitung einer solchen Politik. Von hier aus mußte daher auch der Bruch mit dem idealistischen Praxisbegriff erfolgen, den Feuerbachs Philosophie impliziert. Es ist die Politik der Arbeiterklasse, nicht die Arbeit, von der der Historische Materialismus ausgeht. ... Erst die theoretische Formulierung des Zusammenhangs von Arbeit und Politik, von Arbeit und gesellschaftlichen Bewußtseinsformen konstituiert daher die Basis für den Historischen Materialismus als zugleich wissenschaftliche und revolutionäre Theorie" (Mies 1979, 126 f). Und: Beachten wir die innere Verwandschaft von Politik, Pädagogik und Prävention/Therapie, dann müssen wir feststellen: Erst mit der Wiederaneignung des materialistischen Praxisbegriffs wird die materialistische Psychologie zu einer zugleich wissenschaftlichen und praktischen Theorie. Dies gilt es abschließend in diesem Kapitel durch eine Rekonstruktion der dritten Phase der Entwicklung der materialistischen Theorie plausibel zu machen. 3.8 Dritte Phase: Gemeinwesen als Reproduktionsverhältnis Der grundlegende Fortschritt im Übergang zur dritten, rezentrierten Phase besteht darin, daß Marx erstmals in den "Thesen zu Feuerbach" (1845, MEW 3, 5-7) die zwei gegensätzlichen Bestimmungen des Gemeinwesens aus den Phasen eins und zwei in ihrer dialektischen Einheit fassen kann: "Gemeinwesen als soziales Gattungswesen", dies meinte ausschließlich die soziale Beziehung zwischen den Subjekten, das Auseinanderfallen von vorausgesetzter, einheitlicher, ahistorischer Natur des Menschen und für die Gegenwart behaupteter, totaler Zersplitterung des Gemeinwesens in egoistische Monaden. "Gemeinwesen als Produktionsprozeß", dies bezeichnete ebenso ausschließlich die Beziehung zwischen den Subjekten und ihren Gegenständen, das Auseinanderfallen der Produktion der Lebensmittel und der Aneignung der Produkte, nun allerdings als ein konkreter, mehrstufiger, historischer Prozeß analysiert, der die grundlegende Subjektbeziehung der entstehenden kapitalistischen Gesellschaftsformation, das prozessierende Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital, hervorgebracht h a t t e . Mit dem Ergebnis, daß die Menschen die Eigentumsverhältnisse selbst produzieren, war nun aber auch die Notwendigkeit entstanden, die 165

komplementären Bestimmungen des Gemeinwesens in eine dialektische Bestimmung zu fassen: Die geschichtlichen Gemeinwesen sind das Produkt der kollektiven Handlungen der Menschen, überdauern jedoch ihre Produzenten und bilden für die späteren Generationen die "notwendigen Formen, in denen ihre materielle und individuelle Tätigkeit sich realisiert" (MEW 27, 452), wie Marx Ende 1846 in einem Brief formuliert. "Gemeinwesen" heißt nun nicht nur: soziale Verhältnisse und auch nicht nur: gegenständliche Verhältnisse, sondern bezeichnet die materiellen Verhältnisse der Menschen auf drei Ebenen der Analyse: Die gegenständlichen Verhältnisse, vor allem bestimmt durch den Entwicklungsstand der Produktivkräfte, als die Basis; die gesellschaftlichen Beziehungen zwischen den Menschen, d.h. die Verhältnisse zwischen den Tätigkeiten; schließlich die Verhältnisse zwischen den "Ideen", die der "abstrakte ideelle Ausdruck" (MEW 27, 459) der beiden anderen Ebenen von Verhältnissen sind. Die Entwicklung der solchermaßen dialektisch bestimmten Gemeinwesen wird im damit erreichten Modus der rezentrierten Reflexion begreifbar als ein Reproduktionsprozeß der Entwicklungsformen der Individuen, der prinzipiell unabhängig von den Absichten der einzelnen Personen sich vollzieht als dauerndes Reprodukt von Produktion, Austausch und Konsumtion der Lebensmittel. Diese prinzipielle Unabhängigkeit des bestehenden Gemeinwesens von den personalen Subjekten, die es andererseits doch ausmachen, ist die wesentliche neue Einsicht, die mit dem Übergang zur dritten Phase der Entwicklung der materialistischen Theorie erreicht wurde. Sie ist in der berühmten 6. These zu Feuerbach festgehalten: "... das menschliche Wesen ist kein dem einzelnen Individuum inwohnendes Abstraktum. In seiner Wirklichkeit ist es da ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse" (MEW 3, 6). Das allgemeine, gemeinsame Wesen von historisch konkret gedachten, zusammen lebenden Menschen liegt also in der Vielfalt der produktiven, austauschenden und konsumtiven Aktivitäten des Gemeinwesens auf gegenständlicher, operativer und ideeller Ebene. Diese allgemeine Grundstruktur reproduziert sich im Prozeß der Geschichte stets aufs neue und verändert sich dabei in nicht vollständig d e t e r minierter Art und Weise. Damit ist insgesamt eine dialektische Bestimmung des Gemeinwesens als sich entwickelndes Reproduktionsverhältnis möglich geworden, wobei nicht von vornherein festgelegt wird, wie dieses Verhältnis zu denken ist: Es wird keine ahistorische Natur des Menschen, weder im Sinn des "zoon pol it ikon" noch des "homo faber", anerkannt, sondern es müssen die wirklichen Möglichkeiten der Menschen in ihren Gemeinwesen historisch konkret als gesellschaftlich produzierte, auf den natürlichen Möglichkeiten beruhende Potenzen angegeben werden: Als konkretes, historisches Reprodukt i onsve rhäl t ni s. Die theoretische Fassung der Entwicklung der Gemeinwesen als R e produktionsprozeß, als Einheit von Erhaltung und Veränderung, bedeutet zugleich die volle Ausbildung des materialistischen Praxisbegriffs als der grundlegende Kategorie zur Erfassung der Spezifik der menschlichen, lebendigen Aktivität: Menschliche Aktivität ist zunächst zielgerichtete, gegenständliche, subjektive Tätigkeit, sie 166

ist auf der anderen Seite, dezentriert gesehen, produktive Arbeit, also ein besonderer, objektiver Naturprozeß, und sie ist schließlich Praxis: Reproduktion des Gemeinwesens durch Produktion, Austausch und Konsumtion der Lebensmittel in der kooperativen, vielfältigen Aktivität der individuellen Subjekte. Mit der Konstruktion dieser Praxis-Kategorie ist nun auch endgültig die Auffassung überwunden, das Gemeinwesen könne als ein einziges, sich selbst entwickelndes Subjekt (urzentrierte Sichtweise) oder als nur zwei, antagonistische oder solidarische Subjekte (dezentrierte Sichtweise) gesehen werden. "Diese Geschichtsauffassung beruht ... darauf, den wirklichen Produktionsprozeß, und zwar von der materiellen Produktion des unmittelbaren Lebens ausgehend, zu entwickeln und die mit dieser Produktionsweise zusammenhängende und erzeugte Verkehrsform, also die bürgerliche Gesellschaft in ihren verschiedenen Stufen, als Grundlage der ganzen Geschichte aufzufassen und sie sowohl in ihrer Aktion als Staat darzustellen, wie die sämtlichen verschiedenen theoretischen Erzeugnisse und Formen des Bewußtseins ... aus ihr zu erklären und ihren Entstehungsprozeß aus ihnen zu verfolgen... Sie erklärt nicht die Praxis aus der Idee, erklärt die Ideenformation aus der materiellen Praxis und kommt demgemäß auch zu dem Resultat, daß alle Formen des Bewußtseins nicht durch geistige Kritik ... sondern nur durch den praktischen Umsturz der realen gesellschaftlichen Verhältnisse ... aufgelöst werden können - daß nicht die Kritik, sondern die Revolution die treibende Kraft der Geschichte auch der Religion, Philosophie und sonstigen Theorie ist. Sie zeigt, ... daß (in der Geschichte) auf jeder Stufe ein materielles Resultat, eine Summe von Produktionskräften, ein historisch geschaffenes V e r hältnis zur Natur und der Individuen zueinander sich vorfindet, eine Masse von Produktivkräften, Kapitalien und Umständen, die zwar e i nerseits von der neuen Generation modifiziert wird, ihr aber auch andererseits ihre eigenen Lebensbedingungen vorschreibt und ihr eine bestimmte Entwicklung, einen speziellen Charakter gibt - daß also die Umstände ebensosehr die Menschen wie die Menschen die Umstände machen. Diese Summe von Produktivkräften, Kapitalien und sozialen Verkehrsformen, die jedes Individuum und jede Generation als etwas Gegebenes vorfindet, ist der reale Grund dessen, was sich die Philosophen als 'Substanz' und 'Wesen des Menschen' vorgestellt ... h a ben" (MEW 3, 37 f ) . "Es geht aus der ganzen bisherigen Entwicklung hervor, daß das gemeinschaftliche Verhältnis, in das die Individuen einer Klasse traten und das durch ihre gemeinschaftlichen Interessen gegenüber einem Dritten bedingt war, stets eine Gemeinschaft war, der diese Individuen nur als Durchschnittsindividuen angehörten, nur soweit sie in den Existenzbedingungen ihrer Klasse lebten, ein V e r hältnis, an dem sie nicht als Individuen, sondern als Klassenmitglieder teilhatten. Bei der Gemeinschaft der revolutionären Proletarier dagegen, die ihre und aller Gesellschaftsmitglieder Existenzbedingungen unter ihre Kontrolle nehmen, ist es gerade umgekehrt; an ihr nehmen die Individuen als Individuen Anteil. Es ist eben die Vereinigung der Individuen (innerhalb der Voraussetzung der jetzt entwickelten Produktivkräfte natürlich), die die Bedingungen der 167

freien Entwicklung und Bewegung der Individuen unter ihre Kontrolle gibt, Bedingungen, die bisher dem Zufall überlassen waren und sich gegen die einzelnen Individuen eben durch ihre Trennung als Individuen, durch ihre notwendige Vereinigung, die mit der Teilung der Arbeit gegeben, und durch ihre Trennung zu einem ihnen fremden Bande geworden war, verselbständigt hatten 11 (aaO, 74 f ) . "Daß der wirkliche geistige Reichtum des Individuums ganz von dem Reichtum seiner wirklichen Beziehungen abhängt, ist nach dem Obigen klar. Die einzelnen Individuen werden erst ... (durch die kommunistische Revolution) von den verschiedenen nationalen und lokalen Schranken b e freit, mit der Produktion (auch mit der geistigen) der ganzen Welt in praktische Beziehung gesetzt und in den Stand gesetzt, sich die Genußfähigkeit für diese allseitige Produktion der ganzen Erde (Schöpfungen der Menschen) zu erwerben. Die allseitige Abhängigkeit, diese naturwüchsige Form des weltgeschichtlichen Zusammenwirkens der Individuen, wird durch diese kommunistische Revolution verwandelt in die Kontrolle und bewußte Beherrschung dieser Mächte, die, aus dem Aufeinander-Wirken der Menschen erzeugt, ihnen bisher als durchaus fremde Mächte imponiert und sie beherrscht haben. Diese Anschauung kann nun wieder spekulativ-idealistisch, d.h. phantastisch als ' Selbst erzeugung der Gattung' (die 'Gesellschaft als Subjekt') g e faßt und dadurch die aufeinanderfolgende Reihe von im Zusammenhange stehenden Individuen als ein einziges Individuum vorgestellt werden, das das Mysterium vollzieht, sich selbst zu erzeugen. Es zeigt sich hier, daß die Individuen allerdings einander machen, physisch und geistig, aber nicht sich machen" (37). Ich habe dieses zentrale Theoriestück über das Einander-Entwikkeln durch Kooperation so ausführlich zitiert, weil daran auch d e u t lich wird, wie weit die Vision der zukünftigen Gesellschaft auch noch über unsere heutigen Verhältnisse, 140 Jahre später, hinausgreift. Die individualistische Illusion der Selbstentwicklung ist immer noch die herrschende Illusion, die stets bedeutet, daß die Beiträge der anderen Subjekte als Mittel zur eigenen Entwicklung gesehen und eingeplant werden, und nicht der eigene Beitrag als Mittel des Einander-Entwickelns. Dennoch handelt es sich um eine Illusion, denn das Einander-Entwickeln geschieht auch ohne Bewußtsein der Beteiligten. Der Schlüsselbegriff, der die Uberwindung individualistischer Subjekttheorie möglich machte, ist der Begriff der Verkehrsform, der von Engels und Marx in der "Deutschen Ideologie" (MEW 3, 9-532) nach allen Seiten hin entwickelt wurde, wobei die Hauptsache darin b e stand, daß die Verhältnisse der Produktivkräfte zu den Verkehrsformen als Verhältnisse zweier prozessierender Momente der sozialen Entwicklung untersucht wurden. Wir hatten bereits bei der Untersuchung des Übergangs zur dritten Phase bemerkt, daß die Frage nach dem Verhältnis von Arbeitsteilung und Austausch den Ursprung des neuen Denkmittels des Reproduktionsverhältnisses gebildet haben muß. Dies zeigt auch der Text der "Deutschen Ideologie" (vgl. MEW 3, 2134), in dem die Darstellung der materialistischen Geschichtsauffassung mit der Arbeitsteilung beginnt. Die Arbeitsteilung, so wird 168

dort ausgeführt, ist eng mit der Entwicklung der Produktivkräfte verknüpft, und unter Bedingungen der kapitalistischen Distribution bzw. generell des Privateigentums ebenso eng mit der sozialen Ungleichheit der Individuen: f, Die verschiedenen Entwicklungsstufen der Teilung der Arbeit sind ebensoviel verschiedene Formen des Eigentums; d.h., die jedesmalige Stufe der Teilung der Arbeit bestimmt auch die Verhältnisse der Individuen zueinander in Beziehung auf das Material, Instrument und Produkt der Arbeit" (aaO, 22). Mit dem Begriff "Verkehr" faßten Engels und Marx ganz allgemein die Austauschprozesse zwischen den Subjekten eines Gemeinwesens und zwischen den Gemeinwesen als ganzen. Für "Verkehr" verwendeten sie auch "Kommunikation", "Austausch" und "Distribution" (vgl. MEW 3, 35 f, 46, 53 f, 60, 67, 69). Damit war sowohl der Austausch von s t o f f lichen Produkten gemeint, wie auch das Herumziehen und Reisen der Menschen und schließlich auch die Kommunikation im heutigen, engeren Sinn, der Austausch von Ideen. Noch im "Kommunistischen Manifest" von 1848 sprechen Marx und Engels von Verkehrsmitteln und Produktionsmitteln, Verkehrsformen und Produktionsformen, Verkehrsverhältnissen und Produktionsverhältnissen (MEW 4, 461 f f ) . Das heißt also: "Produktion" wird auf das Verhältnis der Gesellschaft zur Natur bezogen, es wird als Dialektik von Mitteln und Formen verstanden. Und "Verkehr" wird auf die innergesellschaftlichen Verhältnisse der Subjekte bzw. der Gemeinwesen bezogen, die ebenfalls als ein dialektischer Prozeß von Mittelentwicklung und Formbildung entfaltet werden. Beide Verhältnisse durchdringen einander: Die vorhandenen Produktionsmittel bestimmen, im Zusammenhang mit den ihnen entsprechenden Arbeitsfähigkeiten, den qualitativen Stand der Entwicklung der Produktivkräfte. Die Verkehrsmittel, vor allem die Verkehrswege und Kommunikationsmittel, sind einerseits vom Stand dieser Produktivk r ä f t e abhängig, und bestimmen andererseits den Grad an Ausbreitung und praktischer Verallgemeinerung dieser Produktivkräfte. Beide A r ten von Mitteln werden in tradierten Arten und Weisen angewendet, die sich objektiv in den Formen der Produktion und des Verkehrs niedergeschlagen haben. Die Kategorie der Form ist in diesem Zusammenhang am besten als System von Begrenzungskanälen für reproduktive Prozesse zu verstehen. Diese Begrenzungen, in denen die Produktions- und Verkehrsprozesse verlaufen, und in denen auch jede nachfolgende Generation von Produzenten und miteinander verkehrenden Subjekten sich entwikkelt, sind materielle Begrenzungen, die unabhängig von allen einzelnen Subjekten historisch akkumulieren. Eine Form wird gebildet durch das Insgesamt der zugehörigen Mittel und enthält zugleich den reproduktiven Zyklus dieser Mittel. Die Formen bestimmen die in ihnen verlaufenden Prozesse jedoch nicht absolut, sondern determinieren nur den durchschnittlichen, "modalen" Entwicklungsstand der Prozesse. Für die Entwicklung personaler Subjekte heißt dies alles, "daß die Entwicklung eines Individuums durch die Entwicklung aller anderen, mit denen es in direktem oder indirektem Zusammenhang steht, bedingt ist, und daß die verschiedenen Generationen von Individuen, die miteinander in Verhältnisse treten, einen Zusammenhang unter 169

sich haben, daß die Späteren in ihrer physischen Existenz durch ihre Vorgänger bedingt sind, die von ihnen akkumulierten Produktivkräfte und Verkehrsformen übernehmen und dadurch in ihren eignen gegenseitigen Verhältnissen bestimmt werden" (MEW 3, 423). Die personalen Subjekte sind also Reprodukte der Gemeinwesen und reproduzieren diese zugleich je nach den Möglichkeiten, die die vorhandenen Mittel eröffnen, wobei die Produktionsmittel die möglichen Fähigkeiten b e grenzen (MEW 3, 67 f) und die Verkehrsmittel über die Verbreitung und Verallgemeinerung dieser Fähigkeiten entscheiden. Die Produktion von neuen Mitteln ist der Weg, über den die R e produktion der Gemeinwesen nicht bloß identische Erhaltung des bisher Erreichten, sondern zugleich Veränderung sein kann. Die Akkumulation der Resultate der Verwendung der neuen Mittel wird notwendig auch zur Entwicklung neuer Formen der Produktion und des Verkehrs führen, das ist die wichtigste Erkenntnis von Engels und Marx in dieser dritten Phase der Entwicklung der materialistischen Theorie: "Alle Kollisionen der Geschichte haben ... ihren Ursprung in dem Widerspruch zwischen den Produktivkräften und der Verkehrsform" (MEW 3, 73). Diese Notwendigkeit ist aber eine Notwendigkeit der gesellschaftlichen Praxis, kein Naturgesetz in einem mechanisch-deterministischen Sinn. Wir erhalten damit insgesamt das Bild einer dialektischen, zyklischen Determination: Die Produktionsmittelentwicklung ist verbunden mit der Entwicklung neuer Verkehrsmittel und kann daher zu einer massenhaften Verbreitung und Anwendung der neuen Mittel führen. Dies Neue drängt wiederum zu einer Veränderung der Produktions- und Verkehrsformen, wobei politische und soziale Revolutionen die Umschlagspunkte, die Sprengung der alten und Herausbildung der neuen Formen markieren. Die neuen Verkehrsformen enthalten als wesentlichen Kern neue gesellschaftliche Verhältnisse der Produktion der Lebens- und Arbeitsmittel, die ihrerseits den Entwicklungsraum für die künftigen Produktions- und Verkehrsmittel bestimmen. Auf diesen Produktionsverhältnissen als der Basis der gesellschaftlichen Lebensprozesse bilden sich die habituellen Orientierungen (vgl. Bourdieu 1976) der personalen Subjekte entsprechend den Produktions- und Verkehrsformen (oder ihnen widersprechend) heraus. Die Reproduktion der jeweils historisch bestimmten Produktionsverhältnisse als invarianter oberer Kontext der Produktion muß durch die Institutionen des Überbaus, durch vorstaatliche und staatliche Organisationen gesichert werden. Sie haben vor allem die Ko-Operation der Produzenten zu garantieren, also deren konkurrente und komplementäre Tätigkeiten über das Maß hinaus zu koordinieren, das bereits durch die gegenständlichen Verhältnisse erzwungen wird. Mit dem späteren Begriff der "Grundrisse" könnten wir diese regulative Ebene der gesellschaftlichen Verhältnisse sekundäre Produktionsverhältnisse (Grundrisse, 29 f f ) nennen, jedoch möchte ich hier auch von sekundären Verkehrsformen oder, in der Terminologie des ersten Kapitels, von Kooperationsverhältnissen sprechen. Lucien Seve versuchte diese erste Überbauebene der sozialen Verhältnisse als " g e sellschaftliche Verhältnisse zwischen den Verhaltensweisen" (1972, 170

178-193) zu erfassen, und ordnete ihr den "infrastrukturellen Zeitplan" (338 f f ) der personalen Subjekte zu. Die Kooperationsverhältnisse stehen mithin zu den gegenständlichen Verhältnissen, den primären Produktionsverhältnissen, im V e r hältnis des Überbaus zur Basis, regulieren die Produktionsverhältnisse innerhalb der Freiheitsgrade, die die gegenständlichen V e r hältnisse noch offenlassen. Diese sekundären Verkehrsformen werden aber in den bisherigen, kapitalistisch strukturierten Gesellschaften keineswegs vollständig von den genannten Institutionen produziert, sondern stellen sich als Resultante der verschiedensten, gegenläufigen oder einander verstärkenden Bestrebungen, die Kooperation zu regulieren, "hinter dem Rücken aller Beteiligten" her. In der " D e u t schen Ideologie" formulierten denn auch Engels und Marx bereits als die Hauptaufgabe für die gesellschaftlich bewußte, soziale Bewegung: "Produktion der Verkehrsform selbst" (MEW 3, 70-77). Dies heißt für sie: Zwar begann mit den bürgerlichen Revolutionen der Versuch der Menschen, neben ihren gegenständlichen auch ihre sozialen Verhältnisse bewußt herzustellen. Es bedarf jedoch zunächst einer Umgestaltung der primären Verkehrsformen, der gegenständlichen Produktionsverhältnisse, insbesondere der Eigentumsformen, bevor die Verhältnisse zwischen den Tätigkeiten der Subjekte entsprechend ihren neuen Bedürfnissen gestaltet werden können. Dann aber wird die "Produktion" der neuen Kooperationsverhältnisse, der sekundären Verkehrsform, zur Hauptaufgabe. Die Kooperationsverhältnisse sind, wie gesagt, in regulativer, in Überbau-Stellung zu den gegenständlichen Verhältnissen. Aber gleichzeitig sind sie die Basisverhältnisse der einzelnen Persönlichkeiten, wie Shve überzeugend darlegt (1972, 338 f f ) . Auf ihnen erhebt sich der "ideelle Überbau", etwa der S^ve angenommene "suprastrukturelle Zeitplan" der personalen Subjekte. Nehmen wir diesen Gedanken von S&ve ernst und betrachten wir darüberhinaus das Verhältnis aller "Überbau-Zeitpläne" eines Gemeinwesens, so erhalten wir ein tertiäres Produktionsverhältnis: Die Kommunikationsverhältnisse oder tertiären Verkehrsformen, die eine relativ unabhängige Ebene der Produktion begrenzen, nämlich die Ebene der sozialen, materiellen Diskurse (vgl. Foucault 1981), der Ideologie- und Wissenschaftsproduktion. Auch diese tertiären Verkehrsformen müssen gesellschaftlich bewußt "produziert" werden, wenn die gesellschaftliche Entwicklung geplanter als bisher erfolgen soll, doch auch ohne bewußte Absicht werden sie durch die kommunizierenden Menschen r e produziert und verändern sich "hinter ihrem Rücken". Die interessantesten Fragen sind hier: In welchem Maß gibt es einen Vorlauf der tertiären Formen vor den primären, in welchem Maß können die t e r t i ä ren Formen die Entwicklung der primären fesseln, wie ist die V e r mittlung der primären mit den tertiären durch die sekundären Formen zu denken ? Fassen wir zusammen: Die Praxiskategorie der materialistischen Theorie erfaßt die menschliche Aktivität im konkreten, sich entwikkelnden (Reproduktions-) Verhältnis der Formen, in denen die Produktions- und Verkehrsprozesse eines Gemeinwesens verlaufen, zu den 171

Mitteln, durch die sie möglich werden. Die Praxis der Subjekte eines Gemeinwesens ist also ihre subjektive und objektive Reproduktionsbewegung. Der für mein Verständnis wichtigste Punkt bei der Entfaltung des materialistischen Praxisbegriffs ist in dieser Formulierung a l l e r dings nicht enthalten, denn sie sagt nichts aus über den Standpunkt des Erkenntnissubjekts in der von ihm erkannten Praxis. Es ist zu klären: Kann von einem Standpunkt außerhalb eines Gemeinwesens die Praxis der in ihm kooperierenden Subjekte angemessen erfaßt werden, so wie es bei der Untersuchung von Arbeitsprozessen möglich ist, die Verhältnisse von Zweck, Aktivität und Resultat, sowie von Tätigkeit, Mittel und Gegenstand zu klären, ohne gleichzeitig Subjekt des untersuchten Arbeitsprozesses zu sein? Oder anders gefragt: Welche Praxis der Theorie, welches Verhältnis der Theoretiker zu ihrem Gegenstand ist notwendig, um die Praxiskategorie sinnvoll verwenden zu können ? Die Antworten sind bereits in der übergreifenden These dreier Modi der Reflexion implizit: Die Praxiskategorie kann danach erst durch eine Rezentrierung in ein soziales Subjekt gewonnen werden, die allerdings auszugehen hat von einer dezentrierten Reflexion über die Arbeitsprozesse, die dieses Subjekt in seinem Gemeinwesen reproduzieren. Auch die Dezentrierung hat eine notwendige Voraussetzung: Sie muß ausgehen von einer vorgängigen, urzentrierten Reflexion über die subjektiven Zwecke und gegenständlichen Resultate des reflektierenden Subjekts. Soweit die These, die als Antwort auf die erste Frage zu folgender Behauptung führt: Reflexion über die Praxis muß stets Reflexion in der Praxis eines konkreten Subjekts sein, und das reflektierende Subjekt muß selbst ein Teil jenes Subjekts sein. Vom reflektierenden Subjekt aus gesprochen, heißt die Antwort einfach: Meine Reflexion über "die" Praxis muß stets Reflexion in unserer Praxis sein; über die Praxis der Anderen kann ich nur reflektieren, wenn wir sie auch zu unserer Praxis machen können. Daraus ergibt sich nun auch die Antwort auf die zweite Frage: Die erforderliche Praxis der Theorie bei der sinnvollen Verwendung der Praxiskategorie muß eine aktiv eingreifende, sich selbst im Gemeinwesen mitverändernde Teil-Praxis sein: "Das Zusammenfallen des Änderns der Umstände und der menschlichen Tätigkeit oder Selbstveränderung kann nur als revolutionäre Praxis gefaßt und rationell verstanden werden. ... Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kömmt darauf an, sie zu verändern" (MEW 3, 6), so lautet Marx 1 erste Formulierung des Zusammenhangs von Theorie der Praxis und Praxis der Theorie in den "Thesen über Feuerbach". Marx und Engels sind in ihrer eigenen Praxis dieser Maxime g e folgt. Im Gegensatz zur spontaneistischen Praxis der Theorie in der ersten Phase, in der sich Marx als den Kopf und das Proletariat als sein Herz, das Herz "der" sozialen Bewegung dachte, und auch im Gegensatz zur aufklärerischen Praxis der zweiten Phase, in der Marx Reflexionsarbeit über die sozialen Prozesse als Teilarbeit für das Proletariat leistete, versuchen Engels und Marx nun eine bestimmende Praxis in der Arbeiterbewegung zu organisieren: Sie beginnen damit, 172

den Verkehr zwischen den kämpfenden, diskutierenden, planenden Gruppen zu intensivieren, um so zu einer sozialen Verbreitung und praktischen Verallgemeinerung der einzelnen Arbeitserfahrungen bei sozialen und politischen Kämpfen beizutragen. Engels 1 Berichte an das "Kommunistische Korrespondenz-Komitee", das sie in Brüssel eingerichtet hatten, und ergänzende Briefe dazu an Marx (beide in MEW 27, 36-72) zeigen einerseits die enormen Schwierigkeiten, die der Intellektuelle Friedrich Engels damit h a t t e , die politische Praxis des "Bundes der Gerechten" als "unsere Praxis" zu akzeptieren, andererseits aber auch die klare Erkenntnis von Engels, daß nur das Ausgehen von den tatsächlichen Verhältnissen eine Veränderung dieser Praxis möglich machen würde (vgl. insbesondere den letzten Brief von 1846, MEW 27, 69-71). Diese Erkenntnis ist auch theoretisch mehrfach von Marx und Engels in ihrer Auseinandersetzung mit den Junghegelianern begründet und angewendet worden. So formulieren sie etwa in einer Polemik gegen Stirners Verwendung des Begriffs "unmenschlich": "Dies sogenannte 'Unmenschliche 1 der unterdrückten Klassen ist ebensogut ein Produkt der jetzigen Verhältnisse wie das 'Menschliche'; es ist ihre negative Seite, die auf keiner neuen revolutionären Produktivkraft beruhende Rebellion gegen die ... herrschenden Verhältnisse und die ihnen entsprechende Weise der Befriedigung der Bedürfnisse" (MEW 3, 417). Im Gegensatz zu den Junghegelianern, die die Menschen an ihrem subjektiv gesetzten Begriff vom Menschen messen, und alles Nicht-Ideale als unmenschlich denunzieren, müssen Materialisten die reale Praxis als ihre eigene Praxis zunächst einmal a n nehmen, so wie sie als historisches Resultat sich täglich neu realisiert. Weder eine individualistisch-spontaneistische, noch eine nur aufklärende Haltung reichen aus, um wirksame Veränderungsprozesse in Gang zu setzen. Dies ist im übrigen ein Grundsatz, der in der psychologischen Therapie, vor allem der psychoanalytisch beeinflußten Richtungen ebenfalls formuliert wurde: "Klienten" müssen ihr reales Leben als Ganzes akzeptieren lernen, bevor sie grundlegende Änderungen erreichen können; darauf ist zurückzukommen.

3.9 Ergebnisse der Rekonstruktion Mit der vorangegangenen, kurzen Schilderung der politischen Praxis von Engels und Marx in der dritten Phase der Entwicklung der materialistischen Theorie (von den Thesen über Feuerbach bis Ende 1847) muß ich die Rekonstruktion der Theorieentwicklung abbrechen. Es ist nun notwendig, den Ertrag dieser Teilrekonstruktion für die übergreifende Fragestellung nach der sozialen Selbst regulation und nach einer praktischen materialistischen Psychologie zu prüfen. Zunächst möchte ich aber auf einige zu erwartende Einwände gegen die hier vorgetragene These eingehen, als Grundkategorie zur Entwicklung und Begründung einer wissenschaftlichen Theorie und Praxis der m a t e rialistischen Psychologie sei die triadische Reflexionsfigur Tätigkeit-Arbeit-Praxis unumgänglich notwendig. 173

Im Exkurs zur Begründung der materialistischen Psychologie habe ich bereits dargelegt, daß die Kategorie der Arbeit die einzige ernsthafte Alternative zur Triade Tätigkeit-Arbeit-Praxis ist, und habe auch Lucien S&ve und die Kritische Psychologie als Hauptvertreter der These zitiert, auf der Arbeitskategorie sei die materialistische Psychologie entwickelbar und zu begründen. Die Frage ist nunmehr zu beantworten, wieso die Kategorie der Arbeit allein nicht ausreicht, warum der Arbeitsbegriff im Praxisbegriff aufzuheben ist, um so die volle Figur der drei Reflexionsmodi zu erreichen. Wie der "reife" Marx in den "Grundrissen" andeutet, führt die Annahme des Arbeitsbegriffs als Basiskategorie dazu, einen gemeinschaftlicher Zweck der Produktion zu "setzen" (also zu hypostasieren), ohne daß schon gezeigt wäre, daß die reale Allgemeinheit der Produktion tatsächlich realisiert wird: "Die Arbeit des Einzelnen, im Akt der Produktion selbst b e t r a c h t e t , ist das Geld, womit er unmittelbar das Produkt ... kauft, aber es ist ein besonderes Geld, das eben nur dies bestimmte Produkt k a u f t . Um unmittelbar das allgemeine Geld zu sein, müßte sie von vornherein nicht besondre Arbeit sondern allgemeine sein, d.h. von vornherein als Glied der allgemeinen Produktion gesetzt sein. In dieser Voraussetzung aber würde nicht erst der Austausch ihr den allgemeinen Charakter geben, sondern ihr vorausgesetzter gemeinschaftlicher Charakter würde die Teilnahme an den Produkten bestimmen. ... Die Arbeit des Einzelnen also unmittelbar zum Geld machen wollen (dies wendet sich gegen einen Satz von Adam Smith, A.R.), ..., heißt sie unmittelbar als allgemeine Arbeit bestimmen, d.h. eben die Bedingungen negieren, unter denen sie zu Geld und Tauschwerten gemacht werden muß, und vom Privat aus tausch abhängt. Die Forderung kann bloß befriedigt werden unter Bedingungen, worin sie nicht mehr gestellt werden kann. Die Arbeit, auf Grundlage der Tauschwerte setzt eben voraus, daß weder die Arbeit des Einzelnen noch sein Produkt unmittelbar allgemein ist; daß es diese Form erst durch eine gegenständliche Vermittlung erlangt, durch ein von ihm verschiedenes Geld" (Grundrisse, 88 f ) . Auf den ersten Blick scheint aus dieser Argumentation von Marx nur hervorzugehen, daß unter kapitalistischen Bedingungen die besonderen Arbeitsprozesse nicht unmittelbar allgemeine Arbeit sind, daß sie vielmehr erst durch den Verkehr der Waren und der Subjekte verallgemeinert werden. Dies allein würde zwar bereits genügen, um zu zeigen, daß eine materialistische Psychologie in kapitalistischen Gesellschaften nicht allein auf der Kategorie der Arbeit gegründet werden kann, da die kapitalistisch regulierten Arbeitsprozesse erst innerhalb der gesellschaftlichen Praxis ihren allgemeinen Charakter erkennen lassen. Aber es gibt einen gewichtigeren Einwand: Wenn es überhaupt die Möglichkeit gibt, daß eine bestimmte Arbeit erst durch den gesellschaftlichen Austausch ihre Allgemeinheit gewinnt, dann muß der Übergang von je besonderen zu verallgemeinerten und allgemeinen Arbeiten selbst erklärbar sein. Wäre nun dieser Übergang stets ein Resultat eines Produktionsprozesses, den wir Verallgemeine rungs-Arbeit nennen könnten, also einer gesellschaftlich geplanten und organisierten, theoretischen und praktischen Anstrengung zur 174

Erfahrungsverbreitung und Verwissenschaftlichung der Praxis, dann in der Tat würde die Kategorie der Arbeit hinreichen zur Erklärung aller Entwicklungsprozesse von Fähigkeiten, Mitteln und Gegenständen. Aber dies anzunehmen, bedeutet die Erforschung und Verbreitung des Neuen genauso zu behandeln wie die übrigen, vor allem identisch reproduzierenden, Produktionsprozesse. Es ist, jedenfalls für meine Vorstellungskraft, keine Gesellschaft denkbar, in der neue Arbeiten, die ja vor allem durch neue Mittel möglich werden, von vornherein die "Würde" von allgemeiner Arbeit aufweisen könnten. Die Herstellung der Einheitlichkeit und Allgemeinheit wird auch in Gesellschaften mit gemeinschaftlich geplanten Produktionszwecken auf nicht vollkommen direktem Weg stattfinden können, sondern wird sich wegen der prinzipiellen Relativität der Erkenntnis in mannigfachen Widersprüchen, in der Vielfalt der Arbeiten und Tätigkeiten, durchsetzen müssen, was wegen der ebenso prinzipiellen Absolutheit der Erkenntnis auch stets möglich sein wird. Es würde hier zu weit führen, die Diskussion der Wissenschaftler der sozialistischen Länder über Widersprüche im Sozialismus (vgl. etwa Kuczynski 1978, bes. 44-48 und 64-70) oder über den nur perspektivisch allgemeinen Charakter wissenschaftlicher Arbeit (vgl. dazu Laitko 1979, Mocek 1980, 101117) zu diskutieren. Neben der bewußten Herstellung der Allgemeinheit von Fähigkeiten, Mitteln und Gegenständen werden sonach immer Prozesse der unregulierten Entwicklung der Allgemeinheit über den sozialen Verkehr eine wichtige Rolle spielen, jedenfalls für den Typ von Gesellschaft, in dem wir die materialistische Psychologie zunächst einmal zu entwickeln haben. Beide Arten der Verallgemeinerung werden aber faßbar durch den Praxisbegriff; die Entwicklung des Allgemeinen ist dann begreifbar im Sinn der entwickelnden Reproduktion des Gemeinwesens, die sich in einem Feld von variablen, vagen und doch strengen Bestimmungen bewegt, die entweder gemeinschaftliche, allgemeine Bestimmungen (soziale Perspektiven) sind, oder die aus dem Antagonismus vieler widersprüchlicher Perspektiven resultieren. Der wesentliche Unterschied zwischen Arbeitsprozessen und Praxisprozessen (letztere umfassen erstere) ist nach dem Vorangegangenen die Art der Richtungsbestimmung der Prozesse: Arbeitsprozesse sind auf einen objektiven, gut bekannten und bewußten Zweck gericht e t , die in ihnen realisierte Einheit von Subjekt und Objekt zeigt sich im Arbeitsmittel, das — sofern es nicht ein neues Mittel ist — die Allgemeinheit des Zwecks in gegenständlicher Form repräsentiert. Praxisprozesse können ebenso auf einen Zweck gerichtet sein, der gemeinschaftlich, exakt und explizit bestimmt ist, jedoch sind ebenso solche Prozesse beschreibbar, die auf einen erst antizipierten, wesentlich noch offenen Zweck, auf die Realisierung einer Perspektive, die sich durch die Realisierung selbst noch entwickelt, gerichtet sind, oder die nicht einen Zweck und auch nicht eine P e r spektive, sondern eine soziale Resultante "hinter den Rücken aller Beteiligten" reproduzieren. Die Einheit der kooperierenden Subjekte mit ihrem jeweiligen, objektiven und unabhängig von ihnen bestehenden, Gemeinwesen zeigt sich hier in den Mitteln des sozialen Ver175

kehrs, den allgemeinen, koordinierenden, gegenständlichen Verhältnissen, den eigentlichen Kooperationsprozessen selbst und den kommunikativen Mitteln. Das im letzten Satz ausgesprochene Ergebnis ist strukturell gleich dem Ergebnis, das Furth für die Reflexion auf den Arbeitsprozeß gewonnen hat (vgl. Abschnitt 3.2(2), S. 121-124). Der setzenden Reflexion entspricht danach die zweckorientierte Aktivität, der ä u ßeren Reflexion entspricht der Prozeß der Gegenstandstransformation, und der bestimmenden Reflexion entspricht die Einheit von subjektiver Zwecksetzung und objektivem Prozeß im Mittel. Reflektieren wir auf die Arbeit, so erhalten wir Arbeitstätigkeit, Arbeitsgegenstand und Arbeitsmittel. Reflektieren wir in der Praxis, so entsprechen der setzenden Reflexion die einzelnen Arbeitsprozesse in den V e r hältnissen des sozialen Verkehrs. Der äußeren Reflexion entspricht die von ihnen unabhängig existierende, objektive Praxisform. Und der bestimmenden Reflexion entspricht die vermittelnde, kooperative Einheit von in der Praxisform verlaufenden Arbeiten, die zugleich ein Mittel des sozialen Verkehrs und wiederum ein Subjekt, nämlich ein die Produktionsprozesse und ihre Entwicklungsform vermittelndes Gemeinwesen ist. Hier läßt sich also zeigen, daß die setzende Reflexion (die analytische Phase) stets das subjektive Moment des Prozesses erfaßt, die äußere Reflexion (die synthetische Phase) dagegen das objektive Moment, und daß die bestimmende Reflexion (die dialektische Phase) die Einseitigkeit der beiden anderen Reflexionsformen dadurch a u f hebt, daß die Vermittlung von subjektivem und objektivem Moment selbst als Moment und damit der gesamte Prozeß als Entwicklungspro^ zeß, als gezielt erhaltende und gerichtet verändernde Reproduktion erfaßt wird. Was nun für die Modi der dezentrierten und der rezentrierten Reflexion gilt, müßte auch für den Modus der Urzentrierung aufzuweisen sein. Und in der Tat läßt sich auch für die Reflexion aus der Tätigkeit die gleiche Abfolge zeigen: Der setzenden Reflexion entsprechen hier der einzelne subjektive Zweck, der persönliche Sinn und die b e wußten Ziele einer Tätigkeit, der äußeren Reflexion entspricht das einzelne nützliche Resultat, das gegenständliche Produkt, und der bestimmenden Reflexion schließlich die Einheit von subjektivem Zweck und nützlichem Resultat in den organismisch-gegenständlichen Prozessen, konkreten Funktionen (Handlungen und Operationen), durch die der Zweck ins Resultat übergehen kann. Genau diese Analyseebene b e handelt Piaget in seinem Text zum "Ergreifen der Bewußtheit" (vgl. 1977, bes. Kap. 16), worauf sogleich zurückzukommen ist. In diese komplexe Behauptung sind auch die Grundbestimmungen der gegenständlichen Tätigkeit eingegangen, die Alexej N. Leontjew in seinem letzten Text "Tätigkeit, Bewußtsein, Persönlichkeit" herausgearbeitet hat: Die Vermittlung zwischen der ideellen Antizipation des Tätigkeitsprodukts und dem objektiven, materiellen Resultat der Tätigkeit wird durch die lebendige Aktivität des Subjekts selbst geleistet. Leontjew benutzt zur Darstellung dieser Vermittlung das dreigliedrige Schema: Subjektive, fließende Zustände des Subjekts 176

Tätigkeit des Subjekts (eingeschlossen deren Bedingungen und Mittel) - Objekt der Tätigkeit. Oder kurz, aber mißverständlich: Subjekt Tätigkeit - Objekt (vgl. Leontjew 1979, 82 f; auch 1977, 22). An den zitierten Stellen ordnet Leontjew auch die Ziele dem Mittelglied zu, was nur für die Prozeßebene der Tätigkeit (im psychologischen Sinn) gilt, deren Mittel ja die zielorientierten Handlungen sind (vgl. oben S. 95). Durch die Entwicklung des Begriffs der konkreten Funktion im zweiten Abschnitt und durch die Figur der drei Modi der Reflexion läßt sich nun die Verbindung zwischen der Leontjewschen Triade und den "drei einfachen Momenten des Arbeitsprozesses" (Tätigkeit, Mittel, Gegenstand) begründen, die bereits im Schema des reproduktiven Systemabschlusses (s.S. 93f) impliziert war. Es ergibt sich sogar, wie bereits angedeutet, eine erkenntnisgenetisch notwendige Folge von drei Triaden, die den Kategorien: Tätigkeit - Arbeit - Praxis zugeordnet sind: Subjektiver Zweck - objektives Resultat - vermittelnde Aktivität sind die drei Momente der gegenständlichen, subjektiven Tätigkeit von einzelnen Subjekten, die in der Urzentrierung nacheinander der setzenden, äußeren und vermittelnden Reflexion zugänglich sind. Gelangt die urzentrierte Reflexion in die dialektische Phase, so wird insgesamt die Kategorie der gegenständlichen Tätigkeit als operative Repräsentation des lebendigen Prozesses gewonnen, durch den die r e gulativen, zielorientierten Bewußtseinsprozesse und die resultierenden gegenständliche Produktprozesse vermittelt sind. Damit ist auf der ersten Stufe eine Objektivierung der Erkenntnis erreicht, die eigene Tätigkeit erscheint als ein zugleich subjektiver, wie auch objektiver Prozeß. Das Ergebnis der urzentrierten Reflexion ist j e doch noch insofern hauptsächlich subjektiv, als der Übergang vom subjektiven Zweck ins objektive Resultat nur vom Standpunkt eines einzelnen Subjekts aus reflektiert wurde. Der Übergang zur dezentrierten Position muß nun nicht notwendig und immer erfolgen, sondern ist an bestimmte Bedingungen gebunden. Welcher Art sind diese "auslösenden Bedingungen" ? Dies ist die Frage nach dem "inneren Mechanismus" eines "qualitativen Sprungs", die wir bisher in diesem Kapitel mit dem Mittel des Fünfschritts zur Überwindung einer Entwicklungsstufe (vgl. oben S. 117) bearbeitet haben, und zwar, genauer gesagt, die Frage nach Schritt 2: Welche Form und welchen Inhalt hat die Entwicklungskrise des reflektierenden Subjekts in der Urzentrierung ? Ein Teil der Antwort steckt bereits im Abschnitt 1.1(2) (S. 20-23), der die Frage nach dem Inhalt sozialer Problemprozesse vorläufig beantworten sollte. Ich h a t te dort darauf hingewiesen, daß neben den von der Kritischen Psychologie vorrangig beachteten Problematiken der Beschränkung auch Problematiken der Freiheit beachtet werden müssen. Dieser Hinweis stammt, wie könnte es anders sein, aus einer Theorie, die die freie Kreativität der Subjekte vorrangig beachtet, aus Jean Piagets soeben zitierter Untersuchung über den Prozeß der Bewußtwerdung der eigenen Aktivität: Der Bewußtwerdungsprozeß, so sagt Piaget, kann beschrieben wer177

den als eine Bewegung von der Peripherie zum Zentrum. Diese Terminologie erläutert er in mehrerlei Hinsicht: Zum Anfang des Prozesses stehen zwei Merkmale insofern peripher, als sie mit der Auslösung der Handlung und mit ihrem Eingriffspunkt verbunden sind, aber nicht die zentralen Strukturen des Gegenstands oder der Handlung b e t r e f fen: Am Beginn der Bewußt werdung steht die Bewußtheit dessen, was das Ziel ist, und die Bewußtheit des Produkts oder Resultats der Handlung. Dagegen sind die realisierenden Operationen, die vermittelnden Prozesse noch nicht bewußt. "Während das Handlungsziel sicherlich peripher im Verhältnis zum Subjekt ist, beinhaltet die T a t sache der Zielzuweisung an diese Handlung interne Faktoren, obwohl diese teilweise durch die Natur des Gegenstands bedingt sind. Warum benutzen wir dennoch die Ausdrücke 'Peripherie' und 'Zentrum' ? Der erste ist, daß die internen Faktoren zunächst dem Bewußtsein des Subjekts entgehen. Der zweite, vollkommen allgemeine Grund ist, wenn wir nur die Reaktionen des Subjekts betrachten, daß das Wissen weder vom Subjekt, noch vom Objekt aus fortschreitet, sondern von der Wechselwirkung zwischen ihnen, also vom Punkt P der (nebenstehenden) Abbildung 6, der sowohl peripher in bezug auf das Subjekt (S) ist, wie auch in bezug auf das Objekt (O). Von dort bewegt sich die Bein Richtung der zentralen Mechanismen (Z) der Handlung des Subjekts, während das Gewahrsein des Gegenstands sich in Richtung seiner intrinsischen Eigenschaften Z ^ — . — P • - > Zf (in diesem Sinne ebenfalls zentral, Z') bewegt, und nicht länger auf die oberflächlichen Eigenschaften gerichtet ist, die nur mit den Handlungen des Subjekts verbunden sind" (Piaget 1977, 334 f, aus dem Englischen übersetzt). "Im Fall von Fehlern muß der Grund für sie gesucht werden, und dies führt die Bewußtwerdung in zentralere Regionen der Handlung. ... Jedoch kann fortschreitende Bewußtwerdung ... auch ohne Anpassungsmängel geschehen, in anderen Worten, sogar wenn das Handlungsziel ohne jeglichen Fehler erreicht wird" (aaO, 335 f ) . In diesem Fall geht es dem reflektierenden Subjekt z.B. um folgende Probleme: "Warum ist es einfacher, einen Gegenstand s t a t t eines anderen zu b e n u t zen? Warum ist eine Art ihn zu benutzen effektiver als eine andere Art? ... Die positiven Probleme (die Gründe für den Erfolg) werden am wichtigsten für die aktiven Anpassungen während der Versuche des Subjekts, die Lösung zu finden" (336). Piaget findet dann drei Stufen der Entwicklung der Bewußtheit von Handlungen (346-350), die mir analog der Stufung zu sein scheinen, die Barbara Grüter (1979, 168) aus kritisch-psychologischer Perspektive gefunden h a t . Dieser Bezug auf Piaget sollte zeigen, daß das in meiner Rekonstruktion gewonnene Resultat für die urzentrierte Reflexion auch mit anderem Theoriehintergrund und in einer empirischen Untersuchung gefunden werden kann. Außerdem ist Piagets Betonung der "positiven" Probleme, der Problematik des Erfolgs und der Freiheit wichtig für

O

178

ein vollständiges Verständnis des Übergangs zur dezentrierten Position: Sie kann sowohl notwendig werden, um einen Mißerfolg oder eine drohende Beschränkung zu überwinden, als auch aus der Notwendigkeit heraus, eine einzelne erfolgreiche Tätigkeit zu einer allgemeinen Form gesellschaftlicher Arbeit emporzuheben. Mit dem Übergang zur dezentrierten Position wird nun aber e r kennbar, daß der subjektiven Tätigkeit der objektive Gegenstandsprozeß genetisch vorgeordnet ist: Die subjektiven Zwecke erscheinen nunmehr als Ausdruck der Wiederkehr einer Funktionsnotwendigkeit und sind immer schon auf bestimmte, vorausgesetzte Arbeitsgegenstände (relative Rohstoffe, bereits existierende Verhältnisse usw.) bezogen. Wird auf dieser dezentrierten Stufe wiederum die setzende, äußere und bestimmende Reflexion realisiert, so ergibt sich die Triade: Arbeitstätigkeit - Arbeitsgegenstand - Arbeitsmittel, die zusammen mit der ersten Triade das kategoriale Schema der konkreten Funktion bildet. Damit ist auch die Kategorie der gesellschaftlichen Arbeit gewonnen, eine neue Stufe der Objektivierung der Erkenntnis erreicht, auf der die einzelne Tätigkeit als Teil eines bestimmten, allgemeinen Produktionsprozesses, eines zugleich objektiven wie subjektiven Prozesses, erscheint. Die Subjektivität der Arbeitsprozesse ist nun schon eine soziale, nicht mehr nur individuelle Subjektivit ä t , und doch ist das Ergebnis der dezentrierten Reflexion noch hauptsächlich objektiv, durch das systembildende gegenständliche R e ultat bestimmt. Wie in der Urzentrierung ein Defizit an Objektivität dadurch gegeben war, daß das einzelne Subjekt reflektierte, ist nun ein Defizit an Subjektivität dadurch gegeben, daß das reflektierende Subjekt die Resultate der Produktion und die ihnen entsprechenden, sie antizipierenden Zwecksetzungen von außen b e t r a c h t e t , sie noch nicht als seine eigenen, besser: als "unsere" Zwecke betrachten kann. Auch der Übergang zur rezentrierten Reflexion ist nicht immer notwendig, und auch seine Notwendigkeit ist nicht nur durch die "Wendung der Not" zu bestimmen. Wohl gibt es viele Situationen, in denen aus einer Beschränkung heraus eine neue Perspektive gefunden werden muß, aber ebenso gibt es Situationen, in denen eine Wahl zwischen (vielleicht allzu-) vielen Möglichkeiten getroffen werden muß. Die Rezentrierung wird also immer nötig, wenn die (möglicherweise widersprüchliche, sogar antagonistische) Vielfalt der Richtungen der produktiven Tätigkeiten von kooperierenden Subjekten zur neuen Perspektive eines bestimmten Gemeinwesens verschmolzen (verschränkt, vgl. Ottomeyer 1980) und so praktisch verallgemeinert werden muß. Durch den Übergang zu einer rezentrierten Position werden nun die Arbeitsprozesse wieder vor allem als Aktivität der einzelnen produzierenden Subjekte b e t r a c h t e t , die zunächst durch die unabhängig von ihnen bestehenden Produktions- und Verkehrsformen des Gemeinwesens äußerlich bestimmt erscheinen. Wird auch auf dieser r e zentrierten Stufe die Folge von setzender, äußerer und bestimmender Reflexion realisiert, so ergibt sich die Triade: Arbeitsprozesse Praxisform - Gemeinwesen als Mittel-Subjekt im sozialen Verkehr. 179

Damit ist die Kategorie der sozialen Praxis gewonnen, diejenige Stufe der Objektivierung der Erkenntnis, auf der die Reproduktion der Gemeinwesen als ein zugleich objektiver, aber auch subjektiv bestimmbarer Prozeß erscheint. Diese Subjektivität ist nunmehr zugleich gesellschaftliche, objektive Bewußtheit, die ihre Realität und Allgemeinheit in den Mitteln des sozialen Verkehrs hat, wie auch individuelle Subjektivität, indem die reflektierenden Subjekte sich als Teilprozeß der Reproduktion ihres eigenen Gemeinwesens, d.h. auch der Reproduktion ihres eigenen, historischen, menschlichen Wesens begreifen, und zugleich die Mittel zur bewußten Entwicklung des Gemeinwesens kennen: die kooperativen Subjekte, durch die das Einander-Entwickeln der Individuen mit der Reproduktion des Gemeinwesens verbunden ist. Das Hauptergebnis des dritten Kapitels möchte ich in der folgenden Tabelle zusammenfassen: Tabelle 2: Modi der Reflexion und Kategorien der menschlichen Aktivität

Reflexionsmodus Subjektives und Kategorie Moment

Objektives Moment

Vermittlungsmoment

U rzent rierung

Subjekt ive r Zweck, Sinn, bewußtes Ziel

nützliches Resultat, gegenständliches Produkt

organism ischgegenständliche Aktivität, Operation: Einheit von Zweck u. Resultat

zweckgerichtete, subjektive Tätigkeit

materieller Gegenstandsprozeß

gegenständliche Arbeitsmittel: Einheit von Tätigkeit und Gegenstandsprozeß

Reflexion aus

der Tätigkeit Subjekt ivistisch

Dezentrierung Reflexion über

die Arbeit objektivistisch

Rezentrierung Reflexion in

der Praxis subjektiv und objektiv

einzelne Arbeits- gemeinsame Form und Produktions- der Reproduktion prozesse und Entwicklung: Praxisform

Gemeinwesen als Mittelsubjekt im sozialen Verkehr: Einheit von Produktion und Praxisform

Im Endergebnis wird mit der Aufstellung dieser Tabelle auch eine begründete Klassifikation der Mittel der lebendigen, menschlichen Aktivität möglich, die umso notwendiger ist, als sich im Verlauf des vorliegenden Textes eine gewisse "Inflation" des Mittel-Begriffs ergeben hat. Aus der Spalte "Vermittlungsmoment" ergibt sich nunmehr die Unterscheidung von organismisch-gegenständlichen Mitteln der 180

Tätigkeit, gegenständlichen Arbeitsmitteln und Mitteln des sozialen Verkehrs. Die letzteren möchte ich zukünftig Kooperationsmittel der Praxis nennen, wobei der weitere Begriff von Kooperation, der Koordination, Kommunikation und die engere Kooperation umfaßt, gemeint ist. Entscheidend für das richtige Verständnis dieser Klassifikation ist die Erkenntnis, daß die jeweils nächste Klasse die vorherige mit umfaßt. Sehr klar wird dies am Beispiel der koordinativen Mittel der Praxis: Sie sind ja identisch mit den gegenständlichen Verhältnissen des Gemeinwesens, enthalten also insbesondere die Produktionsmittel, von denen bereits mehrfach ausgesagt wurde, daß ihre konkrete Ausformung bereits die Art der Kooperation zwischen den Arbeiten b e stimmt (vgl. Marx, MEW 23, 341-355). Neben den Produktionsmitteln gehören zu den koordinativen Mitteln aber ebenso die gegenständlichen Verkehrsmittel. In den "Grundrissen 11 analysiert Marx paradigmatisch die Rolle von Verkehrswegen (Grundrisse, 422-432), und zeigt, unter welchen Bedingungen das Kapital die Produktion von Verkehrsmitteln selbst unternimmt, anstatt sie vom Gemeinwesen, genauer: vom das Gemeinwesen repäsentierenden Staat als selbstverständliche Grundlage der Kapitalverwertung zu fordern. Die weitere Untersuchung der Klassifikation der Mittel würde an dieser Stelle zu weit führen, da hierzu notwendig eine historische Analyse der Entwicklung der Tätigkeit, Arbeit und Praxis erarbeitet werden muß, wie oben im zweiten Kapitel (2.2) bereits begründet wurde. Eine verdeutlichende, wenn auch vergröbernde Formulierung möchte ich jedoch noch anschließen: Das Haupt mittel der individuellen Subjekte ist ihre Tätigkeit (verstanden als einverleibtes System von Operationen, als körperlich fixiertes Können), das Hauptmittel der arbeitenden Menschen sind ihre gegenständlichen Werkzeuge (dies schließt symbolisch-gegenständliche Mittel ein), und das Haupt mittel der in einem Gemeinwesen kooperierenden Subjekte ist ihre gemeinsam und reflexiv regulierte Reproduktion, ihre kooperative Integration, wie es die Kritischen Psychologen nennen, in der die Einheit von Produktion und Praxisform, die dies konkrete Gemeinwesen ausmacht, stets erneut produziert wird.

181

3.6 THESEN ZUR PSYCHOLOGISCHEN METHODOLOGIE

Der Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit war die Frage nach einer angemessenen Methodologie für die Psychologie, die als eine praktische Wissenschaft verstanden wurde. Es sollte untersucht w e r den, mit welchen Kategorien eine psychologische Theorie der sozialen Selbst regulation aufgebaut werden kann, die durch Konkretisierung auf die realen gesellschaftlichen Problemverhältnisse zu einer Theorie der psychologischen Praxisanteile weiterentwickelbar ist. Für eine materialistische Psychologie mußte der Ausgangspunkt der Untersuchung eine Bestimmung des Gegenstands der gesuchten Theorie sein, und es wurde gezeigt, daß dieser Gegenstand — ein psychologisch zu bearbeitender, sozialer Problemprozeß — strukturell und prozessual analog dem methodologischen Problem einer praktischen Theorie ist: Die Tätigkeit der Psychologen, das wurde im ersten Kapitel noch als These formuliert, ist zu verstehen als Teil der entwickelnden, e r weiternden, verallgemeinernden Reproduktion der sozialen und der "inneren" Verhältnisse der personalen Subjekte, die wir als "Klienten" der Psychologen bezeichnen können. Als kategoriale Ausgangsstruktur für die weitere Untersuchung wurde ein differenziertes Subjektmodell vorgestellt, das gleichzeitig ein Minimalmodell für den psychologischen Gegenstand, wie auch ein elementares Modell für methodologische Untersuchungen sein sollte. In dieses Modell ging wesentlich die Theorie der Tätigkeitsregulation ein, die von A.N. Leontjew (1977, 1979) ausgearbeitet wurde. Durch eine Untersuchung der vorhandenen wissenschaftstheoretischen Konzeptionen konnte dann sowohl gezeigt werden, daß diese nicht ausreichen, um die kategoriale und methodologische Basis einer praktischen Psychologie zu bilden, wie aber auch, daß die Theorie der Tätigkeitsregulation weiterentwickelt werden muß, insbesondere, um die Tätigkeit der Psychologen auch als gesellschaftliche Arbeit mit sozial produzierten, allgemeinen Arbeitsmitteln beschreiben zu können. Die These wurde formuliert, daß Psychologenarbeit als Reproduktionsarbeit zu verstehen ist, die in konkreten Gemeinwesen zu leisten ist. Zur Begründung und Entfaltung dieser These war daher einerseits die Kategorie der Arbeit und als deren zentrales Moment die Kategorie der Arbeitsmittel zu entfalten, was im zweiten Kapitel versucht wurde. Und andererseits mußte die Kategorie der sozialen Praxis in einem Gemeinwesen geklärt werden. Dies geschah im dritten Kapitel 182

durch eine Rekonstruktion der Entwicklung einer paradigmatischen, praktischen Theorie: des dialektischen und historischen Materialismus durch Karl Marx und Friedrich Engels. Diese erste materialistische Theorie im modernen Sinn wurde als Kernbeispiel einer genuinen Sozial Wissenschaft verstanden, daher wurde aus den vielfältigen inhaltlichen Möglichkeiten der Rekonstruktion die Entwicklung der Kategorie des Gemeinwesens und der Subjektkategorie gewählt. Und in methodologischer Hinsicht wurde vorrangig das Verhältnis der theoretischen Arbeit zur praktisch-politischen Arbeit der Begründer der materialistischen Theorie untersucht. Hierbei wurde davon ausgegangen, daß die Entwicklung einer praktischen Theorie am besten als Herstellung einer materiellen Analogie zwischen dem theoretischen Verhältnis zum symbolisch repräsentierten Gegenstand und dem praktischen Verhältnis zum realen, materiellen Gegenstand der Theorie zu beschreiben ist. Als notwendige Verbindung zwischen den beiden Arbeitsprozessen wurde das Wissen und Können, die lebendigen Begriffe der arbeitenden Subjekte hervorgehoben. Die begrifflichen und methodischen Voraussetzungen zur Präzisierung der kategorialen Struktur der materiellen Analogie wurden im zweiten Kapitel erarbeitet. Als Ausgangsbegriff für die psychologische Beschreibung von Arbeitsprozessen wurde die Kategorie des funktionellen Systems vorgestellt, indem ihre Entwicklung durch P.K. Anochin und A.R. Luria geschildert wurde. Die Kategorie des funktionellen Systems wurde damit als eine empirisch gewonnene Kategorie ausgewiesen. Für ihre Ausbildung war entscheidend, daß die Forschungen von Anochin und Luria unter dem Primat der Entwicklung geführt wurden, wodurch die abstrakte Systemtheorie überwunden werden konnte. Um methodisch mit einer solchen konkreten System-Kategorie umzugehen, bedarf es jedoch einer Regel zur analytischen Herauslösung eines funktionellen Systems aus dem Gesamt der sich entwickelnden Lebensprozesse, und diese wiederum kann nur gewonnen werden, wenn ein adäquater Entwicklungsbegriff verwendet wird. Durch eine Konfrontation der biologisch-deterministischen (vgl. Jaroschewski 1975, 123-138) Theorie Darwins und der biologisch-kreativistischen Theorie Piagets konnte die abstrakt-allgemeine Struktur des Raums der rekursiv selbst ähnlichen, konkreten Funktionen entwickelt werden, von der ich behaupten möchte, daß sie mathematisierbar, jedenfalls aber symbolisch und operativ vergegenständlichbar ist. Grundelement oder "Zellenform" dieses Funktions-Raums ist die reproduktiv abschließbare, konkrete Funktion, deren kategoriale Struktur fünf Momente aufweist: Zweck, Mittel, Resultat, Tätigkeit, Gegenstand. Ich glaube, daß diese Struktur auf allen Ebenen der Lebensprozesse erneut (rekursiv selbst ähnlich) als ein kategoriales und methodologisches Ordnungsprinzip angewendet werden kann. Für die Psychologie jedoch genügt es bereits, und dies wurde an einem Beispiel gezeigt, daß die konkrete Funktion (bzw. das reproduktiv abgeschlossene funktionelle System) ein Beschreibungs- und Erklärungsmittel von der Ebene der physiologischen Funktionen bis "hinauf" zur Ebene der Funktionen eines Gemeinwesens ist. 183

Dies bedeutet eine enorme Vereinfachung der theoretischen Beschreibung von Arbeitsprozessen, und insbesondere wurde damit auch die These von Peter Ruben psychologisch reproduziert, daß die theoretische Arbeit der gesellschaftlichen, produktiven Arbeit strukturell vollkommen analog ist: Auch die Theorieproduktion ist durch ein Netzwerk von konkreten Funktionen beschreibbar. Damit war die Präzisierung der materiellen Analogie möglich: als eine Verkoppelung zweier konkreter Funktionen durch ein gemeinsames Resultat, auf das beide Funktionen konvergieren. Diese Leistung wurde vorläufig als Leistung eines Subjekt syst ems angesehen. Das soll heißen: Subjekte haben die Fähigkeit, eine konkrete Funktion mit symbol isch-gegenständlichem Resultat so mit einer anderen konkreten Funktion mit materiell-gegenständlichem Resultat zu koordinieren, daß die beiden Resultate strukturell konvergieren, oder kurz: Subjekte können ihre theoretisch gewonnenen Resultate auch praktisch realisieren, indem sie eine materielle Analogie nutzen bzw. herstellen. Dies scheint eine äußerst triviale Feststellung zu sein, und in der Tat ist diese Bestimmung des Verhältnisses von Arbeit und theoretischer Arbeit noch zu abstrakt-allgemein, um für eine praktische Theorie, gleich welchen Gegenstandes, mehr als ein orientierender Hinweis zu sein. Durch "Aufsteigen" zu einer konkreteren Fassung des abstrakt-allgemeinen methodologischen Prinzips der materiellen Analogie muß nun gezeigt werden, daß sich eine praktische Psychologie darauf gründen läßt. 4.1 Subjekt: Ein kooperatives, reproduktives und reflexives Verhältnis von Mitteln und Formen lebendiger Aktivität Im dritten Kapitel wurde aus den von Klaus Holzkamp (1973) b e schriebenen drei "gnostischen Stufen" eine leitende Hypothese für die Rekonstruktion der Entwicklung des materialistischen Praxisbegriffs gewonnen, und im Verlauf der Untersuchung mit G.W.F. Hegels drei Reflexionsgestalten in Verbindung gebracht. Nach dieser Hypothese wird eine vollständige Reflexion eines Subjekts über die e i gene Aktivität und deren gegenständliche Bedingungen idealtypisch drei Phasen, drei "Modi" durchlaufen: Beginnend mit der Reflexion aus der Tätigkeit, die eine begriffliche Repräsentation der Erscheinungsform des Gegenstands produziert, und die in der Position der Urzentrierung im reflektierenden Subjekt vollzogen wird, muß zur Aufklärung des eigenen Beitrags der Tätigkeit des Subjekts zu seinen gegenständlichen Verhältnissen ein Übergang zur dezentrierten Position erfolgen, damit die Phase der Reflexion über die Arbeit des Subjekts möglich wird. In der Dezentrierung wird es dem Subjekt möglich, die Einheit seiner Tätigkeit mit dem ihm widerstreitenden Gegenstandsprozeß in den Arbeitsmitteln zu begreifen. Die Arbeitsmittel sind grundsätzlich als Operationen, als konkrete Funktionen einer bestimmten Prozeßebene, zu verstehen, daher führt die dezentrierte Reflexion auf eine operative Repräsentation der Einheit des 184

Subjekts mit seinen Gegenständen. Solche dezentrierten Reflexionsprozesse werden von der allgemeinen Problemlösetheorie beschrieben (vgl. z.B. Newell & Simon 1972); das dort zugrundeliegende Modell des analytisch abgeschlossenen Problemraums muß allerdings zum Modell des Funktions-Raums erweitert werden, um die Reflexionsform, die Hegel als synthetisches Erkennen bezeichnete, operativ-symbolisch zu vergegenständlichen. Dies ist zum Teil bereits mit den h e terarchischen Strukturen der neueren Modelle in der Forschung zur "Künstlichen Intelligenz" erreicht worden (vgl. Boden 1977, Hofstadter 1979, Minsky 1980). In der dritten These werde ich hierauf zurückkommen. Die Reflexion über die Arbeitsprozesse in der Dezentrierung ist jedoch auf die Fixierung eines obersten Zwecks der Arbeiten notwendig angewiesen, da sonst die Suche im Problem räum, die Konstruktionen im Funktionsraum keine Richtung hätten. Dies bedeutet aber auch, daß das dezentriert reflektierende Subjekt noch davon abstrahiert, daß seine generelle Perspektive wesentlich offen ist und Möglichkeiten der Wahl verschiedener Problem räume vorhanden sind. Wenn die Perspektive des reflektierenden Subjekts unklar, verworren, angstbesetzt oder unbestimmt, grenzenlos, unfaßbar ist, muß es den Übergang zu einer weiteren, höheren Phase der Reflexion vollziehen: Während es in dezentrierter Position seine Aktivität als Arbeit, als objektiv notwendigen, durch das Resultat regulierten Prozeß betrachtete, kann es nun durch eine Rezentrierung in ein höheres Subjekt, in sein Gemeinwesen, versuchen, die generelle Richtung seiner Entwicklung, seine praktische Perspektive, zu bestimmen. Das Gemeinwesen ist von den einzelnen Subjekten, die es ausmachen, unabhängig, ist ein m a t e rielles, unabhängig von seiner Repräsentation im Bewußtsein der Subjekte existierendes, Reproduktionsverhältnis von Mitteln und Formen der Kooperation. Dies heißt aber auch: Das reflektierende Subjekt kann seine P e r spektive nur als soziale Entwicklungsrichtung, als in seinem Gemeinwesen in Kooperation mit anderen Subjekten mögliche Realisierung einer antizipierten Praxis bestimmen. Kommt es bei der Reflexion über die Arbeit darauf an, über die Arbeitmittel zu verfügen, so ist es in der Reflexion in der Praxis unumgänglich, ein Gemeinwesen als kooperatives Mittel-Subjekt zu finden oder zu "organisieren". Diese Einsicht stammt bereits von G.W.F. Hegel (vgl. HW 7, "Grundlinien der Philosophie des Rechts"), aber in Hegels Fassung des Subjektbegriffs gab es keine Möglichkeit, die Realität der existierenden Gemeinwesen angemessen zu erfassen, da Hegel die Einheit der Subjekte mit ihren Objekten idealistisch hypostasierte, soll heißen: Hegel setzte das paradigmatische bürgerliche Subjekt als Besitzer der R e a lisierungsmittel voraus. Und er setzte einen Typ der kooperativen Mittel der Praxis voraus, der nur in der idealistischen Sphäre des Sollens existiert: den Staat der konstitutionellen Monarchie mit der Verkörperung des Allgemeininteresses im Monarchen. Die inhaltliche Rekonstruktion der frühen materialistischen Theorie hat im Gegensatz zu diesem idealen, bloß gedachten Bild des Gemeinwesens ergeben, daß einzelne Subjekte die kooperativen Mittel185

Subjekte zu funktionalen Mitteln, Produktionsmitteln, ihrer Privatinteressen mißbrauchen können: Der oberste Zweck der kooperativen Subjekte, die vorsorgende Produktion der Lebensmittel für die Reproduktion des Gemeinwesens, wird in ein Mittel der Akkumulation des Vorsorge-Potentials, des Kapitals, verwandelt. Und zwar akkumuliert es in der Hand privater Subjekte, die sich unter dem Schutz der Eigentumsgesetze vom Gemeinwesen isolieren können: Eine einseitige Abschottung, versteht sich, die in Akkumulationsrichtung durchlässig ist. Diese Zweck-Mittel-Verkehrung haben Engels und Marx als den Grundfehler der bürgerlichen Revolution des Gemeinwesens klar h e rausgearbeitet. Daraus läßt sich die Regel ableiten: Kooperative Mittel-Subjekte dürfen nur als Subjekte, aber nicht als funktionale Mittel, nicht als funktionelle Systeme betrachtet, und schon g a r nicht als solche behandelt werden. Aus dem Funktions-Raum kann der Raum der Subjektentwicklung folglich nur gewonnen werden, wenn die grundlegende Subjekt struktur ebenfalls rekursiv selbstähnlich auf allen Prozeßebenen angenommen wird: Sowohl die personalen Subjekte, die einzelnen Menschen-Individuen, sind als reflexive, bewußt handelnde, selbst-reproduktive Systeme zu begreifen, wie auch die sozialen, kooperativen Mittel-Subjekte, d.h. das jeweilige Gemeinwesen, und es sind viele Ebenen der Integration von Gemeinwesen zu höheren Gemeinwesen zu unerschieden. Dies bedeutet jedoch eine radikale Umarbeitung der Subjektkategorie: Einmal müssen die Subjekte in der Rezentrierung s t e t s in der variablen, nicht untrennbaren, Einheit mit ihren materiellen Verhältnissen gesehen werden; die Eigentumsformen gehören zu den zentralen Charakteristika der Subjekte. Zum anderen muß die Vorstellung fallengelassen werden, daß das naive, urzentrierte, individuelle Selbstbewußtsein (das Gewahrseins des Selbst und der Gegenstände) in seiner momentanen (!) Einheitlichkeit ein Modell für die Normalform des Subjekts sein könnte. Dies ist eine revolutionäre Auffassung dessen, was ein Subjekt ist: Heißt es doch, daß auch die einzelnen Personen nach dem Modell der kooperativen Mittel-Subjekte, also als Gemeinwesen, verstanden werden müssen. Die praktisch aktive Person ist als eine kooperative Einheit ihrer verschiedenen Tätigkeiten zu denken, in der variable Arbeitsmittel und Gegenstände organisiert sind, und in der vielfältige Zwecke in objektive Resultate übergehen, die den bewußten Zielen widersprechen mögen. Das Insgesamt der einer Person verfügbaren funktionalen Mittel bildet ihre eigene Entwicklungsform, das heißt: das System der funktionalen Mittel einer Person setzt die Grenzen ihrer freien, praktischen Bewegung in diesen Grenzen. Innerhalb dieser Grenzen verläuft der widersprüchliche, vielfältige, materielle Prozeß der personalen, reflexiven Praxis, als deren dauernd reproduziertes Resultat wir die Persönlichkeit verstehen können. Dezentriert gesehen, können wir diesen wirklichen Lebensprozeß des personalen Subjekts als einen eigenzeitlich strukturierten Prozeß, als basalen "Zeitplan" (emploi du temps, Shve 1972, 338 f f ) sehen. In der Rezentrierung ist dann auch erkennbar, daß die Entwicklungsfor186

men der einzelnen Personen durch ihre kooperative Integration p e r spektivisch entwickelbar sind. Diese revolutionäre Schlußfolgerung ist bereits vor 136 Jahren gezogen worden: "Das menschliche Wesen ist kein dem einzelnen Individuum inwohnendes Abstraktum. In seiner Wirklichkeit ist es das ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse" (6. Feuerbach these, MEW 3, 6). Lucien Seves grundlegender Text ist wahrscheinlich auch deshalb mißverstanden worden, weil Seve einen allzugroßen Ebenensprung beim Nachweis der rekursiven Selbstähnlichkeit von Gesellschaft und Individuum unternahm: Er versuchte, Strukturen der m a t e riellen Produktion als Analoga zu "inneren" Strukturen der p e r sonalen, reflexiven Praxis zu verwenden. Leider wurde Seves Text daher als "Ökonomistisch verbogen" nur ungenügend produktiv genutzt; es ist an der Zeit, das Urteil über Seve zu revidieren. Ein zentraler Begriff der materialistischen Theorie, der Begriff der Individualitätsform, der von S&ve psychologisch interpretiert wurde, ist dagegen in der Entwicklung der Kritischen Psychologie ausgiebig genutzt worden, wie ich im Exkurs zur Psychologie bereits geschildert habe. Gleichfalls wurde die Kategorie der kooperativen Integration mannigfach genutzt und auch in einem empirischen Forschungsprojekt bereits methodisch gewendet (vgl. Holzkamp 1979, leider gibt es noch keinen neueren Bericht). Wenn die in meiner Arbeit vorliegende Argumentation zutrifft, dann wird sich die volle Potenz dieser Ansätze jedoch erst zeigen können, wenn der bereits implizit vollzogene Übergang zur Praxiskategorie und weiter zur vollen R e f l e xionsfigur (Aufnahme auch der Kategorie der Tätigkeit) explizit und ausführlich durchgeführt wird. 4.2 Die Figur der drei Reflexionsmodi ist ein methodologisches Grundprinzip reflexiver Praxis im Gemeinwesen Dazu sind auch weitere theoretische Arbeiten nötig: Der "obere Kontext" der personalen Subjekte, d.h. die vielfachen Ebenen der kooperativ-sozialen Subjekte (Familien, Gruppen, Organisationen, Betriebe, Institutionen etc.) wären detailliert, und in ihrer historischen Herausbildung zu beschreiben; gleichfalls wäre der "untere Kontext" der personalen Subjekte neu zu erforschen, d.h. die vielfachen Ebenen der Sub-Systeme der Personen, die ihrerseits als kooperative, subjekt-artige Systeme betrachtet werden müssen (wegen der rekursiven Selbstähnlichkeit müssen sie Selbst repräsent at ion, R e f l e xivität, Selbstreproduktion und Entwicklungsfähigkeit aufweisen, um als Subjekt-Sub-Systeme qualifiziert werden zu können). Wo die "obere" und die "untere" Grenze der rekursiven Selbst ähnlichkeit liegt, vermag heute niemand zu sagen. Aber das Wichtigste ist gegenwärtig nicht diese theoretische Arbeit. Es geht vielmehr darum, das ist die zweite These, die ich hier verteidigen möchte, das Alltagswissen und Alltagskönnen des Einander-Entwickelns in kooperativer Integration zu verallgemeinern. Es 187

ist nämlich keineswegs der Fall, daß im Alltagswissen die bisher in diesem Abschnitt resümierten Erkenntnisse der materialistischen Theorie nicht enthalten wären. Im Gegenteil gibt es große gesellschaftliche Organisationen wie die Gewerkschaften, die eine sozial produzierte Kristallisation dieser Erkenntnisse in einem MittelSubjekt darstellen. In der Entwicklung dieser modernen Organisationen hat die materialistische Theorie der Praxis eine wesentliche Rolle gespielt, aber auch diese Theorie war eine theoretische V e r allgemeinerung bereits vorhandenen sozialen Wissens, wie die vielen "Losungen" der sozialen Kämpfe vor dem 19. Jahrhundert beweisen, in denen immer wieder zum Ausdruck kam, daß "wir nur gemeinsam stark genug sind, um unsere menschlichen Verhältnisse zu erkämpfen". Auch die von mir in idealer Form beschriebenen drei Modi der Reflexion gehören dem Alltagswissen an: "Du siehst das Problem nur aus Deiner Sicht. Steig da doch mal raus", "Du mußt auch mal Deinen eigenen Anteil sehen", "Ja, wenn wir das unbedingt erreichen wollen, dann müssen wir's so machen. Aber können wir das gegenwärtig überhaupt erreichen?", "Alleine schaffen wir das nie. Wer hat noch ähnliche Interessen und Ziele, die müssen wir finden" — dies sind tagtäglich verwendete Sprechhandlungen, die den Übergang zu einem anderen Reflexionsmodus fordern. Auch im heute vorfindbaren Alltagswissen sind bereits theoretische Verallgemeinerungen enthalten; in der Entwicklung der psychologischen Therapieformen sind viele b e griffliche Verallgemeinerungen (als repräsentationale Begriffe oder als Regeln, operative Begriffe oder als Haltungen bzw. Einstellungen, perspektivische Begriffe) produziert worden, die in bestimmten Schichten der westdeutschen Bevölkerung geradezu zu den Modebegriffen der Reflexion im Gespräch geworden sind. Am wichtigsten schließlich sind die in der sozialen Praxis b e reits vorhandenen Formen und Mittel der kooperativ-sozialen Subjekte: Formen und Mittel des familiären Einander-Entwickelns, der Nachbarschaf t s - und kollegialen Hilfeleistung, der Organisation von Gleichbetroffenen usw. Diese Formen und Mittel gehören zum überindividuellen Wissen und Können, werden in den Diskursen und im Habitus der sozialen Subjekte reproduziert, wobei bestimmte gegenständliche Verhältnisse, allen voran Wohn- und Arbeitsverhältnisse vorausgesetzt sind. Wir akademischen Psychologen wissen zu wenig über diese eigentlich nur der soziologischen Sicht zugänglichen Prozesse, und wir können daher auch nicht recht viel mehr, als jeder von uns in seinem Gemeinwesen sich aneignen konnte und kann. Die praktisch arbeitenden Psychologen sind in einer Situation, die sie nur bewältigen können, wenn sie eine persönliche Synthese, möglicherweise unterstützt durch eine kollegiale Supervisionsgruppe, des Alltagswissens und -könnens, das in dem Gemeinwesen lebendig ist, in dem sie arbeiten, mit dem theoretischen Wissen und Können aus der Therapie» und Pädagogikforschung zuwege bringen. Und wir können sicher sein: Überall werden solche persönliche Synthesen produziert, anders können sich die Psychologen in ihrer Professionalität nicht reproduzieren. Es kommt daher darauf an, diese Erfahrungen wiederum zu verallgemeinern, und auch dies ist theoretische Arbeit: "Wissen188

schaft liegt dann vor, wenn es Ziel einer gesellschaftlichen Tätigkeit geworden ist, die gegenständlichen Mittel der geistigen Arbeit, die sonst zur Planung der Arbeit verwendet werden, unabhängig von diesen Planungszwecken auf die in ihnen enthaltenen Möglichkeiten des Mittelgebrauchs zu untersuchen" (Damerow u.a. 1981, 226 f ) . Dieser Definition von Wissenschaft, die auf die "exakten Wissenschaften" gemünzt ist, ist nur hinzuzufügen, daß eine praktische Theorie erst dann produziert werden kann, wenn außer der Reflexion über die Möglichkeiten der Mittel auch die Reflexion über die Sprengung alter und über die perspektivische Ansteuerung neuer Formen unter Abstraktion von einzelnen, aktuellen Perspektiven erfolgt. Aber auch die Produktion praktischer Theorie ist noch nicht die ganze, praktische Wissenschaft. Vielmehr muß sie auch die Verwissenschaftlichung der sozialen Praxis betreiben, d.h. die praktische Verallgemeinerung der theoretisch allgemeinen Ergebnisse realisieren helfen. Für eine Sozialwissenschaft ist dies essentiell, denn sobald der Gegenstand als Verhältnisse von Subjekten bestimmbar ist, sind wissenschaftliche Tätigkeit, Gegenstand der Wissenschaft und die Hauptmittel strukturell analog, wie bereits mehrfach begründet wurde. Eine Sozialwissenschaft muß daher methodisch kontrollierte R e flexion in der Praxis konkreter Gemeinwesen betreiben, und nach den Ergebnissen des dritten Kapitels muß sie dabei stets erneut die Figur der Reflexionsmodi realisieren und zugleich als wesentliches Mittel des Einander-Entwickelns empirisch aufweisen und verallgemeinern. Die Frage ist nun, wie diese Forderung tatsächlich realisierbar ist. 4.3 Entwicklungsprozesse können und müssen in symbolischen, operativen Strukturen modelliert und studiert werden Es geht mir in diesem Abschnitt nicht darum, eine allgemeine Forderung an alle Psychologen zu formulieren, sondern ich werde mich auf ein spezielles Mittel der praktischen Forschung konzentrieren. Das Problem ist vielleicht am besten durch einen Kontrast zu erläutern: Im Paradigma des bedingungskontrollierten Experiments ist wesentlich, daß die theoretisch angenommenen funktionalen Größen (Variablen) meßbar gemacht werden, damit der übergeordnete Zweck der Vorhersage des Prozeßverlaufs und des Resultats erfüllbar wird. Es ist bereits genug darüber geschrieben worden, daß das Paradigma des bedingungskontrollierten Experiments einen analytischen Systemabschluß impliziert; hieraus folgt unter anderem, daß für eine psychologische Forschung unter dem Primat der Entwicklung eine andere Grundmethode der Prüfung theoretischer Aussagen an der aktuellen empirischen Realität entwickelt werden muß. Erste Kernbeispiele für solche Empirie sind in der Psychotherapieforschung und in der neueren Entwicklungspsychologie (auch schon bei Piaget und Luria) zu finden. 189

Kern eines neuen empirischen Paradigmas muß meines Erachtens die Realisierung theoretisch antizipierter Möglichkeiten sein. Durch diesen obersten Zweck wird also die Voraussage durch eine Vorausbestimmung (Holzkamp) ersetzt. Und es wird gleichzeitig peripher, einzelne Größen zu messen, geht es doch nunmehr um die Bestimmung des Feldes an realisierbaren Möglichkeiten. Besonders deutlich wird die geforderte Art der Datenproduktion, Abbildung, oder wie immer wir es nennen wollen, an den Problemen einer Diagnostik in der reflexiven, kooperativen Praxis (im gemeinsamen Handeln von Helfern und "Klienten", Dömer & Plog 1978): Diagnosen können nicht mehr auf Messungen eines bestehenden, faktischen Zustands des Klientenproblems reduziert werden, sie müssen vielmehr, wegen ihrer regulativen Funktion (vgl. Raeithel 1980), Abbilder des konkreten Problemprozesses sein, in denen verschiedene Möglichkeiten der Problemlösung und faktische Beschränkungen (die evtl. durchbrochen werden können) der Handlungsmöglichkeiten der "Klienten" operativ repräsentiert sind. Wissenschaftliche Anstrengungen für eine reflexiv-kooperative Praxis der Psychologen müssen daher auch darauf gerichtet sein, die Mittel für die Produktion solcher symbolischen Modelle des Problemprozesses bereitzustellen. Dabei wird es sowohl darauf ankommen, solche symbolischen Modellierungen besser zu verstehen, die in der therapeutischen Praxis verwendet werden (Rollenspiel, Psychodrama als dramatische Modelle; Problemschilderungen, konkrete Beispielerzählungen als diskursive Modelle), als auch neue, vor allem symbolisch-gegenständliche, Modellierungsarten zu entwickeln, wodurch gleichzeitig Mittel zur empirischen Erforschung von Entwicklungsprozessen entwickelt würden, da die Abbildung des Felds von Problemprozessen ja in der Therapie ständig dem sich entwickelnden Problem angepasst werden müßte, mithin bereits Abbildung von Entwicklung gefordert ist. Dem steht nun lediglich eine Schwierigkeit entgegen: Die bisher hauptsächlich verwendeten, formal strengen Modellierungsarten basieren auf der Definition eines analytisch abgeschlossenen Problemraums und einer Grundmenge von elementaren Operationen. Die letztere Voraussetzung ist unproblematisch, da davon ausgegangen werden kann, daß auf einer bestimmten, unteren Prozeßebene auch bei Menschen nur noch elementare Operationen zur Verfügung stehen (und sei es die elementare Muskelbewegung bzw. das Überschreiten einer neuralen Reizschwelle). Die erstere Voraussetzung dagegen muß unbedingt a u f gegeben werden, da Entwicklungsprozesse wesentlich dadurch gekennzeichnet sind, daß in ihnen neue Ordnungen durch die Prozesse selbst produziert werden. Dies heißt: Eine Modellierung von Entwicklungsprozessen muß vorrangig das Problem der zirkulären Determination lösen, den Übergang von den einzelnen Mitteln (Operationen) und ihrer algorithmisierbaren Ordnung zur Gesamtheit der Mittel, also zur Form (zum Feld) des sich entwickelnden Prozesses. Sobald das Problem klar gestellt ist, wird es sich auch lösen lassen. Die Stellung des Problems ist jedoch bereits schon weit gediehen, wie die bereits zitierten Texte zur "Künstlichen Intelligenz" zeigen. Meine These läßt sich provokant so formulieren: Es ist notwendig und mög190

lieh, die dialektische "Logik" von den Anführungszeichen zu b e f r e i en, und eine formal strenge, operative Logik von Entwicklungsprozessen zu entwickeln. Gegenständliche Voraussetzung hierfür sind die symbolverarbeitenden Automaten: die Computer. Allerdings will ich sogleich folgendes hinzufügen: Die Arbeit mit Modellen auf Computern dient nur der Untersuchung der allgemeinen Möglichkeiten von solchen Reflexionsarbeiten, die von den praktisch arbeitenden Psychologen allein mit herkömmlichen Mitteln g e leistet werden können. Es wäre vollkommen dysfunktional für die Perspektive einer reflexiv-kooperativen Praxis, wenn zwischen die Helfer und die "Klienten" ein Automat geschoben würde, er sollte auf unabsehbare Zeit ein Forschungsinstrument bleiben. 4.4 Als Kontext der Entwicklung einer praktischen Psychologie muß die kooperative Verkoppelung von Forschungs- und Praxissituationen hergestellt werden Hier möchte ich auf eine strukturelle Analogie zwischen der Praxissituation von Therapeuten und der Forschungssituation von e m pirischen Psychologen hinweisen: (P) Die zentrale Situation eines Therapieprozesses ist das jeweilige therapeutische Setting, in der Therapeuten und "Klienten" auf je nach Schulrichtung verschiedene Weise kooperieren. Was in dieser zentralen Situation an Einsichten, Regeln und Orientierungen produziert wird, muß sich in zwei verschiedenen Bewährungssituationen rechtfertigen lassen: Einmal in der Situation der Supervision durch Kollegen (auch anderer Profession), in der vor allem Beiträge der Therapeuten zur Problemlösung der "Klienten" auf ihre Adäquanz überprüft werden können. Und zum anderen ist es die alltägliche Lebenssituation der "Klienten", in der sich erweisen muß, ob die erarbeiteten Möglichkeiten sich tatsächlich realisieren lassen. (F) Die zentrale Situation der forschenden, theoretisch-empirischen Praxis ist entweder die Arbeit an einem Modell oder die Nutzung des Modells als Mittel der operativen Repräsentation eines exemplarischen Gegenstandsprozesses; beide Formen gehören zusammen. Die in der zentralen Situation erarbeiteten theoretischen Möglichkeiten müssen sich wiederum in zwei verschiedenen Situationen bewähren: Einmal in der wissenschaftlichen Diskussion und (!) in der Ausbildung der zukünftigen Wissenschaftler. Zum anderen aber auch in der alltäglichen Lebenspraxis — auch der Psychologen, wegen der Selbstanwendungsmaxime. Diese Analogie zwischen (P) und (F) gestattet die folgende Forderung: Zwischen den parallelen Situationen der Praxis und der Forschung müssen kooperative Verkoppelungen hergestellt werden: Die Lebenspraxis der Psychologen muß mit der Lebenspraxis der "Klienten" in einem kooperativen Zusammenhang stehen, ebenso die therapeutische und die Forschungssituation selbst (das ist trivial), und auch 191

schließlich, und dies halte ich für außerordentlich wichtig: Die Selbstreflexionsprozesse der praktischen Supervisionen müssen in einen Zusammenhang mit den wissenschaftlichen Diskussionen und mit den universitären Ausbildungsprozessen gebracht werden. Diese Forderungen sind noch recht blauäugig, ihre mangelnde Konkretheit und fragliche Realisierbarkeit kann in diesem Text jedoch nicht mehr bearbeitet werden, da dazu die Abstraktion von den institutionellen Bedingungen der psychologischen Teilpraxen aufgehoben werden müßte. Ein Hinweis hierzu muß an dieser Stelle genügen: Die beiden Bewährungssituationen sind nicht nur über die zentralen Situationen vermittelt, vielmehr gehen aus den Supervisionsprozessen und aus den wissenschaftlichen (Lehr-) Diskursen auch neue Institutionen hervor, die wiederum in die Lebenspraxis sowohl der Professionellen wie auch der "Klienten" als neue Beschränkungen oder neue Möglichkeiten einwirken. Daher muß auch diese Verkoppelung der Situationen über den weiteren sozialen Verkehr, über staatliche Administration des psychosozialen Bereichs usw., in die Verbindung von Theorie und Praxis einbezogen werden. Diese letzte Forderung in Verbindung mit der ersten bedeutet nun aber auch, daß mit ihrer Realisierung die Notwendigkeit einer psychologischen Technologie, die Theo Herrmann (1979) mit einer angeblichen Gefahr für die Wissenschaft begründet hat, und die andererseits auch als Hilfe für die Praxis und als Chance für die Theorie gefordert wurde (Seeger 1977, Bromme & Homberg 1976), entfällt. Eine besondere, einseitig gerichtete Vermittlung von der Wissenschaft zur Praxis außerhalb der sozialen, beidseitigen, institutionell gesicherten, Kooperation muß es nur geben, wenn die Isolierung der Theorie von der Praxis selbst das Ziel oder die tatsächliche Lage ist. Ein solches Ziel und eine solche Lage aber brauchen wir nicht zu akzeptieren.

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