Methodik und Praxis der Feldenkrais-Arbeit [1st Edition] 978-3860596258

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Methodik und Praxis der Feldenkrais-Arbeit [1st Edition]
 978-3860596258

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VON LOEPER

LITERATURVE RLAG

Häufig gebrauchte Abkürzungen in diesem Buch:

ATM

Awareness Through Movement - Bewusstheit durch Bewegung

BDB

Bewusstheit durch Bewegung (= ATM)

BVH

Bewegungsvergessenheit (zum Begriff siehe Seite 13)

FI

Funktionale Integration

LB

Lektionsbeispiel

PNS

Peripheres Nervensystem

SMA

Sensory Motor Amnesia (= BVH)

ZNS

Zentrales Nervensystem

Elisabet Bloom

Methodik & Praxisder Feldenkrais-Arbeit • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •

IZS I

VON LüEPER

LITERATURVERLAG

Die Deutsche Bibliothek - CIP Einheitsaufnahme Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek : Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie ; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet unter http :/ ldnb.ddb .de abrufbar .

Gehen Sie uns „ins Netz"! Besuchen Sie uns im Internet unt er www .vonLoeper.de Gerne senden wir Ihnen kostenlos ausführliche Informationen zu unserem Verlagsprogramm zu und informieren Sie regelmäßig über wichtige Neuerscheinungen zum Thema. (Adresse siehe unten) Weitere ergänzende Informationen zu diesem Buch sowie zur Feldenrk ais-Arbeit finden Sie im Internet unterwww.vonLoeper .de/Feldenkrais

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Dieses Buch ist die von der Autorin erstellte deutsche Übersetzung Ihres Buches Feldenkraismetoden Förklard © 2009 Elisabet Bloom Feldenkrais Education AB

1. Auflage 2012 © 2012 für die deutsche Übersetzung by von Loeper Literaturverlag

im Ariadne Buchdienst, Karlsruhe - 0812-SH-dc Alle Teile dieses Buches dürfen ohne ausdrückliche schriftliche Genehmigung weder mechanisch, elektronisch oder fotografisch vervielfältigt oder in elektronisch en Systemen oder Kommunikationsmitteln eingespeichert werden. Dies gilt insbesondere für Fotokopien, Auszüge für Lehrmaterialien , Nachdrucke , Speicherungen auf CD-ROModer andere n Trägern und Speicherung oder Veröffentlichung im Internet. Gesamtherstellung und Vertrieb: Ariadne Buchdienst, Daimlerstr. 23, 76185 Karlsruhe Tel. (0721) 464729-200 Fax (0721) 464729-099 E-Mail: [email protected] Internet : www .vonLoeper.de ISBN 978-3-86059-625-8

Inhalt Vorwort

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Einführung: Somatik nach der Feldenkrais-Methode

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Die Feldenkrais-Methode 10 - Yochanan Rywerant 10 - Bewegungsvergessenheit 11 Manipulonen 11

Neuromotorik

14

Das neuromotorische System 14 - Die motorischen Kontrollebenen 14 - Der motorische Korte x 14 Das limbische System 14 - Das Kleinhirn - Cerebellum 15 - Das verlängerte Mark - Medulla oblongata 15 - Das Rückenmark - Medulla spinalis 15 - Der Gehirnbalken - Corpus callosum 15

Die Neuromotorik und der Bewegungsapparat

17

Die Exterozeption 18 - Die Propriozeption 18

Kybernetik

20

Feedback - Ist- und Sollwert 20 - Die Modalitäten des Feedbacks 21 - Feedforward 21

Die Muskeln

23

Muskeltonus 23 - Agonisten - Antagonisten 23 - Pandikulation 24

Bewegungsmuster

26

Reflexmuster 26 - Körperkarten 27 - Efferenzmuster 27 - Bewegungsmuster Handlungsmuster 29 - Gewohnheitsmäßige - nicht gewohnheitsmäßige Bewegungsmuster 31

Die Reflexe

33

Der Gleichgewichtsrefle x 33 - Der Schutzrefle x 34 - Die Ausdrucksweise des Schutzreflexes 34 - Rückenschmerzen - Reflexkollision 36 - Schleudertrauma 37

Atmungsmuster

45

Atemverhältnisse 45 - Physiologie der Atmung 45 - Die Rippen und die Atmung 46 Bewegungsvergessenheit 47 - Schmerz 51 - Chronischer Schmerz 51 - Schmerz des Loslassens 52 - Neurologische Krankheiten 52

Lernen

54

Reiz und Reaktion (Stimulus - Respons) 54 - Der Lernprozess 54 - Bewusstheit bedeutet Spüren - Wahrnehmung 56 - Das motorische Selbstbild 58 - Das Selbstbild 59

Das Ich und das Mich

60

Die maxwellschen Gleichungen 60 - Intuition und Handlung 60 - Die FM, die lnituition und die Erfahrung 61

5

Die kommunizierenden Bewegungen

62

Weber-Fechnersches Gesetz 62 - Anerkennung der Information (Akzeptanz) 63 Die Antagonistengrenze 64 - Der Dehnreflex - ein nützlicher Mechanismus 65 Der Reflexbogen: Übernahme von Muskelarbeit - der Grundstein der FM 66 Die Manipulonen 68 - Berührung 68 - Die Handstütze - der Affenarm 70 Die Intention 71 - Synchronisierung 72 - Proximal - distal 72 - Undifferenziert

-

differenziert 74 - Relativ zugeordnete Bewegung 75 - Integration des Kopfes 76 Wiederholung der Bewegungen 76 - Die Oszillation - wenn etwas in Eigenschwingung gerät 75 - Beenden/ Abschluss des Manipulons 79 - Den Beutel zuschnüren 80 Zusatz - Metakommunikation 82

Wir leben mit der Schwerkraft

84

Physik 84 - Das Stehen 85 - Gehen 86

Anweisungen für den Unterricht

88

Ethik 88 - Verantwortung 89 - Die Vorbereitung der FI 91 - Ein Bewegungsmuster erkennen und erspüren 91 - Bewegungsrichtungen 92 - Wer sucht Hilfe bei der Feldenkrais-Methode? 93 - Warum FM 94

Somatik

95

Eine neue Disziplin 95

Anwendung

98

Forschungsparadigma 98 - Erläuterugen zu den Lektionsbeispielen 99 Lektionsbeispiel 1 Lektionstaktik 99 - Ein wichtiger Einschub 103 Lektionsbeispiel 2 - Differenzierung 104 Lektionsbeispiel 3 -

ein Handlungsmuster 106

Lektionsbeispiel 4 Lektionsbeispiel 5 -

Veränderung, die eine Veränderung bleibt 111 der Mausarm 120

Lektionsbeispiel 6 -

Schulter/Oberarm 127

Lektionsbeispiel 7 Lektionsbeispiel 8 Lektionsbeispiel 9 -

Tüchtige Hilde 133 Stütze durch den Kopf 141 die Sekretärin 143

Lektionsbeispiel 10 - Ischias 149 Lektionsbeispiel 11 - Schmerzen in der Hüfte 156 Lektionsbeispiel 12 - Skoliose 162 Lektionsbeispiel 13 - den Bereich zwischen den Schulterblättern erweitern Land gewinnen 170 Lektionsbeispiel 14 - Schmerzen im Brustkorb und Arm 172 Lektionsbeispiel 15 - Die Handballerin 180 Lektionsbeispiel 16 - Nackenschmerzen 188 Lektionsbeispiel 17 - Knieschmerzen 200

VORWORT

M

oshe Feldenkrais hat es verstanden, die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die ihm zu seiner Zeit zugänglich waren , in Anwendung zu bringen. Die Erfahrungen , die er dabei sammelte , führten zur Entwicklung seiner Methode , der Feldenkrais -Methode. Auch wenn er sein Vorgehen nicht immer erklären konnte , war Feldenkrais keinesfalls ein Mystiker . Heute gibt es zahlreiche wissenschaftliche Studien, Berichte und Erkenntnisse, die Erklärungen für seine Arbeiten liefern (siehe hierzu auch die weiteren Kapitel dieses Buches). In den vergangenen 25 Jahren nach seinem Tod hat die Wissenschaft große Fortschritte gemacht.

• • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • Termin ologie: Ein Trainer bildet Studenten zu FeldenkraisLehrern aus. Ein Feldenk rais-Lehrer unterrichtet Schüler ("Patienten/Klienten"), die Hilfe bei Funktionsstörungen im Bewegungsapparat suchen.

Feldenkrais hätte es mit Freude und Begeisterung verstanden , seine Methode mithilfe der gewonnenen Erkenntnisse weiterzuentwickeln . Wir Feldenkrais -Lehrer fühlen uns ihm gegenüber verpflichtet , unseren Beitrag zur stetigen Weiterentwicklung seiner Methode zu leisten. Mit Aufmerksamkeit verfolgen wir den wissenschaftlichen Fortschritt und tragen dafür Sorge, dass neue Erkenntnisse in die Methode einfließen und sie den Bedürfnissen der Menschen gerecht wird. Durch die Erweiterung des Wissens über die Funktionsweise der Feldenkrais-Methode gewinnt sie stetig an Bedeutung und kann immer mehr Menschen zu besserer Lebensqualität verhelfen. Die Feldenkrais-Methode ist in gewisser Weise auch eine technische Methode, deren Wirkung verschieden gedeutet werden kann. Das möchte ich näher erklären: Unser Soma ist eine vollkommene, technische Schöpfung, unter der ein synchronisierter Komplex von physischen und mentalen Funktionen verstanden wird . Wenn wir dieses geniale Zusammenspiel beeinflussen wollen , gilt es, Vorgehensweisen zu ver wenden , die an die Funktionen des Somas weitestgehend anschließen . Daher müssen die Manipulonen, also die kommunikativen Bewegungen, die der Lehrer am Schüler ausführt, an die Funktionen des Somas anschließen. Anschließen in diesem Sinne bedeutet, dass das Manipulon direkt einwirkt und sich des Nervensystems des Schülers zur Kommunikation mit seinem Soma bedient . Dabei soll das Nervensystem so frei von Störungen sein wie mög-

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lieh . Der Schüler soll dir also nicht willentlich helfen , während du die Manipulonen ausführst. Aufgrund dieser Bedingung wurde die Funktionale Integration (FI: Der Lehrer führt am Körper des Schülers Bewegungen aus) als "passive" Technik bezeichnet. "Passivität" bedeutet in diesem Zusammenhang „frei von eigener Aktion" und damit „ungestört empfänglich " . Diese Form der Passivität ist die Grundvoraussetzung dafür, dass der Lehrer mittels Manipulonen optimal mit dem Soma und dem Nervensystem des Schülers kommunizieren kann.

Die Lektionen bieten dem Schüler die Möglichkeit, Hilfe zur Selbsthilfe zu erfahren. Die Lektionen bieten dem Schüler die Möglichkeit, sich zu verändern.

Darüber hinaus ist es von größter Wichtigkeit, die Handgriffe des Manipulons in der richtigen Vorgehensweise auszuführen, damit sie vom Soma erkannt und akzeptiert werden. Die Anwendung des Manipulons (das „Wie") ist von solch einer entscheidenden Bedeutung , dass der Student keinesfalls aufs Geratewohl und sich selbst überlassen mit ihnen experimentieren sollte. Hier ist es insbesondere von größter Wichtigkeit, dass der Trainer sein Vorgehen so detailliert wie möglich kommentiert. Dadurch bekommt der Student ein genaues Bild davon , was geschieht und wie es vollzogen wird . Die Handgriffe an sich sind also nicht von größerer Bedeutung , sondern deren Wirkungsweise. Erst wenn der Student weiß, was das Manipulon bewirkt, kann er die Bewegungen folgerichtig ausführen und es in der entsprechenden Vorgehensweise für den gewünschten Zweck verwenden. Die Feldenkrais-Methode ist keine Behandlungsmethode, sondern eine Unterrichtsmethode. Die Lektionen bieten dem Schüler die Möglichkeit , Hilfe zur Selbsthilfe zu erfahren. Der FeldenkraisLehrer ist gewissermaßen das Medium, durch welches dem Soma des Schülers Kenntnisse und Fertigkeiten vermittelt werden. Wenn ein Student ein bestimmtes Manipulon richtig auszuführen lernt, er jedoch keine Intuition findet, ist es die Aufgabe des Trainers , die Aufmerksamkeit des Studenten auf die Signale und Reaktionen zu lenken, die die Manipulonen (beim Schüler) hervorrufen. Der Trainer erklärt gleichzeitig, wie und warum die Signale und Reaktionen entstehen. Das Beobachten bildet die Grundlage der spezifischen Intuition des Feldenkrais-Lehrers . Das detaillierte Erklären dessen, was mental , neurologisch und physisch während des Ausführens der Manipulonen passiert, ist Grundlage für die Weiterentwicklung und Vermittlung der Methode an die nachkommende Generation. Dabei können die gesammelten fachlichen Erfahrungen einfließen. Durch die Entwicklung der Wissenschaften, die sich mit den Funktionen des Menschen beschäftigen , kann die Methode weiterentwickelt werden , vorausgesetzt, wir Feldenkrais-Lehrer passen die Methode daran laufend an.

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Erfolgte diese Anpassung der Feldenkrais-Methode nicht fortschreitend und würde kein Neuland auf dem Gebiet der Wissenschaften gewonnen, käme es unweigerlich zu Stagnation. Die jüngsten Ergebnisse der Wissenschaft lehren uns viel. Die Entwicklung geht mit riesigen Schritten voran . Wir sollten uns aber auch bewusst sein, dass wir mit unseren neuen Erkenntnissen einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung der Methode leisten können. Lasst uns, allen Betroffenen, allen Menschen zugute, eine rückhaltlose Zusammenarbeit erstreben! Das alleinige Studium des Buches befähigt keinesfalls zur Arbeit mit der Feldenkrais-Methode!

Danksagung Yochanan Rywerant (1922-2010) assistierte Moshe Feldenkrais länger als ein Jahrzehnt. Durch diese enge Zusammenarbeit bekam er einen umfassenden Einblick in die Methode , die er de tailliert in seinem Buch „Die Feldenkrais Methode: Lehren durch Behandeln" * (1983) dokumentiert hat. Es ist ein Meisterwerk für sich .

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Nach Moshe Feldenkrais' Tod hat er dessen Methode kontinuier lich weiterentwickelt, insbesondere die praktische Anwendung der Funktionalen Integration. Rywerant bildete mich in den Jahren 1986 - 89 zur Feldenkrais Lehrerin aus. Während meiner Ausbildung zur Feldenkrais-Trainerin 1994-95 gewährte er mir uneingeschränkten Einblick in das von ihm entwickelte Ausbildungskonzept. Ich möchte ihm meinen Dank aussprechen: für seine Geduld und sein persönliches Interesse , das er mir während meiner Ausbildungen entgegenbrachte. Ohne die Vermittlung seiner tiefen Kenntnisse hätte ich dieses Buch nicht schreiben können.

* Eine Neuausgabe dieses Buches ist im von Loeper Lit eraturverla g erschienen

(siehe Hinweise am Ende dieses Buches).

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EINFÜHRUNG Somatik nach der Feldenkrais-Methode

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as Wort Soma stammt aus dem Griechischen . Die alten Griechen verstanden unter dem Wort Soma den gesammelten Begriff für Körper, Seele, Sinn, Psyche, Gedanke , Gefühl , Bewusstsein, Unterbewusstsein , d . h. für all das, was das menschliche Wesen ausmacht.

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Dr. phil. Thomas Hanna (1928 - 1990) war Moshe Feldenkrais' Schüler während dessen Ausbildung 1975 in Kalifornien. Er hielt sich an den so genannten Inhalt des Begriffes, als er die Bezeichnung Somatik einführte. Hanna definierte Somatik als die Lehre der Motorik des Körpers, deren Komponenten , seines neurophysiologischen Aufbaus und seiner Funktion. Er verfasste mehrere Bücher, u. a. " Das Geheimnis gesunder Bewegung" und " Beweglich sein - ein Leben lang" . Des Weiteren gründete er The Novato Institute for Somatic Research and Training in Kalifornien.

Über die Kommunikation mit dem Soma des Schülers lehrt ein Feldenkrais-Lehrer den Schüler, sein eigenes Soma zu beeinflussen.

In seinem Buch "Beweglich sein - ein Leben lang" schreibt er, dass die Feldenkrais-Methode nicht funktionieren könnte, wenn Körper und Seele nicht eine Einheit (Soma) wären . Die Feldenkrais-Methode ist also eine Somatik-Methode , mit Bezug auf "Soma" in der alten Wortbedeutung. In der moder nen Medizin ist man dazu übergegangen , mit Soma nur noch den Körper zu meinen. In Yochanan Rywerants Buch "Die Feldenk rais Methode : ,,Lehren durch Behandeln " (1983) heißt es dazu : „Auch die klassische Kontroverse Geist - Körper scheint oftmals nur auf die Unfähigkeit zu deuten , die beiden Begriffe als zwei Beschreibungsebenen des gleichen komplexen Phänomens zu begreifen . " (S. 42). Es gibt zwei Arten , durch die wir einen physiologischen Prozess betracht en und beeinflussen können: Die eine ist das Betrachten in der dritten Person: Der Körper wird objektiv (also von außen) bet rac htet - er befindet sich dort , vom Betrachter getrennt. Ein Arzt , Chiropraktiker , Akupunkteur oder Physiotherapeut behandelt seinen Patienten objektiv. Auf andere Art geschieht das Betrachten in der ersten Person. Das Soma wird subjektiv (also von innen) von mir selbst betrachtet - als mein Soma, dessen Prozess ich beeinflussen kann, befindet es sich hier.

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Über die Kommunikation mit dem Soma des Schülers lehrt ein Feldenkrais-Lehrer den Schüler, sein eigenes Soma zu beeinflussen. Andere Lehrer, die mit der Somatik-Methode gearbeitet haben, sind u. a. Matthias Alexander , Gerda Alexander und Elsa Gindler sowie deren Nachfolger.

Die Feldenkrais-Methode, FM •••••••••••••••••••••••••

Hanna definie rt Bewegungsvergessenheit (BVH) weder als organische Verletz ung des Gehirns, noch des Bewegungsapparat es, sondern alsfunktion elle Unfähigk eit.

Moshe Feldenkrais (1904-1984), Dr. der Physik, Gründer der Feldenkrais-Methode und des "Feldenkrais Institute" i n Tel Aviv/ Israel , publizierte mehrere Bücher. Die Feldenkrais-Methode basiert auf einer pädagogisch gestalteten, neuromotorischen Kommunikation zwischen dem Lehrer und dem Soma des Schülers und kann in zwei Arten ausgeführt werden . Zum einen durch Bewusstheit durch Bewegung (BOB) - Englisch: Awareness Through Movement (ATM). Hier gibst du dem Schüler verbale Bewegungsanleitungen, die er dann selbst ausführt . Zum anderen durch Funktionale Integration (FI) - Englisch: Functional Integration . Während einer individuellen Lektion führt der Lehrer am Körper des Schülers Bewegungen aus. Beiden Techniken dient die ausgeführte Bewegung zur non-verbalen Kommunikation mit dem Zentralnervensystem (ZNS) des Schülers über den kinästhetischen Sinn, den Bewegungssinn.

Yochanan Rywerant Yochanan Rywerant war in den Ausbildungsjahren 1969 - 71 Student bei Moshe Feldenkrais und assistierte ihm später bis zu dessen Tod im Jahr 1984. Zusammen entwickelten sie die praktische Anwendung von sowohl FI als auch BDB. In seinem Buch „ Die Feldenkrais-Methode - Lehren durch Handeln " hat Rywerant in detaillierter Form die Methode der Funktionalen Integration dokumentiert. Nach 1984 wurde er von der „Feldenkrais-Gilde" (heute „Feldenkrais Verband") wiederholt als Trainer engagiert. Seine umfassenden Erfahrungen veranlassten ihn, das Ausbildungskonzept neu zu gestalten. Als er im Jahre 1986 eingeladen wurde, die erste Ausbildung von Feldenkrais -Lehrern in Schweden zu leiten , führte er diese Ausbi ldung nach seinem eigenen Konzept durch . Seit Mitte der 1990er Jahre bildete Yochanan Rywerant Feldenkrais-Leh rer am Feldenkrais Institute in Tel Aviv nach diesem Konzept aus.

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Bewegungsvergessenheit, BVH Der Begriff Bewegungsvergessenheit wurde von Thomas Hanna eingeführt und entspricht dem englischen Begriff „Sensory Motor Amnesia" (SMA). Hanna definiert BVH weder als organische Verletzung des Gehirns, noch des Bewegungsapparates, sondern als funktionelle Unfähigkeit. Dabei hat das limbische System die Signale vom Kortex, der eine oder mehreren Muskeln gespannt hält, übernommen.

















































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Ich habe SMAmit Bewegungsvergessenheit (BVH) übersetzt. Die letzten Ergebnisse dazu wurden im staatlichen Institut für Arbeitswelt an der Universität in Umea/ Schweden von Professor Hakan Johansson (2004 gestorben) erarbeitet. Er wies nach, wie BVH entsteht. Professor Hakan Johansson benutzte ebenfalls meine Übersetzung des von Hanna geprägten Begriffes "Sensory Motor Amnesia" als Bewegungsvergessenheit (BVH). BVH ist ein Zustand, unter welchem die bewusst gesteuerten, sensomotorischen Nervenzellen des Kortex teilweise oder ganz die Kontrolle über einen Teil der Muskulatur des Körpers verloren haben und darum Bewegungsschwierigkeiten und Schmerz verursachen. Feldenkrais machte deutlich, wie diese Kontrolle durch den Kortex wiedererlangt werden kann. Seine Erklärung lautet: Wenn du Arbeit im Muskel übernimmst, hört er selbst auf zu arbeiten. Der Muskel entspannt sich.

Manipulonen Die verschiedenen Bewegungen, die du mit dem Schüler in FI ausführst, werden Manipulonen genannt . Durch das Ausführen der Manipulonen am Körper des Schülers erreichst du über den kinästhetischen Sinn eine non-verbale Kommunikation mit dessen Zentralnervensystem (ZNS).

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Mittels der Manipulonen übernimmst du Muskelarbeit und reduzierst dadurch BVH.

Wenn du Arbeit im Muskel übernimmst, hört er selbst auf zu arbeiten. Der Muskel entspannt sich.

Ist dir dies gelungen, kannst du dem Schüler die wiedererlangte Bewegungsfähigkeit verdeutlichen. Das Manipulon bewirkt eine Veränderung der augenblicklichen Gegebenheit : Diese Veränderung ist die Voraussetzung dafür, dem Schüler ein verändertes Bewegungsmuster zu vermitteln und ihn zu der Erkenntnis zu führen, dass und wie er mental durch seine Bewegungsmuster beeinflusst wird .

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NEUROMOTORIK Das neuromotorische System • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •

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as neuromotorische System umfasst das ZNS (das Gehirn, das Kleinhirn, das verlängerte Mark (Medulla oblongata) und das Rückenmark (Medulla spinalis), bestehend aus dem peripheren Nervensystem (PNS), das mittels afferenter Nervenfasern Signale (elektrische Impulse) zum Gehirn und Rückenmark und mittels efferenter Nervenfasern Signale vom Gehirn und Rückenmark leitet.

Die motorischen Kontrollebenen In der Feldenkrais-Methode teilen wir das Gehirn der Einfachheit halber in die obere Kontrollebene (den Kortex, den bewussten Teil) und die untere Kontrollebene (das limbische System, den unbewussten Teil) ein. Das Mittelhirn, das Kleinhirn, das verlängerte Mark und das Rückenmark gehören also zur unteren Kontrollebene. Die Begriffe obere und untere Kontrollebene sind ungenau, da die jüngsten Ergebnisse der Gehirnforschung zeigen, dass es keine Hierarchie im Gehirn gibt. Wir können es eher mit einem Orchester vergleichen, das ohne Dirigent perfekt spielt.

Wir können das Gehirn mit einem Orchester vergleichen, das ohne Dirigent perfekt spielt.

Der Kortex steuert unsere Bewegungen, soweit die Komponenten des neuromotorischen Systems intakt sind. Ist jedoch ein Muskel von Bewegungsvergessenheit betroffen, geht das Signal für das Aufrechterhalten einer konstanten Spannung dieses Muskels nicht vom Kortex, sondern vom limbischen System aus.

Der motorische Kortex Der motorische Kortex (Teil der Gehirnrinde) ist die Kommandozentrale für die Bewegungen. Durch das ZNS steht er mit allen Teilen des Körpers in Verbindung. Alle Nervenzellen des ZNSsind mit 10.000 und mehr Nervenzellen verbunden; einem Netzwerk von elektrischen Leitungen für die Kommando-, Feedback- und Lagesignale hin zum Kortex und zurück und den dazugehörenden Rezeptoren .

Das limbische System Das limbische System ist der älteste Teil des menschlichen Nervensystems. Es versorgt die primitiven Funktionen, wie Atmung, Herztätigkeit , Bewegungen des Magen- und Darmtraktes, Hunger, Durst, Sexualität, Angst und Freude. Das limbische System kann auch motorische Funktionen vom Kortex übernehmen. Diese gehen dann dazu über, automatisiert

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(unbewusst) zu werden , wodurch sie für den Kortex nicht mehr zugänglich sind. Das wird BVH genannt.

Das Kleinhirn - Cerebellum

Kommandos (z. B. die Schutzreflexsignale) gehen vom Rückenmark aus.

Das Kleinhirn ist ein wichtiges Koordinationsinstru ment für Körperhaltung und Bewegung im Allgemeinen. Es führt Korrekturen des Engramms (des gespeicherten Bewegungsmusters) aus. Dabei wird es vom Feedback des ausgeführten Engramms geleitet. Durch die Muskelspindeln und Gleichgewichtsorgane empfängt das Kleinhirn die Motorik steuernde Nervenimpulse . Gegebenenfalls korrigiert es diese Impulse entsprechend einer Feedforward Information , die für die aktuelle Bewegung erlangt wurde.

Das verlängerte Mark - Medulla oblongata Die Nervenimpulse , die vom verlängerten Mark ausgehen, verlaufen von seiner linken Seite zur rechten Gehirnhälfte und umgekehrt. Das verlängerte Mark dient u. a. als Umschalter für die Nervenbahnen zum Kleinhirn .

Das Rückenmark - Medulla spinalis Das Rückenmark hat als Nervenzentrum im Körper eine zentra le Position. Die Signale, die vom Rückenmark zu den Muskeln geleitet werden, erreichen ihre Adressaten schneller, als wenn sie vom Gehirn ausgingen. Darum gehen Kommandos z. B. die Schutzreflexsignale vom Rückenmark aus.

Der Gehirnbalken - Corpus callosum Der Gehirnbalken ist eine Informationsbrücke zwischen den beiden Gehirnhälften. Die linke Gehirnhälfte steuert die Motorik der rechten Körper hälfte , während die rechte Gehirnhälfte die Motorik der linken Körperhälfte steuert. Eine Körperhälfte kann von der anderen lernen. Sollte eine Hirnblutung in der rechten Seite des Körpers eine Lähmung verursacht haben, kannst du also Manipulonen auf der linken Seite ausführen, d. h. , du versorgst den motorischen Kortex in der rechten Gehirnhälfte mit Informationen . Das beschleunigt den Heilungsprozess der geschädigten Nervenbahnen in sich selbst und wird als Sprouting bezeichnet. Du kannst davon ausgehen, dass deine Informationen allmählich über das Corpus callosum ans Ziel gelangen. Etwa 85 Prozent der Menschen sind rechtshändig . Bei Rechtshändern dominiert nicht nur die rechte Hand, sondern auch die rechte Körperhälfte. Es ist deswegen denkbar, dass Manipulo-

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Die Bandbreite ist ganz einfach größer.

nen, die auf der rechten Körperhälfte ausgeführt werden , das ZNS sicherer erreichen. Vermutlich werden sämtliche Nervenbahnen für die Motorik der rechten Körperhälfte öfter benutzt und betreiben somit eine intensivere Kommunikation . Die Bandbreite ist ganz einfach größer. Ein Bewegungsmuster, das von der einen Körperhälfte erlernt worden ist , kann dank der Verbindung via Corpus callosum leichter von der anderen Körperhälfte übernommen werden. Hier ein Alltagsbeispiel zur Funktion des Gehirnbalkens: Kratzt ei n Rechtshänder sich mit seiner rechten Hand auf der rechten Seite des Kopfes, verläuft die Bewegung leicht und reibungslos. Nimmt er seine linke Hand, um die linke Seite zu kratzen , erscheint das etwas unbeholfen. Gebraucht er dagegen beide Hände gleichzeitig , verläuft die Bewegung leicht und reibungslos. Dank der Dominanz des Bewegungsmusters der rechten Hand wird das Muster von der linken Hand (über das Corpus callosum) übernommen , sobald die rechte arbeitet. Sollte der Schüler in den rechtsseitigen Muskeln BVH haben, kann es schwierig sein, diese Muskeln zu erreichen , ohne einen gewaltigen Schutzreflex auszulösen, sodass die Manipulonen nicht ausgeführt werden können. Der Schutzreflex kann auch durch die Angst des Schülers vor eventuell auftretendem Schmerz ausgelöst werden. Ist die BVH so stark , dass sie direkt unterhalb der Schmerzgrenze liegt , kann das Ausführen des Manipulons Schmerzen verursachen und dadurch den Schutzreflex auslösen. Das lässt sich umgehen, indem du ein Bewegungsmuster des lin ken Armes nutzt. Wenn du also die Bewegung mit dem linken Arm eingeübt hast und danach dieselben Manipulonen mit dem rechten Arm ausführst , folgt der Kortex dem Gesetz des geringsten Widerstandes und wählt das Muster für die gewünschte Bewegung, das am leichtesten ist , d. h. die wenigste Energie benötigt. Das frühere (in dem Fall von BVH beeinträchtigte) Bewegungsmuster der rechten Seite wird dabei für den Kortex inaktuell. Ist die BVH auf der rechten Seite jedoch so stark , dass die Bewegung physisch unmöglich wird , funktioniert diese Alternative nicht .

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DIE NEUROMOTORIKUND DER BEWEGUNGSAPPARAT Die Neuromotorik umfasst die Nerven und die verschiedenen Teile des Bewegungsapparates

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er Bewegungsapparat besteht aus dem Skelett, den Gelenken, den Gelenkkapseln , den Ligamenten, den Muskeln und den zu diesen gehörenden Rezeptoren. Aus kybernetischem und systemtheoretischem Blickwinkel sind immer alle Komponenten eines Individuums von der Informationsflut oder dem Energieaustausch im Rahmen der Neuromotorik (der Arbeitsordnung der Muskeln) berührt.

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Bei einer Bewegung wird die Abfolge des Einsetzens der Muskeln Bewegungsmuster genannt. Im Bedarfsfalle einer Bewegung stellt das Gehirn einen Arbeitsplan auf, welche Muskeln verwendet werden und nach welchem Bewegungsmuster sie funktionieren bzw. im Detail zusammenarbeiten sollen . Erst wenn das klar ist, wird die Bewegung ausgeführt. Das System ist so logisch, dass es eigentlich vorhersehbar ist , wie es in einer gegebenen Situation funktioniert. Eine Aktivität , die aus zufälligen Ereignissen besteht , wird vom Gesetz der gleichen Wahrscheinlichkeit gesteuert (entsprechend der Quantentheorie nach Heisenberg). Deshalb können die zu erwartenden Ereignisse (die Konstruktion des Arbeitsplans) vorausgesehen werden. In Wirklichkeit aber werden nicht alle vorhersehbaren Geschehnisse mit der gleichen Wahrscheinlichkeit eintreten. Während eines Spaziergangs z. B. können Zufälle (Hindernisse) die Handlung einschränken. Ein Parkarbeiter pflanzt vielleicht gerade dort Blumen, wo du gehen möchtest, so musst du einen Umweg machen. Ein anderes Beispiel aus dem Alltag ist das Spülen eines Tellers bei laufendem Wasser. Das Plätschern des Wassers kann dich veranlassen, das Spülen schnellstens abzubrechen, weil es in dir das Bedürfnis Wasser zu lassen hervorruft.

Eine gewohnte Bewegung lässt sich nicht ohne Weiteres verändern.

Diese Hindernisse vermindern die Wahrscheinlichkeit , dass bestimmte Ereignisse vorkommen, und verstärken die Wahrscheinlichkeit , dass andere Ereignisse eintreten . Bei einer gewohnten Bewegung gleichen die Nervenbahnen einer Autobahn. Der Verkehr läuft flüssig und sehr schnell bei höchster Geschwindigkeit von ca. 150 Metern pro Sekunde. Meist werden solche Bewegungsroutinen von der unteren Kontrollebene ausgeführt. Der Kortex übernimmt andere Steuerungsaufgaben.

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Eine gewohnte Bewegung lässt sich nicht ohne Weiteres verändern. Um eine Änderung zu bewirken, muss sie im Kortex (der Kommandozentrale der Bewegung) vorgenommen werden.

Die Exterozeption Dieser Ausdruck steht für die sensorischen Systeme, die uns über Schmerz, Wärme, Kälte, Härte, Nässe, Glätte u. a. informieren. Sie werden im Gehirn und im Rückenmark genutzt, um die Motorik so zu steuern, dass bestimmte erwünschte Reaktionen ausgeführt werd en können.

Die Propriozeption

Ein Maß deines propriozeptiven Gespürs ist, wie viel Information du bewusst auffassen kannst.

Der Begriff Propriozeption wurde von dem englischen Physiologen Charles Scott Sherrington Anfang des 20. Jahrhunderts eingeführt. Er fand heraus, dass die Propriozeptoren (die Rezeptoren und Sensoren) für die Feedbackinformation der eigenen Körperbewegung verantwortlich sind. Sie informiert dein Gehirn darüber, wie du deine Arme und Beine bewegst, wie stark du die Muskeln anspannst und wie sich dein Körper zur Schwerkraft verhält. Mittels dieser Informationen steuert das Gehirn deine Bewegungen. Das sensorische System nutzt Propriozeptoren, die sich u. a. in Muskeln, Bändern und Gelenken befinden. Ein einziger Muskel kann aus 25.000 Muskelfasern bestehen und steht im direkten oder indirekten Kontakt mit einem Propriozeptor. Du kannst kaum eine Bewegung ausführen, ohne mindestens zehn Muskeln zu benutzen, Der Informationsgehalt, der über Propriozeption an das Gehirn vermittelt wird, ist somit enorm. Das Gehirn bedient sich dieser Informationen, um zu entscheiden , welche Reaktion ausgelöst werden soll. Ein Maß deines propriozeptiven Gespürs ist, wie viel Information du bewusst auffassen kannst.

Das Schulen der Propriozeption kann mit einer Reise durch den Körper verglichen werden.

Während du die Manipulonen ausführst, solltest du dem Schüler Gelegenheit geben, seine Propriozeption dadurch zu erproben, dass du ihn für kurze Momente bittest, in Gedanken den Details der Bewegungen konzentriert zu folgen. Die Fähigkeit, das Geschehen im Körper wahrzunehmen, weist ein sehr großes Entwicklungspotenzial auf. Es bedarf jedoch Zeit und Geduld von sowohl dir als auch deinem Schüler. Propriozeption ermöglicht sowohl das Wahrnehmen einer Bewegung als auch der Signale aller anderen Sinneseindrücke. Das Schulen der Propriozeption kann mit einer Reise durch den Körper verglichen werden. Führst du ein Manipulon am Kopf des Schülers aus, kann er anfangs nicht gleichzeitig spüren, wie sich das Manipulon auf einen anderen Teil seines Körpers auswirkt. Er muss zunächst in der Nähe des Kopfes spüren und später auch

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andere Körperregionen bewusst wahrzunehmen versuchen. Das kann mit einer Fahrt im Auto verglichen werden, bei der der Schüler als Passagier in aller Ruhe die Landschaft betrachtet. Mit seinem propriozeptiven Gespür erfasst der Schüler eine Bewegung, die entweder von ihm selbst oder durch deine Manipulonen ausgeführt wird. Tatsächlich ist Bewegung die Voraussetzung, um sich seines propriozeptiven Gespürs überhaupt bewusst zu werden. Um dir das zu verdeutlichen , beachte die folgende Anweisung: Lege dich auf den Rücken und entspanne dich so gut es geht. Versuche zu erfassen, wo sich dein rechter Fuß befindet. Vermutlich wirst du deinen rechten Fuß nicht spüren können. Bewegst du jedoch deinen rechten kleinen Zeh, kannst du augenblicklich deinen Fuß lokalisieren. Mittels Bewegung erfährt das Gehirn also Impulse, die es deine Position im Raum bestimmen lassen. Die Arbeit an einem Bein führt immer zu einer Muskelentspannung, die dem Gehirn (Cerebellum) von den Rezeptoren (Muskelspindeln) gemeldet wird. Der Schüler empfindet diese Entspannung als Verlängerung des Beines. Da eine gefühlte Beinverlängerung auch von einem Anfänger erfasst werden kann, empfiehlt es sich, den Schüler auf seine Fähigkeit zur Eigenwahrnehmung hinzuweisen, um sein Interesse zu wecken und seine Aufmerksamkeit zu schüren. Dadurch erfährt er auch die Möglichkeit, das Potenzial seiner Propriozeption zu entwickeln .

Die Arbeit an einem Bein führt immer zu einer Muskelentspannung, die dem Gehirn (Cerebellum) von den Rezeptoren (Muskelspindeln) gemeldet wird. Der Schüler empfindet diese Entspannung als Verlängerung des Beines.

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KYBERNETIK

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Feedback - Ist- und Sollwert

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ls Student wirst du während der Ausbildung lernen, welche Varianten der Bewegungsmuster du z. B. mit dem Arm des Schülers ausführen kannst. Ziel deines Unterrichtes sollte es sein, ein verblasstes Bild eines natürlichen Bewegungsmusters zurückzurufen. In der Sprache der Kybernetik wird dieses Ziel Sollwert genannt. Vergleiche diesen Sollwert mit dem Istwert - der wirklichen Variante des Bewegungsmusters des Schülers, um die für die gewünschte Veränderung geeigneten Manipulonen zu wählen. Kybernetik ist die Bezeichnung einer wissenschaftlichen Systemtheorie in Form einer Ganzheitsperspektive. ,,Kyber" ist griechisch und bedeutet Steuermann. Kybernetik wird in selbststeu ernden technischen Systemen angewandt , z. B. in der Heizzentrale deines Hauses. Sie hat einen Regulator, der die Einstellung am Thermostat in deinem Schlafzimmer so justiert , dass die von dir gewünschte Temperatur (der Sollwert) die ganze Zeit gleichmäßig bleibt. Sinkt die Zimmertemperatur (z. B. während des Lüftens) , sendet das Thermostat ein Feedback an die Therme und die Heizung springt an. Sie heizt so lange, bis die gewünschte Temperatur wieder erreicht ist .

Kybernetik ist die Bezeichnung einer wissenschaftlichen Systemtheorie in Form einer Ganzheitsperspektive.

Ein ähnlicher Wechsel zwischen Istwert und Sollwert geschieht auch in unserem Körper, wenn die Umgebungstemperatur sinkt. Dann senden die exterozeptiven Sinnesorgane (Sensoren) der Haut sofort entsprechende Informationen - afferente Nervenim pulse - zum ZNS. Das ZNS reagiert umgehend auf diese Impulse und sendet efferente Signale zur Steigerung des Metabolismus zum Ausgleich des Wärmeverlustes. Wird es dann zu warm , tritt der Homöostase Mechanismus in Funktion und vermindert den Metabolismus. Der Prozess dauert so lange an, bis die Wärmeerzeugung des Körpers im Verhältnis zur Umgebungstemperatur stabil isiert ist. Dieser kybernetische Prozess funktioniert bei allen Funktionen des Körpers einschließlich unserer Bewegungen. Feedback führt zu Veränderungen einer Bewegung, die schon im Gange ist. Diese Veränderungen werden von sensorischen Signalen, also von Reizen aus der unmittelbaren Umgebung, initiiert. Das Gehirn nimmt die Informationen der Propriozeptoren auf und reagiert mit entsprechenden Signalen, die weiter in die Muskeln gesendet werden und direkt oder indirekt an der Bewegung beteiligt sind.

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Die Modalitäten des Feedbacks Bei einem Spaziergang, z. B. in der Natur, kannst du verschiede ne Formen von Feedback wahrnehmen: ■

Taktile , mit dem Tastsinn wahrnehmbar: Du fühlst die Unebenheit des Bodens und begegnest ihr mit verschiedenen Anspannungen der Muskeln in Füßen und Beinen.



Visuelle, mit dem Sehen wahrnehmbar: Du siehst einen Ast und weichst ihm aus, indem du dich bückst.



Olfaktorische, mit dem Geruch wahrnehmbar : Du riechst den Jasminbusch und genießt seinen Duft.



Auditive, mit dem Hören wahrnehmbar: Du hörst einige vorüberfliegende Schwäne und schaust nach oben, um deren anmutiges Fliegen zu bewundern.



Kinästhetische, mit der Bewegung wahrnehmbar: Du fühlst in den Füßen und Beinen, dass sich der Boden senkt und änderst daher die Schrittlänge, verlagerst den Schwerpunkt , usw. Das Gleichgewicht bleibt die ganze Zeit aufrechterhalten, ohne dass du dich überhaupt darum kümmern musst.

Alle Feedbackformen werden von Faktoren beeinflusst, die entweder von außen oder von innen gesteuert werden.

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Bei einem Spaziergang in der Natur kannst du verschiedene Formen von Feedback wahrnehmen.

Feedforward Feedforward kommt in zwei Formen vor. Die eine indiziert das Ziel der Aktivität und stammt wahrscheinlich von der oberen Kontrollebene, dem planenden und programmierenden Teil des Gehirns. Bereits vor Antritt eines gewohnten Spazierganges kannst du dir vorstellen, wie der vor dir liegende Weg beschaffen ist , da du ihn in Gedanken schon beschritten hast. Du kannst sogar voraussagen, dass du aufgrund des starken Windes auf dem Weg ermüden wirst. Selbst nach dem Zubettgehen kannst du den ganzen Weg in Gedanken abschreiten und Korrekturen nach deiner Erinnerung vornehmen. Das geschieht unter Mitwirkung aller Teile der oberen Kontrollebene. Die andere Form von Feedforward, die den Spaziergang bzw. jede Aktivität steuert, wird von der Umgebung und/ oder von ei nem Teil deines Körpers beeinflusst . So siehst du bei Regensofort ein, dass du den Spaziergang verkürzen wirst, um wieder nach Hause zu eilen. Die übliche Form des Feedforward funktioniert folgendermaßen: Du öffnest die Tür zum Keller, um eine Flasche Wein zu holen. Bevor du die Treppe hinunter steigst, machst du das Licht an. Dank der Feedforward-lnformation weißt du, wo der Schalter ist.

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Feedforward ist der englische Begriff für eine gängige und alltägliche Erscheinung, mit der wir immer leben und dank derer wir überhaupt leben können.

Während einer Feldenkrais-Lektion sammelt der Schüler viele Erfahrungen, die alle als Feedforward funktionieren. Sobald der Schüler eine Bewegung macht, werden die neuen Erfahrungen integriert. Die ganze Feldenkrais-Methode baut auf einer Kette von Feedforward auf, die durch Manipulonen geschaffen wird . Feedforward ist der englische Begriff für eine gängige und alltägliche Erscheinung, mit der wir immer leben und dank derer wir überhaupt leben können. Hier ein Beispiel: Du hast einen Stein in den Schuh bekommen und weißt im Voraus, dass du bald stehen bleiben musst, um ihn herauszunehmen. Selbst kleinste Sandkörner im Schuh können merkwürdigerweise sinnlos große Proportionen annehmen, ob wir nun Marathon laufen oder nur zum Mülleimer gehen.

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«Macht ein Stein im Schuh dir Pein, danke Gott, er kam allein! t\las wäre esfür Plagerei, wären es statt einem zwei! » Piet Hein, dänischer Philosoph

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DIEMUSKELN Muskeltonus

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uskeltonus ist die allgemeine Spannung oder die Grundspannung in nicht willkürlich gespannten Muskeln. Die Grundspannung ist in der Regel in den Beugemuskeln höher als in den Streckmuskeln.

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Der Muskeltonus unterliegt Tagesschwankungen, die der vegetativen Reaktionslage entsprechen z. B. Harndrang, Bauchschmerzen, Herzschmerzen . Erhöhter Tonus kann verursacht sein durch: ■

verstärkte Aufmerksamkeit aktion des Schutzreflexes)



Kältereize (Schütteln nach Unterkühlung)



krankhafte Zustände in Form von Spastik und Rigidität (CP, Hemiplegie , Parkinson)



Bewegungsvergessenheit

(Bereitschaftstonus

und die Re-

FI basiert auf den Bewegungen, die du mit dem Schüler ausführst. Mit Hilfe dieser Bewegungen spürst du, welche Muskeln einen erhöhten Tonus haben und kannst das erste Manipulon der Lektion zu wählen.

Agonisten - Antagonisten Der britische sagte einst :

Neurologe John Hughlings Jackson (1835-1911)

„Unser Gehirn weiß nichts über unsere Muskeln, sondern nur über unsere Bewegungsmuster."

Ein Hampelmann, der der Körper mechanisch gesehen ist, kann als ein System von gegenseitigen, miteinander gekoppelten Pendeln beschrieben werden.

Beim Laufen führen wir eine Vielzahl koordinierter Bewegungsmuster aus. Ich spreche von Mustern, da ein Muskel nie allein arbeitet . Jeder Muskel hat einen Partner, zwei Muskeln gehören zu einem Paar. Der eine , der im Augenblick der Bewegung aktiv ist, wird Agonist (arbeitender Muskel) genannt. Der andere, der die Bewegung moduliert, ist der Antagonist (zurückhaltender Muskel). Das Zusammenwirken beider bezeichne ich als Paarkopplung . Muskelpaare arbeiten untereinand er immer in Gruppen, die einander auf gleiche Weise folgen.

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Die Anatomie des Menschen bringt gewisse fest stehende zusammenhänge zwischen den Bewegungen der verschiedenen Körperteile und deren Lage zueinander mit sich. Ein Hampelmann z.B., der der Körper mechanisch gesehen ist, kann als ein System von gegenseitigen, miteinander gekoppelten Pendeln beschrieben werden. Die Bewegungsmuster in einem mechanischen System können mithilfe der analytischen Mathematik berechnet werden.

Jegliche Bewegung wäre unmöglich, wenn die Paarkopplung zwischen dem Agonisten und dem Antagonisten nicht perfekt und automatisch funktionieren würde. Nach Sherrington wird das ''Reziproke Hemmung" genannt.

Die Gesetze der Mechanik - die Folgen der Trägheit der Materie, die Zentrifugalkraft, das Drehmoment, das Gleichgewicht im Verhältnis zur Gravitation, die Resonanzeffekte bei Energieüberführung können nicht geändert werden. Beim Laufen wird ein Straucheln der Beine verhindert, weil die Bewegungen durch die anatomische Konstruktion, d. h. vom Skelett , den Gelenken, den Bändern und deren Bewegungsumfang begrenzt sind . Andere Einflüsse sind ausgehende, absichtliche Nervenimpulse (du weichst einem Ast aus.), instinktive (angeborene) Muster (du behältst dein Gleichgewicht beim Ausweichen.), sowie erlernte und mehr oder weniger automatisch aneinander gekoppelte Bewegungsmuster (das Schwingen der Arme beim Laufen) und Muster, die von äußeren, mentalen, zufälligen Umständen (Hunger, Durst, Fußschmerzen) oder mentalen Zuständen (Angst, Einsamkeit, Unruhe) beeinflusst werden. Jegliche Bewegung wäre unmöglich, wenn die Paarkopplung zwischen dem Agonisten und dem Antagonisten nicht perfekt und automatisch funktionieren würde. Nach Sherrington wird das "Reziproke Hemmung" genannt . Ist ein Muskel von BVH beeinflusst, so ist dessen Antagonist in der Regel gleichermaßen betroffen. Es kann jedoch geschehen, dass der eine oder andere einen höheren Grad an BVH aufweist, weil er zeitweise im Paar mit einem anderen Muskel arbeitet. Wenn beide Muskeln mit proportional verschiedenem Grad von BVH zusammenarbeiten, wird eine ruckartige Bewegung spürbar, die man als "muskuläre Dysbalance" bezeichnet. Ein „tonischer Muskel" ist der Muskel des Paares, der den höheren Grad an BVH aufweist.

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Pandikulation Wenn ein Tier, z. B. ein Hund oder eine Katze, aufwacht, reckt es sich. Das wird Pandikulation genannt. Seine Bedeutung für den Körper wird von Thomas Hanna hervorgehoben. Das Tier gähnt (gähnen = lat. pandiculor), um Sauerstoff zu bekommen und zieht die Rückenmuskeln kraftvoll zusammen. Danach werden von den Antagonisten die Muskeln auf der Vorderseite zusammengezogen. Dies bereitet das Tier auf seine normalen sensor-

motorischen Funktionen vor. Die gesetzmäßige Zusammenarbeit zwischen Agonisten und Antagonisten wird dadurch abgestimmt, sodass das Tier beim Aufstehen handlungsbereit ist. Auch wir Menschen pandikulieren, wenn wir aufwachen. Wir gähnen (nehmen einen tiefen Atemzug), machen ein Hohlkreuz, strecken die Arme und Beine und machen Fäuste. Speziell Kinder recken sich in einer Art, die den Tieren auffallend ähnelt. Es kommt vor, dass meine Studenten sich spontan während einer FI-Lektion recken. Pandikulation ist eine reflexmäßige Handlung . Im Schlaf entspannt sich die Muskulatur des Menschen, soweit das unter Berücksichtigung einer evtl. vorliegenden BVH möglich ist. Beim Aufwachen pandikuliert man reflexmäßig. Vor dem Aufstehen ist es selbstverständlich wichtig, dass das ZNS gut koordiniert ist. Eine gute Koordination wird wesentlich dadurch gefördert, dass die Sauerstoffzufuhr im Blut ausreichend ist und die Paarkopplung zwischen den Agonisten und Antagonisten perfekt funktioniert. Falls diese Faktoren nicht erfüllt sind, besteht ein großes Risiko, dass der Mensch fällt , wenn er aus dem Bett steigt. Pandikulation kann auch durch Entspannung entstehen , nachdem z. B. Arbeit in einer Muskelgruppe übernommen worden ist. Die Pandikulation beschleunigt also den Koordinationsprozess zwischen der von BVH befreiten Muskelgruppe und der übrigen Körpermuskulatur. Jede Mutter weiß, dass auch der Fötus pandikuliert (A. F Frasier). Der Reflex ist phylogenetisch. Er tritt bei allen Wirbeltieren auf.

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BEWEGUNGSMUSTER Reflexmuster • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •

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n seinem Buch "Die Feldenkrais Methode" benutzt Yochanan Rywerant die Bezeichnungen „ Engramm" und „ Effe renzmuster" für Bewegungsmuster. Nach Antonio Damasio spricht man auch von Reflexmustern und Körperkarten. Weitere Synonyme sind „Handlungsmuster" und „neuromotorische Muster " . Die verschiedenen Bezeichnungen unterscheiden sich lediglich in Bezug auf den jeweiligen Zusammenhang, in dem sie verwendet werden . Bewegungsmuster können einerseits gewohnte Handlungsmuste r sein, aber es können auch Reflexmuster sein, die vom Schutzreflex aktiviert werden. Der Schutzreflex aktiviert zuerst ein ererbtes Bewegungsmuster. Zum Schutz vor der von außen kommenden Gefahr begibt sich er Körper in die Fötusstellung .

De r Schutz reflex aktivi ert z uerst ein ererbtes Bewegungsmuster. Zu m Schut z vor der von außen kommenden Gefahr begibt sich der Kö'rpe r in die Fö"tusstellung.

Das ererbte Bewegungsmuster kann jedoch durch ein völlig anderes ausgetauscht werden und bekommt dadurch einen ande ren Verlauf, wenn die Gefahr nicht von allgemeinem Charakter (Erdbeben oder Stress) ist , sondern z. B. darin besteht , dass ein Auto auf uns zufährt. Falls der Schutzrefle x in dieser Situati on ausgelöst wird , erstarren wir vor Schreck und werden handlungsunfähig. Springen wir stattdessen zur Seite , ist die Reaktion von einer mehr oder weniger bewussten , will kürlichen Reaktion verursacht , die das Auslösen eines der Situation angepassten Bewegungsmusters bewirkt hat. Wir folgen einem sogenannten reflexmäßigen Handlungsmuster. Ein trainierter Soldat , der plötzlich einem Feind begegnet , schießt auf ihn, ohne vorher nachzudenken. Es sind also erlernte Reflexe, die von anderen Faktoren als dem Schutzrefle x ausgelöst werden , auch wenn die Aktivität dem Schutz dient. Wenn wir bei der FM von der Aktivität des Schutzreflexes reden , mei nen wir den ererbten Reflex. An anderen Stellen in der Fachliteratur hat das Wort Reflexmuster eine abweichende Bedeutung. Es kann ein im Kortex gespeichertes Bewegungsmuster sein, das abgerufen wird, weil wir die Ausführung einer Handlung wünschen , eine gewisse Handlung erforderlich ist, von uns erwartet wird oder, weil wir ein Bedürfnis verspüren , etwas zu tun. Diese Bewegungsmuster werden im Kortex durch die Bewegungserfahrungen verankert, die wir von Kindheit an und unser ganzes Leben lang auszuführen lernen. Der Zusammenhang zum Verständnis all dessen wird von den Spiegelneuronen verdeutlicht, die erst Mitte 1990 vom Professor der Physiologie, Giacomo Rizzolatti (Universita Parma, Italien)

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entdeckt wurden. Seine Entdeckung erklärt u. a. den so genannten Pawlowschen Reflex sowie Thorndikes Stimulus Respons. Der Vorrat des Kortex an Bewegungsmustern ist beinahe unbegrenzt. Das gewünschte Bewegungsmuster kommt als ein Reflex auf den Wunsch nach der optimalen Bewegung zur Anwendung . Die Bezeichnung Reflexmuster ist deswegen für uns allzu ungenau , um sie im Bereich der FM zu verwenden. Ist ein solches Bewegungsmuster (Reflexmuster) erst vom Kortex ausgelöst, lässt es sich genauso schwer ändern, wie ein Muster, das durch den Schutzreflex ausgelöst wurde.

Körperkarten Neben Antonio Damasio verwendeten auch andere die Bezeichnung Körperkarte. Sie haben die Bezeichnungen Engramm und Bild abgelehnt , da sie ihnen in ihrer Bildersprache unpraktisch erschienen . Ein Engramm oder Bild lässt leicht Gedanken von etwas Unveränderlichem oder Stereotypem aufkommen. Eine Karte hingegen kann und muss, um einem geänderten Terrain zu entsprechen, korrigiert werden. Diese Umschreibung wurde das erste Mal von Korzybski erwähnt : ,,Die Landkarte ist nicht das Terrain".

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Die im Kortex gespeicherten Karten können aus gegebenem Anlass korrigiert werden . Ursachen für oder Anlässe zu diesen Korrekturen (Aktualisierung) treten ständig auf. Daher entspricht die Bezeichnung Karte einer besseren Assoziation von etwas Veränderlichem . Es kann sich hier um eine erzwungene Veränderung handeln , wenn z. B. ein Muskel von BVH betroffen ist, eine Veränderung des Bewegungsmusters also erlangt werden muss, um die gewünschte Handlung zu ermöglichen. Die Veränderung kann auch durch Willenskraft oder andere äußere Umstände erforderlich sein. Yochanan Rywerant hat die Bildersprache der topografischen Karten mit Landkarten verglichen.

Efferenzmuster Efferenzmuster ist der neurophysiologische Fachausdruck für ein Bewegungsmuster, das im Gehirn vorprogrammiert ist und bei Bedarf automatisch abgerufen wird. Das Efferenzmuster kann ererbt sein, d. h., es ist genetisch begründet und wird in diesem Fall ursprüngliches Bewegungsmuster genannt. Es kann auch ein nach der Geburt erlerntes Bewegungsmuster sein.

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Zwei verschiedene Typen von erlernten Bewegungsmustern existieren: Teils natürliche Bewegungsmuster, d. h. solche, die unter Anwendung einer intakten Skelettmuskulatur ausgeführt werden, teils solche , die BVH ausbalancieren . Der Ausgleich be-

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steht darin, dass Muskeln okkupiert werden, die normalerweise nicht zu der Bewegung gehören, um den gewünschten Bewegungseffekt zu erreichen, da bestimmte - normalerweise an der Bewegung beteiligte - Muskeln nicht funktionieren, wie sie sollten. Als Beispiel: Ein Mensch, der humpelt, benutzt automatisch ein anderes Laufmuster als das übliche. Das Efferenzmuster kann in der Form abgerufen werden, wie es nach eventuellen Korrekturen bei der letzten Anwendung im Gehirn gespeichert wurde . Es ist das Bewegungsmuster, welches das Gehirn bereithält und beim nächsten Bedarf der betreffenden Bewegung ausführen wird.

Der Schüler wird gegenüber einer sich laufend verändernden Umgebung anpassungsfähiger, sowohlpsychischals auch physisch.

Das Zerebellum (Kleinhirn) folgt den Ausführungen des Bewegungsmusters. Falls sich die Voraussetzung für eine Bewegung geändert hat, empfängt das Zerebellum eine Mitteilung (Feedback) und führt eine entsprechende Korrektur des Efferenzmusters aus. Es gibt ein eingeprägtes Efferenzmuster für Treppen, die wir gewohnt sind zu gehen. Steigen wir diese Treppen, werden unsere Schritte daher automatisch angepasst. Wir können Efferenzmuster für verschiedene Treppensysteme im Gehirn speichern. Die Anwendung solch eines Efferenzmusters wird „Corollary Discharge" genannt . Wenn wir eine dieser Treppen sehen, wird das betreffende Efferenzmuster automatisch abgerufen (,,corollary" = unmittelbare Konsequenz) und angewendet (,,Discharge"). Bei jedem Treppesteigen wird, dank der Kybernetik, automatisch ein Vergleich zwischen dem Efferenzmuster und der Wirklichkeit erstellt und, falls notwendig, eine Anpassung vorgenommen. ,,Corollary Discharge" kommt auch zur Anwendung beim Essen, Trinken , allen sportlichen Aktivitäten u. v. m. Beim Anheben eines Gegenstandes, den du niemals zuvor angehoben hast, spannst du die Muskeln so stark, bis du den Gegenstand heben kannst. Es ist ein gewöhnlicher Vorgang, dass du den Gegenstand siehst und mittels Zurückführung auf frühere Erfahrungen sein Gewicht beurteilst, d. h. ahnst, mit welcher Kraft du den Gegenstand anheben musst. Wenn du dann den Gegenstand anhebst und sich herausstellt , dass er leichter ist als angenommen, so wirfst du ihn fast in die Luft. Diese Beispiele zeigen, dass ein Handlungsmuster (Engramm) nicht nur das Bewegungsmuster beinhaltet, sondern auch ein Muster der Muskelanspannung. Der Erkennungsfaktor ist bei der Einwirkung von Manipulonen ausschlaggebend. Die Wirkung der Manipulonen ist auf den Erkennungsfaktor angewiesen. Suchst du im Walde Pfifferlinge, kannst du keine Steinpilze sehen, weil dein Gehirn auf das Aussehen von Pfifferlingen eingestellt ist . Das Gehirn reagiert daher leichter beim Anblick des Pilzes, der mit dem inneren Bild übereinstimmt, und erkennt somit den Pilz.

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Es ist also selbstverständlich, dass, je mehr du die Manipulonen variierst (in sowohl FI als auch BDB), desto mehr Efferenzmuster speichert dein Schüler im Gehirn. Du erweiterst damit laufend seine Fähigkeit, verschiedenen Situationen zu begegnen und die erforderlichen Bewegungen entsprechend schneller umzusetzen . Er wird gegenüber einer sich laufend verändernden Umgebung anpassungsfähiger, sowohl psychisch als auch physisch. Das gibt ihm größere Sicherheit im Dasein und stärkt sein Selbstvertrauen, woraus ei n differenziertes Selbstbild entsteht . Wie aus dem oben Beschriebenen hervorgeht, passt meine Bezeichnung Bewegungsmuster in allen erwähnten zusammenhängen und wird daher im Bereich der FM angewendet . Es ist wichtig, einen so großen Überschuss an Information wie nur möglich ans Gehirn zu geben, da die Suche nach einem geeigneten Muster (Corollary) im Speicher schnell vorgenommen und bei Bedarf angepasst werden kann. Demnach geschieht die Anpassung - wenn nötig - auch schneller. Ein Beispiel für diese Funktion ist die Werbung der finnischen Reederei, deren Fähren zwischen Stockholm und Helsinki verkehren. In ihrer schwedischen Werbung lässt man einige Buchstaben in „V-k-ng L-ne" wegfallen. Schweden erkennen sofort die fehlenden Buchstaben und können sie im Gedächtnis zum Firmennamen (Viking Line) zusammensetzen.

Das Gehirn funktioniert so genial dass du dich in dem Augenblick, da du nach der Tassegreifst, sogar vom Tisch abwenden kannst, um in eine andere Richtung zu blicken und trotzdem in der Lage bist, die Tassezu greifen.

Bewegungsmuster - Handlungsmuster Sämtliche Handlungen erfolgen nach einem Bewegungsmuster, das auch als Handlungsmuster bezeichnet wird. Unsere alltäglichen Bewegungen sind von Bedürfnissen bzw. Gedanken gesteuert. Wenn diese Gedanken das sensomotorische Areal des Gehirns erreichen, fängt es an, die erforderliche Bewegung zu planen . Es entsteht ein neuromotorisches Bewegungsmuster (Handlungsmuster). Wird eine bestimmte Armbewegung in Bezug auf eine gewisse Aufgabe geplant , kann die Bewegung erst ausgeführt werden , nachdem das vollständige Muster erstellt worden ist.

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Die kleinste Abweichung von diesem Muster wird sofort von den Rezeptoren zum Kleinhirn geleitet, das augenblicklich die entsprechende Korrektur des Musters vornimmt. Das folgende Beispiel aus dem Alltag erläutert die Funktionsweise des Gehirns. Möchtest du eine Kaffeetasse vom Tisch nehmen, bezieht sich das Bewegungsmuster, welches für diesen Zweck erstellt wird, auf die Lage der Tasseim Raum und auf die Position deiner Hand. Die für die Gestaltung aller Details einer kompletten Bewegung erforderlichen Informationen erhält dein Gehirn über den visuellen Reiz, aus dem es ein Situationsbild erstellt, das bestehen

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bleibt, selbst wenn du die Augen vom Geschehen abwendest. Das Gehirn funktioniert so genial , dass du dich in dem Augenblick , da du nach der Tasse greifst , sogar vom Tisch abwenden kannst , um in eine andere Richtung zu blicken und trotzdem in der Lage bist , die Tasse zu greifen . Die Bewegung wird trotz allem perfekt ausgeführt. Du hältst die Tasse in der Hand, ohne dir bewusst zu sein, wie sie dahin gekommen ist.

Schon als Säugling lernen wi r di e grundlegenden, gewohnheitsmäßig en Funktionen wi e Essen, Trinken , Rollen oder das Heben des Kopfes.

Willst du jedoch nach einer Tasse greifen, während eine andere Person sich einen Keks nimmt und dich durch sein Vorbeugen am Ergreifen der Tasse hindert , erkennt dein Gehirn „ das Hindernis" über den visuellen Reiz und hält die geplante Armbewegung zurück, um eine Kollision zu vermeiden. Lehnt sich die Person zur ück, setzt dein Gehirn das begonnene Bewegungsmuster fort und löst die nötigen Reaktionen aus, um die Tasse an den gewünschte n Ort zu bringen (z. B. zum Mund zu führen) . Solche kleinen Abweichungen geschehen durch die direkte Verbindung zwischen Auge und Gehirn , ohne den Arm bewusst steu ern zu müssen. Während eine Bewegung ausgeführt wird , bekommt das Gehirn laufend Informationen z. B. über die Länge der Muskeln. Eine gewisse Länge des Bizepsmuskels entspricht natürlich einem gewissen Winkel des Unterarms im Verhältnis zum Oberarm . Je kürzer der Bizeps, desto spitzer der Winkel, desto stärker die Beugung des Unterarms. Mithilfe der Bewegungen, die dem Gehirn Informationen über die Verhältnisse in den Muskeln liefern , erkennt das Gehirn also die Position des Armes sowohl im Raum als auch in Bezug zum Kopf und zu den anderen Körperteilen . Dieses sensomotorische Feedback System nutzt ein FeldenkraisLehrer, nicht nur um mittels Manipulonen Muskeln von BVH zu befreien , sondern auch um dem Gehirn des Schülers zu zeigen , dass die befreiten Muskeln nun für Bewegungsmuster zugänglich sind. Je stärker du die Manipulonen variierst, desto schneller gewöhnt sich das Gehirn (durch Assoziation) daran , die von BVH befreiten Muskeln in Bewegungsmuster zu integrieren.

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Gewohnheitsmäßige - nicht gewohnheitsmäßige Bewegungsmuster Schon als Säugling lernen wir die grundlegenden, gewohnheitsmäßigen Funktionen wie Essen, Trinken , Rollen, das Heben des Kopfes u. a. Nur einige Monate später lernen wir das Sitzen, Stehen und Gehen. Es sind angeborene oder erlernte Funktionen. Die Letztgenannten üben wir , bis sie zur Gewohnheit geworden sind . Dann schenken wir ihnen keine Aufmerksamke it mehr. Da unsere Bewegungen meist unbewusst ablaufen, spüren wir nicht, wenn uns äußere oder innere Umstände zu schlechten Angewohnheiten zwingen , bei denen wir Kraft aufwendige Bewegungsmuster verwenden . Das beeinflusst nicht nur unsere Haltung und Bewegung, es kann auch zu BVH führen. Belastest duz. B. ein Bein stärker als das andere, krümmt sich die Wirbelsäule unnatürlich. So entwickelt sich früher oder später eine Skoliose, die Schmerzen verursacht. Trägt eine Frau ihre Tasche überwiegend auf einer Schulter, kann diese Angewohnheit zu einem Schiefstand der Schulter führen . Die Schulte r, auf der die Tasche hängt , wird automatisch höher gehalten , auch wenn sie die Tasche nicht trägt. Ein fünfjähriges Kind übernimmt das Vorbild seiner Mutter und lernt mit eine r hoch gezogenen Schulter zu laufen, selbst wenn es keine Umhängetasche trägt. Die schiefe Schulter wird zur unbewussten und ungünstigen Angewohnheit der Tochter. Genau wie bei seiner Mutter versteifen sich Schulter und Arm des Kindes aufgrund eingetretener BVH. Ein Rechtshänder benutzt selten spontan die linke Hand. Erbenutzt sie eigentlich nur, wenn er gezwungen ist, mit beiden Händen zuzugreifen . Er streckt den rechten Arm öfter nach oben als den linken. Das linke Schultergelenk verliert damit an Beweglichkeit. Das kannst du leicht kontrollieren, indem du dich auf den Rücken legst und beide Arme über den Kopf streckst. Dabei bemerkst du, dass dein linker Arm nicht so weit zum Boden sinkt , wie der rechte , vorausgesetzt BVH ist im rechten Arm nicht größer als i m linken.

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Ist der Schutzreflex über längere Zeit vielleicht sogar über Jahre ausgelöst, was nach einem traumatischen Erlebnis passieren kann, hat das Gehirn die durch diesen Reflex ausgelöste Verhaltenweise als Teil des gewohnheitsmäßigen Bewegungsmusters akzeptiert.

Ist der Schutzreflex über längere Zeit vielleicht sogar über Jahre ausgelöst, was nach einem traumatischen Erlebnis passieren kann, hat das Gehirn die durch diesen Reflex ausgelöste Verhaltenweise als Teil des gewohnheitsmäßigen Bewegungsmusters akzeptiert . Schließt ein Mensch, der von der oben beschriebenen Situation betroffen ist, in entspannter Atmosphäre willkürlich seine Hand, kann es passieren, dass sein Schutzreflex die Muskeln des ganzen Armes spannt. Er beugt dann den ganzen Arm anstelle der Hand. Das Schließen der Hand löst also eine gewohnte, vollständige Armbewegung aus. An einer Bewegung,

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die aufgrund einer Angewohnheit ausgeführt wird, sind häufig unbewusst mitwirkende, parasitäre Muskeln beteiligt. Muskeln werden als „parasitär" bezeichnet, wenn sie zusätzlich okkupiert werden, um eine durch BVH beeinflusste Bewegung auszuführen. Will der Schüler eine Bewegung ausüben, die gewohnheitsmäßig in ein größeres Bewegungsmuster integriert ist, kann das eine ähnliche Reaktion hervorrufen . Wenn er auf einem Stuhl sitzt und den Fuß heben will, ruft sein Gehirn ein entsprechendes, kleines Bewegungsmuster ab, um den Fuß vom Boden zu heben. Es kann aber passieren, dass das ganze Bein gehoben wird. Das kleine Bewegungsmuster, mit dessen Hilfe der Fuß gehoben wird, entspricht genau dem Anfang des Bewegungsmusters, mit welchem das ganze Bein gehoben wird. Sein Gehirn assoziiert also das große Bewegungsmuster und schaltet gewohnheitsmäßig alle Muskeln ein, die benötigt werden, um den Fuß und das Bein zu heben.

Du musst sehr behutsam vorgehen, um das gewohnheitsmäßige Bewegungsmuster nicht zu aktivieren.

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Mithilfe der Feldenkrais-Lektionen schult der Schüler seine Propriozeption, um sich seiner gewohnheitsmäßigen Bewegungen bewusst zu werden und das Gehirn daran zu gewöhnen, entsprechend der auszuführenden Bewegung effizient zu arbeiten, d. h. zwischen umfangreichen und weniger umfangreichen Bewegungsmustern zu differenzieren. Für dich als Feldenkrais-Lehrer birgt das die Möglichkeit, während der FI gewohnheitsmäßige Bewegungsmuster zu verändern. Dabei musst du sehr behutsam vorgehen, um das gewohnheitsmäßige Bewegungsmuster nicht zu aktivieren. Das folgende Beispiel zeigt, wie du vorgehen kannst. Die Extension des Körpers ist ein gewohnheitsmäßiges Bewegungsmuster. Hierzu gehören als Hauptkomponenten die Rückenstrecker (M. longissimus, M. erector spinae). Wenn BVH in diesen vorliegt, (deren Ursache Stress sein könnte), reduzierst du zunächst BVH in den Sekundärkomponenten, (d. h. in den Diagonalen, die ebenfalls zum Extensionsmuster gehören.) Damit wird gleichzeitig BVH in den Hauptkomponenten reduziert. Arbeitest du schließlich direkt an den Hauptkomponenten, vermindert sich das Risiko, das gewohnheitsmäßige Extensionsmuster zu aktivieren.

DIE REFLEXE Der Gleichgewichtsreflex

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er Gleichgewichtsreflex wird auch Vestibularisreflex, Labyri nthreflex, Haltungsreflex, Bewegungsreflex oder Lagereflex , genannt.

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Um das Gleichgewicht zu halten, muss der Gleichgewichtssinn ständig auf Änderungen reagieren, die von unseren Körperbewegungen freiwillig oder unfreiwillig verursacht werden. Der Gleichgewichtssinn im Labyrinth des Ohres (Vestibularis) ist daher immer aktiv und sendet bei Bedarf blitzschnelle Signale über die Gleichgewichtskerne (Koordinationszentrale im Hirnstamm) zum Kleinhirn. Das sendet Impulse an die Muskelgruppen, die benötigt werden , um das Gleichgewicht in der aktuellen Situation aufrechtzuerhalten. Stolpert ein Mensch z. B. leicht über eine Schwelle, bewegt sich der Kopf entsprechend und der Gleichgewichtsreflex setzt sofort unter der Beteiligung der Muskeln, die den Körper aufrichten, ein. (Nur in ruhig gestellter , liegender Position ist der Reflex inaktiv.) Ältere Menschen stolpern häufig oder stürzen sogar beim schnellen Umdrehen. Wäre ihre Muskulatur weniger stark von BVH betroffen würden sie in entsprechender Situation nicht stürzen. Denn je höher der Grad an BVH in den betroffenen Muskeln ist, die der Reflex aktivieren muss, desto stärker wird die Funktion des Kleinhirns eingeschränkt und die Koordination der Bewegungen, die für das Aufrechterhalten des Gleichgewichtes notwendig sind, erschwert. Oft behindern wir unsere Reflexe durch bewusste oder unbewusste Anspannung der Muskeln. Läufst du z. B. auf Glatteis, spannst du unbewusst den ganzen Körper an. Du hast die Absicht, in höchster Reaktionsbereitschaft zu sein, um einen eventuellen Sturz abzufangen . Diese „Hilfespannung" ist tatsächlich keine Hilfe , sondern verursacht ein erhöhtes Risiko tatsächlich auszurutschen. Der Reflex muss nun erst mehrere Hilfespannungen überwinden und eventuell andere verfügbare Muskeln einschalten , ehe die für das Aufrechterhalten des Gleichgewichts notwendigen Bewegungen ausgeführt werden können. Passiert das nicht schnell genug, fällst du auf die Nase. Die Hilfespannungen können zur Gewohnheit werden , wodurch ein gewisser Tonus der Muskeln aufrechterhalten wird . Auch wenn dieser Tonus noch nicht in schmerzende BVH übergegangen ist , kann er so hoch sein, dass er nur steife oder ruckartige Bewegungen zulässt.

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Reagiert dein Gleichgewichtsreflex eingeschränkt , nutzt du bewusste Maßnahmen zur Unterstützung. Du greifst z. B. nach dem Geländer der Rolltreppe, du trittst zur Seite, du stützt dich an der Wand ab usw. Selbstverständlich erschwert BVH auch diese bewussten Handlungen.

Der Schutzreflex • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •

Der Schutzreflex wird auch Traumareflex genannt, der den Körper vor allen physischen und psychischen Gefahren (Traumata) schützt. Gibt es für das Auslösen des Schutzreflexes eine Ursache, so liegt ein akuter Zustand vor. Das Startkommando geht vom Rückenmark aus, was den offenbaren Vorteil hat, dass die sensomotorischen Bahnen dahin kürzer sind, als zum Gehirn. Dadurch wird die geforderte Reaktion des Gehirns umgangen, weil das die Reaktionszeit verlängern würde. Die Signale gehen zuerst von den Agonisten aus. Die Antagonisten sollten in einer dringenden Situation das Auslösen des Schutzreflexes verhindern oder verzögern.

Stress ist nichts anderes, als ein modernes Wort für Furcht oder auch Angst.

Im alltäglichen Leben sind wir ständig Traumata ausgesetzt . Sprechen wir in der FM über Traumata, meinen wir nicht notwendigerweise die Folge von sehr starken Erlebnissen, wir können auch Kummer und Sorge, Trauer, Unruhe, Enttäuschungen , Ärger, die Angst vor Schmerz und Ähnliches meinen. Der Reflex kann z. B. von überhöhten Anforderungen, Stau, körperlichen Schäden, Nachrichten im Fernsehen, Stress, Familienstreit, einem Todesfall oder plötzlich einsetzenden lauten Geräuschen ausgelöst werden. Treten mehrere dieser Faktoren gleichzeitig auf , wird der Reflex verstärkt bzw. dauert länger an. Die durch den Reflex verursachte Muskelspannung steht i m direkten Verhältnis zum Umfang und zur Dauerhaftigkeit des Traumas.

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Das führt schließlich zu dem, was wir Stress nennen. Hans Selye hat das Konzept Stress erklärt : Stress ist nichts anderes, als ein modernes Wort für Furcht oder auch Angst. Der Ausdruck „positiver Stress" bedeutet freiwilliges Streben nach etwas, das in angemessener Zeit zu einem positiven Resultat führt. Wir müssen uns aber darüber im Klaren sein, dass anhaltender Stress in jeglicher Form ungesund ist. Gleichzeitig hat Hans Selye nachgewiesen, dass Stress physische Krankheiten verursacht. Daher der Ausdruck psychosomatische Krankheiten.

Die Ausdrucksweise des Schutzreflexes • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •

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Unsere instinktive Angst zu stürzen, löst den Schutzreflex aus. Feldenkrais beschreibt in seinem Buch „Der Weg zum reifen Selbst" die Reaktionen eines Säuglings, der zu fallen droht. Halten wir einen Säugling und lassen ihn plötzlich sinken, können

wir ein gewaltsames Zusammenziehen der Flexoren (den Umklammerungsreflex) erleben. Der Säugling hält den Atem an, der Puls steigt und allgemeine vasomotorische Störungen , wie Atemnot , Herzklopfen , Schwitzen , Frösteln und Schwindel set zen ein. (Vergleiche die Reaktion des Säuglings mit deiner eigenen Reaktion, wenn du Berg- und Talbahn fährst.)

Das Resultat der A'ußerungen des Schutzreflexes nennen wir Flexionsmuster (Beugemuster).

Das gesamte Reaktionsmuster des Schutzrefle xes spiegelt sich in der Fötusstellung wider , der effektivsten aller Schutzstellungen. Der Reflex zieht den Körper von Kopf bis Fuß zusammen . Dabei werden die Augen geschlossen, die Kiefer zusammengepresst , die Zunge wird gegen den Gaumen und die Zähne gedrückt , das Gesicht wird angespannt , das Kinn eingezogen , die Schultern werden angehoben und die Ellbogen angebeugt , die Hände werden zur Faust geballt , die Brust sinkt zusammen, die Bauchmuskeln werden angespannt , das Zwerchfell wird zusammengezogen und wir halten den Atem an, die Beckenbodenmuskulatur wird zusammengezogen (mit den Ringmuskeln des Anus und der Harnröhre) , die Hüftmuskeln drehen die Oberschenkel nach innen , die Zehen zeigen nach innen , die Oberschenkel werden zusammengekniffen , die Kniebeuger und die Wadenmuskeln werden zusammengezogen und der Hohlfuß wird angespannt. Durch diese Haltung drücken die angespannten Bauchmuskeln auf die Eingeweide und stören deren Funktion . Die Bauchmuskeln drücken auf die Harnblase , was zu verstärktem Harndrang führt . Chronisch zusammengezogene Bauchmuskeln verursachen Verstopfung, denn sie beeinträchtigen die Verdauung und die Peristaltik . Die angespannten , schrägen Bauchmuskeln verhindern die Rotationsbewegungen der Wirbelsäule , wodurch u. a. die Pendelbewegungen der Arme und Beine beim Gehen behindert werden. Sowohl BVH als auch ständige Schmerzen im Rücken, den Schultern , den Ellbogen , den Handgelenken , den Hüften , den Knien, den Fußgelenken usw. entstehen. Beim Zusammenziehen der Bauchmuskeln reicht das Zwerchfell während der Einatmung nicht tief genug in die Bauchhöhle hinein. Das beeinträchtigt unser Atemvolumen und trägt zu Sauerstoffmangel, Herzklopfen und hohem Blutdruck bei. Die Ausatmung geschieht u. a. durch das Entspannen der Bauchmuskeln. Wenn diese jedoch bereits angespannt sind, kann die Atmung nur oberflächlich bleiben . Das Resultat der Äußerungen des Schutzreflexes nennen wir Flexionsmuster (Beugemuster). Eswird meist durch einen nach vorn geneigten Oberkörper sichtbar. Um einen Sturz zu verhindern und den Körper aufzurichten , spannt der Gleichgewichtsreflex hauptsächlich die Rückenstrecker .

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Ein normaler Hebel für die Bauchmuskeln ist ca. 15 cm lang. Das entspricht dem Abstand zwischen Bauchwand und Wirbelsäule. Der Hebel für die Rückenstrecker entspricht jedoch dem wesentlich kürzer ausfallenden Abstand zwischen Rückenstrecker und Wirbelsäule von ca. 5 cm. Das Aufrechthalten des Körpers bewirkt also eine Anspannung in den Rückenstreckern , die dreimal größer ist, als die Anspannung, die in der Muskulatur der Vorderseite des Körpers erforderlich ist. Es ist kaum verwunder lich, dass dadurch Rückenschmerzen entstehen können.

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Schon beim Eintreten deines Schülers kannst du die Schraubstocksituation, in der er sich befindet, erkenn en.

Rückenschmerzen - Reflexkollision Sobald Gefahr droht, physischer oder auch psychischer Art, veranlasst der Schutzreflex die Flexoren die traditionelle Schutzstellung, die Fötusstellung in ihrer extremen Form, einzunehmen. Um dadurch nicht vornüber zu fallen , muss der Gleichgewichtsreflex dieser Schutzstellung durch stärkere Anspannung der Extensoren entgegenwirken. Schon beim Eintreten deines Schülers kannst du die Schraubstocksituation , in der er sich befindet, erkennen . Du siehst z. B., dass der Schüler sich steif bewegt , übertrieben aufgerichtet geht oder ein starkes Hohlkreuz hat. Er geht mit kurzen Schritten und bewegt die Arme kaum. Diese Haltung weist auf konstante Spannungen im Nacken, den Schultern, den Armen , den Händen, im Rücken, in den Gesäßmuskeln sowie in den Beinen und Füßen hin . Durch sie ist die Wirbelsäule einem hohen Druck ausgesetzt. Während die Flexoren auf der Vorderseite nach unten ziehen , ziehen die Extensoren auf der Rückseite ebenfalls nach unten. Diese Situation nennt Thomas Hanna den Schraubstock und bezeichnet damit einen Zustand, der BVH in der Muskulatur und allmählich auch Rückenschmerzen verursacht. Die folgende Abbildung verdeutlicht nen.

die Situation des Betroffe-

Der Schraubstock

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Der vertikale Druck auf die Bandscheiben der Wirbelsäule ist gleich den vertikalen Komponenten der Extensoren und der Flexoren. Dies kann ohne Weiteres einem Druck von 25 kg/cm 2 (also einem Gewicht von zweieinhalb 10-Liter-Wassereimern pro cm 2 !) entsprechen. Die Fläche zwischen den Wirbeln, die den Druck aufnimmt, beträgt etwa 4 cm 2 • Folglich ergibt sich eine extreme Belastung der Wirbelsäule, die einem Gewicht von etwa 100 kg entspricht. Das ist bedeutend mehr, als du anheben kannst. Mache deinen Schüler auf derartige Belastungen im täglichen Leben aufmerksam. Sie verursachen mehr oder weniger starke BVH in verschiedenen Körperteilen. Hat diese BVH so zugenommen, dass Schmerz entsteht, kommt der Schüler zu dir. Dann hilft es nicht allein, ihn zu lehren, wie er seine BVH reduzieren kann. Kommt der Schüler an seinen Arbeitsplatz zurück und führt die Bewegungen, die BVH verursacht haben, erneut aus, werden die Beschwerden bald wieder auftreten. Verdeutliche deinem Schüler, wie wichtig es ist, die Faktoren in seinem Arbeitsmilieu, die zur Einschränkung seiner Beweglichkeit geführt haben, zu erkennen und unterstreiche die Notwendigkeit, entsprechende vorbeugende Maßnahmen zu ergreifen, evtl. sogar Veränderungen in seinem Leben vorzunehmen.

Schleudertrauma Allein in Schweden haben 70 Prozent aller Verkehrsunfälle Schleudertraumen zur Folge, die Kosten von 440 Millionen Euro pro Jahr für die Gesellschaft verursachen. In ganz Europa erleiden jährlich mehrere Hunderttausend Menschen Schleudertraumen durch Verkehrsunfälle. Studien über die Wirkungsweise der Feldenkrais-Methode bei Schleudertraumapatienten zeigen gute Erfolge und den positiven Einfluss der Methode auf die Genesung dieser Patienten. In bedrohlichen Situationen und bei allen Verletzungen, die sowohl physischer als auch psychischer Art sein können, tritt der Schutzreflex ein, dessen Ausmaß automatisch und unbewusst entsprechend der Art und des Umfangs der Verletzung ausfällt. Individuelle Faktoren wie die physische und psychische Verfassung des Patienten haben ebenfalls Einfluss auf das Ausmaß des Schutzreflexes . Da ein Schleudertrauma eine umfangreiche Verletzung verursacht, ist auch die Reaktion des Schutzreflexes tiefgreifender, als zunächst angenommen.

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Studien über die Wirkungsweise der Feldenkrais-Methode bei Schleudertrauma-Patienten zeigen gute Erfolge.

Erste Symptome, die unmittelbar nach dem Unfall auftreten, äußern sich als Überempfindlichkeit und Schmerz. Sie rühren vom Aufprall des Körpers her und gehen oft schnell vorüber. Weitere Symptome zeigen sich möglicherweise erst nach längerer Zeit und treten u. U. sogar erst Monate nach dem Unfall auf.

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Hält der Schutzreflex die Muskulatur über längere Zeit gespannt, kann die anfängliche Muskelsteife schließlich zu Bewegungsvergessenheitführen . Zunehmende Steifheit äußert sich früher oder später als Schmerz. Bleibt der Schmerz, müssen immer stärkere Schmerzmittel verabreicht werden, die ein Suchtverhalten auslösen und zu Apathie führen können.

Hat das Schleudertrauma eine Schädigung des Rückenmarks verursacht, kann ein derartiger Nervenschmerz eintreten, dass die Reaktion des Schutzreflexes zu einer Anspannung fast aller Muskeln im Körper führt. Der Verletzte kann steif werden und Schwierigkeiten haben, sich zu bewegen. Diese Muskelsteife beeinträchtigt den Gleichgewichtsreflex, der durch die eingeschränkte Reaktionsfähigkeit der Muskulatur das Gleichgewicht nicht einwandfrei aufrechterhalten kann. Dadurch tritt beim Verletzten Schwindelgefühl ein, welches den Eindruck seiner Unsicherheit verstärkt und schließlich Angst auslöst. Diese Unsicherheits- und Angstgefühle fordern eine immer stärkere Reaktion des Schutzreflexes und führen letztendlich zu einem Teufelskreis . Hält der Schutzreflex die Muskulatur über längere Zeit gespannt, kann die anfängliche Muskelsteife schließlich zu Bewegungsvergessenheit (BVH nach Thomas Hanna) führen . Zunehmende Steifheit äußert sich früher oder später als Schmerz, der anfangs medikamentös behandelt werden kann. Bleibt die Ursache, die den Schmerz auslöst, jedoch unerkannt, müssen immer stärkere Schmerzmittel verabreicht werden, die ein Suchtverhalten auslösen und zu Apathie führen können. Das Erscheinungsbild eines Schleudertraumas ist sehr komplex und kann folgende Symptome aufweisen: Muskelschmerzen, Nervenschmerzen, Schwindel, Kopfschmerzen, Tinnitus, Konzentrationsschwierigkeiten, Schreibschwierigkeiten, Seh- und Leseschwäche, Taubheitsgefühl in den Armen und Beinen, allgemeiner Leistungsabfall, Atemschwierigkeiten und Schlafstörungen. Es kann ebenfalls zu Gefühls-, Geruchs-, Geschmacksbeeinträchtigungen führen und das Temperaturempfinden des Menschen stören . Viele der aufgezählten Symptome entsprechen denen des posttraumatischen Syndroms. Häufig sind sich Schleudertraumapatienten Verletzung nicht bewusst.

des Ausmaßes ihrer

Die Ärztin Asa Palmkron vom Universitätskrankenhaus in Lund schreibt u.a., dass derjenige, der an einem posttraumatischen Syndrom leidet, häufig auch psychische Störungen wie Angst und Depression oder verschiedene Missbrauchserfahrungen haben kann. Der Zustand entwickelt sich nicht im unmittelbaren Anschluss an das Trauma, sondern kann zu einem späteren Zeitpunkt (nach Wochen und sogar Monaten) auftreten. Oft fühlt der Betroffene Gleichgültigkeit oder Feindschaft angesichts anderer Menschen. Er hat Schwierigkeiten, Interesse für seine Umgebung aufzubringen und an Aktivitäten teilzunehmen. Sein Gefühlsleben ist eingeschränkt.

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Diese emotionale Beeinträchtigung äußert sich in Form von Gleichgültigkeit sogar dem eigenen Partner, den Kindern und auch dem eigenen Leben gegenüber. Der Betroffene hegt kei nerlei Erwartungen seine berufliche oder persönliche Entwick lung betreffend . Die Reaktionen, die in seinem Körper ablaufen, sind mit denen eines wilden Tieres , dessen Instinkt es bei drohender Gefahr fliehen lässt, vergleichbar. Am Beispiel eines großen Vogels, den du im Wald aufscheuchst , lässt sich veranschaulichen , welche Reaktio nen der Schutzrefle x auslösen kann. Näherst du dich dem Tier, kauert es sich zunächst nieder. Um nicht entdeckt zu werden , zieht es den Kopf ein und legt die Flügel Schutz suchend so dicht wie möglich um seinen Körper. Kommst du dem Tier nun noch näher, weckt die Bedrohung seinen Überlebensinstinkt , der eine Überproduktion an Adrenalin auslöst , um für die schnelle Flucht vorbereitet zu sein. Dabei nimmt u. a. die Blutzirkulation , der Glucosegehalt i n den Muskeln und die elektrische Akti vit ät des Gehirns zu, die Pupi llen öffnen sich und die Bronchien erwe itern sich. Schließlich flieht das Tier. Diesen Prozess durchläuft auch ein Mensch, der ein Schleudertrauma erlitten hat. Bei ihm kann die Überaktivität des Gehirns, die das Fluchtbedürfnis schürt , Stunden, Tage, sogar Wochen andauern und den Betroffenen völlig erschöpft und inaktiv sein lassen. (Er fühlt sich wie ein Kaninchen vor der Schlange.) Auftretende Wutausbrüche sind typische Anzeichen für seine Unfähigkeit, die Situation zu bewältigen .

Während unseres Gesprächs fiele n mir seine verstein erte Mimik und sein leidvoller Gesichtsausdruck auf

Die Wirkung des Schutzrefle xes behindert den Verl etzten nach einer gewissen Zeit auf allen Ebenen: im körperlichen , psychi schen und im psychosozialen Bereich. Er befindet sich in einem Schockzustand, der ihn verzweifeln lässt. Der Betroffene hat das Gefühl, verrückt zu werden . Er fühlt sich der Situation völlig hilflos ausgeliefert und fragt sich, ob ihm überhaupt jemand helfen kann. Dies entspricht im o. g. Beispiel dem Punkt , an dem du dem Vogel bedrohlich nahe gekommen bist. Ein Mensch in dieser Situation reagiert ähnlich dem wilden Tier, er verspürt ein mächtiges Bedürfnis zu fliehen. Am Beispiel des 45-jährigen Hans können wir sehen, welche Folgen ein Schleudertrauma auslösen kann. Er hatte sich seine Verletzung bereits drei einhalb Jahre vor unserem ersten Termin zugezogen. Während unseres Gesprächs fielen mir seine versteinerte Mimik und sein leidvoller Gesichtsausdruck auf. Seine Bewegungen waren steif und eingeschränkt , was darauf hindeutete , dass sein

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Schutzreflex eingeschaltet war. Hans war sich des Ausmaßes seiner Verletzung völlig unbewusst und suchte mich wegen Schmerzen im rechten Arm auf. Hält der Schutzreflex die Muskeln gespannt, werden die Bewegungen ruckartig und weniger steuerbar . Der Teil des Gehirns (der motorische Kortex), der die Bewegungsmuster zusammenstellt, hat über die Bewegungen keine vollständige Kontrolle. Dieser Umstand stellt eine ernste , mentale Behinderung des Verletzten dar. Ruft das Gehirn Bewegungsmuster ab, an denen durch den Schutzreflex gespannte Muskeln beteiligt sind, benötigt der Verletzte viel mehr Energie, um die gewünschte Bewegung auszuführen als gewöhnlich. Seine Antwort auf meine Frage nach den Tätigkeiten , die er täglich ausübte , bestätigte meine Annahme. Er sagte, er könne nicht viel tun , weil er schnell müde würde. Ich bat Hans, sich auf den Rücken zu legen . Die sichere und ruhige Stimmung ist eine Voraussetzung für das ZNS, um aus dem Unterricht Nutzen zu ziehen. Ich erklärte ihm , wie sein Schutzreflex funktioniert und welche Muskelspannungen er verursacht. Das Signal, das die Muskeln gespannt hält, wird mit der Zeit vom limbischen System (das u. a. unsere unbewussten Handlungen steuert) übernommen. Das limbische System hält das Spannungssignal zum Muskel aufrecht, kann ihn aber nicht entspannen. Schließlich unterliegen die Muskeln der BVH. Ich bereitete ihn auf die vermutlich starke Reaktion seines Schutzreflexes vor und versicherte ihm, die Lektion so behutsam wie möglich auszuführen. Dann begann ich damit, einen seiner Unterarme zu heben und einige vorsichtige Bewegungen mit seiner Hand auszuführen. Dadurch wurde auch ihm klar, dass es nicht leicht war, die Hand zu bewegen . Er war sich nicht bewusst, dass die eingeschränkten Handbewegungen von den ständigen Muskelspannungen in seinem Unterarm herrührten. Allmählich ließ seine Aktivität nach, weil er müde wurde. Er war sich der primären Ursache für seine Müdigkeit nicht bewusst , die in dem enormen Kraftaufwand lag, den er für jede Bewegung aufbringen musste. Nun bemerkte er auch, dass die Steifheit nicht nur im Arm auftrat, sondern überall im Körper. Zunächst konzentrierte ich mich darauf , BVH so weit zu reduzieren , dass er wenigstens die alltägliche Arbeit ausführen konnte, ohne allzu schnell zu ermüden. An dieser Stelle möchte ich einen Einblick in seine Erfahrungen geben.

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Als Hans sich der Anstrengung bewusst wurde , die er aufbringen musste, um alltägliche Bewegungenauszuführen, wurde er immer unsicherer. Schließlich beschränkte er seine Bewegungen auf die aller notwendigsten. Das minderte nicht nur die Fähigkeit seines Gehirns, Bewegungen propriozeptiv zu erfassen, sondern löste erneuten Stress und eine verstärkte Reaktion seines Schutzreflexes aus.



Hans fühlte sich schwindlig. Sein Schutzreflex hielt die Nackenmuskulatursogespannt, dassseine Kopfbewegungen nicht mehr geschmeidig, sondern ruckartig abliefen . (Die Koordination zwischen Agonisten und Antagonisten funktionierte nicht, wie sie es sollte.) Der Vestibularis reagierte mit einem starken Bedürfnis, das Gleichgewicht aufrecht zu erhalten. Dadurch entstand eine Überbelastung, die Hans als Schwindel und Unsicherheit empfand.

Die Bewegungen, die schließlich ausgeführt wurden , verzöger ten sich, weil die entsprechenden Muskeln vom Schutzreflex ganz oder teilweise gespannt waren. Das gab Hans ein noch stärkeres Schwi ndel - und Unsicherheitsgefühl. Hier wird deutlich , dass Hans im Endeffekt stürzen könnte. Das Gehen/Laufen auf Glatteis ist ein treffender Vergleich . Je mehr du dich anspannst, desto leichter stürzt du. Dieses Gefühl verstärkte Hans' Unsicherheit , Hoffnungslosigkeit und verschlechterte seine Lebensqualität - alles ernste Folgen seiner Verletzung, die er sich vor Jahren zugezogen hatte . ■

Für Hans wurden Auto -, Bus- und Zugfahrten zur Qual. Bei jeder kleinen Erschütterung oder Biegung überkam ihn das Gefühl starker Unsicherheit. Bei einer Autofahrt achtete er die ganze Zeit auf Unebenheiten auf der Straße, um ihnen auszuweichen. Das gleiche Unbehagen erlebte er, wenn der Zug durch eine Kurve fuhr oder die Spur wechselte. Seine vom Schutzrefle x bereits angespannte Muskulatu r wurde weiteren Anspannungen ausgesetzt, was sein großes Unbehagen erklärt.



Sei ne Handschrift verschlechterte sich und wurde schließlich unleserlich. Hans hatte diese Veränderung bereits bemerkt , bevor er zu mir kam. Allerdings erzählte er mir we der davon , noch erwähnte er andere Veränderungen . Sei n Verhalten ist typisch für Traumapatienten . Die Verletzten verdrängen oft die Unannehmlichkeiten , die sie erleben , weil sie nicht an ihrer Situation verzweifeln wollen . Hans glaubte auch nicht , dass die Feldenkrais -Methode ihm helfen könne, wieder leserlich zu schreiben .

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E r beschränkt e seine Bewegungen auf die aller notwendigsten.

leserliches Schreiben setzt die perfekte Koordination der Bewegungen der Finger mit denen des Armes und der Hand vor -

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aus. Diese Koordination wird durch die tiefgreifende Reaktion des Schutzreflexes , die ein Schleudertrauma verursacht hat, erschwert bzw. unmöglich . Die Koordination spielt eine große Rolle bei allen Bewegungen, z. B. beim Gehen, beim Führen der Gabel oder des Löffels zum Mund oder auch beim Wählen einer Telefonnumme r. Geschieht die Koordination nicht automatisch , versucht der Verletzte , sie mithilfe seiner Augen zu unterstüt zen. Letztendlich war Hans so stark in seiner Handlungsfähigkeit eingeschränkt , dass er seine Hände nicht gebrauchen konnte , ohne sie im Blickfeld zu haben. Da jedoch seine Kopfbewegungen ruckartig blieben, hatte er Schwierigkeiten, die Augen auf das zu richten, was er tun wollte. Das folgende Beispiel belegt , wie ernst Hans' Lage war. Wallte Hans nach einem Pappbecher Kaffee greifen und ihn zum Mund führen , um aus ihm zu trinken , musste er zuerst auf ihn sehen. Über diesen visuellen Reiz erhielt sein Gehirn den Impuls, das der Handlung entsprechende , vererbte Bewegungsmusters zu initiieren.

Seine Handschrift verschlechterte sich und wurd e schließlich unl eserlich.

Die Muskeln seiner Hand waren jedoch so stark durch seinen Schutzrefle x zusammengezogen, dass er die Hand nur mit großer Mühe öffnen konnte , ehe es ihm möglich war, den Becher unter bewusster Steuerung zu greifen. Als er seine Hand den Becher schließlich halten sah und gewohnt war, dass das Gehirn ohne seine willentliche Mitwirkung funk t ionierte , stellt er die willkürliche Handlung ein und schaute nicht mehr auf ihn . Sei n Gehi rn musste jedoch die ursprüngliche Absicht , also den Becher zum Mund zu führen, beenden. So akti viert es das gewohnte Bewegungsmuster, welches mit dem Grei fen des Bechers begi nnt . Dadurch wird der Becher mit doppelter Spannung gegriffen und zerdrückt. Deshalb rann Hans der heiße Kaffee über die Hand. Dieses Missgeschick steigerte seine Unsicherheit , Irritation und Frustration. Esverursachte erneuten Stress, der einen noch stär keren Schutzreflex auslöste , und verringerte Hans' Motivation , selbst zu handeln. Das Beispiel zeigt, welchen Schwierigkeiten das Nervensystem ausgesetzt ist. Hätte Hans einen Metall- oder Porzellanbecher ergriffen , wäre dieser natürlich nicht zerdrückt worden. Weder Hans noch eine andere Person hätte diese Schwierigkeiten erkennen und aufdecken können. Es zeigt auch, wie tief greifend die Folgen eines Schleudertraumas sein können. ■

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Er bemerkte auch Sehschwächen und Leseschwierigkeiten . In einem der basalen Bewegungsmuster, die durch Erbanlagen

im Kortex gespeichert sind, folgen die Kopfbewegungen den Augen. Schaust du nach links , dreht sich automatisch der Kopf in die gleiche Richtung. Da die Muskeln, mit denen Hans seinen Kopf bewegt , fest vom Schutzrefle x angespannt waren , kostete es ihn viel Kraft , den Kopf zu wenden. Seine Kopfbewegungen wurden ruckartig (spastisch). Folgten die Augen den Zeilen eines Textes , kam der Kopf mit einer ruckartigen Bewegung nach. Hans nahm das beim Lesen als Verschwimmen der Zeilen wahr, was das Lesen erschwerte , denn er konnte den Kontext nicht mehr erfassen. Folglich vermied er das Lesen so häufig wie möglich , was ihm wiederum das Lesen erschwerte , wenn es erforderlich war. ■

Häufig hatte er derartige Kopfschmerzen , dass er gezwungen war, zu den verschriebenen Schmerzmitteln weitere einzunehmen. Sowohl die Anstrengung beim Sehen, als auch die Spannungen in der Nackenmuskulatur sind Faktoren , die bekanntlich Kopfschmerzen (Spannungskopfschmerzen) verursachen . Es ist also nicht verwunderlich , dass er auch Kopfschmerzen hatte .



Bald wurde er sich der Angewohnheit bewusst , die Zunge gegen seinen Gaumen zu drücken , was ihm Schwierigkeiten beim Schlucken, Kauen und Sprechen bereitete . Er klagte auch über Schmerzen in Hals und Kiefer. Diese Symptome sind typisch für die Aktivität des Schutzreflexes.



Nach einigen Lektionen sprach Hans von seinem einge schränkten Sichtfeld , dem so genannten Tunnelblick. Es ist bekannt , dass Menschen mit Schleudertrauma einem eingeschränkten subjektiven Sichtfeld ausgesetzt sind, das sich als Tunnelblick äußern kann. Bis heute gibt es noch keine Erklärung dieses Phänomens. Wir wissen jedoch , dass das Phänomen nicht auftritt , wenn die Nackenmuskeln nicht von einem akt ivierten Schutzrefle x übertrieben angespannt sind. Zum besseren Verständnis sei genannt , dass ein Schleudertrauma imme r einen hoch aktivierten Schutzreflex verursacht.



Schließlich wurde sich Hans seiner Atemschwierigkeiten bewusst. DasAnspannen (Zusammenziehen ) der Flexoren (der Hals-, Rippen- und Bauchmuskeln) gehört zur Reaktionsweise des Schutzreflexes. Die Bewegungen des Brustkorbs und des Zwerchfells werden eingeengt. Die oberflächliche Atmung führt nicht nur zu Sauerstoffmangel mit erhöhter Herzfrequenz und erhöhtem Blutdruck , sondern auch zu Schwi ndelgefühlen. Die Folge sind Kopfschmerzen , Angst und Stress, der wiederum den Schutzrefle x aktiviert. Ein erneuter Teufelskre is ist ausgelöst.

Bald wurde er sich der Angewohnheit bewusst, die Zunge gegen seinen Gaumen zu drücken, was ihm Schwierigkeiten beim Schlucken, Kauen und Sprechen bereitete.

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Auch wenn Hans anfänglich die Erklärungen für seine Schmerzen nicht verstand , so spürte er nach einigen Lektionen , dass die Methode funktionierte. Dies flößte ihm Vertrauen ein , was die Voraussetzung dafür schuf, dass er Nutzen aus dem Unterricht ziehen konnte. Wer mit Pferden umgeht, sagt oft , das Pferd „ist abgeschaltet", es reagiert apathisch. Vielleicht ist es geschunden worden und nimmt schließlich nichts mehr an. Die schmerzhaften Erlebnisse haben sein Gehirn die sensorischen Feedbacks abschalten lassen. Das Tier scheint alles zu ertragen , ohne zu reagieren. Dieses Verhalten trifft in gewisser Weise auch auf Hans zu. Die Spannungen hielten ihn in einem Würgegriff. Als ihm nach und nach bewusst wurde, wie sehr er abgeschaltet hatte, empfand er zunächst eine Verschlechterung seiner Situation. Das führte dazu, dass er Stunden der Angst und Depression durchlebte. Er litt unter Schlafstörungen . All das verzögerte seine Genesung. Als Hausaufgabe bekam Hans Übungen nach der Feldenkrais-Methode. Trotz meiner wiederholten Hinweise , sie behutsam auszuführen , dauerte es lange , bis er einsehen konnte, dass er die Bewegungen nicht mit einem traditionellen Trainingsgedanken ausüben sollte, sondern mit innerer Aufmerksamkeit (propriozeptivem Gespür).

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Die Reaktion des Schutzreflexes bei einem Schleudertrauma ist von Fall zu Fall sehr verschieden. Es ist deswegen unmöglich i m Voraus einzuschätzen, wie viele Lektionen notwendig sind, um den Patienten zu einer akzeptablen Lebensqualität zurückzuführen.

Auch wenn der Schüler anfang/ich die Erklärungen für seine Schmerzen nicht versteht) so spürt er nach einigen Lektionen ) dass die Methode funktioniert.

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ATMUNGSMUSTER Atemverhältnisse

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er Sauerstoff der eingeatmeten Luft erreicht jeden Körperteil und ermöglicht alle Vorgänge, sowohl physische als auch psychische. Die Atmung funktioniert sowohl unbewusst als auch bewusst. Die unbewusste Atmung wird u. a. von geschärfter Aufmerksamkeit , beim angespanntem Horchen oder Hinschauen und Angst beeinflusst .

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Bewegung und Atmung gehen Hand in Hand.

Bewegung und Atmung gehen Hand in Hand. Auch wenn der Körper sich in Ruhe befindet, bewegen sich die Körperteile , die an der Atmung beteiligt sind.

Physiologie der Atmung Atmung ist ein Gasaustausch, der durch die Aufnahme von Sauerstoff aus der Luft und die Abgabe des im Blut vorhandenen Kohlendioxids nach außen in die Luft geschieht.

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Wir untersche iden äußere Atmung und innere Atm ung: Die äußere Atmung oder Lungenatmung ist ein Gasaustausch zwischen der eingeatmeten Luft und dem Blut , der in den Alveolen der Lunge stattfindet. Sie unterscheidet sich von der inneren Atmung , bei der der Gasaustausch zwischen dem Blut und den Körperzellen vor sich geht. Für die Atmung ist hauptsächlich das Zwerchfell (Diaphragma) verantwortlich. Es ist mit dem Brustbein , den Rippen und den Lendenwirbelkörpern verbunden . Im entspannten Zustand liegt es wie ein aufgespannter Regenschirm im unteren Teil des Brustkorbes . Bei normaler , ruhiger Einatmung wölbt sich das Zwerchfell nach unten in Richtung der Bauchhöhle. Die Antagonisten, die Bauchmuskeln , lassen dementsprechend nach und die vordere Bauchwand wölbt sich ein wenig hervor, wobei sich auch die Bauchorgane senken. Bei der Ausatmung sinkt die Bauchwand zusammen und trägt so dazu bei , dass sowohl die Bauchorgane als auch das wieder entspannte Zwerchfell nach innen/oben geführt werden. Bei angestrengter Atmung funktionieren die Bauchmuskeln stärker als Ausatmungsmuskeln und bekommen dann auch Hilfe von einigen tief liegenden Lendenmuskeln , den Halsmuskeln und Teilen der Schultermuskulatur.

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Die Rippen und die Atmung 1



















































Die freie Atmung ist der wichtigste Faktor für das Leben selbst.

Alle Rippen sollten an der Atmung teilnehmen. Dazu darf die Atmungsmuskulatur - insbesondere die Bauch-und Rückenmuskulatur sowie die Muskeln zwischen den Rippen (M. intercostalis) - nicht beeinträchtigt sein. Sie beeinflussen , im Takt mit den Bewegungen des Zwerchfells, den Umfang des Brustkorbes und damit die Größe des Raumes, der den Lungenflügeln zur Ausdehnung während der Atmung zur Verfügung steht. Durch zu flache Atmung leiden in unserer heutigen Gesellschaft viele Menschen unter von BVH betroffenen Bauchmuskeln. Am Beispiel eines Gewichthebers will ich verdeutlichen, was das bedeutet. Mithilfe der Bauchpresse gibt der Gewichtheber dem Oberkörper eine maximale Stabilität während des Hebens. Jeden Tag trai niert er über viele Stunden seine Bauchpresse. infolge dessen gerät ein Großteil seiner Bauchmuskulatur in BVH. Sie wirkt sich vielleicht nicht direkt auf seine Hebeleistung aus, verursacht aber Schmerzen. Neben diesen Schmerzen fällt ihm auch das Verrichten ausdauernder Körperarbeit schwer, was auf die Unfähigkeit , seine von BVH betroffenen Bauchmuskeln zu entspannen, zurückzuführen ist. Du musst nicht Gewichtheber sein, um BVHin den Bauchmuskeln zu bekommen . Es reicht schon aus, unter fortlaufendem Stress zu stehen. Durch eine konstante Spannung der Bauchmuskeln wird das Zwerchfell daran gehindert, sich in die Bauchhöhle zu verlagern. Da die zwei letzten, freiliegenden Rippen keine Verbindung mit dem Brustbein haben, werden sie durch die gespannten Bauchmuskeln in die Bauchhöhle gezogen und dadurch an der Beteiligung der Atmung gehindert. Als Folge der Kontraktion der Bauchmuskeln wird der Oberkörper nach vorn gebeugt und die Rippen werden zusammengedrückt. Das vermindert das Volumen des Brustkorbes und die Muskeln zwischen den Rippen werden behindert an der Einatmung teilzunehmen. Normalerweise geben die Bauchmuskeln nach, wenn das Zwerchfell sich nach unten bewegt. Falls dies nicht geschieht, müssen die Muskeln zwischen den Rippen noch fester gespannt werden, um an der Einatmung teilnehmen zu können. Die wiederholte Überbelastung führt zu BVH in der Rippenmuskulatur . Da die Flexionen, an denen auch die Bauchmuskulatur mitwirkt, ständig vom eingeschalteten Schutzreflex beeinflusst werden, müssen die Rückenstrecker die Wirbelsäule aufrichten, um das Gleichgewicht aufrecht zu erhalten. Das entspricht einer typischen Schraubstocksituation, die früher oder später Schmerzen verursacht. Sie kann als Blockierung der Atmung, als Rücken-

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schmerz empfunden werden und Schmerzen in der Brustbeingegend hervorrufen. BVH wird auch von anderen Faktoren verursacht, z. B. durch das Auslösen des Schutzreflexes. Bereits bei der kleinsten Besorgnis: „Habe ich Kartoffeln zum Mittagessen eingekauft? Darf ich hier parken? Wo liegt mein Schlüsselbund?" usw., spannst du deine Bauchmuskeln. Wenn du als Feldenkrais-Lehrer spürst, dass ein Schüler BVH in den Bauchmuskeln hat , solltest du ihm so schnell wie möglich helfen , die Einschränkung so zu reduzieren , dass er frei atmen kann . Die freie Atmung ist der wichtigste Faktor für das Leben selbst. Sie erleichtert das Lernen, Sprechen, Singen und ermöglicht es uns, das Leben zu genießen.

Bewegungsvergessenheit (BVH) Repetitive (sich wiederholende) Bewegungen, traumatische Erlebnisse und Stress verursachen BVH, deren Entstehung der verstorbene Prof. med. Hakan Johansson in seinen Forschungsergebnissen erklärt. Er wies nach, dass unabhängig von der Ursache, im kontrahierten Muskel sogenannte Metaboliten (Stoffwechselprodukte) produziert werden. Einige dieser Metaboliten , wie z. B. Kalium , Arachidonsäure und Phosphate, beeinflussen bestimmte Muskelnerven, die in die Gruppe der sogenannten IIIund IV-muskelafferenten eingeordnet werden. Diese Afferenten werden von den Metaboliten gereizt, und beeinflussen das sogenannte g-Spinnensystem. Dadurch verursachen sie eine erhöhte reflexbezogene Steifheit; einen Hypertonus (BVH) sowohl im Muskel als auch in anderen (parasitären) Muskeln. Das daraus resultierende Feedback führt zu einem Teufelskreis. Die Schlussfolgerung ist also, dass eine Ansammlung von Metaboliten in einem Muskel zu einer unbewussten Zunahme von Aktivitäten bei den Spulenafferenten führen kann, was also zu BVH, sowohl in dem betreffenden Muskel als auch in anderer naheliegender Muskulatur führt. Der Effekt kann sich folglich über den ganzen Körper ausbreiten.

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Repetitive Bewegungen, traumatische Erlebnisse und Stress verursachen Bewegungsvergessenheit.

Der direkte positive Feedbackkreis zwischen den sekundären Muskelspulenafferenten und den Zellen , die die Muskelspulen steuern, verstärkt diesen Effekt noch. Dann kann es theoretisch zu einer Art Kreislauf im System kommen. Das Resultat ist in jedem Falle BVH. Wird ein Muskel nicht benutzt und ist entspannt, werden die Metaboliten durch das Blut von dem Teil des Muskels, der nicht von BVH beeinträchtigt ist, wegtransportiert. Wer diese Entwicklung verfolgen möchte, kann das Buch "Chronic Work-Related Myalgia" (Gävle University Press, 2003, ISBN 91-974948-3-6) lesen.

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Bezüglich der Muskelsteife ist Folgendes zu beachten: Die durch Sport verursachte Steifheit , der Muskelkater , ist nicht mit BVH zu verwechseln. Sie ist de facto keine Steife des Muskels, auch wenn die Bewegungen Schmerzen verursachen . Die Milchsäure , die sich in den überanstrengten Muskeln gebildet hat , wurde allgemein als Hauptursache für diese Steifheit angesehen. Die Milchsäure macht die Muskeln effektiver , weil deren Umgebung sauer reagiert und die elektrischen Signale die Muskeln dadurch leichter zur Arbeit stimulieren. (Science, Aug. 8, 2004, Allen & Westerblad. ) Moshe Feldenkrais war kein Forscher der Neurophysiologie. Ergebnisse der Erforschung der Produktion von Hormonen und anderer Transmittersubstanzen , sowie deren Entstehen und Zusammenwi rken, lagen ihm nur bedingt vor. Trotzdem stellte er fest , dass die heute so bezeichnete BVH existiert und durch die von ihm entwickelten Manipulonen reduziert werden kann. Kraft , Disziplin , Streben und Fleiß sind für uns Schlüsselworte. Wir meinen , tüchtig zu sein, wenn wir viel Kraft anwenden und hart arbeiten. Die meisten Menschen gönnen ihrem Körper nach einer Kraftanstrengung jedoch die nötige Erholung nicht. Deshalb nimmt der Muskeltonus (BVH) im ganzen Körper zu, bis wir zuletzt „ vor Kraft kaum laufen können ". Die jeweilige kulturelle Körpersprache beeinflusst unser Verhalten und unsere Gebaren ebenfalls . Südeuropäer dürfen beispielsweise Schmerz und Sorge laut ausdrücken. Im Norden behalten wir das für uns. Wir „fressen " Trauer oder Sorge in uns hinein , was uns innerlich „ sauer" macht . Unsere unausgesprochenen Gefühle tragen also zur Muskelsteife bei. Ein flacher Bauch entspricht einem derzeitigen Schönheitsideal der westlichen Welt. Darum halten wir die Bauchmuskeln gespannt und spannen gleichzeitig deren Antagonisten , die Rückenmuskeln, an. Da auf diese Weise das Becken in seinem Bewegungsumfang von den Bauch- und Rückenmuskeln eingeschränkt wird , bewegen wir auch die Hüften nicht mehr. Ein Mann darf nicht in den Hüften wiegen , das wird als unnormales Verhalten angesehen. Er vermeidet das, indem er seine Muskeln im Bauch- und Rückenbereich immer angespannt hält. Wir „ wissen" alle , wie sich Frauen und Männer zu bewegen haben, wie wir sitzen sollten , wie wir uns in unterschiedlichen Räumen zu bewegen haben (in der Kirche, der Fußgängerzone, ...) sprich , wie wir uns anpassen sollen. Die Kultur erwartet von uns also gewohnheitsmäßige , unbewusste Verhaltens- und Funktionsweisen , die uns auf verschiedene Art und Weise steuern bzw. sogar hemmen. Wir fügen uns unbewusst einen hohen Muskeltonus zu und verursachen somit selbst BVH.

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Viele Menschen in der westlichen Welt, die über 50 sind , haben Gehbehinderungen . Oft sind diese so schwerwiegend, dass sie zu Hilfsmitteln wie Stock, Krücke oder Rollator greifen müssen. Die Ursachen dieser Bewegungseinschränkungen entstehen jedoch bereits viel früher und sind den meisten Menschen leider nicht bewusst. Eine Ursache liegt in dem einförmigen Gehmuster, das sie sich angewöhnt haben, weil sie überwiegend auf ebenen Flächen laufen. Ich habe eine 80-jährige Mongolin in einem Ger auf dem lande getroffen. Sie wurde von ihren Verwandten in eine kleine Stadtwohnung gebracht. Mithilfe eines Dolmetschers erzählte sie mir, dass sie so oft wie möglich zurück aufs Land kommt, weil sie die Unebenheiten der Erde unter ihren Füßen fühlen möchte. Beim Gehen auf harter Unterlage werden die meisten Muskeln des natürlichen Gehmusters in konstanter Spannung gehalten , um einen stabile n Laufstil zu gewährleisten . Folglich werden diese Muskeln von BVH betroffen, was das Gehen erschwert. In erster Linie beeinträchtigt das die Muskeln, welche die Supination und Pronation der Füße ausführen. Unser Gehirn beansprucht dann parasitäre Muskeln oder Hilfsbewegungen , um das Kommando Gehen willkürlich auszuführen. Parasitäre Muskeln oder Hilfsbewegungen, deren Einsatz das Gehen ermöglicht, z. B. das übertriebene Pendeln eines Armes, gehören nicht zum gewöhnlichen Gehmuster. Beim Gehen auf unebenem Boden, z. B. im Gras, sind es die Supinatoren und Pronatoren des Fußes, die die Stabilität aufrechterhalten. Sie arbeiten dann flexibel und verursachen durch den Wechsel von entspanntem und gespanntem Zustand keine BHV.

Die Kultur erwartet von uns gewohnheitsmäßige) unbewusste Verhaltens- und Funktionsweisen) die uns auf verschiedene Art und Weise steuern bzw. sogar hemmen. Wir fügen uns unbewusst einen hohen Muskeltonus zu und verursachen somit selbst Bewegungsvergessenheit.

Der größte Teil der Weltbevölkerung , der unter urbanisierten Verhältnissen lebt , führt täglich Handlungen aus (u.a . das Gehen auf ebener und harter Unterlage), die früher oder später zu BVH mit umfangreichen Folgeerscheinungen führen. Personen, die sich häufig auf unebenen Böden bewegen , z. B. Waldarbeiter, Bauern, Jogger, die das Laufen auf Rasen oder auf Waldwegen dem auf asphaltierten Straßen vorziehen oder auch eifrige Golfer ohne Golfauto , benutzen kein sich wiederholendes Gehmuster. Trabpferde leben heute unter den gleichen urbanisierten Verhältnissen , wie der Mensch. Sie laufen auf ebenem Boden und sind daher den gleichen belastenden Folgeerscheinungen ausgesetzt: Ein bedeutender Teil ihrer Beinmuskulatur ist von BVH betroffen .

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Ein Mensch wacht morgens auf Grund des hohen Energieverbrauches müde auf

Während des Transportes der Tiere lässt deren Steifheit häufig nach. Man nimmt an, dass diese Auflockerung wahrscheinlich durch die Vibration des Bodens während der Fahrt im Transportwagen hervorgerufen wird, also einen ähnlichen Effekt hat, wie das Laufen auf weichem oder unebenem Boden. Es gibt sogar eine mechanische Vorrichtung, auf der das Trabpferd nach einem Rennen stehen kann, um geschüttelt zu werden. Vibrationstrainer sind ähnliche Schütteleinrichtungen für Menschen, die sich steif in den Beinen fühlen . Sie sind mittlerweile weit verbreitet und werden auch zur Schulung des Gleichgewichts und der Bewegungskoordination eingesetzt. Ähnlich einer Massage bringt das Benutzen dieser Geräte vorübergehende Linderung der Beschwerden, führt jedoch keinesfalls zum Wiederbeleben oder zum Neu-Erlernen der verloren gegangenen Bewegungsmuster im Kortex. Eine somatische Veränderung hingegen führt immer auch zu einer anhaltenden Verbesserung. Im täglichen Leben sind wir uns unserer Bewegungsfunktionen mehr oder weniger unbewusst. Wenn wir eine gewünschte Bewegung ausführen wollen, müssen wir mehr Kraft hinsichtlich der durch BVHverursachten Höhe des Tonus aufbringen. Um Schmerz zu vermeiden, müssen wir vielleicht auch das Bewegungsmuster ändern. Immer mehr unkoordinierte und undifferenzierte Teilbewegungen werden vom Gehirn bereitgestellt, um die gewünschte Handlung ausführen zu können. Mit der Zeit resultiert dieses Steife- und Schmerzempfinden in dem sogenannten nozizeptiven Schmerz (Nozizeptoren vermitteln Schmerzimpulse) . Die bei BVHeintretende Muskelspannung kann sich zu 60 Prozent oder mehr auf den Muskel belaufen. Muskeln, die in permanenter Spannung gehalten werden, sind nicht nur empfindlich oder schmerzend , sie sind aufgrund der konstanten Anstrengung auch kraftlos. (So wacht ein Mensch, der völlig unbewusst unter starker BVH leidet, morgens müde auf. Die chronische Spannung der Muskeln hat ihm auch während des Schlafes einen hohen Energieverbrauch abverlangt.) Außerdem beeinträchtigen diese Muskeln durch die Einschränkung der synergetischen Koordination allgemein die Geschmeidigkeit der Körperbewegungen und lassen sie ruckartig oder unbeholfen aussehen. (Der Betroffene stolpert häufig oder bekleckert sich.) Schließlich verursachen sie sogar Haltungsveränderungen (Skoliose).

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Schmerz Der Schmerzzustand im Muskel wird durch ständige Spannung verursacht und durch Signale vom limbischen System aufrechterhalten . Der Mensch schützt sich, z. B. gegen Nierenschmerz , aber auch gegen den Schmerz, der in den Muskeln durch die konstanten Muskelanspannungen verursacht wurde , weil der Schutzreflex ständig in Funktion ist. Sollte der Schutzrefle x durch einen organischen Fehler ausgelöst sein, kommt der Schüler nicht aus dem Teufelskreis heraus und auch du kannst den Muskelschmerz nicht lindern , bis der organische Fehler behoben worden ist. Liegt kein organischer oder physischer Fehler vor, kann der Schüler während der Beratung durch den Arzt oder im Gespräch mit der Krankenkasse auf Unverständnis stoßen . Er fühlt sich dann missverstanden und glaubt , sein Problem würde nicht ernst genommen. Solche Reaktionen verursachen wiederum Stress (lösen den Schutzreflex aus), der den bereits existierenden Schmerz verstärkt. Du solltest den Schüler darauf aufmerksam machen.

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Der Schmerzzustand im Muskel wird durch ständige Spannung verursacht.

Ein Schüler, der über chronische Schmerzen klagt , hat häufig Schwierigkeiten , die direkte Schmerzstelle anzugeben, da der Schmerz, z. B. in einem Arm (beim Mausarm), oft schon lange anhält. In dieser Zeitspanne hat der Schutzreflex eine Spannung nach der anderen ausgelöst. infolge dessen verbreitet sich BVH über mehrere Teile des Körpers. Typische Krankheitsbilder , die solch einen Verlauf zeigen , sind Fibromyalgie , Schleudertrauma und ähnliche. Notabene! Du darfst nicht immer annehmen , dass deine Schlussfolgerung der Schmerzensursache richtig ist. Der Schmerz kann auch durch Rheuma, Krebs, Osteoporose und anderes verursacht sein. Falls du den Verdacht hast, dass so etwas vorliegt , musst du deinen Schüler an einen Arzt verweisen , bevor du ihm Unterricht erteilst .

Chronischer Schmerz In Juli 2000 publizierte der Neurophysiologe Daniel Brookoff an der Universität Tennessee seine Arbeit „ Chronic Pain: A new Disease?" Einen Auszug möchte ich hier zitieren : „Chronischer Schmerz ist nicht nur eine verlängerte Version des akuten Schmerzes. Wenn Schmerzsignale oft zurückkommen , machen die Nervenbahnen physisch-chemische Veränderungen durch , die sie für diese Signale hypersensibel und für den Schmerz verhindernde Signale widerstandsfähig machen .

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Tatsache ist, dass die Schmerzsignale im Rückenmark gleich einem Schmerzgedächtnis eingebettet werden. Die Analogie zum Gedächtnis ist naheliegend , da die Entstehung der Hypersensi-

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bilität im Rückenmark und des Gedächtnisses im Gehirn vermutlich gemeinsame chemische Bahnen benutzen ." Die Schmerzsignale kommen folglich unter die Kontrolle des limbischen Systems, wo sich u. a. das PAG= periaquäduktales Grau (Substantia grisea Centralis - Teil im Gehirn) befindet. Das PAG spielt eine Schlüsselrolle bei der Wirkung der meisten Grundgefühle (Lust, Unlust und dgl.) und bei somatischem Schmerz.

Schmerz des Loslassens Erkläre einem neuen Schüler, dass ein Schmerz des Loslassens auftreten kann und er sich deswegen nicht beunruhigen braucht. Das ist eine gewöhnliche Erscheinung.

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Es wird angenommen, dass die Anzahl der Muskelzellen das ganze Leben hindurch gleich ist, dass sich jedoch die Anzahl der in jedem Muskel befindlichen Arbeitseinheiten , genannt Sarkomeren, entsprechend der Betätigung verändert. Die Anzahl der Sarkomeren erhöht oder vermindert sich entsprechend der Tätigkeit oder Ruhe in den Muskeln. Der Schmerz des Loslassensinitiiert eine Erhöhung der Sarkomeren genauso wie beim Muskelkater. Wenn ein Schüler also Schmerz des Loslassensempfindet, bedeutet dies, dass die Muskeln stärker werden. Ist der Prozess abgeschlossen, geht auch der Schmerz des Loslassens zurück. Schmerz des Loslassens tritt nicht immer auf, was daran liegt, dass BVH nicht vollständig beseitigt werden konnte.

Neurologische Krankheiten

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Bei neurologischen Krankheiten treten Funktionsstörungen im Gehirn auf , welche den Bewegungsapparat z. 8. in Form von Spastik beeinträchtigen . Die Diagnose Multiple Sklerose, Parkinson oder Alzheimer ist schon an sich ein traumatisches Erlebnis, welches den Schutzreflex unmittelbar auslöst. Zu der eigentlichen Krankheit verursacht dann die zunehmende Muskelspannung BVH. Der Patient befindet sich in einem Teufelskreis. Ein Mensch, der unter Schmerzen leidet, ist zufrieden, wenn er den Schmerz loswird. Eine größere Beweglichkeit bemerkt er vorerst nicht. Er kann sich nun ohne Schmerz bewegen und dies genügt ihm völlig . Auf welche Weise es geschieht, ist für ihn sekundär. Kommt ein Schüler mit neurologischen Problemen zur ersten Lektion, ist er schon längst auf seine Bewegungseinschränkungen aufmerksam geworden. Er nimmt daher jede Veränderung der Bewegungsfähigkeit deutlicher wahr, als ein Schüler, der nur Muskelschmerzen hat. Er versteht die Veränderung als eine neue Eigenschaft.

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Die Manipulonen, aus denen die Lektion besteht , unterscheiden sich grundsätzlich nicht von denen, die du bei einem Schüler mit Schmerzproblemen anwendest. Da du eine stärkere Reaktion vom Muskel erhältst, spürst du den Antagonistenwiderstand deutlicher . Abhängig davon, wo und wie die Spastik sich äußert, musst du selbst beurteilen , welche Ma· nipulonen am besten geeignet sind. Für die motorischen Signale, die deine Manipulonen hervorbrin · gen, muss das Gehirn andere Nervenbahnen als die geschädigten wählen. Dies kann langwierig sein und du solltest deinen Schüler darüber informieren. Ist die Spastik durch eine Hirnblutung verursacht worden, fällt die Beeinträchtigung oft einseitig aus. Da es schwierig ist, die Manipulonen auf der spastischen Seite auszuführen, kannst du sie zuerst auf der unbetroffenen Seite ausführen. Dank der Verbindung via Corpus callosum wird dann auch die spastische Seite für direkte Manipulonen zugänglich sein.

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Abhängig davon, wo und wie die Spastik sich äußert, musst du selbst beurteilen, welche Manipulonen am besten geeignet sind.

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LERNEN Reiz und Reaktion (Stimulus - Respons) • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •

Bei deiner Kommunikation mit dem Nervensystem des Schülers benutzt du die Wechselwirkung von "Stimulus und Respons".

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ie Psychologie wurde Ende des 19. Jhd. von vielen Lernmethoden des Assoziationismus beeinflusst. Thorndike stellte 1898 z. B. die Theorie vor, dass Assoziation durch einen Stimulus (Sinneseindruck) entsteht. DasAssoziierte hat er Respons (Antwort) genannt. Bei deiner Kommunikation mit dem Nervensystem des Schülers benutzt du die Wechselwirkung von "Stimulus und Respons". Der Stimulus (in diesem Fall die Manipulonen) beeinflusst die Rezeptoren, die ihrerseits diesen Stimulus (Information) über das Nervensystem zum Gehirn senden, der dort den Respons des Gehirns (die Antwort/ Akzeptanz) hervorruft, welcher über das Nervensystem in die Muskulatur zurück vermittelt wird. Die Feedbackschlinge ist geschlossen. Dieses System ist kybernetisch (selbst regulierend). Der Stimulus teilt dem Gehirn den Unterschied zum früheren Zustand mit und die Wahrnehmung (Respons) des Gehirns stellt die Veränderung fest, die den Lernprozess auslöst. Du setzt einen Impuls (eine Bewegung), um einen gewünschten Respons (eine Veränderung) zu erreichen. Bei Rückenschmerzen, die auf Störungen der von BVH betroffenen Bewegungsmuster im Körper beruhen, ertastest du mit deinen Händen, wo sich die Störungen (Muskelspannungen, erhöhter Tonus) befinden. Danach beginnt deine Kommunikation mit dem Gehirn, d. h. du übernimmst Arbeit in den von BVH betroffenen Muskeln. Dabei wird das Gehirn des Schülers in den Prozess einbezogen und durch den Respons (die Akzeptanz) entsteht die Veränderung.

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Der Lernprozess Das Gehirn kann den Stimulus auch in Form eines initiierten Bewegungsmusters empfangen. In diesem Fall sucht das Gehirn das geeignete, entsprechende Efferenzmuster, das ihm zur Verfügung steht, und vergleicht die beiden Muster. Es kommt vor, dass der Schüler oft selbst Aktivität im Gehirn spürt. Ich verglei che es mit einem Flipperspiel, bei dem die Lampen an verschie denen Stellen aufleuchten. Der Stimulus startet einen Prozess, der schließlich darin resultiert, dass das bezweckte Lernen vom Gehirn akzeptiert wird. Dieser Prozess kann in sehr kurzer Zeit abgeschlossen sein, oder auch nach der Lektion stattfinden. Er kann sogar jahrelang anhalten und sich schließlich in Form von mentalen und physischen Erlebnissen manifestieren, oft von einem „Aha!" begleitet: einem heuristischen Erlebnis.

Der Anthropologe Gregory Bateson (1904- 1980) hat die Kommunikationstheorie der Kybernetik in die Sozial- und Naturwissenschaften eingeführt. Gemäß der Kybernetik korrigieren sich biologische und soziale Systeme innerhalb eines gegebenen Gebietes selbst, man spricht hier von Selbstregulation. In seinem Buch „Ökologie des Geistes" (Steps to an Ecology of Mind) konstatiert er, dass die Kommunikation zwischen Körper und Geist geschieht , wenn u. a. folgende Kriterien vorliegen:

Der Stimulus startet einen Prozess, der schließlich darin resultiert, dass das bezweckte Lernen vom Gehirn akzeptiert wird

1. Das System funktioniert anhand von und durch Unterschiede. 2. Das System besteht aus geschlossenen Feedbackschlingen oder aus Netzwerken von Nerven, durch welche Unterschiede und Formen der Unterscheidungsmuster gesendet werden können. (Das durch ein Neuron Vermittelte ist nicht ein Impuls, es ist die Vermittlung eines Unterschiedes.) 3. Der empfangende Teil im System ist auch dafür verantwortlich, Veränderungen im Stimulus zu veranlassen. 4. Das System soll Selbstkorrektur in Bezug auf das Gleichgewicht (Homöostase) vornehmen und/oder den Prozess steuern. Selbstkorrektur bedeutet hier ein „ Trial-and-Error"-Verfahren . Diese vier Kriterien treten immer auf, wenn eine geschlossene Feedbackschlinge vorliegt. Interaktion geschieht kodiert in Form von Mustern (Handlungsfolgen), deren Prozesse nicht bewusst sind, aber ihre Resultate können es sein. Die Wahrnehmungen geschehen sprunghaft und haben heuristischen Charakter . Als Archimedes im 3. Jahrhundert v. Ch. in seiner Badewanne lag, kam er plötzlich zu der Erkenntnis, wie leicht er im Wasser war. Als er verstand warum, stieg er eiligst aus der Badewanne, lief nackt durch die Straßen nach Hause und rief das berühmte: Heureka! Heureka! (Ich hab's gefunden!) - die Heuristik war geboren . Die Feldenkrais-Methode entspricht einem heuristischen Unterrichtsmodell, durch welches dem Schüler eine stimulierende Alternative bewusst wird, zu welcher er selbstständig Stellung nehmen und durch die er zur Einsicht kommen kann - er lernt über ein sogenanntes Aha-Erlebnis .

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Bewusstheit bedeutet Spüren Wahrnehmung 1



















































Damit der Schüler sich eine Veränderung zunutze machen kann, muss er sie wahrnehmen.

Damit der Schüler sich eine Veränderung zunutze machen kann, muss er sie wahrnehmen (eng. awareness oder auch - nach Buddha - enlightenment). Wahrnehmen bedeutet in der Psychologie, sich eines eigenen psychologischen Ereignisses bewusst zu werden. Wenn du dem Schüler mit einem Manipulon die Möglichkeit gegeben hast, sich zu spüren, kannst du ihm seine Wahrnehmung mittels verbaler Kommunikation noch deutlicher machen. Verbale Kommunikation kann in Form von Fragen oder Aufforde rungen stattfinden, mit deren Hilfe du die Aufmerksamkeit des Schülers lenkst und schulst: ,,Wie empfindest du den Druck des Körpers gegen die Unterlage? Spürst du, ob sich der Druck des Beckens gegen die Unterlage verändert, wenn ich dein Bein zum Bauch beuge? Sag mir Bescheid, wenn es wehtut." Der Grad der Aufmerksamkeit des Schülers ist keinesfalls Maßstab seiner Wahrnehmung. Er kann während einer Lektion beinahe schlafen und trotzdem eine kleine Veränderung eines Bewegungsmusters wahrnehmen. Bemerkst du, dass seine Gedanken abschweifen, kannst du seine Aufmerksamkeit (Mitwirkung) durch das Hinzufügen eines Elementes zum ausgeführten Manipulon wecken. Um den Schüler in seiner Wahrnehmung zu unterstützen, kannst du ihn verbal auf die Veränderung seines Bewegungsmusters aufmerksam machen: ,,Zu Beginn der Lektion konntest du den Arm bis hierher heben. Jetzt kannst du den Arm ein wenig weiter heben." Wenn du z. B. den Umfang der Bewegung beider Arme vergleichst und ihm die Unterschiede zeigst, weckst du Erstaunen und Neugier. Dies verstärkt das Engagement und Interesse des Schülers. Das Gefühl, das Empfinden und der Gedanke einer Veränderung der Körperhaltung oder der Bewegungen gibt dem Schüler ein neues Bewusstsein und ist die Voraussetzung dafür, eine gewohnte Bewegung zu verändern. Weder Bateson noch Feldenkrais konnten damals nachweisen, wie die Wahrnehmungen entstanden sind. Der Neuropsychologe und Psychoanalytiker Marks Solms und der Neuropsychologe Oliver Turnbull sind zu neuen Erkenntnissen gekommen. In ihrem Buch "Das Gehirn und die innere Welt" schreiben sie - frei über setzt - folgendes: ,,DasBewusstsein wird im RAS(Reticular Activating System) generiert, welches aus folgenden Teilen besteht : dem Hypothalamus, dem ventralen Tegmentum, den parabrachialen Kernen, der Sub-

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stantia grisea centralis (PAG = periaquäduktales Grau), den Raphe-Kernen, dem Locus caeruleus und der klassischen retikulären Formation. Diese Teile überwachen und regulieren die Funktion der inneren Organe. Das PAGnimmt beim Gefühl des Unbehagens und somatischen Schmerzes eine Schlüsselrolle ein." Unser Körperbewusstsein ist mit dem Bewegungsapparat verbunden. Die Information von Muskeln und Gelenken erreicht das Kleinhirn und wird dort ganz oder teilweise abgebildet. Eine Karte über die Bewegungen des Körpers (oder die gedachten Bewegungen) wird dort erstellt. Es gibt mehrere solcher Karten in den verschiedenen Gehirnteilen u. a. im Tectum und im dorsalen Tegmentum, d. h. gleich hinter dem ventralen Tegmentumgebiet, einer der wichtigsten Strukturen , wenn es um Gefühle geht. Diese Teile empfangen die Signale vom sensorischen Apparat. Die Zustände der inneren Organe zusammen mit der Karte der Körperbewegungen ergeben ein Bild vom ganzen Menschen. Jaak Panksepp hat für diese Begriffe im Jahre 1998 die Bezeichnung SELF (Simple Ego-like Life Form) verwendet. Dies stimmt auch mit meiner Beschreibung des Somas überein.

Das Gefühl, das Empfinden und der Gedanke einer Veränderung der Körperhaltung oder der Bewegungen gibt dem Schüler ein neues Bewusstsein und ist die Voraussetzung dafür, eine gewohnte Bewegung zu verändern.

Solms und Turnbull schreiben - ebenfalls frei übersetzt: ,,Der Homunkulus, der im dorsalen Tegmentum wieder zu finden ist, stellt eine kombinierte sensomotorische Karte über den Körper dar, aus der primitive Handlungsmuster hervorgehen . (Wir können uns z. B. vor Neugier kaum halten oder wenden uns ab. Zwei gegensätzliche Verhaltensformen, die eng mit dem Erleben von Lust beziehungsweise Unlust verbunden sind). Dies ist eine Erinnerung an die wichtige Tatsache, dass wir nicht nur unsere Gefühle erleben, sondern ihnen auch Ausdruck verleihen. Gefühle sind nicht nur eine nach innen gerichtete Sinneswahrnehmung , sondern finden auch Ausdruck in Form von Bewegung." Offenbar hat Moshe Feldenkrais mehr oder weniger int uitiv die o. g. Funktionen des Somas für seine erfolgreiche Kommunikation mit dem ZNS genutzt. Für das Lernen des einzelnen Schülers ist es von großer Bedeutung , in welcher Verfassung er sich befindet , wenn er zu dir kommt. Beispiele solcher Gefühlszustände sind: Ruhe

Stress

Sicherheit

Unsicherheit

Befriedigung

Enttäuschung

Wohlbefinden

Irritation

Hoffnung

Resignation

Freude

Kummer

Für das Lernen des einzelnen Schülers ist es von großer Bedeutung, in welcher Verfassung er sich befindet.

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Welchen Einfluss diese Stimmungen auf das Soma haben können, beschreibt Antonio Damasio in seinem Buch „Der SpinozaEffekt".

Das motorische Selbstbild 1



















































Angenommen dein Schüler hat Schmerzen und empfindet Steif heit in einer Schulter. Nutze die Manipulonen , die u. a. den Arm betreffen und fordere ihn auf , den von dir ausgeführten Bewegungen mit seiner Tiefensensibilität (der Propriozeption) zu folgen . Wenn das dem Schüler gelingt, erlebt er seinen Arm bewusster. Dieses Erleben vertieft seine Kenntnis um die Funktionsweise seines Armes. Nach der Lektion hat er den Eindruck, dass sein Arm größer, wärmer und gelenkiger ist . Der Kortex hat direkten Kontakt mit allen oder wenigstens dem größeren Teil der Muskeln des Armes bekommen. Solange dieser Zustand nicht durch äußerliche Signale gestört wird , benutzt der Kortex also alle Muskeln, die zu einer gewissen Armbewegung gehören. Das oben Beschriebene trifft auch zu, wenn das Gehirn eines Rechtshänders die rechte Hand als größer wahrnimmt , als die linke. Benutzt du deine rechte Hand öfter als deine linke, bekommt das Gehirn eine bildliche Vision, dass deine rechte Hand größer ist. Ein Körperteil oder ein von einem Körperteil symbolisierter Charakterzug bekommt auf diese Weise eine Größe im sensomotorischen Selbstbild , das seiner relativen Bedeutung für dich entsp richt. Das Verhältnis kann mit einem sogenannten Homunkel (kleiner Mann) ver anschaulicht werden . Das Bild zeigt die oft vorkommende Körperwahrnehmung , dass der Kopf, der Mund, die Daumen und die Füße wichtig sind.

Das motorische Selbstbild

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Das Selbstbild Jeder Mensch hat ein inneres Bild von sich selbst, ein sogenanntes Selbstbild. Das Selbstbild repräsentiert die eigene Auffassung meiner selbst, z. B. was ich kann oder nicht kann. Es ist mein Ich oder Ego. Als Kind hattest du ein gewisses Selbstbild, das ganz anderes als dein jetziges war. Es hat sich mit deiner eigenen Entwicklung verändert. Es wuchs, weil es laufend Teile von anderen Selbstbildern , z. B. dem deiner Mutter , deines Vaters und anderer Menschen empfing. Es wurde auch von all deinen eigenen Erfahrungen geprägt und den Eindrücken , die von deinen sensomotorischen Erfahrungen herrühren. Der Teil, den du z. B. von deiner Mutter übernimmst, wächst beständig im Verhältnis zu der Zeit, die du mit ihr verbringst und der Intensität , mit welcher ihr euern Umgang pflegt. Jeder Import der Teile des Selbstbilds hat die Entwicklung deiner Persönlichkeit zur Folge. Die Entfaltung ist positiv, vorausgesetzt, das Beziehungsmuster ist positiv.

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Als Kind hattest du ein gewisses Selbstbild, das ganz anderes als dein jetziges war.

Auf diese Art und Weise funktioniert auch der Unterricht mit deinem Schüler. Die Veränderungen , die du in seinem neuromotorischen System bewirkst , machen sein Selbstbild deutlicher , d.h. es verfeinert die Auflösung. Wenn du seine BVH reduzieren kannst, bekommt er einen größeren Bewegungsumfang und stellt fest , dass er größere und/oder alternative Bewegungen ausführen kann. Das stärkt sein Selbstvertrauen und verändert entsprechend sein Selbstbild. Aus diesem Grund wird am Ende einer BOB-oder einer FI-Lektion der Beutel zugeschnürt und du lässt deinen Schüler sich selbst spüren . Alle Bewegungen sind mit Gefühl , Empfindung , ab und zu auch mit Gedanken verbunden. Wenn du z. B. BVH in einem Muskel reduzieren konntest , erlebt der Schüler eine leichtere Bewegungsfähigkeit und kann sich vielleicht daran erinnern , dass er früher auch so gefühlt hat. Möglicherweise assoziiert er persönliche Erlebnisse aus der Vergangenheit , die sowohl angenehmer als auch unangenehmer Art sein können. Verspürt ein Schüler unmittelbar nach deiner Lektion ein Zittern , kann der Grund dafür die Erinnerung an seine emotionalen Erlebnisse in vergangenen Zeiten sein.

Möglicherweise assoziiert der Schüler persönliche Erlebnisse aus der Vergangenheit, die sowohl angenehmer als auch unangenehmer Art sein können.

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DASICH UND DASMICH Die maxwellschen Gleichungen • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •

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m 1860 hat der Physiker Maxwell alle damaligen Kenntnisse über Elektrizität und Magnetismus in vier kurzen Gleichungen zusammengefasst. Das war ei ne einzigartige Leistung. Darüber hinaus sagte er auch Phänomene voraus, die erst nach seinem Tode entdeckt wurden . Ein zeitgenössischer Physiker namens Boltzman war so stark von Maxwells Arbeit beeindruckt , dass er sie mit einem Goethezitat aus dem Faust kommentierte: ,, War es ein Gott , der diese Zeichen schrieb?" Auf seinem Totenbett antwortete Maxwell Boltzman darauf: ,,Nein, es war etwas in mir. " Maxwell sprach von seiner Intuition , er hat sein "Mich" benutzt.

Intuition und Handlung Tor Nörretrander, ein dänischer Journalist und Autor, beschreibt in seinem Buch „Märk Världen" wie der berühmte Fußballspieler Mikael Laudrup erklärt, warum er bei einer Torgelegenheit versagt hat: ,,Ich habe nachgedacht , wie ich es machen sollte, darum habe ich versagt." Sein Überlegen: ,,Sieh dich jetzt vor, kicke ich jetzt oder warte ich noch eine Sekunde?" verzögerte die Handlung. Der Spieler hat sein Ich gebraucht und sich nicht auf seine Intuition verlassen. Zlatan lbrahimovic dagegen nutzte seine Intuition , er befand sich sozusagen in der „Vergesslichkeitszone" und lieferte ohne Überlegung den berühmten Hackentrick während der Fußball-EM 2004. Er hat sein Mich benutzt . Die Lehre daraus ist: ,,Meisterschaft wird nur durch Vergesslichkeit erreicht." wie der spanische Philosoph Jose Luis Pardo in seinem Buch „La regla de/ juego " (die Spielregeln) beschreibt. Der Autor W. Timothy Gallway widmet sich in seinen Büchern dem gleichen Thema. Hat sich eine gewohnte Handlung als Reflex etabliert , müssen wir nicht mehr darüber nachdenken , wie sie abläuft. Sie kommt dann in das „Archiv der gesammelten Erfahrungen", die zu unseren Intuitionen gehören. Daran zu denken, hemmt das Auslösen des Reflexes und das Ausführen der gewünschten Handlung wird verzögert . Charles Darwin beschrieb diesen Prozess bereits in seinem Werk „ The Expressions of the Emotions in Man and Animals".

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Die FM, die Intuition und die Erfahrung Dein Ziel ist es, deine Intuition so zu entwickeln, dass du in kürzester Zeit die Zusammenhänge der Probleme des Schülers verstehen kannst. Intuition ist nichts anderes als die mehr oder weniger unbewusst genutzten Erfahrungen, die du während deines Lebens gesammelt hast. Um Erfahrungen in der FMzu bekommen, musst du anfänglich alles, was du während einer FeldenkraisLektion spürst, infrage stellen. Umso klarere Antworten du auf deine Fragen bekommst, desto erfahrener wirst du - und kannst dich besser auf deine Intuition verlassen. Je geschulter deine Intuition, umso klarer kannst du selbst die Prozesse, die du im Körper des Schülers auslöst, verstehen und verfolgen. Während einer Feldenkrais-Lektion solltest auch du deine propriozeptive Fähigkeit entwickeln, um zu spüren, was in deinem Schüler vor sich geht, wie und wo du ihn beeinflusst. Dieses Spüren des eigenen Körpers erweitert ebenfalls deine Erfahrungen.

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Hat sich eine gewohnte Handlung als Reflex etabliert, müssen wir nicht mehr darüber nachdenken, wie sie abläuft. Sie kommt dann in das "Archiv der gesammelten Erfahrungen': die zu unseren Intuitionen gehören.

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DIE KOMMUNIZIERENDEN BEWEGUNGEN Weber-Fechnersches Gesetz • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •

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enn ein Muskel einer konstanten Berührung ausgesetzt ist , wird kein afferentes Signal zum Gehirn ausgelöst. Eine Veränderung des Berührungsdruckes gibt dem Gehirn dagegen Signale.

Ernst Weber (1795-1878) war im gleichen Zeitraum wie der Physikprofessor Gustav Fechner (1801-1887) in seiner Stellung als Anatomieprofessor an der Universität in Leipzig tätig . Weber hat folgendes Gesetz erforscht und festgelegt: Soll ein Reiz wahrnehmbar sein, muss er den bereits wirkenden Reiz hinsichtlich des Druckes um 1/ 40 übersteigen.

Je geschulter deine Intuition, umso klarer kannst du selbst die Prozesse, die du im Körper des Schülers auslöst, verstehen und verfolgen.

Fechner war eher als Psychophysiker bekannt. Er erforschte und beschrieb das Gesetz seinerseits. Danach ist die relative Zunahme körperlicher Berührungsenergie ein Maß für die Zunahme der entsprechenden Wahrnehmung (Auffassung). Die beiden waren also, wie sie behaupteten , unabhängig von einander auf gleichlautende Gesetze gestoßen. Als Mathematiker stellte Fechner eine mathematische Formel für die Gesetze auf. Später wurden Webers und Fechners Erkenntnisse im Weber-Fechnerschen Gesetz (W/F /G) zusammengefügt. Es setzt die Stärke des subjektiv wahrgenommenen Sinneseindruckes in Beziehung zur objektiv messbaren Intensität des Reizes. Während du Lektionen in Funktionaler Integration erteilst , nutzt du diese Gesetzmäßigkeit zur Kommunikation mit dem ZNS. Um das Manipulon wirksam auszuführen, sodass es vom Gehirn wahrgenommen werden kann, muss die Veränderung des Berührungsdruckes gemäß des W/F/G mindestens 1/40 (2,5 Prozent) des Druckwiderstandes sein. Du musst lernen , bis an die Antagonistengrenze zu gehen und diese minimal überschreiten (um 1/ 40 des Antagonistenwiderstandes), um mit dem Gehirn kommunizieren zu können (und somit Arbeit im Muskel zu übernehmen). Aber die Druckveränderung darf nur wenig mehr als 1/ 40 sein, weil du sonst die Kommunikation störst oder verhinderst. Da es für dich unmöglich ist, eine Druckveränderung von 2, 5 Prozent zu messen oder zu beurteilen , musst du den von dir ausgeübten Druck nach und nach verändern. Beobachte die Reaktion des Schülers sehr aufmerksam! Reagiert der Schüler mit Anerkennung, z. B. durch die Erweiterung des Bewegungsumfanges, ein Schlucken oder einen tieferen Atemzug, hast du mit dem richtigen Druck gearbeitet. Sowohl dein Empfinden als auch deine Hände müssen entsprechend geschult sein.

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Falls keine Akzeptanz wahrnehmbar ist , solltest du die Intensität des Druckes und die Druckrichtung variieren , bis du Erfolg hast. Gib dem Schüler Zeit, die Veränderung zu spüren und zu akzep tieren.

Gib dem Schüler Zeit, die Veränderung z u spüren und zu akzeptieren.

Weber hat übrigens eine andere interessante Beobachtung in dem Buch „Grundriss der Psychophysik" (Prof. Dr. G. F. Lipps, 1914) bemerkt. Er sagt, dass ein Mensch der müde ist, eine Berührung (die Veränderung eines Druckes) sensibler empfindet. Vielleicht kann Müdigkeit als Entspannung oder entspannt sein gedeutet werden . Meine Auffassung von der Notwendigkeit , den Schüler bequem i n ruhiger Atmosphäre zu lagern, wird dadurch bestätigt .

Anerkennung der Information (Akzeptanz) Durch das Ausführen der Manipulonen findet Kommunikation mit dem Gehirn des Schülers statt , die in irgendeiner Form beantwortet werden muss, damit du weißt , dass sie verstanden und akzeptiert worden ist. (Sonst ist es ja keine Kommunikation.) Die Antwort kann ein Seufzer, ein tiefer Atemzug oder ein Schlucken sein. Das Schlucken reduziert z. B. den Tonus in den Bauchmuskeln , sodass sie einen tieferen Atemzug zulassen. Von außen gesehen scheinen die Manipulonen ein mechanisches Schwenken der Arme und Beine des Schülers zu sein, auch wenn es nach gewissen Mustern geschieht . Führen wir die Manipulonen auf mechanische Weise aus, bekommen wir vom Schüler keine Antwort. Einern Schüler, der nicht daran gewöhnt ist , seine Bewegungen von innen zu spüren , also den Bewegungen aufmerksam zu folgen , sich nicht ablenken zu lassen und bei sich zu sein, muss die Gelegenheit gegeben werden , seine Tiefensensibilität zu schulen. Die Signale der Anerkennung sind bei unerfahrenen Schülern mitunter nur schwer erkennbar . Sie bleiben sogar ganz aus, wenn der Schüler gedanklich abgelenkt ist oder Schmerz empfindet.

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Durch das Ausführen der Manipulonen findet Kommunikation mit dem Gehirn des Schülers statt. Die Kommunikation wird vom Gehirn anerkannt.

Deine Empathiefähigkeit ist dabei sehr wichtig. Je einfühlsamer du bist , umso besser wirst du die Akzeptanz wahrnehmen können. (Siehst duz . B. jemanden laufen , wird über die Spiegelneuronen das Bewegungszentrum in deinem Gehirn aktiviert , weil du die Erfahrung des Laufens schon gemacht hast. Diese Fähigkeit trainierst du, wenn du die FI ausübt. Mittels deiner Manipulonen spürst du nicht nur die verspannten Bewegungsmuster des Schülers, sondern musst sie auch interpretieren und auflösen können. Das erhöht dein Verständnis für ihn und die Situation , in der er sich befindet. Habe Geduld mit deinem Schüler, auch wenn er schwierig ist.

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Es gibt Zeichen für eine Akzeptanz des Gehirns, die jedoch nichts mit der propriozeptiven Fähigkeit des Schülers oder seinem mentalen Zustand zu tun haben. Es ist die Verlängerung des Muskels, die eintritt , wenn er sich entspannt. Eine Entspannung bedeutet bekanntlich, eine Verlängerung des Muskels, die du als leichten Gegendruck erfasst. Dieser Gegendruck ist erheblich größer, wenn du dem Skelett vom Fuß oder vom Kopf aus eine Stütze gegeben hast, denn dadurch entspannen sich viele Komponenten. Der Gegendruck, den du nach dem Reduzieren der BVH im M. biceps spürst , ist viel geringer. Es bedarf einer gewissen Erfahrung, um diesen Gegendruck unter all den anderen kleinen Reaktionen (Vibrationen mit diversen Schwingungszahlen) zu erkennen und zu spüren. Die Akzeptanz ist das Zeichen, dass das Gehirn sich an ein Bewegungsmuster erinnert , zu welchem der vom BVH befreite Muskel gehört. Es ist dir gelungen das Gehirn dahin zu bringen, die kortikale Steuerung (ganz oder teilweise)wieder zu erlangen. Es kann vorkommen , dass du für einige Sekunden auf eine Reaktion des Schülers warten musst. Das ZNS braucht Zeit , die Information zu erfassen und das Bewegungsmuster zu erkennen. Es ist äußerst wichtig, dem Schüler während der ganzen Phase hindurch Stütze zu geben. Wenn du nach 20 Sekunden noch keine Reaktion bekommen hast, solltest du jedoch nicht mehr warten , sondern das Manipulon verändern .

Die Antagonistengrenze • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •

Sowohl Moshe Feldenkrais als auch Thomas Hanna sprechen in ihren Arbeiten vom judoprinzip: der Richtung der Krafteinwirkung zu folgen.

Sowohl Moshe Feldenkrais als auch Thomas Hanna sprechen in ihren Arbeiten vom Judoprinzip: der Richtung der Krafteinwirkung zu folgen. Hanna nennt es kinetische Spiegelung (vgl. Kapitel Reflexbogen). Wenn ein Judokämpfer eine kraftvolle Armbewegung macht, stellt sich sein Gleichgewichtssystem darauf ein, dass ihm ein Widerstand begegnen wird. Falls der Angegriffene ausweicht , der berechnete Widerstand also nicht auftritt, verliert der Angreifer sein Gleichgewicht. Noch wirkungsvoller ist es, wenn der Angegriffene den Arm greift und ihn in Richtung der Kraft zieht, d. h. der Kraftrichtung folgt. Die Absicht des Angegriffenen, nämlich der Kraftentwicklung des Angreifers zu entgehen , ihn aber auch aus dem Gleichgewicht und bestenfalls zu Fall zu bringen, ist dabei selbstverständlich. Wendest du das Judoprinzip beim Ausführen eines Manipulons an, folgst du auch der Kraftrichtung. Deine Absicht ist jedoch eine andere, nämlich BVH in einem Muskel zu reduzieren. Führst du ein Manipulon aus und stößt dabei auf Widerstand (die Antagonistengrenze), beruht dies darauf, dass sich der Antagonist des berührten Muskels nicht ohne Weiteres strecken lässt.

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In diesem Fall änderst du sofort die Bewegungsrichtung und folgst der Kraftrichtung des Antagonisten, d. h. du übernimmst die Arbeit des Antagonisten. Führst du dann wieder das ursprüngliche Manipulon aus, erlaubt der Antagonist die Streckung. BVH lässt sich auf diese Weise nach und nach sowohl im Agonisten als auch im Antagonisten reduzieren. Es war reiner Zufall, dass Moshe Feldenkrais dies entdeckte und kann direkt seinen Judokenntnissen zugeschrieben werden, worauf Hanna auch hinweist . Grundlage der FM ist das Erreichen der Antagonistengrenze und deren leichtes Überschreiten , dem Weber-Fechner-Gesetz entsprechend um 2,5 Prozent. In der Praxis brauchst du kaum darüber nachzudenken. Kannst du die Antagonistengrenze spüren, ist sie bereits um 2,5 Prozent überschritten. Das ist darauf zurückzuführen, dass du selbst einen Gegendruck von 2,5 Prozent deiner eigenen Manipulonkraft (die Kraft, mit der du das Manipulon ausführst) spüren musst, um den Widerstand wahrzunehmen. Deshalb begnüge ich mich in Zukunft damit, zu sagen, dass du zur Antagonistengrenze gehen solltest. Wenn du diese Grenze erreicht hast, wird die Aufmerksamkeit des Schülers geweckt. Er erfährt das unterstützende Gefühl der Sicherheit, Geborgenheit und Ruhe, was den Unterricht erheblich erleichtert.

Der Dehnreflex - ein nützlicher Mechanismus Dehnt eine gereizte Muskelspindel aufgrund einer von außen einwirkenden Kraft den Muskel, folgt eine Kontraktion, die Dehnreflex genannt wird. Das ist die unwillkürliche Nervenreaktion in einer afferenten (sensorischen) Bahn, die zu einer efferenten (motorischen) Bahn überführt wird.

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Rückenmark

Um das Zustandekommen eines Dehnreflexes zu garantieren, sind folgende sechs Faktoren notwendig: ■

ein Reiz (Dehnung);



ein Sensor (Muskelspindel), der den Reiz in Stimuli transformiert (Signale);







afferente (sensorische) Nervenbahnen, die die Erregungen direkt oder mittels einer oder mehrerer Synapsen (Übertragungsstellen) zum Rückenmark leiten; das Rückenmark , in dem die afferenten Erregungen zu efferenten Stimuli umgewandelt werden; efferente (motorische) Nervenbahnen für den Transport der Stimuli vom Rückenmark zum Muskel (Effektor, Erfolgsorgan);

Afferente Nervenbahn

Efferente Nervenbahn Synapse

Sensor Dehnung (1)

Muskel Kontraktion (2)

Dehnungsrefelex oder Streckreflex

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ein Muskel, der kontrahiert, Stimuli getroffen wird .

wenn er von den efferenten

Der Prozesswird Reflexbogen genannt und folgendermaßen dargestellt:

Der Reflexbogen: Übernahme von Muskelarbeit - der Grundstein der FM •

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Anstatt den Muskel zu z wingen, sich zu dehnen, führst du vorsichtig Ursprung und Ansat z des M uskels zueinand er.

BVH ist eine unbewusste „permanent aufrechterhaltene" Muskelspannung. Um diese Spannung aufzulösen , benutzt du den umgekehrten Dehnreflex. Ist die Kontraktion von einem Manipulon veranlasst , senden die Sensoren Stimuli mit entgegengesetztem Effekt zum Rückenmark. Der Muskel wird entspannt. Mit Hinweis zum Bild wechseln die Nervenbahnen ihren Platz . Wir nennen das Übernahme von Muskelarbeit. Anstatt den Muskel zu zwingen , sich zu dehnen , führst du vorsichtig Ursprung und Ansatz des Muskels zueinander. Moshe Feldenkrais erklärt das Resultat der Übernahme von Muskelarbeit wie folgt: ,,Wenn du Arbeit im Muskel übernimmst, hört er selbst auf zu arbeiten ." Der Muskel entspannt sich. Diese Entspannung geschieht gewöhnlich nicht sofort , sondern nur nach und nach. Das Manipulon , mit welchem du Arbeit übernimmst , solltest du deshalb wiederholen, um die gewünschte Reduktion der BVH zu erreichen. Die reduzierte Spannung im Muskel wird dem Kortex durch Signale , die von den entsprechenden Sensoren ausgehen, in Form eines Feedbacks mitgeteilt. Der Kortex hat ein Bewegungsmuster gespeichert , das der gewünschten Bewegung entspricht. Es ist jedoch in seiner Funktionsweise beeinträchtigt, wenn ein oder mehrere Muskeln über längere Zeit nicht 100-prozentig auf Signale vom Kortex reagieren , weil ihre Bewegungsfähigkeit durch BVH gestört ist. Wenn der Kortex plötzlich von den Rezeptoren in diesen Muskeln Feedbacksignale bekommt, hat das die Vervollständigung des Bewegungsmusters zur Folge (corollary) , sodass es vom Kortex auf gewohnte Weise genutzt werden kann. Das Bewegungsmuster kann dann vom Kleinhirn an eventuell veränderte Bedingungen angepasst werden (discharge) , bevor die Bewegung wieder ausgelöst wird. Die Signale der Rezeptoren bewirken eine Veränderung solcher Größenordnung, dass das Gehirn sie gemäß dem Weber-Fechner-Gesetz akzeptiert. Entsprechend des Ausmaßes der übernommenen Arbeit des Muskels, übernimmt der Kortex das Kommando über ihn. Die Paarkopplung zwischen dem Agonisten und Antagonisten funktioniert sofort. Also bewirkt das Reduzieren der BVH im Agonisten die proportionale Entspannung des Antagonisten .

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Da sowohl die Sensoren als auch ihre Nervenfasern über eine längere Zeit ungenutzt blieben, kann die erreichte Muskelentspannung anfangs labil sein. Um seine wiedererlangte Fertigkeit nicht aufs Spiel zu setzen, sollte der Schüler sie daher mit Vorsicht anwenden. (Don't overdo!) Lege deine Hände so auf den Muskel, dass du Ursprung und Ansatz einander annäherst. Die Kraft, mit der du deine Hände zusammenführst , sollte dich die Antagonistengrenze deutlich spüren lassen. Übe den Druck weder zu kräftig noch zu schwach aus. Je kräftiger der Muskel gespannt ist , desto kürzer wird der Abstand, den du zwischen Ursprung und Ansatz zueinander führen kannst. Je höher der Tonus des Agonisten , desto höher auch der Tonus des Antagonisten. Du spürst den Antagonistenwiderstand schon nach geringem Versetzen deiner Hände. Kannst du den verspannten Muskel nicht direkt entspannen, musst du mithilfe der Hebelwirkung des Skelettes indirekt dessen Ursprung bzw. Ansatz - oder beide - erreichen. Sobald du einen Hebel benutzt, vermindert sich der Widerstand an der Antagonistengrenze im Verhältnis zur Hebelübersetzung . Die Hebelübersetzung ist das Verhältnis zwischen der Länge des Hebels (gerechnet von deiner Hand bis zum Drehpunkt) und dem Abstand vom Drehpunkt bis zum Ansatz (oder Ursprung) am Hebel. Wenn du einen Skeletthebel nutzt, solltest du sicher sein, dass der von dir gewählte Winkel korrekt ist, um tatsächlich Arbeit im entsprechenden Bereich des Körpers oder im entspre chenden Muskel übernehmen zu können. Manipulonen, bei denen du Hebelwirkung anwendest , verursachen gewöhnlich eine (spontane) Akzeptanz des Schülers, die er manchmal sogar verbal äußert wie z. B.: ,,Es fühlt sich richtig an!" . Das hängt mit der distalen Bewegung zusammen, die das Manipulon verursacht. Es sind gerade diese Bewegungen, die am leichtesten vom Gehirn erfasst werden . (Es erkennt das ursprüngliche Bewegungsmuster.) Daher fühlt sich die Bewegung richtig an!

Übertreib es nicht! Don't overdo!

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1

50kg

Die Hebelübersetzung

Das Beispiel auf dem Bild gibt dir eine deutliche Vorstellung , welche Rolle ein Hebel in diesem Zusammenhang spielt. Häufige Übersetzungen bei Hebelwirkungen an Beinen und Armen liegen bei ca. 1:5 - 1:7. Thomas Hanna bezeichnet dieses Phänomen außerordentlich passend als kinetische Spiegelung.

Die Manipulonen •

















































Du führst Manipulonen an deinem Schüler mit der Absicht aus, so viel BVHwie möglich zu vermindern , um damit seine Bewegungsfähigkeit zu erweitern , sodass sein Kortex die Steuerung der Motorik wenigstens zu einem akzeptablen Niveau übernehmen kann. Der Tonus des Muskels sollte keinen Schmerz verursachen oder das Ausführen alltäglicher Bewegungen beeinträchtigen . Gestalte deine Manipulonen so vorsichtig , dass der Schüler sie nicht als Eingriff in seine Integrität auffasst. Führe sie deswegen immer leicht und spielerisch , langsam, gleichmäßig , aber bestimmt durch. Der Druck, mit dem du das Manipulon ausübst, sollte - wie bereits erläutert - dem W /F / Gesetz angepasst sein. Du solltest in der Lage sein, ein Manipulon für das betreffende Muskelpaar nach einem geeigneten Muster selbst zu gestalten. Vertraue ganz einfach deiner Phantasie, deiner Kreativität und deiner Intuition . Wie das Skelett als Hebel genutzt werden kann, erforde rt eingehende Kenntnisse der Anatomie. Sei dir der Tatsache bewusst , dass deine Manipulonen den Zweck verfolgen , Arbeit in einem oder mehreren Muskeln zu übernehmen. Ein Manipulon darf dem Schüler nicht wehtun. Empfindet der Schüler dennoch Schmerzen, arbeite sehr behutsam und vari-

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iere den Druck oder Ansatzpunkt deiner Hände, bis du einen schmerzfreien Bereich gefunden hast. Ermutige ihn , über seine Empfindungen zu sprechen und höre ihm aufmerksam zu - gern kann er / kannst du ihm auch Fragen stellen . Die meisten Menschen sind dazu erzogen , leichte Schmerzen zu dulden und empfinden diese als nicht erwähnenswert, weil sie Stärke zeigen und nicht über Kleinigkeiten klagen wollen. Nach geraumer Zeit findest du den schmerzfreien Bereich . Der Schüler befürchtet trotzdem , dass deine Berühru ng Schmerz auslösen könnte . Aufgrund dessen befindet sich sein Schutzrefle x noch immer in höchster Bereitschaft. Lass dir und dem Schüler genügend Zeit , bevor du weiter unterrichtest , indem du besonders behutsam ein Element hinzufügst oder das nächste Manipulon ausführst . Umgehe das Auslösen des Schutzreflexes, indem du den entsprechenden Muskel nicht direkt berührst oder zu entspannen versuchst. Das indirekte und schrittweise Annähern - z. B. das Ausführen einer Rotation anstelle einer Flexion - kann sehr hilf reich sein. Erweist sich die Übernahme von Muskelarbeit als besonders schwer zugänglich , überlege , welches Bewegungsmuster Ursprung und Ansatz des betroffenen Muskels zusammenführt. Danach entscheidest du, wie du das Manipulon gestaltest , um z. B. den Rücken zu rotieren . Die Flexions- und Extensionsmuskeln nehmen an der Bewegung teil. Nutze die Rotation der Wi rbelsäule für die Verminderung der Spannung (Arbeitsübernahme) im Muskel. Alternativ dazu kannst du eine relativ zugeordnete oder eine differenzie rende Bewegung ausführen. Du hast auch die Möglichkeit , die Paarkopplung zu nutzen . Betrachte den entsprechenden Muskel als Antagonist und reduziert BVH im dazugehörigen Agonisten .

Berührung Die Berührung muss als angenehm empfunden werden, damit das Gehirnhormon Oxytocin (vom Hypothalamus produziert), das uns beruhigt und entspannt , produziert werden kann. Prof. Dr. med. Kerstin Uvnäs-Moberg, (Karolinska lnstitutet , Stockholm) hat 2003 nachgewiesen , dass dadurch die Immunabwehr gestärkt wird . Innere Ruhe kann auf verschiedene Weise hervorgerufen und unterstützt werden, u. a. durch Handauflegen , Massage und ähnliche Entspannungstechniken.

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Während einer Lektion in „ funktionaler Integration" arbeitest du mit angenehmen Berührungen, die von besonders großer Bedeutung für Menschen sind, die Traumen oder anderen Stress verursachenden Faktoren ausgesetzt waren oder sind.

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Führe jedes Manipulon vorsichtig aus, weil eine harte, überraschende oder kneifende Manipulon Berührung die Konzentration des Schülers und seine innere Ruhe stören oder zunichte machen würde. Durch die Berührung eines Körperteils wird der Schüler auf diesen aufmerksam gemacht. Gibst du z. B. eine Skelettstütze vom Querfortsatz des siebten Halswirbels, legst du deine andere Hand auf den Beckenkamm, um dem Schüler bewusst zu machen, dass sich dieser mitbewegt, während du Druck auf den Wirbel ausübst. Die Berührung hilft dem Schüler, sein propriozeptives Spüren zu schulen , um herauszufinden, was und wo etwas passiert . Wiederholst du diese Bewegung einige Male (Oszillieren), festigst du die Erfahrung in seinem Soma. Ein Säugling berührt sich zunächst im Gesicht und lernt dann mit geöffneter Hand zu spüren. Du kannst dieses Wissen nutzen , um eine zur Faust geballte Hand aufzulösen, indem du sie an die Wange des Schülers legst und vorsichtig die Finger ausstreckst. Der Schüler wird sich an das angenehme Gefühl einer geöffneten Hand an seiner Wange erinnern und öffnet dabei von selbst die Hand. Das ist ein guter Ausgangspunkt für weitere Manipulonen. Berührung ist etwas Intimes, das in verschiedenen Kulturen unterschiedlich bewertet wird. Sollte dein Schüler eine andere Auffassung von Berührung haben als du, beginne dort, wo Berührungen für ihn gewohnt sind, wie z. B. an der Schulter oder seiner Hand.

Die Handstütze - der Affenarm •••• • • • • • • • •• • •••• ••• • •• •

Wenn Schimpansen und Gorillas auf allen Vieren gehen, beugen sie die Finger und stützen sich auf die Medialseite der geballten Hand. Diese Handposition entsteht durch das Drehen der Arme nach innen. Nur dadurch wird die Stabilität im Arm erreicht, die notwendig ist, um die Belastung des Körpers zu halten . Stehst du in Vierfüßerstand, kannst du bei nach außen und innen rotierten Armen selbst den Stabilitätsunterschied feststellen. Mit nach innen rotierten Armen schaffst du es, die gerade Position deiner Arme aufrechtzuerhalten, damit wird die Belastung am Schultergürtel übernommen. Die nach außen rotierten Arme übertragen die Belastung über die Armmuskeln in den Schultergürtel. Während die Innenrotation der Arme die Ellbogen blockiert und die Belastung über das Skelett hin zur Medialseite der Hände vermittelt. Wende diese Armstellung an, so oft du kannst. Sie gibt dir die beste Stütze bei geringstem Kraftaufwand, und der Schüler nimmt sie deutlich wahr. In den Lektionsbeispielen nenne ich diese Armposition den „Affenarm".

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Vergleiche sie mit der Stellung des Fußes beim Stehen, dessen Belastung automatisch auf der Medialseite (der Seite des großen Zehs) liegt. Der Fuß steht im Prinzip so, wie du dich auf die Hand stützt.

Die Intention Verbinde mit deinen Manipulonen immer eine bestimmte Intention. Als ich in meiner Studienzeit an FI-Lektionen teilnahm, erlebte ich eine Wachsamkeit, die mir das Gefühl gab, aufrecht, mit zu Berge stehenden Haaren zu sitzen. Diese Erlebnisse ließen mich dem Unterricht sehr aufmerksam folgen und die Vorgänge hinterfragen, sodass ich zu neuen Einsichten gelangte. Manchmal wusste ich nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Ich konnte Yochanan Rywerants Intentionen deutlich spüren. Er rief Bilder von Mustern oder Funktionen in mir hervor. Manchmal dachte ich sogar: ,,Das schafft er nie!" (Ich spürte, dass es unmöglich war.) Doch er hat es geschafft. Es fühlte sich richtig an und hat meine Bewusstheit geschärft.

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Als ich später zu unterrichten begann, bemerkte ich, dass die Schüler nach der Lektion oft von ihren Eindrücke erzählten, die meinen Intentionen entsprachen.

,,Du folgst der Schwerkraft!" Allefreien Körperfallen zur Erde.

Dadurch wurde mir Moshe Feldenkrais' Genialität deutlich. Ihm war klar, dass das Nervensystem leichter erkennt und versteht, wenn die Manipulonen in einer logischen Reihenfolge ausgeführt werden. Es ist also kein mechanisches Schwenken eines Körperteils, wie es - äußerlich gesehen - erscheinen mag. Du musst dir darüber im Klaren sein, was du erreichen willst und das entsprechende Manipulon dann probeweise durchführen. Der Schüler sollte spüren, dass du ihm etwas vermitteln willst . Gelingt es dir nicht, deine Intention umzusetzen, spüre mit Einfühlungsvermögen und kreativem Denken die Ursache dafür auf und teste andere Wege. Ein verbaler Kommentar, wie z.B. ,,Du folgst der Schwerkraft", könnte für den Schüler hilfreich sein, um einzusehen, dass er seinen Arm gespannt hält. Vielleicht kann er ihn dann loslassen. Sei mit verbalen Kommentaren trotz dem vorsichtig. Sie können den Schüler veranlassen , die von dir ausgeführten Bewegungen zu unterstützen, also selbst zu arbeiten, und in sein gewohnheitsmäßiges Muster zurückzufallen. Du kannst durchaus zufrieden sein, wenn es dir während einer ganzen Lektion gelingt, ,,nur" eine Intention umzusetzen.

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Synchronisierung •

















































Die Atmung des Schülers während einer Lektion kann dir wichtige Informationen über seine Wahrnehmung während der Ausübung deiner Manipulonen geben. Ein tiefer Atemzug oder ein Seufzer bedeutet, dass deine Signale den Kortex erreicht haben. Genau beim Beenden eines solchen Atemzugs oder Seufzers ist der Schüler für Informationen am empfänglichsten. Gerade dann wiederhole das Manipulon sanft aber bestimmt. Gewisse Manipulonen führst du im Atemtakt des Schülers aus. Beobachte diesen Takt genau, damit du ihm folgen kannst, ihn aber auf keinen Fall störst. Solltest du das Manipulon schneller oder langsamer ausführen, richtet sich der Schüler unbewusst danach . Solch eine Störung beeinträchtigt das propriozeptive Spüren sofort. Missachtest du den Atemtakt des Schülers, kannst du sogar seinen Schutzreflex auslösen. Durch das genaue Beobachten deines Schülers übernimmst du eventuell seinen Atemrhythmus. Während der Lektion verändert der Schüler seine Atemfrequenz jedoch, er atmet tiefer ein oder setzt einen Atemzug aus. Hast du dir dann seinen früheren, gleichmäßigen Takt angeeignet und führst das Manipulon entsprechend dieses Taktes aus, störst du den Schüler. Es gilt also, jeden Atemzug zu beobachten und dich darauf einzustellen. Werden die Manipulonen im Rhythmus des Schülers ausgeführt, vermitteln sie ihm ein allgemeines Gefühl von Ruhe.

Proximal - distal •

















































Eine Bewegung kann proximal, was zur Körpermitte hin bedeutet, ausgeführt werden. Sie kann auch distal, also von der Körpermitte weg, getätigt werden . Als proximale Körperteile bezeichnen wir die Teile des Oberkörpers . Distale Körperteile sind die Arme, Hände, Finger, Beine, Füße, Zehen und der Kopf. Die distalen Bewegungen sind komplexer als die proximalen. An ihnen sind mehr Muskeln beteiligt. Je weiter entfernt von der Körpermitte eine Bewegung ausgeführt wird, desto mehr Komponenten sind inbegriffen. Distale Bewegungen ermöglichen eine detaillierte Raumorientierung . Die großen Muskeln des Rumpfes sind an den distalen Bewegungen (denen, der Arme und Beine) beteiligt, um ihnen das Ausführen ihrer Aufgaben zu ermöglichen und zu erleichtern (das Abwaschen, Joggen, Betanken des Autos) . Die Muskeln des Rumpfes führen die grobe Arbeit aus, während die Muskeln der Arme bzw. der Beine für die Präzision sorgen.

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Der Schutzreflex greift bei distalen Bewegungen öfter als bei proximalen ein, da die proximalen den eigenen Äußerungen des Schutzreflexes ähneln (d.h. Bewegung zum Körper hin sind). Hast du z. B. die Absicht, eine Tasse vom obersten Regal herunterzuholen, streckst du als Rechtshänder zuerst die rechte Hand zur Tasse. Dann verwendest du ein distales Bewegungsmuster. Erst, wenn du die Tasse nicht erreichst, verlängerst du den Oberkörper zwischen der Hüfte und der Schulter auf der rechten Seite mittels einer proximalen Bewegung. Um die Tasse zu erreichen , bist du vielleicht außerdem gezwungen , dich auf die Zehen zu stellen . Dann integrierst du weitere distale Bewegungen in das gesamte Bewegungsmuster.

je mehr Kö"rperteilean einer Bewegung beteiligt sind, umso besser wird die gesamte erforderliche Kraft verteilt.

Willst du noch höher reichen, verlagerst du das Gewicht auf die Zehen des linken Fußes und hebst die rechte Hüfte noch höher. Jetzt wirken distale und proximale Bewegungen zusammen. Dein Körper lehnt sich nach links und streckt sich diagonal von der linken Hüfte zur rechten Schulter in gerader Richtung. Du hast deine maximale Streckung zwischen den Zehen und Fingern erreicht. Solltest du die Tasse dennoch nicht erreichen , musst du deinen Kaffee direkt aus der Kanne trinken! Beim wiederholten Absetzen der Tassewird ein gewohnheitsmäßiges Efferenzmuster geschaffen, das nicht nur das Bewegungsmuster, sondern auch die detaillierte Instruktion beinhaltet , mit welcher Kraft jeder teilhabende Muskel zu spannen ist . Sollte eines Tages in der Tasse Flüssigkeit sein (sie also schwerer sein), benutzt du das angewöhnte Efferenzmuster und die Tasse fällt dir aus der Hand. Je mehr Körperteile an einer Bewegung beteiligt sind, umso besser wird die gesamte erforderliche Kraft verteilt. Das Risiko einer undifferenzierten Bewegung oder einer Überanstrengung der beteiligten Muskeln wird reduziert. Bewegungen, die mehrere Gelenke integrieren , vermitteln dem Soma immer das Gefühl von Freiheit und Leichtigkeit. ,,Alles läuft wie geschmiert" . Erfordert eine Bewegung Dynamik, wird das o. g. Bewegungsmuster in der umgekehrten Richtung ausgeführt , z. B. beim Handballspiel. Wenn der Spieler einen Ball ins Tor werfen will , beginnt er damit , sich auf seine Zehen zu stellen . Dann beugt er seinen Körper vor, streckt die Beine aus, schiebt die Schulter vorwärts , ehe er zuletzt , den Ball mit ausgestrecktem Arm in das Tor wirft. Um den Vergleich auf die Spitze zu treiben , müsstest du dich wie der Handballer bewegen , indem du dich zuerst auf die Zehen stellst, wenn du die Tasse vom Regal holen willst. Es führt vielleicht zu weit , aber das Bewegungsmuster wäre effizient , wenn du anfingst, den Arm zu strecken , um die Hand zielgerichtet aufwärts zu „ stoßen" .

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Undifferenziert - differenziert Alle reflexmäßigen Muster sind unbewusst. Wir denken nicht daran, dass unsere täglichen Funktionen meistens auf reflexmäßige und undifferenzierte Art und Weise geschehen. Wenn wir den Kopf drehen , steuern die Augen diese Kopfbewegung. Wir drehen auch den Rücken und die Schulter in dieselbe Richtung wie den Kopf. Dies sind früh gelernte Muster, die als undifferenziert bezeichnet werden . Sie wurden als reflexmäßige, sensomotorische Bahnen im Gehirn entwickelt und sind als ursprüngliche Muster sofort zugänglich. Wir verwenden ein solches Muster, wenn wir z. B. schnell kontrollieren wollen , ob sich uns ein Radfahrer von hinten nähert. Es ist dann notwendig, die Wirbelsäule und die Schulter in dieselbe Richtung zu drehen, was entsprechend des im Gehirn gespeicherten , undifferenzierten Musters geschieht. Häufig bedienen wir uns jedoch nicht des ganzen Drehmusters. Schon im Kindergarten lernen wir , etwas, was sich vor uns befindet , zu fokussieren , z. B. einen Zeichenblock. Brauchen wir eine Kreide , genügt nur die Kopfdrehung zur Seite, um sie zu finden . Das vom Kortex reflexmäßig eingeschaltete Bewegungsmuster braucht nicht im Ganzen ausgeführt werden , d. h. die Drehung der Wirbelsäule und der Schulter wird unbewusst zurückgehalten. Die zurückgehaltenen Muskeln werden mit der Zeit BVH ausgesetzt. Die Drehung des Kopfes fühlt sich dann steif und ungelenkig an. Die Angewohnheit , Wirbelsäule und Schulter die ganze Zeit still zu halten, wird im täglichen Leben noch durch das Geradeausschauen gefestigt. Während der Schularbeit, der Arbeit am Computer, beim Auto fahren , Essen, Fernsehen, selbst , wenn wir den Golf- oder Einkaufswagen vor uns herschieben, blicken wir geradeaus. Viele Menschen entwickeln den sogenannten Tunnelblick. Die zurückgehaltenen Muskeln schränken unsere Beweglichkeit immer mehr ein . Durch die Erhöhung der BVHwird schließlich noch mehr Kraft zum Drehen des Kopfes benötigt , was permanenten Schmerz in den Drehmuskeln ent stehen lässt. Steht ein Mensch gleichzeitig unter Wirkung des Schutzreflexes , verschlechtert sich seine Situation noch. Verdeutliche dem Schüler, dass er seine BVH durchaus reduzieren kann, sofern er die differenzierten Bewegungen in seinen Alltag integriert. Eine differenzierte Bewegung lässt sich von der Technik her mit einer relativ zugeordneten Bewegung vergleichen.

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Relativ zugeordnete Bewegung Die relativ zugeordnete Bewegung kann am einfachsten anhand eines Beispiels beschrieben werden. Stell dir den Schüler in Seitenlage links vor. Du willst seinen Arm am Kopf vorbei heben . Schon, wenn du den Unterarm hebst, spürst du, dass er die Muskeln im Schultergelenk spannt und den Arm nicht loslassen kann.

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Sein ständig eingeschalteter Schutzreflex hat BVH in den Muskeln verursacht. Bevor du nun die Armbewegung ausführen kannst, solltest du diese BVH reduzieren, indem du Arbeit in den Muskeln, die den Arm mit der Schulter verbinden, übernimmst, ohne den Schutzreflex auszulösen. Das kannst du mithilfe einer relativ zugeordneten Bewegung erreichen, d. h. du hältst den Arm still und bewegst das Schulterblatt gegen das Schultergelenk. Du näherst dich also der BVH mit einer Bewegung von der anderen Seite der Schulter. Auf diese Weise vermeidest du, dass der Kortex das distale Bewegungsmuster assoziiert, welches vom Schutzreflex beeinträchtigt ist. Dann übernimmst du Arbeit in den Muskeln, die den Arm mit der Schulter verbinden und das ursprüngliche Bewegungsmuster ist wiederhergestellt.

Ein Element hinzufügen - integrieren Wie bereits erwähnt, reicht es nicht aus, mechanische Bewegungen während einer Feldenkrais-Lektion auszuüben. Um dem Schüler die Möglichkeit zu geben, z. B. seinen Arm bewusster zu benutzen , ist es wichtig , dass die neue Beweglichkeit mit anderen Bewegungsmustern aus verschiedenen Ausgangsstellungen verglichen und schließlich integriert wird.

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Manchmal ist es erforderlich , die Aufmerksamkeit des Schülers zu dem im Augenblick aktiven Bewegungsbereich seines Körpers zu lenken, der für das Ausführen des Bewegungsmusters von Bedeutung ist. Dabei kannst du ihm zeigen, wie sich das Schulterblatt zusammen mit dem rechten Arm vorwärts/ aufwärts bewegt. Füge dann durch das Auflegen deiner Hand auf die Wirbelsäule ein Element hinzu . Rotierst du nun die Wirbelsäule, integrierst du die Rotation mit dem Bewegungsmuster des Armes in eine differenzierte Bewegung, die im Kortex gespeichert wird. Die Reihenfolge dieser einzelnen Segmente eines Bewegungsmusters wird im Gehirn als Bewegungsablaufgespeichert und bei Bedarf abgerufen. Je mehr solcher Abläufe zur Verfügung stehen, desto differenzierter, also effizient , kann sich der Schüler bewegen. Um ihm die Funktionen dieser Abläufe bewusster zu machen , ist es angebracht , sie in verschiedenen Positionen zu integrieren; z. B. liegend, sitzend und stehend. Unter Einwirkung der Schwerkraft erlebt er die Bewegungsabläufe abwechslungsreicher.

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Integration ist das gewohnheitsmäßige Anwenden zah !reicher differenzierter Bewegungen im Alltag.

Erinnere den Schüler nach der Lektion daran, diese differenzierten Bewegungsmuster, im täglichen Leben anzuwenden, z. B. bei der Computerarbeit (um einem Mausarm vorzubeugen), um die Tasse aus dem Regal zu holen oder sich den Rücken zu kratzen und gleichzeitig seinen Partner hinters Ohr zu küssen. Integration ist das gewohnheitsmäßige Anwenden zahlreicher differenzierter Bewegungen im Alltag.

Integration des Kopfes •••••••••••••••••••••••••

Die Halswirbelsäule (HWS) hält den Kopf aufrecht. Die Konstruktion der HWSermöglicht eine extreme Beweglichkeit des Kopfes im Verhältnis zum Körper. Es ist wichtig, den Kopf in die Richtung drehen zu können, wohin du siehst, hörst oder riechst. Jede Veränderung der Position des Kopfes wird im Vestibularsystem registriert und an das Rückenmark weitergeleitet. Von dort wird der Gleichgewichtsreflex aktiviert, um das Gleichgewicht aufrechtzuerhalten. Das Vestibularsystem leitet Informationen zur Veränderung der Kopfposition an das Cerebellum (Kleinhirn). Sofort werden (u. a.) die Augen entsprechend der neuen Situation ausgerichtet vorausgesetzt, dass wir die Augen nicht in eine andere Richtung wenden wollen. In der Regel werden die Kopfbewegungen von den Augen gesteuert. Dem entsprechend wird der Kopf stillgehalten , um einen festen Blick zu ermöglichen. Härst du schönes Vogelgezwitscher, werden die notwendigen Kopfbewegungen umgehend so ausgerichtet, dass dein Kopf in die entsprechende Richtung gewendet werden kann. Die Kopfdrehung verändert deine Balance. Haben deine Hals- und Nackenmuskeln jedoch einen hohen Tonus (BVH), wird die Reaktion des Gleichgewichtsreflexes verzögert oder gehemmt und du kannst die Balance verlieren. Daher ist es wichtig, dass du BVH in den Nacken- und Halsmuskeln reduzierst. Danach integrierst du die Bewegungen des Kopfes mit denen der Wirbelsäule.

Wiederholung der Bewegungen •••••••••••••••••••••••••

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In den BOB-Lektionen ist ein mehrmaliges Wiederholen der Bewegungen selbstverständlich, um das Muster einzuprägen (die neue Erfahrung zu integrieren). Nach den Wiederholungen fühlen sich die Bewegungen leichter und selbstverständlich an. Auf diese Weise wird die Bewegung als eine neue Gewohnheit gefestigt. Da die Veränderung einer Bewegung ein neurophysiologisch sehr komplizierter Prozessist, muss der Schüler den Ablauf der Bewegungen mit hoher Achtsamkeit und Hingabe verfolgen .

Während einer Lektion sollte der Schüler das Manipulon wiederholend erfahren, um die Bewegungen am Ende der Stunde als leichter zu empfinden. Als Lehrer solltest du ihm deine ungeteil te Aufmerksamkeit entgegen bringen, damit sein Schutzreflex nicht ausgelöst wird. In den letzten Jahren ist u. a. Professor Doktor Jürgen Freiwald von der Bergischen Universität Wuppertal zum Ergebnis gekommen , dass Moshe Feldenkrais' Ansatz richtig war. Seine Untersuchungen zeigen, dass dynamisches Dehnen dem statischen Dehnen vorzuziehen ist und im günstigsten Fall mit 1520 Wiederholungen ausgeführt werden sollte . Er spricht sich für dynamische Bewegungen innerhalb der Dehnungsgrenzen aus. Dadurch werden die Muskeln besser durchblutet und erweitern ihre Bewegungsfähigkeit. Während Moshe Feldenkrais seinen Schülern BOB-Lektionen erteilte, ließ er sie die Bewegungen bis zu 25 Mal wiederholen. Natürlich verfolgte er damit die Absicht, dem Schüler die Bewegungen vertrauter werden zu lassen. Feldenkrais' praktischen Erfahrungen zufolge wurden die Muskeln durch die Wiederho lungen aber auch beweglicher , wenn die Bewegung innerhalb der Antagonistengrenzen und mit äußerster Achtsamkeit (unter Schulung der Propriozeption) ausgeführt wird. Moshe Feldenkrais hatte also bereits 30 Jahre, bevor Jürgen Freiwald die physikalischen Mechanismen erklärte, intuitiv die Bedeutung der Wiederholungen und des Dehnens eines Muskels innerhalb seiner Antagonistengrenzen erfasst. Darüber hinaus erkannte er die Relevanz einer Wahrnehmung, die er "kinesthetic sense" nannte. Heute verwenden wir dafür den Begriff Propriozeption . Wenn du mit FI arbeitest und Akzeptanz bekommst (Es dir gelingt , die Grenze des Antagonistenwiderstandes zu verschieben), wiederholst du das Manipulon einige Male, damit der Kortex die Steuerung der Bewegung übernehmen kann. Dieses Wiederholen verankert die wieder erlangte Funktion als eine neue Bewegungsgewohnheit, die auch unter bewusster Steuerung ausführbar bleibt. Der Schüler erlebt seine erweiterte Bewegungsfähigkeit als angenehm leicht und selbstverständlich. Während meiner langen Praxis habe ich die Erfahrung gemacht , dass die Wiederholung eines Manipulons eine effektive Art ist , zu lehren , wie die Bewegung ausgeführt werden soll. Das mag selbstverständlich erscheinen , hat jedoch seine neurophysiologische Erklärung in den Spiegelneuronen. Diese Neuronen befinden sich in der Gehirnrinde und werden durch visuelle Wahrnehmung stimuliert. Die an einer anderen Person beobachteten Bewegungen werden im Gehirn des Beobachters simuliert. Es interpretiert also das Spiegelbild als wäre es eine eigene Bewegung. Was

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bedeutet das für meinen Unterricht? Ich führe dasselbe Manipulon an jedem Studenten meiner Gruppe aus, während die anderen zuschauen. Durch die Wirkung der Spiegelneuronen erfahren meine Studenten über dieses Zuschauen meine geschickte Hand als einen Assoziationsfaktor in den Teilen ihrer Gehirnrinde, die u. a. für Motorik, Gefühle, Sprache verantwortlich sind. Darüber hinaus erfährt jeder Student an sich selbst, wie sich die Manipulonen , von einer erfahrenen Person ausgeführt , anfühlen, was wiederum seine Propriozeption schult. Ist es an der Zeit, einen Studenten das Manipulon ausführen zu lassen, wird es seine Hand dank der Funktion der Spiegelneuronen schon recht geschickt ausführen können. Diese Unterrichtsform (und die dabei stattfindenden Prozesse) begünstigt also das Vertiefen der Fertigkeiten des Ausführenden . Die täglichen Demonstrationen der FI vor Augen aller und an allen Studenten während der gesamten Ausbildungszeit verkürzt die Ausbildungsdauer auf 105 Tage. Für mich ist es von größter Bedeutung , die Teilnehmerzahl der von mir geleiteten Ausbildungen auf sechs Studenten pro Gruppe zu begrenzen . Das verschafft mir die notwendige Zeit , ein Tagesthema zu demonstrieren, während meine Studenten dank der Spiegelneuronen ausreichend Zeit haben, sich das ausgeführte Manipulon einzuprägen. Moshe Feldenkrais' außerordentlich gut ausgeprägte Intuition baute u. a. auf der Funktion der Spiegelneuronen auf, ohne dass er jedoch Kenntnis von deren Existenz haben konnte , da Rizzolatti sie erst sehr viel später entdeckte.

Die Oszillation - wenn etwas in Eigenschwingung gerät ••• • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •• •

Die Feldenkrais-Methode nutzt auch die Tatsache, dass die verschiedenen Körperteile ihre eigene Schwingungszahl haben. Was damit gemeint ist , werde ich anhand des folgenden Beispiels veranschaulichen. Der Schüler liegt auf dem Rücken. Du nimmst seine rechte Hand, hebst den Arm und schwingst ihn mit leicht gebeugtem Ellbogen in einer kreisförmigen Bewegung. Du variierst die Geschwindigkeit , mit welcher der Arm schwingt. Bei einer gewissen Geschwindigkeit spüren du und auch der Schüler das Schwingen als wesentlich leichter. Dann hast du die Eigenschwingungszahl (Resonanz) erreicht . Sie wird in Hz (Herz = Schwingungen pro Sekunde) ausgedrückt und oft Eigenfrequenz genannt.

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Die Eigenschwingungszahl ist vom Gewicht des oszillierten Körperteiles abhängig. Je höher das Gewicht, desto höher die Eigenschwingungszahl. Natürlich kannst du keine beliebig hohe Anzahl Armschwingungen pro Sekunde ausführen, aber du merkst schon bei niedrigen Harmonien der Eigenschwingungszahl (Oktavresonanzen) eine Leichtigkeit in den Schwingungen. Ist der Körperteil in seiner Beweglichkeit durch BVHeingeschränkt, hemmt sie das Entstehen der Resonanzim entsprechenden Grad.

Das plötzliche Loslassenwar ein grober Fehler,denn das Pferd verlordadurch seine Balance und hätte mich fast umgeworfen.

Durch Oszillation kannst du deinem Manipulon so Nachdruck verleihen, dass die Bewegung deinem Schüler in Fleisch und Blut übergeht. Gleichzeitig verschaffst du ihm ein Erlebnis von Bewegungsleichtigkeit.

Beenden / Abschluss des Manipulons

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Das Manipulon vermittelt dem Schüler ein Gefühl von Stütze . Aus diesem Grund sollte es sehr langsam und vorsichtig beenden werden, um dem Schüler die nötige Zeit zu geben, die Stütze selbst zu übernehmen. Während meiner Feldenkrais-Arbeit mit Pferden wollte ich herausfinden, ob die Skelettstütze auch bei ihnen funktionieren würde. Da der Sitzknochen des Pferdes einen unmittelbaren Kontakt mit dem Skelett anbietet, übte ich dort mithilfe meines ausgestreckten Armes (Affenarm) und meiner Faust Druck aus. Das Pferd reagierte auf diesen Impuls. Ich spürte nicht nur einen Gegendruck, es reagierte auch mit Kaubewegungen, es schluckte und sein Atemrhythmus veränderte sich. All das zeigte mir die Akzeptanz des Pferdes. Meine Erwartungen wurden erfüllt und ich nahm die Faust weg. Dieses plötzliche Loslassen war ein grober Fehler, denn das Pferd verlor dadurch seine Balance und hätte mich fast umgeworfen. Ich hätte das Manipulon also langsamer beenden müssen, sodass der Gleichgewichtsreflex des Pferdes die Stütze hätte übernehmen können.

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Den Beutel zuschnüren 1



















































Um den Schüler etwas Neues zu lehren , solltest du die Manipulonen immer ungezwungen und spielerisch ausführen, damit er sie als sehr leicht empfindet. Verdeutliche ihm am Ende der Lektion die Veränderung, die du durch dein Manipulon bewirkt hast . Er kann z. B. den Kopf, die Beine, Arme oder eine Hüfte freier bewegen . BVH ist vermindert. Er hat gelernt , eine undifferenzierte Bewegung differenziert auszuführen ... Das nenne ich "den Beutel zuschnüren". Was jeweils unter "den Beutel zuschnüren" zu verstehen ist , geht u. a. aus den folgenden Erläuterungen hervor, die vier Beispiele abschließender Manipulonen beinhalten . Abb. 0.1 . Der Schüler liegt auf dem Rücken und du stehst hinter seinem Kopf. Nimm seine Hände wie bei einem Handschlag und beuge seine Unterarme (lass die Oberarme auf der Bank liegen) annähernd im rechten Winkel. Mach eine Bewegungskombination, die eine Handgelenkbeugung/ -streckung/-rotation und eine Ellbogenbeugung/-streckung/-rotation umfasst. Abb. 0.2. Hebe dann beide Arme vollständig und schwinge sie spielerisch in alle Richtungen . Schließe Bewegungen in Hand-, Ellbogen- und Schultergelenken ein. Abb. 0.3 . Der Schüler liegt auf dem Rücken. Lege seine Unterarme und Hände auf der Brust ab. Fasse seine Handgelenke über dem Handrücken/oberhalb der Handgelenke mit deinen pronierten Händen und nach innen rotierten Armen. Deine Finger befinden sich dabei auf seinen Unterarmen. Hebe die Arme in Richtung Zimmerdecke. Während du das tust , supinierst du seine Unterarme und rotierst sei ne Arme in den Schultergelenken nach außen.

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Abb. 0.4. - 0.5. Ziehe sie ein wenig , bis die Schulterblätter nachkommen. Lass die Schulterblätter auf die Bank fallen, bevor du die Arme weiter kranial streckst und ihn die angenehme Streckung genießen lässt. Oszilliere und versuche, die Bewegung auf den Brustkorb und die frei schwebenden Rippen bis zum Becken, den Beinen und Füßen auszuweiten. Führst du dieses Manipulon erst mit dem einen Arm , dann mit dem anderen aus, siehst du, dass sich die Wirbelsäule seitwärts bewegt und der Kopf mitrollt (zugefügte Elemente). Abb. 0.6. Der Schüler liegt auf dem Rücken. Setz dich ans Kopfende und fasse seinen Kopf seitlich so, dass der Hinterkopf in deinen Händen ruht. Deine Hände dürfen seinen Nacken nicht berühren. Positioniere deine Daumen vor den Ohren. Hebe den Kopf und warte bis der Schüler ihn dir überlässt. Rotiere, strecke und beuge ihn in den Diagonalen. Das vermittelt dem Schüler ein umfassendes Bild seiner neuen Bewegungsfähigkeit. Abb. 0. 7. Der Schüler liegt auf dem Rücken. Umfasse mit deiner linken Hand das Fußgelenk des gestreckten Beines (hier das linke) von unten und hebe es von der Bank weg. Platziere deinen rechten Daumen direkt unterhalb des Grundgelenkes des vierten Zehs und übe so Druck aus, dass sich der Kopf des Oberschenkels in die Pfanne dreht. Warte auf Akzeptanz und oszilliere danach kranial. Kontrolliere, dass sich die oszillierende Bewegung bis zum Kopf fortsetzt. (Er nickt ein wenig). Dank der Übertragung im Skelett breitet sich im ganzen Körper ein beruhigendes Gefühl aus. Beim Aufstehen erlebt der Schüler nicht nur das Gefühl von Leichtigkeit und Freiheit, sondern auch die Stabilität seines Körpers. Bitte den Schüler nach Abschluss der Lektion noch einen Augenblick liegen zu bleiben. Das ist sinnvoll, um dem Kortex Zeit zu geben, die neuen Bewegungsmuster zu organisieren. Mittlerweile genießt der Schüler die Entspannung seines Körpers. Am Ende der Lektion kann ein Schüler die unterschiedlichsten Reaktionen zeigen. Es kann durchaus passieren, dass er von der Bank aufsteht und seinem Gefühl der wiedererlangten Freiheit und Beweglichkeit mit Freude, aber auch durch Weinen Ausdruck verleiht. Ein anderer glaubt, das neue Gefühl durch witzige Bemerkungen überspielen zu müssen. All diese Reaktionen zeigen, dass die Schüler den Beutel selbst zugeschnürt haben.

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Zusatz - Metakommunikation •

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Metakommunikation ist der verbale Hinweis, den du gibst , um das gleichzeitig ausgeführte Manipulon zu verdeutlichen. Stell dir vor, du willst den Arm des auf dem Rücken liegenden Schülers quer über die Brust und seine Hand auf die Schulter legen. Wenn du den Arm hebst , assoziiert der Kortex sofort das gewohnte Bewegungsmuster, das den Arm nach oben streckt. Dessen erste Komponente ist die Armbewegung, die du gerade ausgeführt hast. Der Kortex löst reflexmäßig die assoziierte Bewegung des gewohnten Musters aus. In ihm werden - der Schüler ist sich dessen unbewusst - die Muskeln um das Schultergelenk gespannt. Du kannst die Bewegung nicht deiner Absicht entsprechend vollenden und der Arm bleibt gestreckt. Es ist also weder BVH noch eine Reaktion des Schutz- oder Gleichgewichtsreflexes, die den Arm nach oben gestreckt hält , sondern das vom Gehirn assoziierte Bewegungsmuster. Die vom Kortex ausgeführte Bewegung (entsprechend dem Reflexmuster) kann nur mit Willkür abgebrochen werden. Der Arm muss völlig entspannt sein, damit du deiner Intention folgen kannst. Deine verbale Unterstützung des Manipulons (dein Metakommentar) könnte lauten : ,,Lass den Arm fallen!" Forderst du den Schüler auf , den Arm herunter zu nehmen, sendet er ein willkürliches Kommando an den Kortex, das diesen ein anderes Reflexmuster assoziieren lässt, nämlich jenes , mit welchem der Arm gegen die Brust gedrückt wird. Du wirst dann erneut einen Muskelwiderstand spüren, wenn du deiner Intention folgend , seine Hand auf die Schulter legen willst.

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WIR LEBENMIT DER SCHWERKRAFT Physik

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«Ichfühle mich wie eine Afrikanerin, die ihren Wasserkrug auf dem Kopf trägt und mit dem ganzen Körper schwingt, wenn sie geht.»

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uf die Frage, warum wir Rückenschmerzen haben, könnte die Antwort lauten, dass der Schöpfung ein Fehler unterlief , als sie den Menschen aufrecht gehen ließ. Vielleicht wäre es besser gewesen, uns auf allen Vieren kriechen zu lassen, denn in diesem Fall wäre die Wirbelsäule einer geringeren Belastung durch die Gravitation ausgesetzt . Das ist jedoch nur teilweise richtig. Die Druckbelastung in der Längsrichtung der Wirbelsäule eines Vierfüßers ist nicht so groß wie die eines Zweibeiners , bei dem sich die Druckbelastung auf die Bandscheiben legt, die für cirka das Zehnfache des Körpergewichts dimensioniert sind. Im Vergleich dazu ist die Wirbelsäule eines Vierfüßers einer relativ riskanten Beugebelastung ausgesetzt, die leicht einen Bandscheibenvorfall auf der Unter seite der Wirbelsäule verursachen kann. Der wird gewöhnlich durch das gleichzeitige Belasten und Beugen der Wirbelsäule hervorgerufen . Das Skelett und die Muskulatur des Menschen - sofern sie nicht von BVH betroffen ist - stellt hinsichtlich der Gravitation eine außerordentlich ausgeglichene Konstruktion dar. Die menschliche Wirbelsäule ist tatsächlich geringer belastet als die eines Vierfüßers . Ist die Rückenmuskulatur eines Menschen jedoch durch BVH beeinträchtigt, aktiviert der Gleichgewichtsreflex zusätzliche Muskeln, um das Gleichgewicht aufrechtzuerhalten. Dadurch wird BVH in weiteren Muskeln verursacht und führt zur einseitigen Belastung der Wirbelsäule . Je mehr Muskulatur in ihrer Bewegungsfähigkeit eingeschränkt ist, desto stärker sind Gelenke und Wirbelsäule belastet . Wir fühlen uns nicht nur steif und müde, auch die Wahrscheinlichkeit auftretender Schmerzen nimmt zu. Ist es uns möglich, in einer solchen Lage BVH mithilfe der FM zu reduzieren oder uns sogar ganz davon zu befreien, könnten wir ein Gefühl erleben, das dem der Schwerelosigkeit ähnelt. Einen ehemaligen Schüler, einen Landarbeiter, konnte ich lehren, den Rücken dadurch aufzurichten, dass er sich stärker entspannte, anstatt sich anzuspannen. So gewann er die Steuerfunktion über die Muskeln, die für das Aufrichten des Rückensverantwortlich sind, zurück. Nach der Lektion rief er spontan aus: ,,Ich fühle mich wie eine Afrikanerin, die ihren Wasserkrug auf dem Kopf trägt und mit dem ganzen Körper schwingt , wenn sie geht."

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Das Stehen Wir können beim Stehen das Körpergewicht (die Gravitationskraft) auf beide Beine verteilen, aber früher oder später stellt sich das Bedürfnis ein, das Gewicht auf ein Bein zu verlagern.

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Ein Fußballer, der mit dem rechten Fuß spielt, kickt besser, sicherer und öfter mit dem rechten Bein als mit dem linken. Einige Spieler sind „Linksfüßer" und sollten demzufolge auf der linken Seite des Spielfeldes spielen. Hürdenläufer, Hoch- und Weitspringer haben ebenfalls ihr bevorzugtes Sprungbein. Das gilt auch für uns Normalbürger, die keine Sportstars sind . Wir stehen öfter, sogar viel öfter, auf einem Bein, nämlich dem bevorzugten je nachdem, ob wir linksbeinig oder rechtsbeinig sind. (Vgl. rechts- und linkshändig) Üben wir einen Beruf aus, in dem wir oft und über einen längeren Zeitraum stehen, sollten wir uns der Art und Weise des Stehens bewusst werden. Die einseitige Belastung des Körpers, hervorgerufen durch das bevorzugte Stehen auf einem Bein, kann einen Beckenschiefstand verursachen. Die Wirbelsäule hat sich in ihrem unteren Teil zur Seite geneigt. Der Gleichgewichtsreflex justiert dann eine Beugung des oberen Teils der Wirbelsäule zur anderen Seite , um das Gleichgewicht zu halten, was zu einer Skoliose führen kann. Die Muskeln, die der BVH ausgesetzt sind, sind für die willkürliche oder reflexmäßige Anwendung schwer zugänglich. Daher bewegen wir uns nicht so leicht und geschmeidig, wie wir sollten. Außerdem fällt es uns schwer, das Gleichgewicht zu halten. Ältere Menschen stürzen häufiger und brechen sich eher ein Bein oder die Hand. Sie setzen sich z. B. nicht gern auf ein Fahrrad. Befähige deinen Schüler, sich nicht nur seiner Bewegungen, sondern auch der Art und Weise des Stehens bewusst zu werden . Beginne die Lektion damit, den Schüler stehen zu lassen und bitte ihn nachzuempfinden , wie er sein Verhältnis zum Boden (zur Gravitation) erlebt. Lehre ihn , seine Propriozeption zu entwickeln. Falls es ihm an Tiefensensibiltät mangelt , wird es ihm schwerfallen, sich überhaupt zu spüren. Das Lenken seiner Aufmerksamkeit durch den Körper und dein Hinterfragen seiner Empfindungen werden ihm helfen , seine Propriozeption zu entwickeln. Bitte ihn, sich seine Wahrnehmung gut einzuprägen, um sie mit dem Gefühl nach Beenden der Lektion vergleichen zu können. Auch deine wiederholten Hinweise auf die Vorgänge im Körper schulen die Propriozeption des Schülers.

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Vielleicht wird er sich erst in seiner alltäglichen Umgebung über eine Veränderung der Bewegung bewusst wird.

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. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . Die Funktione n sind akzentu ierter, wenn wi r rennen, daher sind diese Bewegungen leichter zu analysieren.

Gehen Die optimale Dynamik, das Geheimnis der Weltrekorde bei den Sportarten Gehen und Laufen , setzt das reibungslose Rotieren der Wirbelsäule voraus. Die Sportler bewegen sich mit möglichst wenig Energieverbrauch vorwärts . Wie sich die Bewegungen zueinander verhalten , kann durch ein Strichmännchen veranschaulicht werden . Zwei horizontale Striche stellen die Schultern und das Becken dar. Sie sind in der Mitte durch eine Gerade (die Wirbelsäule) verbunden. An jedem Ende der beiden Horizontalen hängt eine Senkrechte, die Armen und Beinen entspricht. Drehst du die Wirbelsäule des Strichmännchens, um ein Rotationsmuster zu zeigen, erkennst du das Gehen eines Passgängers. Willst du die Arme und Beine in Pendelbewegungen versetzen , die einem menschlichen Gehmuster (dem, ei nes Wechselgängers) entsprechen , musst du eine gegensätzliche Rotation der Wirbelsäule ausführen . Die Schultern rotieren nach links , wenn die Hüften nach rechts rotieren. Ein Mensch mit einem steifen Rücken muss seiner Beinmuskulatur unweigerlich Gewalt antun , um laufen zu können. Eine frei rotierende Wirbelsäule ist daher die wichtigste Voraussetzung, um die Dynamik, die in der Beckenrotation und den Pendelbewegungen der Arme und Beine liegt , und die Kraft der Beinmuskulatur optimal ausnutzen zu können. Ist der menschliche Körper in seiner Bewegungsfähigkeit nicht durch BVH eingeschränkt , diktiert die Anatomie die verschiede nen Bewegungen des Gehens. Die Funktionen sind akzentuierter , wenn wir rennen , daher sind diese Bewegungen leichter zu analysieren. Beginnen wir den Lauf z. B. mit dem rechten Bein, sollte es auf die Art und Weise vorwärts geführt werden , dass das Becken nach links rotiert (Die rechte Hüfte kommt nach vorn.) Dann wird der Schwerpunkt so verschoben , dass der Gleichgewichtsreflex eingreift , um den Schultergürtel nach rechts zu rotieren. Durch die Bewegung des Schultergürtels wird der rechte Arm nach hinten geschwungen und nach außen rotiert . Der linke Arm schwingt vorwärts und rotiert nach innen , während die Beckenrotation nach rechts eingeleitet wird , wenn das linke Bein einen Schritt macht . Wenn dann der Schritt mit dem rechten Bein durchgeführt ist , d.h., wenn die Körperschwere zum linken Bein überführt ist , wird das rechte Bein nach hinten geschwungen. Dies trägt dynamisch dazu bei , dass die Körperschwere über

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dem Bogensegment die Seite wechselt, was das Becken beim Ausführen des Schrittes in ein Wippen versetzt. Wenn das rechte Bein wieder nach vorn geführt wird, bewirkt die Anatomie eine gleichzeitige Außenrotation. Beim Auftreten wird die Belastung anatomisch der Konstruktion des Fußes entsprechend verteilt. Das linke Bein führt exakt den gleichen Zyklus aus. Beide Zyklen greifen ineinander und bilden das komplette Laufmuster. Beim langsamen Gehen üben die Beine dieselben Zyklen aus, aber mit wesentlich weniger Dynamik. Somit können wir nicht sagen, dass Arme oder Beine „geschwungen" werden, sondern sie werden im Gegensatz zum Laufen relativ langsam und mit weniger Kraft und geringeren Amplituden bewegt . Es ist also verständlich, dass wir den niedrigsten Energieverbrauch erreichen, wenn die Bewegungsdynamik der Beine und Arme optimal ausgenutzt werden kann. Nach der Lektion kann die reduzierte BVH geradezu als Beeinträchtigung aufgefasst werden, falls der Schüler sein Stehen/Gehen als instabil oder schwankend empfindet. Dieses Gefühl kann durchaus über die Lektion hinaus anhalten. Mit dem Reduzieren der BVHgewinnt das Gehirn die Kontrolle sowohl über die Bewegung als auch über die Spannung des Muskels zurück, wobei die Letztgenannte verzögert auftreten kann (vgl. Paarkopplung bei Pandikulation), was das Gefühl der Instabilität erklärt. Es bedarf einer gewissen Zeit, sich an ein neues Selbstbild mit erweiterter Zugänglichkeit der Muskelfunktion zu gewöhnen. Erkläre deinem Schüler diese Zusammenhänge, dann wird er das ungewohnte Gefühl nicht als Beeinträchtigung seiner Bewegungsfähigkeit interpretieren .

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ANWEISUNGENFÜR DEN UNTERRICHT Ethik ••• ••••••• •••••••• •• •••• •

E

s kann lange dauern, bevor du eine Veränderung bei einem Schüler bemerkst. Wie lange er betreut werden muss, bevor er eine Entwicklung erkennen lässt, ist von individuellen Faktoren abhängig. Zu deinen Aufgaben als Lehrer gehört es, dich darauf zu konzentrieren, die Bedürfnisse des Schülers zu erkennen. Falls du bemerkst, dass er nach einigen Lektionen noch nicht in der Lage ist, deinem Unterricht zu folgen, empfiehlt es sich, diesen abzubrechen, um Zeitverschwendung und gegenseitige Frustration zu vermeiden. Schaffe eine positive Lernsituation , in der sich der Schüler gleichberechtigt fühlt. Ein Unterlegenheitsgefühl seinerseits wäre dem Lernprozess hinderlich .

Die von di r erteilten Lektionen verhelfen dem Schüler zu einem gesteigerten Körperbewusstsein, mit dessen Hilfe er seine Handlungen leichter steuern kann.

Vermeide es, deinen Schüler „in eine Schublade zu stecken". Es gibt keinen Maßstab, wie er aussehen oder auftreten sollte. Stattdessen solltest du ihm so begegnen, dass er sich akzeptiert fühlt. In der Feldenkrais-Methode ist es nicht angebracht, eine Diagnose im herkömmlichen Sinne zu stellen . Um die gewünschte Interaktion zwischen euch zu ermöglichen , solltest du ihm vor allem Empathie, Freundlichkeit , Wertschätzung und die Sicherheit deiner Hand entgegenbringen. Gib dem Schüler Zeit , sich gemäß seinem eigenen Rhythmus zu verändern. Er darf nie den Eindruck bekommen , dass die Zeit nicht ausreicht oder du bestimmte Erwartungen an ihn hast. Du führst keine Behandlung aus, sondern erteilst Unterricht , der dem Schüler Hilfe zur Selbsthilfe vermittelt. Du bist quasi das Medium , durch welches der Schüler zur Erkenntnis kommt. Die von dir erteilten Lektionen verhelfen ihm zu einem gesteigerten Körperbewusstsein, mit dessen Hilfe er seine Handlungen leichter steuern kann. Das Zusammenwirken zwischen euch in der FI-Lektion stellt hohe Anforderungen an dich. Um die interaktive Situation , die zwischen Lehrer und Schüler herrschen sollte, zu gewährleisten, musst du jede Gelegenheit wahrnehm en, deine Empathie mithilfe des Feedbacks durch deine Hände zu entwickeln. Das schult deine Fertigkeit, die Bedürfnis se deines Schülers zu er kennen, und dein Verständnis für seine Reaktion. Deine Interpretation der Gegebenheiten, die du mit deinen Händen spürst, und die Schilderungen des Schülers, geben dir

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Hinweise dafür, welche Manipulonen du wählen könntest, damit er eine verbesserte Selbststeuerung und ein tieferes Körperbewusstsein entwickeln kann. Du solltest dich auf deine „Werkzeuge" verlassen können, d. h. du solltest Einfühlungsvermögen und Kenntnis haben, wie du die Hebelarme deines Skeletts benutzt und deinen Schwerpunkt wechselst. Die Ausbildung befähigt dich dazu, deinen eigenen Körper einzusetzen, ohne zu ermüden oder Schmerzen zu bekommen.

Du musst dem Schüler das Gefühl von Sicherheit vermitteln.

lerne, deine Funktionen so zu steuern, dass Anstrengung vermieden wird , auch wenn der Schüler schwergewichtig oder durch ein hohes Maß an BVH stark beeinträchtigt ist und du in komplizierten Positionen behutsame aber klare Bewegungen ausführen musst. Du solltest in körperlichem und psychischem Gleichgewicht sein, sodass der Schüler deine Manipulonen als ruhig und sicher erlebt. Halte dich so nah wie möglich an ihn. Du musst ihm das Gefühl vermitteln, sich auf dich verlassen/dir anvertrauen zu können und von dir als derjenige akzeptiert zu werden, der er ist.

Verantwortung Wie in allen anderen Ausbildungen, liegt es in der Verantwo rtung des Schülers, dem Unterricht konzentriert zu folgen und die erworbenen Fertigkeiten und Erkenntnisse anzuwenden. Inwieweit er sie annimmt oder annehmen will, liegt außerhalb deiner Verantwortung.

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Allerdings gehört zu deiner Verantwortung, dem Schüler die richtige Einstellung zum Unterricht zu vermitteln. Gib ihm folgende Ratschläge: „Du hast dir diese Feldenkrais-Lektionen geleistet und solltest dich nicht damit zufriedengeben , dass du kein Leiden mehr hast. Das ist nicht das Wichtigste. Du bist z.B . mit bis zu den Ohren hochgezogenen Schultern herumgelaufen und hast jetzt gelernt , wie du sie in einer entspannten Position senken kannst. Das ist das Wichtigste . Die Veränderungen, die du während der Lektionen gespürt hast, sollten unbewusst (gewohnheitsmäßig) funktionieren, wenn du zurück in deine Alltagsumgebung gehst. Du kannst von dem Gelernten profitieren , indem du bewusster mit dir umgehst. Wir kennen alle das Gefühl, etwas vergessen zu haben. Auf dem Weg zum Laden spürst du z. B. eine leichte Unruhe und fragst dich, woher sie rührt, bis du dich plötzlich erinnerst , du hast das Portemonnaie zu Hause vergessen.

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Du hast es „unbewusst vermisst" . Sobald du wahrnimmst , dass dich etwas beunruhigt , fängst du bewusst zu suchen an, was es sein könnte . Der Assoziationsprozess des Gehirns (der einem Suchprozess entspricht) setzt sofort ein und rekonstruiert den Ereignisverlauf: Du hast die Einkaufsliste aus dem Notizblock auf dem Küchentisch mitgenommen , dich angezogen, ... die Tür geöffnet , das Haus verlassen, die Tür abgeschlossen und dich auf den Weg zum Laden gemacht ... Dann wird dir bewusst, dass etwas im gewohnten Ablauf der Ereignisse fehlte. Vor Öffnen der Haustür solltest du die Börse in die Tasche gesteckt haben. Hättest du das getan , hätte dein Unterbewusstsein dich nicht beunruhigt. Du weißt aus eigener Erfahrung, wie du dir helfen kannst, dich zu erinnern. Du gehst zurück, schließt die Tür auf und wiederholst die vorausgegangenen Handlungsabschnitte. Folge deinen Erlebnissen und Wahrnehmungen während der Lektion so aufmerksam, dass dein Unterbewusstsein unruhig wird , wenn du später z. B. unbewusst die Schulter hochziehst. Nimm in diesem Sinne bewusst und aktiv an den Lektionen teil, denn dadurch lernst du. Entwickle ein Gefühl für die Faktoren in deiner Umgebung, die Spannungen in deinem Körper verursachen. Ziehst du die Schultern hoch oder belastest den Arm unnötig beim Bedienen der PC Maus, sollte dein Unterbewusstsein Unruhe in dir auslösen, die dich spüren lässt, dass etwas nicht in Ordnung ist . Auch hier funktioniert der Assoziationsprozess des Gehirns. So wirst du daran erinnert, dich zu entspannen und die Schulter zu senken oder die Handposition zu ändern. Deine Propriozeption ist dafür von höchster Bedeutung , da du mit ihrer Hilfe lernen kannst , Muskeln bewusst zu entspannen . Über die Vertiefung deiner propriozeptiven Fähigkeit und die Schulung des bewussten Umgangs mit dir unterstützt die Feldenkrais-Methode diesen Suchprozess. Das ist die Hilfe zur Selbsthilfe , die eine Grundlage der FM ausmacht/ darstellt. Hast du Fragen zur Bedeutung der Propriozeption , erläutere ich sie gern näher."

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Die Vorbereitung der FI Sowohl Moshe Feldenkrais als auch Yochanan Rywerant empfehlen, die Schüler in einer Umgebung zu unterrichten, die einem Zuhause gleicht, sie willkommen heißt und ihnen Ruhe vermittelt, da das Lernen in häuslicher Umgebung leichter fällt .

.........................

Während der FI bleibt der Schüler bekleidet, trägt jedoch keine Schuhe. Er liegt meistenteils auf einer Bank, da der Gleichgewichtsreflex in dieser Position nicht in Funktion ist (auch wenn aktiviert) . Auf diese Weise sind die Nervenbahnen, die im Stehen vom Gleichgewichtssinn beansprucht sind, für die Aufnahme anderer Impulse frei , z. B. für die afferenten Signale, die du mittels Manipulonen von den Muskeln zum ZNSsendest. Der Schüler kann sich so auch leichter auf die Signale seiner Propriozeptoren konzentrieren, was das Lernen wesentlich erleichtert. Die sichere Position ist Voraussetzung für diese Konzentration, denn sie vermindert die Aktivität des Gehirnsektors , der für die räumliche Orientierung zuständig ist . Die verschiedenen stützenden Maßnahmen mithilfe von Kissen, Rollen und anderem Lagerungsmaterial , die bewirken , dass der Schüler bequem und entspannt liegt , nenne ich Lagerung. Führe die Lagerung so aus, dass nichts unangenehm drückt : lagere gut und bequem! Yochanan Rywerant sieht in der Lagerung sogar eine Voraussetzung für das erfolgreiche Ausführen des Manipulons. Viele Schüler, die , u. a. durch die verspannten Mm. iliopsoas (Hüftbeuger) bedingt , ein kräftiges Hohlkreuz haben, liegen auf dem Rücken. Die dabei vorhandenen Muskelspannungen hemmen die Fähigkeit des Schülers, der Lektion zu folgen. Daher ist eine geeignete Lagerung (Kissen unter die Kniekehlen) unbedingt notwendig.

Ein Bewegungsmuster erkennen ein Bewegungsmuster spüren Der äußere Eindruck, den der Schüler dir vermittelt und das Einführungsgespräch , das du mit ihm zu Beginn führst , sind von großer Bedeutung für dein Verständnis seiner Situation. Du erhältst Informationen über die Bewegungsmuster deines Schülers, sobald er das Zimmer betritt. Du siehst ein Flexionsmuster, ein schiefes Becken, die Haltung des Kopfes usw. Solche Beobachtungen können für dich hilfreich sein, denn sie liefern dir einen möglichen Ansatz für die Lektion.

......................... Das beste „ Werkzeug" in der Fl das du hast, sind deine Hände.

Beachte die Stimmlage des Schülers, die auf Stress hindeuten kann, die Bewegungen seiner Finger, Hände, Füße oder Augen.

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Während des Unterrichtes sollte der Schüler selbst zur Einsicht gelangen (Prinzip der Heuristik) , warum er unter Druck steht. Unterstütze ihn dabei , ohne ihn zu bevormunden . In Ergänzung deines visuellen Eindruckes verwendest du das beste „Werkzeug " in der FI, das du hast, nämlich deine Hände. Mit ihnen kannst du die Spannungen lokalisieren , die di r den Weg bei deiner Wahl der Manipulonen weisen.

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Bewegungsrichtungen

( Kardi na lrichtu ngen)

Wenn du Bewegungsrichtungen angibst , gehst du immer von der Sicht des Schülers aus. Begriffe wie "vorwärts , rückwärts , seit wärts , oben , unten , hinten ", werden vom Kopf aus in aufrechte r Stellung in allen räumlichen Positionen bet rachtet . Die Richtungsangaben können deswegen verwirrend sein. In liegender Position kann z. B. ,,nach oben " als „ vorwärts " auf gefasst werden. Zur Verdeutlichung verwendest du für deinen Schüler vorzugsweise klare Angaben wie: über den Kopf hinaus, in Richtung der Füße, nach links oder nach rechts , zur Decke hin , zum Rücken oder Bauch. Unter uns Lehrern verwenden wir die medizinische Terminologie , um Missverständnissen vorzubeugen. Flexion heißt Beugung: Flektieren ist beugen. Extension heißt Streckung: Extendieren ist strecken . Rotieren heißt drehen. Die Wirbelsäule rotiert z. B. nach rechts , wenn du den Kopf nach rechts drehst. Abduktion heißt die Bewegung eines Armes oder Beines seitwärts von der Körpermitte aus: Abduzieren heißt eine Abduktion ausführen. Adduktion heißt die Bewegung eines Armes oder Beines in Richtung der Körpermitte: Adduzieren heißt eine Adduktion ausführen. Kranial (cranium = Schädel) bedeutet in Richtung des Kopfes. Kaudal (cauda = Schwanzknochen) bedeutet in Richtung der Beine. Lateral heißt von der Mitte des Körpers weg. Lateralflexion heißt Seitenneige nach links und rechts.

Wird die Wirbelsäule nach links gebeugt, wölbt sie sich nach rechts und umgekehrt. Medial heißt in Richtung der Mitte des Körpers/der Körperteile.

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Proximal heißt zum Körper/zu den Körperteilen hin. Distal heißt vom Körper/ den Körperteilen weg. Dorsal bedeutet auf der Rückseite. Ventral bedeutet auf der Vorderseite. Supination bedeutet den Fuß oder die Hand so zu drehen, dass die Fußsohle oder Handfläche zu sehen ist: Supinieren heißt eine Supination ausführen. Pronation bedeutet, den Fuß oder die Hand so zu drehen, dass der Fuß- oder Handrücken zu sehen ist. Pronieren bedeutet eine Pronation ausführen. Die Plantarflexion beugt den Fuß zur Fußsohle. Die Dorsalflexion beugt den Fuß zum Fußrücken.

Wer sucht Hilfe durch die FeldenkraisMethode? Ein Schüler mit Muskelschmerzen wendet sich an dich, um von ihnen befreit zu werden. Er weiß nichts von Selbststeuerung, dem Lernen oder dem Wiedererlernen von Bewegungsmustern, und oft kennt er nicht einmal die Ursache seiner Schmerzen. Er geht davon aus, dass du ihn heilen kannst - und nicht er sich selbst.

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Deswegen musst du ihm von Anfang an klar machen, dass Feldenkrais ihn nicht heilt, sondern ein Unterricht ist, der ihn lehrt, sich selbst zu helfen. Betone ausdrücklich, dass er aktiv und konzentriert teilnehmen muss, um für sich höchstmöglichen Nutzen aus den Lektionen zu ziehen. Für ein gutes Resultat ist es natürlich von großer Bedeutung, welche Einstellung der Schüler zu den Möglichkeiten der FM hat. Der Schüler hegt zwar starke Hoffnungen, Hilfe zu bekommen, ist aber gleichzeitig skeptisch, ob es sich lohnt, für eine Methode Geld auszugeben, die immer noch nicht wissenschaftlich anerkannt wird. Begegne ihm daher mit ruhigem und bestimmtem Verhalten. Demonstriere, was du erreichen kannst, indem du ihm die Verlängerung eines Beines zeigst und ihn diese deutlich spüren lässt.

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Warum FM? 1



















































Eine Feldenkrais-Lektion verzögert die Entropie und fo'rdert das Beibehalten unserer Fähigkeiten.

Ein Mensch verliert jeden Tag Hunderttausende von Zellen. Der Prozesswird Entropie genannt. Die Geschwindigkeit der Entropie ist von vielen physischen und psychischen Faktoren abhängig. Es ist allgemein bekannt, dass diejenigen, die einer physischen oder psychischen Aktivität regelmäßig nachgehen, ihre körperlichen bzw. psychischen Fähigkeiten länger behalten. Eine Feldenkrais -Lektion hat die gleiche Wirkung, sie verzögert die Entropie und fördert das Beibehalten unserer Fähigkeiten. Für den Schüler ist das Schulen seiner Propriozeption, mittels derer ihm seine Bewegungsfunktionen bewusst werden, das Wichtigste. Er lernt die zusammenhänge kennen und dadurch erfährt er, wie sein Soma beeinflusst werden kann. Er gelangt zur Einsicht, wie er sich bewegen sollte, um sich wohlzufühlen. Seine Entropie wird im gleichen Maße verzögert , wie er die Erkenntnisse der Methode in die Praxis umsetzt.

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SOMATIK Eine neue Disziplin

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n den Fachbereichen Physiologie, Neurologie, Psychologie, Psychiatrie, Medizin, Physiotherapie usw. beschäftigen sich die Fachkräfte meist nur mit ihrem speziellen Gebiet. Sollte die Behandlung eines Patienten innerhalb eines anderen Bereiches erforderlich werden, wird eine Überweisung ausgeschrieben. Es gibt keinen Bereich innerhalb der etablierten Medizin, der sich auf die ganzheitliche Betrachtung des Menschen spezialisiert hat.

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Somatikunterricht (z. B. die Feldenkrais -Methode) ist bisher der einzig bekannte Weg, um Kenntnisse über die Muskelsteife, die BVH genannt wird, zu erlangen und herauszufinden, wie die Beeinträchtigung unserer Bewegungen und die daraus resultierenden Schmerzen in unseren Muskeln verhindert werden könnten. Eine abgeschlossene Ausbildung zum Physiotherapeuten kann einerseits eine gute Grundlage für die Ausbildung zum Feldenkrais-Lehrer (Somatiklehrer) bilden, da sie gute Kenntnisse in Anatomie und Krankheitslehre vermittelt. Andererseits kann sie auch Nachteile mit sich bringen, die ich im Folgenden erkläre. Die schwierigste Umstellung für einen Physiotherapeuten ist es, seinen Patienten ganzheitlich zu betrachten. In der Schulmedizin wird der Fokus meist auf die schmerzende Körperregion gelegt, während ein Somatiklehrer den Menschen lehrt , Gebrauch von seinem ganzen Ich, seinem Soma, zu machen und ihn auch in seinem persönlichen Umfeld betrachtet. Die Somatikmethoden sind darauf ausgerichtet, BVH zu vermindern und bestenfalls zu beseitigen. Sie bewirken das Lernen neuer Bewegungsmuster im Gehirn bzw. das Wiedererlernen der Funktionen der von BVH betroffenen Muskeln. Neben der Muskelfunktion wird auch eine stärkere Muskelkraft zugänglich. Der Kortex erhält dadurch Zugang zu jedem von BVH befreiten Muskel und kann diesen wieder nutzen. Der Schüler muss zu der Einsicht gelangen, dass jegliche Veränderung eines Teils seiner Muskulatur gleichzeitig Einfluss auf alle anderen Körperbereiche nimmt. Der Erfahrungsaustausch zwischen den medizinischen Fachbereichen funktioniert nicht immer. Es kann mehrere Jahrzehnte dauern, bevor der Fortschritt in einem Bereich der Medizin auf einen anderen Bereich übertragen wird, auch wenn dieser unmittelbaren Nutzen davon haben könnte. Die so genannte neue Archäologie ist ein beeindruckendes Beispiel dafür, von welcher

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Tragweite der vollständige Informationsaustausch zwischen verschiedenen Bereichen sein kann. Das zeigt sich in der Sammlung aller neuen Erfahrungen innerhalb der Archäologie und aller anderen Zweige der Wissenschaft und der daraus resultierenden revolutionär en Entwicklung auf diesem Gebiet. Vielleicht sollte die etablierte Medizin, inkl. der Physiotherapie, eine ähnliche Entwicklung anstreben , indem die Mitglieder sich gegenseitig informieren bzw. alle Anteil an dem haben lassen, was erreicht wurde und somit innerhalb der gesamten Somatik angewandt werden kann. Die Somatik umfasst mittlerweile ein in fast 30 Jahren durch Intuition gesammeltes Know-How, das auf den praktischen Erfahrungen der Feldenkrais-Methodiker basiert. Darum konnte sie, wie auch andere Somatikmethoden, nicht von der medizinischen Wissenschaft anerkannt werden.

Die Quantenphysik liefert di e wissenschaftliche Bestätigung dafür, dass die Somatik auf dem richtigen Weg ist.

Inzwischen können die grundlegenden Ideen der Somatik auf wissenschaftliche Weise erklärt werden. Die letzten Ergebnisse wurden in Schweden am „ Staatlichen Institut für Arbeitswelt" (Universität Umea) von dem bereits verstorbenen Professor Hakan Johansson und seinen namhaften Mitarbeitern erarbeitet. Sie konnten nachweisen, wie Bewegungsvergessenheit entsteht. Hakan Johansson übernahm die Bezeichnung Bewegungsvergessenheit, meine Übersetzung des von Thomas Hannas geprägten Begriffes „sensory motor amnesia". (Vgl. Kapitel BVH) Die Quantenphysik liefert die wissenschaftliche Bestätigung dafür, dass die Somatik auf dem richtigen Weg ist. Es gibt mehrere prominente Philosophen und Schriftsteller , die sich damit befasst haben. Meines Erachtens ist hier Danah Zohar allen anderen überlegen. In ihrem Buch „ The Quantum Seif, A Revolutionary View of Human Nature and Consciousness Rooted in the New Physics", von 1990 hat sie im Kapitel 7 (Body and Soul) die Relation zwischen Körper und Seele so deutlich dargelegt, dass kein Zweifel mehr an der Einheit dieser beiden Begriffe bestehen kann. Wi r sind jedoch so an den Ausdruck " Körper und Seele" gewöhnt, dass wir ihn verwenden, ohne darüber nachzudenken. So kann man auch verstehen, wenn Feldenkrais-Lehrer (Somatiklehrer) diesen Ausdruck in Artike l n und Vorträgen verwenden, urn den Sinn ihrer Botschaft möglichst vielen verständlich zu machen. Meine Studenten jedoch sollten diese Bezeichnungen möglichst meiden. Somatik sollte ein Zweig der etablierten Medizin sein. Darauf machte Thomas Hanna bereits 1988 aufmerksam. Innerhalb der Medizin werden heute noch Krankheiten entweder als physisch oder psychisch betrachtet. Ich möchte jedoch behaupten, dass

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kein Patient nur seelische oder nur körperliche Schmerzen empfindet. Mit geübter Propriozeption, auf deinen Schüler konzentriert, erhältst du leicht die Bestätigung dafür, dass sich Schmerz niemals nur in den Muskeln befindet, sondern auch in dem Teil des Somas, das wir der Einfachheit halber Seele nennen. Es ist immer ein Vorhandensein beider Komponenten . Je mehr du das beobachtest und das Wissen darum in deine Lektionen einfließen lässt, desto größere Erfolge wirst du in deiner Praxis erzielen . Ein Leiden , das der Mensch sich durch psychische Faktoren zugezogen hat , wird psychosomatisch genannt. Plagen ihn trotz aller Verordnungen durch den Arzt (Medikamente, Physiotherapie , Massage u. m.) immer noch Schmerzen und ihm kann nicht geholfen werden, wird die Diagnose „psychosomatische Erkrankung" gestellt und ein Antidepressivum verordnet. Sollte dies nicht helfen, wird dem Patienten häufig erklärt, dass er den Schmerz akzeptieren und mit ihm leben müsse. Das Wissen um die Somatik ist derzeit so lückenhaft, dass es leider immer noch an Möglichkeiten fehlt , das Leiden zahlloser Patienten vom ganzheitlichen Gesichtspunkt aus zu lindern. Körper und Seele sind eine Einheit. Diese Einsicht ist für einen Feldenkrais-Lehrer (Somatiklehrer) von prinzipieller Bedeutung , besonders mit Hi nblick auf die Zukunft. Ich habe die Vision, dass meine Studenten den Mut haben werden, dem Beispiel des Autoherstellers BMW zu folgen, der sagte: ,,Wir folgen nicht der Entwicklung , wir führen sie!"

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ANWENDUNG Forschungsparadigma •• • • ••• • • • • • •• • • • • • • • ••• •

Durch das Studium zweier Forschungsparadigmen wird ermittelt, wie die Wirklichkeit beschaffen ist : Erstens: das quantitative Paradigma (das die Hypothese prüfende und experimentelle), das auf Grundlage der Statistik erklärt wird. zweitens: die qualitative Fallstudie . Fallstudien werden z. B. in der Medizin , der Anthropologie, der Psychologie, der Soziologie, der Arbeitswissenschaft und der Pädagogik aufgestellt. Sie schließen eine genaue Beschreibung des Individuums mit Hinblick auf die Einsichten bzw. Erkenntnisse und Interpretationen einer gewissen Situation ein. Der Fokus liegt mehr im Zusammenhang, als in spezifischen Zahlenwerten und das Ziel ist eher, Neues zu entdecken, als zu beweisen. Kennzeichnend für solche Fallstudien sind vier grundlegende Eigenschaften: Sie sind partikularistisch/spezifisch, induktiv , heuristisch und deskriptiv. Die Studien wurden durch Beobachtungen und Befra gungen/ Interviews ermittelt. Da jeder Mensch individuell reagiert, ist es klar, dass die qualitative Fallstudie die einzig anwendbare ist , wenn du studie ren willst , was während einer FI-Stunde mit einem Schüler geschieht. Dabei lernst du auch, die Stunden so aufzubauen, dass jede für sich genommen zur Fallstudie wird . Feldenkrais-Lektionen sind:

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ein Reiz (Dehnung);



ein Sensor (Muskelspindel), der den Reiz in Stimuli transfor miert (Signale);



afferente (sensorische) Nervenbahnen, die die Erregungen direkt oder mittels einer oder mehrerer Synapsen (Übertragungsstellen) zum Rückenmark leiten;



das Rückenmark, in dem die afferenten Erregungen zu efferenten Stimuli umgewandelt werden ;



efferente (motorische) Nervenbahnen für den Transport der Stimuli vom Rückenmark zum Muskel (Effektor, Erfolgsorgan);



ein Muskel, der kontrahiert, Stimuli getroffen wird.

wenn er von den efferenten

Erläuterungen zu den Lektionsbeispielen Die folgenden Lektionsbeispiele (LB) unterstützen dich dabei , dir die Manipulonen so einzuprägen , dass sie schließlich zur Gewohnheit (zum Reflexmuster) werden. Aus diesem Fundus, der dir beim Zusammenstellen von Lektionen von großem Nutzen sein wird, kannst du immer schöpfen, ohne daran denken zu müssen, wie die Manipulonen ausgeformt werden.

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Die Lektionsbeispiele sind Vorschläge. Solltest du einen Schüler treffen , auf den die genannten Beispiele passen, musst du ihnen natürlich nicht blind fo lgen. Meine Absicht ist es, dir Assoziationen für Manipulonen zu geben, die du selbst - von deinen Eindrü cken geleitet - jedem speziellen Fall entsprechend gestaltest. Wo es darum geht, Muskelarbeit zu übernehmen, benenne ich die Muskeln meist. Die genannten Muskeln sind für die Lektion von primärer Bedeutung.

Lektionsbeispiel 1 - Lektionstaktik Brigitte klagt über Schmerzen in der rechten Schulter und im Oberarm . Erkläre zunächst , dass die Lektionen darauf hinauslaufen, sich der unbewussten Spannungen bewusst zu werden und diese Spannungen steuern zu lernen.

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Du siehst, dass sie eine steife und überstreckte Körperhaltung hat. Bitte sie, Platz zu nehmen, um die Beschwerden zu besprechen . Es ist immer gut zu erfahren, was die Schmerzen verursacht haben könnte . Frage sie deshalb , ob sie sich gestresst fühlt, ob sie einem Trauma ausgesetzt gewesen ist oder eine routinemäßige Arbeit ausführt . Sie antwortet darauf , dass sie längere Zeit schwierige Arbeiten (mit der Maus) am Computer ausgeführt hat. Du erkennst, dass ihr Schutzreflex seit längerer Zeit aktiv ist, und kannst die Ursachen für die Beschwerden folgendermaßen rekapitulieren:

Die Arbeit verursachte Stress, der seinerseits den Schutzreflex ausgeläst hat, der zu der allgemeinen Steifheit führte.

Die komplizierte Arbeit verursachte Stress, der seinerseits den Schutzreflex ausgelöst hat, der zu der allgemeinen Steifheit führte. Brigitte bediente über einen längeren Zeitraum die Maus mit der rechten Hand, was in Arm und Schulter zur BVH führ te . Entwickelt sich die BVH so weit , dass Schmerzen auftreten , steigert der erhöhte Schutzrefle x automatisch den Tonus der beugenden Muskeln des Armes und des Brustmuskels, sodass die Schulter nach vorn gezogen wird. Die vorgeschobene Stellung der Schulter ist Teil der Ausdrucksweise des Schutzreflexes , wo durch die Neigung des Körpers nach vorn verstärkt wird. Um das Gleichgewicht auszubalancieren (und das Fallen nach vorn zu vermeiden), muss der Körper aufrecht gehalten werden, indem die Rückenmuskeln konstant durch den Gleichgewichtsreflex gespannt werden. Daher also ihre steife und kerzengerade Kör-

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perhaltung. Sie hat sich an das Extensionsmuster gewöhnt. Das ist ihr gegenwärtiger Zustand. Da sie sich ihres Zustandes nicht bewusst ist, empfiehlt es sich, ihr diesen detailliert zu erklären. Mache ihr den Teufelskreis bewusst, in dem sie sich befindet: Schulterschmerzen - Schutzreflex - Gleichgewichtsreflex - gespannte Rückenmuskeln (die Extensoren) - erhöhte Schulterschmerzen usw.: „Der Teufelskreis wird dadurch verstärkt, dass du im Alltag die Arme bei allen Verrichtungen einsetzt. Jedes Mal, wenn du die Arme nach vorn streckst, würdest du das Gleichgewicht verlieren (also auf die Nase fallen), wenn nicht der Gleichgewichtsreflex deinen Körper mithilfe der Rückenmuskeln sofort aufrichten würde, während du z. B. das Essen zubereitest, die Tür öffnest oder die Computermaus bedienst." Wenn sie das nachvollziehen kann, sollte sie auch verstehen können, warum du nun zuerst versuchst, die Spannungen in den Rückenmuskeln aufzulösen , anstatt mit der Schulter zu beginnen. Ein weiterer Vorteil ist es, den schmerzenden Bereich zunächst unberührt zu lassen. Sie sollte so wenig wie nur möglich beunruhigt werden . lagere sie in liegender Position, die u. a. dem Auslösen des Gleichgewichtsreflexes vorbeugt. Dadurch wird Kapazität im ZNSfrei , was dir bessere Voraussetzungen für die erfolgreiche Kommunikation schafft. Bitte sie darum, sich in Seitenlage links auf die Bank zu legen (auf ihre unempfindliche Seite) . Während der Lektion sollte sie so entspannt wie möglich sein. Alle Bewegungen werden von dir - ohne ihre Mitwirkung - ausgeführt. Sie sollte sich völlig neutral verhalten, jedoch den von dir ausgeführten Bewegungen mit ihrer inneren Aufmerksamkeit folgen . Bitte sie, die Augen zu schließen , um ihren Wahrnehmungen konzentriert folgen zu können. Nimm ihre Hand, um ihren Arm im Ellbogen zu beugen. Mache sie darauf aufmerksam , dass sie nicht dei ne Hand, sondern die Armbewegung spüren soll - erst danach beugst du den Arm . Bild 1.1 Beginne jetzt mit der Lektion , indem du ihr rechtes Handgelenk und ihren rechten Arm umfasst und den Arm vor ihr auf die Bank legst. Falls sie jetzt nur die Hand aufstützt und ihren Arm/Ellbogen nicht ablegen kann, machst du sie darauf aufmerksam, damit sie ihr jetziges Empfinden mit den Veränderungen , die nach der Lektion auftreten können, vergleichen kann. Die Voraussetzung für das Herunterlegen des Armes ist die Rotation der Wirbelsäule. Lege deine Hände auf ihren Rücken und versuche , ihren Oberkörper nach links zu rotieren . (Die Schulter bewegt sich vorwärts.) Die Spannungen, die sich in den Muskeln (den Extensoren) , in den Diagonalen auf der Rückenseite

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zwischen der rechten Schulter und der linken Hüfte befinden, erlauben das vielleicht nicht. Dann ist es empfehlenswert, den Arm auf einem Kissen zu lagern, bis du die BVH in den Extensoren vermindert hast. Brigitte hat sich mit beinahe ausgestreckten Beinen hingelegt: Diese instabile Position wird durch die Spannungen verursacht, die zum Extensionsmuster gehören. Es ist BVH (die Steifheit in den Extensoren und den Gesäßmuskeln), die sie hindert, die Beine zu beugen. Bild 1.2 Lege deine Hände auf ihr Becken und ihren Brustkorb und rolle sie ein wenig hin und zurück. Mache sie darauf aufmerksam, wie instabil sie liegt. In dieser Lage spannt der Gleichgewichtsreflex die Muskulatur, ohne dass sie sich dessen bewusst ist. Um liegen zu können, ohne den Gleichgewichtsreflex auszulösen, muss sie die Beine bis etwa zum rechten Winkel in den Knie- und Hüftgelenken beugen können.

Nachdem du das Verständnis für den Zusammenhang zwischen der schmerzenden Schulter und den übrigen Teilen des Körpers erhöht hast, sind auch das Interesse und das Verständnis für weitere Bewegungshandlungen geweckt.

Stell dich vor sie und zeige ihr im Profil, wie ihr Streckmuster aussieht. Das Streckmuster bedeutet , dass die Schultern von den Muskeln der Schulterblätter zurückgezogen werden, die Wirbelsäule wird von den Rückenmuskeln nach hinten gestreckt und die Gesäßmuskeln werden gespannt. Demonstriere, wie weit du das Bein beugen kannst, wenn du im Streckmuster bist. Halte das Bein in dieser Position, entspanne deine Rückenmuskeln und zeige ihr, dass du jetzt das Bein zum rechten Winkel , vielleicht bis zum Bauch beugen kannst. Kläre sie darüber auf, dass der Widerstand also nicht vom schwachen M. iliopsoas (Hüftbeuger, demonstriere ihn) verursacht wird, sondern davon, dass die unbewusst gespannten Gesäß- und Rückenmuskeln (demonstriere sie) Widerstand leisten. Nachdem du ihr Verständnis für den Zusammenhang zwischen ihrer schmerzenden Schulter und den übrigen Teilen des Körpers erhöht hast, sind auch ihr Interesse und ihr Verständnis für weitere Bewegungshandlungen geweckt. Nun ist es an der Zeit für dich, mit ihrem Gehirn aktiv zu kommunizieren. Deine Absicht ist es, zuerst die BVH in den Rücken- und Gesäßmuskeln zu vermindern. Das geschieht folgendermaßen: Setz dich auf den Hocker an ihre Rückseite. Spüre mit deinen Händen den Muskel entlang der Wirbelsäule auf der rechten Seite, damit du dir ein Bild von der Spannung machen kannst. Bild 1.3 Danach legst du die linke Hand auf den Rückenmuskel und die rechte auf den rechten Beckenkamm und führst die Hände zueinander. Eine geschickte Hand sollte so leicht sein, dass durch sie nur die Haut bewegt wird. Um von ihr eine Antwort in Form eines Seufzens, eines tieferen Atemzuges oder einer ruhi geren Atmung zu bekommen , musst du dich vielleicht vorantas-

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ten. Führst du das Manipulon mit dem richtigen Druck aus? In die richtige Richtung? Vielleicht musst du das Manipulon entsprechend ihres Atemtaktes ausführen? Wie gesagt - erprobe , bis du die Bestätigung bekommst , dass du Arbeit übernommen hast, d. h. BVH reduziert worden ist. Bild 1.4 Setze mit einem anderen Manipulon fort . Lege alle Fingerkuppen wie eine Perlenkette nebeneinander auf die rechte Seite der Wirbelsäule zwischen den Dornfortsätzen und den Rückenstrecker. Fange mit dem Brustkorb an und bleibe dort , bis du Arbeit in den Muskeln auf der rechten Seite der Wirbelsäule übernommen hast. Die Antwort besteht darin , dass die Wirbelsäule i n eine Seiten neige auf die Bank sinkt . Lege dann die Finger auf die Lendenwirbel und setze die Perlenkette bis zum Becken fort. Wäge Druck und Richtung usw. ab. Da die Rückenmuskeln der linken Seite in dieser Lage Antagonisten der rechten Seite sind, entspannen sie sich entsprechend. Die Diagonalen

Q

Durch das Anbeugen der Beine erfährt der Körper eine Stütze und der Gleichgewichtsreflex kann ruhen.

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Bild 1. 5 Diese Entspannung kannst du hervorheben, indem du eine Hand auf den Beckenkamm und die andere auf den unteren Teil des Brustkorbs legst, um die Hände zueinander zu führen . Hierbei übernimmst du Arbeit in den Taillenmuskeln. Gleichzeitig (und das ist wichtig) nähern sich Ursprung und Ansatz der Rückendiagonalen sowohl zwischen der rechten Schulter und dem linken Becken als auch zwischen der linken Schulter und dem rechten Becken (Abb . links, B wird zu D und A zu C verkürzt). Dadurch wird die Spannung in den Diagonalen vermindert, was die Voraussetzung für die Rotation der Wirbelsäule ist. Jetzt ist die BVH in den Extensoren so vermindert, dass es möglich ist, Brigittes Beine zu beugen. Stelle dich in Höhe ihrer Knie; fasse mit deiner linken Hand/Unterarm in die Kniekehlen und mit deiner rechten Hand unterhalb ihres linken vorderen Oberschenkels. Beuge beide Beine in den Knien und Hüften bis zum rechten Winkel und mache Brigitte darauf aufmerksam, dass diese Position stabiler ist, als mit ausgestreckten Beinen zu liegen. Durch das Anbeugen der Beine erfährt der Körper eine Stütze und der Gleichgewichtsreflex kann ruhen. Ihr ZNS ist nun zur Aufnahme der nächsten Lektion (LB 3) bereit , in der du ihr die Funktion des Armes zeigst. Nimm das Kissen (falls sie eines hat) unterhalb des rechten Armes weg und zeige ihr, wie weit sie nun die Arme vor sich legen kann. Du kannst sie darauf aufmerksam machen, dass diese Bewegung möglich ist, da die rechte Schulter durch die Rotation der Wirbelsäule nachfolgen kann.

Ein wichtiger Einschub Ich habe bereits die Stabilität der Seitenlage erwähnt, wenn die Beine in den Knien und Hüften im rechten Winkel gebeugt sind. Es ist damit nicht gesagt, dass alle Schüler diese Lagerung als bequem empfinden. Männern kann diese Position aufgrund der Lage der Genitalien durchaus unangenehm sein. Dadurch würde das Lernen beeinträchtigt.

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Bitte den Schüler sich bequem zu kleiden.

Aus demselben Grund halten Männer die Knie meist auseinander, während Frauen - auch bedingt durch deren Erziehung - die Knie meist zusammenpressen. Beachte beim Ausführen der Manipulonen also die männliche Körpergestalt. Achte ebenfalls darauf, dass deine Bewegungen nicht über die Kleidung des Mannes zu den Genitalien übertragen werden . Du solltest dem weiblichen Busen selbstverständlich die gleiche Beachtung schenken. Sorge dafür, dass deine Manipulonen für den Schüler trotz der Kleider deutlich und unmissverständlich sind. Dazu gehört auch, dass du ihn bittest, sich bequem zu kleiden. Andererseits kannst du seine Kleider auch nutzen, um das Manipulon so auszuformen, wie du es haben möchtest.

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Lektionsbeispiel 2 - Differenzierung • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •

Karin hat einen steifen Nacken und unter anderem Schwierigkeiten, den Kopf beim Rückwärtsfahren mit dem Auto genügend zu wenden. Lass sie auf einem Stuhl Platz nehmen. Bitte sie, den Kopf zusammen mit dem Körper einige Male nach rechts zu drehen und dabei zu beachten, wie weit sie (ohne Anstrengung) an der Wand nach rechts blicken kann. Sie macht eine undifferenzierte Bewegung. Bitte sie, die Bewegungen dann nach links auszuführen, um den entsprechenden Punkt an der Wand zu benennen. Karin legt sich nun in Rückenlage auf die Bank. lagere den Kopf so, dass du ihn maximal rotieren kannst. Verfahre wie folgt:

Wirbelsäule

*\

tKopf)

Bild 2.1 Setz dich an ihr Kopfende und lege die Fingerkuppen deiner beiden Hände von unten an ihre linke bzw. rechte Spina scapulae (die Schulterblattgräte). Gib einen schwachen Druck aufwärts in Richtung Zimmerdecke. Wenn die Antwort kommt, hast du Arbeit in den Flexoren übernommen.

Schulter

)

~Schulterblatt Ausgangslage

Die Bewegungen rufen im Gehirn ein Ejferenzmuster ab, das eine gleichzeitige Bewegung der Wirbelsäule und Schulter enthält. Erkennt das Gehirn dieses Bewegungsmuster, wird es leichter fallen, den Kopfz. B. beim Rückwärtsfahren zu wenden.

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Bild 2.2 Danach hebst du mit demselben Griff nur die linke Schulter Richtung Zimmerdecke. Dabei rotieren die Wirbelsäule und der Kopf nach rechts. Dann hebst du nur die rechte Schulter, wobei die Wirbelsäule und der Kopf nach links rotieren . Lass uns von der leichteren Rechtsrotation ausgehen. (Sie ist also gewohnheitsmäßig.) Führe eine undifferenzierte Rotation aus, d.h. du hebst die Schulter mit deiner linken Hand, legst gleichzeitig deine rechte Handfläche auf ihre Stirn und rotierst den Kopf nach rechts zur Antagonistengrenze . Dann übernimmst du Arbeit teils i n den diagonalen Muskeln von der linken Schulter zur rechten Hüfte , teils in den Muskeln, die die Rechtsrotation des Kopfes ausführen. Bild 2.3 Zur Erweite rung der Rotation musst du eine Differenzierung ausführen. Du hebst wieder die Schulter mit demselben Griff. Diesmal rotie rst du den Kopf jedoch in entgegengesetzter Richtung (also nach links ).

,,

. N.,'

gao,e w;,belsäole

D~ ne Finger--.,

)

Undifferenzierendes Manipulon

Wenn du den Kopf drehst, werden nicht nur die Halswirbel gedreht , sondern auch die Brustwirbel. Du übernimmst also gleichzeitig Arbei t (Reduktion der BVH) in den Rotationsmuskeln der Brustwi rbel auf der linken Seite der Wirbelsäule . Dank der Paarkopplung können sich dann die Antagonisten dieser Rotations muskeln (die Rückenmuskeln und die Muskeln der Vorderseite des Rumpfes) verlängern. Führst du anschließend noch einmal die undifferenzierte Bewegung aus, kannst du die Erweiterung des Bewegungsumfanges deutlich spüren. Wiederhole die Manipulonen ausgehend von der rechten Schulter . Karin setzt sich danach wieder auf den Stuhl. Bitte sie, sich einige Male undifferenziert nach rechts zu drehen und Notiz davon zu nehmen, dass sie sich nun (ohne Anstrengung) weiter nach rechts wenden kann. Lass sie die Bewegungen auch nach links ausführen . Nun kannst du den Beutel zuschnüren, indem du sie bittest , ihren Oberkörper und den Kopf einige Male undifferenziert nach rechts zu drehen und danach die differenzierte Bewegung auszuführen - den Oberkörper also nach rechts, den Kopf aber gleichzeitig nach links zu drehen. Lass sie die Bewegungen auch umgekehrt machen, d.h. wiederholend den Oberkörper und den Kopf nach links drehen (undifferenziert) und anschließend den Oberkörper nach links und gleichzeitig den Kopf nach rechts drehen (differenziert).

Die Halswirbelsäule

~ De;oe Haod)

Kopf

Diff erenzie rendes Manipu lon

Diese Bewegungen rufen in ihrem Gehirn ein Efferenzmuster ab, das eine gleichzeitige Bewegung der Wirbelsäule und Schulter enthält. Erkennt das Gehirn dieses Bewegungsmuster, wird es ihr leicht er fallen , den Kopf z. 8. beim Rückwärtsfahren zu wenden.

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Lektionsbeispiel 3 - ein Handlungsmuster • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •

Auch Affen verfügen über das der Bewegung entsprechende Ejferenzmuster, denn es ist vererbt, seit unsere Vorfahren in den Bäumen hingen.

In LB 1 beklagte sich Brigitte über Schmerzen in der rechten Schulter. Durch deine Manipulonen hat ihr Gehirn gelernt, die BVH in den Extensoren des Rückens zu vermindern, sodass sie jetzt die Schulter schmerzfrei vorwärts führen und gleichzeitig den Rücken rotieren kann. Du beabsichtigst nun, ihr ein bestimmtes Bewegungsmuster bewusst zu machen, das die Bewegungen des Armes, des Schulterblattes und der Wirbelsäule integriert, wenn sie den Arm über den Kopf hinaus streckt , um z.B. etwas oberhalb ihres Kopfes zu erreichen. Du kannst folgende Bewegung wählen: Während du deinen rechten Arm über den Kopf hinaus streckst, bewegt sich das Schulterblatt lateral/kranial und die Wirbelsäule beugt sich nach rechts. Dieser Bewegungsablauf entspricht einem in deinem Kortex gespeicherten Bewegungsmuster, das jetzt als Sollwert für das, was du Brigitte zeigen willst , dient. DasMuster schließt die Signale ein, die die vom Muster okkupierten Muskeln benötigen, um ihren Teil der Bewegung ausführen zu können. Sie bestimmen die Abfolge der Bewegungen und den Grad der Spannung. (In moderner Computersprache wird solch ein Efferenzmuster Makro genannt.) DasMuster dieser Bewegung ist angeboren. Es ist bemerkenswert, dass auch Affen über das dieser Bewegung entsprechende Efferenzmuster verfügen, denn es ist vererbt , seit unsere Vorfahren in den Bäumen hingen. Im menschlichen Gehirn kann es jedoch verblassen. Dir ist nun klar geworden, wie du die Bewegung ausführen willst. Gehe folgendermaßen vor : Bild 3.1 Brigitte legt sich auf ihre linke Seite. Setz dich auf einen Hocker vor sie in Höhe ihres Gesichts. Lege ihren rechten Unterarm auf deinen rechten Unterarm und deine linke Hand auf ihr Kreuz (streck dich über sie). Führe gleichzeitig ihren Arm am Kopf vorbei und rotiere Brigitte mit deiner linken Hand vorwärts (zu dir). Du stellst fest , dass ihre Bewegung begrenzt ist(= Istwert ), was auf die starke Anspannung der Antagonisten , d. h. der Rückenmuskeln, zurückzuführen ist und das Ausführen der Bewegung in ihrem vollen Umfang nicht zulässt. Obwohl Brigitte ihr angeborenes Efferenzmuster der vollständigen Bewegung hat (der Sollwert) , bleibt BVH in einigen der zum Muster gehörenden Muskeln bestehen . Dann formst du dir ein Bild von ihrem jetzigen Bewegungsmuster (dem Istwert) und machst sie darauf aufmerksam. Jetzt gilt es, die beiden Werte zu vergleichen und zu entscheiden, wo sich in der Kette der Ereignisse die Muskeln befinden, die die Bewegung hindern, d. h. es gilt die Muskeln ausfindig zu machen, die immer noch durch BVH eingeschränkt sind. (Sie hindern den Übergang von Ist- zum Sollwert.)

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Bild 3.2 Leg deine linke Hand auf ihr rechtes Schulterblatt. Bewege ihren Arm mit dem Schulterblatt zusammen nach vorn, bis du die Antagonistengrenze spürst. Dabei erfährst du die gewohnheitsmäßige Bewegungsgrenze des Schulterblattes (den Istwert). Die Muskeln zwischen diesem und den Antagonisten (Wirbelsäulen-/ Nacken-/ Hinterkopfmuskulatur) sind gespannt. Führe ihren Arm nach hinten und lass das Schulterblatt nachfolgen, bis du die andere Antagonistengrenze erreicht hast. Dabei spürst du, dass die Pectoralismuskeln gespannt sind (BVH liegt vor). Da Brigitte deshalb nicht die Bewegung nach dem angeborenen Muster ausführen kann, hat das Gehirn andere Muskeln (die zu ihrem Istwert gehören) beanspruchen müssen, um ihre gewünschte Handlung ausführen zu können (etwas oberhalb ihres Kopfes zu erreichen) . Um die Spannung in den Pectoralismuskeln zu vermindern, entscheidest du dich für folgende Manipulonen : Nimm ihre rechte Hand und lege den Arm vor sie auf die Bank. lagere den Unterarm mit einem Kissen, damit sie bequem liegt. Bild 3.3 Den Punkt, an dem die Bewegung beginnt, nennen wir den Ausgangspunkt. Fasse mit beiden Händen so in die Achselhöhle, dass sich deine Zeigefinger begegnen, hebe die Schulter (das Schulterblatt kommt mit) kranial und führe sie zum Ausgangspunkt zurück. Wiederhole in verschiedenen Winkeln. Du wirst einen Widerstand spüren (den Antagonistenwiderstand) oder ein Rucken. (Sie hilft unbewusst mit.) In eine gewisse Richtung wirst du spüren, dass die Bewegung leichter auszuführen ist. (Der Bewegungsumfang ist größer.) Das ist die gewohnheitsmäßige Bewegungsrichtung ihrer Schulter. Die Signale des Gehirns an die Muskeln, die Widerstand in den anderen Bewegungsrichtungen leisten, können von den Signalen an die Muskeln der gewohnheitsmäßigen Bewegung beeinflusst werden. Verfahre so: Führe die Bewegung in die gewohnte Richtung und wechsle unmittelbar danach zu einer anderen Richtung, gehe zu der Antagonistengrenze und wieder zurück . Wiederhole in alle denkbaren Richtungen, bis du überall denselben Bewegungsumfang erreicht hast. Wenn du Widerstand oder ruckartige Reaktionen verspürst, reagiert der Schutzreflex. Vermeide das Auslösen dieses Reflexes, indem du die Bewegung vom Ausgangspunkt in die gewohnte Richtung ziemlich schnell ausführst (Das gibt Birgittes Soma ein Gefühl von Leichtigkeit) und sehr langsam zum Ausgangspunkt zurückkehrst. Wiederhole die Bewegungen mehrere Male, während du die Geschwindigkeit in Richtung des Ausgangspunktes vorsichtig erhöhst, bis du die gleiche Geschwindigkeit in beiden Richtungen anwenden kannst.

Den Punkt, an dem die Bewegung beginnt, nennen wir den Ausgangspunkt.

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Geh langsam vor und nutze die Propriozeption deiner Hände so, dass du spürst, wann sich die Antagonistengrenzen bewegen. Auf diese Weise gibst du Brigittes Soma Sicherheit; die Voraussetzung für Akzeptanz. Mit der Akzeptanz hast du zum Teil Arbeit in den Muskeln zwischen dem Schulterblatt und der Wirbelsäule übernommen, in denen sich dann die BVH vermindert hat. Folglich nimmt auch die Spannung in den Pectoralismuskeln ab (Agonist - Antagonist). Auf dieser Grundlage kannst du nun mit deinen Manipulonen fortfahren. Die Bewegung des Schulterblattes hängt mit der Rotation der Wirbelsäule zusammen. Es ist einfacher, ein begrenztes Gebiet (hier das Schulterblatt) zu beeinflussen, wenn du in ein Manipulon einen großen Teil der Muskulatur integrieren kannst. Auf die Weise wird es für den Kortex leichter, das entsprechende Efferenzmuster zu finden. Darum entscheidest du dich für Manipulonen, die die Rotation der Wirbelsäule ermöglichen, da die großen Rückenmuskeln an der Bewegung teilnehmen. Geeignete Bewegungen für diesen Zweck sind undifferenzierte und differenzierte Rotationsbewegungen mit der Wirbelsäule vis-a-vis der Schulter und des Kopfes. Gehe folgendermaßen vor: Bild 3.4 Entferne das Kissen. Nimm ihren Ellbogen mit deiner linken Hand und stütze ihre Hand körpernah in Höhe ihrer Schulter auf die Bank. Abduziere den Arm zum etwa rechten Winkel und drücke den Ellbogen so in das Schultergelenk hinein, dass sich das Schulterblatt in Richtung der Wirbelsäule bewegt, bis du den Widerstand der Antagonisten (der Muskeln der Vorderseite) spürst. Bei Akzeptanz hast du Arbeit in den Muskeln zwischen dem Schulterblatt und der Wirbelsäule übernommen. Halte diese Position mit deiner linken Hand und lege deine rechte Hand auf ihre Stirn. Drücke jetzt weiter gegen den Ellbogen, während du gleichzeitig ihren Kopf in die gleiche Richtung (nach rechts) rotierst. Mit dieser undifferenzierten Bewegung übernimmst du Arbeit in den Muskeln der Rückendiagonalen zwischen der rechten Schulter und dem linken Becken und den Muskeln, die die Rechtsrotation des Kopfes ausführen . Warte auf Akzeptanz bevor du die Bewegung einige Male zwischen den Punkten, in denen du Widerstand spürst, wiederholst. Arbeite langsam und so synchron mit deinen Händen, dass die Rotation des Kopfes ganz der Rotation des Rückens entspricht. Die Bewegung sollte so gleichmäßig sein - auch beim Richtungswechsel -, dass Brigitte sie die ganze Zeit als eine ununterbrochene Stütze auffasst. (Du „schiebst den Widerstand vor dir her".) Lässt sich die Bewegung in vollständiger Geschmeidigkeit ausführen, ist es dir gelungen, alle Widerstände aufzulösen. Falls du muskuläre Dysbalancen in Form von Ruckartigkeit spürst, solltest du deine Bewegungen noch vorsichtiger ausführen und/oder vielleicht die Richtung ändern.

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Erreichst du keine zufriedenstellende Veränderung im Widerstand, änderst du die Taktik, d. h. du setzt das Rotieren der Wirbelsäule in die gleiche Richtung fort, während du den Kopf in entgegengesetzter Richtung rotierst (differenzierte Bewegung). Arbeite genauso behutsam wie während der undifferenzierten Bewegung. Wiederhole, bis du Akzeptanz bekommst. Weil die Kopfdrehung nicht nur die Nackenwirbel umfasst, sondern auch die Brustwirbel, hast du gleichzeitig Arbeit (Reduktion der BVH) in den Rotationsmuskeln der Nacken- und Brustwirbel auf der linken Seite der Wirbelsäule übernommen. Aufgrund der Paarkopplung können sich die Antagonisten der Rotationsmuskeln (die Rückenmuskeln und die Muskeln auf der Vorderseite des Oberkörpers) nun noch mehr verlängern. Schließe mit einer erneuten undifferenzierten Bewegung ab, um die neue Antagonistengrenze zu spüren.

Du "schiebst den Widerstand vor dir her':

Jetzt führst du das vorgesehene Strecken des Armes über den Kopf mit Brigitte zur Probe aus und stellst fest, dass ihr Schulterblatt noch immer auf Widerstand stößt , wenn du es nach unten/ vorwärts bewegst. Es gehört zum gewohnheitsmäßigen Muster, dass die Schulter in einer statischen Lage gegen den Hinterkopf gehalten wird , d. h. die Muskeln zwischen dem Schulterblatt und dem Nacken/Hinterkopf sind immer noch gespannt . Bild 3.5 Umfasse dann die Außenseite (Margo lateralis) des Schulterblattes und führe sie zusammen mit dem Arm in die aufwärts/nach hinten gerichtete Bewegung. Warte an der Antagonistengrenze auf Anerkennung. Wenn sie kommt, hast du Arbeit in den medial verlaufenden Muskeln des Schulterblattes und den Adduktoren sowie den Außenrotatoren des Oberarmes übernommen. Die Anerkennung bedeutet auch, dass sowohl deren Antagonisten als auch die Nackenmuskeln und deren Antagonisten nachgelassen haben. Nun kann sich das Schulterblatt in alle der Anatomi e entsprechenden Richtungen bewegen. Es ist jetzt für dich an der Zeit, ,,den Beutel zuzuschnüren". D. h. in diesem Falle , mit Brigitte die entsprechende Armbewegung auszuführen und gleichzeitig die Bewegung mit deinem eigenen Efferenzmuster (dem Sollwert) zu vergleichen. Verdeutliche den Zusammenhang zwischen der Wirbelsäulenrotation und der Bewegung des Schulterblattes und zeige ihr die Erweiterung ihrer Armbewegung durch die Integration von Schulterblatt und Wirbelsäule. Bild 3.6 Lege deine linke Hand auf ihr Kreuz (Hinzufügen eines Elementes) und zeige ihr, wie die Kraft, den Arm zu heben, in den Rücken-/Schulterblatt-/ und Armmuskeln verteilt wird und dass die größte Kraft von den proxima len Muskeln erzeugt wird .

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Sie könnte jetzt vielleicht einen Golfschwung machen oder Freistil schwimmen.

Streck ihren Arm aufwärts weit über den Kopf hinaus, lass sie die Streckung genießen und gleichzeitig empfinden , wie weit sie jetzt reichen und wie leicht sie ihre Rückenmuskeln strecken kann (Pandikulat ion). Lass sie danach mit ihrer linken Hand den äußeren Rand ihres Schulterblattes fühlen. Gewöhnlich tastet sie weit hinten , weil sie ihr Schulterblatt irgendwo auf dem Rücken vermutet . Wenn du dann ihre linke Hand nimmst und sie gegen den äußeren Rand legst , entdeckt sie erstaunt (Aha!), dass das Schulterblatt weit nach vorn , beinahe zur Vorderseite gebracht ist (und sie jetzt vielleicht einen Golfschwung machen oder Freistil schwimmen könnte). Wiederhole die Lektion auf Brigittes anderer Seite .

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Lektionsbeispiel 4 - Veränderung, die eine Veränderung bleibt Linda kommt zu dir und beklagt sich über Steife im Hohlkreuz. Ihre Beschwerden sind aller Wahrscheinlichkeit nach auf ein angenommenes gewohnheitsmäßiges Extensionsmuster zurückzuführen, das Resultat einer Reflexkollision ist. Linda ist so stark in ihren Bewegungen eingeschränkt, dass sie die Wirbelsäule weder beugen, strecken, rotieren noch zur Seite neigen kann. Sie bewegt das Becken nicht. Ihr Gang ist beeinträchtigt, da die Steifheit des Beckens das Vorwärtsschwingen der Beine hindert.

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Bitte sie, ein wenig im Zimmer hin und herzulaufen. Dann siehst du , dass sie die Beine nur wenig vorwärts schwingt und du hörst, dass sie die Fersen aufstößt. Bitte sie, das Aufstoßen der Fersen selbst zu beobachten und erkläre ihr, dass es durch ihren übertrieben aufrechten Gang verursacht wird. Die Körpermitte ist nach hinten versetzt. Bitte sie, sich auf den Rücken zu legen. Ihr Hohlkreuz liegt nicht auf der Unterlage auf. Frage sie, ob sie die Spannung im Rücken spürt. Wenn sie dies bejaht, bittest du sie, das Hohlkreuz mit den Händen zu ertasten und so den Abstand zwischen Rücken und Bank zu erspüren. Dieser Abstand ist ein Maß der Extension. Deine Intention ist es jetzt, die BVH in den zum Extensionsmus ter gehörenden Muskeln zu reduzieren . Du weißt aber, dass Extensions - und Flexionsmuster schwer zu beeinflussen sind . Es ist daher einfacher , wenn du mit Manipulonen für die Seitenneigung oder Rotation beginnst. Die dazu notwendigen Muskeln gehören auch zu den Extensions- und Flexionsmustern. Verfahre folgendermaßen: Bitte sie, sich auf eine von ihr gewählte Seite zu legen. Lass uns annehmen , sie hat die linke gewählt. lagere sie gut mit hochgezogenen Knien und setze dich hinter ihr Gesäß. Bild 4. 1 Platziere deine leicht geballte rechte Faust gegen den rechten , dorsalen Trochanter Major und die mediale Seite deiner linken Hand (Affenarm) gegen den Beckenkamm der Taille. Gib einen leichten Druck gegen den Trochanter in Richtung der Taille (ventral oder dorsal). Warte auf Akzeptanz . Wenn du sie bekommen hast, hast du Arbeit in den Muskeln auf Lindas rechter Seite bis zum Kopf übernommen (und das Gehirn bekommt die Assoziation einer Seitenneige). Wiederhole den Druck gegen den Trochanter einige Male. Beobachte, ob der Kopf nachkommt. Bild 4.2 Setze dich dann an ihren Kopf. Lege dein erstes, gebeugtes Fingerglied (die Grundphalanx) des rechten Zeigefingers auf den rechten Querfortsatz des siebten Halswirbels. Mit deiner linken Hand auf ihrem Scheitel richtest du ihren Kopf gerade in die Wirbelsäule hinein. Gib dann mit geradem und nach innen

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rotiertem Arm (Affenarm) einen Druck in die Wirbelsäule. Wenn du Antwort bekommen hast, hast du Arbeit in allen Muskeln übernommen, die die Wirbel der Wirbelsäule zusammenhalten . Dadurch, dass Lindas Wirbelsäule schon in einer leichten Seiten neigung nach links liegt (gegen die Unterlage drückt) und du mit deinem Zeigefinger axial gegen die Wirbelsäule drückst, wird die Seitenneigung verstärkt. Dabei hast du gleichzeitig Arbeit in den Muskeln der rechten Taille übernommen. Bild 4.3 Danach fügst du ein Element hinzu , indem du deine linke Hand auf Lindas rechten Beckenkamm legst und einige Male oszillie rst . So kann das Gehirn die Steuerfunktion über die Muskeln, die für die Seitenneigung des Beckens veran t wortlich sind, zurückgewinnen. Indem du Linda abschließend zeigst , wie leicht sie nun ihre Taille verlängern kann, wenn sie Seitenneigungen mit dem Becken macht , schnürst du den Beutel folgendermaßen zu. Bild 4.4 Stell dich jetzt hinter Linda in Höhe des Beckens und lege deine leicht geballte rechte Faust auf die Lateralseite des Sitzknochens und deine linke auf den rechten Beckenkamm nahe der Taille (deine Hände sollten leicht geballt sein. Benutze die Medialseit e des Zeigefingers und Daumens als Auflagefläche = Medialstellung , Affenarm.) Drück mit geraden Armen einige Male wechselweise gegen den Beckenkamm (ins Gewohnheitsmuster hinein) und den Sitzknochen (aus dem Gewohnheitsmuster heraus). Durch dieses Wiegen mit der Beckenseite als Hebel prägst du dem Gehirn das Bewegungsmuster der Seitenneigung ein . Da die Pendelbewegungen der Beine durch BVH in den Muskeln um das Hohlkreuz (Bauch- und Hohlkreuzmuskeln) beeinflusst werden könnten , solltest du zunächst das Ausmaß der BVH untersuchen. Fange mit den Bauchmuskeln folgendermaßen an: Bild 4. 5 Stelle dich vor ihr Kreuz und erkläre Linda, was du zu tun beabsichtigst. Lege eine Hand flach auf das Kreuz, die andere auf den Bauch. Du spürst, dass sie die Bauchmuskeln weder bei der Einatmung noch bei der Ausatmung bewegt (BVH liegt vor). Gib dann mit der Ausatmung einen deutlichen Druck (Stütze) gegen die Bauchmuskeln. Mit dem Druck übernimmst du Arbeit in den Bauchmuskeln und reduzierst BVH. Das Gehirn hat von den Rezeptoren des Teiles der Bauchmuskulatur, in dem BVH vorlag das Feedback bekommen, dass ein gewisser Teil der Arbeit dort nicht mehr notwendig ist. Der Kortex übernimmt also die Kontrolle über die Teile der Muskulatur, die von BVH beeinträchtigt waren. Lindas Bauchmuskeln bewegen sich jetzt. Ihr Gehirn hat das ursprüngliche Atmungsmuster gefunden. Indem du ihrer Atmung mit deinen Händen aktiv folgst, vertieft sie sich. Du spürst durch

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die Beckenkippung deutliche Bewegungen des Krummrückens und Hohlkreuzes . Nun sind die Voraussetzungen vorhanden, mit einer distalen Bewegung des Beines fortzusetzen. Dazu gehören die seitliche Beckenkippung und die Verlängerung der Taille. Die seitliche Beckenkippung ist ein wesentlicher Teil des Laufmusters. (Um das zu verstehen , brauchst du nur einem Läufer bei der Olympiade zuzusehen.) Setze auf folgende Weise fort: Bild 4.6 Fasse jetzt den rechten Unterschenkel mit der linken Hand an. Hebe und strecke das Bein gerade in Linie des Rückens. Unterstütze mit der rechten Hand unter der Kniescheibe und halte deinen Ellbogen gegen dich selbst so, dass Linda das gerade Bein als stabil erlebt . Rotiere das Bein in das Hüftgelenk nach innen (Der große Zeh zeigt zur Bank.) und gib einen kranialen Druck. Die Wirbelsäule wird so gebeugt und die Taille verkürzt . Warte auf Anerkennung. Wenn sie kommt, hast du weitere Arbeit in den Muskeln zwischen dem Brustkorb und dem Becken und um das Hüftgelenk herum übernommen. Behalt e das Bein in der rotierten Lage mit beibehaltenem kranialen Druck und führe es einige Male hin und her (oszilliere) , sodass die Taille verkürzt und verlängert wird . Daraufhin haben sich die Muskeln der rechten Taille verlängert und du kannst das Bein in einer geraden Linie mit der Wirbelsäule so hinlegen , dass der große Zeh zuerst die Bank erreicht. Indem der große Zeh mit der Bank Kontakt bekommt, schaltet der Schutzreflex aus und du kannst das Bein im entspannten Zustand ablegen. Unterlagere das Bein, falls es notwendig ist. Da du alle Komponenten des Gehmusters untersuchen willst , nutze in dieser Position die Gelegenheit, noch eine Komponente hinzuzufügen. Verfahre folgendermaßen: Bild 4. 7 Stell dich in Höhe Lindas Bauch, beuge dich über sie und lege die Finger beider Hände als Reihe entlang der Dornfortsät ze im Übergang zwischen den Brust- und Lendenwirbeln. Dein linker Unterarm ruht auf dem rechten Beckenkamm und dein rechter auf der rechten Brustkorbseite. Wenn du deine Hände zu dir führst, drückst du gleichzeitig zur Antagonistengrenze der rechten Taillenmuskeln die Unterarme leicht auseinander. Du übernimmst dabei Arbeit linksseitig in den Muskeln zwischen Becken und Brustkorb. Die vorliegende BVH wird aufgrund der Paarkopplung in den entsprechenden rechten Muskeln reduziert. Das Gehirn assoziiert eine Seitenneige der Wirbelsäule . Jetzt kannst du in die Flexions- und Extensionsmuster hineinge hen. Setze wie folgt fort:

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Bild 4.8 Lege ihr rechtes Bein auf das andere zurück. Fange mit einer undifferenzierten Bewegung an. Lege deine linke Hand auf den Beckenkamm und deine rechte auf ihre Brustkorbseite. Rolle sie nach hinten zur Antagonistengrenze und wieder zur Ausgangslage zurück. Stell dir vor, du rollst ein Nudelholz, ohne den Teig flach zu walzen. Mach so weiter, bis du spürst, dass sie ein Flexionsmuster annimmt. (Der Rücken wird gebeugt.) Du kannst nun den Beutel zuschnüren , wenn du eine differenzierte Rotation zwischen Becken und Brustkorb ausführst , indem du die linke Hand (die Hand auf dem Beckenkamm) in einer stufenweise vergrößerten Amplitude bewegst. Halte mit deiner rechten Hand die Brustkorbseite still, bis sich die Bewegung ungezwungen und entspannt anfühlt. Dann hat Linda auch das Extensionsmuster akzeptiert. Danach kannst du die Amplitude mithilfe der rechten Hand vergrößern . Bleibe in einem langsamen Takt, sodass du nicht den Schutzreflex auslöst. Das gibt dem Gehirn eine klare Erinnerung, wie beweglich das Becken im Verhältnis zum Brustkorb innerhalb des natürlichen Bewegungsmusters ist. Wiederhole die Manipulonen, während Linda auf der anderen Seite liegt. Probiere nun die Extension und Flexion (Beckenkippung) in einer anderen Position. Fordere sie auf, sich auf den Bauch zu legen und lagere sie gut. Lege eine Rolle so unter ihren Bauch, dass sich das Becken frei bewegen kann. Beginne damit , Arbeit in den Rückenstreckern zu übernehmen. Setze so fort: Bild 4. 9 Stelle dich an die lange Seite der Bank. Lege eine Hand auf das Kreuzbein und die andere auf den unteren Brustrücken. Die Berührungspunkte befinden sich dann auf den geraden Rückenmuskeln. Führe die Hände leicht zueinander, bis du die Antagonistengrenze als Widerstand spürst. Die Akzeptanz bestätigt , dass das Manipulon Arbeit in den Rückenstreckern reduziert hat. Der so genannte Tonus ist vermindert. Bild 4. 10 Lege dann eine Hand auf den Beckenkamm und suche mit der anderen Hand eine Stelle entlang des Brustkorbes in diagonaler Richtung direkt unterhalb des Schulterblattes. Führe die Hände zusammen. Du übernimmst Arbeit in den diagonalen Rückenmuskeln. Führe dieses Manipulon in beiden Diagonalen aus. Jetzt kannst du mit den Beckenkippungen anfangen .

Stell dir vor, du rollst ein Nudelholz, ohne den Teigflach zu walzen. 114

Bild 4.11 Stell dich neben ihr Becken. Lege die Hände leicht gebeugt in Medialstellung (Affenarm) an die Rückseite des Beckenkamms (Crista iliaca). Hier gibst du einen kranialen Druck, (du übernimmst Arbeit in den Extensoren), wobei auch die Flexoren (die Antagonisten) aufgrund der Paarkopplung entsprechend entspannen. Dann wird das Becken vorwärts gekippt. Dadurch entsteht ein Hohlkreuz. Eventuell musst du deine Fingerkuppen unter den Sitzknochen legen, um einen Hebel zu bewirken. Bild 4. 12 Dann legst du die Rückseite deiner Hände mit den Knöcheln/Fingern (deine Finger sind dabei leicht gestreckt) gegen die Sitzknochen und gibst einen kaudalen Druck (du übernimmst Arbeit in den Flexoren) , wobei die Extensoren (die Antagonisten) auch entspannt werden . Das Becken kippt rückwärts. (Ein Rundrücken entsteht.) Du spürst nun, dass die BVH nicht genug reduziert wurde. Die Beckenkippung ist nicht vollständig gelungen. Du entscheidest dich, mit einer Wirbelsäulenrotation durch eine diagonale Bewegung des Beckens fortzusetzen: Bild 4.13 Lege die rechte Hand (Affenarm) auf dem Beckenkamm zurück. Lege die Fingerkuppen deiner linken Hand auf die Unterseite des linken Sitzknochens. Hebe den Sitzknochen und drücke gleichzeitig mit der rechten Hand in Richtung Bank. Es entsteht eine Beckenrotation nach rechts und du übernimmst Arbeit in den diagonalen Extensoren von der linken Hüfte bis zur rechten Schulter und in den diagonalen Flexoren von der rechten Hüfte zur linken Schulter, mit entsprechender Reduktion von BVH. Bild 4.14 Lege dann die linke Hand auf die Oberseite des Sitzknochens, drücke kaudal und lasse mit der rechten Hand nach. Mit dem Wechseln zwischen diesen beiden Richtungen prägst du dem Gehirn das Rotationsmuster des Lendenrückens als eine Komponente des Laufmusters ein. Rub it in! Wiederhole die Manipulonen in die andere diagonale Richtung.

Das gibt dem Gehirn eine klare Erinnerung, wie beweglich das Becken im Verhältnis zum Brustkorb innerhalb des natürlichen Bewegungsmusters ist. 115

Das Selbstbild spielt ihr im Moment einen Schabernack.

Jetzt solltest du die Wirbelsäule flektieren und extendieren können (Beckenkippungen) . Setze fort: Mit leicht geballten Händen in Medialstellung (Affenarm), gibst du auf der Rückseite des Beckenkamms erneut einen kranialen Druck. Dann kippt das Becken vorwärts. Mit den Händen an den Sitzknochen gibst du nun kaudal einen Druck. Das Becken kippt rückwärts. Jetzt hast du folgende Komponenten des Laufmusters wachgerufen: die Seitenneigung und Rotation der Wirbelsäule und die Kippungen des Beckens (Extension, Flexion). Stelle nun den funktionellen Zusammenhang dieser Komponenten her. Verfahre folgendermaßen: Bild 4.15 Bitte Linda, sich auf den Rücken zu legen. Du wählst diese Ausgangsposition, da es ihr das gleiche Verständnis von vorwärts gibt, wie im Stehen oder Gehen. Beuge ihre Knie und stelle ihre Füße fest auf die Bank. Falls die Position nicht stabil ist, muss sie mit ausgestreckten Beinen mit einem Kissen unter den Knien liegen. Stell dich an das Kopfende der Bank. Lege deine Hände in Medialstellung (Affenarm) auf die Rippenbögen und gib einen leichten Druck kaudal. Warte auf Anerkennung , welche bestätigt, dass du Arbeit in den Bauchmuskeln übernommen hast. Bild 4.16 Stell dich dann auf ihre rechte Seite in Höhe ihres Beckens. Lege die Daumen kranial gerichtet auf die vorderen Beckenkämme und gib einem leichten Druck kranial , sodass das Becken rückwärts kippt. Dabei geht der Rücken in eine leichte Flexion und du übernimmst Arbeit in den Flexoren. Lege jetzt die Hände unter die hinteren Beckenkämme (Crista iliaca posterior) und drücke aufwärts in Richtung Decke, sodass das Becken vorwärts kippt. (Der Rücken geht in eine leichte Extension.) Warte auf Anerkennung. Sie bestätigt , dass du jetzt Arbeit in den Extensoren übernommen hast. Bild 4.17 Knie dich nun Linda zugewandt auf die Bank. Lege die Hände auf ihre Knie und gib einen etwas kräftigeren Druck in Richtung der Oberschenkel in die Hüftgelenke hinein . Dabei benutzt du den Oberschenkel als Hebel, um das Becken rückwärts zu kippen und übernimmst Arbeit in den Mm. iliopsoas und rectus femoris (Hüftenbeuger). Da diese ihre Ursprünge im Lendenwir bel ventral haben, löst sich das Hohlkreuz auf und das Becken wird rückwärts gekippt. (Der Rücken flektiert.) Das ist der Teil des Gehmusters, welcher für die Winkelgröße des Beinpendels beim Vorwärtslaufen (Schrittlänge) ausschlaggebend ist. BVHwird durch die Paarkopplung auch in den Antagonisten reduziert.

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Ändere nun den Druck in Richtung des Unterschenkels (gegen die Füße). Die Flexoren in den Hüftgelenken werden dann verlängert, wodurch der Druck der Oberschenkelköpfe nachlässt. Benutze die Oberschenkel als Hebel, um das Becken vorwärts zu kippen. (Der Rücken wird extendiert.) Das betrifft den Teil des Gehmusters, welcher das Beinpendel (Schrittläng e) beim Rückwärtslaufen bestimmt. (Die Reduktion von BVH in den Flexoren und Extensoren vermindert auch den Druck des Hüftkopfes in die Pfanne des Hüftgelenkes und dessen Abnutzung.) Zur Verdeutlichung des Laufmusters drückst du wechselweise mit der rechten Hand in Richtung des Oberschenkels und gleichzeitig mit der linken Hand in Richtung des Unterschenkels. Das Becken rotiert, kippt vorwärts und nach hinten und gleichzeitig seitwärts , genau wie beim Laufen. Schnüre den Beutel zu, indem du dies einige Male wiederholst. Bitte Linda, den Abstand zwischen Rücken und Bank, den sie vor der Lektion wahrnahm, mit dem jetzigen zu vergleichen. Zu ihrem Erstaunen stellt sie fest, dass sich der Abstand verringert hat. Erkläre ihr, dass ihr Gehirn das Kommando über die Muskeln wiedererlangt hat, die früher von BVH beeinträchtigt waren . Durch deren Verlängerung wird die Spannung im Hohlkreuz reduziert und sie kann flacher aufliegen. Lass sie sich nun aufsetzen. Falls sie sich wie ein schwerer Sack fühlt, bittest du sie, die Stellung nicht zu ändern. Erkläre ihr den Grund für dieses Empfinden. Durch die Lektion hat sie gelernt , ihre Rückenmuskeln zu entspannen . Die Veränderung ist so groß, dass ihr Selbstbild ihr im Moment einen Schabernack spielt, d.h. sie fühlt sich zusammengesunken und schwer, obwohl sie eigentlich entspannt und natürlich aufrecht sitzt. Ihr Körper hat eine Geschmeidigkeit erhalten, die sie nicht gewohnt ist. Lindas früheres Gefühl aufrecht zu sein (,,einen Stock im Rücken zu haben") kommt davon, dass sie sich an die Überstreckung gewöhnt hatte, ohne sich des Kraftaufwandes bewusst zu sein, den sie täglich aufbringen musste, um diese Körperhaltung aufrecht zu erhalten. Du kannst ihr helfen, ein realistisches Bild ihrer selbst zu bekommen, indem du sie bittest, einige Male die steife Position anzunehmen. Das macht ihr die Anstrengung bewusst und deutlich, wie viel leichter es ist, wenn sie die Veränderung nun bewusst akzeptiert .

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Um ihr weiter zu helfen, das neue Bild anzunehmen , bittest du sie, sich nach vorn zu beugen. Mache sie darauf aufmerksam, dass sie dazu ihre Rückenstrecker verlängern muss. Wahrscheinlich kann sie jetzt die Schnürsenkel binden , indem sie sich nur vorwärts beugt. Dazu war sie seit langem nicht fähig. Zuvor musste sie den Fuß auf einen Stuhl stellen, um die Schuhe zuzubinden. Dazu ist die doppelseitige Verlängerung der Rückenstrecker nicht nötig. Wenn sie sich jetzt nach vorn beugt, verlängert sie die Rückenstrecker bewusst und vermeidet deren Gegenhalten. Auf diese Weise kann sie sich müheloser beugen. Bitte Linda anschließend, sich nach hinten zu strecken, um ihre Muskeln auf der Vorderseite willkürlich , aber mühelos zu verlängern . Lass sie Beugung und Streckung ein paar Mal wiederholen, um sich der Kippung der Beckenkämme vorwärts bei der Streckung und rückwärts bei der Beugung bewusst zu werden. Allmählich gelangt sie zu einem Selbstbild, das der Wirklichkeit eher entspricht. Bild 4.18 Setz dich dann an ihrer linken Seite auf die Bank. Lege die Faust deiner rechten Hand unterhalb ihres Trochanters und drücke ihn kranial. (Das Becken wird ein wenig von der Unterlage abgehoben.) Leg deine linke Hand auf ihre Schulter und übe gleichzeitig leichten Gegendruck aus. Dabei macht die Wir-

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belsäule eine Seitenneige nach rechts. Geh dann zu ihrer rech ten Seite hinüber, tue dort dasselbe und beobachte , in welche Richtung die Seitenneige geringer ist. Zeigt sich, dass die rechte Hüfte nicht gut nachkommt , liegt es daran, dass die Muskeln in der linken Taille nicht genügend nachlassen (BVH). Dann gehst du zur linken Hüfte hinüber und hebst den Trochanter bis zur Antagonistengrenze an. Warte auf Akzeptanz. Wenn du sie bekommen hast , hast du Muskelarbeit in der linken Taille übernommen. Dann hebst du die rechte Hüfte wieder an und kannst nun beobachten , dass der Unterschied zwischen beiden Seiten geringer geworden ist.

Diesen Gewöhnungsprozess muss die Schülerin aktiv beeinflussen, damit ihr Gehirn die Veränderung als ein Gewohnheitsmuster akzeptieren kann.

Bitte sie, die Seitenneige einige Male wechselwe ise selbst auszuführen. Diese Integration der Bewegungen des Beckens und des Brustkorbes vermittelt ihr den Impuls , fließende Bewegungen im täglichen Leben so oft wie möglich anzuwenden, z.B. wenn sie in ein Auto steigt, sich den Po abwischt, oder Salsa tanzt. Die Tatsache, dass nun sowohl der Schutzreflex als auch der Gleichgewichtsreflex über ein Paket gut funktionierender Muskeln verfügen können, (deren Bewegungsumfang nicht durch BVH beeinträchtigt ist) ist nicht minder wichtig. Jetzt bittest du Linda, wieder im Zimmer umherzulaufen und sich dabei selbst zu beobachten , um die Veränderung mit ihrer Wahrnehmung zu Beginn der Lektion zu vergleichen . Stelle ihr nun keine leitenden Fragen, sondern unterstütze sie bei der Schulung ihrer Propriozeption, indem du ihre Aufmerksamkeit auf das Empfinden verschiedener Körperregionen lenkst. leite sie z.B. so an: ,,Sürst du eine Veränderung, wenn du die Füße belastest? Bleib stehen! Wo spürst du jetzt dein Körpergewicht? Auf dem Vorderfuß oder auf der Ferse? Beobachte, wie der Oberkörper die Arme pendelt, wenn du läufst , leg deine Hände auf die Beckenkämme und spüre die Bewegungen der Hüften , nimm wahr, wie lang deine Schritte sind" etc. Denk daran, dass es für Linda unmöglich sein kann, die Veränderungen in nur ein paar Schritten festzustellen. Das Resultat einer ersten Lektion kann sie wahrscheinlich erst erfassen, wenn sie gelernt hat, ihre Propriozeption besser zu nutzen. Du kannst also von Linda eine realistische Antwort erst nach der zweiten oder dritten Lektion erwarten. Damit die Veränderungen zur Gewohnheit werden können, sollte sie die neue Beweglichkeit im täglichen Leben mithilfe ihrer Propriozeption üben. Diesen Gewöhnungsprozess muss sie aktiv beeinflussen, damit ihr Gehirn die Veränderung als ein Gewohnheitsmuster akzepti eren kann.

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Lektionsbeispiel 5 - der Mausarm • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •

Renate kommt zu dir, weil sie einen Mausarm hat. Ihr Arzt hat eine Muskelentzündung diagnostiziert. Du weißt , dass die Schmerzen durch die Beeinträchtigung (BVH) des Bewegungsmusters ihres Armes verursacht werden. Ein gewisser Grad von BVH ist in der Rotation des Rückens, in den Bewegungen des Schulterblattes und Schultergelenkes, in der Flexion , Extension und Rotation des Ellbogens, sowie in den Bewegungen des Unterarms und der Hand entstanden . Durch meine Aufzählung dieser Komponenten siehst du , wie kompliziert das Bewegungsmuster bei der Mausarbeit ist und wie wichtig es ist , dass alle Teile - jeder für sich - so funktionieren , dass das Muster in seiner Gesamtheit zufriedens tellend ausgeführt werden kann. Das trifft auch auf Leiden wie den Tennis- oder Golfarm zu.

Das Gehirn hat vergessen die verschiedenen Komponenten synchron zu bewegen und die Bewegung wird erschwert.

Es ist wichtig, dass sich auch Renate bewusst wird, wie viele verschiedene Körperteile an der Mausarbeit beteiligt sind. Bitte sie, sich an einen Tisch zu setzen. Gib ihr einen Gegenstand in die Hand und sage ihr, sie solle sich dabei eine Maus vorstellen. Halte ihren Oberarm so gegen den Brustkorb gerichtet , dass die Bewegungen des Schulterblattes und der Wirbelsäule verhindert werden und bitte sie, nun die Maus so zu bewegen, wie sie es gewöhnlich zu tun pflegt. Dadurch wird ihr bewusst, wie schwer es ist , die Maus zu bewegen und wie komplex die Bewegung ist. Lass ihren Arm nun los und bitte sie, die Bewegungen mit der Maus zu wiederholen. Um ihre Propriozeption zu schulen und die verschiedenen Teile des Bewegungsmusters zu lokalisieren, legst du zuerst deine Hand auf ihr Schulterblatt und lässt sie es spüren . Mache ihr nun ihre Schulter bewusst, indem du deine Hand auf sie legst. Anschließend berührst du ihr Schultergelenk und schließlich fasst du ihren Oberarm an, ohne ihre Bewegungen einzuschränken und lässt sie auch diesen spüren . Die Bewegungen in ihrem Unterarm, ihrer Hand und ihren Fingern kann sie sicher lokalisieren , ohne dass du sie berührst. Jetzt hat sie ein realistisches Bild davon, welche Teile ihres Körpers in erster Linie an der Arbeit mit der Computermaus beteiligt sind. Bei der Arbeit mit der Maus wird BVH zum einen von Stress (als Ausdrucksweise des Schutzreflexes) verursacht , zum anderen davon, dass Muskeln während einer langen Arbeitszeit in sich statisch gespannt gehalten werden. Ich selbst fühle, dass schon das Verwenden eines Computers zu Stress führt. Anfangs fand ich die Arbeitserleichterung großartig , aber wenn der Computer Schwierigkeiten macht (und das macht er immer) , bin ich gestresst , was selbstverständlich den Schutzreflex auslöst. Wenn wir gestresst sind, fixiert das Gehirn den gebeugten Arm und die Hand am Körper. Die Armbewegung wird dadurch mehr

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oder weniger eingeschränkt, ebenso wie durch dein Festhalten des Oberarmes. Wenn Renate ihre Hand und ihren Unterarm distal benutzt, benötigt sie deshalb mehr Kraft als nötig, was ihren Zustand noch verschlechtert. Dieser Zustand, besonders bei langwieriger und ständiger Mausarbeit, verursacht BVH im M. biceps und dessen Antagonisten. Er führt zu Schmerzen an den Muskelansätzen. Da der M. biceps zum Bewegungsmuster des Armes gehört, werden alle den Arm integrierenden Bewegungsmuster entsprechend beeinflusst. Es ist also leicht zu verstehen , dass ein Mausarm noch ganz andere Bewegungen, als die typisch mit ihm verbundenen, erschweren kann, z. B. das Kämmen der Haare oder das Binden der Schuhe.

Wenn der Computer Schwierigkeiten macht (und das macht er immer), bin ich gestresst.

Um ihr bewusst zu machen , wie es um ihren Bizeps steht, machst du folgendes: Bitte sie, sich auf die Bank zu setzen und ihren rechten Unterarm (den Mausarm) auf dem Schoß zu legen. lagere den Unterarm mit einem Kissen im Winkel von 90 Grad zum Oberarm . Lege deine n Finger auf ihre Bizepssehne in der Armbeuge und bitte sie, den Unterarm sehr wenig anzuheben . Spüre, wie sie die Sehne anspannt. Spannt sie plötzlich an (beißt sie wie eine Kobra), bedeutet das, dass der Antagonist nicht wie gewöhnlich dagegen hält. Die Antagonisten der Muskeln, die unter Einwirkung des Schutzreflexes stehen, geben keinen Bewegungsimpuls. Wäre das der Fall, würde der Schutzreflex verzögert und erfüllte seinen Zweck nicht. Das Bewegungsmuster für die Schutzbewegung, die den Reflex ausgelöst hat, muss willkürlich abgebrochen werden, um die beabsichtigte Armbewegung ausführen zu können. In diesem Beispiel verzögert sich die Reaktion des Antagonisten nach Empfang des Bewegungsimpulses vom Kortex . Mit anderen Worten führt der M. biceps den Anfang der Bewegung aus, ohne den Gegenhalt des M. triceps . Daher rührt das Zucken. Um diese Reaktion zu vermeiden , muss also auch die Arbeit des M. biceps verzögert werden . Deswegen muss Renate die Bewegung langsam beginnen und ausführen, wodurch das Bewegungsmuster im Gehirn eingeprägt wird, ohne den Schutzreflex auszulösen. Bild 5.1 Lass sie ihre Finger auf die Bizepssehne legen. Du beabsichtigst , sie die gespannte Sehne von außen spüren zu lassen, bevor sie mittels ihrer Propriozeption lernt , die Verspannung aus dem Körperinneren wahrzunehmen . Bitte sie dann, den Unterarm ein wenig vom Kissen zu heben und dabei selbst nachzuspüren , wie sich die Sehne (der Muskel) plötzlich anspannt. Lass sie nun den Arm auf das Kissen zurücklegen und ihn in das Kissen drücken, um die Entspannung der Sehne wahrzunehmen.

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Zum Vergleich bittest du sie, die gleichen Bewegungen mit dem linken Arm, dessen Bewegungsfähigkeit nicht von BVH beeinträchtigt ist, auszuführen. Sie kann diesen Unterarm heben, ohne einen plötzlichen Ruck zu spüren. Erkläre ihr, dass diese Muskelspannungen permanent bestehen und Renate sie selbst willkürlich nicht auflösen kann, da die Muskeln der Bewegungsvergessenheit ausgesetzt sind. Der Schmerz im Arm wird nicht vermindert, da die Tastatur ihres Computers in die falsche Richtung (zu ihr) geneigt ist. Daszwingt sie, die Hände ständig nach oben gerichtet (extendiert) zu halten. Wenn BVH einen gewissen Grad erreicht hat, tritt Schmerz ein . Dann reagiert ihr Schutzreflex und spannt die ohnehin schon schmerzenden Muskeln noch stärker an. Sie befindet sich also in einem Teufelskreis . Deine Intention ist es nun, das Bewegungsmuster in Renates Gehirn wachzurufen, mit dem sie die Hand/den Arm/die Schulter und das Schulterblatt zusammen bewegen kann, ohne den Schmerz auszulösen. Ihre rechte Seite (Arm usw.) steht jedoch unter starkem Einfluss des Schutzreflexes . Die Manipulonen , die du auf ihrer rechten Seite ausführen willst , führst du daher zuerst auf ihrer linken Seite aus, dort, wo ihr Schutzreflex weniger stark reagiert. Das Bewegungsmuster, das dabei entsteht, wird über Corpus callosum zur rechten Seite vermittelt. Deswegen kannst du dann die Manipulonen auf der rechten Seite fortsetzen, ohne die Reaktion des Schutzreflexes auszulösen. Allerdings hat Renate auf ihrer rechten Seite solche Schmerzen, dass sie auf der linken Seite liegen muss. Aufgrund dessen solltest du direkt an ihre rechte Seite gehen. Um das Auslösen des Schutzreflexes zu minimieren , wählst du anfangs eine so sichere Armstellung wie möglich. Setze dann fort: Setze dich in Höhe ihrer rechten Schulter und lagere den rechten Unterarm und die Hand auf der Unterlage , um ihr ein Gefühl von Sicherheit zu geben. Bild 5.2 Lege deine linke Hand nahe am Ellenbogen auf den Unterarm und deine rechte Hand auf den Margo lateralis des Schulterblattes (Elementzusatz). Rolle ihren Unterarm nach innen (Pronation). Gleichzeitig deutest du mit deiner rechten Hand in die mediale Bewegungsrichtung des Schulterblattes. Der Oberarm wird dadurch in Richtung Schulter geführt und das Schulterblatt Richtung Wirbelsäule geschoben. Du spürst, dass die Bewegung in den Pektoralismuskeln durch BVH begrenzt ist. Wenn du ihren Unterarm nach außen (Supination) rollst , legst du deine rechte Hand auf den Margo medialis (laterale Bewegungsrichtung). Du stößt auf Widerstand, also liegt in der medialen Muskulatur des Schulterblattes BVH vor. Die Bewegung ist demzufolge in beide

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Richtungen begrenzt (Schraubstock), das Schulterblatt und das Schultergelenk bewegen sich undifferenziert. Du kannst BVH in diesen Muskeln durch eine relativ zugeordnete Bewegung zwischen dem Schulterblatt und dem Schultergelenk reduzieren . Dabei verwendest du ein Bewegungsmuster, das im Gehirn die Assoziation zur Bewegung im Schultergelenk vom Schulterblatt aus bekommt, anstatt von der Armbewegung . Somit vermeidest du das Auslösen des Schutzreflexes. Gehe folgendermaßen vor : Bild 5.3 Lege ihre rechte Hand so, dass die Finger die Bankkante umschließen. (Der Ellbogen zeigt in Richtung Decke.) Drücke die Hand mit deinem Knie vorsichtig gegen die Bank. Fasse ihren Oberarm mit deiner linken Hand gleich hinter den Epikondylen des Ellbogens und lege deine rechte auf das Schulterblatt. Indem du ihren Ellbogen fixierst und das Schulterblatt in die möglichen Richtungen bewegst, ohne den Ellbogen nachkommen zu lassen, führst du eine relativ zugeordnete Bewegung aus. Mit dem Schulterblatt als Hebel übernimmst du demzufolge Arbeit in den Muskeln, die das Schulterblatt mit seiner Umgebung verbinden. BVH wird dann in diesen Muskeln reduziert. Fahre damit fort, bis du eine differenzierte Bewegung im Schultergelenk beobachten kannst. Halte den Griff um die Epikondylen mit der linken Hand und lege die rechte Hand auf die Schulter. Führe nun eine differenzierte Bewegung aus, indem du wechselweise den Ellbogen abduzierst, gleichzeitig die Schulter kaudal führst, dann den Ellbogen adduzierst, während du die Schulter kranial führst. Bild 5.4 Lege ihren Unterarm wieder vor sie und deine linke Hand ellbogennah auf ihren Unterarm. Deine rechte Hand positionierst du nahe ihrem Handgelenk. Rotiere ihren Unterarm noch einmal. Mach sie darauf aufmerksam, dass jetzt sowohl der Unterarm und das Schultergelenk als auch ihr Schulterblatt der Bewegung leicht und geschmeidig nachkommen. Differenziere , indem du das Schulterblatt medial führst, während du den Unterarm supinierst und umgekehrt. Bild 5.5 Lege danach ihren rechten Unterarm auf deinen rechten Unterarm und deine linke Hand auf ihr rechtes Schulterblatt , um ihr den engen Zusammenhang zwischen Arm und Schulterblatt zu zeigen. Verdeutliche ihr die mediale Bewegung des Schulterblattes, wenn du ihren Arm nach unten/hinten führst . In dieser Position würde der Arm im Stehen seitlich hängen. Unterstütze ihre Vorstellung, indem du sie bittest, an das Zubinden einer Schürze auf dem Rücken zu denken. So erhält sie ein deutliches Bild von der Bewegung ihrer Schulterblätter in Richtung Wirbelsäule.

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Wenn du den Oberarm nach oben/vorwärts führst, bewegt sich das Schulterblatt lateral (von der Wirbelsäule weg) . Renate hat das Gefühl, als läge der Arm auf einem Kugellager. Den Beutel schnürst du dadurch zu, dass du ihren Arm über den Kopf hinaus streckst und oszillierst. Beim Rollen ihres Unterarms hast du gespürt , dass ihr Handgelenk verspannt ist . Du solltest nun auch hier die vorhandene BVH reduzieren . Verfahre so: Bild 5.6 Bitte sie, sich auf den Rücken zu legen. Setze dich an ihre rechte Seite in Höhe ihres Ellbogens. Fasse ihr rechtes Handgelenk mit deiner linken Hand und beuge ihren Unterarm bis etwa zum rechten Winkel im Ellbogengelenk. Greife mit deiner Rechten von der Rückseite ihrer Hand aus Renates Fingerspitzen und fasse ihren rechten Daumen zwischen deinem linken Zeigefinger und Daumen. Lege ihren Daumen gegen die laterale Seite ihres Zeigefingers. Strecke und fixiere mit deiner Handfläche die Mittel- und Endgelenke ihrer Finger. Führe Renates Daumen ihren Zeigefinger entlang, während du ihre Finger gerade hältst . Dabei wird das Handgelenk extendiert und die Grundgelenke der Finger werden flektiert. Bei Akzeptanz hast du Arbeit in den Extensoren der Hand und den Flexoren der Grundgelenke übernommen . Wenn du den Daumen in die Ausgangslagezurückführst, wird das Handgelenk flektiert und die Grundgelenke der Finger werden extendiert. Dabei übernimmst du Arbeit in den Flexoren der Hand und in den Extensoren der Grundgelenke. Wiederhole die Manipulonen einige Male und füge die Supination / Pronation des Unterarmes und Flexion/ Extension im Ellbogengelenk in so vielen Kombinationen wie möglich hinzu. Du übernimmst somit Arbeit in den entsprechenden Muskeln und ihren Antagonisten. Bald wirst du merken, dass das Handgelenk nicht mehr so steif ist. Bei unserer täglichen Arbeit strecken wir die Arme selten völlig gerade. Eher beugen wir die Arme , z. B. wenn wir essen, Brot schneiden oder mit der Computermaus arbeiten. Wir sind ständig Stress ausgesetzt , der seinerseits Muskelspannungen (BVH) durch den Schutzreflex verursacht, wobei u. a. die Ellbogen- und Handgelenke gebeugt werden. Solche Faktoren tragen dazu bei, die Arme aus Gewohnheit gebeugt zu halten, auch wenn sie in Ruhestellung sind. Können wir die Handgelenke nicht vollständig dorsal flektieren, bleibt auch das Aufstützen der ganzen Handfläche, wenn wir z. B. vom Boden aufstehen wollen, eingeschränkt. Rufe jetzt das Bewegungsmuster für das Aufstützen mit extendierten Hand- und Ellbogengelenken wach. Dann verfährst du so weiter:

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Bild 5. 7 Behalte ihren Unterarm im rechten Winkel zum Ellbogengelenk. Mit der rechten Hand fasst du über die Kleinfingerseite ihrer Handfläche. Leg den Daumen deiner linken Hand gegen den basalen Metacarpalknochen, wo er das Os trapezoideum dorsal berührt und deinen Zeigefinger auf das Os trapezoideum ventral. Extendiere jetzt ihr Handgelenk mit deiner rechten Hand und proniere gleichzeitig ihren Unterarm mit deinem linken Daumen. Die kombinierte Extensions- und Pronationsbewegung (gegen den Daumenballen) zeigt die Position des Handgelenkes, die die optimale Stütze - die Stütze des geraden Armes - ist. Betone diese Bewegung. Bild 5.8 Während du mit der Bewegung zurückgehst, gibst du mit dem linken Zeigefinger einen derartigen Druck gegen das Os trapezoideum , dass die Hand eine kombinierte Flexions- und Supinationsbewegung ausführt. Gleichzeitig lässt du mit deiner rechten Hand nach. Bild 5. 9 Umfasse dann Renates Daumen mit deiner ganzen Hand. Die Extension des Handgelenkes in Kombination mit der Pronation des Unterarmes und der gleichzeitigen horizontalen Streckung des Armes lässt Renate spüren , dass es der Daumen ist , der die Bewegung führt. Dadurch er reicht auch die Rotation die physische Grenze ihres Schultergelenks : dieselbe Stelle, die eine Skelettstütze bewirkt, wenn sie sich stützen oder etwas mit den Armen wegschieben will. Bild 5. 10 Demonstriere, wie sie die Stütze des geraden Armes ausführt. Stell dich an ihren Kopf und nimm ihre Hand wie bei einem Handschlag. Strecke den ganzen Arm in Richtung Decke. Umfasse den Oberarm gleich oberhalb (proximal) der Epikondylen des Ellbogens. Rotiere den Oberarm nach außen und den Unterarm nach innen. Strecke den Arm im Ellbogengelenk und extendiere ihr Handgelenk. Dadurch entsteht eine Blockade des Ellbogens. Halte den Arm in dieser Position, ziehe ihn in Richtung der Decke und führe ihn gegen die Bank. Das Ausmaß der Bewegung sollte so groß sein, dass das Schulterblatt mitkommt. Wiederhole einige Male. Lass den Druck nach, aber behalte den Griff bei und bitte Renate, selbst ihren geraden Arm (Affenarm) in Richtung Zimmerdecke zu verlängern. Gib ihr einen Gegendruck , sodass sie ein Gefühl von Stabilität bekommt.

In vielen Fällen können wir geradezu von einem „Mausrücken" oder einer ,,Maushüfte" sprechen.

Bitte sie, sich auf die Bankkante zu setzen und verschiedene Armbewegungen auszuführen, damit sie sich bewusst wird , wie viel geschmeidiger sich jetzt die ganze Bewegung anfühlt. Bitte sie, sich diese Geschmeidigkeit zu merken , wenn sie die Maus benutzt. Computerbenutzer, die die Maus auf spielerische Art bewegen, weichen so den typischen Problemen aus. Lege jetzt das Kissen unter den rechten Unterarm zurück. Bitte sie ihren Finger auf die Bizepssehne zu legen und den Unterarm zu heben. Sie wird feststellen , dass das Zucken verschwunden ist. Du gibst ihr folgende Hausaufgabe: Sie soll den Unterarm heben, und zwar nur ein wenig und so langsam, dass kein Zucken entsteht , bis diese Bewegung zu einer Gewohnheit geworden ist. Sie sollte Geduld haben und die Übung oft und mit Aufmerksamkeit (zur Schulung ihrer Propriozeption) wiederholen, jedoch nur kurze Momente lang. So beginnt sie, die erhaltene Hilfe als Selbsthilfe anzuwenden, was die eigentliche Absicht der Feldenkrais-Methode ist. Du kannst ihr vorschlagen , Anregungen für ihren Arbeitgeber mitzunehmen. Ihr Arbeitsplatz sollte so schnell wie möglich mit einer auf dem Computer integrierten Maus mit „Trackball" (mit oder ohne Kabel), einer entsprechenden Stütze für das Handgelenk und nach hinten geneigter Tastatur (konträr zu den weltweit produzierten Modellen) ausgerüstet werden. Diese Anordnung kann sie davor schützen , in das Bewegungsmuster, welches BVH verursacht und schließlich zu ihren Problemen geführt hat , zurückzufallen. Die Liste der Komponenten , die ich anfangs der Lektion nannte und die zum Thema "Mausarm" gehören , ist im Grunde nicht vollständig. Ein Mensch mit Mausarm hat oft Probleme mit dem Rücken, der Schulter und sogar der Taille, den Hüften, Beinen und Füßen. In vielen Fällen können wir geradezu von einem ,,Mausrücken" oder einer „Maushüfte" sprechen. Selbstverständlich sollte ein Mensch mit Mausarm auch Lektionen zur Reduktion von BVH in anderen Körperregionen bekommen.

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Lektionsbeispiel 6 - Schulter/Oberarm Kerstin kommt zu dir, weil sie beim Armheben Schmerzen in der linken Schulter und im Oberarm spürt. Es ist ein gewöhnliches Leiden, das gemeinsam mit anderen Nacken-/Schulter -/Rückenproblemen indirekt durch ein unbewegliches Schulterblatt ver ursacht wird. informiere sie darüber. Wenn Kerstin ihren linken Arm bewegen will, muss sie zunächst unter großem Kraftaufwand den Widerstand überwinden , den die BVH in ihrem Schulterblatt erzeugt. Das führt zu Überanstrengung , damit verbundenem noch größerem Kraftaufwand , verstärkter BVH, Müdigkeit und Schmerz. Deine Intention ist es, die Manipulonen so auszuführen, dass die BVH im Bereich des linken Schulterblattes und seiner Umgebung reduziert werden kann. Bitte sie, sich in Rückenlage auf die Bank zu legen und lagere sie gut. Sie hat in der rechten Schulter oder im Oberarm keine Schmerzen. Deshalb setzt du dich an die Bankecke nahe ihrer rechten Schulter und beginnst mit den Manipulonen auf ihrer rechten Seite, die du eigentlich auf ihrer linken Seite ausführen möchtest. Wenn du die Manipulonen ohne Hindernis einer nennenswerten BVH oder Reaktion ihres Schutzreflexes gestalten kannst, wird ihre linke Seite automatisch (via Corpus callosum) auf die Manipulonen, die du später auf dieser Seite ausführst, vorbereitet. Zeige ihr, wie sie das Schulterblatt mitbewegen kann, wenn sie den Arm über den Kopf hinaus streckt. Verfahre folgendermaßen: Bild 6.1 Umfasse ihr Handgelenk mit deiner linken Hand. (Dieser Griff gibt dem Handgelenk die Stütze und Sicherheit , die der Reaktion des Schutzreflexes vorbeugt.) Beuge den Unterarm und fasse mit deiner rechten Hand um ihren Ellbogen. Hebe den gebeugten Arm so körpernah wie möglich und teste, ob ein Widerstand in der Bewegung spürbar wird. In diesem Fall ist der Widerstand so gering, dass du die rechte Hand auf der linken Schulter ablegen kannst. Der Ellbogen ruht auf der Brust. Diese Bewegung und die erreichte Position des Armes werden nur möglich , wenn der Schutzreflex nicht ausgelöst wurde. Du kannst nun damit rechnen , dass du an ihrer rechten Schulter Manipulonen ausführen kannst, um den Grad der BVH dort ohne die Beeinträchtigung durch den Schutzreflex festzustellen . Bild 6.2 Zunächst untersuchst du die Beweglichkeit ihres Schulterblattes. Dabei fasst du mit der linken Hand die Spina scapulae mit einem Gabelgriff (Stütze deinen Ellbogen an dir ab.) und hältst mit deiner rechten Hand den Ellbogen, während du versuchst, das Schulterblatt zu bewegen. Du triffst dabei auf Widerstand, der durch BVH in den umliegenden Schulterblattmuskeln

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Deine Intention ist es, die Manipulonen so auszuführen, dass die Bewegungsvergessenheit im Bereich des linken Schulterblattes und seiner Umgebung reduziert werden kann.

verursacht wird. Da die Bewegungen des Schulterblattes immer zur Rotation der Wirbelsäule gehören, kannst du BVH dort auflösen, indem du den Rücken rotierst. Verfahre so: Bild 6. 3 Behalte den Gabelgriff bei und hebe die Schulter bis zur Antagonistengrenze von der Unterlage weg. Gib dem Gehirn gleichzeitig Gelegenheit zur Assoziation einer Rotation, indem du ein Element hinzufügst: Du legst die mediale Seite deines rechten Zeigefingers (Affenarm) auf ihren linken Rippenbogen und übst einen distalen Druck aus. Die Akzeptanz wird gegeben, da du Arbeit in den Muskeln der Diagonalen zwischen der rechten Schulter und der linken Hüfte übernommen hast. Diese Muskeln gehören zu dem Bewegungsmuster, das Kerstins Gehirn abruft, wenn sie den Arm nach oben streckt. Bild 6. 4 Zu einer anderen Bewegung, die dem Kortex die Assoziation der Rotation der Wirbelsäule gibt, kommt es, wenn du mit deiner rechten Hand den Unterarm nahe dem Ellbogengelenk fasst und eine Außenrotation ausführst. Bild 6.5 Du bewirkst eine weitere Bewegung mit gleichem Effekt, indem du das Handgelenk umfasst und eine Supination ausführst. Das entspricht der Armposition, mit der du einen Säugling trägst. (Das ist ein markantes Beispiel, wie du mit den Manipulonen die Assoziationen des Gehirns steuern kannst. Im ersten Fall supinierst du den Unterarm ellbogennah. Im anderen Fall supinierst du den Unterarm am Handgelenk. In beiden Fällen verwendest du genau den gleichen Hebel und erzielst so dasselbe Resultat, d.h. eine Rotation der Wirbelsäule mit Hilfe zweier verschiedener, vom Gehirn assoziierten, gewohnheitsmäßigen Bewegungsmuster.) Das Gehirn hat jetzt das verblasste Bewegungsmuster assoziiert (Sollwert), das du bewusst benutzt hast. Das Schulterblatt wird Bewegungen in alle Richtungen zulassen, wenn BVH reduziert worden ist. Zeige dann Kerstins Soma das ursprüngliche Bewegungsmuster, das sie benutzt, wenn sie sich vorwärts/nach oben oder auf andere Weise nach etwas ausstreckt. Verfahre so: Bild 6.6 Stell dich in Höhe ihres Kopfes. Fasse mit der linken Hand vom Handrücken her ihr rechtes Handgelenk, supiniere ihren Unterarm, fasse mit der rechten Hand ihren Ellbogen, hebe den ganzen Arm bis ca. zum rechten Winkel zum Schultergelenk und lege ihren Unterarm auf deinen linken Unterarm. Jetzt ist ih r Oberarm im Schultergelenk nach außen rotiert. (Ihr Unterarm zeigt mehr oder weniger zu dir.) Mit deinem linken Unterarm hebst du den gebeugten Arm nun in Richtung Decke und spürst dabei, ob das Schulterblatt die Bewegung mitmacht.

Bild 6. 7 Sollte das nicht der Fall sein, weil der Schutzreflex die Bewegung hindert, kannst du deine rechte Hand mit der Zeigefingerseite gegen den unteren Teil des Margo lateralis legen und einen solchen Druck geben, dass das Schulterblatt sich in Richtung Wirbelsäule bewegt. Die Akzeptanz zeigt dir, dass du Arbeit in den Muskeln zwischen dem Schulterblatt und der Wirbelsäule übernommen hast. Während du den Druck verminderst , ziehst du gleichzeitig vorsichtig den Arm (in Richtung der Decke) zur neuen Antagonistengrenze. Die Wirbelsäule rotiert. Wiederhole diese Bewegung, bis du spürst, dass das Schulterblatt frei mitkommt. Bild 6.8 Führe nun deine Intention, den Arm vorwärts/über den Kopf hinaus zu strecken, durch , indem du mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand die Spina scapulae fasst. Führe das Schulterblatt kaudal/ lateral/kranial und strecke gleichzeitig mit beibehaltener Außenrotation ihren Arm über den Kopf hinaus. Wiederhole, bis die Bewegung reibungslos funktioniert. Mache Kerstin darauf aufmerksam, wie leicht der Arm bewegt werden kann, wenn das Schulterblatt nachkommt. Bleibe in der ausgestreckten Position und lass Kerstin spüren, wie schön diese Art der Streckung ist. Das ist ein treffendes Beispiel für Pandikulation. Bild 6.9-10 Den rechten Arm betreffend , ist es nun an der Zeit, den Beutel zuzuschnüren. Fasse ihre rechte Hand, hebe den Arm und pendele ihn spielerisch in alle Richtungen. Hebe ihn so hoch, dass das Schulterblatt nachkommt, und lasse los, sodass das Schulterblatt sanft auf die Bank fällt. Jetzt sind Kerstin und du bereit, sich auf die linke Schulter zu konzentrieren, die Kerstin Schmerzen bereitet. Du beginnst damit, ihren Arm auf die gleiche Weise, wie vorher den rechten, zu heben. Du spürst, dass sie mithilft und dass sie den Arm in der Beuge zurückhält. Lass den Unterarm los und mache sie darauf aufmerksam, dass sie ihn immer noch gebeugt hält. Bild 6.11-12.13 Fasse ihre Hand, wie bei einem Handschlag und bitte sie, dir ihren Arm zu überlassen. Falls sie dann nicht nachlässt , sind die Beuge- und Streckmuskeln des Ellbogens vom Schutzreflex gespannt. (Der Schutzreflex hat aufgrund des Schmerzes in der Schulter jedes Mal beim Strecken des Armes nach oben gewohnheitsmäßig reagiert und wird weiter so reagieren, bis du die Ursache dafür behoben hast.) Um das Eintreten des Schutzreflexes zu vermeiden, beginnst du den Unterarm mit auf der Bank liegendem Oberarm zu bewegen. So umgehst du das Anheben des Schultergelenkes und der Schutzreflex wird nicht ausgelöst. Nun kannst du dich der Reduktion der vorhandenen BVH in den Ellbogen- und Handmuskeln widmen. (Sie sind Teil der Flexion und Extension.) Du nutzt die Beteiligung dieser Muskeln an der Rotation des Unterarmes und verfährst so:

Halt e den Arm zurück und beuge ihren Unterarm bis zur Antagonistengrenze. In dieser Position rotierst du ihren Unterarm nach außen und innen (Pronations- und Supinationsbewegungen). Gleichzeitig beugst und streckst du ihr Hand- und Ellbogengelenk . Respektiere die Antagonistengrenzen ! So reduzierst du stufenweise BVH. Wiederhole diese Bewegungskombination , bis du spürst, dass sich die Beuge- und Streckmuskeln im Ellbogengelenk entspannt haben. Dann hat das Gehirn die Kontrolle zurückgewonnen. Da die Bewegungskombination auch eine relativ zugeordnete Bewegung im Schultergelenk bewirkt , wird BVH dort so sehr reduziert , dass du jetzt ihre linke Hand, mit gebeugtem Arm auf dem Brustkorb ruhend, an die rechte Schulter legen kannst. Willst du nun mit den gleichen Manipulonen , die du bereits auf der rechten Seite ausgeführt hast , fortsetzen , zeigt es sich, dass sich das Schulterblatt nicht bewegen lässt, auch nicht mithilfe der Wirbelsäulenrotation. Du kannst die Möglichkeit nutzen , die Wirbelsäule und das Becken mit dem Bein als Hebel zu rotieren , um das Schulterblatt zu erreichen . Wenn du das Becken rotierst, rotiert auch die Wirbelsäule und das Gehirn assoziiert eine Mitwirkung des Schulterblattes an der Bewegung. Verfahre so: Bild 6.13 Bitte sie, sich auf die rechte Seite zu legen und lagere den linken Arm bequem. Setzt dich in Höhe ihrer Knie. Fassemit deiner linken Hand unter ihr linkes Knie und hebe es ein wenig an, sodass du mit deiner rechten Hand ihr rechtes Fußgelenk umfassen und das rechte Bein gerade ausstrecken kannst. Bild 6.14 Mit ihrem linken Bein, im rechten Winkel in Knie und Hüfte gebeugt , stützt du ihren linken Vorderfuß an der Innenseite deines rechten Knies. Hebe ihr linkes Knie mit deiner linken Hand. Spürst du, dass sie dir hilft , kannst du das Bein nicht als Hebel benutzen . Wenn du nachlässt, hält sie es immer noch in der emporgehobenen Position. Mach sie darauf aufmerksam und auch darauf, dass sie die äußeren Hüftmuskeln (die Abduktoren) gespannt hält . Indem du die betreffenden Muskeln berührst, kannst du es Kerstin leichter machen, sie zu lokalisieren , damit sie sie entspannen kann. Am einfachsten lehrst du ihren Kortex , die Muskeln zu entspannen , indem du sie bittest , ihr Knie auf die Bank fallen zu lassen. Bild 6.15 Hebe ihr Bein jetzt so, dass sich der Oberschenkel paral lel zum Tisch befindet. (Ihr Fuß stützt sich noch immer an dei nem Knie ab.) Drücke den Oberschenkelkopf in die Gelenkpfanne. Diese Stellung gibt dir die Stabilität, die du brauchst, um

das Becken rotieren zu können. Wenn du fortsetzt , in die gleiche Richtung zu drücken , kommt das Becken mit und die Wirbelsäule wird rotiert. Geh zur Antagonistengrenze (in den Muskeln auf der Vorderseite des Oberkörpers). Warte auf Akzeptanz. Falls du nach einigen Sekunden keine Akzeptanz bekommen hast, lässt du den Druck etwas nach. (Vielleicht hast du zu fest gedrückt.) Lege zur Verdeutlichung der Richtung deine rechte Hand auf den Beckenkamm. Bekommst du immer noch keine Akzeptanz , steigerst du den Druck. (Vielleicht hast du zu schwach gedrückt.) Auf die Weise solltes t du dich vorwärts tasten , bis du eine Antwort bekommst . Du hast dann Arbeit in den Muskeln auf der Rückseite des Oberkörper s übernommen. Danach rotierst du das Becken zurück , bis du die Antagonistengrenze (in den Rückenmuskeln) spürst. Du übernimmst Arbeit in den Flexoren. Behalte den Druck in das Hüftgelenk bei . Er unterstützt die undifferenzierte Bewegung. Bewege das Becken über den Oberschenkelhebel einige Male hin und her. So versetzt du die Antagonistengrenzen. Wenn das Becken beginnt , sich frei zu bewegen, beobachtest du , dass die Rotation , die du auf diese Weise in der Wirbelsäule hervorrufst, auch in der li nken Schulter zu erkennen ist . (Sie bewegt sich.) Es gibt keinen Körperteil, der der Erinnerung an ein Bewegungsmuster nicht bedarf. Deswegen kannst du die Gelegenheit wahr nehmen, die Rotation des Rückens mit den Bewegungen des Hüftgelenks zu differenzieren, auch wenn das nicht direkt zu dieser Lektion gehört. Verfahre dann so: Wenn du das Becken nach hinten rotierst , adduzie rst du das Bein im Hüftgelenk . Rotierst du das Becken nach vorn , abduzierst du das Bein. Verstärke die Information durch die Rotation des Beines und rotiere gleichzeitig das Becken hin und her. Fährst du direkt mit der Lektion fort, hebst du anschließend das linke Knie mit deiner linken Hand ein wenig an. Schiebe deine rechte Hand zwischen beide Bei ne und umfasse die Kniekehle des rechten Beines. Ziehe es unter das linke , sodass beide Beine wieder rechtwinklig im Knie- und Hüftgelenk aufeinander liegen. Stell dich vor sie an i hre linke Schulter und lege dei ne rechte Hand auf den Brust- / Lendenrücken. Rotiere sie in deine Richtung und spüre gleichzeitig , dass das Schulterblatt mitkommt. Mache Kerstin auch darauf aufmerksam . Sie hat jetzt die Fähigkeit zurückgewonnen , ihr Schulterblatt zu bewegen, wenn sie auf der Seite liegt. Kerstin hielt es jedoch gewohnheitsmäßig in der Rückenlage gespannt. Deiner Intention folgend, ist es jetzt an der Zeit, die Bewegungen des Schulter -

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Kann siefortan daran denken, dass sie das Schulterblatt bei jeder Armbewegung mitkommen lässt, wird sie auf diese Weise vermeiden, wieder Schmerzen zu bekommen.

blattes in Rückenlage auszuführen. Bitte sie darum , sich auf den Rücken zu legen und setzte dich an ihre linke Schulter. Wenn du Kerstins linken Arm aufwärts über den Kopf hinaus streckst, spürst du einen Rest Spannung in den Muskeln links zwischen den freiliegenden Rippen und der Bauchmuskulatur. Die kannst du reduzieren, indem du ihren Arm an der Antago nistengrenze zurückhältst, deine andere Hand auf die Rippen (Elementzusatz) legst und einen schwachen Druck im Takt mit ihrer Ausatmung in Richtung ihrer Bauchmuskeln gibst. Bei der Einatmung lässt du den Druck so nach, dass sich die Rippen bewegen können. Dies reduziert BVH stufenweise. Wenn du ihren Arm dann noch weiter strecken kannst, machst du sie darauf aufmerksam. Schnüre danach den Beutel wie folgt zu: Lass sie sich hinsetzen. Bitte sie, den Arm zu heben. Kerstin hat keine Schmerzen. Beschreibe im Detail, wie sich das Schulterblatt bewegt, wenn sie den Arm vorwärts oder nach oben streckt und, dass der Rücken dabei gleichzeitig rotiert. Kann sie fortan daran denken, dass sie das Schulterblatt bei jeder Armbewegung mitkommen lässt, wird sie auf diese Weise vermeiden , wieder Schmerzen zu bekommen.

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Lektionsbeispiel 7 - Tüchtige Hilde Hilde kommt mit starken Rückenschmerzen zu dir. Du siehst an ihrer Haltung, dass sie in ein ausgeprägtes Extensionsmuster hat. Du beginnst mit ihr ein Gespräch, um die mögliche Ursache herauszufinden. Esstellt sich heraus, dass sie an einem Tüchtigkeitssyndrom leidet. Sie verlangt von sich selbst, in allen Situationen perfekt zu sein. Ein Mensch, der große Anforderungen an sich selbst stellt, steht immer unter Stress. Hildes aktiver Schutzreflex würde sie nach vorn fallen lassen, wenn der Gleichgewichtsreflex ihren Körper durch das starke Anspannen der Rückenmuskulatur nicht aufrecht halten würde. Folglich sind sowohl ihre Flexionsals auch die Extensionsmuskeln von BVH betroffen. Das schränkt ihre Bewegungen in der Wirbelsäule, die Rotation des Beckens und die Möglichkeit des Pendelns der Arme und Beine ein.

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Du willst Hilde diesen Zusammenhang zeigen, wenn sie auf der Bank liegt. Sie kann nicht auf dem Rücken liegen, auch nicht gut gelagert, mit einem Kissen unter dem Hohlkreuz und einer Rolle unter den Knien. Wenn sie auf dem Bauch liegt, kann sie den Kopf weder nach links noch nach rechts drehen. Selbst wenn sie ein Bein im rechten Winkel zum Körper beugt oder du sie mit einem Kissen unter dem Bauch, der Schulter, der Brust oder gegen die Seite des Hinterkopfes unterstützt, ist es ihr unmöglich bequem zu liegen. Bild 7.1 Lass Hilde die Seitenlage einnehmen. Sie legt sich so auf ihre rechte Seite, dass sich ihr Ohr, ihre Schulter, Hüfte und Beine in einer Linie befinden und bestätigt dadurch deine Vermutung ihres gewohnheitsmäßigen Extensionsmusters. Da deine Hände ihre Spannungen noch nicht wahrgenommen haben, musst du dich zuerst davon überzeugen, dass deine Vermutung richtig ist. Verfahre so: Bild 7.2 Stell dich vor sie und beuge ihre Beine bis an die Antagonistengrenze. Umfasse danach mit deiner linken Hand ihre linke Schulter und mit der rechten Hand den unteren Teil ihres Brustrückens, um sie vorwärts zu rotieren. Eszeigt sich, dass du sie nicht von der Stelle bewegen kannst. Erkläre ihr, dass sie den Rücken nicht vorwärts rotieren kann, weil ihre Rückenstrecker die Bewegung hemmen. Bitte sie, selbst zu spüren, dass die Rotation unmöglich ist. Hilde protestiert gekränkt und zeigt, wie weit sie doch vorwärts rotieren kann. Gib zu, dass sie die Bewegung selbstverständlich ausführen kann, aber nur unter großer Anstrengung. Die gespannten Rückenmuskeln werden dann mit Gewalt gedehnt und verursachen, dass die Muskelspindeln einen Streckreflex auslösen, der die Muskeln bei jedem Versuch, den Rücken zu rotieren oder zu beugen, an-

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spannt. Genau diese willkürliche Bewegung hat zur Zunahme der BVH geführt, bis über die Schmerzgrenze hinaus. Aus diesem Grund leidet sie ständig an Rückenschmerzen. Bild 7.3 Lege dann deine rechte Hand auf ihre Schulter, deine linke auf die Stirn und rotiere sie rückwärts. Diese Bewegung lässt sich leicht ausführen, da sie zu ihrem Bewegungsmuster gehört. Sie hilft also unbewusst mit. Erkläre ihr, warum die Bewegung so leicht geht (erinnere sie an ihren Gleichgewichtsreflex und das Tüchtigkeitssyndrom) und rolle sie noch einige Male rückwärts und vorwärts , damit sie den Unterschied spüren kann. Bild 7.4 Um ein Bild vom Extensionsmuster im unteren Teil des Oberkörpers zu bekommen, stellst du dich in Höhe ihrer Knie. Umfasse mit deiner rechten Hand ihr linkes Fußgelenk von unten und mit deiner linken Hand die Innenseite des linken Knies. Hebe ihr Bein und führe das Knie in Richtung des Bauches bis zur Antagonistengrenze. Falls du das Bein im Hüftgelenk nicht im Winkel von 90° zum Bauch beugen kannst, erklärst du, dass die Spannung in den Gesäßmuskeln und Kniebeugern (zeige die ischiocruralen Muskeln) zu den Rückenschmerzen beiträgt. Du setzt dich so auf deinen Hocker, dass sie dich seitlich (im Profil) sehen kann und demonstrierst die Beugung im Hüftgelenk von etwa 90° bei normaler Stellung. Du zeigst ihr auch die Bewegung, die du ausführst, wenn du deinen Fuß kratzt, d.h . du beugst dich vorwärts in eine gleichmäßige Rückenbeugung, die im Hüftgelenk beginnt. Zeige und erkläre ihr, dass die Voraussetzung für die Beugung des Rückens die Verlängerung der Rückenstrecker, der Gesäß- und der ischiocruralen Muskulatur ist. Diese Muskeln sollten dafür mehr oder weniger von BVH befreit sein. Die ischiocrurale Muskulatur, die in ihrem Ursprungsteil (proximal) eine Streckfunktion hat, und die Gesäßmuskeln können zusammen einen so hohen Tonus haben, dass Hilde nicht gerade sitzen kann, sondern sich lieber auf einer Couch oder einem Stuhl zurücklehnt (mit Rundrücken sitzt), wenn sie fernsieht. Bei diesen Erklärungen wird sie sich selbst wieder erkennen. Du stellst fest, dass die Extension im unteren Teil des Körpers stärker ist, als die im oberen Teil. Darum ist es angebracht, die Rotation erst im oberen Teil auszuführen und im Anschluss mit dem Rückwärtsrotieren fortzusetzen (dem gewohnheitsmäßigen Muster entsprechend). Verfahre wie folgt: Bild 7.5 Stell dich an ihren Kopf. Hebe ihren linken Arm und lege ihre Hand auf ihre Stirn. Lege deine linke Hand auf ihren linken Ellbogen und deine rechte Hand oberhalb ihrer linken Hand als Stütze für ihre Hand. Rotiere den Kopf nach links und führe gleichzeitig den Arm nach hinten. Der Oberkörper kommt dann in einer undifferenzierten Bewegung bis an die Antagonistengrenze der Flexoren mit, aber ihm fehlt die Stütze .

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Bild 7.6 Die Stütze bekommt sie, indem du deine rechte Hand als Positionsstütze unter ihre linke Schulter (dorsal) legst. Nimm dann ihren linken Arm und lege ihn an der Rückseite ihres Körpers der Länge nach auf die Bank (vielleicht mit einem Kissen unter den Arm). Falls du ihn nicht dort ablegen kannst, legst du ihn auf die Hüfte oder den Bauch, sodass er nicht abgleitet. Hilde kann diese Position als unsicher empfinden. Darum musst du die Stütze gegen ihre Schulter halten, während du dich an ihre Rückseite setzt. (Ein bisschen lästig, aber „Übung macht den Meister".) Jetzt bist du in der Ausgangsposition, um die Flexoren weiter zu verlängern. Du setzt so fort: Bild 7.7 Lege die Fingerkuppen deiner rechten Hand von unten auf die Dornfortsätze der Lendenwirbel. Lege die linke Hand dorsal an den linken Trochanter und gib einen diagonalen Druck in Richtung der rechten Schulter. Gleichzeitig übst du leichten Druck mit den Fingerkuppen der rechten Hand aus. Sie bekommt dann das Gefühl einer leichten Vorwärtsrotation. Du übernimmst damit Arbeit in den Flexoren. Lass den Druck langsam nach und beobachte, wie sich der Oberkörper jetzt bis zu der versetzten Antagonistengrenze rückwärts bewegt. (Die Wirbelsäule wird rotiert.) Stütze sie mit einem Kissen, falls notwendig. Du kannst den Oberkörper ohne die Taillenmuskeln nicht rotieren. Also musst du BVH auch in diesen reduzieren, um die Rotation vollenden zu können. Verfahre so: Bild 7.8 Lege deine linke Hand auf den Beckenkamm und deine rechte auf die Rippen in der Taille. übernimm Arbeit in den Muskeln der Taille und der unteren Rippen, indem du deine Hände zueinander führst. Bei Akzeptanz führst du die Hände auseinander und gleichzeitig rotierst du das Becken im Takt der Einatmung mit deiner linken Hand vorwärts und den Brustkorb mit der rechten Hand rückwärts. (Die Rotation ist minimal.) Bei ihrer Ausatmung rotierst du zurück. Das Gehirn assoziiert dadurch ein differenziertes Bewegungsmuster für die Rotation des Oberkörpers und des Beckens. Um Hildes Gehirn daran zu gewöhnen, die erlernte Bewegungsfähigkeit der Flexoren zu nutzen, integrierst du deren Verlängerung in ein typisches Bewegungsmuster. Setze fort: Bild 7.9 Stelle dich an ihren Kopf. Nimm ihr linkes Handgelenk mit deiner rechten, umfasse den Ellbogen mit deiner linken und hebe den Arm. Bild 7.10 Lege dann deine rechte Hand ellbogennah und lass ihren Unterarm auf deinem ruhen. Strecke den Arm und füge gleichzeitig ein Element hinzu, indem du deine linke Hand auf ihre frei schwebenden Rippen legst. Unterstütze die Streckung mit deiner Hand auf Hildes Rippen (Integration). Nun genießt

Hilde es, sich vollkommen ausstrecken zu können; eine Fähigkeit, die sie sicherlich häufig braucht. Sie wird wahrscheinlich tief einatmen. Wenn sich die Antagonistengrenze der Flexoren erweitert hat, haben sich auch die Extensoren verlängert. Rotiere sie vorwärts, um dies zu kontrollieren . Du bemerkst, dass die Rotation umfangreicher geworden ist, aber nicht genügt, um ihren linken Unterarm auf der Unterlage vor sich aufstützen zu können (eine Ruheposition). Verlängere die Extensoren mithilfe der Beckenrotation. Verfahre folgendermaßen: Setze dich wieder in Höhe ihrer Knie. Umfasse wie zuvor das Fußgelenk und die Knie. Teste, ob die Extensoren so nachgelassen haben, dass du das Knie näher als zuvor an den Bauch beugen kannst. Falls das noch nicht möglich ist, solltest du versuchen, die Extensoren loszulassen, indem du den Oberschenkel rotierst. Bild 7.11 Lege das linke Bein nach Möglichkeit im rechten Winkel auf dem rechten Bein ab. Fasse mit deiner rechten Hand von unten ihren linken Unterschenkel (fußgelenknah) und füge ein Element hinzu, indem du deine linke Hand auf den linken Trochanter (Mm. gluteus medius und minimus = die Hüftenmuskeln) legst. Drehe den Oberschenkel mit dem Unterschenkel als Hebel. Beobachte, ob sie dir hilft (1) oder ob du Widerstand spürst (2). 1) Falls sie dir hilft, fällt sie in ihr Gewohnheitsmuster, was sie den Unterschenkel mit den Innenrotatoren des Hüftgelenkes selbst heben lässt. Mache sie darauf aufmerksam, dass sie die Bewegung nicht selbst machen sollte. Falls sie das nicht spürt, hebst du nochmals den Unterschenkel (unter ihrer unbewussten Mitwirkung) und lässt ihn in der oberen Position, wo die Antagonistengrenze erreicht ist, los. Dann bleibt der Unterschenkel in der oberen Position und ihre Mitarbeit wird ihr sofort bewusst. Bitte sie nun, den Unterschenkel so loszulassen, dass er in deiner Hand ruht. Sie hilft dir, weil das Gehirn reflexartig das gewohnheitsmäßige Bewegungsmuster abgerufen hat. Um das zu vermeiden, bittest du sie, das Kommando über ihre Muskeln selbst zu übernehmen , d.h . in diesem Fall, nicht reflexmäßig zu reagieren. Indem sie das Unterschenkelheben mit ihrem eigenen Willen äußerst vorsichtig und in nur kurzen Bewegungen ausführt, vermeidet sie, dass ihr Gehirn das Gewohnheitsmuster einschaltet. Stattdessen folgt das Gehirn ihrem willkürlich gesteuerten Bewegungsmuster. Lass sie die willkürlich gesteuerte Bewegung einige Male wiederholen und lege dabei ihre linke Hand so auf die Rotatoren, die ihren Ansatz am Trochanter haben, dass sie die Muskelspannungen selbst spüren kann (taktile Information) . Sie erlaubt dir jetzt, das Bein ohne ihre Mithilfe zu heben.

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Im Prinzip gehst du genauso vor, wenn dich der Schutzreflex des Schülers am Ausführen eines Manipulons hindert. Um die Reaktion des Schutzreflexes zu vermeiden , musst du das Manipulon ganz besonders vorsichtig beginnen . 2) Falls du Widerstand spürst, bedeutet es u. a., dass die vier Muskeln Sartorius, Semitendinosus , Gracilis und Semimembranosus von BVH betroffen sind. Hilde hält ihren Unterschenkel in einer nach innen rotierten Stellung. Die Ferse richtet sich dann zur Decke. Diese Haltung gehört zur Ausdrucksweise des Schutzrefle xes. Solch eine Stellung hindert dich mehr oder weniger daran , den Unterschenkel zu heben . Verfahre so: Bild 7.12 Hebe das linke Knie so, dass du ihr rechtes Bein lang ausstrecken kannst. Lege das linke Bein gebeugt auf die Bank. Bild 7. 13 Umfasse mit deinem rechten Daumen und Zeigefinger ihren linken großen Zeh, sodass sich dein Zeigefinger auf dem Endglied der Nagelseite befindet. Lege deine linken Zeige- und Mittelfinger dorthin , wo Calcaneus, Os naviculare und talus auf dem unte ren Sprunggelenk der Medialseite des Fußes aufeinan dertreffen. Drehe den Fuß so, dass der Nagel des großen Zehs auf der Bank li egt . Führe den Zeh auf der Bank schleifend in Richtung des ausgestreckten rechten Beines. Gib gleichzeitig mit Zeigeund Mittelfinger deiner linken Hand einen Druck. Bei dieser Bewegung wird das Knie gebeugt, der Unterschenkel wird nach innen rotiert, der Fuß macht eine Supinationsbewegung und Plantarflexion, (die Ferse zeigt in Richtung Decke.), der Oberschenkel wird nach innen und das Becken nach rechts rotiert. Die Akzeptanz bedeutet , dass du Arbeit unter anderem in den vier oben genannten Muskeln, i n den Mm. gluteus medius und minimus (den Innenrotatoren ) und den Unterschenkelmuskeln , die für Supination und Plantarfl exion verantwo rtlich sind, übernommen hast. Rub it in! Bild 7.14 Komm jetzt in die Ausgangslage zurück, um die Oberschenkeldrehung auszuführen. Hebe das linke Knie mit deiner rechten Hand, strecke deinen linken Arm unterhalb des gehobenen Knies durch und fasse die Kniekehle des gestreckten Beines an. Beuge es so an, dass es in gleicher Höhe mit dem linken liegt. Lege dann das linke Knie auf das rechte. Wenn du jetzt wieder den Oberschenkel mit dem Unterschenkel als Hebel rotierst , spürst du keinen Widerstand mehr. M. gluteus maximus (Gesäßmuskel) und die ischiocrurale Muskulatur sind Antagonisten , wenn die Mm. gluteus medius und minimus Rotatoren sind. Wenn jetzt BVH in den Letztgenannten vermindert ist , ist (dank des Sherrington'schen Gesetzes) auch BVH im M. gluteus maximus und der ischiocruralen Muskulatur entsprechend vermindert. Die Extensoren im unteren Teil ihres Oberkörpers sind also entspannt worden und du kannst ihr Bein weiter Richtung Bauch beugen.

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Setze damit fort , die Rotationsbewegung des Beckens mit dem Oberkörper zu integrieren . Beginne so: Bild 7 .15 Lege deine rechte Hand auf den Unterschenkel und deine linke auf den Oberschenkel, beide in Knienähe. Rolle so mit den Händen, dass sich die Fingerkuppen einander diagonal begegnen. Du übernimmst weiter Arbeit in der ischiocruralen Muskulatur. Gleichzeitig beobachtest du, ob die BVH in der Oberkörpermuskulatur soweit vermindert worden ist, dass das Becken ein wenig rotiert. Rotiert das Becken, verdeutlichst du Hilde die Bewegung folgendermaßen: Setze dich hinter ihren Rücken in Höhe ihres Beckens. Bild 7.16 Lege deine linke Faust leicht auf die Rückseite und die rechte Hand auf die Vorderseite des Beckenkamms. Rotiere das Becken langsam auf dich zu und von dir weg (auch die Wirbelsäule wird rotiert ,) und spüre, in welche Richtung die Bewegung am leichtesten geht. Wähle diese Richtung und gehe zur Antagonistengrenze; auf dich zu übernimmst du Arbeit in den Extensoren, in Richtung von dir weg, übernimmst du Arbeit in den Flexoren. (Falls du spürst, dassdie BauchmuskelnWiderstand leisten, klopfst du ein wenig mit den Fingerkuppen deiner rechten Hand auf sie, um zu zeigen, welchen Muskel Hilde entspannen soll.) Nach der Akzeptanz prüfst du, ob sich das Becken weiter bewegt. Bild 7.17 Danach integrierst du den Brustkorb in einer Gegenrotation. Behalte die linke Hand auf dem Beckenkamm und lege den rechten Daumen in Höhe des 12. Brustwirbels (des Wirbels , bei dem die Wirbelsäulenbewegung anfangen kann). Gib mit beiden Händen einen Druck. (An Brustkorb und Becken wird eine undifferenzierte Bewegung ausgeführt.) Die Akzeptanz zeigt, dass du Arbeit in den Flexoren übernommen hast. Danach legst du die linke Hand auf die Vorderseite des Beckens und führst es rückwärts auf dich zu (differenzierte Bewegung). Nachdem nun BVHin den Rotatoren reduziert ist, kannst du jetzt das Becken mit dem Oberkörper integrieren. Verfahre so: Bild 7 .18 Stell dich in Höhe ihres Bauches. Lege die Finger deiner rechten Hand in einer Reihe längs der Dornfortsätze im Übergang zwischen den Brust- und Lendenwirbeln von unten an und deinen rechten Unterarm gegen den Beckenkamm ventral. Lege deine linke Hand ventral auf die unteren Rippen mit dem Unterarm auf den Brustkorb in dorsale Richtung. Mit der Einatmung entfernst du das Becken vom Brustkorb diagonal. (Die Wirbelsäule wird rotiert.) Geh langsam vor, sodass der Schutzreflex nicht ausgelöst wird. Während der Ausatmung gehst du mit der Rotation zurück.

Du bringst also mit den Unterarmen die Rotationsbewegung zustande . Die diagonalen Bauchmuskeln werden verlängert und das Becken bewegt sich dorsal. Die diagonalen Rückenmuskeln werden verlängert und der Brustkorb bewegt sich ventral. Die Rotation der Wirbelsäule wird durch die Finger auf den Dornfort sätzen und die Hand auf den Rippen verdeutlicht. Schnüre den Beutel zu, indem du Hilde vorwärts rotierst. Lass sie spüren, dass sie sich jetzt soweit nach vorne drehen kann, dass sie sogar ihren linken Unterarm ohne Anstrengung auf der Unterlage vor sich abstützen kann. Für Hilde ist das ein AhaErlebnis . Wiederhole die Manipulonen auf ihrer rechten Seite. Da die Schulter, der Brustkorb und die Hüften jetzt unabhängig voneinander rotieren können, pendeln auch die Arme und Beine ungehindert. Nachdem Hilde gelernt hat, die Schulter und die Hüften zu rotieren, kannst du ihr zeigen , dass sie auch den Kopf drehen kann. Darum bittest du sie, sich auf den Rücken zu legen . Zu ihrer Überraschung kann sie jetzt akzeptieren, so mit einer Rolle unter ihren Knien zu liegen. Verfahre so: Bild 7. 19 Setz dich hinter ihren Kopf und hebe ihn mit deinen beiden Händen. Drehe ihn nach rechts. Lass ihn in dieser Position auf deinem linken Unterarm und deiner Hand ruhen. Gleich-

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Hi/da sagt: «Aha!»

zeitig nimmst du mit deiner rechten Hand von dorsal die rechte Schulter so, dass du mit den Fingern in die Achselhöhle greifen kannst. Führe die Schulter gegen die rechte Wange. Halte den Kopf und die Schulter still in einem „Päckchen verbunden" und mache eine undifferenzierte Bewegung (Lateralflexion) in der Wirbelsäule in der Horizontalebene nach links und rechts. Du wartest, wie immer auf Akzeptanz. Mit derselben Handposition führst du mit Schulter und Kopf einen Kreis (Rotation der Wirbelsäule) in der Vertikalebene aus. Dann hast du Arbeit in allen bezogenen Muskeln übernommen. Danach führst du die gleiche Bewegung mit dem Kopf und der Schulter differenziert aus. Wiederhole die Manipulonen mit ihrer linken Schulter. Bild 7.20 Schnüre den Beutel zu, indem du den Kopf ablegst und ihn so lagerst, dass er die optimale Rotationslage bekommt (so dass die Wirbelsäule eine gerade Linie in der Horizontalebene bildet). Lege deine rechte Handfläche mit ausgestreckten Fingern auf die Stirn und rotiere den Kopf langsam nach links. Wechsle die Hand und rotiere langsam nach rechts . Wechsle hin und her, bis sich die Bewegung frei anfühlt. Nimm danach die Rolle unter Hildes Knien weg, und lass sie spüren, dass sie jetzt mit geraden Beinen ausgestreckt auf dem Rücken liegen kann. Bitte sie danach, sich hinzusetzen. Sie spürt zu ihrer Erleichterung, dass die Rückenschmerzen nachgelassen haben. Bitte sie, sich vorwärts und rückwärts zu beugen. Mache Hilde darauf aufmerksam, dass sie die Schwerkraft ausnutzen kann, um die Vorwärtsbeugung zu erleichtern. Wenn sie sich nach hinten beugt , sollte sie daran denken, dass sie die Vorderseite des Körpers verlängert , was ihr erlaubt, sich ohne Anstrengung rückwärts zu strecken. Don ' t overdo! Lass sie aufstehen, im Zimmer umherlaufen und wahrnehmen , wie die Lektion auf sie gewirkt hat. Hilde empfindet das Gehen als leicht und fühlt sich gleichzeitig stabil. BVH ist so reduziert, dass sie weniger Kraft zum Gehen braucht. Gleichzeitig hat der Gleichgewichtsreflex Zugang zu mehreren und flexibleren Muskeln bekommen , was ihr ein Gefühl von Stabilität gibt. Durch das leichtere Gehen fühlt sie sich auch stärker. infolge der allgemeinen Muskelentspannung hat sich ihr Schwerpunkt nach unten verlagert. Sie hat das Gefühl, kürzere Beine zu haben.

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Lektionsbeispiel 8 - Stütze durch den Kopf

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Heinz klagt über Nackensteife und dadurch entstandene Schmerzen. Das Kopfwenden fällt ihm schwer. Bitte ihn, sich auf die linke Seite zu legen. lagere seinen Kopf auf Platten, bis die Halswirbelsäule seitlich gerade ist. (Die Lagerung muss während der Lektion eventuell angepasst werden). Er legt sich mit dem Kopf nach hinten gestreckt; ein Zeichen dafür, dass die Nacken- und Rückenstrecker gespannt sind . Wahrscheinlich ist das die Ursache seiner Schmerzen. Bild 8.1 Um eine Bestätigung des Extensionsmusters zu bekommen, setzt du dich ans Kopfende . Nimm seine Schädelbasis mit Gabelgriff in deine linke Hand und fasse seinen Unterkiefer mit deiner rechten Hand. Führe den Kopf vorsichtig und in nur winzigen Bewegungen rückwärts und vorwärts. (Flexion, Extension) Dabei spürst du, dass sich die Neigung des Kopfes nach hinten leichter ausführen lässt, da sie seinem Extensionsmuster entspricht. Bild 8.2 Jetzt willst du die Spannung (BVH) im Streckmuster reduzieren. Lege die Fingerkuppen beider Hände auf seinen Scheitel. Führe den Kopf vorsichtig nach hinten zur Antagonistengrenze, die von den Halsmuskeln bestimmt wird. Dort gibst du einen leichten Druck in die Wirbelsäule. Bei diesem Druck, der eine Stütze darstellt, musst du den Kopf in einer Linie mit der Wirbelsäule halten, sodass kein Schieben zwischen den Wirbeln entsteht. Da du in ein gewohnheitsmäßiges Muster hineingehst, verursacht diese Maßnahme keine Unruhe. (Du brauchst deshalb kein Auslösen des Schutzreflexes befürchten.) Mit dem Druck übernimmst du Arbeit in den Muskeln, die die Wirbel verbinden. Bei Akzeptanz bekommst du die Bestätigung durch die Verlängerung der Wirbelsäule. Auch wenn andere Anzeichen ausbleiben, erhältst du auf jeden Fall einen leichten Gegendruck. Dank der Paarkopplung übernimmst du auch Arbeit in den Halsmuskeln. Der von dir gegebene Druck setzt sich über die Wirbelsäule zum Brustkorb, Becken, zu den Beinen und Füßen fort. Dabei hast du Arbeit in den verbundenen Muskeln übernommen und BVH wurde reduziert. Führe jetzt ein Oszillieren in die Wirbelsäule hinein aus. Beobachte, dass sich dabei die Bewegung bis in die Füße fortsetzt. Lass den Druck sehr langsam nach, sodass Heinz eine deutliche Verlängerung seiner Wirbelsäule spürt. Nimm dann seine Schädelbasis und den Unterkiefer mit Gabelgriff, ziehe den Kopf sehr leicht kranial und oszilliere - wenn möglich. Das stabilisiert die Muskelentspannung entlang der Wirbelsäule und vermittelt ihm das Gefühl von Leichtigkeit und Zufriedenheit.

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Falls Heinz sich zu Beginn der Lektion mit dem Kopf nach vorn gebeugt legt , deutet das auf ein Flexionsmuster. Du beginnst dann mit diesem Muster anstatt des Streckmusters. Im Übrigen verwendest du die gleichen Manipulonen wie oben . Die beschriebene Manipulonsequenz kannst du selbstverständlich auch in der Bauch- oder Rückenlage anwenden , falls diese Positionen je nach den Gegebenheiten des Schülers geeignet sind. Den Beutel schnürst du zu, indem du Heinz erleben lässt, wie beweglich sein Nacken jetzt ist. Verfahre folgendermaßen : Bild 8.3 Bitte ihn , sich auf den Rücken zu legen. Setze dich ans Kopfende und fasse seinen Kopf, indem du die Hände seitlich unter den Kopf führst, sodass der Hinterkopf in deinen Händen ruht. Die Hände dürfen den Nacken nicht berühren. Positioniere deine Daumen vor den Ohren. Hebe den Kopf ein wenig und warte bis Heinz entspannt und dir seinen Kopf überlässt . Falls er das nicht tut (Seine Flexoren halten fest.), bittest du ihn, selbst das Kinn ein wenig zu heben. Dann aktiviert er die Extensoren, die zu der Bewegung, die du selbst ausführen willst, gehören (ein bekanntes Bewegungsmuster). Danach kannst du den Kopf vermutlich leichter heben. Bild 8.4 Solltest du seinen Kopf noch immer nicht heben können, legst du deine Daumen auf seinen Unterkiefer und gibst einen leichten Druck gegen die Brust. Warte auf Akzeptanz. Wenn sie kommt , hast du Arbeit in den Flexoren übernommen. Bild 8.5 Hält Heinz seinen Kopf noch immer fest, wenn du ihn heben willst, fasst du mit einer Hand um seinen Hinterkopf und mit der anderen als Richtungsweiser sein Kinn, um es vorsichtig von der Brustwegzuführen. Wenn du das Gefühl hast, den Kopf vollständig in deinen Händen zu halten, rotierst du ihn nach links und rechts zu den Antagonistengrenzen. Beuge ihn in den Diagonalebenen mit dem Kinn in Richtung der linken beziehungsweise der rechten Hüfte. Schließe damit ab, ihn in der Medialebene nach vorn und hinten zu beugen und zu strecken. Erst wenn Hans' Nackenmuskulatur richtig frei ist, kannst du "die Kopfbewegung der Tempeltänzerin" mit ihm ausführen: Führe den Kopf nach links und rechts in derselben Ebene. Die Bewegung des Kopfes geschieht dann relativ zugeordnet zur Wirbelsäule. Dadurch erhält er ein umfassendes Bild seiner neuen Bewegungsfähigkeit. Nach der Lektion kann Heinz seinen Kopf leichter wenden. Lass ihn dies vorsichtig im Sitzen und Stehen probieren. Er wird dabei spüren, dass Nackensteife und Schmerzen nachgelassen haben oder sogar verschwunden sind.

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Lektionsbeispiel 9 - die Sekretärin Ellinore kommt zu dir und klagt über Rückenschmerzen. Sie arbeitet in einem Büro und hat Schmerzen, wenn sie sich nach einer Mappe streckt oder nach vorn beugt , um etwas vom Boden aufzuheben .

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Dafür gibt es eine Erklärung . Liegt der Grad von BVH eines Muskels direkt unterhalb der Schmerzgrenze, löst das den Schmerz im Muskel aus, wenn Ellinore ihn gebraucht, denn er wird noch mehr gespannt , d. h. die Schmerzgrenze wird schnell erreicht. Ein typisches Beispiel dafür ist das schmerzende Kreuz, wenn sie aus dem Sitzen ins Stehen kommt.

Die Muskulatur des Kreuzes ist durch Bewegungsvergessenheit eingeschränkt, und wenn sie aufsteht, überschreiten die Spannungen in den Muskeln die Schmerzgrenze.

Die Muskulatur des Kreuzes ist durch BVH eingeschränkt, und wenn sie aufsteht , überschreiten die Spannungen in den Muskeln die Schmerzgrenze. Hat sie sich aufgerichtet , sinkt die Spannung in den genannten Muskeln wieder bis unterhalb der Schmerzgrenze , da die Kreuzmuskeln nicht so fest angespannt werden , wie beim Aufstehen . Um den Rücken vorwärts zu beugen, müssen die Extensionsmuskeln verlängert werden können. Das gilt beim Strecken auch für die Flexionsmuskeln , wenn sie sich nach etwas strecken will. Da sowohl Ellinores Extensions- als auch ihre Flexionsmuskeln in ihrer Flexibilität durch BVH eingeschränkt sind, braucht sie beim Beugen und Strecken besonders viel Kraft , was die naheliegende Ursache ihrer Schmerzen ist. Beim Vorwärtsbeugen spielt die Beeinträchtigung der Flexionsmuskeln durch BVH keine so große Rolle. Wenn die Extensionsmuskeln nur ein wenig nachgeben können, ist die Schwerkraft für den Rest der Vorwärtsbeugung verantwortlich. In Ellinores Situation muss ihr Gehirn also vorrangig Kontrolle über die Extensionsmuskulatur gewinnen , sodass diese beim Vorwärtsbeugen verlängert werden kann. Wie du weißt, ist es die beste Taktik, die schmerzhaften Punkte nicht direkt zu berühren. Du entschei dest daher, dich den Extensionsmuskeln mit Hilfe einer Lateralflexion der Wirbelsäule zu nähern. Das Bein dient dir dazu als Hebel. Voraussetzung dafür ist eine relativ freie Beugefähigkeit ihres Knie- und Hüftgelenkes . Beginne mit dem Knie: Bitte sie, sich auf den Rücken zu legen und lagere sie gut. Beuge ihr linkes Bein (Das Knie richtet sich zur Decke,) und führe die Ferse zum Gesäß. Stelle den Fuß auf und zeige ihr, mit welchem Abstand sie die Ferse zum Gesäß setzt. Wahrscheinlich sind es ein paar Dezimeter . Da die Bewegungen ihres M. quadriceps (des Kniestreckers) und der Antagonisten (der ischiocruralen Muskulatur) durch BVH eingeschränkt sind, ist sie im Augenblick nicht in der Lage, die Ferse näher an ihr Gesäß zu bringen.

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Bild 9.1 Setz dich neben sie auf die Bank und halte deine rechte Hand so, dass die Handfläche am Fibulakopf und die Finger in der Kniekehle liegen . Der Zeigefinger liegt dann an der Sehne des M. biceps femoris. Platziere die linke Hand über den Fuß nahe dem Fußgelenk. Supiniere und mache gleichzeitig eine Außenrotation im Unterschenkel. Die Antwort zeigt, dass du Arbeit (Reduzierung BVH) u. a. in den Supinatoren des Fußes und des M. biceps femoris übernommen hast. Bild 9.2 Danach führst du mit Nachdruck die Pronation aus, als ob du dem Gehirn zeigen wolltest: ,,So stehst du auf dem Fuß". Mit der rechten Hand machst du mit dem Unterschenkel gleichzeitig eine Innenrotation . (Ihr M. biceps femoris lässt diese Bewegung jetzt zu.) Damit liegt die richtige Belastungsrichtung im Fußgewölbe. Der Fuß bekommt diesen Druck bei jedem Schritt. infolge der reziproken Hemmung entspannt sich der Antagonist der ischiocruralen Muskulatur, der M. quadriceps . (BVH ist vermindert.) Du kannst jetzt den Fuß näher an den Po heranführen. Setze mit dem Hüftgelenk fort: Stell dich an ihre linke Seite in Höhe ihres Hüftgelenkes . Fasse ihr linkes Fußgelenk mit deiner linken Hand von unten und halte mit deiner rechten die Kniekehle. Beuge und halte das Bein so, dass du einen rechten Winkel im Knie- und Hüftgelenk erreichst. Lege jetzt deine rechte Hand auf ihr Knie. Rotiere, abduziere, adduziere und flektiere im Hüftgelenk. Kontrolliere die Antagonistengrenzen, um später feststellen zu können , ob sie sich erweitert haben. Wenn du im Hüftgelenk flektierst, beobachtest du, dass sie ihr Bein nur im Winkel von 90 ° beugen kann. Mache sie darauf aufmerksam , dass ihre Beugefähigkeit eingeschränkt ist , da sie die Rückenstrecker und Gesäßmuskeln anspannt. (Entspannt sie jedoch ihren Rücken und das Gesäß, kann sie das Bein noch weiter zum Bauch beugen.) Sage ihr, dass du ihr jetzt helfen möchtest, die Steuerfähigkeit über diese Muskeln zurück zu gewinnen. (Damit sie die Muskulatur willkürlich verlängern kann.) Bild 9.3 Behalte den Griff deiner linken Hand bei. Lehne das Knie an dich , wenn erforderlich. Rotiere das Bein nach innen zur Antagonistengrenze. Integriere gleichzeitig das Becken in die Bewegung (Zufügen eines Elements), indem du, mit deiner rechten Faust gegen den Trochanter, von der Rückseite des Oberschenkels einen Druck gibst. Die Taille links wird dann verkürzt und die Wirbelsäule wird nach rechts ein wenig lateralflektiert. Warte auf Akzeptanz. Du hast Arbeit in den Taillenmuskeln links, den Innenrotatoren und deren Antagonisten übernommen. Bild 9.4 Rotiere dann das Bein nach außen bis zur Antagonistengrenze . Integriere gleichzeitig das Becken in die Bewegung,

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indem du mit der Zeigefingerseite deiner rechten Hand einen leichten Druck auf die Bauchseite des Trochanters gibst. Die linke Taille wird so verlängert und die Wirbelsäule ein wenig nach links lateral flektiert. Die Akzeptanz bestätigt dir, dass du Arbeit in den Taillenmuskeln rechts , in den Außenrotatoren und deren Antagonisten übernommen hast. Rotiere das Bein einige Male nach innen und außen. Beobachte dabei , ob sich der Bewegungsumfang erweitert hat . Bild 9.5 Beuge nun das Bein noch einmal im Hüftgelenk. Du stellst fest , der Bewegungsumfang lässt sich noch etwas erweitern. Streiche mit deiner geballten Faust einige Male an der Kniekehle beginnend in Richtung Sitzknochen über die Rückseite des Oberschenkels. Verweile am Sitzknochen und gib sanften Druck gegen ihn. Die Antwort bedeutet , dass du Arbeit in der ischiocruralen Muskulatur und dem M. gluteus maximus übernommen hast . Du kannst das Bein jetzt näher zum Bauch beugen und das Becken kippt dabei in Richtung Unterlage . Bild 9.6 Füge ein Element hinzu , indem du deine rechte Hand leicht gegen den Beckenkamm drückst , während du das Bein an der Antagonistengrenze flektiert hältst. Die Akzeptanz bestätigt dir, dass du Arbeit in den Bauchmuskeln (den Flexoren) über nommen hast. (Der Druck gibt auch dem Gehirn Hinweis auf eine Beckenkippung.) Beuge dann im Hüftgelenk. Gleichzeitig bittest du Ellinore , auf den Zusammenhang zwischen gebeugtem Hüftgelenk und dem Kontakt des Kreuzes mit der Unterlage zu achten. (Das Becken kippt rückwärts, die Schwanzwirbel bewegen sich vorwärts .) Ihr Gehirn hat dadurch das Bild der Rückenflexion bekommen . Jetzt kannst du das nicht nur mit dem Becken als Ausgangspunkt zeigen , sondern von der Schulter. Verfahre so: Bild 9. 7 Beuge ihre beiden Beine an und stelle die Füße fest auf die Bank. lagere sie. Falls sie sich dabei instabil fühlt , beginne damit , sie mit geraden Beinen und einer Rolle unter den Knien zu lagern. Stelle dich an ihre linke Seite in Hüfthöhe. Lege deinen rechten Daumen auf ihre linke Spina iliaca anterior superior (den vorderen Beckenkamm) und deine linken Finger an die Rippen gleich unterhalb des rechten Caput humeri (des Schulter kopfes des Oberarms) hinter den Pectoralismuskeln. Führe die Hände aufeinander zu und warte auf Akzeptanz. Dann hast du Arbeit in den diagonalen Muskeln zwischen der rechten Schulter und dem linken Beckenkamm auf der Vorderseite übernommen. Bild 9.8 Da die Antagonisten (die Rückenstrecker) jetzt eine Verlängerung akzeptiert haben, setzt du damit fort , mit deiner linken Hand ihr rechtes Handgelenk zu fassen und mit deiner rechten Hand oberhalb der Epikondylen (der Gelenkknorren) des

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Ellbogens zu greifen. Dann ziehst du den ganzen Arm zu dir in diagonaler Richtung bis an die Antagonistengrenze. Bild 9. 9 Sollte das Schulterblatt diese Bewegung nicht zulassen, kannst du mit der Rückseite deiner linken Hand richtungsweisend (diagonal) sanften Druck gegen den Rippenbogen (Arcus costalis ) geben, auf dessen Seite du stehst. Die Wirbelsäule rotiert und das Gehirn erkennt das Bewegungsmuster. Beobachte, dass der Kopf gleichzeitig mitrollt. Bild 9.10 Rotiert die Wirbelsäule nicht, legst du die Medial-/ Dorsalseite dei ner rechten Hand an die rechte Schläfe und rollst den Kopf undifferenziert, während du gleichzeitig ihren rechten Arm in Richtung ihrer linken Hüfte führst. Bild 9.11 Danach differenzierst du die Kopfdrehung mit dem Oberkörper , indem du die Medial- / Dorsalseite dei ner rechten Hand gegen die linke Schläfe legst , während du i hren rechten Arm in Richtung ihrer linken Hüfte führst. Bild 9.12 Füge nun ein Element hinzu . Lege deine linke Hand auf ihr linkes Knie. Beuge das Bein zum Bauch. Lege ihre rechte Hand auf die Außenseite ihres linken Knies. Halte die Hand dort mit deiner rechten Hand obenauf. Mit deiner linken Hand auf ihrem Knie, wiegst du sie undifferenziert einige Male hin und zurück , indem du wechselweise das linke Bein weiter gegen den Bauch beugst und es zurückkommen lässt. Die rechte Schulter sollte etwas von der Unterlag e gehoben werden , während du ziehst. Wenn du Akzeptanz bekommst , hast du weitere Arbeit in den Flexoren übernommen. Aufgrund der Paarkopplung werden auch die Extensoren entspannt. Bild 9.13 Nimm ihre Hand mit deiner rechten Hand vom Knie weg und gehe wie folgt in eine differenzierte Bewegung über : Bewege das Knie weiter zum Bauch und zurück und führe den Arm/die Hand dabei gleichzeitig einige Male am Knie vorbei. Lasse Ellinore auch das akzeptieren . Ihr Gehirn ist dabei an das entsprechende differenzierte Bewegungsmuster erinnert worden. Wiederhole die Manipulonen auf ihrer rechten Seite . Wenn BVH in den Flexoren und Extensoren reduziert werden konnte , kannst du ihr Soma daran erinnern , dass sie den Fuß stützen und das Becken dadurch heben kann. Verfahre so: Bild 9. 14 Beuge das rechte Bein im Knie- und Hüftgelenk an und stelle den Fuß so nahe wie möglich an das Gesäß. Halte das Knie mit der rechten Hand in dieser Position und setze dich auf die Bank. Mit deiner rechten Hand gibst du einen Druck vom Knie in die Fußsohle. Das Becken hebt sich ein wenig und dann plat zierst du deine linke Faust unter dem rechten Sitzknochen. Das Gehirn lässt jetzt die Verlängerung der Flexoren , der Extenso-

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ren und der Taillenmuskeln zu. Mit einem Faustdruck Richtung Decke kannst du nun zeigen, dass sich das Becken heben lässt. Bitte sie, das Becken selbst zu heben, indem sie den Fuß in die Bank drückt. Wiederhole die Manipulonen auf ihrer linken Seite. Bild 9.15 Integriere die Extensions- und Flexionsmuster des Hüftgelenkes mit der Beckenkippung . Beuge beide Beine in den Knieund Hüftgelenken und stelle die Füße auf die Bank. Knie dich auf die Bank vor Ellinores Füße. Lege die Hände auf ihre Knie und gib sanften Druck in Richtung der Hüftgelenke . Mach sie darauf aufmerksam , dass der Rücken rund (fle ktiert) wird und das Becken rückwärts gekippt wird. Gib dann Druck in die Fußsohlen. Erkläre ihr, dass der Rücken zum Hohlkreuz extendiert wird und das Becken vorwärts kippt. Schnüre den Beutel wie folgt zu: Behalte den Druck in die Füße bei und bitte sie, das Becken selbst zu heben . Auch wenn sie nicht ganz eine Brücke machen kann, sollte sie ein Gefühl von wiedererlangter Beweglichkeit und Kraf t bekommen. Je näher der Fuß dem Po kommen kann, desto leichter kann sie die Hüftgelenke extendieren. Jetzt ist BVH in den Extensoren so stark reduziert, dass Ellinore den Rücken ohne Schmerzen beugen kann. Lass sie sich auf die Bankkante setzen und demonstriere ihr, wie das Becken an fast allen Bewegungen teilnimmt. Der Orgel spielende Zwerg in Disneys Verfilmung des Märchens „Schneewittchen und die sieben Zwerge" ist ein anschauliches Beispiel für die Beweglichkeit des Beckens. Als Abschluss gibst du Ellinore noch einige Ratschläge, wie sie es vermeiden könnte , ihre BVH erneut zu bekommen. Sitzend am Tisch sollte sie bewusst daran denken, die Rückenmuskeln (Extensoren) zu verlängern : Z. B. wenn sie sich nach dem Brot streckt oder den Kindern, die gegenübersitzen, Milch eingießt . Beim Wäscheaufhängen, während sie über Kopfhöhe in den Schrank greift oder wenn sie eine Glühbirne wechselt, sollte sie bewusst die Muskeln auf der Vorderseite (Flexoren) verlängern. Dasselbe gilt bei der Arbeit. Will sie eine Büroklammer vom Boden aufheben oder zum Telefon greifen , soll sie bewusst die Rückenmuskeln verlängern. Wenn sie nach dem Archivordner im oberen Regal greift und sich streckt, soll sie bewusst die Flexoren verlängern . Beim Schuhebinden sollte sie daran denken, dass die Schwerkraft die Beugung übernehmen kann. ("Alle freien Körper fallen nach unten .") Will sie nach oben sehen, um z. B. zur Kirchturm-

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uhr zu schauen, sollte sie daran denken, ihre Vorderseite zu verlängern, anstatt den Rücken anzuspannen. (Die Rückenstrecker sorgen selbst dafür.) Sie sollte die Bewegungen so leicht empfinden, dass sie zur Gewohnheit werden. Die Antagonisten können anfangs noch recht fest gespannt sein, aber der Gedanke einer neuen Bewegung ist geweckt worden und ein neues Bewegungsmuster beginnt sich zu formen.

Die Wirbelsäule rotiert und das Gehirn erkennt das Bewegungsmuster. 148

Lektionsbeispiel 10 - Ischias Martha kommt zu dir und beklagt sich über Schmerzen im rechten Bein. Du vermutest lschiasschmerzen und fragst, ob sie beim Arzt gewesen ist. Ihre Antwort ist sehr wichtig, da es u. U. notwendig ist, Diagnosen wie Tumore, Nierenleiden u. a. auszuschließen. Falls die Diagnose nicht auf einen Bandscheibenvorfall, Tumor, ein Nierenleiden, Unterleibsbeschwerden oder Ähnliches deutet, ist anzunehmen, dass der Schmerz von Muskelspannungen verursacht wird. Martha antwortet, dass der Arzt die Ursache des Schmerzes nicht klären konnte. Wird der Rücken über einen langen Zeitraum in Extension gehalten, kann der Ischiasnerv von den gespannten Muskeln eingeklemmt sein. Da du siehst, dass sie ihren Rücken in Extension hält, ist das vermutlich die Ursache ihrer Schmerzen. Die Muskeln Gluteus maximus, minimus und medius u. a., die die Extension ermöglichen, sind gespannt (sind von BVH beeinträchtigt). Martha arbeitet den größten Teil ihres Arbeitstages am Telefon. Sie nimmt Reklamationen entgegen, die sofortiges Handeln erfordern. Das führt zu ständigem Stress, wodurch der Schutzreflex die Flexoren gespannt hält. Um eine aufrechte Haltung beizubehalten, muss sie ihre Extensoren also extra anspannen.

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Bei schweren Ischiasschmerzen empfiehlt es sich, die kniende Ausgangsposition zu nutzen. Der Oberkiirper ruht dabei auf der Bank.

Der Schutzreflex reagiert auch auf die lschiasschmerzen. Es bedeutet, dass die Mm. gluteus medius, minimus und der M. tensor fascia lata zusammengezogen sind. Dann werden die Oberschenkel nach innen gezogen und zusammengekniffen. (Die Zehen zeigen nach innen und die Adduktoren werden gespannt.) Auch die ischiocrurale Muskulatur und der M. gluteus maximus werden zusammengezogen, der Hohlfuß wird gespannt, sodass das Gewicht die Außenseiten der Füße belastet. All diese Beeinträchtigungen schränken auch die Beckenbewegungen ein. Die Muskeln sind in ihrer Flexibilität durch BVH stark eingeschränkt und die Schmerzen verschlimmern sich. Es entsteht ein Teufelskreis. Bei schweren lschiasschmerzen empfiehlt es sich, die kniende Ausgangsposition zu nutzen. Der Oberkörper ruht dabei auf der Bank. Das entspricht der sogenannten Stufenlagerung. In der umgekehrten Psoasstellung sinken die Flexoren auf die Unterlage und wirken entlastend . Durch die Paarkopplung werden auch die Rückenstrecker entlastet. Die Finesse dieser Ausgangsstellung besteht darin, dass das Becken eine Position einnimmt, in der es zusammen mit der Wirbelsäule, dem Brustkorb und den Hüftgelenken eine freiere Bewegung in den verschiedenen Mustern von Flexion, Extension und Rotation zulässt. Verfahre so: Bild 10.1 Bitte Martha, an der langen Seite der Bank zu knien. lagere ihre Knie und Unterschenkel so, dass sie bequem mit ihrem Oberkörper auf der Bank und mit dem Kopf nach links

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gewendet liegen kann. Die Oberschenkel nehmen eine senkrechte , beckenb reite Stellung ein . lagere die Unterschenkel und die Fußrücken so, dass die Zehen noch Kontakt mit dem Boden haben. Achte darauf , dass sie sich weder im Knie- noch im Fußgelenk spannt. Umfasse dann ihre Ferse, um sie nach außen und innen zu drehen (Rotation des Unterschenkels) . Solltest du Widerstand spüren, wiederholst du die Rotationen einige Male. Das hilft ihr, zu entspannen. Dann übernimmst du Arbeit in den Rückenstreckern . Verfahre so: Bild 10.2 Setz dich hinter Martha. Lege die Hände in Medialstel lung (der Affenarm) auf die Rückseite der Beckenkämme (Crista iliaca) und übe kranialen Druck aus. Nach Akzeptanz hast du Arbeit in den Extensoren übernommen . Die Flexoren (die Antagonisten) werden aufgrund der Paarkopplung ebenfalls entspannt. Bild 10.3 Du möchtest jetzt die Wirbelsäule mit einer diagonalen Bewegung des Beckens rotieren . Behalte darum die rechte Hand (Affenarm) auf dem Beckenkamm. Supiniere deine linke Hand und lege die Fingerkuppen unterhalb des linken Sitzknochens. Hebe den Sitzknochen und drücke gleichze itig mit der rechten Hand i n Richtung Bank. Das Becken rotiert nach rechts , wobei du Arbeit in den diagonalen Extensoren zwischen der linken Hüfte und rechten Schulter und in den diagonalen Flexoren der rechten Hüfte und der linken Schulter - mit begleitender Verminderung von BVH - übernommen hast. Bild 10.4 Lege nun deine linke Hand auf die Oberseite des Sitzknochens. Drücke in entgegengesetzte r Richtung und lasse mit der rechten Hand nach. (Falls du die rechte Hand auf die Vorderseite des Beckens legen und es heben würdest, riskierst du das Auslösen des Schutzrefle xes, der in diesem Falle die Flexoren spannen würde.) Du erreichst dann das Reduzieren der BVH in den entgegengesetzten diagonalen Muskeln. Durch die abwechselnde Wiederholung der beiden Bewegungsrichtungen prägt sich dem Gehirn das Rotationsmuster des Lendenrückens ein. Da der Ischiasnerv ausgehend vom Rückenmark an den letzten Lendenwirbeln und dem Sacrum (Kreuzbein) hervortritt, ist es wichtig , vorliegende BVH in den Muskeln der Umgebung so weit wie möglich zu reduzieren. Verfahre so: Bild 10.5 Setze dich auf die Bank an Marthas linke Seite. Suche mit deiner linken Hand die beweglichsten Dornfortsätze im Lendenrücken . Lege deinen linken Daumen im rechten Winkel gegen die linke Seite des Dornfortsatzes. Lege die Rückseite deiner rechten Hand auf den linken Beckenkamm (Crista iliaca) als

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die Andeutung einer Seitenneige der Wirbelsäule (ein Element zufügen). Gib einen leichten Druck von beiden Seiten. Warte auf Akzeptanz. Du übernimmst Arbeit in den Muskeln, die den Lumbalrücken gespannt halten. Geh anschließend zum nächsten Dornfortsatz. Da das Manipulon dem Gehirn eine Assoziation des aktuellen Bewegungsmusters vermittelt hat, federt wahrscheinlich auch dieser Wirbel und gibt Akzeptanz. Sollte die Akzeptanz ausbleiben, kehrst du zum vorigen Wirbel zurück und wiederholst das Manipulon dort. Wiederhole, bis alle Wirbel ungefähr gleich leicht federn. Dadurch wurde die Arbeit aller Muskeln, die in Verbindung mit der Wirbelsäule stehen, übernommen. (BVH wurde reduziert.) Bild 10.6 Integriere die Beugung, indem du die linke Hand auf die linke Brustkorbseite und die rechte Handfläche auf den Beckenkamm legst. Führe die Hände zueinander. Das Gehirn erkennt dadurch den Zusammenhang zwischen der gegenseitigen Bewegung der Wirbel und der geschmeidigen Seitenneige der Wirbelsäule . Geh zu Marthas Kopf und drehe ihn vorsichtig nach rechts . Wiederhole die Manipulonen auf der rechten Seite. Du hast die Integration der Bewegung der Wirbelsäule mit der des Beckens vorbereitet. Verfahre weiter wie folgt: Setze dich wieder hinter sie. Lege die Rückseite deiner Hände auf die Beckenkämme und gib wie zu Beginn der Lektion einen kranialen Druck. Das unterstützt die Bewegung ins Hohlkreuz, die Extension des Rückens. Lege die Rückseite deiner Hände auf die Oberseite des Sitzknochens und gib einen Druck in Richtung Boden. Du erwirkst eine Rückenbeugung (Flexion) . Es ist wichtig, dass Martha ungezwungen laufen kann, ohne erneute lschiasbeschwerden . Dazu muss sie ihre Beine in Kombination mit der Beckenbewegung rotieren können. Darum setzt du die Lektion an ihren Beinen fort: Du willst zuerst deine Manipulonen an ihrem linken Bein ausführen, da der Schutzreflex hier nicht so wach ist wie im rechten, dem schmerzenden Bein. Verfahre so: Bitte sie, sich vorsichtig hinzustellen, um sich dann mit dem Kopf nach links gedreht auf den Bauch zu legen. Falls nötig, lege ein Kissen unter den Bauch. Du beabsichtigst, ihr Bein mithilfe des Unterschenkelhebels im Hüftgelenk zu rotieren . Dazu musst du den Unterschenkel etwa

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zum rechten Winkel beugen können. Stelle dich in Höhe ihres linken Knies. Umfasse mit deiner rechten Hand den Unterschenkel oberhalb der Fußknöchel, hebe den Unterschenkel und mache eine Außen- und Innenrotation, indem du den Unterschenkel lateral und medial führst. Hier stößt du auf Widerstand, der auf BVH in der Hüftgelenkmuskulatur zurückzuführen ist. Eine Möglichkeit, dort BVH zu reduzieren, besteht in einer relativ zugeordneten Bewegung zwischen Bein und Becken. Verfahre folgendermaßen: Bild 10. 7 Halte ihr gebeugtes Bein still in deiner rechten Hand, setze dich in Höhe ihres Beckens. Lege deine linke Faust gegen die Außenseite des Beckenkammes kranial gegen den Trochanter. Gib einen medialen Druck und warte, bis die Akzeptanz dir zeigt, dass du Arbeit in den Abduktoren des Hüftgelenkes (die als Außenrotatoren funktionieren) übernommen hast. Setze mit dem Differenzieren fort. Du führst dabei den Unter schenkel nach außen und drückst gleichzeitig gegen den Beckenkamm (Innenrotation im Hüftgelenk) . Danach führst du ihn nach innen und lässt gleichzeitig den Druck gegen den Beckenkamm (Außenrotation im Hüftgelenk) nach. Jet zt solltest du bei der Innen- und Außenrotation nicht mehr auf Widerstand stoßen. Behalte deine recht e Hand auf dem Unterschenkel und stell dich wieder hin. Bild 10.8 Setze nun fort , indem du mithilfe des Unterschenkel hebels eine Innen- und Außenrotation des Oberschenkels ausführst , und beobachte, ob das Becken nachkommt . Falls nicht, machst du eine undifferenzierte Bewegung, indem du deine linke Faust auf den Trochanter legst, wenn sich die Innenrotation an der Antagonistengrenze befindet. Dabei wird die rechte Seite des Beckens von der Bank gehoben. Das bedeutet, Arbeit wird in den Diagonalen des Rückens zwischen dem rechten Beckenkamm und der linken Schulter übernommen. Rotiere anschließend das Bein nach außen zur Antagonistengren ze und setze gleichzeitig einen leichten Faustdruck gegen den linken Rand des Kreuzbeines. Dadurch wird die linke Seite des Beckens von der Bank gehoben und du übernimmst Arbeit in den Diagonalen des Rückens zwischen dem linken Beckenkamm und der rechten Schulter. Differenziere, indem du eine Außenrotation hervorrufst, wenn du auf den Trochanter drückst und eine Innenrotation, wenn du auf das Kreuzbein drückst. Jetzt bietet sich eine gute Gelegenheit, Martha den Unterschied zwischen dem „behandelten" Bein und dem anderen zu zeigen. Strecke ihre Beine aus und bitte sie, den Veränderungen nachzu-

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spüren. Martha empfindet ihr Bein deutlich belebt. Erkläre ihr, dass sie das deutliche Spüren ihres Beines ihrer Propriozeption zu verdanken hat, die mittlerweile besser geschult ist.

A rbeitsübernahme

Wiederhole die Manipulonen nun an ihrer rechten Seite. Wenn du den Unterschenkel beugen willst, stößt du auf so großen Widerstand , dass die Beugung verhindert wird . Ihr M. iliopsoas widersteht und kippt das Becken vorwärts. Außerdem siehst du , dass ihre rechte Gesäßhälfte höher (verspannter) liegt als die linke. Der M. gluteus maximus ist als Teil des Extensionsmusters und als Antagonist zu den Mm. rectus femoris und iliopsoas (in ihrer jeweiligen hüftbeugenden Funktion) i n seiner Bewegungsfähigkeit noch zu stark von BVH beeinträchtigt. Darum musst du zunächst BVH in den Hüftbeugern reduzieren , um das Bein im Hüftgelenk rotieren zu können. Da Martha auf dem Bauch liegt, kannst du dank der Paarkopplung den M. rec tus femoris von ihrer Rückenseite beeinflussen. Es ist nämlich möglich , den Abstand zwischen dem Ursprung und Ansatz eines Muskels durch direktes Drücken auf dessen Mitte zu verkürzen. Verfahre weiter wie folgt : Bild 10.9 Lege ihren Unterschenkel ab und lagere ihn, falls es nötig sein sollte . Stell dich in Höhe ihrer Hüften. Lege deine Fäuste (Affenarm) in die Mitte und im rechten Winkel des M. gluteus maximus . Lass sie bis zur Antagonistengrenze in den Muskel sinken. Dabei wird der Abstand zwischen Ursprung und Ansatz der Gesäßmuskeln verkürzt. Die Akzeptanz bestätigt , dass du Arbeit in den Antagonisten in M. rectus femoris und M. iliopsoas übernommen hast. (BVH wird vermindert.) Verweile mit den Fäusten dort , bis der Widerstand vermindert ist. Indem die Flexoren entspannt worden sind, brauchen die Extensoren nicht mehr gespannt sein, um Martha aufrecht zu halten . Jetzt kannst du den Unterschenkel im Kniegelenk etwa zum rechten Winkel beugen, ohne dass das Becken vorwärts kippt. Außerdem kannst du mit dem Unterschenkel als Hebel eine Außenrotation und Innenrotation des Oberschenkels ausführen . Nachdem du die gleichen Manipulonen mit dem rechten Bein ausgeführt hast , kann sie dieses Bein eventuell als noch geschmeidiger wahrnehmen als das linke. Erkläre ihr, dass das „lschiasbein" (das rechte) vorher mehr Spannung (BVH) als das linke hatte . Dadurch spürt sie die Veränderung deutlicher.

A

B

M. gluteu s maximu s

Martha kann im Sitzen ein größeres Realitätsgefühl für die All tagssituationen bekommen, was eine gute Ausgangslage für die Integration der Becken- und Beinbewegungen ist. Bitte sie, sich mit den Füßen fest auf dem Boden hinzusetzen. Verfahre so:

B kürzer als A

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Setzt dich vor sie. Fasse mit deinen Handflächen lateral ihre Knie und drücke sie ein wenig gegeneinander, bis an die Antagonistengrenze der Abduktoren. Eine gewisse Spannung (BVH) lässt dann in den Adduktoren nach (Arbeitsübernahme). Lässt du nun deine Hände langsam los, kannst du sehen, dass die Oberschenkel ein wenig mehr abduziert werden. Da die Knie sich dadurch nicht oberhalb der Füße befinden, ist die Beinstellung instabil. Hebe zunächst den einen Oberschenkel, später den anderen, und rotiere ihn ein wenig, sodass der Unterschenkel eine senkrechte Position (stabil) einnimmt. Setze dich dann vor ihr rechtes Knie. Bild 10.10 Fasse mit deinen Händen gleich unterhalb der Kondylen (der Schienbeinknorren) des Unterschenkels, sodass deine Finger Kontakt mit den Sehnen der ischiocruralen Muskulatur haben. Hebe das Bein, um den Fuß vom Boden zu lösen. Der Unterschenkel hängt dann senkrecht und bestätigt dir, dass es dir gelungen ist, BVH im M quadriceps (dem Kniestrecker) zu reduzieren. Wiederhole mit dem linken Bein. Du beobachtest dann , dass der Unterschenkel leicht vorwärts gestreckt wird (BVH im M. quadriceps). Diese BVH solltest du, wenn möglich, wie folgt reduzieren: Bild 10. 11 Setze den Fuß im Gewohnheitsmuster ab. Geh mit deiner rechten Handfläche zum Caput fibulae (dem Fibulakopf) , mit den Fingern an die Sehne des M. biceps und fasse mit der linken Hand den Fuß nahe dem Gelenk. Supiniere den Fuß und rotiere gleichzeitig den Unterschenkel nach außen. Die Akzeptanz bestätigt , dass du Arbeit in den Supinatoren des Fußes und im M. biceps femoris übernommen hast. Proniere nun den Fuß und führe gleichzeitig eine Innenrotation des Unterschenkels aus. Sie wird durch reduzierte BVH im M. biceps femoris und in dessen Antagonisten , M. quadriceps, möglich. Hebe das Bein wieder an, sodass sich der Fuß vom Boden löst. Der Unterschenkel bleibt jetzt senkrecht. (Die Ferse hängt in einer Linie mit dem Knie.) Rub it in, indem du erneut die Kondylen umfasst und spielerisch verschiedene Bewegungskombinationen ausführst: Stelle den Fuß einige Male auf und drehe den Unterschenkel so, dass die Zehen abwechselnd nach außen und nach innen zeigen. Du hast auch eine relativ zugeordnete Bewegung zwischen dem Oberschenkel und dem Becken verursacht und dadurch BVH in der Muskulatur des Hüftgelenkes reduziert. Ist das Bein einigermaßen von Spannung befreit , stellst du den Fuß mit Nachdruck auf. Martha erhält ein Bild von Stabilität und Sicherheit. Wiederhole die Manipulonen mit dem rechten Bein. Bild 10.12 Lege danach die Hände mit einem Gabelgriff oberhalb der Kondylen, aber noch unterhalb der Kniescheiben. Gib einen Druck von den Knien aus in die Hüftgelenke. Warte auf Ak-

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zeptanz , die zeigt, dass du Arbeit in den Flexoren übernommen hast. Dann lassen deren Antagonisten (die Rückenstrecker) los. Das Becken kippt rückwärts und ihr Soma erhält das Bild eines runden Rückens. Bild 10.13 Lege anschließend eine Hand auf jeden Oberschenkel proximal zu den Knien. Das Becken kippt vorwärts, wodurch dem Soma das Bild des Hohlkreuzes vermittelt wird. Mache sie darauf aufmerksam, wie sie das Becken bewegen kann . Wiederhole die Manipulonen einige Male langsam und demonstriere , wie sie diese Beckenbewegungen benutzt , wenn sie vom Sitzen ins Stehen kommt , sich nach vorn beugt oder sich nach hinten streckt. Bild 10.14 Demonstriere auch den Zusammenhang zwischen Becken und Wirbelsäule, wenn sie den Körper dreht, um über die Schulter zu schauen. Halte z. B. mit deiner linken Hand den Gabelgriff oberhalb der Kondylen des rechten Beines. Die rechte Hand legst du gleichzeitig auf die linke Crista iliaca posterior (den hinteren Beckenkamm). Drücke dann mit der linken Hand, lass gleichzeitig mit der rechten nach und drücke wechselweise mit der rechten und lass mit der linken nach (undifferenziert) . Drücke dann mit bei den Händen gleichzeitig (differenziert). Mache sie darauf auf merksam, dass auch die Wirbelsäule rotiert. Führe die Manipulonen mit dem linken Bein aus. Lege jetzt deine Hände wieder auf jedes Knie. Drücke und zie he einige Male wechselweise in beiden Richtungen und bitte Martha , mitzuhelfen , indem sie zur gleichen Seite schaut , wohi n Becken und Wirbelsäule rotieren . Sie sagt, dass sich die Bewegungen leicht und geschmeidig anfühlen. Marthas Gehirn hat sie als einen Teil ihres Laufmusters erkannt und kann diese Leichtigkeit in Zukunft beim Laufen nutzen , wie zu dem Zeitpunkt , bevor sie lschiasprobleme hatte. Bitte sie, sich auch das Gefühl von Ungezwungenheit einzuprägen , sodass sie es bewusst nut zen kann, wenn sie z. B. rückwärts Auto fahren will. Beim Stehen hat Martha das Gefühl x-beinig zu sein. Das liegt daran , dass sie früher die Außenseite der Füße belastet hat. Das Gefühl verschwindet, wenn ihr Feedbacksystem (Kybernetik) die Feedbacksignale nach kurzer Zeit entsprechend der Wirklichkeit eingeordnet hat.

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Lektionsbeispiel 11 Schmerzen in der Hüfte 1



















































Christel kommt zu dir und beklagt sich über Hüftschmerzen , die oft dadurch verursacht werden , dass das Becken aufgrund von BVH nicht im Rücken rotieren kann. BVH kann als Folge des Schutzreflexes auftreten, der durch ein physisches Trauma oder durch Stress ausgelöst worden ist. Gewohnheitsmäßige Haltungen oder Bewegungen, die z. B. von den Eltern oder anderen Vorbildern übernommen und nachgeahmt werden , können ebenfalls Ursache der BVH sein und Schmerzen auslösen. Christel hat Ärzte , Physiotherapeuten und Chiropraktiker konsultie rt und vieles probiert: Kortisonspritzen , Ultraschall, Laser, Akupunktur und Krafttraining. Die gestellten Diagnosen lauten unterschiedlich , z. B. Hüftarthrose , Piriformis-Syndrom , Ischias, Muskelentzündung . Da ihr bisher keine der verordneten Anwendungen Linderung verschaffen konnte , ist ihr gesagt worden , die Schmerzen seien psychisch bedingt - eine Diagnose, die ihre Situation noch verschlechtert hat. Seit Kurzem hat sie auch beginnende Probleme mit dem Knie und dem Fuß. Das wundert dich nicht , da das Nutzen parasitärer Muskeln häufig in mehreren Körperteilen gleichzeitig Beschwerden verursacht. Wenn sie geht , beobachtest du, dass auch ihr Gehmuster von den Schmerzen beeinflusst ist . Beginne mit der Verminderung der BVH im Rücken. Verfahre so: Lass sie sich auf den Rücken legen mit dem linken Bein ausgestreckt und einer Rolle unter dem Knie. Beuge ihr rechtes Bein und stelle den Fuß auf die Unterlage. Wenn du das Knie anfasst und versuchst , das Bein nach außen in eine Abduktion zu führen , hemmen die Adduktoren die Bewegung wegen der vorliegenden BVH. Die Bewegung wird ruckartig .

Die starke Spannung in den Addukto ren ist wahrscheinlich z u einer Gewohnheit geworden, die das bewusste Wahrnehmen der Spannung erschwert. 156

Bei normalem Gehen werden die Beine gerade vorwärts und rückwärts geführt. Das ist dank der Tatsache möglich , dass die Wirkung der Abduktoren die Wirkung der Adduktoren aufwiegt. Wenn der Schutzreflex eine permanent erhöhte Spannung in den Adduktoren verursacht , spannt der Gleichgewichtsreflex die Abduktoren , sodass das Bein immer noch vorwärts und rückwärts geführt werden kann. Die Adduktoren haben einen vierfach längeren Hebel (A) als die Abduktoren (B). Demzufolge müssen die Abduktoren ihre Spannung um das Vierfache der Spannung, die der erhöhte Schutzreflex verursacht , steigern. Die starke Spannung führt zu umfassender BVH in den Abduktoren , die mit der Zeit schmerzhaft wird .

Bitte Christel, ihre Hand auf die Innenseite des Oberschenkels zu legen. Stütze ihr Bein mit einer Hand an der Außenseite des Knies und beginne, das Bein ein wenig nach innen zu führen. Da die Adduktoren diese Bewegung ausführen, spürt sie die ruckartigen Muskelbewegungen mit ihrer Hand selbst . Die Adduktoren sind in diesem Fall Agonisten. Sie führen die gewünschte Bewegung aus. Um das Zucken der Muskulatur zu vermeiden, müssen die Abduktoren, in diesem Fall die Antagonisten, Widerstand leisten. Liegt jedoch BVH in diesen Muskeln vor, wird die Reaktion verzögert. Also reagieren die Antagonisten nach Empfang des Bewegungsimpulses vom Kortex später als die Agonisten. Folglich führen die Adduktoren die Bewegung zu Beginn ohne das Gegenhalten der Abduktoren aus. Dies verursacht das Zucken. Um es zu vermeiden, muss also auch die aktuelle Arbeit der Adduktoren verzögert werden, die du beeinflussen kannst, indem du das Manipulon sehr langsam beginnst. Die starke Spannung in Christels Adduktoren ist wahrscheinlich zu einer Gewohnheit geworden, die ihr das bewusste Wahrnehmen der Spannung erschwert, auch wenn sie die Hand auf die Muskulatur legt.

Abduktoren

Adduktoren

Zugrichtung der Abduktoren Zugrichtung der AdJuktoren

Beschreibung eines Hebels

Bitte sie, ihr Bein an deine Hand zu lehnen und es dort ruhen zu lassen. Dann sollten sich die Adduktoren ganz entspannen. Um sich des Gefühls der Entspannung ihrer Adduktoren bewusst zu werden, bittest du sie, das Knie ganz vorsichtig gegen deine Hand zu drücken, sodass dabei die Abduktoren aktiviert werden und die Adduktoren sich entspannen können - anfangs vielleicht nur für einen kurzen Moment. Es ist ganz neu für Christel, dass ihre Muskeln permanent gespannt sind. Bisher wusste sie nichts davon und auch nicht, dass dieser Zustand die Ursache für ihre Schmerzen ist. Du solltest ihr deswegen eine kurze Erklärung geben, wie infolge dessen BVH entstehen kann und ihr Schutzreflex funktioniert . Wenn du sie ihre Hand gegen die Adduktoren legen lässt, verfolgst du die Absicht, sie von außen spüren zu lassen, wie stark ihre Muskeln angespannt sind. Für Christel ist das eine Möglichkeit, sich der Spannung bewusst zu werden, bevor sie noch gelernt hat, ihre Propriozeption zu nutzen, die sie die Spannung von innen spüren lässt. Während du mit deiner Hand das Knie stützt, bemerkst du, dass Christels Bein jedes Mal zuckt, wenn sie spricht. Sie folgt unbewusst dem Haltungsmuster, welches vom Schutzreflex erzwungen ist und in welches u. a. die Bauchmuskeln, die Atmungsmuskulatur und die Adduktoren in den Beinen integriert sind. Während sie sich auf das Sprechen vorbereitet, spannt sie die Bauchmuskeln an. Diese Anspannung wird im ganzen Haltungs-

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Aufgrund der extremen Spannung im Hüftgelenk empfiehlt es sich, so distal wie möglich zu beginnen.

muster verspürt, auch in den Adduktoren, wenn deine Hand an ihrem Knie das Zucken bzw. die Kontraktion wahrnimmt. Aufgrund der extremen Spannung im Hüftgelenk empfiehlt es sich, so distal wie möglich zu beginnen, um der Reaktion des Schutzreflexes vorzubeugen. Dazu nutzt du relativ zugeordnete Bewegungen zwischen dem großen Zeh und dem Hüftgelenk. Verfahre so: Strecke ihr rechtes Bein aus und lege eine Rolle unter das Kniegelenk. Setze dich an das Fußende. Beginne mit dem linken Fuß, der nicht empfindlich ist. Umfasse mit dem Gabelgriff deiner rechten Hand den großen Zeh, sodass die Zehenspitze im Daumenwinkel und der Nagel gegen das Grundgelenk des Zeigefingers liegen. In dieser Weise hältst du den großen Zeh gerade und kannst ihn als Hebel verwenden. Fasse mit deinem linken Zeigefinger und Daumen um das Os cuneiforme. Fixiere deinen linken Ellbogen an dir. Bild 11. 1 Flektiere dein rechtes Handgelenk. Dabei bewirkst du eine Extension im Grundglied des großen Zehs, eine pronierende Rotation des Metatarsalknochens (Os meta tarsale 1) und eine relativ zugeordnete Bewegung zwischen dem Os cuneiforme und dem Os metatarsale 1. Gleichzeitig wird der Fuß proniert und das ganze Bein nach innen rotiert. Warte auf Akzeptanz. Wenn du sie bekommst, hast du Arbeit in den Pronatoren des Fußes, den Innenrotatoren und den Adduktoren des Hüftgelenkes übernommen. Gleichzeitig wird die rechte Seite des Beckens gegen die Unterlage gedrückt, wobei du Arbeit in den diagonalen Muskeln zwischen der rechten Hüfte und der linken Schulter auf der Rückenseite übernimmst. Bild 11.2 Danach extendierst du deine rechte Hand. Dabei bewirkst du eine Flexion im Grundglied des großen Zehs, eine supinierende Rotation des Metatarsalknochens und eine relativ zugeordnete Bewegung zwischen Os cuneiforme und dem Os metatarsale 1. Der Fuß wird supiniert und das Bein nach außen rotiert. Bei Akzeptanz hast du Arbeit in den Supinatoren des Fußes, den Außenrotatoren, den Abduktoren und den diagonalen Muskeln auf der Rückenseite übernommen. Die Supination und Pronation des Fußes (über den großen Zeh) kommt nicht separat vor, sondern gehört immer zu einem Bewegungsmuster, welches das ganze Bein umfasst. Die Supination des Fußes ist mit der Abduktion und Rotation des Beines im Hüftgelenk gekoppelt. Die Pronation des Fußes ist demzufolge mit der Adduktion und Rotation des Hüftgelenkes gekoppelt. Christei hat auch über Knieschmerzen geklagt. Dasausgestreckte Bein beeinflusst das Knie kaum. Um BVH in ihrem schmerzenden Knie zu vermindern, musst du ihren Unterschenkel rotieren kön-

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nen. Solch eine Rotation ist nur mit dem Knie im rechten Winkel möglich. Die Seitenlage ist dabei eine gute Ausgangsposition. Christel sagt jedoch, dass sie aufgrund des Schmerzes nicht auf der rechten Hüfte liegen kann. Mit einem Kissen unter der Hüfte ist es ihr doch möglich. Verfahre dann so: Bild 11.3 Setze dich in Höhe ihrer Unterschenkel rechts. Strecke ihr unteres Bein lang aus und lagere das linke, gebeugt, vor dem unteren auf der Bank. Fasse die Ferse und hebe sie von der Unterlage weg. (Der Oberschenkel wird nach innen rotiert.) Dann spürst du, dass Christel sich unbewusst wehrt, was mit ihrer BVH im M. biceps femoris (Kniebeuger) zusammenhängt. Zeige ihrem Gehirn mithilfe der Bewegung, wie sie ihren Unterschenkel rotieren kann. Bild 11.4 Lege eine leichte Hand auf die Außenseite der Ferse und bitte sie, die Ferse mit einem schwachen Gegendruck selbst zu heben (supinieren). Danach legst du die Hand auf die Innenseite der Ferse und bittest sie, während du dagegenhältst, die Ferse abzulegen (pronieren). Dein Gegendruck funktioniert als Richtungsangabe. Bitte sie dann, den Fuß entsprechend deiner Angabe zu supinieren und danach langsam die Ferse auf die Unterlage zurückzulegen (pronieren). Lass sie dies einige Male wiederholen. Dann führst du die Bewegung in entgegengesetzter Richtung aus. Sie supiniert den Fuß, danach demonstrierst du die Pronation. Du übernimmst Arbeit in der Muskulatur des Pes anserinus (des Gänsefußes), der ischiocruralen Muskulatur, der Mm. gluteus medius und minimus und der Bauchmuskeln relativ zu den Unterschenkelmuskeln, die sowohl für Supination als auch Pronation verantwortlich sind. Dabei hast du auch BVH im Rücken reduziert. Die Bewegungen, die du jetzt mit Christel durchgeführt hast, sind eine gute Schulung ihrer Propriozeption und ermöglichen ihr eine kleine Einsicht, wie sie die Bewegung von innen spüren lernen kann, wenn sie einen Fuß dreht. Der Gegendruck, den du gegeben hast, hat die gleiche Richtung gehabt wie der Widerstand des Antagonisten . Dadurch wird die Bedeutung des Antagonisten für Christels Propriozeption deutlich. Diese Einführung zeigt, auf welche Weise BDB funktioniert. Bild 11. 5 überzeuge dich, dass du BVH in den Rotationsmuskeln des Knies vermindert hast, indem du den Vorderfuß ein wenig außerhalb der Bankkante hältst, sodass du für die mediale Seite des Fußes einen Drehpunkt bekommst. Halte die eine Hand über den Vorderfuß und die andere über der Ferse und rotiere den Unterschenkel nach innen und außen über diesen Drehpunkt. (Der Fuß wird supiniert und proniert.) Rub it in!

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Obwohl sehr klein , wird die Bewegung vom Gehirn als ein Teil des Laufmusters erfasst.

Lege jetzt Unterschenkel und Fuß wieder auf die Bank, lege deine linke Handfläche fußgelenknahe auf die Wade und deine rechte gegen den proximalen Teil der Fibula auf das rechte Bein und rotiere den Unterschenkel. Das Becken kommt dann in der Bewegung nach und die Wirbelsäule wird rotiert. Rub it in! Wiederhole danach die Manipulonen auf der linken Seite. Das Bewegungsmuster des Fußes, zu welchem das Gehirn wieder Zugang bekommen hat, solltest du mit den Mustern des Beines, des Beckens und der Wirbelsäule integrieren, da sie alle zum Laufmuster gehören. Verfahre so: Bitte Christel , sich wieder auf den Rücken zu legen. Arbeite mit ihrem linken Bein und Fuß. lagere das rechte Bein in Knie und Hüfte gebeugt und lege eine Rolle unter die Kniekehle, sodass das Bein der Bewegung des Beckens leicht folgen kann. Bild 11.6 Stell dich an ihre linke Seite und beuge das linke Knie. Stell den Fuß gegen ein Buch oder etwas Ähnliches auf die Bank, sodass die Ferse eine feste Unterlage bekommt. Halte mit deiner rechten Hand von der Unterschenkelseite nahe dem Fußgelenk und mit deiner linken über den Fußrücken. Flektiere den Fuß dorsal , die Ferse bleibt dabei auf der Unterlage. Halte mit deinem „ Unterschenkelarm" gegen ihr Knie, sodass das Bein nicht nach außen fällt und Christei die Stütze spürt. Sie muss erleben , dass sie in dieser Stellung die Ab- und Adduktoren nicht zu spannen braucht. Erkläre ihr, dass sie sich auf diese Stüt ze verlassen kann und sie versuchen sollte , aufmerksam auf ihr Knie zu achten , während sie sich vorstellt , dass sie es an deinem Arm ruhen lässt. Bewege die Ferse kranial und kaudal. Die Bewegung sollte nur in den Muskeln der Ferse zwischen dem Fersenknochen und der festen Unterlage geschehen. Vermeide ein Gleiten der Haut auf der Unterlage. Dadurch entsteht im Fuß-, Knie-, und Hüftgelenk und im Becken bis hin zur Wirbelsäule eine sehr kleine relativ zugeordnete Bewegung. Obwohl sehr klein , wird die Bewegung vom Gehirn als ein Teil des Laufmusters erfasst, welches zur Extension und Flexion sowie Lateralflexion des Lendenrückens gehört. Interessant ist , dass hier ein äußerst kleiner Hebel wirkt, der nur den Abstand zwischen dem Fersenbein und der festen Unterlage ausmacht. Es sind fünf bis zehn Millimeter. Führe diese kleinen Bewegungen sehr langsam und vorsichtig aus. Das Soma ist der sensibelste Sensor des Menschen. Bild 11.7 Bewege dann mit beibehaltenem Griff die Ferse lateral und medial auf die gleiche Weise. Danach bewegst du die Ferse

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lateral und supinierst gleichzeitig den Vorderfuß und die Ferse. Setze fort mit der Bewegung der Ferse medial und proniere gleichzeitig den Vorderfuß und die Ferse. Du erreichst dabei die gleiche Integration eines weiteren Teils des Laufmusters , das zur Supination des Fußes, Abduktion des Hüftgelenkes sowie Pronation des Fußes und Adduktion des Hüftgelenkes gehört. Der Lendenrücken macht eine Lateralflexion. Wenn du spürst, dass beide Bewegungsrichtungen frei sind, bewegst du die Ferse einige Male im Kreis. Zeige Christel jetzt , wie leicht sich das Fußgelenk durch dein wiederholtes Heben und Nachlassen des Vorderfußes gegen die Unterlage bewegt. Wiederhole auf der rechten Seite . Bitte sie, sich auf die Bank zu setzen , sodass sie den festen Boden unter ihren Füßen spürt. Nun kannst du den Beutel zuschnüren, indem du ihr zeigst, dass ihr Bein abduziert wird, wenn sie den Fuß supiniert, und das Bein adduziert wird , wenn sie den Fuß proniert. Dies funktioniert gut, da BVH in den entsprechenden Muskeln reduziert worden ist. Du solltest ihr den Zusammenhang zeigen , indem sie ein Hohlkreuz macht und gleichzeitig die Knie nach außen führt. Während sie die Knie nach innen führt , macht sie einen Krummrücken. Lass sie die Bewegungen umgekehrt spielerisch probieren. Dann kann sie den Fuß ruhig halten und nur das Bein nach innen und außen bewegen. Ihr wird schließlich bewusst, dass sie solche Bewegungen ohne Schmerzen und mit größerer Gelenkigkeit ausführen kann. Als Hausaufgabe sollte sie auf der Couch liegend die Außenseite des gebeugten Beines gegen die Rücklehne stützen und mit der Hand gegen die Adduktoren fassen, um wirklich zu lernen, die Muskelentspannung zu steuern (Hilfe zur Selbsthilfe). Im Stehen kann Christel spüren, wie sie sich auf den Fußsohlen nach links und rechts , vorwärts und rückwärts und im Kreis wiegen kann. Fühlt sie sich dabei sicher, bedeutet es, dass ihr Gleichgewichtsreflex Zugang zu Muskeln in den Hüften und Beinen bekommen hat , die früher wegen BVH nicht benutzt werden konnten. Sie wird das sehr zu schätzen wissen, wenn sie am Kurfürstendamm aus dem Bus springen will, um einen Kaffee im Cafe Kranzler zu trinken.

Fühlt sie sich sicher, bedeutet es, dass ihr Gleichgewichtsreflex Zugang zu Muskeln in den Hüften und Beinen bekommen hat.

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Lektionsbeispiel 12 - Skoliose • • • • • • • • •

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Eine Mutter kommt mit ihrer Tochter Lotte, die über Rückenschmerzen klagt, zu dir. Sie ist schon mit ihr beim Arzt gewesen, der festgestellt hat, dass sie eine funktionelle Skoliose hat. Ihre Wirbelsäule ist an einer oder mehreren Stellen seitwärts gebeugt und gleichzeitig rotiert. „Skolios" ist griechisch und bedeutet krumm. Wenn ein Schüler mit Skoliose zu dir kommt, musst du ihm (oder den Eltern) erklären, dass du die Skoliose an sich nicht entfernen kannst, jedoch auf die Funktion einwirken kannst, damit es für ihn leichter wird, mit der Skoliose zu leben. Es gibt sogenannte congenitale und idiopatische Skoliosen, Schmerzskoliosen und funktionelle Skoliosen.

Congenitale und idiopatische Skoliose

Die congenitale Skoliose beruht auf angeborenen Missbildungen der Wirbel. Die idiopatische Skoliose betrifft öfters Mädchen in der frühen Pubertät. Die Ursache ist unbekannt. Falls ein Jugendlicher zu dir kommt und du eine Skoliose feststellen kannst, musst du ihn zu einem Skoliosespezialisten schicken, um die Art der Skoliose feststellen zu lassen. Die Wirbel werden keilförmig, die Wirbelsäule wird zur Seite gebeugt und außerdem wird sie auch rotiert. Das führt zur Deformierung des Brustkorbes und zum Zusammendrücken der Rippen auf der konkaven Seite der Krümmung. Ein Korsett kann in gewissen Fällen helfen, sonst wird früher oder später eine Operation notwendig .

Die Schmerzskoliose

Verschiedene physische Traumen (z. B. lschiasbeschwerden) können den Schutzreflex auslösen, der seinerseits die sogenannte Schmerzskoliose verursachen kann. Bist du in der Lage, die lschiasbeschwerden erfolgreich zu beseitigen, verschwindet auch die Schmerzskoliose.

Funktionelle Skoliose

Eine häufige Ursache der funktionellen Skoliose ist die Sitzhaltung im Klassenzimmer. Lotte dreht sich (die Wirbelsäule) auf ihrer Schulbank nach rechts, um den Lehrer vor sich zu sehen. Wenn sie die Wirbelsäule dreht , belastet sie gleichzeitig die linke Gesäßhälfte, sodass sich ihr Becken nach links lehnt. Die Wirbelsäule folgt dieser Bewegung (1 ). Um nicht nach links zu fallen,

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hält der Gleichgewichtsreflex mithilfe der rechten Taillenmuskeln die Wirbelsäule so gebeugt, dass sie sich in den Lendenwirbeln nach links wölbt und die erste Skoliosekurve bildet. Die Wirbelsäule beugt sich daraufhin nach rechts (2). infolgedessen lehnt sich auch der Oberkörper nach rechts, sodass Lotte in diese Richtung fallen würde, falls der Gleichgewichtsreflex sie nicht daran hinderte, indem er den Oberkörper nach links zieht und den M. obliquus externus abdominis links spannt (die kontralateralen Muskeln). Dabei wird die zweite Skoliosekurve gebildet . Der Rest der Wirbelsäule neigt sich nach oben links (3). Sollte sie in dieser Position bleiben, würde der Kopf eine schiefe Haltung nach links einnehmen. Da Lotte die Augen horizontal ausrichten möchte, richtet sie die Halswirbelsäule auf, was mithilfe der Nackenmuskeln rechts geschieht. Aus diesem Grund wird die Halswirbelsäule nach links gewölbt und bildet die dritte Skoliosekurve. Der obere Teil der Halswirbelsäule zeigt nach rechts (4). Die letzte Justierung zur horizontalen Lage des Kopfes (5) geschieht mit der Muskulatur des Atlas.

3

S 4

Rückendiagonale

Die Skoliose

Die Kontraktion des M. obliquus externus abdominis durch den Gleichgewichtsreflex, um den Oberkörper aufzurichten, verursacht ebenfalls eine Rechtsrotation der Wirbelsäule und der Schulter. Diese Rechtsrotation zwingt Lotte in eine unnatürliche Haltung, die sie nicht akzeptieren kann. In der natürlichen Haltung ist der Brustkorb entsprechend der Richtung des Gesichtes ausgerichtet. Der Oberkörper und die Schulter müssen also auch zurückrotiert werden. Die unnatürliche Haltung wird durch die konstante Spannung der Rückendiagonalen von der rechten Hüfte zur linken Schulter verursacht, die eine unsymmetrische Skoliose hervorruft. Diese Form der Skoliose entsteht durch die von BVH beeinträchtigte Bewegungsfähigkeit aller beteiligten Muskeln, die trotzdem eine gewisse Stabilität der Körperhaltung bewirken. Das Ausführen der notwendigen Bewegungen wird steif, schwer und mühsam. Wenn die von BVH betroffenen Muskeln verwendet werden müssen, sind sie nur mit erhöhtem Kraftaufwand zugänglich. Die Situation entspricht einer neurophysiologische Katastrophe. Welche Bewegung der Betroffene auch ausführen will, der Kortex hat keinen Zugang zu den entsprechenden Muskeln, sondern beansprucht immer parasitäre Muskeln, um die Bewegung zu vollbringen. Dadurch verzögert sich das Ausführen der Bewegung und Instabilität entsteht, welche nicht nur zur Zunahme von Unsicherheit und Unruhe führt, sondern auch mangelndes Selbstvertrauen und steigende Mutlosigkeit usw. bedingt. Lottes etablierte Skoliose lässt sie nicht nur an der Schulbank, sondern auf jedem Stuhl, auch wenn sie nicht in der Schule ist, schief sitzen. Sie sitzt nur auf einer Pobacke, setzt sich schief

Diese Form der Skoliose entsteht durch die von Bewegungsvergessenheit beeinträchtigte Bewegungsfähigkeit aller beteiligten Muskeln, die trotzdem eine gewisse Stabilität der Körperhaltung bewirken. 163

Das verbesserte Gleichgewicht stellt sich ein, das sich einstellt, weil mehr Muskelkapazität, sowohl für den bewussten als auch für den reflexmäßigen Gebrauch, freigesetzt wird.

vor den Fernseher, schaut schneller nach rechts, wenn sie Fahrrad fährt und reitet. Da das Becken nach links lehnt, belastet sie nur das rechte Bein, wenn sie steht. Alle diese Folgewirkungen verfestigen die Skoliose. Diese Beschreibung der Skoliose ist ein Beispiel dafür , welche Konsequenzen von BVH betroffene Muskeln für den Bewegungsapparat haben können. In dem Maße, wie deine Manipulonen BVH verringern können, nimmt die Beweglichkeit des Schülers zu. Er empfindet sich als schneller und beweglicher. Ältere Menschen fühlen sich jünger. Ein wichtiger Faktor, der zu diesen Gefühlen führt , ist das verbesserte Gleichgewicht, das sich einstellt, weil mehr Muskelkapazität, sowohl für den bewussten als auch für den reflexmäßigen Gebrauch, freigesetzt wird. Bitte Lotte, sich vor dich zu stellen. Du siehst, dass sie ihr rechtes Bein belastet. Lass sie ihr linkes belasten und dir sagen, wie sie es empfindet. Wahrscheinlich wird sie diese Belastung als ungewohnt empfinden. Stelle einen Stuhl an einen Tisch und bitte sie, sich so hinzusetzen, wie sie in der Schule zu sitzen pflegt. Lotte setzt sich, lehnt den linken Ellbogen gegen den Tisch und stützt den Kopf mit ihrer linken Hand ab. Das ist die Erklärung ihrer Skoliose. Um Arbeit in den Muskeln, die die Skoliose halten (Taillen- und Nackenmuskeln) zu übernehmen , musst du sowohl die Fähigkeit zur Beugung als auch die zur Rotation in der Wirbelsäule vergrößern. Verfahre so: Bitte Lotte, sich auf den Bauch zu legen und ihren Kopf in die bevorzugte Richtung zu drehen. Da die diagonalen Rückenmuskeln zwischen der linken Schulter und dem rechten Beckenkamm so fest in einem Gewohnheitsmuster eingespannt sind, fällt es ihr leichter, mit der linken Wange auf der Bank zu liegen. (Der Kopf ist nach rechts gedreht.) Lege ihren rechten Arm im Ellbogen gebeugt, sodass die Hand in Gesichtshöhe liegt. Lege den linken Arm ausgestreckt am Oberkörper entlang. Spüre, ob die Schultern frei sind und vor allem, ob die rechte Schulter von unten Stütze hat. lagere sie gut. Kontrolliere, ob der Nackenarm frei auf der Unterlage liegt. Beabsichtigst du Arbeit in den Taillen- und Bauchmuskeln zu übernehmen, musst du das Becken als Hebel verwenden , um einen kranialen Druck auf den Trochanter zu geben, sodass eine erweiterte Beugung im Lendenrücken entsteht. Um den Trochanter in die richtige Position zu bekommen, musst du Lottes rechtes Bein sowohl im Knie- als auch im Hüftgelenk bis zu etwa einem rechten Winkel beugen können. Der Oberschenkel muss so rotiert sein, dass Unterschenkel und Fuß auf der Unterlage liegen. Prüfe zunächst, ob dies möglich ist. Verfahre so:

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Bild 12.1-2 Stell dich an ihre rechte Seite in Höhe ihres Knies. Umfasse den rechten Unterschenkel gleich oberhalb der Fußknöchel und beuge das Knie bis fast zum rechten Winkel. Führe jetzt mittels des Unterschenkelhebels eine Außenrotation und eine Innenrotation des Oberschenkels aus. Füge ein Element hinzu: Lege deine Faust auf den Trochanter an die Antagonistengrenze der Innenrotation und danach an das Kreuzbein an die Antagonistengrenze der Außenrotation. Lege dann das Bein ab und setze dich an das Fußende. Bild 12. 3 Fasse mit einer Hand unter den rechten Oberschenkel und mit der anderen unter den Unterschenkel und mach eine kleine Abduktion. (Du bereitest ihre Position für das Manipulon vor.) Fasse danach mit beiden Händen so an die Lateralseite des Fußes, dass die Finger gegen den Fußrücken lehnen. Die Daumen (mit den Kuppen aneinander) legst du in Höhe des Os metatarsale V (Mittelfußknochen) gegen die Fußsohle. Drehe den Fuß so, dass die Innenseite an der Bank lehnt. Die Fußsohle ist jetzt zu dir gerichtet. Drücke das Bein kranial, bis es etwa zum rechten Winkel gebeugt ist. (Der Unterschenkel und der Fuß lehnen gegen die Unterlage.) Dadurch übernimmst du Arbeit in den Bauchmuskeln (BVH wird reduziert.), deren Einwirkung so die Skoliose vermindert. Jetzt hast du endlich den Trochanter in die richtige Position bekommen, um die Krümmung der Lendenwirbelsäule zu erweitern. (Achte auf die gründliche Vorbereitung, die unbedingt erforderlich ist, bevor du die Krümmung in der Wirbelsäule erweitern kannst!) Bild 12.4 Setze dich an Lottes rechte Seite in Höhe ihres Beckens. Suche mit der rechten Hand den Punkt, wo die untere Beugung am stärksten ist. Es ist anzunehmen, dass in diesem Bereich ein federnder Wirbel - wir nennen ihn Wirbel A - zu finden ist. Finde ihn und lege die Finger deiner rechten Hand auf den Dornfortsatz. Lege deine linke Hand so gegen den rechten Trochanter , dass du eine Vergrößerung der Krümmung und eine gleichzeitige Rotation der Wirbelsäule bewirkst. Das wird möglich , da du BVH in den Bauchmuskeln vermindert hast. Drücke gegen den Trochanter und gleichzeitig mit den Fingern deiner rechten Hand gegen die Dornfortsätze in gleicher Richtung (nach links). Führe danach das gleiche Manipulon auf dem nächstliegenden Wirbel (Wirbel B) aus. Falls du dort keine Akzeptanz bekommst, gehst du zu Wirbel A zurück und wiederholst das Manipulon an ihm. Indem du dann zum Wirbel B zurückgehst, gibst du eine direkte Assoziation zur Bewegung des Wirbels A, die vom Gehirn auf Wirbel B übertragen wird , sodass auch er federt. Du kannst fast sicher sein, dass du Akzeptanz bekommst. Falls nicht, wiederholst du wechselnd zwischen A und B oder du suchst einen anderen federnden Wirbel. In diesem Fall kannst du ihn als einen neuen Wirbel A benutzen und das Manipulon wie-

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derholen, bis alle Wirbel federn. Du übernimmst dadurch nicht nur Arbeit in den Taillenmuskeln , die die lumbale Krümmung der Skoliose halten, sondern reduzierst BVH entsprechend. Bild 12.5 Setze fort, indem du, mit einer Hand auf dem rechten Beckenkamm und einer auf den frei schwebenden Rippen, auf der rechten Seite des Brustkorbs die Hände ein wenig aufeinander zuführst (was eine Seiten neige der Wirbelsäule bewirkt). Die Akzeptanz bedeutet, dass du weitere Arbeit in den Taillenmuskeln übernommen hast. Rub it in! Jetzt ist es an der Zeit, dass du dich für die obere Beugung im Brustrücken interessierst. Verfahre so: Bild 12.6 Setz dich am Lottes Kopf. Lege ihren linken Arm in die gleiche Position wie den rechten. Drehe ihren Kopf nach links. Hebe dann ihre rechte Schulter, sodass du den Arm rotieren kannst und die Hand unter ihre rechte Leiste legen kannst. (Falls es dir nicht gelingt, ihren Kopf zu drehen, bittest du sie, ihn vorsichtig selbst zu drehen.) Kontrolliere auch, ob die Muskeln des linken Schulterblattes so nachgelassen haben, dass die Schulter auf der Unterlage liegt. Falls nicht, lagere sie. Bild 12.7 Setze dich auf Lottes linke Seite in Höhe ihres Brustrückens. Suche die Dornfortsätze , die am meisten nach rechts in die Brustwirbelsäulenneigung hineinfedern (Wirbel A), mit den Fingern der rechten Hand. Lege deine linke Hand unter ihre linke Schulter. Benutze sie als Hebel und hebe sie so, dass eine Linksrotation in der Brustwirbelsäule entsteht. Gleichzeitig drückst du mit den Fingern gegen die Dornfortsätze nach rechts. Dies akzentuiert die Krümmung und du übernimmst Arbeit in der Muskulatur, die diese Krümmung der Skoliose hält. Führe danach das gleiche Manipulon auf dem nächstliegenden Wirbel aus (Wirbel B). Falls du keine Akzeptanz bekommst, gehst du zum Wirbel A zurück und wiederholst dort das Manipulon . Wenn du dann zum Wirbel B zurückkehrst, gibst du eine direkte Assoziation zur Bewegung des Wirbels A, die das Gehirn auf Wirbel B so überträgt , dass auch er federt. Du kannst dann annehmen, dass du Akzeptanz bekommst. Falls nicht, wieder holst du wechselnd zwischen A und B oder du suchst einen anderen federnden Wirbel. Ihn kannst du in dem Fall als einen neuen Wirbel A benutzen und das Manipulon wiederholen, bis alle Wirbel federn. Du übernimmst dadurch Arbeit in den Muskeln der Brustwirbelsäule, die die obere Krümmung der Skoliose halten, wodurch BVH entsprechend reduziert wird. Integriere jetzt diese erweiterte Beweglichkeit mit einer Funktion . Du wählst die Rotation der Wirbelsäule. Tu Folgendes:

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Bild 12.8 Setze dich an das Kopfende und lege deine rechte Hand unter ihre linke Schulter und deine linke auf die rechte Außenseite des Brustkorbes. Hebe die Schulter und drücke gleichzeitig gegen den Brustkorb. Rub it in. Bild 12. 9 Stell dich jetzt an Lottes rechte Seite. Um einen direkteren Kontakt mit der Wirbelsäule zu bekommen, greifst du ihre linke Schulter mit deiner rechten Hand. Unterstütze mit deiner linken Hand von der Gesäßseite her ihre rechte Hand, indem du sie von der Mittellinie aus greifst. Bild 12.10 Lege deine Hand unter die ihre (als eine Art Sicherheit, dass du nicht aufdringlich wirst) und hebe die Schulter und die Leiste wechselweise (undifferenziert) einige Male. Hebe dann beide Bereiche gleichzeitig (differenziert). Beide Manipulonen komprimieren die beiden Kurven der Skoliose und rotieren die Wirbelsäule. Dann kannst du integrieren, indem du von der Mitte ausgehend mit deinen Händen auf dem Rücken diagonal in Richtung Schulter und Hüfte entlang streichst. Lotte erlebt dadurch, wie schön es ist sich auszustrecken. Die kontralateralen Muskeln hast du noch immer nicht direkt beeinflusst (die Bauchmuskeln mit Ursprung in den fünften bis zwölften Wirbeln und Ansatz in der Crista iliaca und Linea alba). Sie werden aber akzeptieren, wenn du (mit dem linken Bein angebeugt) die gleichen Manipulonen auf der anderen Seite ausführst. Bild 12.11 Strecke ihre Beine so aus, dass beide gerade liegen. Fasse mit beiden Händen das Fußgelenk des rechten Beines an und hebe den Unterschenkel ein wenig von der Unterlage. Ziehe vorsichtig in die Längsrichtung des Beines. Dabei wird die Wirbelsäule (Sie wölbt sich nach rechts.) mit dem Becken/Bein in eine Bewegung, die Teil des Laufmusters ist, integriert. Lass nach. Oszilliere. Führe die gleiche Bewegung mit dem anderen Bein aus. Danach ziehst du wechselweise beide Beine (du brauchst dann nicht zu oszillieren) indem du beide Beine gleichzeitig leicht ziehst und loslässt, stabilisierst du die Muskelentspannung entlang der Wirbelsäule. Bild 12.12 Danach führst du beide Beine (leicht gebeugt) zusammen so weit nach rechts und links, dass das Becken mitkommt. (Die Wirbelsäule rotiert.) Sie nimmt dann ihre wiedererlangte Bewegungsfähigkeit wahr, das Gehirn erkennt sie als einen Teil des Laufmusters und gibt Lotte ein Gefühl von Zufriedenheit. Integriere jetzt diese erweiterte Beweglichkeit mit einer Flexion. Dies würde dazu beitragen, dass sie aus der unsymmetrischen Extension herauskommt. Verfahre so:

Bild 12.13 Sie soll sich nun auf den Rücken drehen. Beuge die Knie und stelle die Füße auf die Unterlage . Nimm ihre Knie, beuge die Beine zu ihrem Bauch. (Die Wirbelsäule wird flektiert.) Gleichzeitig bewegst du dich gegen das Kopfende der Bank. Warte, bis sie dir die Beine überlässt und abduziere sie dann. Bild 12.14 Beuge/abduziere den rechten Oberschenkel weiter nach rechts . Nutze den rechten Oberschenkel als Hebel und unterstütze das schief gestellte Gewohnheitsmuster des Beckens, was eine integrierende Seitenneige der Wirbelsäule mit sich bringt. Teste ab und zu das gleiche Manipulon mit dem linken Bein. Da diese Bewegung nicht zu Lottes Gewohnheitsmustern gehört hat , lässt sie sich anfangs nicht leicht ausführen. Aber nachdem du das rechte Bein einige Male so bewegt hast, wird dieses Muster gewohnheitsmäßig und über das Corpus callosum auch der linken Seite zugänglich. Das linke Bein übernimmt das gleiche Muster. Die Integration ist abgeschlossen und das Gehirn erkennt einen runden Rücken in Zusammenhang mit dem beweglichen Becken. Wie du dich erinnern kannst, stand Lotte gewohnheitsmäßig auf ihrem rechten Bein. Um ihr eine Idee davon zu geben, dass sie sowohl auf ihrem linken als auch auf ihrem rechten Bein stehen kann, machst du folgendes: Untersuche zuerst die Beweglichkeit des Hüftgelenkes. Setze dich an die rechte Seite der Bank in Höhe ihres rechten Beines. Lege deine linke Hand auf den Oberschenkel und die rechte auf den Unterschenkel. Rolle das ganze Bein zwischen den Antagonistengrenzen einige Male leicht hin und zurück. Solltest du merken , dass das Rollen durch Spannung der Außenrotatoren gehemmt ist , fügst du folgendes Element hinzu: Bild 12.15 Leg deine linke Hand von unten auf den Trochanter und deine rechte auf den Oberschenkel. Gehe vom Trochanter aus, wenn du bis zur Antagonistengrenze rollst (Innenrotation). Die Akzeptanz zeigt, dass du Arbeit in den Innenrotatoren übernommen hast. Rolle noch einige Male hin und her. Jetzt hast du so viel BVH in den Muskeln um das Hüftgelenk reduziert , dass du zum fußende gehen und das rechte Fußgelenk von unten mit deiner linken Hand fassen kannst. Hebe das ausgestreckte Bein ein wenig und oszilliere es rotierend im Hüftgelenk. Bild 12.16 Umfasse danach das Fußgelenk des gestreckten rechten Beines mit deiner rechten Hand von unten. Platziere deinen linken Daumen gleich unterhalb des Grundgelenkes des vierten Zehs und drücke so, dass sich der Kopf des Oberschenkels in die Pfanne hineindreht. (Prüfe vertikal und seitlich.) Warte auf Akzeptanz und oszilliere danach kranial. Kontrolliere auch, ob sich

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die oszillierende Bewegung bis zum Kopf fortsetzt . Lotte nickt dann ein wenig. Jetzt ist Lottes Hüftgelenk so beweglich , dass du ihrem Gehirn zeigen kannst , dass sie auf ihrem linken Bein genauso gut stehen kann, wie auf ihrem rechten. Wiederhole anschließend dieselben Manipulonen mit diesem Bein.

Dank der Übertragung im Skelett erlebt sie das Gefühl ausgeprägter Ruhe von Kopf bis Fuß

Dank der Übertragung im Skelett erlebt sie das Gefühl ausgeprägter Ruhe von Kopf bis Fuß. Bitte Lotte , sich hinzustellen und zu vergleichen , ob es sich noch genauso ungewohnt anfühlt , auf dem li nken Bein zu stehen , wie zu Beginn der Lektion. Sie wird die Frage wahrscheinlich verneinen und hinzufügen , dass sie sich größer fühlt. Die BVH in den Muskeln, die sie zusammengedrückt hat , ist reduziert worden. Damit ist Lottes Körper aufgerichtet und sie fühlt sich größer. Beim Stehen erlebt sie dies als eine Körperstabilisierung , die ihr das Gefühl von Leichtigkeit und Freiheit gibt. In Zukunft sollte sie die Haltungen meiden, die zu ihrer Skoliose geführt haben, z. B. sollte sie sich beim Sitzen nicht halb abwenden. Sie benötigt mehrere Lektionen, um zu lernen , selbst die Entscheidungen zu ihren Bewegungen zu treffen , wie sie z. B. aus dem Bett aufstehen oder laufen sollte , um nicht automatisch ihrem Gehirn die Entscheidung zu lassen, eine gewohnheitsmäßige Art zu wählen.

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Lektionsbeispiel 13 - den Bereich zwischen den Schulterblättern erweitern Land gewinnen > •••••••••••••••••••••••••

Als Frank von seiner Frau gebeten wurde , die Küchendecke neu zu streichen, bemerkte er, wie schwer ihm das plötzlich fiel. Er fühlte sich steif und kam darum zu dir . Du siehst sofort , dass er sich mit überstreckten Schultern bewegt, was der Grund für seine Rückensteife sein kann. Sei ne Beschwerden können folgende Ursachen haben: Er ist von strengen Eltern erzogen und hat daher sehr früh im Leben Unsicherheit gespürt. (Er hatte Angst, es jemandem nicht recht zu machen, Angst vor Strafen.) Das hat seinen Schutzreflex ausgelöst. und schließlich zu seiner nach vorn gebeugten Haltung gefüh rt. Seine Eltern ermahnten ihn unaufhörlich: ,,Richte dich auf , halte dich gerade, Brust raus, ...!" Das hat zu der muskulären „Schraubzwinge" geführt, die ihn jetzt als Erwachsener belastet. Eigentlich willst du i hn - auf einem Hocker sitzend - auf sein Streckmuster aufme rksam machen. Du vermutest jedoch , dass ihm das Sitzen oder gar eine Lektion auf einem Hocker ohne Rückenlehne große Schwierigkeiten bereitet. Besser wäre es, anfänglich seine BVH allgemein zu vermindern , während er auf der Bank liegt. Es kann fünf bis sechs Lektionen dauern, bevor du ihm vorschlagen kannst, auf einem Hocker zu sitzen. Wir setzen jetzt voraus, dass du so weit gekommen bist. Verfahre dann so: Bild 13.1 Bitte Frank sich auf den Hocker zu setzen mit den Füßen stabil auf dem Fußboden. Setz dich hinter ihn. Lege deinen linken Daumen medial an die untere Spitze des linken Schulterblattes (Angulus inferior) und deinen rechten Daumen auf die gleiche Art gegen sein rechtes Schulterblatt. Gib einen leichten Druck mit beiden Daumen nach außen (lateral) und spüre, ob eines der Schulterblätter leichter zu bewegen ist als das andere. Lass uns annehmen , das rechte ist am beweglichsten. Bild 13.2 Lege den linken Daumen wieder auf das rechte Schulterblatt im gleichen Bereich (medial) und stütze mit der Zeigefingerseite der rechten Hand die Achselhöhle dorsal. Gib einen leichten , aber bestimmten Druck mit dem Daumen lateral, bis du die Antagonistengrenze spürst . Dabei wird der Abstand zwischen dem Ursprung und Ansatz der Pectoralismuskeln verkürzt. Warte auf Akzeptanz. Danach setzt du erneuten Druck, bis du die neue Antagonistengrenze spürst. Die Schulterblattspitze wird dann lateral verschoben. Stütze mithilfe der rechten Hand die Achselhöhle. Setze fort, bis du spürst , dass der Widerstand sich nicht mehr verringert.

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Bild 13.3 Stehe nun auf und hebe die Schulter einige Male mit deiner rechten Hand in der Achselhöhle bis zur Antago nistengrenze , um dem Soma auf diese Weise zu zeigen, wie beweglich das Schulterblatt geworden ist. Bild 13.4 Stell dich an seine rechte Seite und fasse mit beiden Händen den Oberarm, sodass die Zeigefinger in der Achselhöhle zueinander zeigen. (Mit den Zeigefingern wirst du die Antagonistengrenzen spüren.) Lege die kleinen Finger auf den Oberarm. Hebe die Schulter langsam kranial. Sollte er den Arm unbewusst abduzieren , machst du ihn darauf aufmerksam, indem du ihn mit den kleinen Fingern ein wenig antippst. Spüre, dass es leichte r ist , die Bewegung i n einer bestimmten Richtung auszuführen . Diese Richtung ist seine gewohnheitsmäßige . Führe - von dieser ausgehend - alle Bewegungsrichtungen aus, bis du auf keinen speziellen Widerstand mehr stößt. Dabei übernimmst du Arbeit in der Schulterblattmuskulatur. Behalte den Griff bei. Rub it in! Wiederhole dieselben Manipulonen auf der linken Seite. Lass Frank anschließend erleben , wie frei beweglich beide Schulterblätter sind: Bild 13.5 Stell dich vor ihn . Fasse seine beiden Oberarme , hebe die Schultern in Richtung seiner Ohren und lass die Schultern ganz einf ach fallen. So finden sie ihre natürlich entspannte Lage. Bild 13.6 Nimm danach Franks rechte Hand wie bei einer Begrüßung. Mit deiner linken hältst du den Ellbogen . Drücke den Arm vom Ellbogen aus in die Schulter hinein (den Kopf in die Pfanne) . Dabei übernimmst du Arbeit in den Muskeln zwischen dem Schulterblatt und der Wirbelsäule. Führe den Arm langsam vorwärts (zu dir) und spüre, dass das Schulterblatt nachkommt. (Es differenziert sich vom Brustkorb.) Wiederhole dies einige Male. Wiederhole die Manipulonen auf seiner linken Seite. Bild 13.7 Bitte Frank nun, aufzustehen und sich vorwärts zu beugen, um die Arme frei hängen zu lassen. Integriere, indem du mit beiden Händen von der Wirbelsäule her einige Male lateral über die Schulterblätter streichst. Das zeigt dem Soma, wie die Bewegungen der Schulterblätter und Schultern in einem Flexionsmuster zusammenarbeiten . Bitte ihn , sich nur mit der Wirbelsäule langsam aufzurichten und - ,,Aha!" - er kann gerade stehen, ohne seine Schultern nach hinten zu ziehen.

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Lektionsbeispiel 14 - Schmerzen im Brustkorb und Arm Frida kommt zu dir, weil sie Schmerzen im rechten Arm und der rechten Brustkorbseite hat. Während des ersten Gespräches erzählt sie, dass sie Ernährungsberaterin ist und das Zubereiten von Speisen demonstriert. Dazu gehören Schlagen, Gießen, Rühren , Schälen, Schütten und das schnelle und sichere Schneiden von Gemüse. All diese Tätigkeiten verursachen Stress und führen zu Verspannungen. Erkläre ihr, dass ihr Stress zu BVH geführt hat , und erläutere ihr den Begriff kurz. Du siehst , dass ihr Oberkörper durch ein starkes Flexionsmuster gebeugt ist , d.h. sie zieht die rechte Schulter stärker vor als die linke , was bedeutet , dass die diagonalen Muskeln der rechten Schulter bis zur linken Hüfte zusammengezogen sind (BVH). Daraus folgt , dass sie den Brustkorbbogen eingezogen hält, wodurch auch die Muskeln zwischen den Rippen von BVH beeinträcht igt sind und die Atmung behindern . Der Gleichgewichtsrefle x muss die Flexion abwehren , indem er die Muskulatur auf der Rückseite spannt , damit der Körper aufrecht bleibt. Dadurch müssen die Armmuskeln gegen die gespannten Muskeln und ihre Anta gonisten arbeiten. Das Flexionsmuster wi rd durch den ständig eingeschalteten Schutzrefle x, der den Schmerz verursacht hat , verstärkt. Sie befindet sich in einem Teufelskreis . Du entscheidest dich , damit anzufangen , BVH in den Muskeln zwischen der rechten Schulter und der linken Hüfte auf der Vorderseite zu reduzieren , da sie hauptverantwortlich für die gewohnheitsmäßigen Haltungsmuster sind. Weil Frida Schulter schmerzen hat , entscheidest du dich , vom Becken/Bein auszugehen. Verfahre so: Bild 14.1 Bitte Frida sich auf dem Rücken zu legen. Stelle dich auf die rechte Seite . Beuge ihre beiden Beine und stelle ihre Füße beckenb reit auf die Bank. Lege deine Hände auf ihre Knie und spüre, in welche Richtung sie am leichtesten fallen. Du stellst fest , dass sie nach rechts fallen. (Sie wählt die Richtung nicht bewusst. Da der Schutzreflex immer noch ihre diagonalen Muskeln zwischen der rechten Schulter und der linken Hüfte gespannt hält , würde sie Schmerzen in der rechten Brustkorbsei te empfinden , falls die Knie nach links fielen . Darum wählt ihr Gehirn gewohnheitsmäßig das leichtere Fallen der Knie nach rechts .) Bild 14.2 Lass ihre Beine jetzt so weit nach rechts auf die Bank sinken , wie die Diagonalen es auf der Rück- und Vorderseite erlauben . Das Becken rotiert nach rechts bis zur Antagonistengrenze. Dort gibst du einen Druck von beiden Knien aus durch die Oberschenkel in die Hüftgelenke hinein und wartest auf Akzeptanz. Das Becken rotiert zurück nach links . Dabei hast du

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Arbeit in den oben genannten Diagonalen übernommen. Wiederhole das Manipulon, bis du merkst, dass das Becken nicht weiter mitrotiert. Du hast die Beine als Hebel benutzt, um das Becken nach rechts zu rotieren. Erweitere jetzt die Rotation , indem du die Schwere des Beines nutzt, um die rotierte Lage beizubehalten. Gleichzeitig kannst du deine Hände benutzen , um die Rückenstrecker und den M. iliopsoas, die beide die Rotation der Wirbelsäule einschränken, proximal zu erreichen . Gib mit deinen Händen nach und spüre, in welche Richtung die Beine fallen. Falls das linke nach links fällt , haben die Abduktoren eine zu starke Spannung. Verfahre so: Bild 14. 3 Stütze ihr rechtes , lehnendes Bein gegen deinen Körper. Behalte deine rechte Hand auf ihrem linken Knie. Lege deine linke Hand auf ihren vorderen linken Beckenkamm (Spina iliaca anterior). Gib mit deinen beiden Händen einen Druck in die Längsrichtung des Oberschenkels. Bei Akzeptanz hast du Arbeit in den Muskeln um das Hüftgelenk übernommen. Wiederhole das Manipulon und beobachte , ob das linke Bein weiter nach rechts fällt . Zeigt sich, dass ihre Abduktoren immer noch nicht erlauben, das linke Bein weiter nach rechts fallen zu lassen, setze so fort: Bild 14.4 lagere das rechte Bein gut. Setze dich an ihre linke Hüfte. Fasse ihr linkes Knie mit deiner linken Hand und lege deine rechte Faust auf ihren linken Beckenkamm (Spina iliaca posterior) . Drücke dann mit der linken Hand wie zuvor den Oberschenkel in das Hüftgelenk hinein . Lass mit der rechten Hand nach. Drücke dann mit der rechten Hand in entgegengesetzter Richtung. Vermindere dabei den Druck der linken Hand und abduziere das Bein bis zur Antagonistengrenze der Adduktoren . Mit der Akzeptanz hast du Arbeit in den Abduktoren übernommen. Wiederhole die Bewegungen, bis das linke Bein gut über die Mittellinie nach rechts fällt. Bild 14.5 Führe dann deine rechte Hand mit der Handfläche nach oben unter Fridas Hohlkreuz und beuge deine Finger vorsichtig , um die Dornfortsätze ihrer Wirbel im Übergang zwischen den Brust- und Lendenwirbeln spüren zu können. Platziere deine linke Hand auf der Rückseite des linken Beckenkammes. Ziehe leicht an den Dornfortsätzen (Die Wirbelsäule rotiert ein wenig.) und setze gleichzeitig mit deiner linken Hand einen kranialen Druck. Du verstärkst so das Hohlkreuz und die Akzeptanz zeigt dir, dass du Arbeit in den Rückenstreckern und im M. iliopsoas (aufgrund der Paarkopplung) übernommen hast. Wiederhole dieses Manipulon des Hohlkreuzes einige Male im Takt der Einatmung. (Lass bei der Ausatmung nach.)

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Weil der linke Fuß auf der Bank fixiert ist, geschieht ein Heben (eine Rotation) der Hüfte als eine relativ zugeordnete Bewegung des Beines. Dadurch assoziiert das Gehirn das gewohnte Muster, zu welchem die Bewegung des Beines gehört, wenn Frida sich aufrichtet. (Sie kommt aus ihrem Flexionsmuster.) Kehre nun zum rechten Bein zurück, fasse die Knie an und stelle mit Frida zusammen fest, dass sie jetzt das Becken noch weiter nach rechts rotieren kann. Zeige ihr (ihrem Gehirn), wie sie ihre wiedererlangte Fertigkeit auf eine differenzierte Weise nutzen und sie sich dadurch zur Gewohnheit machen kann. Verfahre so: Bild 14.6 Setz dich an ihren Kopf. Fasse mit deiner linken Hand von unten um ihren Nacken und mit deiner rechten unter ihre rechte Schulter. Neige mit deinen beiden Händen ihren Oberkörper bis zur Antagonistengrenze nach links. (Ihre linke Hand nähert sich dadurch dem linken Fuß.) Beobachte, wie nahe Frida mit ihrer linken Hand an ihre linke Ferse kommen kann. Bild 14.7 Setz dich in Schulterhöhe auf ihre rechte Seite. Fasse mit deiner linken und nach innen rotierten Hand um das Handgelenk ihres rechten Armes, sodass du ihre Hand stützt. Beuge den Unterarm. (Er bewegt sich über den Bauch und die Brust.) Fasse mit deiner rechten Hand an ihre Epikondylen und hebe den gebeugten Arm etwa bis zu einem rechten Winkel im Schultergelenk . Lass ihren Unterarm auf deinem Unterarm und an deinem Körper ruhen. Der Arm ist jetzt abduziert und nach innen rotiert. Ziehe den Arm leicht, lasse aus einer leicht kaudalen Lage bis in eine leicht kraniale Lage nach und suche dabei die Position, in der der Brustkorb am meisten nachgibt. Bild 14.8 Füge ein Element hinzu, indem du deine rechte Hand auf ihre rechten unteren Rippen legst und einem leichten Druck in Richtung der Bauchmuskeln gibst. Bei Akzeptanz hast du Arbeit in den Muskeln zwischen den unteren Rippen und denen zwischen den Rippen und dem Becken übernommen (u. a. den schrägen Bauchmuskeln). Wenn du wieder am Arm ziehst, kann Frida spüren, dass ihr Brustkorb stärker nachgibt. Die Wirbelsäule neigt sich stärker nach rechts. Frida bekommt dadurch ein Bild der größeren Seitenneige. Lege den Arm auf die Bank zurück. Noch in dieser ungewöhnlichen Position kannst du die Bewegungen des Kopfes mit der Beugung des Hohlkreuzes und einem runden Rücken integrieren. Setzt dich wieder an ihren Kopf und verfahre so: Bild 14.9 Positioniere deine linke Hand an der Schädelbasis. Hebe den Kopf so, dass die Halswirbel eine horizontale Linie mit der Wirbelsäule bilden. Lege deine linke Hand auf den Scheitel und gib Druck in die Wirbelsäule hinein. Die Akzeptanz zeigt,

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dass du u. a. Arbeit in den Rückenstreckern übernommen hast. Oszilliere, um die Bewegungen des Kopfes, des Hohlkreuzes und des Rundrückens zu integrieren. Jetzt könnt ihr gemeinsam feststellen , dass Frida der Ferse mit ihrer Hand näher kommt und vielleicht sogar den Fuß berühren kann. ,,Aha!" ruft Frieda. ,,Das ist ja genau wie ein glockenreiner Golfschwung!" Bringe ihren Oberkörper nun zur Ausgangsposition zurück und führe alle Manipulonen auf ihrer anderen Seite aus. Jetzt ist es an der Zeit, die Muskeln zwischen den Rippen von BVH zu befreien. Verfahre so: Bitte Frida, sich auf dem Bauch zu legen und den Kopf auf die bevorzugte Seite zu drehen. Sie wählt links als die bequemere Seite . Um ihren Nacken zu entlasten , legst du ihren linken gebeugten Arm so, dass die Hand in Gesichtshöhe auf der Bank liegt. Dadurch wird die Wirbelsäule nach links gedreht. Ihr rechter Arm ruht gestreckt an ihre Seite . Diese Position unterstreicht die Linksrotation der Wirbelsäule und die Drehung der Nackenwirbel wird geringer. (Für Frida ist diese Lagerung weniger schmerzhaft). Falls sie das noch immer als zu anstrengend im Nacken empfindet, denke daran, die Entlastung der Wirbelsäule durch eine stärkere Beckenrotation zu unterstützen. Die Rotation des Beckens setzt eine Außenrotation und eine Abduktion im Hüftgelenk sowie eine Flexion im Kniegelenk des linken Beines voraus. Daher wäre es gut, wenn du eine Stufe erreichst, in der du den Fuß so pronieren kannst, dass die mediale Seite auf der Bank liegt und die Fußsohle zu dir gerichtet ist. Verfahre so: Setze dich nahe der linken Fußsohle. Fasse mit einer Hand unterhalb des linken Unterschenkels und mit der anderen unterhalb des Wadenbeines und abduziere ein wenig. (Du bringst Frida in die Position für das Ausführen des Manipulons.) Bild 14.10 Umfasse mit beiden Händen die laterale Seite des Fußes, sodass deine Finger auf dem Fußrücken liegen. Die Daumen mit den Kuppen gegeneinander hältst du auf Fridas Fußsohle in Höhe der Metatarsale V (Mittelfußknochen) . Wenn du jetzt mit dem Fuß als Hebel den Unterschenkel nach außen rotieren willst, wird dir bewusst, dass Fridas starker Schutzreflex die Drehung unmöglich macht. Der M. semitendinosus (u. a. lnnenrotierer) leistet Widerstand. Hier kannst du einen einfachen Trick anwenden , der den Schutzreflex ausschaltet. Verfahre so: Bild 14.11 Abduziere das Bein, bis die mediale Seite des Fußgewölbes an der Bankkante eine Stütze bekommt. Dadurch erfährt Fridas Soma eine Ruhestellung, die Reaktion des Schutzreflexes lässt nach. Führe eine Innenrotation mit dem Fuß als Hebel aus. Dann nähern sich Ursprung und Ansatz des M. biceps femoris

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einander. Dadurch übernimmst du Arbeit in diesem Muskel. BVH wird auch in den Antagonisten reduziert , z. B. im M. semitendi nosus, der jetzt eine Außenrotation des Unterschenkels erlaubt. Rub it in! Bild 14.12 Beobachte, wie das Becken ein wenig rotiert. Es ist gerade diese Rotation, die du jetzt, unter Benutzung des Fußes als Hebel, vergrößern willst. Den Hebel erhältst du, wenn du die Ferse so drehst, dass sich die Medialseite des Fußes der Bank nähert. Bring den Fuß von der Kante weg. Indem du jetzt kranial auf den Fuß drückst, wird das Bein im Knie- und Hüftgelenk gebeugt. (Der Fuß und der Unterschenkel gleiten auf der Unterlage. ) Gleichzeitig wird das Bein im Hüftgelenk nach außen rotiert und abduziert. (Vielleicht musst du ein wenig suchen, um den richtigen Druck und den entsprechenden Winkel im Kniegelenk zu finden.) Dabei übernimmst du Arbeit in den Außenrotatoren des Hüftgelenkes und deren Antagonisten . Da die Außenrotatoren gleichzeitig als Abduktoren dienen , wird BVH auch in den Adduktoren (den Antagonisten) reduziert. Du kannst dann sehen, wie das Becken etwas weiter rotiert. (Der linke Beckenkamm wird noch weiter von der Bank gehoben.) Die Wirbelsäule wird entsprechend gedreht und Fridas Nacken entlastet, was deiner Absicht entspricht. Analysierst du die Wirkung eines einzigen Manipulons, wie ich es oben ausgeführt habe, wirst du erkennen , dass du die indirekten Auswirkungen kaum beschreiben kannst. Hast du deine Intention erfüllt, sind auch die indirekten Wirkungen positiv, die durch indirekte, relativ zugeordnete Bewegungen zustande gekommen sind. Werde dir des langen Weges bewusst , den du zurücklegen musstest, bevor du Frida in die Position bringen konntest, um die Beugung in ihrer Wirbelsäule zu vergrößern! Bild 14.13 Endlich kannst du mit den Rippen fortsetzen. Setz dich ans Kopfende an ihre linke Schulter. Ert aste mit deinen Fingerkuppen ihre Wirbel und folge der ganzen Wirbelsäule vom Brustrücken bis zum Kreuz hinunter . Erspüre dabei die Beweglichkeit. So gewöhnt sie sich langsam auch daran, dass du an ihrem Rücken arbeitest. Ist ein Wirbel weniger beweglich , gehst du zum nächsten Dornfortsatz bzw. zu einer Rippe, der/ die beweglicher ist. Lege die Finger deiner rechten Hand auf den Dornfortsatz auf der linken Seite des entsprechenden Wirbels. Drücke ihn nach rechts. (Das betont die Linksdrehung, in der sich die Wirbelsäule schon befindet.) Gleichzeitig legst du die Fingerkuppen deiner linken Hand auf die entsprechende Rippe rechts . Dabei fügst du ein neues Element hinzu, das gleichzeitig als Hebel dient. Gib Druck i n Richtung der rechten Hüfte . Warte auf Akzeptanz. Aufgrund

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der Rechtswölbung der Wirbelsäule übernimmst du gleichzeitig Arbeit in den Muskeln zwischen den Rippen links (aufgrund der Paarkopplung auch rechts) und den Muskeln im rechten Lendenrücken. Gleichzeitig bekommt das Gehirn eine Assoziation des entsprechenden Bewegungsmusters des weniger beweglichen Wirbels. Setze damit fort, unbewegliche Wirbel zu suchen und behandle sie auf dieselbe Weise. Du hast Arbeit in den Diagonalen zwischen der linken Schulter und der rechten Hüfte auf der Rückenseite und dem diagonalen Antagonisten auf der Vorder seite (Paarkopplung) übernommen . Bild 14. 14 Bringe danach den Daumen deiner rechten Hand rechtwinklig zur Wirbelsäule auf die linke Seite des Dornfortsatzes des siebten Halswirbels. Lege die Grundphalanx des gebeugten linken Zeigefingers (Affenarm) gegen den rechten Querfortsatz desselben Wirbels. Drücke gleichzeitig mit deinem rechten Daumen nach rechts und mit dem Zeigefinger kaudal. Warte auf Akzeptanz, die dir zeigt, dass du Arbeit in den Muskeln, die mit den genannten Wirbeln verbunden sind, übernommen hast. Da so die ganze Wirbelsäule gleichzeitig gedreht ist, prägt sich eine ebene Kurve der Wirbelsäule in Fridas Gehirn ein. Schnüre den Beutel zu, indem du deine beiden zur Faust geballten Grundphalangen der Zeigefinger auf die Querfortsätze des siebten Halswirbels legst und in die Wirbelsäule oszillierst. Kannst du kein Oszillieren erwirken, wiederholst du stattdessen das Drücken ei nige Male. Dies prägt Fridas Gehirn die ebene Form der Wirbelsäule ein. Verstärke das wiedererlangte ßen:

Bewegungsmuster folgenderma-

Bild 14.15 Lege deine rechte Hand unter ihre linke Schulter und deine linke Hand auf ihren rechten Brustrücken . Hebe die Schulter und gib mit der linken Hand einen leichten Druck. Du bewirkst dadurch eine Rotation, die dem vom Gehirn leicht erkennbaren Bewegungsmuster folgt. Wenn du diese Manipulonen auf der rechten Seite wiederholst, sollte Frida ihren Kopf nach rechts gedreht haben. Um es ihr leichter zu machen, in ihrem ruhigen Zustand zu bleiben, kannst du ihre Kopfdrehung auf folgende Weise ausführen: Strecke ihr linkes Bein aus, lege ihren rechten Arm in dieselbe Position wie den linken. Setze dich an die Kopfseite der Bank. Führe deine Hände unter ihre Schultern und hebe sie etwas, um dich zu überzeugen, dass sie auch in dieser Position frei sind. Unterstütze mit einem Gabelgriff deiner linken Hand ihre Schädelbasis und nimm mit deiner rechten Hand (Gabelgriff ) ihren Unterkiefer . Beuge und strecke den Kopf vorsichtig. (Beachte, es handelt sich um winzige Bewegungen). Du spürst dann, ob die Kopfbewegung frei ist oder nicht. Falls es dir nicht gelingt , ihren

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Kopf zu drehen , bittest du sie, ihn selbst vorsichtig zu drehen. Bild 14.16 Falls sie frei ist, legst du deine linke Hand mit der Handfläche auf die Bank und die Zeigefingerseite gegen die Schädelbasis hinter das rechte Ohr. Führe die Hand unter den Kopf, hebe ihn ein wenig und drehe gleichzeitig die Hand so nach außen, dass ihr Kopf auf deiner Handfläche lehnt . Behalte deine rechte Hand auf dem Unterkiefer. Bild 14. 17 Mit beiden Händen extendierst du den Nacken ein wenig und drehst vorsichtig ihren Kopf nach rechts. {Das erfordert Übung.) Hebe dann ihre linke Schulter so an, dass du ihren Arm drehen und ausstrecken kannst . Lege ihn entlang ihrer Seite am Becken ab. Jetzt wiederholst du die Manipulonen auf der rechten Seite. Frida muss sich ganz aufrichten können, um ungehindert atmen zu können. Die Rippen sind mit dem Wirbelkörper an zwei verschiedenen Stellen verbunden . Dadurch beugen die Rippen die Wirbelsäule bei der Atmung. Sie wird bei der Einatmung extendiert und bei der Ausatmung flektiert . Du kannst die Assoziation des Gehirns einer geraden Wirbelsäule mit folgendem Manipulon unterstützen . {Um Fridas Nacken nicht zu ermüden, drehst du ihren Kopf nach links zurück und positionierst deren Arme entsprechend.) Bild 14.18 Setz dich an ihre linke Seite mit dei nem Gesicht ihrem Kopf zugewandt. Ertaste mit den Zeigefingern und Daumen deiner Hände die erste Rippe, die du unterhalb ihres linken Schulterblattes erreichen kannst. Folge der Rippe mit deinem rechten Daumen in Richtung Wirbelsäule , bis du den Winkel der Rippe {Angulus costae) spürst. Behalte den Daumen auf der kaudalen Seite des Winkels . Mit dem linken Zeigefinger und Daumen folgst du derselben Rippe in Richtung Bank, soweit du sie spüren kannst {um einen Hebel zu bekommen). Dort bleibst du mit dem Zeigefinger auf der kranialen Seite der Rippe. Bei der Ausatmung folgst du der Rippenbewegung mit Druck auf beide Kontaktpunkte . Warte auf Akzeptanz. Wenn sie kommt, hast du Arbeit sowohl in den Mm. intercostales interni {inneren Zwischenrippenmuskeln) als auch in den Flexoren übernommen. Bei der Einatmung behältst du den Kontakt , gibst aber der Bewegung der Rippe nach. Warte auf Akzeptanz wie gewöhnlich. Danach hast du Arbeit sowohl in Mm. intercostales externi {äußeren Zwischenrippenmuskeln) als auch in den Extensoren übernommen. Gehe von Rippe zu Rippe kaudal weiter, integriere auch die kleinen Rippen, die keinen Kontakt mit dem Brustbein haben.

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Drehe ihren Kopf wieder nach rech ts und führe dieselben Manipulonen auf der rechten Seite aus. Bitte sie, sich danach auf den Rücken zu legen. Stell dich an das Kopfende und beende die Lektion , indem du den Beutel so zuschnürst , wie du es selbst als geeignet empfindest. Lass Frida sich abschließend auf die Bankkante setzen und fra ge sie, ob sie eine Veränderung spürt. Wahrscheinlich fühlt sie sich aufrecht und frei. Erkläre ihr, dass sie sich jetzt dank der Reduktion der BVH in den Muskeln ihrer Vorderseite ohne Anstrengung aufrichten kann. Zeige ihr, dass sie sich leichter nach hinten strecken kann und dabei daran denkt , ihre Vorderseite zu verlängern.

«Oh, jetzt kann ich einen Aufschlag beim Tennis machen, den ich seit 15 Jahren nicht machen konnte!»

Danach bittest du sie, sich hinzustellen und nachzuspüren, ob der Arm schmerzt, wenn sie ihn in Richtung Decke streckt. Vielleicht ruft sie aus: ,,Oh, jetzt kann ich einen Aufschlag beim Tennis machen, den ich seit 15 Jahren nicht machen konnte!" Du solltest ihr jedoch zu verstehen geben, dass sie ihre Armmuskeln besser verwenden kann, wenn sie daran denkt , die Muskeln in der Taille/im Brustkorb zu verlängern und das Becken bei der Armbewegung nachkommen zu lassen. Als Extrabonus kann Frida jetzt auch besser atmen.

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Lektionsbeispiel 15 - Die Handballerin • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •

Pia kommt zu dir und klagt über Schulterschmerzen , wenn sie ihren rechten Arm hebt, um den Ball zu werfen. Dieser Fall berührt eine der größten Einsatzmöglichkeiten der Feldenkrais-Methode : den Sport. Sportler führen sehr viele Bewegungen aus, die dir wahrscheinlich nicht im vollen Maße bekannt sind. Bevor du einen Sportler in der FM unterrichtest, ist es angebracht, ihn zunächst beim Training zu beobachten, um seine Bewegungen im Detail zu studieren.

Der Schutzreflex verursacht eine Steifheit im Oberkörper, durch die mehr Kraft aufgewendet werden muss, um die Muskeln in der Schulter und im Arm die beabsichtigte Bewegung ausführen zu lassen.

Die meisten Handballer verspüren fast überall im Körper Schmerzen. Frage Pia, ob sie die Schmerzen nur in Arm und Schulter spürt. Wahrscheinlich empfindet sie die Schmerzen an verschiedenen Stellen, aber am schlimmsten im Arm und ihrer Schulter. Die kräftigen Angriffe und Schläge, denen jeder Handballer am ganzen Körper ausgesetzt ist, lassen den Schutzreflex unaufhörlich aktiv sein, was auf Dauer BVH in vielen Bereichen der Körpermuskulatur hervorruft. Im Falle Pias kannst du annehmen, dass ihr Schutzreflex aufgrund der Schläge ihrer Gegnerinnen und der Härte des Sportes immer wieder aufs Neue ausgelöst wird . Daher schmerzt ihr Wurfarm am meisten. Erkläre ihr, dass sowohl die Bewegungen des Armes und der Schulter als auch die ihres gesamten Körpers einem Bewegungsmuster angehören, wenn sie einen Wurf ausführt. Die nötige Streckbe wegung bekommt nur die maximale Dynamik, wenn Pia damit beginnt , sich auf die Zehen zu stellen . Dann beugt sie ihren Körper vorwärts, streckt die Beine aus und schiebt die Schulter vor, ehe sie zuletzt den Ball mit ausgestrecktem Arm ins Tor wirft. Der Schutzreflex verursacht eine Steifheit im Oberkörper , durch die Pia mehr Kraft (daher der Schmerz) aufwenden muss, um die Muskeln in der Schulter und im Arm die beabsichtigte Bewegung ausführen zu lassen. Sie muss also einen beweglichen Oberkörper haben. Bitte sie sich mit im rechten Winkel gebeugten Kniegelenken auf einen Stuhl zu setzen . Wenn nötig, lagere sie mit Platten unter den Füßen. Verfahre so: Bild 15.1 Stell dich hinter sie und führe deine Hände mit der Daumenseite in ihre Achselhöhlen (Deine kleinen Finger zeigen zum Boden.) an die dorsale Muskelwand. Hebe die Schultern zur Antagonistengrenze. Du übernimmst Arbeit in den Schulterblatthebern. Senke die Schulter langsam. Wiederhole, wenn nötig , bis sich die Bewegung frei anfühlt. Sowohl BVH als auch die störende Einwirkung des Schutzreflexes wird dabei in den Schultern reduziert. Auf ihrer linken Seite ist Pia empfänglicher für die geeigneten Manipulonen, da sie dort keine Schmerzen hat. Dank der Verbin-

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dung über das Corpus callosum kommen die auf der linken Seite ausgeführten Manipulonen zu einem gewissen Grad der rechten Seite zugute. Außerdem umgehst du das Auslösen des Schutzreflexes. Fahre wie folgt fort: Bild 15.2 Fasse mit deiner rechten Hand (von ihrer rechten Seite) um ihr linkes Handgelenk. Beuge ihren Unterarm und nimm mit deiner linken Hand (von ihrer linken Seite) ihren Ellbogen. Hebe den gebeugten Arm so nahe am Körper wie möglich und lege ihre linke Hand auf die rechte Schulter . Dabei ruht ihr gebeugter Arm an ihrer Brust. Bild 15. 3 Fasse danach mit deiner rechten Hand um ihren linken Ellbogen und lasse deinen rechten Unterarm so auf ihrem linken Unterarm lehnen, dass sie die Stütze ihrer Hand spürt und sie sicher auf der rechten Schulter liegen kann. Lege deine linke Hand auf ihre Stirn und führe mit ihrem Kopf und Ellbogen als Hebel eine undifferenzierte Bewegung hin zur Flexion und Extension im Oberkörper aus. Bild 15.4 Du erkennst, dass sie noch mehr extendieren und flektieren könnte. Darum wendest du hier die Kombination einer Rotation und einer Lateralflexion an und rotierst den Oberkörper mithilfe des Hebels einige Male undifferenziert bis an die Antagonistengrenzen nach links und rechts. Wenn das akzeptiert wird , reduzierst du BVH in den Extensoren , den Flexoren und in den diagonalen Muskeln. Führe dann eine differenzierte Rotation zwischen Kopf und Oberkörper wechselweise nach links und rechts aus. Wenn auch das akzeptiert wird , gehst du zur Flexion und Extension der Wirbelsäule zurück . Du kannst jetzt weiter beugen und strecken. Bild 15.5 Führe eine differenzierende Bewegung (Extension und Flexion) zwischen Pias Arm und dem Kopf /Oberkörper aus, indem du ihren Kopf nach vorn beugst, während du den Ellbogen gleichzeitig nach oben führst und umgekehrt. Lege ihren Arm danach langsam in den Schoß. Führe jetzt die Manipulonen mit ihrem rechten Arm aus. Zu der Wurfbewegung gehören die Bauchmuskeln. Folglich müssen deren Bewegungsmuster mit dem Bewegungsmuster der Wurfbewegung integriert werden. Versichere dich , dass dort keine bedeutende BVH vorliegt. Die geraden Bauchmuskeln gehören zu den gewohnheitsmäßigen Bewegungsmustern für Extension und Flexion. Beginne deshalb mit den Diagonalen. Verfahre so: Bild 15.6 Setze dich hinter Pia. Führe deine Arme unter ihren hindurch und lege deine Hände auf die linke Seite des Bauches in die Nähe des Beckenkamms. Gib mit den Kleinfingerseiten deiner Hände in einer supinierenden kranialen Bewegung bei

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der Ausatmung einen Druck in die Längsrichtung der diagonalen Muskeln (schräg zur entgegengesetzten Schulter hin). Lass bei der Einatmung nach. Wiederhole , bis du spürst, dass die Bauchmuskeln bei der Einatmung deutlich nachlassen. Du hast dann deren Arbeit übernommen. Führe das Manipulon auch auf der anderen Seite aus. Bild 15.7 Lege jetzt deine beiden Hände auf den Bauch gleich oberhalb des Os pubis. Gib wie vorher den Druck in derselben Weise auf die geraden Bauchmuskeln. Folge wie vorher auch der Atmung. Du übernimmst Arbeit in den Bauchmuskeln, die schlie ßlich eine Verlängerun g erlauben. Der Rücken kann sich aufric hten. Jetzt beabsichtigst du, di e Bewegung des Oberkörpers mit der des Armes zu integrieren. Nutze eine rela t iv zugeordnete Bewegung zwischen dem Schultergelenk und dem Becken bzw. den Beinen über die Wirbelsäule. Um sie ausführen zu können, musst du Pias Arm und Kopf so stellen , dass sie einen Hebel ergeben. Verfahre so: Bild 15.8 Stell dich vor Pia und nimm ihre linke Hand wie bei einer Begrüßung. Mit deiner rechten hältst du den Ellbogen. Drücke den Arm vom Ellbogen aus kranial in das Schultergelenk hinein (den Kopf in die Pfanne). Dabei übernim mst du Arbeit in den krania l und medial führenden Muskeln des Schulterblattes. Führe dann den Arm vorwärts (zu dir) und spüre, ob das Schulterbla tt nachkommt. (Es differenziert sich vom Oberkörper.) Wiederhole dies einige Male. Bild 15.9 Danach legst du den Arm wieder ab und stellst dich hinter sie. Fasseihr linkes Handgelenk mit deiner rechten Hand, und um den Ellbogen mit deiner link en. Hebe den Arm, führe ihren Oberarm an die Wange und lege ihren Unterarm auf ihren Kopf. Bild 15.10 Fasse mit deiner rechten Hand um ihren Ellbogen. Dein Unterarm liegt dadurch auf ihrem . Danach lässt du mit deiner linken Hand den Ellbogen los. Neigt sich Pias Kopf nun nach links , liegt dies an der BVH i n den medial (gegen die Wirbelsäule ) führenden Muskeln des Schulterblattes. Gib dann mit der Zeigefingerseite deiner linken Hand einen Druck auf den Margo lateralis. Bei Akzeptanz hast du Arbeit in den medial führenden Muskeln des Schulterblattes übernommen. Das Schulterblatt bewegt sich lateral und die Wirbelsäule richtet sich auf. Der Kopf muss stabil vom Arm umschlossen sein. Jetzt kannst du die relativ zugeordnete Bewegung ausführen. Verfahre so:

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Bild 15. 11 Lege deine linke Faust unterhalb des linken Trochanters. Gib einen kranialen Druck. Die Wirbelsäule wölbt sich nach rechts. Rub it in! Bild 15.12 Anschließend legst du deine linke Faust oberhalb des linken Trochanters und drückst kaudal. Die Wirbelsäule wölbt sich nach links . Rub it in! Bild 15.13 Um ihre Fähigkeit, die linke Seite zu verlängern, zu optimieren , fügst du ein Element hinzu , indem du deine linke Hand auf ihren rechten Beckenkamm legst und sie in Richtung der linken Schulter führst. (Die rechte Gesäßhälfte hebt sich ein wenig vom Stuhl ab.) Rub it in! Lege ihren Arm ab und wiederhole die Manipulonen auf der rechten Seite. Dabei akzeptiert ihr Gehirn , dass auch die Muskulatur der rechten Seite verlängert werden kann. Pias Oberkörper ist nun so beweglich, wie du vorausgesehen hast. Sie kann die Schulter und den Arm effizienter bewegen als früher , proportional zum verschwindenden Schmerz. Um den Wurf ausführen zu können, muss sie den Arm gerade nach oben über den Kopf hinaus strecken können. Das fordert in erster Linie ein bewegliches Schulterblatt. Verfahre so: Bild 15. 14 Bitte sie, sich mit dem Kopf nach links auf den Bauch zu legen, mit dem linken Arm im Ellbogen gebeugt und der Handfläche auf der Unterlage. Der rechte Arm ist längs des Oberkörpers ausgestreckt. lagere sie. Setze dich an ihre linke Schulter. Hebe die Schulter mit deiner rechten Hand. Füge ein Element hinzu , indem du gleichzeitig deine linke Hand auf das Schulterblatt legst. Bewege deine Hände synchron in alle Richtungen und konstatiere , dass der Schutzreflex nicht eingreift. Integriere die Bewegungen des Armes mit denen des Schulterblattes. Verfahre so: Bild 15.15 Wenn du den Arm am Kopf vorbei heben möchtest, soll das Schulterblatt so weit lateral geführt werden , dass der Oberarm eine Linie mit dem Margo lateralis bildet. Verfahre so: Halte ihren Unterarm mit deiner rechten Hand und platziere deine linke auf dem Margo lateralis . Führe das Schulterblatt gegen die Wirbelsäule und komme gleichzeitig mit dem Arm nach. Dann übernimmst du Arbeit in den medial führenden Muskeln des Schulterblattes und der Retroversion (dorsale Bewegung) des Oberarmes. Führe anschließend das Schulterblatt lateral und gleichzeitig den Arm kranial. Nun übernimmst du Arbeit in den kranial führenden Muskeln des Schulterblattes und der Anteversion (ventrale Bewegung) des Oberarmes.

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Bild 15.16 Lässt sich Pias Arm so weit kranial bewegen, dass du ihre Hand auf dein lin kes Knie legen kannst , legst du ihre Hand dort ab, zum einen, um ihr Sicherheit zu vermitteln, zum anderen , da du deine beiden Hände brauchst, um das nächste Manipulon auszuführen. Lege deine linke Hand wieder auf den Margo lateralis und umfasse ihren Ellbogen mit deiner rechten . Gleichzeitig hebst du das Schulterblatt dorsal und abduzierst dein linkes Bein so, dass ihr Arm mit Unterstützung dei ner rechten Hand am Kopf vorbei gestreckt wird. Wiederhole, bis du ihren Oberarm an ihre Wange (in Linie des Margo lateralis) führen kannst. Dann übernimmst du wieder Arbeit in den kranial und medial führenden Muskeln des Schulterblattes und den vorwärts bzw. aufwärts führenden Muskeln des Armes. Es ist notwendig, das Schulterblatt dorsal zu führen, um den Arm so weit nachbringen zu können. Bild 15.17-18 Beuge dann den Untera rm in Richtung Hinterkopf. Vielleicht wirst du vom Kortex daran gehindert, da er das gewohnheitsmäßige Bewegungsmuster des gerade nach oben gestreckten Arms assoziiert. Zu diesem Muster gehört ein gespannter Trizepsmuskel. Wenn du die Hand pronierst, übernimmst du Arbeit im M. pronator teres , der Antagonist des M. triceps ist. Folglich lässt der M. triceps seine Spannung nach (Paarkopplung). Du kannst jetzt den Unterarm in Richtung Hinterkopf beugen. Danach supinierst du die Hand, legst ihre Finger in die Nähe des ersten Brustwirbels und bittest sie, die Hand ruhig zu halten. Jetzt ist es an der Zeit, mit den Bewegungen des Oberkörpers anzufangen. Du wählst eine relativ zugeordnete Bewegung zwischen dem Schultergelenk und dem Becken bzw. den Beinen über die Wirbelsäule. Verfahre so: Bild 15.19 Führe deine rechte Hand so weit unter ihren Unterarm , dass du deine Handfläche an ihre rechte Schläfe legen kannst. Deine linke legst du unter ihren Hinterkopf. Hebe Pias Kopf und Arm dorsal mit beiden Händen unter Nutzung der Unterarme als Hebel so hoch, bis du spürst , dass ihr Oberkörper die Antagonistengrenze erreicht. Es kann sich um Millimeter handeln. Führe sie dann zur Antagonistengrenze nach links. Die Wirbelsäule wölbt sich nach rechts. (Du wählst links, da es aufgrund ihrer Arm- und Kopfposition die leichteste Richtung ist.) Dann übernimmst du Arbeit u. a. in den medial führenden Muskeln des Schulterblattes, den nach hinten führenden Muskeln des Oberarmes und den seitneigenden Muskeln des Oberkörpers links. Im Anschluss beabsichtigst du, die gleiche Seitenneige nach rechts auszuführen, was in dieser Position komplizierter ist. Du weißt aber, dass die Extensions-, Flexions- und Seitenneige-

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muskeln zum Rotationsmuster gehören. Deshalb wählst du mit beibehaltenem Griff eine Rotation als Vorbereitung für die Seitenneige nach rechts. BVH wird auf der linken Seite des Oberkörpers so reduziert , dass diese verlängert werden kann. Danach führst du die Seitenneige nach rechts aus, wobei du auf dieser Seite Arbeit übernimmst. Bild 15.20 Lass sie wieder mit dem Unterarm und der Handfläche auf die Bank sinken . Umfasse mit beiden Händen ihren Arm nahe dem Schultergelenk und bewege es in alle Richtungen , sodass sie spüren kann, wie differenziert es sich von der Schulter bewegt. Nach diesen Manipulonen ist die BVH so deutlich reduziert, dass du ihrem Soma zeigen kannst , wie sie das Skelett als Stütze nutzen kann, wenn siez. B. ihre Arme auf den Tisch stützt und dabei vermeiden möchte , dass die Muskeln um den Schultergürtel erschlaffen. Um die Stütze zwischen Wirbelsäule/Schulterblatt/ Schultergelenk/Oberarm zum stützenden Arm zu finden , tust du folgendes: Bild 15.21 Lege deine linke Hand mit der Handfläche auf den M. trapezius und das Schlüsselbein und deine Finger auf das Schulterblatt. Umfasse Pias Ellbogen mit deiner rechten Hand und drücke ihn ins Schultergelenk hinein , hebe die Schulter bis zur Antagonistengrenze der Pektoralismuskeln. Behalte die Schulter angehoben, während du sie mit deiner linken Hand kranial und kaudal in einer relativ zugeordneten Bewegung bewegst. Führe dann eine differenzierte Bewegung aus, indem du mit dem Ellbogen in der Hand gegen die Unterlage gleitest und den Ellbogen kranial und kaudal und umgekehrt führst. Lass die Bewegung nach und nach in eine Rotation im Schultergelenk übergehen. Rub it in, indem du zwischen undifferenzierter und differenzierter Rotation wechselst. Bild 15.22 Führe den Unterarm kranial und kaudal mit dem Schultergelenk differenziert so, bis du eine Position findest, wo Pia selbst die Stütze übernimmt . Lege den Unterarm da ab. Lege deine rechte Hand auf ihren Unterarm, deine linke Hand auf das Schulterblatt und rolle den Unterarm. Das Schulterblatt, das Schultergelenk und der Unterarm bewegen sich synchron . Wenn du Pia loslässt, bleibt sie in einer Position, in welcher der Unter- und Oberarm ihrer Schulter eine Stütze geben. Sie bilden ein Dreieck mit dem Brustkorb, sodass Pia unter der Schulter durchsehen kann. Wiederhole die Manipulonen rechts . Mit beiden Armen in dieser Position kann sie sich ohne zu ermüden auf den Tisch stützen. Vergleiche ihre Position mit der eines Säuglings, der auf dem Bauch liegt und sich auf den Unterarmen abstützt!

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Jetzt kannst du die Wurfbewegungen des Armes in die befreite Schulter integrieren. Sicherheitshalber machst du dies mit ihrem linken Arm, obwohl auf dieser Seite weder BVH vorliegt noch der Schutzreflex aktiviert ist. Verfahre wie folgt: Bild 15.23 Bitte sie, sich auf ihre rechte Seite zu legen. Lege ihren linken Arm, im Ellbogen gebeugt, so, dass der Unterarm gegen den Bauch hängt. Stelle dich hinter sie in Höhe der Schulter. Nimm den Ellbogen mit deiner linken Hand und fasse mit deiner rechten ihr Akromion bzw. die Spina scapulae. Führe die Schulter zusammen mit dem Arm kranial und kaudal. Du übernimmst Arbeit in den entsprechenden Schulterblattmuskeln. (Das Schulterblatt gleitet auf dem Brustrücken.) Halte inne und warte auf Akzeptanz, falls der Widerstand nicht nachgibt. Beachte, dass der Gelenkkopf in beiden Richtungen mit dem Akromion Kontakt hat. Fahre so fort, bis du das Schulterblatt relativ frei bewegen kannst. Jetzt kannst du ein Bewegungsmuster anwenden, zu dem die gleichzeitige Bewegung der Schulter und des Armes gehört. Führe die Schulter kranial und hebe gleichzeitig den Oberarm zur Antagonistengrenze. Wenn du nun die Schulter kaudal führst, behältst du die Position des Armes im Verhältnis zur Schulter bei. Wiederhole die kraniale Bewegung und führe den Arm mit. Wiederhole, bis sich der Arm im rechten Winkel zum Schultergelenk befindet (Richtung zur Decke, Abduktion). Du übernimmst damit Arbeit in den Ab- und Adduktoren. Die Schulter bekommt eine kraniale Position. Bild 15.24 Mache nun eine relativ zugeordnete Bewegung, indem du den Ellbogen in dieser Position fixierst, die Schulter mit der rechten Hand kaudal zur Antagonistengrenze führst und dann mit der rechten Hand nachlässt, sodass die Schulter wieder die kraniale Position einnimmt. Setze anschließend mit einer differenzierten Bewegung fort, indem du den Arm kranial und die Schulter kaudal führst und umgekehrt. Hierdurch gibst du Pias Gehirn die Assoziation des Bewegungsmusters, um den Arm ohne Schulterbewegung zu abduzieren. Um die Wurfbewegung effizient auszuüben, muss Pia ihren Oberarm vom Schulterblatt differenziert vorwärts führen können. Fahre folgendermaßen fort : Bild 15.25-26 Führe die Schulter ventral, den Arm gleichzeitig bis zu den Antagonistengrenzen dorsal und umgekehrt. Wiederhole einige Male, bis die Bewegung in beiden Richtungen leicht geht. Du übernimmst dadurch Arbeit in den Muskeln, die eventuell immer noch Widerstand geleistet haben.

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Schnüre den Beutel nun so zu, dass du den Arm einige Male bis zu den Antagonistengrenzen im Uhrzeigersinn und die Schulter entgegen dem Uhrzeigersinn rotierst und umgekehrt. Führe diese Manipulonen auf der rechten Seite mit äußerster Vorsicht aus, um den Schutzreflex nicht zu wecken. Falls Pia sich eine Vorstellung vom entsprechenden Bewegungsmuster machen kann, wird dessen Ausführen erleichtert.

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Lektionsbeispiel 16 - Nackenschmerzen • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •

Nicht nur die Arbeit an sich verursacht Nack ensteife. De r Schut z reflex, durch Stress ausgelöst, verursacht die Steifheit .

Lisa kommt zu dir und klagt über einen steifen Nacken, Schmerzen in den Schultern sowie Kopfschmerzen. Du weißt , dass BVH im Bereich der Schulterblätter diese Beschwerden verursachen kann. Du stellst ihr Fragen nach ihrer Arbeit. Sie ist Raumpflegerin in einer Schule. Frage sie dann , ob sie mit ihren Arbeitsbedingungen zufrieden ist. Ja, das ist sie, sogar ein Spezialist für Ergonomie hat ihr geholfen . Frage sie, welchen zusätzlichen Belastungen sie i m täglichen Leben ausgesetzt ist. ,,Die Arbeit ist so stressig, seitdem die Schule eine halbe Raumpflegerstelle gestrichen hat und außerdem habe ich Mann und zwei Kinder." Erkläre ihr, dass es nicht nur die Arbeit an sich ist , die ihre Nackensteife verursacht. Ihr Schutzreflex , der durch Stress ausgelöst wird , verursacht die Steifheit. Er spannt Muskeln in ihrem Körper, ohne dass sie sich dessen bewusst ist. Die Muskeln verursachen dann ein Vorbeugen des Körpers und ein Heben der Schultern. Um nicht nach vorn zu fallen , reagiert ihr Gleichgewichtsreflex , der den Rücken aufrichtet und die Schultern nach hinten/unten hält. Die Reflexe wirken also einander entgegen und halten Lisa in einer Schraubzwinge . Die Muskeln, die das Schulterblatt hoch- und runterführen , werden zu gegenseitigen Antagonisten , wobei die nach oben führenden dem Widerstand der Gravitation ausgesetzt sind und daher noch angestrengter arbeiten , wenn der Schutzreflex die Schultern hochhebt . Darum spürt sie die Steifheit und Schmerzen zuerst im Nacken und in den Schultern. Damit sie sich ihrer Steifheit bewusst wird , beginnst du folgendermaßen : Bitte sie, sich auf einen Stuhl setzen . Fordere sie auf , ihren Kopf nach links und rechts zu drehen und mit den Augen entsprechend ihrer Reichweite an der Wand den weitesten Blickpunkt bis zur Schmerzgrenze zu suchen. Anschließend soll sie den Kopf mit übertrieben hochgezogenen , nach unten oder nach hinten gezogenen Schultern drehen und sich dabei merken , wie die Haltung die Kopf- und Wirbelsäulendrehung beeinflusst. Erkläre ihr, dass die betroffenen Muskeln bei der Kopfdrehung stärker belastet werden, wenn sie gleichzeitig auch etwas anderes ausführen müssen, z. B. die Schulter hochhalten. Sie bestätigt , dass sie manchmal merkt , wie sie mit hochgezogenen Schultern läuft. Wenn sie es bemerkt , versucht sie, die Schultern herunterzuziehen . Allerdings verlangt das ebenfalls Muskelkraft , d.h. es entsteht erneut Muskelanspannung. Sie denkt nicht daran, dass sie bei Ausnutzung der Gravitation die Schulter ganz einfach fallen lassen kann.

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Falls die betroffenen Muskeln während einer längeren Zeit die Schulter hochgezogen gehalten haben, ist dadurch auch BVHentstanden. (Erkläre ihr den Begriff BVH.) Ein von BVH betroffener Muskel benötigt viel Kraft und verursacht allmählich Steifheit und Schmerzen. Diese Demonstration sollte ihr die Erkenntnis bringen, dass die Steifheit nicht nur im Nacken und in den Schultern, sondern auch in anderen Teilen des Körpers sitzt. Sie kann dann akzeptieren, dass du nicht sofort mit den steifen Schultern und dem Nacken anfängst. Eine andere Ausdrucksweise des Schutzreflexes ist die Anspannung der Waden mit dem Bedürfnis, auf Zehen zu laufen. Der Gleichgewichtsreflex reagiert , indem er die Extensionsmuskeln des Fußes spannt, damit das Stehen auf dem ganzen Fuß möglich ist. Hier besteht also der gleiche Konflikt zwischen Schutz- und Gleichgewichtsreflexen wie in den Schultern. Lisa muss aber gehen können . Da jedoch große Teile der Muskulatur, die der Gleichgewichtsreflex okkupiert, von BVH beeinträchtigt sind, kann dieser nur mit erhöhter Kraftanstrengung funktionieren. Daher werden die Gleichgewichtsreaktionen verzögert, Lisas Gehmuster wird steif und unsicher. Sie versucht dann willentlich, ihre Bewegungen zu kontrollieren, indem sie fast überall Muskeln mehr oder weniger unbewusst anspannt . Dabei verbraucht sie viel Energie, was zu schneller Ermüdung, hoffnungsloser Stimmung und Stress führt; Lisa befindet sich in einem Teufelskreis. Du musstest feststellen, dass ihr ganzes Extensionsmuster von Kopf bis Fuß beeinflusst ist. Am Ende dieses Musters befindet sich der Fuß, in dem sie noch keine Schmerzen verspürt. Es ist für dich also am besten, dort anzufangen. Verfahre so: Bild 16. 1 Bitte sie, die Strümpfe auszuziehen und sich auf den Rücken zu legen, sodass die Füße außerhalb der kurzen Seite der Bank hüftbreit liegen. lagere sie. Setze dich ans Fußende und bewege die Füße ein wenig, um festzustellen, welcher weniger steif ist (weniger BVH hat). Lass uns sagen, es ist der rechte. Richte dann eine Styroporscheibe oder eine Platte, ca. 2 cm dick, 30 x 60 cm, gegen das Fußquergewölbe. Lege zuerst die Scheibe gegen den Ballen des kleinen Zehs und führe eine behutsam wippende Bewegung aus, sodass du den kleinen Zeh auf die Scheibe „lockst". Drehe dann die Scheibe so, dass sie nach und nach mit den anderen Zehen im Kontakt kommt. Dann hast du Arbeit übernommen und BVH reduziert. (Die Extensionsmuskeln der Zehen haben sich verlängert.) Das Gehirn assoziiert das Reflexmuster, welches bei einem Einjährigen die Zehen steuert. Wenn kleine Kinder gehen lernen, „krallen" sie die Zehen, um guten Kontakt mit der Unterlage zu bekommen. Dieser Bewegungsreflex wird uns mit den Jahren

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weniger bewusst, auch wenn er ständig, selbst wenn wir Schuhe tragen, tätig ist. Bild 16.2 Lege danach die Scheibe gegen die ganze Fußsohle und bewege den Fuß leicht und vorsichtig in Extension, Flexion , Supination und Pronation, soweit es das Fußgelenk erlaubt. Sobald du die Antagonistengrenze als einen leichten Widerstand spürst, bleibst du dort und wartest auf Akzeptanz. Spüre, ob du in dieser Richtung weiter kommen kannst. Wähle dann eine andere Richtung. Manchmal ist das Fußgelenk in der Plantarflexion sehr verspannt. In diesem Fall gibst du einen extra Druck kranial gegen die Ferse. Dabei übernimmst du Arbeit in den Flexoren (der Wadenmuskulatur) des Fußes. Wiederhole die Bewegungen, bis du den Fuß im rechten Winkel zur Scheibe bewegen kannst. Bild 16.3 Wenn du so weit gekommen bist, drückst du die Scheibe fest gegen den Fuß, das Bein rollt dann so, dass sich das Knie zur Decke richtet. (Der Kopf des Hüftgelenkes rollt in seine Pfanne hinein.) Die Anerkennung bestätigt dir, dass du Arbeit in den Innenrotatoren und Adduktoren des Beines und deren Antagonisten übernommen hast. Danach gibst du einen starken Druck in Richtung der Hüfte und hebst bei gestrecktem Kniegelenk das ganze Bein. Spüre, dass du eine gute Stütze im Hüftgelenk hast, und behalte das Bein für eine Weile dort. Die Antwort sagt dir, dass du auch Arbeit in der Beugemuskulatur des Hüftgelenkes und den Muskeln auf der Vorderseite des Oberkörpers sowie deren Antagonisten übernommen hast. Bewege dann das Bein im Hüftgelenk in alle Richtungen , um zu spüren, dass die Spannungen nachgelassen haben. Die Bewegung des Beines soll leicht sein. Führe die Manipulonen mit dem anderen Fuß aus. Bild 16.4 Mit der Scheibe fest gegen die Füße gedrückt, hebst du beide Beine gleichzeitig und drückst sie in die Hüftgelenke . Oszilliere abschließend. Setzt sich das Oszillieren bis zum Kopf fort, ist es dir gelungen, BVH in der Muskulatur sowohl in den Beinen als auch den Füßen, dem Becken, dem Oberkörper und der Wirbelsäule (einschließlich Nacken) zu reduzieren. Jetzt solltest du untersuchen , wie viel BVH du im Extensionsmuster reduziert hast. Verfahre so: Bitte sie, sich die Strümpfe wieder anziehen und sich wie gewohnt auf den Rücken zu legen. Stelle dich an ihre rechte Seite. Nimm mit deiner rechten Hand ihr rechtes Fußgelenk und lege deine linke Hand unterhalb ihres Knies. Flektiere im Hüft-/Kniegelenk zum Bauch hin (zur Antagonistengrenze). Du siehst nun, dass sie das Bein nur bis etwa zum rechten Winkel im Hüftgelenk beugen kann. Ihr Extensionsmuster ist noch immer von BVH beeinträchtigt . Bitte sie, sich den Abstand zwischen Knie und

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Bauch zu merken, um später vergleichen zu können, wie nahe sie ihr Knie zum Bauch führen kann, nachdem du BVH im Extensionsmuster reduziert hast. Muskelspannungen um die Schulterblätter gehören zum gleichen Extensionsmuster. Falls du dort BVH mithilfe der Supination und Pronation der Unterarme reduzierst, wird sie das Bein dem Bauch näher beugen können. Verfahre so: Bild 16. 5 Lege ihr Bein zurück und setze dich an ihre rechte Seite in Höhe ihres Ellbogens. Nimm ihr Handgelenk und beuge den Unterarm zum rechten Winkel. (Das Anbeugen erfordert manchmal etwas Anreiz in Form einer Rotation) . Mit der linken Hand umschließt du ihren Daumen einschließlich des Daumenballens. Halte den Daumen still. Die Bewegung geschieht in dessen Grundgelenk. Lege den Zeigefinger deiner rechten Hand auf das Os pisiforme und führe eine Pronation mit der Hand als Hebel aus. Fange die Bewegung langsam an, um zu vermeiden , dass das Gehirn ein Gewohnheitsmuster assoziiert . Nach Akzeptanz hast du Arbeit in den Pronatoren übernommen und BVH ist reduziert worden. Bild 16.6 Lege deinen Daumen auf das Os triquetrum dorsal und mache eine Supination mit dem gleichen Hebel. Die Akzeptanz bedeutet, dass du Arbeit in den Supinatoren übernommen und die dortige BVH reduziert hast. Indem du einige Male zwischen Supination und Pronation wechselst , wird der Bewegungsausschlag (die Amplitude) größer. Integriere dann die Bewegungen mit denen des Handgelenkes und Ellbogens, indem du exten dierst, flektierst , pronierst und supinierst. Die Extension des Handgelenkes, die Supination des Unterar mes, die Adduktion und Außenrotation des Oberarmes sowie die nach hinten/unten gehende Bewegung des Schulterblattes gehören zum Extensionsmuster. Wenn du supinierst, übernimmst du daher gleichzeitig Arbeit in den nach hinten/unten führenden Muskeln des Schulterblattes, die ihre Ursprünge in der Wirbelsäule haben. Die Flexion des Handgelenkes, die Pronation des Unterarmes, die Abduktion und Innenrotation des Oberarmes und die vorwärts/ nach oben gerichtete Bewegung des Schulterblattes gehören zum Flexionsmuster. Wenn du pronierst, übernimmst du also gleichzeitig Arbeit in den vorwärts/nach oben führenden Muskeln des Schulterblattes. BVH wird dann in den Muskeln, welche die Schulterblätter bewegen, reduziert. Beim Pronieren bewegt sich das Schulterblatt vorwärts/aufwärts und integriert die Wirbelsäule in einer Lateralflexion nach rechts. Wenn du supinierst, bewegt sich das Schulterblatt nach hinten/unten, die Dehnung in der Wirbelsäule lässt nach und das

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Schulterblatt kehrt in die Ausgangsposition zurück. In diesem Fall hast du BVH in einem Extensions- oder Flexionsmuster mittels Lateralflexion reduziert. Danach legst du den Arm ab, hebst das Bein erneut und beugst es bis zur neuen Antagonistengrenze. (Lisa bemerkt erstaunt , dass der Oberschenkel beinahe den Bauch streift.) Wiederhole die Manipulonen auf ihrer linken Seite. Zur Vorbereitung und Handhabung des Nackens müssen ihre Schulterblätter in alle Richtungen frei beweglich sein. Untersuche dies und verfahre dann so: Lass sie sich mit gebeugten Beinen auf eine beliebige Seite legen. (Nimm an, sie wählt die rechte .) lagere ihren Kopf gut auf Platten , sodass Hals- und Wirbelsäule eine gerade horizontale Linie bilden. Bild 16.7 Setze dich an das Kopfende und lege deine Hände auf ihr linkes Schulterblatt. Wenn du die Hände nach unten in Richtung Taille bewegst , merkst du, dass sie dir hilft . Das hat folgenden Grund: Wenn du anfängst , das Schulterblatt nach unten zu führen , assoziiert das Gehirn sofort (als Antwort des Gleichgewichtsreflexes) das Flexionsmuster des Schutzreflexes , was sich darin äußert , dass sie mithilft. Wenn du in die entgegengesetzte Richtung gehst, hilft sie auch mit , d.h . das Gehirn assoziiert ebenfalls das Flexionsmuster. Im LB 3 (Text unter Bild 3.3) kannst du lesen, wie du diesen Reaktionen vorbeugst . Ist BVH so reduziert , dass du das Schulterblatt frei in verschiedenen Richtungen bewegen kannst, gilt es, die Bewegungen des Brustrückens und des Nackens mit denen des Kopfes zu integrieren. Um zu vermeiden , dass der Schutzreflex das Flexionsmuster auslöst, machst du eine Seitenneige. Verfahre folgendermaßen: Bild 16.8 Setze dich gerade hinter ihren Kopf und halte deine rechte Handfläche auf ihren Scheitel. Mit den Fingern deiner linken Hand umfasst du den Nacken von unten. Dein Daumen liegt auf den linken Querfortsätzen der Nackenwirbel. Um den Kopf in der Bewegung mitzunehmen, hebst du ihn ein wenig mit der rechten Hand. Mit dem linken Daumen tastest du an der Halswirbelsäule entlang und spürst, welcher Fortsatz am leichtesten nachgibt. Nutze ihn als Ausgangspunkt, indem du abwechselnd auf ihn und die angrenzenden Wirbel drückst , bis du alle gleich leicht bewegen und den Nacken in einem gleichmäßigen Bogen zur Seite neigen kannst.

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Bild 16.9 Lege dann deinen linken Daumen gegen die linken Querfortsätze der oberen Brustwirbel. Drücke dort und hebe gleichzeitig den Kopf wieder ein wenig an. Mit geschulter Propriozeption wird Lisa spüren, dass sich ihre Wirbelsäule bewegt. Die Beugung der Wirbelsäule setzt sich im Körper so fort, dass der Druck zwischen dem rechten Brustkorb und der Unterlage verstärkt beziehungsweise gelockert wird. Dabei wird ein weicher Übergang zur Beugung der Wirbelsäule in das Bewegungsmuster für die Seitenneige der Halswirbelsäule integriert. Bild 16.10 Schließe so ab, dass du mit dem Gabelgriff deiner linken Hand die Schädelbasis anfasst und die rechte (ebenfalls mit Gabelgriff) um den Unterkiefer legst. Beide Daumen liegen auf dem linken Querfortsatz des zweiten Halswirbels. Die Finger, mit denen du so weit reichen kannst, legst du auf den rechten Querfortsatz desselben Halswirbels. Mach eine Seitenneige mit dem Nacken, indem du mit den Daumen drückst. Führe dann die Seitenneige in die andere Richtung aus, indem du mit den Fingern drückst. Die Antwort zeigt, dass du Arbeit in den Muskeln übernommen hast, die die Schädelbasis mit den oberen Wirbeln (der Nackenrosette) verbinden. Diese Seitenneigungen fungieren als relativ zugeordnete Bewegungen zwischen der Halswirbelsäule und dem fixierten Kopf. Integriere den Kopf, indem du die Finger von der Halswirbelsäule zur Schädelbasis legst und die Seitenneige jetzt nur mit dem Kopf ausübst. Diese Differenzierung lässt das Gehirn ein ursprüngliches Bewegungsmuster assoziieren, in welchem du nur mit dem Kopf wackelst. Beende das Manipulon, indem du den Kopf mit gleichem Griff leicht in die Wirbelsäulenrichtung drückst und oszillierst . Das festigt die Muskelentspannung entlang der Wirbelsäule und gibt ein Gefühl von Leichtigkeit und Zufriedenheit. Wiederhole die Manipulonen auf der anderen Seite. Wenn die Muskeln der Nackenrosette von BVH betroffen sind, ist es schwer oder unmöglich, auch nur kleine Bewegungen mit dem Kopf auszuführen, z. B. den Augenbewegungen zu folgen . Dies führt oft zu sogenannten Spannungskopfschmerzen bei spezieller Arbeitshaltung, z. B. am Computer. Die Ursache ist noch unklar, aber es kann möglich sein, dass die gespannten Muskeln auf Nerven im Nacken drücken , wodurch die Schmerzrezeptoren in den Nervenbahnen mit Schmerzempfindungen reagieren - bei lschiasproblemen gilt dies analog! Viele Leute, die Nackenprobleme haben, klagen auch über Kopfschmerzen. Lisa soll nicht nur mit dem Kopf wackeln, sondern ihn auch frei vorwärts und rückwärts nicken können. Die Nickbewegung vorwärts wird u. a. mit dem M. sternocleidomastoideus und rück-

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wärts mit der Nackenrosette ausgeführt. Um frei nicken zu können, müssen diese Muskeln mehr oder weniger von BVH befreit sein. Untersuche, in welchem Zustand Lisas Nackenmuskeln sind und verfahre so: Bitte sie, sich auf den Rücken zu legen. lagere sie und setze dich an ihr Kopfende. Beim Heben und den Versuchen, ihren Kopf zu nicken, stößt du auf starken Widerstand, weil du dich - um die Nickmuskeln von BVH zu befreien - nicht direkt der Extensions- und Flexionsmuskeln bedienen kannst. Du vermeidest diese Muster, indem du eine kombinierte Rotations- und Seitenneigebewegung mit der Halswirbelsäule ausführst. Verfahre folgendermaßen: lagere den Kopf so, dass Lisas Kinn nicht aufwärts zeigt. Lege deine rechte Handfläche mit ausgestreckten Fingern auf ihre Stirn. Rolle den Kopf einige Male nach links und stelle fest, wo sich die Antagonistengrenze befindet. Wechsle die Hand und rolle zur Antagonistengrenze nach rechts. Drehe den Kopf in die leichte Richtung, lass uns die linke nehmen, und fange hier an. Lege deine Hände unter den Unterkiefer und führe den Kopf so nach hinten (extendiere ihn), dass der Abstand zwischen der Kieferecke (Angulus mandibulae) und dem Processus mastoideus (Warzenfortsatz) so groß wird, dass du den Querfortsatz des Atlaswirbels mit den Fingern erreichst. Die Querfortsätze des Atlaswirbels sind spitz. Da sie empfindlich sein können, musst du vorsichtig sein, wenn du auf sie drückst. Führe darum den Daumen, den Zeige- und Mittelfinger deiner linken Hand gegeneinander, sodass sie ein Dreieck bilden. (Du siehst das Dreieck, wenn du die Hand supinierst und die Fingerkuppen von oben betrachtest.) Bild 16.11 Drehst du den Kopf mit der rechten Hand nach rechts, öffnet sich der Abstand zwischen dem linken Kieferknochen (Angulus mandibulae) und dem Processusmastoideus. Dort erreichst du mit deinem „Dreieck" den linken Querfortsatz des Atlaswirbels. Auf die Weise vermeidest du ein unangenehmes Druckgefühl. Gib einen leichten Druck gegen ihn und rotiere gleichzeitig, mit deiner rechten Hand auf der Stirn, den Kopf nach links an die Antagonistengrenze (eine differenzierte Bewegung). Wenn du die Antwort bekommen hast, hast du Arbeit in den Muskeln direkt in der Nackenrosette, M. sternocleidomastoideus rechts und indir ekt in deren Antagonisten übernommen. Alternative: Falls die Muskeln stark von BVH beeinflusst sind und der Kopf sich nicht rotieren lässt, kannst du eine relativ zugeordnete Bewegung machen. Halte den Kopf still, drücke einige Male auf den Querfortsat z und gehe dann langsam dazu über, den Kopf in einer differen ziert en Bewegung zu rollen . Damit vermeidest du, dass der Kortex das gewohnheitsmäßige Muster assoziiert.

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Wiederhole die Manipulonen auf der anderen Seite. Bild 16. 12 Wenn BVH reduziert ist, kannst du ihrem Soma zeigen, inwieweit das Gehirn den erweiterten Umfang der Nackenbewegung akzeptiert hat. Umfasse ihren Hinterkopf und halte den Daumen auf die Querfortsätze des Atlaswirbels, führe dann eine Nickbewegung mit dem Kopf aus. Der Druck der Daumen lokalisiert die Nickbewegung zwischen dem Atlaswirbel und dem Schädelbein , genau, wo sie geschehen soll. Danach integrierst du die Bewegungen des Kopfes und Nackens mit denen der Wirbelsäu le. Verfahre dazu so: Bild 16.13 Hebe den Kopf und drehe ihn so, dass die Nase in Linie mit der linken Hüfte liegt . Fasse mit deinen Handflächen und mit den Daumen um die Schädelbasis auf den Rami mandibulae (oberhalb der Winkel des Oberkiefers) .

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Bild 16. 14 Führe den Kopf in eine Seitenneige nach rechts und drücke gleichzeitig mit dem rechten Daumen auf den Oberkieferwinkel. Achte darauf , dass die Nase in einer Linie zur linken Hüfte bleibt. Damit übernimmst du zuerst Arbeit im M. sterno cleidomastoideus rechts . Gleichzeitig wird Arbeit auf der Vorderseite in den diagonalen Muskeln zwischen der rechten Schulter und der linken Hüfte übernommen. (Die Wirbelsäule wölbt sich nach links.) Dank der Paarkopplung wird gleichzeitig BVH in den Antagonisten dieser Muskeln auf der Rückseite reduziert. Diese Diagonalen werden weniger oder gar nicht beeinflusst werden, falls du bei der Ausgangslage des Manipulons den Kopf zu weit nach links gedreht hast. Das liegt daran, dass der Bewegungsausschlag der Nackenwirbel aufgrund der physischen Bewegungsgrenzen in diesem Winkel wesentlich geringer ist. Danach drückst du mit deinem linken Daumen auf den linken Oberkieferwinkel , um eine Seitenneige des Kopfes nach links zu bewirken. Die Kopfbewegung gibt dem Gehirn die Assoziati on des anwendbaren Bewegungsmusters, um schräg nach oben rechts zu sehen. Die Brustwirbelsäule rotiert etwas und wölbt sich gleichzeitig nach rechts. Die Integration ist vollendet. Übe die gleichen Manipulonen auf der anderen Seite aus. Die Bewegungen des Kiefers sind über den Schutzreflex mit denen des Nackens verbunden. Er presst die Kiefer zusammen und spannt gleichzeitig die Hals-/ Nackenmuskeln . Die komplizierte Mechanik des Kiefergelenkes sollte dir bekannt sein, wenn du mit ihm Manipulonen ausführen willst. Das Kiefergelenk ist nicht nur ein Scharniergelenk, bei dem sich der Unterkiefer nach oben und unten bewegt (Adduktion und Abduktion), sondern er bewegt sich gleichzeitig auch vorwärts und rückwärts und in einer Art drehendem Gleiten. (Vergleiche mit dem Kaumuster der Kuh.)

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In „Ruhe« sind die Kaumuskeln ständig so angespannt, dass der Unterkiefer nach oben gehalten wird, aber nicht sofest, dass die Zähne aufeinander gepresst werden.

Wenn du den Mund öffnest, bewegt sich der Kopf des Kiefergelenks vorwärts in ein Grübchen hinein , das eine Verlängerung der Gelenkpfanne bildet. Stecke einen Finger in dein Ohr und öffne den Mund. Spüre dabei selbst, wie sich der Kopf des Kiefergelenkes bewegt und sich ein „Loch im Ohr" bildet. Wie kommt es, dass wir nicht mit offenem Mund umherlaufen? Da der Unterkiefer nur im Gelenk des Oberkiefers hängt, sollte die Schwerkraft ihn nach unten ziehen, sodass sich der Mund öffnet. Der Unterkiefer wird jedoch von drei Muskeln gehoben: M. masseter, M. temporalis, M. pterygoideus medialis . Wir nennen diese Muskeln die Kaumuskeln. Sie haben ihre Ursprünge im Schädel und ihre Ansätze am Unterkiefer. In „Ruhe" sind die Kaumuskeln ständig so angespannt, dass der Unterkiefer nach oben gehalten wird, aber nicht so fest , dass die Zähne auf einander gepresst werden . Die Mm. temporalis , masseter und pterygoideus medialis schließen den Unterkiefer. Der M. temporalis führt den Unterkiefer auch rückwärts . Die Mm. masseter, pterygoideus lateralis und medialis führen den Unterkiefer vorwärts. Die mahlende Bewegung seitwärts wird vom M. pterygoideus lateralis ausgeführt. Der Kiefer wird von den Mm. glenihyoideus und digastricus geöffnet, die ihre Ursprünge im Unterkiefer und ihre Ansätze am Os hyoideum (dem Zungenbein) haben. Dem Kortex stehen zahlreiche Bewegungsmuster für das Sprechen und Kauen zur Verfügung , die zwei oder mehrere dieser Muskeln umfassen. Welches Bewegungsmuster benutzt wird , hängt von den Anforderungen an das Kauen/das Sprechen (Zerquetschen , Mahlen oder eine Kombination davon) ab, die im Moment der Bearbeitung der Speise bzw. des Sprechens gestellt werden. Diese Bewegungsmuster werden durch das Einsetzen des Schutzreflexes gestört. Ist dieser lang anhaltend ausgelöst , presst er die Kiefer fest zusammen. Dadurch verzögert sich das Sprechen, was bis zur Unartikuliertheit führen kann. Außerdem wird das Kauen beeinträchtigt und die Speise nur unzureichend verarbeitet , was Verdauungsstörungen zur Folge haben kann. Durch die Kieferspannung werden spastische Mahlbewegungen ausgeführt (Knirschen der Zähne Tag und Nacht) und die Zunge wird gegen den Gaumen gepresst. Dies kann so weit gehen, wie es ein Schüler einmal ausgedrückt hat: ,,Ich muss morgens den Mund aufbrechen."

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Der Grad dieses Zustandes kann vom Zahnarzt festgestel lt werden. Er sieht, wie stark die Zähne abgenutzt sind. Häufig treten Begleiterscheinungen wie Müdigkeit und Kopfschmerzen auf , wenn die Kaumuskulatur in ihrer Bewegungsfähigkeit durch BVH eingeschränkt ist. Untersuchst du die Kiefermuskulatur auf vorhandene BVH, ver fahre so: Bitte Lisa, den Mund zu öffnen und hochkant so viele Finger wie möglich zwischen die Vorderzähne zu stecken. Das ist eine praktische Art, herauszufinden , wie weit der Mund geöffnet werden kann. Nach den Manipulonen , die jetzt folgen werden , kann sie zum Vergleich herangezogen werden. Bild 16.15 Lege deine Finger in Höhe der C7-Th1 auf jede Seite der Wirbel und gib einen Druck gegen die Decke. Durch diese Extension des Nackens und der Brustwirbelsäule wird der Kopf nach hinten zur Ausgangslage für das nächste Manipulon gebeugt. Bild 16.16 Deine Daumen ruhen auf dem Unterkiefer gleich unterhalb der Zahnreihe. Die Finger liegen auf der Hinterseite des Unterkiefers (unterhalb der Ohren). Gib einen schwachen Druck mit den Daumen und öffne den Mund vorsichtig (Vermeide das Auslösen des Schutzreflexes). Falls Lisa sich wehrt, indem siez. Bsp. das Kinn zur Brust zieht, statt den Mund zu öffnen , ist ihre Kiefermuskulatur (M. temporalis) von BVH betroffen . Mach sie darauf aufmerksam: Da eine Bewegung, an der ein von BVH betroffener Muskel betei ligt ist, nur eingeschränkt ausführbar ist , wählst du besser eine andere Bewegung, z. B. seitwärts (Manipulontaktik) . Verfahre

so: Bild 16.17 Führe den Unterkiefer durch den sanften Druck deiner Daumen behutsam nach links und rechts, um zu testen, in welche Richtung er sich am leichtesten bewegen lässt. Bewegt er sich leichter nach links , führe den Unterk iefer mit deinen Daumen und Fingern nach links . Du übernimmst dann Arbeit in den Muskeln, die den Kiefer seitwärts (mahlend) bewegen . Wiederhole die Bewegung des Kiefers nach rechts und schließlich einige Male in beide Richtungen. Führe Lisas Kiefer vorwärts zum vorstehenden Unterkiefer . (Sie macht ein Untergebiss .) Lass sie dir helfen, falls notwendig. In dieser Extremposition bittest du sie, dir die Führung des Kiefers zu überlassen. Dann übernimmst du Arbeit in den Muskeln, die den Unterkiefer vorwärts schieben (die Pterygoideusmuskeln). Öffne den Kiefer, wenn möglich , ein wenig mehr. Falls sie das noch nicht kann, lässt du sie erneut ein Untergebiss machen . In dieser Position führst du den Unterk iefer vorwärts/nach unten

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bis an die Antagonistengrenze und wartest auf Akzeptanz. (Gib eine ordentliche Stütze mit den Fingern auf den Kieferecken.) Du hast Arbeit in den Muskeln, die den Mund öffnen, übernommen. Nun erlaubt sie dir, den Mund weiter zu öffnen, da dank der Paarkopplung auc.h BVH im M. temporalis reduziert worden ist. Indem sie nochmals die Finger wie oben beschrieben in den Mund steckt , stellt sie selbst fest, wie weit sie den Mund nun öffnen kann. Der Einfluss der BVH auf die Bewegungsfähigkeit in den Kiefermuskeln ist nun beseitigt und der Nacken sollte in alle Richtungen frei sein. Lass sie sich abschließend auf die Bankkante setzen. Jetzt sollte die BVH in der Wirbelsäule so reduziert sein, dass du Lisa zeigen kannst, welches Gefühl von Stabilität ihr ein frei beweglicher Nacken (Kopf) und eine bewegliche Wirbelsäule geben. Verfahre weiter so: Bild 16. 18 Da die Beweglichkeit des Kopfes von verspannten Schultern gehemmt wird, versichere dich zuerst , dass sie keine Spannungen in den Schultern hat. Stelle dich vor sie und fasse Lisas Oberarme. Führe die Arme nun aufwärts, sodass die Schultern mitkommen und lass sie wieder fallen. Beachte, dass du die folgenden Manipulonen besonders vorsicht ig ausführen musst! (Das Gebiet ist sehr empfindlich.) Bild 16.19 Mit deinen Händen um Hals und Nacken stützt du den Kopf, hierbei ruhen Kiefer und Schädelbasis auf deinem Zeigefinger und Daumen. Halte Kopf und Nacken still, bis Lisa dir den Kopf überlässt. Mit Kopf und Nacken als Hebel versuchst du nun, die Wirbelsäule zu flektieren, zu extendieren , zur Seite zu neigen und zu rotieren. Es zeigt sich dann, dass du auf Wider stand bei der Extension und Flexion stößt. Da sie ohne Beteiligung der Extensions- oder Flexionsmuskeln keine Seitenneige oder Rotation ausführen kann, führst du mit ihr zunächst einige Seitenneigungen nach rechts und links aus. Diese Bewegungen lösen im Gehirn die Assoziation der typischen Bewegungsmuster (Efferenzmuster) aus. Schließlich kannst du nach wenigen Wiederholungen beide Bewegungen (Extension und Flexion) ohne Widerstand ausführen. Bild 16.20 Dann legst du deine Hände ein wenig weiter nach oben , sodass du nur den Kopf hältst. Gib mit den Kleinfingerseiten der Schädelbasis und dem Unterkiefer eine Stütze und warte wieder, bis Lisa dir ihren Kopf überlässt. Bewege jetzt Nacken und Wirbelsäule zusammen in Flexion, Extension, Seitenneige und Rotation. Nutze den Kopf als Hebel. Wenn sie auch das akzeptiert hat, kannst du ihre Wirbelsäule aufrichten und ihr zeigen, dass sie aufrecht sitzen kann. Danach bewegst du nur den Kopf, um Lisa zu zeigen, dass er von den Nacken- und Wir-

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belsäulenbewegungen völlig frei ist (differenziert). das Bild einer stabilen Wirbelsäule.

Lisa erhält

Im Stehen spürt sie, wie sie die Bewegungen des Kopfes, des Nackens und der Wirbelsäule nutzen kann, wenn sie sich umdreht, zur Decke, auf die Füße oder auf die in der Ecke stehenden Schuhe sieht.

«Solch ein Unterschied! Kann das sein?»

Bitte sie auch, sich zu merken, wo sich ihre Schultern befinden. Wahrscheinlich empfindet sie sie als hängend. Lass sie dann nach links und rechts schauen, um zu spüren, zu welcher Seite sie den Kopf leichter drehen kann. Dann lässt du sie den Arm in die leichte Richtung mitnehmen. Gleichzeitig bittest du sie, sich zu merken, wie sich das Becken, die Wirbelsäule und die Oberschenkel im Zusammenhang mit der Drehung bewegen. Sie empfindet ihre Bewegungen als geschmeidig. Weil sie nun alle Körperteile mitbewegen kann, wird die Anstrengung im Nacken reduziert, wenn sie den Kopf dreht. „Solch ein Unterschied! Kann das sein?", fragt sie. Während sie im Zimmer umhergeht, spürt sie die Freiheit ihrer Bewegungen und eine tiefe Ruhe. Spontan sagt sie: ,,Jetzt muss ich nach Hause gehen und mit meinem Mann sprechen. Er muss die Kinder jeden zweiten Tag abholen. Ich darf meinem Arbeitgeber keine Ruhe lassen, bevor er nicht eine Halbtagskraft einstellt. Es muss sich etwas verändern!"

e

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Lektionsbeschreibung 17 - Knieschmerzen t

•••••••••••••••••••••••••

Svens rechtes Ligamentum patellae (Kniescheibensehne) ist abgerissen und ein operativer Eingriff war notwendig. Trotz langer Rehabilitationsperiode spürt er starke Spannungen beim Beugen und Strecken des Knies. Beim Versuch zu joggen, was er früher gern tat, stellen sich hartnäckige Schmerzen in Bein und Schulterblatt ein , die bereits einige Wochen anhalten. Außerdem klagt er über Krämpfe im Fußgewölbe und in der Gegend seiner rechten Hüfte/Leiste. Während eines Spazierganges bekommt er Schmerzen im rechten Knie und Bein, aber auch zwischen dem linken Schulterblatt und der Wirbelsäule. Wegen des Verdachts auf Verschleißerscheinungen hat er bereits seinen Arzt konsultiert, aber das Röntgenbild ergab keinen Befund. Während der Rehabilitation hat er aufgrund des Schmerzes sein rechtes Bein nicht voll und ganz belasten können. Du verstehst: Um beim Laufen das Gleichgewicht zu halten und gleichzeitig das rechte Bein so wenig wie möglich zu belasten, spannt sein Gleichgewichtsreflex bei jedem Schritt kräftig den linken M. latissimus dorsi. Bei normalem Gehen adduziert und rotiert dieser Muskel den Arm nach innen , um die Bewegung des rechten Beckens zu kompensieren. Die Muskeln der medialen Seite des Schulterblattes gehören zu den Bewegungsmustern des Armes. Wenn die Bewegung des Armes durch diese zusätzliche Maßnahme des Gleichgewichtsreflexes vergrößert wird , verursacht sie Spannung und Schmerz. Das diagonale Streckmuster, zu dem Svens M. latissimus dorsi gehört , umfasst den M. gluteus maximus, den M. rectus femoris , den M. tensor fascia lata und den Tractus tibialis. Das Muster geht bis in das rechte Knie, wodurch der Unterschenkel ausgestreckt wird. Bei einer Aktivierung des Streckmusters fungiert die ischiocrurale Muskulatur als Antagonist. Wenn eine konstante Überbeanspruchung (BVH) im M. latissimus dorsi vorliegt, werden die übrigen Muskeln im Streckmuster ständig gespannt gehalten. Der Endpunkt des Streckmusters, gelegen am Knie auf der Vorderseite des Unterschenkels, wird dann einer konstanten Zugkraft der Unterschenkelstrecker ausgesetzt. Erkläre Sven diese Zusammenhänge so, dass er versteht, warum er nicht nur im Knie, sondern auch in seinem Bein Schmerzen hat. Die Figur unten veranschaulicht seine Situation. Beispiel eines Streckmusters A Die Muskeln 1 bis 6 gehören zum Streckmuster des Körpers, hier in einem spannungsfreien Zustand (ohne Beeinträchtigung durch BVH). B Der Muskel 1 ist durch BVH verkürzt, die sich bis zu den Muskeln 2 bis 6 verbreitet hat. Bei Auslösen des Streckmusters fun-

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giert 3 als Antagonist. Die Muskeln 4, 5 und 6 liegen nahe beieinander auf der Vorderseite des Unterschenkels. Der konstante Zug, den dann mehrere Muskeln gleichzeitig auf den Ansatzpunkt ausüben, verursacht die Knieschmerzen. Während der Rehabilitation trainierte Sven an einer Beuge- und Streckmaschine auch die Beweglichkeit und Kraft im Knie. Strebsam, wie es seine Eigenart ist, hat er nicht nur die Muskeln gespannt, die gebraucht werden, um das Knie zu rehabilitieren , sondern auch seine Hüftbeuger (M. rectus femoris und M. iliopsoa s) bei der Kniestreckung und seine Hüftstrecker (M. gluteus maximus und die ischiocrurale Muskulatur) beim Kniebeugen. Er hat zu viel trainiert. Davor hat Yochanan Rywerant schon immer gewarnt , indem er sagte: ,,Don' t overdo! "

Kniegelenk

Fuß

A 1

2

3

c::== ::x::==: ::.c: :==: : Wirb elsäule

Becken Oberschenkel

\ Uotecscheokel 6

Fuß

B

Im Falle eines zu harten oder einseitigen Muskeltrainings entsteht eine permanente Erhöhung des Tonus, d. h. BVH tritt ein . Das ist u. a. von Dr. Jürgen Freiwald, Bergische Universität/Gesamthochschule Wuppertal, wissenschaftlich belegt worden .

1. M. latissimus dorsi 2. M. gluteus maximu s 4. M. rectus femoris 5. M. tensor fascia lat a

Ein Forscher, der ebenfalls die Auswirkung des Krafttra i nings auf die Muskulatur untersucht hat, ist der bereits erwähnte Prof. Hakan Johansson vom Institut für Berufswelt in Umea, Schweden. Er hat mit Schärfe betont , dass einseitiges Krafttraining zu zunehmender Ungelenkigkeit und Schmerzen in der Muskulatur führt. Dies gilt nicht nur für die Muskeln, die direkt Gegenstand des Krafttrainings sind, sondern auch für die Muskeln, die zum gleichen Bewegungsmuster gehören.

6. tractus il otib ali s

Svens Training hat daher die gegenteilige Wirkung erzielt. Er ist in einem Teufelskreis gelandet. Bist du so weit mit der Bestandsaufnahme zur Ursache der Beschwerden bei Sven gekommen , kannst du die Lektion planen. Sein Bein ist so schmerzempfindlich, dass der Schutzrefle x sofort ausgelöst wird , wenn du es nur anfasst . Du möchtest darum am ursprünglichen diagonalen Streckmusters (M. latissimus dorsi) anfangen, also am linken Arm. Da Svens Schutzreflex dort wahrscheinlich stark reagiert, entscheidest du, mit dem rechten Arm zu beginnen. Verfahre so: Bitte ihn , sich in Bauchlage mit nach links gewendetem Kopf auf die Bank zu legen. Der rechte Arm liegt entlang seiner rechten Seite . Setze dich in Höhe seines rechten Ellbogens. Du möch-

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test zunächst Arbeit in den Muskeln im diagonalen Streckmuster übernehmen, um an den M. latissimus dorsi zu kommen und dort BVH zu reduzieren. Bild 17.1 Nimm den Ellbogen mit der linken Hand und lege die rechte unter das Schultergelenk (ventral). Hebe den Ellbogen, adduziere und rotiere den Arm (als Hebel) im Schultergelenk nach außen. Gleichzeitig hebst du die Schulter dorsal. Warte auf die Akzeptanz, die dir zeigt, dass du Arbeit in den Muskeln im diagonalen Streckmuster (u. a. dem M. latissimus dorsi) übernommen hast. Die Antagonisten der Vorderseite (die Flexoren) haben dabei auch den Impuls zur Verlängerung bekommen. Um ungehindert laufen zu können, muss Sven seinen Arm nach innen rotieren können. Der M. latissimus dorsi nimmt, außer im diagonalen Streckmuster, auch an den adduzierenden, nach hinten führenden sowie nach innen rotierenden Bewegungen des Armes teil. Indem du diese Bewegungen mit dem Arm ausführst, sprichst du den M. latissimus dorsi an und BVH kann weiter reduziert werden . Verfahre wie folgt: Du willst den Arm in einer nach innen rotierten und adduzierten Position nach hinten führen, indem du den Ellbogen beugst und den Unterarm mit dem Handrücken auf Svens Rücken (in Höhe des Hohlkreuzes) ablegst. Das ist jedoch nicht möglich und kann an den Flexoren (u. a. der Pectoralismuskulatur) liegen, die durch einen allzu hohen Grad an BVH beeinträchtigt sind. Das Schulterblatt kommt nicht nach. Bild 17.2 Um nun weiter BVH in den Flexoren zu reduzieren, legst du Svens Handfläche auf die Bank. Die feste Stütze der Handfläche gegen die Unterlage gibt dem Soma das Gefühl von Sicherheit, sodass der Schutzreflex nicht aktiviert wird. Nimm dann den gebeugten Ellbogen (kranial der Epikondylen) mit der linken Hand, führe ihn ein wenig nach hinten und adduziere den Arm. Gleichzeitig fügst du ein Element hinzu, indem du deine rechte Hand auf die abwärts-/ nach innen gehenden Muskeln des Schulterblattes legst. Streiche ein wenig mit der Hand in deren Richtung. Warte auf die Akzeptanz, die dir zeigt, dass du Arbeit übernommen hast. Als Alternative kannst du deine rechte Hand auf den Ansatz der Diagonalen des Beckens auf der linken Seite legen. BVH wird unabhängig davon, welche Alternative Du wählst, in den Flexoren weiter reduziert. Trotzdem spürst du einen Widerstand , wenn du den Unterarm in das Hohlkreuz legen willst. DasSchulterblatt kommt immer noch nicht rückwärts nach. Da der M. biceps seine beiden Ursprünge auf dem Schulterblatt hat und am Flexionsmuster der Schulter teilnimmt, beschließt du zunächst BVH dort zu reduzieren, bevor du mit dem M. latissimus dorsi fortsetzt.

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Bild 17.3 Benutze dazu Svens Hand als Hebel. Behalte seinen Arm dort, wo du bei den Flexoren der Schulter auf Widerstand stößt. Stütze seinen Oberarm mit deinem rechten Unterarm, entweder unter seiner Schulter /seinem Oberarm oder nur mit einer kleinen Stütze gegen seinen Oberarm. Gleichzeitig hältst du mit deiner rechten Hand den Unterarm flektiert. Nimm seinen kleinen Finger mit deiner linken Hand und flektiere ihn so weit, dass das Handgelenk auch flektiert wird. (Dadurch bekommst du den größten Hebel, den die Hand bieten kann.) Von dort aus führst du den kleinen Finger weiter, sodass die Hand und der Unterarm supiniert werden. Wiederhole diese Bewegung (zur Antagonistengrenze), bis die Handfläche auf den Rücken kommt. Da der M. biceps seinen Ansatz im Unterarm hat, wird dessen Arbeit durch die Drehung des Unterarmes übernommen, die dieses Manipulon mit sich bringt. Um die Bewegung zu erleichtern, kannst du gleichzeitig den Ellbogen ein wenig ventral führen. Die Schulter nimmt eine Flexion ein und du übernimmst dabei Arbeit in den Flexoren. Nach Akzeptanz wiederholst du das Manipulon, aber diesmal führst du den Ellbogen dorsal. Die Flexoren, die in diesem Fall Antagonisten sind, sind jetzt so entspannt, dass du keinen Widerstand im Arm spürst. Du hast Arbeit im M. latissimus dorsi übernommen und BVH dort so reduziert, dass das Schulterblatt beweglicher geworden ist. Du kannst den Beutel zuschnüren, indem du Sven selbst üben lässt, Arm und Hand so über den Rücken zu bewegen, dass er wirklich spürt, wie er sich jetzt an verschiedenen Stellen seines Rückens kratzen kann (AHA!). Jetzt ist es an der Zeit, die neuen Erkenntnisse der rechten Seite auf den linken Arm zu übertragen. Sven liegt dann mit dem Kopf nach rechts gedreht. Wiederhole die Manipulonen dort. Wenn du mit deiner rechten Hand in die Armbeuge und den Oberarm mit deiner linken greifst , um den Ellbogen zu heben, merkst du, dass er dir bei der Außenrotation des Armes helfen will. Der Kortex assoziiert das zur Außenrotation gehörende Streckmuster. Du verstehst dann, dass es nicht möglich ist, den Unterarm auf das Hohlkreuz zu legen, ohne zuerst den Tonus in den Außenrotatoren zu reduzieren. Verfahre so: Bild 17.4 Adduziere und rotiere seinen Arm nach außen bis zur Antagonistengrenze. Da diese Muskeln ihren Ansatz auf dem Schulterblatt haben, kannst du ein Element hinzufügen , indem du mit deiner linken Hand ein wenig in die Längsrichtung der Muskeln streichst. Warte auf die Akzeptanz. Du hast Arbeit in den Außenrotatoren des Schultergelenks übernommen und kannst anschließend die Manipulonen wie auf der rechten Seite durchführen . Was du jetzt am Ursprung des Streckmusters ausgeführt hast, hat zwar im gesamten Streckmusters BVH reduziert, reicht je-

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doch nicht aus, um Sven ein freieres Laufen zu ermöglichen bzw. sein Knie schmerzfrei beugen zu können. Gehe darum zum Ansatz des Streckmusters. Wenn Sven das Knie beim Laufen beugt, funktionieren die ischiocrurale Muskulatur und der M. gastrocnemius als Agonisten und der Kniestrecker als Antagonist. Die ischiocrurale Muskulatur muss dann bei jedem Schritt den Widerstand des Kniestreckers überwinden , wodurch BVH in der ischiocruralen Muskulatur zunimmt. Die Kniebeugung, die Drehung des Unterschenkels , die Supination des Fußes und die Spannung des Fußgewölbes gehören zu den Ausdrucksweisen des Schutzreflexes. Du kannst deshalb davon ausgehen, dass sämtliche Muskeln, die an diesen Bewegungen teilnehmen, zu einem gewissen Grade BVH ausgesetzt sind. (Es ist wahrscheinlich diese Spannung, die den Krampf auslöst.) Aufgrund dieses Zusammenhanges kannst du Svens Fuß und Unterschenkel als Hebel verwenden, um in den betreffenden Muskeln BVH zu reduzieren. Du denkst auch hier daran , mit dem linken Bein zu beginnen, um den Schutzreflex nicht auszulösen. Verfahre wie folgt :

G

Bild 17.5 Bitte ihn, sich auf den Rücken zu legen und lagere das rechte Bein gut. Setz dich an seinen linken Unterschenkel und beuge das linke Bein im rechten Winkel im Kniegelenk , um es so weit nach außen zu führen, wie die Adduktoren es erlauben (abduziert). lagere es dort. (Die Außenseite des Fußes lehnt auf der Unterlage. Der Fuß ist dabei supiniert.) Lege deine rechte Handfläche um das Caput fibulae (den Wadenbeinkopf) und die Finger unter Führung des Zeigefingers auf die Bizepssehne der Kniekehle. Drücke mit dem Daumen deiner linken Hand auf das Os naviculare (das Kahnbein = den Schlussstein im Fußgewölbe) in Richtung des Caput fibulae. Dabei akzentuierst du die Supination des Fußes. Dann nähert sich der Ansatz (auf der Innenseite des Fußes) des M. tibialis posterior (hinterer Schienbeinmuskel) seinem Ursprung, der sich dort befindet, wo du deine rechte Hand hältst. Gleichzeitig nähern sich Ursprung und Ansatz der Muskeln des Fußgewölbes. Warte auf Akzeptanz , die du mit dei ner rechten Hand als eine leichte rechte Drehung des Caput fibulae spüren kannst. Wenn sie auftritt, übernimmst du Arbeit im M. tibialis posterior. Die Supination bewirkt eine Außenrotation des Unterschenkels. Verstärke dann den Daumendruck etwas und akzentuiere die Außenrotation mit der rechten Hand. Wiederhole einige Male. Da der M. biceps femoris (der laterale Teil der ischiocruralen Muskulatur) seinen Ansatz am Caput fibulae hat, bewirkt die Außenrotation eine Annäherung von Ansatz und Ursprung des M. biceps femoris und BVH wird auch dort reduziert.

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Durch die gleichzeitige Supination , die Drehung des Unterschen kels und die Außenwinkelung des Oberschenkels wird das Caput femoris in das Hüftgelenk hineingedrückt. Dabei nähern sich der linke Beckenkamm und die unteren Rippen der linken Seite des Brustkorbs einander, wobei sich die Wi rbelsäule nach rechts wölbt und du Arbeit in den linken seitneigenden Muskeln der Taille übernimmst. Als eine Folge der reziproken Inhibition (Hemmung) entspannen dann auch die seitneigenden Muskeln rechts. Da die Rückenstrecker ihre Ansätze weit im Nacken haben, reduziert sich BVH auch in diesem Bereich . Das Nutzen des Fußes und Unterschenkels als Hebel ist dermaßen kompliziert , dass es eine Erklärung erfo rdert : Der erste Hebel , den du bei der Supination nutzt, ist die Fußbreite in Höhe des Os naviculare. Der andere Hebel ist der Abstand zwischen dem Ansatz des M. biceps femoris am Caput fibulae und dem Ursprung des M. tibialis posterior auf der Tibia. Es sind zwei sehr kurze Hebel , wobei du mit dem ersten den zweiten bewegst. Dadurch bekommst du die Möglichkeit , einen Effekt vom Fuß bis zum Kopf zu erwirken. Jetzt sollte der M. tib ialis posterior so verlängert werden können, dass du den Fuß pronieren kannst. Fasse linkshändig über den Fußrücken mit der lateralen Handfläche gegen den großen Zeh. Verweile mit der rechten Hand am Caput fibulae . Führe eine Pronation im Fußgelenk mit Druck gegen den großen Zeh aus, um die Stütze medial zu richten. Erwirke mit deiner rechten Hand gleichzeitig eine Innenrotation des Unterschenkels. Dabei lass das Bein in der nach außen gewinkelten (abduzierten) Position, hebe es also nicht an. Mit der Innenrotation übernimmst du Arbeit im medialen Teil der ischiocruralen Muskulatur . Da du anschließend außerhalb Svens gewohnheitsmäßigem Bewegungsmusters arbeitest , musst du die Manipulonen anfangs besonders langsam ausführen, um der Reaktion des Schutzreflexes vorzubeugen. Da die linken Rückenstrecker jetzt eine Verlängerung erlauben, übt die Innenrotation des Unterschenkels über den M. biceps femoris einen distalen Zug im linken Beckenkamm aus. Dadurch nähert sich der rechte Beckenkamm den rechten unteren Rippen, die Wirbelsäule wölbt sich nach links und du übernimmst Arbeit in den seitneigenden Muskeln der Taille. Sämtliche Muskeln bis hinauf zum Nacken, deren Arbeit du auf diese Weise übernommen hast, ermöglichen jetzt eine Verlängerung. Wiederhole die Supination und Pronation einige Male, bis die ganze Fußsohle sowie der große Zeh Kontakt mit der Unterlage haben.

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Während du die Manipulonen wiederholst, beobachtest du, wie sich Svens ganzer Körper kranial und kaudal bewegt. Diese Bewegung ist dank der Reduktion von BVH in den Rückenstreckern, den Diagonalen und der Schulterblattmuskeln möglich. Das Gehirn erkennt das Bewegungsmuster, welches das Bein zum Laufen benötigt. Sven erlebt das als Gefühl der Freiheit und Stabilität bis zum Kopf, welches ihn regelrecht in Euphorie versetzt. Drückst du mit dem Daumen unter den Fuß, kannst du auf die Muskeln im ganzen Körper bis zum Nacken einwirken (und BVH reduzieren) . Das ist keine Zauberei, keine Magie, keine Mystik, sondern eine erklärte Tatsache! Du möchtest ihm jetzt auch dabei helfen, sein Knie ein wenig weiter zu beugen und zu strecken . Was ihn immer noch hindert, das Knie zu beugen, ist BVH im M. quadriceps. Was ihn hinde rt , das Knie zu strecken, ist BVH im M. gastrocnemius und i n der ischiocruralen Muskulatur. Der M. gastrocnemius hat seinen Ursprung auf der dorsalen Seite der lateralen und medialen Kondylen und die Ansätze werden in der Achillessehne vereint , die ihrerseits auf dem Fersenbein ihren Ansatz hat. Schon das Beugen des Beines bedeutet also eine Annäherung von Ursprung und Ansatz des M. gastrocnemius. Der Ansatz der Achillessehne befindet sich auch medial der Supinationsachse des Fußes, also nimmt der M. gastrocnemius an der Supination teil. Die supinierenden Muskeln haben auch die Funktion, das mediale Fußgewölbe nach oben zu halten . Vorhandene BVH kann Krämpfe auslösen. Du kannst also BVH im M. gastrocnemius noch mehr reduzieren, indem du den auf der Unterlage stehenden Fuß mit dem Knie zur Decke gerichtet supinierst. Um das Auslösen des Schutzreflexes zu vermeiden , führst du das zunächst mit dem linken Bein aus: Beuge das Knie zur Antagonistengrenze und stelle den Fuß fest auf die Unterlage . Halte die rechte Hand in der Kniekehle und die li nke über dem Fuß nahe dem Fußgelenk. Mache eine Supination und drehe gleichzeitig den Unterschenkel. Warte auf die Akzeptanz, die dir zeigt , dass du Arbeit im lateralen Teil des M. gastrocnemius am Kniegelenk übernommen hast. Da du gleichzeitig den Unterschenkel drehst, wird auch Arbeit im M. biceps femoris übernommen. Die Supination bewirkt ebenfalls eine Arbeitsübernahme in den Supinatoren und im M. gastrocnemius am Fußgelenk, was die Pronation erleichtert. Führe anschließend eine Pronation aus und unterstütze mit der Drehung des Unterschenkels in die andere Richtung. Nach Akzeptanz hast du Arbeit im medialen Teil des M. gastrocnemius übernommen. Wiederhole das Manipulon einige Male. Bild 17.6 Wenn die Arbeit der Supinatoren übernommen wird, lässt die Spannung der Fußgewölbemuskeln nach. Die Belastung

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des Fußgewölbes wird dadurch richtig verteilt. Führe jetzt mit Nachdruck eine Pronation aus. Diese Information zeigt Svens Soma bei jedem Schritt, den er macht : ,,So stehst du auf deinem Fuß". Jetzt sollte der Schutzreflex so ausgeschaltet sein, dass du alle Manipulonen mit seinem rechten Bein ausführen kannst . Als eine Folge des Sherrington'schen Gesetzes entspannt außerdem der M. quadriceps (u. a. Antagon ist der M. gastrocnemius und M. biceps femoris). Daher kannst du nun das Knie ein wenig weiter beugen. Wiederho le die Manipulonen einige Male von der neuen Ausgangslage und probiere, ob sich der M. quadriceps noch weiter verlängern lässt. BVH in der ischi ocruralen Muskulatur und im M. gastrocnemius ist nun reduziert, sodass Sven das Bein ohne Widerstand gerade ausstrecken kann. Vielleicht ist auch die Ursache für die Krämpfe im Fußgewölbe behoben. Bild 17.7 Schnüre den Beutel zu, indem du den Unterschenkel und die Kniekehle anfasst und das Bein im rechten Winkel im Knie- und Hüftgelenk beugst. Diese Haltung ähnelt der sitzenden Position, in der die lschiocruralen und der M. rectus femoris entlastet sind. Halte die Ferse mit deiner linken Hand und das Caput fibulae mit deiner rechten. Zeige , wie leicht sich der Unterschenkel nach innen und außen rotieren lässt und dass die Rotation das Becken integriert. Sven hat Schmerz in der Hüfte und der Leiste. Das liegt ver mutlich an zu hoher BVH in den Mm. rectus femoris und iliacus. Wenn er beim Laufen sein Bein nach hinten führt, werden diese Muskeln gestreckt, es schmerzt und so wird der Schutzreflex ausgelöst. Wenn ein Muskel durch BVH in seiner Bewegungsfähigkeit eingeschränkt ist, kannst du eine andere Bewegung mit dem entsprechenden Muskel ausführen (Manipulontaktik), um das Auslösen des Schutzreflexes zu umgehen . In diesem Falle rotierst du das Bein im Hüftgelenk. Verfahre so: Bitte Sven, sich wieder auf den Bauch zu legen. Wenn du seinen rechten Unterschenkel beugen willst , spürst du, dass die Antagonisten (Mm. rectus femoris und iliacus) eine Beugung zum rechten Winkel im Kniegelenk nicht zulassen. (BVH verursacht den Widerstand , da der Muskel belastet ist.) Das Becken wird rückwärts gekippt. Der Po wird ein wenig gehoben. Deshalb fängst du mit seinem linken Bein an und verlässt dich darauf, dass deine Informa tion sein rechtes Bein über Corpus callosum erreicht. Stelle dich in Höhe seines linken Knies. Fasse das Fußgelenk nahe den Fußknöcheln an und beuge das Knie, soweit die Anta-

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gonisten es erlauben . Mache mit dem Unterschenkel als Hebel eine Außenrotation und eine Innenrotation des Oberschenkels . Indem du ein Element hinzufügst und den Trochanter an der Antagonistengrenze der Innenrotation und das Kreuzbein an der Antagonistengrenze der Außenrotation bewegst , machst du Svens Gehirn auf den Zusammenhang zwischen der Beckenrotation und der Rotation des Beines im Hüftgelenk aufmerksam. Nach Akzeptanz hast du Arbeit in den Muskeln übernommen, die zum Bewegungsmuster des Hüftgelenkes gehören . Trotz der bereits eingetretenen Veränderung kann die Beckenrotation noch stärker unterstüt zt werden . Sie gehört auch zu den Bewegungsmustern des Hüftgelenks , des Knie- und Fußgelenkes und der Zehen. Um sie zu erweitern , verfahre wie folgt: Bild 17.8 Behalte den linken Unterschenkel gebeugt und stelle dich an das Fußende der Bank. Die Beugung ist notwendig, um den Unterschenkel im Kniegelenk rotieren zu können. Fasse mit beiden Händen das Fußgelenk über den Fußknöcheln mit den Fingern parallel zum Unterschenkel. (Blockiere den Fuß seitlich.) Drehe die Ferse einige Male nach links (Innenrotation des Unterschenkels) und nach rechts (Außenrotation des Unterschenkels) . Kombiniere dann mit der Extension und Flexion des Unterschenkels und der Rotation des Hüftgelenkes, soweit deine Phantasie reicht. Dabei übernimmst du Arbeit in den Rotatoren des Hüftgelenkes. Da die kniebeugenden Teile der ischiocruralen Muskulatur ihre Ansätze im Unterschenkel haben und ihn auch rotieren , übernimmst du mit der Rotation ebenfalls Arbeit in ihnen und ihren Antagonisten. Es kommt zu einer Art Rub it in! Bild 17.9 Wechsle den Griff : Fasse den Fuß mit beiden Händen, platziere den Daumen auf der Fußsohle nahe der Ferse und die Finger auf den Mittelfußseiten , sodass das Fußgelenk nicht blockiert wird. Flektiere, extendiere , supiniere und proniere den Fuß. (Du übernimmst Arbeit in den entsprechenden Muskeln.) Kombiniere das anschließend mit der Rotation, Extension und Flexion im Kniegelenk und mit der Rotation des Hüftgelenkes, abermals soweit deine Phantasie reicht. Bild 17.10-11 Wechsle den Griff erneut : Fasse mit Daumen und Zeigefingern distal von den Grundgelenken der Zehen. Halte die Zeigefingerkuppen auf dem Fußrücken gegeneinander. Fixiere die Zehen und mache eine relativ zugeordnete Bewegung (Flexion und Extension) an den Grundgelenken der Zehen. Bei der Flexion der Grundgelenke kommt es gleichzeitig zu einer Dorsalflexion und bei der Extension zu einer Plantarflexion des Fußgelenkes. Dabei übernimmst du Arbeit sowohl in den Flexoren als auch in den Extensoren. Kombiniere dann mit den oben genannten Bewegungen im Fuß-, Knie- und Hüftgelenk . Währenddessen beobachtest du, ob das

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Becken nachkommt. Geh danach zum rechten Bein über. Wenn du das Knie beugst, siehst du, dass sich der Po anhebt. (Svens Hüftgelenk wird flektiert.) Die Information der linken Seite reicht nicht aus, um über das Corpus callosum den gewünschten Effekt auf der rechten Seite zu bekommen. Bild 17.12 Beuge darum das Knie zur Antagonistengrenze. Lege eine Hand auf den Oberschenkel nahe der Kniekehle. Mache eine relativ zugeordnete Bewegung, indem du den Unterschenkel fixierst und den Oberschenkel rotierst. Diese sehr kleine Rotation nimmt die Flexions- und Extensionsmuskeln des Hüftgelenkes mit. Nach Akzeptanz hast du deren Arbeit übernommen. Bild 17.13 Du beugst Svens Knie weiter, kannst es aber immer noch nicht zum rechten Winkel beugen, ohne dass sich die Hüfte anhebt. Lege dann deine rechte Faust auf die Hinterseite des Oberschenkels (die ischiocrurale Muskulatur) . Drücke, bis du Widerstand spürst . Dabei wird der Abstand zwischen Ursprung und Ansatz in der ischiocruralen Muskulatur verkürzt. Die Akzeptanz bestätigt, dass du Arbeit übernommen hast. Wenn BVH vermindert wird , lassen die Antagonisten (M. rectus femoris) los. Folge mit diesem Druck der Verschiebung der Antagonistengrenze entsprechend der Entspannung der ischiocruralen Muskulatur. Setze fort, bis du keine Spannung mehr spürst. Danach solltest du das Knie zum rechten Winkel beugen können und die am linken Bein ausgeführten Manipulonen rechts wiederholen . Schließe mit einer Skelettstütze vom Fuß aus in Richtung des Hüftgelenkes ab. Verfahre so: Bild 17.14 Geh zum linken Bein hinüber. Stell dich an das Fußende. Mit deiner linken Hand umfasst du den Unterschenkel, hebst ihn leicht an und rotierst das Bein nach außen, bis die Ferse zur Decke zeigt. Durch das unterstützende Anheben vermeidest du, dass die Kniescheibe auf die Bank gedrückt wird. Lege die dorsale Seite deiner rechten Faust gegen die Grundgelenke der Zehen. (Die Zehen werden zur Unterlage flektiert.) Bild 17.15 Flektiere danach das Fußgelenk dorsal bis an die Antagonistengrenze, indem du ein wenig fester mit deiner rechten Hand drückst. Mit deiner linken Faust gibst du gleichzeitig Druck gegen die Lateralseite des Fußes im Übergang zwischen den Os calcaneus, Os cuboideum und Metatarsale V. Richte den Druck in das Hüftgelenk hinein. Nach Akzeptanz hast du Arbeit in den Extensoren des Fußgelenkes, den Flexoren der Zehen und in den Muskeln sowohl auf der Vorder- als auch der Rückseite des Beckens und des Oberkörpers bis zum Nacken übernommen.

Erinnere jetzt den Kortex an das Bewegungsmuster, mit dem Sven aus der Bauchlage aufsteht. Die Extension der Zehen aktiviert das ganze Extensionsmuster. Verfahre so: Flektiere die Zehen dorsal und stelle sie gegen die Unterlage. Fasse mit beiden Händen um die Ferse und ziehe sie ein wenig zu dir hin, um das Knie von der Unterlage abzuheben. Das Bein lässt sich dadurch strecken. Falls sich das Knie nicht abhebt, bleibst du mit einer Hand um die Ferse, während du mit der anderen mit einem Gabelgriff auf das Ligamentum patellae fasst und das Bein ein wenig anhebst. Dadurch aktiviert das Gehirn das Extensionsmuster. Wiederhole mit Svens rechtem Bein. Bitte ihn danach, sich hinzusetzen und nachspüren, wie sich das Bein anfühlt. Wahrscheinlich fühlt sich sein Bein bedeutend leichter an. Er hat die Kontrolle über seine Beinmuskulatur wiedererlangt. Der Schmerz in der Leiste ist weg. Wenn er sich hinstellt, kann er das Bein belasten, ohne dass es schmerzt , und spürt seine Füße stabil auf dem Boden stehen . Er probiert sogar, sich in die Hocke zu setzen und kann beide Beine gleichmäßig beugen. Du siehst , dass er immer noch zu viel Kraft braucht und machst ihn sofort darauf aufmerksam, dass er diese Anstrengung meiden sollte. (Don 't overdo!) . Bitte ihn stattdessen, sich wieder auf die Bank zu setzen und seine Finger jeweils auf die Sehne des M. biceps femoris in den Kniekehlen zu legen. Zeige ihm, was es heißt, die Füße zu supinieren und bitte ihn , dabei die Lateralseite auf dem Boden zu lassen. Er soll von außen spüren , wie sich die Sehnen anspannen. Bei dieser Gelegenheit kann er das Spüren von außen und innen (propriozeptiv) vergleichen. Er spürt , dass die Sehne des rechten Beines viel kräft iger spannt. Der Schutzreflex hält also immer noch die Kniebeuger gespannt. Der M. biceps wird aktiviert, wenn er den Fuß supiniert. Du gibst ihm dann die Aufgabe , die Supination zu Hause so auszuführen , dass er in beiden Beinen dasselbe spürt. Das soll er mithilfe der Propriozeption entscheiden können. Die Bewegung verlangt Konzentration und muss sehr klein und vorsichtig (langsam) sein, damit sie den Schutzrefle x nicht auslöst. Mehrere Wiederholungen geben Ruhe und Sicherheit im Nervensystem, sodass der Schutzreflex gewohnheitsmäßig ausbleibt. Der Kortex hat dann das Kommando über die Kniebeuger wiedererlangt. Darin besteht die Hilfe zur Selbsthilfe, eines der wichtigsten Ziele der Feldenkrais-Methode und deutet an, wie BOB funktioniert.

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Da sein Schutzreflex längere Zeit eingeschaltet gewesen war, kann es passieren, dass Sven zu dir zurückkommen muss. Er muss selbst Kontakt aufnehmen , wenn er die Lektionen fortsetzen möchte . Gib ihm einen letzten Rat auf den Weg: übertreib es nicht! Don 't overdo!

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Ein letzter Rat auf dem Weg:übertreib es nicht! Don't overdo!

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