Kunst in Arbeit: Künstlerisches Arbeiten zwischen Praxis und Phänomen 9783839433966

Art is beautiful, but requires a lot of work. This ethnographic study shows exactly how artistic work is created in prac

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German Pages 288 [282] Year 2017

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Kunst in Arbeit: Künstlerisches Arbeiten zwischen Praxis und Phänomen
 9783839433966

Table of contents :
Inhalt
Dank
Einleitung. Kunst in Arbeit
Studium. Das Arbeiten am Arbeiten
Profession. Das Arbeiten an Arbeiten
Schlussbetrachtung. Künstlerisches Arbeiten zwischen Praxis und Phänomen
Literatur und Darstellungskonventionen

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Christiane Schürkmann Kunst in Arbeit

Sozialtheorie

Christiane Schürkmann (Dr. phil.) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen Wissenssoziologie, Kunstsoziologie, qualitative Methoden, Praxistheorie und Phänomenologie.

Christiane Schürkmann

Kunst in Arbeit Künstlerisches Arbeiten zwischen Praxis und Phänomen

Die vorliegende Arbeit wurde vom Fachbereich 02 – Sozialwissenschaften, Medien und Sport – der Johannes Gutenberg-Universität Mainz im Jahr 2015 als Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Philosophie (Dr. phil.) angenommen. Die Dissertation ist ausgezeichnet mit dem Preis der Johannes Gutenberg-Universität Mainz für das Jahr 2016. Veröffentlicht mit Unterstützung der Forschungsförderung der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2017 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Marten Schech, Titel: Drei Keile, ein Diamant, die Konche und der Staub (Putzstudien), Dresden, 2012, © Marten Schech Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-3396-2 PDF-ISBN 978-3-8394-3396-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Dank | 7 Einleitung. Kunst in Arbeit | 9

Zur materiellen Bedingtheit des Wahrnehmens | 18 Ethnografie zwischen Praxistheorie und Phänomenologie | 21 Eine Heuristik des Arbeitens | 41 Für eine qualitative Kunstforschung | 46 Studium. Das Arbeiten am Arbeiten | 57

Die Bildung der bildenden Kunst. Kunstakademien und Kunsthochschulen | 59 Erste Einblicke in die Räume künstlerisch-praktischen Arbeitens. Ateliers und Werkstätten | 66 Das Arbeiten am Eigenen. Von der Eignung bis zur Abschlussausstellung | 70 Arbeiten besprechen. Vom eigenen Wahrnehmen bis zum Entwickeln von Kriterien | 95 Zwischenresümee. Künstlerisches Arbeiten als Prozess | 130 Profession. Das Arbeiten an Arbeiten | 133 Das Material macht mit! Material als Teilnehmer künstlerischer Praxis | 135 Der Einbezug der Dinge. Suchen, Konzipieren, Installieren, Platzieren | 163 Räumliche Einbettungen. Zum Arbeiten im Atelier und mit dem Raum der Ausstellung | 191 Arbeiten entwickeln. Zwischen Planung und Offenheit | 201 Ausstellen. Zur Präsenz des Präsentierens künstlerischer Arbeiten | 217 Und was passiert eigentlich danach? Vom Werk zum Material und wieder zurück – Ein fotografischer Essay | 232 Business as usual … Zur Herstellung von Öffentlichkeit und Präsenz | 243 Schlussbetrachtung. Künstlerisches Arbeiten zwischen Praxis und Phänomen | 247

Sehen in Arbeit und die Eigenmacht des sich Zeigenden | 250 Zu einer Praxis zwischen Wissen und Wahrnehmen | 255 Literatur und Darstellungskonventionen | 263

Dank

Mein herzlichster Dank geht an alle Künstlerinnen und Künstler, die mir einen Einblick in ihre Arbeitsprozesse gewährt und die mir ihre Zeit geschenkt haben. Ohne sie wäre die Studie in ihrer Detailliertheit nicht möglich gewesen und auch verschiedene methodische sowie konzeptionelle Impulse resultieren nicht zuletzt aus der Zusammenarbeit mit ihnen. Namentlich bedanken möchte ich mich sehr herzlich bei Marten Schech, dessen Fotografien dem Buch zu einem anderen Verhältnis von Text und Bild, von Lesen und Betrachten, von Inhalt und Form verholfen haben. Sehr viel zu verdanken habe ich meinem Betreuer Herbert Kalthoff. Durch ihn habe ich in Mainz einen theoretisch-empirischen Blick erlernen können, der sich nicht in Dogmen und Anwendungen einrichtet, sondern neugierig und fragend bleibt. Auch den Teilnehmern des Kolloquiums »Theoretische Empirie« sei an dieser Stelle für ihr beständiges und kompetentes Feedback gedankt. Sehr herzlich danke ich meinem Zweitbetreuer Gregor Wedekind für hilfreiche Anmerkungen und Kommentare bezüglich kunstgeschichtlicher und kunstwissenschaftlicher Anschlussfähigkeiten der Studie. Durch das Studium der Sozialwissenschaften und der Kunst in Siegen konnte ich die Aufgeschlossenheit und Vielfältigkeit soziologischer, philosophischer sowie künstlerischer Perspektiven kennenlernen. Besonders bedanken möchte ich mich in diesem Zusammenhang bei meinem ehemaligen Professor für Malerei Thomas Bechinger, in dessen Kolloquien verschiedene Zugänge zu Malerei und Bild vermittelt wurden. Menschen, mit denen ich im Rahmen des Projektes in konstruktivem Austausch stehen konnte und denen ich hierfür danke, sind Christian Berger, Frank Biewer, Miriam Chebbah, Torsten Cress, Kornelia Engert, Andrea Haarer, Caroline Heise, Tobias Röhl, Ina Scheffler sowie Kristina Trompetter. Ein riesiger Dank sei an dieser Stelle auch an meine Familie Marlies und Wilhelm Schürkmann, an Susanne Schürkmann sowie an Kai Jennert gerichtet, auf deren Unterstützung ich immer zählen konnte.

Einleitung. Kunst in Arbeit »I never do a painting like a work of art. It is always a search. I’m always seeking and there is a logical connection throughout that search.« PABLO PICASSO 19561

Das Malen und die Malerei beschreibt Picasso als fortwährende Suche. Diese Suche begründet sich nicht darin, Malerei als Kunstwerk zu finden oder das Kunstwerk als zu Suchendes und Hervorzubringendes der Malerei vorwegzunehmen. Das Malen selbst wird Suche, die Suche selbst wird Malerei – und dennoch entsteht Kunst. Wie ist dies möglich, wenn das Streben nach dem Kunstwerk, nach Malerei als Kunst nicht Ausgang und Antrieb des Malens, des Machens beziehungsweise des Arbeitens ist? Wie entsteht Kunst, ohne dass ihr ein bestimmter Begriff vorausgeht? Eine simple Antwort auf diese Fragen lautet zunächst: Sie wird erarbeitet. Picassos Zitat als Beispiel zufolge wird sie im Prozess einer Suche erarbeitet, die sich in der Praxis des Arbeitens – hier beispielsweise in Malerei – vollzieht. Wie zeigt sich künstlerisches Arbeiten? Diese Frage wird Ausgang der folgenden qualitativen Studie im Feld der bildenden Kunst, die die Praxis künstlerischen Arbeitens aus einer soziologisch-ethnografischen Perspektive untersucht, das heißt: Als Ethnografin habe ich mich in Situationen und Kontexte begeben, in denen Künstler2 ihrer Arbeit nachgehen; ich habe Orte aufgesucht, an denen künstlerische Arbeiten beziehungsweise Werke entwickelt, hervorgebracht und erarbeitet werden, wie etwa Ateliers, Studios, Kunstakademien, Kunsthochschu-

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Zitiert aus Liberman 1956.

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Aus Gründen einer sprachlichen Vereinfachung wird im Folgenden die männliche Form verwendet, wobei stets Personen jeglichen Geschlechts gemeint sind, es sei denn, dass auf einzelne Teilnehmer beziehungsweise Teilnehmerinnen der Studie verwiesen wird.

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len sowie Ausstellungen. Ziel der Studie ist es, künstlerisches Arbeiten im Bereich der bildenden Kunst in seinen Besonderheiten und Eigenheiten, aber auch in seinen Gewohnheiten und Routinen aus ethnografischer Sicht weitergehend zum Sprechen zu bringen. Vor diesem Hintergrund rückt die Studie weniger das Wissen um einzelne Künstler, ihr Schaffen, ihre künstlerische Verortung oder ihre Werke in den Fokus. Auch der Kunstbetrieb mit seinen vielfältigen Akteuren, wie Galeristen, Auktionatoren, Mäzenen, Kuratoren und Kritikern, mit seinen sozioökonomischen Strukturen und verschiedenen institutionellen Kontexten tritt in dieser Studie zurück, um künstlerisches Arbeiten im Hinblick auf seine Eigenlogik(en) aus einer teilnehmend beobachtenden Perspektive in den Vordergrund treten zu lassen, obgleich ein solches Arbeiten immer auch in solche Kontexte und Strukturen eingebettet ist. Aus der hier eingenommenen ethnografischen Perspektive zeigt sich künstlerisches Arbeiten an der Schnittstelle zwischen Beobachtbarkeit und Nichtbeobachtbarkeit. Es offenbart sich als profane Praxis und zugleich als eigenes Phänomen, indem Wahrnehmen und Wissen, Sehen und Denken, Zeigen und Sprechen Verbindungen eingehen, die eine wissenschaftlich forschende Praxis herausfordern. In ihrem ethnografischen Zugang verortet sich die Studie primär in der Soziologie, wobei sie auch für die bildende Kunst und die Kunstwissenschaften methodische und theoretische Anschlüsse bereithalten kann. So hat die Studie auch von der Kenntnisnahme kunsthistorischer und kunstwissenschaftlicher Forschungen profitieren können, sodass sie trotz ihrer soziologischen Verortung im Weiteren interdisziplinär angelegt ist: Soziologie, Kunstwissenschaft und bildende Kunst kooperieren miteinander und kommen ins Gespräch. Künstlerisches Arbeiten. Eine Praxis mit vielen Teilnehmern Künstler arbeiten! Diese Feststellung ist nicht neu und findet ihren Ausdruck schon innerhalb der Malerei und ihrer Selbstthematisierung im siebzehnten Jahrhundert. Als prominentes Beispiel für die Sichtbarmachung des Malens in seinem tätigen Vollzug gilt das Gemälde Las Meninas von Diego Velázquez aus dem Jahr 1656, in dem Velázquez sich als Maler in der Situation des Malens malte. Berühmt wurde das Bild aufgrund seiner komplexen und bis heute rätselhaften Anordnung der Figuren und Perspektiven, die Bildraum und Betrachterstandort in ein scheinbares Paradoxon überführen, das sein Gegenüber unaufhörlich mit Fragen konfrontiert (Greub 2001). Auch die niederländische Malerei des siebzehnten Jahrhunderts profiliert und stilisiert den Maler und Künstler sowie das Malen und Arbeiten im Atelier (Kleinert 2006). Künstler wie Pablo Picasso, Jackson Pollock und jüngeren Datums Gerhard Richter ließen sich während des

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Arbeitens filmen und haben ihren Werken ihr Schaffen sowie den Schaffenden als solchen an die Seite gestellt.3 Auch zeitgenössische Kunstausstellungen zeigen ein Interesse an künstlerischen Arbeitsweisen und Arbeitsorten verschiedener Künstler.4 Wissenschaftler unterschiedlicher kunstnaher Disziplinen untersuchen wiederum Darstellungen von Künstlern und künstlerischem Arbeiten im Hinblick auf Topoi und Inszenierungen (beispielsweise Diers/Wagner 2010; Fastert/Joachimides/Krieger 2011; Laferl/Tippner 2014). Es ist eine Binsenweisheit, dass jeder Künstler anders arbeitet und mit der Zeit eigene Perspektiven, Konzepte, Verfahren, Techniken und Umgangsweisen mit Formen, Materialien, Techniken, Ästhetik und Medien entwickelt. Hier lässt sich gar ein erster Zugzwang des Feldes ausmachen: Jeder Künstler muss seine Arbeiten und Werke in Differenz zu den Arbeiten und Werken anderer Künstler hervorbringen, möchte er in der eigenen Community sowie bei Sammlern, Galeristen und Ausstellungsmachern anerkannt werden. Wie jedoch lässt sich vor dem Hintergrund dieser individualisierten Arbeitsweisen im Feld der bildenden Kunst die Praxis künstlerischen Arbeitens als solche beforschen? Eine erste Antwort liegt in der Verschiebung des Fokus: Nicht der Künstler und sein individueller Werkprozess innerhalb des künstlerischen Feldes, sondern die Praxis künstlerischen Arbeitens und ihre Teilnehmer und Teilnahmen geraten in den Blick einer ethnografischen Perspektive. Was bedeutet das? Diese Verschiebung geht mit einem Perspektivwechsel einher: Die Praxis künstlerischen Arbeitens gerät im Folgenden als ein Ensemble verschiedener Teilnehmer und Teilnahmen in den Blick, die im Zusammenwirken den künstlerischen Arbeitsprozess konstituieren und hervorbringen. Teilnehmer beziehungsweise Teilnahmen am künstlerischen Arbeitsprozess begründen sich in der Frage, wer oder was die Situation vor Ort ermöglicht und mitunter gar dominiert und wer oder was für den Arbeitsprozess durch andere Teilnehmer und Teilnehmerschaften im Zusammenspiel wie relevant gemacht wird (Knorr Cetina 2008: 42). Wie lässt sich dieses Praxisverständnis weitergehend qualifizieren?

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Siehe zu Pablo Picasso den Film Picasso von Henri-Georges Clouzot et al. 2009 [1956], zu Gerhard Richter den Film Painting von Belz 2012. Die Malerei Jackson Pollocks ist besonders durch die Fotografien und das Filmmaterial von Hans Namuth inszeniert worden.

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An dieser Stelle sei beispielhaft die Ausstellung At Work. Atelier und Produktion als Thema der Kunst heute erwähnt, die 2013/2014 im Museum für Gegenwartskunst Siegen im Format eines Ausstellungsessays künstlerisches Arbeiten und Orte künstlerischen Arbeitens thematisiert hat.

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Aus soziologisch-ethnografischer Perspektive folge ich hier einem empirisch orientierten Praxisbegriff: Die Praxis künstlerischen Arbeitens offenbart sich mir als Ethnografin in ihren machenden, handelnden, vollziehenden und – im Feld der bildenden Kunst besonders relevant – sehend-wahrnehmenden Vollzügen. Das heißt: Künstlerisches Arbeiten tritt aus dieser Sicht einmal in seinen Praktiken in Form beobachtbarer körperlicher, materiell gebundener und zeitlich organisierter Abläufe hervor, was besonders dessen profane, unspektakuläre und geordnete Dimension sichtbar werden lässt. Zudem beziehe ich eine phänomenale Dimension von Praxis in die Studie ein, indem Wahrnehmungserfahrungen, Sichtweisen und die eigene leibliche Verortung im Hinblick auf die entstehenden künstlerischen Arbeiten ihre Berücksichtigung in den ethnografischen Protokollen und Transkripten finden. Diese Dimension von Praxis erweitert die Fragen, die sich mir als Ethnografin in meinem Feld stellen. Durch den Einbezug von Wahrnehmungserfahrungen vor Ort richtet sich mein Blick beziehungsweise mein Sehen auch auf die entstehenden künstlerischen Arbeiten selbst, was Fragen nach sich zieht wie etwa: Wie zeigt sich eine Arbeit im Werden in ihren Herausforderungen, Möglichkeiten, Risiken und Fragen? Wie wirkt sie? Wie zeigt sich mir eigentlich was? Die Studie geht hiernach von einem doppelten Praxisverständnis aus: Zum einen wird die Praxis künstlerischen Arbeitens als körperliche und materiell gebundene Vollzugswirklichkeit in den Blick genommen; zum anderen deutet sich bereits an dieser Stelle ein Zugang zur Beforschung von Praxis an, der sich auch im Wahrnehmen von etwas »am eigenen Leib« (Wacquant 2003: 12) begründet. Was bedeutet die Beforschung künstlerischer Praxis vor dem Hintergrund eines solchen ethnografisch-soziologisch verorteten Praxisverständnisses nicht? Ein derartiges Vorgehen nimmt sich nicht zum Ziel, eine Auflistung oder Aneinanderreihung möglichst vieler verschiedener, möglichst prominenter oder möglichst ›unkonventioneller‹ zeitgenössischer Strategien im Feld der bildenden Kunst darzustellen. Es geht aus soziologischer Sicht weniger darum, das Spektakuläre zu inszenieren, sondern vielmehr darum, das Alltägliche ernst zu nehmen, wie dies bereits Loïc Wacquant (2003: 11 f., Herv. i. O.) in seiner Ethnografie des Boxens verdeutlicht: »Von Anbeginn des Projektes war klar, dass eine Soziologie des Boxens, die dem vorkonstruierten Objekt kollektiver Mythologie entgehen will, die vorgefertigte Exotik des Gegenstands und seine der Öffentlichkeit zugewandten und für sie bestimmten Aspekte meiden muss. Hiermit sind all die bedeutenden und unbedeutenden Kämpfe, die Wunder des Heldentums und der damit verbundene soziale Aufstieg […] ebenso gemeint, wie die Lebenswege und außergewöhnlichen Karrieren der Champions. Der Zugang zum Boxen

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muss vielmehr von der weniger bekannten, unspektakulären Seite her erfolgen […] Um eine ungestüme, durch Evozieren der Kämpfe geförderte Spontansoziologie zu vermeiden, sollte man seine Gedanken nicht auf die außergewöhnliche Gestalt des Champions im Ring richten, sondern gemeinsam mit anonymen Boxern im gewohnten Rahmen ihres gym den Sandsack schlagen.«

Wacquants Statement wird für eine ethnografische Studie im Feld der bildenden Kunst im Hinblick auf zwei Aspekte relevant: 1) Auch im Feld der bildenden Kunst finden wir eine eigene Öffentlichkeit, die gewisse Narrative, Mythen, Legenden und Anekdoten hervorbringt, von denen eine soziologischethnografische Studie zurücktreten muss. Ähnlich wie bei Wacquants Champions gilt es auch hier, nicht den Karrieren außergewöhnlicher Künstler-Stars in ihren Großraumstudios, ihren Inszenierungen und spektakulären Erfolgen am Markt und im Rahmen gefeierter Ausstellungen zu folgen. Vielmehr heißt es für den Soziologen, auch die alltäglichen und gewohnten Settings künstlerischer Arbeit aufzusuchen, wie etwa das Arbeiten im Atelier, das Vorbereiten und Abbauen von Ausstellungen sowie das Studieren von Kunst, das eine reguläre künstlerische Vita auch heutzutage ausstattet. 2) Im Feld der bildenden Kunst haben wir es – anders als beim Boxen – mit einer Praxis zu tun, die ihr Wissen und ihre Souveränität nicht primär beziehungsweise allein aus routiniertem Üben und Trainieren bezieht. So geht künstlerisches Arbeiten auch aus individualisierten Sichtweisen und jeweiligen Ambitionen und Anliegen hervor. Anders als Wacquant, der nach langem und ausdauerndem Training gemeinsam mit Boxern den Sandsack schlägt, kann ich als Ethnografin nicht ohne Weiteres gemeinsam mit Künstlern im Atelier künstlerisch arbeiten, denn hierfür bräuchte ich ein eigenes künstlerisches Anliegen. Und dennoch ist eine gewisse Teilnahme möglich, indem ich als Ethnografin meine Erfahrungen aus meinem Kunststudium im Feld als Ressource nutze, um den Teilnehmern und ihren Tätigkeiten weitergehend zu folgen. In der Berücksichtigung dieser Eigenheiten nimmt die Studie die Konventionalität und Individualität künstlerischen Arbeitens mit einem soziologischethnografischen Zugang zur Kenntnis, der künstlerische Fragen, Entscheidungen und Praktiken immer auch als soziale begreift. Sie beteiligt sich in dieser Ausrichtung nicht an den Diskursen oder Kritiken dessen, was im künstlerischen Feld selbst als Kunst derzeit besonders gefeiert, abgewertet, problematisiert oder verhandelt wird. Sie strebt keineswegs die Profilierung oder Festschreibung irgendeines Kunstbegriffs oder Kunstverständnisses an. In Bezug auf diese Fragen folgt sie schlichtweg den Praktikern: Kunst ist das, was im Feld und von seinen Teilnehmern als solche relevant gemacht wird.

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Nicht zuletzt hat die Studie in ihren Ausrichtungen und Schwerpunktsetzungen auch eigene methodische und theoretische Fragen im Gepäck, die sie ein Stück weit in das beforschte Feld hineinträgt. In dieser Weise bleibt die Studie immer auch ihrer eigenen Community beziehungsweise der qualitativen Sozialforschung und der Soziologie als empirischer und theoriegenerierender Disziplin verpflichtet. Vor diesem Hintergrund stelle ich die Praxis künstlerischen Arbeitens ins Zentrum folgender Fragen: Wie konstituiert sich künstlerisches Arbeiten in seinem Vollzug? Was und wer muss vorhanden und zugegen sein, damit künstlerisch gearbeitet werden kann? Wer und was ist wie involviert? Wer und was ermöglicht künstlerisches Arbeiten? Man kann aus dieser Perspektive gar sagen: Die Praxis künstlerischen Arbeitens versammelt verschiedene Teilnehmer und Teilnahmen, die etwas zum Arbeitsprozess beitragen, wie etwa Künstler, Techniker, Finanziers und Kuratoren. Aber auch Materialien, Dinge, Werkzeuge, Räume, Orte, Techniken und Konzepte sind an einem derartigen Arbeitsprozess beteiligt und können als Teil der Versammlung begriffen werden.5 Ausgehend von diesem Standpunkt verlässt die Studie die gängige Annahme einer privilegierten Teilnahme von Künstler und Werk am künstlerischen Schaffensprozess und bemüht sich um eine Dezentrierung beider Instanzen. Anliegen und Aufbau der Studie Die Studie ist auf drei Ebenen angelegt: Erstens geht es darum, die Praxis künstlerischen Arbeiten aus ethnografischer Sicht weitergehend zum Sprechen zu bringen und diese mit den Methoden der qualitativen Sozialforschung zu analysieren. Fragen, die sich hierbei stellen, beziehen sich darauf, wie sich künstlerische Arbeitsprozesse in situ vollziehen: Wie etabliert sich ein Arbeiten, das sich geradezu selbst initiieren und eine eigene Position sichtbar werden lassen muss? Wie materialisieren sich künstlerische Arbeiten, die schließlich in ihrer Betrachtung und Behandlung im Feld der bildenden Kunst zu Anerkennung gelangen? Wie werden die entstandenen Arbeiten gezeigt und wie gehen mit und von künstlerischen Arbeiten wiederum Gespräche, Kommunikationen und Erfahrun-

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Der Begriff des Versammelns findet in der Soziologie bereits Anwendung. So fragt beispielsweise Bruno Latour (2010: 10 f.) in der Einleitung zu seiner AkteurNetzwerk-Theorie danach, »was unter dem Dach der Gesellschaft ›versammelt‹ wird«. Der Begriff der Versammlung oder des Ensembles birgt eine gewisse Dynamik und Gerichtetheit. Versammlungen implizieren meist ein gerahmtes Zusammenkommen verschiedener Teilnehmer, um etwas gemeinsam zu tun, zu initiieren, zu entscheiden und voranzutreiben.

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gen aus? Wie reflektieren Künstler im Sehen, Machen und Sprechen über und mit ihren Hervorbringungen? Zweitens bedarf es einer methodischen Reflexion des Sehens und Wahrnehmens innerhalb soziologisch-ethnografischer und künstlerischer Praxis. Im Kontext der Studie begegnen sich soziologisch-ethnografisches Beobachten und künstlerisch-involviertes Sehen, was Analogien und Differenzen zwischen zwei Umgangsweisen mit Sichtbarem und Nichtsichtbarem freisetzt. Während innerhalb der Praxis künstlerischen Arbeitens das Wahrnehmen und besonders das Sehen als eigenständige oder gar eigene Zugänge Berücksichtigung finden, fokussiert ein soziologisch-ethnografisches Beobachten als methodisch induziertes und auf Sichtbarkeiten ausgerichtetes Sehen besonders das Wissen der Teilnehmer eines Feldes.6 Soziologische Ethnografie sowie künstlerisches Arbeiten gehen demnach in unterschiedlicher Weise beide vom Sehen und weiter gefasst vom Wahrnehmen eines Anwesenden aus, sodass sich beide in ihren Fragen und Perspektiven aufeinander zubewegen.7 In Bezug auf diese Relationen ist die Studie rekursiv darin gefordert, ihren beobachtend-sehenden und teilnehmendwahrnehmenden Zugang dahingehend zu befragen, wie sich eigentlich was in einem Feld zeigen kann, das selbst an seinen Sichtbarmachungen beziehungsweise an und mit sich Zeigendem arbeitet. Was kann ein ethnografischer Beobachter sehen, will er künstlerische Prozesse in den Blick nehmen, die wiederum aus einem Sehen – aus einem anderen Sehen – hervorgehen? Was bleibt ihm verborgen? ›Das Künstlerische‹ spielt sich einer gängigen These zufolge immer auch im Nichtbeobachtbaren ab. Wie lässt sich die Grenze des Beobachtens dahingehend verschieben, dass künstlerische Prozesse in ihrer Sicht- und Nichtsichtbarkeit ethnografisch zugänglich (gemacht) werden können? Drittens leistet die Studie einen theoretisch-empirischen Beitrag bezüglich des Verhältnisses von Praxistheorie und Phänomenologie im Zuge zeitgenössischer soziologischer Theoriebildung. Mit dem Verständnis der »theoretischen Empirie« (Kalthoff/Hirschauer/Lindemann 2008) folgt sie der Überwindung einer dualistischen Auffassung von Theorie und Empirie zugunsten einer »Dialektik von qualitativer Forschung und soziologischer Theoriebildung« (Kalthoff 2008: 8). Qualitative Sozialforschung ist keinesfalls voraussetzungslos, sondern stets konzeptionell »eingebettet« (Kalthoff 2008: 12) und mit bestimmten Dispo-

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Bisher zeigen sich an Praktiken interessierte soziologische Studien vornehmlich an

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Auch außerhalb soziologischer Forschungen sind Kooperationen und Potenziale zwi-

Wissen beziehungsweise »Wissenskulturen« (Knorr Cetina 2002b) interessiert. schen Ethnografie und Kunst bereits Gegenstand kulturwissenschaftlicher, kunsthistorischer und ethnologischer Forschungen (Binder/Neuland-Kitzerow/Noack 2008).

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sitionen und Annahmen über die soziale Welt ausgestattet. Die im Zuge ethnografischer Forschungspraxis ›ins Feld‹ geführten Perspektiven und Konzepte werden wiederum durch empirische Einsichten irritiert, nuanciert und differenziert. Theorie und Empirie begegnen sich in einer Verwobenheit. So spricht sich die Studie für eine phänomenologische Erweiterung praxistheoretischer Ansätze aus, um der mittlerweile etablierten Fokussierung auf praktisches sowie implizites Wissen das Wahrnehmen als einen grundlegenden qualitativen Zugang zu Welt und Wirklichkeit weitergehend an die Seite zu stellen. Dies bedeutet, dass auch ein Wahrnehmen an den Rändern zum Wissen berücksichtigt wird – ein Wahrnehmen, das routinierte, schematisierte und somit auch praktisch wissende Bezüge irritieren, modulieren und aufhalten kann. In dieser Weise geraten nicht nur fließende, wissende und routinierte Praktiken beziehungsweise Handlungen sowie zeitlich organisierte Abläufe in den Blick, sondern auch zögernde, fragende, zweifelnde und innehaltende Momente, die das Künstlerische und das Soziale mitgestalten und als solches hervorbringen. Im Austarieren der Möglichkeiten zwischen Teilnahme und Beobachtung unter Einbezug der Leibphänomenologie Maurice Merleau-Pontys befragt die Studie das Verhältnis von Wissen und Wahrnehmen sowie von Praxis und Phänomen. Zwischen Sehen und Sichtbarem eröffnet sich ein Spannungsmoment, in dem das Sehen das Sichtbare übersteigt und Vorstellungen, Überlegungen und Fiktionen Einzug in die Situation erhalten. In Auseinandersetzung mit künstlerischen Zugängen zu dem, wie sich was zeigen kann, wird die Positionierung und Berücksichtigung eines leiblich verorteten eigenen Sehens zu einer Bedingung für die Hervorbringung von Sichtbarkeiten, wobei dieses Sehen immer auch auf etwas treffen muss, das sich ihm zu zeigen vermag. Zusammengefasst, werden zwei Formen der Sichtbarmachung thematisch: Soziologische Ethnografie als eine vornehmlich beobachtende und schreibende Praxis trifft auf die bildende Kunst als eine etwas sichtbar machende und zeigende Praxis. In diesem Zusammentreffen geht ein in soziologischethnografische und künstlerische Prozesse unterschiedlich eingebundenes Sehen und Wahrnehmen ein Stück weit durch die jeweils andere Praxis und deren Sicht- und Wahrnehmungsweisen. Zum weiteren Aufbau: Im Anschluss an die hier bereits angesprochene Relevanz des Sehens für eine ethnografische Studie im Feld der bildenden Kunst werde ich im einleitenden Teil zunächst auf die materielle Bedingtheit des Wahrnehmens eingehen, die als Voraussetzung für das Zusammentreffen von Sehen und Sichtbarem weitergehend erörtert wird. Daran anknüpfend positioniere ich die der Studie zugrunde liegenden Perspektiven zwischen den beiden Strömungen der Praxistheorie und der Phänomenologie, um den methodischen und theoretischen Standpunkt der Studie weitergehend zu bestimmen. Des Wei-

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teren folgt eine Heuristik bezüglich des hier verwendeten Arbeitsbegriffs. So steht dieser Begriff im Zentrum und soll daher vorab kontextualisiert, qualifiziert und ausdifferenziert werden. Auf der Grundlage der bisherigen Überlegungen schlage ich das Vorgehen der Studie sodann als Ansatz für eine qualitative Kunstforschung vor, mit der die Praxis künstlerischen Arbeitens aus soziologischer Sicht in den Blick genommen werden kann. Der erste empirische Teil (Kapitel Studium) widmet sich dem Studieren von Kunst an Kunstakademien und Kunsthochschulen. In diesem Teil geht es besonders darum, wie ein eigenes Arbeiten und damit verbunden ein künstlerisch involviertes Wahrnehmen und Sehen geradezu systematisch im Austausch zwischen Lehrenden und Studierenden sowie der Studierenden untereinander praktiziert und (ein-)geübt werden. Auch die Verinnerlichung bestimmter Einstellungen gegenüber künstlerischem Arbeiten finden an dieser Stelle Berücksichtigung, so wird der Blick auch auf bestimmte Ideale, Selbstbeschreibungen, Zugzwänge und Annahmen des Feldes gerichtet. Hierbei werden Fragen relevant wie etwa: Wie wird künstlerisches Arbeiten als eines sozialisiert, das immer wieder aus Eigeninitiative des Einzelnen hervorgehen muss? Wie werden Qualitäten der studentischen Arbeiten und Werke in diesem institutionalisierten Setting verhandelt? In diesem Kontext spreche ich auch von einem Arbeiten am Arbeiten, das sich erst mit der Zeit entwickelt und Anerkennung in der Community finden kann. Der zweite empirische Teil (Kapitel Profession) fokussiert professionelle Arbeits- und Ausstellungssettings und profiliert Materialien, Dinge, Räume und Wahrnehmung als Teilnehmer am künstlerischen Arbeitsprozess. Hier spielen besonders folgende Fragen eine Rolle: Wie finden Künstler zu Materialien, Dingen und Formen? Wie generieren sich Überlegungen im Zusammenspiel zwischen schon und noch nicht Sichtbarem für den künstlerischen Prozess? Wie materialisieren sich künstlerische Arbeiten und Werke, die Künstlern und Betrachtern gegenübertreten oder in die sie sich hineinbegeben? Welche Transformationen erfahren werdende und entstehende künstlerische Arbeiten im Übergang zu ihrem späteren Status als Exponate einer Ausstellung? In einer Schlussbetrachtung fasse ich die relevanten Ergebnisse und Einsichten zusammen, die künstlerisches Arbeiten aus der hier entworfenen ethnografischen Perspektive charakterisieren. Im Gang über das Feld der bildenden Kunst hinaus möchte ich die dort gewonnenen Einsichten und Erkenntnisse zudem auf der Ebene des Sozialen weitergehend theoretisch befragen: Sehen und Wahrnehmen spielen nicht nur für künstlerische Prozesse und deren Verstehen eine grundlegende Rolle, sondern sind – neben Zugängen zu praktischem oder impli-

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zitem Wissen – auch für soziale Prozesse in deren Stabilität und Fragilität konstitutiv. Bevor die Studie im Weiteren konzeptionell und methodisch eingebettet wird, sei an dieser Stelle vorab auf das Selbstverständnis ethnografischer Forschungspraxis hingewiesen. So geht es dieser Studie nicht um eine programmatische Beschreibung und eine begriffliche Schließung des Arbeitens im Bereich der bildenden Kunst oder dessen Verwissenschaftlichung. Vielmehr werden Perspektiven und Zugänge, Sichtweisen und Vorschläge erarbeitet, mit denen der ethnografisch ambitionierte Blick künstlerischem Arbeiten und seinen Sichtweisen begegnen kann. Folgendes Statement von Pablo Picasso wird in dieser Weise nicht nur als Ausgang für Malerei in ihren experimentellen Potenzialen relevant, sondern auch für eine ethnografische Studie, die sich nicht als ein abschließender scientific fact verstanden wissen möchte.8 »One never knows what will come out. A painting begins and becomes something completely different. It’s strange how little the artist’s wishes actually matter.« PABLO PICASSO 19559

Z UR MATERIELLEN B EDINGTHEIT

DES

W AHRNEHMENS

Wir sehen die Welt, nehmen sie wahr und wirken auf sie ein. Dies bedeutet zugleich, dass unser Blick auf etwas Sichtbares trifft und unseren Sinnen etwas Wahrnehmbares begegnet. Wahrnehmen und Wahrnehmbares, Sehen und Sichtbares bedingen einander. Das sich Zeigende in seinen materiellen Widerständen, Erscheinungen, sinnlichen, affizierenden und ästhetischen Potenzialen tritt hervor. In den vergangenen Jahren ist den Beziehungen zwischen Mensch und seiner materiellen Umgebung innerhalb verschiedener Disziplinen und Forschungsrichtungen verstärkt Aufmerksamkeit zuteilgeworden. Der sogenannte material turn hat Dinge und Artefakte, Techniken und materielle Umgebungen in ihren Verwendungen, Gebrauchsweisen und Erscheinungen in den Blick geraten lassen. Unter dem weiten Begriff der Materialität werden Zugänge zur materiellen

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Zitiert aus Kahnweiler 1955.

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An dieser Stelle sei auf den Ethnologen Clifford J. Geertz (1995) verwiesen, der sich im Zuge ethnografischer beziehungsweise anthropologischer Forschungspraxis für ein Wissenschaftsverständnis »After the Fact« ausspricht.

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Welt beziehungsweise zu materiellen Welten erschlossen, beispielsweise in der Philosophie (Mersch 2002), der Soziologie (Kalthoff/Cress/Röhl 2016), der materiellen Kultur (Hahn 2005), den Material Culture Studies (Miller 2005) oder den Kunstwissenschaften (Lange-Berndt 2015). Auch die Akteur-NetzwerkTheorien (ANT), die Praxistheorien sowie die anverwandten Science and Technology Studies (STS) beziehen verstärkt materielle Entitäten und Arrangements in ihre Analysen sozio-technischer Welten ein. Kurzum: Die materielle Welt in ihren Beziehungen zum Sozialen, zum Kulturellen und zur Kunst wird intensiv zur Kenntnis genommen und mehr und mehr in den Fokus sozial-, kultur- und kunstwissenschaftlicher Forschungen gerückt. In diesem Zuge ist auch die Wahrnehmung materieller Kultur profiliert worden (Göbel/Prinz 2015). Wahrnehmung wird hiernach oftmals als Sinneswahrnehmung thematisch: Der menschliche Körper ist ausgestattet mit Sinnen, die Welt ordnen und Körper orientieren, die Informationen selektieren und das Handeln in und auf eine Umgebung ausrichten und kanalisieren. Wahrnehmung ist immer eingebettet in das, was wahrnehmbar ist – in Bezug auf Sinnlichkeit und im Hinblick auf sozialisierte und kulturalisierte Zuschreibungen, Bedeutungen und alltägliche Umgangsweisen. Sie ist demnach relational und konstituiert das, was wir als Umwelt oder Welt erkennen. Wahrnehmung und Sinne sind in Philosophie, Anthropologie und Soziologie unterschiedlich thematisiert worden – ausgewählte Positionen zeugen hiervon. So bilden sich die Sinne des Menschen beispielsweise Marx (2005 [1844]: 83 ff.) zufolge erst in dessen Beziehung zur materiellen Welt aus. Simmel (1992 [1907]) gesteht den Sinnen, insbesondere dem Sehen in seiner Wechselseitigkeit des Sehens und Gesehen-Werdens, Sozialität zu. Plessner (1980 [1923]) spricht im Rahmen seiner anthropologischen Auseinandersetzungen mit den Sinnen bezugnehmend auf die Verbindung von Körper und Geist auch von der »Einheit der Sinne«. Luhmann (1997a) diagnostiziert der sinnlichen Wahrnehmung eine bis heute anhaltende wissens- und erkenntnistheoretisch tradierte Unterordnung unter die Ratio beziehungsweise den Verstand und die Vernunft. Bourdieu (1997; 2001a: 490 ff.) hingegen richtet den Blick – wohl unter Kenntnisnahme der Phänomenologie Merleau-Pontys – weniger auf die Sinne selbst als vielmehr auf habitualisierte und inkorporierte »Wahrnehmungsschemata«, die auf den sozialen Status sowie die soziale Herkunft des Wahrnehmenden verweisen. Der Gedanke des »Körperschemas« findet sich bereits in der Phänomenologie der Wahrnehmung von Merleau-Ponty (1974: 183 f.) und geht davon aus, dass wir unseren Zugang zu Welt, Dingen und Anderen qua leiblicher Sozialisation erwerben. Zugleich orientieren die Dinge unser Wahrnehmen. Die materielle Bedingtheit der Wahrnehmung geht

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gleichsam von einem dialektischen Verhältnis zwischen Mensch und Welt aus. In welcher Weise ist dies für eine Studie zum künstlerischen Arbeiten relevant? Das Wahrnehmen und besonders das darin eingebettete Sehen von Welt, Dingen und Anderen, von Formen, Farben, Strukturen, Bezügen, Relationen und Ereignissen spielen für künstlerisches Arbeiten eine bedeutende Rolle. So besteht eine Herausforderung für bildende Künstler eben darin, eigene Sichtweisen auf etwas zu entwickeln, um eigene Arbeiten und Werke hervorzubringen. Künstlerische Praxis in ihrer Einbettung in kunstbetriebliche und machtvolle Strukturen als ein für die Beteiligten in hohem Maße ›Ernstes Spiel‹ (Hutter 2015) wird im Hervorbringen eigener künstlerischer Sichtweisen und somit unterscheidbarer künstlerischer Arbeiten und Werke immer auch als individualisierte Praxis relevant. Vor diesem Hintergrund folgt die Studie einem Arbeiten, das Einblicke in seine Praxis gewährt – Einblicke, die im Feld der bildenden Kunst auf die Praxis eines eigenen Wahrnehmens und Sehens verweisen. Dieses eigene Wahrnehmen und – enger gefasst – Sehen als künstlerisch involviertes Wahrnehmen und Sehen erschließt sich weniger als ein allein pragmatisches Mittel oder Werkzeug, mit dem Künstler ihre Arbeiten erschaffen oder hervorbringen.10 Vielmehr wird es als Zugang für ein permanentes Befragen dessen relevant, wie sich was zeigen kann – ein Zugang, der konstitutiv wird für ein Arbeiten, das intensiv vom Wahrnehmen und Sehen in Auseinandersetzung mit Wahrnehmbarem sowie Sichtbarem mit Bezug auf das noch nicht Wahrnehmbare und Sichtbare ausgeht.11 Wahrnehmen und besonders Sehen werden zu einem fundamentalen Zugang, um zu so etwas wie einer Praxis künstlerischen Arbeitens vorzudringen. Das Wahrnehmbare und Sichtbare zeigt sich innerhalb dieser Praxis sodann auch nicht nur in seinen technischen Möglichkeiten, in seinen Gebrauchsweisen und seiner verwendungsökonomischen Logik. Es zeigt sich auch in seinen phänomenalen, konzeptionellen und ästhetischen Qualitäten, in seinen Eigenheiten und Formen, in seinen Erscheinungen und Merkwürdigkeiten. In diesem Sinn werden auch die Momente und Situationen relevant, wenn der

10 Das Schaffen unterscheidet sich nach Heidegger (1960 ([1935]: 60 ff.) vom Anfertigen in der Weise des Hervorbringens. Ein Werk wird hiernach geschaffen und schafft selbst wiederum Welt, während das Zeug im Dienste seines Gebrauchs steht. 11 Luhmann (1997b: 71) weist auf das in der Kunst entstehende Paradoxon »der Beobachtbarkeit des Unbeobachtbaren« hin. Kunst generiert hiernach eine Differenz von Beobachtbarkeit und Unbeobachtbarkeit, von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, indem sie sich auch dem zuwendet, was noch nicht sichtbar ist, beziehungsweise dem, was potenziell sichtbar ist. Anders herum verweist sie auf all das, was im Verborgenen und im Bereich des Möglichen verbleibt (Luhmann 1997b: 63 ff.).

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künstlerisch involvierte Blick beziehungsweise ein derartig praktisch involviertes Sehen auf die entstehenden Arbeiten und Werke, auf Räume, Material, Formen beziehungsweise – allgemeiner gesprochen – auf die Dinge trifft. Sehen und Sichtbares, Wahrnehmen und Wahrnehmbares finden in diesen Momenten und Situationen zusammen und initiieren Veränderungen. Dinge und Materialien, Sichtweisen und Gewohnheiten werden transformiert und zu etwas Anderem gemacht und herausgefordert. Aus dieser Perspektive trifft jedes Konzept, auch jedes künstlerische Konzept – und sei es noch so temporär und flüchtig oder ›konzeptuell‹ (Lippard/Chandler 1999) – auf die Notwendigkeit seiner Materialisierung und weitergehend seiner Medialisierung und Inszenierung im Sinne seiner Sichtbarmachung.12 Der Einbezug des Wahrnehmens sowie das, was dem Wahrnehmenden gegenübertritt – was diesen in der Welt situiert –, wird somit zu einer Grundbedingung für eine Praxis, die künstlerische Arbeiten und Werke hervorbringt, von denen Wahrnehmungen, Erfahrungen, Überlegungen und Gedanken ausgehen beziehungsweise an denen sich diese entwickeln (können). Nimmt man diese Anforderung an das Wahrnehmen und Sehen im Feld der bildenden Kunst in seiner Intensität zur Kenntnis, so ist auch eine ethnografische Perspektive in ihrem Blick auf die Praxis künstlerischen Arbeitens darin gefordert – soweit dies möglich ist –, in ein derartiges Sehen einzutauchen und sich darin praktisch involvieren zu lassen. Wie ein derartiger ethnografischer Zugang theoretisch und methodisch weitergehend gefestigt werden kann, wird im Folgenden ausgeführt.

E THNOGRAFIE ZWISCHEN P RAXISTHEORIE P HÄNOMENOLOGIE

UND

Im Fokus dieser Studie steht die ethnografische Annäherung an die Praxis künstlerischen Arbeitens. An dieser Stelle soll zunächst ein Verständnis von ›Praxis‹

12 Diese Perspektive einer profanen Materialität entgegen dem Primat einer im Geistigen liegenden Idee findet sich auch in der Phänomenologie Merleau-Pontys wieder, der schreibt: »Doch wenn es sich auch von unserer vitalen Gestikulation loslöst, so löst das Gedicht sich doch nicht von jederlei materiellem Grund, es ist unrettbar verloren, wenn sein Text nicht genau bewahrt ist; seine Bedeutung schwebt nicht frei im Himmel der Ideen: sie ist eingeschlossen in die Worte auf irgendeinem Stück Papier. In diesem Sinne existiert das Gedicht sowie ein jedes Kunstwerk auf die Weise eines Dinges, und nicht in der ewigen Subsistenz einer Wahrheit« (Merleau-Ponty 1974: 181).

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erarbeitet werden, das für eine solche ethnografische Studie grundlegend werden kann. Welche Zugänge kann sich ein ethnografisches Vorgehen zu einer Praxis erschließen? Wie kann von einem ethnografischen Standpunkt aus Praxis überhaupt beforscht werden? Die Fokussierung auf die Praxis künstlerischen Arbeitens bietet einer ethnografischen Perspektive zunächst eine empirische Offenheit in Bezug auf ihr Feld, die einem fragend und suchend angelegten Arbeiten der bildenden Kunst entgegenkommt. So geht künstlerisches Arbeiten selbst immer auch von seiner Praxis aus – insbesondere das Machen beziehungsweise das praktische Umgehen mit Dingen, Materialien, Formen, Techniken, Medien, Farben und Sichtweisen wird von den Teilnehmern in seinen Relevanzen betont. Künstlerisches Arbeiten stellt seiner Praxis zumeist weniger Begrifflichkeiten und Definitionen voran, sondern setzt auch auf das Machen als solches. Den Teilnehmern folgend, muss künstlerisches Arbeiten auch seitens des Ethnografen nicht vorab definiert oder auf »begriffliche Totalitäten und hypostasierte Einheiten« (Schäfer 2013: 20) festgelegt werden. Eine an Praxis interessierte Perspektive tritt hinter Dualismen von Kunst und Gesellschaft oder Kunst und Alltag zurück und ist dennoch in der Lage, ihren Blick auf Prozesse beziehungsweise auf Umgangsweisen mit Materialien, Dingen, Techniken, Kommunikationen und Körpern zu richten. Die Beforschung einer Praxis entledigt sich der Hierarchisierung wissenschaftlichen Wissens vor anderen Wissenskulturen, indem zunächst Fragen relevant werden, die das Wie und Was der Praxis betreffen: »Wie geht das?«, »Wie geht etwas vor sich?«, »Was passiert hier gerade?« Mit derartigen Fragen rückt diese Studie zum künstlerischen Arbeiten ab von Fragen nach psychologischen oder rationalen Motivationen, die das Warum künstlerischer Arbeit betreffen. Auch rückt sie ab von Fragen nach dessen gesellschaftlich funktionaler Bedeutung. Arbeitsschritte, Verläufe, Probleme der Teilnehmer wie auch die involvierten Dinge finden Eingang in die Forschungsperspektive. Derartige Fragen werden zudem von den Teilnehmern vor Ort selbst relevant gemacht – so stellen nicht zuletzt Künstler ähnliche Fragen nach ihrer Arbeit, was den Zugang zum künstlerischen Feld aus ethnografischer Sicht erleichtert. Forschung wird sich aus dieser Sicht selbst zur Praxis (Mol/Moser/Pols 2010). Wie jedoch wird ›Praxis‹ genauer bestimmbar? Wie wird sie für die Studie ethnografisch zugänglich (gemacht)? Im Folgenden werde ich die hier zugrunde liegende ethnografische Perspektive zwischen zwei theoretischen und methodischen Strömungen positionieren: Die erste bezieht sich auf die sogenannten Praxistheorien beziehungsweise Theorien sozialer Praktiken; die zweite findet ihren Ausgang in der Leibphänomenologie Merleau-Pontys. In dieser Weise wird ein Verständnis von Praxis entworfen, das, analytisch betrachtet, gleichsam zwei ethnografische Ichs her-

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vorbringt: Einmal bin ich im Feld der bildenden Kunst die distanzierte Beobachterin von Praktiken künstlerischen Arbeitens in ihren soziomateriellen und körperlichen Vollzügen. Zudem bin ich mit und durch mein Sehen in Anbetracht der entstehenden künstlerischen Arbeiten und Werke auch Teilnehmerin des Feldes und folge den entstehenden Arbeiten vor Ort.13 Ethnografie und die Beobachtung von (Wissens-)Praktiken Spätestens seit Ausruf des practice turn wird jenen Ansätzen in den Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften Aufmerksamkeit zuteil, die soziale Wirklichkeit als ›Praxis‹ oder ›Praktiken‹ begreifen und die allgemein unter ›Praxistheorien‹, ›Theorien sozialer Praktiken‹ oder ›Praxeologie‹ firmieren. Die Verwendungen der Begriffe ›Praxis‹ und ›Praktiken‹ erfolgt mitunter synonym (Schäfer 2013). Mit Bourdieu wird soziale Praxis vor allem habituell gefasst und führt zur Reproduktion von Platzierungen der Einzelnen im sozialen Feld. Mit der theoretischen Konzeption Schatzkis (2001: 2) rücken Praktiken in den Fokus als »embodied, materially mediated arrays of human activity centrally organized around shared practical understanding«. Das Feld der sogenannten Praxistheorien oder auch Theorien sozialer Praktiken ist in seiner Pluralität und Heterogenität nicht als ein eng gestecktes, scharf begrenztes, chronologisch oder topologisch nachzeichenbares Feld zu verstehen (Schäfer 2013: 13 ff.), sondern bündelt verschiedene Ansätze.14 Eine Praxis ethnografisch zu beforschen stellt sich in ihrer Komplexität und Multiperspektivität als schwierig dar. Wo soll man anfangen mit seinen Beobachtungen? Wie wird Praxis überhaupt sichtbar und zugänglich? Wie lässt sich verstehen, was die Teilnehmer einer Praxis machen und tun? Der Begriff der Praxis handelt dem Ethnografen und seiner empirischen Perspektive zunächst einmal Probleme ein. So erscheint eine Praxis – auch die Praxis künstleri-

13 Wie bereits angedeutet, greife ich als Teilnehmerin des Feldes auch auf mein Studium der Kunst in seinen erinnerbaren Erfahrungspotenzialen und sedimentierten Wissensbeständen zurück. 14 An dieser Stelle sei angemerkt, dass viele weitere Autoren im Zuge praxistheoretischer Ansätze und Theoriebildungen in dieser Studie unerwähnt bleiben müssen und nicht rezipiert werden. Zu einer Systematisierung und Kondensierung praxistheoretischer Positionen in der Soziologie siehe Hillebrandt 2014 und Schäfer 2016b, in Bezug auf die Frage nach empirischen Auseinandersetzungen siehe auch Schmidt 2012. Im Zuge dieser ethnografischen Studie werde ich auf die philosophischen Bezugnahmen wie etwa zum Werk Heideggers und Wittgensteins nicht weiter eingehen.

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schen Arbeitens – als ein großes, weites und über eine Zeit gewachsenes Gefüge, das sich in seiner Ganzheit und in seinen Einzelheiten mal mehr und mal weniger zu erkennen gibt. Um dieser methodischen Problematik zu begegnen, bietet es sich für eine ethnografische Sicht zunächst an, Beobachtungen nicht unmittelbar auf ›die Praxis‹ in all ihren Auswüchsen und Anforderungen, Implikationen und Dimensionen zu beziehen, sondern erst einmal auf die – wie mir scheint – kleinere und empiriefreundlichere Ebene der Praktiken zu gehen. Praktiken vollziehen sich situativ, implizieren eine materielle und körpergebundene Dimension und machen sich für die Anwesenden – für die Teilnehmer und die Ethnografin – in gewisser Weise zugänglich. Wie mit diesem oder jenem Ding umgegangen wird, wie Material eingesetzt wird, wie der wissende Körper in Arbeitsprozesse eingebunden ist, wie Gespräche vollzogen werden – all dies lässt sich beobachten, da Praktiken über eine performative, öffentliche, sichtbare und demnach auch beobachtbare Seite verfügen (Schatzki 1996: 41; Reckwitz 2008: 114). Praktiken sind accountable (Garfinkel 2008 [1967]: 1).15 Sie zeigen körperlich vermitteltes Wissen (Hirschauer 2008: 979) oder auch Unsicherheit in der Interaktion (Goffman 1979, 1986b) an.16 Kurzum, Praktiken haben eine gleichsam öffentliche Seite, die ihre Beobachtbarkeit garantiert. In der zeitgenössischen soziologischen Ethnografie gilt es mittlerweile als etabliert, soziale Praktiken und deren implizites Wissen zum Gegenstand der ethnografischen Analyse zu machen (Kalthoff 2003; Breidenstein et al. 2013: 33).17 Mit dem Fokus auf Praktiken wird gewiss: Es passiert immer etwas. Das Soziale bleibt permanent im Fluss, in einem »continuous flow of activity« (Schatzki 2002: 75). Nie passiert nichts! Fortlaufend gibt es etwas zu beobachten. Dass Praktiken gleichsam fließen, hängt auch damit zusammen, dass sie wandelbar, anpassungsfähig und unabgeschlossen sind. So stehen Praktiken in einem Spannungsverhältnis zwischen einerseits Wiederholung, Regelmäßigkeit, Routine und Stabilität sowie andererseits Offenheit, Dynamik, Veränderung und Unvorhersehbarkeit (Schatzki 2002: 74 ff.; Reckwitz 2003: 294 ff.). Praktiken bewegen sich zwischen Kontinuität und Innovation, Erwartbarkeit und Irritation. Das

15 Unter accountability versteht Garfinkel (2008 [1967]: 1), dass Praktiken »observable and reportable« sind. Praktiken haben hiernach eine öffentliche Seite, die sich den Mitgliedern einer Praxis mitteilt. 16 So qualifiziert sich der Körper nach Goffman (1979) als »Display«, der sich Anderen darstellt und von diesen wahrgenommen wird. 17 Einer mittlerweile etablierten Annahme zufolge wohnt Praktiken implizites Wissen beziehungsweise Wissen mit einer »tacit dimension« (Polanyi 1985 [1966]) inne, das körperlich verankert, habitualisiert und nicht ohne Weiteres zu versprachlichen ist.

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Irritationspotenzial von Praktiken liegt auch in ihrer Kontextabhängigkeit und Situativität begründet. Es tritt im Aufkommen innovativer Artefakte hervor, die noch in keine routinierten Umgangsweisen eingebunden sind, sowie im Zuge der Entwicklung neuer Techniken und Technologien, deren Einsatz zunächst erprobt und etabliert werden muss. Aufgrund dieses innovativen und irritativen Potenzials wohnen Praktiken neben Kontinuität und Regelmäßigkeiten auch Unberechenbarkeiten und Unregelmäßigkeiten inne (Schatzki 2002: 73 f.; Reckwitz 2003: 294 f.). Praktiken bewegen sich zwischen Stabilität und Instabilität (Schäfer 2013). Dennoch beschreiben sie einen beobachtbaren, fließenden und geradezu sequenziell geordneten Prozess und fokussieren in letzter Instanz ein Kontinuum, indem sie als Verlaufs- und Vollzugswirklichkeit eine situierte Situativität betonen: Praktiken laufen ab, reihen sich aneinander, ordnen Zeit in Sequenzen, Vollzügen und mitunter gar Linearität. Die Situativität praktischer Vollzüge wird jedoch nicht punktuell, sondern als situiert gefasst, da Praktiken ein Wissen bergen, das durch vorangegangenes wiederholtes Praktizieren routinisiert, habitualisiert und sozialisiert wird. Sie sind somit immer auch übersituative Entitäten (Schäfer 2016a: 10 ff.), so gehen Praktiken aus vergangener und erinnerter Praktizierung hervor. Zugleich wohnt Praktiken auch Zukunftsorientierung inne, da sie auf Permanenz und ihr Gelingen ausgerichtet sind. Praktiken gehen auch mit einer Fokussierung auf das spezielle Wissen und Können der Teilnehmer einher. Für Praktiken spielt die Referenz auf ihr Gelingen beziehungsweise ihre Bewältigung im Sinne eines »endless, ongoing, contingent accomplishment« (Garfinkel 2008 [1967]: 1) eine bedeutende Rolle. Praktiken bündeln »praktisches Wissen, ein Können, ein Know-how, ein Konglomerat von Alltagstechniken, ein praktisches Verstehen im Sinne eines ›Sich auf etwas verstehen‹« (Reckwitz 2008: 111).18 Die Ausrichtung auf eine skillfull performance (Reckwitz 2003: 290; 2008: 113), das accomplishment oder auch das Können (Schatzki 2002: 72) lenken den Blick vornehmlich auf das Funktionieren von Praxis. Abgesehen von Krisen und störenden Interventionen halten Praktiken in ihrem Fließen demnach nicht inne. Nach Schatzki (2002: 71) umfassen Praktiken im Gefüge sozialer Ordnungen stets »two overall dimensions:

18 Dieses Wissen ist den praktischen Vollzügen, Umgangsweisen und Verfahren, Ausführungen und Handlungen, Körpern und ihren Bewegungen inhärent. Als sozialisiertes Wissen wird es verschiedentlich konzeptualisiert: Im Sinne Bourdieus (1992, 2001b) wird Wissen habituell inkorporiert; nach Goffman (1959, 1974, 1986a) zeigt sich Wissen in den Performances der Individuen als Rahmen- und Interaktionswissen; der Ethnomethodologie nach Garfinkel (2008 [1967]) zufolge wird Wissen in Praktiken vollzogen und voreinander aufgeführt.

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activity and organization«. Sie geraten in ihren Umsetzungen und Ausführungen außerhalb von Störungsmomenten nicht ins Stocken, da Praktiken in ihrer Konstitution zwar unberechenbar, aber anpassungsfähig und dynamisch sind. In dieser Weise halten Praktiken nicht einen statischen, wiederholenden und monotonen Ablauf in Gang, sondern sie sind zu Wandel und Wechsel bereit. Im Prozess praktischer Vollzüge kann sich gar eine »Sinnverschiebung« (Reckwitz 2003: 295) im Zuge von Neu-Anwendungen entwickeln, sodass sich auch der Bedeutungsgehalt einer Praktik mit der Zeit verändern kann. Mit einem derartig dynamischen Konzept von Praktiken wird soziale Wirklichkeit als pluralisiert, kontingent, strukturiert und heterogen begreifbar (Reckwitz 2003: 295 f.). Welche Möglichkeiten ergeben sich hieraus für eine ethnografische Studie zur Praxis künstlerischen Arbeitens? Mit einem derartigen Fokus richte ich als beobachtende Ethnografin meinen Blick auf die situierten Arbeitspraktiken der Teilnehmer. Ihre konzeptionelle Einbettung finden Arbeitspraktiken in den soeben beschriebenen Theorien sozialer Praktiken oder Praxistheorien, die Praktiken besonders in ihren materiellen, sequenziellen, körperlichen und wissenden Verfasstheiten begreifen. Mit der Fokussierung auf Praktiken treten vornehmlich beobachtbare Abläufe, Sequenzen, Techniken, Verfahren, Ausführungen, Umsetzungen, Körper in Bewegung sowie Dinge in Gebrauch und Material in Verwendung hervor. Ich spezialisiere Praktiken im Kontext der Studie deswegen weitergehend als Arbeitspraktiken, da ich besonders die Praktiken fokussiere, die den Arbeitsprozess hervorbringen, performieren und sichtbar machen. Praktiken fasse ich demnach vor dem Hintergrund meiner ethnografischen Perspektive als eine Dimension von Praxis, mit der besonders deren geordnete, organisierte, profane und wissende Vollzugswirklichkeit sichtbar wird. Ethnografie als Gang durch das Sehen der Anderen Die Fokussierung auf Praktiken im Modus eines ethnografisch beobachtenden Sehens ist im Feld der bildenden Kunst jedoch auch Einschränkungen ausgesetzt. So geht mit dieser Fokussierung bereits eine Präformierung dessen einher, was sich dem Ethnografen zu erkennen geben und auf was sein Blick treffen kann. Diese Einschränkungen möchte ich im Folgenden kurz aufzeigen, bevor ich der ethnografischen Praxis der Beobachtung von Praktiken einen phänomenologischen Zugang an die Seite stellen werde, der eine ethnografische Perspektive erweitern kann. Die Annahme derart verfasster Praktiken präformiert die Wahrnehmung sozialer Welt und Wirklichkeit, was sich in Bezug auf drei Aspekte bündeln lässt: 1) Ausgehend von einem den Praktiken zugrunde liegenden geteilten und routiniert auftretenden Wissen und Können betonen Praktiken

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in gewisser Weise das Exekutive ihrer Teilnehmer, die auf Grundlage ihres praktischen Wissens etwas durchführen, ausführen, anwenden und umsetzen. 2) In ihrem Fokus auf das Gelingen einer Praktik wohnt Praktiken eine implizite Ausrichtung auf das Funktionale inne. 3) In ihrer Präferenz für Abläufe, für das Organisierte und das Geordnete richten Praktiken den Blick besonders auf das Formale und Formatierende von Ereignissen. Inwieweit können diese Orientierungen und Ausrichtungen als Einschränkungen für eine ethnografische Forschung im Feld künstlerischen Arbeitens wirksam werden? Insbesondere in Feldern, die nicht vornehmlich nach technischen und voraussetzungsvollen, festgelegten und routinierten Logiken operieren – so auch im Feld der bildenden Kunst –, geht es nicht allein darum, praktisch verankertes Wissen und Können durchzuführen, aufzuführen oder umzusetzen. Diese Annahme würde ein Feld, das auch an den Rändern von Wissen – auch mitunter von praktischem Wissen und Können – arbeitet, in seinem Hervorbringen und in seinen Hervorbringungen auf Routinen und Abläufe reduzieren. Zu sehr würden technische, mechanische, maschinelle und mitunter Apparat-mäßige sowie formale und geordnete Züge sozialer Welt und Wirklichkeit hervortreten, die unsichere, zögernde, innehaltende, zurücktretende und individuelle Erfahrungsdimensionen unterordnen würden. Beispielsweise sind Momente und Situationen des Innehaltens, des Zweifelns, des Fragens, des Überlegens, des Befragens der Dinge, gar des Denkens und der Reflexion nicht allein in Form von Praktiken beobachtbar und zu erschließen, obgleich auch solche Vollzüge in soziomaterielle und körperliche Dimensionen eingebettet sind und sich nach außen hin als zeitlich geordnet zeigen können. In ihrer Profilierung des ›Wie‹ von Vollzügen, Techniken, Abläufen, Formationen und Vorgängen bleiben Praktiken in Bezug auf reflexive und erfahrbare Bezugnahmen der Praktizierenden auf ihre Praxis jedoch ein Stück weit an der Oberfläche und gleichsam am Äußerlichen hängen.19 Ähnlich einem Lotuseffekt dringen sie in dieser Verfasstheit nicht weiter in das vor, was sich den Praktizierenden zeigt, um was es ihnen geht und welche Phänomene sich aus ihrer Sicht offenbaren. Im Hinblick auf das Wahrnehmen der Teilnehmer einer Praxis gerät ein auf Praktiken gerichteter Zugang in gewisser Weise an Grenzen, da Praktiken vornehmlich die Darstellung beziehungsweise die für Andere erkennbare skillfull performance, das accomplishment oder auch das Können der Teilnehmer in den Blick geraten lassen. Prakti-

19 Fragen, die das Wie in Bezug auf Praktiken hervortreten lassen, lauten hiernach etwa: »WIE wird eine Kategorisierung, eine Unterscheidung oder Segmentierung der Welt von den Teilnehmern operationalisiert? Wie verändert sie sich und was wird mit ihr bewirkt?« (Knorr Cetina 1989: 92).

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ken etablieren in ihrer Ausrichtung auf ein geteiltes und implizites praktisches Wissen und Können und in ihrer Orientierung auf ihr Gelingen und Fortlaufen – ob als Wiederholung oder Neuanwendung – eine Fokussierung auf die Ordnung und Permanenz des sozialen Geschehens. Wie aber gehen sie mit Unordung und Irritationen, mit Verstrickungen und Erfahrungen um? Die berühmte Frage der Garfinkel’schen Krisenexperimente »What can be done to make trouble?« (Garfinkel 2008 [1967]: 37) hat den Blick auch auf Störungen, Irritationen und Krisen gewohnter Abläufe und Vollzüge der Alltagspraxis sowie Zusammenbrüche von Interaktionen gelenkt. Unterbrechungen und Störungen der Alltagsordnung werden in der Regel seitens der Beteiligten zu beheben und zu vermeiden versucht, um interaktive, kommunikative beziehungsweise soziale Praktiken in Gang oder im Fluss zu halten. Was passiert jedoch, wenn eine Praxis sich auch mitunter durch die Herstellung von Unordnung, Störungen, Irritationen, Widersprüchen, Unabgeschlossenheit und Ambivalenzen in Gang hält? Was, wenn die Krise oder besser die Irritation in Form von Unterbrechen, Innehalten, Hinterfragen und Zweifeln gar zur Ressource des Alltags einer Praxis und ihrer Teilnehmer wird? Praktiken in ihrem permanenten, fortlaufenden Machen scheinen Kontinuität oder sogar Geschwindigkeit, aber kein Innehalten zu kennen. Unberechenbarkeiten in diesem kontinuierlichen Machen und Tun treten, positiv betrachtet, als Transformationen, Innovationen, Verschiebungen und Dynamiken auf; negativ betrachtet, rufen sie Krisen und Unterbrechungen hervor, die mit Bezug auf ein Misslingen der Praktik eine Störung des Regelmäßigen, Gewohnten und Routinierten markieren. Da Praktiken in ihrem Fortgang und ihrer Ausrichtung auf ihr Gelingen das Organsierte und Ordnende betonen, wird das Unorganisierte und Ungeordnete bisher vielmehr als instabilisierende Störung und Krise zur Kenntnis genommen und weniger als Potenzial der Praxis selbst – oder aber es wird als Innovation bedeutsam. Für künstlerisches Arbeiten kann jedoch auch der Bereich des Ungeordneten, des Misslingens, des Zweifelns und der Irritation zur Ressource werden, wobei der Begriff des Innovativen in diesem Kontext schwierig ist. Zu sehr geht er mit Fortschritt, Optimierung und technologischer Neuerung einher. So begründen sich in der Irritation für künstlerische Prozesse nicht nur Störungen und Krisen, Innovation und Kreation, sondern auch Potenziale für ein Innehalten, Zurücktreten, für Glauben und Zweifeln an den Rändern von Wissen – auch von praktischem Wissen. Dies wird notwendig, um im Zuge künstlerischer Prozesse Anderes – jedoch nicht zwingend Neues – hervorzubringen, als bereits Bekanntes und Gewusstes. An dieser Stelle möchte ich vorwegnehmen, dass gerade in solchen innehaltenden und fragenden Momenten die Hervorbringung von Reflexivität innerhalb der Praxis künstlerischen Arbeitens möglich wird, die künstlerisches Arbeiten in

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gewisser Weise von der Reduktion auf Durchführungen, Ausführungen, Anwendungen und Umsetzungen eines vorausgesetzten impliziten und auch routinierten Wissens und Könnens ›befreit‹. Eine weitere und mittlerweile bekannte Herausforderung der Konzeption von Praktiken besteht darin, mentalen und kognitiven, emotionalen und leiblichlatenten Prozessen nur begrenzt folgen zu können. Prozesse, die eine weitergehende Tiefe des Verstehens einfordern, bleiben meist im Verborgenen. Praktiken, so die Annahme, ist ein spezielles Tätigkeitswissen inhärent, das nicht nur eine performative, sichtbare und sprachlich zugängliche, sondern immer auch eine nicht verfügbare, nicht beobachtbare und nicht verbalisierbare beziehungsweise körperliche und implizite Dimension aufweist (siehe beispielsweise in Bezug auf Kunst Zembylas 2012a, 2012b). Das, was wie gekonnt und in praktisch sicherer Ausführung vollzogen wird, wird oftmals nicht ins Sprachliche von den Praktizierenden überführt und wird ihrerseits in einem Erfahrungswissen verortet. Im künstlerischen Feld wird dieses Wissen nicht selten als ein besonderes und einzigartiges Wissen an einzelne Personen beziehungsweise einzelne Künstler gekoppelt. Dies kann beispielsweise die Virtuosität eines Musikers im Umgang mit seinem Instrument sein; im Bereich der bildenden Kunst wird beispielsweise dem Werk und dem Schaffen eines Künstlers eine herausragende Originalität zugesprochen, die im Unaussprechlichen geborgen wird. Man kann gar sagen: Die nicht zugängliche und nicht verfügbare Seite künstlerischer Hervorbringungen wird mit Blick auf das Feld der Kunst gar zelebriert, als Teil des ›Künstlerischen‹ verstanden und mit Bezug auf ›Talent‹ mystifiziert. Das Beobachten eines individuellen und sodann auch individuell-exklusiven, aber dennoch impliziten und praktischen Wissens erscheint vor diesem Hintergrund in seiner Zugänglichkeit methodisch problematisch zu sein. Unter Einbezug dieser Einschränkungen möchte ich einen erweiterten Zugang zum Verständnis und zum Verstehen von Praxis vorschlagen: Hiernach wird nicht allein das praktische Wissen der Teilnehmer zum Forschungsgegenstand des Ethnografen, vielmehr folge ich zudem aus einer ethnografischen Position heraus mit meinem Wahrnehmen und Sehen praktisch dem Wahrnehmen und Sehen der Anderen als andere. Diese ethnografische Position ist nicht mehr nur eine distanziert beobachtende, sondern zudem eine teilnehmende und involvierte. Das hieraus erwachsende zweite ethnografische Ich ist demnach eines, das sich der Praxis des Wahrnehmens und Sehens eines Feldes nähert und in dessen »Professional Vision« (Goodwin 1994) – soweit dies dem Ethnografen möglich ist – vordringt. Durch diesen Zugang eröffnet sich eine phänomenale Dimension von Praxis und deren Eigenlogik: Das Wahrnehmen und besonders das Sehen des Ethnografen werden im Feld künstlerischen Arbeitens darin ge-

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fordert, Fragen und Auseinandersetzungen der Teilnehmer selbst nachzuvollziehen und sich auf deren Sichtweisen einzulassen. So wird das Wahrnehmen, insbesondere das Sehen in der Kunst dazu herausgefordert, sich auf das sich (ihm) Zeigende einzulassen: Wahrnehmen und besonders Sehen selbst werden für eine ethnografische Perspektive auch in methodischer Hinsicht als Praxis bedeutsam (Schürmann 2008; Prinz 2014). Die Berücksichtigung des Wahrnehmens und besonders des Sehens in seinen praktischen Verankerungen zur Beforschung und Befragung künstlerischer Praxis lässt sich hierbei keineswegs auf Visualisierungstechniken, Abläufe, Sequenzen, Wissensproduktionen, Ordnungen und Modulationen beziehungsweise auf anzuwendende und auszuübende, einzusetzende und umzusetzende Praktiken beschränken. Wahrnehmenden und sehenden Vollzügen sind auch Simultanität, Ungewissheit, Konfrontation und Irritation zugänglich. Wahrnehmen und auch ein im Wahrnehmen eingebettetes Sehen gehen über sequenzielle und lineare, normative und interaktive Ordnungen hinaus. Im Wahrnehmen und Sehen kann Wahrnehmbares und Sichtbares sowohl organisiert als auch desorganisiert werden. Wahrnehmen und hierin eingebettet Sehen sind nicht nur Durchführung, Ausführung und Umsetzung von Sinnesinstrumenten. In diesem Sinn lässt sich gar sagen: Die Praxis des Wahrnehmens ist mehr als eine Praktik. So muss Wahrnehmen nicht per se routiniert und wissend sein, obgleich es immer in Wissen eingebettet ist. Es vermag sich auch als fragiles, fragendes, suchendes, tastendes und in gewisser Weise wissend-nichtwissendes Wahrnehmen dem Unbekannten zuwenden, dessen Unordnung oder Irritation sich nicht unmittelbar zugunsten von Ordnung und Einordnung aufheben lassen muss. Mit diesem Zugang zur künstlerischen Praxis in einem involvierten oder auch teilnehmenden Wahrnehmen und – hierin verortet – besonders im Sehen zeigen sich die Dinge beziehungsweise die entstehenden oder ausgestellten künstlerischen Arbeiten auch in ihren Fragen und Möglichkeiten, Ambivalenzen und Widersprüchen. Mit diesem Zugang wird eine Dimension der Tiefe in ein Verständnis von Praxis und ihrer Eigenlogik einbezogen, indem nicht nur für den Außenstehenden sichtbare bewegte Körper in ihrem kompetenten Umgang mit Dingen und Sprache in den Blick geraten, sondern auch den wahrnehmend-denkenden Bewegungen künstlerischer Auseinandersetzungen zu folgen versucht wird. Mit der Berücksichtigung dieser phänomenalen Dimension von Praxis werden auch das Vordringen in ambivalente und paradoxe Verstrickungen sowie fragende Bewegungen künstlerischer Prozesse einbezogen. Dieser Zugang geht vielmehr dem Jeweiligen, Idiosynkratrischen und in dieser Weise Eigenen künstlerischer Prozesse nach, um künstlerische Praxis in ihrem Fragen, Entscheiden, Experimentieren und Forschen weitergehend nachzuvollziehen. Wie lässt sich dieser Zugang theoretisch-empirisch verorten?

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Insbesondere in der Phänomenologie Maurice Merleau-Pontys findet ein derartiges Verständnis von Praxis in ihrer phänomenalen Dimension einen methodischen und theoretischen Anker. In Auseinandersetzung mit den Schriften Husserls, Heideggers, der abendländischen Philosophie, den positiven empirischen Wissenschaften sowie den Künsten, insbesondere der Malerei und der Literatur, nehmen Merleau-Pontys Überlegungen Abstand von einem Streben nach begrifflichen Definitionen sowie nach finalen Bestimmungen. Für einen an konturierten Begriffen und Erklärungen interessierten wissenschaftlichen Umgang erscheint die Verweigerung begrifflicher Klärungen innerhalb der Phänomenologie Merleau-Pontys auf den ersten Blick problematisch. Für eine Studie zum künstlerischen Arbeiten liegt jedoch gerade hierin ihr Potenzial, da es nicht darum geht, künstlerische Sicht- und Denkweisen zugunsten harter Maximen, Definitionen und Erklärungen zu verwissenschaftlichen, indem man sie mit vorgefertigten Begriffen festschreibt und sie auf diese reduziert. Eine weitere Konsistenz der Phänomenologie Merleau-Pontys liegt analog zur Vorsicht praxistheoretischer Positionen in der Vermeidung von universalistischen und axiomatischen Programmatiken. In seiner fragenden Zuwendung zu Welt, Dingen und Anderen geht Merleau-Ponty zunächst von einer Leibgebundenheit aus, die Erkenntnis und Wissen an Wahrnehmung koppelt (Merleau-Ponty 1974, 2003a). Nicht eine im Geistigen lagernde Vernunft oder ein empiristisches Wissen steht im Fokus seiner phänomenologischen Untersuchungen, sondern das im Leiblichen ankernde Wahrnehmen und Erfahren tritt in den Vordergrund, was auch einen primordialen Zugang eines Zur-Welt-Seins eröffnet. Der Leib als Zugang zur Welt und gleichzeitig als der Welt zugehörig beschreibt in dieser Verstrickung eine Ambivalenz sowie Ambiguität diesseits eines transzendentalen Bewusstseins und jenseits einer objektivistischen Wirklichkeit, sodass ein Bereich dazwischen in den Blick gerät, der keinen eindeutig bestimmbaren Kausalitäten, Maximen oder Zuordnungen folgt: »Dahingegen enthüllt uns die Erfahrung des eigenen Leibes eine Weise des Existierens, die zweideutig ist. Suche ich ihn als Bündel von Vorgängen dritter Person zu denken – als da sind: ›Sehen‹, ›Motorik‹, ›Geschlechtlichkeit‹ –, so bemerke ich, daß die ›Funktionen‹ sich untereinander und mit der Außenwelt nicht durch Kausalbezüge verknüpfen lassen, sondern sämtlich auf verworrene und implizite Weise sich verschlingen in ein einziges Drama. Der Leib ist also kein Gegenstand. Aus demselben Grunde aber ist auch mein Bewußtsein des Leibes kein Denken, ich kann den Leib nicht auseinandernehmen und wieder zusammensetzen, um eine klare Vorstellung von ihm zu gewinnen. Seine Einheit ist beständig nur implizite und konfuse. Immer ist er etwas anderes als was er ist […] Handle es sich um den Leib des Anderen oder um meinen eigenen Leib, zur Kenntnis des menschli-

32 | K UNST IN A RBEIT chen Leibes führt kein anderer Weg als der, ihn zu er-leben, d. h. das Drama, das durch ihn hindurch sich abspielt, auf sich zu nehmen und in ihm selber aufzugehen.« (MerleauPonty 1974: 234)

In dieser leiblichen Perspektive begründet sich die Verschränkung zweier Zugänge: Das im Leiblichen ankernde Wahrnehmen konstituiert ein Ausgangsphänomen, von dem aus Welt und Wirklichkeit zugänglich werden (Waldenfels 1983: 160 ff.), wobei dieser Zugänglichkeit immer auch eine unzugängliche Dimension inhärent ist, da der Leib selbst Zugang ist. In dieser Weise erschließt sich die Phänomenologie Merleau-Pontys als eine Perspektive, die von einer leiblichen Zuwendung zu einer Welt ausgeht, der der Leib selbst angehört. Die leibliche Verortung geht mit einer Perspektivität in Bezug auf die Dinge und Anderen einher. Von hier aus sehe ich etwas Anderes als von dort aus, aus der Nähe wird etwas anders sichtbar als aus der Ferne, von der einen Seite wird etwas Anderes erkennbar als von der anderen und dennoch wird ein Ding in seiner leiblichen Begegnung als eines wahrgenommen (Merleau-Ponty 1974: 367). In seinen Zuwendungen zur Welt, zu Dingen und Anderen bezieht Merleau-Ponty das leiblich verwobene Wahrnehmen als eines ein, das sich weder in isolierte Sinne szientistisch zergliedern noch in metaphysische Dimensionen transzendieren lässt, sodass Phänomene erst in einem erlebenden, durchlebenden beziehungsweise leiblichen Durchgang relevant werden. Die Sinne nähern sich dem Ding nicht isoliert, sondern sie spielen zusammen, treten als solche gar hinter die leibliche ganzheitliche Begegnung mit einem Ding zurück, das gleichzeitig berührt und gesehen werden kann (Merleau-Ponty 1974: 368). Das nach MerleauPonty leiblich verankerte Wahrnehmen geht somit über ein Verständnis des Wahrnehmens als Sinneswahrnehmung hinaus, indem die Sinne nicht als isolierte Instrumente des Wahrnehmens betrachtet werden, sondern sie in einer Praxis des Wahrnehmens zusammenspielen und kommunizieren (Merleau-Ponty 1974: 264 ff.). Eine Unterordnung sowie eine Trennung zwischen Körper und Geist hebt Merleau-Ponty in seiner Phänomenologie auf, indem er Denken und Reflexion im leiblichen Zur-Welt-Sein verortet. Das leibliche Zur-Welt-Sein mündet in die Berücksichtigung einer situiert-situativen Standortgebundenheit, die nicht in ein Räsonieren über die Welt, die Dinge und die Anderen einleitet. Vielmehr leitet sie ein in eine Auseinandersetzung mit der Welt, den Anderen und den Dingen, inmitten ihrer und als Teil dieser Welt, der auch der Wahrnehmende selbst angehört. Ein leiblicher Zugang zur Welt kann nicht allüberblickend sein, da sich der Leib nicht selbst zu überblicken oder zu durchschauen vermag und sich somit nur in Bezügen zur Welt, zu den Dingen und den Anderen erfährt. Wahrneh-

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mung, Sprache und in besonderer Weise das Sehen werden hiernach weniger als Philosophie oder als Wissenschaft angenähert, sondern vielmehr in ihren praktischen Vollzügen durchdrungen. Die Phänomenologie Merleau-Pontys ist demnach in ihrer leiblichen Praxis lebendig. Latenz und Implizites der leiblichen Wahrnehmung werden als solche berücksichtigt und nicht zugunsten vergeistigender Reflexion oder empiristischer Vergewisserung in prinzipielle Wahrheit oder positivistisch faktizitäre Wirklichkeit überführt. In dieser Weise geht Merleau-Pontys Phänomenologie nicht von einem Prüfen, sondern von einem Fragen aus, das zu nuancierten, unabgeschlossenen und ambivalenten Auseinandersetzungen mit Welt, Dingen und Anderen gelangt, die aus einem empathischen Durchgang durch Sprache und Wahrnehmen, Malerei und Literatur, Philosophie, Wissenschaft und Kunst hervorgehen. In diesem leiblichen und später ›fleischlichen‹20 Gehen durch Phänomene beschreibt die Phänomenologie MerleauPontys eine prozessuale Bewegung (Waldenfels 1983: 198), die auch fragmentarische und amorphe Züge aufweist. Was ermöglicht diese phänomenologische Perspektive einer ethnografischen Studie zum künstlerischen Arbeiten? Zum einen lässt sich eine Parallele zwischen Merleau-Pontys prozessual angelegter und perspektivisch eingebetteter Phänomenologie zum Arbeiten in der bildenden Kunst ziehen. Fragen und Wahrnehmen gehen in künstlerischen Vollzügen eine enge Verbindung ein. »Was sehen wir hier?«, »Was macht dieses Ding?«, »Was macht das Material?«, »Wie können wir uns dem nähern?« Diese Fragen, die künstlerischem Arbeiten inhärent sind, richten sich nicht nur an ein Wie von Arbeitsabläufen, Techniken oder an auszuführende Umgangs- und Gebrauchsweisen, sondern verstärkt auch an ein Was des sich Zeigenden. Dieses wird nicht zuletzt im Sehen umkreist, ohne es direkt begrifflich und definitorisch zu bestimmen und festzulegen. Ein derartiges Fragen im Wahrnehmen ist grundlegend für künstlerisches Arbeiten im Bereich der bildenden Kunst. Für künstlerisches Arbeiten evozieren derartige

20 Das in der Phänomenologie der Wahrnehmung noch stärker explizierte Leibliche verdichtet sich in Merleau-Pontys späterer Ontologie »Das Sichtbare und das Unsichtbare« zu einem Fleisch (chair), das Leib und Welt zugleich einbindet, wobei der Leib aus der Sichtbarwerdung von Welt und Dingen erwächst (Waldenfels 1983: 200). »Fleisch« ist hier nicht als Gegenständliches oder Anthropologisches zu denken, sondern bezieht sich vielmehr auf die Plastizität des Seins. Das »fleischliche Sein als Sein der Tiefen, mit mehreren Blattseiten oder mehreren Gesichtern, als Sein im Verborgenen und als Anwesen einer gewissen Abwesenheit […]« (Merleau-Ponty 2004: 179) schließt als Mehrdimensionales Sichtbares und Unsichtbares ein, wobei das Unsichtbare dem Sichtbaren als ein Abwesendes inhärent ist.

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Fragen nicht zwingend begriffliche Klärungen oder explizite Methoden. Vielmehr schließen sie ihre Situativität und Perspektivität ein, während sich der Fragende sehend und wahrnehmend in die Auseinandersetzung mit seinem Gegenstand beziehungsweise seinem Gegenüber begibt. Auch hier folgen diese fragend-wahrnehmenden Bewegungen nicht zwingend strengen prinzipienorientierten oder rein analytischen Methoden, sondern sie generieren sich auch in einem Wahrnehmen in actu. In dieser Weise sind künstlerische Prozesse oftmals durch Situativität, Offenheit und Prozessualität gekennzeichnet. Der Praxis künstlerischen Arbeitens wohnt ein Zugang zu Phänomenen via Wahrnehmen und besonders Sehen geradezu inne. So bewegen sich die Zugänge der Phänomenologie Merleau-Pontys und die eines verstärkt im und durch Wahrnehmen und Sehen agierenden künstlerischen Arbeitens der bildenden Kunst aufeinander zu. Diese geteilte Affinität zum Wahrnehmen und darin verortet Sehen als Zugang zur Welt in der Kunst sowie auch in der Phänomenologie Merleau-Pontys mag sich nicht zuletzt darin begründen, dass Merleau-Ponty sich im Zuge seiner Schriften und Werke immer wieder mit Künstlern und auch ihrem Arbeiten auseinandergesetzt hat (Schürkmann 2016b) – seine Texte nehmen mitunter selbst literarische Qualitäten an.21 Auch lässt sich eine offene und prozessorientierte ethnografische Forschungspraxis mit der Phänomenologie Merleau-Pontys verbinden. Die Ethnografie als eine fragende, offene und auf Anwesenheit beziehungsweise Kopräsenz basierende Forschung profitiert von einem phänomenologischen Zugang, der das leibliche Wahrnehmen in seinen praktischen Bezügen einbezieht, ohne dieses in einer Eindeutigkeit vorab bestimmen zu müssen. Weniger die Anwendung programmatischer Methoden als vielmehr das teilnehmende Beobachten oder auch beobachtende Teilnehmen vor Ort wird für die ethnografische Forschungspraxis zunächst grundlegend, was auch das Umgehen mit durch- und er-

21 Siehe hierzu besonders die beiden Aufsätze »Der Zweifel Cézannes« (1945) sowie »Das Auge und der Geist« (1961), die im deutschsprachigen beide in dem Band »Das Auge und der Geist« (2003b) herausgegeben wurden. In diesen Schriften geht Merleau-Ponty der Malerei in ihren Vollzügen und auch in ihrer Geschichtlichkeit nach, die er als eine Geschichte des Sehens beschreibt. Merleau-Pontys Werk enthält keine geschlossene und als solche verfasste Kunsttheorie, jedoch begründen seine Auseinandersetzungen mit Sehen und Wahrnehmen weiter ausgearbeitete phänomenologische Bildtheorien (Wiesing 2007; Waldenfels 2010b). Die Rezeption Merleau-Pontys bietet Anschlüsse an der Schnittstelle zwischen Kunst und Philosophie (Schürmann 2000) und geht auch in künstlerische Auseinandersetzungen ein (Bussmann 2010; van Haaren 2010), in denen Kunst und Philosophie sich in gewisser Weise zuarbeiten.

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lebten Erfahrungen einschließt, die der Forschende in einem Feld macht. Mit Bezugnahme auf Husserl (Merleau-Ponty 2007: 153) exponiert Merleau-Ponty insbesondere die Erfahrung als wegweisend für eine Soziologie, der »das geduldige Eindringen in den Gegenstand, die Verständigung mit ihm« (Merleau-Ponty 2003b: 226) gelingen kann. Die Auseinandersetzungen Merleau-Pontys mit der Soziologie seiner Zeit stärkt auch die zeitgenössische ethnografische Forschung darin, Wahrnehmungserfahrungen des Forschers zu berücksichtigen. Der zeitgenössischen Ethnografie gilt es als etabliert, dass Ethnografen mit der »sinnliche[n] Unmittelbarkeit der gesuchten Forschungserfahrung« als »andauernde unmittelbare Erfahrung« (Breidenstein et al. 2013: 33) in ihrem Feld arbeiten. Ethnografen sind anwesend, kopräsent und vor Ort praktisch in die Situationen verwickelt. Sie er- beziehungsweise durchleben ihren Aufenthalt in einem Feld. Nach Breidenstein et al. (2013: 33) erschließen sich Erfahrungen im Kontext von Ethnografie anhand folgender Fragen: »Wie nähert man sich seinem Feld? Wie bewegt man sich in seinem Feld? Was für Daten bietet es?« Soziale Felder werden hiernach zu »[…] Umwelten, in denen auch dann etwas geschieht, wenn kein wissenschaftlicher Beobachter anwesend ist« (Breidenstein et al. 2013: 33). Ethnografisches Beobachten nutzt hiernach seine Erfahrungen, die es über Sinneswahrnehmungen erhält, um Daten zu generieren. Ein derartiges Beobachten sozialer Felder als Umwelten instrumentalisiert die Erfahrung jedoch in gewisser Weise dahingehend, dass es sie von vornherein auf Daten ›abrichtet‹, die wiederum auf qualitativ-empirisches Wissen in Bezug auf das beforschte Feld abzielen. In diesem Sinn ist soziologisch-ethnografisch orientiertes Beobachten nicht voraussetzungslos, sondern mit gewissen Intentionen, Dispositionen und Ambitionen ausgestattet, die sich an der Erzeugung von Daten oder auch Material ausrichten. Insbesondere in einem Feld, das eigene Erfahrungsweisen hervorbringt, wie etwa die bildende Kunst, stößt ein derartig gerichtetes Beobachten jedoch da an Grenzen, wo die beforschte Praxis andere Sehweisen und Sichtweisen22 erfordert, um sie verstehend in ihrer Eigenlogik zu durchdringen. Diese Grenzen laufen entlang der jeweils spezifischen professionalisierten

22 Mit Sehweisen beziehe ich mich vornehmlich auf die sich zeigenden und darstellenden Praktiken des Sehens, wohingegen Sichtweisen auch Dispositionen und Einsichten beziehungsweise Positionierungen gegenüber dem sich Zeigenden beinhalten, die sich im Vollzug des Sehens entwickeln können und die das sich Zeigende auch in dessen Wie und Was adressieren. Nach Schürmann (2008: 126) beginnen »Sichtweisen […] mit den modalen Qualitäten einer bestimmten Art und Weise zu sehen, welche unter den Einflüssen des sinnlich Gegenwärtigen ebenso wie des Abwesenden das Sehen zu einer plastischen, formiert-formierenden Tätigkeit geraten lassen«.

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Praxen des Wahrnehmens und besonders des Sehens, die hier zum einen ethnografisch-soziologisch und zum anderen künstlerisch präformiert sind, sodass sie jeweils anderes in den Blick geraten lassen können. Eine innerhalb der Ethnografie bekannte Strategie, um diese Grenze zu unterminieren, besteht in einem Übergang der ethnografischen Perspektive vom Beobachten hin zur Involvierung via Teilnahme.23 Das teilnehmende Wahrnehmen als ein empathisches Wahrnehmen vor Ort kann ein soziologisch-ethnografisch induziertes Beobachten situations- und kontextabhängig in den Hintergrund treten lassen, damit der Ethnograf mit seiner leiblichen Anwesenheit zeitweise in die Wahrnehmungspraxis des Feldes eintaucht. Teilnahme qua leiblich verorteter Wahrnehmung eröffnet andere Möglichkeiten der Datenerzeugung. Via Teilnahme kann sich der Anwesende kurzzeitig »ganz der Welt überlassen« (Merleau-Ponty 1974: 265), die seinen Blick gerade verortet, um mit der gemachten Erfahrung zurück zu deren Beobachtung zu kehren, die wiederum zur Ressource für Verschriftlichungen wird. So beobachte ich im Kontext meiner Studie nicht allein künstlerisches Arbeiten als soziales Feld im Sinne einer datenliefernden Umwelt. Vielmehr befinde ich mich auch in Räumen, inmitten von künstlerischen Arbeiten sowie von Anderen, Dingen, Materialien, Bildern, Farben, von denen etwas ausgeht und die etwas mit meinem Wahrnehmen, Sehen, Erfahren in actu machen, anders gesprochen: die meinen Blick geradezu einrollen (Merleau-Ponty 2004: 185, 191). Für den Ethnografen zeichnet sich somit ein Verstehensproblem ab, dem hier mit der partiellen Übernahme der Teilnehmerperspektive und der anschließenden beobachtenden und beschreibenden Differenzierung von dieser durch rückblickende Verschriftlichung der eigenen Teilnahme begegnet wird. Ethnografische Erfahrung, eingebettet in leibliches Wahrnehmen ist per se praktisch verankert und birgt zugleich ein reflexives Potenzial, da sie selbst durchlebt wird. »Was sehen wir hier?«, »Was zeigt sich?«, »Was macht dieses Ding?«, »Was macht das Material?«, »Wie können wir uns dem nähern?« Fragen, wie sie von Künstlern im Zuge ihres Arbeitens gestellt werden, werden zu Fragen aller Anwesenden, einschließlich meiner Anwesenheit. Diese ist vor Ort nicht allein eine beobachtende, sondern kann auch in eine teilnehmende Anwesenheit übergehen, die sich den Arbeiten als solche in ihrem Entstehen zuwendet. Das am künstlerischen Arbeitsprozess teilnehmende Wahrnehmen muss sich in actu nicht simul-

23 In der ethnografischen Forschung gilt der Einbezug der Teilnahme des Forschers als etabliert (siehe hierzu auch Spradley 1980; Atkinson et al. 2001: 126 ff.). Zwei prominente Studien, die diese Möglichkeit auch unter Bezugnahme auf die Phänomenologie Merleau-Pontys ausgelotet haben, sind von Sudnow (1993) und Wacquant (2003) verfasst worden.

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tan auf die Produktion von verwertbaren Daten fokussieren und konzentrieren, sondern darf sich auch zugunsten des Nachvollziehens eines künstlerisch involvierten Sehens aufhalten lassen. Die Teilnahme als ein partielles Eintauchen in die Praxis des Wahrnehmens vor Ort wird erst im Anschluss in schriftliches Datenmaterial verwandelbar. Eine solche dem Feld und seinen Wahrnehmungsweisen zugewandte Teilnahme führt sodann auch nicht dazu, dass der Forscher sich selbst zum Phänomen seiner Forschung macht. Im Fokus steht hier nicht der Appell eines »becoming the phenomenon« (Mehan/Wood 1975, siehe hierzu auch Garfinkel/Wieder 1992), sondern vielmehr die Perspektive eines going through the phenomenon beziehungsweise des Gangs durch ein Phänomen. Im Zuge der Studie wird die ethnografisch-forschende Erfahrung mit den Erfahrungsmomenten künstlerischer Auseinandersetzungen somit zu einer Kooperation aufgefordert. Das Feld künstlerischen Arbeitens wird in dieser Weise nicht nur zu einer beobachtbaren Umwelt, sondern auch zur Welt, es wird nicht nur Gegenstand von Forschung, sondern auch zum Gegenüber, das eigene Zugänge bereithalten kann, von denen ein ausschließlich distanzierter Beobachter ausgeschlossen bleibt.24 Ausgehend von dieser phänomenologischen ethnografischen Zugangsweise erschließen sich im Feld künstlerischen Arbeitens Möglichkeiten dafür, dass Wahrnehmbarkeiten, Wirkweisen, Qualitäten, Überlegungen, Fragen, Referenzen innerhalb der Kunst, ästhetische Potenziale, wie Strukturen, Formen, Farben, Verteilungen und Verhältnisse des sich Zeigenden, auch einer soziologisch verorteten Studie zugänglich werden. Wahrnehmen und hierin eingebettet Sehen verorten sich mit Bezug auf die Phänomenologie Merleau-Pontys in leiblichen Vollzügen, die in ihrer Begegnung mit dem Sichtbaren und NichtSichtbaren, dem Bekannten und Unbekannten auch Unsicherheit, Nichtwissen, Ungewissheit, Zögern und Zweifel einschließen, ohne dass dies zwingend als Krise oder Störung bedeutsam wird. Eine Praxis des Wahrnehmens und Sehens schließt den Bereich des Impliziten sowie des suchenden, fragenden Wahrnehmens und Sehens mitsamt seinen blinden Flecken ein.25

24 Auf die Fiktion eines rein geistig-reflexiven und objektivierenden, gegenstandsbezogenen Beobachtens sowie auf die Absurdität der Vergegenständlichung eines Anderen weist Merleau-Ponty (1974: 413) hin: »In Wahrheit macht weder der Blick des Anderen mich zum Gegenstand, noch auch der meine ihn, es sei denn, daß er wie ich uns zurückziehen in den Grund unseres denkenden Wesens, uns beide verwandeln in dessen unmenschlichen Blick, und jeder in seinem Tun sich nicht aufgenommen und verstanden, sondern beobachtet fühlt wie ein Insekt«. 25 Waldenfels (1999: 127) beschreibt den »blinden Fleck« in Analogie zum Schweigen: »Die Öffnung des Gesichtsfeldes stellt ein Ereignis dar, das uns sehen läßt, ohne

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Bis hierhin halte ich fest: Um die Praxis künstlerischen Arbeitens ethnografisch zu beforschen, operiere ich mit zwei Zugängen beziehungsweise Perspektiven, durch die sich mir die zu beforschende Praxis in ihren Praktiken als materialisierte und beobachtbare Vollzugswirklichkeit sowie in ihrer phänomenalen Dimension zu erkennen gibt. Zum einen nehme ich von meinem Beobachterstandort die Praktiken des Arbeitens der Teilnehmer in den Blick und erzeuge somit eine zu den Teilnehmern »beobachtende Differenz« (Kalthoff 2003). Zum anderen taucht mein Wahrnehmen und Sehen, soweit es mir möglich ist, partiell in die Praxis des Wahrnehmens des Feldes und seiner Teilnehmer mit ein. Mit Bezug auf den bei Merleau-Ponty stark gemachten Zugang zur Welt erfolgt gleichsam dessen empirische beziehungsweise ethnografische Wendung: Der Ethnograf durchquert in seiner leiblichen Anwesenheit sein Feld, in dem er sich zugleich befindet. Aus dem Zur-Welt-Sein wird ein Zum-Feld-Sein. Das im Feld nach Möglichkeiten suchende, leiblich eingebundene Wahrnehmen des Ethnografen wird zu einem Zugang zum Feld, in dem sich sein Blick zugleich befindet. Der Blick begegnet in seinem Verlauf dem sich ihm Zeigenden und, in dessen Gerichtetheit und Selektivität, auch dem sich ihm Verbergenden als solchem, das außerhalb seines Blickfeldes liegt. Wo? Stationen künstlerischen Arbeitens Die Begehung des Feldes durch den Ethnografen speist sich aus Begegnungen, die diesen Gang durch ein Feld anreichern, gestalten, orientieren und ermöglichen. Der im Gang durch ein Feld aufmerksame Blick des Ethnografen ist demnach ein horizontaler, der stets auf etwas zu Erblickendes hofft, der zeitweise suchend umherblickt, der schaut, wie weit er blicken kann, wie ihm mitunter etwas den Blick versperrt und aus welcher Nähe und Distanz er verschiedene Details, Ansichten und Ausschnitte sehen und fokussieren kann. Das dem Blick Entgegenkommende und zugleich sich Verbergende eines Feldes dient, pragmatisch betrachtet, der Eingrenzung des zu Beforschenden durch Lokalisierungen und Fokussierungen. An welchen Stationen kann man sich länger aufhalten? Wo ergeben sich kurzfristige Gelegenheiten für einen Abstecher in Räume und an Orte, die etwas mitzuteilen haben? Ein ethnografisches Feld ist nicht als scharf abgegrenztes Terrain zu verstehen, sondern muss seitens des Ethnografen mit den Teilnehmern erarbeitet und als solches plausibilisiert werden (Breidenstein et al.

selbst sichtbar zu werden. Die Blindheit, von der hier die Rede ist, bedeutet keinen bloßen Mangel, kein bloßes Nichtsehen; sie gleicht vielmehr dem Schweigen, das den Hintergrund der Rede bildet«.

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2013: 45 ff.). Es ist in diesem Sinne kein präexistierendes Territorium, das es zu erobern gilt und dessen Grenzen vorab definiert sind. Vielmehr besteht eine Anforderung an den Ethnografen zunächst darin, einen naheliegenden Ausgangspunkt zu suchen, von dem aus ein Feld begangen werden kann. Erst in dieser Begehung wird das Feld weiter abgesteckt und markiert. Folgt man dem metaphorischen Gehalt des Feld-Begriffs, so wird schnell deutlich, dass eine derartige Feldbegehung beziehungsweise ein Gang durch ein Feld ein Sich-in-das-FeldBegeben seitens des Ethnografen erfordert, was ein ständiges Wechselspiel zwischen Zeigen und Verbergen bedeutet. Der teilnehmend beobachtende Blick des Ethnografen in seinem Feld vermag nicht die Vogelperspektive einzunehmen und das Feld in einer Gesamtheit zu überblicken. In diesem Fall wäre der Ethnograf nicht im Feld, sondern er würde über diesem stehen und von oben auf es herabsehen. Eine derartige Perspektive scheint der ethnografischen Forschung fremd. So gilt es, dem Wissen und Wahrnehmen der Teilnehmer keineswegs hierarchisierend zu begegnen. Anders als der Laborwissenschaftler überblickt und untersucht der Ethnograf keine Kulturen oder Populationen. Wohl aber begibt er sich in Kontakt mit Dingen, Orten und Anderen, die ihm als Insider Einblicke in ihre Tätigkeiten gewähren – oder auch verweigern. Der Ethnograf durchquert ein Feld, sodass sein Blick stets unterschiedliche Positionen und Perspektiven einnehmen kann, indem sich dieser auf Ausschnitte und Details, Ansichten und Panoramen im Verlauf der Begehung richtet. Das Sehen eines ethnografischen Blicks versteht sich demnach als ein an Perspektiven gebundenes Sehen, dessen »[…] Sicht stets eine begrenzte ist, […] stets umgeben ist von einem Horizont nicht gesehener, ja überhaupt nicht sichtbarer Dinge« (Merleau-Ponty 1974: 254). Wird der Blick während der Begehung in eine andere Richtung gelenkt, bietet sich eine andere Perspektive auf eine andere Stelle des Feldes. Der Blick des Ethnografen richtet sich auf andere Details oder Nuancen und verliert mit seiner Fokussierung auf etwas Bestimmtes das aus den Augen, was sich in seinem Rücken oder in einem weiteren Umfeld befindet. Der ethnografische Blick ist, wie jeder Blick innerhalb praktischer Sehvollzüge, ein selektiver. Ein, metaphorisch betrachtet, begehbares Feld, in dem sich der Ethnograf bewegt, endet somit lediglich an den Horizonten, die sich im Weitergehen mitverschieben und mitwandern. So bleibt eine ethnografische Feldforschung stets unabgeschlossen und kontingent. »Die Herstellung des Feldes« (Breidenstein et al. 2013: 45) künstlerischen Arbeitens ist im Rahmen der Studie durch die Begehung verschiedener Stationen organisiert. In dieser Weise geht die Studie stark von der Frage aus: Wo lokalisiert sich künstlerisches Arbeiten in der Regel und wo wird es gelernt? So geht die Studie nicht von der Auswahl einzelner Künstler durch mich als Ethnografin

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aus, sondern die Auswahl der Teilnehmer wird vielmehr den selektiven Mechanismen des Felds selbst überlassen: Kuratoren laden Künstler zu Ausstellungen ein, Jurys berufen Künstler für Stipendien und Kunstprofessoren entscheiden über die Vergabe künstlerischer Studienplätze. In dieser Weise hat die Studie an folgenden Stationen, Orten und Kontexten ihr Feld gefunden: 1) Kunstakademien und Kunsthochschulen – Eine erste Station meiner ethnografischen Studie bilden die Ateliers an einer Kunstakademie und zwei Kunsthochschulen. Regelmäßig über ein Jahr besuchte ich zunächst eine und nach einem halben Jahr zwei Klassen einer Kunstakademie und einer Kunsthochschule und nahm an den Besprechungen und Kolloquien (beobachtend) teil, die dort während des Semesters in wöchentlichen Abständen in den studentischen Ateliers unter Anwesenheit des der Klasse vorstehenden Professors initiiert wurden. Auch beobachtete ich Studierende während des Arbeitens in den hochschulinternen Ateliers und Werkstätten, initiierte Interviews und Konversationen mit Professoren und führte zahlreiche informelle Gespräche mit Professoren sowie auch Studierenden. 2) Ateliers – Eine für die Studie relevante Station besteht in zwei insgesamt dreiwöchigen Aufenthalten in einer Künstlervilla in Italien, in deren Namen Arbeitsstipendien an Künstler vergeben werden. Die ausgezeichneten Künstler ziehen für zehn Monate in die dortigen Räumlichkeiten ein und bekommen sowohl eine Wohnung als auch ein Atelier zugeteilt. Gespräche mit den Künstlern vor Ort sowie Besuche und Aufenthalte in den dortigen Ateliers haben Einblicke in das Arbeiten und dessen Organisation im Rahmen einer geförderten Atelierresidenz gewährt. Ergänzt wird der Einblick in das Arbeiten im Atelier durch den Besuch von jeweils privat gemieteten Einzelateliers eines Künstlers und einer Künstlerin, die ich im Zuge meiner Feldforschung kennengelernt habe. 3) Arbeiten im Kontext von Ausstellungen im Aufbau – Ein Ausstellungsprojekt in einem großstädtischen Kunstverein umfasst eine weitere Station der Studie, aus der heraus eine Fallstudie zum Arbeiten zweier Künstler entstanden ist, die verteilt in den Unterkapiteln des zweiten Teils im Kapitel Profession aufgearbeitet wird. In diesem Rahmen konnte ich die Arbeiten von ihren Entwicklungen über ihr ›Fertigwerden‹ bis hin zu ihrer Ausstellung in einem Zeitraum von mehreren Monaten begleiten. Gespräche über die Vorbereitungen der dort entstehenden Arbeiten, Einblicke in vorangehende Skizzenbücher und digitale Bildarchive, nachträgliche Gespräche über den weiteren Umgang mit den Arbeiten, schriftliche Kommunikation via E-Mail und soziale Netzwerke ergänzen die teilnehmenden Beobachtungen vor Ort und weisen über die Situation des Arbeitens in dem Ausstellungsraum hinaus. Auch ist ein fotografischer Essay aus der Zusammenarbeit mit einem der Künstler hervorgegangen, der den Blick darauf richtet, was eigentlich nach dem Abbau von Ausstellungen mit den Dingen und Materialien weiter

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erarbeitet werden kann. Zudem konnte ich im Rahmen einer weiteren Ausstellung in Vorbereitung anwesend sein, in der ein Künstler mit der Sammlung eines Museums gearbeitet hat. 4) Besuch von Ausstellungen – Weitere Stationen bestehen in dem Besuch dreier internationaler Kunstausstellungen, der Documenta 13 in Kassel, der Biennale di Venezia 2013 und der Biennale di Venezia 2015. Hier ergaben sich Möglichkeiten, mit Künstlern zusammen die Ausstellungen zu begehen, sodass Künstler in diesem Setting insbesondere als Betrachter und Kommentatoren künstlerischen Zeitgeschehens auftreten und in den Blick geraten. Zahlreiche weitere Ausstellungs- und Atelierbesuche ergänzen diese vier offiziell ausgewiesenen Stationen.

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Wie der Begriff des Arbeitens im Kontext der Studie verwendet wird, soll im Folgenden näher bestimmt werden. Künstler sprechen im Hinblick auf ihre Tätigkeiten oftmals vom Arbeiten, wenn sie beschreiben, was sie tun und machen. Auch das, was aus diesem Arbeiten hervorgeht, wird von Künstlern nicht selten mit dem Begriff der ›Arbeit‹ bezeichnet. Der Begriff der Arbeit trifft in der bildenden Kunst auf Etablierung und Geläufigkeit (Enqvist et al. 2012; Brogi et al. 2013). Eine ›Arbeit‹ verweist zunächst auf die Tätigkeit, aus der sie hervorgegangen ist, das heißt: aus dem Arbeiten. Sie schließt demnach immer auch ihre Gemachtheit und Artifizialität mit ein. Eine künstlerische ›Arbeit‹ – sei sie Malerei, Installation, Fotografie, Plastik, Skulptur oder Performance – bedarf zuvor ihrer Erarbeitung. Mit dem Begriff der Arbeit wird das Hervorbringen dem Hervorgebrachten eingeschrieben. Der Arbeitsbegriff birgt eine Profanierung gegenüber einem den ästhetischen Theorien und Kunstphilosophien bedeutsamen Werkbegriff und schafft Distanz zu intellektualistischen und idealistischen Konzepten von Kunst. So scheint doch gerade der Begriff der Arbeit ein Begriff des alltäglichen Common Sense zu sein.26 Die Orientierung an diesem dem Feld der Kunst entlehnten Begriff hat von vornherein Konsequenzen für die Ausrichtung und Positionierung der ethnografischen Darstellung des Künstlerischen: Durch den profanierenden Akzent des Arbeitsbegriffs wird eine Trennung zwischen Kunst und Alltag unzulässig. So legt der Begriff der Arbeit den Fokus gerade auf künstlerisches Arbeiten in seinen alltäglichen Vollzügen. Künstlerisches Arbei-

26 Nach Reckwitz (2012: 90 ff.) geht mit dieser Profanierung ein »Veralltäglichen« des Künstlerischen im zwanzigsten Jahrhundert einher, indem es verstärkt als Arbeit thematisch wird.

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ten macht sich aus dieser Sicht als soziale Praxis zugänglich. Ein alltägliches Arbeiten verschließt sich einem einzigartigen genialen Schöpfen. Künstlerisches Arbeiten wird beschreibbar als ein Arbeiten an ›Arbeiten‹.27 Zum Begriff der Arbeit haben sich verschiedene Positionen in Philosophie, Soziologie und Kunst über die Zeit hinweg geäußert, von denen ich hier nur wenige zu Wort kommen lassen kann. Nach Engels (1962 [um 1896]: 444) ist Arbeit gar die »erste Grundbedingung menschlichen Lebens« und wird zur anthropologischen Konstante. Die Soziologie attestiert der Arbeit mitunter eine »notorische Unbestimmtheit« (Voß 2010: 23). Arbeit wird in permanentem Wandel verortet und zwischen gesellschaftlicher Notwendigkeit und Identitätsstiftung des Einzelnen verhandelt. In ihren praktischen und lokal verankerten Hervorbringungen ist Arbeit von den Ethnomethodological Studies of Work (Garfinkel 1986) in den Blick genommen worden, die sich auch den situativen Vollzügen von Arbeit zuwenden. Arbeit erscheint in dieser Pluralität zunächst unspezifisch und allgemein, wobei künstlerisches Arbeiten neben seiner Alltäglichkeit auch spezifische Qualitäten bereithält. So spricht Marx (1974 [1857-1858]: 505) in Bezug auf künstlerisches Arbeiten etwa von einem »freien Arbeiten«, das »[…] zugleich verdammtester Ernst, intensivste Anstrengung« bedeutet. Das heißt, künstlerisches Arbeiten ist keineswegs Müßiggang, Erholung oder Ablenkung. Es fordert in hohem Maße Konzentration, Disziplin und Durchhaltevermögen, zugleich ist es nicht reduzierbar auf das Ausführen »dressierter« (Marx 1974 [1857-1858]: 505) Tätigkeiten. Aus ökonomischer Sicht stellt sich künstlerisches Arbeiten oftmals als prekär dar (Larsen 2012: 18; Pasero 2013; Maroja /Menezes/Poltronieri 2014). Nicht selten werden Künstler gar nicht oder nur unzureichend für ihre Arbeit bezahlt. Nur ein geringer Teil der Künstler kann den Unterhalt allein durch das Verkaufen von künstlerischen Arbeiten und Werken bestreiten. Mit den Zuständen und Bedingungen von Arbeit setzen sich auch Künstler auseinander, indem sie auf unterschiedliche Weise Arbeit sichtbar oder unsichtbar machen. Auch hierzu einige wenige Beispiele: So zeigen die Portraits von August Sander (1990) etwa nicht zuletzt durch Arbeit verschieden habitualisierte und typisierte Portraitierte. Der Filmemacher Harun Farocki widmet sich dem Thema der Arbeit nicht nur in seinem bekannten Film Arbeiter verlassen die Fabrik aus dem Jahr 1995, auch in still life (1997) lässt sich seine Auseinandersetzung mit der Thematik Arbeit nachzeichnen (Sigler 2014). Ein prominen-

27 Auf die Alltäglichkeit des Arbeitens verweist Merleau-Ponty in seinen Auseinandersetzungen mit dem Malen und der Malerei, indem er das Malen aus Sicht des Malers in dessen alltäglichen Routinen, Auseinandersetzungen, Orientierungen und Fragen beschreibt (Merleau-Ponty 1993: 82 ff., 93, 95; 2003b: 138).

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ter Ort, der gleichsam zum Mythos künstlerischen Arbeitens und Schaffens wurde, ist die Factory von Andy Warhol, die eine Alternative zum Atelier und seinen Konventionen profilierte. Im Kontext der Studie werde ich mich weniger auf philosophische, ökonomische, sozialstrukturelle, arbeitssoziologische oder künstlerische Modelle und Konzepte von Arbeit stützen. Vielmehr wird an dieser Stelle eine Heuristik des Arbeitens entwickelt, die von unterschiedlichen Weisen beziehungsweise Logiken des Arbeitens ausgeht. So differenziere ich Arbeiten in ein Verarbeiten, ein Bearbeiten und ein Erarbeiten, um verschiedene Ansprüche und Qualitäten von Arbeit zu konturieren, die allesamt auch im Prozess künstlerischen Arbeitens auftreten. Zunächst einige Ausführungen zum Verarbeiten: Das Verarbeiten von etwas ist gekennzeichnet durch eine Transformation von X zu Y, wobei X und Y innerhalb des verarbeitenden Modus vorab bestimmt und bekannt sind. X wird zu einem Mittel, um Y zu produzieren. Y ist somit das Produkt aus X. Das Verarbeiten als Produktion von Y aus X ist teleologisch angelegt und geht von einem starken und zielgerichteten Um-zu-Motiv aus. Es beschreibt ein exekutives Arbeiten, das auf ein Ausführen, Ausüben, Durchführen und Umsetzen von Verarbeitungsschritten ausgerichtet ist, die von Vorgaben und Aufgaben, Techniken, Methoden und Verfahren ausgehen. Aus einem bestimmten X (beispielsweise Holz) wird ein vorab bestimmtes Y (beispielsweise ein Stuhl). In dieser Weise kann dem Verarbeiten eine Ausrichtung auf Funktionalität und weitergehend auf Effektivität zugesprochen werden. Verarbeitungen eignen sich zur Massen- und Hochgeschwindigkeitsproduktionen, da sie das Potenzial beinhalten, ihre Produktivität mit der Zeit mittels stabilisierter und wiederkehrender Abläufe und Routinen zu optimieren. Sie entwickeln Standardisierungen im Umgang mit Bekanntem und etablieren Funktionalismen, sodass Abweichungen und Unvorhersehbarkeiten in Verarbeitungsprozessen oftmals als Störungen auftreten. Das Verarbeiten begründet folglich ein ergebnisorientiertes Arbeiten. Operiert wird mit feststehenden Informationen bezüglich des Wie, Was und Woraus des Verarbeiteten. Das Verarbeiten ist von einem Bescheidwissen oder auch Um-zuWissen und einer Zielsetzung darüber gekennzeichnet, was wie woraus und oftmals auch wann produziert wird und werden soll. Zum Bearbeiten: Das Bearbeiten geht von einem bestimmten X aus (beispielsweise ein digitales Bild oder ein Text), wobei nicht eindeutig bestimmt sein muss, wie Y (beispielsweise ein weiter bearbeitetes Bild oder ein Text) sein wird. X ist das zuvor Bekannte, aus dem Y im Verlauf der Bearbeitung von X hervorgeht. Das Bearbeiten von X muss nicht durch ein voraussetzungsvolles Um-zu motiviert sein, da nicht zwingend auf eine in ihrem Wie und Was zuvor festgelegte Zielvorgabe hingearbeitet werden muss. In Bearbeitungsprozessen

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kann Y eine unbekannte Variable sein, die sich erst im Verlauf der Bearbeitung von X zu erkennen gibt und bestimmbarer wird. Das Bearbeiten lässt ein ergebnisoffeneres Arbeiten zu als das Verarbeiten. Etwas wird bearbeitet, ohne dass zuvor bestimmt oder festgelegt sein muss, wie welches Y aus der Bearbeitung hervorgeht, sodass das Bearbeiten befragende und reflexive Züge annehmen kann. Es ist in dieser Hinsicht weniger produktorientiert, sondern prozessorientiert und fordert eine stärkere Berücksichtigung des arbeitenden Vollzugs. Die Bearbeitung von etwas birgt in ihrem Vollzug verschiedene Möglichkeiten und Variationen bezüglich ihres Ergebnisses. So ist das Bearbeiten weniger im Exekutiven und Hochproduktiven anzusiedeln. Zeit wird beim Bearbeiten nicht allein in Bezug auf Effektivitäts- und Produktivitätssteigerung relevant, sondern kann einen verstärkt qualitativen Wert erhalten, der sich an der Qualität von Y orientiert. Das Bearbeiten impliziert ein Wissen darum, Woraus das Bearbeitete hervorgeht. Es bedarf jedoch im Vorfeld nicht zwingend eines Wissens um das Wie und Was seines Resultats sowie einer festgelegten Definition all seiner Qualitäten. Zum Erarbeiten: Eine Steigerung der Offenheit des Arbeitens findet sich im Erarbeiten. Die Besonderheit des Erarbeitens liegt diametral zum Verarbeiten darin, dass sowohl X als auch Y unbekannt und unbestimmt sind. Das Erarbeiten profiliert sich als Erarbeitung eines zuvor unbestimmten X zu einem zuvor unbestimmten Y. In der Befragung von X und Y wird der Arbeitsprozess in seinen gesamten Bestandteilen befragbar. Das Spezielle des Erarbeitens begründet sich darin, dass es weniger auf erprobte und stabile Methoden oder standardisierte Verfahren zurückgreift. Das Erarbeiten von etwas ist per se fragend und suchend. Es impliziert auch Fragilität im Hinblick auf sein Vorgehen. Nicht nur ein Fragen nach dem Was und Wie der Hervorbringung, sondern auch nach dem Was und Wie des Hervorbringens werden in Erarbeitungsprozessen relevant. Sowohl das Woraus als auch das Wohin werden in den Arbeitsprozess verlagert, sodass sich im Vollzug des Arbeitens etwas entwickeln kann, das zuvor nicht bestimmt und bekannt sein beziehungsweise nicht vorausgesetzt werden muss. Das Erarbeiten wird in dieser Weise als komplexes Zusammenspiel verschiedener Teilnehmer relevant und wird nicht zwingend durch eine Instanz allein kontrolliert, programmiert, vorweggenommen und bestimmt. Auch wird es in seinem Vorgehen nicht durch Aufgaben oder Vorgaben initiiert, an denen es sich orientiert, sondern durch Fragen und Suchen, um wiederum andere Fragen und weiteres Suchen zu generieren. Unbestimmtheit wird während des Erarbeitens nicht allein als zu lösendes Problem, als Störung oder Krise relevant, sondern wird auch zu einer konstitutiven und konstruktiven Ressource für einen Frage- und Suchprozess. Etwas zu erarbeiten heißt nicht zuletzt immer am Arbeiten in sei-

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nem Vorgehen selbst zu arbeiten und somit ein reflexives Verhältnis zum Arbeiten in seiner Prozessualität zu etablieren. Dies stellt die Anforderung an den Erarbeitenden, nach dem zu Suchenden zu suchen sowie nach dem zu Fragenden zu fragen, von dem der Arbeitsprozess ausgehen, anfangen und weitermachen kann. Fragen und Kriterien der Qualität des Erarbeiteten sind ebenfalls zu erarbeiten. Erarbeitetes lässt sich nicht unmittelbar an vorgefertigten Standards abgleichen oder an vorab bestimmten Zielvorgaben messen, da es sich in seinem Umgang mit Unbekannten und Unbestimmtheiten nicht an diesen orientiert. Ein derartiges frageorientiertes Arbeiten kann sich Standards, Rezeptwissen und Methodendogmen entledigen und eigene Vollzüge entwickeln und erfinden. Es begründet sich immer auch in einem Probieren, Experimentieren, Machen und Versuchen. Es beschreibt in dieser Weise einen Komplex, der auf Kontingenz und Möglichkeiten, Unsicherheiten und Offenheit aufbaut und in den das Risiko des Scheiterns von vorn herein einbezogen wird. Im Gegensatz zum produktivitätsorientierten und quantitativ interessierten Verarbeiten kennzeichnet ein Erarbeiten ein qualitativ langwieriges und intensives, auch zeitintensives Unterfangen, da es nicht nur über das Potenzial der Befragung, sondern auch über das der Hinterfragung verfügt und sich seiner selbst nicht gewiss sein kann. Zeit verlagert sich in den Arbeitsvollzug selbst und kann sogar in gewisser Weise tautologische Züge annehmen im Sinne eines ›Es dauert so lange, wie es dauert‹ – pragmatisch betrachtet, vollzieht sich das Erarbeiten von etwas so lange, wie der Prozess des Suchens und Fragens aufrechterhalten wird. In künstlerischen Arbeitsprozessen spielen alle drei Arbeitsweisen zusammen. Sie können sich überlagern und auf verschiedene Zuständigkeiten verteilen. Verarbeitungen werden von Künstlern mitunter an industrielle Verfahren (Rübel 2010), Handwerker (Becker 2008 [1982]: 272 ff.) und professionelle Dienstleister delegiert – oder aber auch selbst ausgeführt, so dies technisch und ausgehend vom Aufwand realisierbar ist. Bearbeitungen findet man in künstlerischen Prozessen beispielsweise im Umgang mit Materialien oder Bildentwürfen, wie etwa Fotografien, die mit entsprechenden Techniken und Verfahren bearbeitet werden. Die konzeptionelle Ebene künstlerischer Arbeit, die mit einem Fragen und Betrachten, Entwerfen und Planen der entstehenden Arbeiten einhergeht, verortet sich ausgehend von dieser Heuristik des Arbeitens im Erarbeiten. Wie diese Übergänge und Arbeitsteilungen sich praktisch vollziehen können, wird im Verlauf der Studie sichtbar. So dient diese Heuristik zunächst als orientierender Rahmen dahingehend, wie Arbeiten im Folgenden betrachtet wird.

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F ÜR

EINE QUALITATIVE

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Vor dem Hintergrund der bisherigen Überlegungen unterbreitet diese ethnografische Studie zum künstlerischen Arbeiten einen Vorschlag, der sich für eine qualitative Kunstforschung ausspricht, das heißt: Mit den Methoden der qualitativen Sozialforschung wird sich künstlerischem Arbeiten in seinen praktischen Vollzügen nicht nur beschreibend, sondern zudem analytisch genähert. Im Folgenden werde ich kurz skizzieren, welche Argumente für eine derartig qualitative Kunstforschung sprechen, wo sich diese im Verhältnis zu kunstwissenschaftlichen beziehungsweise kunsthistorischen sowie künstlerischen Forschungen positioniert, wie sie mitunter an die Kunstsoziologie anschließt und welche Methoden hierbei zum Einsatz kommen. Schon in der Formulierung der Frage nach der Entstehung von Kunst zeichnen sich verschiedene Perspektiven ab, die Kunst in ihrer Vergegenständlichung unterschiedlich auffassen. Fragt man nach der Genese und Bedeutung von Kunstwerken, begibt man sich auf ein Terrain, das insbesondere Vertreter der Kunstwissenschaft und Kunstgeschichte als Experten ausweist, die das Werkhafte im Ästhetischen und Historischen verorten. Ausgehend von künstlerischen Arbeiten und Werken beziehungsweise ›Originalen‹ werden unter Einbezug verschiedener Quellen künstlerische Werkprozesse erschlossen und historisch eingeordnet. Insbesondere in der Kunstgeschichte stehen demzufolge nach wie vor die Werke einzelner Künstler im Fokus der Forschung, an und mit denen Kunstgeschichtsschreibung vorangetrieben wird.28 In den vergangenen Jahren sind zudem Ansätze erstarkt, die das Künstlerische selbst als Forschung auffassen und deren Vertreter sich für ein Verständnis von Kunst als artistic research aussprechen (Bippus 2009; Peters 2013; Scheller 2014; Badura et al. 2015). Künstlerisches Arbeiten wird diesen Ansätzen zufolge als forschender Prozess aufgefasst, der Erkenntnis generiert und Wissen produziert. Fragen, die aus dieser Sicht in den Mittelpunkt gerückt werden, betreffen künstlerische Strategien und Produktionspraktiken. Welchen Ansatz kann eine qualitative Kunstforschung verfolgen, die – wie hier vorgeschlagen – von einem soziologischethnografischen Selbstverständnis ausgeht? Wie bereits beschrieben, rückt ein derartiger Ansatz zunächst einmal die Praxis künstlerischen Arbeitens in den Mittelpunkt der Forschung, ohne diesem Arbeiten und seinen Qualitäten mit starken und voraussetzungsvollen Annahmen zu begegnen. Der Ausgang dieser qualitativ forschenden Perspektive liegt demnach nicht darin, Kunst und Wissen-

28 Eine Einführung in die Kunstgeschichte und ihre Methoden findet sich bei Belting et al. 2008 sowie Brassat/Kohle 2003; eine Übersicht über verschiedene kunsthistorische Ansätze bietet Pfisterer 2007, 2008.

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schaft hinsichtlich ihrer Analogien und Differenzen zu beforschen (Mersch 2007; Parzinger/Aue/Stock 2014).29 Vielmehr geht es zunächst einmal darum, den Teilnehmern zu begegnen und im Sinne Goffmans (1986a: 8) zu fragen: »What is it that’s going on here?« Mit der Flexibilität einer multi-sitedethnography (Marcus 1995) wird der Ethnograf aufgefordert potenziell Menschen, Dingen, Orten, Metaphern, Biographien oder auch Konflikten in seinem Feld zu folgen, um eine vielschichtige Feldforschung zu betreiben und auch multiperspektivische Ansichten in Bezug auf ein Feld herzustellen beziehungsweise zur Kenntnis zu nehmen. In diesem Sinn folge ich als Ethnografin Künstlern, Ateliers, Ausstellungsorten und künstlerischen ›Arbeiten‹ in ihrem Entstehungsprozess. Indem ich nach künstlerischem Arbeiten und künstlerischen ›Arbeiten‹ frage, befinde ich mich mitten in einer Praxis, die macht, tut, handelt, sucht, forscht und die eine permanente Umtriebigkeit beziehungsweise ein fortwährendes Arbeiten an etwas erfordert. Aus dieser Perspektive gehen künstlerische ›Arbeiten‹ und Werke aus einem Arbeiten hervor, das seinem Vollzug nicht zwingend herzustellende Produkte oder vorab erdachte Kunstwerke voranstellt. Das Arbeiten in seinen praktischen Vollzügen sowie die sich mit der Zeit mehr und mehr zeigende künstlerische ›Arbeit‹ gerät in den Blick, das heißt: Die Perspektive einer derartigen qualitativen Kunstforschung schließt demnach nicht vom fertigen Werk auf dessen Hervorbringung. Sie geht aber auch nicht vom Künstler als dominierender Forscherinstanz aus. Der ethnografische Standpunkt ist in dieser Weise ein der Praxis der Teilnehmer folgender, der aber auch interpretative und analytische Differenzen zu den Sichtweisen der Teilnehmer herstellt und anbietet. Insbesondere die Soziologie mit ihren qualitativen Methoden, methodologischen Vermittlungen und ihrer theoretischen Versiertheit diszipliniert eine derartig qualitative Beforschung künstlerischer Praxis. Anschlüsse an die Kunstsoziologie Verschiedene Positionen innerhalb der Soziologie haben sich mit Kunst in unterschiedlicher Weise auseinandergesetzt und die Relationen zwischen Kunst und

29 Bei Gegenüberstellungen von Wissenschaft und Kunst wird Wissenschaft oftmals in ihrem Vorgehen auf das Befolgen strenger Prinzipien und präziser Methoden reduziert, wohingegen Kunst meist im Experimentellen und Offenen verortet wird. Eine solche Gegenüberstellung bringt in vielerlei Hinsicht Probleme mit sich, da sie die Komplexität und Diversität sowohl wissenschaftstheoretischer Ausgangspositionen und deren methodischer Konsequenzen als auch die Varianz künstlerischer Strategien unsichtbar werden lässt.

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Gesellschaft zum Gegenstand ihrer Forschungen gemacht. Eine ethnografische Studie zum künstlerischen Arbeiten lehnt sich weniger an gesellschaftstheoretische und universelle Konzepte an, wobei sie dennoch kunstsoziologische Ansätze zur Kenntnis nimmt, die Kunst in ihrer Sozialität plausibilisieren und sichtbar machen. Auch lässt sich seit längerer Zeit eine Entwicklung innerhalb kunstsoziologischer Forschungen beobachten, die eine Hinwendung zur Kunst in ihrer praktischen Dimension markiert. Das Feld der bildenden Kunst ist ein weites. Um sie bemühen sich verschiedene Institutionen, Akteure, Experten und Wissenschaften. Kunst – so eine gängige Annahme – zirkuliert in einem Komplex zwischen Produktion, Distribution, Rezeption und Konsumption. Diese Eckpfeiler begründen ein Kunstsystem, das sich um den Aspekt der Sozialisation mit Einbezug der Kunsthochschulen und Kunstakademien erweitern lässt (Müller-Jentsch 2011: 27). Insbesondere die Soziologie hat diesen Komplex sichtbar gemacht, indem sie aus der Distanz verschiedene Mitspieler und ihre Beziehungen unter- und zueinander in den Blick genommen hat. In ihrer beobachtenden Position befindet sich die Soziologie weniger im Zentrum, sondern vielmehr im off des Kunst-Komplexes. Dennoch blickt sie auf eine lange Auseinandersetzung mit Kunst zurück – hierzu ein knapper und ausschnitthaft verfasster Einblick: Bereits Ende des neunzehnten und zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts lassen sich soziologische Auseinandersetzungen mit Kunst bei Guyau (1887), Simmel (1916) sowie in den musiksoziologischen Studien von Weber (1972 [1921]) finden. Prominente kritischästhetische Auseinandersetzungen mit Kunst und ihrer Rezeption finden sich bei Benjamin (1977 [1935]), Adorno (1970) und schließlich Hauser (1974). Als Vertreter einer sich von der kritischen Theorie abgrenzenden Kunstsoziologie im deutschsprachigen Raum gilt Silbermann (1973), der sich um eine positivistischempirisch argumentierende Kunstsoziologie bemüht hat. Seit den sechziger und siebziger Jahren speisen sich kunstsoziologische Diskurse aus einer Vielzahl verschiedener Publikationen über Kunst (siehe beispielsweise Thurn 1973; Wick/Wick-Kmoch 1979; Bürger 1978; Kapner 1987; Gerhards 1997). Beckers Art Worlds (2008 [1982]) und sein Verständnis von Kunst als kollektives Handeln sowie die Kunstsoziologie Zolbergs (1990) forcieren die soziologische Auseinandersetzung mit Kunst aus dem englischsprachigen Raum heraus; in Frankreich finden soziologische Auseinandersetzungen mit Kunst ihre Vertreter unter anderem in Duvignaud (1967), Boltanski (mit Bourdieu et al. 1983), Bourdieu (1997), Heinich (2004) sowie Hennion (1993, mit Latour 2013), der in seiner Musik- und Kunstsoziologie mit den Ansätzen der ANT arbeitet. Mit der Feldtheorie Bourdieus (2001a) und der Systemtheorie Luhmanns (1997a) hat Kunst auf unterschiedliche Weise zu gesellschaftstheoretischen Verortungen ge-

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funden. Treten mit der Soziologie Bourdieus besonders die sozialen Ungleichheiten und hierarchischen Positionierungen der Akteure innerhalb eines Kunstfeldes hervor, wird Kunst mit der Systemtheorie Luhmanns als ein geschlossenes System beschreibbar, das auf der Grundlage Kunst/Nichtkunst Kommunikationen produziert. Aktuell wird der Kunstsoziologie sowie auch der Kunst innerhalb der deutschsprachigen Soziologie wieder eine verstärkte Aufmerksamkeit zuteil, was zahlreiche Publikationen der letzten Jahre bezeugen (beispielweise Hieber/Moebius/Rehberg 2005; Zahner 2006; Danko 2011; Munder/Wuggenig 2012; Moser 2013; Steuerwald/Schröder 2013; Danko/Moeschler/Schumacher 2015; Steuerwald 2016; Karstein/Zahner 2017). Bereits an dieser kleinen und selbstverständlich unvollständigen Auswahl an Positionen deutet sich an, wie unterschiedlich Kunst sich ›soziologisieren‹ lässt, indem sie funktionalisiert, ästhetisiert, systematisiert, strukturiert, interpretiert und kollektiviert wird. Ein gemeinsames Postulat soziologischer Positionen mag, vereinfacht gesagt, lauten: Kunst ist sozial! Sie grenzt sich nicht ab von der sozialen Welt, sondern lässt sich einfügen in soziologische Konzepte und Perspektiven. Nach diesen integriert sich Kunst in die soziale Welt und Wirklichkeit und wirkt auf diese in ihren sozialen und soziologischen Konzipierungen zurück. Woran kann eine qualitative Kunstforschung anschließen? Kunstsoziologische Forschungen haben sich unter anderem auch den Produktionsbedingungen sowie praktischen Dimensionen von Kunst zugewandt. Für den Bereich der künstlerischen Produktion schließen beispielswiese Fragen an, wie »wer sind Künstler und wie arbeiten sie?« (Danko 2012: 17). Howard S. Becker (2008 [1982]) mit seiner Studie zum künstlerischen Handeln sowie David Sudnow (1993) mit seinem phänomenologischen Zugang zum Lernen von Improvisationen am Jazz Piano haben gezeigt, dass eine Involvierung in künstlerische Praxis auch für kunstsoziologische Fragen Zugänge bereithalten kann. Im Zuge seiner fieldwork activities entwickelt Becker mit Einbezug seiner Erfahrungen als Pianist und seiner Nähe zum symbolischen Interaktionismus eine Beschreibung des Kunstbetriebs als kollektives Handeln. Bezugnehmend auf den symbolischen Interaktionismus zeigt Becker, wie Künstler im Zuge der Herstellung ihrer Werke mit Personal kooperieren, welche Rolle die Verfügbarkeit von Material spielt, wie die Distribution von Kunst organisiert wird und wie Konventionen die Kunstwelt stabilisieren. Kunstwelten werden im Zuge dieser Betrachtung als Arbeitswelten profaniert und in Sozialwelten überführt. In diesem Sinne sieht Becker (2008 [1982]) seine Studie darin motiviert, den Kunstbetrieb und seine Organisation alternativ zu philosophisch-ästhetischen Emporhebungen von Kunst sowie alternativ zur quantitativen Empirie als sozial Handelnde in den Blick zu nehmen. Dies schließt eine Perspektive auf Kunst als alltägliche Arbeitswelt

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ein.30 Mit einem eigenleiblich verankerten und körperlich-praktischen Zugang untersucht Sudnow in seiner Studie Ways of the Hand, wie seine Hände das Improvisieren am Klavier lernen.31 Unter anderem vor dem Hintergrund dieser Studien hat die Kunstsoziologie begonnen, nach künstlerischen beziehungsweise nach epistemischen Praktiken und praktischem Wissen der Kunst zu fragen. So rücken in jüngerer Zeit weniger ›Kunstproduktionen‹, sondern vielmehr »künstlerische Praktiken« (Zembylas 2014a) in ihren impliziten Wissensbeständen (Zembylas 2014b: 117 ff.) in den Fokus kunstsoziologischer Forschungen. Halten wir fest: Eine ethnografisch angelegte qualitative Forschung zum künstlerischen Arbeiten kann demnach an die profanierende Perspektive Beckers auf Kunst anschließen. Einen weiteren Impuls bietet die Studie von Sudnow, die zur Möglichkeit einer (partiellen) Involvierung des Ethnografen inspiriert. Auch findet sich eine Verbindung zu den Diskursen zu künstlerischen Praktiken. In welchen Fragen kann eine ethnografische Studie wiederum kunstsoziologische Annahmen informieren? Indem sich eine ethnografische Forschung in den Komplex der Kunstwelt, des Kunstsystems oder auch des Kunstfeldes begibt, zoomt sie gleichsam näher an die Praxis und ihre Teilnehmer heran – hier näher an die Praxis künstlerischen Arbeitens im Feld der bildenden Kunst. Dieses Zoomen macht eine kleinteiligere Komplexität künstlerischer Praxis sichtbar, die schematisierte Annahmen über Kunst und ihre Hervorbringungen irritieren kann. So wird etwa deutlich, dass die modellhafte und konventionelle Unterscheidung zwischen Produktion und Rezeption im Feld der bildenden Kunst wenig Aufschluss darüber gibt, wie Kunst in situ eigentlich hervorgebracht wird. Innerhalb von Kunstsystemen und Kunstfeldern wird in der Regel zwischen Produktion und Rezeption von Kunst differenziert. Auf der einen Seite befinden sich produzierende Künstler und auf der anderen Seite ein rezipierendes Publikum, wobei das Kunstwerk zwischen beiden Instanzen seinen Platz einnimmt. Kunst ist in dieser Trias Künstler-Kunstwerk-Publikum »[…] nicht nur Produkt, sondern zugleich Spiegel der Gesellschaft« (Müller-Jentsch 2011: 15). Hiernach befinden sich Produktion und Rezeption in einem fortwährenden kommunikativen Austausch und bedingen einander. Insbesondere Bourdieu (1997, 2001a) hat den Produzenten und auch den Rezipienten von Kunst sozialstrukturelle Relevanzen eingeschrieben, die sowohl Künstler als auch das kunstrezipierende Publikum

30 Der Soziologie Beckers wird in jüngerer Zeit in der deutschsprachigen Soziologie verstärkt Aufmerksamkeit zuteil, siehe hierzu weitergehend Danko 2015. 31 Sudnow bezieht sich in seinem phänomenologischen Zugang explizit auf die Leibphänomenologie Merleau-Pontys, die für ihn einen konzeptionellen sowie einen gleichsam methodischen Zugang anbietet.

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vom Connaisseur bis zum Laien entsprechend ihrer sozialen Herkunft stratifizieren. Bei näherer Betrachtung birgt der Begriff der ›Produktion‹ im Feld der Kunst trotz seiner funktional begründeten Berechtigung zur Abgrenzung der Kunstrezeption eine Unschärfe und ein gleichsam ökonomisches Bias. So unterliegt künstlerisches Arbeiten nicht unbedingt der Logik des ›Produzierens‹ oder der ›Produktivität‹ im engeren Sinne. Folgt man dem Begriff des ›Produzierens‹ und des Künstlers als ›Produzenten‹, so wird das Kunstwerk beziehungsweise die künstlerische Arbeit auf ein ›Produkt‹ reduziert, was nur bedingt und in bestimmten Situationen zutrifft, etwa wenn es auf dem Kunstmarkt angeboten und nachgefragt wird. Die Unterscheidung in ›Produktion‹ und ›Rezeption‹ und auch die weitere Differenzierung in ›Distribution‹ und ›Konsumtion‹ von Kunst mag ihre Relevanz in der Funktionalisierung der an ›der Kunst‹ beteiligten Akteure haben. Sie führt in ihrer Modellhaftigkeit jedoch auch dazu, dass die Praxis künstlerischen Arbeitens auf den Aspekt des Herstellens, gar des Herstellens von Produkten für ein rezipierendes Publikum und für einen Markt verkürzt wird. Die Komplexität und Vielschichtigkeit künstlerischer Hervorbringungsprozesse verschwindet geradezu hinter dem Begriff der Produktion. Eine solche funktional orientierte Unterteilung unterschlägt eine nicht irrelevante Seite künstlerischen Arbeitens: Epistemische Prozesse und wahrnehmende Potenziale werden der berühmten Blackbox überlassen. So bleibt etwa der Künstler mit derartigen Annahmen als Betrachter im Verborgenen, wobei nicht zuletzt Künstler in Ausstellungen gehen, Architekturen besichtigen, sich mit historischen sowie zeitgenössischen künstlerischen, kulturellen und sozialen Phänomenen befassen und sich mit deren Rezeptionen in Medien und Wissenschaft auseinandersetzen. Nicht nur Wissen über Kunstgeschichte und zeitgenössische Kunst, sondern auch Kompetenzen des Betrachtens, Sehens und Wahrnehmens sind für Künstler und ihr Arbeiten grundlegend, um Arbeiten, Werke und Positionen zu entwickeln, die immer auch in Relation zu anderen Arbeiten, Werken und Positionen stehen. Von Künstlern Gesehenes und in diesem Sinne ›Rezipiertes‹ geht in künstlerisches Arbeiten und somit auch in zeitgenössische künstlerische Arbeiten ein.32 Mit dem Gesehenen wird seitens der Künstler und ihrer Arbeiten umgegangen. Kurzum: Künstlerisch zu arbeiten heißt nicht nur die ›Produktion‹ von Kunstwerken, sondern auch – und das eben nicht zuletzt – deren ›Rezeption‹. Beson-

32 Derart reziproke Verhältnisse lassen sich selbstverständlich auch in anderen Feldern ausmachen. So schreiben und lesen etwa Autoren Texte, wobei das Gelesene wiederum auf das Schreiben Einfluss nimmt und umgekehrt, zum Verfassen wissenschaftlicher Texte und ihrer epistemischen Arbeit siehe beispielsweise Engert/Krey 2013.

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ders in Bezug auf diese mittlerweile selbstverständlich und funktional erscheinenden Annahmen, kann eine ethnografische Perspektive für ein genaueres Hinsehen sensibilisieren, um die Praxis künstlerischen Arbeitens in ihrer Vielschichtigkeit sichtbarer und beschreibbarer zu machen. Qualitative Methoden als Zugang zu künstlerischem Arbeiten Ethnografische Forschungspraxis beansprucht einen »Methodenopportunismus« (Breidenstein et al. 2013: 34 f.), der weniger dogmatische Anwendungen programmatischer Methoden verlangt, sondern vielmehr gegenstandsbezogene Befragungen der Materialien und Daten erfordert. Im Beobachten und Teilnehmen des Ethnografen entstehen fieldnotes, aus denen im weiteren Schreiben verdichtete Protokolle hervorgehen. Gespräche werden mittels Audiogeräten aufgezeichnet und anschließend transkribiert. Mithilfe neuerer Ansätze der grounded theory (siehe beispielsweise Clarke 2005; Breidenstein 2013: 117 ff.) werden die textuellen Daten im Hinblick auf Relevanzen und thematische Verdichtungen kodiert und analytisch angereichert. Auch die Kenntnisnahme konversationsanalytischer Positionen (Sacks/Schegloff/Jefferson 1974; Bergmann 1981; Atkinson/Heritage 1984) bietet eine methodische Orientierung, um formale Regelmäßigkeiten und strukturelle Phänomene in den Transkripten zu erkennen, obgleich es mir im Kontext einer ethnografischen Perspektive weniger um genaue Rekonstruktionen von Konversationen und ihren Strukturen geht.33 Zudem werden Videoaufnahmen (Knoblauch et al. 2006; mit einer ethnomethodologischen Ausrichtung Heath/Hindmarsh/Luff 2010) und Fotografien (beispielsweise Schwartz 1989; Pink 2007) innerhalb ethnografischer Forschung als Datenmaterial anerkannt. Für die Studie habe ich etwaiges filmisches Material weniger videografisch behandelt, sondern es vielmehr zur wiederholten und detaillierten Anschauung, zur Ergänzung meiner Anwesenheit vor Ort und zum Erinnern an bestimmte Situationen verwendet. Orientiert an den ethnografischen Interviews nach Spradley (1979) kommen auch Informanten des Feldes zu Wort, sodass Darstellungen von Erwartungen, Selbstbeschreibungen, Narrative und Ideale des Feldes zum Sprechen gebracht und in ihren Relevanzen in die Studie einbezogen werden. Im Kontext ethnografischer Forschungspraxis können folglich heterogene Daten erzeugt werden, die wiederum mit den entsprechenden qualitativen Methoden analytisch aufbereitet und eingebunden werden. Welche Besonderheiten zeigen sich hierbei im Feld der bildenden Kunst? Was passiert, wenn man

33 Zur Verbindung von Gesprächsanalyse und Ethnografie siehe beispielsweise Deppermann 2008.

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sich mit den Methoden der qualitativen Sozialforschung künstlerischem Arbeiten zuwendet? Das offene und gegenstandsbezogene Vorgehen soziologischer Ethnografie trifft im Feld der bildenden Kunst auf eine ihm eigene Offenheit. Auch künstlerisches Arbeiten folgt nicht zwingend methodischen Dogmen, sondern ist oftmals gefordert, sich situativ den entstehenden ›Arbeiten‹ zuzuwenden, um Möglichkeiten weiterer Arbeitsschritte auszuloten. Ethnografie und künstlerisches Arbeiten gehen zudem beide stark vom Wahrnehmen und speziell vom Sehen aus, jedoch eingebunden in unterschiedliche praktische Bezüge und Handlungsprobleme: Der Ethnograf beobachtet sein Feld und dessen Teilnehmer. Das heißt, er scannt das, was vor seinen Augen passiert auf evidente Sichtbarkeiten ab, die sich in schriftliche Daten – fieldnotes und ethnografische Protokolle – übersetzen lassen. Ethnografisches Beobachten ist demnach ausgerichtet auf und orientiert an der Herstellung einer verschriftlichten sequenziell organisierten Vollzugswirklichkeit, die sich in Form von Text materialisiert. Die Frage ethnografischer Forschung lautet: Was passiert hier gerade? Der Künstler begegnet einer entstehenden ›Arbeit‹ hingegen vielmehr in einem Wahrnehmen, das auch mit kritischen Zügen im Hinblick auf das sich Zeigende in dessen Wie und Was ausgestattet ist. Wahrnehmen und Sehen im Vollzug künstlerischer Praxis heißt nicht nur, dem Wahrnehmbaren und Sichtbaren zu begegnen, sondern zudem in diesem über das schon Wahrnehmbare und Sichtbare hinauszugehen und auch das zu berücksichtigen, was sich noch und auch zeigen könnte beziehungsweise was noch nicht wahrnehmbar und sichtbar ist. So erhält auch der Bereich des Vorstellens, Ausdenkens, des Imaginativen und Fiktiven Einzug in künstlerische Prozesse.34 Fragen, die hier relevant werden, lauten etwa: Wie könnte sich was zeigen? Wie könnte sich was auch oder noch zeigen? Wie könnte sich was anders zeigen? Ausgehend von den bereits eingeführten zwei ethnografischen Ichs lassen sich auch auf methodischer Ebene analytisch zwei Zugänge des Wahrnehmens und speziell des Sehens ausdifferenzieren, die eine qualitative Annäherung an künstlerisches Arbeiten ermöglichen. Erstens zeigen sich aus Sicht des soziologisch-ethnografischen Beobachtens Praktiken künstlerischen Arbeitens, mit dem der Vollzug zusammenspielender Körper, Dinge, Werkzeuge, Materialien und Techniken in den Blick gerät. Zweitens lässt sich ein am künstlerischen Prozess teilnehmendes Sehen auch auf dessen mögliche Fragen, Zweifel und kritische

34 So spricht Luhmann (1997b: 63 ff.) auch von einer durch Kunst hervorgebrachten Differenzierung in eine »fiktionale Realität« sowie eine »reale Realität«, was auf die Erzeugung von Möglichkeiten als solche verweist.

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Auseinandersetzungen mit dem sich Zeigenden ein, um auf diese Weise die impliziten Methoden des beforschten Feldes in ihren qualitativen Zugängen weitergehend zum Sprechen zu bringen. Man kann gar sagen: Das Feld der bildenden Kunst hält ein eigenes Sehen bereit, das es in seinen Qualitäten auch für eine soziologisch-ethnografische Studie zu berücksichtigen gilt. In dieser Weise liegt die methodische Anlage einer derartigen qualitativen Kunstforschung bereits in verschiedenen Modi des Sehens begründet, aus denen heraus sich jeweils etwas Anderes zu erkennen gibt, oder wie Lambert Wiesing (2007: 61) treffend formuliert: »Man sieht etwas Anderes, wenn man anders sieht«. In diesem Sinne operiert eine derartig designte qualitative Kunstforschung immer im Positiven und Negativen, im Sehen und Nichtsehen beziehungsweise im Beobachten und Nichtbeobachten, wobei das Nichtbeobachtbare durch ein Anderssehen im Sinne eines teilnehmenden oder auch involvierten Sehens wiederum zugänglicher wird. »Jedes Sehen, das so und nicht anders sieht, bedeutet ein partielles Nichtsehen im Hinblick auf das, was unsichtbar bleibt, und es bedeutet ein implizites Anderssehen im Hinblick auf andere Sichtweisen.« (Waldenfels 1999: 156, Herv. i. O.)

So wird ein Anderssehen hier methodisch einbezogen: Zum einen durch die Erzeugung »beobachtender Differenzen« (Kalthoff 2003) zu den Teilnehmern durch ein distanziertes Beobachten von Praktiken des Arbeitens; zum anderen durch die Erzeugung von qualitativen Differenzen zu einer solch methodisch induzierten Praxis soziologisch-ethnografischen Beobachtens. »Die Tätigkeit des Sehens ist jeweils von partieller Blindheit durchkreuzt, indem sie ins selektive Abblenden oder ins imaginative Ergänzen verwoben ist« (Schürmann 2008: 240). Das ethnografische Beobachten arbeitet vornehmlich mit Selektionen, aus denen heraus die Wirklichkeit an Beobachtbarkeiten ausgerichtet wird. Wahrnehmen und Sehen in künstlerischen Prozessen bedürfen hingegen oftmals imaginativer Ergänzungen oder Reduktionen dessen, was sich wie zeigt, um sehen zu können, was wie zu initiieren, zu verändern oder zu belassen ist. In dieser Weise konfiguriert und formiert schon die Art und Weise des Sehens soziale sowie künstlerische Welt und Wirklichkeit. Warum bedarf es für eine ethnografische Beforschung künstlerischen Arbeitens beider Perspektiven? Künstlerisches Arbeiten in seinen Praktiken ist beobachtbar. Die entstehenden künstlerischen ›Arbeiten‹ hingegen in ihren Eigenheiten und Herausforderungen lassen sich mit diesem an der Erzeugung von Daten orientierten Sehen nicht oder nur sehr eingeschränkt beobachten (Schürkmann 2015a). Hier ist ein Blickwechsel gefragt, der ein Sehen einbezieht, das künstlerische ›Arbeiten‹ nicht nur als soziokulturelle Artefakte, sondern auch in ihren Differenzen und

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Eigenheiten zur Kenntnis nimmt. Für den Ethnografen bedeutet dies gleichsam einen doppelten Gebrauch seines Sehens und Wahrnehmens beziehungsweise einen doppelten »Gebrauch des eigenen Leibes« (Merleau-Ponty 1974: 184), der einmal beobachtet und einmal dem Wahrnehmen und Sehen des Feldes folgt. Die eigene »Betroffenheit« (Böhme 2001: 38) dieses praktisch involvierten Wahrnehmens und Sehens fließt im Rückblick in ethnografische Protokolle ein. »Das versprachlichte Sehen ist aber nicht das Sehen selbst« (Schürmann 2008: 2011). Das Protokollieren von Erfahrungen, Fragen und Überlegungen, die sich im Ansehen der entstehenden oder ausgestellten ›Arbeiten‹ generieren, versteht sich als Übersetzungsarbeit. Ein derartiges Schreiben vom Wahrnehmen plausibilisiert sich als interpretativer Prozess, der Erfahrungen und Wahrnehmbarkeiten via Sprache zu vermitteln versucht. Soziologische Ethnografie versteht ihr Schreiben und Beschreiben nicht in einem positivistischen dokumentaristischen Sinn, sondern begreift sich immer auch als interpretativer Vorschlag, der sich schreibend um Plausibilisierung bemüht. So hat Ethnografie das »Problem der Versprachlichung« (Hirschauer 2001: 436) wissenssoziologisch relativiert. Sie kann sich auch intuitivem Wissen auf der Grundlage eines »emphatische[n] Erfahrungsbegriff[s]« (Hirschauer 2001: 448) zuwenden. Mit Waldenfels wird der Einbezug intuitiv wahrnehmender Bereiche an den Rändern von Wissen von vermeintlich Defizitärem weitergehend befreit: »Was uns demnach vorschwebt, sind Formen der Intuition, die an den Rändern, in den Lücken und an den Bruchstellen der Erfahrung auftauchen. Daß sie in der künstlerischen ›Entregelung der Sinne‹ eine besondere Rolle spielen, schließt nicht aus, daß sie auch in den Grauzonen wissenschaftlicher Heuristik und technischer Experimente anzutreffen sind.« (Waldenfels 2010a: 20)

Auch die ethnografische Forschungspraxis, die das Sehen als Zugang und das Berücksichtigen von Wahrnehmungserfahrungen einbezieht, folgt in heuristischer Weise einer Entregelung der Sinne, indem sie die Teilnahme als Strategie aufgreift, um sich den Phänomenen ihres Feldes anzunähern (Hirschauer 2001: 443). Im Feld der bildenden Kunst trifft sie hierbei auf dessen eigene Entregelungsstrategien, da künstlerisches Arbeiten seine Phänomene selbst hervorbringt, sie erarbeitet und die Dinge sehend-befragend in den Blick nimmt. Wichtig zu betonen ist an dieser Stelle, dass sich ein soziologisch informiertes ethnografisches Beobachten und ein künstlerisch involviertes, teilnehmendes und sich den jeweiligen ›Arbeiten‹ zuwendendes Sehen im Kontext der Studie nicht dualistisch oder gar dichotom zueinander verhalten, sondern zusammenspielen und ergänzend eingesetzt werden. Das Oszillieren des Sehens zwischen soziologisch-

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ethnografischem Beobachten und einer Involvierung des Sehens in künstlerische Prozesse etabliert einen situiert-situativ sensibilisierten »Gebrauch des Blicks« (Merleau-Ponty 1974: 261), der einen Umgang mit Perspektivität einfordert. Nach Merleau-Ponty (1974: 92) wird die Perspektive zu einem Mittel »durch das die Gegenstände sich erst enthüllen, wenn sie gleich in eins das Mittel bleibt, durch das Gegenstände sich auch verbergen können«. Im Zusammenspiel dieser Perspektiven und Sichtweisen entwickelt sich ein Umgehen mit Enthüllen und Verbergen, Sichtbarem und Unsichtbarem, Beobachtbarkeit und Nichtbeobachtbarkeit, Bestimmtem und Unbestimmtem, das einer prozessualen und dynamischen Logik folgt: »Nicht ein Plan des Universums, sondern erst die methodische Praxis erlaubt es, verschiedene Sichtweisen, die alle perspektivisch sind, miteinander zu verknüpfen« (Merleau-Ponty 2004: 32). Das Wahrnehmen in seinen praktischen Bezügen und seiner eigenleiblichen Verortung im Feld der bildenden Kunst als ein Feld, das eben mit, durch sowie auch an Wahrnehmbarkeiten arbeitet, wird im Kontext der Studie zur Ressource, um an der »Verschiebung der Artikulationsgrenze« (Hirschauer 2001: 429) zu arbeiten. Im Feld der bildenden Kunst liegt diese Verschiebung in einem offensiven Einbezug eigener Sichtweisen und Wahrnehmungen in Auseinandersetzung mit dem, wie sich was zeigt beziehungsweise wie sich was zeigen kann oder zeigen könnte. In gewisser Weise begegnen sich Ethnografie und zeitgenössische Kunst an ihrer »Bearbeitung von Grenzen« (Waldenfels 1999: 113, Herv. i. O.). Zusammenfassend lässt sich für eine ethnografisch verfasste qualitative Kunstforschung Folgendes festhalten: Mit einem derartigen Ansatz rücken sowohl das künstlerische Arbeiten, wie auch die entstehenden künstlerischen Arbeiten in den Fokus. Hierbei leistet eine qualitative Kunstforschung weniger kunsthistorische oder kunstwissenschaftliche Einordnungen von Kunstwerken oder Künstlern in Kunst und Kunstgeschichte. In ihren sozialwissenschaftlichen Verankerungen liefert sie vielmehr einen Ansatz, um künstlerisches Arbeiten in situ verstärkt zur Kenntnis zu nehmen. Auch begegnen sich in einer qualitativ forschenden Annäherung an Kunst und ihr Arbeiten die Reflexivität qualitativer Soziologie und die Reflexivität künstlerischer Praxis, wobei Erste ihre Artikulation vornehmlich in Sprache findet und Zweite sich auch in anderen Weisen des Zeigens entwickelt. Vor dem Hintergrund der Möglichkeiten ethnografischer Forschungspraxis wird im Folgenden der Gang in das Feld der bildenden Kunst beschrieben. Die erste Lokalisierung des Feldes, in dem künstlerisches Arbeiten praktiziert wird, findet sich in den Ateliers und Werkstätten der Kunstakademien und Kunsthochschulen, die künstlerisches Arbeiten institutionell rahmen.

Studium. Das Arbeiten am Arbeiten »Ich stelle mir eine Fachklasse wie ein Haus vor, ein Gesamtkunstwerk, das alle Bereiche des Lebens mit einbezieht. Dort kann grundsätzlich alles stattfinden. Die Kunst kann gespürt, empfunden, erinnert, vermutet, vorgestellt, aber auch gesehen, untersucht und reflektiert werden. Keine Wahrnehmungsweise ist ausgeschlossen.« GREGOR SCHNEIDER 20111

Wie und wo wird künstlerisches Arbeiten ›gelernt‹? In der Regel sind es Kunstakademien und Kunsthochschulen, die bildende Künstler im Rahmen eines Studiums qualifizieren. Als Institutionen der bildenden Kunst können sie Ausgang für künstlerische Entwicklungen werden, indem sie verschiedene Generationen von Künstlern und Kunststudierenden versammeln. »Allen voran muss man sich daran erinnern, dass die Kunstakademie ein Raum auf Zeit ist, der jungen Künstlern sowohl theoretische als auch praktische Werkzeuge an die Hand geben soll, damit sie in einer sich ständig verändernden Welt navigieren können. Letztlich geht es allein um die Fähigkeit, sich als Künstler zurecht zu finden« (Daniel Birnbaum, ehemalige Rektor der Städelschule von 2000 bis 2010).2 Eine grundlegende Aufgabe von Kunstakademien und Kunsthochschulen liegt demnach in der Hervorbringung von Künstlern. Kunstakademien und Kunsthochschulen stellen hierfür räumliche, technische sowie personelle Ressourcen bereit. Darüber hinaus sind sie Orte der Sozialisation, an denen Kunststudierende mit gewissen Idealen und Habitualisierungen in Bezug auf künstlerisches Arbeiten und nicht

1

Zitiert aus Monopol. Magazin für Kunst und Leben, s. Monopol 2011, S. 54.

2

Zitiert aus Mai (2010: 15): Zwischen Kloster und Basar. Daniel Birnbaum, Direktor der Frankfurter Städelschule über Rolle und Rang deutscher Akademien. In: Kunstzeitung 2008, Januar (137), S. 13.

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zuletzt mit der Frage ›Künstler sein oder nicht sein?‹ konfrontiert werden. In dieser Weise organisieren, strukturieren und professionalisieren Kunstakademien und Kunsthochschulen künstlerisches Arbeiten, das sich innerhalb institutioneller Rahmen und Regeln zunächst als solches legitimieren muss. Kurzum: Kunstakademien und Kunsthochschulen ermöglichen ein Arbeiten an künstlerischen Biografien, die sich im Feld der bildenden Kunst in ihren künstlerischen Potenzialen sodann weitergehend qualifizieren und legitimieren müssen. Hierbei fällt recht schnell ein scheinbares Paradoxon ins Auge, das die Lehrbarkeit von Kunst betrifft: Zum einen sind es besonders praktizierende und zugleich lehrende Künstler, die häufig die Annahme vertreten, dass Kunst nicht lehrbar und nicht lernbar ist. Zum anderen wird seitens verschiedener lehrender Kunstwissenschaftler, Kunsthistoriker und Künstler an Kunsthochschulen und Kunstakademien danach gefragt, welches Wissen im Zuge eines Kunststudiums den Studierenden wie vermittelt werden soll. Aus ethnografischer Perspektive frage ich bei meinem Gang in die Kunsthochschulen und Kunstakademien, Klassen und Ateliers besonders danach, wie sich künstlerisches Arbeiten in den Räumlichkeiten der Akademien und Hochschulen zeigt. Wie wird dort gearbeitet? An was wird dort gearbeitet? Wie sprechen Studierende und Professoren über das, was sie dort tun? Mit diesen Fragen rücken weniger programmatische oder eben nichtprogrammatische Ausrichtungen von Kunstakademien und Kunsthochschulen bezüglich ihrer Lehre von Kunst oder dem zu vermittelnden Wissen in den Vordergrund. Vielmehr geraten die Gespräche zwischen Lehrenden und Studierenden, das Arbeiten der Studierenden in den Ateliers sowie das Sprechen der Anwesenden darüber in den Fokus, was dort eigentlich erarbeitet wird. Auch Erwartungen und Ideale, die von den Teilnehmern formuliert werden, kommen zur Sprache und geben Einblicke in die Selbstverständnisse künstlerischen Arbeitens im Kontext eines solchen Studiums. Auch wenn verschiedene Künstler in der Lehre sehr unterschiedlich vorgehen,3 lassen sich klassen-, akademie- und hochschulübergreifende Charakteristika, Strukturen, Abläufe und Kommunikationen im Hinblick auf die Anforderungen an ein Kunststudium ausmachen. Insbesondere die Erwartung an die Studierenden, ›eigene erkennbare Positionen‹ im Verlauf des Studiums zu entwickeln, wird von den Teilnehmern immer wieder als Ziel relevant gemacht. In den Vordergrund rückt sodann die Frage, wie künstlerisches Arbeiten als eines sozialisiert und eingefordert wird, das von den Studierenden selbst initiiert und gezeigt werden muss. In dieser Weise werden Kunstakademien und Kunsthochschulen als Institutionen permanenter Selbstselektion und Selbstsozialisation

3

Siehe hierzu beispielsweise »Künstler in der Lehre« von Bippus/Glasmeier 2007.

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(Luhmann 2015 [1987]) relevant. Zunächst werde ich das Feld der Kunstakademien und Kunsthochschulen kurz kontextualisieren, um im Anschluss in die ethnografische Perspektive einzusteigen.

D IE B ILDUNG DER BILDENDEN K UNST . K UNSTAKADEMIEN UND K UNSTHOCHSCHULEN Als bildende Institutionen der bildenden Kunst übernehmen Kunstakademien und Kunsthochschulen die Aufgabe, angehende Künstler hervorzubringen beziehungsweise künstlerisches Arbeiten in seinen Anfängen auf den Weg zu bringen.4 Die Etablierung von Akademien und Kunsthochschulen blickt auf eine komplexe, institutionenbezogene und ausdifferenzierte Geschichte zurück. Ihren Ausgang nimmt sie in Italien im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert. Die Verbreitung von Akademien und Schulen ersteckte sich über die Niederlande, Frankreich und England. Deutsche Akademien gründeten sich vermehrt seit dem achtzehnten Jahrhundert. Die ersten deutschen Kunsthochschulen entwickelten sich in Nürnberg, Augsburg und Dresden (Pevsner 1986: 118 ff.), wobei ihre unterschiedlichen Gründungsgeschichten immer auch vor dem Hintergrund der jeweiligen regionalspezifischen soziopolitischen und ökonomischen Bedingungen zu betrachten sind. In der Regel wirkt jede Akademie und Hochschule an ihrer Geschichtsschreibung mit, indem sie Werke von absolvierten Künstlern sowie Dokumente und Bildmaterialien archiviert, Ausstellungen organisiert und katalogisiert, Phasen historisiert und somit Text- und Bildmaterial selbstthematisierend produziert und publiziert. Kunsthochschulen und Akademien sind in dieser Weise nicht nur an der Hervorbringung von Kunst und Künstlern, sondern auch an der Hervorbringung von Kunst und ihrer Geschichte beteiligt.5

4

Eine Abkehr vom Ausbildungsbegriff in Bezug auf künstlerische Qualifikationsprozesse wird besonders seit den siebziger Jahren beobachtet, was mit einem anderen Selbstverständnis künstlerischer Praxis einhergeht: »An die Stelle der Vermittlung von Fertigkeiten trat die eines Frei- und Erfahrungsraumes, die auch das Modell der Werkstätten in den Hintergrund drängte« (Schneemann/Brückle 2008: 11).

5

Schneemann/Brückle (2008: 16) weisen auf die Selbstbezüglichkeit derartiger Institutionengeschichtsschreibung hin: »Die Lehranstalten legen umfangreiche Darstellungen ihrer Traditionen vor und feiern sich darin selbst«.

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Aktuell existieren etwa fünfundzwanzig Kunstakademien und Kunsthochschulen in Deutschland mit unterschiedlichen Reputationen und Studiengängen.6 Das Studium der Freien Kunst oder Bildenden Kunst folgt institutionenübergreifend meist ähnlichen Strukturen. Laut Studienordnungen der verschiedenen Institutionen gliedert sich ein Kunststudium in der Regel in ein Grund- und ein Hauptstudium.7 Das Personal an Kunstakademien und Kunsthochschulen, das in die Lehre eingebunden wird, setzt sich aus künstlerischem, wissenschaftlichem und technischem Personal zusammen. Für die Lehre an einer Akademie oder Kunsthochschule im Bereich der ›künstlerischen Praxis‹ werden Professoren berufen, die selbst als Künstler tätig sind. Die Selektion der Bewerber auf eine künstlerische Professur orientiert sich regulär an Ausstellungsverzeichnissen der jeweiligen Kandidaten, wobei nationale wie auch internationale Ausstellungsorte und ihre Reputationen sowie die Anzahl von Gruppen- und vor allem Einzelausstellungen für Berufungskommissionen eine Rolle spielen.8 Auch Publikationen wie Kataloge, Preise und Stipendien statten eine künstlerische Vita aus, die für eine derartige Berufung seitens der Kommissionen in Betracht gezogen wird. Oftmals sind die Professuren im Rahmen weitergehender Spezialisierungen ausgewiesen, wie etwa im Bereich Malerei, Plastik, Bildhauerei, Film, Fotografie oder Medien, sodass innerhalb der Studiengänge verschiedene künstlerische Schwerpunkte angeboten werden können. Studiert wird an den Akademien und Hochschulen meist in Klassen, wobei in der Regel jeweils ein Professor einer Klasse vorsteht. Unterschiedlich geregelt sind die Zuteilungsverfahren der einzelnen Studierenden in die jeweiligen Klassen. Die Verfahren können von Institution zu Institution variieren. Bewerben sich Studierende nach Abschluss des sogenannten Grund- oder Orientierungsstudiums bei einzelnen Professoren um die Aufnahme in eine Klasse an der einen Hochschule beziehungsweise Akademie auf Grundlage ihrer bisherigen Arbeiten, werden sie an anderen Institutionen bestimmten Lehrenden beziehungsweise Klassen zugeteilt. Nach wie vor ist das sogenannte »Meister-Schüler-Prinzip« (Müller-Jentsch 2011: 36) in den Akademien und Hochschulen präsent. Der Titel des ›Meisterschülers‹ wird als eine besondere Auszeichnung von Professoren an Studierende

6

An dieser Stelle sei vorab erwähnt, dass es im Kontext der Studie nicht darum gehen wird, einzelne Akademien und Hochschulen in ihrer Historie und Reputation zu exponieren. So bleiben die beforschten Institutionen anonym.

7

Die jeweiligen Studienordnungen der Akademien und Kunsthochschulen sind in der

8

So wird für die Berufung von künstlerischen Professuren keine Promotion vorausge-

Regel öffentlich zugänglich. setzt, wie dies im wissenschaftlichen Feld der Fall ist.

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vergeben. So darf sich der Absolvent als ›Meisterschüler von X‹ auf Zugehörigkeit zu und Ausbildung bei einem bestimmten Professor beziehungsweise Künstler berufen. Auch hier bestehen Unterschiede an den Institutionen darin, wie dieser Titel vergeben beziehungsweise von Studierenden erworben werden kann. So werden ausgewählte Studierende an einigen Akademien und Kunsthochschulen seitens des Professors zum ›Meisterschüler‹ berufen oder ernannt, woanders schließt sich an den ›Meisterschüler‹ ein erneutes Studium an, dem eine Bewerbung vorausgeht. Die Vergabe von Zertifikaten im Zuge des Studienabschlusses wird von den Institutionen ebenfalls sehr unterschiedlich geregelt und steht meist in der Tradition der jeweiligen Institution und ihrer Geschichte. Diplome, Akademiebriefe, Abschlussbriefe oder auch Bachelor- und Masterabschlüsse bilden das Spektrum möglicher Zertifizierungen eines Kunststudiums und dokumentieren institutionalisierte Abschlüsse in diesem Bereich. Auch die Vergabe von Noten variiert je nach Ausrichtung und Politik der einzelnen Institution. Während in einigen Institutionen die Vergabe von Noten innerhalb des Studiums vorgesehen ist, wird anderen Ortes auf diese Bewertungspraxis verzichtet. Zumeist erstreckt sich die Regelstudienzeit eines künstlerischen Studiums auf insgesamt neun bis zehn Semester, wobei das Meisterschüler-Studium eine Fortsetzung der Studienzeit bedeuten kann. Geleitet werden die Akademien und Hochschulen entweder von Künstlern in ihrer Funktion als Kunstprofessoren oder auch Kunstwissenschaftlern in der Position des Rektors (Müller-Jentsch 2011: 36). Kunst ist nicht lehrbar! Anmerkungen zu einem Narrativ und Topos Zunächst folgt an dieser Stelle ein Blick in ausgewählte historische Bezüge, in die auch heutige Diskurse an Kunstakademien und Kunsthochschulen eingebettet sind. Ein Diskurs, der sich zu einem vielbeschriebenen Narrativ oder gar Topos entwickelt hat, betrifft die Frage der Lehrbarkeit und somit auch der Studierbarkeit von Kunst, denn obwohl es Studiengänge der Freien Kunst oder auch Bildenden Kunst gibt, hört man immer wieder von Künstlern selbst: Kunst ist nicht lehrbar! Folgende Aussage von Corinne Wasmuht, Professorin für Malerei an der Staatlichen Akademie der bildenden Künste Karlsruhe, wurde in dem Magazin Monopol (2011: 56) zum Thema Kunststudieren veröffentlicht: »Kunst lässt sich ja eigentlich nicht lehren. Entweder man ist Künstler, oder man ist kein Künstler. Als Professorin kann ich Entwicklungen beschleunigen, Hinweise geben, Zuversicht und Mut vermitteln, Sachen auszuprobieren, vielleicht das Medium zu wechseln.«

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Die Absprache sowie das Bezweifeln der Lehr- und Lernbarkeit von Kunst werden immer wieder vor allem von Künstlern selbst geäußert – so auch von denen, die als Lehrende an einer Akademie oder Kunsthochschule tätig sind.9 Die Distinktion des ›Künstlers‹ vom ›Lehrer‹ wird mit derartigen Aussagen offensichtlich. Kunsthochschulen und Kunstakademien sehen sich in dieser Weise mit einem »Widerspruch zu Ziel und Inhalt« (Mai 2010: 11) konfrontiert: Sie sollen angehende Künstler im Bereich des künstlerischen Arbeitens qualifizieren, wobei die Lehrbarkeit dessen, wozu qualifiziert werden soll, seitens der Lehrenden selbst negiert wird. Das institutionelle Ziel, Künstler auszubilden beziehungsweise diese in ihrem Bereich in irgendeiner Weise zu bilden, trifft im Feld der bildenden Kunst gleichzeitig auf die These, dass eine Ausbildung oder Lehre in diesem Bereich nicht möglich sei. Die These, dass Kunst nicht lehrbar und nicht lernbar ist, findet ihren Fortgang in einer quasi Totalisierung, quasi Naturalisierung oder quasi Ontologisierung eines ›Künstler-Seins‹ oder ›Nicht-KünstlerSeins‹. Auch der Verweis auf ›Talent‹, das jemand hat oder nicht hat, kann eine Differenzierung und Selektionsbegründung darstellen. Durch derartige Annahmen rückt besonders die »Selbstdefinition des Künstler-Individuums« (Schneemann/Brückle 2008: 11) in den Vordergrund künstlerischer Selbstverständnisse, wobei Kunsthochschulen und Kunstakademien Orte seiner Sozialisation werden.10 Die Kritik an Kunst und ihrer Lehre innerhalb institutioneller, schulischer und akademischer Strukturen findet ihre historischen Verankerungen bereits in der Akademiekritik des ausgehenden achtzehnten Jahrhunderts sowie verstärkt im neunzehnten Jahrhundert. Im Zuge der Auffassung vom Künstler als Genie sowie als aus sich selbst schöpfendem Subjekt und Individuum wurde die akademische oder gar schulische künstlerische (Aus-)Bildung besonders seitens der Vertreter der »Romantischen Schule« in Frage gestellt (Pevsner 1986: 187 ff.). Der akademische Unterricht dieser Zeit verlangte von den Schülern beziehungs-

9

Ähnliche Aussagen bezüglich der Nicht-Lehr- und Lernbarkeit von Kunst finden sich auch bei Schneemann/Brückle (2008: 9 ff.) in der Einleitung ihres Bandes oder auch in einem Beitrag eben dieses Bandes von Dufrêne (2008: 21 ff.) zur Frage nach der Lehrbarkeit von Kunst in einer Weise, die nicht »schulisch« sein will.

10 Auch kunstsoziologische Beiträge greifen diesen Topos auf, der das Künstlerische vornehmlich im ›Talent‹ verortet: »Da jedoch Kunst, wie häufig behauptet, als nicht lehrbar und erlernbar gilt, zielen Ausbildung und Lehre auch dort, wo sie institutionalisiert sind, eher auf die Förderung von Talenten durch Vermittlung von Techniken und Unterstützung autodidaktischer Bemühungen des angehenden Künstlers« (MüllerJentsch 2011: 35).

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weise Studierenden besonders das zeichnerische Kopieren von Vorgegebenem, beispielsweise das Zeichnen nach Gipsabgüssen und Lehranatomien von Mensch und Tier. Das strikte Ausführen von Aufgaben, besonders im Zeichnen, galt als festetablierte Technik des Lernens künstlerischer Praxis. Die Praktiken des Kopierens und ein an kanonisierten und reglementierten Vorgaben orientiertes Arbeiten wurden von Vertretern antiakademischer künstlerischer Entwicklungen dieser Zeit kritisiert, was ein regelrechtes »Schelten« der akademischen Einrichtungen und ihrer Lehrpraktiken zur Folge hatte (Pevsner 1986: 224ff.). Derartigen als »akademisch« verrufenen Unterrichtsformen trat ideengeschichtlich das »Individuum« in seiner Genialität gegenüber (Pevsner 1986: 189 ff.), das sich – ausgestattet mit Werten wie Freiheit und Talent – abseits strikter Regeln sowie formaler und inhaltlicher Restriktionen seinem künstlerischen Schaffen hingeben sollte (Schmidt 1985). Auch das »Verwissenschaftlichen« von künstlerischem Schaffen und von Kunstwerken geriet mit Herder, Goethe und weiteren Künstlern sowie Literaten dieser Zeit in die Kritik (Pevsner 1986: 190 f.). Die sogenannte »Akademieschelte« gilt mittlerweile als »literarischer Topos« (Mai 2010: 11), in dessen Zuge sich eine »hinlänglich bekannte Stilisierung des Künstlers zum Revolutionär« (Schneemann/Brückle 2008: 9) manifestiert hat. Als Versammlerinnen etablierter Künstler und Novizen in ihrer Aufgabe, Kunst und Künstler hervorzubringen, sind Kunsthochschulen und Akademien demnach schon seit Jahrhunderten von verschiedenen Seiten in ihrer Funktionalität, Sinnhaftigkeit, Bedeutung und Legitimation herausgefordert worden. Die Problematisierung der, wenn man so möchte, bildenden Institutionen der bildenden Kunst wird auch heute nicht zuletzt durch diejenigen betrieben, die selbst in diesen Institutionen ihr Studium aufgenommen und absolviert haben. Die immer wieder von Künstlern thematisierte Problematisierung des Lehrens und Lernens von Kunst folgt in dieser Weise einer Konvention in Bezug auf den Umgang mit institutionalisierten Strukturen und Regeln, Hierarchien und Habitualisierungen. Die im Feld der Kunst vieldiskutierte Frage, ob Kunstakademien und Kunsthochschulen vermeintliche Relikte vergangener Ideologien sind, lässt sich dahingehend wenden, ob nicht gerade in dem Paradoxon von Lehrbarkeit und Lehre, eingebunden in institutionalisierte Strukturen, das Potenzial dieser Institutionen liegt: Haben Kunstakademien und Kunsthochschulen nicht gerade als kontinuierliche Institutionen des künstlerischen ›Bildungsbetriebs‹ Bestand, weil ihnen das vielbeschriebene Paradoxon der Nichtlehrbarkeit dessen, was in ihnen gelernt werden soll, mit der Zeit geradezu inhärent geworden ist? Was eigentlich von Kunsthochschulen und Akademien von welchen Akteuren wie erwartet wird, in welchen Bereichen Kunsthochschulen und Kunstakademien wie wen ausbilden oder bilden sollen und können, welche Kunst durch sie repräsentiert

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und hervorgebracht wird – all dies sind Fragen im Feld der Kunst selbst, die die Diskurse um Kunst und Künstler in ihren Selbst- und Fremdverständnissen dynamisch halten. Zunächst kann festgehalten werden, dass – wie auch in anderen Bildungsinstitutionen beobachtbar – die Bildungsstätten der bildenden Kunst permanent darin gefordert sind, sich mit ihrem Selbst- und Fremdverständnis auseinanderzusetzen. Das geradezu offensiv ins Feld geführte Paradoxon der Nichtlehrbarkeit dessen, was in künstlerischen Studiengängen gelernt werden soll, mag die Bildungsinstitutionen dieses Feldes für seine Teilnehmer mit einer besonderen Spannung aufladen. Diese Spannung entlädt sich entlang verschiedener Annahmen, Abgrenzungen und Dynamiken, Erwartungen und Ansprüche an Kunst im Kontext ihres Studiums, die permanent von den Teilnehmern des Kunstfeldes selbst ausgehandelt wurden und werden. Kunst im Kontext von Wissensvermittlung Trotz der häufig proklamierten Nichtlehrbarkeit von Kunst fragen Künstler, Kunstdidaktiker und Kunstwissenschaftler nach künstlerisch relevantem Wissen sowie nach Kompetenzen, die angehenden Künstlern im Rahmen ihres Studiums vermittelt werden sollen. Fragen, die sich hierbei stellen, lauten etwa: Wieviel ›Theorie‹ im Verhältnis zur künstlerischen ›Praxis‹ geht in die Lehre ein (beispielsweise Krause-Wahl 2008: 91 ff.)? Welches Wissen oder auch welches »Künstlerwissen« (Holert 1997) zeichnet Kunst aus und ist für die Qualifikation von Künstlern zu welcher Zeit wie vermittelt worden? Neben Techniken in Bezug auf verschiedene künstlerische Medien, Materialkenntnisse und Gespräche zwischen ›Meister‹ und ›Schüler‹ – heute vielmehr Professor und Studierender – werden auch wissenschaftliche und philosophische Kenntnisse vermittelt. So sieht ein Studium der bildenden Kunst vielerorts neben dem ›praktischen‹ Arbeiten in den Werkstätten und Ateliers auch den Besuch von philosophischen, kunsthistorischen, kunsttheoretischen oder auch kunstsoziologischen Seminaren vor, was von den Teilnehmern unter dem Aspekt der theoretischen Qualifizierung versammelt wird. Die diskursive und konzeptuelle Verortung der entwickelten künstlerischen Positionen wird demzufolge auch durch philosophische und theoretische Bezüge induziert. Bezugnahmen auf historisches, kunsthistorisches, kunsttheoretisches, philosophisches und geisteswissenschaftliches Wissen können künstlerische Arbeiten theoretisch inspirieren und für Kommunikationen und Diskurse anschlussfähig machen. Theorie – so die Annahme – orientiert und konzeptualisiert das ›praktische‹ künstlerische Arbeiten weitergehend.

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Dem Einbezug von Theorie beziehungsweise Philosophie und Wissenschaft im Rahmen künstlerischer Studiengänge geht ebenfalls eine historisch gewachsene Entwicklung voraus. Die Gründung von Kunstakademien findet ihren Ausgang auch in einem Bestreben der damaligen Künstler und Gelehrten, Kunst nicht vornehmlich im Handwerk, sondern besonders im philosophischen und wissenschaftlichen Kontext zu verorten. Dies bedeutete nicht zuletzt eine Statusverschiebung und ein gesteigertes Ansehen des Künstlers im Zuge einer Intellektualisierung künstlerischer Arbeit. Der Übergang von einer zunächst handwerklich organisierten Lehre bei einem Meister hin zu Formen eines akademischen Studiums ging mit intensiven und konfliktreichen Auseinandersetzungen mit dem damaligen Zunftwesen einher (Pevsner 1986: 77 ff.). Kunst wurde in einem weiteren Verständnis gleichsam ›theoretisiert‹ und einem primär handwerklichen und technischen Verständnis entzogen. So verfassten und publizierten Künstler und Gelehrte Schriften zur Kunst und ihrer Lehre; auch wurden Schriften zu verschiedenen Künstlern angefertigt.11 Heute wird an Kunstakademien und Kunsthochschulen das Studieren in seinem Verhältnis von ›Theorie‹ und ›Praxis‹ organisiert, wobei der Anteil des Arbeitens im Atelier in der Regel den Anteil philosophischer oder wissenschaftlicher Seminare und Vorlesungen übertrifft. Das Besuchen von philosophischen und kunsthistorischen Vorlesungen und Seminaren wird dennoch weiterhin als Ressource betrachtet. Welches Wissen soll wie von wem etwa via tradierter Meister-Schüler-Beziehung beziehungsweise Kunstprofessor-Studierender-Beziehung oder in Seminaren und Vorlesungen durch einen Dozierenden vermittelt werden? So wird auch das Wissen in Bezug auf Kunst in ihrer Studierbarkeit und ihren Vermittlungspotenzialen zur Frage ihrer Teilnehmer. Bei meinem Gang in die Kunstakademien und Kunsthochschulen folge ich aus ethnografischer Sicht weniger programmatischen Entwicklungen und Diskursen bezüglich künstlerischer Studiengänge, sondern vielmehr den Künstlern und Kunststudierenden in den Ateliers vor Ort. Auch wenn künstlerisches Arbeiten in diesen Kontexten meist keiner expliziten Didaktik folgt, so kommt im Rahmen der dort beobachteten Konversationen und Arbeitspraktiken ein von

11 Als einer der frühen und einflussreichen Kunsttheoretiker gilt beispielsweise Leonardo da Vinci (1452-1519), der Untersuchungen und Lehren in Bezug auf Farbenlehre und Malerei verschriftlichte (siehe hierzu da Vinci 1990). Prominente Werke und Schriften, die für die Kunstgeschichte als wegweisend gelten, wurden bereits im 16. Jahrhundert von Giorgio Vasari (1511-1574) verfasst (siehe hierzu weitergehend Nova et al. 2014) sowie beispielsweise später von Johann Joachim Winckelmann (17171768), siehe hierzu Winckelmann (1965 [1835]).

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lehrenden Künstlern forciertes Primat der Praxis zum Vorschein, das den Vollzug des machenden und wahrnehmenden Umgangs mit Dingen, Materialien, Medien und Formen in den Vordergrund rückt. Hiernach wird künstlerisches Arbeiten auch zur Frage eines praktischen Wissens, das sich im Vollzug des Machens und Wahrnehmens generiert und das immer wieder mit Unsicherheiten konfrontiert wird. In diesem Kontext werden auch gewisse Zugzwänge des künstlerischen Studiums erkennbar, die besonders in der Herausforderung liegen, dass die Studierenden jeweils eigene Positionen im Verlauf ihres Arbeitens entwickeln sollen, die für die Anderen erkennbar werden. Bereits an dieser Stelle deutet sich an, dass künstlerisches Arbeiten von gewissen Idealen und Annahmen getragen wird, die auch in den Kunstakademien und Kunsthochschulen im Austausch zwischen Künstlern und Studierenden sozialisiert werden.

E RSTE E INBLICKE IN DIE R ÄUME KÜNSTLERISCH PRAKTISCHEN A RBEITENS . A TELIERS UND W ERKSTÄTTEN Für Außenstehende und auch für mich in meiner Rolle als Ethnografin sind die Räume verschiedener Kunstakademien und Kunsthochschulen zunächst Orte des Unbekannten. So ist es vor dem Betreten der einzelnen Ateliers und Werkstätten nicht absehbar, welche Dinge sich in welchem Raum befinden, welche Ordnungen und Regeln dort vorherrschen, welche Tätigkeiten dort ausgeübt werden und welche Prozesse sich vollziehen. An dieser Stelle folgt zunächst eine kurze Beschreibung der Eindrücke meiner Begehungen der Räume, Werkstätten und Ateliers. Betritt man die Ateliers und Werkstätten in Kunstakademien und Kunsthochschulen, so bedarf es zunächst einer Orientierung: Was passiert wo? Wie sind die Räumlichkeiten organisiert? Was teilen die Räume demjenigen mit, der sie durchquert? Auf welche Arbeitspraktiken lässt ihre jeweilige Ausstattung schließen? Beim Gang durch die Kunstakademie und Kunsthochschule begegnet der ethnografische Blick verschiedenen Räumen und erfasst diverse Dinge, Gegenstände, Apparaturen, Maschinen, Materialien und Werkzeuge, die sich auf Tischen, Schränken, an den Wänden sowie auf dem Boden befinden. Er inspiziert weiß gestrichene und doch nicht klinisch weiße Wände, an denen unterschiedliche Bilder, Dinge, Skizzen oder Plastiken befestigt sind. Regale beherbergen Tuben, Gläser und Plastikgefäße mit nicht immer etikettierten Inhalten. Schränke mit Schubladen, Stühle, Sofas, Sessel sowie Waschbecken werden als Mobilarien des Alltags identifiziert, die aufgrund ihrer Vertrautheit einem ›Besucher‹ als Orientierungen dienen können und Verbindungen zwischen Alltagswelt und dieser spezifischen »Kosmologie« (Goffman 1977: 37) der Räume

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künstlerischen Arbeitens herstellen. Tassen und Getränkeflaschen stehen neben Objekten und Dingen ›anderer Art‹ und kontrastieren in ihrer Alltäglichkeit eben jenes Andere der bereitliegenden Entwürfe, Skizzen, Modelle, Fotografien und Plastiken. Fenster garantieren Tageslicht und lassen die Räume hell wirken. Gerüche von Lösungsmitteln, wie Terpentinersatz und Farben, Leim, Wachs, von Metall oder Holz zeugen auch in ihrer olfaktorischen Anwesenheit von der Präsenz spezieller Materialien und markieren das Besondere dieses Ateliers oder jener Werkstatt und seinen beziehungsweise ihren inhärenten Tätigkeiten in Abgrenzung zu anderen Räumen. Maschinenähnliche Gerätschaften stehen aufgereiht in einer Werkstatt, die Analogien zu Fabriken und handwerklichen Produktionsstätten erzeugen. Summende, zischende, ratternde und hämmernde Geräusche sind schon vor dem Betreten solcher Werkstatttrakte vernehmbar. Pressen, Walzen, Sägen, Schneidemaschinen, Schweißgeräte und Lötkolben exemplifizieren mechanische und technische Anordnungen und Werkzeuge, die man beim Eintreten in die verschiedenen Werkstätten erblicken kann. Kurzum: Die Räume künstlerischen Arbeitens drängen sich beim Gang durch sie hindurch auch in ihren sinnlichen Qualitäten auf. Während ich mich durch die Werkstätten bewege, komme ich an verschiedenen Apparaturen und Arbeitsplätzen vorbei, die Fragen nach ihren Verwendungen und Gebrauchsweisen aufwerfen. So findet sich auch in der Organisation der Werkstätten eine funktionale Ausdifferenzierung. Räume wie Druckwerkstätten oder Druckgrafiken, die Bildhauerei, die Plastik oder das Fotolabor sind entsprechend ihren disziplinierten Tätigkeiten und technischen Erfordernissen organisiert. Derartig funktionalisierte Räume gehören zur regulären Ausstattung einer Kunstakademie oder Hochschule. So sind in der Druckgrafik Walzen, Pressen und Gerätschaften konzentriert, die für die Ausführung verschiedener Drucktechniken notwendig sind. Andere Räume richten sich in ihrem Equipment an der Bearbeitung verschiedener Materialen aus: Holz, Ton, Gips und Metalle beinhalten je nach zu bearbeitendem Material Werkzeuge, Maschinen und Ausstattungen, sodass sich an diesen Orten spezielle Verfahren und Arbeitsweisen bündeln, die Abläufe und Tätigkeiten spezialisieren. So stehen beispielsweise verschiedene Sägen in regelmäßigen Abstanden zueinander in einem Raum, in dem primär Holz bearbeitet wird. Baumstümpfe und Bretter, Sperrholzplatten und Metallstangen lagern in Ecken. Leuchten und Reflexschirme, Stative, Scheinwerfer und Softboxen erscheinen hingegen als erwartbare Gegenstände des Fotound Filmstudios. Computer und Drucker lassen in weiteren Räumen Assoziationen zu Büroräumen entstehen. In diesen Räumen verlagert sich künstlerisches Arbeiten auch in medial-digitale und virtuelle Bereiche, sodass sich die Aufmerksamkeit des ethnografischen Blicks schnell auf Bildschirme, Software und

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gespeicherte Dateien richtet. Auch gehe ich bei meinem Gang durch großflächige Räume mit monochromen weißen Wänden, die Platz anbieten, um das, was in den Werkstätten und Ateliers entsteht, bei diversen Gelegenheiten einem Publikum zu präsentieren. Die studentischen Ateliers werden in der Regel von mehreren Studierenden gemeinschaftlich genutzt, wobei sich die Studierenden auf die zur Verfügung stehenden Räume aufteilen. Hat ein Studierender die Aufnahme in eine Klasse geschafft – an vielen Kunsthochschulen und Kunstakademien in Deutschland ist das Studium in Klassen organisiert –, erhält er in der Regel einen eigenen Atelierplatz, an dem er arbeiten und den er entsprechend seiner Arbeitsweise ausstatten kann. Innerhalb eines derartigen Gemeinschaftsateliers hat somit jeder Kunststudierende ›seinen Platz‹, an dem seine derzeit verwendeten Materialien, Bücher, seine Ausstattung und künstlerischen Arbeiten lagern und zur Weiterbearbeitung bereitliegen. Abtrennende Regale oder behangene Wände markieren mitunter die »Territorien« (Goffman 1974) der einzelnen Mitglieder eines solchen Gemeinschaftsateliers. So wird das Atelier für die in ihm Arbeitenden auch als begrenzter Raum bedeutsam. Ressourcen wie etwa verfügbarer ›Platz‹ nehmen Einfluss auf künstlerische Arbeitsprozesse – gerade ›Platz‹ kann gar zu einer knappen Ressource werden, um die Studierende konkurrieren. In diesem Zusammenhang werden auch Fragen relevant, wie etwa: Wieviel Platz kann jemand beanspruchen, ohne die Anderen einzuschränken? In welchen Größendimensionen kann eine Arbeit konzipiert und entwickelt werden? Wie kann mit Verschmutzungen oder Ausschuss umgegangen werden, beispielsweise mit Staub und Lösungsmitteln, ohne dass die Arbeiten Anderer beschädigt werden? Das Atelier wird auch zum Ort von Aushandlungen der Studierenden untereinander. Zum Zusammenspiel der Räume: Die verschiedenen Räume, wie Werkstätten und Ateliers, stehen weder in einem losen Verbund noch in einer zwingenden Kollaboration, das heißt, sie können in ihren Zusammenschlüssen in sehr unterschiedlicher Art und Weise für künstlerisches Arbeiten von den Studierenden wie auch von den lehrenden Künstlern genutzt werden. Dinge, Werkzeuge, Arbeiten, Künstler und Materialien wandern gleichsam durch die verschiedenen Räume. Arbeiten werden an den ›persönlichen Platz‹ im Atelier transportiert, noch einmal in die Werkstatt gebracht und schließlich zu einem ›Ort der Veröffentlichung‹ mitgenommen, an dem sie den Anderen gezeigt werden. Der Umgang mit Zeit und Raum spielt für künstlerisches Arbeiten eine bedeutende Rolle, da dieses erst aus individuellen Arbeitsweisen hervorgeht – zugleich wird das Arbeiten von den Öffnungszeiten der Ateliers und Werkstätten sowie von verfügbarem Raum und der technischen und auch personellen Ausstattung der jeweiligen Akademie und Hochschule mitbestimmt.

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Einblick in die Druckgrafik einer Kunstakademie: Zu sehen sind unter anderem Farben, Walzen, Terpentin, Spachtel, Lappen, Schränke, Platten, Presse (Steinhandhebelpresse), Lampen, und Ablagen. (Eigene Abbildung)

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Einblick in ein studentisches Gemeinschaftsatelier an einer Kunstakademie, das von drei Studierenden geteilt wird. (Eigene Abbildung)

Die hier exponierten Räume künstlerischen Arbeitens sind zudem eingebettet in weitere Räumlichkeiten und Infrastrukturen, wie Seminarräume, Vorlesungssäle, Bibliotheken, Lagerräume, Büros und teilweise auch Außengelände. Auch Archive und Sammlungen bei historisch gewachsenen Akademien und Hochschulen bilden weitere Räume des Bewahrens der jeweiligen Geschichte der Institution. Nach diesem ersten heuristischen Gang durch die Räume der bildenden Institutionen der bildenden Kunst soll im Folgenden nun das in den Blick genommen werden, was tagtäglich vor Ort in den Räumlichkeiten passiert: Kunststudieren.

D AS A RBEITEN AM E IGENEN . V ON DER E IGNUNG BIS ZUR A BSCHLUSSAUSSTELLUNG Ein Studium an einer Kunstakademie oder Kunsthochschule gilt in der Regel als unerlässlich, um als Künstler anerkannt zu werden und auf dem Kunstmarkt so-

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wie im Ausstellungsbetrieb bestehen zu können.12 Auch künstlerische Karrieren nehmen ihren Lauf oftmals im Rahmen der hierfür vorgesehenen Institutionen. Die Zuweisung von Abschlüssen und Zertifikaten, die eine Profession, hier die des Künstlers, bestätigen und – je nach Akademie, Hochschule und Professor – eine Reputation bedeuten, spielt im Bereich der bildenden Kunst eine große Rolle. Jedoch sind die Institutionen der künstlerischen (Aus-)Bildung nicht auf die Allokation von institutionalisiertem kulturellem Kapital durch Studienabschlüsse sowie sozialem Kapital in Form von karrierefördernden Kontakten und Netzwerken reduzierbar (Bourdieu 1983). Auch ein Arbeiten an Inhalten, an Positionen sowie an Auseinandersetzungen, die das Was und Wie eines gegenwärtigen beziehungsweise zeitgenössischen künstlerischen Arbeitens betreffen, werden in den Akademien und Hochschulen verhandelt. Aus dieser Sicht bringen Kunsthochschulen und Kunstakademien nicht nur Künstler hervor, sondern sie sind auch Wegbereiter für künstlerisches Arbeiten und dessen Selbstverständnis im Bereich der bildenden Kunst. Dies bedeutet, dass es im Rahmen des Kunststudierens nicht nur um die Vermittlung bestimmter Techniken, Diskurse oder Wissensinhalte geht. Auch werden gewisse Dispositionen beziehungsweise Einstellungen zum Künstler-Sein sozialisiert.13 Im Kontext des Studiums vollzieht sich die Selektion von Künstler/Nicht-Künstler auch entlang dieser Dispositionen. Eine wesentliche Annahme des Feldes besteht diesbezüglich darin, dass die Novizen beziehungsweise die Studierenden ihr Arbeiten als angehende Künstler permanent selbst initiieren müssen und eine eigene Position entwickeln sollen. Für Künstler ist es geradezu unerlässlich, eigene Arbeiten, eigene Auseinandersetzungen, eigene Fragen und eigene Sichtweisen hervorzubringen. Die Bewährung als Künstler liegt nicht zuletzt darin, immer wieder zu selektieren, was als Nächstes gemacht werden kann und soll – wie Luhmann (2015 [1987]: 40) schreibt: »Selektion ermöglicht Bewährung«. Wie die Hervorbringung von eigenen Arbeiten und eigenen Positionen im Rahmen des Kunststudiums expliziert und forciert wird und wie sich an diesem Zugzwang eine Form der Selbstselektion entwickelt, wird im Folgenden weiter nachgegangen.

12 Ausnahmen finden sich in Künstlerbiografien, die durch den Abbruch des Kunststudiums gekennzeichnet sind oder Künstler, die ihren Kontakt zur und ihre Etablierung in der Kunstwelt auf anderen Wegen gefunden haben. 13 Eine Studie aus dem Feld der Kunstakademie heraus, die verschiedene Mythen und Topoi von Künstler(-Selbst-)Bildern innerhalb derartiger Institutionen und ihrer Akteure thematisiert, findet sich bei Tangian 2010.

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Die Eignung via Mappe. Zur Prüfung eines Kunstverständnisses Die Auswahl potenzieller Kandidaten für ein Kunststudium beginnt in der Regel bereits vor Studienbeginn mit einer Eignungsprüfung, auch ›Mappenprüfung‹ genannt. Die Kandidaten reichen eine mit Arbeitsproben gefüllte Mappe an der jeweiligen Kunstakademie beziehungsweise Hochschule ein. Eine solche Mappe kann beispielsweise Zeichnungen, Fotografien, Malereien oder Filmmaterial enthalten. Der Inhalt einer jeden Mappe wird von den Lehrenden der jeweiligen Institution im Hinblick auf von ihnen erkennbares künstlerisches Potenzial in den Blick genommen und beurteilt. Auf Grundlage der Mappen werden den Kandidaten Zulassungen oder Ablehnungen für einen Studienplatz seitens der dort lehrenden Kunstprofessoren zugewiesen. In der Regel formuliert und publiziert jede Akademie und Hochschule die formalen Anforderungen, die die von den Kandidaten anzufertigende Mappe einhalten muss. Die Anzahl der enthaltenen Arbeiten, das Format der Mappe sowie beispielsweise auch der Umgang mit fotografischen Abbildungen von dreidimensionalen Arbeiten werden im Vorfeld festgelegt und normiert. Darüber hinaus werden von einigen Institutionen weitergehende Eignungsprüfungen der Bewerber verlangt. Die Verfahren der Eignungsprüfungen an den verschiedenen Institutionen können hierbei variieren. Die Abstimmung über die Zulassung oder Ablehnung eines Bewerbers auf Grundlage der eingereichten Mappe beziehungsweise des eingereichten Portfolios in den Prüfungskommissionen reicht je nach Verfahren der jeweiligen Institution über die Stimmabgabe eines Ja/Nein bis hin zur Vergabe numerischer Noten, die den Mappen zugeteilt werden. Auch kann es mehrstufige Auswahlverfahren geben, wonach im Anschluss an die positive Bewertung der von dem Kandidaten eingereichten Mappe ein weiteres Auswahlgespräch und auch weitere ›praktische Prüfungen‹ folgen können. Diese umfassen etwa zeichnerische Übungen oder die Bewältigung von Aufgaben, beispielsweise der Umgang mit bereitgestellten Materialien. Begleitet werden die Auswahlverfahren von Gesprächen zwischen Professoren und Bewerbern, in denen die Kandidaten zu ihrer Motivation für ein Kunststudium sowie zu ihren bisherigen Auseinandersetzungen mit Kunst und künstlerischen Positionen befragt werden. Derartige Selektionsverfahren sind immer auch in kapazitäre Erfordernisse der jeweiligen Institution eingebettet. So spielt neben der Qualität der Einreichungen auch die Quantität der Bewerberzahlen im Verhältnis zu den zu vergebenden Studienplätzen eine Rolle. In der Regel werden die eingereichten Mappen von den Kunstprofessoren der jeweiligen Akademie beziehungsweise Hochschule an einem hierfür angesetzten Termin durchgesehen, kommentiert und entlang der beiden Kriterien geeignet/nicht geeignet selektiert. Im Anschauen der Einreichungen sowie gege-

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benenfalls im persönlichen Gespräch ziehen die lehrenden Künstler Rückschlüsse auf das von ihnen antizipierte künstlerische Potenzial der Bewerber. Dies, so die Annahme, zeigt sich den Kunstprofessoren anhand der Arbeitsproben und ihrer Zusammenstellung. Ähnlich einer Diagnose geht es bei den Prüfungen darum, Befähigung oder Unfähigkeit beziehungsweise Potenzial oder kein Potenzial zu attestieren – auch geht es mitunter um Passungen zwischen den Präferenzen der lehrenden Künstler und den anhand der Arbeitsproben zu erwartenden Kandidaten.14 Die Prüfungen finden in der Regel in Anwesenheit einer Kommission statt, wobei diese aus Lehrenden sowie studentischen Vertretern besteht. In Bezug auf derartige Auswahlverfahren wird ein gewisses blackboxing betrieben. Dies zeigt sich beispielsweise daran, dass Beteiligte einer solchen Begutachtungskommission dazu verpflichtet werden, keine Informationen bezüglich der Begutachtungen der Mappen Einzelner gegenüber Dritten zu kommunizieren. Im Explizieren und Formulieren der Erwartungen an die Einreichungen seitens der Prüfenden wird ein Ideal erkennbar, das den Gegenstand der Prüfung konturiert: Erwartet wird hiernach von den Bewerbern die Erkennbarkeit eines ›Kunstverständnisses‹, das dem des Feldes der bildenden Kunst entspricht. Dies bedeutet: Schon anhand der Einreichungen wird geprüft, was die jeweiligen Kandidaten unter Kunst und künstlerischem Arbeiten ›verstehen‹ beziehungsweise wie sie dieses ›Verständnis‹ mit ihren Einreichungen und Abgaben sowie in den Gesprächen zur Darstellung bringen. Hierzu ein Auszug aus einem ethnografischen Interview (Ethnografin: E.) mit einer Professorin (P.), die bereits seit Jahren Eignungsprüfungen an einer Kunsthochschule durchführt: P.: Also manchmal geht die Entscheidung sehr schnell, weil man einfach an der Mappe sieht, dass jemand entweder völlig ungeeignet ist oder kunstfern, also, dass so ne Mappe voller Klischees steckt, also das gar nicht ablesbar ist, ob jemand in der Lage ist, einen eigenen Weg zu gehen. E.: Was sind solche Klischees, was kann das sein, das jemanden direkt disqualifiziert? P.: Eigentlich Missverständnisse, so wie Leute meinen, dass jetzt Kunst aussehen muss. Wenn jemand nichts Eigenes gemacht hat, sondern sozusagen aus irgend nem Buch »Wie lern ich Aquarellmalen« eine schöne Landschaft abgezeichnet hat. Dann gibt es noch Still-

14 Dass sich auch – wie insgesamt im tertiären Bildungsbereich – sozialstrukturelle Differenzierungen der Studierenden an Kunstakademien und Kunsthochschulen nachweisen lassen, zeigen beispielsweise unter anderem bezugnehmend auf Bourdieu für die Schweiz und Österreich Rothmüller et al. 2016.

74 | K UNST IN A RBEIT leben mit Äpfeln und es gibt von allem, also eine Radierung, ein Ölbild, wirklich durch alle Medien, weil das son Missverständnis sein kann, dass Leute denken, Kunst kommt von Können und sie müssten jetzt zeigen, dass sie handwerklich was können. Das soll nicht gezeigt werden, sondern eher ob jemand in der Lage ist, an einem selbstgestellten Projekt oder einer Fragestellung zu arbeiten, was ja gar nicht so bewusst sein muss, es muss nicht ein Thema abgearbeitet werden. Aber, dass jemand in der Lage ist, oder dass man der Mappe ansieht, dass jemand da selber was wissen wollte und sich etwas erarbeitet, vielleicht zeichnerisch, also n bisschen dranbleiben. Da gibt es aber dann auch oft Missverständnisse, also Leute meinen dann, dass sie einen roten Faden oder so in der Mappe haben müssen und machen das dann an ner ganz blöden Begrifflichkeit fest und haben dann unter Umständen nur Telefone gezeichnet und sich da abgearbeitet, aber dann auch wieder mit verschiedenen Medien. Aber das ist ja auch wieder son Missverständnis, dass das jetzt an was Verbalem hängen würde. Es hängt ja nicht an was Verbalem, sondern an gewissen Fertigkeiten, die allerdings nicht vorhersehbar, erlernbar, abzuarbeiten sind, sondern es ähm ja -. Also, oft gibt’s auch das Missverständnis, dass die Leute denken, es müsste etwas Fertiges und Schönes sein. Also, es sind bestimmt immer Bilder dabei, wo Oma sagen würde, »Haste gut gemacht«. Und ich glaube auch, dass die Enttäuschung, wenn die Leute abgelehnt werden, sehr groß ist, weil sie es nicht verstehen. Aber das ist ja auch so eine Erfahrung, dass die Leute, die selber wenig Kunstverständnis haben oder überhaupt wenig sehen können, wenig Sensibilität haben, dass die dann auch umso schlechter verstehen, warum sie jetzt nicht genommen werden oder warum sie etwas machen, was nicht »gut« (gestikuliert mit den Fingern Anführungszeichen) ist, weil sie unter Umständen Dinge selbst gar nicht wahrnehmen können. […] Also es ist zum Beispiel auch nicht erwünscht, dass die Leute hier das abgeben, was sie in der Schule gemacht haben, wofür sie ne Eins gekriegt haben oder so, weil daran, was sie in der Schule gemacht haben, sieht man oft wie gut der Lehrer ist, weil da steht ja ne Aufgabenstellung dahinter. Man will eher sehen, was sie selber wollen.

Folgt man dem Interviewausschnitt, so scheint es für die Begutachtenden schneller einsehbar zu sein, ob die Einreichungen darauf schließen lassen, dass jemand ungeeignet ist, als wenn eine Einreichung auf Eignung schließen lässt. Selektion durch Aussortieren dessen, was aus Sicht der Prüfenden nicht in deren Erwartungsschema passt, bedeutet in diesem Sinne eine Abkürzung des Verfahrens. Wie der Interviewausschnitt zeigt, deutet sich in Bezug auf die Erwartungen an ein derartiges Prüfungsverfahren eine Herausforderung für beide Seiten – für Prüfende sowie Geprüfte – an: So besteht das Erwartungsschema der Prüfenden darin, schematisierte Einreichungen der Kandidaten auszusortieren. Dieser Logik zufolge entsprechen Einreichungen, die einem durchschaubaren Schema folgen, nicht den Erwartungen, die zur Attestierung künstlerischer Eignung führen, be-

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ziehungsweise sie entsprechen der Erwartung, dass solche Einreichungen nicht den Erwartungen entsprechen. Bestimmte, immer wiederkehrende Schemata beziehungsweise Einreichungen, die – in der Sprache des Feldes – »Klischees« bedienen, scheinen die Auswahl ex negativo zu beschleunigen.15 Der negativen Selektion beziehungsweise der Exklusion von einem Studium der Kunst wird in dieser Weise eine stärkere Evidenz zugesprochen als der positiven Selektion beziehungsweise der Inklusion. Eignung profiliert sich somit immer im Verhältnis zur Nichteignung. Eine positive Selektion erfolgt dann, wenn die Einreichungen das Potenzial erkennen lassen, »ob jemand in der Lage ist, einen eigenen Weg zu gehen«, anders gesprochen: ob die Prüfenden den Einreichungen das Potenzial ansehen und einem Bewerber zusprechen, eigene künstlerische Arbeiten im Verlauf des Studiums entwickeln zu können. Die Auswahl der eingereichten Mappen und somit der Bewerber ist demnach eine Art qualitatives Schätzverfahren, in dessen Rahmen die Prüfenden anhand der Einreichungen Potenziale erkennen oder nicht erkennen. Welche Annahmen des Feldes bezüglich künstlerischen Arbeitens lassen sich bereits an dieser Argumentation erkennen? Dem Gesprächsauszug folgend, wird ein Laienverständnis von Kunst von einem Kunstverständnis abgegrenzt, an dem entlang die Einreichungen und Bewerber selektiert werden. Eben entlang dieser Differenz entstehen, in der Sprache der Teilnehmerin des Feldes, »Missverständnisse« zwischen Künstlern und Laien beziehungsweise zwischen Insidern und Outsidern bezüglich dessen, was als künstlerisch adäquat im Feld akzeptiert wird und was nicht. Die Eignungsprüfung für ein Studium der Kunst geht demnach auch mit der Einschätzung einher, ob einem Kandidaten potenziell der »Sinn für das Spiel« (Bourdieu: 1993: 122) zugesprochen werden kann. »Mit ihrer Teilnahme lassen sie sich auf das ein, um was es bei diesem Spiel geht (also die illusio im Sinne von Spieleinsatz, Spielergebnis, Spielinteresse, Anerkennung der Spielvoraussetzungen – doxa).« (Bourdieu 1993: 122)

Nach Bourdieu (2001a: 354) besteht das Spiel der Kunst darin, die »Kunst als Kunst zu spielen«, wobei die Voraussetzung des Mitspielens darin liegt, das Se-

15 Diese These wird von diversen Stimmen von lehrenden Künstlern aus dem Feld bestätigt, die derartige »Klischees« benennen, wie etwa: »Schlimm wird’s, wenn wieder zu Hauf Stillleben von Äpfeln und Bananen kommen«, oder: »Es gab eine Zeit, da sah man viele zerfließende Uhren, dann sieht man immer, was die Leute in der Schule gemacht haben«, oder auch: »Das geht nicht, dass jemand zum Beispiel nur Wollknäule zeichnet, und das zwanzig Mal in verschiedenen Techniken«.

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hen als Künstler von »der gewöhnlichen Sichtweise« (Bourdieu 2001a: 354) zu distinguieren. Wie lässt sich dieses »Spiel« in Bezug auf den Eintritt in ein Studium der Kunst weitergehend beschreiben? Wie wird seitens der Etablierten in diesem Feld ein Laienverständnis von Kunst in seiner Gewöhnlichkeit von einem Kunstverständnis in seinen künstlerischen Ambitionen rhetorisch und argumentativ abgegrenzt? Folgen wir hierzu dem Interviewausschnitt, der verschiedene, meist implizite Spielregeln künstlerischer Eignung weitergehend zum Sprechen bringt: Kunst kommt nicht von Können: Die Abgrenzung zum Handwerk spielt in Bezug auf das zu diagnostizierende Kunstverständnis eines Bewerbers eine Rolle: »[…] weil das son Missverständnis sein kann, dass Leute denken, Kunst kommt von Können und sie müssten jetzt zeigen, dass sie handwerklich was können«. Das Vorführen handwerklichen Könnens sowie das Deklinieren und Vorführen von Techniken und ihrer Beherrschbarkeit allein führt in dieser Weise nicht zur Attestierung künstlerischer Eignung, die – wie bereits angesprochen – von Künstlern oftmals distinktiv zum Handwerk verortet wird. Keine Schönmalerei nach Lehrbuch: Nach Anleitung gefällige Motive zu aquarellieren und Lehrbuchwissen zu reproduzieren, findet hiernach im Feld der Kunst keine Anerkennung: »[…] sondern sozusagen aus irgend nem Buch ›Wie lern ich Aquarellmalen‹ eine schöne Landschaft abgezeichnet hat«. Lehrbücher oder auch Aufgaben aus dem schulischen Kunstunterricht funktionieren als Orientierung für das Erstellen einer Mappe der Argumentation zufolge nicht, um künstlerisch zu überzeugen. So steht auch die »Oma« (s. Interviewausschnitt) metaphorisch für einen laienhaften Allerweltsgeschmack, der dem Gefälligen, Hübschen, Harmlosen und Konventionellen zugetan ist. Kein Abarbeiten an Begrifflichkeiten: Auch das Erstellen einer Mappe anhand eines zuvor festgelegten Themas, wie etwa das zu zeichnende Motiv, das hier als Begriff fixiert wird, überzeugt für eine künstlerische Bewerbung nicht – Äpfel oder Telefone in verschiedenen Variationen zu zeichnen und zu malen, mag in den Augen der Insiderin unterkomplex erscheinen: »[…] und machen das dann an ner ganz blöden Begrifflichkeit fest und haben dann unter Umständen nur Telefone gezeichnet und sich da abgearbeitet«. Diese Art der Themenstellung lässt auf eine Disposition zum Arbeiten schließen, die im Kunststudium hiernach abgelehnt wird: dem Abarbeiten von etwas, das hier dem Erarbeiten gegenübergestellt wird. Ein sich anhand der Einreichungen zeigendes Abarbeiten von Aufgaben, Themen, Techniken und Begriffen wird unterschieden von einem erkennbaren Erarbeiten eigener Fragen, Auseinandersetzungen und Projekte. Das Abarbeiten lässt sich fassen als ein Arbeiten nach Vorgaben, beispielsweise nach begrifflich vordefinierten Themen, das Deklinieren von Begriffen oder das

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Ausführen bekannter Techniken und Methoden. Auch betrifft das Abarbeiten fremdinitiierte Aufgabenstellungen, wie sie etwa durch Schulaufgaben oder Lehrbuchaufgaben gestellt werden. In welcher Weise wird die Selektion anhand einer solchen antizipierten Einstellung zum Arbeiten der Bewerber für ein Kunststudium relevant? Die Selektion der Bewerbungen verläuft entlang einer Polarisierung, die Aufgabenlösen mit Eigeninitiative und ein Abarbeiten mit einem Erarbeiten kontrastiert. Das Erfüllen und Lösen von (selbst) gestellten Aufgaben gegenüber dem eigenständigen Entwickeln von Fragen und Auseinandersetzungen etabliert eine Differenz, die sich in den Einreichungen – so die Annahme der Prüfenden – zu zeigen vermag. So wird auch die Disposition der Kandidaten zum Arbeiten evaluiert. Der Laie arbeitet Themen ab, die zu schönen, guten und richtigen Ergebnissen führen, während der Kandidat mit Kunstverständnis eigene Projekte, Fragen und Auseinandersetzungen erarbeitet. Was aber heißt dies? Eine sprachlich verfasste Begründung und Erklärung scheint geradezu an eine Grenze des Sagbaren und Begründbaren zu geraten – diese Grenze kommt hier in doppelter Hinsicht zur Sprache: »[…] es hängt ja nicht an was Verbalem, sondern an gewissen Fertigkeiten, die allerdings nicht vorhersehbar, erlernbar, abzuarbeiten sind, sondern es ähm ja -«. Während die Künstlerin im Rahmen des Interviews versucht die nichtverbale Dimension der Voraussetzungen für künstlerisches Arbeiten zu verbalisieren, macht sich diese zugleich im Vollzug des Sprechens performativ bemerkbar – der begonnene Satz bricht ab. Es scheint als würden sich derartige »Fertigkeiten« einer generellen und gar universellen Versprachlichung beziehungsweise einer begrifflichen Erklär- und Bestimmbarkeit entziehen und verweigern. Vor dem Hintergrund der in der Einleitung eingeführten Heuristik des Arbeitens lässt sich die Kontrastierung von einem exekutiv ausgerichteten Abarbeiten und einem eigeninitiierten Erarbeiten weitergehend bestimmen. Das Erarbeiten von etwas Eigenem distinguiert sich hiernach von einer dem Abarbeiten inhärenten Aufgaben- und Lösungsorientierung, die mit einer gewissen Erfüllungsmentalität einhergeht. ›Erfüllungsmentalität‹ bezeichnet hier ein Bestreben, richtige Antworten und Lösungen hervorzubringen. Hierzu bedarf es Aufgaben, die der Produktion richtiger Antworten und Lösungen vorausgehen. Aufgaben, die als Fragen oder Anweisungen richtige beziehungsweise falsche Antworten evozieren, stehen dem Suchen eigener Fragen dann entgegen, wenn sie vornehmlich auf Bewertbarkeit und dem Erzielen guter beziehungsweise richtiger Ergebnisse angelegt sind. Was heißt in diesem Zusammenhang gut beziehungsweise richtig? Als gut oder richtig qualifizieren sich der Logik des Abarbeitens selbst- oder fremdgestellter Aufgaben zufolge die Antworten und Lösungen, die den vorab

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abgesteckten Erwartungen entsprechen und die sich sodann zu diesen Erwartungen als konforme Leistungen verhalten. Diese Passung von Aufgabe – Lösung oder Frage – Antwort wird in bewertenden Bereichen oftmals gefordert, beispielsweise in der Schule, die auch die Bewerber für ein Kunststudium – je nach Alter zum Zeitpunkt der Bewerbung – zuvor besucht haben. Wie die qualitative Bildungs- und Unterrichtsforschung nach Kalthoff (1995, 1997) gezeigt hat, geht die Erzeugung von ›richtigen‹ oder ›falschen‹ Antworten im schulischen Unterricht oftmals vom formal vorstrukturierten Konstrukt der Aufgaben- beziehungsweise Fragestellung durch den Lehrer, der Beantwortung dieser Aufgabenbeziehungsweise Fragestellung durch die Schüler sowie der anschließenden Kommentierung und Bewertung der Schüler-Antworten durch den Lehrer aus. Die seitens des Lehrers vorab festgelegten zu erzeugenden Antworten der Schüler werden auf eine erwartete Antwort ›gestupst‹ (Kalthoff 1997: 106) – McHoul (1990: 355) hat dieses Hinführen zu feststehenden Antworten im Unterricht auch als »cluing« bezeichnet. Dieses Abarbeiten von ›Schulstoff‹ mittels gestupster Schülerantworten an einer bereits seitens des Lehrers festgelegten Antwort oder Lösung geht von einem evidenten und erwartungsgeladenen ›richtigen‹ Ergebnis aus, das es im Zuge des Unterrichts von den Schülern zu (re-)produzieren und zu erzielen gilt. Was gemäß derartigen erwartungsgeladenen und ergebnisorientierten Aufgabenstellungen als ›gut‹ oder ›richtig‹ bewältigt werden kann, scheitert im Kunststudium jedoch nicht selten bereits an der Aufgabenstellung als solcher – so bleibt diese in der Regel aus. Dies heißt, dass ein Kunststudierender von den lehrenden Künstlern keine Aufgabe, kein Thema und keine Frage gestellt bekommt, die er sodann abarbeiten könnte. Hat ein Studierender kein eigenes Vorhaben, hat er schlichtweg in einem solchen Studium keine Möglichkeit zu arbeiten. Das Eigene muss dieser Logik zufolge nicht (»so wie Leute meinen, dass jetzt Kunst aussehen muss«), es kann. Es orientiert sich somit weniger an Erwartungserwartungen (Luhmann 2015 [1987]: 411 ff.), was zugleich Unsicherheit und Unbestimmtheit erzeugt. Das heißt: Bewerber, die ihre Einreichungen vornehmlich an den von ihnen erwarteten Erwartungen der Prüfenden ausrichten, handeln nicht nach der Logik des Feldes. Nach dessen Logik muss eine Einreichung nicht zeigen, was ein Bewerber für die Erstellung einer Mappe macht, sondern was dieser sowieso macht. Hier zeigt sich ein weiteres als Topos des künstlerischen Feldes bekanntes Ideal in Bezug auf künstlerisches Arbeiten, das sich in der Ontologisierung von Künstler-Sein oder Nicht-Sein manifestiert. Ein Kunstprofessor formuliert dieses Ideal in zugespitzter Weise:

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Idealerweise gibt es Leute, die sich sowieso damit beschäftigen, mit Kunst, und die das sowieso machen und es deswegen studieren.

Die Annahme, dass jemand etwas sowieso macht, etabliert eine QuasiNotwendigkeit künstlerischer Tätigkeiten, die sich in ihrem Ursprung und ihrer Motivation nicht weiter legitimieren muss, das heißt: Die Voraussetzungen, ob jemand Kunst studieren kann oder nicht, entscheidet sich dieser Annahme zufolge schon vor der Bewerbung. Künstler-Sein oder Nicht-Sein heißt hiernach: Jemand beschäftigt sich mit Kunst und arbeitet an etwas ohne fremdinitiierte Notwendigkeit und außerhalb institutioneller Einbettung. Dieses Ideal des selbsttätigen Künstlersubjekts kommt auch in Narrativen von Künstlern zur Darstellung, etwa in Formulierungen wie: »Ich habe immer schon und einfach so gezeichnet/gemalt/fotografiert/Dinge gesammelt«. So beziehen sich Künstler oftmals auf die Phasen der Kindheit und Jugend beziehungsweise bemühen biografische Motive, wenn sie gegenüber Anderen begründen, was sie tun: »Ich habe das auf Kinderzeichnungen von mir schon gemacht« oder: »Schon als Kind habe ich eine Kamera bekommen und konnte sie dann nicht mehr weglegen«. Derartige Aussagen sind auch im Kontext dieser Studie von Künstlern häufig geäußert worden. Dieses Ideal beziehungsweise diese Einstellung zum künstlerischen Arbeiten wird im Verlauf des künstlerischen Studiums weitergehend sozialisiert und habitualisiert und bereits in der Eignungsprüfung – soweit erkennbar – selektiert. In diesem Sinne rekrutiert das Feld der Kunst schon beim Eintritt seiner qualifizierenden Institutionen immer auch eine bestimmte Haltung zum künstlerischen Arbeiten, die besagt: Jemand muss in der Lage sein, selbst etwas Eigenes zu erarbeiten und dies weiterverfolgen beziehungsweise »dranbleiben« (siehe Interview) können. Zum Entwickeln eigener Formen Diejenigen Bewerber, die im Anschluss an die Eignungsprüfung einen positiven Bescheid bekommen und ein Studium der Kunst aufnehmen, werden auch weiterhin mit der Frage konfrontiert sein, was sie in den Werkstätten und Ateliers der jeweiligen Kunstakademie oder Kunsthochschule eigentlich (machen) wollen. Der Logik der Eigeninitiative folgend sollen die Studierenden etwas (erarbeiten) wollen. Die Erwartung an die Kunststudierenden ist, dass die Studierenden ihr Arbeiten selbst initiieren – so gibt es in der Regel innerhalb eines Kunststudiums wenig bis keine Aufgabenstellungen oder Vorgaben der Künstlerprofessoren, an denen sich die Studierenden orientieren können. Einführungen in die Nutzung verschiedener Maschinen, Gerätschaften und Techniken werden

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oftmals von Werkmeistern und Mitarbeitern angeboten, wie etwa das Erlernen des Umgangs mit der Kettensäge oder das Arbeiten im Fotolabor. Für viele Novizen besteht eine Herausforderung zu Beginn des Studiums darin, überhaupt mit dem Arbeiten beziehungsweise dem ›freien‹ Arbeiten anzufangen. So studieren die Novizen zu Beginn ihres Studiums erst einmal in sogenannten Orientierungsklassen, Orientierungsbereichen oder Grundklassen, in denen sie verschiedene Weisen und Formen künstlerischen Arbeitens erproben und ausprobieren können, bevor sie sich für eine Fachklasse bei einem Professor bewerben (dürfen). Anfänglich geht es für die Studierenden darum, an einem Arbeiten zu arbeiten, das sich als künstlerisches Arbeiten in seinem Vorgehen gegenüber den Lehrenden und Mitstudierenden qualifiziert – oder einfacher gesagt: Dass dieser Einstieg in künstlerische Arbeitsprozesse für viele Novizen eine Herausforderung darstellt, liegt an der Offenheit, die ein solches Arbeiten mit sich bringt. Ohne Aufgabenstellungen werden die Studierenden gleichsam ›auf sich selbst zurückgeworfen‹ beziehungsweise auf die Frage, was sie machen können und wollen. Diese Offenheit erzeugt einerseits Möglichkeiten für ein individualisiertes Arbeiten, andererseits birgt sie auch Unsicherheit und Ungewissheit. Weiß jemand über einen längeren Zeitraum nicht, was er machen möchte, so ist er ein Stück weit ›fehl am Platz‹, wenn er das Atelier betritt. Eine implizite Regel des Kunststudierens lautet somit: Frage nicht die Anderen »Was soll ich hier machen?« – die Antwort kann sich, der Logik der Eigeninitiative folgend, nur der Fragende selbst geben. In dieser Logik des Selbstwollens und der Eigeninitiative muss dies ein jeder, der sich für ein derartiges Studium entscheidet, selbst herausfinden. Im Rahmen des Kunststudiums wird die »ständige Selbstbefragung und -erfindung« (Schneemann/Brückle 2008: 14) geradezu offensiv verlangt. Das Selbstwollen und die Eigeninitiative werden für das Bestehen im Feld der Kunst zu grundlegenden Voraussetzungen. Dieser Rückbezug auf das Selbstwollen und die Eigeninitiative arbeitet in gewisser Weise einem liberalistischen Verständnis des Künstler-Seins zu, nach dem nur derjenige Künstler sein kann, der auch künstlerisch arbeitet und arbeiten will. Künstlerisches Arbeiten wird im Studium als eines sozialisiert, das von einer starken Individualität ausgeht – wie aber wird dies in den Ateliers beobachtbar? In regelmäßigen Abständen zeigen die Studierenden den Professoren das, woran sie in den Ateliers und Werkstätten gerade arbeiten. Hierbei gehen die Professoren durch die Räume, schauen die entstehenden Arbeiten und Entwürfe an und kommen mit den Studierenden darüber ins Gespräch. Die Praxis künstlerischen Arbeitens im Kontext des Studiums ist demnach keineswegs wort- oder sprachlos beziehungsweise stumm. Vielmehr offenbart sie sich als kommunikativ, interaktiv und zudem als eine, in der das Ansehen und Besprechen der Dinge

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eine wichtige Rolle spielt. Hierzu ein Auszug aus einem ethnografischen Protokoll: Der Professor (P) für Bildhauerei nähert sich dem Tisch, auf dem eine Studierende (S) im Grundstudium ihre Arbeiten ausgebreitet hat. Ich trete näher an die beiden heran und schaue auf den Tisch, auf dem eine aus transparentem Kunststoff gegossene runde, harte Form mit einem Loch in der Mitte, ähnlich einem Rad steht. In den Kunststoff sind Mehlwürmer eingelassen. Daneben liegen kleinere gallertartige Kugeln, die ebenfalls etwas, wie mir scheint, Tierisches einschließen. Beide, Professor sowie Studierende, betrachten einen Moment lang schweigend die auf dem Tisch liegenden Arbeiten. P: »Ja, das ist doch schon mal ein Anfang [er blickt auf die vor ihm liegenden Kugeln sowie eher beiläufig auf das radähnliche Gebilde], aber ist die Frage, ob das nicht schon viel zu überlegt ist. Es gibt ja auch noch andere Möglichkeiten, anderes als Tiere in Kunststoff.« S: »Ja, ja, also ich mach da nix mehr mit Nylon nur.« P: »Ne! Das ist, das ist viel zu fertig. Also das sind ja auch Formen. Worum es geht, ist eine eigene Form und eine eigene Frage zur Form zu finden und es zu machen. Am besten die vorgefertigten Ideen wegschieben [er wischt mit einer Geste in der Luft] und erst mal was probieren.« Der Professor wendet sich von der Studierenden sowie ihren Arbeiten ab und geht in Richtung Tür. Die Studierende blickt weiterhin auf ihre Arbeiten und murmelt ein leises: »Okay.«

Der Auszug vermittelt einen Einblick in ein Zwiegespräch zwischen einer Novizin und dem Professor im Kontext des Grundstudiums. Im Fokus stehen die Dinge, an denen die Studierende gerade arbeitet. Sobald der Professor an das Arbeitssetting herantritt, lässt die Studierende von ihrer Arbeit ab und die Situation wandelt sich zu einer, in der das, was bisher entstanden ist, angeschaut und besprochen wird. Wie aber wird über die Arbeiten in Anbetracht ihrer gesprochen und was zeigt sich im Hinblick auf das Arbeiten im Kontext des Kunststudierens in seinen Anfängen? Zunächst lässt sich festhalten, dass der Professor als Kritiker und Kommentator der studentischen Arbeiten auftritt – wir haben es hier mit einer Situation des Beurteilens zu tun. Bereits in seinem ersten Kommentar markiert der Lehrende gegenüber der Studierenden, dass sie sich am Anfang eines Arbeitsprozesses beziehungsweise, auf formaler Ebene gesprochen, im Grundkurs befindet, was er zunächst positiv anmerkt: »Ja, das ist doch schon mal ein Anfang«. Die Studierende ist in eine Auseinandersetzung mit etwas eingestiegen, das sie nun dem Künstler vorzeigen kann. Direkt nach diesem ersten gleichsam ermutigenden Kommentar folgt die Kritik des lehrenden Künstlers,

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die mit einem »aber« eingeleitet wird: »[…] aber ist die Frage, ob das nicht schon viel zu überlegt ist«. Wie lässt sich diese, nicht als Frage, sondern als Kommentar formulierte Frage im Kontext des Kunststudierens und dessen Anforderungen verstehen? Was heißt es, wenn etwas zu überlegt ist? Mit derartigen Kommentaren deutet sich ein Verweis auf eine Teilnehmertheorie der Praxis künstlerischen Arbeitens von Praktikern an, die das Arbeiten vielmehr im Machen und eben im praktischen Vollzug selbst exponieren, als es primär im Kognitiven, Geistigen und Theoretischen zu verorten: Die Praxis geht der Theorie voraus. Folgt man dem Einwand, so stellt sich die Frage, was es für die Qualität künstlerischer Arbeit bedeutet, wenn diese sich als zu überlegt zeigt – einfacher gefragt: Was ist das Problem und wie kann etwas zu überlegt wirken? Eine Antwort lautet: Für künstlerisches Arbeiten als eines, das in seinem (zeitgenössischen) Selbstverständnis immer auch ein Erarbeiten eigener Fragen sein soll, kann ein Problem darin bestehen, wenn die Offenheit des Arbeitsprozesses im Zuge eines vorwegnehmenden Überlegens zu sehr eingeschränkt wird. Etwas zu Überlegtes wirkt womöglich zu geschlossen und zu eng geführt, sodass »andere Möglichkeiten« ausgeschlossen bleiben. Die Studierende wird im Rahmen des Grundkurses nicht als Künstlerin seitens des lehrenden Künstlers adressiert, sondern auf ihren Status als Anfängerin verwiesen, die als solche »erst mal was probieren« soll. So geht es hier auch um die Vermittlung einer gewissen Haltung zum künstlerischen Arbeiten als ein vornehmlich praktisches und offenes – wie lässt sich dieses Vermitteln im Weiteren fassen? In der beschriebenen Situation wird eine Weise des bereits angesprochenen »cluing« (McHoul 1990: 355) sichtbar. Der Professor »stupst« (Kalthoff 1997: 106) die Studierende mit seinen Kommentaren zu einer Haltung gegenüber ihrem Arbeiten, das sich den Ansprüchen einer offenen und dem Machen zugewandten künstlerischen Praxis annähern soll. Dies geschieht hier nicht etwa durch die Abfolge von Frage-Antwort-Sequenzen wie beispielsweise im schulischen Unterricht, sondern im Vollzug von Anschauen und Kommentieren der präsenten Arbeiten beziehungsweise Entwürfe. Gefordert wird seitens des Lehrenden der Einbezug von anderen Optionen, als diejenigen, welche die Studierende sich zuvor überlegt zu haben scheint. Der Logik dieser Anforderung folgend, geht es auch darum, eine quasi experimentelle Praxis im Kontext des Kunststudierens zu forcieren, in deren Rahmen die Studierenden Kontrolle und Vorwegnahme des Arbeitens in dessen potenziellen Eigendynamiken abgeben. So zielen die Kommentare des lehrenden Künstlers nicht zuletzt darauf ab, das hier noch statisch und an selbstgestellten Aufgaben orientiert wirkende Vorgehen der Novizin zu irritieren. Die Bereitschaft zu Kontingenz und Risiko (Luhmann 2015 [1987]: 47) tritt als Erwartung des Künstlers an die Novizin hervor,

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indem vorschnelle Festlegungen und thematische Vorwegnahmen in die Kritik geraten. »Tiere in Kunststoff« als ein bereits zu diesem frühen Zeitpunkt im Studienverlauf von der Studierenden festgelegtes, überlegtes oder auch ausgedachtes Thema, würden, so die Argumentation des Künstlers, die Möglichkeiten und zugleich Risiken des Arbeitsprozesses in seinen potenziellen Fragen, Auseinandersetzungen und Formfindungen zu stark einschränken. Ein solches Arbeiten gilt im Bereich der bildenden Kunst als nicht komplex genug. Wie begegnet die Studierende der Kritik ihres Professors? Als Entgegnung auf die Kritik argumentiert die Studierende, dass sie das Material variieren werde: »Ja, ja, also ich mach da nix mehr mit Nylon nur«. Das, woraus ihre Erzeugnisse bestehen, könne sie ändern. Diese Lösung scheint dem Professor jedoch nicht auszureichen, sodass er seine Kritik noch einmal ausführlicher, gar grundlegend formuliert. Es wird deutlich, dass nicht der Austausch der verwendeten Materialien die Antwort beziehungsweise Lösung ist. Vielmehr wird im Weiteren eine grundlegende Disposition künstlerischen Arbeitens aus Sicht des lehrenden Künstlers explizit: »Worum es geht, ist eine eigene Form und eine eigene Frage zur Form zu finden und es zu machen. Am besten die vorgefertigten Ideen wegschieben [er wischt mit einer Geste in der Luft] und erst mal was probieren«. An dieser Stelle findet das Primat der Praxis künstlerischen Arbeitens zu weiteren Formulierungen. Nach diesem geht es zunächst um das Machen selbst und nicht um das (Aus-)Denken des zu Machenden; es geht um das Probieren an und mit den Dingen und nicht um das (Aus-)Denken dessen, was mit den Dingen gemacht werden soll. Künstlerisches Arbeiten wird hier als Praxis betont, die sich aus dem Machen und Probieren heraus erst entwickelt. Als solche wird sie als eine situative und offene dargestellt, die weniger einer Logik von Ausdenken – Umsetzen folgt, sondern die auch auf das reagiert, was passiert.16 Auch kommt eine weitere Anforderung zur Sprache, die neben den verwendeten Materialien in eigener Relevanz seitens des Lehrenden betont wird – die Arbeit an Formen: »Ne! Das ist, das ist viel zu fertig. Also das sind ja auch Formen«. Formen werden hier seitens des Künstlers als solche angedeutet, die sich erst im Verlauf des Arbeitens entwickeln und somit nicht als Idee ihrer selbst vorausgehen, sondern sich nach und nach finden und zu erkennen geben. Was aber heißt in diesem Kontext, etwas ist »zu fertig«? Ist etwas zu fertig, so ist

16 An dieser Stelle lässt sich durchaus eine Analogie zwischen künstlerischem und soziologisch-ethnografischem Arbeiten herstellen, denn auch Ethnografen können ihre Ergebnisse und Ideen nicht vorab ausdenken. Vielmehr werden diese in der prozessual angelegten Auseinandersetzung mit den Teilnehmern des Feldes, den Materialien und Daten entwickelt und verdichtet.

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es, dieser Logik folgend, zu vorformuliert, zu enggeführt, zu eingezwängt und zu geschlossen beziehungsweise zu ausgedacht, sodass eine solche sich im Vollzug entwickelnde Formfindung keinen Raum erhält. Ausgedacht bedeutet hier, dass das Gedachte schon von vornherein in der Vorstellung der Studierenden zurechtgelegt ist. Die Vorstellung als Ausgedachtes, Zurechtgelegtes und somit als Ideal und Zielvorgabe zugleich reduziert das Machen auf die bloße Durchführung – dies jedoch konterkariert eine Offenheit des machenden Vollzugs als solchen. In der Profilierung des probierenden Machens im Vollzug wird der mentale und ideale Entwurf als Hauptinstanz künstlerischen Arbeitens vom Praktiker beziehungsweise lehrenden Künstler gleichsam zurückgewiesen. In gewisser Weise erfolgt hier ein Zurückdrängen einer im Mentalen, Kognitiven und Geistigen vorausgehenden Idee als Ausgang künstlerischen Arbeitens – eine Idee, die zugleich ein zu erreichendes Ziel darstellt. Eine derartige Zielvorgabe fokussiert ein bestimmtes und erwartetes Produkt (»Tiere in Kunststoff«) und nimmt in dieser Gerichtetheit Züge des Verarbeitens und Abarbeitens an. Das Arbeiten nach Ideal und Zielvorgabe richtet sich hiernach weniger in der Situation und in einem fragenden und erarbeitenden Prozess ein, als vielmehr in der Erfüllung von Erwartungserwartungen, die auf eine zuvor (selbst) gestellte, zu bewältigende und auszuführende Aufgabe abzielen. Wie bereits in den Ausführungen zur Eignung erkennbar wurde, bricht ein solches Vorgehen mit dem Anspruch eigene Fragen zu entwickeln. Was kann in dieser Situation ein Ziel der Studierenden sein? Im Rahmen des Studiums mag ein Ziel der Studierenden von Beginn an darin bestehen, dem Professor etwas zu zeigen, um dessen Anerkennung zu erlangen. Nach Mead (1973 [1934]: 223) ist es besonders die Idee, die sich auf herangetragene, gesellschaftliche Erfordernisse einstellt und Erwartungen zuarbeitet: »Man sagt: ›ich habe die Idee, daß dies oder jenes getan werden sollte‹. Die Idee ist eine Antwort auf die an uns gestellte gesellschaftliche Forderung«. Die von Mead formulierte gesellschaftliche Forderung begründet sich auch in der hier beschriebenen Situation darin, dass die Studierende ihrem Professor ihre Arbeiten und Entwürfe während des Semesters zeigen muss, um evaluierende Kommentare seitens des lehrenden Künstlers zu evozieren und in Kontakt mit ihm zu treten. Etwas zu zeigen, ist im Kunststudium oder darüber hinaus in der bildenden Kunst Notwendigkeit und Zugzwang zugleich – es birgt das Potenzial weiterer Entwicklungen von Möglichkeiten durch die Kritik der Anderen und zugleich das Risiko der Irritation durch unerwartete Kommentare. Das Abwenden des Professors von der Studierenden und ihren Entwürfen verstärkt das irritative Potenzial der Kritik. Mit einem leisen »Okay« markiert die Studierende die Akzeptanz der kritischen Kommentare und deutet zudem eine Unsicherheit in Bezug auf diese an – sie spricht leise und

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schaut danach etwas verloren auf ihre Hervorbringungen. In gewisser Weise bleibt die Studierende mitsamt ihren Arbeiten und Entwürfen sowie der Kritik des Professors zurück, oder anders formuliert: Sie wird wieder der Praxis des (selbstfindenden) Arbeitens überlassen. Das anfängliche Arbeiten der Studierenden wird durch die Kritik des Professors gleichsam in eine Krise gestürzt, die ihre Bewältigung nur im Weiterarbeiten, ›im Machen‹, finden kann. So zeigt sich hier geradezu beispielhaft eine im Feld des Kunststudiums oftmals beobachtete, systematisch erzeugte Ungewissheit, die als Charakteristikum künstlerischen Arbeitens habitualisiert und sozialisiert wird. Halten wir bis hierhin fest: Das Arbeiten der Studierenden wird im Austausch zwischen Lehrenden und Novizen zu Beginn des Studiums in Gesprächen in Anbetracht der studentischen Arbeiten irritiert und in gewisser Weise in Unordnung gebracht. Im Austausch zwischen Künstlerprofessoren und Studierenden tritt gleichsam eine implizite Didaktik der Irritation hervor, in der Ungewissheit und Unsicherheit hergestellt werden. Die Praxis künstlerischen Arbeitens wird als eine relevant gemacht, in der Ungewissheit und somit auch Kontingenz das Potenzial freisetzen sollen, immer wieder Anderes zu entwickeln. Die Studierenden geraten somit in den Zugzwang, ihr Arbeiten und auch das, was dabei entsteht, immer wieder in Frage zu stellen, um – der Logik des Feldes folgend – zu anderen und schließlich zu eigenen Fragen zu gelangen. Wie es geht, etwas zu machen und zu probieren, wird seitens der Lehrenden oftmals nicht weiter ausgeführt oder im Gespräch vermittelt, da dies – so die hier durchscheinende Teilnehmertheorie künstlerischer Praxis – wiederum nur im Vollzug des Machens und Probierens selbst von den Einzelnen erfahren werden kann. In derartig (nicht-)didaktischen Settings und Situationen zwischen Künstlern und Novizen beziehungsweise zwischen Professoren und Studierenden wird nicht zuletzt durch das Vorenthalten von Vorgaben, Aufgaben, Anweisungen oder Rezeptwissen auch eine Disposition des Zweifelns und Kritisierens in Bezug auf künstlerisches Arbeiten – das eigene sowie das von Anderen – forciert. Eine Herausforderung besteht für angehende und beginnende Kunststudierende sodann darin, »eigene Formen und Fragen« zu entwickeln, ohne explizit zu wissen, wie das eigentlich geht – so bleibt dieses Wissen, den Teilnehmern folgend, implizit und der Praxis des versuchenden, probierenden und in diesem Sinn umtriebigen Weiterarbeitens vorbehalten. Der Versuch als Strategie. Überraschungen herbeiführen Wie Studierende ihr Arbeiten offenhalten und Formen generieren, wird in den Werkstätten und Ateliers beobachtbar. So orientieren Novizen ihr mögliches

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Vorgehen auch durch das Beobachten ihrer Mitstudierenden im Rahmen studentischer peer culture – besonders der Mitstudierenden, die sich innerhalb des Studiums mit ihren Arbeiten bereits etablieren konnten und Anerkennung seitens der Professoren erhalten. Da die Werkstätten der Kunstakademien und Kunsthochschulen von den Studierenden in der Regel gemeinschaftlich genutzt werden und zugänglich sind, besteht in diesen Arbeitsräumen immer auch eine hochschulinterne öffentliche Situation. Das, woran der Einzelne wie arbeitet, ist für Andere in diesen Räumen in gewisser Weise sichtbar und präsent. Folgender Protokollausschnitt gibt hierzu einen Einblick: J., ein Studierender jüngeren Semesters, betritt die Metallwerkstatt der Bildhauerei. Er sieht, wie O., ein Studierender älteren Semesters, eine Kunststoffplatte mit einem Lötkolben bearbeitet. Scheinbar neugierig geht J. auf O. zu und fragt ihn: »Was machts’n du da?« »Ich bau ne Haube«, antwortet O. und nimmt das auf dem Tisch liegende deckelähnliche Kunststoffteil in die Hand, hält es vor sich hoch, wendet und betrachtet es. J. blickt die Kunststoffform interessiert an. Mit der noch nicht fertigen ›Haube‹ in der Hand geht O. zu einer Tonplastik, die am anderen Ende des Tisches liegt. Sie ist von innen hohl, wie ein großes, ausladendes, helles Gefäß, das jedoch nicht von Gleichmäßigkeit in seiner Form ist, sondern von Beulen und Dellen geprägt wird. Mit Blick auf die Tonplastik sagt O.: »Ich will das mal so versuchen.« Er legt das Kunststoffteil an die Öffnung der Tonplastik an. »Das wird noch höher.« Seine Hand begleitet seine Worte mit der entsprechenden nach oben auffahrenden Geste. Während er das Kunststoffgebilde an die Tonplastik hält, fährt er fort: »Bis da son richtiger Körper dranhängt und dann wird das hier irgendwie genietet, oder so.« J. wendet ein: »Oder da gibt’s auch so extra Schrauben.« O. erwidert: »Ja, ich weiß nicht, ich probier das mal aus.« J. tritt vom Tisch zurück, O. nimmt das Kunststoffteil in die Hand, schaut es an und biegt es. Der Kunststoff erweist sich als ziemlich flexibel, die gelöteten Nähte reißen nicht. J. schaut sichtlich beeindruckt auf das Ding. O. ruft erfreut: »Ist richtig wie verschweißt!«

Im Format des Versuchs entwickelt O. sein Vorhaben – den Bau einer Haube aus zuvor geschmolzenen und im Anschluss zusammengelöteten Kunststoffplatten, die er mit einer schon angefertigten Plastik aus Ton kombiniert. Sein Vorgehen wird von ihm explizit als Versuch gerahmt: »Ich will das mal so versuchen«. Der Versuch ermöglicht es dem Studierenden, von einem zuvor überlegten Vorhaben auszugehen, ohne jedoch zuvor dessen Ergebnis in seinen Eigenschaften und Phänomenen vorwegzunehmen. Wie der gelötete Kunststoff sich verhält und zeigt, gibt sich während beziehungsweise im Verlauf des Versuchs zu erkennen. Der Studierende hat im Rahmen des Versuchens einen Weg gefunden, zwischen einem gerichteten Vorhaben und einem weiterhin offenen Probieren sein Vorha-

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ben zu entwickeln, das heißt: Was gemacht werden soll (Bau einer Haube), steht fest und orientiert sowie stabilisiert das Arbeiten an und mit den Dingen; wie sich die Dinge entwickeln und wie sie sich verhalten, bleibt jedoch offen und dem Versuch überlassen. Die nicht erwartete und somit überraschende Qualität des Materials wird hier zur Ressource der Arbeit und ihrer Optionen. So offenbart sich das Material beispielsweise in einer nicht zuvor von O. erwarteten Flexibilität und Biegsamkeit. Der Studierende wird von dem, was das Erarbeitete ihm zu erkennen gibt, überrascht. In der Strategie des Versuchs liegt demnach die Möglichkeit begründet, Überraschungen hervorzubringen und Nichtvorhersehbares zu evozieren. Der Versuch etabliert die Option des souveränen Umgangs mit einer überraschungsgeladenen und zugleich risikobehafteten Situation – so beinhaltet der Versuch immer beide Optionen des Gelingens oder Scheiterns. In der hier gezeigten Situation haben wir es mit einem geradezu harmlosen Versuch zu tun, dessen Ergebnis sich an keinem Ideal oder vordefinierten Output messen lassen und abgleichen lassen muss. Der Studierende kann mit einer gewissen Souveränität etwas ausprobieren, das vielleicht so oder so sein wird. Kontingenz wird hier nicht zum Risiko, sondern zur konstruktiven Ressource, die Potenzial freisetzt, das in seinen Qualitäten nicht vorhergesehen und absolut vorweggenommen werden kann. In dieser Weise wird hier ein gewisser qualitativer Überschuss für den weiteren Arbeitsverlauf erzeugt. Nach Reckwitz (2012: 125) folgt die Logik zeitgenössischer künstlerischer Praxis auch einer »Logik der Überraschungserwartungen«, das heißt, dass es in dieser auch »das Unbekannte, Irritierende und Verstörende« (Reckwitz: 2012: 125) zu forcieren gilt. Überraschungserwartungen sind im Kontext des Kunststudierens von einer anderen Logik durchdrungen als Erwartungserwartungen. Erstere entsprechen dem Anspruch des künstlerischen Feldes, Anderes und sodann gar Eigenes hervorzubringen, Letztere orientieren sich daran, was schon angenommen wird, dass es angenommen wird, und richten sich somit zu stark an Annahmen aus. Der Versuch qualifiziert sich für das Arbeiten im Rahmen des Kunststudierens in doppelter Weise als eine adäquate und legitimierende Strategie, um Überraschungen als Ressource für Fragen, Formen und Offenheit für den Arbeitsprozess zu generieren: Einmal birgt er konstruktives Potenzial, etwas zu probieren und legitimiert zu scheitern – man kann immer sagen: Es war nur ein Versuch. Zudem bietet er den Studierenden innerhalb der Qualifikationsphase eine Art Schutzraum, in dem sie sich als Künstler ausprobieren können. Dieses Ausprobieren erfolgt hier sodann als praktisches Arbeiten mit und an den Materialien und Dingen. O. als Studierender höheren Semesters scheint die Praxis künstlerischen Arbeitens als eine des Machens und Probierens bereits verinnerlicht zu haben, so lautet etwa sein Kommentar: »Ja, ich weiß nicht, ich probier das mal

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aus«. Das Vorgehen des Studierenden scheint weniger an einer vorab durchgeführten Recherche in der Logik einer best practice auszugehen. Vielmehr wird die Improvisation offensiv einbezogen: »[…] und dann wird das hier irgendwie genietet, oder so«. Die laut J. verfügbaren »extra Schrauben« werden von O. weniger als Möglichkeit oder Lösung bezüglich einer methodischen Optimierung seines Vorhabens zur Kenntnis genommen, so scheint O. im Rahmen seines Vorhabens gar von der Verwendung von ›extra‹ für einen bestimmten Zweck hergestellten Werkzeugen abzusehen beziehungsweise zurückzutreten. Sein Vorgehen wird hiernach vielmehr von der Logik des trial and error getragen und bleibt demnach dem Versuch verhaftet. Die Strategie des Versuchs führt jedoch nicht zur Beliebigkeit im Hinblick darauf, was sich wie zeigt. Wie aber wird seitens der Studierenden die Qualität des Versuchs und dessen Hervorbringung beurteilt? Bereits anhand der hier beschriebenen Szene deutet sich die Relevanz des Wahrnehmens und besonders des Sehens an, die künstlerischem Arbeiten innewohnt. Das von O. gelötete Kunststoffobjekt wird von beiden Studierenden intensiv betrachtet, mit einem neugierigen Blick adressiert und angeschaut. Es wird berührt, hochgehoben sowie in seiner haptischen Verfasstheit untersucht und begutachtet. Im Wahrnehmen beziehungsweise im Berühren und Sehen offenbart es den beiden Studierenden seine sinnlichen und ästhetischen Qualitäten, indem es sich zeigt, affiziert und überrascht. Wahrnehmen und Erkennen gehen im künstlerischen Arbeiten ineinander über und bedingen sich.17 Dies geht mit der Bereitschaft einher, sich von den sich zeigenden Dingen beziehungsweise von dem, was mit den behandelten und manipulierten Dingen ›passiert‹, überraschen und aufhalten zu lassen. Eben dies führt künstlerische Praxis zu der Einsicht, »daß wir uns niemals ganz unserer selbst bewußt sind, daß wir uns durch unsere eigenen Aktionen überraschen« (Mead 1973 [1934]: 217). Eine derartig offene Disposition gegenüber eigenen Aktionen verbunden mit den Eigenheiten der verwendeten Dinge wird im künstlerischen Studium regelmäßig praktiziert, geübt und somit im Vollzug ›gelernt‹. Abschlussausstellungen oder das Zeigen zeigen Wie bereits angesprochen, besteht ein Zugzwang des Kunststudierens und generell des künstlerischen Arbeitens darin, seine Hervorbringungen Anderen zu zei-

17 An dieser Stelle sei auf ein gleichsam verwobenes Denken im Sehen hingewiesen, das eine Beziehung zwischen Sehen und Denken beschreibt: »Zwar gibt es kein Sehen ohne Denken, aber es genügt nicht, zu denken, um zu sehen« (Merleau-Ponty 2003b: 296, Herv. i. O.).

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gen. Im Kontext des Studiums erfolgt das Zeigen von studentischen Arbeiten in Form von Gesprächen zwischen Studierenden und Professoren sowie im Rahmen der jeweiligen Klasse, oftmals organsiert in Kolloquien, Klassenbesprechungen oder Klassensitzungen. Wie ein derartiges Zeigen und Sprechen über das Gezeigte in solchen Besprechungen abläuft, wird separat in einem anschließenden Kapitel behandelt. Es gibt an den Kunsthochschulen und Kunstakademien neben diesen internen Gelegenheiten des Zeigens von Arbeiten zudem weitere Formate, in denen die Studierenden einem öffentlichen Publikum ihre Arbeiten präsentieren. Dies geschieht im Zuge der sogenannten Rundgänge oder Jahresausstellungen, die jährlich oder auch halbjährlich initiiert und organisiert werden. Zu diesen Anlässen öffnen die Akademien und Hochschulen ihre Türen für die breite Öffentlichkeit, um zu zeigen, was in einem entsprechenden Zeitraum erarbeitet wurde, welche Positionen derzeit in der jeweiligen Hochschule anzutreffen sind und welche Klasse von welchem Professor wie profiliert ist. Derartige Rundgänge erzeugen je nach Reputation der Akademie und Hochschule unterschiedliche Resonanzen. Sammler, Mäzene, Galeristen und Kuratoren gehen zu diesen Anlässen durch die Räumlichkeiten, um Nachwuchskünstler zu akquirieren und Werke zu kaufen. Die studentischen Arbeiten erhalten im Zuge ihrer Ausstellung Raum und werden exponiert, zugleich bringen sie in den Ateliers auch exponierten Raum hervor: So treten für diese Zeit die profanen Dinge und Gegenstände des Ateliers in seiner Alltäglichkeit zurück; für die Profilierung und Inszenierung der Arbeiten wird aufgeräumt. Die Räume künstlerischen Arbeitens werden gleichsam vom Anschein der Arbeit bereinigt, um Kunst zu zeigen. Neben den Rundgängen und Jahresausstellungen findet auch der Abschluss des künstlerischen Studiums in der Regel in Form einer Ausstellung der Absolvierenden statt. Bevor die Abschlussarbeiten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, gehen die Professoren durch die Ateliers und Präsentationsorte, um die gezeigten Abschlussarbeiten zu beurteilen. Abschlussausstellungen gehen in der Regel mit einer abschließenden Prüfungssituation einher. Was wird im Rahmen eines derartigen Abschlusses von den Absolvierenden erwartet? – hierzu folgender Kommentar von einer an einer Kunsthochschule lehrenden Künstlerin: Bei den abschließenden Arbeiten ist auch die Erwartung, dass sozusagen nicht nur das Werk eine Form gefunden hat, das schon auf einem hohen Niveau bildende Kunst sein soll, sondern eben auch die Art und Weise, wie die Dinge präsentiert werden, machen auch einen hohen Anteil der Prüfungssituation aus. Also, da wird schon erwartet, dass man für die Dinge, die man da gemacht hat, eine adäquate Präsentationsform findet oder

90 | K UNST IN A RBEIT erfindet, was nicht heißt, dass man die Dinge immer ordentlich an die Wand hängen muss, sondern manchmal ist es für die Arbeiten auch stimmiger oder es kommt den Arbeiten mehr entgegen, wenn man auch wirklich sozusagen Präsentationen dafür erfindet.

Folgt man den Ausführungen der Künstlerin, so teilt sich die Beurteilung des Gezeigten im Zuge des Abschlusses in zwei Dimensionen: Einmal geht es um die Beurteilung dessen, was die Studierenden zeigen; zudem wird die Art und Weise beurteilt, wie die Absolvierenden ihre Arbeiten und Werke präsentieren. In dieser Weise tritt im Zuge des Abschlusses gleichsam das Zeigen des Zeigens hervor, was einen reflexiven Umgang mit den eigenen Arbeiten bei den Studierenden erfordert. Die Abschlussarbeiten werden demnach nicht als losgelöste, für sich stehende, autonome und isolierte Entitäten betrachtet, sondern müssen innerhalb einer Präsentation exponiert und profiliert werden, in welcher Verbindungen, Kontraste, Abgrenzungen sowie Relationen zu anderen Arbeiten und Werken durch die Präsentationsweise kommentiert und sichtbar gemacht werden. Die Anforderung an die Abschlusskandidaten besteht mit diesem zeigenden Zeigen sodann darin, ihre Arbeiten im Kontext der bildenden Kunst sichtbar zu machen und sich somit als Künstler im Feld der Kunst(-akademie/-hochschule) zu positionieren. Das ›Finden‹ oder ›Erfinden‹ einer adäquaten Präsentation ist immer auch ein gegenstandsbezogener oder auch fallbezogener Vorgang – so muss dies jeder Studierende in Bezug auf seine Arbeiten selbst herausfinden beziehungsweise austarieren. Eine Rolle bei diesen Findungsprozessen kann beispielsweise auch der Einbezug der räumlichen Umgebung spielen, etwa in der Weise, wie sich diese auf die Anordnung der Arbeiten auswirkt. Mit der Form der Präsentation kann demnach auch beeinflusst werden, wie die Arbeiten ihren Betrachtern beziehungsweise zunächst den Lehrenden und Prüfenden gegenübertreten. Werden die Arbeiten beispielsweise nebeneinander als Reihe oder übereinander als Stapel angeordnet? Werden sie als Haufen in einer wirkenden Unordnung präsentiert oder als Schwarm, der Bewegung suggeriert? Hängen die gezeigten Dinge von der Decke, liegen sie auf dem Boden? Werden sie an Wände projiziert oder bilden sie womöglich selbst Räume aus, die der Betrachter durchquert? Verschiedene Formen und Weisen der Präsentation der Arbeiten sind möglich, die in Bezug zu den jeweiligen Arbeiten seitens der Studierenden zu überlegen sind. Fragen, die Studierende sich im Zuge der von ihnen zu konzipierenden Abschlusspräsentationen oftmals stellen, beziehen sich beispielsweise darauf, was sie wo zeigen werden. Häufig ist zunächst eine Auswahl der Arbeiten zu treffen und ein Ort für deren Präsentation zu finden. So herrscht nicht selten eine gewisse Konkurrenz unter den Studierenden dahingehend, wer seine Arbeiten in wel-

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chen Räumlichkeiten der Akademie oder Hochschule für seine Präsentation zur Geltung bringen darf. Neben der Frage der Räume geht es sodann darum, die Relevanz der Arbeiten und Werke durch die Art und Weise ihrer Präsentation zu kommentieren und zu exponieren. Fragen, die Studierende sich hierbei stellen, lauten etwa: Welche Arbeiten sollen in den Vordergrund treten, welche eher am Rand stehen? Was soll besonders markiert werden, was eher den Arbeitsprozess hintergründig kommentieren? Hierzu ein Einblick in ein ethnografisches Protokoll: F. geht mit mir zu dem Bereich in dem großen Atelier, wo sie bereits begonnen hat ihre Arbeiten aufzubauen. Sie erzählt mir, dass sie ihre vielen gesammelten und archivierten Fotografien, angefertigte Bücher sowie Fundstücke im Rahmen einer Installation zeigen möchte. Es soll eine Installation werden, die das Thema »Hinterland« und »Nahwelt« thematisiert. Ihr Vorhaben im Zuge der Installation besteht zunächst darin, gebaute Wände aufzustellen, um ein Zimmer und somit »Heimeligkeit« anzudeuten. Die Wände sollen mit einer Tapete beklebt werden, die auf kleinbürgerliche Wohnzimmer referiert. An den tapezierten Wänden sollen gerahmte Fotografien und Erinnerungsstücke einer fiktiven Familiengenealogie hängen. Auch plant sie, extra eine Bank und einen Tisch aus Holz zusammen mit dem Werkmeister anzufertigen, auf dem die Bücher und Fotoalben sodann platziert werden sollen. Auf einem bereits im Atelier befindlichen Tisch liegen schon diverse aufgeklappte Fotobücher und gesammelte Artefakte, beispielsweise getrocknete und gerahmte Pflanzen aus einer scheinbaren Vergangenheit auf dem Land. Sie schaut auf die verschiedenen Dinge: »Ich muss mal sehen, wie das wird, das soll ja auch nicht zu viel Kulisse werden, aber ohne die Wände habe ich Bedenken, dass das nicht so rüberkommt.«

Das Finden der Präsentationsform geht mit einem Überlegen der Studierenden einher, wie die Arbeiten von den Prüfenden aufgefasst und in welchem Kontext betrachtet werden könnten – die Studierende wird in dieser Weise Autorin und Kritikerin ihrer Arbeit zugleich. Mit der Installation versucht sie eine gewisse Thematik ihrer Arbeiten zum Vorschein kommen zu lassen, die die einzelnen Arbeiten kontexiert und die eine bestimmte Lesart bei den Betrachtern nahelegen und verstärken soll. Dies scheint für sie ein Balanceakt zu sein: Einerseits soll die Installation als Präsentationsweise die Arbeiten als solche nicht zurückdrängen (»das soll ja auch nicht zu viel Kulisse werden«), andererseits benötigen die vielen kleinteiligen Arbeiten und Fragmente einen Rahmen, der sie zusammenhält (»aber ohne die Wände habe ich Bedenken, dass das nicht so rüberkommt«). Auch aus Perspektive der Studierenden wird die Präsentation als Art und Weise des Zeigens relevant gemacht. Durch sie ist die Möglichkeit gegeben, die Arbeiten zu kommentieren. So impliziert sie einen konzeptualisierenden

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Eingriff durch die Autorin selbst. Die Präsentation lässt die Arbeiten ›so oder so‹ auftreten und positioniert den Betrachter, der sich ihnen aus dieser oder jener Perspektive zuwenden kann. Die Präsentationsform dient gleichsam der Sichtbarmachung der Sichtweise der Autorin auf ihre eigene Arbeit. Genau hier liegt ein reflexives Moment im Zusammenspiel zwischen dem, was gezeigt wird und wie dieses gezeigt wird, oder anders gesprochen: Das, was gezeigt wird, bedarf einer Überlegung, wie es gezeigt wird. Nicht nur die einzelnen Arbeiten beziehungsweise Werke, sondern ihre Beziehungen zueinander und zu ihrer Umgebung werden in derartigen Präsentationen sichtbar gemacht, wobei diese sich ihren Betrachtern gegenüber plausibilisieren müssen. So besteht eine Anforderung im Zuge der Abschlussausstellung darin, zu antizipieren, wie was seitens der Prüfenden und auch des Publikums gesehen und beurteilt werden könnte. Anders als in den Eignungsprüfungen beziehungsweise der Sichtung der eingereichten Mappen sind die abschließenden Präsentationen innerhalb der Akademie oder Hochschule personifiziert. Studierende und Professoren kennen sich in der Regel in dieser letzten Phase des Studiums und auch die Arbeitsverläufe der Studierenden sind den Prüfenden bekannt. Auch wenn die Professoren zuvor den Arbeitsverlauf und die Entwicklung eines Studierenden über Jahre mitverfolgt haben, gilt es im Zuge des in dieser Weise ritualisierten Abschlussprozederes den in diesem Rahmen gezeigten Arbeiten eine besondere Relevanz zuteilwerden zu lassen. In einem Gespräch äußert sich eine Professorin für Fotografie (P) wie folgt zum (Ideal-)Verlauf eines solchen Studiums: E: Was müssen die Abschlussarbeiten zeigen oder ›können‹, dass man sagen kann, ›das‹ plausibilisiert sie als Abschlussarbeiten? P: Ja, also eigentlich ist ja das gesamte Studium so angelegt, dass sozusagen in begleiteter Selbsttätigkeit an der Entwicklung und Erprobung einer eigenen künstlerischen Position gearbeitet wird und alles, was da unterwegs passiert an Ausprobieren und Erfahrungen sammeln, sollte sich halt irgendwann im Laufe des Studiums weiter und weiter dazu verdichten, dass jemand herausfindet, mit welcher Art von Kunst er sich beschäftigen will, beziehungsweise dadurch, dass die Leute sich mit den künstlerischen Medien beschäftigen, mit ihren Ideen, und Dinge herstellen und erstellen und erfinden und diese Dinge auch immer wieder im Plenum, im Kolloquium vorstellen und zeigen und da immer wieder auch von den Künstlerlehrenden und Mitstudenten, die ja eine wesentliche Rolle spielen in diesem Klassensystem, auch wieder Rückkopplung bekommen, kommt es eigentlich im Prozess weiter und weiter dazu, dass die eigenen Kriterien –, also dass die Leute sich klar werden und ihre eigenen Kriterien für ihre eigene Arbeit entwickeln. Also es gibt jetzt vielleicht nicht unbedingt sowas, was es für alle gibt. […] Also sagen wir, irgendwann ist

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das Studium zu Ende und zu diesem bestimmten Punkt wird eben eine bestimmte Arbeit intensiv entwickelt, die dann hingestellt wird. Und im Grunde ist ja dieses EtwasHinstellen und Präsentieren also bis dahin ja vielfach erprobt, also entweder in den Vorgängen innerhalb der Klasse, die ich ja gerade beschrieben habe, oder eben auch im Erproben des Sich-Zeigens nach außen, was wir hier bei den Rundgängen sehen oder bei Klassenausstellungen, wo das immer wieder gezeigt werden kann. Und mehr und mehr werden die Leute dann sozusagen selbstständiger in künstlerischen Setzungen – so jedenfalls die Vorstellung –, dass sie immer sicherer werden in ihren eigenen Formfindungen und nicht mehr so danebenliegen von den Dingen, die sie eigentlich wollten.

Den Ausführungen folgend, besteht eine Annahme bezüglich des Studienverlaufs darin, dass die Abschlussarbeiten gleichsam eine Verdichtung des bisherigen Arbeitens und dessen Entwicklung darstellen. Der Argumentation zufolge kulminiert in der abschließenden Präsentation das, was zuvor über Jahre seitens eines Studierenden erarbeitet wurde. Gefasst wird dies als Erlangung einer »eigenen künstlerischen Position«, die sich anderen sodann als solche zu erkennen gibt. Die Arbeit an einer Position und Form geht hiernach immer auch aus dem kontinuierlichen Austausch mit Lehrenden und Mitstudierenden hervor – wie dieser Austausch im Rahmen solcher Kolloquien oder Besprechungen erfolgt, wird in einem anschließenden Kapitel weitergehend nachgezeichnet. Das Studium der bildenden Kunst in seiner Forderung eines selbsttätigen und selbständigen Arbeitens geht gleichsam von einer sozialisationstheoretischen Grundannahme aus: Die Anderen beziehungsweise Lehrende und Mitstudierende werden zur Voraussetzung für die Entwicklung eines künstlerischen Selbst,18 wie in dem Gesprächsauszug deutlich wird: »[…] und da immer wieder auch von den Künstlerlehrenden und Mitstudenten, die ja eine wesentliche Rolle spielen in diesem Klassensystem, auch wieder Rückkopplung bekommen«. So geht es für die Studierenden permanent darum, die eigenen und selbst entwickelten künstlerischen Arbeiten durch Andere kommentieren und kritisieren zu lassen. Dies lädt die Situation des Zeigens von Arbeiten für Kunststudierende oftmals im Sinn persönlicher Identifikation mit den gezeigten Arbeiten auf und kann die Situation für den Einzelnen prekär werden lassen – aus Sicht der Studierenden gesprochen: Die eigene Arbeit verschränkt sich mit einem Selbst. So ist es nicht verwunderlich, wenn Kunststudierende und auch etablierte Künstler im Zuge ihrer Ausstel-

18 Siehe hierzu etwa das sozialisationstheoretische Konzept nach Mead 1973 [1934]. Das Selbst geht in der Theorie Meads nicht selbstreferentiell, isoliert oder genialisch aus sich hervor, sondern erst in Interaktion mit Anderen und deren Erwartungen, zu denen es sich ins Verhältnis setzt (Mead 1973 [1934]: 221).

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lungsbeteiligungen oftmals sagen: »Ich hänge da«, während sie dabei in Richtung ihrer ausgestellten Arbeit zeigen. Aus dieser Sicht kann künstlerisches Arbeiten auch zu einem riskanten Unterfangen werden, da es sich immer Anderen zeigen, darstellen, präsentieren und plausibilisieren muss. Bestätigen die Anderen die eigene Arbeit und Position nicht, kann dies gar eine Gefährdung und Krise des Selbst bedeuten. Die Klasse sowie im Weiteren die Kunstakademie oder Kunsthochschule bieten demnach Irritation beziehungsweise Fragilität und zugleich Stabilität für eine (künstlerische) Selbstsozialisation. Sie werden zum Referenzrahmen der Studierenden und der Entwicklung ihrer Arbeiten, die somit in einem bestimmten Umfeld und geprägt von lokalen Einflüssen, Diskursen und Relevanzen entstehen. In dieser Weise ermöglicht der Rahmen des Kunststudiums mit seinen personen- und institutionenbezogenen Strukturen auch die Hervorbringung von Profilen, die in ihrer Verortung erkennbar sind und die ihre künstlerische Herkunft preisgeben. Ob diese Erkennbarkeit im Sinne einer Zuordenbarkeit studentischer Arbeiten, Positionen und Profile zu einem bestimmten Professor oder einer bestimmten »Schule« eine Form von »Kunsthochschulkunst« (Janecke 2008: 61) hervorbringt, bleibt an dieser Stelle offen. Wichtig wird vielmehr, dass die Kunsthochschulen nicht nur als Wissensvermittler fungieren, sondern immer auch Sozialisationsinstanzen für künstlerische Selbstentwürfe sind, indem sie Abgrenzung von und Orientierung an anderen im nahen Umfeld ermöglichen. Hier kann auch ein gewisser Zugzwang künstlerischen Arbeitens ausgemacht werden: Eigenes und in diesem Sinn Individuelles – im Feld der Kunst gar Originelles – kann nur im Unterschied zu anderen hergestellt und hervorgebracht werden. An dieser Stelle sei kurz auf die Beurteilungspraxis innerhalb eines solchen selbst-zentrierten Studiums eingegangen: Mit dem Zugzwang, im Verlauf des Kunststudiums Eigenes als Studierender selbst zu erarbeiten, das seitens der lehrenden Künstler beurteilt wird, wird Individualität auch Resultat einer Beurteilungspraxis, die die Einzelnen als Einzelne in den Blick nimmt. So geht die Bewertung, Begutachtung oder eben Beurteilung der seitens der Studierenden gezeigten Arbeiten und Präsentationen durch die lehrenden Künstler – anders als beispielsweise die schulische Bewertungspraxis – nicht von einer voraussetzungsvollen »formalen Gleichheit« der zu Beurteilenden aus (Bourdieu 2001b: 25 ff.). Im Gegenteil: Die Annahme der Gleichheit der Studierenden kann in der Praxis künstlerischen Arbeitens nur in der Annahme von Ungleichheit der Einzelnen, ihrer Arbeiten und Ansätze zum Tragen kommen. Dies zeigt sich in den Praktiken der Beurteilung: Weder wird von den lehrenden Künstlern mit Standardisierungen noch mit universellen Kriterien gearbeitet, die sich unabhängig

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von den jeweiligen Arbeiten anwenden beziehungsweise die sich auf sämtliche Arbeiten übertragen lassen würden. Das Entwickeln von »eigenen Kriterien« in Bezug auf die jeweilige Position und ihre Arbeiten erfordert sodann auch das Beurteilen im Eingehen auf diese jeweiligen Kriterien: Sind diese anhand der präsentierten Arbeiten für die Lehrenden erkennbar? Zeigen sie sich im Ansehen und kritischen Beurteilen der Arbeit in der Situation? Das Beurteilen bleibt, ob bei Besprechungen von Arbeiten sowie auch Abschlussausstellungen, den »hingestellten« Arbeiten der Einzelnen in Relation zu denen der Anderen verhaftet. Wie aber werden bei Verzicht auf eine an Egalisierung, Homogenisierung und Standardisierung ausgerichtete Beurteilungspraxis »eigene Kriterien« für studentische künstlerische Arbeiten von den Beteiligten beziehungsweise lehrenden Künstlern und Studierenden entwickelt? Wie wird über studentische Arbeiten in den Ateliers gesprochen und wie wird das Gezeigte besprochen? Kurzum: Wie wird »kommunikative Rückkopplung« initiiert, organisiert und praktisch vollzogen? Diesen Fragen soll im Folgenden nachgegangen werden mit einem Einblick in die Abläufe und Aushandlungen innerhalb der Kolloquien oder auch Klassenbesprechungen.

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Ein Format, in dem Studierende ihre Arbeiten dem Professor sowie den Mitstudierenden beziehungsweise der Klasse regelmäßig zeigen können und müssen, besteht in den sogenannten Klassenbesprechungen, Klassensitzungen oder einfach Kolloquien. Diese finden in der Regel semesterweise an den Akademien und Hochschulen statt und bilden einen Kern des Studiums und der künstlerischen Qualifikation. In diesem Setting treffen Lehrende mit ihren Klassen beziehungsweise Studierenden zusammen, um über die entstehenden studentischen Arbeiten zu sprechen. In diesem Rahmen erhalten die Studierenden Gelegenheit, ihre Arbeiten vom Professor sowie den Mitstudierenden kommentieren zu lassen. Zu diesem Anlass werden die Arbeiten von den Studierenden in den Ateliers oder entsprechenden Räumlichkeiten exponiert, das heißt: Sie werden an die Wand gehängt oder – je nach Arbeit – hingestellt und im Raum angeordnet, sodass die Anderen sie anschauen können und ein Gespräch über sie in Gang kommen kann. Die Arbeiten werden somit von dem, der sie hervorgebracht hat, zur Disposition und Diskussion gestellt. Eine grundlegende Annahme des Kunststudierens liegt in der Wechselwirkung zwischen dem arbeitenden Vollzug in Atelier und Werkstatt und dem Zeigen dessen, was dort entstanden ist. In dieser

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Weise entwickelt sich eine Abwechslung zwischen Herantreten an das Hervorgebrachte und Zurücktreten von diesem sowie zwischen Machen und dem Herstellen einer reflexiven Beziehung zum Gemachten. Dieses Wechselspiel zwischen Arbeiten an den, allgemein gesprochen, Dingen und ihrem Zeigen verweist auf zwei Zugzwänge des Kunststudierens, die auch selektiv im Hinblick auf den Erfolg innerhalb eines solchen Studiums wirksam werden können. Der erste lautet: Jeder muss seine Arbeiten den Anderen zeigen. Zeigt jemand nichts, so kann auch nichts seitens der Anderen begutachtet, diskutiert, betrachtet, angeschaut, kritisiert und besprochen werden. Der zweite lautet: Jeder muss an etwas arbeiten, das gezeigt werden kann. Krisenhaft wird es, wenn jemand nichts mehr ›macht‹ beziehungsweise, wenn er nicht mehr arbeitet. Wer im Rahmen des Studiums nicht arbeitet, der kann auch nichts zeigen; wer nichts zeigen kann, der erhält keine kommunikative Rückkopplung seitens der Mitstudierenden und Professoren; wer keine Rückkopplung und keine Kommentare bezüglich seiner Arbeiten evoziert, der kann sein Arbeiten nicht weiterentwickeln und wiederum nichts zeigen. Das Delegieren der Initiative, zu arbeiten und etwas zu zeigen, an den Studierenden bedeutet auch, dass dieser an der Herstellung der Situation des Begutachtens seiner Arbeiten selbst beteiligt wird. Der Logik der Eigeninitiative und der Selbsttätigkeit zufolge ist das Zeigen von Arbeiten die notwendige Bedingung zur Hervorbringung von Beurteilungen durch Andere. In dieser Weise wird die Selektivität innerhalb des Kunststudiums an den Studierenden weitergereicht, der den Anderen etwas zeigen muss, um deren Kommentare, Beurteilungen, Begutachtungen und mitunter auch Bewertungen zu evozieren und somit auch um zu zeigen, dass er ein ambitionierter Studierender der Kunst ist. Institutionelle Selektion wird in ihrer Darstellung in Selbstselektion transformiert. Die Situation des Zeigens von Arbeiten durch die Studierenden geht mit der Herstellung eines kritischen Settings einer. Durch das Zeigen werden die Arbeiten zu Objekten der Kritik der Anderen. Die Arbeiten, aber auch das Arbeiten in seiner Entwicklung sowie nicht zuletzt der Arbeitende setzen sich den Blicken der Anderen aus. So werden die Arbeiten in Anwesenheit desjenigen besprochen, der sie hervorgebracht hat. In Abhängigkeit von der Gesprächskultur in der jeweiligen Klasse und bei dem jeweiligen Professor werden solche Besprechungen von Studierenden sehr unterschiedlich beschrieben. Während die einen derartige Besprechungen und Situationen des Zeigens als prekär und krisenhaft charakterisieren, beschreiben die anderen die von ihnen besuchten Kolloquien als konstruktiv und kooperativ – hierzu einige Zitate von Studierenden, die sich mir als Ethnografin gegenüber in dieser oder jener Weise geäußert haben: »Bei dem wurde jeder, der was gezeigt hat, total fertiggemacht«, oder aber: »Irgendwann hat man dann verstanden, dass es eher um das Fragen an sich geht. Das Kollo-

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quium bei XY hat mir total viel gebracht«. Vom ›Sitzen auf dem heißen Stuhl‹ bis hin zur Begeisterung für die konstruktiv empfundenen Besprechungen wird eine Spannbreite in den Kommentaren von Studierenden erkennbar. Die Wahrnehmung derartiger Besprechungen wird hierbei von den Studierenden stark an die jeweiligen Lehrenden gekoppelt, so zeigt sich in solchen Statements auch die Abhängigkeit der Studierenden von ihrem Professor und dessen Anerkennung. Auch wenn sich die Gespräche in Abhängigkeit von den verschiedenen Arbeiten – je nachdem, was in welcher Weise gezeigt wird – und auch von den jeweiligen Lehrenden und Studierenden unterschiedlich gestalten können, lässt sich eine gewisse Verlaufsstruktur erkennen, die im Folgenden nachvollzogen wird. Im Zuge der Beobachtung von Besprechungen an zwei verschiedenen Kunstakademien beziehungsweise Kunsthochschulen lassen sich wiederkehrende Abläufe und kommunikative Eigenheiten des Feldes identifizieren, die anhand der Analyse ethnografischer Protokolle und Transkripte sichtbar gemacht werden. Ergänzend zu gesprächsanalytisch relevanten Phänomenen der Kommunikation und Konversation, werde ich zudem – den Teilnehmern folgend – den Einbezug des Sehens und weitergehend des Wahrnehmens profilieren, so spielt dieses für das Verstehen des Settings eine grundlegende Rolle. Besonders relevant wird aus ethnografischer Sicht hierbei, wie Kunststudierende darin geübt werden, über künstlerische Arbeiten zu sprechen und diese zu kritisieren. Fragen, die sich für mich als Ethnografin hierbei stellen, lauten etwa: Wie wird in diesem Kontext eigentlich was besprochen? Wie wird den gezeigten Arbeiten begegnet? Wie vollziehen sich derartige Besprechungen und was wird wie zum Gegenstand des Sprechens gemacht? Erstmal jeder für sich. Zum eigenen Wahrnehmen und Sehen Das eigene Wahrnehmen und besonders Sehen wird für künstlerisches Arbeiten zu einem grundlegenden Zugang. Im Kontext der Kolloquien, Klassenbesprechungen oder Sitzungen wird ein künstlerisch involviertes Wahrnehmen und Sehen praktiziert, herausgefordert, forciert und zur Darstellung gebracht. Folgender Protokollauszug, der aus dem Kolloquium einer Klasse an einer Kunsthochschule hervorgegangen ist, vermittelt einen Einblick, wie ein solches Wahrnehmen und Sehen zu Worten finden kann: Nachdem einige organisatorische Fragen bezüglich einer Exkursion geklärt wurden, leitet die Professorin in die Situation des Kolloquiums ein: »Okay. Dann können wir jetzt beginnen«. Die Studierenden sowie die Professorin verteilen sich im Raum und beginnen die im Raum platzierten Arbeiten zu betrachten. An den weißen Wänden in dem spärlich be-

98 | K UNST IN A RBEIT stuhlten Raum der Klasse hängen rundum Fotografien in großen wie auch kleinen Formaten, die die Studierende, deren Fotografien heute besprochen werden, zuvor in bestimmter Weise angeordnet hat. Die Mitstudierenden sowie die Professorin gehen langsam im Raum umher, einige halten sich dicht an den Wänden, andere treten ein paar Schritte zurück und blicken aus einigen Metern Distanz auf die an der Wand hängenden Fotografien. Das Betrachten der Fotografien geht mit einem Schweigen aller Anwesenden einher. Jeder im Raum richtet seinen Blick auf die Fotografien, zunächst scheinbar jeder für sich – es wird nicht miteinander gesprochen. Die betrachtenden Blicke der Umhergehenden richten sich viel mehr auf die Fotografien als auf die Blicke der Anderen. Jemand fasst sich im Vollzug seines Betrachtens in nachdenklich anmutender Pose ans Kinn, einige Studierende verschränken die Arme vor dem Oberkörper oder hinter dem Rücken. Die Blicke der Anwesenden sind zumeist ernst und konzentriert auf die Arbeiten gerichtet, vereinzelt wird ein Schmunzeln in Anbetracht eines Fotos sichtbar. Wenige Studierende wie auch die Professorin beugen sich zu den tiefer hängenden Kleinformaten herab, die fast in Bodennähe an der Wand befestigt wurden. Eine Betrachterin geht vor einem in dieser Weise tiefhängenden Foto geradezu auf die Knie, eine andere deutet eine Verbeugung an. Vor einigen der Fotos bleiben die Betrachtenden lange stehen, an anderen gehen sie schneller vorbei. Bisweilen werden die Augen zusammengekniffen, eine Studierende schaut sich zunächst suchend und fragend mit weitgeöffneten Augen im Raum um, bevor ihr Blick an einer der Fotografien hängen bleibt. Nach einer Weile lege ich Block und Stift beiseite und geselle mich zu den Betrachtenden, gehe an den Wänden entlang, blicke auf die Fotografien, bleibe vor einigen Kleinformaten stehen, auf denen ich zunächst Ausschnitte identifiziere, die seltsam collagiert wirken. An eines der Fotos trete ich nah heran und erkenne, dass die untere weiße Fläche im Bild Teil einer Duschwanne ist, in der ein blaues Tau nackte Haut umwickelt. Ich beginne das Bild in seinem Aufbau zu studieren und überlege, ob der nicht direkt in seiner Form zu identifizierende Teil eines menschlichen Körpers digital ausgewählt oder manuell ausgeschnitten wurde. Ich studiere das Bild weiterhin im Hinblick darauf, ob es sich um eine Collage handelt und wie sich dieser Ausschnitt in Bezug auf das Bild plausibilisieren lässt. Fragen drängen sich mir im Vollzug des Ansehens des Fotos auf: Was macht das Foto wie? Worum geht es in dieser Arbeit? Während mich dieser fotografierte Duschwannenausschnitt kurzzeitig an Duchamps Fountain denken lässt, wird das blaue Tau für meinen Blick mehr und mehr zu einer Wasseranalogie, sodass es sich vor der fleischfarbenen Haut eher herunter- als hinauf zu kringeln beginnt. Das sich Zeigende gibt sich auf ikonografischer Ebene zu erkennen, was jedoch unmittelbar weitere Fragen anschließt: Was macht dieses Tau als ›Wasser‹ dort, was zeigt es im Kontext des Fotos, kurzum: Um was geht es hier? Etwa um das Ausschnitthafte als solches oder stand womöglich zunächst eine dem Foto vorausgehende Performance im Vordergrund? Schließlich höre ich leise, flüs-

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ternde Kommentare von ein paar Studierenden im hinteren Teil des Raumes. Die Professorin schaut auf und blickt in die Runde »So. Das Gespräch ist eröffnet.«

Im Kontext des gemeinsamen Ansehens der Fotografien etabliert sich eine Klassenöffentlichkeit, in der differente Weisen des Betrachtens der Arbeiten sichtbar werden. Nach Hausendorf (2003) zeigt sich die Situation einer »perceived perception«: Das Wahrnehmen wird geradezu wahrnehmbar; das Sehen wird sichtbar und als soziale sowie künstlerische Praxis relevant. Es tritt hier in einem schweigenden Betrachten und Ansehen der exponierten Arbeiten hervor. Die Anwesenden begegnen den Arbeiten aus verschiedenen räumlichen Nähe- und Distanzpositionen. Sie bewegen sich langsam im Gehen durch den Raum; ein jeder blickt dabei weniger auf die Anderen als vielmehr auf die an der Wand hängenden Fotografien, keiner spricht. In dieser Weise schaut zunächst ein jeder für sich in Gemeinschaft der Anderen die Fotografien an. Ähnlich den Besuchern einer Ausstellung bleiben auch im Zuge des Ansehens der Arbeiten im Atelier die Anwesenden sensibel für die Kopräsenz der anderen (vom Lehn 2006). Es wird mitunter gewartet, bis jemand sich wegbewegt, um sich erst dann vor einem Bild zu positionieren; es wird seitens der Beteiligten darauf geachtet, den anderen nicht die Sicht zu versperren. Und dennoch zeigt sich in diesem Setting ein Unterschied beziehungsweise eine Auffälligkeit: Im Kontext der Besprechung künstlerischer Arbeiten im Rahmen des Kunststudiums wird seitens der angehenden Künstler weniger die Art und Weise des Sehens und Betrachtens an der der anderen orientiert, vielmehr tritt dieses in seinen Differenzen und Variationen, Nuancen und Eigenheiten auf – nicht nur das Sehen wird sichtbar, sondern es geht auch darum, dass das Sehen als ein eigenes Sehen beziehungsweise individuelles Sehen sichtbar (gemacht) wird. Jeder geht mit seinen Blicken auf die Arbeiten zu, jeder nähert sich ihnen auf seine Weise, die sich körperlich vermittelt zur Darstellung bringt: Ein nachdenklich-überlegendes Sehen beziehungsweise Betrachten, ein humorvoll schmunzelndes Ansehen und Betrachten, ein angestrengt wirkendes Sehen oder ein verschlossenes, ernstes Sehen lässt die Differenzen in den jeweiligen Praktiken des Sehens hervortreten. Auch schweift der Blick von einigen Studierenden zunächst im Raum umher, andere gehen die Wände entlang und fahren diese mit ihren Blicken ab, bleiben an einzelnen Fotografien mit ihren Blicken hängen, andere gehen direkt auf ein Bild zu und bleiben vor diesem stehen. Auffallend ist: Es wird nicht gesprochen. Das Schweigen hüllt den Einzelnen in seinem Sehen ein und schützt dessen Blick als einen eigenen, der in seiner Weise zu blicken und zu sehen weder von einführenden Worten noch von didaktischen Anweisungen seitens der Professorin initiiert und begleitet wird. Es

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bleibt dem Einzelnen selbst überlassen, wie er den Arbeiten mit und in seinem Sehen und Wahrnehmen begegnet. Das Sehen wird nicht durch Ansagen oder inhaltliche beziehungsweise thematische Rahmungen vorab orientiert, ausgerichtet oder kanalisiert. Im Zuge des gemeinsamen einzelnen Sehens wird eine »geteilte Wahrnehmungssituation« erzeugt (Merleau-Ponty 2003a: 35 f.).19 Diese geht davon aus, dass jeder Betrachter sich den Dingen mit und in seinem eigenen Sehen nähert – nach Streeck/Goodwin/LeBaron (2011: 2) zeigt sich hier eine »shared world of perception«. Obgleich sich die Betrachter beim Betrachten beziehungsweise sich die Sehenden beim Sehen sehen können und eine klassenöffentliche Situation eintritt, erscheint das Betrachten und Ansehen der Arbeiten in gewisser Weise selbstbezüglich. Jeder zeigt vor den Fotografien seine Weise des Ansehens der Arbeiten, das sich in seinen leiblichen Eigenheiten, in seinen Bewegungen, in seinen räumlichen, körperlichen und mimischen Bezügen dem Gezeigten zuwendet und sich in seiner Darstellung von dem der Anderen unterscheidet. Das jeweilige und somit eigene sehende, blickende Zuwenden zu dem sich Zeigenden tritt hier performativ hervor (Schürmann 2008: 100 ff.). Ein derartig schweigendes und auf sich gestelltes Betrachten ermöglicht und forciert ein Sehen, das darin gefordert wird, seinen eigenen Zugang zu dem zu suchen, was sich ihm zeigt. In solchen Settings wird dieses sich den Dingen individuell zuwendende Sehen wiederholt praktiziert, geübt und in dieser Weise ›gelernt‹. So lässt sich auch im Feld der Kunst von einer professionalisierenden Praxis des Sehens sprechen, die nicht voraussetzungslos ist, sondern im Vollzug entwickelt wird – hierzu folgendes Zitat: »Seeing in such an environment is not an unproblematic activity. Participants must learn how to see in organizationally appropriate ways the habitual scenes of the work setting.« (Goodwin/Goodwin: 1996: 89)

19 Nach Merleau-Ponty sind es gerade geteilte Wahrnehmungssituationen, die Welt und Wirklichkeit hervorbringen: »Es gibt nicht zwei numerisch verschiedene Welten und eine Vermittlung durch die Sprache, die uns miteinander verbände. Vielmehr gibt es eine Art von Forderung, dass das von mir Gesehene auch von ihm gesehen wird. […] Zugleich aber wird die Mitteilung durch die Sache selbst verlangt, die ich sehe, durch die von ihr zurückgeworfenen Sonnenstrahlen, durch ihre Farbe, durch ihre sinnliche Evidenz. Das Ding stellt sich nicht schlechthin als wahr für jedes erkennende Wesen dar, sondern als wirklich für jedes Subjekt, das meine Wahrnehmungssituation teilt« (Merleau-Ponty 2003a: 35 f.).

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Im Feld der bildenden Kunst wird künstlerisch involviertes Sehen ›gelernt‹, das sich besonders über seine Eigenheiten und als Eigenes organisiert, indem der Sehende zunächst für sich Zugänge zum Sichtbaren – hier zu den gezeigten Arbeiten – entwickelt. »Auf der einen Seite ist die Welt das, was wir sehen, und auf der anderen Seite müssen wir dennoch lernen, sie zu sehen« (Merleau-Ponty 2004: 18). In der Praxis künstlerischen Arbeitens wird Sehen als ein eigenes Sehen gelernt, vertieft und praktisch erworben, indem es wieder und wieder in eine eigene Beziehung zum Sichtbaren eintritt und sich den sich zeigenden Dingen zuwendet. Der »Erwerb einer Welt« (Merleau-Ponty 1974: 183) hängt auch von dem Erwerb praxisspezifischer Seh- und Sichtweisen ab: »[…] sehen lernen heißt, einen gewissen Stil des Sehens, einen neuen Gebrauch des eigenen Leibes sich zu eigen machen, das Körperschema bereichern und neu organisieren« (Merleau-Ponty 1974: 184). Künstlerische Zugänge organisieren sich auch im Gebrauch des eigenleiblich verankerten Sehens, das die Dinge befragt: »Je nach der Art und Weise, in der der Blick die Gegenstände befragt, über sie hingleitet oder auf ihnen ruht, gewinnt er ihnen mehr oder weniger ab« (Merleau-Ponty 1974: 183 f.). Dieser Logik folgend, werde auch ich darin gefordert, mich mit meinem Sehen den Arbeiten zuzuwenden. Nach einer beobachtenden Phase, in der besonders die Praktiken des Betrachtens der Teilnehmer hervortreten, nähere ich mich den Fotografien, befrage sie mit meinem sowie zugleich durch meinen Blick, reichere sie mit Überlegungen und Assoziationen an, verknüpfe sie mit bereits von mir Gesehenem, Erinnertem und mir Bekanntem. Wo bleibe ich wie lange stehen, wie nah trete ich an was heran? – All diese Fragen vollziehen sich in der Praxis des Sehens selbst. Das Sehen begibt sich zu den Arbeiten, die es mal aufhalten und mal zum Weiterschauen anregen. Hat sich der neugierige Blick von einem ihm unbekannten, nicht direkt durchschaubaren Detail aufhalten lassen (hier beispielsweise das kleinformatige collagiert wirkende Foto), so entwickeln sich im Vollzug des Blickens und Betrachtens Fragen und Möglichkeiten sowie Referenzen dahingehend, was sich wie und wie sich was zu erkennen gibt, oder besser: zu erkennen geben kann. Dies beinhaltet zugleich auch das, was dem fragenden und suchenden Blick verborgen bleibt, sodass dieser irritiert wird. Im Hinblick auf die Fotografie stellen sich mir im Blicken beispielsweise Fragen danach, wie hier mit Ausschnitten gearbeitet wird und wie Motiv und Thema des Fotos zusammengehen können. Dieser anfänglich suchende und fragende Blick legt das Erblickte nicht direkt fest. Er verwendet Einordnungen und Referenzen zunächst als Heuristiken, sodass er Vagheit und Offenheit in seiner Begegnung mit dem Sichtbaren zulassen kann. Im Blicken drängen sich Fragen auf, um was es dieser Fotografie ge-

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hen kann, wie sich dieses zeigt und jenes plausibilisieren lässt. Dieses in gewisser Weise forschende und das Sichtbare abtastende Sehen birgt Fragen, die zunächst als Möglichkeiten in Anbetracht des Bildes beziehungsweise der Fotografie freigesetzt werden: Um was geht es hier? Was zeigt sich mir hier? Was ist relevant, wie gibt sich hier was zu erkennen? Das Fragen verbleibt zunächst im Vollzug des Sehens im Sinne eines sich Einsehens in das sich Zeigende. Die Arbeit beziehungsweise die Fotografie beginnt sich im Sehen zu entwickeln, indem an ihr Fragen bedeutsam werden, die Zugänge und Anschlüsse generieren. Auch schließen diese Fragen den Sehenden sowie auch das Sichtbare ein – sie richten sich sowohl an die Fotografie als auch zugleich an mich selbst: Wie zeigt sich mir die Arbeit? Wie begegnet sie meinem Blick? Das befragende Sehen in seinem Vollzug ist somit immer auch ein reflexiv organisiertes, indem das sich Zeigende in seinen Qualitäten sowie auch der Sehende mit seinen Assoziationen, mit seinem Wahrnehmen und seinem Wissen zusammenkommen. Sehender und Sichtbares, Blick und Erblicktes, Person und Welt verschränken sich im Sehen beziehungsweise im sehenden, betrachtenden, befragenden Vollzug: »Der Blick ist nämlich selbst Einkörperung des Sehenden in das Sichtbare, Suche nach sich selbst im Sichtbaren« (Merleau-Ponty 2004: 173) – oder einfacher formuliert: Im Sehen erfolgt zunächst eine Auseinandersetzung mit dem, was sich jemandem wie zeigt. Halten wir bis hierin fest: Das Zeigen als Bestandteil des Kunststudiums etabliert ein Setting, in dem die Studierenden immer wieder dazu aufgefordert werden, dem Gezeigten mit ihrem eigenen Sehen zu begegnen und dieses Sehen zugleich an und mit den Dingen im praktischen Vollzug zu entwickeln. Das eigene Sehen wird im Verlauf des Kunststudiums somit regelmäßig geübt, habitualisiert und herausgefordert. Hierbei ist wichtig anzumerken, dass es in derartigen Settings nicht darum geht, einen Konsens des Sehens zwischen allen Beteiligten und ihren Sichtweisen herzustellen. Vielmehr wird zunächst der Einzelne in und mit seinem Sehen adressiert beziehungsweise die Anwesenden werden in Gemeinschaft der Anderen in ihrem jeweiligen Sehen vereinzelt. So wird das Sehen im Feld der Kunst als ein vornehmlich individualisiertes Sehen praktiziert und habitualisiert. Dieses individualisierte Sehen beziehungsweise, in der Sprache des Feldes, dieses eigene Sehen wird in derartigen Situationen des Betrachtens der Arbeiten insofern bedeutsam, als die Studierenden den gezeigten Arbeiten als angehende Künstler begegnen (sollen), die sich den Dingen mit einem eigenen Blick nähern (müssen). Das eigene Sehen wird als Ausgang und Zugang künstlerischer Praxis relevant gemacht.

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Studierende schauen sich die an der Wand angebrachten Fotografien an. Situation einer Klassenbesprechung an einer Kunsthochschule. (Eigene Abbildung)

Eine Exponierung des Sehens in der Kunst ist bereits verschiedentlich angesprochen und formuliert worden. Mit Imdahl (1996: 304) lässt sich dieses Sehen in seinen befragenden Qualitäten auch als ein »sehendes Sehen« argumentieren, das sich von einem »wiedererkennenden Sehen« unterscheidet; oder wie Schürmann schreibt: »In der Kunst als einem Medium der Unterbrechung intersubjektiv autorisierter Wahrnehmungsgewohnheiten ist Sehen weit über seine identifizierende Funktion hinaus ein methodisch praktiziertes Anderssehen« (Schürmann 2008: 211). Anderssehen qualifiziert sich als ein Sehen, das sich nicht vornehmlich in Routinen, Schemata und Bekanntem einrichtet, beziehungsweise als ein Sehen, das »[…] mit den Routinen eines auf Bescheidwissen und Verfügen zielenden Sehens bricht« (Schürmann 2008: 211). In derartigen Settings werden im Rahmen des Kunststudiums Situationen geschaffen, in denen ein Sehen systematisch für bestimmte Phänomene und Fragen sensibilisiert und als künstlerisch involviertes Sehen regelmäßig praktiziert wird. So wird nicht zuletzt in und mit diesem regelmäßigen Praktizieren des Ansehens von Arbeiten im Rahmen des Kunststudiums das Sehen als ein eigenes sehend (gemacht).

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Das eigene Wahrnehmen und Sehen zum Sprechen bringen Nach der Phase des Anschauens und Betrachtens der Arbeiten gilt es, ein Gespräch über die gezeigten und präsentierten Dinge in Gang zu setzen. Am Fall einer weiteren Klassenbesprechung soll ein derartiger Gesprächsverlauf in seiner Struktur sowie in Bezug auf seine Eigenheiten analytisch in den Blick genommen und nachvollzogen werden – wieso Eigenheiten? Nach Hausendorf (2007: 18) sowie Hausendorf und Müller (2016) zeigt sich am Sprechen in Anbetracht von Kunstwerken beziehungsweise künstlerischen Arbeiten eine »Sprache in der Kunstkommunikation«. In dieser spielt nicht zuletzt der »Zusammenhang von Wahrnehmen, Zeigen, Beschreiben, Deuten, Erläutern und Bewerten« (Hausendorf 2007: 34) eine zentrale Rolle. Wahrnehmen und Sprechen werden in ihrer Verschränkung und auch in ihren Differenzen erkennbar. Im Kontext der Besprechung studentischer Arbeiten im Rahmen des Kunststudiums tritt zudem die Notwendigkeit hinzu, dass die Anwesenden die Arbeiten in ihrer Rolle als angehende Künstler beziehungsweise Studierende der Kunst ansehen und besprechen (sollen). Das heißt, dass es hier im Weiteren auch um eine Praxis der Professionalisierung geht: Nicht der Laie im Museum oder der Kunstwissenschaftler in Anbetracht eines etablierten Werkes äußert sich hier über Kunst, sondern Studierende der Kunst, die selbst künstlerisch arbeiten, sowie Künstlerprofessoren befragen und kritisieren künstlerische Arbeiten in ihren Potenzialen und Qualitäten. Wie aber sprechen Kunststudierende in Anbetracht der Arbeiten eines Mitstudierenden über das Gezeigte? Wie plausibilisiert sich das Besprechen des Hervorgebrachten im Kontext des Kunststudiums? Derartigen Fragen wird anhand eines weiteren Falls nachgegangen, der den Verlauf einer solche Besprechung analytisch nachvollzieht. Vorab eine Rahmung des Falls: Der hier ausgewählte Fall einer Klassenbesprechung veranschaulicht, wie ein solches Gespräch verlaufen kann. Die Zusammenarbeit zwischen Professor und Studierenden wurde im Verlauf der Besprechung aus ethnografischer Sicht als kooperativ und ›an der Sache‹ ausgerichtet wahrgenommen; die Situation ist von Aufmerksamkeit aller Beteiligten gekennzeichnet. Alle Anwesenden – der Professor der Klasse (P), zwölf Studierende und ich – setzen sich auf die im Atelier aufgebauten Stühle, die vor einem Bildschirm positioniert sind, der wiederum in der Mitte des Raumes steht. Eine Studierende (St), die ihre Arbeiten heute zeigt, hat eine großformatige Papierrolle (ca. 1,80 m Höhe) an der Wand im hinteren Teil des Raumes aufgestellt, deren abgerolltes Papier (ca. 2 m Breite sind abgerollt und lehnen an der Wand) eine Bleistiftzeichnung offenbart. Von einem ausgefransten, an den Rändern

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zerfetzten Loch ungefähr in der Mitte des Papiers gehen feine, mit Bleistift gezogene bogenförmige Linien aus, die in alle Richtungen wegstreben und die gestischen Spuren der Armbewegungen der Zeichnerin zeigen. So entsteht eine elliptische Form aus dicht beieinander und übereinander gezeichneten Bleistiftlinien, die alle aus einem Punkt heraus zu streben scheinen. Das Loch an der einen Stelle des Papiers resultiert aus dem Reißen des Papiers aufgrund des ständigen, wiederholten Stiftansetzens an derselben mittigen Stelle, so hat das Papier der harten und immer wieder angespitzten Bleistiftmine schließlich nachgegeben. Auf der hinter dem Papier befindlichen Wand sind die abgehenden Linien zu erkennen, die St trotz des gerissenen Papiers weiter gezeichnet hat, so steht das Papier genau dort, wo St die Zeichnung angefertigt hat. Der auf einem Tisch aufgebaute Bildschirm vor der papierenen Zeichnung zeigt zwei Filmdateien. Der Professor eröffnet mit erwartungsvollem Blick Richtung der Studierenden das Gespräch. P:

Gut.

St:

Ja dann würd ich jetzt anfangen und=ähm also die Arbeiten hinter euch die sind eigentlich (.) ganz frisch.

P:

Solln wa solln wa nicht [erst ma mit der großen Arbeit] anfangen?

St:

[Genau. Mit der großen] Arbeit würd ich auch anfangen. Aber den Film würde ich vorher zeigen.

P:

Könn Se denn nich- sollen wir nich erst mal über die Arbeit vor- und dann den Film zeigen?

St:

Ach so! Können wir auch machen ja. Können wir auch. (.) Also aber die ist halt jetzt übers letzte Semester und Anfang dieses Semester (…)

P:

Obwohl zeigen Sie zeigen Sie doch mal den Film. Das is vielleicht ganz gut als Einstieg.

St:

Okay (.) genau.

Bevor das Gespräch über die Arbeiten beginnen kann, wird zunächst das Zeigen der Arbeiten in seinen Abfolgen organisiert. Die Autorin der Arbeiten (St) möchte mit dem Film beginnen und im Anschluss auf die Papierarbeit, eine großformatige Bleistiftzeichnung zu sprechen kommen. Der Professor der Klasse (P) wendet daraufhin ein, ob nicht doch die »große Arbeit« aus Papier zuerst im Fokus stehen soll. Er schließt sich dann jedoch dem Vorschlag der Studierenden an, sodass der Film vorab gezeigt wird. Relevant wird das Organisieren von Abfolgen der gezeigten Arbeiten besonders vor dem Hintergrund, dass hiermit das Betrachten in seinem Wie und Was gestaltet wird. Was zuerst gesehen, was zuerst wahrgenommen wird, beeinflusst, wie was im Anschluss gesehen, wahrgenommen und besprochen wird. Auseinandersetzungen, Zusammenhänge, Verknüpfungen, Bezüge und Fragen gehen auch aus dem Ablauf und der zeitlichen

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Abfolge des Sehens und Wahrnehmens hervor. Wie und auch wann sich was zeigt, macht etwas mit dem, was sich wann wie zeigt. Die Gestaltung des Zeigens und des Wahrnehmens geht dem Betrachten und Besprechen der Arbeiten voraus. St startet den Film und setzt sich zu den Anderen. Alle blicken auf den Bildschirm. Der Film zeigt, wie St vor dem abgerollten Papier steht, sodass sie mit dem Rücken zum Betrachter positioniert ist. Sie hält einen Bleistift in der Hand, setzt ihn an einer schon sehr ›mitgenommen‹ wirkenden Stelle auf dem Papier an, von der aus schon viele mit dem Bleistift gezogenen Bögen abgehen. Mit fast gestrecktem Arm führt sie den Stift in die papierene Fläche hinein, so lange, bis sie ihre Armlänge ausgereizt hat, die in der Bewegung einen Bogen beschreibt, da ihr Arm sich ab einem gewissen Grad in der Drehung anwinkeln muss. Die über das Papier hinwegziehende Bleistiftmiene verursacht ein entsprechendes Geräusch. St führt den Stift nach dem Absetzen wieder an die Ansatzstelle zurück und zieht einen weiteren Bogen in engem Abstand zum vorherigen. Eine gute Viertelstunde zeigt der Film, wie St in dieser Weise mehr und mehr Linien beziehungsweise Bögen, ausgehend von der wieder und wieder kontaktierten selben Stelle auf dem Papier zieht, die mit jedem Ansetzen des Stiftes weiter ausfranst. Zu hören ist allein das Geräusch, wenn der Bleistift über das Papier fährt, erst kräftig und gegen Ende eines jeden Bogens leiser, da die Hand in der Ausführung an Druckkraft verliert. Auch ist die Atmung von St ab und an zu hören, besonders gegen Ende. Der Film schließt damit ab, dass St ihre Position vor dem Papier verlässt, um den Stift anzuspitzen. Als der Film endet, blicken alle auf St, die als Autorin der Arbeiten Block und Stift zückt, um sich während der nun folgenden Besprechung Notizen zu machen. Während des Sprechens blicken die Studierenden zumeist weiterhin Richtung Bildschirm sowie auf die hinter diesem an der Wand lehnende Zeichnung. Die zeichnerische Arbeit zieht die Blicke während des anschließenden Gesprächs immer wieder auf sich – auch ich schaue oftmals auf die abgewickelte Papierrolle und die dort sichtbaren Bleistiftspuren, während ich den Beiträgen der Anderen folge. Ein Aufnahmegerät liegt neben mir, sodass ich parallel Notizen anfertigen kann. Während er Fragen an die Teilnehmer richtet, fokussiert der Professor oftmals die Studierenden (St1-12) sowie die Zeichnung. St:

(leise) gut. (Stühle rücken)

P:

So. (1) Jetzt ham wir ja das Video gesehen. Jetzt sehen wir die Arbeit (.) da hinten (blickt Richtung Zeichenrolle) (.) das Original. (2) Wie würden Sie denn die Beziehung (.) beschreiben zwischen dieser Videoarbeit (.) und der (1) und dem Papier, das wir dahinter sehen?

(3)

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St2: Ich find’s ganz wichtig, dass beides zusammen zu sehen, weil (.) die Zeichnung alleine (.) (schaut während des Sprechens auf die Zeichnung) also da fühlt man und (.) hat erst mal sehr fein und n bisschen (2) sehr (1) fast flora::l erst bisschen gewirkt. P:

Mmh.

St2: (mit unentwegtem Blick auf die Zeichnung) Und sehr sa::nft und wei::ch. (1) Auch durch die vielen feinen Striche und (3) und (1) das Video dagegen hat dann gezeigt, wie wie brutal das eigentlich in der Entstehung war. Also dieser, dieser Bleistift auf dem Papier, wie das dann so dieses so (wiederholt dabei die Geste des Zeichnens) dieses Geräusch allein und dieser Takt ähm (1) wirken sehr brutal (.) und auch dass es eben (.) also ich finde, dass die Form, bei der Form ne Art Raum entsteht oder so ne Art (.) Dreidimensionalität, aber darum (.) das sieht man ab und zu, dass es darum nicht geht, sondern dass es da um wie weit reicht meine Hand oder=Armspanne und der Körper irgendwie, dass (1) der Bleistift so weit geführt wird, wie der Arm eben weit ist. (1) Das ist mir jetzt im Anschluss sehr bewusst geworden. St3: Das bekommt ne akustische Dimension. Also find ich jetzt auch, wenn der Film dann nicht mehr läuft (.) bleibt diese Kre- also diese Kreisbewegung, dieses Schwache, sagen wir, wo’s nur kräftiger wird vom (1) vom allein vom Geräusch her wie du arbeitest. Und das also das fand ich ganz spannend (.) und auch, dass diese Linien, die von der Wand her durchscheinen, bei denen ich dann noch eher gedacht hatte, dass (2) ja dass da irgendwas zu hören is, oder dass die noch mal (.) dass man die gar nicht wahrnimmt. Obwohl sie hier ja ziemlich stark (.) optisch wirken, sind die akustisch eigentlich nicht vorhanden. […] P:

Das Interessante is jetzt bei bei dem Video hauptsächlich (.) über über die Tonspur zu sprechen, [weil, weil (…) würde das dann reichen?]

St3: P:

[Ja weil das war alles so war so] hypnotisch! Bitte?

St3: Das war so hypnotisch. P:

Ja würde es dann nicht dann nicht reichen, die Tonspur zu haben?

St:

Vielleicht.

St4: Also mir schon. (3) St5: Es würde vielleicht irgendwie mit dem Bild dann zusammengehen oder so (1) also nur den Ton (…) St6: Es würde dann noch ne engere Verbindung eingehen vielleicht, oder zu dem (…) P:

Ja was, was wäre, wenn wir jetzt nur die Tonspur hätten?

St3: Ja die Frage wär, ob’s funktioniert. Das kann man schlecht jetzt sagen. (lacht) St7: Also mir würden glaube ich auch n paar Sachen fehlen. N paar spannende Fragen, die mir jetzt durchs Bild kamen, wenn man das Bild weglassen würde. Also (…)

108 | K UNST IN ARBEIT P:

Zum Beispiel?

St8: Dieses, was du (an St2 gerichtet) meintest mit brutal, also da fand ich, dass es auch brutal gewirkt (.) hat dieses zu sehen (.) wie diese Schulter sich immer bewegt und man sich irgendwie gefragt hat: endets damit, dass sie nicht mehr kann und umkippt? Oder vielleicht der Bleistift oder reißt das Papier? Also mir kam auch immer wieder der Gedanke, weil das sich ja so (.) so hoch bewegt hat immer son bisschen, dass es vielleicht auch damit endet, dass es reißt oder größere Löcher noch entstehen. Also ich hab mich auch viel über das, was ich gesehen hab gefragt, denk ich und es ähm ich glaub das Geräusch würde mir nicht dieses Unerträgliche geben. Also ich hab irgendwann fast abgeschaltet, weil es mir zu viel wurde und ihr wurde es nich zu viel. Und das fand ich irgendwie auch interessant. Also sie ist ganz konzentriert dabeigeblieben und ich bin schon langsam ausgestiegen. Und ich denk das wären Sachen (.) die kämen mir über die Tonspur eher nicht. St9: Also ich glaub, bei mir war das gerad anders herum. Also da wären die Fragen noch stärker bei mir, wenn ich das nicht sehen würde.

Zunächst zur Einordnung der formalen Struktur des Gesprächs: Organisiert wird das Gespräch im Format der Besprechung, die als solche einer bestimmten Logik folgt. Als Autorin der beiden Arbeiten leitet St nach dem Anschauen des Films behutsam in die Gesprächssituation ein, indem sie mit einem leisen und flüsternden »gut« die Situation des schweigenden Betrachtens durchbricht. P übernimmt gleichsam den Vorsitz der Besprechung. Er initiiert das Gespräch mit einer Frage, die er an das Plenum adressiert: »Wie würden Sie denn die Beziehung beschreiben zwischen dieser Videoarbeit und der, und dem Papier, das wir dahinter sehen?« Die daran anschließenden Antworten der Studierenden sind in ihrer Form als Beiträge organisiert. Beiträge bringen das Format der Besprechung als solches hervor, da sie sich durch bestimmte Eigenschaften auszeichnen. So können Beiträge sowohl auf eine Frage erfolgen als auch sich gegenseitig kommentieren. Sie können aufeinanderfolgen, ohne dass jedem Beitrag eine erneute Frage oder eine initiierende Aufforderung durch einen Gesprächsleiter, Moderator oder Lehrer vorausgehen muss. Beiträge eignen sich dafür, etwas in einer Gruppe zu besprechen, wobei das Gespräch in seiner Struktur nicht darauf angewiesen ist, permanent beziehungsweise nach jedem Sprechervollzug (Turn) von einer Person initiiert und (an)geleitet zu werden. So lassen Beiträge eine gewisse Offenheit des Gesprächsverlaufs zu. Sie sind jedoch auch gegenüber zwischenzeitlichen Interventionen seitens eines Vorsitzenden aufgeschlossen und ermöglichen eine Gesprächsmoderation. Auch die Zuteilung von Beitrags- oder Rederechten kann durch den Vorsitzenden übernommen werden, damit die Beiträge linear aufeinanderfolgen. So bietet ein formal und inhaltlich qualifizierter Bei-

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trag, der etwas für das zu Besprechende leistet, Anschlussmöglichkeiten für weitere Beiträge an, was dem Gespräch eine gewisse Dynamik verleihen kann. Das Gespräch im Format einer auf Beiträgen gründenden Besprechung geht weniger von einer schematischen Frage-Antwort- oder Frage-Antwort-KommentarStruktur aus. Es ist nicht auf zuvor feststehende Antworten und Lösungen ausgerichtet. Vielmehr findet eine Besprechung ihre Plausibilität im Besprechen von etwas, das zunächst offen und unbestimmt ist und daher überhaupt besprechbar beziehungsweise zum Gegenstand der Besprechung werden kann. Gegenstand hier sind die zu besprechenden Arbeiten, die von allen Beteiligten angesehen werden. Ausgegangen wird auch hier zunächst vom Sehen und Wahrnehmen der Einzelnen. Wie aber zeigen sich die Arbeiten und wie wird dies sprachlich vermittelbar? Wie wird über und in Anbetracht der Arbeiten gesprochen beziehungsweise wie werden die Arbeiten besprochen? Beschreiben als Einstieg: Der Einstieg in das Gespräch über die sich zeigenden Arbeiten erfolgt hier mittels Beschreiben, das durch folgende Initiationsfrage des Professors in Gang gesetzt wird. Wie würden Sie denn die Beziehung (.) beschreiben zwischen dieser Videoarbeit (.) und der (1) und dem Papier, das wir dahinter sehen?

Durch den Einsatz des Konjunktivs formuliert der Professor als Initiator und Moderator des Gesprächs eine Ausgangsfrage, die nicht nach eindeutigen Antworten und evidenten Lösungen fragt, sondern die zum offensiven Umgang mit der Kontingenz des Beschreibens selbst auffordert. So wird nicht nach harten Beschreibungen gefragt, sondern vielmehr nach möglichen Beschreibbarkeiten. Der Hervorbringungsakt des Beschreibens wird in dieser Weise berücksichtigt. In der Art und Weise, wie die Frage gestellt ist, produziert sie keine auf Richtigkeit ausgerichteten Antworten, sondern evoziert Beiträge, die sich als Möglichkeiten des Beschreiben-Könnens im Kontext der beginnenden Besprechung qualifizieren. Die Studierenden werden seitens des lehrenden Künstlers als Autoren ihres Beschreibens adressiert, die von ihrem Sehen und Wahrnehmen ausgehen. So enthält das »Sie« in seiner Adressierung innerhalb der Frage eine doppelte Implikation: Einmal wird die gesamte Klasse als Teilnehmer an einer geteilten Wahrnehmungssituation angesprochen; zudem wird jeder Einzelne mit dieser Frage in seiner individuellen Wahrnehmung adressiert. Die Etablierung einer Autorenschaft in Bezug auf die initiierten Beiträge räumt den Sprechenden sowohl inhaltlich wie auch formal gestalterische Möglichkeiten ein, das vom Einzelnen eigens Gesehene und Wahrgenommene zum Sprechen zu bringen, »der Zusammenhang zwischen Wahrnehmen und Beschreiben entfaltet seine Wirk-

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mächtigkeit […]« (Klotz 2007: 91 f.) und setzt den Sprechenden in ein Verhältnis zum Wahrgenommenen beziehungsweise zum sich Zeigenden. Das Besprechen der Arbeiten wird als Folge von beschreibenden Beiträgen organisiert, die sich dem gesehenen Film und der situativ sichtbaren und (ko-) präsenten Zeichnung zuwenden. Zugleich beziehen sich diese auf die Ausgangsfrage. Das Gespräch entwickelt sich demnach als Interaktion unter Anwesenden in Anbetracht der sich zeigenden Arbeiten. Das Fragen nach Beschreibbarkeiten suggeriert, dass hier nicht etwa von universellen, eindeutigen, in den Dingen enthaltenen richtigen Beschreibungen ausgegangen wird, die es zu finden und sprachlich umzusetzen gilt. Nicht das Ausführen, sondern das Hervorbringen von Beschreibbarkeiten wird implizit als Annahme mitgeführt: Das Beschreiben ausgehend vom Wahrnehmen der Arbeiten gilt es im Sprechen zu erarbeiten, sodass die Arbeit am Beschreiben des Wahrnehmbaren selbst Berücksichtigung findet. Wie sich die Arbeiten in ihrer Beziehung zueinander in welcher Weise zeigen können, wird der Besprechung als eine offene Frage vorangestellt – so mögen die Arbeiten den Einzelnen unterschiedlich gegenübertreten. In dieser Weise werden die Studierenden dazu aufgefordert, ihr Sehen beziehungsweise Wahrnehmen in Bezug auf die sich zeigenden Arbeiten in Worte zu fassen. Der Bezug auf das, was dort steht und für alle Anwesenden sichtbar ist, bezieht die Verwendung deiktischer Ausdrücke ein (Hausendorf 2007: 30), die im Zeigen das lokalisieren, was das Ge- oder sodann Besprochene adressiert: »zwischen dieser Videoarbeit (.) und der (1) und dem Papier, das wir dahinter sehen«. So wird auch Bezug darauf genommen, was wo sichtbar, beschreibbar und sodann für alle Beteiligten besprechbar wird. Es gilt in einem gleichsam zeigenden Sprechen eine geteilte Wahrnehmungssituation unter Anwesenden immer wieder herzustellen und diese zu performieren. Welche Eigenheiten des Beschreibens dessen, was sich in situ zeigt, werden hier an den studentischen Beiträgen erkennbar? Das Hervorbringen von Beschreibbarkeiten ist durch ein gleichsam tastendes Sprechen und Formulieren gekennzeichnet. So zeigt sich das Zum-Sprechen-Bringen des eigenen Wahrnehmens auch als ein Akt des Formulierens, als Suchen nach Worten und verbalisierbaren Zusammenhängen, um das Wahrgenommene den Anderen kommunikativ zu vermitteln. Auch im Vollzug des Sprechens und Zuhörens schauen die Anwesenden die Arbeiten – hier die Papierarbeit beziehungsweise die Zeichnung – weiterhin an. Die Studierenden werden im Zuge der Besprechung aufgefordert, ihr jeweiliges Wahrnehmen beschreibbar, mitteilbar und kommunizierbar zu machen und ihm im Sprechen Konturen, Formen beziehungsweise Ausdruck zu verleihen. In der Simultanität und zeitlichen Nähe von Wahrnehmen und Sprechen sprechen die Anwesenden weniger über ihre Wahrnehmung, so als wäre

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ihnen diese ein analytisch zu durchdringender Gegenstand oder Objekt, das sie distanziert in den Blick nehmen und explizieren können. Das Sprechen und Beschreiben vollzieht sich vielmehr im Wahrnehmen der sich zeigenden Dinge in situ. Der Wahrnehmungsvollzug deutet sich im Vollzug des Sprechens gleichsam an und tritt performativ hervor. Worte, Begriffe und Semantiken werden mit der Geste des Versuchs und der Annäherung an die sich zeigenden Dinge im Sprechen herangetragen. Der Wahrnehmende setzt sich in dieser Weise sprechend in ein Verhältnis zu seinem Wahrnehmen sowie zu den Wahrnehmbarkeiten, die die sich ihm zeigenden Dinge anbieten. Dieses Verhältnis gibt sich als eines zu erkennen, das immer auch von der Bewältigung der Differenz zwischen Wahrnehmen und Sprechen geprägt ist. So setzen sich die von ihrem Wahrnehmen Sprechenden dem Problem der Vereindeutigung und der Plausibilisierung einer Sprecherposition aus, was zugleich im Sprechen mitaufgeführt wird – aber wie? So. (1) Jetzt ham wir ja das Video gesehen. Jetzt sehen wir die Arbeit (.) da hinten (blickt Richtung Zeichenrolle) (.) das Original. / Ich find’s ganz wichtig das beides zusammen zu sehen, weil (.) / also ich finde, dass die Form, bei der Form ne Art Raum entsteht oder so ne Art (.) Dreidimensionalität / Also find ich jetzt auch, wenn der Film dann nicht mehr läuft / Und das also das fande ich ganz spannend und auch dass diese Linien, die von der Wand her durchscheinen, bei denen ich dann noch eher gedacht hatte, dass (2) ja dass da irgendwas zu hören is / also da fand ich, dass es auch brutal gewirkt (.) hat dieses zu sehen.

Zur Autorisierung und Personalisierung des Sprechens vom Wahrnehmen: Im Verlauf des Gesprächs tritt immer wieder die Verbindung von Benennung einer sehenden, wahrnehmenden, etwas ›findenden‹ und auch denkenden Instanz als ein »Ich« oder ein »Wir« auf, die sich auf etwas beziehungsweise das Gezeigte und sich Zeigende (»das Video«; »die Arbeit«; »das beides«; »die Form«; »diese Linien«; »etwas, das wirkt«) bezieht. Das Wahrnehmen von etwas wird im Sprechen an die Wahrnehmenden beziehungsweise an einen Wahrnehmenden gekoppelt: Wir sehen beziehungsweise ich sehe, höre, denke etwas. Der Sprechende in persona autorisiert die Bezugnahme auf sein eigenes Wahrnehmen. Das »Wir« markiert hier die Annahme einer von allen geteilten Wahrnehmungssituation. Es inkludiert in seiner Adressierung alle Anwesenden, die potenziell das, was sie wahrnehmen und sehen, zum Sprechen bringen können – und im Zuge der Herstellung eines Gesprächs auch sollen. Mit dem Bezug auf ein sprechendes »Ich« wird die geteilte Wahrnehmungssituation auch als individuelle markiert: Ein »Ich« ist die Autorität, die von ihrem Wahrnehmen sprechen kann.

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Dieses Sprechen vom Wahrnehmen wird einmal in seinen sinnlichen Bezügen zum Ausdruck gebracht (sehen), aber auch als eines, das in eine weitergehende Beziehung zum Wahrgenommenen tritt, mit diesem umgeht und sich zu diesem positioniert (finden, denken). Die leibliche Anwesenheit plausibilisiert und legitimiert das »Ich« als sprechende Autorität und als Individuum, das seine Erfahrungen und Sichtweisen, Empfindungen und Überlegungen in Anbetracht und Erinnerung an das Gezeigte mit Worten und Pausen, Sätzen und Unterbrechungen in Anwesenheit der Anderen sprachlich annähern kann. Der Wahrnehmende wird zur sprechenden individuellen Person, indem er dem Sichtbaren und Wahrnehmbaren mit Worten und Sätzen begegnet, indem er seine Erfahrungen und Überlegungen im sprechenden Vollzug weitergehend erkundet, formt und sich im und durch das Sprechen vor den Anderen in ein anderes Verhältnis zu den sich ihm zeigenden Dingen setzt: Das ist mir jetzt im Anschluss sehr bewusst geworden. / Also mir kam auch immer wieder der Gedanke / Also ich hab mich auch viel über das, was ich gesehen hab gefragt / Also ich hab irgendwann fast abgeschaltet, weil es mir zu viel wurde.

Zur Herstellung von Reflexivität: Die Verwendung von Reflexivpronomen markiert die Rückbezüglichkeit des Sprechenden auf sich als Instanz des Sprechens von und über das, was sich diesem zeigt als eine rhetorische Figur der Narration. Das Sprechen vom Wahrnehmen ist demnach in eine Trias eingebunden: Es tritt in seinem Vollzug in Beziehung 1) zu den sich zeigenden Dingen, 2) zu sich beziehungsweise zum Wahrnehmend-Sprechenden und 3) zu den Anderen. In dieser Weise geht das Sprechen vom Wahrnehmen mit einer Reflexivität und Relationalität einher. Nicht allein das Wahrnehmen tritt an die sich zeigenden Dinge heran, widmet sich ihnen und begibt sich zu ihnen. Auch die Dinge begegnen hiernach dem Wahrnehmen und dem wahrnehmenden »Ich«. Sie affizieren, evozieren und forcieren in ihren eigenen Qualitäten und Sichtbarkeiten Erfahrungen, Fragen, Überlegungen und Gedanken, die im Sprechen zu Formulierungen und Mitteilbarkeiten finden. Ausgehend von der gemeinsamen Wahrnehmungssituation wird den sich zeigenden Dingen auch eine von ihnen ausgehende Wirkmächtigkeit seitens der Teilnehmer zugesprochen, die wiederum Potenzial für das Beschreiben freisetzt: »Wer beschreibt, intensiviert seine Wahrnehmung, und dadurch steigert sich wieder seine Fähigkeit zur Beschreibung […]« (Klotz 2007: 80). Diese ist – so die Annahme – nicht nur dem ›eigenen‹ Wahrnehmen zugänglich, sondern darüber hinaus auch für die Anderen erfahrbar, erkennbar und somit potenziell kommunizierbar. Das sich Zeigende bietet Wahrnehmbar-

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keiten und Wirkungen an, die den Wahrnehmenden in Begegnung mit ihm einnehmen können: also da fühlt man und (.) hat erst mal sehr fein und n bisschen (2) sehr (1) fast flora::l erst bisschen gewirkt. / dieses Geräusch allein und dieser Takt ähm wirken sehr brutal / Obwohl sie hier ja ziemlich stark (.) optisch wirken / dass es auch brutal gewirkt hat dieses zu sehen.

Das Sprechen vom Wahrnehmen befindet sich in einem Dazwischen: Zwischen dem sich Zeigenden in seinen Wahrnehmbarkeiten und dem Wahrnehmen des Einzelnen, der sich diesem zuwendet und sich darauf fokussiert. Wahrnehmen und Wahrnehmbares zeigen sich in einer Verschränkung oder besser gar Verstrickung, mit der der Sprechende im Sprechen vom Wahrnehmen umgehen muss. Diese Verschränkung ist durch eine Nähe zwischen dem Wahrnehmen in actu in Bezug auf die sich darbietenden und affizierenden Dinge und dem Sprechen von ihrer Wirkmächtigkeit gekennzeichnet: Die Dinge schauen gleichsam zurück. Zwischen dem Sehen und Wahrnehmen der sich zeigenden Dinge und dem Sprechen davon, was sich wie zeigt, liegt keine große zeitliche Distanz. Anders formuliert: Es gibt hier eine zeitliche Nähe zwischen Wahrnehmen und Sprechen, die trotz des vorangegangenen schweigenden Betrachtens im Sprechen eine Simultanität von Sehen beziehungsweise Wahrnehmen und Sprechen vom Gesehenen beziehungsweise Wahrgenommenen einschließt. Die zeitliche Nähe zwischen dem Wahrnehmen der Arbeiten und dem Aussprechen dessen, was sich wie zeigt, stellt die Teilnehmer vor die Herausforderung mit situativer Unschärfe und Unbestimmtheiten ihres Wahrnehmens der Dinge umzugehen, die in das Sprechen selbst Einzug erhalten – wie zeigt sich dies: hat erst mal sehr fein und n bisschen (2) sehr (1) fast flora::l erst bisschen gewirkt. / Also dieser, dieser Bleistift auf dem Papier, wie das dann so dieses so (wiederholt dabei die Geste des Zeichnens) / sind die akustisch eigentlich nicht vorhanden. / Und das fand ich irgendwie auch interessant.

Zur Differenzbewältigung durch Relativieren und Gestikulieren: Das Wissen um die Differenz zwischen Wahrnehmungserfahrung und Sagbarem, die Unbestimmtheit des Annäherns und Tastens im Sprechen an das eigene Wahrnehmen, an Erfahrungen, sich Zeigendes, an Sagbarkeiten und Beschreibbarkeiten werden im Sprechen mittels Relativierungen dargestellt. Solche Relativierungen erfolgen durch Adverbien und Partikel wie: »bisschen«, »fast«, »eigentlich« und »irgendwie«. Sie erzeugen Vagheit und performieren eine Unbestimmtheit des Ge-

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sagten, sodass die Beiträge vielmehr als Versuche des Beschreibens dessen erscheinen, was gesehen und wahrgenommen wird. Weniger selbstgewisse oder Bescheid wissende Aussagen und Thesen als vielmehr beschreibende Skizzen treten hier sprechend hervor. Man kann gar sagen, dass ein Bemühen erkennbar wird, eben keine Fakten im Sprechen zu produzieren, sondern das Sprechen vielmehr heuristisch in Bezug auf die sich zeigenden, wahrnehmbaren, wirkenden, erfahrbaren Dinge und ihre Qualitäten einzusetzen. Im Sprechen davon, wie wer was wahrnimmt, wird der kontingente Vollzug des Sprechens mit aufgeführt. So geht es weniger darum, die ›richtige‹ Wahrnehmung zu explizieren, sondern eben die eigene, die offensiv als individuell, subjektiv und kontingent gegenüber den Anderen vermittelt wird. Das Sprechen stellt sich im Verlauf dieses vorsichtigen Aussprechens von Worten, Begriffen und Sätzen weniger als ein ›wissendes‹, sondern vielmehr als erahnendes, tastendes und intuitives Sprechen dar. Die Herausforderung in diesem Setting liegt darin, die eigene Wahrnehmung der gezeigten Arbeit als solche kommunikativ zu vermitteln. Neben der häufigen Verwendung einer relativierenden Rhetorik ist dieses Sprechen oftmals von Unterbrechungen, Satzabbrüchen, von nicht ausformulierten Sätzen und längeren Pausen gekennzeichnet, was den sprechenden Vollzug als einen auftreten lässt, der seine Inkongruenz zum wahrnehmenden Vollzug in actu zum Ausdruck bringt. Das Sprechen macht sich als Improvisation zugänglich, indem es permanent mit seinen Unbestimmtheiten und ›Lücken‹ umgeht. Ein sinnliches Wahrnehmen (sehen, hören), aber auch ein über einzelne Sinne hinausweisendes Spüren (fühlen) geht hier in ein Sprechen über, das mit Worten um Worte ringt und das Unbestimmtheit »[…] metakommunikativ durch Thematisierung von Unsicherheit […]« (Hausendorf 2005: 120) aufführt. Das Besprechen in Anbetracht des sich Zeigenden richtet sich in seiner Situativität, wie bereits angedeutet, weniger an Eloquenz oder an kanonisierten und disziplinierten Begriffsrepertoires aus. Vielmehr geht es von der Bemühung aus, im Rekurs auf das eigene Sehen, Wahrnehmen, Erinnern und Erleben das Gesprochene vor den Anderen und im Hinblick auf die sich zeigenden Dinge zu plausibilisieren und diesen als künstlerischen Arbeiten Qualitäten zuzusprechen. Adjektive und Adverbien, die das Wahrgenommene und Wahrnehmbare möglichst »irgendwie« betreffen, die Kontraste figurieren und Relationen des Sichtbaren und Gesehenen beschreiben, müssen zunächst im simultanen Sehen und Erinnern sprechend hervorgebracht werden. In dieser Weise wird das Sprechen vom Wahrnehmen als ein Sprechen offenbar, das mit der Differenz zwischen Sprechen und Wahrnehmen im wahrnehmend-sprechenden Vollzug umgeht, indem es diese Differenz zugleich im Sprechen selbst zur Darstellung bringt. Besonders an den Grenzen des Formulierbaren wird diese Darstellung von Gesten unterstützt – etwa, wenn

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der Sprechende beginnt ›in der Luft‹ zu zeichnen. In diesen gestischen Vollzügen zeigt sich das praktisch-leibliche Wissen der Kunststudierenden, die selbst zeichnerisch tätig sind. Das Auffordern zum Anderssehen: Nach verschiedenen Beiträgen unterbricht der Professor deren Abfolge mit einer erneuten Frage: »Ja würde es dann nicht dann nicht reichen, die Tonspur zu haben?« In der Weise, wie die Frage gestellt ist, evoziert sie binär strukturierte Antworten, sodass zunächst keine beschreibenden und sich gegenseitig kommentierenden Beiträge folgen. Die Besprechung als solche gerät ins Stocken, da diese Frage lediglich kurze Antworten produziert: »Vielleicht« / »Also mir schon«. Erst nach einer kurzen Pause werden von zwei Studierenden Überlegungen geäußert, die über ein Bejahen oder Verneinen hinausgehen: »Es würde vielleicht irgendwie mit dem Bild zusammengehen […]« / »Es würde dann noch ne engere Verbindung eingehen vielleicht […]«. Die Überlegungen sind im Konjunktiv formuliert und mit relativierenden Partikeln versehen (»vielleicht«), was Vagheit erzeugt und den Bereich des Spekulativen markiert. Durch die Reformulierung der Frage durch P (»Ja was, was wäre, wenn wir jetzt nur die Tonspur hätten?«) wird das Vordringen in diesen Bereich weiter forciert. Mit dieser Frage fordert P die Studierenden dazu auf, das, was sich ihnen wie zeigt, gleichsam zu übersteigen und die Arbeit im Hinblick darauf zu befragen, wie sie sich alternativ zeigen könnte. Ein Studierender verweigert sich zunächst, dieser Frage weiter nachzugehen und sich auf diese Vorstellung einzulassen, die einem gedanklichen ›Antasten‹ der Arbeit in Anwesenheit ihrer gleichkäme – der Studierende entgegnet: »Das kann man schlecht jetzt sagen«. Er vertritt hier eher die Position eines ›Empirikers‹ und gibt sich zugleich als Novize im Feld der bildenden Kunst zu erkennen, der diesen Schritt (noch) nicht zu gehen wagt. Der Studierende überlässt das nicht Sichtbare, das sich nicht Zeigende, das ›was wäre, wenn‹ als Bereich der Vorstellung dem nicht Sagbaren. So mag dieser Bereich dem Studierenden womöglich als riskant oder unbehaglich erscheinen, da die Arbeit ›so wie sie ist‹ – so wie sie von St ›erschaffen‹ wurde – hierdurch relativiert, hinterfragt und geradezu in der Vorstellung ›angetastet‹ und gar umgearbeitet wird. In dieser Situation wird eine implizite didaktische Strategie des Kunststudiums sichtbar: Die Studierenden werden durch derartige Fragen durch den lehrenden Künstler dazu aufgefordert, die Arbeit als angehende Künstler zu sehen, die selbst künstlerisch arbeiten und somit diesen Schritt beziehungsweise dieses Gedankenspiel vollziehen dürfen. Dieses für die Kunst über das sich Zeigende hinausweisende Wahrnehmen und im engeren Sehen »[…] stellt Verbindungen zwischen Unverbundenem her, es überträgt Bekanntes auf Fremdes, macht sich ein Bild, indem es deutet, konfiguriert, hinzu-dichtet, sich einsieht und erfindet« (Schürmann 2008:

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212) – und wird im Zuge des Kunststudierens in derartigen Besprechungen erprobt. Ein weiterer Studierender (St8) bezieht Stellung zu Ps Frage, was auch als konträre Positionierung verstanden werden kann: »Also mir würden glaube ich auch n paar Sachen fehlen. N paar spannende Fragen, die mir jetzt durchs Bild kamen, wenn man das Bild weglassen würde. Also (…)«. P schließt eine Frage an, die dazu auffordert, die Aussage weitergehend zu exemplifizieren und das, was aus Sicht des Studierenden fehlen würde, auszuformulieren: »Zum Beispiel?« Die Beitragserzeugung ist wieder ›in Gang‹, in der auch divergierende Ansichten zur Sprache kommen – nicht der Konsens ist Ziel der Besprechung, sondern das Hervorbringen individualisierter und somit eigener Bezugnahmen: St8: Dieses, was du (an St2 gerichtet) meintest mit brutal, also da fand ich, dass es auch brutal gewirkt (.) hat dieses zu sehen (.) wie diese Schulter sich immer bewegt und man sich irgendwie gefragt hat: endets damit, dass sie nicht mehr kann und umkippt? Oder vielleicht der Bleistift oder reißt das Papier? Also mir kam auch immer wieder der Gedanke […] Und ich denk das wären Sachen (.) die kämen mir über die Tonspur eher nicht. St9: Also ich glaub, bei mir war das gerad anders herum. Also da wären die Fragen noch stärker bei mir, wenn ich das nicht sehen würde.

Auf struktureller Ebene des Gesprächs lässt sich festhalten, dass das Format der Besprechung von Fragen profitiert, die Beiträge abseits binärer Antworten hervorbringen, sodass sich die Beiträge auf die Frage des Professors, aber auch aufeinander beziehen können. Die Besprechung entwickelt in dieser Weise das Potenzial zur Komplexitätserzeugung. Mit der Frage »was wäre, wenn […]« wird neben der Erzeugung formaler Anschlussmöglichkeiten für weitere Beiträge zudem auf inhaltlicher Ebene ein Bereich einbezogen, der den Studierenden weitergehende Abstrahierung und Vorstellung abverlangt. Dem Besprechen dessen, was sich wie zeigt, wird das Besprechen dessen, was sich wie anders zeigen könnte, an die Seite gestellt. So kann das Sprechen in Anbetracht der Arbeiten auch in Bereiche des Möglichen, des Vorstellbaren vordringen, um Arbeiten in ihrem Was und Wie anders zu befragen und sie qua eigenem Wahrnehmen und Vorstellen zu verändern. Der Einbezug dessen, was wäre, wenn sich die Arbeit auf diese oder jene Weise zeigen würde – etwa in der Reduktion des Films auf die Tonspur –, stellt an die angehenden Künstler die Herausforderung, mit ihrem Wahrnehmen des Möglichen über das hinauszugehen, was gezeigt wird. Die Anforderung besteht darin, den Bereich des Sein-Könnens in die Besprechung einzubeziehen. Dieser Bereich richtet sich nicht im sich so Zeigenden, im da Ste-

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henden oder im Vorhandenen ein. Er geht über das Präsentierte in seinem jetzigen Wie und Was hinaus. Die Integration dieses Bereichs erlaubt den Wahrnehmenden, die Arbeiten gedanklich zu modifizieren, zu verändern und auch anders zu sehen. In ihrem konjunktiven Stil eröffnet diese Frage den Einbezug des in der Kunst relevanten Rahmens des Anderssehens. Sie fordert offensiv zum Spekulieren und Imaginieren auf und fordert von den Studierenden ein, sich zu trauen, die Arbeit in ihrer Kontingenz zu befragen, und somit auch in anderer Weise, als sie sich ›wirklich‹ zeigt. Mit derartigen Fragen wird das im Feld der Kunst praktizierte Anderssehen geradezu geübt. Dieses Sehen und Wahrnehmen wird als eines relevant, das sich gestattet, dem sich Zeigenden – hier den Arbeiten einer Studierenden – etwas in der Vorstellung wegzunehmen oder hinzuzufügen. Wie lässt sich dieses Vorgehen im Kontext des Kunststudiums weitergehend plausibilisieren? Im Zuge der Besprechung der Arbeiten wird nicht nur die hingestellte, gezeigte oder präsentierte Arbeit Gegenstand der Besprechung, sondern auch das Arbeiten der Studierenden, das in seinen Potenzialen zur Disposition steht. Indem die Arbeit in ihrer Kontingenz, in ihrer potenziellen Veränderbarkeit angeschaut und gleichsam gedanklich angetastet wird, wird zugleich thematisiert, was die Studierende hätte anders machen können beziehungsweise wie sich die Arbeit auch und noch hätte entwickeln können. Auch dies wird hier zur Disposition und zur Diskussion gestellt. In dieser Weise wird das Sprechen vom Wahrnehmen auch zur »Öffnung« (Merleau-Ponty 1974: 232) dessen, was sich schon oder noch nicht zeigt in dessen Möglichkeiten, Qualitäten und Potenzialen. Das Wahrnehmen und besonders das Sehen kann sich folglich durch das Sprechen von diesem schärfen, sensibilisieren, konturieren und erweitern. Im Kontext des Besprechens der Arbeiten innerhalb des Kunststudiums zeigt sich, dass das Sprechen vom Wahrnehmen hier keineswegs selbstreferentiell, selbstgenügsam, tautologisch oder allein einem »Wahrnehmen um der Wahrnehmung willen« (Hausendorf 2007: 30) wegen praktiziert wird. Vielmehr plausibilisiert es sich im Rahmen einer Praxis mit Professionalisierungsabsicht, um künstlerisch ambitionierte(s) Arbeiten der Studierenden weiterzutreiben. Worum es geht. Zum Lesen der Arbeit Das Besprechen der gezeigten Arbeiten schließt nicht mit dem Beschreiben ihrer Wirkweisen und Wahrnehmbarkeiten ab. In einem nächsten Schritt geht es vielmehr darum, weitergehend zu bestimmen und zu formulieren, um was es bei diesen Arbeiten gehen kann: Welche Fragen werden an ihnen relevant? Wie werden die Arbeiten ›lesbar‹?

118 | K UNST IN ARBEIT Das Gespräch über die Videoarbeit in Verbindung mit der im Raum präsenten Zeichnung ist nun schon eine gute Stunde ›in Gang‹. […] P:

Nee klar, aber es gibt ja, gibt ja, was weiß ich, Abramovic Ulay is ja son Performerpaar, die ja in extremer Weise Dinge gemacht haben bis zur absoluten Erschöpfung. Oder, ich weiß nicht diese frühen Videos von von Bruce Nauman, wo er im Atelier äh (.) das is ja auch so ne immer so an die Grenze an die Erschöpfung geht. Also, das is ja sa ma n Topos in der Kunstgeschichte, aber is, also ist man bei der Arbeit, ist das (…) also ich mein, wie lesen Sie die Arbeit?

St2: Ich, ich glaube auch, dass diese Erschöpfung schon Teil, Teil des Ganzen is, also grad auf dem Video. Dadurch, dass es eben sehr starke Regeln hat und auch dieses mit dem Körper, wie weit reicht mein Körper (.) also nicht nur in der Bewegung, wie weit reicht er, sondern wie weit reicht auch meine Kraft. Das hab ich schon aus dem Video rausgelesen. P:

Naja gut, deshalb (…)

St2: Dass diese, dass das mit drinsteckt diese Erschöpfung und dieses wie weit oder wie lang schaff ich das. [Weil es is sehr ja (…) St3: Mich interessiert] so, so Sisyphusarbeit irgendwie, wo man halt einfach macht immer weiter und weiter und es (.) jedes, is egal ob es jetzt quält oder nicht, aber ich find (.) diese, ja ich find nicht, die- dieses (…) St2: Ja doch, du weißt schon also quälen, ja doch das, das Quälen passt schon doch (…) St3: Ja, ja aber (…) St2: Dass, sie steht auch vor der Wand so mit ner sie, sie steht direkt vor der Wand mit Blick auf einem Punkt und, und rückt eben einer rhythmischen Art ähm zieht sie da diese Linien immer rund herum. St4: Auch die Frage, wie lange schafft sie das oder ist eigentlich wichtig, oder? St5: Oder wie viel Aufwand [braucht jemand?] St2:

Doch weil’s um] Grenzen geht, weils weils auch um um diese Grenzen geht, also, wie weit kann ich sehen, wie weit reicht mein Arm, wie wie lange meine Kraft durch- (…) Ich find schon, dass das dazugehört.

St5: Ja und dann könntest Du jetzt sagen: gut das war von dann und dann bis dann und dann - was weiß ich ne Viertelstunde pro Tag gemacht und seitdem hab ich vorhin dann würde ich das ja n zweites Mal so weiter (…) weil ansonsten hast du das dann ja jetzt, also. St:

Vielleicht das wirkt das jetzt auch so, also klar is der Moment drin, aber ich glaub dadurch, dass ihr jetzt gezwungen ward das so anzuschauen ist das vielleicht noch extremer gewesen, weil du einfach (.) das, das mitgemacht wurde, also dieser auch Zwang auch das mitzumachen hattest. Und ich glaub, wenn du vorbeiläufst (…)

St2: Ja gut, aber du hast dir ja den - es geht jetz nicht, ich weiß nicht, es geht ja nich um

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mich, sondern du hast dir diesen Zwang auferlegt. St5: Aber siehst du das an der Arbeit als solche? Hier, also als an, an der Papierarbeit? St2: Na deswegen ist die Papierarbeit ist ne andere Arbeit als die Arbeit mit Video. St5: Das auf jeden Fall, aber empfindest du sozusagen diesen Zwang, den du in der Videoarbeit siehst an der Papierarbeit? St2: Nee das hab ich ja grad gesagt. Die Papierarbeit alleine is ne andere Arbeit als mit Video. Aber wenn die Arbeit mit Video zusa- wenn die Arbeit mit der Entstehung zusammengehört, wie se im Video gezeigt wird, dann gehört für mich auch die Erschöpfung dazu. (2) Die körperliche Erschöpfung. P:

Jetzt gibt’s ja (.) die Arbeit hat ja so also, wenn man die Arbeit jetzt so mit (.) miterleben durfte bei Ihnen, wie Sie das jetzt über ne lange Zeit gemacht haben, da gabs ja immer zwei Momente. Es gab auf der einen Seite son Erschöpfungsmoment, wo Sie gesagt haben: heute kann ich nicht weiter. Und auf der anderen Seite gibt’s ja sa ma son Moment der Reichweite Ihres Arms (.) Das is ja n ganz anderes Moment. Also das is ja irgendwie klar, die Arbeit is ja dann zu Ende, wenn die Spirale, wenn die Spirale am Endpunkt angelangt ist, wenn Sie nicht weiter rauskönnen, oder? Das is doch (…)

St:

Hm, also es, es, es war so und dann, also ja bis der Stift weg war letzten Endes. Das sieht man nicht, also (…)

P:

Also, jetzt gibs noch n drittes Moment. Bis der Stift quasi ähm verbraucht war.

St:

Ja aber ich glaub, das sieht man nicht

St6: Doch, also ich find im Video kam, kam mir schon der Gedanke, ob du - also ich hab mich immer gefragt, was das Ende is, reißt das Papier, wirst du müde oder is es der Stift durch dieses, dass man zweimal dich spitzen sehen hat. St:

Mm.

Der Übergang vom Beschreiben eigener Wahrnehmungserfahrungen zum Explizieren eigener Sichtweisen, Lesarten und auch Positionen wird eingeleitet durch die Frage, die P an die Studierenden richtet: »[…] also ich mein, wie lesen Sie die Arbeit?« Diese Frage zielt weniger auf die Einordnung der Arbeit in ihren möglichen kunsthistorischen Referenzen ab; auch geht es ihr nicht um das Vorführen eines bildungskulturellen Kanons in dessen ›Wissen‹ oder Kodes (siehe etwa Bourdieu 1997). Als angehende Künstler werden die Studierenden vielmehr dazu aufgefordert, ihre ›Lesarten‹ beziehungsweise Sichtweisen in Anbetracht der ›hingestellten‹ Arbeiten weitergehend zu explizieren, indem sie die

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sich zeigenden Arbeiten detaillierter und nuancierter in den Fokus stellen, um sie in ihrem Wie und Was näher zu bestimmen.20 Der Frage wohnt eine Aufforderung dazu inne, dass die Studierenden jeweils Position gegenüber den gezeigten Arbeiten beziehen, wobei diese aus dem Ansehen der Arbeiten entwickelt werden soll. Im Zuge des Besprechens der hier in den Blick genommenen Arbeiten erfordert die Frage nach dem Wie des ›Lesens der Arbeiten‹ ein Zurücktreten ihrer Betrachter hinter offensichtlich Sichtbares. Eine Arbeit zu ›lesen‹ bedeutet hier die sich zeigenden Dinge im Kontext der bildenden Kunst und somit explizit als künstlerische Arbeit in den Blick zu nehmen, sie im Zuge künstlerischer Zusammenhänge zu ergründen, Sinn zu stiften, Bedeutungen zu generieren und Relevanzen zu benennen. Gefragt wird nun nicht mehr allein nach dem Hervorbringen von Beschreibbarkeiten, sondern nach dem Hervorbringen von Thesen, Aussagen und Argumenten, die das Wie und Was der sich zeigenden Arbeiten weitergehend konturieren, im Sprechen hervortreten und diskursiv anschlussfähig werden lassen. So geht es in dieser Phase des Besprechens der Arbeiten verstärkt um das Argumentieren und Diskutieren, während das Beschreiben von Wahrnehmungserfahrungen als ein erstes Herantasten an die sich zeigenden Arbeiten in den Hintergrund tritt. In dieser Weise verändert sich auch das Sprechen der Teilnehmer, das nun weniger durch Pausen und Unterbrechungen gekennzeichnet ist. Die Beiträge qualifizieren sich nicht weiter als Tasten und Suchen nach Worten und Beschreibbarkeiten des Wahrgenommenen. Vielmehr kennzeichnet sie nun ein argumentativer Stil, der sich um die Positionierung von Aussagen bemüht – Aussagen, die sich wiederum der Frage zuwenden, um was es diesen Arbeiten im Hinblick auf welche Relevanzen und Bezugnahmen gehen kann.

20 An dieser Stelle bietet sich heuristisch eine Analogie zum Vorgehen der Grounded Theory in der ethnografischen Forschung an, mit der Sozialwissenschaftler Kategorien und Kodes, Relevanzen und Themen in ihren Daten assoziativ und situativ im Vollzug des Lesens von ethnografischen Protokollen, Transkripten und Materialien hervorbringen (Glaser/Strauss 1967). Im Zuge dieser analytischen Methode wird den Worten, Begriffen und Semantiken im Rahmen der Protokolle mit ähnlichen Fragen begegnet wie im Feld der Kunst den zu besprechenden Arbeiten. Wie wird dieses und jenes hier gelesen und um was beziehungsweise worum kann es gehen? – Diese Fragen werden analog verwendet. Im Kontext dieses qualitativ-analytischen Verfahrens bewirken diese Fragen eine Distanzierung von vorschnellen, typisierten und impliziten Annahmen in Bezug auf das Gelesene.

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mich interessiert] so, so Sisyphusarbeit irgendwie / Ich, ich glaube auch, dass diese Erschöpfung schon Teil, Teil des Ganzen is« / Doch weil’s um] Grenzen geht, weils weils auch um um diese Grenzen geht, also, wie weit kann ich sehen, wie weit reicht mein Arm, wie wie lange meine Kraft durch- (…) Ich find schon, dass das dazugehört. / Ja doch, du weißt schon also quälen, ja doch das, das Quälen passt schon doch / Auch die Frage, wie lange schafft sie das oder ist eigentlich wichtig, oder? / also klar is der Moment drin / Also das is ja irgendwie klar / Jetzt gibt’s ja (.) die Arbeit hat ja so also, […], da gabs ja immer zwei Momente […] / Also, jetzt gibs noch n drittes Moment

Zur Herstellung von Evidenz: Während das Hervorbringen von Beschreibbarkeiten die Kontingenz des Sprechens vom Wahrnehmen betont, geht das Argumentieren von ›Lesarten‹ oder Sichtweisen in eine Rhetorik über, die sich auch um die Evidenz ihrer Aussagen bemüht. Im Übergang vom Beschreiben eigener Wahrnehmung zum Argumentieren von ›Lesarten‹ werden durch den Einsatz von Relativierungen wie »eigentlich« oder »irgendwie« weiterhin Unbestimmtheiten im Sprechen mit aufgeführt. Hierbei handelt es sich auch um Absicherungen: Das Urteil beziehungsweise das Argument ist weniger hart und behält den Status des Möglichen. In dieser Weise wird das Argumentieren ein Balanceakt zwischen Überzeugen und Vorsicht. Der Einsatz von Wirklichkeit-setzenden Verben (»ist«; »gibt«; »hat«) in Verbindung mit bestätigenden Partikeln und Adverbien (»also«; »doch«; »ja«; »klar«) setzt den Relativierungen eine verhärtende und bestimmende Rhetorik entgegen. »Momente«, die weitergehend das benennen und bestimmen, um was es der Arbeit gehen kann, werden im Sprechen argumentativ verdichtet, indem sie resümiert, gebündelt, geordnet und aufgezählt werden. Die zunächst aus dem Wahrnehmen heraus sprechend angenäherten Beschreibbarkeiten gehen ein in Argumente, mit denen sich die Betrachter in ihren jeweiligen Sichtweisen vor den Arbeiten positionieren. Das, um was es der Arbeit geht, wird nun diskursiv erschlossen. Diese Positionierungen gehen auch mit Legitimierungen seitens der Argumentierenden einher, indem Ansichten und Sichtweisen begründet und verteidigt werden: Dadurch, dass es eben sehr starke Regeln hat und auch dieses mit dem Körper, wie weit reicht mein Körper (.) also nicht nur in der Bewegung, wie weit reicht er, sondern wie weit reicht auch meine Kraft. / deshalb / Weil es is sehr ja / Doch weil’s um Grenzen geht, weils weils auch um um diese Grenzen geht / weil ansonsten hast du das dann ja jetzt, also / weil du einfach (.) das, das mitgemacht wurde, also dieser / aber ich glaub dadurch, dass ihr jetzt gezwungen ward / Ja gut, aber du hast dir ja den - es geht jetz nicht, ich weiß nicht, es geht ja nich um mich, sondern du hast dir diesen Zwang auferlegt. / Na deswegen ist die Papierarbeit ist ne andere Arbeit als die Arbeit mit Video. / Aber wenn die Arbeit

122 | K UNST IN ARBEIT mit Video zusa- wenn die Arbeit mit der Entstehung zusammen gehört, wie se im Video gezeigt wird, dann […]

Zur Herstellung von Plausibilität: Sichtbar werden in dieser Weise des Argumentierens auch gewisse Erzählzwänge – das Sprechen vom und über das, was sich wie zeigt, ist keineswegs ›unschuldig‹, sondern es erfordert seine fortwährende Plausibilisierung. Das, um was es den Arbeiten aus Sicht der Einzelnen geht – oder nicht geht, bedarf der argumentativen Plausibilisierung, die durch das Herstellen von Kausalitäten, Zusammenhängen, Relationen und Begründungen erarbeitet und im Sprechen zur Darstellung gebracht wird. Das zum Sprechen gebrachte eigene Wahrnehmen wird in argumentativ verdichtete Sichtweisen überführt. Diese Plausibilisierungsarbeit findet ihre Referenzen weniger in einem kanonisierten Wissensrepertoire der Teilnehmer, sondern entwickelt sich besonders im Hinblick auf die sich zeigende Arbeit selbst. Das, woher ein Argument seine Plausibilität bezieht, muss sich den Anderen in situ an der Arbeit zeigen, damit das Argument in seinem Gehalt für die Anderen nachvollziehbar und aussagekräftig wird. Thesen, die einzugrenzen versuchen, um was es dieser Arbeit wie gehen kann, sind an der sich zeigenden Arbeit festzumachen beziehungsweise zu verorten. Die Studierenden werden somit darin gefordert, ihre Argumente im Hinblick auf das Was und Wie der Arbeit immer wieder konkret auf diese zu beziehen und zu lokalisieren, wo und wie sich dieses und jenes in welcher Weise zeigt. In dieser Phase der Besprechung geht es auch darum, die Anderen von der eigenen Sichtweise ein Stück weit zu überzeugen, um die Arbeit weiter in ihrem Wie und Was, in ihren Möglichkeiten und in ihren Relevanzen zu konturieren. Die sich zeigenden Arbeiten in ihrer Präsenz sind hiernach ein kontinuierlich relevanter Bezugspunkt für das Argumentieren als solches. In ihrer Kopräsenz kann die anwesende Arbeit gar zu einer Autorität und einem gleichsam empirischen Ausgangspunkt für die Argumentierenden werden, an der beziehungsweise dem sie ihre Lesarten und Sichtweisen ›belegen‹. Hausendorf (2007: 31) spricht in diesem Zusammenhang auch von einem »Zugzwang des Zeigens«, der das Besprechen künstlerischer Arbeiten begleitet. also grad auf dem Video / Das hab ich schon aus dem Video rausgelesen. / Doch, also ich find im Video kam, kam mir schon der Gedanke / Aber siehst du das an der Arbeit als solche? Hier, also als an, an der Papierarbeit?

Das Wahrnehmen und Ansehen der Arbeiten in actu werden immer wieder grundlegend für das Besprechen und das diskursive Erarbeiten von Argumenten und Positionen, die die Arbeiten in ihren Bezugnahmen weiter einzugrenzen ver-

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suchen. Die Arbeiten in ihrer Sichtbarkeit, Erfahrbarkeit, Präsenz und Anwesenheit werden permanent in die Besprechung und somit interaktiv einbezogen. In dieser Weise wird im Zuge derartiger Besprechungen nicht allein über die Arbeiten gesprochen, sondern vielmehr mit ihnen interagiert. Indem sich die Argumente auf die (ko-)präsente ›hingestellte‹ Arbeit beziehen, wird die Arbeit selbst zu einer starken Referenz für die Interaktion beziehungsweise für die Besprechung – so wird die Arbeit von den Sprechenden auch im Vollzug des Sprechens oftmals weiterhin angesehen. Die Besprechung bezieht sich besonders auf die Arbeit, ›wie sie dasteht‹ oder ›dastehen könnte‹ beziehungsweise wie sie sich dem Einzelnen zeigt und zeigen könnte. Weniger wird hier ein kunsthistorisches oder kunsttheoretisches Wissen für die Besprechung der Arbeiten als vorrangige Wissensautorität herangezogen. Eher wird ein Kanonwissen der bildenden Kunst seitens des lehrenden Künstlers vorausgesetzt und als Referenz mitgeführt, wie etwa in der Bezugnahme auf prominente Künstler und deren Werk: P: Nee klar, aber es gibt ja, gibt ja, was weiß ich, Abramovic Ulay is ja son Performerpaar, die ja in extremer Weise Dinge gemacht haben bis zur absoluten Erschöpfung. Oder, ich weiß nicht diese frühen Videos von von Bruce Nauman, wo er im Atelier äh (.) das is ja auch so ne immer so an die Grenze an die Erschöpfung geht. Also, das is ja sa ma n Topos in der Kunstgeschichte […]

Die Referenz auf kanonisiertes Wissen wird von P unmittelbar durch die anschließende Frage relativiert: »(...) also ich mein, wie lesen Sie die Arbeit?« Die Studierenden werden wieder auf ihre eigenen Lesarten und Sichtweisen auf die sich zeigenden Arbeiten verwiesen. Die zu besprechenden Arbeiten werden in dieser Weise nicht allein als ›Wissensobjekte‹ eines ›richtigen‹ Wissens exponiert. Sie werden vielmehr im Befragen und ›Lesen‹ zum Phänomen gemacht, das zunächst von den Anwesenden in seinem Was erschlossen wird – worum aber geht es in dieser Arbeit der Konversation zufolge nun? Beitrag von P: […] die ja in extremer Weise Dinge gemacht haben bis zur absoluten Erschöpfung / das is ja auch so ne immer so an die Grenze an die Erschöpfung geht […] Aufgreifen und Anschließen der Studierenden: Ich, ich glaube auch, dass diese Erschöpfung schon Teil, Teil des Ganzen is / Dass diese, dass das mitdrinsteckt diese Erschöpfung und dieses wie weit oder wie lang schaff ich das. / Mich interessiert] so, so Sisyphusarbeit / ja doch das, das Quälen passt schon doch / Auch die Frage, wie lange schafft Sie das oder ist eigentlich wichtig, oder? / Oder wie viel Aufwand / Doch weil’s um] Grenzen geht, weils weils auch um um diese Grenzen geht. / also dieser auch Zwang auch das mitzuma-

124 | K UNST IN ARBEIT chen / Na deswegen ist die Papierarbeit ist ne andere Arbeit als die Arbeit mit Video. / Aber wenn die Arbeit mit Video zusa- wenn die Arbeit mit der Entstehung zusammengehört, wie se im Video gezeigt wird, dann gehört für mich auch die Erschöpfung dazu. (2) Die körperliche Erschöpfung. Resümee P: Es gab auf der einen Seite son Erschöpfungsmoment, wo Sie gesagt haben: heute kann ich nicht weiter. Und auf der anderen Seite gibt’s ja sa ma son Moment der Reichweite Ihres Arms (.) Das is ja n ganz anderes Moment. Ergänzung durch St: Hm, also es, es, es war so und dann, also ja bis der Stift weg war letzten Endes. Das sieht man nicht, also (…) Ergänzung des Resümees durch P: Also, jetzt gibs noch n drittes Moment. Bis der Stift quasi ähm verbraucht war.

Um was es geht: Im Verlauf der Beiträge wird eine weitere thematische und inhaltliche Verdichtung erkennbar, die sich in Begriffen wie Erschöpfung, Zwang und körperlichen Grenzen manifestiert. In dieser Weise wird die Arbeit nun begrifflich erschlossen und bestimmt. Als Moderator des Gesprächs bündelt P die gesammelten Beiträge zu zwei »Momenten«, wobei die Autorin der Arbeiten seine Zusammenfassung um einen dritten Aspekt erweitert. Jedoch beschränkt sich dieses Lesen der Arbeit in ihrem Inhalt und auch Gehalt nicht allein auf die Bestimmung von Begriffen. Auch entwickelt sich eine Diskussion darüber, welche Bestandteile wie zu ›der Arbeit‹ gehören und wie ihre Beziehung untereinander welche Auswirkungen bezüglich des Verstehens und Zuordnens haben. Gehören das Video und die Zeichnung zusammen? Ist dies eine Arbeit oder muss hier differenziert werden? Derartige Fragen thematisieren neben der Bestimmung des ›um was es geht‹ auch die Frage, was eigentlich hier ›eine Arbeit‹ ist und wie sich diese zu erkennen gibt – was ist in diesem Fall eigentlich ›die Arbeit‹? Mit derartigen Fragen wird eine weitere Ebene des kritischen Umgangs mit dem Gezeigten eröffnet, die Fragen nach dem Was und Wie in dessen Qualitäten in ein Verhältnis setzt. Zum Entwickeln von Kriterien Von einem annähernden Beschreiben haben sich im Verlauf des Gesprächs Themen, Fragen und Inhalte entwickelt, die das Gezeigte weitergehend konturieren, benennen und bestimmen – nun geht es im Weiteren auch darum, die Arbeit zu kritisieren und sie als künstlerische Arbeit zu beurteilen und einzuschätzen.

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Folgen wir anhand des schon bekannten Falls der weiteren Besprechung. Hierbei wird die Arbeit in ihren Qualitäten, Potenzialen aber auch möglichen ›Schwachstellen‹ in den Blick genommen. […] P:

Es is ja dann aber jetzt die Frage, jetzt ham wir so verschiedene quasi Kriterien, die nebenander existieren, ja? Also Erschöpfung, die Reichweite äh, das quasi das Zeichengerät. Wird das, wird das nicht zu viel, also ich mein (.) müsste, also müsste die Arbeit dann nicht zugespitzt werden und es gibt nur einen Moment?

St2: Ja oder eben ein Überbegriff, der das zusammenfasst. P:

Und was wäre der?

St2: Für mich ist das Erschöpfung, also wann ist die Reichweite meines Arms erschöpft, wann ist die, die Zeichenbarkeit des Stifts erschöpft, wann ist meine Kraft erschöpft? Das is schon die Erschöpfung eben. P:

Ja aber, aber (…) Ist ja denn nicht die Frage, ob Sie ja jetzt nich so ne, son Begriff dann, also wer jetzt mein, wenn ich mal den Advocatus Diabolie spielen darf, äh überstrapazieren Sie jetzt nicht den Begriff der Erschöpfung, dass Sie den jetzt auf einmal in ner, einmal wörtlich nehmen und zweimal im übertragenen Sinn. Natürlich kann ich sagen: Ein Stift erschöpft sich, wenn er nicht mehr da (.) das is ja, also das is ja so quasi Ihr Argument jetzt gewesen, aber aber is das - also ich mein, is das also nen, ja, dass wir nur auf der Begriffsebene (…)?

(Die Studierenden lachen) St2: Ja was heißt das? Was heißt erschöpft? Dass es nicht weitergeht. Dass es, dass es ein, das ist doch genau das, dass der Stift nicht mehr kann. Es geht nicht mehr weiter. P:

Ja, aber wissen Se, wenn Sie jetzt Auto fahren, ja? Dann reicht eigentlich, wenn der Motor kaputt ist. Sie brauchen dann nicht noch zusätzlich n Platten haben.

(Die Studierenden lachen) P: St:

Also, verstehen Sie? (lacht) Na, es, es sind, ich, ich glaub da sind verschiedene Endpunkte. Also dieser Stift eben für mich als Endpunkt. Fertig. Diese Erschöpfung für den Moment. Fertig. Und eben die Armlänge, wo definitiv einfach so immer bleiben wird. Ich kann meinen Arm nicht verlängern. Also so was vielleicht.

P:

Ja jetzt aber, das - ich glaub das is n ganz wichtiger Punkt bei der Arbeit. Wie wie wie greifen diese verschiedenen Dinge ineinander? Ist das für uns als Betrachter logisch? Oder nicht?

St3: Also ich bin mir auch nich sicher, ob ich das jetzt sozusagen (.) vor allem mit der grafischen Arbeit an sich so seh. Also das is für mich, da is für mich sozusagen son Abbruch, dass ich dann sozusagen, wenn mit dem Video, mit dem, was wir jetzt re-

126 | K UNST IN ARBEIT den, diese eine Seite hab, die dann sich eben anfühlt mit den Grenzen. Und auf der andern Seite die Arbeit an der Wand hab und da find es gibt son (.) ja, also äh die Arbeit alleine sagt mir das halt glaub ich nicht. Dieses, dass ich als nicht befriedigend empfind, oder was mich noch stört.

Üben, Kritik zu üben: Mit Bezugnahme auf die bisher im Gespräch erarbeiteten Kriterien leitet P in eine Phase der Besprechung ein, in der die Arbeiten sodann unter kritischen Aspekten besprochen werden sollen: »Es is ja dann aber jetzt die Frage, jetzt ham wir so verschiedene quasi Kriterien, die nebenander existieren, ja? Also Erschöpfung, die Reichweite äh, das quasi das Zeichengerät. Wird das, wird das nicht zu viel, also ich mein (.) müsste, also müsste die Arbeit dann nicht zugespitzt werden und es gibt nur einen Moment?« Die Arbeiten werden in ihrem So-Sein nicht mehr nur befragt, sondern zudem hinterfragt. Die Frage danach, was »müsste«, zielt darauf ab, der Besprechung einen kritischen Impetus zu verleihen. Die Kritik, die der Frage innewohnt, bezieht sich darauf, ob die Arbeiten in den drei bisher identifizierten »Momenten« vielleicht zu zerstreut, zu unentschieden, zu diffus oder auch zu unfokussiert sein könnten. Der Bereich des Verborgenen als Bereich dessen, was die Arbeiten nicht zeigen, potenziell jedoch zeigen könnten, dringt in die Besprechung ein. Derartige Fragen fordern die Teilnehmer zu einem beurteilenden und eben kritischen Positionieren im Hinblick auf die Arbeiten auf. Weniger ein tastendes Beschreiben noch ein deskriptives Argumentieren, sondern vielmehr ein nun kritisierendes Ansehen und Besprechen der Arbeiten wird in dieser Phase forciert. Die Entwicklung von Kriterien erfordert eine Schärfung der Bezugnahme auf die sich darbietenden Arbeiten. Dieses kritische Anschauen und Beurteilen der Arbeiten richtet sich nicht am binären Schema eines Richtig/Falsch aus – dies ist der bildenden Kunst fremd, da dieses Schema einer nicht adäquaten Komplexitätsreduktion auf der Grundlage von Erwartungserwartungen gleichkäme. Vielmehr wird durch die Frage ein Aushandlungsprozess in Gang gesetzt, der hier den Umgang mit Begriffen und Benennungen selbst zum Gesprächsgegenstand werden lässt. Im Anschluss an die Frage von P schlägt eine Studierende vor, anstatt der Konzentration und Reduktion von »Momenten« der Arbeit einen ›Überbegriff‹ zu finden, der alle Anschlüsse umfasst – dieser besteht für sie im Begriff der »Erschöpfung«. P steht dieser begrifflichen Zuspitzung der Arbeit eher ablehnend gegenüber: Ja aber, aber (…) Ist ja denn nicht die Frage, ob Sie ja jetzt nich so ne, son Begriff dann, also wer jetzt mein, wenn ich mal den Advocatus Diabolie spielen darf, äh überstrapazie-

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ren Sie jetzt nicht den Begriff der Erschöpfung […] also ich mein, is das also nen, ja, dass wir nur auf der Begriffsebene (…)?

Zwei Argumente plausibilisieren diese Intervention von P: Nach der ersten käme eine solche begriffliche Schließung von St2 zu einem zu frühen Zeitpunkt – dies wäre beispielsweise der Fall, wenn P sich als Lehrender gezwungen sähe, die Besprechung für eine bestimmte Zeit in Gang zu halten – Folgendes spricht gegen diese Interpretation. Derartige Besprechungen im künstlerischen Studium müssen sich nicht – wie etwa Unterrichtsstunden in der Schule – an vorher festgelegte und somit auszufüllende Zeitvorgaben halten. Vielmehr zeigt sich hier eine andere Relevanz in Bezug auf den Umgang mit schließenden beziehungsweise final erklärenden Begriffen im Feld der bildenden Kunst: Mit einer solchen begrifflichen Schließung würden die Arbeiten gleichsam unter die ›Herrschaft‹ oder ›Vormundschaft‹ eines Begriffs gestellt und zugleich auf seine Illustration reduziert werden. Die Arbeiten selbst würden keine weitere Anschlussfähigkeit und Auseinandersetzung generieren – sie würden als künstlerische Arbeiten geradezu trivialisiert. So würde das Finden eines Überbegriffs die Arbeit gleichsam begrifflich klären und erklären, was sie als solche in ihrer Komplexität reduziert – kurzum: Ps Einwand lässt sich in diesem quasi didaktischen Setting im Rahmen des Kunststudierens auch so verstehen: Eine künstlerische Arbeit illustriert keinen Begriff, der sie als eine Art Masterkode überschreibt im Sinne eines Über-Begriffs. Das Finden eines Überbegriffs, der die Arbeiten klärt, unterminiert aus dieser Sicht die kritische Auseinandersetzung mit den Arbeiten selbst in ihren Potenzialen, aber auch in ihren möglichen Defiziten. Das Vorgehen der Begriffsfindung als Intention des Besprechens wird in dessen Adäquatheit von P in Frage gestellt. So beinhaltet der Einwand des lehrenden Künstlers in dieser Situation auch die Vermittlung einer gewissen Vorsicht gegenüber begrifflichen Schließungen künstlerischer Arbeiten. Künstlerische Arbeiten im Kontext der bildenden Kunst müssen beziehungsweise sollen dieser Logik zufolge nicht begrifflich bewältigt oder definitorisch ›geklärt‹ werden. Dem Entwickeln von Kriterien in Bezug auf künstlerische Arbeiten geht es demnach nicht um Letztendlichkeit oder um das Finden eines superioren Masterkodes, der die Arbeiten in ihrem Was und Wie beantwortet und ihr weiteres Betrachten und Ansehen, Befragen und Positionieren überflüssig macht. Vielmehr erfordert es das Positionieren ihrer Betrachter, die die Arbeiten in ihren Potenzialen und Defiziten entlarven und diskursivieren. Wenn es dieser Arbeit darum geht, warum zeigt sie dann dieses, jenes aber nicht? Wenn sie dieses schon zeigt, müsste sie jenes dann nicht auch noch oder gerade nicht zeigen? Entlang

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derartiger Fragen können Kriterien diskursiv im Anschauen der Arbeiten entwickelt werden. Der Erzeugung von Kriterien geht es in dieser Weise darum, eine für andere nachvollziehbare eigene Position und kritische Sichtweise oder Lesart in Bezug auf die Arbeit zu formulieren und diese im Plenum zur Disposition zu stellen. Ist die Arbeit in ihrem Bezug auf verschiedene »Momente« redundant? (»Ja, aber wissen Se, wenn Sie jetzt Auto fahren, ja? Dann reicht eigentlich, wenn der Motor kaputt ist. Sie brauchen dann nicht noch zusätzlich n Platten haben«). Wiederholt sich hier etwas, das die Arbeiten in ihren Qualitäten gar schmälert? Wäre eine Reduktion der »Momente« zugunsten einer weitergehenden Profilierung und Konturierung eines »Momentes« für die Arbeit konsistenter und überzeugender? Das Entwickeln von Kriterien erfordert im Feld der Kunst auch ein eigenes beurteilendes Wahrnehmen und Sehen, das sodann in einem kritischen Sprechen gegenüber den sich zeigenden Arbeiten mündet. Folgen wir dieser sich hier implizit andeutenden Didaktik, lässt sich festhalten: Das eigene Wahrnehmen und Sehen der angehenden Künstler beziehungsweise der Studierenden soll sich nicht nur von den gezeigten und präsenten Arbeiten einnehmen und irritieren lassen, sondern die Arbeiten selbst wiederum einnehmen und in kritischer Hinterfragung bezüglich ihrer Potenziale, Defizite und Qualitäten irritieren. Dies wird der Praxis künstlerischen Arbeitens dann zur Ressource, wenn im Zuge dessen Qualitäten von Arbeiten erfragt, erkannt und auch benannt werden können: »Wie wie wie greifen diese verschiedenen Dinge ineinander? Ist das für uns als Betrachter logisch?« Mit dieser Frage wird den Studierenden eigene Urteilskraft und kritische Souveränität im Hinblick auf die sich darbietenden Arbeiten vom Lehrenden zugesprochen, wobei es einigen Studierenden noch schwerzufallen scheint, dieser zu folgen. Auch die Anwesenheit der Studierenden, die die Arbeit angefertigt hat und zeigt, kann mit Blick auf die studentische peer culture ein gewisses Risikomoment für das kritische Kommentieren der Arbeiten durch Mitstudierende bedeuten, wie etwa im Sinne von ›taktvoller‹ und solidarischer Zurückhaltung, um das Image der Mitstudierenden zu schützen (Goffman 1986b). Die Studierende, deren Arbeiten in dieser Weise ›auf dem heißen Stuhl‹ platziert sind, wird gleichsam Zeuge der Kritik und kann gegebenenfalls ihre Arbeit verteidigen. In diesem Fall sitzt sie mit Block und Stift gerüstet in der Mitte der Klasse und notiert sich den einen oder anderen Kommentar der Mitstudierenden und des Professors. Zum Besprechen des Arbeitens: In den Besprechungen der studentischen Arbeiten innerhalb des Kunststudiums werden in kritischer Auseinandersetzung mit dem ›Hingestellten‹ oder auch ›Hingehängten‹ nicht nur die gezeigten Arbeiten be- und hinterfragt, sondern auch das Arbeiten in seinen Verläufen, Vorgehensweisen und Potenzialen wird kommentiert und kritisiert. In dieser Weise wird

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der Arbeitsprozess des Einzelnen durch Lehrende und Mitstudierende gespiegelt und ›kommunikativ rückgekoppelt‹. Das Arbeiten der Studierenden wird durch die gespiegelten Sichtweisen der Anderen irritiert und hierdurch zugleich in der Praxis des gemeinsamen Anschauens und Besprechens der Arbeiten als eines bestätigt, das an etwas und an sich arbeitet. Eine Erwartung an die Studierenden besteht demnach darin, die Bereitschaft mitzubringen, kritische Spiegelungen der Anderen zu ertragen und auszuhalten – so wird auch Störendes benannt: »die Arbeit alleine sagt mir das halt glaub ich nicht. Dieses, dass ich als nicht befriedigend empfind, oder was mich noch stört«. Das Arbeiten am Arbeiten im Kontext des Kunststudiums ist den Kritiken der Anderen in gewisser Weise ausgesetzt und gefordert, sich immer wieder hinterfragen zulassen, damit es gegebenenfalls weitergehend modifiziert werden kann. Dies muss nicht zwingend in Form von Anpassung an die Kritik erfolgen, die Mitstudierende und Lehrende in einer Besprechung formulieren – die Studierende wird nach der Besprechung nicht die Tonspur des Films isolieren. Ein derartiges Befolgen sämtlicher Vorschläge käme lediglich einem an Erwartungserwartungen orientierten Arbeiten gleich. Modifikationen können in Anlehnung aber auch in Abgrenzung zu kritischen Anmerkungen seitens der Anderen in den Arbeitsprozess zurückgespeist werden, um eine ›eigene Position‹ weitergehend zu konturieren. Derjenige, der seine Arbeiten den Anderen zeigt und sie kritisieren lässt, kann im Zuge der Auseinandersetzungen mit den Anderen seinen eigenen Blick auf seine Arbeiten erweitern und befremden lassen. Die Irritation des eigenen Blicks oder auch der eigenen Sicht auf etwas erhält demnach eine geradezu methodische Relevanz im Sinne einer Ressource für künstlerisches Arbeiten, um dieses dynamisch zu halten.21 Das Entwickeln von Kriterien heißt hiernach auch das Praktizieren einer kritischen Haltung, die in solchen Situationen gleichsam geübt wird.

21 Siehe hierzu auch eine Parallele zur Philosophie: »Wenn das Verstehen irritiert ist, die Erwartung unterbrochen, erscheinen die Dinge anders als gewöhnlich. Man erkennt darin ein methodisches Vorgehen der Kunst wie auch der Philosophie wieder: Beide arbeiten konsequent daran, Zusammenhänge anders als gewöhnlich in den Blick geraten zu lassen, in andere Perspektiven zu rücken und das konventionell Erwartbare zu entselbstverständlichen« (Schürmann 2008: 213). Die Aussage Schürmanns lässt sich auch auf die soziologische Ethnografie übertragen, die ebenfalls ein Anderssehen strategisch für die Entwicklung von Fragen und Perspektiven einsetzt. Hirschauer und Amann (1997) beschreiben die »Befremdung der eigenen Kultur«, Hirschauer (2010) spricht auch von der »Exotisierung des Eigenen«. Kalthoff (2003) hingegen spricht – wie bereits erwähnt – von der »beobachtenden Differenz«, die andere Perspektiven des Ethnografen auf das sich ihm Zeigende in Differenz zu der Sicht der Teilnehmer

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Z WISCHENRESÜMEE . K ÜNSTLERISCHES A RBEITEN ALS P ROZESS Künstlerisches Arbeiten ist im Rahmen des Kunststudiums vor allem organisiert als eine Ordnung des Arbeitens und Zeigens beziehungsweise des ›Machens‹ und ›Besprechens‹ der Arbeiten im Austausch zwischen lehrenden Künstlern und Studierenden, ergänzt um kunsthistorische, kunstwissenschaftliche, kunstsoziologische und philosophische Seminare sowie technische Kurse, Workshops und Exkursionen. Hierbei rücken künstlerische Arbeitsweisen, Herangehensweisen und Zugänge in den Blick, die besonders das Hervorbringen und Vermitteln eigener Positionen anstreben. Eigene Positionen qualifizieren sich in Anbetracht der gezeigten Arbeiten und deren Besprechung. Das Arbeiten sowie die entstehenden Arbeiten der Studierenden setzen sich im Rahmen des Kunststudiums den Blicken der Anderen aus, die es irritieren und mitunter in Unordnung bringen, sodass sich ein permanenter Zugzwang entwickelt, die Suche nach weiteren und anderen Möglichkeiten ›in Gang‹ zu halten. Von den Studierenden mitgebrachte Gewissheiten werden zu Beginn des Studiums aufgebrochen; Erwartungserwartungen werden negiert; Gezeigtes wird in Besprechungen in seinen Qualitäten befragt und kritisiert. Einer Logik der impliziten Irritation folgend, wird gleichsam ein Selbstverständnis künstlerischer Arbeit forciert und erzeugt, das dessen Prozessualität und Unabgeschlossenheit betont. Nicht das Hervorbringen von zuvor definierten ›Kunstwerken‹ wird als Erwartung an den künstlerischen Nachwuchs exponiert. Vielmehr wird künstlerisches Arbeiten als Prozess betont. Es wird in dieser Weise weniger als Technik und Ästhetik, sondern vielmehr als Haltung gegenüber der eigenen Arbeit und dem eigenen Wahrnehmen und Sehen eingeübt. Diese Haltung ist gekennzeichnet durch die Erwartung permanenter Eigeninitiative, Selbstdisziplin und im Weiteren das Streben nach Anerkennung in der künstlerischen Community, die sich im Rahmen des Studiums zunächst vornehmlich auf die Position in einer Klasse und weitergehend der jeweiligen Kunstakademie und Kunsthochschule ausrichtet.

einer Praxis hervorbringt. Dieses Differenzieren, Modifizieren und Verändern der Sichtweise des Forschers lässt das Sehen zu einem dynamischen, suchenden und fragenden Sehen werden, das schließlich dem Forschungsprozess folgend auch hinterfragende und gar kritische Züge im Hinblick auf das eigene ethnografische Material, Kodes und Kategorien, Themen und Relevanzen annehmen kann. In ethnografischen Studien und deren analytischen Phasen arbeitet der Ethnograf oftmals mit anderen zusammen, die ihre Sichtweisen auf das Material vorschlagen, um Gewohnheiten und Sichtweisen des Autors der Daten zu erweitern und anzureichern.

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Seine eigene Position findet ein derartiges Arbeiten hiernach erst, wenn der Einzelne immer wieder in Beziehung zu seinen hervorgebrachten Arbeiten durch die Spiegelung der Anderen tritt und Sichtweisen in Anbetracht der Arbeiten zum Sprechen gebracht werden, indem Lehrende und Mitstudierende Fragen, Thesen, Kritiken und Kommentare im Hinblick auf das Entstehende äußern. Künstlerisches Arbeiten wird so als permanentes Justieren und Ausrichten, Befragen und Erfinden, Suchen und Versuchen, Ausprobieren und Modifizieren relevant gemacht. Ausgehend von der Eigenlogik eines prozessual orientierten künstlerischen Arbeitens geht dieses Arbeiten weniger von einem vorgefassten Ideal des Kunstwerks aus; auch zielt es nicht allein auf ›vorzeigbare‹ Produkte ab, obgleich Affinitäten des Kunstmarktes in studentische Arbeitsprozesse eingehen können. Die Auseinandersetzung mit sowie das Untersuchen, Entwickeln und Befragen von etwas gehen dieser Logik zufolge von einem Primat der Praxis aus: Künstlerisch zu arbeiten, heißt diesem Primat folgend zunächst mit und an den Dingen, Materialien und Medien, vor Ort und im Umgang mit ihnen etwas zu erarbeiten und zu probieren. Das wieder und wieder geforderte In-den-BlickNehmen der eigenen Arbeiten sowie der Arbeiten von Mitstudierenden in den Besprechungen ist darauf angelegt, ein eigenes, autorisiertes und gegenüber den Dingen positioniertes Anderssehen zu sozialisieren, habitualisieren und zu ›selbstverständlichen‹. Nicht das Abarbeiten an ausgedachten und vorgefertigten Idealen, das Lösen von gestellten Aufgaben und Problemen oder das Bewältigen begrifflich übergeordneter Themen wird hiernach Ausgang künstlerischer Prozesse. Vor allem der praktische Umgang mit Dingen und Materialien, Medien, Techniken, Konzepten, Sichtbarkeiten und Nichtsichtbarkeiten sowie das Sprechen davon und darüber leiten in künstlerische Auseinandersetzungen ein, die sich zunächst innerhalb der jeweiligen Klasse und Institution etablieren (müssen). In dieser Weise sind Kunstakademien und Kunsthochschulen Orte der Vermittlung künstlerisch spezifischen Wissens, jedoch werden sie auch als Sozialisationsinstanzen einer Praxis künstlerisch involvierten Wahrnehmens und Sehens relevant, das von den Teilnehmern des Feldes immer auch als ein dem Künstlerischen eigenes Wahrnehmen und Sehen profiliert wird. Besonders durch das Sprechen vom und über die sich zeigenden Arbeiten wird ein solches Wahrnehmen und Sehen in seinen kritischen Bezügen herausgefordert. Und was kommt nach dem Studium der Kunst? Nach Abschluss des Kunststudiums heißt es für die Absolvierenden in der Regel, nach weiteren institutionalisierten oder nichtinstitutionalisierten Kontexten und Orten Ausschau zu halten, in deren Rahmen und mit deren Ressourcen ein Weiterarbeiten künstlerisch, aber auch ökonomisch für den Einzelnen möglich sein kann. Der Übergang vom

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Studium in die Selbstständigkeit ist aufgrund der prekären ökonomischen Situation für nicht wenige Absolvierenden nicht selten ein Balance- oder gar Drahtseilakt. Was für Möglichkeiten tun sich auf? Das ›Meisterschülerstudium‹, Stipendien und Atelierbezüge sind gängige Anschlüsse an das reguläre Kunststudium an Kunsthochschulen und Kunstakademien. Auch eine kontinuierliche Kooperation mit einer (etablierten) Galerie wird von vielen Nachwuchskünstlern angestrebt. Der Übergang in professionelle Arbeitskontexte und damit einhergehend professionelle Ausstellungssettings kann fließend oder von Unterbrechungen gekennzeichnet sein.22 So sehen sich viele Kunststudierende als angehende Künstler neben der Entwicklung ihrer künstlerischen Arbeit darin gefordert, bereits während des Studiums Kontakte zu Galerien und Ausstellungshäusern, Sammlern und Förderern zu knüpfen und sich über die Akademie oder Hochschule hinausgehend Netzwerke aufzubauen, um im Kunstbetrieb außerhalb dieses institutionellen Schutzraums bestehen zu können.

22 Siehe zum Ausstellungssystem und zu Karrieren im Kunstbetrieb aus kunsthistorischer Perspektive weitergehend Bätschmann 1997.

Profession. Das Arbeiten an Arbeiten »Wenn ich etwas hätte sagen wollen, hätte ich es gesagt und nicht fotografiert.« KÜNSTLERIN, EINE STIMME AUS DEM FELD

Wie entstehen künstlerische Arbeiten? Welche Teilnehmer und Teilnahmen werden im Vollzug künstlerischen Arbeitens wie relevant gemacht? Wie zeigt sich künstlerisches Arbeiten in seinen Vollzügen? Derartige Fragen sind Ausgang für das folgende Kapitel, das sich nun professionellen Arbeitssettings zuwendet, wie Ateliers und Ausstellungen, aber auch Tätigkeiten, die sich als gewisse Zugzwänge im Feld der Kunst ausmachen lassen, so etwa das Arbeiten an der Präsenz und Öffentlichkeitswirksamkeit, um als Künstler sichtbar zu werden. Wie in den vorangegangenen Kapiteln gezeigt wurde, besteht eine erste Eigenlogik künstlerischer Praxis darin, dass Künstler jeweils eigene Vorgehensweisen, Präferenzen, Fragen und Auseinandersetzungen entwickeln und erarbeiten (müssen). Diese gehen mit einem eigenen Wahrnehmen und Sehen einher, eingebettet in Wissen, das im Umgang der Künstler mit bestimmten Dingen, Techniken, Diskursen und ästhetischen Auseinandersetzungen fortwährend sozialisiert und mit der Zeit auch spezialisiert sowie schließlich individualisiert wird. Wir haben es in diesem Feld mit einer erzeugten Individualisierung künstlerischen Arbeitens zu tun, die auch dem Ethnografen bei seinen Atelierbesuchen, Ausstellungsbegehungen und Gesprächen mit Künstlern begegnet. Gerade in dieser Individualisierung des Arbeitens findet sich jedoch zugleich eine Gemeinsamkeit künstlerischer Prozesse, die es ermöglicht, eben jedwede individualisierten Tätigkeiten, Vorgehensweisen und Sichtweisen von Künstlern als Konvention eines solchen Arbeitens zu erkennen und diese als Praxis künstlerischen Arbeitens zu versammeln – eine Praxis, die Kontingenz, Dynamik und Individualität fortlaufend hervorbringt und sich mit und an dieser konstituiert. In dieser Weise geraten im Folgenden verschiedene Teilnehmer und Teilnahmen in meinen ethnografischen Blick, der die Kontingenz des Feldes vielmehr als Res-

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source, denn als Einschränkung betrachtet: Mal folge ich der Entstehung einer bestimmten künstlerischen Arbeit in ihrer Prozesshaftigkeit und ihrer Sichtbarwerdung. Hier spielt besonders die Materialisierung der entstehenden Arbeit eine Rolle, die – wie bereits zu Beginn ausgeführt – Beobachtbarkeiten beziehungsweise Sichtbarkeiten und Erfahrbarkeiten anbietet und ermöglicht. Mal folge ich dem arbeitenden Künstler in seinen Zuwendungen zur entstehenden Arbeit. Der Künstlerkörper in Bewegung tritt aus dieser Sicht hervor, aber auch Kommentare in Anbetracht des Hervorgebrachten sowie die Blicke des Arbeitenden auf seine Hervorbringungen werden für eine ethnografische Annäherung an künstlerisches Arbeiten in seinen Vollzügen und Auseinandersetzungen ernst genommen. Auch folge ich vor dem Hintergrund meiner Anwesenheit eigenen Erfahrungen sowie Sichtweisen in Anbetracht dessen, was sich mir in situ zeigt, sodass die ethnografische Perspektive gleichsam mit den Strategien des beforschten Feldes arbeitet, um diese wiederum reflexiv einbeziehen und praktisch weitergehend verstehen zu können. Im Folgenden werden demnach verschiedene Instanzen profiliert, die künstlerisches Arbeiten ermöglichen. Wie zeigt sich nun was in den Ateliers, Ausstellungsräumen sowie sonstigen Orten, an denen sich künstlerisches Arbeiten vollzieht? Mit besonderem Fokus auf die Entstehung künstlerischer Arbeiten wird zunächst das Arbeiten mit Material in den Blick genommen. Material hält stabilisierende sowie experimentelle Potenziale für künstlerische Prozesse bereit, aber auch ästhetische Erfahrungen sowie technische Notwendigkeiten. Ein weiteres Kapitel wendet sich daran anschließend explizit den Dingen zu, mit und an denen Künstler Entwürfe sowie Konzepte entwickeln. Auch der Einbezug der Räume spielt für künstlerisches Arbeiten eine wichtige Rolle, was in einem nächsten Kapitel aufgezeigt wird. Ein weiteres Kapitel geht auf das Wahrnehmen und Sehen im künstlerischen Arbeitsvollzug in seinem Entwickeln, Planen sowie Prüfen und Beurteilen ein. So werden künstlerische Arbeiten in verschiedenen Weisen konzipiert und im Wahrnehmen und besonders Sehen im Sinn einer Interaktion zwischen Künstler und entstehender Arbeit befragt, verändert, ausgehandelt und schließlich fertiggestellt. Im Anschluss daran richte ich den Blick auf ›fertige‹ Arbeiten, die im Kontext ihrer Ausstellung als solche präsent gemacht werden und die in ihrer Präsenz an der Hervorbringung des ›Betrachters‹ beziehungsweise des Rezipienten beteiligt sind. Mit einem fotografischen Essay wird dem Arbeiten mit Materialien – hier speziell Holz – vor dem Hintergrund der Frage nachgegangen, was eigentlich nach Beendigung einer Ausstellung mit den zuvor installierten Dingen und Materialien passiert. In einem weiteren Kapitel wird künstlerisches Arbeiten in einen geradezu profanen Kontext gestellt, so geht dieses Arbeiten auch mit einem Business beziehungsweise einer

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Art des Selbstmanagements von Künstlern einher, die auf die Organisation künstlerischer Praxis Einfluss nimmt: Bewerbungen, Öffentlichkeitsarbeit und die Herstellung von Sichtbarkeit sind im Feld der bildenden Kunst präsent und besonders für junge Künstler Bestandteil ihres Arbeitsalltags, um Aufmerksamkeit zu generieren und Anerkennung sowie ›Erfolg‹ innerhalb der künstlerischen Community zu erlangen.

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Der Umgang mit Materialien ist Bestandteil des Arbeitsalltags vieler Künstler, zugleich bedeutet er eine nicht zu unterschätzende Herausforderung. Stets werden Materialien gebraucht, um Arbeiten hervorzubringen, die ihrem Publikum, ihren Betrachtern oder Besuchern sodann gegenübertreten und für diese wahrnehmbar, erfahrbar und sichtbar werden. Wie auch in anderen Bereichen, die etwas herstellen und hervorbringen, kommen in künstlerischen Arbeitsprozessen unterschiedlichste Materialien zum Einsatz, die mit bestimmten materialspezifischen Verfahren und Behandlungen transformiert, bearbeitet und zu etwas Anderem werden – hier zu Arbeiten der bildenden Kunst. In diesem Kapitel folge ich dem Einsatz von Materialien, die Künstler ausgewählt, vorgefunden oder extra beauftragt haben. Entgegen der Vorstellung, dass Material ein bloßer Werkstoff für die Gestaltung und Umsetzung zuvor feststehender Ideen der Künstler ist, wird nicht selten in der künstlerischen Praxis dazu aufgefordert, die Potenziale und Qualitäten von Materialien in den Arbeitsprozess einzuspeisen und zu entfalten. Aus dieser Sicht wird Material nicht allein »Ausgangsstoff jeder künstlerischen Gestaltung« (Wagner 2001: 12) – es wird gar Mitspieler (Schürkmann 2016a: 366) künstlerischer Praxis, indem es eigene Dynamiken und Herausforderungen in das Arbeiten und seine Vollzüge transportiert. Diese Argumentation erstarkt aus ethnografischer Sicht weniger aufgrund einer theoretischen Setzung beziehungsweise einer voraussetzungsvollen Annahme einer agency des Materials, sondern vielmehr in der empirischen Analyse des Umgangs der Künstler mit Material und der mitunter aufdringlichen Dominanz des Materials innerhalb künstlerischer Praxis. Fragen, die hieran anschließen, lauten etwa: Wie wird etwas zu Material für künstlerisches Arbeiten gemacht? Wie wird Material wirksam und was setzt es im Umgang mit ihm frei? Wie werden Materialien Qualitäten und Eigenschaften von Künstlern zugesprochen? In ganz unterschiedlichen Settings und Situationen drängt sich das Material in seiner Berücksichtigung auch für mich als Ethnografin in dessen Präsenz auf.

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Wie wird Material im Zuge der Konjunktur einer Beforschung von Materialität zur Kenntnis genommen? Während in den geistes-, kultur- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen besonders die Materialität von Dingen oder etwa Schriften eine herausragende Rolle spielt (siehe etwa in den Literaturwissenschaften Brown 2003; in technik-, bildungs- und finanzsoziologischen Beiträgen etwa Rammert 1998; Röhl 2013; MacKenzie 2009; im Bereich der materiellen Kultur beispielswiese Hahn 2005; Miller 2005; Hicks/Beaudry 2010), haben kunsthistorische und kunstwissenschaftliche Forschungen dem Material bereits eine Eigenständigkeit in der Betrachtung zugewiesen (siehe besonders Wagner 2001; Wagner und Rübel 2002 oder etwa Naumann/Strässle/Torra-Mattenklott 2006; Lehmann 2012; Strässle/Kleinschmidt/Mohs 2013; Lange-Berndt 2015, im Bereich Design Scholz/Weltzien 2016). Material in der Kunst wird oftmals im Verhältnis zu deren Immaterialität betrachtet, etwa in Bezug auf Konzeptkunst. Entgegen einer materialistischen Sicht auf Kunst sind in der Kunst selbst immer wieder »Vorstellungen von der Überwindung des Materials, der Unabhängigkeit von materiellen Bindungen – Ideen vom Immateriellen […]« (Rübel/Wagner/Wolff 2005: 323) präsent gemacht geworden. Materialien mit bestimmten Eigenschaften, wie Glas oder Kristall in seiner Transparenz, oder auch Informationen und Daten im Zuge des Aufkommens von Informations- und Kommunikationstechnologien werden gleichsam als »Materialien des Immateriellen« (Rübel /Wagner/Wolff 2005: 322 ff.) relevant. Gegenwärtig betrifft dies beispielsweise die Digitalisierung künstlerischer Prozesse, die mit Codes, Algorithmen oder Zeichen arbeiten (siehe hierzu beispielsweise: Huber 1998).1 Eine materialitätsinformierte ethnografische Perspektive folgt weniger einer programmatisch materialistischen Sicht, wobei sie in ihrer methodischen und theoretischen Verankerung unbedingt von einer sozio-materiellen Konstitution von Welt und Wirklichkeit ausgeht. Ihre Argumente für die Profilierung des Materials als Teilnehmer der Praxis künstlerischen Arbeitens findet sie zuerst in ihrem Feld, in dem Material sich in ganz unterschiedlichen Relevanzen und Potenzialen, praktischen Umgangsweisen sowie konzeptionellen Einbettungen zu erkennen gibt. Dabei wird Material im Kontext der Studie zu einem gleichsam doppelten Artefakt: Einmal wird es im Zuge der hervorbringenden künstlerischen Praxis zu einem solchen gemacht. So ist es nach Strässle (2013: 14)

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Die hier skizzierten Diskurse beziehen sich auf Material und Materialität, wobei ich an dieser Stelle nicht auf verschiedene Materialismen in ihrer philosophischen Verortung eingehen werde.

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»[…] entscheidend zu sehen, dass als Material kein gegebener irreduzibler ›Ausgangsstoff‹ vorausgesetzt werden kann, der sich prädiskursiv oder präperformativ fassen ließe, sondern dass die Materialien in den ihnen zuschreibbaren Ästhetiken und Semantiken in der künstlerischen Produktion – also in medialen, kulturellen und symbolischen Konstitutionsprozessen – überhaupt erst hergestellt werden.«

Material, eingebunden in künstlerische Praxis ist nicht auf eine Substanzialität, Physis oder Stofflichkeit reduzierbar, sondern es ist immer in die jeweilige Hervorbringungspraxis integriert und somit als artifiziell und kontextuell zu berücksichtigen (Schürkmann 2015b). Sämtliches kann potenziell für künstlerisches Arbeiten zu Material gemacht werden: Dinge und Stoffe, Rohmaterialien oder Fabrikate, Organisches sowie Anorganisches, für den menschlichen Körper gefährliche und harmlose Stoffe können in künstlerische Werke eingehen. Wichtig zu betonen ist, dass Material im Kontext einer arbeitenden Praxis immer für etwas bedeutsam wird, das aus ihm angefertigt, produziert oder erarbeitet wird: »Das Herstellen selbst ist je ein Verwenden von etwas für etwas« (Heidegger 2006 [1927]: 70, Herv. i. O.), wobei eine Profilierung des Materials besonders das Herstellen und Hervorbringen von etwas aus und mit etwas exponiert. Im Vollzug des Arbeitens und Hervorbringens eröffnet es den Bereich zwischen dem Woraus und Wofür des zu Verarbeitenden, des zu Bearbeitenden und des zu Erarbeitenden beziehungsweise allgemeiner des Hervorzubringenden. Aus der hier eingenommenen qualitativ-soziologischen Sicht wird das zum Einsatz gebrachte Material im Vollzug künstlerischer Praxis noch einmal zum Artefakt ethnografischer Forschungspraxis, indem es in seinen verschiedenen Bezügen und Fragen zum Sprechen und zur Darstellung gebracht wird. Materialität wird in dieser Weise als eine relevant, die dem Wahrnehmenden in situ gegenübertritt und sich zeigt. Unter Berücksichtigung eines derartig breiten und weiten Verständnisses von Materialität und materieller Welt geht es im Folgenden darum, verschiedene Relationen zwischen künstlerischer Praxis und Material, zwischen dem, woraus etwas ist, und dem, wofür etwas ist, zwischen Technik und Ästhetik sowie zwischen Funktionieren und Eigensinnigkeit des Materials zu beleuchten. Besonders im Feld der bildenden Kunst eröffnen sich hiernach Spannungsmomente in Bezug auf das Material, da es zum Generator von Möglichkeiten und Kontingenz werden kann, der auch eine Materialität des Materials hervortreten lässt.

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Material zwischen Entscheidung und Gelegenheit Material bietet für viele Künstler Herausforderungen und Fragen an. Fragen wie: Was kann mit und aus welchem Material überhaupt gemacht werden? Welche Verfahren sind für was eigentlich geeignet oder müssen womöglich erst entwickelt werden? Welche qualitativen und ästhetischen Potenziale geben sich im Umgang mit bestimmten Materialien zu erkennen? Mit der Zeit können bei Künstlern und ihrem Arbeiten Präferenzen und Dispositionen für spezielle Materialien aufgrund ihrer Qualitäten oder aufgrund ihrer soziokulturellen Bedeutungen, historischen Referenzen sowie ästhetischen Eigenheiten entstehen. Jedoch wäre es vorschnell anzunehmen, dass jeder Künstler sein Material unmittelbar ›frei‹ auswählt und einseitig Material entsprechend einer vorausgehenden Idee selektiert. Vielmehr sind künstlerische Entscheidungen für oder gegen bestimmte Materialien eingebettet in Lebenswelten, Alltagsbezüge, biografische Motive oder auch Ad-hoc-Begegnungen, die Künstler mit Materialien in Kontakt bringen. So kann auch eine gewisse Situativität in die Selektion von Material im Zuge künstlerischer Arbeitsprozesse Einzug erhalten, etwa wenn ein Künstler plötzlich Materialien in seiner Umgebung sieht und diese für seine Arbeit entdeckt (Schürkmann 2015b). Aber auch die gezielte Recherche nach geeigneten Materialien für ein bestimmtes Vorhaben zusammen mit Experten aus anderen produzierenden Bereichen ist keine Seltenheit, um spezielle Materialien für den künstlerischen Vollzug zu akquirieren. Die Selektion von Materialien kann zudem von ganz profanen Restriktionen begleitet sein. Material kostet und ist eingespannt in ökonomische Kontexte und Wertigkeiten, sodass auch die Erschwinglichkeit bestimmter Materialien bei der Materialwahl insbesondere bei jungen und noch nicht etablierten Künstlern eine Rolle spielt. Auch setzt Material bestimmte sinnliche Bezüge und Eigenheiten frei, die künstlerisches Arbeiten affizieren können. Das, was wie zu Material wird, oszilliert zwischen vorausgehenden Entscheidungen durch den Arbeitenden und Gelegenheiten, die sich ihm bieten. Hierzu ein Protokollauszug eines Atelierbesuchs einer Stipendiatin in der Villa in Italien: Wir stehen in E.s Atelier. Auf einem Tisch ist eine Nähmaschine aufgebaut, zugeschnittene Stoffe liegen bereit. E. geht zu dem Regal, das zwischen den großen Fenstern aufgestellt ist und zieht einen Katalog zwischen anderen Büchern heraus, geht zu dem am anderen Ende des Raumes stehenden Tisch und zeigt mir die im Katalog abgedruckten Fotografien ihrer frühen Arbeiten – meist Performances, in denen E. ihren Körper sowie auch Dinge inszeniert. Sie berichtet, dass sie oft Performances zusammen mit anderen Künstlern gemacht hat, die am Ort der Ausstellung stattfanden oder an öffentlichen Plätzen, so-

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dass sie lange Zeit gar kein Atelier hatte und dort arbeitete, wo die Performances gezeigt oder die Dinge direkt ausgestellt wurden: »Keine Ausstellung – keine Kunst!« So hat sie zunächst mit günstigen Stoffen und gefundenen Alltagsdingen ihre Performances initiiert. Mit Beendigung der jeweiligen Ausstellung endete auch die Existenz der Arbeit, auf die nur noch die im Katalog gezeigten Abbildungen beziehungsweise Fotografien als Spuren der gewesenen Aktionen verweisen. Dieses situative Arbeiten sei ihr damals vor dem Hintergrund ihrer finanziellen Situation entgegengekommen: »Sonst braucht man ja eine Lagerhalle.« Wir gehen im Atelier umher. E. bleibt stehen und wendet sich den bereitliegenden Stoffen auf dem Tisch zu. Speziell »das Haptische am Stoff« spiele für sie eine wichtige Rolle, das Nähen bringe eine andere Qualität in das Arbeiten ein – etwa in Ergänzung zum Arbeiten mit Film und Fotografie, sagt sie. Dies sei für ihr Arbeiten besonders relevant, so arbeitet sie immer an mehreren Projekten parallel: »Man kann sich ja nicht nur mit einer Sache beschäftigen, da wird man ja wahnsinnig!«

Die Präsenz des Materials drängt sich im Zuge meines Besuches von E. in ihrem Atelier auf: Der auf dem Tisch ausgebreitete Stoff bietet sich den Anwesenden, hier der Ethnografin und der Künstlerin, dar; er wird gleichsam zum ›Erzählstoff‹, an dem sich Gespräche zwischen Künstlerin und Ethnografin sowie Narrationen von E. bezüglich ihres künstlerischen Werdegangs entwickeln. Das Arbeiten mit Stoff zeigt sich hier in doppelter Weise: Einmal zeugen die bereitliegenden Stoffe davon, dass mit ihnen Weiteres und Anderes passieren wird. Die Nähmaschine auf dem Tisch sowie der aufgebaute Tisch im Atelier der Künstlerin verweisen darauf, dass sie ihren Arbeitsplatz bezüglich des Umgangs mit dem Material Stoff aus- sowie eingerichtet hat. Das Atelier ermöglicht hier ein Arbeiten mit Materialien, die liegen gelassen, gelagert und auch aufbewahrt werden können – kurzum: Material braucht Platz! Zudem werden die Stoffe in der Erzählung von E. biografisch, pragmatisch sowie in ihren sinnlichen Qualitäten kontextualisiert. Folgt man der Erzählung E.s, so wird Stoff als Material für ihr Arbeiten zum einen aus pragmatischen Motiven relevant, da es, besonders zu Beginn der Karriere von E., ihr künstlerisches Arbeiten trotz geringen Budgets ermöglichte: Bestimmte Stoffe sind günstig, Stoffe können gefaltet werden, sie brauchen nicht viel Platz und können situativ im Kontext von Performances zusammen mit gefundenen Alltagsdingen zum Einsatz kommen. In dieser Weise hat das Material in seinen sozioökonomischen Bezügen E. die Gelegenheit geboten, mit ihm künstlerisch zu arbeiten, was sie heute in professionellen Settings – hier ein gefördertes Atelier – mit eben diesem Material fortsetzen kann. Zugleich wird deutlich, dass die Auswahl des Materials im Kontext künstlerischen Arbeitens seine Plausibilisierung und Legitimität nicht allein in diesem pragmatischen Zugang finden kann. So muss die Entscheidung beziehungsweise die Präferenz

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für die zum Einsatz gebrachten Materialien immer auch künstlerisch begründet sein. Material im Einsatz künstlerischen Arbeitens ist daher niemals ›unschuldig‹ oder ›neutral‹ – stets generiert es Bedeutungen, Interpretationen und Kriterien, die die Arbeit rahmen und ihr Lesarten einschreiben. Für das Arbeiten in seinen Vollzügen wird dem Material Stoff eine Relevanz seitens der Künstlerin zugesprochen: Die sinnliche Qualität des Stoffes (»das Haptische am Stoff«) sowie der Status des Nähens und des Umgehens mit Stoffen in Ergänzung zum Fotografieren und Filmen werden hier als Ressource thematisch. Im Einbezug von Material eröffnet sich ein Spannungsfeld, innerhalb dessen Materialselektionen und Materialselektivitäten einer arbeitenden Praxis entstehen: Material wird vom Künstler selektiert und somit im Rahmen seiner Arbeit zu einem solchen gemacht. Es bietet sich dem Arbeitenden in seinen Eigenschaften und Qualitäten an. Zugleich sind auch künstlerische Selektionen von Material in bestimmte Gelegenheitskontexte eingebunden. Bestimmte Materialien sind – auf je unterschiedliche Weise – für Künstler in Reichweite und andere nicht, sodass Künstler mitunter auf Materialien zurückgreifen, die sie in ihrer Umgebung finden und die ihnen in ihrem Alltag begegnen, wohingegen andere in ihrem Einsatz zuvor bestimmt und erprobt werden. Materialstudien Der künstlerische Einsatz von und Umgang mit Material ist keineswegs beliebig oder naiv. Das, was als Material relevant gemacht wird, muss im Kontext der jeweiligen Arbeit überzeugen. Das heißt, dass die Verwendung von etwas als Material für die zu entwickelnde Arbeit in ein Vorhaben eingespannt ist – ein künstlerisches Vorhaben, das den Blick des Künstlers auf bestimmte Materialien richten und fokussieren kann. Sodann stellt sich eine Vielzahl an Fragen bezüglich des Umgangs und der Möglichkeiten, wie was mit und aus was eigentlich hervorgehen kann. Materialien können im Feld der Kunst regelrecht in ihren Eigenschaften, Qualitäten, Potenzialen und Restriktionen, in ihrem Aussehen und ihrer Wirkung ›studiert‹ und beforscht werden – folgender Protokollausschnitt dazu: T. (Künstler) ist seitens der Kuratoren zu einem großstädtischen Ausstellungsprojekt eingeladen worden, um in diesem Kontext eine Arbeit anzufertigen. Es geht um die Bearbeitung der Oberfläche einer architektonischen Rauminstallation, die durch einen anderen eingeladenen Künstler (M.) extra für den Ausstellungsraum konzipiert worden ist. Diese besteht darin, labyrinthische Innenwände in den Ausstellungsraum einzubauen und ein komplexes Raumszenario zu erschaffen, durch das der Betrachter sodann wandeln soll.

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Hierzu sollen einige Wände, bestehend aus einer mit Gittern überzogenen Holzkonstruktion, mit Zementputz überzogen werden. Auf dieser Zementoberfläche wird T. wiederum seine Arbeit entwickeln. In dieser Weise wird die von T. zu bearbeitende Oberfläche entsprechend der Installation von M. aus Zementputz bestehen. T. hat vor, in den nassen Zementputz ein Relief mit selbst entworfenen Holzstempeln einzuarbeiten und mit verschiedenen eisenhaltigen Pigmenten in den Putz hinein zu malen. Eine Woche vor Beginn teilt mir T. in einem Telefongespräch mit, dass er an den Wänden »Bauschäden produzieren« und mit den eisenhaltigen Pigmenten »Rost erzeugen« werde. T. erzählt mir im Zuge des Telefonats, dass er in seinem Atelier zuvor mit Eisenspan, Kupfer, Essigsäure und Baudispersion »getestet« und »experimentiert« habe, wie sich Rost in einer begrenzten Zeit auf einer Fläche herstellen lasse. Erst kurzfristig habe er jedoch erfahren, dass es sich bei dem Putz um Zementputz handeln werde – er hätte auch gerne mit Gips gearbeitet, da er mit Gips bereits erste Erfahrungen habe. Nun habe er nicht viel Zeit gehabt, die Rostherstellung auf Zement vorher zu »testen«.

Eingespannt in das Vorhaben der Rosterzeugung mittels Säurekorrosion ›testet‹ der Künstler zuvor in seinem Atelier, wie sich bestimmte Materialien in Kombination miteinander verhalten – das Material wird in seinen experimentellen Potenzialen im Atelier beforscht und zu einem »epistemischen Ding« (Rheinberger 2001: 24) für die künstlerische Praxis. Bevor es im Rahmen des Ausstellungsprojektes zum Einsatz kommt, bereitet der Künstler den Umgang mit metallhaltigen Pigmenten in Verbindung mit Essigsäure vor, um sodann vor Ort antizipieren zu können, wie was passieren wird und wie das Material reagieren wird – in gewisser Weise kann man hier auch von einem Pretest sprechen. So zeigt sich künstlerische Praxis hier keinesfalls als naiv oder gar obsessiv – im Gegenteil: Das ›Studieren‹ von Materialien in ihren Möglichkeiten und Restriktionen, ihrem Verhalten und Wirken im Vorfeld der Hervorbringung der Arbeit am Ort ihrer Ausstellung zeugt davon, dass Vorbereitungen getroffen und Risiken für den künstlerischen Prozess abgeschätzt werden. Zuvor im Atelier angefertigte Materialstudien reduzieren das Risiko des Scheiterns, dessen Möglichkeit der Künstler hier offensiv in Betracht zieht. Dass das Material des Putzes sich aus Sicht von T. unvorhergesehener Weise geändert hat – dieses wird von M. festgelegt – speist Ungewissheit in die Situation und das Arbeiten im Kontext der zu erzeugenden Arbeit ein. Aus zeitlichen Gründen ist das ›Testen‹ der Herstellung von Rost auf einer Zementoberfläche im Vorfeld für T. nicht mehr möglich. In dieser Weise wird das Arbeiten mit dem Material Zement vor Ort für T. auch zu einem Versuch mit experimentellen Qualitäten – es wird zum Gegenstand des Ausprobierens.

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Bleiben wir bei der Putzwand: Auch der Künstler M. hat die Rauminstallation bereits im Umgang mit den zum Einsatz zu bringenden Materialien entworfen – eine Installation, die Materialien in experimenteller und extraordinärer Weise kombiniert, folgender Protokollausschnitt: Einer der zuvor beauftragten Putzer schaut skeptisch auf die zu verputzende Holz-GitterKonstruktion der Wände und äußert Bedenken, »ob das hält«. T. entgegnet ihm, dass die Wände in drei Monaten schon wieder abgerissen würden, »das muss auch nicht ewig halten«. M. verweist darauf, dass er in seinem Atelier die Haltbarkeit einer derartigen HolzGitter-Zementputz-Konstruktion bereits im Sinne von »Wand-Dummies« aufgebaut und »getestet« habe, ob die Konstruktion den Putz tragen könne.

Seitens des Handwerkers wird zunächst Unverständnis bezüglich des von baulichen Standards abweichenden Vorhabens geäußert – er scheint zu bezweifeln, ob die mit Gittern versehenen Holzwände den Zementputz zu tragen vermögen (»ob das hält«). Die Erwiderung des Künstlers, dass die Wände nur temporär existieren und nicht ewig halten müssen, verdeutlicht die Differenzierung zweier Arbeitswelten, die unterschiedliche materielle Bezüge herstellen. Ein künstlerisches Vorhaben trifft in diesem Setting auf handwerkliche-technische Standards, was mitunter Konfliktpotenzial freisetzen kann. Nach Becker (1974: 769) geht ein solcher Konflikt zwischen künstlerischen und handwerklichen Kriterien mitunter aus einem anderen Umgehen mit Materialien in künstlerischen Arbeitsprozessen im Vergleich zu standardisierten Verfahren und Techniken hervor.2 Ein im künstlerischen Kontext anderer Einsatz von Materialien markiert eine Abweichung von außerkünstlerischen Materialkonventionen und standardisierten Materialverarbeitungen. Handwerklich-korrekte und technisch-etablierte Verfahren orientieren sich an Materialwertigkeiten, die vornehmlich auf die Nützlichkeit der hervorgebrachten Produkte und demnach auf ihren praktisch-funktionalen Aspekt ausgerichtet sind. Diese Abweichung ruft – sobald sie dem Handwerker als missachtet oder untauglich erscheint – Unverständnis beim technischen Per-

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Das Beispiel, das Becker (1974: 769 f.) anführt, bezieht sich auf das Vorhaben eines Künstlers, der professionelle Lithografen als technisches Personal damit beauftragt hat, seine zuvor konzipierten Entwürfe zu drucken. Das von dem Künstler gewünschte Druckformat hätte jedoch zur Sichtbarkeit der Walzenspuren auf den Drucken geführt. Während der Künstler vorschlug, die sichtbaren Spuren als Integrativ seiner Arbeit zu betrachten, lehnten die um ihren handwerklichen Ruf besorgten Lithografen das Drucken der Entwürfe unter diesen Umständen ab, da dies aus ihrer Perspektive ein unsauberes Vorgehen darstellen würde.

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sonal hervor (Becker 1974: 769 f., 2008 [1982]: 272 ff.). In diesem Fall erscheint es aus handwerklicher Sicht unverständlich, dass der in seinen materialen Qualitäten potenziell – je nach Mischverhältnis – langfristig stabile und witterungsfeste Zementputz zeitlich begrenzt in einem Innenraum einer Ausstellungshalle auf mit Gittern überzogenen Holzbrettern aufgetragen werden soll. Der Künstler argumentiert sodann, dass er diese außergewöhnliche Kombination von Holz und Putz bereits im Hinblick auf Haltbarkeit und Statik in seinem Atelier zuvor »getestet« habe. Auch hier sind im Vorfeld Materialstudien angefertigt worden. Die experimentelle Zusammenführung von Baustoffen wird in ihren Möglichkeiten erprobt. Was aber heißt es, weitergehend Materialstudien im Kontext eines künstlerischen Vorhabens anzufertigen? Folgen wir an dieser Stelle einer solchen Studie. Der Konzeption der Rauminstallation und der Selektion der in diesem Kontext zum Einsatz gebrachten Materialien geht eine Auseinandersetzung des Künstlers mit verschiedenen Bauweisen und Architekturen voraus. Die Konstruktion der Bretterwände findet ihre Inspiration im US-amerikanischen Holzbau, wobei die Verputzung von Wänden eher europäischen Bauverfahren entspricht. So bedarf es zunächst Recherchen zu verschiedenen Bauverfahren, zu Architektur, Baukultur, Bauweisen und ihrer Geschichte – unzählige Fotografien und gleichsam digitalisierte Bildarchive auf dem Laptop des Künstlers materialisieren wiederum seine Recherchen und zeugen von seiner intensiven Beschäftigung mit dieser Thematik. In dieser Weise erarbeitet der Künstler ein gegenstandsbezogenes Wissen, was den künstlerischen Prozess in gewisser Hinsicht mit einer ›gegenstandbezogenen Theoriebildung‹ induziert, die in die Konzeption der Arbeit eingeht. Das Kombinieren von Materialien findet seine Plausibilität in diesem Fall im Kombinieren verschiedener kulturgeschichtlich eingebetteter baulicher Verfahrensweisen, die für die zu erarbeitende Rauminstallation zusammengebracht werden: Eine Konstruktion von Holzbrettern wird einseitig verputzt, wobei der Putz wiederum von dünnen metallenen Gittern getragen wird. Diese andere Kombination von Materialien erfordert ein Wissen seitens des Künstlers darüber, wie diese Materialien gewöhnlich verwendet und eingesetzt werden. Das Wissen um Verwendungszusammenhänge, Funktionalitäten und Konventionen erweitert ein notwendiges Materialwissen. Ein derartiges Wissen ermöglicht es, entsprechend oder abseits habitualisierter Umgangsweisen mit Materialien in dieser oder jener Weise umzugehen. Diesem ›theoretischen‹ Wissen schließt sich auch ein praktisches Materialwissen an, das Materialien in ihren Qualitäten zur Kenntnis nimmt. Im unmittelbaren Umgang mit dem Material schließen sich in diesem Zusammenhang Fragen an, die auch materialtechnische Aspekte der Konstruktionsleistung in den Blick nehmen: Trägt diese ›er-

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fundene‹ Holzgitterkonstruktion den Zementputz überhaupt? Was macht die Feuchtigkeit des Putzes mit dem Holz? Wie stark zieht das Wasser in das Holz ein und wie reagiert der Putz? Der Künstler fertigt sodann Materialstudien (»Wand-Dummies«) an – die im Kontext der Konzeption zusammengebrachten Materialien werden in Versuche überführt, um antizipieren zu können, wie die spätere Installation baulich funktionieren und aussehen wird. Sowohl technisch-funktionale als auch ästhetische Aspekte werden hierbei relevant. Die für die Rauminstallation entwickelte Wandkonstruktion in der Kombination aus Holz, Gittern und Zementputz wird im Atelier zuvor in kleinerem Maßstab gebaut, um sie in ihrer Stabilität zu testen sowie in ihren möglichen Erscheinungsweisen zu betrachten beziehungsweise zu beobachten. So gilt es, die materialen Eigenschaften im Hinblick auf das Baukonzept vorab zu erproben.

Putzstudien im Atelier. (Bildrechte liegen beim Künstler)

Die Studien weisen in einem Aspekt zudem über den Kontext der späteren Installation hinaus: So wird die für die Studien angemischte Putzmasse vom Künstler mit verschiedenen Pigmenten versetzt, sodass unterschiedliche Farbflächen im Zuge des Verputzens entstehen – hier wird etwa auch mit Farbigkeit ex-

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perimentiert, obgleich diese im Rahmen der späteren Rauminstallation keine Rolle spielen wird. Materialstudien innerhalb künstlerischen Arbeitens können potenziell über ihre Funktion eines reinen ›Zuarbeitens‹ für ein bestimmtes Vorhaben hinausweisen. So können in ihrem Erarbeitungsprozess auch andere und weitere Fragen behandelt werden als diejenigen, um die es innerhalb der geplanten Arbeit gehen wird. Studien können in künstlerischen Prozessen in gewisser Weise eine eigene Qualität entwickeln und halten Überraschungen und Möglichkeiten bereit, um Verschiedenes auszuprobieren Das Erarbeiten von Materialien geht mit einem Fragen und Suchen nach möglichen Materialien und ihren Einsätzen für etwas einher, das in dieser Weise noch nicht sichtbar, noch nicht ›da‹ ist und das erst im Zuge seiner Materialisierung sichtbar wird. So werden derartige Studien im Kontext künstlerischen Arbeitens auch dazu eingesetzt, im Vollzug des Arbeitsprozesses wieder Anderes und Weiteres hervorzubringen und zu erforschen – Anderes, das für weitere Arbeiten Möglichkeiten bereithalten kann. Studien fungieren folglich nicht nur als zielführende Vorstudien für konkrete, schon geplante Vorhaben, um deren spätere Umsetzung und Ausführung zu verbessern, sondern öffnen den Blick auch für andere, weitere Fragen, Vorhaben und Möglichkeiten des Arbeitens – hier ein Arbeiten mit bestimmten Materialien. So liegt gerade in der Studie – auch in der Materialstudie – die Möglichkeit, Unfertiges hervorzubringen und dieses als solches ›stehenzulassen‹. Studien etablieren somit eine Prozessorientierung in das Arbeiten, das trotz konkreter und konzipierter Vorhaben immer auch auf der Suche nach Anderem und Weiterem bleibt. Material als Stabilisator und Experimentator Wie bereits angedeutet, ist die Spannbreite des Einsatzes von Material im künstlerischen Kontext groß: Material ermöglicht in seinen Dynamiken experimentelle Arbeitsweisen, zugleich stabilisiert es das Arbeiten mit ihm in seinen qualitativen Erfordernissen bezüglich bestimmter Vorgehensweisen und Verfahren (Schürkmann 2015b). Bleiben wir an dieser Stelle bei der uns schon bekannten Arbeit an der Putzwand und dem Vorhaben des Künstlers T., eine Arbeit mit Rost auf beziehungsweise in dieser zu entwickeln, um dieses Spannungsfeld weitergehend zu beleuchten und aufzuzeigen: Während des Telefonats argumentiert T., dass er aber auch ganz froh darüber sei, gewisse Entscheidungen nicht selbst treffen zu müssen und mit dem zu arbeiten, »was gegeben ist«. »Da muss man dann halt drauf reagieren«. Bei dem ihm vorgegebenen Zementputz handelt es sich um »echten Putz« mit einer »Oberflächenstruktur« und somit um »richti-

146 | K UNST IN ARBEIT ges Material, kein Pseudoputz«. Weiter sagt er: »Da in den frischen Putz gearbeitet wird, ist keine Korrektur möglich: Was im Material drin ist, ist drin. Da sind viele Unbekannte im Spiel und was da rauskommt, kann man nicht wissen – ob überhaupt was rauskommt. Man kann nicht absehen, was passiert, aber das ist auch eine Chance für die Arbeit.«

An der Argumentation T.s zeigt sich, wie der Künstler die entstehende Ungewissheit in Bezug auf das ihm ›vorgegebene‹ oder ›fremdbestimmte‹ Material konstruktiv in seine künstlerische Arbeit integriert und sie als Ressource anspricht: »Da muss man dann halt drauf reagieren«. Der Künstler als aus sich schöpfendes Künstlersubjekt, »als Gesetzgeber« (Wedekind 2011) oder als ein »all-powerful creator« (Latour 2003: 31) wird hier geradezu dekonstruiert und dezentriert. In der hier hergestellten Logik ist es vielmehr der Künstler, der auf das agierende Material in dessen Unberechenbarkeit situativ reagieren muss. In dieser Weise wird Material zu einem mitunter dominanten Mitspieler für den künstlerischen Prozess, dem der Künstler hier mit gewissen Vorbereitungen sowie als »bestimmte Unbestimmtheit« (Waldenfels 2010a: 39, Herv. i. O.) in Bezug auf dessen ›Spielweisen‹ begegnet. Die Nicht-Absehbarkeit des Entstehenden wird seitens des Künstlers von vornherein in das Arbeiten einbezogen – seinen Worten folgend, wird ein ›Spiel mit Unbekannten‹ in Gang gesetzt. Als ein »Spiel der Hervorbringung von Neuem« (Rheinberger 2001: 27) wird mit dem Experiment sowohl Gelingen als auch Scheitern zur Möglichkeit. Dies erzeugt eine gleichsam empirische Offenheit in Bezug auf den Ausgang und das Resultat der künstlerischen Arbeit beziehungsweise dem Werk.3 In der Metapher des Spiels wird eine Dramaturgie von Gewinnen und Verlieren eröffnet, was den Einsatz von neuen und anderen, weiteren und unbekannten Materialien und Materialkombinationen in ein Spannungsverhältnis setzt. Im experimentellen Einbezug einer Ergebnisoffenheit wird gleichsam eine Empirie des Materials im Arbeitsprozess verankert. Die Nicht-Absehbarkeit dessen, ›was passiert‹, wird zur Ressource, indem sie reflexiv in den arbeitenden Prozess einbezogen wird. Das Material macht mit! Folgen wir weiterhin der Verputzung der Wand in dem Ausstellungsraum, die entsprechend der Verwendung von ›echtem Putz‹ sodann von professionellen Putzern durchgeführt wird:

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Eine kunsthistorische Studie, die den künstlerischen Prozess als Zusammenspiel zwischen Experiment und Wiederholung in den Fokus rückt, findet sich beispielsweise in der Untersuchung der künstlerischen Praxis von Edgar Degas und dessen Umgang mit Material, Form und Medien bei Berger 2014.

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Die Putzer beginnen draußen den Zementputz anzumischen, wobei die Maschine einige Male versagt. Ich sehe, wie die Kuratoren zwischendurch auf ihre Uhren schauen. Ein Gerüst steht im Raum, sodass auch die oberen Wandbereiche verputzt werden können. Schließlich funktioniert die Maschine und die angemischte Zement-Kalk-Wasser-SandMasse wird von den Putzern an den Wänden mithilfe einer Verputzungsmaschine aufgetragen. Wieder und wieder tragen die Putzer in gleichmäßigen Bewegungen den Putz auf und gehen die Wände im Verlauf der Verputzung ab. Einer der Putzer glättet die von einem Anderen aufgetragene Masse zunächst grob. Dem Auftrag der Zementmischung an den Wänden folgt schließlich das Filzen des Putzes – wieder in gleichmäßigen, stets wiederholenden Bewegungen glättet der Putzer die Masse, sodass mit der Zeit ebene, graue Wandflächen entstehen. Ich gehe auf die Rückseite der verputzten Holzwände und sehe, wie die Zementmasse durch die Ritzen zwischen den Brettern quillt. Wie der Künstler M. und die Kuratoren erklären, hat M. die Baukonstruktion der Wände an amerikanischen Holzbauweisen orientiert, wobei die Verputzung aus dem Massivbau resultiert. Das Verputzen der Wände dauert mehrere Stunden. An einer Stelle entdeckt M. Unebenheiten beziehungsweise Einkerbungen im nassen Putz, die als Unterbrechung der glatten Fläche schnell ins Auge springen. Sofort macht er einen der Putzer auf den »Fehler« aufmerksam, und fordert ihn auf, die entsprechenden Stellen noch einmal zu glätten, an uns gerichtet sagt er: »Wenn’s ums Kaputtmachen geht, dann soll auch alles absichtlich kaputt sein.«

Technische, zielgerichtete und funktional orientierte Ausführungen und Materialverarbeitungen werden in professionalisierten künstlerischen Arbeits- und Ausstellungssettings oftmals an professionelle Produktionsverfahren delegiert, was verschiedene Zuständigkeiten von technisch und künstlerisch qualifiziertem Personal in den Arbeitsprozess integriert (Becker 2008 [1982]: 272 ff.). Die Separation in künstlerische und nichtkünstlerische Tätigkeiten trennt ›Handwerk‹,4 industrielle Produktionen und Dienstleistungen von künstlerischen Arbeitsweisen, sodass Kooperationen von Spezialisten entstehen können: Technisches Personal wird für das Verarbeiten der zum Einsatz gebrachten Materialien eingesetzt, Künstler selektieren, be- und erarbeiten die Materialien im Kontext der später sichtbaren Arbeiten einschließlich deren konzeptueller Einbettung. Unter arbeitsteiligen Gesichtspunkten erfolgt die Delegation verarbeitender Tätigkeiten als Outsourcing von körperlichem Einsatz, technischem Knowhow sowie professionellem Equipment. In dieser Weise separiert sich der Arbeitsprozess in eine

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Der Begriff »Handwerk« kann jedoch auch wesentlich weiter gefasst werden, wie Richard Sennett (2009) in seinem gleichnamig übersetzten Buch (Originaltitel »The Craftsman«) zeigt, in dem Handwerk vielmehr anthropologisch als qualitativ orientierte Hinwendung des Menschen zu den Dingen argumentiert wird.

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Legislative, die im Künstlerischen liegt sowie in eine Exekutive, die auf technisch-korrekte Ausführungen vorher festgelegter Verfahren abzielt. Die Unterschiede in Bezug auf die Zuständigkeiten der verschiedenen Teilnehmer zeigen sich besonders im Umgang der verschiedenen Professionen mit dem zum Einsatz gebrachtem Material. Das Funktionieren der beauftragten technischen Ausführung hat trotz der Andersverwendung des Materials auch in diesem Kontext Gültigkeit. Anders als beim Experimentieren und Ausprobieren des Materialeinsatzes im Atelier steht im Zuge eines Verarbeitens von Material das Funktionieren im Sinne eines ›reibungslosen Ablaufs‹ im Vordergrund. Mensch und Maschinen, Putzer und Verputzungsgerätschaften haben ihren Dienst professionell zu leisten. Das Verputzen als technisch-ausführende, exekutive und delegierbare Tätigkeit zeigt sich in monotonen Praktiken: Das Hin- und Herbewegen des Schlauches der Verputzungsmaschine während des Auftragens, das Anmischen des Putzes nach immer gleicher Rezeptur sowie das Glätten und Filzen der Oberflächen lassen Körper und Material im Sinne einer festgelegten Choreografie auftreten. Während dieser technisch-ausführenden Vollzüge wird Material nicht bearbeitet, schon gar nicht erarbeitet, sondern zu einem zielgerichteten Produkt – einer verputzten Wand mit möglichst ebener Oberfläche – verarbeitet. Eingebunden in diese Praktiken tritt das Material als technisches Ding (Rheinberger 2001: 24) auf. Das Technische, wie Rheinberger (2001: 26) es fasst, zeichnet sich eben durch »Reinheits- und Präzisionsstandards« aus, es stabilisiert und umschließt die prekären, vagen epistemischen Dinge, deren Charakteristikum ein ihnen inhärentes Nichtwissen und Fragen ist. Das Technische findet sich auch in den Ansprüchen standardisierter Verfahren (Rheinberger 2001: 29), die den Prozess zuverlässig und erwartungsgemäß zur Durch- beziehungsweise zur Ausführung bringen sollen. Abweichungen von den bekannten technischen und handwerklichen Standards werden seitens des Künstlers als »Fehler« markiert – so unterliegt das Verarbeiten der Norm des erwartungsgemäßen Funktionierens. Während die durch den Putzer erzeugte Unebenheit in dem Putz einen Bauschaden aufgrund von Unachtsamkeit bedeutet, beansprucht die künstlerisch und konzeptionell intendierte ›Herstellung von Bauschäden‹ in der Wand durch die Interventionen des Künstlers an den Putzoberflächen eine andere Plausibilität und Legitimität innerhalb des künstlerischen Arbeitsprozesses – wie in der Aussage des Künstlers deutlich wird: »Wenn’s ums Kaputtmachen geht, dann soll auch alles absichtlich kaputt sein«. Die künstlerisch intendierte ›Herstellung von Schäden‹ schließt aus, dass Schäden aufgrund von Fahrlässigkeit ›passieren‹ und durch die Unachtsamkeit Anderer verursacht werden. Die beabsichtigten Schäden werden vielmehr im Zuge von ›Interventionen‹ dem Material ›zugefügt‹.

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Dieser Logik folgend, wird das technische Personal, entsprechend seiner Zuständigkeit für standardisiert perfekte Ausführungen zur Korrektur aufgefordert, da nur auf unbeschädigtem Putz solche ›Schäden hergestellt‹ werden können. Die dem Material vom Künstler zugesprochene Authentizität findet ihren Fortgang in unterschiedlichen Materialbehandlungen: Die Verwendung von ›richtigem‹ Putz erfordert die Verputzung der Wände durch ›richtige‹ Putzer, die die Wände sodann auch ›richtig‹ beziehungsweise korrekt verputzen sollen, damit seitens des Künstlers wiederum etwas ›beschädigt‹ – nicht etwa beschädigt – werden kann.

Die Rauminstallation im Aufbau: Der Boden ist abgeklebt, Schreiner haben die Holzkonstruktion aufgebaut. Auf einem Gerüst aus Holzbalken werden Bretter befestigt, auf denen wiederum ein dünnes Drahtgittergeflecht angebracht wird, das den Putz halten soll. (Bildrechte liegen beim Künstler)

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Die Holzgitterkonstruktion der in den Ausstellungsraum eingebauten Rauminstallation. (Bildrechte liegen beim Künstler)

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Das Verputzen des Raumes. (Bildrechte liegen beim Künstler)

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Folgen wir an dieser Stelle weitergehend dem Künstler T., der nun mit seiner Arbeit auf beziehungsweise in der Putzoberfläche beginnt: Die Putzer haben die Wand ganz links im Raum geglättet, sodass T. mit den Eingriffen an der nassen Putzoberfläche beginnen kann. Während die Putzer an der gegenüberliegenden Seite des Raumes die Wände weiter verputzen, betrachtet T. schweigend die frisch verputzte Wand an der einen Seite des Raumes. Minutenlang schaut er scheinbar verharrend auf die nasse glänzende Oberfläche. Pigmente, Säure, Dispersion und die Holzstempel stehen beziehungsweise liegen links der Wand bereit. Nach ungefähr zehn bis fünfzehn Minuten setzt Bewegung ein. T. greift mit der einen Hand zu einem der drei bereitliegenden verschiedenförmigen Holzstempel sowie mit der anderen Hand zum Hammer, tritt an die Wand heran, setzt den Stempel an einer Stelle der Wand an und beginnt diesen in den nassen Putz einzuschlagen. Dann löst er den Stempel vom Putz, tritt von der Wand zurück und betrachtet intensiv die sich im Putz abzeichnende Form. Nachdem er diesen Vorgang einige Male an benachbarten Stellen der gleichen Wand wiederholt hat, legt T. den Hammer beiseite und drückt den Stempel mit dem Arm an anderen Stellen in den Putz ein. Er dreht den Stempel dabei leicht, sodass die Putzmasse nach außen getrieben wird. Anfänglich tritt T. nach jedem einzelnen Stempelvorgang von der Wand zurück und betrachtet die Veränderungen an der Wand aus der Distanz, besieht die Spuren und Abdrücke in der Oberfläche. Nach etwa einer halben Stunde vollzieht er mehrere Stempelvorgänge an den Wänden direkt hintereinander – ohne Hammer. Über Stunden entstehen mit abwechselndem Einsatz der Stempel Formen, Schneisen, ›Macken‹ und Abreibungen in dem zuvor glatten Putz. Immer wieder tritt T. von der Wand zurück, legt die Stempel beiseite, schaut die Wand intensiv an, geht zu den Stempeln, nimmt einen der Stempel, tritt an die Wand und drückt den Stempel an einer zuvor anvisierten Stelle der Wand ein. Später an einem weiteren Wandabschnitt kommt ein großer Stempel zum Einsatz, den T. wieder mit dem Hammer einschlägt. Nach einer Weile hält er inne und sagt an mich und einen der Kuratoren gerichtet: »Das Problem ist, dass ich jetzt hinterherarbeiten muss. Das trocknet schneller als gedacht.« Mit der Zeit entwickelt sich an der Wand ein markantes Relief.

Der Künstler arbeitet mit ihm bekanntem Material (Pigmenten, Bindemittel) und ihm zunächst unbekanntem Material (Zementputz), das er mit gängigem Werkzeug (Hammer) sowie selbstgebauten Formen (Stempel) bearbeitet. Es braucht seine Zeit bis sich die Arbeitsabläufe verfestigen, bis Handgriffe ›wissen‹, was sie tun, bis sich verschiedene Praktiken des Stempelns in den nassen Putz etabliert haben. Die Tätigkeit des Stempelns ist von einem nach jedem Eingriff folgenden Unterbrechen oder besser Innehalten geprägt. T. sucht wieder und wieder räumliche Distanz zum zuvor ›Gemachten‹, um die an der Putzoberfläche entstandenen Veränderungen und Interventionen minutenlang und konzentriert in

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den Blick zu nehmen, bevor er wieder an die Wand sowie die Stempel herantritt und ›weitermacht‹. Es hat den Anschein, dass Künstler und Material sich im Umgang miteinander ›bekannt machen‹ beziehungsweise ›kennenlernen‹. Hämmerte T. den Stempel zunächst in die Wand, geht er mit der Zeit dazu über, das Holz in den Putz mittels Köperkraft einzudrücken. Die Methode, den Stempel einzudrücken und zu drehen, setzt sich vorerst gegenüber der Methode durch, den Stempel mit dem Hammer einzuschlagen. So erscheint durch das Drücken und Drehen des Holzes in den Putz die Variation der Putzabreibungen und Druckformen vielfältiger, als dies mit dem frontalen Einschlagen des Stempels mit dem Hammer möglich ist. Die hölzerne Form wird ausgedreht, wenn sie vom Putz gelöst wird. So entstehen tiefere Druckstellen aber auch leichte Andeutungen und runde Spuren in der nassen Oberfläche. Erst als der größere Stempel zum Einsatz kommt, greift T. wieder zum Hammer, setzt den Stempel jeweils an und schlägt ihn ein, sodass ein geradezu geometrisches Relief entsteht. Im Ausprobieren verschiedener Praktiken des Stempelns scheint sich mit der Zeit eine Adaptabilität zwischen Künstler, Werkzeugen und Material zu entwickeln im Sinne einer Ahnung oder auch eines Wissens darum, wie welcher Effekt in der Oberfläche evoziert werden kann und was der Putz bei welchem Vorgehen macht. Ein derartig ahnendes Wissen darum, für welche Spuren im Putz was wie in ihn zu drücken oder einzuschlagen ist, generiert sich erst im praktischen Vollzug zwischen Machen und Ansehen des Entstandenen, das wiederum in ein Weitermachen einleitet. Die Praktiken des Arbeitens finden sich in der Begegnung des Künstlers mit unbekannten Widerständen und Materialverhalten: Der Widerstand der Putzmasse, die Schwere der Stempel und der Druck durch die Kraft des Arms oder durch Einschlagen des Hammers scheinen im Umgang zwischen Werkzeug, Körper und Material spürbar. Auch tritt besonders ein Sehen des Künstlers hervor, wenn dieser vom Gemachten und Entstandenen immer wieder zurücktritt, um es aus räumlicher Distanz in den Blick zu nehmen. In dieser Weise kann man hier gar von einem Wahrnehmen im Machen sprechen, wenn der Künstler mit Werkzeugen und Materialien hantiert, unterbrochen von einem zurücktretenden Sehen, mit dem das Gemachte sodann aus der Distanz betrachtet wird. Das Arbeiten mit dem für den Künstler unbekannten Putz stabilisiert sich im Verlauf in diesen wiederkehrenden Abläufen. Sicherheit und Vertrautheit im Umgang mit dem Material entstehen im praktischen Vollzug oder, wie Heidegger (2006 [1927]: 69) schreibt: »Der gebrauchend-hantierende Umgang ist aber nicht blind, er hat seine eigene Sichtart, die das Hantieren führt und ihm seine spezifische Sicherheit verleiht«. Künstlerisches Umgehen mit Material speist sich sowohl aus dessen praktischer Bearbeitung, als auch daraus, das Bearbeitete immer wieder im Hinblick

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auf weitere Veränderungen und Modifikationen sehend zu befragen. Im Prozess des Arbeitens generieren sich Wissen und Intuitionen bezüglich dessen, wie sich das Material bei bestimmten Manipulationen – Einschlagen oder Eindrücken – ›verhält‹ und welche Spuren im Putz zurückbleiben, etwa wenn der Stempel in dieser oder jener Weise mit dem Putz in Kontakt tritt. Welcher Druck ist wie auszuüben, damit der Stempel wie tief in den Putz hineingeht, welche Bewegungen des Stempels lassen welche Spuren in der Oberfläche zurück? Mit der Zeit scheint sich eine Sicherheit in den Stempelvorgängen zu etablieren – eine Sicherheit, die sich in schnelleren Bewegungen, sicheren Handgriffen und einer erhöhten Frequenz des Stempelns zeigt. Die Zunahme an Schnelligkeit und Dynamik im Arbeitsprozess ist jedoch nicht allein auf die Etablierung von Praktiken des Stempelns und der Entwicklung von körperlich vermittelten Routinen im wiederholten Umgang mit Werkzeug und Material zurückzuführen. Auch das Material selbst – der trocknende und sich bindende Putz – hält den Arbeitsprozess ›auf Trab‹. Der Putz wird hier zu einer den Arbeitsprozess in seiner Zeitlichkeit gestaltenden ›Variable‹, da er sich fortlaufend in seiner Konsistenz verändert (»Das Problem ist, das ich jetzt hinterherarbeiten muss. Das trocknet schneller als gedacht«). Ist der Putz erst einmal oberflächlich trocken, so ist das Stempeln des Reliefs kaum mehr möglich. In dieser Weise ist auch das Material in seinen Eigenheiten pragmatisch an der Etablierung von Abläufen beteiligt. Im Wechselspiel zwischen Manipulationen des Materials durch die Eingriffe des Künstlers sowie seinen Eigendynamiken werden aus Sicht des Künstlers auch Überraschungen und unerwartete Effekte hervorgebracht – hierzu ein weiterer Protokollausschnitt: Als die ersten Pigment-Spuren an beziehungsweise in der Wand sind, tritt T. zurück, betrachtet die Wand und sagt: »Ich hatte die Idee, da anzufangen und stark in die Konche zu arbeiten. Mal sehen, wie das wird. Das kann sich auch noch ändern.« Der Vorgang des Mischens der Pigmente, des Malens an ausgewählten Stellen der verputzten Wand und ein daran anschließendes Zurücktreten und Betrachten der bemalten Wand wiederholt sich stundenlang. T. betrachtet nach den Malvorgängen die Wände aus der Distanz sowie aus der Nähe. Während einer kurzen Pause sagt T. an die Umstehenden gerichtet. »Die Oberfläche des Putzes verändert sich total, wenn man da drüber geht.«

Der schon jahrzehntelang malende Künstler begegnet dem ihm zunächst unbekannten Material – dem Putz – mit ›wissenden Gesten‹: Die Pigmente werden schnell und mit sicheren Handgriffen zusammengerührt und vermischt, der Pinsel wird in schnellen und ausladendenden Bewegungen über die Wand geführt. Der Künstler arbeitet hier mit ihm bekanntem Material (Pigmente und Dispersi-

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on). Die dem Künstler bekannten Praktiken des Malens in ihren routinierten, sichereren körperlichen Bezügen stabilisieren den Umgang mit dem für ihn unbekannten Zementputz. Auch wenn die Umgangsweisen mit den Materialien, die an den Putz herangetragen werden, routinehafte Züge aufweisen, nimmt der Künstler sein Arbeiten in seinem Prozess nicht durch einen zuvor festgelegten Ablauf vorweg: »Ich hatte die Idee, da anzufangen und stark in die Konche zu arbeiten. Mal sehen, wie das wird. Das kann sich auch noch ändern«.5 Das ständige Zurücktreten von der Wand integriert sich in den künstlerischen Arbeitsprozess auch als ein Innehalten – als ein Suchen nach Anschlüssen, wo es wie weitergehen kann. In dieser Weise erhält das leiblich-räumliche Zurücktreten vom ›Gemachten‹ beziehungsweise von der bearbeiteten Wand auch einen Gestus des Zurücktretens des Künstlers von seinem Arbeiten mit den Materialien und Werkzeugen in actu. Die Unterbrechung des Malens an der Wand durch ein Zurücktreten, Anschauen und Betrachten des zuvor Gemachten wird geradezu konstitutiver Bestandteil eines Prozesses, der sich erst im Machen findet. So wird die Unterbrechung beziehungsweise das Zurücktreten und Innehalten im Zuge künstlerischen Arbeitens keinesfalls als Störung oder Krise für den Arbeitsprozess bedeutsam. Erst im Zurücktreten vom zuvor Entstandenen und Gemachten, Veränderten und Intervenierten wird dieses in seiner Erscheinung sichtbar, zeigen sich ›Überraschungen‹, werden die Besonderheiten des Materials erfahrbar sowie Anderen gegenüber kommunizierbar: »Die Oberfläche des Putzes verändert sich total, wenn man da drüber geht«. Insbesondere das Unbekannte des Materials in seinem Verhalten evoziert Aufmerksamkeit – so auch die Veränderungen in der Oberflächenstruktur des Putzes, sobald die Pinselhaare über die noch feuchte Zementkalkmischung fahren und dem nachgiebigen Material eine andere Textur beziehungsweise Struktur ein-malen. Zur Hervorbringung von Wahrnehmbarkeiten Im Vollzug der Entstehung der verputzten Flächen und Räume geht das Material mehr und mehr in die entstehenden Arbeiten ein, die für die Anwesenden immer sichtbarer und präsenter werden:

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Als »Konche« (lat. »Muschel«) wird in diesem Zusammenhang eine Stelle der Wand im Kontext der architektonischen Rauminstallation bezeichnet, die mit einer Innenwölbung beziehungsweise einer halbrundförmigen Einbuchtung konzipiert und gebaut worden ist.

156 | K UNST IN ARBEIT Das Relief in dem nassen Putz nimmt mehr und mehr Gestalt an, die glatten Oberflächen sind von verschiedenen runden Einkerbungen und Abdrücken gekennzeichnet. Die Luft ist getränkt mit dem Wasser, das die Putzmasse abgibt. Sie wird schwer. Die Neondeckenlampen geben ein fahles, stumpfes Licht ab, das Licht wirkt durch die enorme Luftfeuchtigkeit fast schon gebrochen. Während die Putzer die letzte Wand im Raum mit der grauen Masse beladen und T. das Relief weiter bearbeitet, gehe ich in den installierten Räumen umher. Die Räume hinter den verputzten Innenwänden sind durch eingebaute Eingänge begehbar. In meinem Gang durch das Raumgefüge betrete ich die hinteren Räume, um zu schauen, wie die verputzten Wände von der anderen Seite aussehen. Wie M. erzählt, hat er für die Wandkonstruktion geplant, dass der Putz durch die Lücken zwischen den Holzbrettern auf der anderen Seite hindurchquellen soll. Dies hat er zuvor in seinem Atelier ausprobiert, wie er sagt. Besonders in den Zwischenräumen der Bretter mit einem breiteren Abstand zueinander quillt der Putz zwischen den Brettern hindurch. Die Wände der hinten liegenden Räume erhalten auf der ›Rückseite‹ der verputzten Wände in dieser Weise einen rauen und rohen Charakter, die Räume werden gleichsam zu Verschlägen, die Assoziationen zu Dachböden und Kellern entstehen lassen. Ich sowie die Kuratoren und der Fotograf gehen wieder und wieder durch die nun verputzten Räume, man begegnet einander auf seinen Wegen durch die Installation, die sich im Laufe des Tages durch das Auftragen der Zementmischung immer weiter verändert hat. Vor der verputzten »Konche« stehend und in den Raum blickend, äußert der Fotograf: »Wie das so Stunde um Stunde in den Atmosphären kippt.« Ich nicke. Der Raum hat sich total verändert. Das Licht ist seit heute Morgen, als die Wände noch das hölzerne Gerüst preisgaben, ein total anderes geworden. Der Raum wirkt nun schwerer, er drängt sich in seiner Massivität von der einen und seiner Rohheit von der anderen Seite der Wände mehr und mehr auf.

Das in den Raum intervenierende Material – der Zementputz in Kombination mit dem Holz – macht sich in seinen wahrnehmbaren Qualitäten bemerkbar. Ich beobachte, wie Künstler, Kuratoren und Fotograf in dem sich im Vollzug des Verputzens verändernden Raum langsam umhergehen, mal hier und mal dort stehenbleiben und die Putzwände betrachten. Mit den verputzten Wänden entstehen graue Wandflächen, die in ihrer glatten und noch nassglänzenden Oberfläche geradezu eine Perfektion transportieren, wobei diese von den eingearbeiteten Reliefstrukturen unterbrochen wird. Das Material entwickelt in der Situation eine ganz eigene Präsenz, der sich die Anwesenden nicht entziehen können: Der Zementputz dringt in seiner grauen Massivität und materialen Stofflichkeit, seiner Nässe und seinem Geruch in den Raum, er verbindet sich mit den Holzbrettern und den auf dem Holz befestigten Gittern. Es scheint, als verdichte die eindringende graue Masse die Atmosphäre, als materialisiere sich diese in einer kaum zu ignorierenden Aufdringlichkeit. Auf der anderen Seite der Wände verändert

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der durch die Bretter quellende Putz die installierten hölzernen Räume. Wirkten die Bretter- und Balkenkonstruktionen zuvor fast mit dem Charme einer ›Holzhütte‹, verändert sich der Charakter der Räume nun aufgrund der durch die Lücken drängenden und quellenden, grauen ›unförmigen‹ Zementmasse. Der quellende und später bröckelnde Putz in seiner kombinativen Wirkung mit dem splitterigen Holz erzeugt nunmehr den Eindruck des Rauen und Rohen. Dort, wo es sichtbar ist, bekommen die Holzwände in Verbindung mit dem Zement eine andere Anmutung, die Räume werden konträr zu der gegenüberliegenden fein verputzten Wandseite auf der begehbaren Rückseite zu einer Art Bretterverschlag. Der quellende Zementputz und das splitterige Holz verstärken im Verbund ihre Wirkung als Rohmaterialien, was den Räumen eine düstere und improvisierte Atmosphäre zu verleihen beginnt. Von den zwei gegenüberliegenden Wandseiten her betrachtet, erscheint das Material geradezu als Antinomie, in der einerseits das Glatte, Perfekte der verputzten Wände und andererseits das Raue, Rohe der Holz-Putz-Wände hervortritt. Die sich gegenüberstehende Wirkung des Materials auf der Vorder- und Rückseite der Wände verbindet sich mit meinem Wissen um das Ausstellungskonzept, das mit Themen wie Anarchie, Paranoia und Paradoxie spielt. Die Erfahrung des Materials, das die Räume diesseits und jenseits der Wände in ihren Atmosphären und Wirkungen unterscheidet, verdichtet sich in Verbindung mit meinem Wissen um das Ausstellungskonzept zu einer Erfahrung von Konsistenz und Plausibilität.

Der durch die Bretterkonstruktion quellende Putz auf der Rückseite der geglätteten Wand. (Bildrechte liegen beim Künstler)

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Das in den Raum eindringende Material macht etwas – ›macht Raum‹, materialisiert Raum und erzeugt Atmosphären, die die in ihnen Umherwandernden umhüllen, gar einhüllen. Das Material dominiert geradezu die Situation und transportiert Stimmung (Thomas 2010). Es drängt sich auf und fordert permanent die Aufmerksamkeit der Anwesenden. Tagelang macht sich die Luftfeuchtigkeit als Folge der nassen Putzmassen beim Atmen in dem gesamten Ausstellungsraum bemerkbar; an den folgenden Tagen darauf brennen die Augen wegen des Staubs, als der Putz weitertrocknet; der Putz riecht, das Licht wird diesig – erst wegen der Luftfeuchtigkeit, dann wegen des Staubs. Material als Mitspieler in seiner Präsenz und zeitweise in seiner sich geradezu aufdrängenden Dominanz wird nicht nur praktisch für die Herstellung von etwas verwendbar, sondern zeigt sich zudem in seinen sinnlich-leiblichen Wahrnehmbarkeiten. Das Material durchdringt in seiner Wahrnehmbarkeit die Situation und die eigene Anwesenheit im Sinne eines Sich-leiblich-Hineinbegebens in das Material beziehungsweise in den sich materialisierenden Raum, sodass eine »Raumerfahrung« (Merleau-Ponty 1974: 285) via Materialisierung im Vollzug des Arbeitsprozesses entsteht. Leiblichkeit und Materialität gehen in ihrer Begegnung eine Verschränkung ein, die auch körperliche Züge annimmt: Etwa wenn Partikel eingeatmet werden, wenn die Blicke die grauen massiven Wände abtasten, in sie eintauchen, oder wenn der Zementputz seinen Geruch verströmt und Fingerspitzen kleine herunterfallende Putzkrümel aufheben und berühren. Material tritt insbesondere in seinen wahrnehmbaren Qualitäten hervor. Nicht nur die in dem Raum Arbeitenden gehen mit dem Material um, das Material geht auch mit den Anwesenden um, indem es Erfahrbarkeiten und Wahrnehmbarkeiten bereithält, denen sie sich nicht entziehen können. Im Eingehen in die entstehenden Arbeiten wird auch das Material als solches sichtbar, spürbar, wahrnehmbar, indem es sich in seiner Materialität zeigt (Mersch 2013: 37 ff.) und Teil des Raum-Wand-Gefüges beziehungsweise der mehr und mehr in Erscheinung tretenden Arbeiten wird. Künstlerkörper und Material Wurde bisher das Zusammenwirken von Künstlern, Materialien und Werkzeugen betrachtet, wird an dieser Stelle auch der Künstlerkörper noch einmal gesondert in den Blick genommen. Während Künstler im Vollzug des Arbeitens Materialien manipulieren und bearbeiten, vermag auch das Material den Künstlerkörper mitunter zu choreografieren und sogar zu disziplinieren. Nicht nur das Material steht im Dienst der Arbeit, auch der Körper des Arbeitenden fügt sich in die Bewegungen des tätigen Vollzugs ein. Er liefert sich verschiedenen Kontakten mit Stoffen und Widerständen aus – nicht selten geht er dabei gesundheit-

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liche Risiken ein. So haben viele Künstler im Umgang mit toxischen Stoffen, Substanzen und Lösungsmitteln ihre Gesundheit im Zuge ihrer Arbeit riskiert (McNeill 2010), wie beispielsweise Lissmann (2010) in einem Artikel des Magazins Monopol zu diesem Thema schreibt: »Yves Klein starb mit nur 34, Eva Hesse im gleichen Alter – aller Wahrscheinlichkeit nach ausgelöst durch unachtsamen Umgang mit Arbeitsmaterial. Auch der Tod Sigmar Polkes wirft Fragen auf. Künstler leiden an Asthma, Allergien, Dermatitis, Multipler Chemikalienintoleranz, Nieren- oder Leberschäden oder Krebs – denn Farbträger enthalten nun einmal Pestizide und Chemikalien, und fast alle Lösungsmittel, mal abgesehen von Wasser, sind schädlich.«

Zum Schutz körperlicher Unversehrtheit und im Hinblick auf Präventionen gegen gesundheitliche Risiken finden wir in den Ateliers und an den Arbeitsorten von Künstlern beispielsweise Schutzhandschuhe gegen ätzende Flüssigkeiten oder zum Schutz vor scharfen Gerätschaften und Werkzeugen, Mundschutze gegen Staub oder Augenduschen, die zum Beispiel beim Arbeiten mit Säuren ›erste Hilfe‹ durch Ausspülen leisten können. Stoffe, Substanzen und Gegenstände können den Körper attackieren und ihm etwas antun. Aber auch abseits gefährlicher Stoffe, scharfer Klingen und des Einsatzes von ›schwerem Gerät‹, wie Kettensägen und Schneidemaschinen, setzt sich der Künstlerkörper alltäglich der Arbeit und ihrer Anstrengung aus – hierzu ein Protokollausschnitt, der den Blick in ein Atelier einer Künstlerin lenkt, die oftmals mit Techniken des Scherenschnittes arbeitet: Ich betrete das Atelier von L. Alles steht und liegt an seinem Platz, Werkzeuge hängen an der Wand, in den Regalen ordnen kleine Boxen verschiedene Materialien und Zubehöre. Nach kurzem Umherschauen fällt mein Blick auf den Tisch mit der Schneideunterlage. Hier sitze sie immer stundenlang, sagt L. Im Zuge ihrer Arbeit schneidet sie kleine Flächen aus Papier heraus, das von einer Seite mit feinen Linien und Strukturen überzogen ist. Mit verschiedenen Programmen werden am Computer zunächst Muster generiert, die dann auf ausgewähltes und mitunter von der Künstlerin bemaltes Papier gedruckt werden. Mit einem Cutter schneidet L. in akribischer Feinarbeit die kleinen Freiflächen zwischen den gedruckten Strukturen heraus, sodass höchst fragile und prekäre Verstrebungen und Verbindungen entstehen – bei bestimmten Materialien wie Teppich und Stoff sowie bei großformatigen Papierarbeiten arbeitet sie auch mit dem Laser. Die Technik des Scherenschnittes kommt hier zu ihrer Perfektion und geht zudem Verbindungen mit zeitgenössischen Visualisierungstechnologien ein – derartige Gedanken kommen mir in den Sinn, als L. mir verschiedene Werke zeigt, die sie im Atelier aufbewahrt. Als ich L. nach ihrem

160 | K UNST IN ARBEIT Vorgehen frage, erklärt sie: »Bei mir würde ein offenes Arbeiten gar nicht funktionieren. Das muss alles klar geplant sein.« Sie sitze oft sehr lange an dem Tisch und schneide, stundenlang am Stück, »bis es nicht mehr geht.« Erst kürzlich habe sie sich einen neuen Tisch gekauft, der rückenfreundlicher sei, da er schräg gestellt werden könne, wobei sie Folgendes äußert: »Ich kämpfe gerade mit dem neuen Tisch. Damit bekomme ich einige Winkel und Handgriffe gar nicht so einfach hin. Was vorher total leicht war, muss ich jetzt irgendwie neu lernen oder mir eine andere Lösung einfallen lassen.«

Das Arbeitssetting – der Tisch, das Schneidebrett, der Hocker und der Cutter – verweisen auf eine gleichsam körperliche Arbeit, die im Vollzug künstlerischer Praxis hervortreten kann. Der arbeitende Körper wird hier geradezu eingespannt: Die Hände werden in Verbindung mit dem Cutter Werkzeuge und Instrumente einer mittlerweile ausgefeilten Schnitttechnik. In einer »perzeptiven Gewohnheit« (Merleau-Ponty 1974: 182 f.) begegnen sich Papier, Cutter und die Hände der Künstlerin, die die Klinge präzise an den vorgegebenen Linien auf dem Papier entlangzuführen wissen. Die Künstlerin kennt das zu bearbeitende Material (Papier), ihr Werkzeug (den Cutter); ihre Hände sind vertraut mit den Bewegungen, die notwendig sind, um diesen oder jenen Schnitt auszuführen – Sudnow (1993: 2) schreibt den Händen gar vorauseilende Fähigkeiten zu: »[…] the hand – in music, eating, weaving, carving, cooking, drawing, writing, surgery, dialing, typing, signing, wherever – this hand chooses where to go as much as ›I‹ do«. Über das Lernen der Handgriffe hinaus wird an der hier beschriebenen Praxis des Schneidens zudem deutlich, dass der gesamte Körper der Künstlerin gleichsam ›mit am Werke‹ ist: Die Haltung, um den Arm und die Hand den vorgegebenen Winkeln entsprechend auszurichten und die Klinge ›im Griff‹ zu haben, spielt eine herausragende Rolle; der Rücken bildet den Träger beziehungsweise das Gerüst für feine und kontrollierte Bewegungen der Hand, die die Klinge führt, und fügt sich in seiner Ausrichtung dem zu bearbeitenden Material, was auf Dauer gar Schmerzen und Rückenschäden verursachen kann. Mit Bezug auf den Körper und seine Haltung sowie die Bewegungsmöglichkeiten der Arme und Hände wird, den Ausführungen L.s folgend, sodann auch das Mobiliar bedeutsam: Da die neue Tischfläche sich nun in einer Schräglage befindet, verändert sich die gesamte Körperhaltung und somit auch die mögliche Winkelung des Handgelenks, was Unsicherheit in den von L. lang trainierten Umgang mit dem Schneidewerkzeug hervorbringt. Obgleich der nun in dieser Weise eingestellte Tisch den Rücken schont, bedeutet er für die Künstlerin eine Herausforderung dahingehend, dass ihr bekanntes und gewohntes Arbeitssetting in hohem Maße irritiert wird: Körper, Werkzeug und Material müssen wieder in einen Rhythmus beziehungsweise in einen Takt gebracht werden, damit die zu-

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vor routiniert vollzogene Präzision des Schneidens wiedererlangt werden kann. Anders als in dem zuvor beschriebenen Fall des experimentellen Umgangs mit Materialien, schließt die Künstlerin für den Vollzug des Schneidens einen methodisch offenen Zugang aus: Die zuvor per Software generierten und auf das Papier gedruckten Strukturen geben ihr und somit auch ihren Händen vor, was wie zu tun ist, wo etwas herausgeschnitten werden und wo das Papier stehenbleiben soll. Nur in dieser disziplinierten Durchführung eines zuvor feststehenden Programms können die einem Algorithmus folgenden Muster und Schemata sichtbar gemacht werden – Abweichungen und Verschnitte sind dieser Logik zufolge Fehler und Störungen. Die Phase des Schneidens ist von Routinen und inkorporiertem Wissen gekennzeichnet und bedarf zugleich fortwährend einer hohen Konzentration und Aufmerksamkeit der Künstlerin, da die Störanfälligkeit enorm ist: Jeden Verschnitt würde man direkt sehen, und ist das Papier an ›falscher Stelle‹ einmal zerschnitten, so lässt sich dies kaum ohne Produktion von sichtbaren Spuren korrigieren, beispielsweise mit Klebstoff. Die künstlerische Praxis in ihrer Disziplin und ihrer Organisiertheit setzt sich gewissermaßen permanent einem Risiko aus. Der Körper in seiner Widerständigkeit, in seiner Anfälligkeit in Momenten der Erschöpfung, Krämpfe und Müdigkeit wird zum Risikofaktor für Abweichungen und Fehler – zugleich wird er zum effizienten Arbeitsinstrument im Zusammenwirken mit dem Material, das wiederum innerhalb der Logik des genauen Schneidens nach dieser Disziplin verlangt. So ist Papier flexibel und ohne viel Kraft und Druck bearbeitbar. Daher ist es jedoch auch sehr fragil, anfällig und ›verzeiht‹ bereits einer unkontrollierten Bewegung der Klinge, die es durchtrennt, wenig bis nichts. Deutlich wird hier, dass auch der Künstlerkörper dazu aufgefordert wird, sich auf das Material einzulassen, sobald er mit ihm in Kontakt tritt. Folgt die Logik des Arbeitens einem bestimmten Programm, wie in diesem Fall das genaue Schneiden von Papier, so gilt es, das Material vor dem unkontrollierten Körper zu schützen und einen kontrollierten Körper zu trainieren und zu disziplinieren, indem dieser durch jahrelanges Praktizieren auf die perfekte Ausführung einer Technik eingestellt wird. Zugleich bedeutet dies, den Körper vor bestimmten Materialien und Umgangsweisen mit Materialien zu schützen, wie hier etwa vor dauerhaften Fehlstellungen aufgrund der einzunehmenden Körperhaltung. Künstlerisches Arbeiten im Umgang mit Materialien wird hiernach auch in seiner körperlichen Dimension relevant – auch der Körper macht mit, setzt sich dem Arbeiten in seinen jeweiligen Materialien, Werkzeugen, Vollzügen und Bewegungen aus und wird zum Mitspieler, der sich in seiner Materialität und als Instrument der arbeitenden Praxis zu erkennen gibt.

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Der Arbeitsplatz mit Tisch, Hocker und Schneideunterlage im Atelier. (Bildrechte liegen bei der Künstlerin)

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D ER E INBEZUG DER D INGE . S UCHEN , K ONZIPIEREN , I NSTALLIEREN , P LATZIEREN Mit der Profilierung des Materials als Teilnehmer und Mitspieler künstlerischen Arbeitens liegt der Fokus besonders auf dem Herstellen, Hervorbringen sowie den materialen Qualitäten, wie etwa dem Hölzernen des Holzes beziehungsweise allgemeiner gesprochen, den Oberflächen in ihren Strukturen, Texturen und ästhetischen Potenzialen. Die Qualitäten dessen, woraus etwas gemacht und hergestellt wird, rücken in den Blick und geben sich in ihrer Präsenz demjenigen zu erkennen, der sich ihnen zuwendet (Schürkmann 2016a: 372). In diesem Kapitel erfolgt eine Verschiebung des Blicks von den Materialien hin zu den Dingen. Auch Dinge werden als Material für künstlerisches Arbeiten eingesetzt und relevant gemacht. Als schon hergestellte Fabrikate, Produkte oder auch mit bestimmten Inskriptionen versehene Artefakte transportieren sie ihre Kontexte und ›Vorgeschichten‹, die mit ihnen verbundenen alltäglichen Erwartungen und Gebrauchsweisen in den künstlerischen Umgang mit ihnen. So ist die Verwendung sogenannter Alltagsgegenstände und Konsumgüter in der Kunst beispielsweise mit den Objet trouvé, den Readymades von Marcel Duchamp oder der Brillo Box von Andy Warhol prominent geworden und fester Bestandteil des kunsthistorischen Kanons. Wie ›Rohmaterialien‹ können auch Dinge auf ganz unterschiedlichen Wegen in künstlerische Arbeitsprozesse gelangen. Sie werden extra für diese hergestellt, auf dem Markt erworben oder im Alltag gefunden. Dinge bringen in künstlerisches Arbeiten Überraschungen, Wendungen, Variationen und Möglichkeiten ein; sie werden ästhetisiert, als Kuriositäten exponiert, verfremdet, symbolisiert, profaniert oder nobilitiert.6 Im Zuge künstlerischen Arbeitens mit Dingen werden Dinge oftmals in unterschiedlichen Bezügen relevant, indem sowohl Bizarres wie auch Selbstverständliches, Fremdes und Vertrautes, Besonderes sowie Gewöhnliches an und mit Dingen sichtbar gemacht wird. In ihrer Eigenmächtigkeit, in ihren Bezügen, Ordnungen und Verweisungen sind Dinge von unterschiedlichen künstlerischen Positionen beleuchtet worden (siehe beispielsweise Höner et al. 2013; Lange-Berndt/Rübel 2015). Das Sammeln, Suchen, Kombinieren, Konzipieren und Inszenieren von Dingen ist in der bildenden Kunst präsent, der gesamte Alltag mit seinen Gegenständen und Dingen kann potenziell zur ›Fundgrube‹ für künstlerisches Arbeiten werden.

6

Siehe hierzu beispielsweise auch die kunsttheoretischen Überlegungen zum Einsatz von Alltagsdingen in der Kunst von Danto (1991) bezüglich einer »Verklärung des Gewöhnlichen«; zu einer kunsthistorischen Studie, die sich mit der »Verwandlung der Dinge« in ihrer Ästhetik befasst, siehe Perdomo Daniels (2012).

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In diesem Kapitel wird es um den Umgang mit Dingen gehen, die im Zuge künstlerischen Arbeitens angeschafft, gefunden, verwendet und kontextualisiert werden – hierbei stellen sich Fragen wie etwa: Wie werden Dinge für künstlerisches Arbeiten gesucht und gefunden? Wie werden sie im Kontext künstlerischer Arbeiten eingesetzt? Wie werden konzeptionelle Überlegungen an und mit Dingen entwickelt und sichtbar (gemacht) und wie werden mit der Platzierung von Dingen Irritationen erzeugt? Wie werden den Dingen in ihren Eigensinnigkeiten und ihrem profanen Charakter bestimmte Wirkungen und affizierende Potenziale entlockt? (Aus-)Suchen. Wählen und Finden Wie gehen Dinge in künstlerische Arbeiten ein? Wie erfolgt ihre Auswahl oder legen mitunter auch Dinge ihren Einbezug im Zuge künstlerischer Praxis nahe? Dinge können auf ganz unterschiedliche Weisen Einzug in künstlerisches Arbeiten erhalten, so werden sie etwa, eingebunden in ein bestimmtes Vorhaben, erworben – hierzu ein erster Protokollauszug: Ich treffe R., Künstlerin und seit zwei Monaten Stipendiatin, vor der Villa und frage sie, was sie heute mache und an was sie derzeit arbeite. Sie sei gerade auf dem Weg zu einem Laden in der Stadt, von dem sie gehört habe, sagt sie. Dort soll es Messingketten geben und sie möchte dort vorbeischauen, um welche zu besorgen – allerdings sollten diese wohl sehr teuer sein. Weiter teilt sie mir mit, dass sie die Ketten für eine Arbeit brauche, da sie in wenigen Wochen eine Ausstellung habe in deren Rahmen sie eine Installation plane, für die sie nun Messingketten benötige.

Die Künstlerin weiß hier im Vorfeld, was sie für ihre Arbeit benötigt, das heißt: Die Dinge können gezielt gekauft und erworben werden. Sie hat sich zuvor erkundigt, wo in der Stadt solche Dinge angeboten werden – so arbeitet sie erst seit wenigen Monaten im Zuge eines Stipendiums dort. Derartiges Wissen spielt für künstlerisches Arbeiten eine große Rolle: Wo gibt es eigentlich was? Wo wird was angeboten? Welche Dinge werden von wem wie hergestellt und wo werden sie verkauft? In diesem Fall braucht R. bestimmte Ketten aus Messing. Diese werden von R. nicht allein im Hinblick auf ihre ästhetische Relevanz thematisiert, sondern auch in ihrem monetären Wert – derartige Ketten in besagtem Laden sollen verhältnismäßig teuer sein. Auch dieser Aspekt ist im künstlerischen Feld nicht zu vernachlässigen: Ökonomische Determinanten können für Entscheidungen relevant werden, mit welchen Dingen und Materialien ein Künstler arbeitet und in welchen Mengen was wie bezahlbar ist. R. koppelt die Anzahl der

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Ketten sowohl an ihr Vorhaben als auch an deren Verfügbarkeit und Bezahlbarkeit. Die künstlerische Arbeit, eine Installation, ist bereits im Vorfeld grundlegend konzipiert, sodass ein gezielter Kauf der benötigten Dinge möglich ist. Die Dinge werden hier von der Künstlerin mit dem Wissen um sie und ihr Vorhandensein ausgewählt beziehungsweise ausgesucht und sodann käuflich erworben. Dieser Weise des Einbezugs der Dinge durch ihre gezielte Suche als angebotene Ware und ihren Kauf möchte ich ein weiteres Beispiel anstellen, in dem die Dinge sich dem Künstler als die Gesuchten zunächst zu erkennen geben müssen. So wird auch in dem schon bekannten Fall der architektonischen Rauminstallation mit gefundenen Artefakten gearbeitet – ein Protokollausschnitt: Ein Wandbereich im Raum bleibt unverputzt, an dieser Stelle sind keine Bretter an den Balken und Haltevorrichtungen für den Putz angebracht, sodass das Gerüst der tragenden Holzbalken sichtbar bleibt. Das hölzerne Gerüst soll in diesem Bereich mit metallenen Gittern beschlagen werden, passende Gittertüren sind ebenfalls vorhanden. Eine der Türen soll als Eingang zu einem der installierten Räume dienen, der sich hinter der verputzten Wand innerhalb des Ausstellungsraums befindet. Bei den Gittern und Gittertüren handelt es sich nach Auskunft des Künstlers um ehemalige Dachbodengitter, die er in einem Gebäude gefunden hat. Den Aussagen des Künstlers zufolge wurden die Gitter in den fünfziger Jahren als Gitterboxen in den Dachboden des Gebäudes eingebaut. Die abmontierten Gitter liegen nun im Ausstellungsraum zur Installation bereit. Sie sind aus Metall, ein Metallrahmen hält sie außen zusammen. An vielen Stellen sind sie rostig und in der Gesamterscheinung dunkel bis schwarz. Helle Farbspuren, Sprenkel und Flecken zeugen von ihrem vorherigen Einsatz und verleihen ihnen eine historische Anmutung.

Die Gitter werden zunächst als Fundstücke relevant, die nun innerhalb der Installation eine neue Verwendung finden. Aus einem anderen Kontext herausgelöst, werden sie in den künstlerischen Arbeitsprozess eingespeist, in dessen Rahmen sie zu etwas Anderem verbaut werden – hier werden sie Bestandteil einer großangelegten Rauminstallation, die später Teil der Ausstellung sein wird. Wie jedoch wurden die Gitter gefunden? Oder allgemeiner: Wie findet ein Künstler die Dinge, mit denen er arbeitet? Folgender Auszug entstammt einer Konversation via soziale Netzwerke:7 E: Wie war das noch mal mit den Gittern? Wo hast du die bekommen?

7

Das Chatten beziehungsweise Kommunizieren über soziale Netzwerke zwischen Fragendem und Befragtem hat methodisch den Vorteil, dass die Fragen vom Befragten zeitlich sehr flexibel und zudem schriftlich beantwortet werden können.

166 | K UNST IN ARBEIT M: Die Gitter sind aus einem stalinistischen Protzbau, der in Halle/Saale steht. Dort habe ich sie mit dem Wissen um die Ausstellung entdeckt und für diese ausgebaut und abtransportiert. Ich habe auch zuvor schon über eine Fachwerkstruktur nachgedacht und allgemein über Transparenz und gleichzeitige Absperrung. Das fällt in Bereiche der Struktur und so weiter. Als ich sie entdeckt habe, verbanden sie alles perfekt zu einer Lösung, könnte man sagen. E: Hast du irgendwelche Gitter in dem Gebäude zuvor vermutet und bist deshalb dort gewesen beziehungsweise hattest du schon vor der Entdeckung der spezifischen Gitter sowas im Sinn und daher welche gesucht? Oder hattest du erst die Idee die Gitter einzubeziehen, als du sie vor Ort gesehen hast? M: Das war wie eine Offenbarung. Ich stand plötzlich vor diesen Dingern und es war so klar, was damit nur geschehen konnte. Wenn man so will, war es Glück. Ich hatte noch irgendwas Besonderes gesucht und da war es. Dann habe ich überlegt, wie ich sie verwenden kann und allerhand Versionen durchprobiert. Die kann man ja auch wieder unendlich variiert verwenden.

Was zeigt sich an der Beschreibung und Darstellung des Findens beziehungsweise Entdeckens der Gitter durch denjenigen, der sie »entdeckt« hat? Die Entdeckung von Dingen wird als Zusammentreffen oder Begegnung zwischen Suchendem und Gesuchtem relevant, wobei das Gesuchte erst im Moment seiner Entdeckung dem Suchenden als Gefundenes erscheint. Gerahmt wird die Suche von dem Wissen, dass für die auszustellende Installation noch »irgendwas Besonderes« gefunden werden muss – etwas, das dem Anspruch genügt, »Transparenz und gleichzeitige Absperrung« zu bieten, und somit etwas, das eine durchschaubare Barriere sein kann. Die Suche nach »irgendwas«, das zugleich »Besonderes« bereithalten soll, transportiert eine bestimmte Offenheit beziehungsweise offene Bestimmtheit in die Suche, da das Gesuchte dem Suchenden vorab nicht bekannt ist. Das Suchen in seinem Vollzug entledigt sich in dieser Weise eines definierten Suchauftrags nach etwas, das zuvor schon feststeht. Die Suche wird als eine offene Suche nach etwas Besonderem relevant, wobei sich das Besondere des Gesuchten erst im Verlauf des Suchens zu zeigen vermag. Das Besondere wird zum Gesuchten, das der Suchende seiner Suche nicht in dessen Bestimmtheit vorwegnehmen kann. Es gibt sich erst im suchenden Verlauf zu erkennen, wobei es sich potenziell auch im Verborgenden halten könnte – etwa, wenn der Suchende es übersehen würde. Erst im Anblick der (ko-)präsenten Dinge (»Ich stand plötzlich vor diesen Dingern und es war so klar«) werden diese als das Gesuchte besonders beziehungsweise durch den Suchenden besondert:

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Sie tauchen in ihren Besonderheiten für denjenigen auf, der seine Umgebung auf Besonderheiten hin absucht. Die Dinge werden in dieser Weise an der Suche nach ihnen beteiligt, indem sie sich demjenigen, der nach Besonderheiten sucht, in ihren Besonderheiten zeigen und sich in ihren besonderen beziehungsweise besonderten Erscheinungen anbieten: »Als ich sie entdeckt habe, verbanden sie alles perfekt zu einer Lösung«. Das Besondere der Gitter liegt hier darin, was sie im Kontext des Vorhabens des Suchenden ›machen‹ beziehungsweise was sie für die geplante Arbeit an Qualitäten anbieten. Auch die Dinge arbeiten in dieser Weise mit, indem sie ad hoc auf Zusammenhänge verweisen und diese zum Vorschein bringen können. Suchender und Dinge finden dieser Beschreibung folgend in ihrer Begegnung zueinander, die situiert-situativ von dem Vorhaben der Rauminstallation gerahmt wird. Im Vollzug ihrer Entdeckung – die vom Künstler gar als »Offenbarung« beschrieben wird – entspringt eine Beziehung zwischen Suchendem und Ding. Die erblickten Dinge zeigen sowohl ihre Verwendungen und Funktionalitäten als auch ihre besonderen Qualitäten: Dachbodengitter werden durch den Suchenden in seinem Vorhaben zu den Dingen, die gesucht werden, indem sie sich dem Suchenden nicht bloß in ihrer Verwendung als Dachbodengitter zeigen, sondern zudem in ihren sich zeigenden Qualitäten für eine Installation, die die Suche nach ›irgendwas Besonderem‹ motiviert. Die Gitter treten in der Situation ihrer Entdeckung über ihren derzeitigen Verwendungszusammenhang hinaus. Sie »trans-zendieren« (Stieve 2008: 22), indem sie im Suchen von etwas für etwas in einen Übergang von etwas zu etwas Anderem eingebunden werden. So werden die Gitter im Zuge ihrer Entdeckung nicht vornehmlich in ihrer Funktion, ihrem Gebrauch oder ihrer Verwendung als Dachbodengitter besondert, sondern in ihren ästhetischen Qualitäten im Kontext der in Vorbereitung befindlichen Installation. Die Dinge werden im Zuge des künstlerischen Vorhabens dekontextualisiert beziehungsweise rekontextualisiert. Sie werden zunächst bedeutsam als Dinge, die die gesuchten Eigenschaften Transparenz (man kann durch die Gitter hindurchschauen) und Absperrung (Gitter trennen Raum) vereinen. Sie zeigen sich dem Künstler eingebunden in den Zusammenhang der zu erarbeitenden Rauminstallation als »Lösung« und werden für ihn als etwas »Besonderes« relevant. Die Dinge können demjenigen, der nach ihnen sucht, gleichsam ›ins Auge springen‹. Das Entdecken der Dinge geht einher mit ihrem Erblicken – ein Blicken, das Dinge in anderen beziehungsweise in eigenen Verweisungszusammenhängen zu sehen vermag. Das Suchen nach Dingen innerhalb der Praxis künstlerischen Arbeitens lässt sich von den Dingen in ihren Erscheinungen und Anmutungen, Möglichkeiten und Einsätzen in dieser Weise auch überraschen. Blick und Dinge treffen im Vollzug des Suchens zusammen und ›finden sich‹. In seiner Phäno-

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menologie geht Merleau-Ponty auf die besondere Beziehung zwischen Blick und Dingen ein: »Dann ziehen die Dinge meinen Blick an, und mein Blick liebkost die Dinge, er vermählt sich mit ihren Umrissen, mit ihren Erhebungen, und wir erahnen zwischen ihm und ihnen eine geheime Komplizenschaft« (MerleauPonty 2004: 107). Hier zeigt sich diese Komplizenschaft auch als Zusammenarbeit zwischen (suchendem) Künstler und (gefundenen) Dingen. Das in ein Suchen von etwas Besonderem eingebundene Anblicken der Dinge ist mit einer Aufmerksamkeit ausgestattet – mit Goffman (1977) kann man hier auch von einem ›gerahmten Blick‹ sprechen, der die Suche des Blickenden orientiert und auf bestimmte Dinge hin ausrichtet – so bereitet der Künstler zu dieser Zeit die Installation in ihrer Konzeption vor. Im Zuge des nach Möglichkeiten suchenden künstlerischen Arbeitsprozesses kann auch von einer suchenden Suche gesprochen werden, das heißt: Die Dinge finden ihren Eingang in künstlerisches Arbeiten nicht immer durch ein gezieltes Aussuchen oder eine Auswahl ihrer aus einem Sortiment, sondern auch im Zuge einer offengehaltenen Suche. Diese Suche geht vom Optimismus aus, dass dem Suchenden etwas begegnet, das das Gesuchte sein kann. Der Suchende kann den Zufall bedienen, um den Einbezug von eben »diesen Dingern« als entdeckte Dinge zu plausibilisieren. Ähnlich dem Experimentieren mit Materialien wird auch im Zuge des Suchens nach den zu suchenden Dingen künstlerisches Arbeiten in seinem Was und Wie partiell an die ›plötzlich‹ auftauchenden Dinge delegiert: »und da war es«. Was ›entdeckt‹ und ›gefunden‹ wird, unterliegt nicht allein der Kontrolle des Künstlers. Nicht der Suchende findet einseitig die Dinge, auch die Dinge geben sich dem Suchenden als Gesuchte in ihren Qualitäten zu erkennen. Ihre Entdeckung geht dieser Logik nach von einer Beidseitigkeit aus. Aus dieser Sicht erscheint das Auftauchen von ›etwas Besonderem‹ dem Suchenden als »Glück« oder auch als glücklicher Zufall. Der Künstler tritt nicht als Entscheider, Herrscher über die Dinge, Kontrollinstanz oder ihr Bevollmächtigter auf. Vielmehr scheint er darauf angewiesen zu sein, dass sich ihm im Verlauf seiner Suche ›etwas Besonderes‹ zeigen wird. Der Arbeitsprozess in seinem Wie und Was wird somit einem zunächst ›ergebnisoffenen‹ Suchprozess ausgesetzt. Die Praxis des suchenden Suchens im Kontext künstlerischen Arbeitens implementiert das Umgehen mit Kontingenz in den Arbeitsprozess. So hätte die Installation auch anders werden und aussehen können, wenn andere Dinge als eben diese Gitter dem Suchenden als das Gesuchte begegnet wären. Ein solches Suchen folgt auch einer gewissen Pragmatik: Zunächst einmal muss der Suchende Gebäude durchstöbern, Keller begehen und Räume inspizieren, in denen er Dinge vermutet, die seine Suche mit einer Entdeckung beenden können. In diesem Zusammenhang wird seitens des Künstlers ein Wissen bezüg-

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lich der Orte relevant, wo etwas potenziell gefunden werden kann. In diesem Fall war der Ort, der »stalinistische Protzbau«, dem Künstler bekannt, da er in diesem Gebäude schon einmal an einer Ausstellung beteiligt war, bevor es saniert wurde; auch die Stadt ist ihm vertraut, so hat er dort lange gewohnt. In dieser Weise bildet das Wissen um bestimmte Verortungen von Dingen und Möglichkeiten, sie an diesen zu finden, eine Ressource für das Arbeiten und seine potentiellen Teilnehmerschaften. Die örtliche und räumliche Orientierung wird hier metaphorisch gesprochen im Sinne einer Topologie von Dingpotenzialen bedeutsam. Auch die Frage nach Eigentumsrechten stellt sich im Zuge des Abmontierens der Dinge. In diesem Fall, so wurde in einem Anschlussgespräch deutlich, hatte der Künstler bei den zuständigen Behörden der Stadt nachgefragt: »Die sagten mir, dass im Zuge der Sanierung eh alles rausfliegt« – so standen diese Dinge nicht unter Denkmalschutz und waren für die Eigentümer zukünftiger Abfall. Allgemeiner lässt sich anhand des hier ausgeführten Beispiels Folgendes festhalten: Künstlerischem Arbeiten mit Dingen liegt nicht zwingend eine ›fertige‹ Idee der benötigten Dinge zugrunde – eine Idee, die die Dinge in ihrem Was und Wie vorwegnehmend fixiert. Das suchende Suchen etabliert die Möglichkeit, dass auch die Dinge selbst etwas zum Arbeitsprozess beitragen und etwas für diesen anregen können – beispielsweise durch ihre Erscheinung, ihre Materialität oder Form. Das Wahrnehmen von Dingen und Gegenständen vollzieht sich »in der Welt und nicht im metaphysischen Punkt des denkenden Subjekts«, es vollzieht sich »am Gegenstand selbst« (Merleau-Ponty 1974: 272), »[…] zuerst ist es der Blick, der die Dinge befragt« (Merleau-Ponty 2004: 139). Das Arbeiten und Umgehen mit Dingen bedarf in dieser Weise einer praktisch-leiblichen Zuwendung zu ihnen, ihren Erscheinungen und Gestalten, ihren Verwendungen und Verweisungen. Nicht ein zuvor gedachtes oder ausgedachtes Ding steht im Fokus der Suche, sondern ein Ding, dessen Präsenz sich erst im Erblicken seiner zeigt. Trotz der Offenheit gegenüber den sich zeigenden Dingen ist die suchende Suche keine beliebige. Sie ist eingebunden in Ideen, Überlegungen, Vorhaben und Wissen – in diesem Fall das Wissen um die Ausstellung und die zu erarbeitende Installation. Das Suchen im Kontext eines materialbedürftigen künstlerischen Arbeitens ist nicht unwillkürlich, ungerichtet oder selbstreferentiell, sondern in seiner Unbestimmtheit und Offenheit für besondere Dingqualitäten geradezu bestimmt. Mit einem die Dinge im Kontext der jeweiligen künstlerischen Arbeit besondernden Blick können Dinge über ihren praktischen und funktionalen Verwendungszusammenhang hinausgehend auch in ihren Erscheinungen gesehen werden. Die Dinge in all ihren potenziellen Besonderheiten werden in dieser Weise aufgesucht. Dieser zunächst offene Einbezug der Dinge setzt die Be-

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reitschaft voraus, auf die Dinge zuzugehen und zugleich die Dinge auf sich zukommen zu lassen. So können Dinge Impulsgeber sein für plötzlich mit und durch sie aufscheinende Möglichkeiten, um künstlerische Arbeiten mit und an ihnen und ihren Erscheinungen weitergehend zu entwickeln. Konzipieren. Entwerfen, Planen, Modellieren Mit und an den Dingen und ihren Eigenheiten, ihren kulturellen Einbettungen und Verortungen werden in künstlerischen Prozessen sodann Überlegungen, Fragen und auch konzeptionelle Zusammenhänge entwickelt. So wird es an dieser Stelle um Fragen gehen, wie etwa: Wie werden Dinge in künstlerische Entwicklungs- und Entwurfsprozesse einbezogen? Wie wird mit und an den Dingen überlegt und ›gedacht‹ – und wie wird dieses Überlegen und Konzipieren, Entwerfen und Entwickeln beobachtbar, nachvollziehbar und beschreibbar? Auch wenn es dabei bleibt, dass Ethnografen ihrem Gegenüber nicht ›in den Kopf schauen‹ können, so haben wir es im Feld der bildenden Kunst mit einem Arbeiten zu tun, in dem Überlegungen und Entwürfe auf verschiedene Weisen und mit unterschiedlichen Praktiken sichtbar gemacht werden. Schauen wir noch einmal auf den bekannten Fall der architektonischen Rauminstallation und dem Einsatz der gefundenen Gitter. E: Das Durchprobieren der vielen Versionen, wie die Gitter nun eingesetzt werden – hast du die Gitter in verschiedenen Versionen vorher in einen Raum gestellt, hast du sie irgendwo zuvor angebracht oder gelegt? Oder hast du das mit Zeichnungen durchprobiert? M: Alles zeichnerisch oder im Kopf. Ich habe sie mir zwischendurch lediglich mal angesehen, um Erinnerungsfehler zu vermeiden, oder hab sie gezählt.

Folgen wir ausgehend von diesem Auszug weiter der Arbeit des Künstlers am Entwurf. Nach dem ›Entdecken‹ der Gitter und ihrer Demontage vom Ort ihrer Entdeckung erfolgt das ›Durchprobieren‹ ihrer möglichen Einsätze, das sich auch am Aussehen und an der Anzahl der Gitter orientiert. Das ›Überlegen‹ möglicher Verwendungen der Gitter leitet eine Phase des Konzipierens ein, in welcher Möglichkeiten ihrer Verwendung hervorgebracht und variiert werden. Der Prozess des Probierens und Variierens geht im Vollzug künstlerischen Arbeitens mit einer Praxis einher, die an der Sichtbarmachung ihrer Überlegungen und Variationen arbeitet. Die Praxis des Konzipierens und ›Überlegens‹ bleibt nicht ausschließlich im ›Geistigen‹, Mentalen oder ›im Kopf‹ verborgen, sondern tritt hier auch im Zeichnen in Erscheinung. Das Konzipieren und Entwerfen

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zeigt sich im »Einsatz von Aufzeichnungen, Schreib- und Zeichensystemen, von Techniken der Darstellung und Sichtbarmachung und durch ein grundlegendes Experimentalverfahren: die möglichst kontinuierliche Variation von Umständen und Vorstellungen« (Krauthausen 2010: 8). Die Sichtbarmachung von Überlegungen und Variationen vollzieht sich im Zeichnen und materialisiert sich in Zeichnungen, die dem im Zeichnen ›überlegenden‹ Künstler begegnen und die auch mir als Ethnografin sowie in Form von Abbildungen dem Leser der Studie gegenübertreten können. Schauen wir uns einige dieser Zeichnungen an:

Zeichnungen im Rahmen der Vorbereitung von dem Künstler Marten Schech. (Eigene Abbildung)

In ihren erinnerbaren Erscheinungen gehen die Gitter im Vollzug des Überlegens und Probierens ihrer möglichen Einsätze im Kontext der zu konzipierenden Installation in zeichnerische Auseinandersetzungen ein. So wird auch im Zeichnen austariert, wie sie kombiniert, installiert und montiert werden könnten. Die Gitter selbst bleiben zunächst unangetastet. Die Zeichnungen geben Aufschluss über Gedankenspiele, Überlegungen und materialisieren das Durchprobieren. Überlegungen und Variationen werden mit ihnen und durch sie sichtbar, mitteilbar und zugänglich. Können die Gitter im Zuge der Rauminstallation eine gebogene

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Raumdecke bilden, oder soll mit ihnen eine Wand etabliert werden, indem jeweils in Reihen zwei Gitter übereinander befestigt werden? Soll die Gittertür in die Wand eingebaut werden?

Zeichnungen im Rahmen der Vorbereitungen von dem Künstler Marten Schech. (Eigene Abbildung)

In den erinnerbaren Dingen beziehungsweise Ding-Erinnerungen findet das ›Durchprobieren‹ seine Orientierung. Eine weitere Orientierung für die Konzeption des Raums besteht für den Künstler in der Vorgabe von vier Winkeln und den Raummaßen, die ihm zuvor von den Kuratoren mitgeteilt wurden. Anhand der Daten und der erinnerbaren Gittererscheinungen werden »Versionen«, »Variationen« und somit Differenzen hervorgebracht, die zunächst zeichnerisch sichtbar gemacht werden. Während eine »Version« eine von mehreren Möglichkeiten bezeichnet, impliziert die »Variation« schon ihre Abwandlung und Veränderbarkeit. Versionen und Variationen bilden demnach eine Möglichkeitsreihe, die in ihrer Variabilität eine Dynamik und Prozesshaftigkeit etabliert. Das Durchprobieren zeigt sich als Probieren im Zeichnen und wird anhand verschiedener, aufeinanderfolgender Zeichnungen nachvollziehbar. Zeichnungen und schriftliche Notizen beziehungsweise Aufzeichnungen spielen zusammen, arbei-

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ten einander zu und ergänzen sich. Raumskizzen visualisieren das spätere Vorhaben, Annotationen schreiben den gezeichneten Raumansichten und ihren Details Bedeutungen und Informationen zu, die die Konzeption der Installation betreffen: So hat der Künstler hier die gezeichneten Räume nummeriert, um eine Legende der Künstler daneben zu schreiben, deren Arbeiten entsprechend den Raumnummerierungen in den jeweiligen Räumen der Installation gezeigt werden sollen. Durchgestrichene Berechnungen hingegen zeugen davon, dass bestimmte Ideen und Entwürfe auch wieder verworfen werden können – so etwa die Idee, die Gitter in einem Bogen anzubringen. Das Entwerfen im Zuge der Praxis des Zeichnens, Notierens und Skizzierens zeigt sich auch als Hervorbringen von Perspektiven. So wird der gezeichnete Raum ›von oben‹ visualisiert. Das Zeichnen bringt Ansichten und Sichtweisen hervor, macht Überlegungen sichtbar und kann auf diese wiederum zurückwirken. So wird das Papier zu einem zweidimensionalen Raum für zeichnerische Raumkonstruktionen.

Zeichnung im Rahmen der Vorbereitung von dem Künstler Marten Schech. (Eigene Abbildung)

Im Kontext künstlerischen Arbeitens der bildenden Kunst geht das Zeichnen und auch die Zeichnung in ihrer Präsenz über den Dienst eines rein planerisch-

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technischen Aufzeichnens beziehungsweise einer Aufzeichnung hinaus. Es kann sich von ausschließlich technisch-planerischen Konstruktionen und Entwürfen im Sinne eines strengen ›Um-zu‹ emanzipieren, indem es sich auch der Zeichnung selbst zuwendet und diese als Referenz des Zeichnens einbezieht. Die zu konzipierende Installation als Ausgang sowie die Zeichnungen als solche – als Bestandteil des künstlerischen Arbeitsprozesses – gehen in die Praxis des Zeichnens ein. Nicht allein das technische Aufzeichnen von Überlegungen, auch das Zeichnen als künstlerische Praxis selbst wird einbezogen. So wird in einer der Zeichnungen beispielsweise der Umraum als eine Art ›Unraum‹ zeichnerisch erschlossen: Der Umgang mit Farbe und Fläche in der abgebildeten dritten Zeichnung lässt den gezeichneten Raum in seinen Kontrasten hervortreten. Das Schwarz des Filzstifts hüllt den von schräg oben einsehbaren papierweißen ›Raum‹ in Dunkelheit; die zu einer schwarzen Fläche verdichteten Linien machen auch nicht vor der nächsten Buchseite halt. Erst vor einer weiteren, mit Linien arbeitenden Raumzeichnung scheint das gleichsam schwarze Off zurückzuweichen. Das Zeichnen wird im Zuge künstlerischer Auseinandersetzungen auch als zeichnerisch-bildnerische Praxis relevant, sodass Zeichnungen eigenständige Qualitäten entwickeln können. Gerade im Zuge künstlerischen Arbeitens erhält das Zeichnen und auch die Zeichnung eine eigene Berechtigung; das Zeichnen dient nicht nur als Mittel zum Zweck. Im Kontext künstlerischen Arbeitens wird es mehr als eine Technik – es wird zu einem grundlegenden Medium künstlerischen Arbeitens. So geht es einer derartigen Praxis des Zeichnens nicht allein um die Visualisierung von Möglichkeiten technischer, baulicher oder planerischer Konstruktionen im Dienste zu erbauender beziehungsweise zu ›realisierender‹ Arbeiten und ›Projekte‹. Im Zeichnen können darüber hinaus Auseinandersetzungen mit Dingen, Formen und Formfindungen, Möglichkeiten, Kontrasten, Strukturen und Überlegungen stattfinden, die den künstlerischen Arbeitsprozess ›in Gang‹ halten. Ähnlich den Materialstudien ermöglicht auch das Zeichnen zum einen das Erschließen und Probieren später ›zu realisierender‹ Arbeiten. Darüber hinaus ermöglicht es die Auseinandersetzung mit weiteren und anderen Möglichkeiten abseits baulicher – oder in anderen Fällen beispielsweise bildnerischer – Vorhaben. So wird das Zeichnen auch als Alltagspraxis künstlerischen Arbeitens relevant. Gezeichnet wurde in diesem Fall in einem Buch, das die Zeichnungen versammelt, organisiert und auch die Praxis des Zeichnens beeinflusst. Einem derartigen Buch – ein für künstlerisches Arbeiten gängiges Skizzenbuch – sind bestimmte Möglichkeiten des Arbeitens inhärent, die ein zeichnerisches und im Zeichnen überlegendes Durchprobieren organisieren. Zunächst einmal kann ein Buch in dieser Größe als eine Art ›ständiger Begleiter‹ an verschiedene Orte

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mitgenommen werden. Es ist unkompliziert und schnell ›zur Stelle‹. Ein derartiges Buch bietet einen Anfang in Form einer ›ersten Seite‹ an, geht man von einer von links nach rechts sozialisierten Leserichtung aus. Es bindet leere Seiten, auf denen gezeichnet und geschrieben werden kann. Die gebundenen Seiten legen ein Umblättern auf die jeweils nächste Seite nahe. Das Buch bietet die Organisation einer Reihenfolge an, die sich entlang seiner Seiten ausrichtet. Die Reihenfolge der Buchseiten kann beispielsweise eine zeitliche Ordnung nahelegen, etwa wenn die Seiten nacheinander chronologisch verwendet werden. Durch das Umblättern auf die nächste Seite kann das Vorherige zurückgelassen werden, ohne dass es verloren geht. Durch Rückblättern kann es stets wieder sichtbar gemacht werden. Durch Umblättern auf die nächste leere Seite wird wieder Platz für weiteres – für neue ›Überlegungen‹ – zur Verfügung gestellt. Die Organisation des zeichnerischen Durchprobierens in einem Buch mit leeren Seiten bietet die Möglichkeit, dass auf jeder Seite oder Doppelseite eine oder mehrere Versionen und ›Überlegungen‹ ›ihren Platz‹ finden können, ohne dass sie sich direkt in einen sichtbaren Vergleich mit den vorherigen Versionen begeben müssen. So können sämtliche Seiten nicht zeitgleich eingesehen werden. Sichtbares kann wieder aus dem Blickfeld geraten, schon Gezeichnetes kann wieder verschwinden in dem Wissen, dass es weiterhin zugänglich ist und durch Umblättern wieder zum Vorschein kommt. In dieser Anordnung wird ein Hinarbeiten auf die schließlich zu ›realisierende‹ Version nachvollziehbar, wobei zwischendurch auch immer wieder Zeichnungen erscheinen, die sich mit anderen Phänomenen abseits der zu konzipierenden und zu ›realisierenden‹ Arbeiten auseinandersetzen. Welchen Beitrag leistet das zeichnerische und überlegende Durchprobieren im Zuge des Konzipierens der mit Dingen arbeitenden Installation? Der Begriff des ›Durchprobierens‹ gewährt gewisse Rückschlüsse auf Prozesse eines mit Überlegungen und Vorstellungen arbeitenden Entwerfens von Versionen und Variationen – insbesondere, wenn er im Vergleich zu dem des ›Ausprobierens‹ betrachtet wird. Der Begriff des ›Ausprobierens‹ eignete sich für die Beschreibung des Experimentierens mit unbekannten Materialien, die in ihren stofflichen Qualitäten Reaktionen hervorbringen. Diesen kann der Forschende beobachtend beistehen, um im Anschluss zu evaluieren, ob das Experiment – oder die Arbeit – gelungen oder gescheitert ist. Das Ausprobieren verweist auf den Umgang mit etwas zunächst Unbekanntem und Unberechenbarem, dessen Brauchbarkeit, Verwendbarkeit, Qualität, Wie und Was im Zuge des Probierens getestet wird. Das ›Durchprobieren‹ geht viel mehr von Variationen aus, die sich als Folge beziehungsweise Reihe zeigen und die mit einer unbestimmten Anzahl von Möglichkeiten spielen – so geht es hier auch um ein Organisieren von Optionen.

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Praktisch findet das Durchprobieren dann ein Ende, wenn eine Version sich in besonderer Weise qualifiziert, plausibilisiert und exponiert. Während das Ausprobieren von einer starken experimentellen Offenheit gegenüber dem Unbekannten in seinen Qualitäten und Reaktionen gekennzeichnet ist, geht das Durchprobieren von etwas schon Bekanntem aus, mit dem Weiteres und Anderes entwickelt wird – in diesem Fall geht es von den erinnerbaren Gittern in ihrer Erscheinung und Anzahl aus. Dem Durchprobieren wohnt ein Wissen um Möglichkeiten und Spielarten mit den zu verwendenden Dingen inne. Möglichkeiten werden sodann weniger in der Logik eines Gelingens/Scheiterns relevant, sondern als ›So-oder-so‹ in Form kombinatorischer Optionen. In diesem Fall stecken das Aussehen der Gitter, ihre Anzahl sowie ihre Maße in Verbindung mit den bekannten Raummaßen ein Feld der Möglichkeiten verschiedener RaumGitter-Kombinationen ab. Diese ›Daten‹ dienen dem Künstler als Anhaltspunkte für das Hervorbringen einer Reihe von Einsatzmöglichkeiten der Gitter, wie diese in dem Raum verwendet werden können. Das Konzipieren von künstlerischen Arbeiten mit und an konkreten Dingen zeigt sich nicht in der strengen Logik eines Ausdenkens – Umsetzens, sondern vielmehr als entwurfspraktisches Variieren von Möglichkeiten, um die Dinge im Kontext eines Vorhabens ›so oder so‹ zu verwenden. So erhalten auch die Dinge Gelegenheit, in ihrer Präsenz sowie in ihren Verwendungsangeboten auf der Ebene der Konzeption Einfluss auf das Arbeiten und die zu erarbeitende Arbeit zu nehmen, indem ausgehend von ihrer Erscheinung, ihrer Anzahl, ihren Maßen und Formen überlegt und probiert wird, wie sie im Rahmen einer Arbeit eingesetzt werden können. Das Entwerfen setzt sich sodann im Dreidimensionalen fort. So ist von der später im Ausstellungsraum zu ›realisierenden‹ Installation ein Modell vom Künstler gebaut worden. Im Maßstab 1:16 visualisiert und demonstriert es das zunächst zeichnerisch entwickelte Vorhaben sodann räumlich – so auch für die anderen Teilnehmer beziehungsweise hier die Kuratoren. Mit dem Modell wird die Praxis des Entwerfens weitergetrieben, indem nun präzise Maße und Umsetzungen berücksichtigt werden – es entsteht eine Art Raum im Kleinen.8 Das Modell wird im Vollzug der Entwicklung der großangelegten Rauminstallation einmal als Visualisierungsstrategie und Demonstrationsobjekt relevant, zudem kann es selbst zu einer ›künstlerischen Arbeit‹ exponiert und profiliert werden abhängig von seiner Kontextierung. Während die Praxis des Zeichnens gleichsam ›schnelle‹ Flächen der Möglichkeiten bietet, verlangt das Bauen eines Modells ein präzises Wissen bezüglich dessen, was wie gemacht wird, wie groß seine Bestandteile sind und was mit ihm wie gezeigt werden soll. Das Modell wird

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Siehe zum Beispiel weitergehend zum Thema Modelle in der Kunst Hartung 2014.

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somit auch ein Instrument des Planens. Es ermöglicht, einen Überblick des Vorhabens zu geben. Von oben schaut man in den Raum hinein, sieht die Wege und verwinkelten Räume und konturiert die eigene Vorstellung. In dieser Weise veranschaulicht das Modell nicht nur das später zu Bauende beziehungsweise das installative Vorhaben, sondern es organisiert und materialisiert Raumvorstellung. Zugleich können an und mit ihm wiederum Vorstellungen entwickelt werden: Wie wird der ›echte Raum‹ später aussehen und wirken? Wie wird es sein, durch das Gefüge hindurchzugehen? Wo kann was später wie in dem Raumgefüge platziert werden?

Modell im Ausstellungsraum von dem Künstler Marten Schech. Titel: Modell – Drei Keile, ein Diamant, die Konche und der Staub (Bildrechte liegen beim Künstler)

Das Modell, wie es hier zum Einsatz kommt, visualisiert den Übergang des Konzipierens und Entwerfens hin zum Planen und Realisieren. Metaphorisch gesprochen: Mit dem Modell wird eine Brücke zwischen dem Bereich des Möglichen und dem Bereich des Realisierens gebaut. So gehen nicht nur Dinge in die Praxis des Entwerfens und Konzipierens ein, auch entstehen wiederum Dinge im Vollzug dieser Praxis. Das Mögliche gerinnt mehr und mehr zum ›Realen‹ be-

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ziehungsweise zu etwas, das sich zeigt und an dem weitere Gedanken und Vorhaben seitens des Künstlers sowie der Kuratoren entwickelt werden können. So versammelten sich zuvor und auch während des Aufbaus der Raumarchitektur Künstler und Kuratoren mehrmals um das Modell, um sich bezüglich verschiedener Optionen der zu platzierenden Exponate in dem Raum auszutauschen – an und mit dem Modell entwickelt und organisiert sich Kommunikation, indem es den Beteiligten eine geteilte Perspektive anbietet. Was sich an diesem Beispiel zeigt und was sich über den konkreten Fall hinausgehend in Bezug auf die Teilnahme von Dingen für künstlerisches Arbeiten argumentieren lässt, ist die grundlegende Einsicht, dass mit und an Dingen Vorstellungen und Konzeptionen entwickelt und materialisiert werden, an und mit denen wieder weitergedacht, gefragt und geplant werden kann. Zugleich zeigen sich die Dinge in ihren Eigenheiten und treten den Anwesenden gegenüber, die sich ihnen fragend und überlegend zuwenden. In dieser Weise wird auch mit und an Dingen im künstlerischentwickelnden Vollzug gedacht und überlegt, gefragt und geantwortet, entworfen und konzipiert, wie es wo und mit was weitergehen kann. Schauen wir in diesem Zusammenhang auch noch einmal auf die von der Künstlerin R. geplante Installation mit den Messingketten: Wir stehen in R.s Atelier und sprechen zunächst über die geplante Installation. R. holt die Messingketten hervor, die sie am Vormittag in dem Laden erworben hat. Sie legt drei der Ketten parallel zueinander auf den Boden des Ateliers und fädelt eine Kette durch ein Messingröhrchen. Dann geht sie zu einem Tisch, auf dem verschiedenfarbige Fliesen liegen und nimmt eine ockerfarbene Fliese, geht zu den am Boden liegenden Ketten und legt sie darauf. »Ich mache schon länger was mit Fliesen«, sagt sie. Die Fliesen hat sie während eines Aufenthalts zum Dreh eines Films in Buenos Aires gekauft. Die Ketten sollen durch Messingrohre gefädelt werden, an denen die Fliesen gehängt werden, nachdem diese mit Häkchen versehen worden sind. »Ich habe geplant einen Vorhang in den Raum zu platzieren, in dem zudem noch ein Video gezeigt wird«, erklärt sie. Das Video ist aus dem Filmmaterial hervorgegangen, das sie während ihres Aufenthalts in Südamerika gedreht hat – sie hat es selbst geschnitten und mit Unterstützung vertont. Wir schauen beide auf die am Boden liegenden, kombinierten Dinge. R.: »Mal sehen, wie das dann in dem Raum aussieht.« Ich schaue auf die am Boden liegenden Ketten und erahne, wie es aussehen könnte, wenn eine Vielzahl an Ketten von der Decke hängt, die zusammen mit den bunten Fliesen einen Vorhang bilden.

In diesem Fall folgen die gekauften Dinge einem vorausgehenden Konzept und werden in dessen Rahmen versammelt und kombiniert. Die Messingketten und Fliesen auf dem Boden deuten in der beschriebenen Situation im Atelier das

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Vorhaben der Künstlerin beziehungsweise die geplante Installation an – ausgegangen wird hier von einer über die Dinge hinausweisenden und durch sie vermittelten Vorstellung. So werden die Ketten später nicht auf dem Boden liegen, sondern von der Decke hängen. Zudem werden nicht nur drei Messingketten von der Decke des Ausstellungsraumes hängen, sondern eine Vielzahl. Auch die Verteilung der Fliesen an den Ketten ist hier exemplarisch. Was ermöglicht ein solches Veranschaulichen und Zeigen dessen mit und an den Dingen, was anderen Ortes erst später in abgewandelter Form aufgebaut wird? Auch hier spielen das Zusammenwirken von Konzipierung und Materialisierung eine Rolle: Einmal zeigt R. mir anhand der kombinierten Dinge, was sie vorhat; zudem schaut sie auch selbst auf diese und beginnt zu überlegen, wie die geplante Installation in dem Ausstellungsraum aussehen wird.

Die gelegten Messingketten mit der Fliese im Atelier. (Eigene Abbildung)

Die Dinge in ihrer improvisierten Versammlung vermitteln einen Eindruck von der später installierten Arbeit – sie generieren Vorstellungen und weisen in die Zukunft; sie werden in situ zu etwas Anderem und treten bereits in dieser Situation des Zeigens und Andeutens in den Kontext der Arbeit ein. Auch das Konzipieren von etwas ist mit der Welt des Dinglichen, des sich Zeigenden und des Gegenübertretenden verbunden. Deutlich wird, dass die Idee nicht freischwebend ›aus dem Künstlersubjekt‹ entsteht, sondern Überlegungen und Möglich-

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keiten in Bezug auf die präsenten Dinge entwickelt werden – in diesem Fall die entsprechenden Messingketten und Fliesen, die sogleich ihr ästhetisches und assoziatives Potenzial freisetzen. Trotz der Geschlossenheit des Vorhabens zu diesem Zeitpunkt in Bezug auf die geplante Installation wird auch hier eine gewisse Offenheit seitens der Künstlerin in ihre Arbeit einbezogen und aufrechterhalten. Diese bezieht sich auf den späteren und für sie noch unbekannten Ausstellungsraum, der somit Ungewissheit in das Vorhaben bezüglich dessen Wirkung einspeist: »Mal sehen, wie das dann in dem Raum aussieht«. Installieren. Kombinieren und Montieren Insbesondere bei großen, raumgreifenden Arbeiten findet deren Installation oftmals am Ort der Ausstellung statt. Was aber heißt hier eigentlich, etwas wird installiert? Wie profiliert sich im Zuge einer Installation ›die Arbeit‹ als solche? Folgen wir in diesem Zusammenhang weitergehend den schon bekannten Gittern, bei deren Aufbau ich als Ethnografin dabei sein konnte. Bildeten die Gitter zuvor Dachbodenboxen, in denen etwas gelagert und aufbewahrt werden konnte, werden sie nun für die Rauminstallation zu einer Wand verbaut. Hierdurch werden zwei Räume innerhalb des Ausstellungsraumes voneinander separiert, wobei aufgrund der offenen Gitterstruktur eine beidseitige Durchsicht von einem in den anderen Raum möglich ist. Die Gitter liegen auf dem mit einer Plane geschützten Boden der Ausstellungshalle. Am Ort der späteren Ausstellung werden die Gitter von M. an dem zuvor eingebauten Holzgerüst befestigt, wobei stets zwei Gitter übereinander installiert werden, sodass die Installation aus Gittern eine Wand mit einer Höhe von vier Metern hervorbringt. Die verrosteten Stellen der Gitter und die weißen verschrammelten Spuren lassen die Gitter alt wirken. M. beginnt die Gitter an die Holzpfosten zu nageln, eins nach dem anderen. Hierfür verwendet er alt und rostig aussehende Nägel. Für die Anbringung der oberen Gitterpartie benötigt er die Hilfe von T., der die Gitter anreicht und festhält. Nach dem schon einige der Gitter mit Nägeln an den Holzbalken befestigt sind, sagt M.: »Mit Nägeln waren die auch dort angebracht. Wenn da jetzt so High-Tech-Schrauben reinkommen, dann glaubt das eine dem anderen nicht mehr. Die Schraube fragt sich dann: Was mache ich hier?« Die Gitter sollen möglichst in der Weise angebracht werden, dass so wenig wie möglich von den Holzpfosten zwischen ihnen sichtbar ist. Nach jeder Anbringung eines Gitters tritt M. ein paar Meter von der sich bildenden Wand zurück, um die Befestigung eines jeden neu angebrachten Gitters zu betrachten und zu überprüfen, ob es sich senkrecht zum Boden verhält und ob das Holz zwischen den Gittern nicht zu sehr hindurchschaut.

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Die Gitter werden nun entsprechend der vorherigen Konzeption im Raum an dem zuvor etablierten Holzgerüst befestigt. Nach jeder einzelnen Anbringung eines Gitters wird dessen Platzierung an dem Holzrahmen durch den Künstler mit einem prüfenden Blick begutachtet. Zeigt sich das Holz zwischen den angebrachten Gittern, wird dies umgehend korrigiert, sodass das Holz hinter der entstehenden Gitterfront, von einer Seite her betrachtet, unsichtbar wird. Mit der Zeit finden die Gitter unmittelbar nebeneinander ihren Platz an dem Gerüst und formieren sich zu einer Wand, durch die man sowohl von der einen als auch von der anderen Seite hindurchschauen kann. Für das Arbeiten mit den Gittern wird besonders die Art und Weise ihrer Anbringung relevant – mit was sie befestigt werden, beeinflusst auch, wie sie sich später zeigen. Die Überführung der Gitter in einen anderen Kontext bedeutet nicht, dass zwingend ein radikaler Bruch mit ihrer vorherigen Verwendung vollzogen werden muss – künstlerisches Arbeiten geht nicht immer in Provokation, ›Befremdung‹ oder ›Verfremdung‹ der Dinge auf. Vielmehr bemüht sich der Künstler in diesem Fall um einen gleichsam ›biografisch‹ konformen Umgang mit den Dingen. Gearbeitet wird hier mit dem Wissen um ihre vorherige Installationsweise, die auch der jetzigen Installation der Gitter als Orientierung dient. Die Dinge in ihren vorherigen Kontexten und in ihrer ›Geschichte‹ etablieren eine Orientierung für den Umgang mit ihnen. In ihrer zeitlichen Verortung, in ihrer Verwendungsgeschichte und in ihrer Materialität – altes, mit Spuren versehenes, verdunkeltes und rostiges Metall – legen sie den Gebrauch von Hammer und rostigen Nägeln nahe. Die Methode des Anbringens der Gitter an die erbaute Holzkonstruktion durch Annageln plausibilisiert sich aus der vorherigen Anbringung der Gitter mit Nägeln, als diese noch Dachbodenboxen bildeten. Im Rahmen des Aufbaus der Rauminstallation wird ein Zusammenbringen der Gitter als ›Dinge bestimmter Orte und Zeiten‹ mit Schrauben aus der Gegenwart geradezu als Absurdität im Sinne einer nicht tragbaren Unglaubwürdigkeit seitens des Künstlers markiert – orientiert an Goffman (1959, 2009 [1969]) kommt diese gleichsam als ›Zitat‹ zur ›Aufführung‹: »Wenn da jetzt so High-Tech-Schrauben reinkommen, dann glaubt das eine dem anderen nicht mehr. Die Schraube fragt sich dann: Was mache ich hier?« Eine Verwendung zeitgenössischer technisierter Befestigungsmethoden würde gemäß der durch den Künstler markierten Unglaubwürdigkeit eine Inkonsistenz gegenüber den Dingen in ihrer Montage und letztendlich gegenüber der Installation als eine aus den montierten Dingen hervorgehende Arbeit bedeuten. So geht der Künstler in seiner Arbeitsweise auf die ›Geschichte‹ der gefundenen Dinge und ihrer Verwendung ein, die ihm eine Umgangslogik mit den Dingen gewissermaßen vorgibt und einer Beliebigkeit in ihrer Einsatz- und Verwendungsweise entgegenwirkt. Die Dinge orientieren gleichsam mögliche Um-

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gangsweisen für ein Arbeiten mit ihnen, in dessen Kontext sie zwar anders eingesetzt, aber zugleich in ihrer speziellen ›Geschichte‹, ihrer ›Biografie‹ zur Kenntnis genommen werden.9 Der Einbezug der zeitlich kontextualisierten Eigenheiten der Dinge begründet sich nicht zuletzt darin, dass die Köpfe der Nägel in der Installation sichtbar bleiben werden, sodass ältere verrostete Nägel neuen, silbern glänzenden zu bevorzugen sind, um ihre Plausibilität und konsistente Wirkung weitergehend zu verstärken: Auch der sichtbare Nagel wird Teil der Installation und leistet einen Beitrag für die gesamte Arbeit beziehungsweise das Werk. Er fungiert nicht nur als notwendiges funktionales Beiwerk, das die Gitter trägt, sondern auch als sichtbares Attribut, das in seiner Umgebung – im Kontext der Installation – in einer Weise wirken muss, die Evidenz und Konsistenz beim Ansehen der Arbeit erzeugt im Sinne von: So muss es sein und nicht anders! So lässt sich auch eine Reziprozität zwischen Dingen und dem konzeptionellen Rahmen ausmachen, der die Dinge in ihren Zusammenführungen und Erscheinungen durchdringt, wobei die Dinge zugleich die Eigenlogik des jeweiligen Konzepts materialisieren – hier ein Konzept, das stark mit den Dingen und ihrer Geschichte arbeitet. Die Berücksichtigung der Dinge in ihren Eigenheiten sowie ihrer Erscheinung zeugt von der qualitativen Involvierung der Dinge im Rahmen künstlerischen Arbeitens. Die Dinge werden in ihrer Präsenz, ihren ästhetischen Potenzialen sowie ihren Verweisungen aufeinander abgestimmt, indem sie unter Einbezug eines Dingwissens komponiert und sichtbar gemacht werden. Sie bringen ihre Eigenheiten in das Arbeiten mit ihnen ein. Was lässt eine Schraube in der Logik des hier argumentierten und praktizierten Umgangs mit den Dingen dem Künstler zufolge unglaubwürdig erscheinen? In ihrem Aussehen und in ihrem zeitlichen und kulturtechnischen Kontext wäre eine Schraube aus dem heutigen Baumarkt im Zusammentreffen mit den gebrauchten, angelaufenen und rostigen Gittern in der Logik der hier vom Künstler argumentierten historisch, biografisch und dem Authentischen folgenden Ästhetik geradezu ›fehl am Platz‹. In dieser Weise zeigt sich hier auch eine konzeptionelle Eigenlogik des künstlerischen Umgangs mit Dingen, nach der die Dinge zusammenfinden und in der sie sich konsistent zueinander verhalten müssen, um schließlich als Arbeit erkennbar zu werden. In diesem Fall ›kannten‹ diese speziellen Gitter keine technisierten Bohrmaschinen und auf diese hin ausgerichteten Schrauben. Derartige Gitter und zeitgenössische Schrauben wären sich ›fremd‹,

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Auf eine Orientierung von Welt durch die Berücksichtigung von Geschichte weist Merleau-Ponty (2004: 139) hin: »Die Wahrnehmung der Welt und der Geschichte ist die Praxis dieses Maßnehmens, das Erkunden ihrer Abweichung oder ihrer Differenz im Verhältnis zu unseren Normen«.

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sie würden sich gegenseitig nicht oder eben als starker Bruch plausibilisieren, im Zusammentreffen inkonsistent und störend wirken und in ihrer kulturell und historisch eingebetteten Dinglichkeit nicht in dieser Passung zusammenfinden. Die Kombination der zum Einsatz gebrachten Dinge zeigt sich hier von einem Authentizitätsstreben gekennzeichnet. So wird diese Versammlung und Kombination der Dinge von einem künstlerischen Konzept gerahmt und zugleich wirken die Dinge an der Generierung und Sichtbarmachung ihrer konzeptionellen Rahmung mit. Die Praxis des Hämmerns tritt hier über einen alltagsvergessenen Gebrauch von Werkzeug und Nagel hinaus, indem das Einschlagen eines Nagels innerhalb künstlerischer Plausibilisierung als kulturspezifische und in gewisser Weise ästhetische Technik relevant gemacht wird. Aus rein praktisch-funktionaler Sicht konkurriert die Verwendung von Hammer und Nagel mit alternativen, zeitgenössischen etablierten Befestigungsmethoden. Hammer und Nagel könnten – gebunden an ein rein pragmatisches und funktionales Motiv der Befestigung – durch das Verwenden von Bohrmaschine und Schraube substituiert werden. Die Praxis des Hämmerns wird in diesem Kontext jedoch nicht nur als Befestigungstechnik oder handwerkliche Praktik und Kulturtechnik relevant gemacht, sondern auch im Hinblick auf die künstlerische Arbeit unter konzeptionellen und ästhetischen Gesichtspunkten exponiert. In dieser Weise erhält sie ihre Plausibilität nicht nur auf praktischer, sondern auch auf reflexiver Ebene, indem sie nicht nur einfach aus Gewohnheit ausgeführt wird, sondern in ihren ästhetisch-materiellen sowie historisch-kulturellen Bezügen im Zusammenhang der künstlerischen Arbeit sichtbar gemacht und seitens des Künstlers argumentativ einbezogen wird. Die Dinge werden in der Praxis künstlerischen Arbeitens nicht nur als Wissensdinge oder als technische Dinge relevant, sondern auch als wahrnehmbare und sich zeigende Dinge, die sich zueinander verhalten und sichtbare Beziehungen zueinander eingehen. Das scheinbar profane Hämmern kann im Zuge künstlerischen Arbeitens auch als reflexive Praxis im Hinblick auf die sich zeigende Arbeit einbezogen werden: Dass mit Dingen gearbeitet wird, gilt künstlerischem Arbeiten als selbstverständlich. Wie mit ihnen gearbeitet und umgegangen wird, kann jedoch nicht selbstverständlich und alltagsvergessen vollzogen werden, da die Dinge, die sich im Kontext der Arbeit zeigen, die Arbeit in all ihren Sichtbarkeiten und Anschlüssen zugleich mit hervorbringen. So sind auch die sichtbaren Dinge im Zuge künstlerischer Praxis nicht ›neutral‹ oder auf ihre pragmatischen, funktionalen und praktischen Bezüge reduzierbar, da sie – sobald sie sich im Rahmen der Arbeit zeigen – Bedeutungen generieren und in ihren phänomenalen, ästhetischen Qualitäten sowie ihrer konzeptionellen ›Induzierung‹ sichtbar (gemacht) werden.

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Detailansicht der Gitter mit den Nägeln. (Bildrechte liegen beim Künstler)

Die Installation im Aufbau. (Bildrechte liegen beim Künstler)

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Wie gehen die Dinge nun in die Arbeit ein? Wie treten sie zugleich als solche hinter die künstlerische Arbeit beziehungsweise das Werk zurück? Hierzu ein weiterer Protokollausschnitt: Im Zuge der Rauminstallation soll eine ebenfalls den Boxen entstammende Gittertür in den Eingang innerhalb einer der verputzten geschlossenen Wände eingebaut werden, hinter der sich ein kleiner, begehbarer Raum befindet. T. begegnet dem Vorhaben, die Tür an der Vorderseite des Eingangs anzubringen, mit einer gewissen Vorsicht: Er blickt auf die bereits installierte Gitterwand und sagt an M. und den Kurator gerichtet: »Das ist ne ganz tolle plastische Arbeit.« Dann schaut er zu der an der anderen Wand lehnenden Gittertür: »Die Tür ist was Anderes. Es ist die Frage, ob die Tür dem Ganzen dort nicht was nimmt.« Einer der Kuratoren nickt und stellt laut die Überlegung an, ob die Tür vielleicht quer oder von der Innenseite des Raumes installiert werden könnte. Mein Blick wandert von der Tür zu der Gitterwand. Die Gitter in ihren Strukturen flirren geradezu, lassen den Blick nicht zum Stillstand kommen, der an ihnen weiter entlangfährt.

In dieser Situation steht die Qualifizierung einer künstlerischen Arbeit im Vordergrund, die hier auch anhand der Differenzierung des Einsatzes und der Verwendung verschiedener Dinge als Frage einer ästhetischen und konzeptionellen Passung verhandelt wird. Was heißt es hier, wenn T. sagt: »Es ist die Frage, ob die Tür dem Ganzen dort nicht was nimmt«? T.s Aussage expliziert einen sichtbaren Unterschied zwischen den installierten Gittern und der noch zu installierenden Gittertür. Die Tür transportiert aus der Sicht des Künstlers »was Anderes« in die Situation als die zu einer »plastischen Arbeit« installierten Gitter. Sind die Gitter im Rahmen ihrer Installation über ihren vorherigen Verwendungszusammenhang hinausgetreten, würde die Tür auch weiterhin als Tür fungieren und im Zuge ihrer Installation als Gittertür eine gewisse Präsenz erhalten, die womöglich auf die der Gitterwand als »plastische Arbeit« einwirken könnte. In dieser Weise wird ein qualitativer Unterschied zwischen der installierten Gitterwand gegenüber der Gittertür hergestellt und expliziert. Die Gittertür bliebe sowohl in ihrem Aussehen als auch in ihrem Einsatz in der Wand eine Tür, die in ihrer verrosteten, metallenen Erscheinung an Türen aus Kerkern und Verliesen erinnern würde. Was begründet in diesem Fall die Gegenüberstellung der Tür mit der »plastischen Arbeit«, die aus den Gittern hervorgeht? Neben dem neuen Verwendungskontext der installierten Gitter tritt besonders die Qualität der Gitterwand als künstlerische Arbeit im Kontext der bildenden Kunst in den Vordergrund: Die zu einer transparenten Wand installierten Gitter in ihren Strukturen, ihrem Neben- und Übereinander bieten etwas über ihre Funktionalität als transparente Wand Hinausweisendes an. Indem sie sowohl auf Formen und Strukturen, als auch auf Barrieren und Absperrungen verweisen, entwickelt die Installa-

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tion der Gitterwand eine ganz eigene ästhetische Präsenz, die stark in den Raum interveniert. Die Gitter fügen sich zu einer Wand, die Raum trennt und zugleich vereint, die ein Diesseits und Jenseits im und zugleich mit Raum erzeugt. Bedingt durch die Asymmetrien der einzelnen Streben werden diese auch als flirrende Strukturen und Liniengeflecht im Raum lesbar, das optische Spielweisen in Form dreidimensionaler Effekte erzeugt. Zudem etablieren sie im Zusammenspiel mit Licht und Beleuchtung Möglichkeiten des Schattenwurfs, der wiederum in den Raum eingreift. So eröffnen die installierten Gitter die Option, sie als Gitter zu sehen und zugleich als abstrakte Strukturen, Streben, gar Linien wahrzunehmen. Ihnen wohnt in diesem Oszillieren zwischen Inhalt und Form, zwischen architektonischer Funktion für den Raum und einer fast bildnerischen, flächigen Präsenz ein ›Kippmoment‹ inne, der das Sehen und Gehen im Raum herausfordert, indem er Komplexität evoziert. Diese Komplexität, die sich in der Praxis des Ansehens der Gitterwand im Kontext des Raumes entfaltet, vermag die Tür als Tür in ihrer inszenatorischen Anmutung innerhalb des Wand-RaumSettings nicht anzubieten. In ihrer Erscheinung könnte die Tür eher etwas Kulissenartiges in den Raum transportieren, das auf die Gitterwand ausstrahlen könnte, würde die Tür zu offensichtlich am Eingang des Raumes in der Wand installiert werden und würde sie dadurch zu viel Präsenz erhalten: »Es ist die Frage, ob die Tür dem Ganzen dort nicht was nimmt«. Die hier explizit gemachte qualitative Unterscheidung zwischen den Dingen differenziert die verschiedenen verwendeten und präsenten Dinge im Hinblick auf ihren Beitrag zur künstlerischen Arbeit. Die Unterscheidung hierarchisiert die Dinge in Haupt- und Beiwerk für die Arbeit selbst, wobei das Beiwerk dazu dient, der Arbeit im engeren Sinne zuzuarbeiten. Es soll sie nicht beeinträchtigen – dies spräche für seinen Verzicht. Würde die Tür in der Offensichtlichkeit einer Kerkertür an der Außenseite der Wand montiert werden, bestünde die Gefahr, dass auch die Gitterwandinstallation als Teil beziehungsweise Requisit einer Kerkerkulisse gesehen werden könnte, was einer Beeinträchtigung der Arbeit als solcher gleichkäme. Dies begründet sich darin, dass die Wirkung einer Kulisse den Raum und die Installation beziehungsweise die Ausstellung in einen anderen Rahmen setzen würde. Kulissen und Requisiten verweisen von sich aus auf das Darstellen und unterstützen das Setting für den Auftritt – ein Auftritt künstlerischer Arbeiten und Werke, die sich im Kontext der Ausstellung ihrem Publikum zeigen. Kulissen und Requisiten leisten einen Beitrag für Orientierungen, Kontextualisierungen und Einordnungen des Geschehens und reduzieren in diesem Sinne Komplexität. Würden die Gitter vornehmlich mit der Referenz auf eine ›Kerkerkulisse‹ gesehen werden, würde dies der Arbeit als künstlerischer Arbeit etwas nehmen, da ihre Komplexität durch eine zu starke Rahmung reduziert werden würde. Würde der Ausstellungsraum aufgrund einer zu eindeutigen Kulissenhaftigkeit zu einer Art ›Kerker‹ werden, würde dies den Arbeiten zu eindeutige und

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dominante Lesarten beziehungsweise Betrachtungsweisen aufdrängen. Mit Goffman (1959, 2009 [1969]) lässt sich sagen: Auch die Dinge spielen ihre Rollen beziehungsweise Theater – hier, indem sie eben nicht theaterhaft erscheinen sollen! Im Sinne der Goffman’schen Metapher des »Rahmens« (Goffman 1977) würde dies einen zu engen und eindeutigen dritten Rahmen (ein Verlies, ein Kerker) innerhalb einer schon konzeptionell gerahmten Ausstellung (Anarchie, Überwachung) bedeuten, wobei die Ausstellung selbst schon eine Rahmung (Kunstausstellung) impliziert. Eine offensichtliche Verlies- und Kerkermetaphorik böte wenig Spielraum für Fragen und andere Auseinandersetzungen in Bezug auf die Arbeiten und auf die Ausstellung an und würde zu sehr ihren eigenen Kontext inszenieren. Dinge, die in ihrem Einsatz die künstlerische Arbeit in ihren Lesarten engführen, schränken die Arbeit in ihrer Komplexität ein. Dinge, die verschiedene Lesarten, ›Ebenen‹ und in dieser Weise Vielschichtigkeit und Kontingenz in die Arbeit transportieren, erzeugen hingegen Komplexität, indem sie Ambivalenzen hervorbringen und Sichtweisen irritieren. Die Gitterwand in ihrer Erscheinung und Präsenz deutet in unserem Fall als Gitterwand über sich hinaus, sodass die Bezeichnung ›Gitterwand‹ an dieser Stelle schon nicht mehr angemessen scheint, da diese eben mehr ist als Gitter und Wand. Sie fügt sich zu jenem, was im Feld der Kunst die Bezeichnung der »Arbeit« erfordert. Die Dinge weisen im Einsatz der künstlerischen Arbeit beziehungsweise des Werks über ihre Dienlichkeit und ihre Dinglichkeit hinaus, indem sie eben zu einer ›Arbeit‹ beziehungsweise auch zu einem ›Werk‹ emergieren (Heidegger 1960 [1935]) und sich nicht zu eindeutig in ein durchschaubares narratives, funktionales oder formalanalytisches Setting einordnen lassen. In diesem Fall gehen die Gitter zusammen mit den verputzten und hölzernen Wänden in eine ›Arbeit‹ – eine ›Raumarbeit‹ oder ›architektonische Installation‹ – ein und treten zugleich hinter diese zurück. Was geschieht vor diesem Hintergrund weitergehend mit der Tür? Diese wird nun von der Innenseite des kleinen Raumes her installiert, sodass sie weniger dominant wirkt. Sie wird in ihrer Kerkertüranmutung zurückgenommen und verhält sich auch nicht zu offensichtlich zu den installierten Gittern – in dieser Weise nimmt sie ihnen nichts weg. Auch wird sie so angebracht, dass sie nicht geöffnet und geschlossen werden kann und ihre Türfunktion aufgibt. Zudem ist sie nicht frontal einsehbar, sondern zeigt sich erst beim Betreten des kleinen Raumes. Eine Gittertür, die nichts einschließt, scheint ihrer Offensichtlichkeit als Kerkertür entkommen zu sein und kann in ihrer nun ›unproblematischen‹ Unaufdringlichkeit einen Beitrag für die raumgreifende und zugleich raumhervorbringende Installation leisten. Ausgehend von dem Fall lässt sich auf allgemeiner Ebene Folgendes festhalten: Im Einsatz künstlerischer Arbeiten werden Dinge besonders in ihrem Potenzial zur Mehrdeutigkeit, Kontingenz und im Hinblick auf ihre ästhetischen Qua-

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litäten relevant gemacht, indem sie in ihren Eigenheiten, Erscheinungen und Kontexten gleichsam ›Überschüsse‹ in das Arbeiten mit ihnen einbringen. Die Dinge tragen zur Rahmung der sich zeigenden Arbeit bei und werden durch diese wiederum selbst neu und anders gerahmt – sie treten hinter die Arbeit zurück, wobei sie sich zugleich in ihr und durch sie zeigen. Im Zuge künstlerischen Arbeitens geht es oftmals auch darum, die Dinge im Hinblick auf ihre Möglichkeiten und Erscheinungen zu befragen und zu öffnen. Dies muss nicht zwingend mit ihrer radikalen ›Verfremdung‹ oder Dis-, Ent- und Refunktionalisierung in Bezug auf ihre vorherigen Verwendungen und bisherigen Erscheinungen einhergehen. Vielmehr geht es darum, im Rahmen der jeweiligen Arbeit mit den Dingen und im Anblick ihrer auszutarieren, wie die Dinge eingesetzt und präsent gemacht werden können und was sie wiederum an Präsenz für die über sie hinausgehende Arbeit beitragen können. Dingliche Interventionen. Nobilitieren und profanieren Mit dem Einbezug zeitlicher und kulturell verankerter Wertigkeiten von Dingen in ihren historischen, soziokulturellen Kontexten und ihren normativen sowie funktionalen Einbettungen kann künstlerisches Arbeiten mit Dingen auch konventionelle, institutionalisierte und etablierte Dingordnungen, Deutungshoheiten und Dingverwendungen sichtbar machen: Wertloses kann im Zuge künstlerischer Transformationen wertvoll werden, kulturell Geächtetes wird exponiert, Unerwünschtes kann Begehrenswert werden, Verlorenes wird gefunden, Hartes wird weich, Kleines wird groß oder umgekehrt.10 Der folgende Protokollauszug ist im Kontext der Aufbauphase einer Ausstellung entstanden, bei der ein Künstler mit der Sammlung eines Museums arbeitet. Auf Grundlage der von ihm angefertigten Zeichnungen sind von anderen Künstlern und Kunststudierenden im Sinne ›künstlerischer Mitarbeiter‹ ›kuriose‹ Dinge angefertigt worden, die in den Räumen der Sammlung zwischen den ständigen Exponaten platziert werden. Durch diese Intervention der Dinge soll die gegenwärtige Ordnung der Sammlung beziehungsweise der gezeigten Exponate irritiert und eine neue Wahrnehmungssituation in den musealen Räumen geschaffen werden:

10 Künstler und Werke, die unter anderem mit derartigen Umwertungen von Alltagsgegenständen und Materialien in Kunstgeschichte und Kunstwelt Berühmtheit erlangten, sind beispielswiese Marcel Duchamp mit seinen Readymades oder jüngst Maurizio Cattelan mit seiner Arbeit America; in Bezug auf Verhältnisumkehrungen sei hier beispielhaft Claes Oldenburg mit seinen weichen Objekten genannt.

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Ein künstlerischer Mitarbeiter beginnt die von ihm angefertigte, in Schutzfolie eingewickelte Arbeit auszupacken, alle Anwesenden schauen gespannt darauf, wie sich mehr und mehr ein Straußeneipokal zu erkennen gibt. Anwesend sind neben dem Künstler mehrere Kuratoren, künstlerische Mitarbeiter, Mitarbeiter des Museums sowie ich als Ethnografin. Auf dem in einen matt silbern anmutenden Pokal eingefassten Ei zeigt sich ein mit schwarzen Konturen gezeichneter Vogelstrauß, der den Kopf in den Sand steckt. Der Straußenhals, der aus der oberhalb des Eis befindlichen Fassung gleichsam herauswächst, ist absurd nach hinten gebogen. Der Pokal wird einem Mitarbeiter des Museums übergeben, der diesen mit einer von einem Handschuh bekleideten Hand entgegennimmt. Der Mitarbeiter tritt auf einer Leiter an die Wand heran, an der mehrere historische Straußeneipokale auf kleinen verzierten Simsen stehen. Er platziert den ›kuriosen‹ neuen Pokal vorsichtig zwischen den anderen historischen Straußeneipokalen, die dort im Zuge der Sammlung gezeigt werden. Die Blicke des Mitarbeiters gehen zum Künstler, der den Pokal mittels seiner Zeichnung beauftragt hat. Der Künstler macht eine leichte Geste in eine Richtung und der Mitarbeiter des Museums verschiebt den Pokal noch einmal um wenige Zentimeter. Ich schaue auf die Wand. Der Pokal fällt aufgrund seiner silbern angesprühten Oberfläche zwischen den ›Originalen‹ direkt auf, jedoch überlege ich, wie es wäre, wenn ein Besucher des Museums nicht wüsste, dass dort ein ›Fakepokal‹ eingeschleust wurde. Ich komme zu dem Schluss, dass man in Anbetracht der opulenten Wand mit all den Exponaten, goldenen Verzierungen und Spiegeln schon sehr genau hinsehen muss, um den ›Fake-Pokal‹ zu erkennen und muss schmunzeln. Ich schaue wieder zum Künstler: Dieser scheint nun mit der Position des Pokals zufrieden zu sein und betrachtet die mit dem von ihm entworfenen Pokal bestückte Wand.

›Die künstlerische Arbeit‹ erschließt sich hier weniger über den Straußeneipokal als isolierte Plastik, als vielmehr über das humoristische Konzept, das sich in den vorangegangenen vom Künstler angefertigten Zeichnungen und nun in den kleinformatigen von künstlerischen Mitarbeitern ausgeführten Plastiken in den Räumen des Museums materialisiert. Die Plastik – hier der nachempfundene ›kuriose‹ Straußeneipokal – ist aus günstigem Material hergestellt worden und wird nun zusammen mit historisch wertvollen und edlen Exponaten gezeigt. In dieser Weise spielen hier nicht allein ästhetische oder formale dingliche Qualitäten eine Rolle, sondern besonders historisch gewachsene kulturalisierte und sozialisierte Dingwertigkeiten treten mittels einer Kontrastierung hervor. Das in seinen materialen Qualitäten Profane (der silbern angesprühte ›Pokal‹ unter anderem bestehend aus einem verbauten Messingkerzenleuchter und einem eloxierten Eisbecher) trifft auf das Noble (die historischen Pokale aus Edelmetallen) und kommentiert Letzteres in humorvoller Weise. Mit dieser dinglichen Intervention als künstlerischer Eingriff in ein museales Setting sollen temporär in-

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stitutionalisierte und hypostasierte Dingordnungen des Museums zur Disposition gestellt werden. Zugleich wird aber auch das Profane und Absurde durch seine subversive Präsenz in dem Raum profiliert und gegenüber dem Originalen aufgewertet. Wie bereits in Bezug auf die im künstlerischen Prozess verwendeten Materialien angesprochen, werden auch die Dinge in ihren normativen Bezügen und kulturellen Einbettungen für künstlerisches Arbeiten zur Ressource, um eben diese Normativität und Konventionalität in ihrer scheinbaren Selbstverständlichkeit für denjenigen, der ›hinschaut‹, sichtbar zu machen. Aus Sicht der Ethnografin auf die Situation wird diese Aufwertung der Dinge in ihrer Behandlung zugleich durch die Anwesenden in situ hervorgebracht: Der künstlerische Mitarbeiter entpackt die Plastik vor den Augen aller, die auf das blicken, was sich vor ihren Augen enthüllt. Hierdurch wird ein Spannungsmoment erzeugt und das Entpackte wird in dieser »dramatischen Gestaltung« (Goffman 2009 [1969]: 31 ff.) exponiert. Auch die Übergabe an einen Mitarbeiter der Institution birgt eine ›Aufladung‹ der Situation. Der Handschuh zum vermeintlichen Schutze des Pokals lässt diesen zu einem ›unberührbaren‹ Gegenstand werden und trägt zu der »Fabrikation einer Aura« (Doering/Hirschauer 1997: 290) bei. Auch das vorsichtige Positionieren und präzise Ausrichten des Mitarbeiters verleiht dem Artefakt einen »Glanz« (Gadamer 1960: 110) und lässt es gleichziehen mit jenen Pokalen, die ihren ständigen Platz an dieser prunkvollen Wand gefunden haben. Dem Künstler, der die Umsetzung seiner Entwürfe in den Räumen zum ersten Mal sieht, kommt in der Situation gleichsam die Rolle des »Meisters der Dinge« (Röhl 2013: 79) zu, der ihre Platzierung dirigiert und diese in dem Ensemble, hier vermittelt über den Mitarbeiter des Hauses, mit perfektionistischer Präzision drapiert. Ich als Ethnografin und Anwesende der Situation schmunzele: So setzt – und hier kommt das künstlerische Konzept ins Spiel – das Artefakt seiner Auratisierung in seiner Profanität, seiner ›unechten‹ Erscheinung und seinem Witz beständig etwas entgegen. Es scheint sowohl auf die ihm Huldigenden als auch die originalen Pokale leicht spöttisch ›herabzuschauen‹ und sämtliche Wertigkeiten und dinglichen Hierarchien zwinkernd zu belächeln. Kurzum: Der Bruch mit konventionalisierten Dingordnungen funktioniert hier aus ethnografischer Sicht auf zwei Ebenen: auf der Ebene des künstlerischen Konzepts, das die Ordnung der Sammlung vorführt und ›antastet‹, und auf der Ebene der sozialen Situation, in der die Anwesenden das Artefakt in actu besondern. In Bezug auf die künstlerische Arbeit wird demnach der konzeptionelle Rahmen relevant, der den Eingriff in die bestehende(n) Ordnung(en) der Dinge wahrnehmbar werden lässt. Dieser geht von einem geteilten Wissen und einer sozialisierten und kulturalisierten Ordnung der Dinge aus, die sich in der Sammlung des Museums und deren Präsentation durch ihre Störung thematisiert. So

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lässt das Konzept in einer solchen ›Schau der Dinge‹ in ihrer Intention des Irritierens bestehender dinglicher Ordnungen eine Analogie zur bereits erwähnten Ausgangsfrage der Garfinkel’schen Krisenexperimente (Garfinkel 2008 [1967]: 37) aufscheinen, die da lautet: »What can be done to make trouble?« Auch hier besteht die Logik darin, dass durch die (geordnete) Herstellung von Unordnung die alltägliche Ordnung des Sozialen sichtbar wird. Das Platzieren der Plastiken innerhalb der Sammlung folgt einem ähnlichen Anspruch: Die Dinge sollen wohlorganisierten trouble verursachen. In dieser Weise tragen die intendiert eingesetzten Dinge in ihren normierten Einbettungen und kulturellen Wertigkeiten dazu bei, verfestigte dingliche Ordnungen im Museum und seiner Sammlung mittels künstlerischer Strategie zu zeigen beziehungsweise aufzuzeigen. Halten wir bis hier hin fest: Dinge im Vollzug künstlerischen Arbeitens werden zunächst auch als Material für etwas relevant, um mit, aus und an ihnen wiederum anderes hervorzubringen. So werden Dinge im doppelten Sinne artifiziell: Als ›Gemachtes‹ und schon ›Fabriziertes‹ gehen sie in ein Machen und Arbeiten ein, das sie in ihrer ›Gemachtheit‹ noch einmal sichtbar werden lassen und zeigen kann. In ihren praktischen Bezügen, aber auch in ihren Erscheinungen bringen sich die Dinge mit ihren Eigenheiten in künstlerische Prozesse ein. So sind Dinge immer aus etwas, was sichtbar wird und zugleich sind sie etwas, dem schon Verwendung, Verwendungsgeschichte sowie Normierung innewohnt, was künstlerischem Arbeiten und seinem konzeptionellen Umgang mit den Dingen zur Ressource werden kann. Dinge in der Praxis künstlerischen Arbeitens und im Rahmen künstlerischer Arbeiten, die sich als solche zeigen, sind daher auf mehreren Ebenen und im Hinblick auf verschiedene Dimensionen anschlussfähig. So verweisen sie auf ihre Verwendung und zugleich bieten sie Sichtbarkeiten an, die über ihren sonstigen Verwendungszusammenhang hinausgehen, der im Kontext der sich zeigenden Arbeit eingefangen, angedeutet und exponiert wird.

R ÄUMLICHE E INBETTUNGEN . Z UM A RBEITEN IM A TELIER UND MIT DEM R AUM DER A USSTELLUNG Künstlerisches Arbeiten ist immer auch räumlich eingebettet, wobei Räume und ihre Qualitäten zugleich Einfluss auf die Hervorbringung, Entwicklung und Konzipierung von künstlerischen Arbeiten nehmen können. Fragen, die in diesem Zusammenhang relevant werden, sind sowohl pragmatisch als auch ästhetisch und konzeptionell motiviert, solche Fragen lauten etwa: Wie groß kann eine Arbeit werden, um sie aus Räumen und in Räume zu transportieren? Wie sieht der Ausstellungsraum aus, in dem eine Arbeit aufgebaut, gehängt oder ge-

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stellt wird, und was ›macht‹ ein bestimmter Raum mit einer solchen Arbeit, die (Um-)Raum beansprucht? Unter anderem derartige Fragen gehen in künstlerische Arbeitsprozesse mit ein – insbesondere in solche, in denen zu einem frühen Zeitpunkt klar ist, in welchem Raum eine Arbeit gezeigt werden soll. In dieser Weise sind Räume an künstlerischer Praxis in verschiedenen Bezügen beteiligt. Mit dem Fokus auf die Räume künstlerischen Arbeitens tritt zunächst die Frage nach dem Wo hervor: Wo sind solche Räume, in denen ein solches Arbeiten lokalisierbar wird und was für eine Rolle spielen sie? Viele Künstler arbeiten auch heute in Ateliers und Studios, aber auch an den jeweiligen Ausstellungsorten. Künstlerisches Arbeiten lokalisiert sich demnach in verschiedenen Räumen. Zugleich bringt es in seinen Vollzügen und auch Materialisierungen spezifische Räume hervor, in denen Technik, Licht, Materialien, Gebrauchsgegenstände, Archive, gelagerte Arbeiten, Entwürfe und auch freie Flächen versammelt werden.11 Das Arbeiten an Ausstellungsorten ist – anders als im Atelier – meist von einer anderen zeitlichen und räumlichen Verfasstheit gekennzeichnet. Es bezieht sich auf den Zeitraum der Ausstellung und ihrer Vorbereitung, die oftmals nach einigen Wochen oder Monaten endet – und mit ihr die entstandene räumliche Situation. So lassen sich grob zwei räumlich verfasste Kontexte unterscheiden, die Einfluss auf die Art und Weise der Entwicklung künstlerischer Arbeiten nehmen können: Einmal werden Arbeiten schon von vornherein im Hinblick auf den Ort ihrer Ausstellung hin entworfen. Zeitrahmen und räumliche Bedingungen des Ausstellungsortes sind dem Künstler in solchen Fällen oftmals bekannt und vorgegeben, sodass die erwartete Ausstellungssituation Einzug in die Entwicklung einer Arbeit nehmen kann – denken wir beispielsweise an die mit den Maßen des Ausstellungsraums entwickelte architektonische Rauminstallation, die Arbeit der Künstlerin mit den Messingketten oder an die Eingriffe in die bestehende Sammlung des Museums durch den Künstler, der hierfür extra kuriose Exponate hat anfertigen lassen. Eine andere Situation liegt vor, wenn Arbeiten im Atelier ohne einen absehbaren räumlich feststehenden Anlass ihrer Ausstellung entstehen und erarbeitet

11 Nach Schroer (2006: 174 ff.) finden das sogenannte »Behälter-Raumkonzept« und ein relationales Raumverständnis in Ergänzung zueinander ihre Berechtigung, wie auch die beiden Dimensionen des Physischen und Sozialen im Zusammenwirken Raum hervorbringen und konstituieren. Vor dem Hintergrund einer Perspektive, in der Materialität und Sozialität im Sinne sozio-materieller Arrangements nicht voneinander getrennt gedacht werden, wird eine dualistische Betrachtung des physischen und sozialen Raums aufgegeben, da Soziales und Materielles beziehungsweise Physisches einander bedingen.

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werden. Hier ist der Referenzrahmen ein anderer, wobei beide hier differenzierten Arbeitsmodi von Übergängen geprägt sein können. Ein Beispiel hierfür ist etwa, wenn eine noch nicht abgeschlossene Arbeit im Atelier eines Künstlers von einem Kurator oder Galeristen für eine bestimmte Ausstellung ›gecastet‹ wird, so kann die Arbeit einmal weitergehend an den Raum angepasst werden, oder aber der Raum wird in seinen Qualitäten, soweit möglich, auf die Arbeit hin vorbereitet. Arbeiten, die im Atelier oder Studio unabhängig von der Lokalität ihrer Ausstellung entwickelt werden, sind oftmals so angelegt, dass sie anderen Ortes ausgestellt werden können – ihre Transportierbarkeit wird ihnen eingearbeitet, zum Beispiel, dass großformatige Arbeiten sich auseinanderbauen lassen, um sie durch Türen zu tragen und verladen zu können. Solche Arbeiten sind mobil und flexibel aufbaubar. Auch derartige auf den ersten Blick pragmatische Entscheidungen des Wo und Wofür fließen in die Konzeption und Entwicklung künstlerischer Arbeiten ein, wie etwa bezüglich des Formats, der Größe, des Gewichts oder der Kostenintensität einer Arbeit. So ist künstlerisches Arbeiten eingebettet in räumliche Kontexte, die Möglichkeiten des Arbeitens bieten und die in ihrer Verfasstheit zugleich mit und durch künstlerisches Arbeit entstehen. Auch wenn sich künstlerisches Arbeiten neben dem Atelier und Ausstellungsraum auch in andere Räume professioneller Hersteller und Dienstleister sowie in temporäre und alternative ›Projekträume‹ oder auf öffentliche Plätze verlagern kann, lokalisiert es sich in der Regel nach wie vor oftmals in diesen beiden Räumlichkeiten, die im Folgenden näher in den Blick genommen werden. Arbeiten im Atelier. Denken, arbeiten und ›nichts tun‹ Das Atelier ist im Hinblick auf verschiedene Künstler (beispielswiese Seidner 2000; Molderings 2009; Peppiatt 2013), Kunstwerke (beispielswiese Hofmann 2010) sowie seine Bedeutung für künstlerische Produktionsweisen und Selbstverständnisse (beispielsweise Wagner/Diers 2010; Reuter 2012; O’Doherty 2012) von Kunsthistorikern, Kunstwissenschaftlern und Kunstkritikern beleuchtet worden. Nicht selten wird es heute durch den Begriff des »Labors« (van den Berg 2012) oder »Labs« (Scott 2010) substituiert, um künstlerisches Arbeiten im Paradigma der Kreativität (Reckwitz 2012) und experimentellen Wissensproduktion zu verorten.12 Aus ethnografischer Perspektive ist der Begriff des Ateliers nach wie vor im Feld der Kunst im Gebrauch – viele Künstler lokalisieren ihr

12 An dieser Stelle sei erwähnt, dass der Begriff der »Kreativität« im Feld der bildenden Kunst ein schwieriger ist, da sich seine Teilnehmer von ihm distanzieren (siehe hierzu auch van den Berg 2009).

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Arbeiten »im Atelier«. Ateliers sind entsprechend ihrer individuellen Arbeitsweisen eingerichtet – vom sterilen Raum, in dem lediglich ein Tisch, ein Hocker und ein Laptop stehen, bis hin zu ausgestatteten Werkstätten habe ich diverse Ateliers im Kontext der Studie betreten. Das Atelier tritt – je nach seiner Ausstattung und Inanspruchnahme des in ihm Arbeitenden – in verschiedenen Bezügen auf: Es bietet Raum zum Arbeiten, aber auch Raum, um sich zurückzuziehen. Diesen Bezügen oder gar Beziehungen zwischen künstlerischem Arbeiten und Atelier wird im Folgenden aus ethnografischer Sicht weiter nachgegangen. So habe ich im Rahmen meines Aufenthalts in der Villa die dort lebenden und arbeitenden Künstlerinnen und Künstler auch in ihren Ateliers besucht, wobei der Raum als solcher in der Situation immer wieder präsent (gemacht) wurde – hierzu ein Protokollausschnitt: Wir gehen durch das Atelier von E., das sie vor wenigen Monaten im Zuge ihres Stipendiums erst bezogen hat. E. zeigt mir katalogisierte Arbeiten, Fotografien von Videoarbeiten und Performances. Auch geht sie auf die gegenwärtig im Atelier entstehenden Arbeiten ein. Die an der Wand hängende Stoffarbeit spielt auch für das eine Rolle, was sie gerade näht, so ist ihrer Aussage nach »wichtig, dass das dann auch da hängt«. Verschiedene Stoffe liegen bereits zugeschnitten und ausgebreitet auf dem Tisch. In ihrem Schnitt ähneln sie den an der Wand hängenden Arbeiten. An der gegenüberliegenden Wand hängt eine schwarze Plastiktüte mit silbernen Totenschädeln drauf. E. kommentiert meinen Blick auf die Tüte damit, dass sie diese Tüte schon in ihrem letzten Atelier im Raum aufgehängt habe: »Die kommt immer mit.« Sodann berichtet E. von geplanten Projekten: In Anbetracht kleinformatiger, an der Wand hängender fotografischer Skizzen erörtert sie mir gegenüber, was sie in der nächsten Zeit machen möchte. Sie plant ein »Couchprojekt«, das heißt: Sie möchte im Zuge dieses Vorhabens verschiedene Sofas und Couches in verschiedenen Wohnräumen fotografieren – die Couch als psychologisch aufgeladener Topos und Bestandteil zeitgenössischer Wohnkultur soll befragt und in den Blick genommen werden. Im Zuge ihrer vorherigen Lehrtätigkeit an einer Akademie und der dortigen studentischen Wohnkultur hat E. ihrer Erzählung nach ihr Interesse für Couches entdeckt – erste Skizzen hierzu gibt es bereits, die sie an eine Wand des Raumes geklebt hat. An der anderen Seite hängen Arbeiten, die bereits fertig sind. Sie schaut sich im Raum um und sagt zu mir, dass sie sehr froh darüber sei, nun einen solchen Raum zum Arbeiten zu haben. In diesem Atelier hat sie, so E., zum ersten Mal das Gefühl, dass es zu einer »Synthese« der verschiedenen Arbeiten, Phasen und Projekte komme: »Alles arbeitet miteinander. Für mich ist das Atelier immer auch ein Ort zum Denken, ein Denkraum.«

Das Atelier tritt als Raum in Erscheinung, in dem Dinge, Bilder, Texte und Arbeiten Erinnerungen und Narrationen freisetzen, die auf Vergangenes (Kataloge,

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Pressetexte zu abgeschlossenen Projekten, archivierte Arbeiten), Gegenwärtiges (derzeitig begonnene Arbeiten) und Zukünftiges (Fotografien und Textskizzen zu Vorhaben und in Planung befindlichen Projekten) verweisen – künstlerisches Arbeiten wird hier auch in seinen biografischen und zeitlichen Bezügen relevant. Die im Raum befindlichen Arbeiten, Bilder und Texte regen die Künstlerin zu Narrationen bezüglich ihrer Arbeitsbiografie an, deren ›Geschichte‹ sich mit Bezugnahme auf die versammelten Dinge materialisiert. Arbeiten, die für das eigene Machen und Tun wichtig sind oder waren, hängen an den Wänden oder stehen auf dem Boden. Sie zeigen im Raum Präsenz und verweisen auf Stationen des Arbeitsprozesses und dessen Geschichte. Skizzen und Entwürfe, begonnene und unabgeschlossene Arbeiten liegen bereit und scheinen die Künstlerin zusammen mit den an der Wand hängenden ›fertigen‹ Arbeiten zum Weitermachen aufzufordern. Die präsenten Arbeiten treten gleichsam als ›Zeugen‹ einer bisherigen künstlerischen Biografie oder auch Künstlerbiografie auf. Das Atelier tritt hier auch als Raum hervor, in dem die Arbeitende sich mit dem umgibt, was sie bereits gemacht hat, was sie derzeit macht und was sie in Zukunft vorhat zu machen – Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft treten in Kontakt, mit den Worten der Künstlerin: »Alles arbeitet miteinander«. Die anwesenden Dinge treten in Beziehung, so zeichnet sich in Anbetracht der katalogisierten Arbeiten und Projekte, der daliegenden unabgeschlossenen Arbeiten und der auf weitere Vorhaben verweisenden Skizzen und Zeichnungen gleichsam ein Prozess der ›Alterung‹ des Arbeitens in seinem Werdegang ab. Die ›Anwesenheit‹ der präsenten Arbeiten im Raum scheint für die Künstlerin ihr Arbeiten im Vollzug zu beeinflussen und anzutreiben. Der Arbeitsprozess wird für die Arbeitende anhand verschiedener Bilder, Kataloge aber auch präsent gemachter Arbeiten sichtbar und verortet das gegenwärtige Arbeiten in einer Zeitlichkeit im Sinne von ›derzeit‹, ›momentan‹, ›gerade‹ und ›aktuell‹, das im Verhältnis steht zu ›damals‹ und ›früher‹ sowie zu ›später‹ oder ›irgendwann‹. Insofern wird das Atelier hier auch als ein biografischer Raum präsent, der die künstlerische Entwicklung in ihren verschiedenen Spuren und Dokumenten, Artefakten und Ausblicken sichtbar werden lässt. Auch wird das Atelier als ein »Ort zum Denken« oder als ein »Denkraum« seitens der Künstlerin beschrieben. Es wird als Raum bedeutsam, in dem E. in Anbetracht der Dinge überlegt, nachdenkt, etwas ausdenkt oder umdenkt. Um einen solchen Raum zu schaffen, bedarf es einiger Objekte, die eine gewisse Kontinuität suggerieren, wie etwa die Tüte, die E. fast dekorativ in ihren Ateliers, so auch in diesem, an einer Wand befestigt hat. So scheinen die im Atelier befindlichen Dinge und auch die präsenten künstlerischen Arbeiten in ihrer Anwesenheit für das Entwickeln und Hervorbringen weiterer und neuer, anderer

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oder ähnlicher Arbeiten für die Künstlerin eine Rolle zu spielen – künstlerisches Arbeiten wird hier auch als ein relationales Arbeiten sichtbar: Das zu Machende steht in zeitlicher und nicht zuletzt räumlicher Beziehung zum zuvor Entwickelten und Erarbeiteten. Hierzu ein weiterer Protokollausschnitt, der aus dem Besuch einer anderen Künstlerin in ihrem Atelier hervorgegangen ist: K. und ich stehen in ihrem Atelier. Einige frisch grundierte Leinwände trocknen gerade. An zweien der Wände hängen im rechten Winkel zueinander Bilder: Malereien, die bereits abgeschlossen beziehungsweise gerade fertig geworden sind. K. scheint zu sehen, dass mein Blick an den Bildern hängen bleibt. Sie sagt: »Die Bilder, so, wie sie da hängen, gehen ein Gespräch ein. Das kann man humorvoll verstehen, aber auch ernst nehmen.«

Auch hier werden die im Atelier versammelten und präsent gemachten Dinge und Hervorbringungen seitens der Künstlerin in Beziehung zueinander gesetzt. Nicht das isolierte ›Werk‹ steht im Fokus, sondern bestimmte Arbeiten werden in Relationen betrachtet, die das Arbeiten selbst zu einer ständigen Frage werden lassen. Wo kann wie angeschlossen werden? Was gehört zusammen und was gehört zu etwas Anderem – woran zeigt sich das? Das Atelier kann verbunden mit dem in ihm Arbeitenden zu einem eigenen und individualisierten Raum werden, in dem über vergangene, gegenwärtige und zukünftige Arbeiten und somit auch den Arbeitsprozess in Anbetracht der versammelten Dinge räsoniert wird. In dieser biografischen und reflexiven sowie ›mentalen‹ Relevanz, wird dem Atelier des Einzelnen auch eine gewisse Intimität zugewiesen. Es wird zu einem Raum, der Arbeitspraktiken und Arbeitsbiografien in ihren Narrativen und Materialisierungen preisgibt, aber auch zu einem Raum, der das Reflektieren und Überlegen in seinen praktischen Vollzügen Anderen gegenüber im Verborgenen hält. Diese sich entziehende und verschließende Seite des Arbeitens im Atelier ist auch mir als Ethnografin begegnet und soll an dieser Stelle weitergehend ›zum Sprechen‹ gebracht werden. So verweist ein Künstler auf das Problem des Beobachtens seines Arbeitens im Atelier in folgender Weise: Das wird schwierig, das alltägliche Arbeiten im Atelier zu beobachten, denn ich tue an manchen Tagen auch einfach mal nichts, ich lese oder trinke Kaffee, schau mir Arbeiten an und überlege. Wenn jemand vorbeikommen würde, um mich extra beim Arbeiten zu beobachten, dann würde ich mir vorher was ausdenken, was ich dann machen kann und das mache ich nicht, wenn ich alleine arbeite.

Das Atelier wird seitens des Künstlers auch als ein Ort markiert, an dem ›Zeit verbracht‹ wird. Es wird zu einem Rückzugsort für ein Arbeiten ›im Stillen‹,

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dessen Praxis auch darin besteht, Arbeiten anzuschauen, etwas zu überlegen und in Abgeschiedenheit zu entwickeln. Auch wird es als ein Ort des Verweilens beschrieben – als ein Ort des ›Nichtstuns‹. Das Atelier des Einzelnen erweist sich als ein geradezu ›intimer‹ Ort, an dem es vorgesehen sein kann, allein zu arbeiten, sodass die Präsenz von Anderen während des Arbeitens eine Irritation und eine Intervention in dessen Alltäglichkeit bedeutet.13 Das Arbeiten an diesem Rückzugsort folgt nicht unbedingt dem Selbstverständnis eines fortlaufenden und fest getakteten ›Schaffens‹ oder ›Produzierens‹. So bietet das Atelier neben verschiedenen, je nach Arbeitsweisen ausgestatteten Arbeitsplätzen (beispielsweise Tisch, Laptop, aufgebaute Werkzeuge und Maschinen) Raum zum Denken, zum Anschauen von etwas, zum Lesen und auch zum Zeitverbringen. Zeugen hierfür sind beispielsweise Sessel und Sofas im Atelier, die dazu einladen, das ›Schaffen‹ zu unterbrechen. Das Arbeiten an diesem Ort muss sich nicht ständig in seiner ›Produktivität‹ aufführen; der Arbeitende macht sich nicht andauernd in seinem Schaffen für Andere sichtbar. Der Alltag in einem derartigen Atelier ist nicht auf Beobachtbarkeit des Arbeitsvollzugs in einer sich permanent zeigenden und darstellenden Produktivität ausgerichtet; er ist nicht zwingend darauf angelegt, Umtriebigkeit, Geschäftigkeit und Resultate Anderen gegenüber zu perform(-ier-)en. Das ›Nichtstun‹ in seinen Weisen mag sich Anderen als ›untätige Tätigkeiten‹ darstellen (Kaffee trinken, lesen, überlegen, wie es mit dieser oder jener Arbeit weitergehen wird) – und dennoch kann in eben diesem ›nichts tuenden Tun‹ viel passieren, was jedoch im Bereich des Nichtbeobachtbaren und demnach im Verborgenen bleibt. Das Atelier wird auch als Rückzugsort und Privatraum adressiert: Es wird durch den in ihm Arbeitenden nicht nur als Arbeitsraum im engeren Sinne benutzt, sondern in gewisser Weise bewohnt.14 Ein auf Beobachtbarkeit angelegtes Ausführen von zuvor seitens des Künstlers ausgedachten und vorbereiteten Tätigkeiten käme hier einer ›aufgeführten Aufführung‹ gleich – etwa einer Performance, die die Produktion ›guter Beobachtbarkeit künstlerischen Arbeitens‹ zur Darstellung bringt. Das Überlegen und Entwickeln künstle-

13 Anders verhält sich die Situation in Großraumstudios und Ateliers, in denen seitens der Künstler viele Assistenten und Mitarbeiter beschäftigt werden. Derartige ›Großräume‹ künstlerischen Arbeitens sind in ihrer Kostenintensität jedoch nur den wenigen Künstlern vorbehalten, die die notwendige Kapitalstärke aufwenden können, um solche Räumlichkeiten zu unterhalten. Der Großteil der Künstler arbeitet in Einzel- sowie Gemeinschaftsateliers. 14 Siehe zur Verschränkung von Wohnen und Arbeiten im künstlerischen Feld auch Bell 2013.

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rischer Arbeiten in actu würde jedoch unsichtbar bleiben. Überlegende und denkende Vollzüge künstlerischer Arbeitsprozesse zu beobachten, wird trotz der ›Privatheit‹ des Ateliers dann möglich, wenn der Beobachtende kein ›Fremder‹ beziehungsweise kein externer ›Besucher‹ oder ›Gast‹, sondern vielmehr ›Vertrauter‹ oder temporärer ›Mitbewohner‹ des Ateliers ist und er die Situation für den Arbeitenden oder auch ›arbeitenden nicht Arbeitenden‹ durch seine Präsenz nicht wesentlich verändert. Eine andere Möglichkeit besteht darin, künstlerisches Arbeiten in seinen wahrnehmend-denkenden Vollzügen innerhalb ›öffentlicher‹ oder ›halböffentlicher‹ Settings in den Blick zu nehmen, die seine Beobachtbarkeit von vornherein in die Arbeitssituation implementieren. Halten wir fest: Das Atelier zeigt sich nicht unbedingt als ein funktional differenzierter Raum, der nur auf bestimmte Arbeitspraktiken festgelegt ist. Darüber hinaus kann es auch zu einem individualisierten Raum werden, der künstlerische Biografien auftreten lässt, sowie zu einem Raum des Rückzugs für den Einzelnen. So bietet es eine Möglichkeit, künstlerisches Arbeiten in seinen Zugänglichkeiten und Unzugänglichkeiten zu organisieren und zu verorten. Arbeiten mit Raum. Austarieren und abstimmen Nicht nur künstlerische Arbeiten und Dinge ›intervenieren‹ in Räume, transformieren diese zu Wahrnehmungs- und Erfahrungsräumen und verändern ihre Wirkung. Auch Räume können auf künstlerisches Arbeiten einwirken, indem sie zum Beispiel einen ästhetischen Kontext anbieten: Sie halten bestimmte Optiken bereit, bieten Flächen an und ermöglichen künstlerischen Arbeiten, ›Platz‹ zu haben, um sich zu zeigen. Sie lassen Fragen nach der Anordnung der Arbeiten beziehungsweise Werke im Raum hervortreten, wie etwa in Bezug auf Näheund Distanzverhältnisse, auf Deckenhöhen und Oberflächen und halten eigene Wirkungen und Wahrnehmungspotenziale bereit. Raum kann im Künstlerischen gleichsam zum Material werden beziehungsweise zum »Mittel, durch welches eine Stellung der Dinge erst möglich wird« (Merleau-Ponty 1974: 284). In seinem Volumen, seinen Oberflächen und seinem Kontext gestaltet er künstlerische Situationen mit. Zugleich geht es immer auch um die »[…] Möglichkeiten und die Chancen der Akteure bei der Konstituierung, dem Aufbau und der Gestaltung von Räumen« (Schroer 2006: 175) mitzuwirken und einen konsistenten Raum des Wahrnehmens und Erfahrens hervorzubringen. Wie aber entsteht ein bestimmter Raum? Wann hat ein Künstler den Raum mit seinen Arbeiten ›im Griff‹? Wie spielen das zu Zeigende im Raum und der Raum des Zeigens zusammen? Wie werden dem Raum bestimmte Wege oder auch eine ›Dramaturgie‹ eingeschrieben? Vor dem Hintergrund derartiger Fragen wird Raum mehr

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als nur eine äußere Bedingung für das, was sich in ihm abspielt – er geht auch in künstlerische Entscheidungen und Arbeitsprozesse mit ein. Folgender Protokollauszug geht aus der Begehung eines Ausstellungsraumes gemeinsam mit einer Künstlerin und einem Künstler hervor, die zusammen eine Arbeit in Bezug auf den Raum der Ausstellung hin entwickelt haben: Ich stehe mit L. und A. im Raum ihrer gemeinsamen Ausstellung. Der Raum wirkt wie eine Art Loft: Links mittig ist ein rundes Bett aufgebaut, auf dem diverse Dinge liegen, so als hätte sie der Bewohner des Lofts achtlos darauf geworfen. Vitrinen mit Dekoration sowie Fotografien in beleuchteten Vitrinen sind an den Wänden angebracht. Ein überdimensionaler Streifen mit Fotografien der beiden Künstler in Fotoautomaten-Posen hängt von einem Haken an der Decke mitten im Raum. L. sagt beim Herumgehen: »Wir kannten den Raum schon vorher und haben die Installation genau darauf abgestimmt. Erst sind wir mit einem großen LKW voller Dinge angereist, von denen wir dachten, wir könnten sie gebrauchen. Dann haben wir vieles im Raum aufgebaut, aber nach und nach hat sich das immer weiter reduziert, bis wir dachten: So soll es jetzt bleiben. Sonst wäre der Raum viel zu voll geworden und die einzelnen Dinge hätten kaum Luft bekommen. Zuerst denkt man, der Raum ist so groß, den muss man füllen, und dann ist doch ziemlich viel wieder rausgeflogen.«

In diesem Fall wird der Raum seitens der Künstler von vornherein in die Arbeit – eine raumgreifende Installation – einbezogen; ein Wissen bezüglich des Raumes und seiner Möglichkeiten, seiner Ästhetik – die Wände sind aus Beton – und seiner Größe geht der Entwicklung der Arbeit voraus. Auch wenn die Künstler bestimmte Erwartungen an das räumliche Arrangement ihrer Arbeiten beziehungsweise ihrer Installation haben, bleibt das Arbeiten mit den Dingen im Raum von Situativität gekennzeichnet – wie L. formuliert: »[…] aber nach und nach hat sich das immer weiter reduziert«. Geplant haben die beiden Künstler, mit verschiedenen gebauten und zum Teil gekauften Alltagsgegenständen, wie etwa einem Bett und einem Greifautomaten, eine Loft-ähnliche Situation zu schaffen, sodass der Ausstellungsraum zugleich eine weitläufige Wohnzimmeratmosphäre suggeriert, die jedoch wiederum durch die Vereinzelung der Dinge auch in gewisser Weise gebrochen wird. So sollen die Exponate jeweils ihren eigenen Raum im Raum erhalten, das heißt, sie werden in einer großzügigen Distanz mit viel Umraum zueinander platziert, der zunächst einmal hervorzubringen ist – in der Sprache der Künstlerin: »[…] die einzelnen Dinge hätten kaum Luft bekommen«. Die imposante Größe des Ausstellungsraumes in seinem Volumen hat die Erwartung bei den Künstlern erzeugt, dass es eine Vielzahl an Dingen braucht, bis der Raum ausgefüllt ist. Hier zeichnet sich ein Balanceakt ab, der

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darin besteht, einmal den Rahmen der Ausstellung einer Installation mit Dingen im Raum beizubehalten und andererseits den Raum als Teil der Arbeit einzubeziehen, sodass auch die Räume zwischen den gestellten und gehängten Dingen als Bestandteil der Installation ›gelesen‹ werden können und die versammelten Dinge sich als eine Arbeit zu erkennen geben. Künstlerisches Arbeiten vollzieht sich hier sodann als Prozess des Austarierens und Abstimmens zwischen Raum und Dingen: Der Raum versammelt die Dinge und die Dinge bringen zugleich Zwischenräume, Blickachsen, Perspektiven und Wege für denjenigen hervor, der sich durch den Raum beziehungsweise die (Zwischen-)Räume bewegt. Wie weit steht das Bett im Raum? Wie korrespondieren die Vitrinen an der Wand mit den Möbeln im Raum? Wie soll wo was im Kontext der zuvor konzipierten Arbeit platziert werden? Wann ist der Raum zu voll, wann erscheint er zu leer? In diesem Sinn wird Raum mehr als ein ›Behälter‹ oder, wie Löw (2001: 130) im Hinblick auf ein relationales Raumverständnis argumentiert, er wird nicht zur »starren Folie« für die Bewegung von Dingen und Menschen, sondern entwickelt eine eigene Dynamik mit Wahrnehmungs- und Erfahrungspotenzial. Im künstlerischen Prozess wird Raum in seinen Qualitäten einbezogen – in diesem Beispiel rahmt er in seinen Begrenzungen, die aus versammelten Dingen hervorgehende Arbeit als solche und zugleich deren Ausstellung. Zudem wird der (Ausstellungs-)Raum in seiner Betonoptik und seinem großflächigen, fast quadratischen Schnitt und seiner hohen Decke zu einem Teil dieser – so erzeugt er mit seinen Betonoberflächen die seitens der Künstler intendierte Loft-Atmosphäre und erinnert an Industriekultur. Der Prozess der Selektion und Reduktion der Dinge im Raum wird hier als eine Strategie beschreibbar, mit der die versammelten Dinge dem Raum und seinen Wahrnehmbarkeiten angepasst werden; zugleich wird der Raum in seinen restriktiven Potenzialen adressiert: Erst im Vollzug des Arbeitens mit dem Raum und mit den Dingen im Raum, kann Raum als Bestandteil der Installation hervorgebracht werden. Durch das Reduzieren der im Raum angeordneten Dinge gibt sich die Stimmigkeit des Raums zu erkennen, die darin besteht, dass dieser als Bestandteil der Arbeit erkennbar wird. Hierzu scheint die Anwesenheit der beiden Künstler im Raum als Voraussetzung, so können sie die Passung zwischen Dingen und Raum erst vor Ort beziehungsweise im Raum beurteilen. In dieser Weise wird auch die leiblich erfahrbare räumliche Situation für künstlerisches Arbeiten relevant – hier, um mit dem Reduzieren der Dinge im Raum ab einer gewissen erzeugten ›Leere‹ zu erkennen, zu sehen und zu beschließen, wann die Anordnung welcher Dinge im Rahmen der raumgreifenden Installation stimmig ist. So geht es in diesem Fall auch um die Hervorbringung eines bestimmten Wahrnehmungs- und Erfahrungsraumes im Kontext der künstlerischen

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Arbeit, der die Ambivalenz zwischen Ausstellungsraum und dem Raum als Teil der Arbeit beziehungsweise Installation erkennbar werden lässt. Auch der Raum hält demnach Wendungen und Abweichungen, Variationen und Perspektivität für künstlerisches Arbeiten mit ihm bereit. Erst in seiner leiblichen Wahrnehmbarkeit und Erfahrbarkeit in actu ist er an der Stellung der Dinge beteiligt (Merleau-Ponty 1974: 284 ff.). Räume und Räumlichkeiten können in ihren Eigenheiten und Relationen Einfluss auf künstlerische Entscheidungen in situ nehmen sowie Unvorhersehbarkeiten im Zuge des Arbeitens in ihnen und mit ihnen offenbaren. Insofern ist auch Raum eine kontingente Ressource für künstlerisches Arbeiten, die auf unterschiedliche Weise zu dessen Bestandteil werden kann.

A RBEITEN ENTWICKELN . Z WISCHEN P LANUNG UND O FFENHEIT Die Praxis künstlerischen Arbeitens hat sich bis hierhin als eine vielfältige gezeigt, die verschiedene Teilnehmer und Teilnehmerschaften in ihren Dienst stellt und versammelt: Der Künstler(-körper), der sich mit Werkzeugen und Technik an die Arbeit macht; das Material, das zunächst zu einem solchen gemacht wird und sodann hinsichtlich seiner Einsatzmöglichkeiten und ästhetischen Qualitäten beforscht, befragt und bearbeitet wird; die Dinge, die gesucht und ausgesucht, transformiert und modifiziert werden, können in ihren Eigenheiten auf verschiedene Weise in künstlerische Prozesse einbezogen werden und speisen wiederum ihrerseits Möglichkeiten und konzeptionell interpretative Ressourcen und Anschlüsse in das Arbeiten mit ihnen zurück; auch räumliche Kontexte nehmen Einfluss auf das Arbeiten und seine Möglichkeiten, sodass auch Raum zu einer Frage des künstlerischen Prozesses werden kann. Im Bereich der bildenden Kunst und ihrem Arbeiten haben wir es mit einer Praxis zu tun, die sich in ihrem Wie, Was und Wo ständig transformiert und modifiziert und die sich zudem mit ihren Transformationen und Modifikationen auseinandersetzt. Künstlerisches Arbeiten ist hiernach wissensbasiertes, aber auch ein wahrnehmend-denkendes Arbeiten, das einhergeht mit Vorhaben, Ideen, Überlegungen und Befragungen dessen, was wie entstehen kann, und dem, was bereits entstanden ist.15 In dieser

15 Denken und Wahrnehmen gehen in der Phänomenologie Merleau-Pontys gleichsam in eine Bewegung über: »Die Wahrnehmung muß als dieses fragende Denken begriffen werden, das die Wahrnehmungswelt eher sein läßt, als daß es sie setzen würde, und vor dem die Dinge werden und entwerden in einer Art gleitender Übergänge diesseits von Bejahung und Verneinung« (Merleau-Ponty 2004: 138).

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Weise ist die Praxis künstlerischen Arbeitens durchsetzt von Überlegungen und Gedanken, Konzeptionen und Vorhaben, die im Austausch zwischen Künstler und seiner Um-Welt beziehungsweise zwischen Wahrnehmen und Wahrnehmbaren entstehen. In diesem Kapitel wird der Versuch unternommen weitergehend in die Prozesse vorzudringen, die einmal das Darstellen eines geplanten künstlerischen Vorhabens gegenüber Dritten betreffen und die sich zudem im künstlerisch involvierten Wahrnehmen und Sehen im Vollzug der Hervorbringung einer sich mehr und mehr zeigenden Arbeit entwickeln. So hat sich bis hierher gezeigt: Künstlerisches Arbeiten lässt sich nicht allein in Form äußerlich zugänglicher sozio-materieller sowie körperlich-dinglicher Praktiken beschreiben; es lässt sich auch nicht nur im Sinne technischer und routinierter Abläufe erfassen. Künstlerisches Arbeiten ist durchdrungen von Reflexivität im Sinne einer Selbstbezüglichkeit gegenüber den eigenen Hervorbringungen sowie Intentionalität, die sich auch auf die Entstehung der jeweiligen Arbeit in ihrem Wie und Was richtet. Eine Anforderung eines solchen Arbeitens besteht mitunter darin, zukünftige Vorhaben zu planen und zu entwickeln: Dieses Planen und Konzipieren geschieht oftmals in Verbindung mit Techniken der Visualisierung, wie etwa durch Zeichnen, das Anfertigen von Modellen und Beschreiben in Textform. Innerhalb derartiger Planungen wird künstlerisches Arbeiten besonders in seinen wissenden und vorausschauenden Qualitäten performiert. Etwas soll in einer bestimmten Weise mit diesen oder jenen Materialien, Techniken, Verfahren und Potenzialen an einem bestimmten Ort zu einem bestimmten Anlass entstehen. Ein derart planerisches Herangehen spielt besonders bei Bewerbungen und Einreichungen für zukünftige Projekte und Arbeiten bei Drittmittelgebern eine Rolle – hier gilt es für den Künstler zu zeigen, dass ein vorgeschlagenes Kunstwerk künstlerisch relevant und zugleich ›realisierbar‹ ist. Eine wesentlich offenere Weise des Arbeitens findet sich, wenn eine Arbeit sich erst im Vollzug ihrer Entstehung entwickelt, ohne dass sie in ihrem Ergebnis schon planerisch vorweggenommen wurde. So generieren sich künstlerische Hervorbringungen auch in Interaktion zwischen künstlerischem Wahrnehmen und Sehen und der diesem Wahrnehmen und Sehen gegenübertretenden unfertigen Arbeit in situ – der Künstler und die sich mehr und mehr zeigende Arbeit stehen sich in einer solchen Situation geradezu gegenüber. Besonders in derartigen Interaktionen und zum Teil gar Aushandlungen zwischen Künstler und entstehender Arbeit spielt das situierte Wahrnehmen und Sehen eine Rolle; Wahrnehmung und Wahrnehmbares, Sehen und Sichtbares treten in einen intensiven Kontakt. So ›passiert‹ in einem solchen konzentrierten und geradezu arbeitenden Wahrnehmen und Sehen mit Blick darauf, was sich im künstlerischen Vollzug zeigt, mehr als ein routinierter Gebrauch von Sinnesinstrumenten: Noch nicht

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Entstandenes gilt es zu entwickeln; Möglichkeiten werden abgewogen; im Wahrnehmen und Sehen wird die Arbeit weitergehend modifiziert. Das, was bisher entstanden ist, wird in seinem weiteren Hervorbringungsprozess wieder und wieder seitens des Hervorbringenden in den Blick genommen, befragt und kritisch beurteilt. Wie praktisch-künstlerisch involviertes Wahrnehmen und Sehen, Denken und Überlegen in Arbeit am Rande seiner Beobachtbarkeit als Bestandteil künstlerischer Praxis in ihrer jeweiligen Eigenlogik und Individualität zugänglich gemacht, beschreibbar und kommunizierbar werden kann, wird zu einer offenen Ausgangsfrage dieses Kapitels. Vorhaben und Vorschläge. Vorstellungen darstellen und kommunizieren Nehmen wir zunächst das planerische Herangehen in den Blick: Besonders große, kostenintensive und aufwendige künstlerische Vorhaben bedürfen vorab oftmals ihrer genauen Planung einhergehend mit einem Wissen über die Größe, das Aussehen, das Material, die Verfahren und Arbeitsabläufe sowie nicht zuletzt auch die Kostenintensität des jeweiligen Vorhabens. Vieler solcher Vorhaben sind auf die Mittel von Dritten angewiesen, um ›verwirklicht‹ beziehungsweise ›realisiert‹ werden zu können. Drittmittel werden – und dies kennen auch Wissenschaftler sämtlicher Disziplinen – von verschiedenen öffentlichen wie auch privaten Akteuren und Initiativen ausgeschrieben. Künstler werden von den Ausschreibern künstlerischer Projekte eingeladen und aufgefordert, ihre Vorhaben in Form von Dossiers, Portfolios und Projektskizzen einzureichen, die sodann von entsprechenden Jurys begutachtet werden. Aus einem solchen Kontext geht auch der folgende Protokollauszug hervor:16 K. (Künstler) hat mir sein Vorhaben per Mail als PDF geschickt. Es geht um die Einreichung eines Vorhabens für ein Projekt im Kontext von »Kunst am Bau«, zu dem er eingeladen wurde. Auf dem Bildschirm meines Laptops schaue ich mir das Dokument an. Neben der Vita umfasst das Dokument drei Seiten, auf denen K. sein Vorhaben erläutert und darstellt. In einem kurzen Text beschreibt er zunächst den Inhalt seines Vorhabens – er plant eine Skulptur, die auf dem Platz eines Rathauses stehen soll: Zunächst geht der Text kurz darauf ein, von welchen »Beobachtungen« die Idee für diese Arbeit ausgeht und wie diese mit den bisherigen Arbeiten von K. in Verbindung steht. So gibt dieser Textabschnitt Auskunft darüber, wie K. zu dieser Formfindung kommt, was es mit dem Titel der Arbeit

16 Aus Gründen der Anonymität des Künstlers kann das Dokument als solches nicht gezeigt werden.

204 | K UNST IN ARBEIT auf sich hat und wie die Farbigkeit der geplanten Skulptur mit ihrer, zuvor von K. in den Blick genommenen Umgebung korrespondiert. In einem weiteren Abschnitt wird sehr genau das Herstellungsprozedere einer solchen Skulptur beschrieben: die Verwendung der verschiedenen Materialien, die technischen Verfahren und die Dauer der einzelnen Arbeitsschritte. In einem dritten abgesetzten Textabschnitt finden sich Angaben zum potenziell geringen Instandhaltungsaufwand einer solchen Arbeit. Neben den Textabschnitten sind Zeichnungen des Vorhabens zu sehen sowie Fotografien schon realisierter Arbeiten von K., die ähnliche Züge aufweisen. Während des Lesens des Textes zusammen mit dem Anschauen der Bilder bekomme ich eine Vorstellung davon, wie die hier vorgeschlagene Arbeit aussehen könnte – ich versuche mir auch die gewaltige Größe vor Augen zu führen, wenn es zu ihrem Bau kommen sollte.

Das Vorhaben bezüglich einer Arbeit, die es noch nicht gibt und die zunächst als Möglichkeit ihrer Entstehung gegenüber Dritten vorgeschlagen wird, zeigt sich hier besonders als eine Darstellungsleistung desjenigen, der bei Dritten um die Mittel für die Umsetzung seines Vorhabens wirbt. Künstlerisches Arbeiten performiert sich hier in seiner konzeptionellen Verfasstheit, Planbarkeit, Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit. In der Struktur und im Aufbau des Dossiers lässt sich eine Hierarchie in der Argumentation erkennen, die sich in der Reihenfolge folgender Sinnabschnitte abzeichnet: 1) die Beschreibung der künstlerischen, konzeptionellen und ästhetischen Implikationen und Ambitionen des Vorhabens, 2) die Beschreibung der technischen Herstellungsverfahren und Materialien, 3) pragmatische Anmerkungen bezüglich möglicher Folgeaufwendungen und Kosten für Dritte. So wird eine gewisse Ordnung sichtbar, die auf die Herstellung und Performanz künstlerischer Relevanz in einem solchen Dokument verweist. Zunächst zur Herstellung konzeptioneller und ästhetischer Relevanz des Vorhabens: Diese wird durch Argumente erzeugt, die besonders die ›künstlerischen‹ Ambitionen benennen. So wird in der Beschreibung im ersten Abschnitt eine konzeptionelle Komplexität erzeugt und dem Vorhaben seine Legitimität als künstlerisches Vorhaben zugeschrieben. Dies geschieht weniger über dessen Etikettierung als Kunst als vielmehr in der Hervorhebung der ideellen Wertigkeit der vorgeschlagenen künstlerischen Arbeit. Der Text arbeitet hier beispielsweise mit Begriffen wie »Strategie« und »Beobachtung«, was den Eindruck von konzeptioneller Präzision vermittelt. So finden auch an dieser Stelle ästhetische Argumente Eingang in die Beschreibung des Vorhabens, indem die geplante Arbeit bezugnehmend auf ihr potenzielles Umfeld in ihren »Farben, Formen und Konstruktionen« beschrieben wird. Die an dieser Stelle neben dem Text platzierten Zeichnungen und Abbildungen bisheriger Arbeiten lassen die hier beschriebene

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vorgeschlagene Arbeit weitergehend vorstellbar werden – so bekomme ich als Leserin des Textes in Verbindung mit den daneben gesetzten Bildern und Abbildungen gleichsam eine Idee von der Idee des Vorhabens in dessen Gehalt, Aussehen und Gestalt. Die Abbildungen von ›familienähnlichen‹ Arbeiten nahe ihrer textuellen Beschreibung vermitteln zudem den Eindruck einer gewachsenen künstlerischen ›Position‹, von der aus das Vorhaben seitens des Künstlers geplant worden ist. In dieser Weise transportiert die Darstellung Souveränität bezüglich des Was: Es entsteht ein Eindruck davon, dass K. genau weiß, was er vorhat. Zur Darstellung der Souveränität bezüglich des Wie: Die Herstellung von Souveränität setzt sich im nächsten Abschnitt fort, in dem die technische Durchführung sehr genau beschrieben wird – wie dieses Werk hergestellt werden würde, wird präzise ausgeführt. Das technische Wissen, dessen es zur Herstellung einer solchen Skulptur bedarf, performiert sich hier mittels entsprechend verwendeter Fachtermini und genauer zeitlicher Angaben, wann welche Arbeitsabläufe stattfinden würden. An dieser Stelle wird die technische Komplexität des Herstellungsverfahrens erkennbar, zugleich vermittelt die Beschreibung des Ablaufs den Eindruck von ›Machbarkeit‹ beziehungsweise das Potenzial der ›Realisierbarkeit‹ des Vorhabens. Zur Berücksichtigung pragmatischer Aspekte: In einem dritten Abschnitt geht der Autor auf pragmatische Aspekte in Bezug auf sein Vorhaben und dessen Folgen beziehungsweise Folgekosten ein, wie etwa verhältnismäßig geringe Kosten in der anschließenden Wartung und Pflege des Objekts. So wird der für die ›Auftraggeber‹ einhergehende Aufwand als gering argumentiert – in diesem Bereich wird in der Darstellung des Vorhabens Komplexität reduziert. Was zeigt sich an diesem Beispiel? Insbesondere in solchen Vorschlägen gilt es, seitens desjenigen, der seinen Vorschlag einreicht, Plausibilität, Souveränität und Professionalität in Bezug auf sein künstlerisches Vorhaben gegenüber Dritten und Drittmittelgebern darzustellen und zu vermitteln – so geht es für diese darum zu entscheiden, in welche Arbeit und damit in welche Kunst investiert wird. Einen Vorschlag für eine Arbeit als Künstler und Autor der Arbeit zur Darstellung zu bringen geht damit einher, Andere von diesem Vorhaben zu überzeugen – hier kann neben der künstlerischen Arbeit auch von einer zu leistenden Überzeugungsarbeit gesprochen werden. Wie bereits erwähnt, kann sich ein Künstler in seiner Arbeit im künstlerischen Feld nur bedingt an Erwartungserwartungen ausrichten und orientieren, da ein solches Vorgehen wiederum die Erwartung an die, mit Bourdieu gesprochen, illusio einer ›freien‹ Kunst konterkarieren würde – die Regeln des Spiels sind hier andere. So kann der Vorschlagende lediglich Bezug auf seine Arbeit nehmen, die im Feld der Kunst keinen

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Standardisierungen unterliegt. In dieser Weise gilt es für den Künstler und Vorschlagenden, die eigenen Erwartungen evident und souverän zur Darstellung zu bringen und gegenüber anderen zu kommunizieren. Künstlerisches Arbeiten performiert sich hier besonders in seinen ›wissenden‹ Zügen, die sich in Eloquenz und bildnerisch-ästhetischem Know-how zeigen. So geht es für den Künstler auch darum, mit dem und durch das Dossier den Mitgliedern der Jury zu vermitteln, dass er professionell arbeitet und erfahren ist im Umgang mit konzeptionellen und ästhetischen Fragen sowie technischen Herstellungsverfahren. In dieser Weise wird der Eindruck von Zuverlässigkeit und Kontrolle hergestellt: Das angesetzte Budget wird der Argumentation zufolge eingehalten, die zeitlichen Vorgaben werden berücksichtigt, das Vorhaben wird in seinen künstlerischen Wertigkeiten betont. Das Vorhaben, ein Vorhaben bei Dritten einzureichen, ist gerahmt von der Bemühung, dass der ›Sprung‹ von der Idee bis hin zu ihrer Umsetzung mittels Überzeugung Dritter gelingt. So ist diese Bemühung immer auch von der Balance gekennzeichnet, künstlerischen Anspruch und dessen Umsetzbarkeit mit begrenzten Mitteln zu verbinden. Auch wenn es im Verlauf einer solchen Umsetzung zu Abweichungen, Störungen, Verzögerungen und Korrekturen der Ausführung kommen kann, wird künstlerisches Arbeiten in derartigen Verfahren zu einem planerischen, gezielten und berechenbaren Vorgehen: Sowohl Ablauf als auch Output stehen fest, sobald der Vorschlag in dieser oder anderer Form verbindlich an entsprechender Stelle eingereicht ist. Die Intention, die sich an solchen Entwürfen zeigt, ist demnach eine zweifache: Einmal geht es darum, eine entworfene künstlerische Arbeit planmäßig zu ›verwirklichen‹, zudem besteht die Anforderung darin, die Mittel für eine solche Umsetzung bei Dritten einzuwerben. Insbesondere in solchen Bewerbungen und Einreichungen tritt die kompetitive Einbettung künstlerischen Arbeitens hervor, das auch mit dem Wettbewerb um knappe (finanzielle) Ressourcen einhergeht, die derjenige Künstler, dessen Vorschlag ›den Zuschlag‹ bekommt, sodann in seine Arbeit investieren kann. Abwägen im Sehen. Wie etwas ›funktioniert‹ Ein Vorgehen, bei dem das Ergebnis sich erst im Vollzug des Arbeitens an einer Arbeit zu erkennen gibt, wird im Folgenden näher in den Blick genommen. Anders als bei einem zuvor in seinen Einzelheiten festgelegten Vorhaben kann künstlerisches Arbeiten auch von einer starken Offenheit ausgehen und mit dieser umgehen. Sowohl in ›vertrauten‹ Ateliers als auch an semi-öffentlichen Arbeitsorten zeigt sich künstlerisches Arbeiten in actu und in Anwesenheit Anderer nicht selten als situiert-situativer Prozess fragender, wahrnehmender, denkender

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Auseinandersetzungen in Anblick der entstehenden Entwürfe, Skizzen und Arbeiten. Diesem befragenden und gleichsam denkenden Wahrnehmen und Sehen als konstitutivem Bestandteil künstlerischer Arbeit werde ich in seinem Verlauf an dieser Stelle weiter nachgehen. Da es mir im Zuge der Studie möglich war, der Entstehung der Malerei in der Putzwand von Beginn bis zu ihrer Fertigstellung ›beizuwohnen‹, eignet sich dieser Fall in besonderer Weise dazu, diesem gleichsam mit der entstehenden Arbeit interagierenden Wahrnehmen und Sehen im künstlerischen Vollzug ein Stück weit zu folgen. T. geht im Raum umher, dicht an den Wänden entlang. Mal hält er ein Auge zu, mal deckt er mit einer Hand in einer Armlänge Abstand zum Gesicht etwas ab und manipuliert in dieser Weise sein Gesichtsfeld. Ich habe diese spezielle Handhaltung beziehungsweise das partielle Abdecken des Sehfeldes gestern schon beobachtet. Ich frage T.: »Was machst du da, wenn du die Hand so ausstreckst?« Er antwortet: »Ich halte was ab, um einzelne Stellen zu sehen. Ich schaue, wie ich weitermachen kann und halte das zu. Sonst kommt das nicht aus diesem Helldunkel raus. So sehe ich, wie einzelne Stellen für sich funktionieren.«

Das Sehen, mit dem T. der zu bearbeitenden Wand begegnet, zeigt sich als eines, das die entstehende Arbeit in ihrer Sichtbarwerdung beforscht und befragt. Im Sehen wird mit Perspektivität und Ausschnitthaftigkeit umgegangen. So wird das Gesichtsfeld manipuliert, Bereiche der sichtbaren Wand werden mit der Hand abgedeckt, räumliche Distanz zu der entstehenden Arbeit wird seitens des Künstlers aufgesucht. Mal aus der Nähe, mal aus größtmöglicher Ferne, mal mit dem Fokus auf Einzelheiten, mal – so dies möglich ist – in ihrer perspektivisch eingebetteten Gesamterscheinung wird die sich zeigende Arbeit beziehungsweise das bisher Entstandene von T. in den Blick genommen. Im Sehen wird die Arbeit oder auch das zu Bearbeitende weitergedacht und nach möglichen Veränderungen befragt. Das Abdecken des Gesichtsfeldes durch die Hand plausibilisiert sich als ein Abdecken von sich Zeigendem – etwas wird nicht sichtbar gemacht, damit etwas Anderes ›besser‹ gesehen werden kann. Das Fokussieren von »einzelnen Stellen« bedarf ihrer Isolation, sodass sie gleichsam aus ihrem Kontext beziehungsweise aus der Gesamtfläche ›herausgesehen‹ werden können. Sichtbarkeit und Nichtsichtbarkeit, Hervortreten und Verbergen bedingen sich geradezu – oder der Erklärung T.s zufolge: »So sehe ich, wie einzelne Stellen für sich funktionieren«.17 Das Sehen arbeitet mit Relationen des Sichtbaren und den Be-

17 Auch wenn ich selbst nicht mit und durch T.s Augen sehen kann und mir sein Sehen als solches verborgen bleibt, folge ich T.s Kommentaren bezüglich dessen, was er wie

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ziehungen zu dem, was sich in der Umgebung der jeweilig fokussierten Bereiche zu erkennen gibt. Mit dem Abhalten des Sehfeldes beziehungsweise dem, was außerhalb der fokussierten ›Stellen‹ liegt, wird das Sehen praktisch manipuliert und gestaltet. Wie was gesehen wird, beeinflusst, wie sich was in Verbindung zu etwas oder eben ›für sich‹ beziehungsweise als solches zeigt. Bearbeitete und nicht bearbeitete, helle und dunkle ›Stellen‹ der Wand treten in Beziehungen zueinander. Eine ›Stelle‹ zu isolieren, heißt diese ›für sich‹ zu betrachten. Das sich Zeigende in seinen Kontrasten, Verteilungen und Erscheinungen gestaltet zugleich auch das Sehen mit, indem es bestimmte Sichtbarkeiten anbietet. Bereiche oder eben ›Stellen‹ treten gegenüber anderen Bereichen und Flächen hervor und ›springen‹ dem Sehenden ›ins Auge‹. Der Künstler schaut, wie einzelne Bereiche an der bearbeiteten Wand ›für sich funktionieren‹. Das Sehen von Bereichen beziehungsweise ›Stellen‹ in ihren relationalen Bezügen untereinander sowie in ihrer Selbstreferenzialität und Immanenz erfordert ein differenziertes und geradezu professionelles Sehen, das Kontexte und Zusammenhänge, Verbindungen und Beziehungen, Kontraste und Farbigkeit des sich Zeigenden in seinem (Zusammen-)Wirken erkennt und einzelne Bezüge zu sehen vermag. Das künstlerisch arbeitende Sehen erscheint hier weniger als ein Sehen, das sich selbstbezüglich in einem ›Werk‹ versenkt oder sich gar kontemplativ in diesem verlieren würde. Vielmehr betritt es ein Feld von Sichtbarem und potenziell Sichtbarem, das von und mit einem derartig arbeitenden Sehen zergliedert, zusammengefügt, isoliert und verbunden wird. Es plausibilisiert sich als ein Sehen, das mit dem sich Zeigenden und dem sich Verbergenden praktisch umgeht, indem es das Sichtbare im Hinblick auf dessen Zustand und Potenzial dahingehend befragt, ob und wie etwas ›für sich‹ oder in Bezug zu etwas Anderem ›funktioniert‹. Was jedoch heißt in diesem Zusammenhang zu sehen, ob etwas ›funktioniert‹? Der Begriff des ›Funktionierens‹ – ein Begriff, den Künstler oftmals verwenden, wenn sie ihre Arbeiten in den Blick nehmen – wird in einem qualitativen Gehalt bedeutsam. Wann ›funktioniert‹ etwas in Relation zu was? Der Künstler befragt einzelne, bearbeitete ›Stellen‹ der Oberflächen, wie sie sich in Bezug zum vorherigen Zustand und auch zur Gesamtfläche zeigen, wobei ihn das, was sich zeigt, sodann überzeugen muss, um als ›funktionierend‹ zu gelten.

sieht, und setze zugleich mein Sehen ein, um T.s Sehen nachzuvollziehen. In dieser Weise wird auch das, was sich im Sagen über das Sehen mitteilt, zu einer Spur für die Annäherung eines Denkens im Sehen, das sich an und mit dem sich Zeigenden entwickelt: »Jedes Sagbare verweist auf ein Sichzeigen. Es ist mit Wahrnehmung verknüpft, wie die Wahrnehmung ihrerseits in einer Aufmerksamkeit gründet, die begegnen läßt« (Mersch 2002: 18, Herv. i. O.).

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Das Befragen dessen, wie sich etwas zeigt, arbeitet relational zu der Frage, wie sich etwas auch oder noch zeigen könnte. Das heißt: Das Sehen nimmt in seinem Fragen nach dem Wie des ›Funktionierens‹ dessen, was sich schon zeigt, in Relation zu dem, was sich auch zeigen könnte beziehungsweise was sich noch nicht zeigt, über das Sichtbare hinaussehende Züge an. Die Abwägung, ob etwas ›funktioniert‹, vollzieht sich hierbei im Sehen selbst. Wie und ob etwas ›für sich‹, in Bezug zu einer anderen ›Stelle‹ oder auch im Kontext der Arbeit ›funktioniert‹ wird in Auseinandersetzung mit dem sich Zeigenden ausgehandelt. Im Sehen wird die Arbeit zu einem sich zeigenden Gegenüber für den Künstler, mit dem er austariert, ob, wie und wo weitere Änderungen vollzogen werden sollen oder gar müssen.18 Im Hinblick auf mögliche schon präsente Qualitäten hin wird die Arbeit in ihren Zuständen in einem solchen Sehen wieder und wieder justiert und evaluiert. So gilt es, im Zuge dieses fragend-prüfenden Sehens seitens des Künstlers zu entscheiden, ob das, was sich schon zeigt, weiterbearbeitet oder so belassen werden kann. Die Frage nach dem Funktionieren verweist in diesem Sinn auf eine gleichsam ästhetische Pragmatik, in der ein solches Wahrnehmen und besonders Sehen im Dienst der zu entwickelnden Arbeit steht. Der Begriff des ›Funktionierens‹ zeichnet sich in diesem Kontext auch durch Unbestimmtheit, Prozessualität und praktische Verankerung aus, da erst im praktischen Vollzug des prüfenden und fragenden Sehens austariert, nuanciert und bestimmt wird, ob und wie was überzeugt und in welcher Weise etwas wie für die Arbeit beiträgt. Wie was im Kontext der Arbeit ›funktioniert‹, welche ›Stellen‹ immanent, in Relation zu anderen Bereichen oder auch zur Gesamterscheinung der Arbeit für den Künstler plausibel erscheinen, bleibt der Praxis des künstlerisch involvierten Sehens überlassen. In und aus diesem Sehen heraus werden mögliche Anschlüsse entwickelt, die weitere Bearbeitungen und Veränderungen der Arbeit evozieren. Im Ansehen der Arbeit kann der Entschluss gefasst werden, etwas im Kontext der Arbeit so zu belassen oder zu verändern – hierzu ein weiterer Ausschnitt des ethnografischen Protokolls: In den nächsten Tagen setzt T. immer weitere Lasuren der Pigment-Dispersion-Mischung auf ausgewählte Stellen der Wände und besprüht die Stellen regelmäßig mit Säure, sodass sich Konzentrationen von dunklen rostigen und auch leuchtenden kupfergrünblauen Stellen an zweien der Wände entwickeln. Mit dem Waschwasser, in dem die Pinsel gesäubert

18 In der Psychologie Arnheims (1978: 6) erlangt das Sehen einen handelnden Charakter: »Das Sehen ist keineswegs nur ein mechanisches Aufzeichnen von Sinneseindrücken; es erwies sich vielmehr als ein echt schöpferisches Begreifen der Wirklichkeit – fantasievoll, erfinderisch, gescheit und schön«.

210 | K UNST IN ARBEIT werden, und einem Lappen werden einige der zuvor pigmentierten Stellen wieder abgerieben, sodass in diesen Bereichen die Farbintensität nachlässt und die Differenz zwischen pigmentierten und nichtpigmentierten Stellen subtiler wird. Die bearbeiteten Stellen, an denen Eisenspan und Säure aufeinandertreffen, sind schon nach wenigen Tagen rostig geworden. Die kupfergrünblauen Stellen werden langsam im Zuge der Reaktionen grüner, an einigen Stellen entwickelt sich ein brauner Ton. T. betrachtet das bisher Entstandene an der Wand und kommentiert seine Arbeit: »Ich überlege, ob ich da oben noch was machen soll. Das kann ein großer Fehler sein, der viel Arbeit bedeutet. Das Malen selbst ist schnell gemacht, aber das Dämpfen und Wiederwegnehmen. Erst dachte ich, dass wird aufgrund der chemischen Reaktionen hell, aber das müsste eher braun werden. Und das (er blickt Richtung Konche) darf keine Wiederholung des Runden (Form der Konche) werden. Das muss ein ganz anderer Duktus sein, vielleicht mit den Brettern.« Nachdem er eine Zeit weiter an der Konche Geraden mit dem Pinsel entlang eines Brettes von oben nach unten gezogen hat, entfernt er sich von der Wand und betrachtet sie.

Die bearbeitete Wand begegnet dem Blick mit der Zeit immer wieder anders, sie wandelt sich und bringt auch für den Künstler durch die Reaktion der Stoffe beziehungsweise der Materialien untereinander Unerwartetes und Überraschendes hervor. Der Künstler nimmt nach seinen Eingriffen das Bearbeitete und Veränderte in den Blick, um im Verlauf des weiteren Arbeitsprozesses auf die Veränderungen zu reagieren. Im Sehen lässt er sich wieder und wieder auf das ein, was sich nun anders als zuvor zeigt. So nimmt ein solches Sehen auch Züge eines abwägenden und antizipierenden Sehens an, das Möglichkeiten in Interaktion mit und an der sich zeigenden Arbeit entwickelt. In diesem Sehen werden Entschlüsse, Entscheidungen und Abwägungen generiert, ob an dieser oder an jener Stelle, in diesem oder in jenem Bereich noch einmal etwas zu ›machen‹ ist oder ob etwas Überzeugendes womöglich durch weitere Eingriffe ge- oder auch zerstört werden könnte. Dieses abwägende Sehen lässt sich auf Opportunitäten ein, was auch und noch möglich wäre und was der Arbeit womöglich entgehen könnte, wenn gewisse Eingriffe nicht erfolgen würden. Es wägt qualitativ ab, welche Eingriffe zur Arbeit etwas beitragen oder aber das bisher Entstandene eher beeinträchtigen würden – wie T. formuliert: »Ich überlege, ob ich da oben noch was machen soll. Das kann ein großer Fehler sein, der viel Arbeit bedeutet«. In diesem abschätzenden und abwägenden Sehen werden Potenziale und Risiken für die im Entstehen befindliche Arbeit austariert, die ein Spannungsfeld zwischen Hervorbringen und Zerstören im Hinblick auf das Entstehende und bereits Entstandene eröffnen. Die sich zeigende Arbeit – die bearbeitete Oberfläche beziehungsweise Malerei – entwickelt sich in Auseinandersetzung zwischen Sehendem, Sehen, Sichtbarem und noch nicht Sichtbarem. Das Sehen kann in Ein-

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klang oder in Konfrontation zum sich schon Zeigenden stehen; es tastet prüfend das ab, was sich, verbunden mit bestimmten Erwartungen des Künstlers, noch nicht zeigt beziehungsweise was noch nicht ›funktioniert‹. Die sich zeigende Arbeit entwickelt in ihren Zuständen mit der Zeit eine Präsenz, einen Eigensinn sowie eine Eigendynamik, die den Künstler zu neuen und anderen Überlegungen, Bezügen und Fragen gelangen lässt. So gewinnt die Arbeit hier im Arbeitsprozess mehr und mehr an Sichtbarkeit. Das abwägende Sehen, das Opportunitäten der im Entstehen begriffenen Arbeit erblickt und diese nach möglichen Veränderbarkeiten hin prüft und befragt, ist in seinen qualitativen Ansprüchen auch ein kritisches Sehen, das dem Entstehenden im Hinblick auf sein Was und Wie mit Erwartungen und Ansprüchen begegnet. Das, was sich dem Künstler nach seinen Eingriffen zeigt, kann dessen Erwartungen bestätigen, übertreffen oder enttäuschen. Fragen hierbei lauten etwa: Was kann die entstehende Arbeit noch an weiteren Eingriffen ›aushalten‹ und ›ertragen‹? Was kann ihr noch angetan und zugemutet werden? Ab wann wird das, was sich schon zeigt, von Manipulationen überfrachtet? Wann zerfällt es in seine einzelnen Teile? Wann wirkt etwas noch zu unentschieden und zu vage? Im künstlerischen Prozess wird im Ansehen der entstehenden Arbeit überlegt, erdacht, vorgestellt, abgewogen und ›vorgeahnt‹ (Waldenfels 2010a: 27 f.), ob und wie etwas dieser hinzuzufügen oder wegzunehmen ist. Erst wenn sich die Folge weiterer Eingriffe an der Arbeit zeigt und sich das noch zu Machende ›realisiert‹ hat und sichtbar geworden ist, kann die hervorgebrachte ›realisierte‹ Veränderung wieder überlegend, fragend und auch kritisch in den Blick genommen werden. Im Vollzug sehender Überlegungen wird in künstlerischen Prozessen mit Vorahnung im Hinblick auf das noch nicht Sichtbare gearbeitet, die sich an und mit dem Sichtbaren und dem darüber hinausgehenden Sehen entwickelt. Zu ahnen, wie dieses oder jenes im Rahmen der entstehenden Arbeit ›funktionieren‹ wird, begleitet den künstlerischen Prozess als permanente Frage. Im ahnenden Sehen versucht der Künstler vorwegzunehmen, wie dieser oder jener Eingriff die Arbeit verändern wird. Das Überlegen im Sehen ist folglich gewissen Risiken ausgesetzt, da sich erst nach dem Eingriff ›tatsächlich‹ zeigt, wie etwas wirkt, überzeugt beziehungsweise ›funktioniert‹. So ist die Aushandlung und Interaktion zwischen Hervorbringendem und Hervorbringung auch durch den Umgang mit Zweifeln und einer gewissen Risikobereitschaft gekennzeichnet – nicht etwa Gewissheit, sondern der Umgang mit Ungewissheit spielt hier für den künstlerischen Vollzug eine Rolle. T. lasiert noch eine weitere Stelle an der Konche und wischt die Ränder mit einem Lappen ab, was der Lasur eine Unschärfe verleiht. Er geht zurück, stellt sich neben mich vor die

212 | K UNST IN ARBEIT gegenüberliegende Wand; er sagt: »Ich glaube, das könnte funktionieren. Man darf da jetzt auch nicht zu viel dranmachen.«

Die an mich als Ethnografin gerichteten Kommentare des Künstlers geben weitergehend Aufschluss darüber, wie T. das Entstandene einschätzt: »Ich glaube, das könnte funktionieren. Man darf da jetzt auch nicht zu viel dranmachen«. Etwas zu »glauben« distinguiert sich davon, etwas zu wissen – hier deutet sich eine Rhetorik künstlerischer Praxis an, die auch den Umgang mit Nichtwissen einbezieht und die Ränder des Wissens markiert: Der Künstler weiß hier nicht auf Anhieb und im Vorhinein, dass etwas so oder so funktioniert – erst im Prozess deutet sich dies für ihn an. So geht das fragende, prüfende, abwägende und kritische Wahrnehmen und Sehen im künstlerischen Prozess nicht allein von einem habitualisierten und inkorporierten Wissen, automatisierten Routinen und schematisierten Wahrnehmungen aus. Es stellt sich im Vollzug und in Auseinandersetzung mit dem, was sich ihm wie zu erkennen gibt, auch dessen Tücken und Unerwartbarkeiten – in dieser Weise generiert sich Offenheit als Ressource für den künstlerischen Prozess. Das nach Möglichkeiten suchende, fragende und prüfende Wahrnehmen und Sehen nimmt in gewisser Weise Abstand von einem sich selbstgewissen Wissen bezüglich dessen, was wie ›funktioniert‹. Im Ausgang von einem solchen Wissen würden die Dinge nicht mehr in ihrem Was und Wie befragt werden können, da die ›Antwort‹ im Vorfeld bereits festgelegt wäre – die Kontingenz des Arbeitsprozesses würde einer vorwegnehmenden Evidenz weichen. Das antizipierende Sehen im künstlerischen Prozess wird darin gefordert, eine Offenheit gegenüber dem zu bewahren, ›was passiert‹. Es geht in diesem ahnenden Sehen mehr darum zu ›glauben‹, dass dieses oder jenes sich so oder so zeigen wird, als es vorwegnehmend zu ›wissen‹. »Nichts ist schwerer zu wissen, als was wir eigentlich wahrnehmen« (Merleau-Ponty 1974: 82) – dies lässt sich auch auf künstlerische Prozesse übertragen. Etwas zu glauben, anstatt etwas zu wissen, bezieht seine Souveränität daraus, dass Glauben »die Möglichkeit des Zweifels in sich enthält« (Merleau-Ponty 2004: 139). Ein in das Arbeiten integriertes Zweifeln ermöglicht »ein fortwährendes Fragen« (Merleau-Ponty 2004: 139), was für das Erarbeiten künstlerischer Arbeiten unerlässlich ist. Das abwägende Sehen bezieht auch Vagheit, Irrtum und Ahnungen im Hinblick auf das Entstehende ein, das sich erst rückblickend in seiner Präsenz zu erkennen gibt. Dieses ahnende, glaubende, überlegende und denkende Sehen begegnet dem Sichtbaren weniger mit Überlegenheit oder in einem ›Überfliegen‹ dessen, was sich zeigen wird. Es qualifiziert sich nicht als ein »Denken im Überflug« (Merleau-Ponty 2003b: 277) beziehungsweise ein Blicken im Überblick. Der Künstler trägt nicht einseitig seine Erwartungen an das Sichtbare heran und setzt

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bloß seine Vorstellung um, sondern er ist auch auf den ›Response‹ des sich Zeigenden angewiesen. Die entstehende Arbeit gewinnt im Prozess ihrer Entstehung eine Eigenständigkeit und Eigendynamik, mit der innerhalb künstlerischer Praxis umzugehen ist. So wird dem künstlerisch involvierten Sehen auch abverlangt, das noch nicht Sichtbare beziehungsweise das sich noch nicht Zeigende einzubeziehen, das heißt auch: Das Übersteigen dessen, was sich schon zeigt dahingehend, was sich noch nicht zeigt, ist mit einer permanenten Konzentration und Anspannung verbunden. In dieser Anspannung und Konzentration kann ein derartiges Arbeiten im Sehen auch zur Erschöpfung und Ermüdung des Blicks führen sowie zu einer mit der Zeit einsetzenden ›Blindheit‹. Es ist bereits früher Abend. Ich beobachte nun schon seit der Mittagspause, wie T. sich unermüdlich weiter dem Bereich der Konche widmet. Der Bereich um die kupfergrünblaue Stelle hat sich mehr und mehr verändert, in der Konche hat sich seit heute Nachmittag noch einmal viel getan. T. kommt auf mich zu, seine Augen sind leicht rot. »Jetzt wäre im Atelier so ein Punkt erreicht, da würde ich nach Hause gehen.«

Künstlerisches Arbeiten tritt hier explizit in seiner »Anstrengung« (Marx 1974 [1857-1858]: 505) hervor. Ein erschöpftes Sehen kann mit der Zeit gegenüber dem, wie sich was und was sich wie zeigt, eine Blindheit entwickeln. Auch wenn pragmatische Gründe – wie in diesem Fall der näher rückende Eröffnungstermin der Ausstellung – den arbeitenden Künstler an einem Abbruch seiner Arbeit hindern, tritt durch derartige Äußerungen seinerseits die Notwendigkeit des Ausruhens zutage. So macht sich in diesem abwägenden, überlegenden, fragenden und prüfenden Sehen auch profane Körperlichkeit bemerkbar: Die Augen strengen sich an und ermüden irgendwann, der Blick ist seiner ›Frische‹ irgendwann beraubt, das Getane muss zwischendurch ›altern‹. Ein derartig das Sichtbare übersteigendes und befragendes Sehen kann nur bestehen, indem es sich zeitweise erlaubt, wegzusehen, um nach einer Weile wieder Potenziale und Relevanzen in Anbetracht der entstehenden Arbeit sehen zu können – mit anderen Worten: Auch im Bereich des künstlerischen Arbeitens finden wir Zeitpunkte, die nahelegen ›Schluss für heute!‹ Vom Ort der entstehenden Arbeit wegzugehen, heißt auch sich von ihr abzuwenden und wegzusehen. Dies kann konkret bedeuten, der Arbeit den Rücken zu kehren oder den Raum zu verlassen, in dem sich die Arbeit mit all ihren Erfordernissen und ›Unfertigkeiten‹ befindet. Das Hervorgebrachte für eine Zeit nicht anzusehen und sich nicht in dessen Möglichkeiten einzusehen, bedarf Distanz und Abwesenheit.

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Wie jedoch wird eine solch offen und prozessual angelegte Arbeit eigentlich ›fertig‹? Folgen wir weiter der Arbeit im Entstehen, die bis zum Eröffnungstermin der Ausstellung beendet sein muss. Neben mir stehend sagt T. in Anbetracht der bearbeiteten Wand: »Das ist jetzt unbestimmt und das ist auch ganz gut so.« An einer Stelle oben in der Konche zeigt sich umgeben von dunklen, rostigen Pigmenten ein grünblauer beziehungsweise türkisfarbener Strahl, der schräg nach unten verläuft. T. schaut weiter in Richtung der Stelle mit dem Strahl und sagt: »Heute mache ich das grob fertig. Die Feinarbeiten können sich noch ziehen.«

Das Arbeiten an der Wand strukturiert sich in grobe und feine Arbeiten. Die nun seit Tagen bearbeitete Putzoberfläche hat sich im Zuge erster Bearbeitungen mehr und mehr verändert. Durch den Wechsel zwischen Hinzufügen von metallenen Pigmenten, die täglich mehrfach mit Säure besprüht wurden, und dem Reduzieren der aufgetragenen Pigmente mit dem Lappen entwickelt die Oberfläche in ihrer Erscheinung eine Eigenständigkeit gegenüber den anderen, putzgrauen Wandflächen im Raum. Indem T. den oberen Bereich der Konche in einer ›Unbestimmtheit‹ qualifiziert, kommentiert er einen gewissen Zwischenstand der Arbeit, die für ihn nun im Groben ›fertig‹ ist. Die grundlegende Struktur der Malerei, der Fläche ist ›gefunden‹, die Bereiche und Bezüge der mit metallenen Pigmenten versehenen Flächen zeigen sich in ihren Verläufen und Verteilungen. In dieser Weise bietet das, was schon sichtbar ist, Anschlüsse dafür, wie wo weitergearbeitet werden kann. Die Arbeit erwächst in diesem Fall aus dem Arbeitsprozess vor Ort – ein Prozess, der sich über mehrere Tage erstreckt. Heute betrachtet T. die Malerei sehr lange von der einen und auch von der anderen Seite. Schließlich blicken wir nebeneinander stehend auf die bearbeitete Wandoberfläche – insbesondere die Konche nehmen wir in den Blick. Ich: »Das ist gut mit der Diagonalen, wie die dadurch geht.« T.: »Ja, auf der einen Seite hat sie so eine Wölbung, auf der anderen Seite ist sie so… (er blickt weiterhin auf die bearbeitete Konche) vielleicht ist das auch schon fertig. Heute habe ich zum ersten Mal das Gefühl, das könnte schon fertig sein.« Er geht kurz aus dem Raum, kommt schließlich wieder herein und betrachtet lange – minutenlang bis eine viertel Stunde – die bearbeitete Wand, wobei sich sein Betrachten gegenüber dem anfänglichen Betrachten zu Beginn der Arbeit an der Putzwand verändert hat. Es ist nicht mehr auf ein direktes Weitermalen ausgerichtet. T.s Arme sind nun oftmals vor oder hinter dem Körper verschränkt, langsam geht er im Raum umher, schaut aus verschiedenen Positionen auf die bearbeitete Oberfläche, dann auf den Boden, um seinen Blick wieder erneut auf seine Arbeit zu richten. […] Schließlich zuckt er mit den Schultern und sagt leise in einem Tonfall, der auf ein Fazit hindeutet »So, gut.«. Er geht auf die

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andere Seite des Raumes, blickt auf die Konche und kommt wieder zurück. Er sagt: »Ja, das wird zum Ende hin auch so ne Feinjustierung. Ich meine, man zweifelt vielleicht auch, müsste man noch mal alles umschmeißen, aber das is (er betrachtet weiterhin die Wand) das glaube ich jetzt nicht. Man könnte wahrscheinlich auch noch zwei Jahre weitermalen.« Er lacht.

Die Arbeit wird auch in ihrem Ansehen durch den Künstler ›fertig‹, das sich im Vollzug des Arbeitsprozesses von dessen Beginn bis zum Abschluss der Arbeit verändert. Der ›machende‹, mit den Dingen ›hantierende‹ Künstler wird im Verlauf der Arbeit mehr und mehr zu ihrem Betrachter. Ab einem gewissen Zeitpunkt scheint der Künstler zu ›merken‹, dass die Arbeit nun in ihrem Zustand ›so‹ belassen werden kann – die Arbeit scheint ihn in gewisser Weise nicht mehr zu weiteren Eingriffen aufzufordern. Dieser Übergang vom ›Machen‹ hin zum vornehmlichen Betrachten der Arbeit zeigt sich auch körperlich, indem die Haltung und Position des Künstlers in Anbetracht der Arbeit mit der Zeit immer weniger auf ein weiteres Bearbeiten der Wand ausgerichtet sind. War T. in seinen Bewegungen zu Beginn immer wieder einem weiteren Bearbeiten der Wand zugewandt – auf das auch das zwischenzeitliche Betrachten und Ansehen der Arbeit nach den einzelnen Eingriffen ausgerichtet war –, zieht er sich nun mehr und mehr auf das Betrachten und Ansehen der Arbeit als solches zurück. Im betrachtenden Vollzug wechselt T. seine Position im Raum, ohne jedoch wieder zwischenzeitlich an die Materialien und Werkzeuge heranzutreten, um die Arbeit weiter zu verändern. Das die Arbeit entwickelnde Sehen geht über in eines, das sich der Arbeit in ihrem So-Sein mehr und mehr zuwendet, sich mit ihr zufriedengibt und sie in ihrem Zustand akzeptiert. Es wird zu einem Sehen, das weniger nach Veränderbarkeiten, Anderem und Unerwartetem sucht und fragt. Die Arbeit wird aus einer größeren räumlichen Distanz und in ihrer Gesamterscheinung in den Blick genommen. Wurden vorher einzelne ›Stellen‹ im Sehen fokussiert und in ihrem ›Funktionieren‹ befragt sowie geradezu ›problematisiert‹, so ruht der die Arbeit betrachtende Blick nun vielmehr in räumlicher Distanz zu ihr. In dieser Weise zeigt sich gleichsam eine Emanzipation und Entkopplung des Arbeitenden von seiner Arbeit und umgekehrt: Das künstlerisch involvierte Sehen befindet sich nicht mehr in Aushandlung mit der Arbeit in ihren Potenzialen, vielmehr fährt der Blick des Künstlers nun über die Arbeit. Der Künstler formuliert, er habe ›das Gefühl‹, dass die Arbeit ›fertig‹ sein könnte. Der Übergang von einer in Arbeit befindlichen Arbeit zu einer ›fertigen‹

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Arbeit wird demzufolge nicht nur sichtbar, sondern auch merkbar.19 Ein Gefühl dafür zu entwickeln, wann eine Arbeit ›fertig‹ ist, geht auch mit einem Gespür für ihr Zuviel und Zuwenig einher (Waldenfels 2010a: 37 f.). Es geht einher mit einem Abschätzen der Arbeit in ihren Zuständen – so scheint die Arbeit den Künstler in einem gewissen Zustand und ab einem gewissen Moment nicht mehr zu weiteren Veränderungen herauszufordern –, eine Sättigung tritt ein. Zu ›merken‹, wann eine Arbeit ›fertig‹ sein kann, bleibt im Vollzug des künstlerischen Prozesses einer gewissen Unbestimmtheit und Liminalität verhaftet, die jedoch keineswegs Beliebigkeit einschließt. Das ›Fertige‹ geht in diesem Fall nicht aus einer absoluten Setzung des Künstlers hervor, sondern vielmehr aus dessen sehender Auseinandersetzung mit der sich zeigenden Arbeit und ihren abnehmenden Aufforderungen, sie weiter zu bearbeiten. So, wie sie nun hervortritt, plausibilisiert sie sich für denjenigen, der sie hervorgebracht hat. Da die Bearbeitung der Wand mit Pigmenten und Säure auf konzeptioneller sowie praktischer Ebene von einer »Logik der Überraschungserwartung« (Reckwitz 2012: 125, Herv. i. O.) beziehungsweise der erwarteten Überraschung ausgegangen ist, wird in diesem Fall auch das ›Fertigwerden‹ der Arbeit seitens des Künstlers ein Stück weit dem Arbeitsprozess überlassen. Gerahmt wird der Arbeitsprozess zudem von terminbedingten pragmatischen Zeitvorgaben – bis zum Termin der Ausstellung muss die Arbeit ›fertig‹ sein. Gearbeitet wird hier auch unter Zeitdruck! In dieser Weise wird mit der potenziellen Unabgeschlossenheit des offen angelegten Arbeitsprozesses (»Man könnte wahrscheinlich auch noch zwei Jahre weitermalen«) auch pragmatisch umgegangen. Das ›Fertigwerden‹ der Arbeit wird nicht verabsolutiert oder eindeutig definiert, sondern entwickelt sich im Vollzug der arbeitenden Praxis, indem der Künstler von seiner Arbeit ablässt und pragmatisch die Zeitvorgabe einhält. Halten wir fest: Künstlerisches Arbeiten kann einmal als ein Planerisches und Wissendes auftreten und sich in Form gezielter Vorhaben zur Darstellung bringen. Es kann jedoch auch als ein offener Prozess gestaltet werden, der weniger von Gewissheiten und einem Wissen hinsichtlich der zu erarbeitenden Resultate ausgeht. Insbesondere in derartig offen angelegten Vorhaben tritt ein Wahrnehmen und Sehen hervor, das als Zugang zur künstlerischen Praxis im eigenen Recht zu betrachten ist. Dieses Sehen ist gekennzeichnet durch ahnende, fragen-

19 An dieser Stelle sei mit Merleau-Ponty auf die Verwobenheit von Empfinden und Denken verwiesen: »[…] und wenn wir das Denken aus einer Infrastruktur des Sehens hervortreten lassen, so nur deshalb, weil es unbestritten evident ist, daß man nicht denken kann, ohne auf irgendeine Weise zu sehen oder zu empfinden […]« (MerleauPonty 2004: 191).

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de, suchende, prüfende, kritische und überlegende Vollzüge und geht mit der entstehenden Arbeit situiert-situativ über das Sichtbare und sich schon Zeigende hinaus. Die im Verlauf eines solch offenen Arbeitens sichtbar werdende Arbeit kann mitunter auch widerspenstig und eigensinnig gegenüber den Erwartungen und Vorhaben des Künstlers auftreten, sodass sie dem Künstler mehr gegenübertritt, als dass sie als dessen Ausdruck oder Erweiterung verstehbar wird. Künstlerisches Arbeiten gibt sich hier vielmehr als Zusammenspiel von Sehendem, Sehen, Sichtbarem und Noch-nicht-Sichtbarem zu erkennen, was auch mit der Dezentrierung einer wissenden und kontrollierenden Künstlerinstanz einhergeht sowie der Dezentrierung des künstlerischen Werks als primäres Ergebnis genauer und vorwegnehmender Planung – so hält die Praxis künstlerischen Arbeitens in dieser erzeugten Offenheit auch für den Arbeitenden und das zu Erarbeitende Unvorhersehbarkeiten bereit.

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P RÄSENTIERENS

Künstlerische Arbeiten treten demjenigen, der sie anschaut und ›betrachtet‹, schließlich gegenüber und bieten als solche Fragen, Auseinandersetzungen und Erfahrbarkeiten an, kurzum: Sie zeigen sich. Abgeschlossene oder ›fertige‹ Arbeiten verlassen das Atelier oder ihren sonstigen Anfertigungsort, um in einen neuen Kontext gestellt beziehungsweise um anderen Ortes ausgestellt zu werden. Vorausgesetzt, dass eine Nachfrage nach ihnen durch Ausstellungsorganisatoren und Initiatoren, Galeristen und Kuratoren besteht, werden die Arbeiten in andere Räume gebracht und einem ›Publikum‹ gezeigt. Auch künstlerische Arbeiten, die direkt am Ort ihrer Ausstellung entstanden sind, intervenieren schließlich in den zuvor meist ›leeren‹ Ausstellungsraum und entwickeln dort ihre Präsenz.20 Arbeiten auszustellen unterscheidet sich davon, Arbeiten hinzustellen. Die Ausstellung beschreibt ein bestimmtes Format, das mit gewissen Regeln und Kon-

20 Ein prominentes Konzept, das den leeren, sterilen Ausstellungsraum im Dienst des Zeigens künstlerischer Arbeiten geradezu ›auf die Spitze treibt‹, besteht im Ansatz des »White Cube« als Raum mit weißen Wänden, der die in ihm gezeigten Exponate in besonderer Weise hervortreten lassen und sichtbar machen soll. Das damit einhergehende »auratische Inszenieren« (van den Berg 2010: 158) von Werken und künstlerischen Arbeiten nobilitiert die ausgestellten Exponate, so wird das Zeigen von Exponaten hierbei selbst als »exponiertes Zeigen« relevant gemacht (van den Berg 2010: 157 ff.).

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ventionen des Präsentierens künstlerischer Arbeiten operiert und das einen konzeptionellen Anspruch geltend macht (Reitstätter 2015). Die Ausstellung versammelt Arbeiten und ordnet sie im Raum an. Sie rahmt die anwesenden Arbeiten thematisch, indem sie einen Titel bereitstellt und eine Logik anbietet, um die Arbeiten in ihrem Zusammenkommen sinnstiftend zu plausibilisieren. Der Logik des Ausstellens folgend, zeigen sich künstlerische Arbeiten nicht von sich aus. Die Arbeiten in ihren Eigenheiten müssen in einem Raum für ihr Publikum erst zugänglich und präsent gemacht werden, damit sie sich in dieser oder jener Weise, in diesem oder jenem Kontext ihren Betrachtern überhaupt zeigen können. Die besondere Präsenz sich zeigender Arbeiten – Dinge, Objekte, Bilder, allgemein Artefakte und im Besonderen Werke – ist in Anlehnung an Walter Benjamin (1977 [1936]) oftmals als »Aura« beschrieben worden. Die Aura entfaltet sich in Anbetracht originaler Kunstwerke oder historischer Exponate; sie zeugt von der Originalität der Dinge und hüllt diese in ihre Geschichtlichkeit und Einmaligkeit ein. Profaner ausgedrückt: Die Aura verleiht den Dingen eine besondere Präsenz. Nach Gumbrecht (2004: 107) gehen von künstlerischen Arbeiten und Werken »Präsenzeffekte« aus. Arbeiten zeitgenössischer Kunst streben nicht zwingend einen offensichtlichen Glanz, eine einzigartige Aura oder eine virtuose Präsenz an. Aus zeitgenössischer Sicht arbeiten Künstler auch reflexiv mit der Idee des Auratischen, indem sie diese ins Charismatische oder Fetischhafte in ihren Arbeiten überhöhen und wenden oder indem sie sich der Aura mittels Ironie, Reproduktions- und Trivialisierungstechniken widersetzen. Auch wenn das Ausstellen von Arbeiten nicht per se ihre ›Auratisierung‹ im engeren Sinne nach sich ziehen muss, wird künstlerischen Arbeiten praktisch immer eine Präsenz im Kontext ihrer Ausstellung zuteil, da sie schlichtweg präsent gemacht werden. Durch das Ausstellen werden die Arbeiten auf- und vorgeführt oder, anders formuliert: Ihre Besonderheiten werden besondert. Der Abstand der Arbeiten zueinander, der Platz um sie herum und auch ihre Beleuchtung können die Arbeiten – und seien sie noch so staubig und rostig – zum ›Glänzen‹ bringen. Den Arbeiten werden im Zuge ihrer Ausstellung Privilegien zuteil, die auch die Praxis des Betrachtens mitgestalten. Wie der Blick der Betrachter auf die Dinge trifft, hängt auch von der Weise ab, wie sie ausgestellt werden. So ist es erforderlich, zu einigen Arbeiten aufzuschauen, da sie beispielsweise von der Decke herabhängen; auf dem Boden stehende Arbeiten verlangen dem Betrachter ab sich zu bücken, um sie zu sehen; an der Wand gereiht hängende Arbeiten orientieren den Blick am Verlauf der Innenarchitektur. So ist das Ausstellen von künstlerischen Arbeiten und Werken längst zu einer Praxis mit professionalisierten kuratorischen An-

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sprüchen geworden, in deren Rahmen wiederum spezialisierte Sichtweisen und Perspektiven auf künstlerische Arbeiten und Werke ausgebildet werden.21 Im Kontext der Studie geht es nicht darum, kuratorischen Praktiken in ihren speziellen Anforderungen weitergehend zu folgen. Vielmehr soll in diesem Kapitel der Transformation künstlerischer Arbeiten nachgegangen werden, deren Präsenz sich im Zuge ihrer Ausstellung verändert. Die Arbeiten in ihrer präsent gemachten Präsenz können Blicke anziehen und vereinnahmen, sie können sich leise und still in die Situation einschleichen, oder den Betrachter – je nach dessen Bereitschaft – in die Flucht schlagen. Mit diesem Fokus wird im Folgenden die Präsenz der Präsentation ausgestellter Arbeiten in den Blick genommen. So verlassen ausgestellte Arbeiten immer auch ein Stück weit ihren ›Arbeitskontext‹, anders gesagt: Die Arbeit wird gleichsam ins Werk gesetzt. Ihre Er- und Bearbeitung tritt hinter die sich zeigenden ausgestellten Arbeiten zurück. In dieser Weise bringen ausgestellte Arbeiten ihre ›Betrachter‹ als solche mithervor. Wie verwandeln und transformieren sich künstlerische Arbeiten im Zuge ihrer Exponierung durch ihre Ausstellung? Wie wird die Ausstellung für künstlerisches Arbeiten selbst wiederum relevant? Zur Unantastbarkeit ausgestellter Arbeiten und zum Hervorbringen von ›Betrachtern‹ Noch einmal zum Fall der Ausstellung in dem großstädtischen Kunstverein, den ich über Monate ethnografisch begleiten konnte. Den Aufbau der architektonischen Rauminstallation sowie die Entwicklung der Malerei auf der Oberfläche am Ort ihrer späteren Ausstellung habe ich als Ethnografin in situ mitverfolgen und teilnehmend beobachten können. Wochen später begegne ich beiden Arbeiten im Rahmen ihrer Ausstellung, die wenige Stunden später offiziell eröffnet wird: Am Eröffnungstag der Ausstellung betrete ich nach zwei Wochen Abwesenheit den schon vorbereiteten Ausstellungsraum, der für die breite Öffentlichkeit noch unzugänglich ist – es sind noch wenige Stunden bis zur offiziellen Eröffnung. Ich öffne die schwere Tür zum Ausstellungsraum und gehe durch sie hindurch; mit einem dumpfen, klackenden Geräusch schließt sie sich wieder hinter mir. Der Raum ist in ein gedämpftes Licht gehüllt, die flüsternde Stimme, die von einer an der Wand im Eingangsbereich befestigten Installation ausgeht, ist sofort vernehmbar. Ich schaue mich um: da die mit rostenden Pigmentspuren

21 Im Zuge dessen haben sich auch in Deutschland weiterbildende Studiengänge, zum Beispiel die »Curational Studies« an der Goethe-Universität Frankfurt, entwickelt.

220 | K UNST IN ARBEIT versetzte Putzwand sowie die stellenweise kupfer-türkisfarben leuchtende ›Konche‹, die sich vor der dunkel beschatteten Decke aufgrund des schwarzen Stoffes über dem dahinterliegenden Raum kontrastiv absetzt. Dort sehe ich die Eingänge zu den anderen Räumen. Ich gehe langsam weiter und durchquere den Gang vorbei an der ›Konche‹. Der ganze Raum erscheint mir nun als ein anderer. Im Vergleich dazu, wie er sich mir wenige Wochen zuvor gezeigt hat, als noch in ihm gearbeitet wurde, als alles zu seinem Aufbau fand, tritt er nun als Ausstellungsraum hervor – der Arbeitsraum ist verschwunden. Alles wirkt ›fertig‹. Jede Arbeit, jedes Werk steht und hängt an seinem Platz. Jeder einzelne der installierten Räume hat sein eigenes Licht erhalten, indem sich nun die Arbeiten der verschiedenen beteiligten Künstler zeigen. Gerahmte Bilder und Grafiken aus einer Sammlung hängen an den verputzen Wänden. Sie scheinen sich in ihrer Hängung mitunter an dem Relief im Putz zu orientieren, dessen Strukturen sich auf dem nun trockenen Putz immer noch eindeutig abzeichnen. Vor hellem Licht tauchen die von der Rückseite beleuchteten Gitter auf, hinter ihnen leuchten gelb hervorstechende Malereien, die einen Signalcharakter entwickeln. Ich gehe in den Raum, durch den man hinter die Gitterwand gelangt und drehe mich um. Ich blicke in einen langen dunklen Winkel eines spitzwinkeligen Raumes. Auf einem Querbalken ganz hinten steht ohne jegliche Sicherung ein von oben verschlossenes Glasgefäß, in dem eine undefinierbare, milchig wabernde, abgesetzte Flüssigkeit eingelegt zu sein scheint – wie eine ›Bombe‹, die auf einem Balken balanciert und jeden Moment herunterzufallen droht. Im weiteren Gang durch die kleinen, hinter der Putzwand liegenden Räume habe ich mehr und mehr das Gefühl, dass ich durch ein Raumlabyrinth wandele, das mich in immer weitere Räume lenkt, an deren Verlauf und in deren Winkeln sich wieder und wieder andere Dinge zeigen. In einem der Innenräume sehe ich, wie eine der Kuratorinnen zwei Besucherinnen gerade eine Stuhl-Maschine zeigt, die in einer scheinbaren Endlosschleife monotone Wortfolgen von sich gibt. Hinter einer Wand taucht ein Künstler auf, der in dem Zwischenraum umhergeht und Fotos macht. Auch ich hole meine Kamera heraus und beschließe, den Raum oder besser das Raumgeflecht mit all den versammelten Arbeiten und Werken noch einmal vom Eingang her mit ihr abzulaufen.

Die Tür begegnet mir zunächst als Schwelle, die zwei Welten voneinander unterscheidet; sie differenziert das Draußen vom Drinnen und hält in ihrer Durchlässigkeit und als Zugang zum noch nicht offiziell eröffneten Ausstellungsraum eine gewisse Dramaturgie bereit. Ist man einmal durch die Tür hindurchgegangen, schließt diese beide Welten wieder sorgfältig voneinander ab. Demjenigen, der durch sie hindurchgegangen ist, teilt sie mit ihrem Schließgeräusch in dessen Rücken mit: Drinnen. Das Wechselspiel zwischen Wiedererkennen und Neuerblicken der Arbeiten beginnt sofort. Zuvor Gesehenes oszilliert zwischen Vertrautheit und Fremdheit. Das Wiedererkennen der Räume, Dinge und Arbeiten geht einher mit einer gewissen Distanz zu ihnen, die die Arbeiten und Werke im

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Zuge ihrer Ausstellung geradezu einzufordern scheinen. Das sich mir schon vorab Gezeigte zeigt sich nun anders und gibt sich als etwas Anderes zu erkennen. Der ganze Raum wirkt auf den ersten Blick ›fertig‹. Was Wochen vorher im Kontext der Er- und Bearbeitung noch in situative Aushandlungen, in Überlegungen und Variationen eingebunden war, hat nun zu ›seinem Platz‹ gefunden, steht oder hängt nun in eben dieser und jener Weise und ist nun ausgestellt beziehungsweise auf den ersten Blick ›stillgestellt‹. Was vorher noch in Bewegung war, ist jetzt fest installiert; was zuvor noch in seinem So-oder-So befragt, ausprobiert und versucht wurde, ist nun so im Sinne einer temporären Schließung. Die Arbeiten sind im Zuge ihrer Ausstellung aus ihrem arbeitenden Kontext herausgetreten. Sie zeigen sich in ihrer räumlichen Einbettung und im abgestimmten Licht im Sinne einer komponierten Versammlung.22 Der ›fertige‹ Raum in seinem präsenten Ausstellungscharakter etabliert eine Beziehung zwischen den im Raum Umhergehenden und den Arbeiten, die sich vornehmlich im Betrachten und Ansehen der Installationen, Bilder und allgemein Dinge organisiert. In seiner Transformation vom Arbeitsraum zum Ausstellungsraum wird der ganze Raum, einschließlich all der in ihm versammelten Arbeiten und Werke, zu einem Raum, der Künstler, Kuratoren und Ethnografin allesamt zu ›Betrachtern‹ werden lässt, die sich den sich zeigend gemachten Arbeiten und Werken gehend und stehend, sehend und fotografierend, kommentierend und – im Falle der Kuratorin erläuternd – zuwenden. Das Betrachten der ausgestellten Arbeiten ist eingebettet in ein implizites Regelwerk. Dieses speist sich aus dem Wissen, dass ausgestellte Exponate beziehungsweise Arbeiten nicht angetastet werden dürfen, dass sie so, wie sie stehen und hängen, auch stehen und hängen bleiben sollen. So ist es im Kontext der Ausstellung geradezu notwendig, dass die Betrachter an eine von den Arbeiten ausgehende Unantastbarkeit ›glauben‹. Die Ausstellung profitiert von der Wertschätzung ausgestellter Arbeiten, die ihre Besucher verinnerlicht haben. Zudem wird die Kontrolle und Überwachung des Raumes und seiner Besucher mittels einer Videokamera ausgeübt, die jedoch im Ausstellungsraum den regulären Be-

22 Anders als der »White Cube« werden in dem Ausstellungsraum, um den es hier geht, die Arbeiten nicht vor weißem Grund präsent gemacht. Vielmehr entsteht durch den Einbezug der architektonischen Installation eine Raumarbeit, die wiederum als Display für andere Werke und Arbeiten dient. Die Arbeiten werden hier nicht durch Vereinzelung und große Abstände zueinander exponiert, sondern vielmehr durch ihre Verschränkungen und Bezugnahmen aufeinander in das Ausstellungskonzept verwoben, das inhaltlich mit Ambivalenzen, Überschneidungen und verschiedenen Realitätsebenen arbeitet.

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suchern zunächst verborgen bleibt. Potenziell werden die Arbeiten im Zuge ihres Ausgestellt-Seins einem Risiko ausgeliefert, da viele von ihnen ohne Absperrung, Barriere oder Vorrichtung in den Räumen gezeigt werden. Mit dem Eingehen dieses Risikos suggeriert die Ausstellung in diesem Fall weniger die »Imagination eines bedrohlichen Publikums« (Doering/Hirschauer 1997: 285), sondern die eines Publikums, das um die Unantastbarkeit ausgestellter künstlerischer Arbeiten weiß und gewisse Umgangsweisen mit Kunst habitualisiert hat. Ausgegangen wird von einem Publikum, das jene Regeln kennt, die der Besuch zeitgenössischer Kunstausstellungen erfordert: Ist nichts anderes ausgewiesen oder erkennbar gemacht, sind ausgestellte Arbeiten mit einem gewissen Abstand zu betrachten und nicht mit dem Körper zu berühren. Besonders mit dem Akt der Offizialisierung der Ausstellung tritt dieses Regelwerk in Kraft. Ab dem Zeitpunkt des Eröffnungsaktes darf im Ausstellungsraum nicht mehr – wie dies noch in der Zeit während des Aufbaus der Arbeiten gängige Praxis war – getrunken, gegessen oder geraucht werden. Das Format der Ausstellung wird mit dem Ritual der ›Eröffnung‹ offiziell aktiviert. Es ist eingebettet in Regeln, Normen und Konventionen, die den Schutz der Arbeiten auch an das »Ehrerbieten und Benehmen« (Goffman 1986b: 54 ff.) ihrer Betrachter koppeln. Die Ausstellung bedeutet eine Veränderung des Raumes in seiner Normativität, Restriktivität und Konventionalität. Praktiken, die potenziell den Raum und die in ihm gezeigten Arbeiten ›antasten‹ können, werden untersagt, Übergriffe gilt es zu vermeiden. Das Betrachten künstlerischer Arbeiten in Ausstellungen tritt hier auch als eine Praxis der Zuwendung und Anerkennung der Arbeiten und Werke hervor, denen seitens der Besucher im Sehen und langsamen Gehen begegnet wird. Die Anerkennung, die ausgestellten Arbeiten und Werken durch ihre Betrachter zuteilwird, zeigt sich beispielsweise, indem ein gewisser Abstand zu den Arbeiten und Werken seitens ihrer Betrachter eingehalten wird und sie nicht berührt werden. Von ausgestellten Arbeiten geht in gewisser Weise ihre Unantastbarkeit aus. Im Modus ihrer Ausstellung sind sie nicht berührbar, bewegbar oder verstellbar – auch Künstler und Kuratoren als diejenigen, die die Arbeiten und die Ausstellung hervorgebracht und konzipiert haben, nähern sich den Dingen nunmehr als ihre ›Betrachter‹. Der in dieser Weise ›fertige‹ Zustand der Ausstellung hüllt die Arbeiten in eine Atmosphäre der Unantastbarkeit, was zur besonderen Präsenzwerdung der Arbeiten, der Werke sowie der Ausstellung als solche beiträgt. Die im Ausstellungsraum etablierte Unantastbarkeit der Arbeiten muss nicht nur als ›Erstarren‹ der sich zeigenden Arbeiten aufgefasst werden. Sie ermöglicht auch, dass sich im Gang durch die Ausstellung ein betrachtendes, sich den Dingen zuwendendes und fokussiertes Sehen etabliert, das mit den ausgestellten Arbeiten sowie dem Ausstellungsaum – hier der Rauminstallation – interagiert.

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Das Betrachten der Arbeiten beschränkt sich aus dieser Sicht keineswegs auf die Einhaltung von Konventionen, auf habitualisiertes Wissen der Ausstellungsbesucher und deren körperliche Bewegungen durch den Raum. Im gehenden und sehenden Begegnen der ausgestellten und zeigend gemachten sich zeigenden Arbeiten werden ›das Betrachten‹ und ›die Betrachter‹ als solche hervorgebracht, die sich den Dingen unterschiedlich nähern.23 Erweitert wird das Betrachten im Falle dieser Ausstellung durch das Gehen durch die Rauminstallation, was mit Raumerfahrungen einhergeht, die sich anders bemerkbar machen als das Ansehen von Arbeiten, die dem Blick gegenübertreten. Die Rauminstallation entfaltet im Gang durch sie ihren irritierenden Charakter: Sie umhüllt sowohl die Arbeiten im Raum als auch die Anwesenden. Im Zusammenspiel zwischen Ausstellungsraum und Rauminstallation birgt das verzweigte Raumgefüge eine Atmosphäre, in der die Betrachter oder auch Besucher der Ausstellung geradezu umherwandern. Im Navigieren meines betrachtenden Blicks bin ich sodann auf der Suche nach Bekanntem und Unerwartetem, nach Wendungen, nach Überraschendem und Unverhofftem, nach weiteren Arbeiten, die die Räume mit ihren dunklen Ecken und Winkeln oder auch vor hell beleuchteten Wänden preisgeben. Der Gang ist langsam, die Blicke sind mit einer besonderen Aufmerksamkeit im Hinblick auf das zeigend gemachte sich Zeigende ausgestattet. In dieser Weise wird der Raum erfahrbar und ›macht‹ etwas mit den in ihm versammelten Arbeiten und Werken sowie mit den durch ihn Gehenden. In seinen Wegen und Wänden orientiert und konfundiert er den durch ihn Gehenden, der während des Durchgehens stets Anderes, Weiteres, Bekanntes und Unbekanntes zu erblicken vermag. Die Wände der Installation fungieren neben ihren architektonischinstallativen Qualitäten auch als ›Display‹ für weitere Werke, vor denen ich während des Durchschreitens der Ausstellung stehen bleibe, um sie näher anzuschauen. Dieses Sehen im Stehen und Gehen, Betrachten und Durchwandern einer Ausstellung ist mitunter auch als »Passivierung« oder als »Reduktion auf den Augensinn« (Doering/Hirschauer 1997: 289) argumentiert worden. Aus der hier eingenommenen ethnografischen Perspektive bringt das Argument einer solchen Reduktion jedoch das zum Verschwinden, was im Zuge einer Ausstellungsbegehung und einem praktizierten, konzentrierten und sich auf die Arbeiten einlassenden Sehen in Anbetracht der Arbeiten und Werke vor sich gehen kann. So

23 Nach Bal (2002: 79) kommunizieren ausgestellte Objekte auf verschiedene Weise mit ihren Betrachtern, so bringen sie etwa »den lernenden Spaziergänger« mit hervor, der sich den Dingen im Sagen und Zeigen zuwendet, wobei die Dinge sich auch ihm zuwenden.

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kann gerade im konzentrierten, intensiven und umhergehenden Sehen und Betrachten, Erfahren und Beurteilen der ausgestellten Arbeiten nicht nur etwas ›passieren‹, sondern etwas mit den Arbeiten ›gemacht‹ werden.24 Dies geschieht innerhalb des Befragens, Reflektierens und Erfahrens dessen, was sich dem den Exponaten zugewandten Besucher zeigt – kurzum: Nicht nur zu anderen beistehenden Betrachtern, sondern auch zu den sich zeigenden Arbeiten selbst können im Sehen interaktive Beziehungen eingegangen werden. Dies setzt voraus, dass auch der Ethnograf beziehungsweise der Soziologe zu einem Teilnehmer der Situation wird und die Exponate beziehungsweise hier die Arbeiten als künstlerische Arbeiten betrachtet und zur Kenntnis nimmt. Die Einforderung der Unantastbarkeit ausgestellter Arbeiten und Exponate nimmt demnach eine doppelte Relevanz ein: Sie schützt die Arbeiten und bringt zugleich den Betrachter als solchen hervor, indem sie besonders dessen Wahrnehmen und Sehen adressiert und forciert. Begreift man ein solches Wahrnehmen und Sehen ausgestellter künstlerischer Arbeiten als eine Praxis, in der gehandelt, gedacht, gefragt, überlegt und erfahren wird, so lassen sich diese Begegnungen zwischen Betrachter und Arbeiten nicht auf leblose, stumme, passive und gleichsam ›handlungsarme‹ Praktiken reduzieren. Das auf sein Wahrnehmen und Sehen zurückgeworfene Betrachten und Anschauen ausgestellter Arbeiten wird vielmehr in dessen Handlungspotenzial herausgefordert: Es ›macht‹ etwas mit dem, was sich wie zeigt und geht mit den Arbeiten im Kontext ihrer Ausstellung um, vorausgesetzt, dem Wahrnehmen, Begehen, Erfahren und Ansehen künstlerischer Arbeiten wird ›eigenes‹ Handlungspotenzial und eine praktische Involvierung zugestanden. Aus dieser Sicht evozieren die ausgestellten Arbeiten Fragen und Überlegungen und können in ihrer Gewitztheit auch Humor freisetzen. In einem solchen, in das Setting involvierten Wahrnehmen und Sehen zeigen sich nicht allein kulturelle oder sozio-materielle Artefakte, sondern zugleich zeitgenössische künstlerische Arbeiten und (kunsthistorisch) kontextualisierte Werke, die Fragen, Ansichten und Überlegungen für denjenigen bereithalten, der sich – eingebunden in praktisches und theoretisches Wissen – zu ihnen begibt. Die Art und Weise, Dinge zu sehen, ist an der Praxis des Betrachtens folglich beteiligt und lässt Räume der Interaktion mit dem Wahrnehmbaren entstehen.

24 Unterstützt wird die ›Belebung‹ einer Ausstellung und der in ihr ausgestellten Arbeiten und Werke beispielsweise durch ›Kuratorenführungen‹, in denen Informationen zu den gezeigten Arbeiten für Besucher und Betrachter kommunikativ vermittelt werden. Auch Performances oder Lesungen in Ausstellungen versammeln Besucher und lassen die für eine bestimmte Dauer ausgestellten Arbeiten und Werke in verschiedenen Kontexten und Bezügen in Erscheinung treten.

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Ausstellungsansicht (Bildrechte liegen beim Künstler). Im Vordergrund die Arbeit von Marten Schech: Drei Keile, ein Diamant, die Konche und der Staub, 2013, Gitter, Holz, Staub, Zementputz.

226 | K UNST IN ARBEIT Im Hintergrund die Arbeit von Max Schulze: No Loitering, 2013. Installation mit vier Gemälden Ohne Titel 2011/12. Acryl, Tusche, Sprayfarbe auf Leinwand oder Hartfaser, Leuchtstoffröhren.

In Anbetracht der Arbeit. Besondere Begegnungen In der Begegnung mit ausgestellten künstlerischen Arbeiten können diese eine Präsenz entwickeln, die die ihr vorausgegangenen profanen Herstellungs- und Arbeitspraktiken auf den ersten Blick in den Hintergrund treten lässt. Das Profane und Pragmatische künstlerischen Arbeitens im Umgang mit Materialien, Dingen, Techniken und Werkzeugen vermag sich – je nach Werk und Arbeit – zwar auch weiterhin in den sichtbaren Materialien und Spuren des ›Machens‹ anzudeuten. Dies ist bei vielen Arbeiten – keinesfalls bei jeder – gar intendiert. Jedoch kann diese profane Seite künstlerischer Praxis in gewisser Weise zum Verschwinden gebracht werden. Die Arbeit zeigt sich zwar in ihrer ›Gemachtheit‹, sie entwickelt jedoch eine Präsenz, die andere Auseinandersetzungspotenziale, Erfahrbarkeiten und Fragen bereithält als Fragen nach Herstellungsweisen, Techniken und Hervorbringungsverfahren. Künstlerische Arbeiten können gegenüber ihren Betrachtern eine Präsenz entfalten, die etwas ›macht‹, auslöst oder freisetzt, indem sie Blicke anzuziehen, einzurollen und zu berühren vermögen. In diesen Begegnungen können Erfahrungssituationen entstehen, in denen der sich der ihnen Zuwendende ihren Besonderheiten begegnet. Schon seit Stunden bin ich zusammen mit einer Künstlerin in den Giardini auf der Biennale in den Pavillons unterwegs. Wir gelangen in einen Pavillon, dessen Atmosphäre schon während des Eintretens in den Raum eine stille und eindringliche ist. Langsam beginnen sich meine Augen an das Dunkel in dem Raum zu gewöhnen. Die Oberlichter an der Decke sind mit Stoff zugehängt, das spärliche und fahle Licht offenbart graue und raue Wände. Ein baumstammähnliches, hölzern anmutendes Gebilde dominiert den abgedunkelten Raum. In der Mitte des Raumes liegt es am Boden, es nimmt den Raum geradezu für sich ein. Ast- und zweigähnliche Arme gehen von ihm aus. An verschiedenen Stellen und Enden ist es mit Stoff umwickelt, ähnlich dem Verbinden amputierter Gliedmaßen. Die Farben der fast fetzenhaft wirkenden Stoffbinden erscheinen in dem spärlichen Licht gedämpft, werden von dem Grau und dem Dunkel fast verschlungen. Eine seltsame Stille macht sich bemerkbar, ein Unbehagen und eine Anziehung zugleich. Langsam gehe ich an dem hölzern wirkenden, rauen und in seinen Strukturen wie Rinde erscheinenden Gebilde entlang und umgehe es. Es wirkt organisch, verwundet, verletzt. Mein Blick fährt wieder die grauen Wände des Raumes ab, kehrt zu dem daliegenden hölzern erscheinenden Gebilde zurück und bleibt an dunklen, stoffumwickelten Stümpfen hängen.

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Die Installation drängt sich meinem Blick gleichsam auf und fordert meine Aufmerksamkeit ein.25 Ein derartiges Wahrnehmen und Sehen beobachtet die Arbeit nicht als Artefakt, Ding, Gegenstand oder Objekt in kühler und distanzierter Weise oder, metaphorisch gesprochen: Die von Soziologen oftmals aufgesetzte ›sozio-technische‹ Brille ist abgelegt beziehungsweise sie fällt im Zuge einer solchen Begegnung sprichwörtlich von der Nase. So lässt sich dieses ästhetische Erfahren beziehungsweise berührt-berührende Sehen auf die Arbeit in der ihr eigenen Präsenz in actu ein. Nicht im Kontext ihrer Herstellung, sondern im Kontext ihrer Ausstellung tritt die Arbeit in ihren Eigenheiten hervor. Ein derartiges sich auf das sich Zeigende einlassendes Wahrnehmen verweigert in der Situation das Sehen einer profanen ›Gemachtheit‹ der Dinge, um das Besondere – in diesem Fall die besondere Atmosphäre der Arbeit – wahrnehmen zu können. So treten im Vollzug des Betrachtens weniger Fragen nach der Herstellungspraxis, nach künstlerischen Praktiken oder Techniken in den Vordergrund. Vielmehr wird die sich zeigende Arbeit im Sehen und Wahrnehmen besondert, wobei die Arbeit in ihrer Präsenz zugleich mein Sehen und Wahrnehmen zu besondern scheint. Für dieses dem sich Zeigenden in dessen Besonderheiten und Eigenheiten zugewandte Sehen verschwindet kurzzeitig der profanierende Fokus auf die »Fabrikation der Aura« (Doering/Hirschauer 1997: 290) zugunsten der wahrnehmbaren Präsenz der präsentgemachten Arbeit in ihrer dramatischen und zugleich stillen Inszenierung. Das situative Erfahren der Arbeit – man kann hier gar von ästhetischem Erfahren sprechen – nähert sich dieser zunächst auch in intuitiven Zugangsweisen an, die die Atmosphäre des Raumes und die besondere Präsenz des am Boden liegen Baumgebildes berücksichtigen. Die Arbeit wird nicht nur als epistemisches Ding oder Wissensobjekt relevant. Auch im Wahrnehmen des Raumes, des Lichtes und der eigentümlichen leiblichen Präsenz des in der Mitte liegenden verwundeten Dings betrifft und berührt sie Blick und Blickenden, Sehen und Sehenden. Rückblickend stelle ich mir die Frage, warum gerade diese Arbeit mich so eingenommen hat – was hat sie für mich so spannend und relevant werden lassen? Weniger ein kanonisiertes bildungsbürgerliches Wissen tritt hier in Erscheinung, das es vor anderen zu profilieren gilt. Vielmehr erblicke ich in der Arbeit eine Verbindung zu meiner ›eigenen Arbeit‹, was eine plausible Referenz dafür sein kann, dass mich diese Arbeit zu eben diesem Zeitpunkt in dieser Weise betroffen hat. So begegnete mir im Kontext der Ausstellung eine Arbeit, die

25 Bei der im Protokoll erwähnten Arbeit handelt es sich um die Installation kreupelhout beziehungsweise cripplewood von Berlinde De Bruyckere, die 2013 auf der Biennale di Venezia zu sehen war.

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mit starken Referenzen auf leibphänomenologische Positionen operiert – Positionen, mit denen ich mich im Kontext dieser Studie zum Zeitpunkt des Ausstellungsbesuchs intensiv auseinandergesetzt habe.26 Das Betrachten von künstlerischen Arbeiten zeigt sich in diesem Fall auch eingebunden in eine Praxis des Zuwendens und Sehens, die seitens des Betrachters ›mitgebrachte‹ Dispositionen, Interessen, Auseinandersetzungen, Sichtweisen und eine ›Anfälligkeit‹ für bestimmte Dinge in die Situation ›hineinträgt‹. Etwas, mit dem sich jemand ›derzeit‹ auseinandersetzt, vermag in das Ansehen künstlerischer Arbeiten eingehen. Zugleich können Referenzen, Fragen und Überlegungen im Verhältnis zur ›eigenen Arbeit‹ von den Arbeiten im Anblick ihrer ausgehen. Folgendes lässt sich am Fall dieser Begegnung einschließlich der rückblickenden Reflexion festhalten: Wie welche Arbeiten von wem im Hinblick auf was gesehen und wahrgenommen, befragt und adressiert werden, ist auch daran gekoppelt, mit was sich derjenige gerade selbst umtreibt, was er parallel ›macht‹, an was er ›arbeitet‹. Welche Fragen, Eindrücke und Überlegungen im Anblick welcher künstlerischen Arbeiten entstehen, kann auch eingebettet sein in die jeweilige Arbeit des Betrachters. Das Betrachten ausgestellter Arbeiten im Bereich der bildenden Kunst lässt sich vor dem Hintergrund einer Teilnehmerperspektive nicht allein auf ein Dekodieren von Werken auf der Grundlage von habitualisiertem (hoch-) kulturellen Kapital (Bourdieu 1997) reduzieren, obgleich das Betrachten sich mit praktischem sowie auch theoretischem Wissen im Hinblick auf bestimmte künstlerische Positionen und Arbeitsweisen verbindet. Das Betrachten ist auch eingebettet in ein situiertes Umgehen mit den ausgestellten Arbeiten seitens des Einzelnen und dessen Bezugnahmen. Künstlerische Arbeiten verfügen über das Potenzial, Gedanken anzuregen und Erfahrungen zu evozieren, die wiederum in das ›eigene Arbeiten‹ eingehen und zurückgespeist werden können. Das Anschauen künstlerischer Arbeiten ist demnach kontingent. Geht der eine an einer ausgestellten Arbeit vorbei, verweilt der Andere bei ihr und schaut sie sich intensiver an, da eben diese Arbeit für ihn und seine Arbeit Impulse, Relevanzen und Sichtweisen anzubieten vermag.27 Im Feld der Kunst ist diese selektive Weise des Betrachtens künstlerischer Arbeiten vor dem Hintergrund des eigenen Arbeitens

26 Die Arbeiten von Berlinde De Bruyckere legen ihren Bezug zur Leibphänomenologie unmittelbar nahe, siehe hierzu weitergehend auch die Kataloge »Mysterium Leib« (Wieg 2011) sowie »Leibhaftig. In the flesh« (Bucher Trantow/Pakesch 2013), deren Titel bereits Referenzen auf die Leibphänomenologie Merleau-Pontys beinhalten. 27 Die Orientierung an Anderen beim Begehen einer Ausstellung und beim Interagieren in Anbetracht von Ausstellungsexponaten ist besonders von vom Lehn (2006) sichtbar gemacht worden.

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eine gängige Praxis. Künstler betrachten ausgestellte Arbeiten nicht selten auch in Relation zu ihrem eigenen Arbeiten, was mitunter Ausgang und Antrieb für Ausstellungsbesuche sein kann. Mit Künstlern Kunst gucken. Selektives, kritisches und konstruktives Sehen Das Anschauen von Arbeiten und Werken sowie der Gang in Ausstellungen spielt für das ›eigene‹ künstlerische Arbeiten eine Rolle. Künstler gehen in Ausstellungen, betrachten Arbeiten und historische Werke, machen sich Notizen zu jeweils für sie besonders interessanten Arbeiten und Positionen und sammeln Kataloge, Abbildungen und Texte. Sowohl Relevanz und Prominenz der gezeigten Arbeiten und Ausstellungen in der Kunstwelt können für die Auswahl zu besuchender Ausstellungen eine Rolle spielen als auch kunsthistorische Bedeutungen von Werken und Positionen. Auch der Besuch von Ausstellungen auf Einladung befreundeter Künstler stiftet unter Künstlern oftmals Anlässe für Ausstellungsbesuche. Nicht zuletzt wird das Anschauen bestimmter Arbeiten anlässlich ihrer Ausstellung für Künstler bedeutsam, um diese in Relation zu ihrer eigenen Arbeit zu betrachten. H. (Künstlerin im Bereich Fotografie) ist schon seit Jahren Besucherin der Biennale, kennt sich aus, weiß, wo was zu finden ist. Wir gehen zusammen durch die Pavillons in den Giardini. Jeder der Pavillons ist einem Land zugehörig, in dem Kuratoren die Arbeiten eingeladener Künstler zeigen. An vielen der ausgestellten Arbeiten geht H. mit einem kurzen Seitenblick vorbei, vor einigen bleibt sie länger stehen, schaut sie ausgiebig von verschiedenen Seiten und Distanzen, Blickwinkeln und Perspektiven an. Manchmal fotografiert sie einige der Arbeiten mit ihrer Handykamera. Besonders vor den Fotografien in einem Pavillon verweilt H. Sie geht nah an die an der Wand hängenden Bilder heran und bleibt minutenlang vor einer Reihe gerahmter Fotografien stehen. Schweigend und mit konzentriertem Blick betrachtet sie die Fotografien. Ich und eine weitere Begleiterin nähern uns H. Sie dreht sich zu uns um und sagt sichtlich begeistert. »Die sind ja toll! Da kauf ich mir den Katalog, auch die Farben mit den Fotografien. Tolle Fotoarbeiten!« Ich habe die Fotografien kaum sehen können, da sich mein Blick in den letzten Minuten auf H. fokussiert hat. Nun stelle ich mich selbst vor die Bilder und schaue die gerahmten Fotos aus der Nähe an. Sie sind schwarz-weiß und mit farbigen Stoffen unterlegt, dunkle Holzrahmen umgeben jeweils den roten, grünen und blauen Stoff. Mit einem eindeutigen Nicken bestätige ich H.s Begeisterung. Wir gehen weiter. Einen anderen Pavillon durchschreitet H. in flottem Tempo, schnell geht sie an den hier gezeigten Installationen vorbei, blickt mal nach

230 | K UNST IN ARBEIT links, mal nach rechts und sagt im Gehen »Das ist mir zu viel Kunst-Kunst, zu gewollt und auch nichts Besonderes, einfallslos.«

Der Blick der Künstlerin wirkt schnell und sicher in der Selektion der Arbeiten, die sie sich intensiver anschauen oder auch nicht anschauen wird. Die Künstlerin scheint geradezu auf der Suche nach etwas für sie Besonderem und Überzeugendem zu sein, das sie in den ausgestellten Arbeiten zu erblicken vermag. Professionell und souverän selektiert H. aus der Vielzahl an Arbeiten diejenigen, die für sie interessant und relevant sind, indem sie die ausgestellten Arbeiten mit einem prüfenden und kritischen Blick adressiert und kontaktiert. Ihre Kommentare, die sie in Anbetracht der Arbeiten kommuniziert, sprechen den Arbeiten mal mehr, mal weniger Potenzial zu. H. besucht bereits jahrzehntelang Ausstellungen und hat auch selbst an einer Vielzahl von Ausstellungen teilgenommen – sie hat bereits viel ›Kunst‹, gesehen, was sich auch in ihren Kommentaren mitteilt. In dieser Weise performiert sich ein ›Kunstverständnis‹ beziehungsweise ein Wissen seitens der Künstlerin darüber, welche Arbeiten sich ihr wie zeigen, welche Arbeiten und Positionen an welche Diskurse innerhalb der bildenden Kunst anschließen und wie sie diese für sich einordnet. Längst nicht alle Arbeiten werden von H. intensiv betrachtet und kommentiert. An vielen streift ihr Blick vorüber. Das Betrachten der Künstlerin zeigt sich keineswegs als voraussetzungslos oder rein kontemplativ. Vielmehr ist es eingebettet in das, was schon von der Künstlerin zuvor in ähnlicher oder anderer Weise gesehen wurde, was ihr bekannt erscheint und was sie in welcher Weise noch zu überraschen vermag. Ein solches Betrachten der Arbeiten durch die Künstlerin geht mit einem »Analogieräsonieren« (Knorr Cetina 2002a [1981]: 92 ff.) einher, das den ausgestellten Arbeiten im Hinblick auf schon Gesehenes und noch nicht Gesehenes begegnet. So deutet sich das in dieser Weise ›kritische‹ Betrachten der Künstlerin als eines an, das entlang der Pole bekannt/unbekannt, besonders/nicht-besonders, schon-oft-so-ähnlich-gesehen/noch-nicht-in-dieserWeise-gesehen verläuft. Trifft der routinierte Blick im Kontext des häufigen Ausstellungen-Anschauens seitens der Künstlerin auf für sie konventionelle Arbeiten, so scheinen diese Arbeiten sie weniger zu überzeugen. Die Arbeiten bedienen sich aus Sicht der Künstlerin zu offensichtlich bekannter Formeln und Schemata, die innerhalb der bildenden Kunst bereits kanonisiert, rezipiert und bearbeitet wurden (»Das ist mir zu viel Kunst-Kunst, zu gewollt und auch nichts Besonderes, einfallslos«). Trotz ihrer jahrelangen Berufspraxis hat sich H. eine Offenheit für das Erblicken von Arbeiten und Dingen bewahrt, die sie zu überraschen und zu begeistern vermögen. Das Betrachten von Arbeiten innerhalb der Praxis künstlerischen Arbeitens wird hier auch als eines relevant, das im Vollzug

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des Ausstellungsbegehens auf der Suche nach Besonderheiten – nach anderem – bleibt. Pragmatisch und in gewisser Weise effizient geht die Künstlerin mit der Menge und Vielfalt der im Rahmen der Ausstellung gezeigten Arbeiten auf der Grundlage entwickelter eigener Dispositionen, Fragen und Präferenzen um. So geht es im Zuge des Ausstellungsbesuchs für die Künstlerin zum einen um das Informieren über die Arbeiten Anderer und über das, was gerade von wem wie ausgestellt wird. Zum anderen spielt auch das ›Finden‹ und ›Entdecken‹ von Positionen und Arbeiten, von Möglichkeiten und Strategien während des Ausstellungsbegehens eine Rolle. So betrachten Künstler diese nicht zuletzt beziehungsweise mitunter auch in Relation zur eigenen Arbeit – in diesem Fall treten beispielsweise die Fotografien für die Künstlerin in besonderer Weise hervor, wobei sie selbst auch mit diesem Medium arbeitet. ›Gefundenes‹ wird sodann fotografisch skizziert und visuell festgehalten, ›Entdecktes‹ beziehungsweise erblickte Arbeiten werden vor Ort digital gespeichert, sodass diese in ihrer Erscheinung erinnerbar und auch nach der Ausstellung zugänglich bleiben.28 Auch Kataloge erwirbt die Künstlerin im Verlauf ihres Ausstellungsbesuchs, in denen Arbeiten abgebildet sowie Texte und weitergehende Informationen zu den jeweiligen Künstlern bereitgestellt werden. Das eigene Sehen der Künstlerin beziehungsweise die Eigenheit ihres Sehens tritt während des Anschauens der Arbeiten anderer Künstler hervor, zu denen sich die Künstlerin selektiv und kritisch, distinktiv oder bestätigend positioniert und Stellung bezieht. In dieser Weise lässt sich festhalten, dass Künstler – ähnlich wie auch Wissenschaftler beim Rezipieren und Annotieren von Texten – selektiv die Arbeiten anschauen, die für ihre eigene Arbeit relevant sein können, wobei sich dies als ein selektives Sehen zeigt, das sich nach eigenen Dispositionen ausrichtet und fokussiert. So kann dieses selektive Sehen auch um den Aspekt des konstruktiven Sehens ergänzt werden. Nicht selten sammeln Künstler Anregungen für ihre eigene Arbeit, wobei es sodann auch darum geht, im Zuge eines kritischen Sehens das Gezeigte zu beurteilen, im Hinblick auf identifizierte künstlerische Qualitäten einzuschätzen und mit Bezug zur eigenen Arbeit Position zu beziehen.

28 Dieses Vorgehen kann analog zum Sammeln und Erzeugen von Material im Zuge ethnografischer Praxis betrachtet werden, in welcher neben textuellen Daten visuelle Skizzen, Bilder, Zeichnungen und Fotografien angefertigt werden.

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U ND WAS PASSIERT EIGENTLICH DANACH ? V OM W ERK ZUM M ATERIAL UND WIEDER ZURÜCK – E IN FOTOGRAFISCHER E SSAY Das Publikum einer Ausstellung bekommt in der Regel deren, mit Goffman (2009 [1969]: 100) gesprochen, »Vorderbühne« zu sehen: Auf dieser hängen, stehen oder liegen sämtliche Arbeiten an ihrem vom Kurator und Künstler vorgesehenen Platz in dem jeweiligen Raum; die Beleuchtung ist auf die Ausstellungssituation eingestellt; nach der sogenannten Preview schließt eine Eröffnungsfeier an und schließlich erfolgt der Einlass der Betrachter und Besucher der Ausstellung, die diese sodann als Publikum begehen, bestaunen, kritisieren und beurteilen. Aus ethnografischer Sicht habe ich auch die für das Publikum in der Regel unzugänglichere »Hinterbühne« (Goffman 2009 [1969]: 104) eines solchen Settings ein Stück weit in den Blick nehmen können. Auf dieser konzipieren und entwickeln Künstler ihre Arbeiten für die jeweilige Ausstellung in ihren Ateliers, um diese schließlich vor Ort aufzubauen oder anzufertigen. Doch was passiert eigentlich nach einer solchen Ausstellung mit den Arbeiten und Installationen? Was geschieht, wenn diese wieder abgebaut werden – insbesondere solche, die temporär beziehungsweise nur für die Dauer der Ausstellung erschaffen wurden? Während die Ausstellung von den Ausstellungsmachern oftmals in einen Katalog ›übersetzt‹ beziehungsweise übertragen wird, der von ihr zeugt und einen bleibenden Eindruck hinterlassen soll, stellt sich aus einer materialitätsinteressierten Perspektive mit Blick auf den Vollzug künstlerischer Praxis auch die Frage nach dem Verbleib der zum Einsatz gebrachten, installierten und sodann abgebauten Dinge, Arbeiten und Werke. Gehängte und gestellte Werke finden ihren Weg in der Regel zurück in die Tresore und Lagerräume ihrer Sammlung oder werden durch Dritte gekauft. Auch besteht eine Möglichkeit darin, dass zuvor ausgestellte Arbeiten wieder in den Bestand des Künstlers zurückgehen. Was geschieht mit den eingesetzten Materialien und Dingen im Zuge des Abbaus der Arbeiten, für die danach keine Lagerung vorgesehen ist? Eine einfache Antwort lautet: Sie werden entsorgt. Es gibt – und hier zeigt sich eine gewisse Dynamik künstlerischen Arbeitens – jedoch auch eine andere Option, die den Dingen und Materialien nach ihrer Verwendung und ihrem Einsatz für die Kunst zuteilwerden kann: Sie werden wieder zur Ressource für künstlerisches Arbeiten, in dessen Vollzug aus und mit ihnen wieder Anderes hervorgebracht wird. Am Fall der im Kontext der Studie in den Blick genommenen architektonischen Rauminstallation lässt sich genau dies nachvollziehen: Ausgehend von der Frage, was nach Beendigung der Ausstellung aus dem zuvor verbauten Holz wurde,

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ist in Zusammenarbeit mit dem Künstler Marten Schech eine Auswahl an Fotografien entstanden, die dem weiteren Werdegang des Holzes folgen – ein Werdegang, der die Weiterverwendung und Übersetzung der Balken vom Abbau der Ausstellung bis zur Fertigstellung einer neuen künstlerischen Arbeit zeigt.29 Wird der Putz nach Beendigung der Ausstellung abgeschlagen und entsorgt und werden die Gitter seitens des Künstlers sorgsam nach Ende der Ausstellung abtransportiert und in einem Container eingelagert, so werden die Balken, die der Putz-Holz-Konstruktion als Gerüst dienten, gleichsam künstlerisch ›recycelt‹. Von ihrem Status Teil eines Werks zu sein, werden sie in den Zustand des Materials zurückübersetzt, mit dem wieder Weiteres und Anderes hervorgebracht werden kann – Was ist mit ihnen sodann geschehen? Aus den gebrauchten Balken entsteht eine über scheinbar hundert Jahre ›alte‹ Ruine eines Pavillons nahe einer Villa – eine künstlerische Arbeit, die das ›gealterte‹ Material in konzeptioneller sowie ästhetischer Hinsicht plausibilisiert und in eine Umgebung einfügt. Der Prozess dieser Transformation wird im Folgenden in Form eines kurzen fotografischen Essays gezeigt. Anstelle einer Beschreibung der Transformation vom Werk zum Material und wieder zurück, zeichnen die Fotografien den Umgang mit dem Material anhand ausgewählter Stationen beziehungsweise Bildern von diesen nach; ergänzt werden die Fotografien von kurzen Beschreibungen.

29 Ist nichts anderes ausgewiesen, liegen die Bildrechte der folgenden Fotografien bei dem Künstler Marten Schech.

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Abbau der Rauminstallation nach Ende der Ausstellung. Mit Sägen und Hammer wird die Installation ›deinstalliert‹. Der Raum ist in Staub gehüllt. Er muss wieder in den Ausgangszustand zurückversetzt werden.

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Die Balken werden sorgsam gestapelt. Aus der Installation herausgelöst, werden sie wieder zu Material, mit dem erneut künstlerisch gearbeitet werden kann.

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Abtransport der Balken an die Arbeitsstätte des Künstlers.

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Über ein halbes Jahr lang wird das Holz draußen gelagert. Da es der Witterung ausgesetzt ist, verändert es mit der Zeit seine Farbe und Form: Das helle Holz wird grau, es verzieht sich und wirkt älter beziehungsweise es wird gleichsam einem optischen und durch die Lagerungsbedingungen herbeigeführten ›Alterungsprozess‹ unterzogen. (Eigene Abbildung)

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Im Atelier wird das artifiziell gealterte Holz zu einer neuen Installation verbaut: Entstehen soll ein historisch anmutender Pavillon, der auf einem Privatgrundstück platziert werden soll – so, als würde er dort schon seit über einhundert Jahren an seinem Platz stehen. Die Maße sind auf den zuvor vermessenen Ort abgestimmt.

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Die von der Witterung ›ergrauten‹ Balken sind im Zuge ihres Zuschnitts im Atelier nun transportbereit, um an den Ort gebracht zu werden, an dem der Pavillon auf einem Fundament errichtet wird.

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Aufbau des Pavillons an dem für ihn vorgesehenen Platz – ein Garten, dessen Vegetation in die Konzeption der Installation einbezogen wird.

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Titel der Arbeit: Pavillon, 2014. Holz, Glas, Baum, Fenster, Ziegelsteine, Fundament, Bodenplatten, Farbe, Lackfarbe, Bitumenpappe, Bitumen, Nägel.

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Die Innenansicht vermittelt den Eindruck, als hätte ein Baum über die Zeit hinweg das Dach durchstoßen und als hätte das Wurzelwerk die Steinplatten aufgebrochen.

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Die Bilder folgen dem Holz, seinem Einsatz und somit dem, was aus und mit ihm entsteht. Was lässt sich an dieser vor allem bildnerischen Argumentation beziehungsweise Argumentation in Bildern schlussfolgern? Aus ethnografischer Sicht tritt mit den Fotografien nicht vornehmlich die abgeschlossene Arbeit oder das ausgestellte Werk hervor, sondern der Arbeitsprozess als solcher erhält hier beispielhaft eine eigene Relevanz im Kontext künstlerischer Praxis: Während das Werk mit dem Ende seiner Ausstellung ebenfalls endet, geht das Arbeiten mit und an den Materialien und Dingen weiter. Künstlerisches Arbeiten setzt sich hiernach auch über einzelne Werke im Sinn einer ongoing activity hinweg – in diesem Fall wird ein Weiterarbeiten mit und aus dem zuvor Erarbeiteten heraus möglich, indem bereits Eingesetztes und Verwendetes erneut zum Einsatz gebracht wird. Hier zeigt sich eine gewisse Dynamik, die künstlerischem Arbeiten innewohnt: Scheinbar ›Fertiges‹ kann wieder zu ›Unfertigem‹ werden, Teile aus Werken können wieder zu Material für künstlerisches Arbeiten und somit zur Ressource für Weiteres und Anderes werden. Das Arbeiten selbst wird mit den Dingen und Materialien und im Umgang mit ihnen und ihren Übersetzungspotenzialen ›in Gang‹ gehalten. So zeigt sich künstlerisches Arbeiten in diesem Fall auch als eine ›ökologische Praxis‹, in der bereits Verwendetes wieder zu Anderem und Neuen finden kann – wie etwa hier die Balken, die altern und darüber hinaus durch ihre Lagerung draußen zum Altern gebracht werden. Womöglich werden sie sich auch im Kontext der Arbeit Pavillon weiterverändern und verziehen, sodass auch deren weitere Bearbeitung über die Zeit hinweg denkbar wird.

B USINESS AS USUAL … ZUR H ERSTELLUNG VON Ö FFENTLICHKEIT UND P RÄSENZ In diesem Kapitel soll das Augenmerk explizit auf eine Seite oder besser einen Kontext künstlerischen Arbeitens gerichtet werden, die beziehungsweise der im Feld der bildenden Kunst immer wieder hervortritt und gewisse Zugzwänge eines solchen Arbeitens aufscheinen lässt, das sich mit dem Attribut ›frei‹ identifiziert: Denn ›frei‹ bedeutet hier immer auch ›freischaffend‹, was mit Risiken, oftmals mit prekären Mitteln und mit einer ständigen Arbeit an der künstlerischen Karriere einhergeht.30 Künstlerisches Arbeiten braucht Aufmerksamkeit,

30 An dieser Stelle sei auf den besonders in der Ökonomie präsenten Diskurs des Künstlers als Kreativsubjekt im Kontext der creative industry (Loacker 2010) hingewiesen

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Anerkennung und Öffentlichkeit. Sowohl Kunstwerke im Zuge ihrer Ausstellung, Besprechung und medialen Vermittlung als auch Künstler selbst sind auf Sichtbarkeit und Resonanzen im künstlerischen Feld angewiesen. Die Anzahl der Ausstellungen, Besucherzahlen bei Ausstellungen, die Anzahl an Katalogtexten und Kunstkritiken sowie die mediale Präsenz in Kunstzeitungen und Zeitschriften sind auch in der Kunstwelt längst zu quantifizierbaren Indikatoren für den künstlerischen Erfolg geworden. Künstlerischer Erfolg und Erfolg im Ausstellungsbetrieb sowie am Kunstmarkt sind von ihrer Entkopplung weit entfernt. Die von Bourdieu (2001a: 354) hervorgehobene Trennung zwischen »reinen« Künstlern und denen, die sich strategisch an publikumswirksamen und ökonomischen Erfolgen ausrichten, scheint in dieser Trennschärfe nicht weiter zu bestehen. »Der Künstler als Unternehmer« (Mader 2011) oder als Manager seiner Arbeit hat längst Einzug in die alltäglichen Tätigkeiten künstlerischer Arbeit genommen – es sein denn, man folgt weiterhin dem vielbeschriebenen feldimmanenten Ideal, das an der Abgrenzung von künstlerisch/nicht-künstlerisch festhält. Dann lässt sich sagen: Künstler gehen heute oftmals diversen nichtkünstlerischen Tätigkeiten im Zuge ihrer alltäglichen Arbeit nach. Welche Tätigkeiten sind dies? Wie managen Künstler sich und ihre Arbeit? Hierzu einige Aussagen von Künstlern, die ihr Studium beendet haben und seitdem ›freischaffend‹ arbeiten: Die Hälfte der Zeit verbringe ich mittlerweile am Computer. Die Homepage bearbeiten, Anträge schreiben und so weiter. Das muss man ja heute alles machen. Ohne Präsenz im Netz wird es schwierig. Die Förderung für einen Katalog habe ich nun bekommen. Für meinen Film habe ich eine Förderung bekommen, das hat natürlich nicht gereicht, aber es hat geholfen. Und für eine Publikation habe ich nun auch etwas beantragt. Hab nun ein ganz neues Portfolio zusammengestellt. Neue Arbeiten, neue Fotos, neue Texte. Das schick ich demnächst ab, da ist eine Ausschreibung für einen Preis und ein Stipendium.

Was zeigt sich an diesen Aussagen? Künstlerisches Arbeiten ist eingebettet in Bewerbungsverfahren, Drittmittelakquise und Öffentlichkeitsarbeit. Diese wird von Künstlern oftmals selbst initiiert – die wenigsten Künstler haben hierfür einen Mitarbeiterstab und Galeristen, die derartige Arbeiten übernehmen. So gilt es, in Eigeninitiative die eigene Arbeit offline und online sichtbar zu machen, zu

sowie auf die Zugzwänge des Arbeitens im Zuge des Kapitalismus (Boltanski/ Chiapello 2006), die ohne Zweifel auch im künstlerischen Feld präsent sind.

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platzieren und sich mit seinen Arbeiten anderen und besonders relevanten Akteuren im künstlerischen Feld zu zeigen: Internetauftritte werden gestaltet, um Öffentlichkeit zu generieren; Förderungen für Kataloge werden beantragt, in denen die künstlerische Arbeit bildnerisch und oftmals auch in Verbindung mit Texten profiliert und zur Darstellung gebracht wird; Portfolios werden eingereicht, um sich auf Kunstpreise und Stipendien zu bewerben, die wiederum Reputation bedeuten und die künstlerische Vita bereichern. So geht es einmal darum, Sichtbarkeit für seine eigene künstlerische Arbeit zu erzeugen, zudem geht es um das Einwerben von Drittmitteln, um diese in das künstlerische Arbeiten selbst (siehe hier beispielsweise die Förderung eines künstlerischen Films und die Bewerbung für ein Stipendium) sowie in dessen Verbreitung und Platzierung (siehe die Förderung künstlerischer Kataloge und Publikationen sowie die Bewerbung für einen Kunstpreis) zu investieren. Das Schreiben von Anträgen, die permanente Aktualisierung des Portfolios, die Einrichtung und Wartung eines Internetauftritts – all dies ist Arbeit, die Zeit in Anspruch nimmt und die sich in ihrer Präsenz und Alltäglichkeit nur vor dem Hintergrund des oben beschriebenen Ideals einer Unterscheidung zwischen rein künstlerischer/nicht künstlerischer Tätigkeit trivialisieren und profanieren lässt. Künstlerisches Arbeiten zeigt sich hier auch eingebunden in ein Business, dessen Spielregeln ebenfalls in das alltägliche Arbeiten Einzug erhalten. Das Akquirieren ökonomischer Ressourcen, die wieder in das Weiterarbeiten investiert werden, sowie auch die Herstellung von Sichtbarkeit innerhalb der künstlerischen Community beziehungsweise der Kunstwelt(-en) mit ihren verschiedenen Akteuren, wie Galeristen, Mäzenen, Kuratoren und Kritikern, bindet Kapazitäten und wird aus der hier eingenommenen ethnografischen Sicht auch als Teil alltäglicher Arbeit von Künstlern zur Kenntnis genommen. Künstlerisches Selbstverständnis und Züge eines »unternehmerischen Selbst« (Bröckling 2007) sind nicht selten dem Druck ausgesetzt, Kooperationen einzugehen. Wie wirkt sich ein solcher Business-Kontext auf die Praxis künstlerischen Arbeitens aus? Zunächst einmal bedeutet dies, dass künstlerisches Arbeiten auch verbunden ist mit einem Arbeiten an der künstlerischen Karriere. Diese manifestiert sich in der bereits angesprochenen künstlerischen Vita, die Ausstellungen, Kataloge, Preise und Stipendien in Quantität und Qualität auflistet und gegenüber anderen Erfolg oder Scheitern performiert und zur Darstellung bringt. An wie vielen Ausstellungen hat ein Künstler in welchem Zeitraum teilgenommen? An welchen Ausstellungen hat ein Künstler teilgenommen? Welche und wie viele Preise und Stipendien hat ein Künstler verliehen bekommen? Derartige Fragen begleiten künstlerische Werdegänge und lassen Karrieren scheinbar vergleichbar und bewertbar werden. Fragen, die für Künstler, insbesondere für solche, die

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sich am Beginn ihres Werdegangs als ›freischaffende‹ Künstler befinden, lauten etwa: Welcher Kunstpreis ist prestigeträchtig? Auf welche Stipendien soll man sich bewerben? Welche Galerie ist ›seriös‹? Welche Ausstellungsbeteiligungen sind vorteilhaft, welche sind für die künstlerische Reputation mit potenziellen Nachteilen behaftet – mit wem zeigt man seine Arbeiten zusammen und mit wem nicht? Insbesondere anhand solcher Fragen tritt auch eine karrieristische und strategische Seite künstlerischen Arbeitens zutage. In dieser Weise geht es – den Teilnehmern folgend – auch darum, »es als Künstler zu schaffen«, was mit der Zuschreibung von Bedeutung und Erfolg sowie mit den Mechanismen der Selektion einhergeht. Mit Bourdieu (2001a: 355) zeigt sich das künstlerische Feld im Hinblick auf die Konkurrenz von Künstlern untereinander auch als »Schauplatz von Kämpfen«, wobei diese für ein sozialisiertes künstlerisches Selbst mitunter existenzielle Züge annehmen können. So wird die Arbeit an der Karriere für Künstler insofern relevant, ob jemand langfristig von den Akteuren des Kunstbetriebs als Künstler zur Kenntnis genommen wird. Aus ethnografischer Sicht zeigt sich die Arbeit an der künstlerischen Karriere als Bestandteil der alltäglichen Arbeit von Künstlern, die sich verschiedentlich ausdifferenzieren lässt. Sie tritt insbesondere als Überzeugungsarbeit sowie als Arbeit an der eigenen künstlerischen Inszenierung und Darstellung im Sinne von Legitimierungsarbeit im Feld der bildenden Kunst auf. Künstler müssen demnach – und dies werden auch Wissenschaftler kennen –, die eigene Arbeit in ihren Wertigkeiten, Bedeutungen und Relevanzen immer wieder gegenüber Drittmittelgebern und, allgemein gesprochen, Anderen plausibilisieren und kommunizieren. Solche Arbeit qualifiziert sich in der Logik des Feldes im engeren Sinne weniger als künstlerisches Arbeiten, sondern vielmehr als Tätigkeiten, die pragmatisch und strategisch (auch) von Künstlern zu machen und zu erledigen sind – mit anderen Worten: Auch Schreibarbeiten an Anträgen, Berechnungen von Budgets für künstlerische Vorhaben, das Anlegen, Verwalten und Warten einer Homepage, das Schreiben von E-Mails, das Organisieren von Transporten sowie das Abarbeiten bürokratischer Tätigkeiten kennzeichnen ein Business as usual, das sich im Feld künstlerischen Arbeitens in verschiedenen Ausprägungen und Organisierungen finden lässt.

Schlussbetrachtung. Künstlerisches Arbeiten zwischen Praxis und Phänomen »Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar.« PAUL KLEE 19201

Das Vorhaben der Studie bestand darin, die Praxis künstlerischen Arbeitens im Bereich der bildenden Kunst aus einer soziologisch-ethnografischen Perspektive in den Blick zu nehmen, sich ihren Eigenlogiken beschreibend anzunähern und sie in ihren empirisch-theoretischen Potenzialen zu befragen. Hierbei wurde zunächst von einem empirisch orientierten und heuristischen Praxisverständnis ausgegangen, das Praxis als Ensemble von Teilnehmern und Teilnahmen begreift, die künstlerische(-s) Arbeiten hervorbringen und als solche(-s) relevant machen. Gerahmt wurde die ethnografische Perspektive von praxistheoretischen Ansätzen, die ihren Beobachtungsgegenstand vornehmlich in sozio-materiell, körperlich und situiert vermittelten Praktiken finden. Mit Bezug auf derartige Ansätze sind sodann Arbeitspraktiken in den Fokus gerückt worden, die in ihrer öffentlichen und zugänglichen Verfasstheit beobachtbar und beschreibbar sind. Aus dieser Sicht tritt künstlerisches Arbeiten besonders in seinen Abläufen und Umgangsweisen zwischen Künstler(-köper), Materialien, Dingen, Räumen, Werkzeugen, Techniken und Konzepten hervor. Einen erweiterten Zugang zur Praxis künstlerischen Arbeitens hat die Studie in der Leibphänomenologie Merleau-Pontys gefunden, die einen theoretisch-empirischen Rahmen dafür bietet, das Wahrnehmen und in besonderer Weise das Sehen im Feld künstlerischen Arbeitens als ein eigenes leiblich verankertes beziehungsweise eigenleibliches zu berücksichtigen. Dieser Zugang wird verstehbar als Gang durch Phänomene im Sinne eines empathischen sich Einlassens auf die Praxis des Wahrnehmens

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Zitiert aus Edschmid 1920.

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einschließlich der Sichtweisen des Feldes und seiner Teilnehmer. Mit diesem Zugang wird eine mehr teilnehmende Perspektive gewonnen, die den Weisen des Sehens und Sprechens, des Wahrnehmens und Erfahrens vor Ort folgt, um deren Relevanzen für ein Verstehen der Praxis künstlerischen Arbeitens, übersetzt in (eigene) Beschreibungen und Formulierungen, weitergehend zum Sprechen zu bringen. Vor diesem Hintergrund habe ich mit zwei Blickweisen gearbeitet, mit denen sowohl profanierende Beobachtungen bewegter Körper, Materialien und Dinge als auch spezifische und ästhetische Fragen und Auseinandersetzungen im Hinblick auf die entstehenden künstlerischen Arbeiten einbezogen werden konnten. So ermöglicht die Berücksichtigung einer solchen phänomenalen Dimension von Praxis auch den offensiven Umgang mit Perspektivierungen im Hinblick auf das sich Zeigende in dessen Kontingenz und Relationalität, die immer auch den Wahrnehmenden und dessen Wahrnehmen einschließt. Wie ist die Praxis künstlerischen Arbeitens durch diese Zugänge in Erscheinung getreten? An dieser Stelle folgt zunächst ein Resümee dessen, was sich mir im Verlauf der ethnografischen Studie als relevante Einsichten zu erkennen gegeben hat. Zuerst lässt sich festhalten, dass sich künstlerisches Arbeiten in seinen praktischen Vollzügen keineswegs auf die beiden Instanzen Werk und Künstler beschränken lässt, sondern eine Vielzahl an Teilnehmern und Teilnahmen in Erscheinung treten, die den künstlerischen Prozess mit hervorbringen, ihn in Gang halten und ihn im Zusammenspiel ermöglichen. Materialien, Dinge, Räume, Künstler und ihre jeweiligen Sichtweisen, Techniken und Verfahren treten im arbeitenden Vollzug in Kontakt und setzen in ihrer Zusammenarbeit auch Unvorhersehbarkeiten und Unbestimmtheiten frei, die in die entstehenden Arbeiten und Werke eingehen und wiederum von diesen ausgehen. So möchte ich betonen, dass die in der Studie in den Blick genommene Versammlung von Teilnehmern und Teilnahmen in ihren verschiedenen Bezügen durchaus erweitert werden kann – in ihrer Eigenlogik mit Bezug auf die ständigen Variationen und Möglichkeitserweiterungen des künstlerischen Arbeitens selbst bleibt eine solche Versammlung dynamisch und unabgeschlossen. So können im Weiteren beispielsweise auch Software und einzelne Programme, verschiedene Medien beziehungsweise technische Artefakte, wie etwa die Kamera im Einsatz oder das Arbeiten am Laptop, in ihren Beiträgen für künstlerische Arbeitsprozesse in den Blick genommen werden. An dieser Stelle sei daran erinnert, dass ausgehend von einem ethnografischen Standpunkt in Kooperation mit dem Feld auch vielen weiteren Teilnehmern und Teilnahmen gefolgt werden kann. So versteht sich die Studie keineswegs als abgeschlossen, sondern vielmehr als Perspektive für eine soziologisch-ethnografisch qualitativ angelegte Forschung zur Praxis künstlerischen Arbeitens in situ.

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Als ein weiteres Ergebnis der Studie lässt sich festhalten, dass das Wahrnehmen als ein eigenes Wahrnehmen innerhalb der Praxis künstlerischen Arbeitens neben dessen Fragen nach technischem, ästhetischem, (kunst-)historischem, praktischem und auch theoretischem Wissen im eigenen Recht zu betrachten ist. Wahrnehmen wird im Vollzug künstlerischer Praxis mehr als ein Werkzeug und Mittel und auch mehr als der Einsatz von Sinnesinstrumenten. So begründet sich gerade im (eigenen) Wahrnehmen eine Ressource für Individualisierung und Positionierung gegenüber dem, was sich wem wie zeigt. Dies ist geradezu konstitutiv für künstlerische Entscheidungen, Setzungen und Aushandlungen im Vollzug des Arbeitens. Zugleich wird das Wahrnehmen und besonders das Sehen im künstlerischen Feld in seiner Praktizierbarkeit und Sozialisierbarkeit erkennbar: Erst im Verlauf und in kontinuierlichem Praktizieren entwickelt sich ein solch spezialisiertes und individualisiertes künstlerisch involviertes und positioniertes Wahrnehmen und Sehen, das bereits im Studium der Kunst in der Regel forciert und in dieser Weise auch eingeübt wird. Des Weiteren hat sich gezeigt, dass künstlerisches Arbeiten durchdrungen ist von Intentionalität und Reflexivität, die zwischen wissenden und wahrnehmenden Zugängen oszillieren: Intentionalität lässt sich auch als leibliches »Sein-zuihrem Gegenstande« (Merleau-Ponty 1974: 507, Herv. i. O.) oder auch zu ihrem Gegenüber verstehen; Reflexivität wird bereits im Wahrnehmen praktisch vollzogen und schließt »Präreflexives« (Merleau-Ponty 194: 411) im Erfahren von etwas und jemandem ein. Künstlerisches Arbeiten zeigt sich oftmals in der Bewegung des Herantretens an seine und des Zurücktretens von seinen eigenen Hervorbringungen. Eingebunden in verschiedene Kontexte werden künstlerische Arbeiten detailliert und präzise geplant oder aber situativ und offen aus dem künstlerischen Prozess in actu heraus hervorgebracht. So changiert künstlerisches Arbeiten in einer Gerichtetheit und Offenheit, wodurch sich verschiedene Möglichkeiten des Anfangens und Beendens einer Arbeit beziehungsweise eines Werks und der Gestaltung des Arbeitsprozesses selbst entwickeln. Experimentelle Züge evozieren erwartbare Überraschungen und konstruktive Unvorhersehbarkeiten für den künstlerischen Prozess, dessen Resultate nicht vorweggenommen werden (sollen) – in dieser Weise wird Komplexität erzeugt, die den Umgang mit Situativität und Variation seitens des Künstlers erfordert und eine gleichsam empirische und methodische Offenheit in das Arbeiten implementiert. Planerische Vorgehensweisen ermöglichen ebenfalls eine Steigerung von Komplexität, sodass auch technisch ausgefeilte und aufwendige Verfahren von vornherein in die Entwicklung von Arbeiten einbezogen werden können. Insbesondere im Oszillieren zwischen diesen beiden Polen wird deutlich, dass künstlerisches Arbeiten sich weder in naiv-obsessiven noch in rationalistischen Praktiken

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ergeht. Im Folgenden möchte ich einige der hier resümierten Überlegungen weitergehend diskutieren. So wird mit einem solchen Einbezug des Wahrnehmens empirisch-theoretisches Potenzial für den Blick auf künstlerische Prozesse, aber auch für die soziologische Ethnografie freigesetzt, indem das Primat des Wissens als Gegenstand ethnografisch-(wissens-)soziologischer Forschung in ein Verhältnis gesetzt und mit einer Praxis des Wahrnehmens weitergehend verzahnt wird. Diesem Gedanken folgend, werden zunächst verschiedene analytisch bestimmbare Weisen des Wahrnehmens und besonders des Sehens profiliert und konturiert, die sich im Zuge der Studie immer wieder als konstitutiv für künstlerisches Arbeiten zu erkennen gegeben haben. Sodann möchte ich abschließend noch einmal auf die beiden Zugänge des Wissens und Wahrnehmens als Zugänge zur (sozialen) Welt eingehen: Einen Schritt aus dem künstlerischen Feld heraustretend, lassen sich diesbezüglich auch für die soziologisch-ethnografische Beforschung von sozialer ›Praxis‹ oder ›Praxen‹ Argumente dafür finden, das Wahrnehmen im eigenen Recht einzubeziehen. Dies wird besonders für solche Praxen relevant, die von Ambivalenzen und Ambiguitäten gekennzeichnet sind.

S EHEN

IN A RBEIT UND DIE DES SICH Z EIGENDEN

E IGENMACHT

Künstlerisch involviertes Wahrnehmen und Sehen in seinen Eigenheiten ist besonders als arbeitendes und professionalisiertes Wahrnehmen und Sehen in Erscheinung getreten, das im Verlauf des Arbeitsprozesses beziehungsweise einer Arbeitsbiografie habitualisiert, sozialisiert sowie spezialisiert und individualisiert wird – es wird nicht nur Mittel, sondern Zugang für den künstlerisch Arbeitenden und dessen Arbeiten als solches. So sind im Zuge der Studie immer wieder verschiedene Weisen des Wahrnehmens und besonders des Sehens explizit gemacht worden: Künstlerisches Arbeiten hat sich auch als eines gezeigt, in dem im Wahrnehmen und Sehen etwas mit der entstehenden Arbeit ›gemacht‹ wird und geradezu mit dieser interagiert wird; es hat sich als eines zu erkennen gegeben, in dem Dinge und Anschlüsse gesucht, befragt, ausgehandelt sowie auch geprüft und im Hinblick auf ihre Qualitäten evaluiert und kritisiert werden. Diese Weisen des Wahrnehmens und Sehens, das, eingebettet in leiblich gebundenes Wahrnehmen, eine herausragende Rolle spielt, sollen an dieser Stelle noch einmal systematisch aufgezeigt und zusammengefasst werden. Zu betonen ist vorab, dass es sich bei dieser Systematisierung um analytische Differenzierungen handelt. So sind die im Folgenden zusammengefassten Weisen des Wahrnehmens und Sehens in der Vollzugswirklichkeit künstlerischen Arbeitens beziehungs-

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weise in der empirischen Situation keineswegs (methodisch) scharf voneinander abgegrenzt oder getrennt, sondern gehen ineinander über, überschneiden sich und bewegen sich fortwährend im Entstehen und im Anblick der jeweiligen Arbeit. Den verschiedenen Weisen des Wahrnehmens und Sehens liegt eine gemeinsame Annahme zugrunde beziehungsweise sie gehen von dieser aus: Der Zugang liegt in einem eigenen Wahrnehmen und Sehen begründet. Das eigene Wahrnehmen und Sehen lässt sich in einer eigenen Leiblichkeit und dessen Sozialisation verorten, die aus Auseinandersetzungen mit der sichtbaren Welt, ihren Dingen, Ereignissen und dem Austausch mit Anderen hervorgeht. Kurzum: Wer sich in die Praxis künstlerischen Arbeitens begibt, tut dies immer auch mit und in seinem Sehen, seinem Wahrnehmen, seinem Wissen und seiner Sicht auf das, was sich wie zeigt, wobei ein eigenes Sehen sich wiederum mit und an den sich zeigenden Dingen entwickelt. Die Eigenlogik künstlerischen Arbeitens beinhaltet in dieser Weise nicht nur die Aufforderung, sondern zugleich die Anforderung an ihre Teilnehmer, sich mit und in ihrem Sehen selbst auf Fragen, Auseinandersetzungen und Überlegungen auf etwas einzulassen, das sich zeigt, das sich zeigen kann und das sich zeigen könnte. Ein Gang durch die Praxis künstlerischen Arbeitens ist hiernach immer auch ein Gang durch das eigene Wahrnehmen und Sehen. Der Bezug zum eigenen Wahrnehmen und Sehen in künstlerischen Arbeitsprozessen etabliert die Bereitschaft, Anderes zu sehen beziehungsweise Anderes anders zu sehen und kann sich nicht in der Routine wohl aber in der Routine der Deroutinisierung einrichten. Das heißt, dass immer wieder Anderes in den Blick zu nehmen ist, ohne dass der Blick ein orientierungsloser, verlorener, umherirrender und beliebiger wird. Im Feld künstlerischen Arbeitens in der bildenden Kunst wird das umtriebige, arbeitende eigene Sehen sodann in verschiedenen Weisen relevant, die ich hier als drei Weisen versammeln werde: Zum Wahrnehmen und Sehen im Machen: Im Umgang mit Materialien und Werkzeugen, Dingen, Oberflächen, Techniken und Medien entwickelt sich innerhalb der Praxis künstlerischen Arbeitens ein Wahrnehmen und Sehen, das sich gleichsam im Machen findet beziehungsweise das im Vollzug des Ver-, Beund Erarbeitens der Dinge deren Veränderungen herbeiführt und nachvollzieht. Dieses Wahrnehmen und Sehen ist eng mit dem praktischen Gebrauch der jeweiligen Werkzeuge, Verfahren, Materialien, Dinge und Techniken verwoben. Es geht beispielsweise aus und mit Handgriffen hervor und findet sich im machenden Vollzug als solchem. Sehen und Sichtbares begegnen sich hier in einer Verschränkung. Das Wahrnehmbare und Sichtbare verändert sich im Vollzug von Bearbeitungen; Wahrnehmen und Wahrnehmbares beziehungsweise Sehen und Sichtbares gehen innerhalb eines solchen Wahrnehmens und Sehens im Machen Nahbeziehungen ein. Künstler(-körper) und entstehende Arbeit sind in ihren je-

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weiligen Widerständen und Eigensinnigkeiten miteinander verstrickt. Aus diesem Sehen gehen unmittelbar Veränderungen an der Arbeit im Sinne von Differenzen im Machen hervor, die aus Bearbeitungen resultieren, sich materialisieren und sich sodann zeigen. Zum befragenden und erweiternden Sehen: Künstlerisches Arbeiten bedarf auch eines Sehens, das die Dinge – dies können beispielsweise auch Ereignisse, Wissensbestände oder Ordnungen sein – in ihren Möglichkeiten befragt, abtastet und erweitert. Dieses Sehen zeigt sich oftmals als ein von den entstehenden Arbeiten und Dingen zurücktretendes Sehen, das sich dem Entstandenen aus einer anderen Position zuwendet. Sehen und Sichtbares begegnen sich in einem solchen Sehen als Gegenüber, wobei das eine aus dem anderen hervorgeht. Dieses Sehen geht einher mit einem das Sichtbare befragenden, übersteigenden und erweiternden Sehen, indem noch nicht Sichtbares im Sehen antizipiert, erahnt und ausgehend vom Sichtbaren als Möglichkeit einbezogen wird. Aus diesem Sehen gehen besonders fragende Differenzen und auch ästhetische Differenzen hervor, mit denen die künstlerische Arbeit weiterentwickelt und vorangetrieben wird. So wird gerade in diesem Sehen Kontingenz und eine für künstlerische Prozesse konstitutive Offenheit erzeugt, die das Arbeiten selbst in Gang hält und immer wieder Anderes und Weiteres einbezieht. Auch wird in diesem Sehen und seinem Zurücktreten Reflexivität im Hinblick auf das zuvor Gemachte und Erarbeitete hervorgebracht: Die Arbeit in ihren Möglichkeiten wird ins Verhältnis zu Erwartetem und Unerwartetem gesetzt. Zum kritischen und prüfenden Sehen: Im Übergang dazu etabliert sich innerhalb der Praxis künstlerischen Arbeitens ein Sehen, das den Arbeitenden kritisch zu den Dingen – dies können beispielsweise eigene Arbeiten oder Arbeiten Anderer sein – positioniert und das dessen Sichtweisen konturiert. Dieses Sehen trägt dazu bei, Positionierungen im Feld der Kunst sichtbar und kommunizierbar zu machen. Sehen und Sichtbares begegnen sich innerhalb eines derartigen Sehens in einer gewissen Distanz zueinander – der Sehende grenzt sich gegenüber dem Sichtbaren in seinem Sehen ab und das Sichtbare wiederum vom Sehenden, um kritische Differenzen zu erzeugen. Dieses Sehen begegnet den entstehenden oder auch entstandenen Arbeiten im Hinblick auf ihre Qualitäten, Potenziale und Defizite mit einem prüfenden und beurteilenden Gestus. Die Praxis künstlerischen Arbeitens fordert demnach immer auch ein Arbeiten an einer Standhaftigkeit, Konturierung und Tiefe der eigenen Sichtweise in Auseinandersetzung mit dem sich Zeigenden, um entstehende und zukünftige Arbeiten weiterzuentwickeln und zu verdichten. Das Zusammenspiel zwischen Sehendem, Sehen, Sichtbarem und noch nicht Sichtbarem geht auch mit einer Dezentrierung des Sehenden einher – so wird

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dieser nicht als permanente primäre kontrollierende und das Sichtbare einseitig manipulierende Instanz bedeutsam, sondern als Teilnehmer und Mitspieler einer arbeitenden Praxis begreifbar. Ihm tritt in seinem Wahrnehmen und Sehen immer etwas gegenüber, das sich so oder so zu erkennen gibt. An dieser Stelle sei daher auch die Eigenmacht des sich Zeigenden hervorgehoben, die für künstlerische Prozesse, Fragen und Auseinandersetzungen eine Rolle spielt: Etwas zeigt sich auch in seinen ästhetischen, phänomenalen, ambivalenten, subversiven und kontingenten Bezügen, die das sich Zeigende mit Komplexität aufladen. Im Zuge ihrer Entstehung werden die sich mehr und mehr zeigende Arbeit sowie die in ihrem Kontext eingesetzten Materialien und Dinge, Techniken und Verfahren auch als etwas Unbestimmtes bedeutsam, das in seinen Anforderungen und Eigenheiten, Qualitäten und Potenzialen für den Künstler in Erscheinung tritt. Die Dinge sowie die im Entstehen befindliche Arbeit zeigen sich mitunter gar überraschend und widerspenstig in Relation zu den Erwartungen des Künstlers, der ihnen zugleich eben diese Überraschungen und Widerspenstigkeit abverlangt. Das, was sich mit und an den Dingen zeigt, wird innerhalb der Praxis künstlerischen Arbeitens geradezu mit einer gewissen Eigenmacht ausgestattet und berücksichtigt. Im Hervorbringen erwartbarer Unerwartbarkeit und bestimmter Unbestimmtheit bieten die sich zeigenden Dinge dem künstlerischen Prozess Anderes als das Erwartete an und lassen sich nicht einseitig durch Manipulationen domestizieren, idealisieren, fixieren und kontrollieren. Das Unbekannte und Unbestimmte findet erst als solches im Suchen und Forschen, Experimentieren und Probieren seine Bestimmtheit – erst als solches konturiert es Fragen, Perspektiven und Anschlüsse für den künstlerischen Prozess. Künstlerisches Arbeiten findet seine »Selbstbestimmung« (Bertram 2014: 211) demnach auch im Umgang mit dem Unbestimmten, das beispielsweise durch bestimmte Materialkombinationen, Medien, Verwendungen, Verfahren und Techniken evoziert und forciert werden kann. Eine gewisse Unbestimmtheit und Unerwartbarkeit im Sinne einer empirischen Offenheit muss dem künstlerischen Arbeitsprozess demnach inhärent bleiben, damit an und mit dieser Weiteres erarbeitet, gesucht, untersucht beforscht und erfragt werden kann. Künstlerisches Arbeiten kann die aus ihm hervorgehenden Arbeiten in ihren eben bestimmt-unbestimmten Potenzialen Anderen überlassen, die sich weiter mit ihnen auseinandersetzen, die sie weiter befragen und kritisieren, analysieren und beforschen. Künstlerisches Arbeiten bestimmt seine Hervorbringungen weniger selbst durch Erklärungen oder durch Begriffe. Im Umgang mit Dingen, Rohmaterialien, Medien, Konzepten und Technik wird das Arbeiten oftmals nicht von einer Instanz absolut kontrolliert, geführt, gelenkt und definiert. Vielmehr folgt künstlerisches Arbeiten auch dem Selbstverständnis eines experimentellen Zusammenspiels von Materialien,

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Dingen, Technik und Vorhaben, das der Künstler zwar initiiert, dem er mitunter aber auch beobachtend beisteht. Weder ein genialisches Künstlersubjekt noch eine wissenserzeugende Apparatur geben das zu Machende in künstlerischen Prozessen vor; weder Erstes noch Letztes lenkt und führt künstlerische Praxis alleinig ausgehend von einer zuvor ausgedachten Idee oder einem technischen beziehungsweise funktionalistischen Programm, die beziehungsweise das es von den Teilnehmern der Praxis auszuführen und umzusetzen gilt. Künstlerisches Arbeiten lässt sich daher nicht allein in exekutiv verfassten »Selbstführungspraktiken« (Prinz 2014: 334) erschließen. So setzt Führung, auch in Form der Selbstführung die Bereitschaft zur Umsetzung und Ausführung von etwas Bekanntem voraus, das leitend, lenkend und kontrollierend die Praxis selbst beherrscht. Künstlerisches Arbeiten lässt sich jedoch nicht ausschließlich auf umsetzbare, anwendbare, ausführbare und durchführbare Praktiken reduzieren. Wäre dies der Fall, so wäre der künstlerische Arbeitsprozess auf exekutive Anwendungen und Umsetzungen von etwas beschränkt; Umsetzungen und Anwendungen sind Teil der Praxis, die jedoch eine emergente ist. Im Vollzug künstlerischer Praxis wird durch den Künstler mitunter kontrolliert Kontrolle an die eingesetzten Verfahren und Prozesse, Materialien und Dinge delegiert, damit ›etwas passiert‹, dessen Vorhersehbarkeit unvorhersehbar und dessen Unvorhersehbarkeit vorhersehbar eintreten können. Eine Herausforderung an künstlerisches Arbeiten ohne ›ständige Führung‹ besteht sodann darin, Offenheit und Experimentelles mit stabilen Ansichten und Einsichten, Konzepten, Verfahren und Abläufen zu verbinden, um das Zusammenspiel von Passieren-lassen und gezieltem Planen im Arbeitsprozess auszutarieren. Dieser Logik zufolge geht es im Vollzug künstlerischen Arbeitens weniger darum, Neues um des Neuen willens zu planen und zu erfinden oder Praktiken zu wechseln, um Innovatives, Kreatives oder Dynamisches zu produzieren; vielmehr wird die künstlerische Arbeit in ihren Anforderungen, Ansprüchen und Möglichkeiten in den Fokus gerückt, in deren Dienst die Versammlung aller Teilnehmer und Teilnahmen steht. Künstlerisches Arbeiten lässt sich in dieser Weise nicht als eine reine Praxis des Wissens fassen, so wird im Hinblick auf die Eigenmacht des sich Zeigenden auch ein Umgang mit Nichtwissen immer wieder gefordert – eben hier tritt das Wahrnehmen in seinen Unbestimmtheiten als Zugang und Durchgang hervor.

S CHLUSSBETRACHTUNG

ZU

EINER

P RAXIS

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UND

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W AHRNEHMEN

Halten wir fest: Derjenige, der sich künstlerischem Arbeiten in seinen Eigenheiten zuwendet, wird immer auch auf sein Wahrnehmen und Sehen zurückgeworfen. In dieser Weise lassen künstlerische Arbeiten sich nicht nur als kulturelle Artefakte oder wissensgenerierende Objekte fassen. Auch bringen sie Sichtweisen, Anschauungen und Perspektiven hervor, die das Wahrnehmen und besonders das Sehen selbst als Zugang zur Welt beziehungsweise zu dem, was sich wie zeigt, herausfordern. Das eigene Wahrnehmen und Sehen im künstlerischen Prozess begibt sich auch an die Ränder von Wissen und seinen sozialisierten und kulturalisierten Habitualisierungen. Schon während des künstlerischen Arbeitsprozesses werden dem Wahrnehmen und besonders dem Sehen Raum und Zeit gegeben, um nicht nur mittels Sehen und Wahrnehmen, sondern im Sehen und Wahrnehmen dem sich Zeigenden in dessen Möglichkeiten zu begegnen. Für eine Praxis, die auch das Wahrnehmen und Sehen, das Sichtbare und sich Zeigende in dessen Möglichkeiten und Eigenheiten begreift und befragt, werden nicht nur Abläufe, Techniken, Gebrauchsweisen und Praktiken relevant, sondern auch irritative Potenziale dessen, was sich wie zeigt, zeigen kann beziehungsweise zeigen könnte. Ambivalente, phänomenale, paradoxe und ästhetische Potenziale des Sichtbaren treten hervor und halten den Blick auf. Das, was ich sehe und wie ich es sehe, etwa wenn ich im Sehen etwas in dessen Zustand befrage, ist nicht absolut kongruent, mit dem, was ich weiß und wie ich weiß, was ich weiß. So spricht Waldenfels (1999: 102) auch von einem »Spalt zwischen Sehen und Wissen«. Im Wahrnehmen und Sehen von etwas bleibt ein Rest von sich Verbergendem und Entziehendem, das sich dem Wissen verschließt und das dem Sehen und Wahrnehmen zur Frage werden kann. Erscheint diese Lücke, diese Bruchstelle oder eben dieser Spalt in anderen Bereichen als Problem oder gar als Defizit, so wird eben dieses Spannungsmoment in künstlerischen Arbeitsprozessen als Potenzial anerkannt. Besonders hier passieren Dinge, entstehen Möglichkeiten und entwickeln sich Unvorhersehbarkeiten, die das Wahrnehmen und Sehen in seinen fragenden, ahnenden, glaubenden und zweifelnden Bewegungen selbst wiederum herausfordern können. Wahrnehmen und Wissen arbeiten in künstlerischen Prozessen als Komplizen zusammen, wobei das eine nicht absolut in das andere übersetzt werden kann und muss. Vielmehr erhält in künstlerischen Prozessen ein Bereich Einzug, in dem vermutet werden kann, wie sich etwas auch und noch (anders) zeigen könnte. Die berühmte Aussage von Polanyi (1985 [1966]: 14) »[…] daß wir mehr wissen, als wir zu sagen wissen« lässt sich in dieser Weise auch auf das Wahrnehmen übertragen: Wir nehmen mehr war, als sich uns zeigt – auch das, was

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sich noch nicht zeigt, dringt in das Wahrnehmen vor. Das Wahrnehmen von Strukturen, Formen, Farben, von Beziehungen der Menschen und Dinge untereinander, die auch Witz, Betroffenheit, Begeisterung, aber auch Abstoßung und Langeweile sowie andere Affizierungspotenziale freisetzen können, geht mit einem für das Wahrnehmen selbst sensibilisierten Wissen einher – einem Wissen darum, dass das Wahrnehmen von etwas dem Wissen um die Dinge ein Stück vorauseilen kann. Die Praxis des Wahrnehmens wird in künstlerischen Prozessen nicht nur als eine habitualisierte und routinierte, als eine sich selbstgewisse und wissende bedeutsam, sondern auch als eine, die das Sichtbare und Wahrnehmbare als veränderbar begreift und ergreift. Der Glaube an das eigene Wahrnehmen und das Irritieren von Wissen Die Praxis künstlerischen Arbeitsprozess fordert den Arbeitenden dazu auf, immer wieder von Hervorgebrachtem und Entstandenem sowie von Bekanntem und Gewusstem in einem befragenden und kritischen Sehen zurückzutreten. Das sich Zeigende erscheint als etwas Veränderbares und geht in seinen phänomenalen, materialen, ästhetischen, ambivalenten, paradoxen oder auch kritischen Potenzialen, Qualitäten und Variationen in künstlerisch involviertes Sehen ein, das sich wiederum mit und an diesem entwickelt. Wissen und Wahrnehmen im künstlerischen Prozess gehen nicht einseitig als Umwandlung von Wahrnehmbarkeiten in Wissen auf. Vielmehr plausibilisiert sich die Begegnung von Wahrnehmen und Wissen in einer Verschränkung, beides geht auseinander hervor und ineinander über. In seinem Anspruch einer Primatisierung des Wahrnehmens scheibt Merleau-Ponty (1974: 244): »Alles Wissen begründet sich erst in den Horizonten, die die Wahrnehmung uns eröffnet«. Wissen selbst wird im Wahrnehmen von etwas generiert, wobei das Wahrnehmen in seiner Sozialität und seinen Fähigkeiten des Erinnerns und ›Lernens‹ mit der Zeit ein wissendes wird (Merleau-Ponty 1974: 278 f.). Übertragen auf die Praxis künstlerischen Arbeitens heißt dies, dass hier gleichsam der Glauben an das eigene Wahrnehmen bewahrt wird, was eine Distanz zu einem sich selbstgewissen, voraussetzungsvollen und geradezu wissenden Wissen erfordert – das heißt: zu einem Wissen, das sich als Wissen nicht weiter infrage stellt, sondern selbstgewiss von seiner Verfasstheit als Wissen ausgeht. In der Bezugnahme auf ein eigenes Wahrnehmen liegt das Potenzial des Zurücktretens von einem derart wissenden Wissen, das Welt und Wirklichkeit allein in Wissen und Wissenserzeugungen begreift. Eingebunden in künstlerische Vollzüge kann das Wahrnehmen mitunter von einem Wissen zurücktreten, das die sich zeigenden Dinge vornehmlich als Wis-

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sensdinge und das Wahrnehmen ihrer als schematisierte und wissende Wahrnehmung versteht. In künstlerischen Prozessen wird demnach das Wissen um das irritative Potenzial des Wahrnehmens in besonderer Weise berücksichtigt. So kann Anderes nur gesehen, wahrgenommen und erfahren werden, wenn es nicht schon von einem selbstgenügsamen und sich selbstverständlich gewordenem Wissen um das sich Zeigende, Erfahrbare und Sichtbare eingeholt worden ist: »Sobald wir wissen, was wir erfahren, erfahren wir nur noch das, was wir schon wissen« (Waldenfels 2010a: 39). Künstlerisches Arbeiten lässt sich vor diesem Hintergrund nicht allein als Wissensproduktion und Wissenserzeugung fassen. Im Wahrnehmen von etwas (Anderem) werden in Relation zum Wissen auch Ambivalenzen und Widersprüche, Fragen und Unbestimmtheit hervorgebracht, die Wissen irritieren können. Hervorbringungen, Ideen, Vorhaben und Überlegungen sind in der Praxis künstlerischen Arbeitens oftmals an Dinge, Ereignisse und schon vorhandene Sichtbarkeiten gekoppelt. Das Sehen in Arbeit an und mit etwas bezieht sich auf Orte, »wo ›es‹ etwas ›gibt‹« (Merleau-Ponty 2004: 130). Es bezieht sich auf gefundene Dinge, Ereignisse, Bilder, Narrative und Formen, die in ihren soziokulturellen, historischen, kunsthistorischen Verweisen und ästhetischen Potenzialen zu Material für künstlerisches Arbeiten werden können. Es bezieht sich auf Medien, Verfahren und Techniken der Sichtbarmachung, die auch anderen Ortes eingesetzt oder im Zuge künstlerischer Arbeitsprozesse speziell für diese entwickelt werden. Über ihre funktionalen Verwendungen und Gebrauchsweisen hinausgehend, spielen die sich zeigenden Dinge auch in ihren Sichtbarkeiten, Erscheinungen, Formen und Strukturen, Farben und Kontrasten, Kontexten und demnach sichtbaren Eigenheiten für künstlerisches Arbeiten eine Rolle. Nicht nur das Wissen um und über sie, nicht nur das Wissen um ihren Gebrauch wird innerhalb künstlerischer Prozesse relevant. Auch ihre Erscheinungen treten für ein künstlerisch involviertes Wahrnehmen hervor: Einen Gegenstand aufzuheben und in den Händen zu wenden, einen Fleck an der Wand anzuschauen, an einem Bild mit seinem Blick hängenzubleiben, Details, Bereiche, Farben und Übergänge zu sehen, eine Struktur oder eine Form in der Umgebung zu erkennen, einen Ort in seinen Spezifitäten zu erschließen – all dies bedarf eines Wahrnehmens und Sehens, das sich von den Dingen aufhalten und irritieren lässt und das sich in dieser Weise wahrzunehmen weiß. Aus diesem Blickwinkel erscheint das Wahrnehmen von Welt, Dingen, Selbst und Anderen nicht einseitig durch sozialisiertes, habitualisiertes und ihm vorgelagertes Wissen bestimmt zu sein, sondern auch im Wahrnehmen von sich Zeigendem kann sich Wissen generieren. Dieses muss sich jedoch nicht zwingend zu einem wissenden Wissen verfestigen, es verbleibt mitunter in »einem latent bleibenden Wissen, das seine Un-

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durchsichtigkeit und Diesheit nicht beseitigt« (Merleau-Ponty 1974: 251) beziehungsweise nicht beseitigen muss. In diesen wahrnehmenden und sehenden Zugängen zeigen sich Dinge und Sichtweisen auf etwas auch diesseits eines funktionalen Umgangs- und Verwendungs-, Gebrauchs- oder Anwendungswissens, eingebunden in eben dieses Wissen. Das sich Zeigende kann in diesem Zugang auch in seiner Präsenz, in seinen sichtbaren Qualitäten und ästhetischen Potenzialen hervortreten, die zu anderen Verweisungen und Sichtweisen aufzufordern und anzuregen vermögen, wobei das Andere sich hiernach nicht im Geistigen oder Erhabenen, sondern im praktisch-leiblichen Zugehen auf die Dinge und Zugehen der Dinge auf den sie befragenden, sehenden und suchenden Blick verortet. Auch die soziologische Ethnografie nimmt in bestimmter Weise das irritative Potenzial des Sehens und Wahrnehmens im Anblick dessen, was sich wie und wie sich was zeigen kann, zur Kenntnis. Anders, aber in gewisser Weise analog zum künstlerischen Arbeiten ist auch Ethnografen ein zurücktretendes Sehen beziehungsweise Zurücktreten im Sehen von einem wissenden Wissen, einem habitualisierten Teilnehmerwissen oder einem voraussetzungsvollen Alltagswissen bekannt. In der ethnografischen Praxis ist es vornehmlich ein beobachtendes Sehen, das die eigene Alltagspraxis in all ihren Selbstverständlichkeiten, Vertrautheiten und Bekanntheiten beschreibend modifiziert, differenziert und befragt, damit sich diese in ihren Eigenheiten und auch Eigentümlichkeiten zeigen und anders zeigen kann. Ethnografen überführen ihr Anderssehen in schriftliche Protokolle oder audiovisuelle Daten, mit denen wissenschaftliches Wissen durch die Herstellung teilnehmend-beobachtender Differenzen produziert wird, das heißt, der Ethnograf erzeugt beobachtend eine Differenz zu der Sicht der Teilnehmer der beforschten Praxis aber auch eine Differenz zu seinen Beobachtungen via Teilnahme. In dieser Weise arbeitet Ethnografie mit zwei Perspektiven, die einander ergänzen und die zu unterschiedlichen Wahrnehmungen gelangen können. Künstlerischer und ethnografischer Praxis wird das irritative Potenzial zwischen Wahrnehmen und Wissen demnach unterschiedlich zur Ressource im Hinblick auf die Hervorbringung von künstlerischen beziehungsweise wissenschaftlichen Arbeiten. Praktische Phänomene und phänomenale Praxis. Ausblickende Überlegungen zu einem Verständnis von Praxis Innerhalb der Praxis künstlerischen Arbeitens habitualisiert sich ein Wahrnehmen auch in der Gewohnheit, Ungewohntes zu suchen und sich gar von dem, was sich zeigt, ansehen zu lassen. Das Erarbeiten von Offenheit für etwas erfor-

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dert das Zurücktreten von Gewohntem, wobei auch die Unterbrechung, das Innehalten und das Zurücktreten mit der Zeit zur Gewohnheit wird. Künstlerisches Arbeiten vollzieht sich hiernach nicht allein in Habitualisierungen inkorporierter Wahrnehmungsschemata und in implizitem Wissen, sondern es geht auch mit Habitualisierungen, inkorporierten Wahrnehmungsschemata und implizitem Wissen um. Gewohnheiten des Wahrnehmens, Gewohnheiten im Umgang mit Dingen und Materialien, Gewohnheiten des Sprechens und Schreibens, gewohnte Ordnungen und Schemata werden praktisch im Wahrnehmen und Sehen, im Umgang mit Dingen und Materialien, Techniken und Verfahren, im Sprechen und Schweigen vollzogen und unterbrochen, hervorgebracht und irritiert. Künstlerisches Arbeiten bringt nicht nur Praktiken hervor oder wendet Praktiken an, sondern macht zudem etwas sichtbar beziehungsweise sehend. In dieser Weise lässt künstlerisches Arbeiten auch eine Dimension von Praxis zum Vorschein kommen, die über wissende Körper und auf implizites Wissen ausgerichtete Praktiken in ihrem kontinuierlichen Hervorbringungsfluss hinausgeht und die eine gewisse Tiefe bedeutet. In eben dieser tiefergehenden Dimension wird die Praxis künstlerischen Arbeitens besonders in ihren phänomenalen Qualitäten sichtbar, wahrnehmbar und erfahrbar. So wird künstlerisches Arbeiten als eine Praxis relevant, die mit dem sich ihr Zeigenden selbst etwas zeigt. In dieser Weise beschreibt künstlerisches Arbeiten eine Praxis, die das sich Zeigende und auch sich selbst immer wieder zum Phänomen macht. Praxis und Phänomen treten im künstlerischen Prozess in Kontakt, bedingen einander und gehen eine Komplizenschaft im Zuge eines Arbeitens ein, das sein Machen auch im Innehalten und Zurücktreten vom Gemachten findet. Die Praxis künstlerischen Arbeitens wird sich selbst immer wieder zum Phänomen, um Distanz zu routinierten Sichtweisen, wissendem Wissen, etablierten Praktiken und Erwartungserwartungen hervorzubringen und um die eigene Praxis zu sehen und wieder anders zu sehen. Die Phänomenalisierung der eigenen Praxis in künstlerischen Vollzügen ermöglicht nicht nur einen Wechsel von Praktiken, sondern auch einen Wechsel der Perspektiven und ein Arbeiten mit Perspektivität. Im Zusammenspiel zwischen Praxis und Phänomen zeigt sich innerhalb künstlerischer Vollzüge somit nicht nur die zeitliche Dimension geordneter, sich anschließender, aneinanderreihender, aufeinander folgender und situierter Praktiken. Auch offenbart sich in künstlerischen Prozessen eine Dimension der Tiefe von Praxis, die zeitlich anders verfasst ist: Nicht Sequenzen, sondern Intensitäten, ambivalente Bewegungen und Simultanität treten hervor und machen sich bemerkbar. Die Praxis künstlerischen Arbeitens dringt zu etwas vor, nähert etwas an, kreist um etwas, beschäftigt sich mit etwas, setzt sich mit etwas auseinander und befragt etwas, ohne dieses Etwas begrifflich definieren, bestimmen,

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erklären, festlegen, fixieren oder hypostasieren zu müssen. Künstlerisches Arbeiten in seinem Changieren und Oszillieren zwischen Praxis und Phänomen verschränkt Zugänge zur Welt zwischen Wirklichkeiten und Möglichkeiten. Indem künstlerische Praxis innerhalb ihres Arbeitens sich selbst wieder und wieder zum Phänomen wird, findet sie zu Anderem, zu anderen Praktiken und Verweisungen, aber auch zu anderen Sichtweisen und Sichtbarmachungen. Praxis und Phänomen begegnen sich innerhalb künstlerischer Prozesse aus dieser Sicht in einem Chiasmus, der verschiedene Bezugnahmen ermöglicht: 1) Als Verschränkung und Kreuzung im Sinne von praktisch erzeugten Phänomenen und phänomenaler Praxis gehen Praxis und Phänomen eine dialektische Beziehung ein. 2) Im Zuge der Phänomenalisierung der eigenen Praxis werden künstlerische Auseinandersetzungen auch als ambivalente und ambige Bewegungen relevant, die sich nicht allein um Stabilität bemühen, sondern die auch partiell »in einer anhaltenden Instabilität« (Mersch 2013: 37) verbleiben können. Künstlerisches Arbeiten kann »unaufhebbare Widersprüche« (siehe Mersch 2013: 37) hervorbringen, die sich in den Arbeiten zeigen und die als solche nicht aufgelöst und behoben werden müssen. Was trägt eine solche phänomenologische Dimension von Praxis zu einem Verständnis dieser bei? An dieser Stelle trete ich einen Schritt aus der hier zum Gegenstand einer soziologisch-ethnografischen Perspektive gemachten Praxis künstlerischen Arbeitens heraus, so schließen sich Überlegungen an, die für die Beforschung sozialer Praxis in einem allgemeineren Sinne Möglichkeiten bereithalten, auf die ich im Folgenden ausblickhaft eingehen werde Indem eine Praxis in ihren Hervorbringungen nicht allein in Form fließender Praktiken, sondern auch als Phänomen relevant gemacht wird, geraten nicht nur Abläufe, Umsetzungen, Durchführungen, Techniken, Formalismen, Apparaturen, kommunikative Strukturen und Wissenserzeugungen in den Blick. Praktisches Verstehen vollzieht sich zudem in einem fragend-sehenden Innehalten und Zurücktreten von machenden und ›umgehenden‹ Vollzügen. In diesem Zurücktreten von fließenden, hervorbringenden, konstruierenden, umgehenden und produzierenden Praktiken zeigen sich Andere, Dinge und Situationen in ihrem Wie und Was, in ihren phänomenalen, qualitativen und ästhetischen Potenzialen und Möglichkeiten auch außerhalb ihrer Gebrauchslogiken, Funktionalismen und sozio-technischen Relationen. Praxis erschließt sich aus dieser Sicht nicht allein in Durchführungen, Ausführungen, Aufführungen, Umsetzungen oder Anwendungen, in Abläufen und Techniken, die ausschließlich auf implizites, trainiertes und habitualisiertes Wissen zurückgehen und dieses zugleich hervorbringen. Das Phänomenale einer Praxis findet sich zudem im Wahrnehmen und Sehen von etwas beziehungsweise von etwas sich Zeigendem, wobei Wahrnehmen und Sehen sich auch an den Rändern von

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Wissen vollziehen können, indem sie sich Anderem und Eigenem zuwenden und öffnen. Sozialität geht in dieser Weise nicht allein in organisierten Abläufen, Anwendungen oder im Wechseln von Praktiken auf. Sie geht auch mit einer Dimension der Tiefe einher, die den Einbezug eines fragend sehenden Denkens, Überlegens, Glaubens und Zweifelns berücksichtigt, das den sich zeigenden Dingen in ihrem Wie und Was als Frage begegnet. Sozialität weist da über Praktiken hinaus, wo die Dinge als Phänomene in den Blick geraten. Mit einem derartigen phänomenologischen Zugang zu einem Verständnis von Praxis gerät das Soziale nicht allein als ongoing sozialer Praktiken in ihrer Beobachtbarkeit, Darstellung, Performanz, in ihren Techniken und skills in den Fokus soziologisch-ethnografischer Fragestellungen und Wirklichkeitserschließungen. Auch innehaltende, zweifelnde, zögernde, befragende Momente und Situationen rücken in den Blick und werden in ihren Potenzialen berücksichtigt. Dies führt zu einem erweiterten Verständnis dessen, was eine Praxis in ihrer Eigenlogik ausmacht und was deren praktisches Verstehen bedeuten kann. Wird Praxis – dies gilt nicht nur für künstlerische, sondern auch weitergehend für soziale Praxis – auf Praktiken reduziert, so drängen organisierte Bewegungen, mechanisch anmutende Apparaturen sowie maschinelle, technische und formale Choreografien in den Blick, die besonders die funktionale Eigenlogik einer Praxis aufzeigen. Zweifel, Zögern, Innehalten, Unterbrechen, Unordnung, Desorganisation und Irritationen werden aus dieser Sicht vornehmlich als Krisen oder Störungen von Abläufen relevant. Wird Praxis weitergehend in ihren phänomenalen Qualitäten zur Kenntnis genommen, so treten neben sozio-technischen Bezügen auch andere Qualitäten wie etwa Strukturen, Formen, Farben sowie Ereignisse, Momente und Situationen in ihren Eigentümlichkeiten, Erscheinungen sowie ihren kontingenten, ästhetischen, paradoxen und ambivalenten Bezügen weitergehend hervor. Die Studie spricht sich für ein Verständnis von Praxis aus, nach der diese immer auch mehrdimensional und multiperspektivisch ist. Soziale Praxis arbeitet mit Techniken und Praktiken und geht mit diesen Hand in Hand, sie ist jedoch selbst nicht allein Technik und Praktik. Praxistheorien haben das Soziale erweitert und aus seinen binären Strukturen herausgelöst. Mit einer phänomenologischen Erweiterung ihrerseits beziehungsweise mit der Kenntnisnahme einer phänomenalen Dimension von Praxis gerät – für qualitativ angelegte Forschungen – zudem eine sich zeigende Sozialität in den Blick, die nicht allein in ihren Praktiken beobachtbar wird, sondern die einen Gang durch die jeweilige Praxis in ihrem Sehen und Wahrnehmen, in ihren Sichtweisen und Fragen erfordert. Mit dem Einbezug der Phänomenologie Merleau-Pontys wird der Körper nicht allein als physischer, sinnesinformatorischer, sozial konstruierter und konstruierender

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Apparat, als Instrument für Daten, als Träger und Speicher von Wissen oder einem Performer kultureller Techniken zugänglich. Die Involvierung von Eigenleiblichkeit konstituiert hiernach einen Zugang zur sozialen Welt und Wirklichkeit, der der involvierte Leib zugleich selbst angehört. Die Sinne ›sezieren‹ soziale Wirklichkeit nicht allein in Sinnesdaten, sondern sie spielen in Form von Überlegungen, Fragen und Erfahrungen auch als soziale Erfahrungen zusammen. Dass wahrnehmende und sehende Praxis im Zuge ethnografischer Forschung erst in Sprache oder auch Bild hergestellt, aber auch übersetzt und differenziert wird, erscheint vor diesem Hintergrund nicht als Defizit oder Verlust. Vielmehr liegen in diesen schreibend angenäherten ambivalenten, fragenden und transformativen Einbezügen des Wahrnehmens und Sehens Potenziale, um ›blinde Flecken‹ eines direkt auf ›Wissenspraktiken‹ abzielenden Zugangs zur sozialen Wirklichkeit zum Vorschein zu bringen und zugleich Einsichten in Vollzugswirklichkeiten zu erweitern. So mag nicht allein die Frage nach dem Wissen einer Praxis zu ihrem Verständnis führen. Auch Fragen danach, mit und in welchem Wahrnehmen und mit welchem Sehen eine Praxis arbeitet, welche Sichtweisen sie hervorbringt und wie sich innerhalb der Praxis ihren Teilnehmern was zeigt, tragen zum praktischen Verstehen beforschter sozialer Felder, Bereiche und Prozesse bei. Im offensiven Einbezug eines – wie es die Kunst nennt – eigenen Sehens können Perspektiven und Sichtweisen auf etwas sichtbar gemacht und weitergehend zum Sprechen gebracht werden.

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D ARSTELLUNGSKONVENTIONEN Transkriptionshinweise (.) (1) [] (…) […] = :: -

Pause weniger als eine Sekunde Pause mit Angabe der Sekundenanzahl, hier beispielhaft 1 Überschneidungen des Gesprochenen Abgebrochener Satz Auslassung Schneller Übergang zweier Wörter im Sprechen In die Länge gezogene Betonung Einschub / Abbruch

Weitere Darstellungskonventionen im Text ›‹

»« Kursiv

Begriff, der aus dem Feld übernommen wurde oder in einer Weise eingesetzt wurde, um Distanz zur Verwendung des Begriffs im Kontext zu vermitteln Zitate, zitiert und übernommen aus den Transkripten und Protokollen sowie aus der Literatur Hervorhebungen

Soziologie Uwe Becker Die Inklusionslüge Behinderung im flexiblen Kapitalismus 2015, 216 S., kart., 19,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-3056-5 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3056-9 EPUB: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-3056-5

Gabriele Winker Care Revolution Schritte in eine solidarische Gesellschaft 2015, 208 S., kart., 11,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-3040-4 E-Book: 10,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3040-8 EPUB: 10,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-3040-4

Johannes Angermuller, Martin Nonhoff, Eva Herschinger, Felicitas Macgilchrist, Martin Reisigl, Juliette Wedl, Daniel Wrana, Alexander Ziem (Hg.) Diskursforschung Ein interdisziplinäres Handbuch (2 Bde.) 2014, 1264 S., kart., 2 Bde. im Schuber, zahlr. Abb. 44,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-2722-0 E-Book: 44,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-2722-4

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Soziologie Silke Helfrich, Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.) Commons Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat 2014, 528 S., kart., 24,80 € (DE), ISBN 978-3-8376-2835-7 als Open-Access-Publikation kostenlos erhältlich E-Book: ISBN 978-3-8394-2835-1

Carlo Bordoni Interregnum Beyond Liquid Modernity März 2016, 136 p., 19,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-3515-7 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3515-1 EPUB: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-3515-7

Kijan Espahangizi, Sabine Hess, Juliane Karakayali, Bernd Kasparek, Simona Pagano, Mathias Rodatz, Vassilis S. Tsianos (Hg.)

movements. Journal für kritische Migrationsund Grenzregimeforschung Jg. 2, Heft 1/2016: Rassismus in der postmigrantischen Gesellschaft September 2016, 272 S., kart. 24,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-3570-6 als Open-Access-Publikation kostenlos erhältlich: www.movements-journal.org

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