Thüringens Weg in die Soziale Marktwirtschaft: Privatisierung, Sanierung, Aufbau. Eine Bilanz nach 25 Jahren 9783412218249, 9783412224998

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Thüringens Weg in die Soziale Marktwirtschaft: Privatisierung, Sanierung, Aufbau. Eine Bilanz nach 25 Jahren
 9783412218249, 9783412224998

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Franz Schuster

THÜRINGENS WEG IN DIE SOZIALE MARKTWIRTSCHAFT Privatisierung, Sanierung, Aufbau Eine Bilanz nach 25 Jahren

Mit einem Vorwort von Bernhard Vogel

2015 BÖHL­AU VER­LAG KÖLN WEI­M AR WIEN

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: VEB Eisenach und Opel Eisenach. Picture alliance/ZB.

© 2015 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrketorat: Denise Lindsay, Sankt Augustin Satz: synpannier. Gestaltung & Wissenschaftskommunikation, Bielefeld Druck und Bindung: Wilco, Amersfoort Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in EU ISBN 978-3-412-22499-8

Inhalt

Vorwort von Bernhard Vogel  . . ......................................................................... 

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Zur Einführung  .. ...................................................................................................  11 Von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft  .............................................  15 Der ökonomische Zusammenbruch der DDR  ....................................  15 Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion  ...........................................  27 Rahmenbedingungen der Privatisierung  .. ..............................................  34 Der Auftrag der Treuhandanstalt  . . .................................................................  39 Die Treuhandanstalt und die Folgen  .. .....................................................  39

Umwandlung der volkseigenen Betriebe in Kapitalgesellschaften und deren Privatisierung  .....................................................................  44

Privatisierung der Industrie und anderer Wirtschaftssektoren  ...........  57 Sektorale Großprojekte der Treuhandanstalt  .......................................  57

Regionale Entwicklungsschwerpunkte der Treuhandanstalt in Thüringen  ................................................................................................  Privatisierung von Stammbetrieben  ........................................................  Reprivatisierung  ............................................................................................  Privatisierung in Handel, Land- und Forstwirtschaft, Handwerk  . 

73 76 85 87

Restaufgaben der Treuhandanstalt und ihrer Nachfolgeorganisation Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben  . . .........  93 Vertragsmanagement  ...................................................................................  94 Abwicklung  .. ...................................................................................................  103 Umwelt/Altlasten  .. ........................................................................................  108

Treuhand-Liegenschaftsgesellschaft/Bodenverwertungsund -verwaltungsgesellschaft  . . ...........................................................  115

Privatisierungen in den Regionen  .................................................................  119 Strukturentwicklungen in Mittel-, West- und Nordthüringen  .. .....  119 Privatisierung und Strukturprobleme in Ostthüringen  .....................  128 Privatisierung und Wachstum in Südthüringen  ..................................  139

Inhalt |

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Arbeitsmarkt- und sozialpolitische Flankierung der Privatisierung  ....  163 Bilanz der Treuhandanstalt  .. ............................................................................  171 Industrialisierung im Freistaat Thüringen  ..................................................  177 Das strukturpolitische Instrumentarium des Landes  .. ............................  187 Landesentwicklungsgesellschaft  . . .............................................................  187 Thüringer Aufbaubank  ................................................................................  208 Stiftung für Technologie, Innovation und Forschung  .. ......................  215 Vom Aufbau Ost zum Ausbau Ost  . . ...............................................................  223 Aufschwung und Gefahren  . . ......................................................................  224 Wirtschaftspolitische Zukunftsstrategien  .............................................  233 Anlagen  ..................................................................................................................  245 Literaturverzeichnis  .. ..........................................................................................  259 Abkürzungsverzeichnis  .....................................................................................  263

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| Inhalt

Vorwort von Bernhard Vogel

Mehr als 25 Jahre nach dem Fall der Mauer und 25 Jahre nach dem Beitritt der wiedererstandenen ostdeutschen Länder zur Bundesrepublik Deutschland, mehr als 20 Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion und des Warschauer Paktes ist es an der Zeit, vorläufig Bilanz zu ziehen. Historiker werden erst in einigen Jahrzehnten, mit größerem Abstand, darüber urteilen, welche Bedeutung die Jahrzehnte der Teilung und schließ­ lich die Wiedervereinigung für den Gang der gemeinsamen deutschen Geschichte gehabt haben und wie lange beides nachwirkt. Es könnte durchaus sein, dass die deutsche Teilung nur noch als eine vorübergehende, durch den Zweiten Weltkrieg bedingte Unterbrechung der gemeinsamen deutschen Geschichte erscheint. Ähn­lich, wie die als Folge des Ersten Weltkrieges entstandene Weimarer Republik mehr und mehr zur Vorgeschichte zum ersten, allerdings tra­gischer Weise misslungenen Versuch, ein demokratisches deutsches Staatswesen zu schaffen, geworden ist. Es könnte sein, dass die vom Ende des DDR-Unrechtsstaates, von der Wiederherstellung der Deutschen Einheit und vom Zerfall des Warschauer Paktes sowie der Sowjetunion ausgelösten Impulse zur Weiterentwicklung der Europäischen Union aber auch zur Neupositionierung Russlands dominieren. Gerade darum sollte zeitnah festgehalten werden: Wie kam es zur Friedlichen Revolution von 1989 in der DDR? Was erwarteten die Deutschen von der Überwindung der Teilung ihres Vaterlandes? Welche Probleme stellten sich, welche Schwierigkeiten mussten überwunden werden? Was ist gelungen, was misslungen? Was bleibt für die Zukunft noch zu tun? Vielen fällt es schon heute schwer, sich zu erinnern, nicht vom Heute auf das Gestern zu schließen, sondern sich in die Vergangenheit zurückzuversetzen. Allzu leicht und allzu schnell werden oberfläch­liche, oft auch einseitige Urteile gefällt, die dem tatsäch­lichen Geschehen nicht gerecht werden. Wer nach 1980 geboren ist – rund ein Drittel unserer Bevölkerung –, hat die besonders stürmischen 1990er Jahre allenfalls noch als kleines Kind miterlebt und ist auf Zeitzeugen-Erzählungen seiner Eltern oder Großeltern angewiesen. Wer aber selbst dabei war und sich erinnert, sollte bedenken, aus welchem Blickwinkel er zum Zeitzeugen wurde. Ob als kaum beteiligter Zuschauer oder als Mitwirkender, als unmittelbar Betroffener, als Gewinner oder als Opfer der Veränderung, als Wähler oder als Gewählter. Einer, der an besonders verantwort­licher Stelle, als langjähriges Mitglied eines ostdeutschen, des Thüringer Landeskabinetts und auch seines Vorwort |

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Landtags, Verantwortung getragen hat, hat sich dankenswerterweise dieser Aufgabe gestellt. Franz Schuster hat im Februar 1992 keinen Augenblick gezögert, die vorbereitete Urkunde seiner Ernennung zum Präsidenten des Statistischen Landesamtes von Baden-Württemberg nicht in Empfang zu nehmen, sondern den Sprung ins kalte Wasser zu wagen und mit mir nach Thüringen zu gehen. Zunächst – für wenige Monate im Jahre 1992 – als Minister in der Staatskanzlei, dann für kurze Zeit (von Dezember 1992 bis Oktober 1994) als Innenminister und schließ­lich für neun Jahre als Minister für Wirtschaft, Arbeit und Infrastruktur. Als Innenminister gelang ihm in für westdeutsche Erfahrungen vergleichsweise unglaub­lich kurzer Zeit eine umfassende kommunale Verfassungs- und Gebietsreform. Aus 35 zum Teil nicht lebensfähigen Kreisen wurden 17 Kreise mit um die 100.000 Einwohnern. Der Aufbau der Landesverwaltung wurde in Angriff genommen. Eine Bildung von Regierungsbezirken unterblieb. Auch, weil sie zu einem Fortbestand der alten, verhassten, 1952 eingeführten drei Bezirke hätte führen müssen. Stattdessen wurde ein Landesverwaltungsamt mit den Funktionen einer Mittelbehörde für ganz Thüringen geschaffen. Als Wirtschaftsminister fielen ihm vor allem zentrale wirtschafts- und verkehrspolitische Koordinierungsaufgaben beim Aufbau des Freistaates zu: Die Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen durch Privatisierung und Neugründung oder Stilllegung von Unternehmen und der Aufbau einer zukunftsgerechten Verkehrsinfrastruktur, z. B. durch die Verwirk­lichung der zahlreichen, Thüringen betreffenden „Verkehrsprojekte Deutsche Einheit“. Wenn der Freistaat Thüringen heute in vieler Beziehung keinen Vergleich mit westdeutschen Ländern mehr zu scheuen braucht, wenn die Arbeitslosigkeit von Anfang an niedriger lag als in den anderen ostdeutschen Ländern und heute unter der von Nordrhein-Westfalen liegt, wenn ein leistungsfähiger Mittelstand sich als besonders widerstandsfähig erweist, dann ist das in ganz erheb­lichem Maße sein Verdienst. Tag und Nacht hat er sich mit seiner ganzen Kraft, mit seinem Wissen und seinen Fähigkeiten, oft mit Härte, aber noch öfter mit Konzilianz, immer mit Leidenschaft dieser Aufgabe gewidmet, stets das Ziel vor Augen, die Folgen der Teilung, die ideolo­gischen und vor allem die wirtschaft­lichen Schäden eines sozialistischen Unrechtsstaates so zügig wie mög­lich zu überwinden. Aus seinen Erfahrungen heraus ist dieses Buch entstanden, indem er den Weg Thüringens in die Soziale Marktwirtschaft bis ins Detail beschreibt, eine erste Bilanz zieht und einen Blick auf die zukünftige Entwicklung wirft. Dem Anteil der Treuhand, noch unter der Regierung Modrow gegründet, aber nach den ersten freien Volkskammerwahlen und dem Beitritt der 8

| Vorwort

jungen Länder zur Bundesrepublik Deutschland weiter entwickelt, kommt dabei besondere Bedeutung zu. Sie hatte eine ungeheuer vielschichtige und schwierige Aufgabe noch dazu in kürzester Zeit zu bewältigen. Sie wurde und sie wird viel gescholten, und sie hat ohne Zweifel auch Fehler gemacht. Aber sie und insbesondere ihre letztzuständigen Verantwort­lichen, zunächst Detlev Karsten Rohwedder und danach Birgit Breuel, verdienen es, verteidigt und in Schutz genommen zu werden. Ja, sie verdienen Dank für ihre Arbeit. Ihren Kernauftrag, Ostdeutschland vor der De-Industrialisierung zu bewahren, hat die Treuhand alles in allem erfolgreich erfüllt. Die westdeutsche Wirtschaft befand sich zur Stunde der Wiedervereinigung in sehr guter Verfassung. Ihre Industrie war nur zu 70 Prozent ausgelastet. An zusätzlichen Kapazitäten fehlte es nicht. Es wäre ihr durchaus mög­lich gewesen, die ostdeutsche Bevölkerung, trotz ihres sehr großen Nachholbedarfs, mit zu versorgen, zumal vor allem in den ersten Jahren von Ostdeutschen westdeutsche Produkte bevorzugt und ostdeutsche Produkte vielfach gemieden wurden. Der in Eisenach gebaute Wartburg hätte weiter produziert werden und die dort beschäftigten Arbeiter hätten – mit öffent­lichen Mitteln finanziert – weiter tätig sein können. Nur, Ostdeutsche hätten Opel, Ford und Volkswagen aus westdeutscher Produktion gekauft. Der Wartburg wäre so gut wie unverkäuf­lich gewesen. Es musste gelingen, so zügig wie mög­lich volkseigene Betriebe zu privatisieren und sie national sowie international wettbewerbsfähig zu machen, oder sie mussten stillgelegt werden. Und es musste gelingen, neue Betriebe – auch Zweigwerke westdeutscher Firmen – für Ostdeutschland zu gewinnen, z. B. durch die Ansiedlung von Opel in Eisenach oder durch den Aufbau der JENOPTIK in Jena, und alte Industriestandorte zu erhalten, oft unter Inkaufnahme erheb­licher Arbeitsplatzverluste. Es musste gelingen, marode Produktionsanlagen durch moderne, wettbewerbsfähige Maschinen zu ersetzen. Nur so konnte es auch gelingen, die weitere Abwanderung von Arbeitskräften nach Westdeutschland, wenn schon nicht zu stoppen, so doch wenigstens zu begrenzen. Vor allem mit Hilfe der Arbeit der Treuhand ist der Umbau einer sozialistischen Planwirtschaft zur Sozialen Marktwirtschaft gelungen. Auch wenn wir erfahren mussten, dass sich der Umbau im Osten nach 1989 als schwieriger erweisen sollte als der Neubau nach 1945 in Westdeutschland. Eine einmalige, neue Erfahrung. Allerdings darf nicht übersehen werden, dass dieser Umbau mit erheb­lichen Opfern verbunden war. Mehr als drei von vier Arbeitsplätzen gingen, zumindest zunächst, verloren. Von 1989 bis 1992 brachen in den neuen Ländern insgesamt 2,3 Millionen Arbeitsplätze im industriellen Sektor weg. Nur 700.000 blieben Vorwort |

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erhalten. Viele der Betroffenen haben keinen oder zumindest keinen adäquaten Arbeitsplatz mehr gefunden. Sie hatten ihre bisherige Lebensleistung oft unter ungleich schwierigeren Bedingungen als wir Westdeutsche erbracht. Sie schienen jetzt zu Opfern des Umbaus zu werden. Für sie bekam die Freude über den Wegfall der unmensch­lichen Grenze und die wiedergewonnene Einheit, die erkämpften demokratischen Rechte und die ersehnte Freiheit einen bitteren Beigeschmack. Für mich einer der Gründe, warum wir zwar heute in Thüringen eine weitgehend verbesserte und erheb­lich ausgebaute Verkehrsinfrastruktur vorfinden (A 4, A 9, A 71, A 73, A 38, ICE-Strecke Berlin-­Erfurt-München), restaurierte Burgen, Schlösser und Kirchen, blühende Städte und Dörfer, sanierte Plattenbauten und neue Wohnsiedlungen, neue Kliniken, neue Schulen, neu gegründete Hochschulen und Universitäten, aber immer noch unzufriedene und enttäuschte Mitbürger haben, die sich schwer tun, unsere Freude über das in erstaun­lich kurzer Zeit Erreichte zu teilen. Auf die allgemeine Hochstimmung, die uns Deutsche zum „glück­lichsten Volk der Erde“ machte, folgte bald der mühsame Weg durch die Ebene, die Aufgabe, nach Vollendung der staat­lichen Einheit die innere Einheit Deutschlands zu vollenden, schier unlösbare Probleme zu lösen und Geduld anzumahnen. Man erwartete nicht nur Hilfe vom Westen, sondern ver­glich sich – verständ­licherweise – auch stets mit dem Westen. Vom Westen, der viel weniger vom Osten wusste, als der Osten vom Westen, und der sich sehr bald wieder seinen eigenen, alltäg­lichen Aufgaben zuzuwenden begann. Wir werden diese Ebene erst endgültig durchschritten haben, wenn wir begreifen, dass die Folgen der deutschen Teilung nicht alle in unserer Generation überwunden werden können, dass wir aber die Voraussetzungen dafür geschaffen haben, dass sie für spätere Generationen nur noch Geschichte sein werden. Die Menschen in den neuen Ländern waren in bewundernswertem Umfang bereit, selbst Hand anzulegen, auch bei Aufgaben, die sie nicht kannten und auf die sie nicht vorbereitet waren. Und eine große Zahl Westdeutscher war bereit, vom einen auf den anderen Tag beim Aufbau zu helfen und dafür ebenfalls Opfer auf sich zu nehmen. Einige wenige schwarze Schafe dürfen diese Tatsache nicht verdunkeln. Das vorliegende Buch leistet einen bedeutsamen, überaus nütz­lichen Beitrag, dies alles besser zu verstehen. Auch darum wünsche ich ihm viele aufmerksame, aber auch kritische Leser.

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| Vorwort

Zur Einführung

Ein Vierteljahrhundert nach der Wiederherstellung der Deutschen Einheit wird es Zeit für eine Bilanz: Ist der Einigungsprozess gelungen? Haben sich die Lebensverhältnisse der Menschen im Osten an die der Menschen im Westen angeg­lichen? Ist der Transformationsprozess der Wirtschaft erfolgreich verlaufen? Konnten Wohnungen, Städte und Dörfer, die Infrastruktur und die öffent­liche Verwaltung an das west­liche Niveau angepasst werden? Die vorliegende Studie geht von drei Erfahrungen vor und nach der Wiedervereinigung aus: –– Der Niedergang der DDR-Wirtschaft war systembedingt und vom Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe mitverursacht. –– Der Staatsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR über die Schaffung einer Wirtschafts-, Währungs- und Sozial­ union war eine geeignete Grundlage für den Aufbau Ost. –– Die Übertragung der Privatisierungsaufgaben an eine Treuhandanstalt öffent­lichen Rechts hat sich als sinnvoll erwiesen. Diese Erfahrungen werden in den Eingangskapiteln erörtert. Daran schließt sich die Behandlung des Auftrags der Treuhandanstalt und des Transformationsprozesses von der Planwirtschaft zur Sozialen Marktwirtschaft an, für die es kein Vorbild und keine Vorbereitungszeit gab. Im Mittelpunkt der Studie steht die Privatisierung der Industrie und anderer Wirtschaftssektoren einschließ­lich deren arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Flankierungen. Ein weiteres Kapitel behandelt den Beitrag des Freistaates Thüringen zur Privatisierung und das dafür notwendige strukturpolitische Instrumentarium. Die Aufgaben der Privatisierung liegen nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch in der Zukunft. Sie werden unter das Motto gestellt: Vom Aufbau Ost zum Ausbau Ost. Die Studie weist nach, dass der Transformationsprozess mit Abschluss der Tätigkeit der Treuhandanstalt noch nicht beendet war, sondern von der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben fortgesetzt und von den neuen Ländern ergänzt und abgeschlossen wurde. Dieser Zusammenhang – Treuhandanstalt, Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben und neue Länder – wurde bisher im Schrifttum noch nicht untersucht, obwohl er eindeutig nachweisbar ist. Um die These von der Treuhandanstalt als „Plattmacher“ zu widerlegen, wurden sehr viele Unternehmen in Thüringen benannt, die abgewickelt, Zur Einführung  |

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umstrukturiert, neu gegründet oder angesiedelt wurden und die zum Aufbau einer wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstruktur beigetragen haben. Außerdem wurde ein besonderes Kapitel zur Abwicklung von Unternehmen aufgenommen, das deut­lich macht, dass die Abwicklung nicht mit „plattmachen“ gleichzusetzen ist. Es konnte nicht vermieden werden, dass Zahlenangaben in unterschied­ lichen Währungseinheiten gemacht werden. Da in der Literatur häufig entweder D-Mark- oder Euro-Zahlen genannt werden, ließen sich die Werteinheiten nicht vereinheit­lichen. Die die Unternehmen betreffenden Zahlen spiegeln unterschied­liche Statistiken wider, der Berechnungsmodus differierte, die Zahlenbasis der Betriebe hat sich laufend verändert. Ein großes Informationsdefizit folgt nach wie vor aus dem Beschluss des Bundesfinanzministers, Treuhand-Akten über konkrete Privatisierungsfälle nicht zur Veröffent­lichung freizugeben. Daraus ergibt sich eine große Lücke bei Aussagen zu bestimmten Privatisierungsfällen. Dementsprechend beschränken sich viele Veröffent­lichungen bisher noch auf die Vorgeschichte und die Rahmenbedingungen der Privatisierung. Und sie bleiben damit an der Oberfläche des Themas. Um trotz der amt­lichen Sperrfrist von 30 Jahren zu fundierten Aussagen über die Privatisierungsergebnisse zu gelangen, stützt sich diese Studie auf Erfahrungen und Berichte von Zeitzeugen, die entweder in der Treuhand­ anstalt, in der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben oder in Landesministerien tätig und mit der Privatisierung befasst waren. Dazu zählen nicht nur die im Folgenden genannten Autoren, sondern viele andere Persön­lichkeiten, die münd­lich Stellung genommen und damit zur empi­ rischen Absicherung der Inhalte der Studie beigetragen haben.1 Im Unterschied zu vielen anderen Studien liegt der Fokus auf den Privati­ sierungserfahrungen in Thüringen, so dass die wirtschaft­lichen und sozialen Privatisierungsfolgen sehr konkret beschrieben werden konnten. Mein Dank gilt Ministerpräsident a. D. Professor Dr. Bernhard Vogel, den seine langjährigen Regierungserfahrungen veranlasst haben, eine Studie zu initiieren, die den Weg des Freistaates Thüringen in die Soziale Marktwirtschaft beschreibt. Ich danke ihm zudem für seine Bereitschaft, zu dieser Studie ein Vorwort zu verfassen.

1 Auf eine Namensnennung weiterer Experten wird auf ausdrück­lichen Wunsch der befragten Personen verzichtet.

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|  Zur Einführung

Diese Studie ist in enger und vertrauensvoller Zusammenarbeit mit Herrn Dr. Günter Link und Herrn Dr. Richard Brändle sowie mit Herrn Professor Dr. Harald Hess und Herrn Volker Großmann entstanden. Auch hier gilt der Satz: „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.“ Es handelt sich also nicht um einen Sammelband, sondern um die Erstellung eines Gesamtbildes auf der Basis verschiedener Expertisen von Akteuren, die in diesen Prozess aktiv involviert waren und vielfältiges Wissen in unsere Zusammenarbeit eingebracht haben. Mein Dank gilt auch der Landesentwicklungsgesellschaft Thüringen, der Thüringer Aufbaubank und der Stiftung für Technologie, Innovation und Forschung, deren Ausarbeitungen mir bei der Erstellung dieser Publikation eine wertvolle Hilfe waren. Des Weiteren möchte ich der Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. für die mir gewährte Unterstützung bei der Erstellung dieser Studie danken. Dies gilt insbesondere für die redaktionelle Bearbeitung des Bandes, die Frau Denise Lindsay M. A. übernommen hat. Allen Beteiligten gilt mein besonderer Dank. Das ändert nichts an meiner alleinigen Verantwortung für diese Studie. Sankt Augustin, im Oktober 2014

Franz Schuster

Von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft

In den 1980er Jahren wurde in der Führung der DDR über eine Reform der Wirtschaftspolitik gesprochen. Dabei wurde übersehen, dass nicht nur die DDR-Betriebe in einer Krise waren, sondern das gesamte Wirtschaftssystem des Ostblocks, die sozialistische Planwirtschaft. Die vorliegende Studie beginnt deshalb bei den systembedingten Widersprüchen und Krisen der sozialistischen Planwirtschaft.

Der ökonomische Zusammenbruch der DDR Nach 1945 war die Welt in zwei große Lager mit unterschied­lichen Wirtschaftssystemen aufgeteilt. Die west­liche Welt unter Führung der USA setzte grundsätz­lich auf die Kräfte des Marktes und des internationalen Freihandels; die Sowjetunion mit ihren Verbündeten hielt eine zentral geleitete Verwaltungswirtschaft mit staat­lich festgelegten Leistungsverpf­lichtungen für jede einzelne Wirtschaftseinheit ihrer sozialistischen Ideologie entsprechend für erforder­lich. Zwischen beiden Lagern herrschte erbitterter Wettbewerb, nicht um den Verkauf von Waren und Dienstleistungen, sondern um die militärische Vorherrschaft. Dabei war das militärische Leistungsvermögen abhängig von der jeweiligen Wirtschaftskraft. In der Sowjetunion fand eine Aufrüstung zu Lasten der Konsumgüterindustrie statt. Belastend für die Entwicklung der Wirtschaft in der sowjetischen Besatzungszone und der DDR waren sicher­lich die Reparationsforderungen von Seiten der UdSSR. Die Wiedergutmachung an die UdSSR entsprach in etwa einer Summe von 14 Mrd. Dollar in Preisen von 1938.2 Zudem wurden in erheb­lichem Umfang Demontagen z. B. in der chemischen Industrie und bei

2 Vgl. Lothar Baar/Rainer Karlsch/Werner Matschke: „Kriegsschäden, Demontagen, Reparationen“, in: Materialien der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“. Hg. vom Deutschen Bundestag. Bd. II/2: Machtstrukturen und Entscheidungsmechanismen im SED-Staat und die Frage der Verantwortung. Baden-Baden 1995, S. 960. Der ökonomische Zusammenbruch der DDR  |

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Bahngleisen vorgenommen.3 Daneben hat die UdSSR Entnahmen aus der laufenden Produktion vollzogen (15 Prozent). Außerdem wurden 213 Großund Mittelbetriebe zunächst als sowjetische Aktiengesellschaften (SAG) bis Ende des Jahres 1953 weitergeführt. Dazu zählten auch die Kaliwerke Unterbreizbach, Heiligenroda (Dorndorf ) und Kaiseroda 4 (Merkers). Erst am 1. Januar 1954 gelangten die letzten 33 SAG-Betriebe in den Besitz der DDR. Die Wismut AG blieb von der Rückgabe ausgeschlossen und wurde bis 1991 als Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft (SDAG) fortgeführt. Die Teilung Deutschlands schnitt die DDR-Wirtschaft weitgehend von ihren traditionellen Beziehungen und Verflechtungen mit der Wirtschaft im Westen Deutschlands ab. Der damit verbundene Verlust von Absatz- und Zuliefermärkten schwächte die DDR, die Flucht einer großen Anzahl von Menschen und Unternehmen (z. B. Zug der Glasmacher) war ein weiterer Aderlass, den die dortige Wirtschaft zu verkraften hatte.5 Die entscheidenden Direktiven für die Gestaltung des Wirtschafts­ systems kamen aus der Sowjetischen Militäradministration (SMAD). Sie gab der DDR das sowjetische Wirtschaftsmodell vor, das diese von wichtigen Absatzmärkten im west­lichen Ausland abschnitt. Nicht alle wirtschaft­lichen Probleme der DDR waren selbst verursacht, ein erheb­licher Teil beruhte auf Kriegsfolgelasten, die ihr von der damaligen UdSSR aufgebürdet wurden, oder auf den Regelungen des Rats für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) und seiner Zwangsmitgliedschaft. Auch Günter Mittag, von 1966 bis zum Herbst 1989 Mitglied des Politbüros des Zentralkomitees der SED, 3 Vgl. André Steiner: From the Soviet Occupation Zone to the „New Eastern ­States“. A Survey, in: Hartmut Berghoff/Uta Andrea Balbier (Hg.): The East German Economy, 1945 – 2010. Falling behind or catching up? (German Historical Institute Washington). Washington 2013, S. 18 f. Zum Anteil der laufenden Reparationsleistungen am Bruttosozialprodukt der SBZ/DDR 1946 bis 1953 vgl. André Steiner: Von Plan zu Plan. Eine Wirtschaftsgeschichte der DDR. München 2004, S. 33. 4 In der Grube von Kaiseroda in Merkers fanden amerikanische Truppen im Frühjahr 1945 den Goldschatz der Deutschen Reichsbank und wertvolle Gemälde aus Berliner Museen, die die Nationalsozialisten vor den Alliierten dorthin verbracht hatten. 5 1950 flohen 197.788 DDR-Bürger, 1951 waren es 165.648 und 1958 204.092. Vgl. dazu DDR-Handbuch. Bd. 1 A–L. Hg. vom Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen. 3. überarb. und erw. Auflage Köln 1985, S. 419.

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|  Von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft

betonte 1991 in einem Interview mit dem „Spiegel“ die Notwendigkeit der Wiedervereinigung: „Ohne die Wiedervereinigung wäre die DDR einer ökonomischen Katastrophe mit unabsehbaren sozialen Folgen entgegengegangen, weil sie auf Dauer allein nicht überlebensfähig war. […] Man denke nur angesichts der schwierigen Lage in der Sowjetunion, was heute hier los wäre, wenn es die DDR noch gäbe – unbeschreib­lich.“6 Die Sowjetunion und der RGW haben nicht dazu beigetragen, die Versorgungsmängel der DDR abzubauen. Auch eine verbesserte wirtschaft­liche Spezialisierung haben sie nicht eingeführt. Einen Marshall-Plan nach west­lichem Vorbild hat es in der DDR nicht gegeben. Im Laufe der Jahre stellte sich die Überlegenheit der marktwirtschaft­ lichen Wirtschaftsordnung gegenüber der zentralen Verwaltungswirtschaft immer deut­licher heraus. Der Ostblock musste in den 1970er und 1980er Jahren einen immer größeren Anteil schwindender Ressourcen von einer zivilen in die militärische Nutzung umlenken, um im Wettbewerb der Großmächte zu bestehen. Die Folge waren zunehmende Versorgungsmängel für die Bevölkerung, Substanzverluste im Wohnungs- und Städtebau, bei der Infrastruktur und der technolo­gischen Ausstattung der Betriebe. Ende der 1980er Jahre reifte in der Führung des Ostblocks die Erkenntnis, dass sich die wirtschaft­liche Entwicklung unaufhaltsam dem Zusammenbruch näherte und das Wettrüsten nicht zu gewinnen war. Mangelhafte Versorgung der Bevölkerung führte zu Widerständen gegen die jeweilige politische Führung. Das trug zum Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland und zur Auflösung des Warschauer Pakts bei. Für die Bundesregierung unter Helmut Kohl ergab sich daraus eine gigantische Aufgabe ohne historisches Vorbild: Implementierung und gesellschaft­liche Akzeptanz einer neuen staat­lichen und wirtschaft­lichen Ordnung in Ostdeutschland, Integration von 17 Mio. Menschen nach west­lichem Standard, Einführung des westdeutschen Sozialsystems, Sanierung der Wohnungen sowie der gesamten Infrastruktur und nicht zuletzt Transformation der DDR-Wirtschaft in ein marktwirtschaft­liches System – eine der zahlreichen Aufgaben, die der Treuhandanstalt (THA) übertragen wurden. Die Annahme des damaligen Vorsitzenden des DDR -Ministerrates, Hans Modrow, im Jahr 1990, das Produktivvermögen der DDR sei 6 Vgl. „Es reißt mir das Herz kaputt“. Interview mit dem ehemaligen DDRWirtschaftslenker Günter Mittag über seine Politik und seine Fehler, in: Der Spiegel Nr. 37, 9. September 1991, S. 88 – 104, hier S. 92 und 104. Der ökonomische Zusammenbruch der DDR  |

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1,4 Bio. DDR-Mark wert, sowie die Schätzung des Präsidenten der Treuhand­ anstalt, Detlev Rohwedder, es wären maximal 600 Mrd. DM, entpuppten sich schnell als Seifenblase und als ein gelungenes Täuschungsmanöver der DDR bei der Akquisition von Westkrediten.7 Die sogenannten Buchwerte waren keine Sachwerte, sondern Zahlen, die sich bei der Belastung der Betriebe mit Staatsschulden ergeben hatten. Als Grundlage für Rechtsgeschäfte waren sie völlig ungeeignet. Sie wiesen aber auf die hohe Belastung des Produktivvermögens mit Staatsschulden hin. Das sozialistische System basierte zuletzt auf der Kreditnahme im Westen. 1983 und 1984 hatte die Bundesregierung für zwei Kredite an die DDR in Höhe von einer Mrd. bzw. 950 Mio. DM gebürgt. Die Schuldensituation der DDR eskalierte allerdings immer mehr. Im 1989 vorgelegten Bericht der Staat­lichen Planungskommission der DDR, dem sogenannten Schürer-Bericht 8, wurde festgestellt, dass sich die Verschuldung der DDR im nicht-sozialistischen Wirtschaftsgebiet von 2 Mrd. Valutamark im Jahr 1970 auf 49 Mrd. Valutamark im Jahr 1989 erhöht hatte. Bei seinem Gespräch mit Bundeskanzler Kohl am 13. Februar 1990 in Bonn legte Hans Modrow die Forderung des Runden Tisches der DDR nach einem „Solidarbeitrag“ in Höhe von 15 Mrd.  DM vor den am 18. März 1990 geplanten Kommunalwahlen vor.9 Diese Forderung wurde von der Bundesregierung abschlägig beschieden.

7 Vgl. Theo Waigel: Die finanzpolitischen Rahmenbedingungen des Treuhandmodells, in: Birgit Breuel/Michael C. Burda (Hg.): Die Treuhand­anstalt 1990 bis 1994. Eine kritische Würdigung. Berlin 2005, S. 65. 8 Vgl. Gerhard Schürer/Gerhard Beil/Alexander Schalck/Ernst Höfner/Arno Donda: Analyse der ökonomischen Lage der DDR mit Schlußfolgerungen, Vorlage für das Politbüro des Zentralkomitees der SED, 30. Oktober 1989 (http://www.chronik-der-mauer.de/index.php/de/Media/­TextPopup/id/593077/ month/Oktober/oldAction/Detail/oldModule/Chronical/year/1989, Abruf: 16. Juni 2014). 9 Vgl. Dok. Nr. 177 „Gespräch des Bundeskanzlers mit Ministerpräsident Modrow, Bonn, 13. Februar 1990“, in: Dokumente zur Deutschlandpolitik. Deutsche Einheit. Sonderedition aus den Akten des Bundeskanzleramtes 1989/90. Bearbeitet von Hanns Jürgen Küsters und Daniel Hofmann. München 1998, S. 814 – 819 sowie Hanns Jürgen Küsters: Entscheidung für die deutsche Einheit. Einführung in die Edition, ebd., S. 107 f.

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|  Von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft

Der Zusammenbruch der DDR hatte im Jahr 1989 bereits begonnen. Hätte es die Fried­liche Revolution nicht gegeben, dann wäre die DDR infolge ihrer ausweglosen Wirtschaftslage untergegangen. Versagt haben in der DDR nicht die Arbeitnehmer, sondern das Wirtschaftssystem, das zentralistisch aufgebaut war und sich in volkseigene Kombinate, Kombinatsbetriebe und volkseigene Betriebe gegliedert hatte. Bei der Mehrzahl der Kombinate erfolgte die Leitung über einen Stammbetrieb, der Generaldirektor des Kombinats war gleichzeitig Direktor des Stammbetriebs, der in der Regel auch der größte Betrieb war. Daneben gab es zentral geleitete Kombinate, die von den jeweils zuständigen Ministerien geleitet wurden.10 Der Schürer-Bericht vom Oktober 1989 beschrieb den Prozess des Zusammenbruchs der DDR-Wirtschaft und forderte die Annäherung der gesamten Volkswirtschaft an die Marktwirtschaft, um die vorhandenen Betriebe zu erhalten und die Produktpalette zu ändern. Seine Analyse war schonungslos, seine Reformvorschläge weitgehend. Eine Änderung der Wirtschaftsordnung und damit die Abschaffung der sozialistischen Planwirtschaft hat Gerhard Schürer als Vertreter des Systems nicht gefordert. Am 1. März 1990 folgte der Beschluss des Ministerrates der DDR unter Leitung von Hans Modrow, eine Treuhand­anstalt zu gründen, die jedoch nicht auf eine Wieder­vereinigung und Wirtschaftsunion ausgerichtet war, sondern ledig­lich eine Umwandlung von Kombinaten in Kapitalgesellschaften herbeiführen sollte. Dies war Teil des Versuchs der SED, das marode System zu reformieren und die eigene Herrschaft aufrechtzuerhalten. Unmittelbar danach folgte die „Verordnung zur Umwandlung von volkseigenen Kombinaten, Betrieben und Einrichtungen in Kapitalgesellschaften“. Am 18. März 1990 fanden die ersten freien Volkskammer-Wahlen statt. Das am 17. Juni 1990 von der Volkskammer verabschiedete „Gesetz zur Privatisierung und Reorganisation des volkseigenen Vermögens“11 (Treuhandgesetz) legte fest, dass die volkseigenen Betriebe und Kombinate als privatrecht­liche Betriebe fortbestehen und privatisiert werden sollten. Eignerin dieser Betriebe 10 Vgl. Kombinate. Was aus ihnen geworden ist. Hg. von der Wochenzeitung Die Wirtschaft. Berlin u. a. 1993, S. 365 – 373. 11 Vgl. Gesetz zur Privatisierung und Reorganisation des volkseigenen Vermögens (Treuhandgesetz) vom 17. Juni 1990, in: Dokumentation Treuhand­ anstalt 1990 – 1994. Hg. von der Treuhand­anstalt. 15 Bde. Berlin 1995, hier Bd. 1, S.  111 – 125. Der ökonomische Zusammenbruch der DDR  |

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wurde die Treuhand­anstalt, die auch mit deren Privatisierung beauftragt wurde. Die THA selbst wäre nicht in der Lage gewesen, tausende von Betrieben von Grund auf zu sanieren und neu auszurichten. Dazu bedurfte es erfahrener und investitionsfreudiger Unternehmenslenker, Manager und Unternehmensgründer aus dem In- und Ausland, die bereit waren, die schwierige Sanierungsarbeit auf sich zu nehmen. Dieses Verständnis von der Privatisierung volkseigener Betriebe hat sich bewährt, wurde aber nicht durchgängig praktiziert, insbesondere bei den sektoralen Großprojekten. Nach der deutschen Wiedervereinigung galt das Treuhandgesetz mit etwas geänderter Aufgabenstellung (gemäß Art. 25 des Einigungsvertrags 12) weiter. Die THA wurde dann eine bundesunmittelbare Anstalt des öffent­lichen Rechts. 1991 hatte sie 4.507 Mitarbeiter, Ende 1993 waren es 4.935 und Ende 1994 3.897 Mitarbeiter.13 Im Jahre 1991 hat der Deutsche Bundestag das Privatisierungshemmnisbeseitigungsgesetz (PrHBG), ein Treuhandkreditaufnahmegesetz und ein Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen verabschiedet und anschließend mehrfach modifiziert.14 Die THA wurde auch in Koordinierungsnetzwerke der Regierungen einbezogen, insbesondere in die Wirtschaftskabinette auf Länderebene und in den „Aufbaustab neue Länder“ im Bundeskanzleramt, sowie in die Wirtschaftsverbände. Einzelne ostdeutsche Landesregierungen sahen sich zumindest anfangs der THA geradezu ausgeliefert. Dagegen waren die Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände mit der Arbeit der THA eng verbunden. Dem recht­lichen und politisch-administrativen Rahmen stand ein Privatisierungsbedarf gegenüber, der quantifiziert und strukturiert wurde. Im Jahre 1989 gab es in der DDR 126 zentral geleitete und volkseigene Kombinate mit jeweils bis zu 60 Kombinatsbetrieben mit vielfach mehr als 1.000 Beschäftigten. In Thüringen waren es 21 zentralgeleitete Kombinate:15 12 Vgl. Gesetz zu dem Vertrag vom 31. August 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands, vgl. Bundesgesetzblatt II Nr. 35 vom 28. September 1990, S. 885 – 1245. 13 Vgl. Übersicht zur Entwicklung Personalstärke THA/BvS, in: Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (Hg.): „Schnell privatisieren, entschlossen sanieren, behutsam stilllegen“. Ein Rückblick auf 13 Jahre Arbeit der Treuhand­anstalt und der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS). Berlin 2003, S. 413. 14 Vgl. Dokumentation Treuhand­anstalt, Bd. 1, S. 556 – 582, S. 758 f., S. 452 – 458. 15 Vgl. die Übersicht in: Kombinate. Was aus ihnen geworden ist, S. 377 – 381.

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Bezeichnung

Sitz des Stammbetriebs

VEB Energiekombinat Erfurt

Erfurt

VEB Energiekombinat Gera

Jena-Winzertal

VEB Energiekombinat Suhl

Meiningen

VEB Kombinat Kali Sondershausen

Sondershausen

VEB Kombinat Carl Zeiss Jena

Jena

VEB Kombinat Mikroelektronik Erfurt

Erfurt

Kombinat VEB Keramische Werke Hermsdorf

Hermsdorf

VEB Kombinat Fahrzeugelektrik Ruhla

Eisenach

Kombinat VEB Elektrogerätewerk Suhl

Suhl

VEB Kombinat Umformtechnik „Herbert Warnke“ Erfurt

Erfurt

VEB Werkzeugkombinat Schmalkalden

Schmalkalden

VEB Kombinat Oberbekleidung Erfurt

Erfurt

VEB Kombinat Solidor Heiligenstadt

Heilbad Heiligenstadt

VEB Fahrzeug- und Jagdwaffenwerk „Ernst Thälmann“ Suhl, IFA-Kombinat Zweiradfahrzeuge

Suhl

VEB Kombinat Spielwaren Sonneberg

Sonneberg

VEB Kombinat Sportgeräte Schmalkalden

Schmalkalden

VEB Technisches Glas Ilmenau

Ilmenau

VEB Feinkeramik Kahla

Kahla

VEB Thuringia Sonneberg, Kombinat für Glas und Keramikmaschinenbau

Sonneberg

VEB Bau- und Montagekombinat Erfurt

Erfurt

VEB Spezialbaukombinat Wasserbau Weimar

Weimar

Die Lebensmittelindustrie und die bezirksgeleiteten Kombinate u. a. waren dem Ministerium für bezirksgeleitete Industrie und Lebensmittelindustrie unterstellt. In Thüringen gab es mehrere bezirksgeleitete Kombinate: VEB Kombinat Haushaltswaren Steinbach-Hallenberg, VEB Möbelkombinat Zeulenroda, VEB Thüringer Möbelkombinat Suhl.16 Alle Kombinate vertraten den Primat der Politik in der Wirtschaft. Sie waren die Vollzugsorgane der Wirtschaftspolitik und sollten die bedarfsgerechte Produktion der in den staat­lichen Plänen festgelegten Enderzeugnisse in Mengen, Qualität und Wert sicherstellen. Um ihre Planziele 16 Vgl. DDR-Handbuch. Bd. 1 M–Z. Hg. vom Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen. 3. überarb. und erw. Auflage Köln 1985, S. 900 f. Der ökonomische Zusammenbruch der DDR  |

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erfüllen zu können, sollten sie mög­lichst viele Fertigteile selbst herstellen. Zwischenbetrieb­liche Konkurrenz und Arbeitsteilung wurden ausgeschlossen. Trotzdem oder gerade deshalb ist es nicht gelungen, drastische Produktionsrückstände, Versorgungsengpässe und Materialdefizite durch das planwirtschaft­liche Lenkungssystem abzubauen. Die sozialistische Planwirtschaft war und ist dazu nicht in der Lage, weil sie die Elemente der Marktwirtschaft ausgeschlossen hat, insbesondere die automatische Preisbildung durch das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage. Deshalb konnte es auch keinen ausgeg­lichenen Markt geben. Damit wurden Mangelerscheinungen ein Dauerproblem. Die Planwirtschaft der DDR war nicht auf dem Wirtschaft­lichkeits­ prinzip aufgebaut. Das Produktionsprogramm und der Produktionsapparat waren nicht von Kosten-Nutzen-Überlegungen geprägt, sondern von politischen Vorgaben, die sehr zentralistisch geprägt waren. Dementsprechend wurden Kombinate geschaffen, deren Größe und Aufgabenstellung völlig unwirtschaft­lich war (2.000 bis 30.000 Beschäftigte). Auch die Kombinatsbetriebe hatten nicht die optimale Betriebsgröße. Ihre Produktion war entweder zu teuer oder zu niedrig. „Das Wirtschaftssystem der DDR behindert[e] die Entfaltung von wirtschaft­licher Eigeninitiative und schwächt[e] die Bereitschaft zur Übernahme von Risiken, auf die es gerade bei Verfahrens- und Produktinnovationen ankommt.“17 Der sozialistischen Planwirtschaft fehlte vor allem das Prinzip der Arbeitsteilung, das seit der Theorie der komparativen Kostenvorteile von David Ricardo (1772 – 1823) als ein fundamentales Element der Marktwirtschaft gilt. Danach ist es vorteilhaft, wenn sich jedes Land auf die Produktion der Güter spezialisiert, die es relativ zu anderen Gütern im eigenen Land kostengünstiger herstellen kann. Die VEB waren eingebettet in ein starres Planungssystem mit externen Vorgaben, ohne betriebswirtschaft­liches Rechnungswesen, direkte Marktbeziehungen oder Rentabilitätskriterien. Sie reduzierten sich auf eine reine Materialwirtschaft mit der Planerfüllung als Orientierungsmaßstab. Wettbewerb war ausgeklammert, ebenso Kostenorientierung. Die branchenspezifischen Kombinate waren mit west­lichen Unternehmen überhaupt nicht 17 Vgl. Jahresgutachten 1990/91 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaft­lichen Lage, Bundestag-Drucksache 11/8472, S. 282 (http:// www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de/fileadmin/dateiablage/download/ gutachten/1108472.pdf, Abruf: 30. Juni 2014).

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vergleichbar. Sie dienten der Umsetzung staat­licher Planvorgaben in der Produktion der volkseigenen Kombinatsbetriebe. Diese hatten wegen der zentralen Planvorgaben und des Außenhandelsmonopols der DDR auch keine nennenswerte Mög­lichkeit, sich eigenständig auf den Außenmärkten zu etablieren und neue Bezugs- und Absatzmög­lichkeiten auf dem Weltmarkt zu erschließen. Der Zustand der Betriebe war in mehrfacher Hinsicht erschreckend, sie waren nur noch bedingt privatisierungsfähig. Die in Bilanzen ausgewiesenen Buchwerte basierten nicht nur auf Sachwerten, sondern wurden durch Staatsschulden verfälscht, die den Betrieben aufgebürdet worden waren, um einen ausgeg­lichenen Staatshaushalt vorlegen zu können. Als Grundlage für die Ermittlung von Verkaufspreisen waren sie völlig ungeeignet. Auch die Jahresabschlüsse der VEB waren wertlos. Die technische Ausstattung entsprach in den meisten Fällen nicht annähernd west­lichen Standards. Rationalisierungs- und Modernisierungsinvestitionen hatten nur zu einem geringen Teil in politisch bedeutsamen Sektoren stattgefunden, die allerdings an der Gesamtbilanz nichts verändert haben. Der technolo­gische Rückstand gegenüber Westunternehmen betrug in der Regel mindestens ein Jahrzehnt. Die Technologie- und Investitionslücken waren evident. Die Produktpreise wurden nicht von den Herstellungskosten, sondern politisch bestimmt. Die VEB waren auch nicht für die Materialbeschaffung, das Vertriebsnetz oder die Kundenwerbung zuständig. Da die Endabnehmerpreise in der Regel niedriger als die Herstellungskosten lagen, produzierte die Wirtschaft permanent Defizite. Die Produktivität der Betriebe lag im Schnitt nur bei ca. 30 Prozent des Westniveaus.18 Typisch für die Kombinate war auch eine ungewöhn­lich hohe Fertigungstiefe, nicht zuletzt infolge unzureichender nationaler und internationaler Arbeitsteilung in den sozialistischen Staaten. Wegen des politischen Postulats der Vollbeschäftigung litten die Betriebe unter einem aufgeblähten Personalbestand. Ohne Rückführung der Belegschaftszahlen auf das betriebswirtschaft­lich notwendige Niveau bestand keinerlei Chance für eine nachhaltige Erhöhung der Produktivität.

18 Vgl. Ein langer Weg – Anpassungsprobleme in der ostdeutschen Unternehmenslandschaft, in: www.bpb.de/system/files/pdf/9ZAN52.pdf, S. 2 (Abruf: 16. Juni 2014). Der ökonomische Zusammenbruch der DDR  |

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Schon insoweit waren für einen Übergang von der Planwirtschaft auf ein marktwirtschaft­liches System Freisetzungen vorprogrammiert. Schließ­lich litt die gesamte DDR-Wirtschaft unter einem latenten Materialmangel, was allerdings bisweilen zu beacht­lichen Improvisationsleistungen der Belegschaften zur Erreichung der Planziele führte. Hinzu kamen Mangel­erscheinungen, die aufgrund von Einschränkungen durch die sogenannte COCOM -Liste zustande kamen. In technolo­gisch bedeutsamen Sektoren, wie etwa der Mikroelektronik, hat die DDR trotz hoher eigener Anstrengungen und zu Lasten anderer Bereiche den Anschluss an die technolo­gische Entwicklung nicht geschafft. Letztend­lich waren die DDR-Produkte bis auf wenige Ausnahmen nie dem freien Wettbewerb ausgesetzt, mussten sich damit nicht am freien Markt behaupten und waren meist auch nicht konkurrenzfähig. Die sozialistische Planwirtschaft hat die Regeln der Marktwirtschaft ausgeschlossen. Ihr staat­liches Regelwerk funktionierte nicht, es führte nicht zu wirtschaft­lichen Erfolgen und zum Wohlstand für alle Bürger, sondern zu einer gigantischen Staatsverschuldung und Bürokratie. Diese Wirtschaftsordnung ist wegen innerer Widersprüche nicht nur in der DDR gescheitert, sondern weltweit, in Russland, der Volksrepublik China und ebenso in Kuba. Wegen innerer Widersprüche sind auch die sozialistischen Bündnissysteme wie der RGW zusammengebrochen. Nach Abschluss des Staatsvertrags vom 18. Mai 1990 über die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion 19 war der Verbleib der DDR im RGW nicht mehr mög­lich. Am 2. Oktober 1990 erklärte das amtierende Staatsoberhaupt der DDR, Sabine Bergmann-Pohl, den Austritt aus dem RWG mit Wirkung zum 3. Oktober 1990. Am 28. Juni 1991 wurden die Sowjetunion und der RGW aufgelöst. Die DDR hatte damals bereits ihre Absatz- und Beschaffungsmärkte weitgehend verloren. Bis dahin hatte sie 30 Prozent ihrer Produktion im Ausland abgesetzt, wobei die Ausfuhren in die UdSSR eine dominante Rolle spielten. Den Umfang bestimmten jedoch nicht die Märkte, sondern die jeweiligen Machthaber – insbesondere die der Sowjetunion. Vom Export ging keinerlei Zwang zur Effizienzsteigerung der DDR-Volkswirtschaft aus, einen Wettbewerb zwischen in- und ausländischen Unternehmen gab es nicht. Exportiert wurden Halb- und Fertigprodukte, 19 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR über die Schaffung einer Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion, vgl. Bundesgesetzblatt 1990 II Nr. 20 vom 29. Juni 1990, S. 537 – 544.

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und zwar zu Preisen, die nicht vom Markt bestimmt wurden, sondern weithin von dem größten und bestimmenden Handelspartner UdSSR, auf den von 1960 bis 1988 40 Prozent des Außenhandelsumsatzes der DDR entfielen.20 Die Einfuhren der DDR waren von ihrer Rohstoffarmut geprägt: 40 Prozent der Einfuhren waren deshalb Brennstoffe, Rohstoffe und Metalle. Die Rohstoffeinfuhren kamen zu 85 Prozent aus der Sowjetunion, die Erdgasund Rohöllieferungen zu über 90 Prozent. Der Export und der Import der DDR waren demzufolge von den Interessen der Sowjetunion bestimmt. Sie hat nicht dazu beigetragen, die Versorgungsmängel der DDR bei den Roh- und Brennstoffen abzubauen. Auch eine bessere wirtschaft­liche Spezialisierung und Arbeitsteilung zwischen den sozialistischen Staaten wurden unterlassen. Die gelieferten Stückzahlen und die Qualität der Produkte entsprachen zu 50 Prozent nicht dem Bedarf. Die Einführung von Produktstandards kam nicht zustande. Die in der DDR z. B. bei den Automobilwerken Eisenach (AWE) geplanten neuen Fahrzeugmodelle wurden nicht zugelassen. Der technische Fortschritt fand nicht mehr statt oder wurde unterbunden. Der RGW und die Sowjetunion haben mit ihren Bremsmanövern bereits Anfang der 1980er Jahre den wirtschaft­lichen und politischen Zusammenbruch der DDR eingeleitet.21 Der deut­liche Rohstoffmangel hat alsbald zu einem Produktionsrückgang der VEB geführt. In Zwei-Schicht-Betrieben wurde nur noch in der Frühschicht produziert und in der Spätschicht repariert. Die Ausfälle bei der Produktion von Gütern und Dienstleistungen im Inland wurden durch eine Staatsverschuldung ausgeg­lichen, die ein gigantisches Ausmaß erreicht hatte, aber verschleiert wurde. Wie es um die DDR-Wirtschaft bestellt war, spiegelte sich auch in der Abschlussbilanz der THA wider. Dem anfäng­lich von DDR-Seite noch auf 600 Mrd. DM geschätzten Wert der DDR-Betriebe stand am Ende ein negativer Saldo von nahezu 250 Mrd.  DM gegenüber einschließ­lich der entstandenen Aufwendungen der THA für die Umstrukturierung, Entschuldung

20 Vgl. „Die wirtschaft­liche Lage in der DDR“, CDU-Dokumentation 2 (1990) (http://www.kas.de/wf/doc/kas_27105-544-1-30.pdf ?110826092639, Abruf: 23. Juni 2014). 21 Zur Beziehung zwischen der DDR und dem RGW vgl. Ralf Ahrens: Debt, Cooperation, and Collapse. East German Trade in the Honecker Years, in: Berghoff/Balbier (Hg.): The East German Economy, 1945 – 2010, S. 161 – 176. Der ökonomische Zusammenbruch der DDR  |

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und für soziale Auffangmaßnahmen.22 Das entstandene Defizit war keine Folge einer miserablen Arbeit der THA, sondern einer total verfehlten Wirtschaftspolitik der DDR. Spätestens die negative Abschlussbilanz der THA hat die eklatanten Mängel und Fehlleistungen der DDR-Wirtschaft aufgedeckt. Die finanziellen Risiken einer Verlängerung des Transformationsprozesses wären nicht überschaubar gewesen. Somit blieb als Lösung nur die rasche Abwicklung der DDR -Betriebe durch schnelle Übertragung auf neue verantwort­liche Eigentümer, auch wenn durch Herbeiführung der Wirtschafts- und Währungsunion radikale und schmerz­liche Konsequenzen damit verbunden waren. Zu Privatisierung und Währungsunion gab es keine Alternative. Der Sachverständigenrat hat bereits 1990/91 auf die anzustrebende gesamt­ europäische Ordnung und auf den „Brückenschlag zwischen West und Ost durch die Schaffung einer neuen wirtschaft­lichen Ordnung in Gesamt­europa“ hingewiesen. Er forderte eine intensive wirtschaft­liche Zusammenarbeit zwischen allen Staaten entwickeln zu helfen.23 Die wirtschaft­liche Entwicklung im Osten und Westen Deutschlands verlief zunächst dramatisch entgegengesetzt. Während das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in den neuen Ländern von 336 Mrd. DDR-Mark im Jahr 1989 auf 206 Mrd. D-Mark 1991 um fast 40 Prozent sank und eine Steigerung erst danach begann, setzte in der westdeutschen Industrie dagegen ein Einigungsboom ein, das BIP stieg 1990 um real 5,7 Prozent und 1991 um 5 Prozent.24 Die Finanzhilfen für die neuen Länder kamen als Aufträge an die westdeutschen Unternehmen zurück. 1992 wurde jedoch auch Westdeutschland von einer weltweiten Rezession erfasst, so dass die Beschäftigung in der früheren Bundesrepublik Deutschland von 1990 bis 1994 um 1,6 Mio. Arbeitnehmer sank. Im Osten hat der Systemwandel den Strukturwandel der Wirtschaft vorangetrieben.25 Das Wirtschaftssystem der DDR war gescheitert, es konnte auch nicht repariert werden, was die SED -Führung vergeb­lich versucht hat. Zudem erwies sich die dem Treuhandgesetz zugrunde liegende Absicht der 22 Vgl. Theo Waigel: Finanzpolitische Rahmenbedingungen des Treuhandmodells, in: Breuel/Burda (Hg.): Die Treuhand­anstalt 1990 bis 1994, S. 66. 23 Vgl. Jahresgutachten 1990/91 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaft­lichen Lage, Bundestag-Drucksache 11/8472, S. 296. 24 Vgl. Gerhard A. Ritter: Der Preis der deutschen Einheit. Die Wiedervereinigung und die Krise des Sozialstaates. München 2006, S. 139. 25 Ebd., S 119.

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Volkskammer schnell als ein Irrtum, denn die Kombinate waren systemwidrige Einrichtungen und wurden deshalb zu Recht abgeschafft. Auch das Überleben großer Stammbetriebe, großer Kombinate bzw. VEB war nicht gesichert. Der Weg zur Privatwirtschaft führte über die Zerlegung großer Stammbetriebe und der VEB sowie über die Bildung von kleineren und mittleren Unternehmen, die sich schnell und stark entwickelt und weitere Unternehmensansiedlungen induziert haben.

Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion Um den Strukturwandel in einen Wachstumsprozess einmünden zu lassen, musste deshalb ein Systemwechsel in Richtung der Sozialen Marktwirtschaft eingeleitet werden. Genau dies ist mit der Wirtschafts-, Währungsund Sozialunion geschehen. Über den Weg zur Währungsunion existierten drei unterschied­liche Ansichten. Die sogenannte Krönungstheorie sah vor, dass eine Währungsunion erst dann vollzogen werden sollte, wenn die Wirtschaft der DDR das Niveau der bundesdeutschen erreicht habe. Eine weitere Mög­lichkeit wurde in einer „künst­liche Verklammerung“ der Mark der DDR mit der D-Mark gesehen und der dritte Weg lag in der Einführung der D-Mark als Zahlungsmittel in der DDR.26 Mit dem Staatsvertrag vom 18. Mai 1990 wurde zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR eine Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion beschlossen, die mit Inkrafttreten am 1. Juli 1990 einen ersten Schritt zur Herstellung der staat­lichen Einheit Deutschlands darstellte. Es bestand Klarheit, dass mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland nach Art. 23 GG die Rechtsunion beschlossen wird. Die Vertragspartner haben damit Konsequenzen aus der Existenzkrise der DDR gezogen und einem wichtigen Anliegen der DDR-Bürger Rechnung getragen, schnellstmög­lich die Realeinkommen in der Bundesrepublik und eine politische Selbstbestimmung zu erreichen.27 Dabei wurde die Verpf­lichtung übernommen, eine Transformation der Planwirtschaft einzuleiten, die 26 Vgl. Hanns Jürgen Küsters: Entscheidung für die deutsche Einheit. Einführung in die Edition, in: Dokumente zur Deutschlandpolitik. Sonderedition aus den Akten des Bundeskanzleramtes, S. 94 f. 27 Vgl. Dok. Nr. 165B „Währungsunion mit Wirtschaftsreform“, ebd., S. 766 – 770. Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion  |

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sozialgesteuert und mit hohen Staatsausgaben verbunden war. Alle Vergleiche mit bis dahin bereits erfolgten Privatisierungen in Polen, Ungarn und anderen ehemals sozialistischen Ländern waren damit obsolet. Zunächst wurde die Einführung der Sozialen Marktwirtschaft durch folgende Maßnahmen beschlossen: Übergang zur Marktwirtschaft durch einen Leistungswettbewerb, freie Preisbildung, volle Freizügigkeit von Arbeit, Kapital, Gütern und Dienstleistungen, Einführung des Privateigentums an Produktionsmitteln usw. Beide Vertragspartner bekannten sich auch zur freiheit­lichen, demokratischen, föderativen, rechtsstaat­lichen und sozialen Grundordnung. Zur Schaffung der Währungsunion wurde ein einheit­liches Währungsgebiet gebildet mit der D-Mark als gemeinsamer Währung. Die Deutsche Bundesbank wurde die Währungs- und Notenbank des Währungsgebietes und damit Stabilisator des Geldwertes. Die Umtauschrelation der DDR Mark zur D-Mark wurde in einer „Zwölf-Punkte-Erklärung der Bundesregierung und der Regierung der DDR zur Währungsumstellung“ am 2. Mai 1990 festgelegt.28 Hier wurde u. a. beschlossen: „Löhne, Gehälter, Stipendien, Mieten, Pachten und Renten sowie andere Versorgungszahlungen (z. B. Unterhaltszahlungen) werden im Verhältnis 1:1 umgestellt.“ Befürchtet wurde ein Geldüberhang in Folge der großzügigen Umstellung der Guthaben. Um dies zu vermeiden, wurde im Vertrag zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion in § 6 (3) eine spezielle Regelung aufgenommen. Danach wurden Guthaben, die nach dem 31. Dezember 1989 entstanden sind, in der Weise umgestellt, dass für drei DDR-Mark eine D-Mark gutgeschrieben wurde. In diesem Zusammenhang wurde u. a. die Devisenrentabilität bzw. Devisenertragskennziffer der DDR-Exporte nach Westdeutschland als Umtauschrelation empfohlen. Diese betrug beispielsweise 1980 2,4 und 1989 4,3. Diese Kennziffer – Erlöse in D-Mark im Vergleich zum Aufwand in DDR -Mark – sei ein Wechselkursäquivalent, weil hier auch die Produktivitätsrückstände der exportierenden DDR zum Ausdruck kämen. Die Relation 1980 von 1:2,4 sei über Produktivitätsverluste und die damit abnehmende internationale Wettbewerbsfähigkeit der DDR auf 1:4,3 im Jahr 1989 gesunken. Der Außenwert der DDR -Mark gegenüber der 28 Vgl. Dieter Grosser: Das Wagnis der Währungs-, Wirtschafts- und Sozial­ union. Politische Zwänge im Konflikt mit ökonomischen Regeln (Geschichte der deutschen Einheit 2). Stuttgart 1998, S. 288 f. Siehe auch Anlage 1 im Anhang.

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D-Mark sei 4,3:1, eine Umtauschrelation von 4:1 (vier DDR-Mark für eine D-Mark). Tatsäch­lich wurde festgelegt, dass Sparguthaben pro Person bis zu 4.000 DDR-Mark (Kinder 2.000 und Senioren ab dem 60. Lebensjahr 6.000) im Verhältnis 1:1 und darüber hinausgehende Guthaben und Geldbestände im Verhältnis 1:2 umgetauscht werden. Dieses Entgegenkommen war unter vielfältigen Gesichtspunkten gerechtfertigt. Der DDR-Bevölkerung wurde damit eine vorteilhafte Regelung zuteil zur Werterhaltung ihrer Löhne und Gehälter sowie ihrer Sparguthaben. Für die DDR-Wirtschaft war der Umtauschkurs jedoch mit erheb­lichen Nachteilen verbunden. Eine Umstellung der Löhne im Verhältnis 1:1 mit dem Ziel, einer schnellen Angleichung der Löhne an das westdeutsche Lohnniveau ist in Abhängigkeit von der Produktivitätsentwicklung zu beurteilen. 1991 lag sie nur bei durchschnitt­lich 30 Prozent und auch 1997 erst bei 60 Prozent des Westniveaus. Die Produktivitätslücke war demnach zwar gesunken, der Abstand zum westdeutschen Niveau war allerdings immer noch gravierend. Dabei ist festzuhalten, dass die Produktivität in der verarbeitenden Industrie, in der Baubranche und im Energiesektor am stärksten gestiegen war und im Dienstleistungssektor am geringsten.29 Auch der Kapitalstock entsprach nicht dem westdeutschen Durchschnitt, so dass die DDR -Wirtschaft ohne staat­liche Anpassungshilfen sofort in bedroh­liche wirtschaft­liche Schwierigkeiten geraten wäre.30 Die Bundesregierung hat damals beschlossen, den Anpassungshilfen zur Produktivitätssteigerung der Betriebe ein großes Gewicht einzuräumen und sie aus den Privatisierungserlösen der Treuhand­anstalt zu finanzieren. Sie hat den für die DDR-Bevölkerung günstigen Umtauschkurs mit zusätz­lichen Finanzhilfen des Bundes und der THA finanziert und damit erreicht, den Aufbau Ost sowohl unter sozialen als auch wirtschaft­lichen Aspekten zu gestalten. Die Folge davon waren allerdings ein expandierendes Transfervolumen und eine hohe Verschuldung des Bundes. „Eine Währungsunion, die sich nicht im Gleichschritt mit dem grundlegenden Umbau des Wirtschaftssystems in der DDR“ vollzogen hätte, hätte „ledig­lich Kosten [verursacht], ohne die 29 Vgl. Joachim Ragnitz/Ingrid Haschke/Gerald Müller/Jacqueline Rothfels/ Udo Ludwig: Transfers, Exportleistungen und Produktivität. Wirtschaft­liche Strukturdaten für die neuen Länder. Hg. vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle. Sonderheft 2 (1998). Halle 1998, S. 43 und 45. Siehe auch Anlage 2 im Anhang. 30 Vgl. ebd., S. 45. Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion  |

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wirtschaft­lichen Aussichten für die Menschen auf eine tragfähige bessere Basis zu stellen.“31 Durch die Währungsumstellung mussten auch die Nachfolgekapitalgesellschaften ihr Zahlenwerk, vor allem die Bilanz, auf DM-Werte umstellen (DM-Eröffnungsbilanz zum 1. Juli 1990). Für das Gesetz über die DM-­ Eröffnungsbilanz 32 wurden im Vertrag über die Schaffung einer Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion verschiedene Grundsätze formuliert, so auch das Gebot, die Vermögensgegenstände und Schulden zum Stichtag neu zu bewerten und dabei die Vorschriften des Handelsgesetzbuchs zu beachten. Trotz der Neubewertung waren viele  DM-Eröffnungsbilanzen in der Folge korrekturbedürftig. Das Anlagevermögen war vielfach überhöht dargestellt. Die Immobilienwerte waren häufig nicht verkehrstaug­lich, weil keine Marktsituation für diese Immobilien (z. B. Braunkohleheizhäuser) denkbar war. Maschinen, Einrichtungen etc. waren „mora­lisch verschlissen“ und in ihrem Zustand vielfach ursäch­lich für die geringe Arbeitsproduktivität. Daraus hätte sich ein negativer Zeitwert ergeben müssen. Nach der Neubewertung in der DM-Eröffnungsbilanz war jedoch von einem Neuwert mit Wertabschlag auszugehen, was in der Regel zu einem positiven Zeitwert geführt hat. Die Schulden waren im Verhältnis zwei DDR-Mark zu einer D-Mark umzustellen. Diese Schulden waren teilweise entstanden durch staat­liche Zuweisungen, um Verluste auszugleichen. Korrekturmaßnahmen im Anlagevermögen hatten dann in vielen Fällen zur Folge, dass eine bilanzielle Überschuldung vorlag. Das entstandene bilanzielle Ungleichgewicht musste durch Entschuldungsmaßnahmen der THA und korrespondierende Kapitalzuführungen ausgeg­lichen werden. Unternehmenswertermittlungen auf der Grundlage von DM -Eröffnungsbilanzen und der dort notwendigen Korrekturen ergaben vielfach den Kaufpreis von einer D-Mark bei der Privatisierung. Hier waren die zu übernehmenden Schulden höher als der bilanzielle Aktivwert. In der Folge waren dann die Summe der Verkaufserlöse der THA aus der Unternehmensprivatisierung erheb­lich niedriger als die 31 Vgl. Brief von Hans Karl Schneider, Vorsitzender des Sachverständigenrates, vom 9. Februar 1990 an den Bundeskanzler, Anlage V zum Jahresgutachten 1990/91des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaft­ lichen Lage, Bundestag-Drucksache 11/8472, S. 308. 32 Gesetz über die Eröffnungsbilanz in Deutscher Mark und die Kapitalneufestsetzung (DMarkbilanzgesetz – DMBilG) vom 23. September 1990, vgl. Bundesgesetzblatt 1990 II Nr. 35 vom 28. September 1990, S. 1169 – 1193.

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entsprechend konsolidierten  DM-Eröffnungsbilanzwerte der privatisierten Unternehmen. Daraus ist auch die erheb­liche Diskrepanz zwischen den noch in der zweiten Hälfte des Jahres 1990 gemutmaßten hohen Vermögenswerten der DDR-Wirtschaft und den tatsäch­lichen Nettoerlösen aus der Privatisierung zu erklären. Man war bei ursprüng­lichen Wertschätzungen und -berechnungen von marktwirtschaft­lichen Überlegungen ausgegangen, hatte aber übersehen, dass das Produktivvermögen in der DDR nicht über einen Kapitalmarkt finanziert worden war, auf dem Kapitalströme in Richtung höchstmög­licher Rentabilität gelenkt wurden. Vielmehr waren Investitionen und deren Finanzierung staat­lich gesteuert. Bilanzwerte waren Ergebnisse von Rechenoperationen und entsprachen nicht den Grundsätzen ordnungsgemäßer Bilanzierung, die die Orientierung an den jeweiligen Märkten (Kapital, Investition, Produkt) vorgaben. Die Sozialunion war das umfangreichste Regelungssystem, denn sie legte Grundsätze für ein gegliedertes System der Sozialversicherung fest, d. h., für die Renten-, Kranken-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung. Durch die Sozialunion wurden die Sozialversicherungssysteme zum 1. Juli 1990 übertragen. Wesent­liche Elemente waren das Rentensystem und die Arbeitslosenversicherung. In vielen Betrieben waren trotz Liquiditätshilfen über THA -bürgschaftsgesicherte Kredite Personalfreisetzungen nicht zu vermeiden. Hier hat unmittelbar das System der Arbeitslosenversicherung gegriffen, das durch einige Elemente ergänzt wurde. So konnten beispielsweise durch das Instrument der Kurzarbeit Null die finanziellen Folgen für die Betroffenen gemildert werden. Der Arbeitnehmer blieb vertrag­lich an das Unternehmen gebunden, aber der von ihm geforderte Arbeitseinsatz ging auf null. Sein Einkommen lag über dem Arbeitslosengeld und seine Rentenanwartschaften orientierten sich an diesem Einkommen. Bei unabwendbaren Entlassungen wurde neben dem Arbeitslosengeld von der THA über sogenannte Zweckzuwendungen ein Sozialplan für die betroffenen Arbeitnehmer finanziert. Durch eine Vielzahl von Beschäftigungs- und Qualifizierungsmaßnahmen, die von der Arbeitsverwaltung finanziert wurden, haben sich zahlreiche Chancen zur Qualifizierung der Arbeitnehmer für geänderte oder neue Aufgaben ergeben. Hier wurde die soziale Komponente unserer Marktwirtschaft besonders deut­lich. Problematisch war die Anpassung des Rentensystems. Die Arbeitnehmer hatten in der DDR auch Rentenversicherungsbeiträge bezahlt, die aber aufgrund der geringen Arbeitseinkommen (in DDR-Mark) und der Umstellung der Versicherungsvermögens in D-Mark keine hinreichende Basis für eine Übergangsfinanzierung der Renten darstellten. Die Grundsätze des Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion  |

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Generationenvertrages waren nicht anwendbar. Sie ergaben keine Basis für die Rentenfinanzierung. Es war auch absehbar, dass aus den zukünftigen Beitragseinnahmen der sozialversicherungspf­lichtig Beschäftigten in Ostdeutschland die finanzielle Grundlage der Renten nicht gesichert werden konnte. Ein zentrales Problem waren allerdings die Höhe der Renten und deren Bemessungsgrundlagen. Die Arbeitseinkommen in der DDR waren nominal zu niedrig, um als Basis für auskömm­liche Renten zu dienen. Daher wurden diese Arbeitseinkommen in vergleichbare westdeutsche Beitragseinkommen mit aufsteigenden Faktoren, bis 1989 auf das etwa dreifache, umgerechnet. Die Rentenfinanzierung in Ostdeutschland überfordert das Sozialversicherungssystem, so dass auch heute noch Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt geleistet werden. Die Rentenfinanzierung ist ein erheb­licher Teil der Transferleistungen, die bis heute anhalten. Zur Realisierung des Vertragswerks wurden nicht nur ordnungspolitische Beschlüsse gefasst, sondern auch prozesspolitische Entscheidungen getroffen. Um die niedrige Arbeitsproduktivität (von 50 Prozent) zu steigern und die Löhne erhöhen zu können, wurden die technische und kapitalmäßige Ausstattung der DDR-Wirtschaft auf ein völlig neues Fundament gestellt. Der marode Produktionsapparat wurde entsorgt und durch Betriebe mit einer fortschritt­lichen und wettbewerbsfähigen Technologie ersetzt. Um die Produktivitätssteigerung auch durch eine moderne und leistungsfähige Infrastruktur zu unterstützen, wurden umfangreiche infrastrukturelle Maßnahmen beschlossen, wie z. B. die Verkehrsprojekte Deutsche Einheit und die Verbesserung der wirtschaftsnahen Infrastruktur sowie der Bildungsund Ausbildungseinrichtungen. Im Zuge der Wiedervereinigung wurden im Einigungsvertrag umfangreiche Finanzierungshilfen zur Entschuldung der DDR und weitere Finanztransfers an die neuen Länder u. a. zur Wirtschaftsförderung festgelegt. Die THA wurde anfangs ermächtigt, in eigener Verantwortung Kredite bis zu insgesamt 25 Mrd.  DM aufzunehmen. Um einen unmittelbar drohenden abrupten Zusammenbruch von Betrieben zu vermeiden, wurden bereits unmittelbar nach Schaffung der Währungsunion am 1. Juli 1990 mehrere Milliarden DM Liquiditätshilfen an gefährdete Betriebe ausgereicht. Die Kosten der Überwindung der Teilung wurden hauptsäch­lich aus fünf Quellen finanziert: Steuererhöhungen, zusätz­liche Verschuldung des Bundes, Zuweisungen der EU, Umlage der Renten- und Sozialversicherung sowie Beiträge der Länder und Gemeinden der alten Bundesrepublik Deutschland. Die Transferleistungen des Bundes stammten aus dem Bundeshaushalt, dem Fonds Deutsche Einheit, dem Solidaritätszuschlag (seit 1991), aus einer 32

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höheren Mineralöl-, Versicherung-, Tabak- und Erdgassteuer und aus einer Steigerung der Nettoneuverschuldung des Bundes. Die Herbeiführung der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion am 1. Juli 1990 war der lo­gische und richtige Schritt in Richtung einer raschen und effektiven Umstrukturierung der Planwirtschaft. Es gab dazu keine Alternative, wenn das Ziel der Wiedervereinigung erreicht werden sollte. Um diese finanziellen Zusagen zu realisieren, hat die Bundesrepublik Deutschland in den folgenden zwei Jahrzehnten jähr­lich etwa 100 Mrd. Euro Transfermittel für den Aufbau Ost bereitgestellt. Das entsprach etwa einem Drittel des aktuellen Bundeshaushalts. Die Mittel verteilten sich vor allem auf fünf Ausgabengruppen: 1. Sozialversicherung –– Rentenversicherung –– Arbeitslosenversicherung 2. Sozialleistungen –– Pensionsaltlasten –– Wohngeld –– Erziehungsgeld 3. Arbeitslosenhilfe und Arbeitsmarktpolitik –– Leistungen des Bundes an die Rentenversicherung –– Personalausgaben 4. Infrastrukturinvestitionen –– Verkehrsinfrastrukturinvestionen –– Investitionsförderungsgesetz Aufbau Ost 5. Wirtschafts- und Technologiehilfen –– Wissenschaftsausgaben –– Investitionsförderung für die gewerb­liche Wirtschaft. In den Jahren 2001 bis 2003 entfiel der größte Teil der Transfermittel auf die Sozialleistungen (53 bis 55 Prozent) einschließ­lich der arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen. An zweiter Stelle standen die Mittel für den Ausbau der Infrastruktur (7 bis 10 Prozent) und erst an dritter Stelle die Wirtschaftsförderung (7,2 bis 7,8 Prozent). Demzufolge ist festzustellen, dass der Transformationsprozess zur Sozialen Marktwirtschaft vor allem mit sozialpolitischen Staatsausgaben in Gang gesetzt wurde.33

33 Vgl. Harald Lehmann/Udo Ludwig/Joachim Ragnitz: Transferleistungen und Bruttoinlandsprodukt in Ostdeutschland. Hg. vom Institut für Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion  |

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Die regionale Verteilung der Nettotransfers erfolgte nach der Einwohnerzahl, so dass von einer Bevorzugung bzw. Benachteiligung einzelner Länder bei den Transferleistungen nicht gesprochen werden kann. Auch wenn der Sozialpakt II 2019 auslaufen wird, müssen danach noch große finanzielle Verpf­lichtungen (Entschuldungsbeiträge) des Staates abgetragen werden.

Rahmenbedingungen der Privatisierung Zwischen den staat­lichen Transferleistungen und der Privatisierung der Wirtschaft musste ein innerer Zusammenhang bestehen. Eine Transformation der DDR -Wirtschaftsordnung musste mit der Rechtsunion beginnen, die auch die Einführung eines betrieb­lichen Finanzund Rechnungswesens zum Inhalt hatte, ohne das die THA ihren Privatisierungsauftrag nicht hätte erfüllen können. Eine weitere Voraussetzung für die Privatisierung der ostdeutschen Unternehmen war die Bereitschaft nationaler und internationaler Investoren, ehemals volkseigene Betriebe ganz oder in Teilen zu erwerben. Ein erheb­licher Teil der westdeutschen Unternehmen hatte vor der Wiedervereinigung kein oder nur ein geringes Interesse am Kauf von Produktionskapazitäten in der DDR. Sie sahen sich in der Lage, die dortigen Märkte von ihren Produktionsstandorten im Westen aus zu beliefern, und betrachteten die ostdeutschen Unternehmen als lästige Konkurrenz. Außerdem sah man nicht ein, warum west­liches Kapital als Industrieinnovationen in den Osten fließen sollte. Die Aussicht, beim Aufbau Ost Gewinne erzielen zu können, erschien vielen Wirtschaftsexperten nicht sehr wahrschein­lich. Sollte man auf die niedrigeren Löhne, auf das High-Tech-Personal, auf den hohen Ausbildungsstand oder auf die Nähe großer Marktpotenziale, auf Fördermittel oder Steuerermäßigungen bauen? Wäre die westdeutsche Industrie diesen Zweifeln gefolgt, dann hätte dies zu einer De-Industrialisierung der ehemaligen DDR geführt. Ostdeutschland wäre der Mezzogiorno Deutschlands geworden. Die damalige Bundesregierung und der Deutsche Bundestag haben der Aufbauskepsis entschieden widersprochen und neben der Rechtsunion auch die Einführung einer Sozial- und Wirtschaftsunion beschlossen, die zum

Wirtschaftsforschung. Halle 2005, S. 8 f. (http://www.iwh-halle.de/d/publik/ presse/20-05L.pdf, Abruf: 23. Juni 2014). Siehe auch Anlage 3 im Anhang.

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Aufbau neuer Produktionskapazitäten und zu gleichwertigen Lebensverhältnissen in den neuen Ländern führen sollten. Das hatte ein Umdenken der westdeutschen Industrie zur Folge, die zunehmend die Standortvorteile der neuen Länder, deren Kosten- und Finanzierungsvorteile, ihr hohes Potenzial an Fachkräften, Ingenieuren und High-Tech-Spezialisten erkannte. Viele von ihnen haben dann begonnen, in den neuen Ländern Erweiterungsinvestitionen zu tätigen. Am Anfang handelte es sich häufig um die Errichtung von verlängerten Werkbänken, schon nach kurzer Zeit siedelte man überwiegend neue Geschäftsfelder, Produktionstechniken und Produkte an, die eigenständige Entwicklungschancen hatten und nicht nur von Nachfrageüberhängen der Stammwerke im Westen abhängig waren. Es setzte sich auch die Erkenntnis durch, dass man die Ostmärkte nur dann erschließen könnte, wenn man dort auch Produktionsstandorte entwickeln würde. Spätestens mit der EU-Osterweiterung und den wirtschaft­lichen Erfolgen der Schwellenländer stieg insbesondere bei internationalen Investoren das Interesse an den ostdeutschen Produktionsstandorten. Als Erschwernis für die Privatisierung erwies sich die emotionale Bindung der Mitarbeiter an ihren Betrieb, die in der DDR meist deut­lich stärker ausgeprägt war als in der alten Bundesrepublik. Das ist nicht zuletzt auf die häufig weit über das Wirtschaft­liche hinausgehenden Versorgungsleistungen der DDR-Betriebe, insbesondere der Kombinate, zurückzuführen. Daraus erklärt sich auch eine durchweg längere Betriebszugehörigkeit der Mitarbeiter als im Westen. Ein regionaler und sektoraler wirtschaft­licher Wandel wurde damit nicht unbedingt erleichtert. Hinzu kommt die Erfahrung, dass mit der Wiedervereinigung vielfach überzogene Erwartungen verbunden wurden. Man habe jetzt die Freiheit erkämpft, ansonsten würde aber alles beim Alten bleiben. Der Fortbestand der Betriebe und Arbeitsplätze müsse weiterhin Teil einer umfassenden Fürsorge des Staates sein. Eine solche Erwartungshaltung stand einer grundlegenden Umstrukturierung und Modernisierung der Ostbetriebe entgegen und erklärt auch den Protest gegen die THA , der selbst ehemalige Führungskräfte der Ostbetriebe veranlasst hat, die THA mit „Verramschern“ und „Plattmachern“ gleichzusetzen.34 34 Richard Schröder entkräftet die Kritik an der Treuhand, vgl. etwa Besser ging nicht. Eine Ehrenrettung für die Treuhand, in: Die Politische Meinung, Sonderausgabe Nr. 2 (Oktober 2014), S. 91 – 96. Rahmenbedingungen der Privatisierung  |

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Bei der Einführung der D-Mark mit einem Umtauschverhältnis von 1:1 bzw. 1:1,8 wurde die DDR-Wirtschaft über Nacht dem vollen Wettbewerb der Marktwirtschaft ausgesetzt, deren betrieb­liches Rechnungswesen sie nicht beherrschte. Hätte man zur Entlastung der Betriebe im Umtauschverhältnis 1:4 umgestellt, dann hätten ostdeutsche Arbeitnehmer bei gleicher Arbeit etwa ein Sechstel des Lohns westdeutscher Arbeitnehmer verdient. Ihr Einkommen wäre unter die Sozialhilfesätze gefallen. Die Folge wäre eine massenhafte Abwanderung in den Westen gewesen.35 Angesichts des vorhandenen Produktivitätsrückstandes und der fehlenden Wettbewerbsfähigkeit der Produkte drohte nach Einführung der Währungsunion ein unmittelbarer Kollaps der Wirtschaft in den neuen Ländern. Die Politik musste rasch und wirksam eingreifen. Ihr blieb nur die Mög­lichkeit, einen schnellen Umbau der Staatswirtschaft in ein marktwirtschaft­liches System durch eine umfassende Privatisierung der volkseigenen Betriebe herbeizuführen. Dieser Übergang war nur mit erheb­lichen finanziellen Soforthilfen einzuleiten. Da die bestehende Verwaltung mit dieser Aufgabe überfordert gewesen wäre, entschied man sich für die Weiterführung und den Umbau der THA und für massive Finanzhilfen des Bundes, der EU und der alten Länder. Auch die THA und ihre Mitarbeiter waren nicht in der Lage, die Privatisierung reibungslos zu vollziehen. So gab es Fehlleistungen, Fehlinvestitionen, Fehlbesetzungen und auch einige kriminelle Aktivitäten, die man nicht immer rechtzeitig erkannt hat oder erkennen konnte. Trotzdem war die Vorgehensweise im Grundsatz richtig. Die Kombinate wurden aufgelöst und die Kombinatsbetriebe in zwei Schritten privatisiert: Zunächst wurden die VEB in das Eigentum der Treuhand­anstalt übertragen; anschließend wurden die sanierungsfähigen und -würdigen Betriebe durch die THA verkauft. Sie war im Endeffekt zuständig für 13.500 Betriebe, 2,4 Mio. ha land- und forstwirtschaft­liche ­F lächen, einen umfangreichen Wohnungsbesitz, die staat­lichen Apotheken und HO-Betriebe sowie das Vermögen der Parteien und Massenorganisationen. In Thüringen waren 2.032 Betriebe zu privatisieren, wobei diese Zahl sich im Zuge der Unternehmensentflechtungen auf 2.448 erhöhte. Im Gegensatz zu anderen Teilen der DDR waren in Thüringen die Kombinatsbetriebe überwiegend mittlere und kleinere Betriebe. Die kleinteilige 35 Vgl. hierzu Karl-Heinz Paqué: Die Bilanz. Eine wirtschaft­liche Analyse der Deutschen Einheit. München 2009, S. 26 – 44.

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Unternehmensstruktur erleichterte deren Privatisierung und führte dazu, dass diese schneller als in den anderen neuen Ländern abgeschlossen werden konnte. Nach langen Debatten ließ sich die THA eher widerwillig in die strukturpolitischen Aufgaben der Länder einbinden. Am 17. Juli 1991 wurde die Rahmenvereinbarung über Gesellschaften zur Arbeitsförderung (ABS) zwischen Treuhand, Gewerkschaften und Arbeitgebern unterzeichnet. Die Wiedervereinigung ist nach überwiegender Meinung der Deutschen gelungen.36 Demgegenüber werden die Privatisierung der VEB in der Politik, von den Medien und von Mitarbeitern der früheren Treuhandunternehmen häufig als Misserfolg und die THA als ein Moloch bezeichnet, der überbürokratisiert war, chaotisch und planlos vorging und eine hohe Zahl von Arbeitsplätzen vernichtet habe. Wenn dies zuträfe, wäre die Vereinigung nicht erfolgreich gewesen. Da ihr Erfolg aber weltweit anerkannt ist, muss das Negativimage der THA korrigiert werden. Notwendig ist eine objektive Darstellung ihrer Aufgaben und Erfolge ebenso wie ihrer Misserfolge, ihrer Fehlentscheidungen und Konstruktionsmängel. Viele Stellungnahmen zur THA gehen von unvollständigen oder falschen Lageberichten über die DDR aus. Sie unterstellen oder behaupten, die Wirtschaft der DDR oder der eigene Betrieb seien erfolgreich gewesen und nur von der THA ruiniert worden. Außerdem gäbe es die Arbeitslosigkeit in den neuen Ländern erst seit der Gründung der THA. Wichtig und richtig ist der Hinweis, dass ostdeutsche Mitarbeiter in vielen Betrieben eine große Lebensleistung erbracht haben, die anerkannt werden muss. Trotzdem waren die Betriebe nicht erfolgreich, weil dies in der Planwirtschaft nicht mög­lich war und in keinem sozialistischen Land gelungen ist. Wer die Wirtschaftslage der DDR im Jahre 1989 und die inneren Widersprüche der Planwirtschaft nicht zur Kenntnis nimmt, kann den Übergang von der sozialistischen Planwirtschaft zur Sozialen Marktwirtschaft nicht bewerten. Das letzte Wirtschafts- und Finanzministerium der DDR ging davon aus, dass 50 bis 70 Prozent der 36 Laut einer Umfrage des Politbarometers im Jahr 2010 zum 20. Jahrestag der Einheit hielten 84 Prozent der Bürger in Ost- und Westdeutschland die Vereinigung für richtig. 75 Prozent im Westen und 60 Prozent im Osten vertraten die Ansicht, dass das Leben für die Menschen in den neuen Bundesländern heute besser wäre als zur Zeiten der DDR. Vgl. http://www.faz.net/aktuell/ politik/inland/umfrage-deutsche-sehen-die-einheit-positiv-11054527.html (Abruf: 16. Juni 2014). Rahmenbedingungen der Privatisierung  |

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Ex-VEB in die Verlustzone geraten und 30 Prozent der Betriebe mit 1,1 Mio. Beschäftigten akut gefährdet waren. Bereits 1990 wechselten 14 Prozent der 3,5 Mio. Beschäftigten in arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, die von der THA unterstützt wurden. 5 Prozent waren in den Vorruhestand oder Ruhestand getreten und 8 Prozent haben von sich aus gekündigt.37

37 Vgl. Bericht des Vorstands der Treuhand­anstalt über den Abschluß der Arbeiten zum 31.12.1994, in: Treuhand Informationen, Ausgabe 21, 30. Dezember 1994, S. 11.

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Der Auftrag der Treuhand­anstalt

Die Gründung einer Treuhand­anstalt war ursprüng­lich eine Planung von RGW-Staaten, die versuchten, die Krise ihrer Planwirtschaften zu überwinden, ohne diese abzuschaffen. Der Sozialismus sollte mit anderen Worten nur modifiziert oder reformiert werden, um seine offensicht­lichen inneren Probleme zu lösen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass dieser Versuch in allen ehemals sozialistischen Ländern mehr oder weniger gescheitert ist. Einen ähn­lichen Verlauf des Transformationsprozesses wollte man in der DDR vermeiden. Die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag haben einen Weg zur Privatisierung eingeschlagen, der sich von den sozialistischen Ansätzen völlig unterschied.

Die Treuhand­anstalt und die Folgen Die Transformation der Planwirtschaft ist in den sozialistischen Staaten unterschied­lich verlaufen. Die meisten haben sich jedoch für eine sogenannte Voucher-Privatisierung entschieden, bei der die Privatisierung weitgehend ohne Wettbewerb stattfand. Gesucht wurde nicht der Investor mit dem besten Unternehmens- und Finanzierungskonzept, mit den größten Arbeitsmarktchancen auf dem Inlands- und Weltmarkt und mit vielen zusätz­lichen Arbeitsplätzen. Gorbatschows Ziel war es vielmehr, durch eine Massenprivatisierung dem Staat und der Partei die Kontrolle der Unternehmen zu entziehen und sie den Insidern der Unternehmen (Manager und Arbeiter) zu übertragen. Die Folge davon war, dass die Insider zwei Drittel der Anteile von zwei Dritteln der Unternehmen besaßen. In der Sowjetunion hofften die Reformgegner dagegen auf einen effizienten Weiterverkauf von Unternehmensanteilen durch die Manager und Arbeiter an strate­gische Investoren im freien Aktienhandel, hinter denen starke politische Kräfte und Interessengruppen standen. Noch problematischer war das Privatisierungsverfahren bei hochprofitablen Unternehmen des Rohstoff- und Energiesektors. Hier wurde nach dem „loans for shares“-Programm privatisiert. Dieser Privatisierungsprozess wurde solange manipuliert, bis die hochprofitablen Unternehmen in der Hand einiger weniger Finanzoligarchen landeten. Wer sich hier Die Treuhandanstalt und die Folgen  |

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bereichert hatte, hatte kein Interesse daran, weitere institutionelle Reformen durchzuführen.38 Viele rus­sische Experten halten die Voucher-Privatisierung für ungerecht, weil sie nur einen kleinen Kreis von Menschen bereicherte. Die Folge der Privatisierung in Osteuropa war ein dramatischer Einbruch des Bruttoinlandsprodukts, der sich in den GUS-Staaten auf 40 Prozent bezifferte. Demgegenüber hatte die Outsider-Privatisierung in den südosteuro­ päischen Staaten einen positiveren Effekt als die Insider-Privatisierung. Die Privatisierungsstrategie der Bundesrepublik Deutschland unterschied sich davon fundamental. Sie verzichtete auf eine Voucher-Privatisierung und basierte auf dem sogenannten Wiedervereinigungsrecht, das den Privatisierungsprozess detailliert geregelt, einheit­liche Verfahrensabläufe festgelegt und das Wettbewerbsprinzip in das Privatisierungsverfahren eingebaut hat. Das Treuhandgesetz, von der DDR-Volkskammer am 17. Juni 1990 verabschiedet, hat in seiner Präambel den Auftrag der THA wie folgt zusammengefasst: „Getragen von der Absicht –– die unternehmerische Tätigkeit des Staates durch Privatisierung so rasch und so weit wie mög­lich zurückzuführen, –– die Wettbewerbsfähigkeit mög­lichst vieler Unternehmen herzustellen und somit Arbeitsplätze zu sichern und neue zu schaffen, –– Grund und Boden für wirtschaft­liche Zwecke bereitzustellen, –– daß nach einer Bestandsaufnahme des volkseigenen Vermögens und seiner Ertragsfähigkeit sowie nach seiner vorrangigen Nutzung für Strukturanpassung der Wirtschaft und die Sanierung des Staatshaushaltes den Sparern zu einem späteren Zeitpunkt für den bei der Währungsumstellung am 2. Juli 1990 reduzierten Betrag ein verbrieftes Anteilsrecht an volkseigenem Vermögen eingeräumt werden kann, wird folgendes Gesetz erlassen.“39 § 2 Abs. 6 des Treuhandgesetzes sah zudem vor: „Die Treuhand­anstalt hat die Strukturanpassung der Wirtschaft an die Erfordernisse des Marktes 38 Vgl. Franziska Schaft/Patricia Schläger-Zirlik/Monika Schnitzer: Privatisierung in Osteuropa: Strategien, Entwicklungswege, Auswirkungen und Ergebnisse, in: Forschungsverbund Ost- und Südosteuropa, Nr. 13, März 2003, S. 19 (http://www.forost.lmu.de/fo_library/forost_Arbeitspapier_13.pdf, Abruf: 14. April 2014). 39 Vgl. Gesetz zur Privatisierung und Reorganisation des volkseigenen Vermögens (Treuhandgesetz) vom 17. Juni 1990, in: Dokumentation Treuhand­anstalt, Bd. 1, S. 112.

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zu fördern, indem sie insbesondere auf die Entwicklung sanierungsfähiger Betriebe zu wettbewerbsfähigen Unternehmen und deren Privatisierung Einfluß nimmt. Sie wirkt darauf hin, daß sich durch zweckmäßige Entflechtung von Unternehmensstrukturen marktfähige Unternehmen herausbilden und eine effiziente Wirtschaftsstruktur entsteht.“ Auch Art. 25 des Einigungsvertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR hat diese Kernaufgabe bestätigt und mit dem Auftrag gekoppelt, mög­lichst viele Arbeitsplätze zu sichern und zu schaffen. Es war u. a. vorgesehen: „(3) Die Vertragsparteien bekräftigen, daß das volkseigene Vermögen ausschließ­lich und allein zugunsten von Maßnahmen in dem in Artikel 3 genannten Gebiet unabhängig von der haushaltsmäßigen Trägerschaft verwendet wird. Entsprechend sind Erlöse der Treuhand­anstalt gemäß Artikel 26 Abs. 4 und Artikel 27 Abs. 3 des Vertrags vom 18. Mai 1990 zu verwenden. Im Rahmen der Strukturanpassung der Landwirtschaft können Erlöse der Treuhand­anstalt im Einzelfall auch für Entschuldungsmaßnahmen zu Gunsten von landwirtschaft­lichen Unternehmen verwendet werden. Zuvor sind deren eigene Vermögenswerte einzusetzen. Schulden, die auszugliedernden Betriebsteilen zuzuordnen sind, bleiben unberücksichtigt. Hilfe zur Entschuldung kann auch mit der Maßgabe gewährt werden, daß die Unternehmen die gewährten Leistungen im Rahmen ihrer wirtschaft­lichen Mög­lichkeiten ganz oder teilweise zurückerstatten. (4) Die der Treuhand­anstalt durch Artikel 27 Abs. 1 des Vertrags vom 18. Mai 199040 eingeräumte Ermächtigung zur Aufnahme von Krediten wird von insgesamt bis zu 17 Milliarden Deutsche Mark auf bis zu 25 Milliarden Deutsche Mark erhöht. Die vorgenannten Kredite sollen in der Regel bis zum 31. Dezember 1995 zurückgeführt werden. Der Bundesminister der Finanzen kann eine Verlängerung der Laufzeiten und bei grundlegend veränderten Bedingungen eine Überschreitung der Kreditobergrenzen zulassen. (5) Die Treuhand­anstalt wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Finanzen Bürgschaften, Garantien und sonstige Gewährleistungen zu übernehmen. (6) Nach Maßgabe des Artikels 10 Abs. 6 des Vertrags vom 18. Mai 1990 sind Mög­lichkeiten vorzusehen, daß den Sparern zu einem späteren Zeitpunkt für den bei der Umstellung 2:1 reduzierten Betrag ein verbrieftes Anteilrecht am volkseigenen Vermögen eingeräumt werden kann.“41 40 Staatsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR über die Schaffung einer Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion. 41 Vgl. Bundesgesetzblatt 1990 II Nr. 35 vom 28. September 1990, S. 897. Die Treuhandanstalt und die Folgen  |

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Auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise in den neuen Ländern war ihre Eingliederung in die Bundesrepublik Deutschland jedoch mit großen Schwierigkeiten verbunden. Fast alle Unternehmen waren sanierungs- und modernisierungsbedürftig, sie wurden durch einen hohen Fixkostensockel belastet, verzeichneten dramatische Umsatzeinbrüche und Verluste, die teilweise wesent­lich größer waren als die Umsätze. Arbeitsplätze wurden nicht stabilisiert, sondern abgebaut. Ein Unternehmen, das wettbewerbsfähig werden will, benötigt stattdessen: ein tragfähiges Unternehmenskonzept, eine ausreichende Investitionsund Innovationskapazität, ergiebige Absatzmärkte sowie die Bereitschaft, schmerzhafte innerbetrieb­liche Sanierungsmaßnahmen zu ertragen. Im Juli 1990 wurde in der THA-Zentrale ein neuer Lenkungsausschuss eingesetzt, der die Lage der Unternehmen beurteilte und Handlungsanleitungen für die THA gab. Aus Kapazitätsgründen war der Lenkungsausschuss in der Regel für die durch die Zentrale betreuten Unternehmen tätig. Schon Ende 1990 waren die Kriterien für die Beurteilung festgelegt, zwischen der Note Eins („Unternehmen arbeitet rentabel“) und der Note Sechs („Unternehmen nicht sanierungsfähig“).42 Entsprechend den Handlungsempfehlungen wurden für die Unternehmen Strategien entwickelt und umgesetzt. In den Niederlassungen, die eingerichtet wurden, übernahmen diese Funktion die Bereiche Beteiligungsabteilung und Privatisierung mit den Querschnittsfunktionen Finanzierung, Personal etc. Die Niederlassungen arbeiteten dabei nach den gleichen Kriterien wie die Zentrale. Die Beteiligungsabteilung arbeitete im Prinzip wie eine Holding in einer Konzernstruktur. Mit diesem System erlangte die THA Erkenntnisse über die Privati­ sierungsmög­lichkeiten und Sanierungsnotwendigkeit der Unternehmen. Nebenbei führte es das Management an marktkonformes Denken und Handeln heran. Die THA hatte bereits 1990 – neben den ersten Privatisierungen – begonnen, ihre Unternehmen zu sanieren: durch finanzielle Sanierung (Entschuldung, Eigenkapitalzufuhr, Übernahme von Einzelbürgschaften usw.) und durch unternehmerische Sanierung (Entflechtung, Reduzierung von Tätigkeitszielen usw.). All das mit der Maßgabe, die Unternehmen schlussend­lich dem besten aller Sanierer zu übergeben – dem zukünftigen Eigentümer.

42 Vgl. Prüfung von Unternehmenskonzepten, in: Dokumentation Treuhand­ anstalt, Bd. 10, S. 65 sowie BvS-Abschlussbericht, S. 44 f.

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Angesichts der Diskrepanzen zwischen dem Soll- und Ist-Zustand der Kombinatsbetriebe war ein rein marktwirtschaft­licher Übergang von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft nicht zu bewerkstelligen. Dazu bedurfte es einer Mitwirkung und Mitfinanzierung der THA und des Staates, über deren Form es unterschied­liche Vorstellungen gab. Empfohlen wurde z. B. von den früheren Kombinatsdirektoren das Konzept „Sanierung statt Privatisierung“. Dabei blieb unklar, ob man die volkseigenen Betriebe retten oder die Privatisierungschancen verbessern wollte. Gegen diese Strategie sprachen viele Gründe. Die Sanierung eines volkseigenen Betriebs hatte nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn sie auf einen sanierungsfähigen Betrieb mit einem tragfähigen Unternehmenskonzept ausgerichtet war. Eine Gesamt­ sanierung des Produktionsapparates der DDR war nicht finanzierbar, und angesichts des drohenden Zusammenbruchs der DDR-Wirtschaft musste die Privatisierung sofort eingeleitet werden. Auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise der DDR 1990 versprach auch die Privatisierungsstrategie nur einen begrenzten Erfolg. Die Daten der volkseigenen Betriebe zeigten hohe Defizite, die Kombinate waren nicht in der Lage, sich anzupassen, die Erfolgsaussichten des Förderinstrumentariums waren begrenzt und die Privatisierungsquote der Treuhand­anstalt zu niedrig. Wegen geringer Erfolgschancen hat die THA darauf verzichtet, die im Treuhandgesetz vorgesehene Überführung der DDR-Kombinate in private branchenbezogene Aktiengesellschaften zu vollziehen. Nach § 2 Abs. 1 und 6 Treuhandgesetz hatte die THA darauf hinzuwirken, dass sich durch zweckmäßige Entflechtung von Unternehmensstrukturen marktfähige Unternehmen herausbilden und eine effiziente Wirtschaftsstruktur entsteht. Diese Formulierungen könnten bei weiterer Auslegung als strukturpolitischer Auftrag an die THA interpretiert werden. Die Führung der THA hat diese Aufgabenstellungen jedoch stets als primären Auftrag zur Privatisierung des volkseigenen Vermögens verstanden, sich von Anfang an auf die Privatisierung konzentriert und diesen Auftrag konsequent umgesetzt, auch unter Inkaufnahme unvermeid­licher Konflikte. Der frühere Präsident der THA, Detlev Rohwedder, hat den Auftrag der THA in folgende Worte gefasst: „Schnelle Privatisierung – entschlossene Sanierung – behutsame Stilllegung.“43 Dieser Leitsatz blieb die tragende Handlungsmaxime für die Anstalt. In einer schnellen Privatisierung sah man die beste Sanierung. 43 Vgl. Brief von Detlev Rohwedder an alle Mitarbeiter der Treuhand vom 27. März 1991: Die Treuhand erfüllt ihren Auftrag: Schnelle Privatisierung – entschlossene Die Treuhandanstalt und die Folgen  |

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Seine Amtsnachfolgerin Birgit Breuel hat bei der Umsetzung dieses Leitsatzes den Schwerpunkt vor allem auf die Privatisierung gelegt und die Förderung der Sanierung als Aufgabe der Länder bezeichnet. Sie berief sich dabei auf das „Konzept der Bundesregierung zur Sicherung und Erneuerung industrieller Kerne durch die Treuhand­anstalt in den neuen Bundesländern“ vom 21. Juni 1993.44

Umwandlung der volkseigenen Betriebe in Kapitalgesellschaften und deren Privatisierung Vor dem Hintergrund des drohenden Zusammenbruchs der DDR -­ Planwirtschaft und noch vor den ersten freien Volkskammerwahlen am 18. März 1990 hat der DDR -Ministerrat mit dem Beschluss zur Gründung einer Treuhand­anstalt und der Verordnung zur Umwandlung von volkseigenen Kombinaten, Betrieben und Einrichtungen in Kapitalgesellschaften vom 1. März 199045 die Weichen für eine Umwandlung der VEB und deren Privatisierung gestellt. Die genannte Verordnung sah vor, dass die volkseigenen DDR-Betriebe nach einem vorgegebenen Verfahren jeweils in Gänze in eine GmbH oder AG gewandelt werden sollten. Die Anteile der so entstehenden Gesellschaften waren durch die THA zu übernehmen – nach den ursprüng­lichen Vorstellungen der DDR-Führung – mit dem Ziel der Privatisierung durch breite Streuung der Kapitalanteile an die DDR -Bürger. Dieses Konzept wurde intensiv diskutiert, es erwies sich aber letztend­lich als ungeeignet zur grundlegenden Bewältigung der Probleme der DDR-Wirtschaft. Weder die notwendige Zuführung von frischem Kapital an die Unternehmen noch Sanierung – behutsame Stilllegung, in: Dokumentation Treuhand­anstalt, Bd. 1, S. A72 – 75. 44 Vgl. das Konzept der Bundesregierung zur Sicherung und Erneuerung industrieller Kerne durch die Treuhand­anstalt in den neuen Bundesländern, in: Dokumentation Treuhand­anstalt, Bd. 11, S. 717 – 737. Vgl. auch „Die schnelle Privatisierung war der einzig richtige Weg“. Birgit Breuel: Strukturelle Fehler sind nicht gemacht worden. Ein Gespräch mit der Präsidentin der Treuhand­ anstalt, in: FAZ, 16. September 1994. 45 Vgl. Gesetzblatt der DDR I Nr. 14 vom 8. März 1990, S. 107.

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ein aktives Eigentümerengagement und auch nicht eine Erneuerung des Managements ließen sich dadurch erreichen. Es fehlten eben die grundlegenden Rahmenbedingungen der Marktwirtschaft, wie Marktorientierung, Wettbewerb, freie Preisbildung und Unternehmerverantwortung. Mit der verordneten Umwandlung allein, ohne damit einhergehende völlige Abkehr von der Planwirtschaft, wäre also nichts gewonnen gewesen. Mit Blick auf die Bewältigung des Transformationsprozesses von der zentralistischen Planwirtschaft in die Soziale Marktwirtschaft im Rahmen der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion vom 1. Juli 1990 und des Einigungsvertrags vom 31. August 1990 hat sich allerdings die verordnete Umwandlung der VEB insgesamt als zweckmäßig und richtig erwiesen. Die in Kapitalgesellschaften – fast ausschließ­lich GmbH – gewandelten VEB boten die Mög­lichkeit, den Unternehmensverkauf und damit die Privatisierung durch Investoren „relativ einfach“ im Wege der Übernahme der Geschäftsanteile, also über „share deals“, abzuschließen, ohne dass im Einzelfall die Mög­lichkeit zum Abschluss von „asset deals“, d. h. des Herauskaufens von Einzelteilten aus einem Unternehmen, versperrt gewesen wäre. Letzteres kam vor allem bei unabwendbaren Unternehmensabwicklungen zum Tragen. Ohne vorherige Umwandlung der VEB hätte zumindest tendenziell die Gefahr bestanden, dass potenzielle Investoren versucht hätten, sich vor allem die Filetstücke der VEB durch Abschluss von „asset deals“ zu sichern, ohne auch für die übrigen Bereiche der Betriebe, insbesondere für die Verbind­lichkeiten und die Erhaltung der Arbeitsplätze, Verantwortung zu übernehmen. Jedenfalls erscheint es aus heutiger Sicht sehr wahrschein­ lich, dass die sich nach der Umwandlung der VEB bietende einfachere Mög­ lichkeit einer Privatisierung über „share deals“ den Transformationsprozess begünstigt hat, auch wenn sich das nicht exakt beweisen lässt. Immerhin standen der THA mit den Eröffnungsbilanzen, die im Zuge der Umwandlung der VEB in Kapitalgesellschaften zu erstellen waren, und der damit verbundenen Einführung eines aussagefähigen Rechnungswesens belastbare Bewertungsgrundlagen für Privatisierungsverhandlungen mit Investoren zur Verfügung. Vorher war das nicht der Fall. Klar ist aber auch, dass mit einer Transformation der VEB in Kapitalgesellschaften allein – also unter Beibehaltung des planwirtschaft­lichen Systems – keine Lösung der DDR-Wirtschaftsprobleme hätte herbeigeführt werden können. Die Privatisierung von gewandelten DDR-Betrieben verlief am Anfang der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion noch einigermaßen zügig. Es war in vielen Fällen mög­lich, Unternehmen ohne vorherige Sanierung zu veräußern. Zahlreiche privatisierte Unternehmen gerieten später aber in Umwandlung der volkseigenen Betriebe  |

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Liquiditätsschwierigkeiten, andere gingen wegen eines technisch rückständigen Produktionsapparates nicht in Betrieb. Im weiteren Verlauf scheiterte eine schnelle Privatisierung immer häufiger daran, dass sie ohne eine vorausgehende Sanierung vieler Unternehmen, Betriebe und Standorte nicht mög­lich war. Den Privatisierungen mussten Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen vorausgehen. Die THA und die Länder blockierten sich häufig gegenseitig, so dass in vielen Fällen weder von einer schnellen Privatisierung noch von einer entschlossenen Sanierung die Rede sein konnte. Die THA modifizierte daraufhin ihre Strategie und unterstützte auch integrierte Standort-­Entwicklungsprogramme. Von dieser Mög­lichkeit hat insbesondere die Nachfolgerin der Treuhand­anstalt, die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS), Gebrauch gemacht und damit erreicht, zahlreiche unerledigte Privatisierungsfälle zum Abschluss zu bringen. Der Bund hat – insgesamt gesehen – zu Beginn die richtige Entscheidung getroffen, die Treuhand­anstalt mit dem Transformationsprozess zu beauftragen. Ein Problem in der Anfangsphase war die Fülle der Wiedervereinigungsgesetze und Verordnungen, die wegen des Transformationsprozesses erlassen wurden.46 In der Chronik der Treuhandniederlassung Erfurt ist beschrieben, welche Probleme es in der Gesetzesanwendung dadurch gab: „Die Reprivatisierung verkauft staat­liche Anteile, was ist denn das, das geht doch gar nicht oder doch? Eigentum des Volkes, selbständiges Gebäudeeigentum, volkseigene Anteile an Gebäuden, Rechtsträger, unkündbare Nutzung, LPG-­ Gesetz, ZGB [Zivilgesetzbuch], Gesamtvollstreckung, Umweltrahmengesetz, Staatsvertrag, Einigungsvertrag, Vermögengesetz, Investitionsbescheinigung, Altkredite, Ausgleichsforderungen alles unklar. Learning by doing, aber keine Rückkoppelung bei Fehlern.“47 Um dem Auftrag des Treuhandgesetzes entsprechend die volkseigenen Betriebe mög­lichst schnell in private Hände geben zu können, hat die 46 Vgl. Helmut Grieger (Hg.): Codex iuris. Sammlung Deutschen Rechts: Wiedervereinigungsrecht II. 2. erw. Auflage Berlin 1992 sowie die Auflistung wichtiger Artikelgesetze in: BvS-Abschlussbericht, S. 245. Zur Fülle der Gesetze vgl. auch Werner Schick: Die gesetz­lichen Grundlagen der Treuhand­anstalt/ Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben, in: BvS-Abschlussbericht, S.  225 – 245. 47 Treuhand Erfurt – Chronik einer Niederlassung. Hg. von der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben/Geschäftsstelle Erfurt. Verantwort­ lich: Dr. Werner Heubel. Erfurt 1995, S. 62.

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Treuhand nach der Maxime gehandelt, durch Dezentralisierung der Verantwortung für die Unternehmen den Vollzug des Privatisierungsprozesses zu beschleunigen. Neben der Zentrale wurden deshalb 15 Niederlassungen aufgebaut. In der Anfangsphase war die Beteiligungsführung erheb­ lich überlastet, etwa aus mangelnder Kenntnis der Unternehmen, auch aus Personalmangel – so betreute in der Niederlassung Erfurt ein Mitarbeiter zweitweise bis zu 60 Unternehmen. Deshalb war der Einsatz von externem Personal (z. B. Beratern) notwendig. Gemeinsam mit dem Bereich Privatisierung und weiteren Querschnittsfunktionen wurden auf Leitungsebene nach den Einstufungskriterien über Privatisierung, Entwicklung, Sanierung und Stilllegung entschieden: –– Bereits 1990 wurden Anstrengungen unternommen zunächst die Unternehmen besser kennenzulernen und zu sortieren. Teilweise wurden hier falsche Auskünfte über die wirtschaft­liche Lage der Betriebe durch die ostdeutschen Geschäftsführer gegeben. Unternehmen mit einem hohen Liquiditätsbedarf wurden identifiziert. –– Bei sanierungsfähigen Unternehmen hat die THA die Umsetzung des vereinbarten Unternehmenskonzeptes nicht an der Finanzierung scheitern lassen. –– Sanierungsfähige Unternehmen, bei denen eine lange Sanierungsphase bei der THA vorausgesehen wurde, wurden in sogenannte Management KGen übertragen, um dann später privatisiert zu werden. –– Im Falle eines Dissenses zwischen der THA und dem jeweiligen Land bei der Einschätzung der Sanierungsfähigkeit hat die THA dem Unternehmen die Mittel bereitgestellt, die bei einer Liquidation angefallen wären. Die THA hat bei Bedarf im Interesse einer Unternehmensfortführung bestehende Unternehmen umgestaltet, beispielsweise durch Aufspaltung, Ausgliederung von Betriebsteilen, Herauslösung von nicht-betriebsnotwendigen Grundstücken und Vorbereitung von „asset deals“. Unternehmen, die nicht sanierungsfähig waren, wurden in die Abwicklung gegeben. Um ein rechtskonformes Privatisierungsverfahren sicherzustellen, wurde auch ein System von Vermarktungsverfahren eingeführt. Üb­lich waren: der freihändige Verkauf, Bieterverfahren, beschränkte bzw. öffent­liche Ausschreibungen, öffent­liche Auktionen sowie vereinfachte Verfahren bei Kleinunternehmen.48

48 BvS-Abschlussbericht, S. 46. Umwandlung der volkseigenen Betriebe  |

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Bei der Unternehmensbewertung wurden parallel Ertragswert, Substanzwert, Liquidationswert ermittelt und mit dem sogenannten Netto-Cash-­ Ergebnis – den bereitgestellten Mitteln des Investors und den finanziellen Zusagen der Treuhand – verg­lichen, um so zur Bewertung und Begründung eines mög­lichen Verkaufspreises zu kommen. Bei der Angebotsauswertung waren neben einem angemessenen Netto-­ Cash-Ergebnis beispielsweise zu berücksichtigen: Zusagen zur Erhaltung bzw. Schaffung von Arbeitsplätzen, Investitionszusagen und die Absicherung dieser Zusagen etwa durch Strafen, eine Beteiligung an der Sicherung/ Sanierung von Altlasten, die Bonität des Erwerbers sowie die Auswirkungen auf die Überlebensfähigkeit von Zulieferern aus den neuen Ländern.49 Trotz verschiedener Probleme im Detail war das Privatisierungsverfahren der Bundesrepublik Deutschland durch die THA weit sachgerechter und effektiver gestaltet als das anderer ehemaliger sozialistischer Länder in Ost- und Südeuropa. Ein anderer Auftrag der THA war bis dahin ebenfalls im Treuhandgesetz normiert. In § 2 Abs. 750 wurde verfügt, dass die neuen Länder „im Rahmen der Finanzverantwortung des Bundes an der Erfüllung der Aufgaben der Treuhand­anstalt“ mitwirken. Diese Einbeziehung der Länder in die THA-Arbeit unterstreicht die Notwendigkeit einer engen Kooperation beider Seiten. Die neuen Länder erhielten je einen Sitz im Verwaltungsrat der THA und verfügten damit auf der höchsten Ebene über eine Plattform, die es ihnen ermög­lichte, ihre Vorstellungen gegenüber der THA-Führung zur Geltung zu bringen. Unabhängig davon war von Anfang an zu erwarten, dass sich aus der Tätigkeit der THA wegen ihrer regionalen Auswirkungen einerseits und abweichender Interessenlagen andererseits zahlreiche Berührungs- und auch Konfliktpunkte mit den neuen Ländern ergeben würden. Deshalb hat die THA schon frühzeitig auf Arbeitsebene ein Direktorat Länderfragen mit je einer Abteilung für die neuen Länder geschaffen, das als Scharnier zwischen 49 Vgl. ebd., S. 49 f. 50 Vgl. Gesetz zur Privatisierung und Reorganisation des volkseigenen Vermögens (Treuhandgesetz) vom 17. Juni 1990. § 2 Abs. 7 lautet: „Die in Artikel 1 des Einigungsvertrages genannten Länder wirken im Rahmen der Finanzverantwortung des Bundes an der Erfüllung der Aufgaben der Treuhand­ anstalt mit. Die näheren Einzelheiten werden in einer Verwaltungsvereinbarung geregelt.“

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beiden Seiten fungieren und mög­lichst zur Annäherung unterschied­licher Vorstellungen führen sollte. Die Monatsgespräche und Direktkontakte mit den Ländern im Einzelfall bei drohenden Fehlentwicklungen haben sich in der Praxis als sehr nütz­lich erwiesen. Die Länder hatten damit immer eine Ansprechstelle in Berlin. Auf beiden Seiten waren der Wille und die Bereitschaft zu einer mög­ lichst engen Kooperation vorhanden. Dass dabei die Positionen und die Erwartungen nicht immer deckungsgleich waren, liegt in der Natur der Sache. In schwierigen Fällen mit erheb­licher regionaler Bedeutung wurde häufig intensiv gerungen, um eine für beide Seiten tragfähige und vertretbare Lösung zu finden. Unterschied­liche Standpunkte ließen sich trotzdem nicht immer vermeiden, was am Beispiel des gesamten Kalibergbaus und insbesondere in Bischofferode sehr deut­lich wurde. Die THA hatte zu Beginn ihrer Tätigkeit zwar rein formal in den neuen Landesregierungen einen Partner, faktisch aber waren die Länderverwaltungen Anfang der 1990er Jahre noch kaum handlungsfähig. Erst in den Folgejahren entwickelten sie strukturpolitisches Profil und flankierten, ergänzten und kritisierten zunehmend die Vorhaben der THA. Ihr Einfluss auf das Privatisierungsgeschehen stieg, war aber recht­lich nicht genügend abgesichert. Der Freistaat Thüringen forderte deshalb, das Treuhandgesetz zu ändern und die neuen Länder nicht nur an der Verabschiedung von Verwaltungsvorlagen im Verwaltungsrat zu beteiligen, sondern auch an den vorausgehenden Verhandlungen mit Investoren. Eine Gesetzesänderung wurde vom Bund abgelehnt, weil man den Ländern keine Mög­lichkeit geben wollte, Privatisierungsvorhaben zu blockieren. In der Endphase der THA und vor allem nach Installierung der BvS kam es zu einer intensiveren Verzahnung der beiderseitigen Aktivitäten mit zunehmender Gewichtsverlagerung auf die sektorale und regionale Strukturpolitik der Länder. Die DDR-Wirtschaft gliederte sich in 25 Branchen, wobei die meisten Arbeitnehmer im Bergbau, im Maschinenbau, in der chemischen Industrie und in der Metallerzeugung tätig waren.51 Der Branchenbesatz war, gemessen an der Zahl der Betriebe, sehr unterschied­lich. Die meisten Betriebe gab es 51 Vgl. Tabelle „Die sektorale Beschäftigungsstruktur in Ost- und Westdeutschland 1989/1990“ bei Jürgen Müller: Strukturelle Auswirkungen der Privatisierung durch die Treuhand­anstalt, in: Wolfram Fischer/Herbert Hax/Hans Karl Schneider (Hg.): Treuhand­anstalt – Das Unmög­liche wagen. Forschungsberichte. Berlin 1993, S. 378. Umwandlung der volkseigenen Betriebe  |

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im Maschinenbau und im Handel, in der Textil- und Bekleidungsindustrie sowie im Dienstleistungssektor. Die Industrie war der stark dominierende Sektor, weshalb von einer Überindustrialisierung der DDR die Rede war. Sie stand auch im Zentrum des Privatisierungsauftrages der THA. Wegen der Unterschiede zwischen den Branchen wurden unterschied­liche institutionelle Regelungen geschaffen. Die meisten land- und forstwirtschaft­ lichen Betriebe wurden in eine Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH (BVVG) eingebracht. Es handelt sich dabei um eine Tochtergesellschaft der THA, die ihren Auftrag im engen Kontakt mit den verschiedenen Ländern wahrgenommen, aber noch nicht zum Abschluss gebracht hat. Eine weitere Tochtergesellschaft war die 1991 gegründete Treuhand-Liegenschaftsgesellschaft mbH (TLG), die sich um die Immobilien kümmern sollte. Für die Privatisierung des Handels, von Hotels und Gaststätten hat die THA eine Gesellschaft zur Privatisierung des Handels (GPH) geschaffen, deren Vorgehen sich sowohl von dem der THA als auch dem der BVVG unterschied. In diesen Institutionen ist das Privatisierungsgeschehen vorwiegend abgelaufen. Im Bereich der Produktionsgenossenschaften des Handwerks haben die Mitglieder mit großer Mehrheit eine Umwandlung in private Gesellschaften beschlossen. Mit dem Auftrag an die THA , die Umwandlung der rund 8.500 VEB in Kapitalgesellschaften (AG oder GmbH) einzuleiten und sicherzustellen, zog das Treuhandgesetz einen Schlussstrich unter die Bemühungen der Modrow-Regierung, die DDR -Wirtschaft vor dem Zusammenbruch zu bewahren und die VEB in AG umzuwandeln, die im Staatsbesitz bleiben sollten. Man wollte nach dem Motto verfahren: „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass.“ Das Treuhandgesetz basierte im Gegensatz dazu auf der Erkenntnis, dass die Planwirtschaft an ihren inneren Widersprüchen gescheitert und mit der Sozialen Marktwirtschaft nicht zu vereinbaren war. Mit dem Umwandlungsauftrag des Treuhandgesetzes waren die Reformvorhaben von Modrow und anderen Reformsozialisten beendet, obwohl auch verschiedene Anhänger der Fried­lichen Revolution ähn­liche Reformüberlegungen vortrugen. Die überwiegende Mehrheit der Menschen in der DDR ließ sich jedoch von dem Grundsatz leiten: Reformen beinhalten Korrekturen, notwendig ist aber der Übergang zu einer neuen Wirtschaftsund Rechtsordnung (Einführung von Kapitalgesellschaften), einer funktionsfähigen Wettbewerbsordnung und Staatsaufgaben, die auch soziale Ziele verankern. Davon versprach man sich eine allgemeine Wohlfahrtssteigerung und eine größere Produktivität der Wirtschaft. 50

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Der Gesetzgeber schaffte für die Durchführung der Privatisierung und Transformation Rahmenbedingungen, die sich nicht im Wirtschaft­lichen erschöpften, sondern eine sozial- und arbeitsmarktpolitische Flankierung vorsahen. Die THA musste die Last der Privatisierung nicht in Gänze tragen. Sie war zwar der Hauptakteur, aber nicht die einzig Handelnde im Transformationsprozess. So erwiesen sich die Altlastenrisiken neben den ungeklärten Eigentumsfragen als großes Privatisierungshindernis. In der DDR wurden schwerwiegende Eingriffe in die Natur und Landschaft in Kauf genommen, die Planerfüllung hatte Vorrang, Umweltbelange wurden kaum beachtet. Es wurden dramatische Bodenbelastungen mit wild abgelagerten, giftigen Industrieabfällen und militärischen Altlasten der Sowjetarmee vorgefunden. Dazu zählte auch die Luftbelastung durch Schwefelmonoxyd, die eine Energieträgerumstellung von Braunkohle- auf Gasheizkraftwerke dringend erforder­lich machte. Gravierende Altlasten gab es auch in Industrieregionen (Chemiedreieck Leuna-Buna-Bitterfeld). In der Wismut-Region war die Strahlenbelastung auch nach der Wiedervereinigung noch viel zu hoch. Selbst in Innenstädten war die Schadstoffbelastung des Bodens häufig so hoch, dass die Entwicklung eines neuen Stadtzentrums – wie etwa in Eisenach – nicht mög­lich war. Die rückständige Produktionstechnik hat in bestimmten Unternehmen zu einem Schadstoffausstoß geführt, der die Lebenserwartung – z. B. wegen Staublungen – wesent­lich reduziert hat. Umweltbelastungen erschwerten oder blockierten auch den Neu- und Ausbau von Wohn- und Gewerbegebieten. Dem Bau neuer Autobahnen und Brücken standen mehrfach ungeregelte Müllablagerungen entgegen, die vor Beginn der Baumaßnahmen – insbesondere bei der A 4 und der A 9 – beseitigt werden mussten. Ohne den Abbau der ökolo­gischen Altlasten wären die Risiken der Privatisierung unkalkulierbar gewesen und die Investitionsbereitschaft gering. Die THA hat dementsprechend sehr schnell die Erfahrung gemacht, „dass eine erfolgreiche Privatisierung nur mög­lich sein würde, wenn die Problematik der ökolo­gischen Altlasten für potentielle Investoren zufriedenstellend gelöst werden könnte“.52 Das Treuhandgesetz und die Wiedervereinigungsgesetze gingen davon aus, dass die Umwandlung von volkseigenen Betrieben mit dem Instrumentarium der Treuhand allein nicht realisierbar wäre, sondern auch zusätz­licher staat­licher Hilfen bedürfe, um Privatisierungsbarrieren 52 BvS-Abschlussbericht, S. 145. Umwandlung der volkseigenen Betriebe  |

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abzubauen. Das gilt insbesondere auch für den Bereich der arbeitsmarktund sozialpolitischen Flankierungen des Privatisierungsprozesses.53 Ohne eine leistungsfähige kommunale und staat­liche Verwaltung, die die planungsrecht­lichen und infrastrukturellen Voraussetzungen für die Sanierung von Standorten und Regionen schaffen, wäre der Umbau des Wirtschaftssystems nicht mög­lich gewesen. Thüringen hat deshalb sofort nach der Wiedervereinigung die kommunale und die staat­liche Verwaltung neu aufgebaut und Landesgesellschaften etabliert, die wichtige Aufgaben auf dem Gebiet der Infrastruktur und Wirtschaftsförderung wahrnehmen sollten. Ohne die Landesverwaltung, die Landesgesellschaften und die Wirtschaftsförderung des Landes wäre die THA in vielen Privatisierungsfällen erfolglos geblieben. Verwiesen wird z. B. auf den notwendigen Ausbau der wirtschaftsnahen Infrastruktur, auf die Verkehrsprojekte Deutsche Einheit, auf die Versorgungs- und Entsorgungsinfrastruktur, auf den Ausbau eines schnellen Glasfasernetzes und auf die kommunalen Ver- und Entsorgungsunternehmen, die ursprüng­lich von den Kombinaten betrieben wurden. Es reichte auch nicht aus, den volkseigenen Betrieben eine neue Rechtsform zu verleihen (AG oder GmbH); es mussten Voraussetzungen geschaffen werden, die neuen Unternehmen handlungsfähig zu machen und auf den Weg zu bringen. Um diesen Anforderungen zu entsprechen, wurde die THA mit umfassenden Kompetenzen ausgestattet und zum „politischen Stoßdämpfer der Vereinigungspolitik“54 gemacht. Die THA hatte insbesondere die Mög­lichkeit, Kredite aufzunehmen, Bürgschaften zu vergeben und Kaufverträge abzuschließen. Zur Sicherung des Privatisierungserfolges und zur Verhinderung von Missbrauch hat die THA die Seriosität der potenziellen Käufer, die Unternehmensziele und die Durchfinanzierung der Vorhaben geprüft. Bei den Verkaufsverhandlungen standen daher folgende Fragen im Vordergrund: –– Wie sieht das Unternehmenskonzept aus? –– Welche fach­liche Kompetenz hat der potenzielle Übernehmer? 53 Vgl. den Punkt Arbeitsmarkt- und sozialpolitische Flankierung der Privatisierung. 54 Roland Czada: Das Erbe der Treuhand­anstalt, in: Otto Depenheuer/KarlHeinz Paqué: Einheit – Eigentum – Effizienz. Bilanz der Treuhand­anstalt. Gedächtnisschrift zum 20. Todestag von Dr. Detlev Karsten Rohwedder (Bibliothek des Eigentums 9). Berlin u. a. 2012, S. 126.

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–– Wie viele Arbeitsplätze sind geplant, welche Investitionen sind vorgesehen? –– Erst dann: Wie hoch ist das Kaufpreisangebot? Bevorzugt wurden Unternehmer mit einem schlüssigen und tragfähigen Konzept. In die Übernahmeverträge wurden Investitions- und Arbeitsplatzverpf­ lichtungen aufgenommen und für den Fall der Nichterfüllung Vertragsstrafen (Pönalen) festgelegt. Für die Überprüfung der Vertragserfüllung durch die Unternehmer richtete die THA ein Vertragsmanagement ein.55 Trotzdem konnten in einzelnen Fällen, bei denen die ursprüng­lich eingereichten Pläne nicht eingehalten wurden, Misserfolge nicht vermieden werden.56 Man wird nicht ganz ausschließen können, dass die gebotene Eile für den einen oder anderen Fehlschlag bei der Privatisierung mitverantwort­lich war. Tatsache ist aber auch, dass man die als sanierungsfähig oder sanierungswürdig eingestuften Unternehmen, für die keine schnelle Privatisierung erreichbar war, nicht fallen ließ, sondern eine Fortführung ermög­lichte und auch die Mittel für notwendige Modernisierungsinvestitionen bereitstellte. Die Transformation der Wirtschaftsordnung erforderte in Bezug auf zu privatisierende Betriebe ein Bündel von Maßnahmen: –– Bewertung der Aktiva und Passiva nach marktwirtschaft­lichen Maßstäben, –– Erstellung einer DM-Eröffnungsbilanz, –– Erarbeitung eines tragfähigen Unternehmenskonzepts, –– Bereitstellung einer angemessenen Eigenkapitalausstattung sanierungsfähiger Betriebe einschließ­lich Entlastung von betriebsfremden Altschulden, die durch die DDR-Regierung verursacht waren, –– Entflechtung und Aufspaltung von großen, so nicht privatisierungsfähigen Kombinaten in kleinere privatisierungsfähige Unternehmenseinheiten. Dadurch sind aus ursprüng­lich rund 8.500 zu privatisierenden Treuhandunternehmen letztend­lich nahezu 14.000 geworden. Wie schwierig der Vollzug der Privatisierung im Einzelfall sein konnte, wurde bei der Erstellung der DM -Eröffnungsbilanzen, die vielfach erst im Jahre 1992 vorlagen, deut­lich. Ohne die Beteiligung zahlreicher Wirtschaftsprüfer wäre es nicht mög­lich gewesen, derartige Bilanzen zu erstellen und damit eine objektive Grundlage für die Bewertung von Unternehmen 55 Vgl. den Punkt Vertragsmanagement. 56 Vgl. Aktenvermerk über eine Nachverhandlung im Zusammenhang mit Arbeitsplatzgarantien vom 28. Juli 1994, in: Dokumentation Treuhand­anstalt, Bd. 7, S. 1012. Umwandlung der volkseigenen Betriebe  |

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(zukunftsfähig oder nicht) und für Verkaufsverhandlungen zu schaffen. Das Grobraster für die Einstufung bildeten die Kategorien: rentable, privatisierungsfähige Betriebe, sanierungsfähige bzw. sanierungswürdige Betriebe sowie nicht sanierungsfähige, d. h. stillzulegende Betriebe. Die Brisanz dieser Klassifizierung liegt auf der Hand. Die Einstufung als „nicht sanierungsfähig“ bedeutete für den betreffenden Betrieb praktisch das Aus mit allen nachteiligen Folgen für die Betroffenen. Eine solche Entscheidung wurde jeweils erst nach sorgfältiger Abwägung aller Kriterien gefällt und im Einzelfall auch mit dem betreffenden Land erörtert. Dass hierbei nicht immer Einvernehmen erzielt werden konnte, zeigen zahlreiche Beispiele auch im Freistaat Thüringen. Die künst­liche Erhaltung von nicht sanierungsfähigen Betrieben durch Dauersubventionierung wäre kein Beitrag zur Schaffung wettbewerbsfähiger Strukturen gewesen. Brisant wurden die Verhandlungen zwischen der THA und dem zuständigen neuen Land immer dann, wenn die Grenze zwischen lebensfähig und chancenlos nicht scharf genug gezogen werden konnte. Jeder Fall lag anders und Fehl­ einschätzungen sind trotz subtiler Prüfung vorgekommen. Zu den gemeinhin als entwicklungsfähig oder -würdig angesehenen ­Branchen zählten nicht alle Sparten des Jahres 1989. In verschiedenen Sektoren oder Betrieben sah man aus ordnungspolitischen Gründen keine Alternative zur Abwicklung. Ob das wirtschaftspolitische Instrumentarium der THA geeignet war, alle Entwicklungschancen einer Branche bzw. eines Betriebs auszuschöpfen, muss bezweifelt werden. Die Wirtschaftsprüfer des Treuhand-Lenkungsausschusses kamen 1993 in einer internen Studie zu dem Ergebnis, dass die Treuhand­anstalt mit den ihnen anvertrauten Firmen nicht professionell und wirtschaft­lich umgegangen sei: „Die Treuhand kümmerte sich vorrangig um die Privatisierung, der im Treuhand-Gesetz ebenfalls festgeschriebenen Sanierungsauftrag kam zu kurz. […] Die Breuel-Behörde schickt zwar laufend große Summen an die Betriebe, um deren Liquidität zu sichern, aber sie tut viel zu wenig um die Unternehmen überlebensfähig zu machen.“57 Mehr als 300 Mio. DM wurden demnach für Investitionen an ostdeutsche Firmen ausgegeben, die schon lange als nicht mehr sanierungsfähig galten. Der Lenkungsausschuss empfahl deshalb, vor allem die Marketing- und Vertriebsaktivitäten, das Management und den Abbau des starken Produktivitätsgefälles (teilweise nur 12 bis 14 Prozent des Westniveaus) zu fördern. 57 Vgl. Gigantisches Gefälle, in: Der Spiegel, 18. Mai 1992, S. 168.

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Am Anfang der Privatisierung der VEB geschah dies nicht auf breiter Basis, später zöger­lich und danach systematisch nach Gründung der BvS, als man erkannte, dass Maßnahmen zur Sanierung des Produktionsapparates sowie der betriebsnahen Infrastruktur die Voraussetzung dafür waren, die Privatisierungsquote weiter zu steigern und Liquiditätshilfen in vielen Fällen notwendig waren, um privatisierte Unternehmen vor einer Insolvenz zu bewahren. Es hat sich bewährt, nicht die staat­liche Verwaltung, sondern eine Anstalt des öffent­lichen Rechts mit der Privatisierung zu beauftragen und mit umfassenden Initiativrechten auszustatten. Dazu zählten das Recht, die Kombinate aufzulösen sowie die VEB bei mangelnder Nachfrage zu zerlegen und in Teilen zu veräußern, somit die Privatisierungsquote zu steigern und die Abwicklungsquote zu begrenzen. Erfahrungen haben zu der Einsicht geführt, dass Privatisierungskonzepte wertlos sind, wenn sie nicht durch innovative und produktionsreife Unternehmenskonzepte untersetzt sind. Allgemeine Ziele und Produktideen sind keine tragfähige Basis. Der Privatisierungserfolg hing nicht nur von betriebswirtschaft­lichen Daten ab, ausschlaggebend waren häufig Mediatoren, die in der Lage waren, unterschied­liche Interessen zusammenzuführen und ein konsensuales Privatisierungskonzept auszuhandeln, ohne „Spuren“ in Form von Staatsbeteiligungen und dergleichen mehr zu hinterlassen und den Staat weiter ins Obligo zu bringen. In besonders gelagerten Fällen wurde die Rolle des Mediators auch Vertretern aus Politik oder Wirtschaft übertragen, die allerdings vornehm­lich in den Treuhandgremien und weniger bei Treuhandaktionen tätig wurden. Mit ihrem Instrumentarium hat die THA die Nachfrage nach volkseigenen Betrieben angekurbelt, wobei am Anfang Messe- und andere Geschäftskontakte sowie die Historie vieler Firmen hilfreich waren. Die Anfangserfolge haben in den ersten zwei Jahren zu der Annahme verleitet, die Privatisierung in einem Zeitraum von vier Jahren abwickeln zu können. Die Krisenbranchen in der DDR (Werften, Chemie, Maschinenbau, Kalibergbau usw.) haben dann eine andere Sichtweise und die Notwendigkeit vermittelt, beim Aufbau Ost neben einzelbetrieb­lichen Maßnahmen auch sektorale und regionale Sanierungsstrategien zu verfolgen. Sie verursachten zwangsläufig höhere Kosten und längere Verhandlungszeiträume. Das Treuhandgesetz hatte dafür vorgesorgt, es gab der THA auch das Recht, bestimmte Wirtschaftssektoren umzustrukturieren und regionale Schwerpunkte zu entwickeln. Von dieser Mög­lichkeit hat sie mehrfach – mit einem sehr hohen Mitteleinsatz – Gebrauch gemacht. Umwandlung der volkseigenen Betriebe  |

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Bis Januar 1993 konnten in den neuen Ländern insgesamt 11.234 Unternehmen, Betriebe und Betriebsteile veräußert werden. Es ergaben sich Privatisierungserlöse von 40,6 Mrd. DM , Arbeitsplatzzusagen in Höhe von 1.413.262 und Investitionszusagen von 173,2 Mrd.  DM. Damit konnten bereits wesent­liche Erfolge beim Erhalt und der Sicherung industrieller Kerne in den neuen Bundesländern erreicht werden. 556 Unternehmen bzw. Betriebsteile wurden von ausländischen Investoren gekauft und 1.958 Management-BuyOuts wurden realisiert – 1.744 von den THA-Niederlassungen und 214 von der Zentrale. Nach Sachsen (3.258) fanden die meisten Privatisierungen in Thüringen (2.079) und Brandenburg (1.867) statt.58 Ein eigenes Treuhandgesetz des Bundes gab es nicht, es gab nur Ergänzungen zum Treuhandgesetz, das die Volkskammer der DDR am 17. Juni 1990 verabschiedet hatte.59

58 Vgl. BMF Finanznachrichten 16/93 vom 5. März 1993. 59 Vgl. dazu http://www.verfassungen.de/de/ddr/treuhandgesetz90.htm (Abruf: 9. September 2014).

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Privatisierung der Industrie und anderer Wirtschaftssektoren

Bei der Wahrnehmung des Auftrags des Treuhandgesetzes ist die Treuhand­ anstalt ihrer wirtschaftspolitischen Strategie gefolgt. Sie sah vor, zunächst und mit größter Intensität die Privatisierung von Unternehmen und Branchen von DDR-weiter Bedeutung voranzutreiben. Hier war der Mitteleinsatz pro neu geschaffenem oder gerettetem Arbeitsplatz weitaus am größten. Da die Kombinate abgeschafft wurden, hat man versucht, deren Stammbetriebe in Aktiengesellschaften umzuwandeln und zu privatisieren. Es wurde auch versucht, die übrigen Betriebe zu erhalten und zu privatisieren. Die Privatisierung der Handelsorganisationen, des Handwerks und der Landwirtschaft wurden aus der Zentralverwaltung der THA ausgegliedert und ihren Geschäftsbesorgern und Niederlassungen übertragen. Ähn­lich verlief auch das Verfahren bei der Reprivatisierung von Betrieben und Grundstücken. Zu prüfen ist, ob sich die gesamte Privatisierungsstrategie in der Praxis bewährt hat.

Sektorale Großprojekte der Treuhand­anstalt Um die Versorgung der Bevölkerung zu sichern und Unternehmenszusammenbrüche zu verhindern, wurden an die Unternehmen vorab Liquiditätshilfen von mehr als 20 Mrd.  DM gezahlt.60 Es sollten damit Löhne bezahlt, Schulden beg­lichen und Waren eingekauft werden usw. Die ersten Privatisierungsverträge wurden bereits Mitte 1990 geschlossen: Die Allianz übernahm die staat­liche DDR-Versicherung und die Stromversorgung wurde im 60 Der Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozial­ union zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland vom 18. Mai 1990 sah in Art. 28 Abs. 1 vor: „Die Bundesrepublik Deutschland gewährt der Deutschen Demokratischen Republik zweckgebundene Finanzzuweisungen zum Haushaltsausgleich für das 2. Halbjahr 1990 von 22 Milliarden Deutsche Mark und für 1991 von 35 Milliarden Deutsche Mark. […]“. Vgl. Bundesgesetzblatt 1990 II Nr. 20 vom 29. Juni 1990, S. 542. Sektorale Großprojekte  |

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Stromvertrag mehrheit­lich an die Konzerne PreussenElektra, Bayernwerk und RWE vergeben. Das Filialnetz der Deutschen Kreditbank wurde an zwei westdeutsche Großbanken privatisiert. Gewinne wurden auch durch den Verkauf der Deutschen Interhotelgruppe erzielt. Die Privatisierung des Dienstleistungs-, des Versicherungs- und des Bankensektors verlief relativ zügig und unproblematisch. Als 1990 die unvermeidbare Umstrukturierung der Industrie begann, wurde deut­lich, dass sie sehr viel schwieriger zu privatisieren sein würde. Die Zahl der Industriearbeitsplätze reduzierte sich von 1991 bis 1995 auf knapp 40 Prozent, wobei hier zu berücksichtigen ist, dass ca. 15 Prozent als Schein­ arbeitsplätze eingeschätzt wurden. Bis dahin war die DDR-Industrie Teil von zentral geleiteten Kombinaten und den zuständigen Industrieministerien unterstellt. Die Kombinatsbetriebe mussten weder Kunden, Lieferanten und Absatzmärkte suchen, noch neue Produkte oder Technologien entwickeln. Sie waren deshalb auch nicht in der Lage, sich auf ein neues wirtschaft­liches Umfeld einzustellen und sich damit zu vernetzen. Der Maschinenbausektor stellte vielfach weltmarktfähige Produkte her, allerdings mit einer zu geringen Produktivität. Der Stahlsektor litt unter einer einseitigen Konzentration auf Massenprodukte, die aber den west­lichen Qualitätsstandards nicht gerecht wurden. Die Produktpalette der Stahlunternehmen entsprach nicht dem Bedarf der westeuropäischen Kunden.61 Ein weiteres Privatisierungshemmnis wurde am Beispiel des Schwermaschinenkombinats SKET in Magdeburg deut­lich. Es zählte mehr als 30.000 Beschäftigte und war damit zu groß, um von einem mittelständischen westdeutschen Unternehmen übernommen und saniert zu werden. Auch die „Produktivitätspeitsche“62 mit kompensatorischen arbeitsmarkt- und sozial­politischen Maßnahmen führte nicht weiter. Wegen der außergewöhn­ lichen Dimension dieses Falles ist das Instrumentarium der THA an seine Grenzen gestoßen und wurde letzt­lich auch durch die Intervention der Politik ausgehebelt.

61 Vgl. Roland Czada: „Modell Deutschland“ am Scheideweg: Die verarbeitende Industrie, in: Ders./Gerhard Lehmbruch (Hg.): Transformationspfade in Ostdeutschland. Beiträge zur sektoralen Vereinigungspolitik. Frankfurt/ Main 1998, S. 365 – 410, hier S. 383. 62 Vgl. ebd., S. 374.

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| Privatisierung

Das ursprüng­liche DDR -Privatisierungskonzept bestand darin, die Treuhand­anstalt zu einem Nachfolgekombinat zu machen und sogenannte Branchen-Aktiengesellschaften zu gründen, die den Transferprozess steuern und vollziehen sollten. Angesichts der damit verbundenen ordnungspolitischen Gefahren, hat sich der Präsident der THA, Detlev Rohwedder, von diesem, im Treuhandgesetz vorgesehenen Modell abgewandt. Ende 1992 wurden daraufhin Sozialpaktverhandlungen mit allen am Aufbau Ost beteiligten Vertretern der Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften geführt mit dem Ziel, die vom Zusammenbruch bedrohten industriellen Kernbereiche der Stahlindustrie, des Maschinenbaus, der Chemiebranche und des Schiffbaus durch massive politische Interventionen zu retten. Auch dabei gab es jedoch Gegensätze zwischen den Aufbauinteressen der Bundesregierung und der neuen Bundesländer einerseits sowie dem Bestands- und Schutzinteresse der westdeutschen Industrie und der alten Länder bzw. der europäischen Wettbewerbshüter andererseits. Man verständigte sich auf politische Lösungen, die facettenreich, mit produktivitätssteigernden Maßnahmen sowie mit arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Hilfen gekoppelt waren. In den genannten Industriesektoren war jedes Privatisierungsvorhaben in Wirk­lichkeit ein Sanierungsprojekt, bei dem das Unternehmenskonzept und die Zahl der zu schaffenden Arbeitsplätze politisch vorgegeben wurden. Die Aufgabe der Treuhand­anstalt bestand nach diesem Konzept darin, einen geeigneten Übernehmer zu finden und die von ihm geforderten Kosten zu erstatten. Westdeutsche Unternehmen, die dabei nicht zum Zuge kamen, mussten sich auf Dauer gegen eine subventionierte und unkontrollierbare Konkurrenz behaupten. Sie befürchteten mehr denn je „den kollektiven Selbstmord der Branche, wenn die Subventionierung der kranken zum Schaden der gesunden Hersteller“ weiterginge.63 Konfliktverschärfend wirkte sich auch das in einzelnen Bereichen nicht sehr stark ausgeprägte Bekenntnis zur deutschen Wirtschaftsunion mit allen damit verbundenen Konsequenzen aus. Nach der Wiedervereinigung war in der Wirtschaft der neuen Länder eine Selbststeuerung durch Verbände und Tarifparteien nicht zu erkennen. Die THA entschied, wie die Werften in Mecklenburg-Vorpommern oder das Chemiedreieck in Sachsen-Anhalt und die Kaliindustrie in Mitteldeutschland privatisiert bzw. saniert werden sollten.

63 Ebd., S. 398. Sektorale Großprojekte  |

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In Mecklenburg-Vorpommern hat es die THA unternommen, die Werftenindustrie neu zu ordnen und den internationalen Märkten anzupassen, obwohl ihre Wettbewerbschancen sehr gering veranschlagt wurden. Da die gesamte Beschäftigtenzahl sich auf 51.000 belief und die Branche etwa 50 Prozent der Industriebeschäftigten im Lande umfasste, wurde dieses Vorhaben von Anfang an nicht oder nicht nur unter betriebswirtschaft­lichen oder sektoralen Aspekten betrachtet, sondern unter dem Gesichtspunkt eines drohenden überdurchschnitt­lichen wirtschaft­lichen Schrumpfungsprozesses des Landes. Der gesamte Schiffsbau der DDR war auf die RGW -Staaten ausgerichtet. Nach Einführung der Währungsunion konnten die dortigen Auftraggeber die Fertigstellung der bestellten Schiffe nicht mehr finanzieren. Auch die Akquisition neuer Aufträge blieb erfolglos, weil der Schiffsbau in andere Länder abgewandert war und dort in hochproduktiven Werften fertigte. Von Anfang an stand fest, dass die Privatisierung der Mecklenburger Werften­standorte nur dann gelingen konnte, wenn der Staat andere Schiffbauunternehmen ansiedelte und den Ausbau bzw. Neubau von Werften ganz oder weitgehend finanzierte, was mit den geltenden deutschen Förderbestimmungen nicht vereinbar war. Das größte Transformationsprojekt der THA sah deshalb den Verkauf der Mathias-Thesen-Werft Wismar (MTW) und der Volkswerft Stralsund an den Bremer Vulkan, der Warnow-Werft an die Kvaerner-Werft und der Peene-Werft an die Hegemann-Gruppe vor. Allein für diese drei Werften wurden 2,8 Mrd. DM Finanzierungshilfe der THA genehmigt, d. h. 560.000 DM pro gesichertem Arbeitsplatz. Für die übrigen Werften sind weitere 800 Mio. DM beantragt worden. Unter betriebswirtschaft­lichen Aspekten war dieses Vorhaben nicht gerechtfertigt. Es wurde begründet mit der historisch einmaligen Herausforderung der Wiedervereinigung und mit der industriepolitischen Dominanz der Werften in Mecklenburg-Vorpommern.64 20 Jahre nach der Rettungsaktion ging die Volkswerft in Stralsund in die Insolvenz. Die Stadt stand damit vor dem Abschied vom Schiffsbau und das Land Mecklenburg-Vorpommern war gezwungen, die Werft an einen rus­sischen Investor zum Preis von 6,5 Mio. Euro zu verkaufen. An diesem Standort sollen in Zukunft Plattformen für Windkraftanlagen gebaut werden. 64 Vgl. Karl Lichtblau: Privatisierungs- und Sanierungsarbeit der Treuhand­ anstalt (Institut der Deutschen Wirtschaft, Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialpolitik 209). Köln 1993, S. 36 – 42.

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Es hat sich damit erwiesen, dass man Wirtschaftsstandorte nicht entgegen der Entwicklung des Marktes erhalten oder errichten sollte.65 Der zweitgrößte Privatisierungsfall in den neuen Ländern war die Umstruk­turierung der chemischen Industrie in Leuna, Buna und Bitterfeld. Grundlage dieses Projektes war die Zusage von Bundeskanzler Kohl, die Standorte Bitterfeld, Schkopau, Leuna, Zeitz, Böhlen, d. h. die Kernbereiche der Chemie in Sachsen-Anhalt, zu erhalten. Die dortigen Anlagen waren verrottet und ihre Umweltbelastung größer als ihre Wertschöpfung. Es mussten Kombinate aufgelöst, VEB zerlegt, verkauft oder wegen gefähr­ licher Umweltbelastungen abgewickelt und ganze Regionen von Altlasten entsorgt werden. Außerdem wurden Unternehmen gegründet oder angesiedelt und neue Anlagen errichtet, wie z. B. die Total Raffinerie Mittel­ deutschland. Der Privatisierung mussten hier eine Standortsanierung und die Gewinnung neuer Unternehmen vorausgehen. Die THA hat im Zuge dieser Maßnahmen dem TED -Konsortium (Thyssen, Elf Aquitaine und Deutsche SB Kauf ) für 470 Mio. DM die Minol-Mineralölgesellschaft verkauft und selbst 500 Mio. DM für Personalanpassungsmaßnahmen, Sozialpläne und Altlasten bereitgestellt. Die TED verpf­lichtete sich, in Leuna bis 1996 eine neue Raffinerie mit mindestens 10 Mio. t Jahreskapazität zu bauen. Verluste und die notwendigen Investitionen sollten von der THA getragen werden. Für die Leuna-Raffinerie wurde ein Kaufpreis 250 Mio. DM vereinbart, dem aber Kostenübernahmen durch die THA in Höhe von 2,4 Mrd. DM für die Jahre 1992 bis 1996 gegenüberstanden. Vertrag­lich gesichert war ein Investitionsvolumen in Höhe von 4,3 Mrd. DM und eine Garantie von 3.212 Arbeitsplätzen.66 Es flossen sehr hohe Beträge, die THA und damit der Staat haben den Unternehmen fast alles bezahlt, die Unternehmen selbst haben ein geringes Risiko getragen. Auch hier stellt sich die Frage, was wichtiger ist, das industriepolitische Konzept oder der Verstoß gegen Wettbewerbsrecht? Bei einer so fundamentalen Herausforderung wie der Überwindung der Teilung Deutschlands wird diese Frage nach anderen Kriterien beantwortet als in normalen Entwicklungsphasen. Der Aspekt der Zukunftssicherung gewinnt dann eine Bedeutung, der nur staat­liche Eingriffe und Festlegungen entsprechen können. Nur so lassen sich die Entscheidungen der THA und 65 Vgl. Frank Pergande: Abschied vom Schiffsbau, in: FAZ, 3. Mai 2014. 66 Vgl. Lichtblau: Privatisierungs- und Sanierungsarbeit der Treuhand­anstalt, S.  42 – 44. Sektorale Großprojekte  |

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des Staates in der Werftenkrise und im Chemiedreieck in Sachsen-Anhalt verstehen und rechtfertigen. Im Gegensatz zur Werftenindustrie handelte es sich beim Verkauf der EKO -Stahl nicht um eine Sanierungsmaßnahme, sondern um Kaufofferten der deutschen und europäischen Stahlindustrie, wobei die Kaufverhandlungen mit einem „Kampf der Giganten“ zu vergleichen waren, an dem auch die Bundes- und Landesregierung, die EU-Kommission und die THA beteiligt waren. Er fand in einem politischen und wirtschaft­lichen Netzwerk statt, das einen beträcht­lichen Einfluss hatte, aber nicht überschaubar war.67 Nach fünf Verhandlungsrunden einigte man sich im September 1994 auf einen Verkauf an das bel­gische halbstaat­liche Unternehmen Cockerill-Sambre, das 1999 an das franzö­sische Unternehmen Usinor verkauft wurde. Auch bei dieser Transaktion waren hohe staat­liche Beihilfen im Spiel, aber auch hohe Investitionszusagen. Als klas­sischen Privatisierungsfall ist dieser Transfer nicht zu bezeichnen, da der Einfluss der Stahlgiganten, des Staates und der EU sehr groß war. Seit Beginn der Sanierung des Braunkohletagebaus wurden 80 Prozent der Tagebaue stillgelegt und 100.000 Arbeitsplätze in den neuen Ländern abgebaut. Die Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH (LMBV ) hat frühzeitig mit den Rekultivierungs- und Sanierungsmaßnahmen begonnen. Auch die Verzahnung von Umwelt-, Struktur- und Arbeitsmarktmaßnahmen wirkt fort. Die Braunkohlesanierung hat insgesamt 8.000 Arbeitsplätze erhalten. Die LMBV hat in den ihr übertragenen Betrieben des ehemaligen Kali-, Erz- und Spatbergbaus (in Thüringen) mit Erfolg Verwahrungs-, Beräumungs- und Verwertungsarbeiten durchgeführt. Auf ehemaligen Flächen der Gesellschaft zur Verwahrung und Verwertung von stillgelegten Bergwerksbetrieben mbH (GVV) sind 5.700 Arbeitsplätze geschaffen worden. Die Geschichte der Kaliindustrie in Thüringen reicht zurück bis ins 19. Jahrhundert, als das Kaliwerk Glückauf Sondershausen im Kyffhäuserkreis gegründet wurde und die Förderung von Kalisalz begonnen hat. Erst als man die Hungersnöte mit dem Kalidünger bekämpfen wollte, stieg die Produktion und Verwendung des Kalisalzes stark an. Es wurde immer mehr

67 Vgl. Wolfgang Seibel: Verwaltete Illusionen. Die Privatisierung der DDRWirtschaft durch die Treuhand­anstalt und ihre Nachfolger 1990 – 2000. Frankfurt/Main u. a. 2005, S. 305 – 309.

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Ka­lischächte geteuft. Immer wieder mussten Schächte insbesondere wegen Laugeneinbrüchen aufgegeben werden. Nach Ende des Ersten Weltkrieges wurde das deutsche Kali-Weltmonopol gebrochen. Nach 1945 rückten die UdSSR und Kanada an die Spitze der Kali-Produzenten, mit deut­lichem Vorsprung zur DDR und zur Bundesrepublik Deutschland, wobei die DDR vor der Bundesrepublik rangierte. Bereits 1928 verlagerte sich der Schwerpunkt der deutschen Kalireviere zum Werra-Fulda-Gebiet mit einer starken Dominanz der Wintershall-Gruppe. Das Kombinat Kali wurde 1970 als Industriekombinat der DDR gegründet, zu dem alle Kali- und Steinsalzwerke sowie eine Reihe von Erzbergwerken gehörten. Struktur des DDR-Kombinats Kali ab 197068 VEB Kalibetrieb Südharz (Sondershausen)

Kaliwerk Sondershausen Kaliwerk Roßleben Kaliwerk Sollstedt Kaliwerk Bleicherode Kaliwerk Bischofferode Kaliwerk Volkenroda

VEB Kalibetrieb Werra (Merkers)

Kaliwerk Merkers Kaliwerk Dorndorf Kaliwerk Unterbreizbach

VEB Kali- und Steinsalzbetrieb Saale (Staßfurt)

Kaliwerk Staßfurt Steinsalzwerk Bernburg Kaliwerk Teutschenthal Werk Saline Oberilm

VEB Fluss- und Schwerspatbetrieb Lengenfeld

Werk Lengenfeld Werk Ilmenau Werk Schmalkalden (Trusetal) Werk Rottleberode

VEB Bergwerksmaschinenbau Dietlas

Werk Dietlas Werk Obergruna

VEB Kalibetrieb Zielitz (kam 1973 als Neugründung auf neuer Lagerstätte hinzu)

68 Vgl. Auflistung im Archivportal Thüringen (http://www.archive-in-­thueringen. de/index.php?major=archiv&action=detail&object=­bestand&id=27477, Abruf: 25. August 2014). Sektorale Großprojekte  |

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Zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung stellte sich die Situation in Westund Ostdeutschland unterschied­lich dar.69 West

Ost

1955

1990

1955

1990

18 Werke

8 Werke

14 Werke

11 Werke

21.000 Beschäftigte

7.600 Beschäftigte

24.000 Beschäftigte

24.000 Beschäftigte

In Westdeutschland war der Kapazitätsanpassungsprozess weiter vorangeschritten als in Ostdeutschland. Die Zahl der Werke und der Beschäftigten wurden der dramatisch gesunkenen Weltkalinachfrage stärker angepasst als in der ostdeutschen Kaliindustrie. Dort beliefen sich die Überkapazitäten auf mindestens 30 Prozent, über und unter Tage wurden seit 20 Jahren notwendige Rationalisierungsinvestitionen und sicherheitstechnische Maßnahmen unterlassen. Anfang der 1990er Jahre arbeiteten Werke im Westen mit einer fünffachen Produktivität gegenüber den Ostwerken. Die Entstehungskosten in Bischofferode beliefen sich auf 740 DM pro Tonne, auf dem Weltmarkt dagegen auf etwa 134 DM pro Tonne.70 Den ostdeutschen Werken brachen auch ihre Absatzmärkte zusammen, es gab sowjetische Lieferungen zu Dumpingpreisen. Die vorhandenen Werke liefen teilweise auf Verlust und Verschleiß. Der Zusammenbruch der Landwirtschaft­lichen Produktionsgenossenschaften (LPG) in der DDR führte zu einem Absatzverlust von 80 Prozent. Auf den internationalen Absatzmärkten gab es einen ruinösen Wettbewerb. Schließ­lich waren auch viele Lagerflächen bereits erschöpft. In diesem Zustand musste die ostdeutsche Kaliindustrie von der Treuhand­ anstalt übernommen werden. Angesichts der Dimensionen der Kalikrise war davon auszugehen, dass kein mittelständisches Unternehmen in der Lage sein würde, diesen Wirtschaftssektor zu privatisieren. 69 Zum Folgenden vgl. Kapitel 6: Zusammen wachsen. Die Wiedervereinigung der deutschen Kaliindustrie 1989 – 1997 in der Firmenchronik der K+S Gruppe: Wachstum erleben. Die Geschichte der K+S Gruppe 1856 – 2006 (http://www. geschichtsbuero.de/flippingbook/k_und_s/files/assets/basic-html/page3.html, Abruf: 22. September 2014). 70 Schrift­liche Stellungnahme von Bernhard Vogel gegenüber dem Thüringer Landtag, Ausschuss für Landwirtschaft, Forsten, Umwelt und Naturschutz vom 3. Juni 2014. [Der Brief liegt dem Verfasser vor].

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Im Juni 1990 wurden aus dem Kali-Kombinat heraus die Kali-Südharz

AG , die Kaliwerke Werra AG , die Kali-Zielitz AG und die Fluss- und

Schwerspat GmbH gegründet. Das Kombinat als solches wurde die Holding der vorgenannten Gesellschaften, die zur Mitteldeutschen Kali AG (MdK) umgewandelt wurde. Alleiniger Eigentümer war die Treuhand­anstalt. Auf den übrigen Kali- und Salzbergwerken sowie auf den Spatbergwerken wurde die Produktion eingestellt und diese von der treuhandeigenen GVV übernommen und verwahrt. Die Kaliwerke Sondershausen, Bleicherode, Sollstedt und Teutschenthal wurden von Entsorgungsgesellschaften übernommen und werden zu Deponiezwecken weiterbetrieben. Schon damals gab es in Folge der geplanten Schließungen massive Arbeitskampfmaßnahmen. Die schwere Krise der west- und ostdeutschen Kaliindustrie war damit aber noch keineswegs gelöst. Die Treuhand­anstalt bildete umgehend eine technische Kommission, die den Zustand der Produktionsanlagen überprüfen und klären sollte, welche Werke überlebensfähig sind. Sie kam zu folgenden Empfehlungen: –– Das Kaliwerk Zielitz sollte auf mehr als eine Mio. Tonnen K2O ausgebaut werden. –– Unterbreizbach sollte über die Landesgrenze hinweg dem bestehenden hes­sischen Werksverband Wintershall-Hattorf angeschlossen werden. –– Das Steinsalzwerk in Bernburg sollte ebenfalls modernisiert und später mit einer neuen Siedesalzanlage ausgestattet werden. –– Überkapazitäten in Ost- und Westdeutschland sollten abgebaut werden. –– Mit einem Fusionskonzept sollten international wettbewerbsfähige Arbeitsplätze und eine nachhaltige Mindestrentabilität geschaffen werden. Die Treuhand­anstalt entwickelte daraufhin ein Sanierungs- und Entwicklungskonzept für die deutsche Kaliindustrie, das einen Zusammenschluss der beiden Bereiche Kali+Salz und MdK vorsah. Die K+S lehnte das Konzept zunächst ab. Die THA lehnte dagegen eine Aufteilung des Unternehmens in die Bereiche Kali+Salz und MdK ab und versuchte andere Interessenten für ein Gemeinschaftsunternehmen zu finden, musste dann aber einsehen, dass es keinen anderen geeigneten Investor gab als Kali+Salz. Damit blieb ihr nur die Mög­lichkeit, der Kali+Salz zusätz­liche Anreize zu bieten und ein nachgebessertes Konzept vorzulegen, das folgende Maßnahmen vorsah: –– Die Kali Südharz AG, die Kali Werra AG und die Zielitzer Kali AG werden zur Mitteldeutschen Kali AG zusammengeschlossen und in Sondershausen angesiedelt. –– Die K+S übernimmt 51 Prozent der Anteile und die THA behält direkt die rest­lichen 49 Prozent, die K+S übernimmt die industrielle Führerschaft. Sektorale Großprojekte  |

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–– Die THA leistet zusätz­lich eine Bareinlage in Höhe von 1,044 Mrd.  DM zum Ausgleich von Verlusten und übernimmt Altschulden in Höhe von 270 Mio. DM.71 –– Das Konzept sieht zudem vor, dass auch die bestehenden Kalibergwerke in Sachsen-Anhalt in das Gemeinschaftsunternehmen aufgenommen und weitergeführt werden sollen. –– Um bestehende Überkapazitäten zu reduzieren, sollten in Thüringen und Hessen jeweils 1.800 Arbeitsplätzen wegfallen, wobei der Abbau folgendermaßen realisiert werden sollte: Die beiden Kalibergwerke Werke Hänigsen-Riedel und Salzdetfurth in Niedersachsen werden stillgelegt. In den hes­sischen Kaliwerken Wintershall (Heringen) und Hattorf (Phillipsthal) werden Personalreduzierungen vorgenommen. In Thüringen sollte das Kaliwerk in Bischofferode im damaligen Landkreis Worbis und die Übertageverarbeitung im Werk Merkers stillgelegt werden. An beiden Standorten wurden allerdings noch viele Bergleute zur Demontage der übertägigen Anlagen und zur Verwahrung der Grubenhohlräume eingesetzt. –– Der Ka­lischacht Zielitz war wegen seiner modernen Technik und der Standort Unterbreizbach wegen der hohen Qualität der Rohstoffe (Kalium und Natrium-Gehalt) besonders interessant. Der Standort Zielitz wurde ausgebaut, auch der Standort Bernburg in Sachsen-Anhalt blieb erhalten, Unterbreizbach dagegen wird nur noch unterirdisch weiterbetrieben. –– Die bereits stillgelegten Bergwerke (z. B. in Sondershausen) bleiben bei der THA, die die Verwahrkosten übernimmt. –– Geplant und realisiert wurde nach fünf Jahren auch der Verkauf des 49-Prozent-Anteils der THA am Gemeinschaftsunternehmen an die K+S. „Nur ein vereinter deutscher Kalibergbau könne gemeinsam Marktchancen nutzen, die jedes Unternehmen für sich allein und getrennt nicht wahrnehmen könne.“72 Dies war die gemeinsame Auffassung der THA , der Kali+Salz und der Gewerkschaft IG Bergbau und Energie. Klaus Schucht, Vorstandsmitglied der Treuhand­anstalt, sah darin eine gelungene Kombination von Sanierung und Privatisierung eines Unternehmens. So formulierte er es bei der Gründungsversammlung der MdK.

71 Vgl. dazu Lichtblau: Privatisierungs- und Sanierungsarbeit der Treuhand­ anstalt, S. 44 f. 72 Vgl. Kombinate: Was aus ihnen geworden ist, S. 86.

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–– In diesen fünf Jahren bis zur Übernahme des gesamten Unternehmens, wollte die K+S 1,3 Mrd. DM investieren, davon 700 Mio. DM in Ostdeutschland. –– 2009 sollten die Kali-Lagerstätten bei Roßleben durch die GVV an eines von zwei interessierten Unternehmen (K+S AG und K-UTEC AG ) verkauft werden. In den letzten 15 Jahren sei der Weltmarktpreis für Kalidünger auf das Zehnfache gestiegen, so dass sich eine neuer­liche Inbetriebnahme mit modernen Verfahren und erforder­licher hoher Aufbereitungstechnik wirtschaft­lich lohnen würden.73 Auch die Wettbewerbskommission der EG hat den Reformplänen von Kali+Salz zugestimmt.74 Allerdings hat sie zwei Bedingungen damit verknüpft: a) Kali+Salz und das Gemeinschaftsunternehmen ziehen sich aus der Kaliexport GmbH zurück. Sie richten für ihre Kaliprodukte in der EG (EU) ein eigenes Vertriebsnetz ein. b) Kali+Salz und das Gemeinschaftsunternehmen strukturieren Potacan – ein deutsch-franzö­sisches Gemeinschaftsunternehmen in Kanada – so um, dass jeder Partner in der Lage ist, Produkte auf dem EG-Markt unabhängig zu vertreiben. Die geplante Kalifusion fand auch in Thüringen allgemeine Zustimmung. Man sah ein, dass sie die einzige Chance für den Erhalt von Arbeitsplätzen in den ostdeutschen Kaligruben war, zumal es keinen isolierten deutschen Markt für Kali gab, sondern nur einen transparenten Weltmarkt – so Ralf Bethke, von 1991 bis 2007 Vorstandsvorsitzender der Kali und Salz AG. Die Kopplung der Kalifusion und der Schließung des Werks in Bischofferode wurde jedoch vom damaligen Ministerpräsidenten Bernhard Vogel im Verwaltungsrat der Treuhand­anstalt heftig kritisiert. Er wies auf den Verlust von 700 Arbeitsplätzen hin und dies nach vorausgehenden Schließungen in 73 Kali bekommt zweite Chance, in: Thürin­gische Landeszeitung, 14. Januar 2009. 74 Vgl. dazu Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 14. Dezember 1993 (http://europa.eu/rapid/press-release_IP-93-1134_de.htm, Abruf: 21. August 2014). Nachdem die franzö­sische Regierung und das Unternehmen SCPA Klage gegen die Entscheidung der Kommission eingereicht hatten, hob der Europäische Gerichtshof den Beschluss von 1993 im März 1998 auf. Noch im selben Jahr entschied die Kommission erneut, den Zusammenschluss von K+S und MdK freizugeben. Vgl. dazu Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 13. Juli 1998 (http://europa.eu/rapid/press-release_IP-98655_de.htm, Abruf: 21. August 2014). Sektorale Großprojekte  |

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Thüringen. Weiterhin beklagte er die Förderung westdeutscher Unternehmen aus Treuhandmitteln und er verwies auf den unzureichenden Mitteleinsatz von Kali+Salz bei der Neustrukturierung der ostdeutschen Werke. Auch bei den Mitarbeitern des Kaliwerks in Bischofferode stieß die beschlossene Stilllegung auf heftige Ablehnung. Der Streit wurde noch heftiger, als noch nicht einmal eine Nachnutzung dieses Standorts – zum Beispiel nach dem Vorbild des Kaliwerks in Salzdetfurth – oder eine langfristige Nachbeschäftigung am Standort von der Treuhand­anstalt zugesagt werden konnte. Die dortigen Kalibeschäftigten glaubten den „gerechtesten Kampf“75 zu führen und traten in einen langen Hungerstreik, mit dem sie eine bundesweite Aufmerksamkeit erzielten. Die Streikenden waren davon überzeugt, dass das eigene Werk zu den wirtschaft­lich leistungsfähigen zählt und deshalb erhaltungswürdig wäre. Außerdem war man der Meinung, „uns trifft die Stilllegung nie, Bischofferode ist zu weit weg von den Kalirevieren in Sachsen-Anhalt“76, wo man Ersatzarbeitsplätze angeboten hatte. Der Freistaat Thüringen hat den 700 Bergleuten, deren Grube Ende 1993 geschlossen wurde, angeboten, zwei Jahre aus Steuermitteln weiter das Gehalt zu bezahlen und ein weiteres Jahr der „nachsorgenden Fürsorge“77 anzuschließen. Entsprechende Unternehmen müssten allerdings erst angesiedelt werden. Die Bundesregierung bot an, alle Arbeitsplätze in den Jahren 1994 bis 1996 über die der THA gehörende GVV zu sichern. Die Kali-Bergleute aus Bischofferode lehnten jedoch die Angebote aus Erfurt und Bonn ab. Die getroffene Rahmenvereinbarung der THA mit der IG Bergbau und Energie, in einer Sanierungsgesellschaft Bergleute aus den Kali- und Braunkohlerevieren zu Landschaftsgärtnern zu qualifizieren und zur Großflächensanierung einzusetzen, war aus der Not geboren und wurden von den Bergleuten nicht akzeptiert. Gerhard Söllner, der Gesamtbetriebsratsvorsitzende von K+S, kommentierte die Angebote vom Land

75 Vgl. Claus Peter Müller von der Grün: Unter einem Dach, in: Die Kaliindustrie an Werra und Fulda. Geschichte eines landschaftsprägenden Industriezweigs. Hg. von Ulrich Eisenbach und Akos Paulinyi (Schriften zur hes­ sischen Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte 3). 2. Aufl. Darmstadt 1999, S. 232. 76 Ebd., S. 233. 77 Ebd.

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und dem Bund mit den Worten, damit seien „die Aufständischen zu gut versorgt worden“.78 Der Gesamtbetriebsrat der MdK stimmte der Fusion zu, weil so die übrigen ostdeutschen Kaliarbeitsplätze (vor allem in Unterbreizbach) gerettet werden konnten. Der Vorsitzende der IG Bergbau und Energie, Hans Berger, sah in der Fusion die „einzige Chance, dass Überleben der Branche zu sichern“.79 Auch in Westdeutschland wurde von 1955 bis 1990 in Kaligruben teilweise die Förderung eingestellt. Gerd Grimmig, der damalige Werksleiter von Niedersachsen-Riedel, berichtete: „Die Bergleute hatten verstanden, dass die Schließung ihres Werkes einfach notwendig war. Das Konzept der Konzentration auf die besten Lagerstätten, die leistungsfähigsten Standorte und der zukunftsfähigsten Produkten war schlüssig.“80 Das Unternehmen Kali+Salz sprach von einer Wiedervereinigung der deutschen Kaliindustrie und von der einmaligen Chance, gemeinsam eine neue Startposition im internationalen Markt einzunehmen. Das gemeinsam von der THA und der west- und ostdeutschen Kaliindustrie entwickelte Konzept sei zukunftsweisend, weil es unter Nutzung der besten Lagerstätten die Mög­lichkeit schafft, auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig zu sein. Im Fall Bischofferode hatte der Freistaat – so Bernhard Vogel – keine großen Einflussmög­lichkeiten: „Wir setzten Himmel und Hölle in Bewegung und scheuten auch vor drastischen Formulierungen nicht zurück. Aber wir fanden so gut wie keine Unterstützung. Nicht im Verwaltungsrat der Treuhand, nicht beim Bund, nicht beim Bundesfinanzminister, nicht beim Treuhandausschuss des Bundestages, auch nicht bei anderen Ländern, nicht einmal in Sachsen-Anhalt.“81 Sachsen-Anhalt stimmte für das Konzept der Treuhand­anstalt, da es in Sachsen-Anhalt keine Betriebsstillegungen vorsah, 78 Vgl. Claus Peter Müller: „Holt die schwarzen Fahnen ein“. Der Kalibergbau wächst zusammen, in: FAZ, 22. Juni 1999. 79 Vgl. Firmenchronik der Kali+Salz, S. 256. 80 Ebd., S. 253. 81 Schrift­liche Stellungnahme von Bernhard Vogel gegenüber dem Thüringer Landtag, Ausschuss für Landwirtschaft, Forsten, Umwelt und Naturschutz vom 3. Juni 2014. [Der Brief liegt dem Verfasser vor]. Vgl. auch Claus-Peter Müller: Kali, west- und ostdeutsche Animositäten und kein Ende, in: FAZ, 2. August 1993 sowie das Interview von Bernhard Vogel mit dem MDR vom 13. Mai 2014 Sektorale Großprojekte  |

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sondern den weiteren Ausbau von Zielitz; der Gesamtbetriebsrat stimmte zu, in der Sorge vor einer Betriebsstilllegung an der Werra; die Vertreter der Gewerkschaften sahen in dem Konzept der Treuhand­anstalt die einzige Chance, die Kaliindustrie zu retten; die Vertreter der Bundesregierung (Bundeswirtschaftsminister Günter Rexroth) und des Bundestages sahen in der Schließung von Bischofferode ein betriebswirtschaft­liches Erfordernis und eine notwendige Maßnahme zur Sanierung der Kaliindustrie. Nach dem Beschluss des Verwaltungsrates der Treuhand­anstalt war der Umbau der Kaliindustrie abgeschlossen und ein Monopolunternehmen geschaffen. Aufbau der deutschen Kaliindustrie (1993 – 2013) Kali+Salz AG

Mitteldeutsche Kali AG Kali und Salz GmbH

Sigmundshall/Wunstorf 630 Beschäftigte

Zielitz 1.830 Beschäftigte

Bergmanssegen Hugo/Lehrte 413 Beschäftigte (im Dezember 1994 geschlossen; ein Teil der Verarbeitungsanlagen über Tage wird bis heute nachgenutzt)

Unterbreizbach 670 Beschäftigte (unterirdischer Betrieb)

Salzdetfurth/Bad Salzdetfurth 280 Beschäftigte in der Verarbeitung (Grube seit März 1992 geschlossen; in einem geringen Teil findet in Nachnutzung der Gebäude heute eine Teilproduktion für Katzenstreu statt)

Bischofferode 762 Beschäftigte bis 1993, danach Beschäftigung zahlreicher Mitarbeiter zur Demontage der übertägigen Anlagen und zur Verwahrung der Grubenhohlräume

Wintershall/Heringen 1.530 Beschäftigte

Merkers (ist schon vor 1993 geschlossen worden), Beschäftigte waren in Auffanggesellschaften tätig; der Verwahrungsprozess hält bis heute an

Hattorf/Phillipsthal 1.500 Beschäftigte

Bernburg 540 Beschäftigte

Neuhof-Ellers/Neuhof 780 Beschäftigte

„Vogel: Land hatte keinen Einfluss auf Bischofferode“ (http://www.mdr.de/ thueringen/interview_bernhard_vogel100.html, Abruf: 26. Juni 2014).

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Kali+Salz AG

Mitteldeutsche Kali AG

Braunschweig-Lüneburg/Grasleben 180 Beschäftigte Niedersachsen-Riedel/Wathlingen 470 Beschäftigte (1996 geschlossen; im Verwahrungsprozess; Planung einer Nachnutzung als Gewerbegebiet)

Kali+Salz AG gehörte 1993 auch die Untertagedeponie Herfa-Neurode, die am gleichnamigen Standort Herfa angesiedelt war und ist. In ihr wurden damals und werden bis heute Abfälle zur Beseitigung deponiert. Diese war nicht Bestandteil der Zusammenführung der deutsch-deutschen Kaliaktivitäten im Rahmen der Kali und Salz GmbH, sondern verblieb als Gesellschaft bei der Kali+Salz AG. Im Anschluss an den Umbau der gesamten deutschen Kaliindustrie wurden in Merkers und Worbis Sanierungs- und Entwicklungsgesellschaften tätig. In Merkers wurde die Bad Salzunger Umwelt- und Sanierungsgesellschaft (SUSA) in Trägerschaft des Landkreises Bad Salzungen mit Unterstützung des Landes und der MdK gegründet. Diese Gesellschaft hat im Auftrag der GVV Sanierungsaufgaben durchgeführt und sich verpflichtet, dafür ausschließlich freigesetztes Personal des Betriebs Merkers einzusetzen. Darüber hinaus wurden auf den nicht betriebsnotwendigen Flächen des Werks durch die THA Unternehmen angesiedelt sowie ein Abfall- und Recyclingpark geschaffen. Zur Unterstützung und Weiterführung dieser Maßnahmen wurde am 21. Juni 1993 eine Entwicklungsvereinbarung mit der LEG abgeschlossen. Am 1. September 1993 waren auf dem ehemaligen Firmengelände in Merkers 41 Unternehmen mit 814 Beschäftigten sowie die SUSA mit weiteren 110 Beschäftigten tätig. In Worbis hat die LEG auf Veranlassung der Landesregierung am 23. Juli 1993 eine Tochtergesellschaft gegründet, die Entwicklungsgesellschaft Südharz-­Kyffhäuser (ESK ). Beiteiligt waren auch die damaligen Landkreise Worbis, Heiligenstadt, Nordhausen, Sondershausen, Artern und Mühlhausen. Die Tätigkeit der ESK wurde von GVV und MdK unterstützt durch: Zahlung einer projektbezogenen Anschubfinanzierung von 1 Mio. DM, Sicherstellung der Fortführung von 33 Ausbildungsverhältnissen des Kaliwerks Bischofferode, Angebot von 20 Ausbildungsplätzen für Auszubildende aus Thüringen im Gemeinschaftsunternehmen, Angebot von bis zu 50 Arbeitsplätzen in anderen Werken des Gemeinschaftsunternehmens sowie praktische Unterstützung in Einzelfällen. Sektorale Großprojekte  |

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Die ESK hatte den generellen Auftrag, in Bischofferode, im Eichsfeld, im Kyffhäuserkreis und im Kreis Nordhausen Investoren zu akquirieren und auf Gewerbegebieten anzusiedeln. In Bischofferode war das Kaliwerk strukturbestimmend. Auf der Grundlage einer Kooperationsvereinbarung mit GVV und MdK hat die ESK das Betriebsgelände Bischofferode überplant. Sie hat weiterhin ein Gewerbegebiet erschlossen. Insgesamt sind durch die Ansiedlung zunächst 100 Arbeitsplätze entstanden. Vorwiegend kleinere und mittlere Betriebe mit regionaler Bedeutung konnten als Investoren gewonnen werden. Bis zur Eröffnung der A 38 war Bischofferode infrastrukturell ungünstig angebunden. Dies war auch ein Grund, weshalb für Bischofferode und die Nachbargemeinden nicht genügend Investoren, vor allem mit überregionalen Marktbeziehungen, gefunden werden konnten. Andererseits war auch die Notwendigkeit für die ehemaligen Beschäftigten des Kaliwerks, nach der Werksschließung sofort einen neuen Arbeitsplatz anzustreben, nicht zwingend gegeben. Eine nicht unbeträcht­liche Zahl von Arbeitnehmern wurde unmittelbar von der GVV für Verwahrungsarbeiten übernommen. Diese Arbeiten sind noch nicht abgeschlossen. Abfindungszahlungen und mehrjährige Einkommensgarantien verschafften vielen ehemaligen Kalikumpeln eine wirtschaft­liche Absicherung. Die ESK hat allerdings in anderen Nordthüringer Regionen durch Standortentwicklung und Investorenakquisition Arbeitsplätze schaffen können. Im Eichsfeldkreis kam die Wirtschaftsförderung bereits in den 1990er Jahren in Gang. Im Zeitraum 2000 bis 2012 konnten hier 4.000 neue Arbeitsplätze angesiedelt werden, so dass die später arbeitslos gewordenen Mitarbeiter des Kaliwerks Bischofferode nach ihrem Ausscheiden und der Beendigung der Einkommensgarantien wieder die Mög­lichkeit hatten, ein Arbeitsplatzangebot anzunehmen. Eine Gesamtbewertung der sektoralen Wirtschaftspolitik der Treuhand fällt unterschied­lich aus. Im Falle der Werftenindustrie hat die THA gegen den Markt gefördert und hohe Verluste erzielt. Im Chemiedreieck ist es gelungen, ebenfalls mit einem Milliardentransfer, einen neuen Chemiestandort zu entwickeln, dessen Erfolg aber noch nicht endgültig absehbar ist. Bei EKO-Stahl konnte man auch eines der größten Stahlunternehmen in Deutschland gewinnen. Beim Braunkohleabbau wurde der Kapazitätsabbau eingeleitet, bei der Kaliindustrie wurde eine Fusion der Werke in Ost und West betrieben. Ein Kapazitätsabbau wurde durch Personalabbau und Werkstilllegungen vollzogen und überfällige Rationalisierungsinvestitionen eingeleitet. Die Wirtschaft und die Politik haben es jedoch versäumt, sich 72

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rechtzeitig darauf einzustellen, dass die Kaliindustrie in Deutschland ein schrumpfender Wirtschaftssektor ist. Man hätte früher Ersatzprodukte und zusätz­liche Entsorgungsaktivitäten entwickeln und damit neue Arbeitsplätze schaffen sollen. Trotz allem ist es gelungen, die kombinatseigenen Betriebe in die Soziale Marktwirtschaft zu überführen. Die Webfehler, die mit den jeweiligen Privatisierungskonzepten verbunden waren, werden jedoch immer wieder Nachbesserungen erforder­lich machen.

Regionale Entwicklungsschwerpunkte der Treuhand­anstalt in Thüringen Ergänzend zu den sektoralen Handlungsschwerpunkten legte die THA auch regionale Entwicklungsschwerpunkte fest. In Thüringen waren das die Regionen Jena und Eisenach. Hier wollte man schnell die Voraussetzungen schaffen, um die dortigen Kombinate und VEB bald durch Nachfolgeunternehmen ersetzen zu können. In Thüringen hätte es durchaus noch mehr Regionen gegeben, die von der THA hätten gefördert werden müssen (Beispiele Erfurt, Sömmerda/Kölleda, Ilmenau), aber die THA Berlin gab hier zu früh auf. Hingegen wurde von der THA Suhl Schmalkalden als regionaler Schwerpunkt ausgebaut. Zur Rettung des gesamten Carl-Zeiss-Standorts Jena hat die Treuhand­ anstalt 1990 das Kombinat VEB Carl Zeiss Jena übernommen und das Nachfolgeunternehmen Jenoptik Carl Zeiss Jena GmbH mit 13 Betrieben und ca. 30.000 Beschäftigten gebildet. Ihr eigent­liches Ziel war es, das Kombinat Carl Zeiss Jena aufzuteilen und die beiden Carl-Zeiss-Stiftungen in Jena und Oberkochen wieder zusammenzuführen. Das ehemalige Zeiss Unternehmen in Jena wurde aufgespalten: Der Kernbereich der Produktion wurde abgetrennt und in das Unternehmen Carl Zeiss Jena GmbH eingebracht, dessen Kapital zu 51 Prozent von der Stiftung in Oberkochen und zu 49 Prozent von der – von der THA und dem Freistaat – geschaffenen Jenoptik gehalten wurde (mit einer Option für Oberkochen). 1995 wurde der Jenoptik-Anteil von CZ Oberkochen übernommen, beide Teile wurden 2004 in eine Aktiengesellschaft eingebracht, deren alleinige Aktionärin die Carl-Zeiss-Stiftung ist. Die Geschäftsfelder der Zeiss Gruppe sind unter anderem die Mikroskopie, die Medizin-, die Halbleiter- und die industrielle Messtechnik sowie die Spektroskopie. Regionale Entwicklungsschwerpunkte  |

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Das Gesellschaftskapital der Carl Zeiss Jena AG belief sich auf 110 Mio. DM, 477 Mio. zusätz­liche Eigenmittel wurden als Vorsorge für zu erwartende Verluste eingeplant.82 Der eigent­liche Nachfolger und Sanierungsträger des früheren Kombinats wurde die Jenoptik, die von der THA und dem Freistaat mit einem Startkapital von 3,6 Mrd.  DM. ausgestattet wurde. Davon entfielen 0,99 Mrd.  DM auf die Ablösung von Altschulden, und 0,8 Mrd. DM auf die Absicherung von Sozialplänen. Um die Jenoptik vor einer drohenden Insolvenz zu schützen, ging sie 1991 in das Eigentum des Landes über. Gleichzeitig wurde zum 1. Juli 1991 Lothar Späth als Vorstandsvorsitzender der Jenoptik GmbH berufen und mit der Sanierung des Unternehmens betraut. Es war klar, dass die finanzielle Lage des Unternehmens über Jahre hinweg kritisch sein würde. Der Umsatz der Jenoptik belief sich 1991 auf 70 Mio. DM, der Verlust auf 600 Mio. DM .83 Ähn­lich war auch das Ergebnis in den Folgejahren, die ebenfalls von großen Umsatzeinbrüchen, Soziallasten, Fehlinvestitionen und Kapitalverlusten geprägt waren. Die entscheidende Zukunftsfrage der Jenoptik lag in der Wahl der künftigen Geschäftsfelder. Als erfolgreich haben sich schließ­lich fünf Sparten erwiesen: optische Systeme, Laser- und Materialbearbeitung, Industrielle Messtechnik, Verkehrssicherheit sowie Verteidigung. Nachdem die richtigen Geschäftsfelder gefunden waren, ist es gelungen, die Jenoptik umzustrukturieren, wettbewerbsfähig und profitabel zu machen. 1996 erfolgte der Börsengang, so dass auch der Staatsanteil am Unternehmen wesent­lich reduziert werden konnte. Die Glaswerke Schott in Mainz erhielten einen Kapitalanteil von 51 Prozent und die unternehmerische Führung im Jenaer Glaswerk, die rest­lichen 49 Prozent des Kapitals wurden dem Freistaat Thüringen übertragen. 2004 wurden beide Anteile in eine Aktiengesellschaft eingebracht, deren alleiniger Aktionär die Carl-Zeiss-Stiftung ist. Mit diesem Grundkonzept wurden von 26.000 Arbeitsplätzen im früheren Kombinat etwa 12.000 gerettet. Außerdem wurde die Anzahl verbliebener Arbeitsplätze durch Ausgliederung vieler kleiner und mittlerer MBO/MBI-Unternehmen noch deut­lich gesteigert. Die Treuhand­anstalt hat demnach nicht nur für die 12.000 geretteten, neu angesiedelten bzw. geschaffenen Arbeitsplätze Verantwortung übernommen, sondern auch für die 14.000 abgewickelten Arbeitsplätze.

82 Vgl. Kombinate. Was aus ihnen geworden ist, S. 177. 83 Ebd., S. 178 f.

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In Eisenach wurde die Erhaltung des Automobilwerks Eisenach (AWE), das einst den Wartburg hergestellt hatte, von vielen gefordert. Da sich dafür keine Investoren fanden, hat die THA sich für ein anderes Konzept entschieden. In Eisenach sollten ein neues Automobilwerk und im Raum Eisenach, Nord- und Südthüringen mög­lichst viele Automobil-Zulieferer angesiedelt werden. Aus den Plänen ist durch umfangreiche Sanierungs-, Erschließungs-, Infrastruktur-, Privatisierungs- und Ansiedlungsmaßnahmen eine Automobilregion geschaffen worden, die heute auch als Automobilcluster bezeichnet wird. Die Zahlen der Unternehmen und Arbeitsplätze sowie das Wirtschaftswachstum sind hier 25 Jahre nach der Wiedervereinigung deut­lich höher als in vielen Westregionen. Die beiden regionalen Entwicklungskonzepte der Treuhand­anstalt waren erfolgreich, weil es Gemeinschaftsaktionen der THA, des Landes und der jeweiligen Unternehmen waren. Bei der Auswahl der regionalen Entwicklungsprogramme in Thüringen hat sich die THA vom Kriterium der Erfolgswahrschein­lichkeit leiten lassen. Wäre sie zudem von dem Kriterium „Schlüsselindustrien“ ausgegangen, dann hätte sie auch einen regionalen Schwerpunkt Mikroelektronik in Erfurt ausweisen müssen. Dieser Wirtschaftssektor war in der DDR im Kombinat Mikroelektronik mit Sitz in Erfurt zusammengefasst. Es umfasste rund 25 zuund nachgeordnete Betriebe mit 60.000 Beschäftigten. Etwa 1.000 Beschäftigte im Bereich der Forschung gehörten zum Kombinat Carl Zeiss Jena. Nach der Wiedervereinigung wurde das Kombinat Mikroelektronik in die Holding PTC electronic AG in Erfurt umgewandelt. Dazu zählte auch das Zentrum für Mikroelektronik in Dresden (ZMD), das aus dem Unternehmen Carl Zeiss Jena ausgegliedert wurde. Der Verwaltungsrat der THA folgte diesem Konzept nicht und forderte die Liquidation des gesamten Unternehmens. Ein externes Gutachten kam jedoch zu dem Schluss, dass ein Kern der mikroelektronischen Industrie gerettet werden könnte. Demnach sollten die Kapazitäten von Erfurt und Dresden in der Mikroelektronik und Technologie GmbH (MTG) in Erfurt zusammengefasst werden. Diese Konzentration an einem Standort scheiterte im Verwaltungsrat der Treuhand­anstalt. Der Betriebsteil Erfurt der MTG wurde der Landesbank Hessen-Thüringen und der LSI Logic Corporation übertragen und als Thesys GmbH mit rund 400 Mitarbeitern verselbständigt.84 84 Vgl. Klaus-Dieter Schmidt: Strategien der Privatisierung, in: Fischer/Hax/ Schneider (Hg.): Treuhand­anstalt, S. 234 – 236. Regionale Entwicklungsschwerpunkte  |

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Der Erhalt des Mikroelektronikstandorts in Erfurt war von erheb­lichem Landesinteresse, weil es sich hier um Arbeitsplätze in Zukunftstechnologien handelte. Deshalb engagierte sich Thüringen bei der Privatisierung des industriellen Kerns, die Landesentwicklungsgesellschaft (LEG) Thüringen erwarb mit Vertrag vom 19. Juli 1995 das Umfeld. Hier sollte ein Hightech-Standort entstehen. Das Gelände hat eine Gesamtfläche von 40 ha und besitzt dank der vorhandenen Chipfabrik auch eine Erschließung mit speziellen für diese Branche erforder­lichen Medien. Als leistungsfähiger Forschungspartner etablierten sich hier das Institut für Mikroelektronik- und Mechatroniksysteme und das CiS Forschungsinstitut für Mikrosensorik und Photovoltaik. Eines der ersten neu angesiedelten Produktionsunternehmen war die ErSol – Hersteller von Solaranlagen, die sich ständig erweiterte, bis sie auf eine größere Fläche in Arnstadt umzog und später von Bosch übernommen wurde. Das zweite Unternehmen war die heutige PV Crystalox Solar Silicon GmbH als Hersteller von Siliziumscheiben für die Solarindustrie. Dadurch war dieser Standort auch für die Solarbranche in Thüringen von großer Bedeutung. Hier bildete sich deshalb auch die Clusterinitiative „Solar­input“ und errichtete eine Geschäftsstelle. Heute sind über 80 Unternehmen aus den Branchen Mikroelektronik, Mikrosensorik, Solartechnik, IT und Umwelttechnik sowie Dienstleister, Planungsbüros oder Ausbildungseinrichtungen hier angesiedelt. Wie auch an vielen anderen großen Standorten hat sich die LEG von Beginn an um den Aufbau von Unternehmenskooperationen bemüht und die Bildung des Forschungs- und Industriezentrums e. V. (FIZ) unterstützt, eines Vereins, der sich um die Verbesserung der wirtschaft­lichen Beziehungen der Mitglieder untereinander und zu Dritten kümmert, Bildungsmaßnamen koordiniert, innovative Projekte im Hochtechnologiebereich unterstützt und sich insbesondere auch für effektive Investitionen am Standort und dessen Entwicklung zum Hochtechnologie-Standort einsetzt.

Privatisierung von Stammbetrieben Da die Kombinate in der Regel in den verschiedensten Bezirken der DDR tätig waren, bestanden damit auch Branchen- und Standortschwerpunkte in den einzelnen Regionen – oft unabhängig von der Position des Stammbetriebs. Die Mehrzahl dieser Stammbetriebe erwies sich als nicht privatisierungsfähig. Gelungen ist in Thüringen jedoch die Privatisierung von Carl Zeiss Jena, der Umformtechnik Erfurt (UTE), der Fahrzeugelektrik 76

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Ruhla Eisenach, der Solidor in Heiligenstadt, des Werkzeugkombinats Schmal­kalden und des Behälterglas Schleusingen. In allen übrigen Stammbetrieben bestand allerdings grundsätz­lich die Mög­lichkeit, den Betrieb zu zerlegen und damit Arbeitsplätze zu erhalten bzw. neu zu schaffen sowie neue Unternehmen zu gründen. 21 Kombinaten entsprachen ebenso viele Stammbetriebe. Im Folgenden soll exemplarisch mit Hilfe einer Auswahl das Privatisierungsverfahren bei Stammbetrieben dargestellt werden. Nicht erkannt oder falsch eingeschätzt wurden Entwicklungschancen beim VEB Werk Technisches Glas in Ilmenau. Im Rahmen ihrer sektoralen Strukturpolitik hätte die THA in der Branche Technisches Glas neue Kooperationsformen, Produkte sowie Forschungs- und Entwicklungszentren initiieren sollen. Der Thüringer Wald ist eine der bedeutendsten Glasregionen Deutschlands. Zahlreiche Glashütten und glasverabeitende Betriebe sind hier entstanden. In der DDR waren sie im Wesent­lichen in zwei Kombinaten zusammengefasst: dem VEB Technisches Glas Ilmenau und dem VEB Behälterglas Schleusingen.85 Der VEB Kombinat Technisches Glas Ilmenau bestand aus dem Stammbetrieb in Ilmenau mit etwa 5.000 Mitarbeitern, mehreren Glasbetrieben in Ilmenau sowie zahlreichen weiteren VEB. Insgesamt beschäftigte das Kombinat etwa 12.000 Mitarbeiter. Einige Kombinatsbetriebe (z. B. Farbglashütte Lauscha) wurden selbständig in GmbH gewandelt, der Stammbetrieb und die meisten angeschlossenen Betriebe wurden zur Glasring Thüringen AG mit GmbH als Tochtergesellschaften gewandelt. Das Produktprogramm bestand aus einer breiten Palette: Behälterglas für vielfache technische Anwendungen, Messinstrumente wie etwa Thermometer, Rohr- und Stangenglas etc. Etwa 80 Prozent der Produktion ging zur Weiterverarbeitung bzw. Anwendung in Betriebe der DDR sowie des RGW-Raums, ca. 15 Prozent wurde nach Westdeutschland exportiert (z. B. Laborgeräte, Haushaltsgeräte). 85 Das Treuhandgesetz hatte vorgesehen, dass volkseigene Kombinate in Aktien­ gesellschaften und Kombinatsbetriebe, vorzugsweise in Gesellschaften mit beschränkter Haftung, umgewandelt werden (§ 11, Abs. 1). Die aus den Kombinaten entstandenen Aktiengesellschaften sollten Inhaber der Geschäftsanteile der Gesellschaften mit beschränkter Haftung werden, die ihnen als VEB unterstellt waren (§ 12, Abs. 1). Unterstellte VEB sollten aber auch wirksame Erklärungen über den Austritt aus dem Kombinat abgeben können und sich selbständig zur Kapitalgesellschaft wandeln (§ 12, Abs. 1). Privatisierung von Stammbetrieben  |

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Nach der Umwandlung in die AG haben dessen Vorstand und die THA Berlin den Berater Roland Berger beauftragt, ein Konzept zum Umbau des Kombinats in „einen Konzern west­licher Prägung“86 zu erstellen. Roland Berger beschreibt dabei Vorgehensweise und Zielsetzung wie folgt: –– 120 Produktgruppen zu 29 strate­gischen Geschäftsfeldern verdichten, –– Wettbewerbsfähigkeit der Produkte im Konkurrenzumfeld bestimmen, –– Strategien entwickeln, Rationalisierungspotenziale lokalisieren, Fertigungstiefe reduzieren, –– strategiekonforme Organisationsstruktur entwickeln und Führungsinstrumente installieren. Nach einer Analyse der AG kam man zu dem naheliegenden und nicht überraschenden Ergebnis, die Produktpalette um nicht konkurrenzfähige Produkte zu bereinigen und Produktivitätssteigerungs- und Rationalisierungspotenziale zu verwirk­lichen. Von damals noch 11.400 Mitarbeitern sollte die Beschäftigung auf 6.000 Mitarbeiter reduziert werden. Als Organisationsform wurde die Holding Glasring AG mit 16 zugeordneten GmbH vorgeschlagen und verwirk­licht. Dieser Konzern sollte selbständig bleiben. Im von ihm erstellten Geschäftsplan hat Roland Berger ausgewiesen, dass 1992 „schwarze Zahlen“ geschrieben werden könnten. Er schreibt dazu auch (September 1990): „Noch ist Glasring Thüringen AG nicht saniert, aber das Licht am Ende des Tunnels wird von Tag zu Tag heller.“ Das Privatisierungskonzept, das die THA Berlin auf der Basis des Berichts von Roland Berger entwickelt hatte, sah vor, den Konzern als Ganzes zu veräußern, weil er angeb­lich bei einer Gesamtprivatisierung sanierungsfähig und -würdig sei, bei einer Einzelprivatisierung aber wäre das Glaswerk Ilmenau wegen Verflechtungen nicht sanierungsfähig. Dieses Konzept war jedoch aus folgenden Gründen zum Scheitern verurteilt: –– Die einzelnen Betriebe waren hinsicht­lich Produktionsprogramm sowie Anwendungs- und Fertigungstechnologie ziem­lich heterogen. Eine „Konzernstrategie“ und auch ein „Führungsinstrumentarium“ waren nicht erkennbar, weil die zentralgeleitete DDR-Wirtschaft dies auf dezentraler Ebene nicht kannte. –– Die Märkte lagen zu über 80 Prozent des Produktionsvolumens außerhalb der EU . Erheb­liche Anpassungsanstrengungen hinsicht­lich Produkt, Vertriebsweg, Handelsorganisation etc. wären erforder­lich gewesen. 86 Von Tag zu Tag heller. Roland Berger über die Neuordnung des VEB Kombinat Technisches Glas, in: Manager Magazin, 1. September 1990, S. 42.

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Kurzfristig war dies im Konzern management-technisch und finanziell nicht zu bewältigen. –– Rationalisierungspotenziale in Fertigungstiefe waren äußerst gering. Glasherstellung ist ein Prozess, der von der Gemengemischung bis zur Abkühlung des Endprodukts nicht unterbrochen werden kann. Allenfalls periphere Einheiten (z. B. Feriendienst, Wohnungswirtschaft, Werkskindergarten, Kantine) konnten personalwirksam verändert werden, oder aber der Fertigungsprozess als Ganzes war stillzulegen. –– Für ein Konglomerat wie die Glasring Thüringen AG konnte es keinen ernsthaften Privatisierungsinteressenten geben. –– Die finanzielle Belastung der Sanierung und Umstellung wäre erheb­ lich gewesen. –– Viele Märkte mussten aufgebaut werden. –– Synergieeffekte, insbesondere in Forschung und Entwicklung, waren für die meisten der kontaktierten Privatisierungspartner nur in einigen wenigen Geschäftsfeldern erkennbar. Die Folge der ungeeigneten Privatisierungsstrategie war ein erheb­licher Personalabbau, denn die Markterfolge blieben aus und die Produktion musste reduziert werden. Der fehlkonstruierte Konzern Glasring AG konnte Produkte und Leistungen nicht marktkonform und wettbewerbsfähig anbieten. Die THA Berlin hatte schließ­lich die Privatisierungsstrategie angepasst und 1992 Einzelprivatisierungen eingeleitet. Parallel dazu wurden Stilllegungspläne konzipiert und verwirk­licht. Heute befindet sich im Stammbetrieb Ilmenau, der 1990 5.000 Mitarbeiter beschäftigte, die Technischen Glaswerke Ilmenau GmbH, mit 225 Mitarbeitern, die Laborglas, Rohrglas, Glasstäbe und Hausgeräte herstellt. Aus dem Thermometerwerk Geraberg (ehemals 2.000 Mitarbeiter) ist die Geratherm AG entstanden. Know-how-Träger des Thermometerwerks haben neue, marktfähige Produkte entwickelt, so beispielsweise ein quecksilberfreies Fiebermessgerät. 130 Mitarbeiter sind im neuen Werk in Geschwenda beschäftigt. Man hat erfolgreich neue Märkte entwickelt, fast 90 Prozent des Umsatzes wird im Export erzielt. Das ehemalige Thermometerwerk in Geraberg wurde abgerissen. In Langewiesen befindet sich inzwischen in einem neuen Werk ein Unternehmen, das aus einer Forschungsabteilung des Kombinats entstanden ist. 150 Mitarbeiter produzieren Quarzglaserzeugnisse zur Anwendung in chemischer Industrie, Halbleitertechnik usw. In Stützerbach wurde ein Werk für Glasleitungen stillgelegt und 1995 abgerissen. Weitere Werke, wie etwa in Gehlberg, wurden ebenfalls stillgelegt. Einige Reprivatisierungen von Privatisierung von Stammbetrieben  |

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Teilbetrieben haben zu einer zusätz­lichen, aber nicht erheb­lichen Beschäftigungswirkung geführt. Zur Privatisierung des Ilmenauer Glasrings lässt sich zusammenfassend feststellen, dass sie nur dort gelungen ist, wo auf west­lichen Märkten akzeptierte Produkte durch Anpassung konkurrenzfähig gemacht werden konnten und hochstehendes technolo­gisches Know-how vorhanden war bzw. aktiviert werden konnte. Die Beschäftigungswirkung war äußerst gering. Weniger als 10 Prozent der Beschäftigten des Kombinats sind in privatisierten Unternehmen beschäftigt. Insofern ist das Beispiel Glasring Ilmenau als Misserfolg einzuordnen. Die anfäng­liche Strategie war privatisierungsungeeignet und eine Sanierung durch einen „Konzern Glasring AG“ konnte nicht verwirk­licht werden. Aus dem Kombinat VEB Behälterglas Schleusingen, dem zweiten Glaskombinat in Südthüringen, wurden die einzelnen VEB in selbständige GmbH umgewandelt und von der THA Suhl privatisiert. In diesen Unternehmen sind heute über 1.100 Mitarbeiter beschäftigt. Nach einer neuen Studie über die Glasindustrie in Deutschland 87 sind in der Hohlglasherstellung (u. a. Behälterglas) in Deutschland 14.381 Erwerbstätige beschäftigt. In Südthüringen sind dies dann davon ca. 8 Prozent, unter Einbeziehung der Gruppe Wiegand über 10 Prozent. Außerdem gab es in Thüringen auch Privatisierungsverfahren der Treuhand, die korrekt verlaufen, aber dennoch gescheitert sind, die aber durch die Initiative des Landes zu einem erfolgreichen Abschluss geführt werden konnten. Ein Beispiel dafür ist die Umformtechnik in Erfurt (UTE ), die ursprüng­lich ein Kombinat mit 14 Betrieben und 16.000 Beschäftigten darstellte. Sie wurde entflochten, in ihrer Größe reduziert, von betriebsfremden Aufgaben entlastet, um kostengünstig produzieren und im internationalen Wettbewerb bestehen zu können. Das Unternehmen unternahm selbst Anstrengungen zur Steigerung seiner Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit. Die UTE zählte dann zu den sechs größten Pressenherstellern in der Welt (drei in Japan und drei in Deutschland), zwischen denen ein scharfer Wettbewerbsdruck entstand. Die THA konnte diese Konfliktsituation nicht lösen. Die Erstprivatisierung erfolgte zugunsten von Škoda Pilsen. Nachdem 87 Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (Hg.): Glasindustrie in Deutschland. Eine Branchenanalyse. Hannover 2014 (https://www.igbce. de/download/8214-70908/1/branchenanalyse-glas.pdf, Abruf: 26. September 2014).

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diese Privatisierung fehlgeschlagen war, hat die damalige Landesregierung in persön­lichen Verhandlungen eine Lösung mit einem Konkurrenten ausgehandelt, die das Überleben der UTE gesichert hat. 2001 erfolgte die Übernahme durch die Müller Weingarten AG, die sechs Jahre später von der Schuler AG aufgekauft wurde. Die Niederlassung Umformtechnik Erfurt fertigt als einer der zentralen Produktions- und Servicestandorte des Schuler-Konzerns in Europa Anlagen für die Automobil-, Zulieferer-, Elektro- und Hausgeräteindustrie. Auch beim Textilwerk Leinefelde handelte es sich um einen Stammbetrieb, der unter einer besonders starken Strukturkrise litt. Hier ist es der Treuhand ebenfalls nicht gelungen, einen geeigneten Investor zu finden. Sie hat die Privatisierung des Werks vorschnell aufgegeben. Die damalige Landesregierung hatte die Vermittlerrolle übernommen, einen Investor gewonnen, der die Produkte in seinen Fertigungsprozess einbezogen, das Unternehmen von der THA übernommen, die Arbeitsplätze erhalten und notwendige Investitionen getätigt hat. An diesem Beispiel wurde deut­lich, dass die Privatisierung mehr umfassen muss als eine Verkaufsverhandlung, was die Treuhand in der Regel auch so befolgt hat. Notwendig waren vertrauensbildende und flankierende Maßnahmen, die die Übernahme eines volkseigenen Betriebs wirtschaft­lich vorteilhaft machen und zur Rettung des Unternehmens beitragen. Ein anderer Fall von genereller Bedeutung war die Sanierung und Entwicklung des ehemaligen Kombinats Robotron Büromaschinenwerks in Sömmerda.88 Die dort ansässigen Unternehmen waren überwiegend weder privatisierbar noch sanierbar. Im Gutachten der Wirtschaftsprüfer wurde damals festgestellt: „Nicht konkurrenzfähig“. Bedingt durch weltweite Überkapazitäten in der Computerindustrie sei „eine Gesamt- oder Teilverwertung des Betriebes nicht mög­lich“.89 Die Belegschaft wurde in zwei Wellen entlassen und das Werk wurde 1991 liquidiert. Auch die Veranstaltungshalle und die gesamte Infrastruktur waren marode. Um an diesem Industriestandort neue Unternehmen ansiedeln zu können, mussten zunächst die alten und kontaminierten Produktionsstätten und Altlasten entsorgt werden. Anschließend musste das gesamte Areal neu erschlossen werden. Die THA hat zu diesem Zeitpunkt die Sanierung von Altstandorten noch nicht als ihre Aufgabe angesehen. In intensiven Verhandlungen der 88 Vgl. den Punkt Abwicklung. 89 Vgl. Nadine Oberhuber: Robotrons Erben, in: Die Zeit, 24. Februar 2005. Privatisierung von Stammbetrieben  |

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Landesregierung Thüringen mit der THA konnte erreicht werden, dass sie auch die Integrierte Standortentwicklung in ihren Aufgabenkatalog aufnahm. Der von der Hauptversammlung der BWS AG berufene Liquidator hat dann gemeinsam mit der Landesregierung und der LEG diese Aufgabe wahrgenommen. Sie umfasste zunächst das Abwicklungsverfahren, ihm folgte die Erstellung eines Sanierungskonzeptes, die Erschließung des Geländes, die Entflechtung der Versorgungs- und Entsorgungsleitungen und die Entfernung und Sanierung einzelner Gebäude.90 Die Folge des gesamten Projektes waren Lokalisationsvorteile (externe Effekte) des Raumes Sömmerda, die dann entstehen „wenn sich Unternehmen derselben Branche an einem Ort konzentrieren“.91 Diese gelungene Integrierte Standortentwicklung hat bewiesen, dass die Transformation maroder volkseigener Betriebe in wettbewerbsfähige private Unternehmen mög­lich ist, aber eine enge Zusammenarbeit zwischen der THA und den Ländern erforder­lich macht. Die Privatisierungsaufgaben der THA und die strukturpolitischen Aufgaben der Länder waren die beiden Seiten einer Medaille.92 Als Erfolgsgeschichte erwies sich die Privatisierung des VEB Funkwerk Kölleda, das zu DDR-Zeiten 1.700 Mitarbeiter zählte und auf die Kommunikations- und Nachrichtentechnik ausgerichtet war. Der Kern des Problems war auch bei diesem Unternehmen seine mangelnde Wettbewerbsfähigkeit. Wie alle ostdeutschen Unternehmen war es auf maximale Beschäftigung angelegt und nicht nach dem Prinzip der Rationalisierung und der Kostenoptimierung. Zwar waren die Fachkräfte durchweg sehr gut ausgebildet und hatten tiefe Kenntnisse der technischen Grundlagen, aber es lag keine Erfahrung vor, sich am Weltmarkt zu bedienen und fremde Komponenten vom Markt in das ingenieurmäßige Handeln einfließen zu lassen. Den Ausschlag für die Übernahme des Funkwerks Kölleda durch die Hörmann Gruppe gaben folgende Gründe: eine hohe technische Kompetenz 90 Vgl. Friederike Körner: Integrierte Standortentwicklung als besondere Form der Sanierung. Sonderdruck aus: Harald Hess/Dietrich Fechner/Konrad Freund/ Friederike Körner: Sanierungshandbuch. 3. Aufl. Berlin 1997, S. 17 – 24. 91 IAB regional: Vergleichende Analyse von Länderarbeitsmärkten. Länderstudie Thüringen, Nr. 02/2005. Bearbeitet von Oliver Farhauer/Nadia Granato/­Ingrid Dietrich, S. 50 (http://doku.iab.de/regional/SAT/2005/­regional_sat_0205.pdf, Abruf: 16. Juni 2014). 92 Vgl. den Punkt Abwicklung.

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auf dem Gebiet der Elektronik, die tiefe Verankerung als Lieferant der Reichsbahn und bei Hörgeräten im Export nach Russland sowie attraktive Zukunftsmärkte mit Wachstumspotenzial aufgrund technolo­gischer Substi­ tution von analoger zu digitaler Funktechnik. Wichtig war auch, dass den hohen Investitionen in die Entwicklung immer ein entsprechendes Marktvolumen gegenüberstand. Das ist durch Diversifizierung in benachbarte Märkte gelungen.93 Um das Privatisierungstempo und die Privatisierungsquote zu steigern, hat der Freistaat Sachsen das sogenannte ATLAS Modell entwickelt. Demnach meldete das Land ausgesuchte Betriebe bei der Treuhand­anstalt zur Sanierung an. Diese prüfte die Sanierungsfähigkeit. Die Treuhand­anstalt stellte ein Sanierungsbudget bereit und das Land die jeweils zulässigen Fördermittel des Landes. Auf diese Weise ließ sich die Auswahl der sanierungs- und förderfähigen Unternehmen beschleunigen, der Fördermitteleinsatz priorisieren, bündeln und wirkungsvoller gestalten sowie die Zahl der sanierten Unternehmen steigern. Außerdem sind damit die noch nicht privatisierten und sanierten Unternehmen besser ins Blickfeld gerückt worden. Thüringen praktizierte dies ebenso wie Sachsen, ging aber noch weiter als das ATLAS Modell und beauftragte in Abstimmung mit der THA seine LEG auch mit der Standortsanierung und Ansiedlung neuer Unternehmen. Bei der Gründung der THA war man zuversicht­lich, in kurzer Zeit erheb­ liche Fortschritte bei der Rückführung der unternehmerischen Tätigkeit des Staates durch Privatisierung zu erzielen und durch Sanierungsmaßnahmen wettbewerbsfähige Betriebe zu formen. Unter diesen Voraussetzungen hätte sich die Sanierungsaufgabe nur für eine relativ geringe Anzahl von Unternehmen gestellt. Diese Annahme bei der Gründung der THA erwies sich zwei Jahre später bereits als Irrtum, als beim Verkauf von volkseigenen Betrieben immer mehr Schwierigkeiten auftraten. Der desolate Zustand des Sachkapitals machte eine effiziente Produktion unmög­lich, die Absatzmärkte waren weggebrochen, der RGW war aufgelöst und die D-Mark zu teuer. Die Privatisierung von Ostbetrieben wurde immer schwieriger, was dazu geführt hat, die Sanierungsaufgaben gleichrangig neben die Privatisierungsaufgaben zu stellen. Die Umwandlung von volkseigenen in private Betriebe war mit dem Einstieg in eine neue Wirtschaftsordnung verbunden, die den Betrieben marktwirtschaft­liche Handlungsmaximen vorgab, die im Widerspruch zu 93 So Dr. Hans Grundner, Vorsitzender der Funkwerk AG, Kölleda. Privatisierung von Stammbetrieben  |

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den staatswirtschaft­lichen Grundprinzipien standen. Kombinate wurden in der Sozialen Marktwirtschaft überflüssig und sind aus guten Gründen von der THA meist nicht in Aktiengesellschaften umgewandelt, sondern abgeschafft und aufgelöst worden. Als Ergebnis lässt sich für Thüringen feststellen, dass die THA in zahlreichen Fällen die Privatisierung von Stammbetrieben nicht zu Ende bringen konnte, so dass die BvS und die Landesregierung mit ihrem Förder- und strukturpolitischen Instrumentarium die Projekte vollenden mussten. Nicht immer war dabei für den Misserfolg die fehlende Sanierungsfähigkeit der Betriebe ausschlaggebend. In einzelnen Fällen hat die THA ihre Privatisierungsbemühungen zu früh aufgegeben (UTE und Textilwerk Leinefelde) oder eine ungeeignete Strategie verfolgt (Ilmenauer Glaswerke). Zusammenfassend lässt sich feststellen: Grundsätz­lich machen die Erfahrungen bei der Privatisierung von Stammbetrieben deut­lich, dass in der Regel nur kleine und mittelgroße Stammbetriebe unter marktwirtschaft­lichen Bedingungen eine Privatisierungs- und Überlebenschance hatten. Die großen Betriebe mit mehreren tausend Arbeitsplätzen waren nicht oder nur dann wettbewerbsfähig, wenn sie von der THA bzw. vom Staat mit hohem finanziellen Aufwand saniert wurden. In allen anderen Fällen waren sie – auch bei normaler Wirtschaftsförderung – nicht konkurrenzfähig, da sie weder bei den Produkten noch beim Produktionsapparat auf dem Stand der Technik waren. Ihre Arbeitsproduktivität war zu niedrig und ihre Stückkosten waren hoch, so dass die Nachfrage aus dem In- und Ausland zu niedrig war. Sie mussten demzufolge entweder abgewickelt oder in wettbewerbsfähige Teilbetriebe aufgeteilt werden. Bei der Zerlegung wurden die Anzahl der Produkte wesent­lich und die der Arbeitsplätze dramatisch reduziert. Die Nachfolgeunternehmen erzielten in kurzer Zeit jedoch beacht­liche Wachstums- und Exporterfolge. Bald wurden aus den umgesiedelten, neuangesiedelten oder neugegründeten Unternehmen wachsende Unternehmen. Kleine Unternehmen entwickelten sich zu mittelgroßen und mittlere Unternehmen zu großen (mit über tausend Arbeitsplätzen). Der Freistaat Thüringen hat diesen Aufbau von unten nach oben im Rahmen seiner Wirtschaftsförderung unterstützt, indem er den kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) höhere Fördersätze gewährt hat als großen Konzernen. Inzwischen wird der anhaltende wirtschaft­liche Aufschwung in Thüringen und in ganz Deutschland vor allem vom gewerb­lichen und industriellen Mittelstand getragen.

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Reprivatisierung Eine der wesent­lichen Kernaufgaben der THA bestand in der Reprivatisierung. Sie war getragen von dem Gedanken der Wiedergutmachung begangenen Unrechts durch Enteignung während der DDR -Zeit. Schon die Volkskammer der DDR hat am 7. März 1990 mit dem Unternehmensgesetz (dem sogenannten Modrow-Gesetz 94) eine Rückübertragung der 1972 enteigneten ca. 11.800 mittelständischen Unternehmen – soweit noch vorhanden – ermög­licht. Mit dem Einigungsvertrag trat dann in den neuen Ländern das Vermögensgesetz in Kraft. Dieses enthielt einige wesent­liche Änderungen, z. B. umfasste es jetzt auch die Zeit von 1933 bis 1945, die Bodenreform 1945 bis 1949 und die Jahre nach 1949. Grundsatz der Wiedergutmachung war die Restitution, d. h. Rückgabe vor Entschädigung. Weiterhin stellte das Vermögensgesetz den Rückerstattungsberechtigten in der Regel besser als das Unternehmensgesetz; deshalb war bei erfolgter „Modrow“-Reprivatisierung ein Überprüfungs- und Anpassungsrecht vorgesehen. Bis zum 3. Oktober 1990 waren schon ca. 3.000 Reprivatisierungen erfolgt, die aber zum großen Teil – aus den verschiedensten Gründen – nicht rechtskräftig waren, d. h., es kam zu erheb­lichen Doppelbearbeitungen der Reprivatisierungsfälle. Diesen Zustand beendete das Gesetz zu Regelung offener Vermögensfragen. Dieses Gesetz (Vermögensgesetz vom 18. September 1990) unterscheidet zwischen Unternehmensrestitutionen, Grundstücksrestitutionen und der sogenannten Erlösauskehr. Einen Sonderfall bildeten die Unternehmensrückgaben nach dem bereits erwähnten Unternehmensgesetz der DDR vom 7. März 1990 (Modrow-Fälle). Weder die THA noch die BvS waren Herren des Verfahrens. Die gesetz­lichen Ansprüche mussten bei den Landesämtern zur Regelung offener Vermögensfragen angemeldet werden. Am 1. Januar 1995 lagen bei der BvS 15.284 Anträge aus den neuen Ländern auf Unternehmensrestitution vor, Ende Dezember 2000 waren es bereits 18.420 Anträge. Zu diesem Zeitpunkt waren die Rückgabe noch aktiver Unternehmen und der Modrow-Fälle bereits abgewickelt. Von den in den Jahren 1995 bis 1998 anstehenden Fällen wurden nur noch wenige auf dem Weg der Naturalrestitution, die meisten im Rahmen der Erlösauskehr beschieden. Nach Beendigung der

94 Gesetz über die Gründung und Tätigkeit privater Unternehmen und über Unternehmensbeteiligungen vom 7. März 1990 (Gesetzblatt der DDR I Nr. 17, S. 141). Reprivatisierung |

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BvS waren allerdings noch 2.160 Reprivatisierungsanträge unerledigt. Nach dem Abschlussbericht der Treuhand wurden dabei folgende Ergebnisse erzielt: –– 10.862 Reprivatisierungen an die Alteigentümer, Mitarbeiter und Führungskräfte der Unternehmen 95, –– mehr als 3.000 Fälle von Management-Buy-Out (MBO)96. Bei der Grundstücksrestitution kam nur eine Naturalrestitution oder Erlösauskehr in Frage. Von über 9.700 Anträgen waren im Dezember 2000 87 Prozent erledigt.97 Zur Sicherung der gesetz­lichen Rückübertragungsansprüche ordnet das Vermögensgesetz für jeden Vermögensgegenstand, der von einem Rückübertragungsanspruch betroffen ist, eine Vermögenssperre an, d. h. Veräußerungen sind zunächst untersagt. Mit dem Investitionsvorranggesetz (InVorG)98 vom 14. Juli 1992 war es mög­lich, dass der Rückübertragungsanspruch „und damit die Veränderungssperre zurücktreten muss, wenn ein privater Investor unter Zusage von Arbeitsplätzen und Investitionen zum Erwerb eines Grundstücks oder Unternehmens bereit ist und der anspruchstellende Alteigentümer nicht mindestens gleichwertige Zusagen macht“.99 In der Gemengelage unterschied­licher Zeitpunkte, Interessen und Institutionen ergeben sich erheb­liche Problempotenziale, z. B. eine unterschied­liche Behandlung von Enteignungen nach Zeiträumen: 1933 bis 1945 (Enteignungen durch die Nationalsozialisten), 1945 bis 1949 (Enteignungen durch die SMAD) und ab 1949 (Enteignungen durch die DDR). Um die in DDR -Zeiten entstandenen Wertminderungen auszugleichen, hat die THA/BvS von 1990 bis Ende 2002 finanzielle Leistungen in einer Größenordnung von 3,6 Mrd. DM an die zurückgegebenen Unternehmen geleistet. Beispiele für gelungene Reprivatisierungen in Thüringen sind u. a. die Firma N. L. Chrestensen Erfurter Samen- und Pflanzenzucht GmbH, die 95 Vgl. BvS-Abschlussbericht, S. 417. 96 Vgl. Jürgen Müller: Strukturelle Auswirkungen der Privatisierung durch die Treuhand­anstalt, in: Fischer/Hax/Schneider (Hg.): Treuhand­anstalt, S. 397 – 399. 97 Vgl. BvS-Abschlussbericht, S. 417. 98 Gesetz über den Vorrang für Investitionen bei Rückübertragungsansprüchen nach dem Vermögensgesetz (Investitionsvorranggesetz), vgl. Bundesgesetzblatt 1992 I Nr. 33 vom 21. Juli 1992, S. 1268 – 1275. 99 Vgl. BvS-Abschlussbericht, S. 73.

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Firma StrickChic GmbH in Apolda, die Bauerfeind KG in Zeulenroda, das Unternehmen GPM GmbH in Merbelsrod sowie die Otto Bock GmbH & Co. KG in Königsee.100 In Südthüringen wurden viele kleine Betriebe erfolgreich reprivatisiert, es ist die Region mit der höchsten Reprivatisierungsquote.

Privatisierung in Handel, Land- und Forstwirtschaft, Handwerk Ein weiterer Auftrag der THA bestand in der Privatisierung der volkseigenen und weltweit größten Handelsorganisation HO. Bis zum 31. Dezember 1989 bestanden 29.790 Ladengeschäfte, Gaststätten, Hotels und Gasthöfe. Im Jahre 1991 hat das Entflechtungsgesetz die Weichen für eine Neuordnung der staat­lichen Handelsorganisation gestellt. Die HO hatte einen zentralistischen Aufbau: HO -Betriebe – Bezirksdirektionen – Räte der Bezirke – HO-Generaldirektion – Ministerium für Handel und Versorgung. Mit der Überleitung des Handels in die Marktwirtschaft wurde zunächst der regionale Marktanteil von HO und Konsum auf insgesamt 25 Prozent reduziert. Die verbleibenden 75 Prozent wurden den großen westdeutschen Handelsketten angeboten, die ihrerseits sehr schnell regionale Schwerpunkte untereinander vereinbarten. Die HO-Betriebe wurden in Kapitalgesellschaften umgewandelt und die THA gründete am 9. Oktober 1990 die Gesellschaft zur Privatisierung des Handels (GPH) mit dem Auftrag, alle dem Ministerium für Handel und Tourismus gehörenden Unternehmen, Betriebe und Vermögen zu privatisieren.101 20.490 Geschäfte, Hotels etc. in den neuen Ländern wurden in den Anfangsbestand der GPH übertragen. Ihre Privatisierung erfolgte durch die GPH und die 15 Treuhandniederlassungen. Der erste dabei zu beachtende Grundsatz war die vertrag­liche Verpflichtung des Käufers, die Arbeitsverhältnisse nach § 613a BGB zu übernehmen. Die Treuhandniederlassungen hatten alle Geschäfte, Hotels und Gasthöfe dreimal getrennt auszuschreiben. Bei diesen Ausschreibungsaktionen wurden 100 Vgl. Treuhand Erfurt – Chronik einer Niederlassung, S. 88 – 93, wo einige der Unternehmen vorgestellt werden. 101 Vgl. Wolfgang Bernhardt: HO – Die Privatisierung eines Verkaufsnetzes (Einzelhandel), in: Breuel/Burda (Hg.): Die Treuhand­anstalt 1990 bis 1994, S.  80 – 94. Privatisierung in Handel, Land- und Forstwirtschaft, Handwerk  |

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folgende Privatisierungsergebnisse erzielt: Zwischen dem 9. Oktober 1990 und dem 30. Juni 1991 fanden 10.740 Geschäfte und 2.300 Hotels oder Gaststätten neue Besitzer, dabei konnten 120.000 Arbeitsplätze gesichert werden. 5.970 Immobilien konnten wegen Rückforderungen nicht privatisiert oder mussten geschlossen werden.102 Erledigt hat sich die Privatisierung des Handels durch die großen Handelsketten, die die meisten kleineren und mittelgroßen Ladengeschäfte übernommen haben. Der Privatisierung von land- und forstwirtschaft­lichem Vermögen ging eine leidenschaft­liche Auseinandersetzung über deren Rechtsgrundlagen voraus. Die Bodenverwertungs- und -verwaltungsgesellschaft (BVVG) folgte dem Rechtsgrundsatz: „Rückgabe vor Entschädigung“. In Wirk­lichkeit waren die land- und forstwirtschaft­lichen Unternehmen vor und nach der Wiedervereinigung in Landwirtschaft­lichen Produktionsgenossenschaften eingebunden. Keine Anwendung fand die Rückgabe bei den Alteigentümern, die im Zuge der sogenannten Demokratischen Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone von 1945 bis 1949 enteignet wurden. Der letzte Ministerpräsident der DDR, Lothar de Maizière, begründete dieses Verfahren mit einem Restitutionsverbot, das Michail Gorbatschow ausgesprochen habe. In einer Erklärung, die am 27. März 1990 von der Nachrichtenagentur TASS verbreitet wurde, teilte die Regierung der UdSSR mit, dass „die 1945 bis 1949 von der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland verwirk­lichten Wirtschaftsmaßnahmen gesetzmäßig waren.“ Es sei daher nicht mög­lich, die „seinerzeit mit Einwilligung oder auf Beschluß der sowjetischen Seite“103 erworbenen Rechte den gegenwärtigen Besitzern von Boden und anderen Vermögens in der DDR streitig zu machen. Die Gemeinsame Erklärung der Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik zur Regelung offener Vermögensfragen vom 15. Juni 1990 stellte in Ziffer 1 fest: „Die Enteignungen auf besatzungsrecht­licher bzw. besatzungshoheit­licher Grundlage (1945 bis 1949) sind nicht mehr rückgängig zu machen. Die Regierungen der Sowjetunion und der Deutschen Demokratischen Republik sehen keine Mög­lichkeit, die damals getroffenen Maßnahmen zu revidieren. Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland nimmt dies im Hinblick auf die historische Entwicklung zur Kenntnis. Sie ist der Auffassung, daß einem 102 Vgl. Dokumentation Treuhand­anstalt, Bd. 8, S. 233 – 235. 103 Vgl. dazu Deutsche Einheit. Sonderedition aus den Akten des Bundeskanzleramtes, S. 989 Anm. 4.

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künftigen gesamtdeutschen Parlament eine abschließende Entscheidung über etwaige staat­liche Ausgleichsleistungen vorbehalten bleiben muß.“104 Umstritten ist auch das im Einigungsvertrag vorgesehene und vom Bundesverfassungsgericht bestätigte Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz.105 Es sieht ein Flächenerwerbsprogramm zur Förderung der Landwirtschaft in den neuen Ländern vor. De facto werden damit die ortsansässigen Pächter begünstigt, die überwiegend aus den Rechtsnachfolgern der früheren LPG hervorgegangen sind. Darin sehen die Alteigentümer einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot und einen Verstoß gegen die Beihilfevorschriften des EU-Vertrages. Die BVVG steht demnach bei der Wahrnehmung ihrer Privatisierungsaufgaben in einer ständigen Auseinandersetzung mit den Alteigentümern und mit solchen Betriebsinhabern, die sich dagegen wehren, Ackerland nicht mehr zur Erzeugung von Lebensmitteln, sondern zur Energiegewinnung zu nutzen. Die Lebensmittelindustrie umfasste Ende 1989 579 Betriebe mit 275.000 Beschäftigten und war in Branchenkombinate zusammengefasst. Die Produktionsanlagen waren weitgehend verschlissen und 20 Jahre im Rückstand. Die bekannten Handelsmarken, z. B. bei Bier, Zucker, Backwaren, Wurst, bildeten schnell Nachfolgeunternehmen mit geänderter Rechtsform (AG). Sie wurden von westdeutschen Großunternehmen zügig übernommen, etwa von westdeutschen Brauereigruppen und Mühlen. Im Zuge der Privatisierung der Lebensmittelbetriebe fand ein starker Personalabbau statt. Insgesamt hatte die THA von den übernommenen 860 Betrieben Ende Juni 1993 noch 50 in ihrem Bestand, 440 waren privatisiert, 108 reprivatisiert und 241 abgewickelt.106 104 Gemeinsame Erklärung der Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik zur Regelung offener Vermögensfragen, 15. Juni 1990, vgl. Bundesgesetzblatt 1990 II Nr. 35 vom 28. September 1990, S. 1237 f., hier S. 1237. Die Gemeinsame Erklärung wurde als Anlage III in den Einigungsvertrag aufgenommen. 105 Gesetz über die Entschädigung nach dem Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen und über staat­liche Ausgleichsleistungen für Enteignungen auf besatzungsrecht­licher oder besatzungshoheit­licher Grundlage (Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz – EALG) vom 27. September 1994, vgl. Bundesgesetzblatt 1994 I Nr. 65 vom 30. September 1994, S. 2624 – 2628. 106 Vgl. Schmidt: Strategien der Privatisierung, in: Fischer/Hax/Schneider (Hg.): Treuhand­anstalt, S. 233 f. Privatisierung in Handel, Land- und Forstwirtschaft, Handwerk  |

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Das Handwerk war in der DDR auf Kleinbetriebe bis zu maximal zehn Mitarbeiter begrenzt. 1955 wurde mit der Verordnung über Produktionsgenossenschaften des Handwerks (PGH) die Kollektivierung des Handwerks eingeleitet. 1972 wurden 1.200 PGH mit 120.000 Mitarbeitern verstaat­licht und in volkseigene Betriebe umgewandelt. 1976 leitete der Ministerrat der DDR im Interesse einer Verbesserung der Versorgung der Bevölkerung Maßnahmen zu Gunsten des Handwerks ein. Damit sollte der ständig steigende Mangel an Reparatur- und Dienstleistungen behoben werden. Trotzdem hatte die DDR bei der Wiedervereinigung nur eine schlechte Schlussbilanz des Handwerksektors vorzuweisen 107:

private Handwerksbetriebe Beschäftigte PGH Beschäftigte

1989

1949

82.672

303.821

262.651

858.000

2.178 163.668

Die Zahl der privaten Handwerksbetriebe und der Mitarbeiter war seit Gründung der DDR stark gesunken, die durchschnitt­liche Beschäftigtenzahl fast konstant geblieben: 2,8 zu 3,1 Mitarbeiter. Die PGH hatte demgegenüber im Durchschnitt 75,1 Mitarbeiter, sie hätte damit auch leistungsfähiger sein können als der private Handwerksbetrieb, wenn der Staat darauf verzichtet hätte, sie stark zu reglementieren, hoch zu besteuern oder zu verstaat­lichen. Der Handwerkssektor war und blieb in der DDR diskriminiert und deshalb nicht in der Lage, seine volkswirtschaft­lichen Aufgaben zu erfüllen. Die Modrow-Regierung der DDR hat deshalb noch im März 1990 den Versuch unternommen, die PGH zu retten und zu stabilisieren, indem sie deren Steuerdiskriminierung aufhob, sie aus der Aufsicht der Behörden und Planungsorganisationen befreite und ihr Selbstverwaltung und Eigentumsrechte garantierte.108 Sie kam damit aus zwei Gründen zu spät. Das Handwerk hatte sich auf breiter Basis 107 Vgl. Zur Geschichte des Handwerks, in: http://www.handwerk-einbeck. de/pdf_frei/Informationen_rund_um_das_Handwerk/Zahlen-Daten-­ Fakten_1900-2000.pdf (Abruf: 26. Juni 2014). 108 Vgl. Helga Schultz: Produktionsgenossenschaften des Handwerks in der DDR und in der Transformationsphase, S. 11 (http://www.helgaschultz.de/download/ Produktionsgenossenschaften_des_Handwerks.pdf, Abruf: 27. März 2014).

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in einer Abstimmung für die Rechtsform GmbH bei Betrieben entschieden und am 21. Dezember 1990 wurde auf der Grundlage der Handwerksordnung der Bundesrepublik Deutschland in Erfurt mit Wolfgang Bachmann erstmals in den neuen Ländern der Präsident einer Handwerkskammer frei gewählt. Kurze Zeit später wurde diese Handwerksordnung in Kraft gesetzt. Das Hemmnisbeseitigungsgesetz vom 28. März 1991 forderte aber eine Entscheidung der PGH -Mitglieder und deren Verbände über das Fortbestehen der Genossenschaft und die neue Rechtsform. Das Ergebnis der Entscheidung war jedoch anders als erwartet. Weniger als ein Fünftel der Handwerksgenossenschaften gingen wegen Überalterung der Mitglieder, der schlechten Geschäftsaussichten oder wegen Streitigkeiten unter den Genossen über die Aufteilung des gemeinsamen Fonds in Liquidation. Die übrigen Genossenschaften bewältigten die Transformation zur Marktwirtschaft, aber nicht als Genossenschaft, sondern als GmbH. Der Prozess der Umwandlung von Genossenschaften in Gesellschaften ging auch nach Fristablauf weiter, drei Jahre später existierten nur noch ein Prozent aller Handwerksbetriebe als Genossenschaft, während zwei Drittel Meisterbetriebe und ein Drittel bürger­liche Gesellschaften waren.109 Die wichtigste Rolle bei dem Umwandlungsprozess spielten Haftungsfragen (Gesellschaft mit beschränkter Haftung). Außerdem verhieß die GmbH eine größere Stabilität als die Genossenschaft, da die Gesellschafter nicht so leicht austreten können.110 In Thüringen hat Mitte der 1990er Jahre im Baubereich eine Gründerzeit begonnen, die erheb­liche Auswirkungen auf das Handwerk hatte. Sein Anteil an der Bruttowertschöpfung belief sich in den neuen Ländern 1995 auf 17 Prozent, in den alten Ländern nur auf 6 Prozent. Von 1990 bis 1995 verdreifachten sich die Beschäftigtenzahlen, die PGH, die aufgelöst oder umgewandelt wurden, stellten dafür den Grundstock. Auch die Ausbildungsquote stieg sprunghaft. Das Handwerk hat demzufolge den Transformationsprozess schneller abgeschlossen als die anderen Wirtschaftssektoren in Thüringen. Die Handwerksbetriebe waren in der DDR überwiegend private Unternehmen. Die Umwandlung von Handwerksgenossenschaften in Personenoder Kapitalgesellschaften wurde vom Hemmnisbeseitigungsgesetz des Bundes ausgelöst und von den Mitgliedern der Genossenschaft beschlossen. Der Handwerkssektor ist damit auch in den neuen Ländern voll privatisiert. 109 Statistischer Bericht der Handwerkskammer Frankfurt (Oder) vom 31. Dezember 1996, ebd., S. 12. 110 Ebd. Privatisierung in Handel, Land- und Forstwirtschaft, Handwerk  |

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Restaufgaben der Treuhand­anstalt und ihrer Nachfolgeorganisation Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben

Neben dem Auftrag volkseigene Betriebe zu privatisieren, hatte die Treu­ hand­anstalt noch weitere Aufgaben: die Veräußerung von land- und forst­ wirtschaft­lichen Flächen, die Vermögenszuordnung auf die Länder und Kommunen, die Wiedergutmachung von Vermögensschäden, die durch den Nationalsozialismus und den SED-Staat verursacht wurden. Die THA beteiligte sich auf Grund eines Verwaltungsabkommens zwischen dem Bund und den neuen Ländern auch an der Beseitigung ökolo­gischer Altlasten. Nach Art. 9 des Einigungsvertrages ist sie auch der treuhänderische Verwalter des Vermögens der Partei- und Massenorganisationen der ehemaligen DDR . Diese zusätz­lichen Aufgaben waren nach der Schließung der Treuhand­anstalt noch nicht in Gänze erfüllt. Auf der Basis des Gesetzes zur abschließenden Erfüllung der verbleibenden Aufgaben der Treuhand­anstalt vom 9. August 1994111 beendete die Treuhand­anstalt ihre Tätigkeit zum Ende des Jahres 1994. Ihre Restaufgaben sollten von der Nachfolgeorganisation, der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS), wahrgenommen werden. Ein Teil der Aufgaben der Treuhand­anstalt wurden von folgenden Geschäftsbesorgern (Tochtergesellschaften) durchgeführt: der Bodenverwertungs- und -verwaltungsgesellschaft (BVVG ) und der Treuhand-­ Liegenschaftsgesellschaft (TLG). Für beide war die BvS recht­lich zuständig. Die Wahrnehmung aller übrigen Aufgaben verblieb bei der BvS. Ihre Aufgabe war es zunächst, die noch offenen Privatisierungsverfahren zu beenden, Konsolidierungshilfen für privatisierte Unternehmen in Schwierigkeiten zu gewähren und das Vertragsmanagement zu übernehmen. Auf all diesen Sektoren bestand im Freistaat Thüringen ein akuter Handlungsbedarf. In zahlreichen Fällen drohte die Privatisierung zu scheitern und eine Zweitprivatisierung stand bevor. Die BvS hat immer wieder Mittel und Wege gefunden, zusammen mit dem Freistaat solche Existenzprobleme zu lösen.

111 Vgl. Bundesgesetzblatt 1994 I Nr. 54 vom 16. August 1994, S. 2062 – 2065. Restaufgaben der Treuhandanstalt und ihrer Nachfolgeorganisation  |

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Vordring­lich war auch die Privatisierung von Treuhand-Liegenschaften in Thüringen, denn ungelöste Immobilienprobleme erschwerten den Aufbau des Landes. Die Sanierung und Wiedernutzung von Industriebrachen geriet ins Stocken, bei den strukturpolitischen Großvorhaben der LEG waren die Finanzierungsfragen ungelöst und die erschreckenden Umweltaltlasten, nicht nur in der Wismutregion 112, sondern auch an zwei anderen Großstandorten und zahlreichen kleineren Altlastengebieten drohten das Land zu überlasten. Die Treuhand­anstalt allein bzw. die TLG hatte die Immobilienprivatisierung bis zum Zeitpunkt ihrer Beendigung nur zu einem kleineren Teil gelöst. Diese Aufgaben erlangten deshalb bei der BvS und ihren Geschäftsbesorgern ein großes Gewicht.

Vertragsmanagement Für die Privatisierung lag ein eindeutiger gesetz­licher Auftrag vor, der durch interne Richtlinien der THA konkretisiert wurde.113 Daraus ergaben sich die wesent­lichen Entscheidungskriterien für die Vergabe sowie die Vorgaben für die Vertragsgestaltung. Grundsätz­lich mussten in die Privatisierungsverträge folgende Punkte, jeweils mit den entsprechenden Erfüllungsterminen, aufgenommen werden: –– Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen, –– Durchführung von Investitionen, –– Pönalen zur Absicherung von Arbeitsplatz- und Investitionszusagen, –– Beteiligung an der Altlastensanierung, –– Kaufpreismodell. Nach der notariellen Beurkundung des Privatisierungsvorgangs war die Aufgabe der Privatisierungsverantwort­lichen abgeschlossen. Die erforder­ lichen Unterlagen (Verträge, Entscheidungsvorlagen mit Anlagen etc.) 112 Zu den Kosten der Wismut-Sanierung vgl. die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage (Bundestag-Drucksache 17/5766) zu „Stand der Sanierungsarbeiten bei der Wismut GmbH, Kosten, Einnahmen, Umweltbelastungen und sonstige Schäden“, Bundestag-Drucksache 17/6237 vom 21. Juni 2011 (http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/062/1706237.pdf, Abruf: 7. Juli 2014). 113 Der folgende Beitrag basiert auf der Studie der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben, vgl. BvS-Abschlussbericht, S. 118 – 139.

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wurden daraufhin an das Vertragsmanagement übergeben. Die Aufgaben des Vertragsmanagements waren dann: die Wirksamkeitsvoraussetzungen zu schaffen bzw. deren Eintritt festzustellen, die Erfüllung der durch die THA zu erbringenden Leistungen sicherzustellen sowie die Erfüllung der vertrag­lichen Pf­lichten des Vertragspartners zu überwachen und gegebenenfalls durchzusetzen. Bereits mit dem Abschluss der ersten Privatisierungsverträge ergab sich die Notwendigkeit eines strukturierten und durch Regelungen fundierten Aufgabenbereichs „Vertragsmanagement“. Erfüllungszusagen, z. B. für den Erhalt bzw. die Schaffung von Arbeitsplätzen waren häufig bereits unmittelbar nach Vertragsabschluss zu kontrollieren. Vertragsmanagementaufgaben ergaben sich beispielsweise in den Jahren –– 1990 bei 48 Verträgen, –– 1991 bei 3.289 Verträgen, –– 1992 bei 8.094 Verträgen, –– 1993 bei 10.425 Verträgen. Aufgrund der Konzentration der THA auf die Privatisierung fand sich für den Aufgabenbereich „Vertragsmanagement“ über längere Zeit jedoch organisatorisch keine deut­liche Lösung. Noch 1993 waren vielfach die Organisationseinheiten des Vertragsmanagements den Privatisierungsdirektoren sowohl in der Zentrale als auch in den Niederlassungen angegliedert. Erst im Laufe des Jahres 1993 und 1994 wurden branchenorientierte Direktorate für Vertragsmanagement eingerichtet. Die Niederlassungen wurden nach jeweiligem Abschluss der Privatisierung in Geschäftsstellen umgewandelt, deren wesent­liche Aufgabe das Vertragsmanagement war. Die THA hatte von 1990 bis 1994 ca. 42.000 Privatisierungsverträge abgeschlossen. Ab 1995, nach ihrer Umwandlung in die BvS, kamen weitere 12.000 Verträge hinzu. Dies war eine enorme Leistung des Privatisierungsbereichs der THA, für das Vertragsmanagement ergab sich daraus aber eine neue Herausforderung. Eine wesent­liche Grundlage musste zuerst geschaffen werden, bevor die Kontrolle der Vertragserfüllung begonnen werden konnte. Die Privatisierungsverträge mussten systematisch erfasst und hinsicht­lich der verschiedenen Erfüllungsinhalte analysiert werden. Vor allem war wichtig, die Erfüllungshorizonte transparent zu machen, z. B. in welchen Stufen und zu welchen Terminen war ein Arbeitsplatzaufbau vertrag­lich vereinbart, oder zu welchen Terminen waren Abschlüsse von Investitionsvorhaben zugesagt worden. Für diese umfangreiche Aufgabe wurde ein DV-System entwickelt, das sogenannte VA-System. Dieses VA-System musste darüber hinaus laufend gepflegt werden. Die nach Vertragsabschluss eingetretenen Vertragsmanagement |

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Veränderungen, beispielsweise Eintritt der Wirksamkeit des gesamten Vertrags bzw. einzelner Vertragsteile, Zeitpunkte der Erfüllung vertrag­licher Vereinbarungen sowie die Verbindung zur Pönale bei nicht rechtzeitiger oder unvollständiger oder fehlender Erfüllung, musste laufend eingegeben werden. Das VA-System diente auch als Datenbasis für nachgelagerte Prozesse (etwa Finanzbereich der BvS, Altlastendokumentation, Statistik etc.) und musste dementsprechend ausgestaltet sein. Nach Prüfung wurden die im VA-System gespeicherten Daten freigegeben. Jeder Vertrag erhielt seine Systemnummer, die ihn im Verlaufe seines „Vertragslebens“ sowohl bei der Behandlung im Vertragsmanagement als auch in der Verarbeitung in anderen Bereichen, z. B. der statistischen Erfassung kennzeichnete. Insgesamt wurde festgestellt, dass das VA -System den Anforderungen sowohl als Arbeitsinstrument für das Vertragsmanagement als auch als Führungsinstrument beispielsweise für die Finanzplanung und -steuerung gerecht geworden war. Nach der Erfassung und Analyse der Verträge begann die zweite Phase des Vertragsmanagements. Es war zunächst die Wirksamkeit des Vertrages herzustellen. Viele Verträge wurden mit einer aufschiebenden Bedingung abgeschlossen („schwebend unwirksam“). Beispielsweise mussten Gremien der THA (Vorstand, Verwaltungsrat) oder des Käufers (z. B. Aufsichtsrat) noch entscheiden bzw. genehmigen. Bei großen Privatisierungsobjekten war gelegent­ lich eine Prüfung durch das Bundeskartellamt erforder­lich. Bis zum Vorliegen einer entsprechenden Mitteilung bzw. bis zum Fristablauf war der gesamte Privatisierungsvertrag aus kartellrecht­lichen Gründen schwebend unwirksam. Oft waren auch vermögensrecht­liche Ansprüche auf das Kaufobjekt bzw. Teilbereiche angemeldet. Wenn die Zustimmung zum Erlösauskehr („Entschädigung statt Rückgabe“) nicht bzw. noch nicht vorlag, musste auch hier eine aufschiebende Bedingung formuliert werden. Oftmals war ein Investitionsvorrangverfahren einzuleiten und eine langwierige, häufig auch gericht­liche Klärung der vermögensrecht­lichen Ansprüche war die Folge. Das vermögensrecht­liche Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung“ und die Klärung des Investitionsvorrangs hatten sich in der Privatisierungsphase noch nicht hinder­lich ausgewirkt. Der Abschluss von Privatisierungsverträgen wurde nicht wesent­lich verzögert. Die Normen des Investitionsvorranggesetzes boten hinreichende Grundlagen zum Vertragsabschluss. Allerdings ist dann oftmals die aufschiebende Bedingung, die Einigung mit dem Anspruchsteller, bei solchen Verträgen erst nach längeren Verwaltungs- und Gerichtsprozessen in der Periode des Vertragsmanagements eingetreten. Über 18.000 unternehmensbezogene Ansprüche und ca. 10.000 Grundstücksansprüche waren angemeldet worden. Daraus lässt sich schlussfolgern, 96

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dass bei vielen Privatisierungsverträgen vermögensrecht­liche Ansprüche zu berücksichtigen und zu klären waren. Daraus ergab sich auch eine große Zahl von Verträgen, die nach Abschluss der Privatisierungsphase schwebend unwirksam blieben. Die aktive Zusammenarbeit zwischen Vertragsmanagement und den zuständigen Vermögensämtern konnte hier beschleunigend wirken. Selbst wenn keine vermögensrecht­lichen Ansprüche vorlagen, hatten die notwendigen Grundbuchrecherchen, sofern im Vertrag Grundstücke betroffen waren, meist auch zu einer aufschiebenden Bedingung geführt. Die erforder­liche Grundstücksverkehrsgenehmigung konnte nur bei eindeutigen Grundbuchverhältnissen erteilt werden. Hier führten oftmals auch unberechtigte vermögensrecht­liche Ansprüche zu Verzögerungen bei der Herstellung der Wirksamkeit von Verträgen. Eine Erleichterung mit Beschleunigungseffekt ergab sich jedoch aus der Ermächtigung der THA, Bescheide der Grundstücksverkehrsgenehmigung selbst auszufertigen. Bei diesen Aufgabenfeldern des Vertragsmanagements waren in hohem Maße juristische Kenntnisse erforder­lich, um vor allem auch recht­liche Lücken und Unkorrektheiten aus der Privatisierungsphase auszugleichen. Weitere aufschiebende Bedingungen waren die Vorlage von Finanzierungsnachweisen für den Kaufpreis (z. B. unbedingte Finanzierungsbestätigung einer Bank, selbstschuldnerische Bürgschaft eines Bürgen mit entsprechender Bonität etc.). Die Privatisierungsrichtlinien sahen Kaufpreissicherheiten vor, vor allem, wenn Teilzahlung vereinbart war. Die Mög­lichkeit, Sicherheiten nachzureichen, hat in vielen Fällen die Privatisierungsabläufe beschleunigt, allerdings mit Erfüllungsrisiken und zusätz­lichen Aufgaben für das Vertragsmanagement. Erst nach Eintritt der schuldrecht­lichen Wirksamkeit konnte eine Erfüllungskontrolle durch das Vertragsmanagement auch zu entsprechenden Konsequenzen führen. Investitions- und Beschäftigungszusagen waren die wichtigsten Vertragselemente, die von den Käufern zu erfüllen waren. In der Anfangsphase der Privatisierung waren gelegent­lich diese Zusagen als nicht bindende Absichtserklärungen formuliert. Ab 1991 sahen die Privatisierungsrichtlinien eine zwingende einklagbare Zusage von Investitionen und Beschäftigung vor. Der Musterkaufvertrag aus den Privatisierungsrichtlinien der THA enthält hierzu beispielsweise folgende Passagen: –– § 5 Investitionsverpf­lichtung 1.  Der Käufer steht dafür ein, dass die Gesellschaft entsprechend dem als Anlage X beigefügten Investitionsplan bis zum XXX Investitionen mit einem Gesamtvolumen von X DM durchführt und diese Investitionen in der Gesellschaft dauerhaft verbleiben. Zeit­liche und positionsmäßige Vertragsmanagement |

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Verschiebungen innerhalb des Investitionsplans bedürfen der Zustimmung der Verkäuferin, die diese Zustimmung nicht ohne berechtigten Grund verweigern wird. 2.  Als Investitionen gelten die sich aus dem Anlagenverzeichnis der Gesellschaft ergebenden, nach § 255 HGB zu bewertenden Anschaffungs- und Herstellungskosten für die im gesamten Zeitraum zugehenden aktivierungspf­lichtigen Gegenstände des Anlagevermögens. 3.  Der Käufer wird der Verkäuferin die Durchführung dieser Investitionen durch unverzüg­liche Vorlage der den Investitionszeitraum betreffenden, vom Wirtschaftsprüfer geprüften Jahresabschlüsse der Gesellschaft bis zum jeweils XX des Folgejahres nachzuweisen. 4.  Für den Fall, dass sich aus dem bis spätestens XX vorzulegenden Jahresabschluss der Gesellschaft zum 31.12.X ergibt, dass die getätigten und dauerhaft in der Gesellschaft verbleibenden Investitionen um mehr als 10 Prozent hinter dem Gesamtvolumen von DM X zurückbleiben, zahlt der Käufer eine Vertragsstrafe in Höhe des Betrages, um den die getätigten und dauerhaft in der Gesellschaft verbleibenden Investitionen hinter dem Gesamtvolumen von DM X zurückbleiben, zu zahlen nach Maßgabe des § 4, Ziff. 3. 5.  Die Vertragsstrafe wird mit Ablauf des Tages zur Zahlung fällig, an dem der Käufer die Einhaltung der Investitionsverpf­lichtung nach Ziff. 3  letztmalig nachzuweisen hat. 6.  Nicht zur Zahlung einer Vertragsstrafe nach vorstehender Ziff. 3 führen Ereignisse, die eine Investition des Käufers wie in dem Investitionsplan vorgesehen, unmög­lich machen, wenn und soweit der Käufer die Unmög­lichkeit nachweist. –– § 6 Beschäftigungsgarantie 1.  Bei Abschluss dieses Vertrages beschäftigt die Gesellschaft XX Vollzeit- und XX Teilzeitarbeitnehmer. 2.  Der Käufer steht dafür ein, dass die Gesellschaft diesen Beschäftigungsstand – unter Einbeziehung gegebenenfalls neu einzustellender Arbeitnehmer – beibehält und darüber hinaus bis zum XX nochmals XX Vollzeitarbeitnehmer einstellt und den damit erreichten Beschäftigungsstand bis zum XXX aufrechterhält. 3.  Der Käufer verpf­lichtet sich, dafür zu sorgen, dass der Verkäuferin am 31.03.X1, am 31.03.X2 und am 31.03.X3 eine Erklärung des Wirtschaftsprüfers der Gesellschaft zugeht, aus der sich der Beschäftigungsstand der Gesellschaft im Sinne von Ziff. 2 ergibt.

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4.  Der Käufer zahlt an die Verkäuferin für jeden von der Gesellschaft entgegen der Verpf­lichtung nach Ziff. 2 nicht beschäftigten Arbeitnehmer eine Vertragsstrafe von  DM 3000,-- (Deutsche Mark; dreitausend) pro Monat der Nichtbeschäftigung für den Zeitraum der Nichteinhaltung der Verpf­lichtung. 5.  Diese Vertragsstrafe wird jeweils für das abgelaufene Kalenderjahr mit Ablauf des Tages zur Zahlung fällig, an dem der Käufer die Einhaltung des Beschäftigungsstandes im Sinne der Ziff. 2 spätestens nachzuweisen hat. Grundlage der Privatisierungsentscheidung war das Unternehmenskonzept des Käufers. Die Prüfung dieses Konzepts oblag den Privatisierungs­ verantwort­lichen. Investition und Beschäftigung waren die wesent­lichen Konsequenzen dieses Konzepts. Das Vertragsmanagement hatte die Einhaltung dieser Zusagen zu überprüfen, aber nicht mehr das ursprüng­liche Unternehmenskonzept. Für die Kontrolltätigkeit des Vertragsmanagements war der Informationsfluss, der in den meisten Fällen auch vertrag­lich abgesichert war, von erheb­licher Bedeutung. Insgesamt kann nachträg­lich festgestellt werden, dass die Aufgabenstellung durch das Vertragsmanagement vor allem auch zeit­lich konzentriert erfüllt werden konnte. Dies kommt auch in folgenden Ergebniszahlen von 1994 zum Ausdruck (geprüft wurden Verträge aus den Jahren 1991, 1992 und 1993): Beschäftigung: –– 1991 geprüft: 82 Prozent Beschäftigungszusagen: 201.670 tatsäch­liche Beschäftigung: 229.389 114 Prozent –– 1992 geprüft: 84 Prozent Beschäftigungszusagen: 412.219 tatsäch­liche Beschäftigung: 478.282 116 Prozent –– 1993 geprüft: 49 Prozent Beschäftigungszusagen: 261.951 tatsäch­liche Beschäftigung: 292.942 112 Prozent. Investitionen: –– 1992 geprüft: 90 Prozent Investitionszusagen: 226 Mio. tatsäch­liche Investitionen: 278 Mio. 123 Prozent –– 1993 geprüft: 88 Prozent Investitionszusagen: 416 Mio. tatsäch­liche Investitionen: 524 Mio. 126 Prozent. Hier konnte darüber hinaus das Vertragsmanagement auch über eine nicht unerheb­liche Übererfüllung der Zusagen berichten. Zur einheit­lichen Regelung der zahlreichen Einzelfälle, über die das Vertragsmanagement zu befinden hatte, mussten ausführ­liche, verbind­liche

Vertragsmanagement |

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Grundsätze und Handlungsrichtlinien erlassen werden, die ab 1995 für die BvS Gültigkeit hatten. Diese waren im Wesent­lichen: –– Keine Fürsorgepf­licht: Mit Abschluss des Privatisierungsvertrags ging die Verantwortung für den wirtschaft­lichen Erfolg und auch das Risiko auf den Käufer über. Die BvS schuldete über die vertrag­lichen Vereinbarungen hinaus keine Leistungen. –– Keine Rücknahme privatisierter Unternehmen: Eine Rücknahme war mit dem Privatisierungsauftrag der THA unvereinbar. Als einzige Ausnahme war ein erkennbar strafrecht­lich relevantes Verhalten des Käufers bei der Privatisierung denkbar. Dabei sollte aber die Rücknahme des Unternehmens die einzige Alternative zur Verhinderung oder Minderung von Schaden für die BvS darstellen. Solche Fälle waren jedoch äußerst selten. –– Keine Rechtspf­licht der BvS zur Vertragsanpassung: Auch bei erheb­lichen Veränderungen bzw. Verschlechterungen des wirtschaft­lichen Erfolgs des privatisierten Unternehmens gab es keinen Rechtsanspruch auf Vertragsauflösung oder -anpassung. Das Vertragsmanagement hatte jedoch einen Ermessensspielraum, über Vertragsanpassungen eine Schadensbegrenzung für das betroffene Unternehmen zu erzielen. Wegen der Verschlechterung der gesamtwirtschaft­lichen Lage Mitte der 1990er Jahre ergaben sich zunehmend Anlässe zur Ausübung des Ermessensspielraums. Bei vielen Verträgen waren die konzeptionellen Voraussetzungen nicht mehr zutreffend, so dass vor allem die Investitions- und Beschäftigungszusagen nicht in vollem Umfang bzw. nicht zu den zugesagten Terminen realisierbar waren. Hier war die „Escape-Klausel“ hinsicht­lich der Investitionsverpf­lichtung eine erste Mög­lichkeit der vertrag­lichen Anpassung. Die Zahlung der Vertragsstrafe konnte erlassen werden, sofern die Unmög­ lichkeit der Durchführung der Investitionspläne vom Käufer nachgewiesen wurde. Dies war jedoch eine Anpassungsmodalität, die in vielen Fällen nicht zu einer nachhaltigen Stabilisierung des Unternehmens beitragen konnte. Daher musste der Ermessensspielraum erweitert ausgenutzt werden. Dies führte aber zunehmend zu einer Einschränkung des Grundsatzes der fehlenden Fürsorgepf­licht der BvS. –– Grundsatz der Sparsamkeit und Wirtschaft­lichkeit: Das Vertragsmanagement hatte bei jedem Alternativszenario von Maßnahmen abzuwägen, welches dem Privatisierungszweck am besten gerecht wurde, z. B. eine Streckung der Realisationstermine von Beschäftigungsund Investitionszusagen, eine Auffanglösung oder gar eine finanzielle Unterstützung. 100

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Trotz dieser eng formulierten Grundsätze war bei Erfüllungsstörungen durch den Käufer meist über Stundung, Erfüllungsverzicht oder finanzielle Leistungen der BvS zu befinden. In diesem Zusammenhang musste oftmals die der Privatisierung zugrunde gelegte Konzeption angepasst oder geändert werden. Dabei war konsequenterweise eine erneute Prüfung, teilweise auch eine Due-Dilligence-Prüfung erforder­lich. Bei etwa einem Viertel aller Privatisierungsfälle waren Anpassungen aufgrund von Erfüllungsstörungen einzuleiten. Die vertrag­lichen Investitions- und Beschäftigungszusagen waren die Kernelemente der Privatisierung. Deren Prüfung bildete auch den Schwerpunkt der Arbeit des Vertragsmanagements. Daneben gab es aber auch weitere Aufgaben bei der Kontrolle der Vertragserfüllung sowohl seitens des Käufers als auch der THA bzw. der BvS. Hier waren in erster Linie auch Zahlungsströme zu überwachen. Dies galt vor allem für den Kaufpreis, für den oftmals auch Teilzahlungen vereinbart waren. Im Gegenzug waren auch Entschuldungsansprüche durch die THA zu erfüllen, die gelegent­ lich auch mit der Einhaltung von Investitions- und Beschäftigungszusagen gekoppelt waren. Neben direkten und hinsicht­lich Fälligkeit zeit­lich zugeordneten Ansprüchen im Rahmen des Kaufpreismodells enthielten die Verträge häufig auch langfristig wirksame Klauseln, nach denen ein bedingter Zahlungsanspruch für die THA bzw. die BvS entstehen konnte. Dies waren die sogenannten Spekulations- bzw. Mehrerlösklauseln. Entweder führte eine spätere Nachbewertung von Grundstücken im Vermögen des Unternehmens zu einem entsprechenden Mehrwertausgleich oder es mussten im Falle einer Weiterveräußerung Mehrerlöse an die THA bzw. BvS abgeführt werden. Über nennenswerte Zahlungseingänge aufgrund von Nachbewertungen bzw. Mehrerlösabführungen hat jedoch weder die THA noch die BvS berichtet. Darüber hinaus waren in der Regel kaufpreisrelevante Rückstellungen bilanziert, deren zweckgerechte Verwendung zu vereinbarten Jahresabschlussstichtagen durch das Vertragsmanagement zu kontrollieren war. Ein Regelungstatbestand, der in vielen Fällen eine wesent­liche Bedeutung hatte, war die Umweltaltlastenproblematik. Die Aufgabe des Vertragsmanagements bestand dann darin, die Vertragskonformität und Angemessenheit der durchzuführenden Maßnahmen zu prüfen und mit den gesetz­lichen Erfordernissen zu vergleichen. Die komplizierten Sach- und Rechtszusammenhänge führten zu langwierigen Diskussionen wegen unterschied­licher Auslegung der Vertragsinhalte. Daher wurden später vereinfachte Regelungen in die Privatisierungsverträge aufgenommen. Vertragsmanagement |

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Entweder wurde vertrag­lich vereinbart, dass die THA keine Haftung für die Freiheit von Altlasten übernimmt. Das Unternehmen musste Rückstellungen bilden, die sich kaufpreismindernd auswirkten. Hierbei war folgende Klausel des Mustervertrags der Privatisierungsrichtlinien maßgebend: –– § 18 Umweltaltlasten: 1.  Umweltaltlasten sind alle unter den Anwendungsbereich des „Umweltrahmengesetzes vom 29.06.1990“ fallenden ökolo­gischen Altlasten hinsicht­lich der Grundstücke. 2.  Die Gesellschaft hat fristgerecht einen Antrag auf Freistellung von einer Verantwort­lichkeit nach Art. 1 § 4 Abs. 3 Umweltrahmengesetz gestellt. Für eventuelle Altlasten wurden in der Bilanz der Gesellschaft Rückstellungen gebildet. 3.  Die Verkäuferin übernimmt daher keinerlei Haftung für die Freiheit der Immobilien von Altlasten. Alternativ dazu wurde vertrag­lich eine einmalige Zahlung der THA zur Abgeltung von Aufwendungen für die Altlastenbeseitigung vereinbart. In beiden Fällen war das Vertragsmanagement weitgehend von Prüfungsund eventuellen Anpassungshandlungen entlastet. Bei der Lösung der Problemfälle war sowohl das öffent­liche als auch das interne Interesse auf die „Nachverhandlungen“ gerichtet. Als Nachverhandlung musste man eine Auseinandersetzung zwischen Käufer und BvS bezeichnen, die auf eine wesent­liche Änderung des Vertrags gerichtet war. Erfüllungskontrolle und Erfüllungshandlungen waren dagegen Tätigkeiten, die auf die Erfüllung bestehender Verträge gerichtet waren. Die Grenze zwischen diesen beiden Bereichen war fließend und öffent­lich kaum wahrnehmbar. Nachverhandlungen waren insbesondere als Folge der konjunkturellen Verschlechterung in den 1990er Jahren entstanden. In der Regel waren sie als „Sanierungsfälle“ zu kennzeichnen. Vielfach wurde versucht, über „Konzertierte Aktionen“ den Fortbestand des Unternehmens zu sichern. Neben der BvS waren hier die Gremien und Förderinstitutionen des Landes, die finanzierenden Banken sowie die Gewerkschaften und Belegschaftsvertretungen an der Erarbeitung von Lösungen beteiligt. Die Rettungsmaßnahmen hatten aber mög­licherweise wettbewerbspolitisch eine Benachteiligung von Konkurrenzunternehmen zur Folge, andererseits oftmals auch strukturpolitische Bedeutung. Hier befand sich das Vertragsmanagement auf einer Gratwanderung, die es vor schwierige Entscheidungen stellte und Augenmaß bei der Ausübung der Ermessensspielräume erforderte. Die Erfahrungen aus der Zeit des aktiven Vertragsmanagements können zusammenfassend folgendermaßen charakterisiert werden: 102

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–– In der Mehrzahl der Fälle konnte man eine vertragskonforme Erfüllung feststellen. Drei Viertel aller Verträge wurden „normal umgesetzt“. Einschließ­lich der Verträge der TLG, wurden 44.590 Verträge betreut. 5.500 (12 Prozent) waren in der Verantwortung der Zentrale. Der Schwerpunkt (88 Prozent) wurde „vor Ort“ in enger Abstimmung mit den regio­ nal zuständigen Institutionen behandelt. Hier erfuhr die Konzeption einer dezentralen Organisationsform, die sich bei der Privatisierung bewährte, eine nochmalige Bestätigung. Bemerkenswert ist auch, dass das Vertragsmanagement insgesamt eine Übererfüllung von Investitions(124 Prozent) und Beschäftigungszusagen (115 Prozent) feststellen konnte. –– Das Aufgabenfeld des Vertragsmanagements war umfangreicher und komplexer als ursprüng­lich angenommen. Auch der zeit­liche Rahmen war anfäng­lich unterschätzt worden. Dies war einerseits auf wesent­liche Veränderungen des gesamtwirtschaft­lichen Umfelds zurückzuführen, andererseits aber auch verursacht durch anfäng­liche Präzisierungslücken der Richtlinien in der Anfangsphase der Privatisierung, die zu Klärungsbedarf und Auslegungsdiskussionen führten. –– Die Marktaustrittsquote privatisierter Unternehmen von 12 Prozent (Insolvenzen und Liquidationen) während der Zeit der aktiven Betreuung durch das Vertragsmanagement lässt erkennen, dass man mit den zur Verfügung stehenden Kompetenzen und Mitteln, auch im Rahmen von „Konzertierten Aktionen“ in vielen Fällen zur Erreichung der Privatisierungsziele beitragen konnte. –– In Thüringen haben die zuständigen Geschäftsstellen durch aktives Vertragsmanagement sehr wesent­lich zu einer stabilen und positiven Wirtschaftsentwicklung beigetragen.

Abwicklung Ab dem 1. Januar 1995 musste die BvS 3.200 Liquidationsverfahren insgesamt steuern, nachdem vorher die Liquidationsbeschlüsse von der THA gefasst worden waren. Auch in dieser Phase hat sie dennoch vorhandene Privatisierungschancen umfassend verfolgt und nach Meinung von Treuhand-­ Kritikern zu lange gefördert. Das Ziel der BvS, bis Ende 1998 einen Großteil der Liquidationsverfahren zu beenden, wurde verfehlt. Dieses Vorhaben war auch nicht zu vereinbaren mit dem von der THA eigent­lich verfolgten Konzept der „behutsamen Stilllegung“. Es scheiterte dort, wo Absatzmärkte für die Produkte der Unternehmen zusammenbrachen, neue, absatzfähige Abwicklung |

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Produkte nicht vorhanden waren und nicht entwickelt werden konnten, so dass der Zusammenbruch des Unternehmens faktisch seine Stilllegung vorwegnahm. Ein Ausweg aus diesem Dilemma wird im Folgenden am Beispiel eines Krisenunternehmens dargestellt. Es handelt sich um das frühere DDR-Vorzeigeunternehmen Robotron Büromaschinen Werk Sömmerda, nachfolgend als BWS AG bezeichnet, den bekannten ostdeutschen Computerhersteller, der nach der Umwandlung in der Gesellschaftsform einer Aktiengesellschaft fortbestand. Das Unternehmen hat eine 200-jährige ununterbrochene Industriegeschichte. Nach der Wiedervereinigung wurden umfangreiche Anstrengungen unternommen, um eine Verwertung der Fabrikation oder Teilen davon durch entsprechende internationale Partnersuche durch die in der THA zuständige Brancheneinheit zu erreichen. Diese Bemühungen waren nicht erfolgreich. Als Entscheidungsgrundlage für das weitere Vorgehen veranlasste die THA als Gesellschafterin der früheren staat­lichen Unternehmen entsprechend der vorgesehenen Vorgehensweise eine Beurteilung der allgemeinen betrieb­lichen Sanierungsfähigkeit des Unternehmens durch eine Wirtschaftsprüfungs- oder Unternehmensberatungsgesellschaft. Diese verneinte im Fall der BWS AG positive Aussichten der Weiterführung der bisherigen Produktion bei Kostenreduzierung oder durch Ertragssteigerung. Mithin wurde die Phase der Abwicklung eingeleitet. Die Entscheidung der THA darüber, ob eine Abwicklung in Form der Gesamtvollstreckung oder in Form der stillen Liquidation erfolgen sollte, war zwar zunächst noch nicht gefällt. Sie sollte sich aber als sehr bedeutsam für eine Vielzahl von Unternehmen herausstellen. Es gab Bestrebungen, die THA ausschließ­lich von dem Weg des gesetz­ lich geregelten gericht­lichen Gesamtvollstreckungsverfahrens als einzigen Weg der Abwicklung zu überzeugen. Der spätere Liquidator der BWS AG wurde mit einer gutachter­lichen Stellungnahme zur Frage der Verfahrensformen beauftragt. Er empfahl die Liquidation als Abwicklungsform. Die Empfehlung zu Gunsten der sogenannten stillen Liquidation hatte den Vorteil, dass die Gesellschafterin der zu liquidierenden Unternehmen Einfluss auf den Verlauf der Abwicklungsphase nehmen konnte. Die Liquidation zeichnete sich gegenüber der Gesamtvollstreckung dadurch aus, dass die Gesellschafterin auf das Hauptziel – Einstellung des Geschäftsbetriebs und Verwertung des Anlagevermögens und auf die Erhaltung oder Umstrukturierung des Anlagevermögens – sowie auf die Erhaltung und Umstrukturierung erhaltensfähiger Kerne Weisungen erteilen kann. Nachteilig am Gesamtvollstreckungsverfahren als Abwicklungsform war, dass ohne Kapitalzuführung das Verfahren wahrschein­lich mangels 104

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Masse hätte abgewiesen werden müssen. Damit wäre eine zukünftige sinnvolle Nutzung des Geländes, eine Verwertung oder nur eine Beräumung des Geländes ohne Zuschüsse der Gesellschafterin unmög­lich gewesen. Aber selbst die Gewährung von Zuschüssen der Gesellschafterin hätte die Richtung des Geschehens nicht wirksam beeinflussen können. Die Kosten für Abfindungen für über 12.000 Arbeitnehmer, die arbeitslos wurden, wären gleichwohl angefallen. Zudem wären noch Zweckzuwendungen zur Abfederung sozialer Härten in besonders gelagerten Fällen auszuzahlen gewesen. Dies sah die Zweckzuwendungsrichtlinie vor, die zwischen THA und den Gewerkschaften getroffen worden war. Weitergehende Ansprüche hätten im Gesamtvollstreckungsverfahren nicht geltend gemacht werden können. Dies deshalb, weil bei einem Gesamtvollstreckungsverfahren der Gesamtvollstreckungsverwalter nicht der Gesellschafterin, sondern alleine den Gläubigern und gegenüber dem einzusetzenden Gesamtvollstreckungsgericht verantwort­lich ist. Nicht nur der Einfluss der THA , sondern auch der Einfluss der öffent­lichen Hand, wie der Landesregierung des Freistaates Thüringen, dem Landkreis, der Kommune und der Stadtverwaltung, die sich als dem Wohl der Menschen verpf­lichtet erwiesen haben, und nicht zuletzt der Einfluss des Aufsichtsrats der BWS AG wären nicht wirksam geworden. Die THA unter Leitung von Birgit Breuel entschied sich, nach einer Phase der Unsicherheit, in der überwiegenden Zahl der Fälle für den Weg der Liquidation als Form der Abwicklung und damit für die Mög­lichkeit, Grundlagen für eine positive Fortentwicklung des Standorts auch noch in der Abwicklung zu schaffen. Diese umfangreichen Bemühungen sind vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Arbeitslosenzahlen stetig anstiegen und unermüd­lich nach neuen Impulsen zur Schaffung von Arbeitsplätzen und Wirtschaftskraft gesucht wurde. Am Beispiel der BWS AG in Sömmerda war eine besonders prekäre Lage zu bewältigen. Es lagen hier nicht nur die Krise des Marktes, die der Produkte und die der veralteten Technik vor, die als Ursachen für den Niedergang nach allgemeinen betriebswirtschaft­lichen Kriterien untersucht werden. Erschwerend kam der katastrophale Zustand der gesamten Infrastruktur an diesem Standort hinzu: das Werksgelände war von einer hohen Mauer umgeben, die es abschottete, die sanierungsbedürftigen Gebäude waren nicht nutzbar, die verseuchte Tankstelle und die fehlende Kläranlage standen einer Ansiedlung von Neuunternehmen im Weg. Die Warmwasserversorgung war teilweise gestört, die Stromleitungsdefekte waren kaum beherrschbar und die uralte in barackenähn­lichen Gebäuden untergebrachte Abwicklung |

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Poliklinik war ein Zeichen dafür, dass Industrietätigkeit nicht nebenbei zur Daseinsvorsorge der Bürger eingesetzt werden konnte. In Sömmerda waren 12.000 der damals 23.000 Einwohner zählenden Kreisstadt im Büromaschinenwerk beschäftigt. Folg­lich war statistisch jede Familie von dem wirtschaft­lichen Zusammenbruch des ehemaligen Vorzeigeunternehmens mindestens einmal betroffen, oftmals waren es mehrere betroffene Mitarbeiter pro Familie. Ziel der Entscheidung der THA für die Liquidation als Abwicklungsform war die Schaffung eines städtischen Raums, in dem sich die Wirtschaft innovativ entwickeln kann. Wäre der eingeschlagene Weg für Sömmerda nicht entwickelt worden, wäre die Entstehung einer eingezäunten Industriebrache in unmittelbarer Anbindung an den Stadtkern der Kreisstadt Sömmerda unvermeid­lich gewesen. Der von dem Liquidator im Einvernehmen mit dem Aufsichtsrat entwickelte Plan bestand darin, das gesamte ca. 570.000 m2 umfassende Gelände zu überplanen. Die einzige Mög­lichkeit, die als zielführend angesehen wurde, war die Umgestaltung des Geländes in einen Industriepark in Form der Integrierten Standortentwicklung, die als Entwicklungsimpuls dienen sollte. Die Sanierungsform der Integrierten Standortentwicklung stellt einen erweiterten Sanierungsansatz dar, der neue und zusätz­liche Entwicklungsperspektiven zur Verwertung aufgegebener Altstandorte mit dem Ziel der Neuansiedlung von Unternehmen ermög­lichen sollte. Diese außergewöhn­ liche Sanierungsform befürwortete die THA als Sonderweg für Sömmerda wegen seiner besonderen Situation. Integrierte Standortentwicklung bedeutet, dass sämt­liche Planungsschritte und Durchführungsaktivitäten, die normalerweise in einer lo­gischen, nacheinander stattfindenden Handlungskette erfolgen, hier gleichzeitig erfolgten. Unabhängig von der Notwendigkeit infrastruktureller Maßnahmen stellte sich die Frage, wer die Kosten trägt. Die Suche nach Entwicklungsperspektiven sowie betriebswirtschaft­liche, sozialpolitische und volkswirtschaft­liche Betrachtung der Interessen riefen Eigentümer und die öffent­liche Hand zur angemessenen Kostenbeteiligung auf. Diese waren bei der Integrierten Standortentwicklung am Standort Sömmerda die Eigentümerin der BWS AG , die Treuhand­anstalt, der Freistaat Thüringen, der Landkreis und die Stadt Sömmerda. Die erforder­lichen finanziellen Fördermaßnahmen wurden zugestanden. Fördermittel zur Ansiedlung von Unternehmen wurden bereitgestellt. Die Stadt war zur bauplanungsrecht­lichen Planung aufgerufen. Intensive Arbeitskreise auf höchster Ebene unter Beteiligung des Wirtschaftsministeriums 106

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wurden ins Leben gerufen, die anfangs monat­lich tagten und unterschied­ liche Auffassungen zur Art der Gestaltung aus dem Weg räumen konnten. Der Ministerpräsident besuchte den Standort zweimal, sah die Notwendigkeit der Infrastrukturmaßnahmen, sprach den Betroffenen Mut für die umfangreichen Arbeiten zu und freute sich, als der Erfolg sichtbar wurde. Die THA hat an das Projekt geglaubt und Mittel zur Verfügung gestellt. Die Planrealisierung begann in den Jahren 1994 und 1995. Der Weg war geprägt von den Abriss-, Sanierungs- und Erschließungsmaßnahmen. Im Dezember 1995 konnte, nach Abriss des sogenannten Soemtron-­ Hauses, die verkehrs- und versorgungsmäßige Neuerschließung des Geländes realisiert werden. Die Erschließung erfolgte in sieben Bauabschnitten. Es wurden mehr als 2 km Straße mit entsprechenden Fuß- und Radwegen geschaffen; darüber hinaus fast die gleiche Menge an Abwasserleitungen mit entsprechenden Schachtbauwerken gelegt. Die Erschließung ermög­lichte auch die Verlegung von Leitungen für Wasser, Elektronik, Fernwärme und Telekomversorgung. Zwischenzeit­lich konnte auf dem Gelände der erste Neubau für die AOK und die Arbeitsagentur errichtet werden. Bei Abschluss der Erschließungs- und Sanierungsarbeiten war die Bebauungsdichte auf 25 Prozent des zur Verfügung stehenden Geländes reduziert, die sanierten Gebäude waren bezogen, erreicht war ein zukunftsfähiges Gelände, das als eigener Stadtteil von Sömmerda angenommen wurde. Durch das Herausnehmen von Gebäuden entstand eine zeitgemäße, lockere Bebauung des Geländes mit Freiflächen, Bebauungsgrundstücken, Häusern und Mietflächen, die den verschiedenen Nutzungswünschen zugäng­lich war. Dies schuf auch den Freiraum für eine äußer­lich ansprechende Dauerbegrünung, passend zu den sanierten und nun ansehn­lichen Gebäuden. Ein großer Teich, in der Nähe des charakteristischen Wasserturms, schafft Ruheflächen. Heute, 25 Jahre nach der Wiedervereinigung und gut 20 Jahre nach Verwirk­lichung der Standortentwicklung, ist der Vorschlag, die hinter dem Industriepark liegende Fläche einzubeziehen, Wirk­lichkeit geworden. Es sind nach Aussage des Bürgermeisters 4.800 Arbeitsplätze auf dem Gelände entstanden. Viele der damaligen Gründer sind noch heute auf dem Gelände tätig und planen zum Teil den Generationswechsel. Das attraktive frühere Verwaltungsgebäude ist Sitz des Amtsgerichts.

Abwicklung |

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Umwelt/Altlasten Nach § 2 (6) des Bodenschutzgesetzes 114 sind Altlasten Belastungen des Bodens oder des Grundwassers durch Schadstoffe aus industrieller oder gewerb­licher Nutzung, von denen eine Gefahr für die öffent­liche Ordnung und Sicherheit ausgeht. In der DDR bestand diese Gefahr überall, da die industrielle Fertigung, der Bergbau und die Wärmeerzeugung mit zahlreichen Emissionen und Immissionen stattfanden. Grundlage für eine Inanspruchnahme der BvS, die für die Regulierung dieser Schäden zuständig war, bildeten typischerweise Privatisierungsverträge zwischen der THA und Investoren, die eine anteilige oder vollständige Finanzierung solcher Altlasten durch die THA vorsahen. Dabei wurden „normale“ Altlastenprojekte und Großprojekte mit einem Umfang von mindestens 100 Mio. Euro unterschieden. Vorab entfielen auf den Investor 10 Prozent der anfallenden Sanierungskosten. Die rest­lichen verteilten sich mit 60 bzw. 75 Prozent auf den Bund, die übrigen auf die Länder. Diese Regelung zur Kostenaufteilung war abhängig von dem Erlass eines förm­lichen Freistellungsbescheides nach dem Umweltrahmengesetz, der nur durch die zuständige Landesbehörde erlassen werden konnte. Für die Beseitigung der Altlasten wurden erheb­liche Mittel aufgewendet, sei es durch direkte Finanzierung der Sanierung oder eines entsprechenden Preisnachlasses bei der Veräußerung, verbunden mit der vertrag­lichen verpf­lichtenden Auflage an den Übernehmer, die Entsorgung selbst durchzuführen Dies war häufig der Grund für Eine-DM-Verkäufe oder negative Kaufpreise bei den THA-Kaufverträgen. Der Bund hat für die Gefahrenabwehr ein Kostenrisiko von 2,8 Mrd.  DM übernommen und in den DM -Eröffnungsbilanzen Rückstellungen von 26,6 Mrd. DM eingeplant. Auch das Verwaltungsabkommen des Bundes und der neuen Länder 115 und die darin geregelten Finanzierungsmoda­litäten 114 Gesetz zum Schutz vor schäd­lichen Bodenveränderungen und zur Sanierung von Altlasten (Bundes-Bodenschutzgesetz – BBodSchG) vom 17. März 1998, vgl. Bundesgesetzblatt 1998 I Nr. 16 vom 24. März 1998, S. 502 – 510, hier S. 503. 115 Im Dezember 1992 einigten sich Bund und neue Länder auf ein Verwaltungsabkommen über die Sanierung der ökolo­gischen Altlasten. „Danach werden die Kosten, die bei ehemaligen Unternehmen aus dem Treuhandbereich nach einer Freistellung für erforder­liche Sanierungen anfallen, grundsätz­ lich im Verhältnis 60 Prozent (Bund) zu 40 Prozent (Länder) geteilt.“ Für

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fanden allgemein Zustimmung. Gemeinsam haben Bund und Länder 21 Altlastengroßprojekte ausgewählt.116 Klar geregelt war auch die Zuständigkeit der Länder. Auf sie ging die alleinige Verantwortung für die Umsetzung der Maßnahmen über. Das Bodenschutzgesetz wurde als eine geeignete Grundlage angesehen, ökolo­gische Altlasten abzubauen und die Altlastenflächen einer neuen Nutzung zuzuführen. Im Verwaltungsabkommen hatte der Bund allerdings ein Mitspracherecht der THA bei der Planung und Umsetzung von Sanierungsmaßnahmen durchgesetzt und damit die Tür für eine Kontrolle und Beeinflussung der neuen Länder geöffnet. Die Treuhand war gehalten, „die Übernahme von Kostenrisiken für die Beseitigung von Altlasten zeit­lich sowie der Höhe nach zu begrenzen“.117 Auch bei den entstehenden Sanierungskosten drückte sie gemeinsam mit dem Bundesministerium der Finanzen (BMF) den anfallenden Sanierungsaufwand immer stärker nach unten.118 Bereits das Umweltrahmengesetz (URG) von 1990119 und das Hemmnisbeseitigungsgesetz von 1991 boten den neuen Ländern die Mög­lichkeit, „Eigentümer oder Besitzer von Anlagen oder Grundstücken von der Verantwort­ lichkeit und Kostenlast durch die zuständigen Landesbehörden auf Antrag freizustellen“, wovon generell Gebrauch gemacht wurde.120 Die Länder waren vor eine doppelte Herausforderung gestellt: Sie mussten innerhalb kurzer Zeit eine Flut von Freistellungsanträgen bescheiden, auf der Großprojekte von besonderer Bedeutung wurde für den Bund eine weitergehende Finanzierungspf­licht festgelegt, die sich mit 75 Prozent auf den Bund und 25 Prozent auf die Länder verteilt. (http://www.bmub.bund.de/ themen/wasser-abfall-boden/bodenschutz-und-altlasten/altlastensanierung­in-den-neuen-bundeslaendern/, Abruf: 19. August 2014). 116 Vgl. das Schaubild zu den Altlasten-Großprojekten in: http://www.bmub. bund.de/fileadmin/bmu-import/files/pdfs/allgemein/application/pdf/karte_ altlasten_grossprojekte.pdf (Abruf: 14. Mai 2014). 117 BvS-Abschlussbericht, S. 147. 118 Vgl. Seibel: Verwaltete Illusionen, S. 450 – 457. 119 Umweltrahmengesetz der DDR vom 29. Juni 1990 (Gesetzblatt der DDR I Nr. 42 S. 649), geändert durch Art. 12 des Gesetzes zur Beseitigung von Hemmnissen bei der Privatisierung von Unternehmen und zur Förderung von Investitionen vom 22. März 1991, vgl. Bundesgesetzblatt 1991 I Nr. 20 vom 28. März 1991, S. 766 – 789, hier S. 788. 120 BvS-Abschlussbericht, S. 146. Umwelt/Altlasten |

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anderen Seite waren sie nach Erteilung der Freistellung zur Vorfinanzierung einer Kostenlast verpf­lichtet, die nicht klar kalkulierbar war. Ihnen drohte eine Kostenlawine, die sie nicht beherrschen und mög­licherweise nur zum Teil finanzieren konnten. In dieser Situation war sowohl von der THA als auch von den neuen Ländern beabsichtigt, ihr Kostenrisiko zu Lasten des anderen Vertragspartners zu verringern. Die THA versuchte, Sanierungskosten und ihren Kostenanteil zu reduzieren. Weiterhin versuchte sie erfolgreich, die Länder auch an den Sanierungskosten für Flächen zu beteiligen, die ausschließ­lich im Bundesbesitz waren. Durchgesetzt hat sie ferner die Senkung bestimmter Umweltstandards, indem sie kontaminiertes Grundwasser nicht als Schutzgut ansah, solange es nicht als Trinkwasser galt.121 Schließ­lich wurde auf der Basis einer Altlastenschätzung ein Höchstbetrag für Freistellungen festgesetzt. Neben der Einflussnahme auf Art und Umfang der Sanierung wurde die Aufgabe der Länder auch dadurch erschwert, dass die Treuhandinteressen nach Auflösung der THA und der BvS von verschiedenen Bundesgesellschaften wahrgenommen wurden. Bereits Mitte der 1990er Jahre hat der Freistaat Thüringen diese Regelung infrage gestellt, da sie zu einem Rückstau der Freistellungen und notwendiger Investitionen geführt hat. Der damalige Ministerpräsident Bernhard Vogel forderte schon zu diesem Zeitpunkt „die hemmenden Einvernehmensverhandlungen zu beenden und die Gestaltungsfreiheit Thüringens entscheidend zu verbessern“. Er schlug vor, eine zügige und pauschalierende Vereinbarung zu treffen, die dem Land eine frei verfügbare Auszahlung der Projektmittel ermög­licht. Dadurch sollte der Freistaat seine dringend benötige Handlungsfreiheit sichern.122 In der Folgezeit hat auch die BvS das Ziel verfolgt, die eingegangenen Altlastenverpf­lichtungen in Generalverträgen mit den neuen Ländern abschließend festzulegen. Mit dem Vertragsabschluss sollte die alleinige Verantwortung für die Umsetzung der Maßnahmen auf die neuen Länder übergehen. Mit dieser Vereinbarung sollte die Kostenübernahme für sämt­ liche Umweltlasten aus DDR-Zeiten geregelt werden. Die Verfüllung der gewaltigen unterirdischen Hohlräume des Kalibergbaus an der Werra und 121 Vgl. Seibel: Verwaltete Illusionen, S. 452. 122 Vgl. Schrift­liche Stellungnahme von Bernhard Vogel gegenüber dem Thüringer Landtag, Ausschuss für Landwirtschaft, Forsten, Umwelt und Naturschutz vom 3. Juni 2014. [Der Brief liegt dem Verfasser vor].

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der Teersee Rositz zählten dabei zu den 21 Großprojekten und zu den größten „cash-fressern“. Die Gesamtsumme des Thüringer Vertrages belief sich auf 1,3 Mrd.  DM. Der Bund leistete seinen Anteil für die Zukunft in Höhe von 443.778.000  DM nach Abzug seiner bereits geleisteten Zahlungen und unter Berücksichtigung des vertrag­lichen Abzinsungsfaktors in drei Raten. Die 1,3 Mrd. Gesamtkosten des Generalvertrages setzen sich zusammen aus den Kosten für das Großprojekt Kali und Salz GmbH (800 Mio.  DM), aus den Kosten für das Großprojekt Rositz (190 Mio. DM) und aus den Kosten für die sogenannten Normalprojekte (ca. 328 Mio. DM). Dies sind die sogenannten Gesamtkosten der jeweiligen Projekte. Von diesen Kosten wurde, falls erforder­lich, der zehnprozentige Eigenanteil des Erwerbers abgezogen. Die so ermittelte Summe wurde nach dem Kostenschlüssel 75:25 bei strukturbestimmenden oder 60:40 bei erhaltenswerten industriellen Standorten aufgeteilt. Von dem ermittelten Bundesanteil wurden dann die Aufwendungen abgezogen, die der Bund schon bis zum 30. März 1999 geleistet hat. Die Restsumme ist somit die Verpf­lichtung der BvS für die Zukunft ab dem 1. April 1999. Diese Restsumme wurde über die jeweilige Laufzeit der Projekte mit dem vertrag­ lich vereinbarten Zinssatz abgezinst, so dass ein Barwert ermittelt wurde. Die vertrag­lich vereinbarten Laufzeiten für das Großprojekt Kali betrugen 17 Jahre, für das Großprojekt Rositz sechs Jahre und für die Normalprojekte zehn Jahre. Im Ergebnis wurden für die drei Projekte drei Barwerte ermittelt, die in der Summe den Auszahlungsbetrag von 443.778.000  DM ergaben. Dieser Betrag wurde dann vom Bund in drei Raten geleistet. Die Ermittlung der Kosten für das Land verlief in gleicher Weise. Das Land hat jedoch seinen Anteil nicht als Einmalzahlung oder in drei Raten geleistet, sondern leistet seinen Betrag in jähr­lichen Raten, die im Thüringer Gesetz über die Errichtung eines Sondervermögens „Ökolo­gische Altlasten in Thüringen“ vom 9. Juni 1999 festgeschrieben sind.123 Über den Abschluss von Generalverträgen und die vorgesehene Pauschalierung gab es in den neuen Ländern eine intensive Diskussion. B ­ ernhard Vogel stellte rückblickend fest: „Die finanziellen Chancen und Risiken waren 123 Vgl. dazu Thüringer Gesetz über die Errichtung eines Sondervermögens „Ökolo­gische Altlasten in Thüringen“ (ThürGSÖA) vom 9. Juni 1999 (http://landesrecht.thueringen.de/jportal/;jsessionid=FAC3FEC9897 E65B883A353580D6C58CE.jp64?quelle=jlink&query=%C3%96koAltlSondVErG+TH&psml=bsthueprod.psml&max=true&aiz=true#jlr-ÖkoAltlSondVErGTHrahmen, Abruf: 16. September 2014). Umwelt/Altlasten |

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uns durchaus bewusst, aber sie schienen überschaubar. Grundlage der Verhandlungen war ein Verwaltungsabkommen des Bundes und der jungen Länder aus dem Jahre 1992 zur Bewältigung der vereinigungsbedingten Aufgaben zur Beseitigung von ökolo­gischen Altlasten. Es regelte auch die Kostentragungspf­licht der öffent­lichen Hände von Unternehmen im Verhältnis 60 % BvS zu 40 % Länder. Bei sog. Großprojekten von 75 % zu 25 %. Seine Umsetzung erwies sich als wesent­lich schwieriger als erwartet, mitunter als einmalige Herausforderung. Die schwierigen und langwierigen Abstimmungsprozesse mit der BvS zur Refinanzierung erwiesen sich als wachsendes Hindernis für eine rasche Umsetzung.“124 Im Herbst 1998 waren über 1.000 Verfahren noch offen, was sich besonders nachteilig für die sogenannten Normalprojekte auswirkte. Davon waren vor allem mittelständische Betriebe und Industriebrachen in den Kommunen betroffen, arbeitsmarktbelebende Effekte wurden in beträcht­lichem Umfang behindert. „Wir suchten nach einer Generalbereinigung der Gesamtproblematik durch einen vertretbaren Vergleich.“ Weil es zwischen der BvS und Thüringen zum ersten Mal zu einer solchen Pauschalierungsvereinbarung mit einem der neuen Länder kommen sollte, wurde in einer Revisionsklausel festgelegt, dass der Freistaat weder jetzt noch in Zukunft benachteiligt werden dürfe (Meistbegünstigungsklausel). Mit dem Freistaat Thüringen wurde im Jahr 1999 der erste Generalvertrag über die abschließende Finanzierung der ökolo­gischen Altlasten geschlossen, mit dem der Freistaat die alleinige Finanzverantwortung für Freistellungen nach dem Umweltrahmengesetz sowie die Freistellung der BvS von sämt­lichen privatisierungsvertrag­lichen Altlastenverpf­lichtungen in Thüringen übernahm. Er sieht in § 2 Punkt 6 vor, dass dann, wenn zehn Jahre nach Inkrafttreten des Vertrages von den Vertragsparteien festgestellt wird, dass dem Freistaat Mehrkosten von über 20 Prozent gegenüber den prognostizierten Gesamtkosten von 1,31 Mrd.  DM entstanden sind, die BvS (heute: Bundesanstalt für Immobilienaufgaben) sich ausnahmsweise bereit erklärt, in Verhandlungen mit dem Freistaat über die Finanzierung der Mehrkosten einzutreten. Ihr Ziel soll es sein, dass die BvS von den Mehrkosten, die die Schwelle von 20 Prozent überschreiten 75 Prozent übernimmt und der Freistaat 25 Prozent. 124 Vgl. zu den Zitaten: Schrift­liche Stellungnahme von Bernhard Vogel gegenüber dem Thüringer Landtag, Ausschuss für Landwirtschaft, Forsten, Umwelt und Naturschutz vom 3. Juni 2014. [Der Brief liegt dem Verfasser vor].

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Nach intensiven Verhandlungen im Kabinett und nachdem die PwC Deutsche Revision den Vertragsentwurf geprüft hatte, wurde der Generalvertrag dem Landtag zugleitet. Außerdem wurden ca. 800 Mio.  DM für die Altlastenfinanzierung in den Haushalt 1999 eingestellt. Der Bund sagte im Gegenzug dem Freistaat folgende Förderprogramme zu: Großprojekt Kalibergbau

Kosten 800 Mio. DM

Laufzeit 20 Jahre

TVW Rositz

190 Mio. DM

3 Jahre

60/40er-Fälle

300 Mio. DM

10 Jahre

Summe

1,290 Mrd. DM

In diesen Beträgen sind die Zuschüsse, die der Bund seit 1991 zur Sanierung der Wismut-Region in Höhe von 5,5 Mrd. Euro geleistet hat, nicht enthalten.125 Zu den bekannten Altlastenstandorten zählten auch das Leuchtstoffwerk in Bad Liebenstein und die Farbenfabrik in Eisenach. In den Jahren 1999 bis 2008 wurden mit diesen Förderprogrammen mehr als 2.000 Maßnahmen (Standortrecherchen, Erkundungen und Sanierungen) mit einem Zuschuss von 375 Mio.  DM aus dem Sondervermögen des Landes durchgeführt. Im Gegenzug verpf­lichteten sich Unternehmen auf den ehemaligen Altlastenstandorten Investitionen in Höhe von 900 Mio. und etwa 12.000 Arbeitsplätze zu schaffen. So ist zum Beispiel in Erfurt der damals jüngste Theaterneubau Deutschlands auf einem Altlastenstandort – der Mikroelektronik – entstanden. Ohne den Thüringer Generalvertrag wäre der Aufbau des Landes nicht so schnell mög­lich gewesen. In den Jahre 2001 und 2003 folgten entsprechende Vereinbarungen mit den Ländern Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. Der Freistaat Sachsen schloss im Jahr 2009 seinen Vertrag ab. Die Sanierungen in den Ländern Brandenburg und Berlin wurden im Rahmen von Einzelmaßnahmen festgesetzt. Eine Pauschalierung birgt Vor- und Nachteile in sich. Der Vorteil für die Länder bestand darin, dass sie Handlungsfreiheit erlangten, investitionsbedingte Sanierungsmaßnahmen ohne Abstimmung mit dem Bund durchführen zu lassen. Der Nachteil dagegen war, dass die Durchführungskosten 125 Vgl. dazu Anm. 112. Umwelt/Altlasten |

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der Sanierung und damit das Risiko der neuen Länder nur sehr schwer abschätzbar waren. Wie hoch sich die Mehrkosten in Thüringen tatsäch­lich belaufen werden, ist noch nicht ermittelt. Klar ist aber, dass insbesondere die Versatz- und Sanierungsmaßnahmen in dem Großprojekt Kali auch zukünftig fortgeführt werden müssen. Die Verzögerungen bei dem Großprojekt Kali wirken sich auch bei den 60/40er-Fällen aus, die vielfach von den Großprojekten blockiert oder gebremst werden. Damit werden auch neue Investitionen und Arbeitsplätze verhindert, die zum Umbau der Kaliindustrie dringend nötig sind. Bei der Diskussion über die Zukunft des Generalvertrages ist zunächst festzustellen, dass die Mehrzahl der Maßnahmen, die 1999 ins Auge gefasst wurden und Gegenstand des Freistellungsvertrages zwischen dem Bund, der K+S und dem Freistaat Thüringen waren, abgearbeitet sind. Das Ziel dieser Maßnahmen bestand vorrangig darin, die übertägigen Ortslagen zu sichern. Diese Versatzmaßnahmen sind erledigt. Ein großes Problem bereiten den Beteiligten noch die unterirdischen Laugenzuflüsse. Ging man 1999 und auch früher davon aus, dass es gelingen würde, diese Laugenzuflüsse technisch zu stoppen, weiß man heute mehr. Vielfältige Fachgutachten haben ergeben, dass es derzeit weltweit technisch keine Mög­lichkeit gibt, die unterirdischen Laugenzuflüsse mit einer sicheren Sanierungsmaßnahme zu beherrschen. Hier gilt es, die fach­lichen Erkenntnisse zu überprüfen, will man einer ewigen Laugenhaltung in Form von Abpumpen entgehen. Zu den bisherigen unterirdischen Versatzfeldern, die – wie oben beschrieben – abgearbeitet wurden, hat die K+S neue und weitere Versatzfelder angemeldet. Ob diese und in welchem Umfang zu versetzen sind, wird derzeit mit Hilfe des Institutes für Gebirgsmechanik in Leipzig ermittelt. Ergebnisse werden nicht vor Ende 2015 erwartet. Die oben beschriebenen Verfahren sind auch zeit­lich nicht zu beschleunigen. Bei Versatzmaßnahmen gilt es, die vorhandene Infrastruktur unter Tage zu nutzen und zu optimieren. Zu berücksichtigen ist aber, dass das Versatzmaterial Steinsalz von Stellen gewonnen werden muss, die nicht gefährdet sind, und über lange Transportbänder dann an die Stellen gebracht wird, bei denen die kritischen Hohlräume zu versetzen sind. Unbestritten wird eine Verlängerung des Großprojekts Kali weit über das geplante Sanierungsende 2016 hinaus auch eine wirtschaft­liche Bedeutung haben. Zwar sind die Ortslagen und damit die Menschen sowie die Gebäude gesichert, dennoch stellt es für manch ein Wirtschaftsunternehmen immer noch ein Risiko dar, sich in einem bergschadensgefährdeten Gebiet anzusiedeln. 114

|  Restaufgaben der Treuhandanstalt und ihrer Nachfolgeorganisation

Treuhand-Liegenschaftsgesellschaft/Bodenverwertungsund -verwaltungsgesellschaft Die THA hat nach ihrer Errichtung nicht nur 15 Niederlassungen, sondern auch Trabanten geschaffen, um ihre Geschäftsfelder stärker zu gliedern und transparenter zu gestalten. Die bedeutendsten Nebenorganisationen waren die Treuhandliegenschaftsgesellschaft (TLG) und die Bodenverwertungsund -verwaltungsgesellschaft (BVVG). Der zu verwaltende Immobilienbestand der TLG setzte sich zusammen aus: nicht betriebsnotwendigen Grundstücken der damaligen volkseigenen Betriebe und Kombinate, Immobilien der Staatssicherheit und der Nationalen Volksarmee (Finanzvermögen) sowie Liegenschaften aus dem Sondervermögen 126. Von 43.156 Immobilienobjekten waren Ende 1992 27 Prozent bereits verwertet, 22 Prozent noch nicht zum Verkauf freigegeben, 27 Prozent in Verkaufsvorbereitung und 24 Prozent in der Verwertung. 7 Prozent aller Liegenschaftsverkäufe mit 16 Prozent der gesamten Erlöse waren Veräußerungen im Wege der Einzelvergabe an öffent­lich-recht­liche Gebietskörperschaften.127 Der Bundesrechnungshof bemängelte, dass der TLG strate­gische Zielvorgaben des Gesellschafters Bund fehlten. Im Leitungsausschuss des BMF wurde daraufhin eine Übertragung von Besitz und Kompetenzen der TLG an die ostdeutschen Länder erwogen. Dabei zeigte sich erneut, dass die neuen Länder ungeachtet der beacht­lichen Vermögenswerte der TLG zu einer solchen Übernahme nicht bereit waren, weil ihnen die Kosten für Sanierung, Erschließung, Sicherung und Verwaltung des Immobilienbesitzes unkalkulierbar erschienen. Vor diesem Hintergrund kam es zu einem Paradigmenwechsel in der TLG -Geschäftspolitik, der faktisch einer Absage an den ursprüng­lichen Auftrag der THA gleichkam. Mit Schreiben vom 12. Oktober 1990128 hatte die THA die Vorstände und Geschäftsführer der Treuhand-Unternehmen angewiesen, nicht betriebsnotwendige Grundstücke

126 Das Sondervermögen umfasste Objekte aus dem Vermögen der Parteien und Massenorganisationen. 127 Vgl. Dokumentation Treuhand­anstalt, Bd. 8, S. 342 f. 128 Vgl. Verfügungen von Treuhandunternehmen über Grundstücke, ebd., S. 352 f. Treuhand-Liegenschaftsgesellschaft |

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–– ab sofort vor allem an kleine und mittelständische Unternehmen zur Entwicklung von gewerb­lichen Betriebsstätten und Investitionen anzubieten, –– grundsätz­lich nicht zur bloßen Liquiditätsbeschaffung zu veräußern, –– grundsätz­lich nicht langfristig zu vermieten oder zu verpachten. Als Oberziel der Geschäftspolitik wurde demgegenüber nun „die optimale Wertschöpfung für den Bund verkündet“.129 Unter einer „optimalen Wertschöpfung“ wurde eine Ertrag bringende Entwicklung von Immobilien verstanden. Mit diesem Konzept wäre die TLG von einer Serviceagentur des Bundes zu einem bundeseigenen Immobilienunternehmen geworden. Dies hätte sehr leicht dazu geführt, den Immobilienbesitz aus dem volkseigenen Vermögen nicht zu halten, sondern bei nächster Gelegenheit zu veräußern. Im Verwertungsbestand der TLG befanden sich weiterhin knapp 80.000 Wohnungen/Einfamilienhäuser, wobei mit einem weiteren Zugang von rund 130.000 Wohnungen gerechnet wurde. Die Veräußerungen von Liegenschaften erfolgten nach dem TLG-­Modell, das vor allem folgende Grundsätze vorsah: –– Verwertung in Absprache mit den Kommunen und Kammern, –– öffent­liche Bieterverfahren, –– Beteiligung durch die Standortentwicklung, –– Vermeidung von monopolartigen Strukturen, –– Veräußerungen zum Verkehrswert, um eine marktwirtschaft­lich orientierte Privatisierung zu gewährleisten. Über den Verkehrswert der Immobilien gab es vielfach sehr unterschied­ liche Auffassungen und Gutachten, so dass man sich auf ein Gutachterverfahren einigen musste, dessen Ergebnis beidseitig anzuerkennen war. Auch die Fachwelt stritt sich damals über die richtige Verkehrswertermittlung solcher Immobilien. Die bisher in der Bundesrepublik gültigen Maßstäbe erwiesen sich als nicht geeignet. Hinsicht­lich der dabei auch zu berücksichtigenden Kosten der Altlastenbeseitigung gingen die Meinungen ebenfalls weit auseinander. Um die zahlreichen strukturpolitischen Aufgaben und Projekte des Freistaates in Angriff nehmen zu können, war die LEG auch auf preisgünstige TLG -Immobilien angewiesen. Dies galt insbesondere beim Ankauf von altlastenbehafteten Flächen, bei denen die LEG 10 Prozent der Sanierungskosten zu tragen hatte. Die anfäng­liche Politik der TLG war zum damaligen Zeitpunkt im Freistaat Thüringen praktisch ein strukturpolitisches 129 Vgl. Seibel: Verwaltete Illusionen, S. 418.

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|  Restaufgaben der Treuhandanstalt und ihrer Nachfolgeorganisation

Investitionshindernis, das erst beseitigt wurde, als die BvS verfügte, den Ländern und Kommunen die benötigten Immobilien zu strukturpolitisch angemesseneren Preisen anzubieten. Von da an begann in Thüringen eine neue Gründerzeit, die den Aufbau Ost weit vorangebracht hat. Im Dezember 2012 verkaufte das BMF die TLG und ihre rest­lichen Immobilien an den US-amerikanischen Finanzinvestor Lone Star. Damit war das Kapitel Treuhand-Liegenschaften abgeschlossen, ohne dass jedoch erneut Verhandlungen über eine Übertragung der TLG-Liegenschaften auf die neuen Länder geführt wurden. Mit großer Wahrschein­lichkeit hätte es Mög­lichkeiten gegeben, einen Interessenausgleich zwischen dem Bund und den neuen Ländern zu finden. Mit der Gründung der Bodenverwaltungs- und -verwertungsgesellschaft mbH (BVVG) am 1. Juli 1992 wurde die landwirtschaft­liche Nutzfläche aus der Treuhand­anstalt ausgegliedert, um der „voraussicht­lich langen Dauer der Verwertung der Vermögenswerte Rechnung“ zu tragen.130 Im Bereich der ehemaligen volkseigenen Güter wurden der THA 512 ehemalige volkseigene Güter, Gestüte, Rennbahnen, Sonderbetriebe und zwei Aktiengesellschaften mit einer landwirtschaft­lichen Nutzfläche von insgesamt 424.204 ha übertragen.131 „Mitte der 1990er Jahre hatte die BVVG ein Konglomerat von unternehmerischen und hoheit­lichen Aufgaben zu bewältigen. Dazu zählte die Verpachtung von Acker- und Grünland, der Verkauf von forst- und landwirtschaft­lichen Flächen, die Veräußerung von Bauland, die Reprivatisierung von Flächen und Vermögenswerten.“132 Die Abspaltung der BVVG von der TLG war letzt­lich auf den Konflikt zwischen kurz- und langfristigen Aufgaben zurückzuführen: Die BVVG sollte Verkäufe zu vergünstigten Preisen tätigen, die sich an der Nachnutzung orientieren, die TLG dagegen Verkäufe zum aktuellen Verkehrswert. Aufgaben der BVVG waren auch die Restitution bzw. die Reprivatisierung im land- und forstwirtschaft­lichen Bereich und das Vertragsmanagement für die abgeschlossenen Pacht- und Verkaufsverträge. Die unterschied­liche Aufgabenstellung von TLG und BVVG wird auch an den Verkaufszahlen bis 2001 deut­lich. Sie belaufen sich im Bereich der Landwirtschaft auf 9,6 Prozent des ursprüng­lichen Bestandes, bei den Forsten auf 39,7 Prozent, so dass die Aufgaben der BVVG noch lange nicht erfüllt sind. Im Vergleich 130 Dokumentation Treuhand­anstalt, Bd. 8, S. 248 f. 131 Ebd., S. 249. 132 Seibel: Verwaltete Illusionen, S. 399 f. Treuhand-Liegenschaftsgesellschaft |

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dazu sind die Verwertungsquoten der TLG wegen der kurzfristigen Kaufinteressen der Investoren sehr viel höher. Auch nach der Übernahme der Aufgaben der Treuhand­anstalt durch die BvS gab es zunächst eine Diskussion über ihre Beziehung zu den neuen Ländern. Anlass dazu gaben verschiedene Aussagen der Vertreter der BvS. Sie haben zwar die Bereitschaft zur guten Zusammenarbeit mit den neuen Ländern bekundet und dabei auf entsprechende Beispiele verwiesen. Gleichzeitig haben sie aber betont, dass die BvS ihre eigenen Vorstellungen entwickeln und realisieren werde. Ihre Kritiker vermuteten eine Dominanz fiska­lischer Interessen bei der BvS oder die Absicht, ihre Fördermittel weiter zu reduzieren. Ihr Interessengegensatz zu den neuen Ländern verlor im Laufe der Jahre an Bedeutung, da die BvS in allen Zuständigkeitsbereichen die Zusammenarbeit mit den neuen Ländern gesucht und immer häufiger und wirksamer gemeinsam mit ihnen tätig wurde, um den Privatisierungsprozess zum Abschluss zu bringen. Da auch die Fördermög­lichkeiten der BvS nicht unend­lich waren, musste sie zwangsläufig deren Volumen begrenzen.

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|  Restaufgaben der Treuhandanstalt und ihrer Nachfolgeorganisation

Privatisierungen in den Regionen

Bei einer Betrachtung des Privatisierungsgeschehens in den drei Niederlassungsbereichen der THA in Thüringen (Erfurt, Suhl und Gera) wird deut­lich, dass die Privatisierung insgesamt erfolgreich verlaufen ist, unabhängig davon auf welche Weise sie erfolgt ist. Tatsäch­lich haben sich auch im Freistaat sehr heterogene Regionen herausgebildet. In Mittel- und Nordthüringen schaffte der Strukturwandel Zuwächse, in Ostthüringen bremsten die dortigen Strukturprobleme den Aufbau und in Südthüringen lösten Privatisierungserfolge ein Wirtschaftswachstum aus. Dementsprechend werden in dem folgenden Kapitel die unterschied­ lichen Entwicklungen in den drei Niederlassungsbereichen der Treuhand­ anstalt dargestellt. Hier wird der Fokus auf die Unternehmensentwicklungen gelegt, das später folgende Kapitel über die LEG behandelt dann die Standortentwicklung. Bei den Unternehmensentwicklungen wird der aus der DDR übernommene Zustand betrachtet und der Fortgang im Lauf der Jahre dargestellt. Von besonderem Interesse im Folgenden ist Südthüringen, dessen privatisierungsbedingte Wachstumserfolge eingehender untersucht und beschrieben werden als die der anderen beiden Regionen.

Strukturentwicklungen in Mittel-, West- und Nordthüringen In den Regionen hat sich ebenfalls bestätigt, dass im Zuge des Transformationsprozesses Unternehmen und Arbeitsplätze verloren gingen, weil die VEB den Anforderungen der Marktwirtschaft nicht gewachsen waren. Viele Unternehmen konnten umgebaut und weitergeführt oder in ein anderes Unternehmen integriert werden. Die THA hat von Anfang an großen Wert darauf gelegt, ausländische Investoren zu gewinnen. Letzt­lich waren sie an der Privatisierung von rund 14.000 Unternehmen und Betriebsteilen mit knapp 6 Prozent, aber mit ca. 10 Prozent an Arbeitsplatz- und Investitionszusagen in den neuen Ländern beteiligt, d. h., es handelte sich durchweg um größere Projekte. Wie in allen anderen Fällen – aber bei ausländischen Investoren besonders – war es teilweise schwierig, belastbare Informationen über die Investoren zu bekommen. Deshalb ist es einige Male zu Fehlentscheidungen bei der Privatisierung gekommen. Strukturentwicklungen in Mittel-, West- und Nordthüringen  |

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Der Umbau der Wirtschaftsstruktur ist in den verschiedenen Regionen des Freistaates gelungen, aber in unterschied­licher Weise. Über 90 Prozent der Investoren waren Deutsche, davon ca. 3.000 Management-­Buy-Out (MBO ), Management-Buy-In (MBI ) sowie die Mischform MBO/MBI (in Thüringen bis Mitte 1993 430 und in der Niederlassung Erfurt 130).133 Die THA hat von Anfang an großen Wert darauf gelegt, wo immer mög­lich, Unternehmen und Teile an das Management zu privatisieren. Im Vergleich: Es wurden zwischen 1987 und 1994 in ganz Westeuropa (ohne Großbritannien) 2.800 MBO durchgeführt, in sieben Jahren weniger als die THA in viereinhalb Jahren in Ostdeutschland. Wurden in der Anfangsphase Unternehmen bzw. Teile an das Management privatisiert ohne spezielle einheit­liche Richtlinien, ohne Verwendung des Begriffs „MBO “, so hat die THA bis Ende 1991 Kriterien entwickelt, bei denen die besondere Situation der MBO -Privatisierung zu deren Unterstützung berücksichtigt wurde. Der besonderen Situation der MBO-Privatisierung 134 trug die THA mit folgendem Arbeitsprogramm Rechnung: –– Vermittlung von erfahrenen MBO/MBI-Beratern sowie spezialisierten Banken und Kapitalgesellschaften, –– Ausgliederung nicht betriebsbedingten Vermögens, –– Verkauf des Unternehmens zunächst ohne Immobilien, mit Verpachtung- und Vorkaufsrecht, –– Stundung eines Teils des Kaufpreises, –– befristete Weiterführung von Bürgschaften. Das Institut für Wirtschaftsforschung Halle hat 1996 im Auftrag der BvS ein Gutachten über die Entwicklung der MBO in Ostdeutschland in den Jahren 1990 bis 1995 erstellt (1.868 MBO , fast zwei Drittel der MBO aus Treuhand-Unternehmen). Das Institut hat eine Marktaustrittsquote – die Quote der Unternehmen, die stillgelegt wurden oder in Insolvenz gingen – von 11,8 Prozent ermittelt. In Thüringen betrug die Marktaustrittsquote 10,4 Prozent. Wenn man bedenkt, dass in dieser Zeit in Westeuropa

133 Vgl. die Beispiele Adams Ladenbau Gotha sowie die Vereinsbrauerei Apolda, in: Dokumentation Treuhand­anstalt, Bd. 8, S. 63 – 65. 134 Zur Branchenverteilung der MBO der Niederlassung Erfurt vgl. Treuhand Erfurt – Chronik einer Niederlassung, S. 10.

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|  Privatisierungen in den Regionen

erfahrungsgemäß ca. 30 Prozent der MBO in den ersten Jahren nicht überlebt haben, ist die ostdeutsche Quote auch ein herausragendes Ergebnis.135 Neben der reinen Privatisierungsform MBO/MBI, westdeutscher Investor, ostdeutscher Investor gab es auch Mischformen. Ein Beispiel ist das Gelenkwellenwerk Stadtilm GmbH (GEWES). Als ehemalige Zweigniederlassung von Rheinmetall Borsig wurde GEWES 1947 in Stadtilm gegründet, Hauptprodukte waren Gelenkwellen und Kugellager als Zulieferer für den Fahrzeugbau. 1984 hatte GEWES 1.600 Mitarbeiter in Stadtilm und war neben Zulieferer für den osteuropäischen Fahrzeugbau auch freigegebener Lieferant für westeuropäische Automobilfirmen (z. B. Opel). GEWES war von der THA als sanierungswürdig eingestuft worden, trotzdem hat die Niederlassung Erfurt die ersten Jahre vergeb­lich versucht, über weltweite Kontakte die GEWES zu privatisieren. Die THA hatte beispielsweise Opel Bochum als Hauptabnehmer Liefergarantien gegeben. Während dieser Zeit hat die Treuhandniederlassung Erfurt investiert, bis schließ­lich folgende Privatisierung gelang: ostdeutscher Investor als Mehrheitsbeteiligter, ostdeutsches MBO und westdeutsches MBI als Minderheitsbeteiligte. Es wurden etwas mehr als 200 Mitarbeiter übernommen. Heute ist GEWES ein weltweit anerkannter Zulieferer vor allem für den Fahrzeugbau. Falls es nicht gelang, ein Unternehmen in seiner ursprüng­lichen Struktur zu sanieren und/oder zu privatisieren, hat die THA über Industrieansiedlungen versucht, so viel andere Betriebe wie mög­lich im Umfeld des Ursprungsunternehmens anzusiedeln unter Ausnutzung des vorhandenen Personal-Know-hows sowie der ört­lichen Gegebenheiten. Dies geschah in der Regel in Kooperation mit Kommunen und Ländern bzw. Institutionen. Wesent­lichen Anteil hatte jeweils das enorme Engagement des Managements des Treuhand-Unternehmens. Ein Beispiel dafür ist die Sponeta GmbH. Sie ist aus dem VEB Sponeta (Sportartikel, Netze, Taue) in Schlotheim hervorgegangen, der 1990 noch 1.300 Beschäftigte hatte. Die Produktion umfasste im wesent­lichen Tischtennistische und -schläger sowie Sportnetze. Für dieses Programm sah man gute Marktchancen. Darüber hinaus wurden Schulmöbel und -einrichtungen in 135 Vgl. Franz Barjak/Gerhard Heimpold/Martin Junkerheinrich/Brigitte Loose/ Robert Skopp (Bearb.): Management-Buy-Outs in Ostdeutschland – Gutachten im Auftrag der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS). Sonderheft 2 (1996). Hg. vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle. Halle 1996, S. 166. Strukturentwicklungen in Mittel-, West- und Nordthüringen  |

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das Sortiment aufgenommen. Die Produktionsanlagen mussten erneuert und die Sportprodukte den internationalen Wettkampfbedingungen angepasst werden. 1993 konnte das Unternehmen als MBO mit 120 Mitarbeitern privatisiert werden. Die Struktur der zu privatisierenden Wirtschaft in den Thüringer Niederlassungsbereichen der THA (Erfurt, Gera, Suhl) war gekennzeichnet einerseits durch die industriellen Schwerpunkte Automobil- und -zulieferung (Eisenach), Optik und Optoelektronik ( Jena), Mikroelektronik (Erfurt), die jeweils Teilbetriebe und Zulieferer in den regionalen Zuständigkeitsbereichen der Niederlassungen hatten, sowie andererseits durch eine Reihe weiterer Branchen, mit teilweise ausgeprägten regionalen Schwerpunkten, wie z. B. Maschinenbau und Werkzeuge, Metallverarbeitung, Glas, Keramik, Spielwaren, Holzwaren, Möbel und Textilien. Darunter waren Betriebe, die mit ihrem Produktprogramm auf den jeweiligen Weltmärkten nur noch geringe Chancen hatten, aber auch solche Betriebe, die nach Restrukturierung und Anpassung wettbewerbsfähig geworden waren. Betrachtet man die einzelnen Regionen in Thüringen, so erkennt man unterschied­liche Wachstumsdynamiken. In den anfäng­lichen 1990er Jahren waren es hauptsäch­lich die städtisch geprägten Regionen Eisenach, Gotha, Erfurt und Weimar, die mit überproportionalen Privatisierungen und Ansiedlungen für ein Wachstum der Bruttowertschöpfung sorgten. Ausschlaggebend dafür waren im Wesent­lichen die relativ bessere Infrastruktur (beispielsweise die Autobahn A 4) sowie eine erkennbar höhere Präferenz der Investoren für Städte. Es hat sich jedoch gezeigt, dass diese urbanen Zentren etwa ab Ende der 1990er Jahre geringere Wachstumsraten als der Thüringer Durchschnitt aufwiesen. Wachstumseffekte haben sich in die umliegenden Gebiete verlagert, da in den Städten keine Entwicklungsmög­ lichkeiten mehr gegeben waren. Die Industrie (verarbeitendes Gewerbe) ist in Thüringen Wachstumsund Beschäftigungsmotor. Die Bruttowertschöpfung betrug z. B. 1992 in Thüringen insgesamt 22,717 Mrd. Euro. Das verarbeitende Gewerbe hatte daran einen Anteil von 2,408 Mrd. Euro (10,6 Prozent). Im Jahr 2002 betrug der Anteil der Industrie (verarbeitendes Gewerbe) 18,1 Prozent und 2012 25,9 Prozent. Die Bruttowertschöpfung insgesamt in diesem Zeitraum stieg um 77,2 Prozent, die Bruttowertschöpfung der Industrie um 333,6 Prozent. Die Zahl der Industriebeschäftigten betrug 2012 183.368 und hatte damit einen Anteil von 24,4 Prozent an der Gesamtzahl der Beschäftigten. Von 2002 bis 2012 stieg die Arbeitsproduktivität (Bruttowertschöpfung pro Beschäftigtem) um 34,5 Prozent, von 42.350 Euro auf 56.946 Euro. 122

|  Privatisierungen in den Regionen

In diesen Jahren vollzog sich ein erheb­licher Strukturwandel. Einige Branchen sind stärker gewachsen, einige sind erheb­lich geschrumpft und neue Industrien bzw. Industriezweige und Anwendungsfelder sind entstanden. Maßgeb­liche Voraussetzungen für diese Entwicklungen sind teilweise auch durch die Tätigkeit der regionalen THA-Niederlassungen geschaffen worden. Automobil- und -zulieferindustrie hatten ihre Schwerpunkte im Raum Eisenach und Gotha sowie in West- und Südthüringen. Die optische Industrie aus Jena hatte Auswirkungen vor allem in Mittel- und Ostthüringen und die Mikroelektronik in Mittelthüringen. Maschinenbaubetriebe waren in ganz Thüringen anzutreffen, Werkzeugindustrie vor allem in Südthüringen, Glas, Keramik sowie Spielwaren in Süd- und Mittelthüringen, Textilbetriebe vor allem in Mittel- und Ostthüringen. Starke Beschäftigungsrückgänge waren vor allem in der Textilindustrie in Mittelthüringen zu verzeichnen. 3.000 Mitarbeiter waren z. B. in Strickund Wirkwarenbetrieben in Apolda beschäftigt. Hier sorgt inzwischen noch die StrickChic GmbH für eine überregionale Bekanntheit der ehemals traditionellen Industrie in Apolda. In Mühlhausen mit damals mehreren tausend Beschäftigten in der Textilindustrie ist diese Branche nur noch rudimentär vertreten. Die Fahrzeug- und -zulieferindustrie hatte nach der Privatisierung in Mittelthüringen erheb­liche Wachstumsraten zu verzeichnen. Einige bedeutende Firmen sind hier beispielsweise die Betriebe der Conti-Gruppe sowie Multicar (Zweigwerk der Hako-Werke GmbH) in Waltershausen mit mehreren hundert Beschäftigten. In Gotha sind aus dem VEB Gothaer Fahrzeugwerke die Schmitz-Gothaer Fahrzeugwerke, eine Tochter der Schmitz Cargo Bull AG sowie die Gothaer Fahrzeugtechnik entstanden. Von ehemals ca. 2.000 Beschäftigten sind hier wieder mehrere hundert Mitarbeiter angestellt. Der VEB Getriebewerk Gotha ist heute ein Zweigwerk der ZF Friedrichshafen AG für Achsantriebe von allradgetriebenen Pkw mit ca. 200 Beschäftigten. Über 100 Unternehmen der Automobil- und -zulieferindustrie sind im automotive Thüringen e. V. organisiert. Dies ist die überwiegende Zahl aller Unternehmen dieser Branche. Nach eigenen Angaben werden etwa 30.000 Mitarbeiter beschäftigt und ein Umsatz von 4,2 Mrd. Euro wird erzielt. Dies entspricht etwa 17 Prozent aller Industriebeschäftigten und ca. 14 Prozent des Gesamtumsatzes (BWP) der Thüringer Industrie. Der Maschinenbau ist thüringenweit vertreten. Zahlreiche VEB wurden privatisiert. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel ist der VEB Schachtbau Nordhausen, der als Schachtbau Nordhausen GmbH privatisiert wurde. Das Unternehmen ist vor über 100 Jahren entstanden und hat seinen Ursprung im Strukturentwicklungen in Mittel-, West- und Nordthüringen  |

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Bau von Schachtanlagen in der Kaliregion in Nordthüringen. Heute ist man mit mehreren Tochtergesellschaften in verschiedenen Bereichen tätig. Nach wie vor ist Schachtbau (Bohr- und Abteuftechnik) einschließ­lich Verwahrungs- und Endlagertechnologie der Kernbereich. Weitere Geschäftsfelder sind Kranbau, Bohranlagen, Spezialmaschinen, Stahl- und Brückenbau. Aus dem reinen Bergbautechnikunternehmen hat sich ein international tätiges Technologieunternehmen des Anlagen- und Maschinenbaus entwickelt mit weltweit ca. 900 Mitarbeitern. Das Unternehmen wurde 1992 von der Bauer-Gruppe übernommen, einem Weltmarktführer des Maschinenbaus für Tiefbau mit über 10.000 Beschäftigten. Der Know-how-Austausch in dieser Unternehmensgruppe sichert den technolo­gischen Fortschritt und ist Voraussetzung für Stabilität und zukünftiges Wachstum. Der Maschinenbau ist ein wichtiger Sektor der Thüringer Industrie mit etwa 10 Prozent Anteil an der Bruttowertschöpfung. Für diese Branche ist es wichtig, den technolo­gischen Vorsprung gegenüber der Konkurrenz auf dem Weltmarkt zu halten und auszubauen. Hier sind im Hinblick auf die Heterogenität und zahlreichen Klein- und Mittelbetriebe Netzwerke sowie Vernetzungsstrategien zum Austausch von anwenderbezogenem technolo­ gischem Wissen hilfreich und unerläss­lich. Eine Branche ist in Thüringen neu entstanden, hat aber ihre Wurzeln im technolo­gischen Umfeld des VEB Kombinat Mikroelektronik. 1995 wurde in einem Betriebsteil die ErSol-Solarzellenproduktion gegründet. Die dort vorhandene Erfahrung mit dem Werkstoff Silizium war dafür ausschlaggebend. Im Verlauf der weiteren Entwicklung wurde ein Werk in Arnstadt gebaut, das von Bosch übernommen wurde. Die Krise der Solarindustrie in Deutschland hat zu einer Produktionseinschränkung geführt. Das Werk wurde danach an den deutschen Marktführer Solarworld verkauft. Die Technologie der Beschichtung von Modulen ist dort auf dem höchsten Niveau. Durch die vorhandene Kapazität in Forschung und Entwicklung (FuE) ist auch zukünftig die technische Wettbewerbsfähigkeit der Produkte g­ esichert. Weiterhin sind diese Entwicklungskapazitäten Voraussetzung dafür, dass ständig an der Verbesserung des Anlagewirkungsgrads der Solartechnik gearbeitet werden kann. Die Optimierung des Zusammenwirkens der Kollektoren, Wandler und Wechselrichter ist ein Problemfeld, für das dort neue Lösungen entwickelt werden können. Das Werk in Arnstadt ist der Kern der Thüringer Solarindustrie. Durch ständige Innovation kann man hier den technolo­gischen Vorsprung erhalten. Die Solarwirtschaft in Thüringen hatte 2010 ca. 5.000 Beschäftigte in etwa 50 Unternehmen, durch die die gesamte Wertschöpfungskette abgedeckt werden kann (Siliziumaufbereitung, 124

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Produktion von Wafern und Modulen, Wechselrichter und Steuerungselektronik). Weiterhin sind überbetrieb­liche Forschungskapazitäten an mehreren Standorten (z. B. Ilmenau, Jena) vorhanden. Die Chancen der Zukunft liegen zumindest vorübergehend auf den ausländischen Märkten. Wenn es der Thüringer Industrie gelingt, mit der Konstruktion von integrierten Systemen und Verknüpfung der Photovoltaik mit Speichern und anderen Stromnetzen auf hohem technolo­gischem Niveau geeignete Problemlösungen zu schaffen, dann dürften hier trotz vorübergehender Stagnation erheb­ liche Zukunftschancen liegen. Die Solarindustrie ist ein Teil der Umwelttechnologie, eines der Thüringer Wachstumsfelder, das aus mehreren Quellen Impulse bezieht: der Mess- und Regeltechnik, Optik, Mikro- und Nanotechnik sowie Energie- und Wasserwirtschaft. Klimawandel, Energiewende, Rohstoff- und Ressourcenknappheit, Emissionen vielfacher Art etc. sind Erscheinungen, die Notwendigkeiten für industrielle Lösungen schaffen. Hier bieten sich auch enorme Chancen. Neben der Solarindustrie ist in Thüringen bereits eine Reihe von Unternehmen tätig, die überregionale Bedeutung erlangt haben. Man schätzt, dass insgesamt gegenwärtig 18.000 Menschen in diesen Unternehmen der Umwelt-technologie tätig sind, die ca. eine Mrd. Euro Bruttowertschöpfung – ca. 3,5 Prozent der Bruttowertschöpfung des verarbeitenden Gewerbes – erbringen.136 Bei entsprechender Bündelung der Aktivitäten und Vernetzung der vielfach noch kleinen Unternehmen können deren Innovationsfähigkeit und damit die Voraussetzungen für Wachstum gefördert und gesteigert werden. Einen beträcht­lichen Anteil an der Bruttowertschöpfung in Thüringen haben auch die Unternehmen der Nahrungs- und Genussmittelindustrie. Von den privatisierten Betrieben haben sich viele im marktwirtschaft­lichen Umfeld behaupten können. In Mittelthüringen war aus mehreren Betrieben der Fleischzerlegung und Wurstwarenproduktion der VEB Fleischkombinat gebildet worden. In Weimar entstand 1990 daraus die Weimarer Wurstwaren GmbH. 1992 wurde diese GmbH von Nordfleisch Hamburg übernommen. Mehr als 100 Mio.  DM 136 Vgl. WIN – Wachstum//Innovation//Nachhaltigkeit. Trendatlas Thüringen 2020. Hg. vom Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Technologie. Erstellt von Roland Berger Strategy Consultants. Hamburg 2011, S.  216 ff. (http://www.thueringen.de/de/publikationen/pic/pubdownload1194. pdf., Abruf: 1. April 2014). Strukturentwicklungen in Mittel-, West- und Nordthüringen  |

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wurden nach der Übernahme in die Modernisierung des Betriebs investiert. Die Wurstwaren aus Weimar haben eine hohe Qualität und konnten sich auf den europäischen Märkten durchsetzen. 2004 wurde das Unternehmen in die VION Food Group eingegliedert. VION ist einer der größten europäischen Fleisch- und Wurstwarenkonzerne mit über 7.000 Mitarbeitern. In diesem Verbund hat die Weimarer Wurstwaren GmbH gute Chancen zur weiteren Qualitätssicherung und -anpassung sowie zur Gewinnung neuer Märkte. Die landwirtschaft­liche Prägung Thüringens hat sehr früh auch zum Bau industrieller Mühlen geführt. Ende des 19. Jahrhunderts wurde in Bad Langensalza eine Mitteldeutsche Malzfabrik und Getreidemühle gegründet, die in der DDR zum VEB Mühle Langensalza wurde. 1990 wurde der Betrieb von Heyl GmbH & Co., KG übernommen. Heyl ist einer der größten Mühlenkonzerne Deutschlands. Langensalza wurde als Firmenstammsitz des Familienkonzerns und einer Beteiligungsholding gewählt, die auch an Teigwarenunternehmen beteiligt ist. Eine dieser Beteiligungsgesellschaften ist die Erfurter Teigwaren GmbH. Dieses Unternehmen wurde 1793 in Erfurt gegründet. Es ist der älteste Nudelhersteller Deutschlands. In der DDR war der Betrieb dem Kombinat Süß- und Dauerbackwaren Leipzig zugeordnet. Nach der Privatisierung hatte sich Heyl 2001 an diesem Unternehmen beteiligt. In Erfurt werden pro Jahr 50.000 t Nudeln in Großserien, vor allem als Handelsmarken und für Großverbraucher, hergestellt. Eine der größten Braustätten Deutschlands ist in Gotha ansässig. Der VEB Brauerei Gotha aus dem Getränkekombinat Erfurt wurde als Schlossbrauerei Gotha GmbH gewandelt und 1991 vom Brauhaus Oettingen übernommen und in Brauerei Gotha GmbH umbenannt. Brauhaus Oettingen hat an fünf Braustätten in Deutschland einen Ausstoß von 10 Mio. hl und ist damit eines der größten Brauunternehmen Deutschlands. Man beschäftigt über 1.000 Mitarbeiter, 300 davon in Gotha. Das Marketingkonzept – enges Sortiment, Direktbelieferung des Handels und Preisattraktivität – hat zu erheb­lichen Wachstumsraten geführt. Es wird davon ausgegangen, dass auch zukünftig dieses Konzept erfolgreich sein wird. In Apolda wurde 1946 ein Handwerksbetrieb für Backwaren gegründet. Als Firma Gutena hat man in der DDR ein Knusperbrot in Waffeleisen hergestellt, das unter dem Namen „Filinchen“ bekannt wurde. 15 Prozent der Produktion wurden auch nach Westdeutschland geliefert. Das Unternehmen stabilisierte sich 1992 und ist heute auf dem gesamtdeutschen Markt vertreten. Auch der Bekanntheitsgrad von Apolda wird hierdurch gefördert. 1999 hat die Firmengruppe Ospelt, ein Nahrungsmittelkonzern aus Liechtenstein, in Apolda in einem neuen Werk die Produktion von Fertigpizzen 126

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aufgenommen. Man ist nach eigenen Angaben der größte Hersteller von Fertigpizzen in Europa. Etwa 18.000 Einheiten werden pro Stunde produziert. 400 Mitarbeiter sind beschäftigt. In Nordhausen hatte sich seit dem 16. Jahrhundert das Brennereigewerbe etabliert. Anfang des 20. Jahrhunderts existierten 68 Brennereien, von denen bei Kriegsende 1945 noch neun erhalten geblieben waren. Daraus entstand in der DDR der VEB Nordbrand Nordhausen. Als Nordbrand Nordhausen GmbH erfolgte 1991 die Privatisierung an die Firma Eckes, die ihrerseits 2007 die GmbH an die Rotkäppchen Mumm Sektkellereien übertrugen. Das Nordhäuser Unternehmen deckt die gesamte Wertschöpfungskette – Brennerei, Destillierung und Abfüllung – mit 150 Mitarbeitern ab. Durch die Zugehörigkeit zu einem Konzern der Branche sowie die hohe Marken- und Qualitätsbekanntheit hat das Unternehmen auch zukünftig gesicherte Marktchancen. Für Mittel- und Nordthüringen kann zusammenfassend festgestellt werden, dass sich ein deut­licher Strukturwandel vollzogen hat. In einigen Regionen, insbesondere in den Kreisen Kyffhäuser, Eichsfeld und Nordhausen wurde aus der DDR eine weitgehende Kali-Monostruktur übernommen. Die Arbeitsplatzverluste nach den notwendigen Grubenschließungen konnten nicht hinreichend kompensiert werden. Vor allem im Kyffhäuserkreis hat dies bis heute noch Auswirkungen, die zu einer der höchsten Arbeitslosenquoten Thüringens führten. Die Automobil- und -zulieferindustrie in Westthüringen hat über Privatisierungen und zum großen Teil über Neuansiedlungen zu Beschäftigungseffekten auch in Mittel- und Nordthüringen geführt. Die ausgeprägte mittelständische Struktur, etwa im Eichsfeldkreis, weist eine stabile Beschäftigung auf. Gemeinsame strukturpolitische Projekte von THA und Land hatten deut­liche Beschäftigungserfolge, wie beispielsweise in Sömmerda, gezeigt. Auch Ansiedlungen z. B. in Kölleda (Daimler), Weißensee, Ohrdruf und Gotha, teilweise auch durch kommunale Initiativen, haben die strukturelle Entwicklung der Region zusätz­lich geprägt. Die deut­lich verbesserte Infrastruktur (etwa Bau der Autobahnen A 38 und A 71, Ausbau der B 4) hat unterstützend zum Strukturwandel beigetragen. Trotzdem muss die Landespolitik auch weiterhin einen ihrer Schwerpunkte auf die strukturelle Verbesserung in Mittel- und Nordthüringen – etwa in den Kreisen Kyffhäuser und Nordhausen – setzen.

Strukturentwicklungen in Mittel-, West- und Nordthüringen  |

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Privatisierung und Strukturprobleme in Ostthüringen Im Folgenden wird zunächst auf die Ausgangssituation eingegangen, wie sie sich 1990/91 darstellte. Ostthüringen, zwischen dem Raum Jena und den Landesgrenzen zu Sachsen, Sachsen-Anhalt und Bayern, besteht aus den heutigen Kreisen Altenburg, Saale-Holzland, Greiz, Saale-Orla, Saalfeld-­ Rudolstadt und der kreisfreien Stadt Gera. In der DDR war dies (einschließ­ lich Jena) der Bezirk Gera. Er gehörte zu den kleineren Bezirken, war jedoch durch eine industrielle Vielfalt gekennzeichnet. Textilindustrie, Elektronik, Optik und Maschinenbau sowie einige Bereiche der Nahrungsmittelindustrie prägten die Struktur der Industrie in dieser Region. Gegen Ende der 1980er Jahre hatten sich neben Jena drei Wirtschaftsräume herausgebildet: Gera, Saalfeld-Rudolstadt und Greiz-Elsterberg-Zeulenroda. Im Osten der Region befand sich unmittelbar hinter der heutigen Landesgrenze zu Sachsen das Wismutgebiet. Dort wurde bis 1990 Uran gefördert. Uran war die Rohstoffbasis für die sowjetische Atomindustrie. Etwa ein Drittel des im gesamten sowjetischen Einflussbereich geförderten Urans stammte aus der Wismut-Region. Für die Abbautätigkeit war die SDAG Wismut zuständig. Nach der Einstellung ihrer Tätigkeit wurde sie 1991 von der Bundesrepublik Deutschland übernommen. Auf der Grundlage des Wismut-Gesetzes wurde ab 1991 mit den Sanierungstätigkeiten in der Zuständigkeit des Bundes begonnen. Unmittelbare Einflüsse, die auch in Thüringen deut­lich spürbar wurden, ergaben sich einerseits durch den Abbau der Arbeitskräfte, vor allem in Ronneburg und Gera. Zum anderen waren auch Zulieferbetriebe betroffen, die nicht der SDAG Wismut angehörten und von denen mehrere stillgelegt wurden. Die Stadt Gera war geprägt durch Stoff- und Tuchindustrie (z. B. VEB Modedruck), Textilmaschinenbau (VEB Textima), Werkzeugmaschinenbau (VEB Wema Union), Elektronik (VEB Elektronik, vormals VEB Kondensatorenwerk Gera) sowie einen Teilbetrieb des Kombinats Carl Zeiss Jena. In der Elektronik und dem Betrieb von Carl Zeiss arbeiteten 1990 fast 8.000 Menschen. Bei den Betrieben in Gera ergaben sich 1990 erheb­ liche Absatzrückgänge, vor allem bei den Betrieben der Textil- und Textilmaschinenindustrie, deren Märkte vorwiegend im RGW-Raum lagen und deren Produkte kaum oder nicht weltmarktfähig waren. Die Folge war ein erheb­licher Beschäftigungsrückgang. Ähn­liches gilt für die Werkzeugmaschinenindustrie. Bereits 1982 wurde in einem Bericht an die Bezirksleitung festgestellt, dass „im VEB Wema Union sichtbar wurde, dass der Betrieb mit seinem herkömm­lichen Erzeugnissortiment und seiner technolo­gischen 128

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Entwicklung nicht mehr den Anforderungen des Exports in das Nichtsozialistische Wirtschaftsgebiet (NSW) entspricht“.137 Darüber hinaus wurde der Betrieb von Carl Zeiss geschlossen (Präzisionsoptik), weil im Nachfolgeunternehmen Jenoptik konzernweit erheb­liche Überkapazitäten vorhanden waren. Insgesamt ergab sich in der Stadt Gera ein enormer Beschäftigungsabbau. Greiz mit seinem Umland war ebenfalls ein Zentrum der Textilindustrie, z. B. die Greizer Kammgarnspinnerei (VEB Greika mit über 20 angeschlossenen Betrieben) und der VEB Kunstseidenwerk Elsterberg (ab 1. April 1992 dem Kreis Plauen-Vogtland in Sachsen zugehörig). In diesen Betrieben der Textilindustrie des Thüringer Vogtlandes waren in der DDR mehrere tausend Mitarbeiter beschäftigt. Ihre Produkte waren am Anfang der Wertschöpfungskette der Textilindustrie (vorwiegend Spinnerei), die seit längerem mit Produktionsbetrieben aus Asien den Weltmarkt versorgte. Im RGW-Raum hatten diese Betriebe noch Absatzmärkte, deren Nachfrage aber ab 1990 weitgehend ausfiel. Diese Industrie hatte in der Folge starke Beschäftigungsrückgänge und zahlreiche Betriebsstilllegungen zu verzeichnen. In Zeulenroda, der ehemaligen Kreisstadt des gleichnamigen Kreises, der 1994 in den Kreis Greiz eingegliedert wurde, gab es verschiedene Industriebetriebe mit insgesamt mehreren tausend Beschäftigten: der VEB Möbelkombinat mit 2.000 Beschäftigten, Rotpunkt (Gummiwaren), Elastic Mieder sowie ein Teilbetrieb des Kombinats VEB Wema Union. Alle diese Betriebe hatten ab 1990 einen starken Beschäftigungsabbau zu verzeichnen, teilweise wurden sie auch stillgelegt. Zwei große Kombinate waren jeweils in ihrer unmittelbaren Umgebung prägend: der VEB Elektrokeramische Werke Hermsdorf und der VEB Chemie­faser in Rudolstadt-Schwarza. Der VEB Elektrokeramische Werke Hermsdorf (Saale-Holzland-Kreis) war Hersteller von Ferritkernen (Magnete) vor allem für die Elektrotechnik, Hochfrequenztechnik, Wellenabsorption etc. sowie Isolatoren für Stromübertragungsleitungen. Hier war man Lieferant für den gesamten RGW-Raum, teilweise auch in das west­liche Ausland im Rahmen staat­lich geförderter Investitionsprojekte. Der Auftragseingang aus diesen Absatzgebieten blieb weitgehend aus. 1990 wurde das Kombinat in eine AG mit einigen

137 Heinz Mestrup: Zur Geschichte des Bezirks Gera (1952 – 1990). Blätter zur Landeskunde Thüringen (Heft Nr. 46). Hg. von der Landeszentrale für Politische Bildung. Erfurt 2004, S. 5. Privatisierung und Strukturprobleme in Ostthüringen  |

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Tochtergesellschaften (GmbH), die aus Teilbetrieben hervorgegangen waren, umgewandelt. Als Tridelta AG sollte der Konzern privatisiert werden. Dabei war der unmittelbare Verkauf an ein Bankenkonsortium vorgesehen. Danach sollte eine Sanierungsphase eingeleitet werden. Dieses Vorgehen war jedoch nicht geeignet, eine nachhaltige Privatisierung zu sichern. „­Tridelta“ war bis dahin letzt­lich nur eine Umbenennung des Kombinats, eine Neuordnung und Umstrukturierung war damit noch nicht verbunden. Das Kombinat hatte keine Führungsstruktur und kein Führungsinstrumentarium, womit Strategien in der Marktwirtschaft hätten formuliert und umgesetzt werden können. Ebenso war kein Rechnungswesen und Controlling vorhanden, das eine flexible Steuerung am Markt ermög­licht hätte. Damit war diese Privatisierungsalternative gescheitert. Auch andere Privatisierungsversuche blieben erfolglos. Danach trat ein erheb­licher Personalabbau der ehemals über 5.000 Mitarbeiter ein. Dies hatte zur Folge, dass sich die Belegschaftsvertretung 1991 an die Landesregierung wandte, um zu erreichen, dass sich die Privatisierung beschleunigt. Daraufhin hat die Landesregierung mit der THA und Jenoptik ein Transformationsmodell entwickelt, das zu einer Privatisierungslösung geführt hat. 1992 wurde das Gelände von der LEG mit Sanierungs- und Entwicklungsauftrag übernommen. Dieser Auftrag konnte 1998 weitgehend als abgeschlossen bezeichnet werden.138 Der VEB Chemiefaserkombinat Wilhelm Pieck in Rudolstadt-Schwarza ging aus der Thürin­gischen Zellwolle AG hervor, die ab 1935 Chemiefasern und Granulate herstellte. In der DDR war hier der bedeutendste Chemiefaserstandort Thüringens mit bis zu 6.000 Mitarbeitern. Als Thüringer Faser AG wurde er von der THA Berlin übernommen. Überkapazitäten auf dem Weltmarkt hatten deut­liche Absatzrückgänge zur Folge und dementsprechend auch Erlösrückgänge bei der Thüringer Faser AG . Zudem waren erheb­liche Produktivitätsrückstände gegenüber der Konkurrenz vorhanden. Eine Privatisierung schien schwierig bzw. nur nach deut­lichen Anpassungen mög­lich. Trotzdem wurde bereits im Oktober 1991 das Unternehmen mit etwa 1.200 Mitarbeitern privatisiert. Ein indischer Konzern (Dalmia) mit vermeint­licher Erfahrung bei Sanierungsaufgaben hatte die Thürin­gische Faser AG übernommen. Ausschlaggebend für diesen Privatisierungspartner war u. a. auch seine behauptete Weltmarktpräsenz. Den in der Folge auftretenden finanziellen Schwierigkeiten war dieser Konzern nicht gewachsen oder nicht bereit, sich ihnen zu stellen. Konsequenterweise wurde das 138 Vgl. den Punkt Landesentwicklungsgesellschaft.

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Gesamtvollstreckungsverfahren eröffnet. Daraufhin hat der Freistaat Thüringen die LEG beauftragt, Sanierung und Entwicklung des gesamten Standorts in Rudolstadt-Schwarza zu übernehmen.139 Die Region Altenburg war ein traditioneller Industriestandort. Bereits 1871 wurde dort eine Nähmaschinenfabrik gegründet, deren Produkte in der Folge Weltgeltung erlangen konnten. In der DDR wurden die inzwischen entstandenen Betriebe zum VEB Nähmaschinenwerke zusammengefasst. Dieser VEB hat sich zum führenden Industriemaschinenhersteller der DDR und des RGW -Raums entwickelt. 1990 wurde der VEB als Altenburger Textilmaschinen GmbH (Altin) von der THA übernommen. Als Ausstatter der Textilindustrie war das Unternehmen von der Weltmarktentwicklung dieser Industrie abhängig. Hier hatte man vor allem gegenüber amerika­nischen und asiatischen Herstellern deut­liche Wettbewerbsnachteile hinsicht­lich Produkteignung und Kostenstruktur. Das Werk von Altin wurde nach wenigen Jahren geschlossen. Auch eine Neuorientierung auf den Markt für Haushaltsnähmaschinen wäre nicht erfolgversprechend gewesen. Die Strukturkrise in der westdeutschen Industrie hatte hier bereits Ende der 1970er Jahre begonnen. Die Produktionseinstellung fast aller deutschen Unternehmen war die Folge, nachdem vor allem japanische Hersteller die Weltmarktführung übernommen hatten. Altenburg hatte nach dem Ende von Altin nur noch wenig Industrie. Der Name von Altenburg war jedoch auch eng mit der Spielkartenherstellung verbunden. Die Altenburger Spielkartenfabrik wurde 1832 gegründet. Ende des 19. Jahrhunderts wurde sie mit der Stralsunder Spielkartenfabrik zur der Vereinigten Altenburger und Stralsunder Spielkarten-Fabriken AG zusammengeschlossen. 1945 ist dieses Unternehmen nach Leinfelden bei Stuttgart umgezogen. In Altenburg wurde ab 1946 im VEB Altenburger Spielkartenfabrik weiterproduziert. Die THA hat diesen Betrieb als Altenburger Spielkartenfabrik GmbH 1990 privatisiert. Der Saale-Orla-Kreis ist aus den Kreisen Pößneck, Lobenstein und Schleiz entstanden. Hier hatte ledig­lich Pößneck eine nennenswerte Industrietradition. Dort entstanden im 19. Jahrhundert Tuchfabriken, die 1946 zum VEB Thüringer Textilwerke Pößneck zusammengefasst wurden. 1969 wurde von der Planungskommission und den zuständigen Ministerien der DDR die Umwandlung der Textilwerke in ein Wälzlagerwerk beschlossen. Anfang 1971 wurde das Wälzlagerwerk Rotasym gegründet (Fertigung 139 Vgl. ebd. Privatisierung und Strukturprobleme in Ostthüringen  |

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rotationssymetrischer Teile). Die THA hat das Werk als Wälzlager GmbH übernommen und Anfang 1991 an FAG Kugelfischer Schweinfurt privatisiert. Bereits im Juni 1991 wurde das Werk „wegen des starken Einbruchs auf dem Weltmarkt“ von FAG geschlossen. In Pößneck befand sich auch der VEB Grafischer Großbetrieb KarlMarx-Werk, der aus dem 1891 gegründeten Vogel-Verlag hervorging. Dieser VEB war der größte Buchhersteller der DDR. In Hirschberg im ehemaligen Kreis Schleiz wurde im 18. Jahrhundert eine Lederfabrik gegründet. Sie gehörte im 20. Jahrhundert zu den größten Produzenten von Schuhleder in Deutschland. Sie wurde 1991 privatisiert, ging kurze Zeit danach in Konkurs und wurde stillgelegt. Nachfolgend wird die Situation 2012/13 dargestellt. In Ostthüringen waren im Verlaufe des Transformationsprozesses deut­liche Beschäftigungsrückgänge zu verzeichnen. Teilweise sind einige Branchen dieser Region fast vollständig vom Markt verschwunden. Dies gilt vor allem für die Textilindustrie in Gera und im Thürin­gischen Vogtland sowie die Textilmaschinenindustrie (z. B. Textima Gera und Altin Altenburg). Auch einige Maschinenbaubetriebe haben sich als nicht lebensfähig erwiesen (etwa Wema Union, Gera). Typisch für diese Branchen waren ihre starke Orientierung auf den RGWRaum und die nur geringen Marktkontakte nach Westeuropa. Man hatte den Anschluss an Weltmarktentwicklungen verloren und die Produktivität war über absehbare Zeit nicht auf ein Niveau zu bringen, das eine Überlebensfähigkeit unterstützt hätte. Weitere Effekte des Beschäftigungsabbaus ergaben sich aus Stilllegungen bzw. Teilstilllegungen in der Lederindustrie (Hirschberg, Weida) und Möbelindustrie (Zeulenroda). Darüber hinaus hat auch die Einstellung des Uranbergbaus in der Wismutregion starke Beschäftigungseinflüsse ausgelöst. So war die Arbeitslosenquote in den vom Beschäftigungsabbau am stärksten betroffenen Kreisen im Jahre 2002 in Gera 19 Prozent, in Greiz 17,9 Prozent und im Altenburger Land bei 23 Prozent. In Gesamtthüringen betrug sie damals 17,2 Prozent. 2012 waren in Gera noch 13,4 Prozent, in Greiz 10,1 Prozent und im Altenburger Land 13,0 Prozent arbeitslos bei einer Quote von 9,4 Prozent für Thüringen. Hauptursache für die immer noch hohe Arbeitslosigkeit in diesen Kreisen ist die geringe Industriedichte (Erwerbstätige in der Industrie pro 1.000 Einwohner). Sie liegt in Gera bei 35,8, in Greiz bei 59,8 und im Altenburger Land bei 72,6. In Thüringen liegt dieser Wert bei 76,5. Oberhalb dieser Quote liegen in Ostthüringen die Kreise Saalfeld-Rudolstadt (86,5), Saale-Orla (125,2) und Saale-Holzland (78,2). Insgesamt kommt damit Ostthüringen 132

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(ohne Jena) auf einen Wert von 75,3 und liegt somit immer noch etwas unter dem Wert für Gesamtthüringen. Aus diesen Zahlen ist zu erkennen, dass die Beschäftigungsanpassung in den strukturschwachen Ostthüringer Kreisen teilweise kompensiert wird durch die Entwicklung in den Kreisen Saalfeld-Rudolstadt, Saale-Orla und Saale-Holzland. Die Ursachen hierfür und die Verläufe in diesen Kreisen sind jedoch unterschied­lich. Die gegenwärtige Industriestruktur in Ostthüringen ist auch stark durch Neuansiedlungen und Sonderentwicklungen gekennzeichnet. In Gera wurden seit Anfang 1940 in einem Werk von Siemens & Halske AG Kondensatoren hergestellt. In der DDR war dieses Werk als VEB Elektronik ein Teil des RF T-Kondensatorenwerks. Ende 1992 wurde es als Elektronicon Kondensatoren GmbH privatisiert. Heute sind hier 450 Mitarbeiter beschäftigt, die Kondensatoren, u. a. für Leuchten- und Antriebstechnik herstellen. Hier handelt es sich um eines der wenigen Privatisierungsprojekte der THA in Gera mit nennenswertem und dauerhaftem Beschäftigungseffekt. Die POG GmbH ist aus dem 1991 geschlossenen Werk des Carl-­ZeissKombinats ( Jenoptik) hervorgegangen. Es werden optische Systeme für vielfältige Anwendungen gefertigt. 1992 wurden von ehemals 3.500 Mitarbeiter 42 in die Neugründung übernommen. Heute werden 130 Mitarbeiter beschäftigt. Ebenfalls aus dem Werk Gera der Jenoptik GmbH wurde Anfang 1992 durch MBO die SMK -Präzisionsmechanik GmbH gegründet. Es werden kundenspezifische Teile aus nahezu allen Werkstoffen, vorwiegend im Bereich Drehen und Fräsen gefertigt. Heute sind 45 Mitarbeiter tätig. 1991 wurde die Geraer Kompressoren GmbH, Nach­folge­kapital­gesellschaft des VEB Geraer Kompressorenwerk von Kaeser Kompressoren (Coburg) übernommen. Kaeser hat weltweit über 4.000 Beschäftigte. In Gera sind 300 Mitarbeiter tätig. Man ist hier der zweitgrößte Industriebetrieb nach Dagro Eissmann. Hier handelt es sich um ein Unternehmen, das 1964 in Bad Urach (Baden-Württemberg) gegründet wurde und das inzwischen als Systemlieferant für die Fahrzeugindustrie Marktgeltung besitzt. In Gera wurde 2010 die Dagro Eissmann GmbH gegründet. Hier werden mit 360 Mitarbeitern komplette Fahrzeuginnenräume gefertigt. 2008 hat Rittal, ein Unternehmen mit weltweit über 10.000 Mitarbeitern und Systemanbieter für Schaltschranktechnik in Gera einen weiteren Betriebsteil eröffnet. Dort werden 60 Mitarbeiter beschäftigt. Bereits im Jahr 2000 hatte diese Unternehmensgruppe hier einen Betrieb errichtet. Man beschäftigt in Gera nunmehr 240 Mitarbeiter. Privatisierung und Strukturprobleme in Ostthüringen  |

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In Altenburg ist mit der Altenburger Spielkartenfabrik GmbH der Marktführer für Spielkarten in Deutschland ansässig. Dieses 1990 privatisierte Unternehmen trägt erheb­lich zum Bekanntheitsgrad von Altenburg bei. 2002 wurde das Unternehmen von der CartaMundi-Gruppe, einem der weltweit größten Spielkartenhersteller, übernommen und zu einer der bedeutendsten Produktionsstätten für Spielkarten in Europa ausgebaut. 2009 konnte man das Jubiläum „500 Jahre Altenburger Spielkarten“ unter positiven Zukunftsperspektiven feiern. Heute werden 160 Mitarbeiter beschäftigt, die Karten und Spiele verschiedenster Art herstellen. In Greiz war neben der Textilindustrie auch ein Chemiebetrieb ansässig (VEB Chemiewerk Greiz-Dölau), der 1991 privatisiert wurde. 1998 hat Akzo-Nobel diesen Standort übernommen und als Thioplast Chemicals GmbH & Co., KG , in den Konzern eingegliedert. Es werden 240 Mitarbeiter beschäftigt, die hauptsäch­lich Thioplaste (Dichtungsmassen) zur Isolierglasherstellung und für Abdichtungen in der Fahrzeug- und Luftfahrtindustrie produzieren. Seit 1991 hat die Finstral-Gruppe auch einen Standort in Greiz. Dieses Unternehmen fertigt Fenstersysteme und Wintergärten mit Hauptsitz in Bozen/Südtirol und insgesamt 1.400 Mitarbeitern. Man hat in Greiz einen Betrieb übernommen und fertigt dort mit 100 Mitarbeitern Fenster. Weitere Industriestandorte im Kreis Greiz sind Bad Köstritz, Zeulenroda-­ Triebes, Weida und Münchenbernsdorf. In Bad Köstritz wird seit 1543 Schwarzbier gebraut. In der DDR war der VEB Köstritzer Schwarzbierbrauerei eine der wenigen Brauereien, die Bier für den Export nach Westdeutschland braute. 1991 wurde die Nachfolgekapitalgesellschaft Köstritzer Schwarzbierbrauerei GmbH von der Bitburger Getränke-Holding übernommen. In der Folge wurde die Brauerei stark modernisiert. Heute werden insgesamt 700.000 hl pro Jahr gebraut, neben Schwarzbier auch Pilsner und Biermixgetränke. Beschäftigt werden 250 Mitarbeiter. 1831 wurde in Bad Köstritz ein Sodawerk eröffnet, in dem auf der Basis der dort in der Saline geförderten Sole mehr als 20 Produkte hergestellt wurden. In der DDR gehörte dieses Werk als VEB Chemiewerk Bad Köstritz zum VEB Chemiekombinat Bitterfeld. Nach Abspaltung aus dem Kombinat konnte die gewandelte Chemiewerk Bad Köstritz GmbH erfolgreich privatisiert werden. Heute werden hier u. a. auf der Basis von Kieselsäure High-Tech-Substanzen für die Nano- und Mikrotechnologie sowie die Bildverarbeitung von 250 Mitarbeitern hergestellt. Zeulenroda-Triebes hat wesent­liche traditionelle Industriezweige (Möbel­ industrie, Gummiwaren, Textilherstellung) verloren. Inzwischen haben sich 134

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einige Betriebe des Maschinenbaus und der Holzverarbeitung angesiedelt. Bauerfeind AG ist das größte Unternehmen der Stadt. 1949 hat der Unternehmer Rolf Bauerfeind Zeulenroda verlassen, da er mit der politischen Lage in der DDR nicht einverstanden sein konnte. Er hat in Westdeutschland den Neuaufbau begonnen. 1991 ist sein Sohn Hans B. Bauerfeind nach Zeulenroda zurückgekehrt und hat die Firmenzentrale wieder aufgebaut. Man produziert und vertreibt weltweit Bandagen, medizinische Kompressionsstrümpfe sowie orthopädische Einlagen und Schuhe. Als Servicepartner der Deutschen Sporthilfe werden alle geförderten Sportler präventiv und im Verletzungsfall versorgt. Insgesamt sind weltweit 2.000 Mitarbeiter tätig, am Hauptsitz Zeulenroda 850 Beschäftigte. Weida war geprägt durch die Lederindustrie. Ende des 19. Jahrhunderts wurden hier verschiedene Gerbereien gegründet, die sich zu Schuhoberlederherstellern entwickelten. Der VEB Lederwerke Weida war einer der größten Lederhersteller der DDR. Er wurde als Lederwerke Weida GmbH von der THA Berlin übernommen. Ledig­lich in einem Werk von insgesamt drei Hauptbetrieben wurde die Produktion aufrechterhalten. Von ehemals fast 2.000 Mitarbeitern wurden bei der Privatisierung 150 übernommen. Diese Privatisierung schlug fehl. 1993 wurde das Gesamtvollstreckungsverfahren eröffnet. Mit einer Auffanggesellschaft wurde versucht, den Betrieb weiterzuführen. In der Lederindustrie waren inzwischen auf den Weltmärkten deut­liche Zuwächse zu verzeichnen. In Europa und insbesondere in Deutschland ergaben sich aber durch qualitative Anpassungen erheb­liche Kapazitätsstilllegungen. Allerdings konnten die verbliebenen Gerbereien ihren Umsatz nahezu verdoppeln. Es wurden Produkt- und Verfahrensanpassungen vorgenommen, um höheren Qualitätsanforderungen und Modeentwicklungen der Abnehmer zu entsprechen. Diese Anpassung konnte bei der Lederwerke Weida GmbH bzw. ihrer Nachfolgegesellschaft nicht realisiert werden, obwohl über 38 Mio. DM Investitions- und Liquiditätshilfen in Anspruch genommen wurden. Eine tragfähige Umstrukturierung konnte nicht erreicht werden. 1998 wurde wiederum das Konkursverfahren eingeleitet. 1999 hat die 1992 gegründete Car Trim GmbH aus Plauen den Betrieb übernommen und stellt heute qualitativ hochwertiges Leder für die Möbel-, Fahrzeug- und Luftfahrtindustrie mit 60 Mitarbeitern her. Größter Arbeitgeber in Weida ist heute die Breckle GmbH, Hersteller von Matratzen, mit 550 Mitarbeitern. Münchenbernsdorf war seit Ende des 19. Jahrhunderts gekennzeichnet durch Teppichherstellung. In der DDR wurden sieben Teppichfabriken zum VEB Thüringer Teppichfabriken Münchenbernsdorf zusammengefasst. Es Privatisierung und Strukturprobleme in Ostthüringen  |

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entstand das bedeutendste Zentrum der Teppichindustrie in der DDR. Bis zu 3.500 Menschen hatten hier gearbeitet. Als Thüringer Teppichfabriken GmbH wurden die Betriebe von der THA Berlin übernommen. Die Privatisierungsbemühungen waren weitgehend erfolglos. 1996 waren noch 79 Mitarbeiter in einem verbliebenen Werk tätig. Dieses Werk wurde inzwischen von Carpet Concept Teppichboden GmbH, einem Unternehmen der Gruppe JAB Anstoetz (Bielefeld), übernommen, um dort Teppiche im Design-Konzept herzustellen. Eine deut­liche Beschäftigungswirkung war damit nicht verbunden. Der Saale-Orla-Kreis besteht aus den früheren Kreisen Schleiz, Pößneck und Lobenstein. In Pößneck und in Neustadt/Orla (ehemals Kreis Pößneck) sind Einzelentwicklungen zu verzeichnen, die zu deut­lichen Beschäftigungseffekten geführt haben. In Pößneck wurde vom Bertelsmann-Konzern die ehemals größte Buchdruckerei der DDR im Wege der Privatisierung übernommen. Bei diesem Unternehmen, der GGP Media GmbH, sind 1.100 Menschen beschäftigt. Darüber hinaus generiert dieses Unternehmen durch seine regionale Nachfrage nach Dienstleistungen und Zulieferprodukten weitere Beschäftigung. 1876 wurde in Pößneck die Firma Robert Berger als Schokoladenfabrik gegründet. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die Marke „Berggold“ eingeführt. In der DDR wurde durch eine Zusammenlegung mit Rotstern der VEB Thüringer Schokoladenwerke gebildet, der ca. 90 Prozent der Schokoladenproduktion der DDR darstellte. 1990 entstand durch Spaltung die Berggold GmbH in Pößneck. 1991 hat die THA dieses Unternehmen privatisiert. Heute werden mit Schokolade-und Süßwarenproduktion 120 Mitarbeiter von ehemals bis zu 900 beschäftigt. In Neustadt/Orla hat sich 1991 die ACD -Gruppe angesiedelt. Dieses Unternehmen ist Spezialist für mobile Datenerfassung und wurde 1976 in Achstetten bei Ulm gegründet. An beiden Standorten werden insgesamt 330 Mitarbeiter beschäftigt. Seit 1999 ist Neustadt/Orla der Hauptsitz von Docter Optics. Das Unternehmen wurde 1984 in Wetzlar gegründet. 1991 wurden die Werke Saalfeld und Schleiz des VEB Kombinats Carl Zeiss an Docter privatisiert. 1996 wurde die Docter-Gruppe durch Rodenstock, Robert Bosch und Hella gemeinsam übernommen. Nach der vollständigen Verlegung nach Neustadt/Orla wurden die Werke in Schleiz und Saalfeld geschlossen. Docter ist internationaler Marktführer bei Projektionslinsen für Automobilscheinwerfer. Im Mai 2014 wurde eine neue Glaslinie eingeweiht mit weiteren 76 Arbeitsplätzen. Die Gesamtbeschäftigtenzahl liegt damit bei 500. 136

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Im Jahre 1882 wurde in Blankenstein am Rennsteig (ehemals Kreis Lobenstein) eine Papierfabrik gegründet. Anfang des 20. Jahrhunderts hatte das Werk bereits über 1.000 Beschäftigte. In der DDR entstand der VEB Zellstoff- und Papierfabrik Rosenthal. In den 1970er Jahren wurde eine Kapazitätserweiterung vorgenommen. Dabei wurde die Fabrik auf den internationalen Stand der Technik gebracht. 1990 wurde der VEB als Zellstoff- und Papierfabrik Rosenthal GmbH von der THA Berlin übernommen. 1994 wurde das Unternehmen an Mercer Group (Kanada), einen internationalen Konzern der Zellstoffindustrie, privatisiert. In der Folge wurde das Werk umgebaut und erweitert. Bis 1999 sind über 500 Mio. DM investiert worden. Heute werden 360.000 t Zellstoff pro Jahr produziert und 440 Mitarbeiter beschäftigt. Der Rohstoffbedarf von ca. 2 Mio. Festmeter Holz wird aus der angrenzenden Region, einer der holzreichsten Deutschlands, gedeckt. Diese Privatisierung kann insgesamt als gelungen bezeichnet werden. Eine stabile Beschäftigung wurde erzielt, die hohen Investitionen hatten regionale Multiplikatorwirkung (z. B. die Ansiedlung eines Spanplattenwerks im benachbarten Ebersdorf ) und der heimische Rohstoff Holz wird verarbeitet. Darüber hinaus werden noch aus der energetischen Nutzung des Bioabfalls beträcht­liche Mengen an Biostrom über Kraft-Wärme-Kopplung erzeugt und für das öffent­liche Netz bereitgestellt. Der wirtschaft­liche Schwerpunkt des Saale-Holzland-Kreises ist Hermsdorf mit Umland. Andererseits bestehen im west­lichen Teil des Kreises enge Bindungen zu Jena. Ein Industriestandort von einiger Bedeutung ist darüber hinaus Kahla. Dort wurde 1844 eine Porzellanfabrik gegründet. 1914 war sie einer der größten Porzellanhersteller Deutschlands. In der DDR war der verstaat­lichte VEB Vereinigte Porzellanwerke Kahla, später VEB Feinkeramik Kahla das Zentrum der Porzellanindustrie. 50 Prozent der Produktion wurden nach Westeuropa exportiert. 1991 wurde die Nachfolgekapitalgesellschaft Porzellanwerk Kahla GmbH privatisiert. 1993 wurde dieses Unternehmen insolvent und musste Konkursantrag stellen. 1994 hat die neugegründete Kahla/ Thüringen Porzellan GmbH den Betrieb übernommen und weitergeführt. Gesellschafter waren der oberfränkische Porzellanfachmann Günther Raithel und die Thüringer Industriebeteiligungsgesellschaft (Beteiligungsgesellschaft des Freistaats Thüringen). Im Jahr 2000 hat die Familie Raithel deren Anteile übernommen. Durch umfangreiche Investitionen in neue Fertigungstechnologien konnte die Produktivität verbessert und das Produktionsprogramm erweitert werden. Gleichzeitig wurden die Marke und ihre Marktgeltung weiterentwickelt und ein wettbewerbsfähiges Vertriebssystem aufgebaut. Privatisierung und Strukturprobleme in Ostthüringen  |

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Inzwischen hat das Unternehmen mehr als 80 Designpreise erhalten und wird als eines der modernsten und innovativsten Porzellanunternehmen betrachtet. Gegenwärtig werden 300 Mitarbeiter beschäftigt. Hier konnte durch ein wirtschaftspolitisches Instrument des Freistaats Thüringen eine erfolgreiche Nachprivatisierung und damit die langfristige Existenz eines Traditionsstandorts sichergestellt werden. Im Kreis Saalfeld-Rudolstadt ist die industrielle Tätigkeit auf das Städtedreieck Saalfeld-Rudolstadt-Bad Blankenburg konzentriert. Eine Gemeinde mit einigem industriellen Besatz ist darüber hinaus Königsee-Rottenbach. In Königsee entstand 1920 ein Unternehmen, das von dem Unternehmer Otto Bock von Berlin dorthin verlagert wurde. In Berlin war von ihm eine orthopädische Werkstatt gegründet worden, die nach dem Ersten Weltkrieg vor allem Prothesen herstellte. In Königsee wurde die Serienherstellung dieser Produkte begonnen. Die Familie wurde 1946 enteignet und übersiedelte nach Duderstadt (Niedersachsen). Als Betriebsteil des VEB Medizintechnik Suhl wurde in der DDR der Betrieb weitergeführt. 1991 erfolgte die Reprivatisierung an die Familie. Heute arbeiten in Königsee ca. 600 Mitarbeiter. Es werden dort vor allem manuelle und elektrisch angetriebene Rollstühle gefertigt. Insgesamt hat die Unternehmensgruppe über 7.000 Mitarbeiter und ist Weltmarktführer der technischen Orthopädie und Prothetik. Als Fazit lässt sich festhalten: In der industriell sehr differenzierten Region Ostthüringen hat sich ein deut­licher Strukturwandel vollzogen. Textilindustrie, Lederindustrie und Maschinenbau sowie auch die Porzellan- und Möbelindustrie haben erheb­liche Beschäftigungsverluste erlitten. Neue Industrien, wie etwa Optik und Elektronik, haben sich nur punktuell gehalten bzw. entwickelt. Einige Betriebe der Nahrungs- und Genussmittelindustrie konnten sich behaupten, wenn auch mit wesent­lich weniger Beschäftigung als 1990. Einige Privatisierungen waren entweder nicht erfolgreich oder mussten durch den Freistaat Thüringen begleitet und unterstützt werden. Durch die Tätigkeit der LEG konnten vor allem die großen Standorte Hermsdorf, Rudolstadt-Schwarza und Unterwellenborn in ihrem Kern erhalten und gestützt sowie zahlreiche Ansiedlungen realisiert werden. Die Region Ostthüringen wird auch weiterhin Schwerpunkt der Strukturpolitik des Freistaats Thüringen sein müssen, um auch hier eine ähn­liche Entwicklung von Wirtschaftswachstum und Beschäftigung zu erreichen wie in anderen Regionen.

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|  Privatisierungen in den Regionen

Privatisierung und Wachstum in Südthüringen In Südthüringen war die THA vertreten durch die Niederlassung Suhl. Die regionale Zuständigkeit dieser Niederlassung bezog sich auf den ehemaligen Bezirk Suhl der DDR . Er bestand aus den Kreisen Bad Salzungen, Meiningen, Schmalkalden, Suhl-Land, Hildburghausen, Neuhaus am Rennweg, Ilmenau, Sonneberg und der kreisfreien Stadt Suhl. Nach der Thüringer Gebietsreform 1994 wurden der Wartburgkreis einschließ­lich Bad Salzungen, der Kreis Schmal­kalden-Meiningen und der Ilmkreis einschließ­lich Ilmenau gebildet. Die Kreise Suhl-Land und Neuhaus am Rennweg wurden aufgelöst und aufgeteilt. Insofern ergeben sich im Zeitvergleich einige statistische Unschärfen, die aber das Gesamtbild nur unwesent­lich beeinflussen. Die heutige Region Südthüringen ist weitgehend mit dem ehemaligen Bezirk Suhl der DDR identisch. Die Ausgangssituation 1990/91 stellt sich wie folgt dar: Südthüringen bzw. der Bezirk Suhl war nicht durch einen dominanten Wirtschaftszweig gekennzeichnet, wie z. B. „Chemiedreieck“ in Halle oder „Braunkohle-Energie“ in Cottbus. Hier hatten sich seit Ende des 19. Jahrhunderts verschiedene Industrie- und Wirtschaftszweige gebildet, die damals auch schon sehr früh internationale Bedeutung hatten. Die Region bestand im Wesent­lichen aus drei Wirtschaftsräumen: dem Werra-Kaligebiet in Bad Salzungen, dem Gebiet Schmalkalden–Suhl–Zella-Mehlis sowie Ilmenau-Neuhaus am Rennweg-Sonneberg. In der Kaliregion waren drei Kaliwerke aktiv: Merkers, Dorndorf und Unterbreizbach, die zum VEB Kalikombinat Werra-Merkers zusammengeschlossen waren und später dem Kalikombinat Sondershausen zugeordnet wurden. Der Bereich Schmalkalden–Suhl–Zella-Mehlis war gekennzeichnet durch Werkzeuge, Maschinenbau, Elektrotechnik und Feinmechanik. Hier waren auch Zulieferbetriebe für die Automobilregion Eisenach vorhanden. Darüber hinaus war Suhl ein Zentrum der Waffenindustrie und des Fahrzeugbaus (Zweiradindustrie). Der Bereich Ilmenau-Neuhaus-Mittlerer Thüringer Wald war geprägt durch die Glasindustrie. In Ilmenau war das Zentrum der Herstellung technischer Glasprodukte mit dem Kombinat VEB Technisches Glas und in Schleusingen war der Stammbetrieb der Behälterglasindustrie des Kombinats VEB Behälterglas. In der Glasindustrie im Thüringer Wald waren über 8.000 Menschen beschäftigt. In Neuhaus am Rennweg befand sich darüber hinaus ein Teilbetrieb des Kombinats VEB Mikroelektronik mit 1.200 Beschäftigten. Sonneberg war als Zentrum der Spielwarenindustrie Privatisierung und Wachstum in Südthüringen  |

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Sitz des Kombinats VEB Spielwaren. Im Bezirk Suhl waren darüber hinaus Betriebe der Porzellan- und Möbelindustrie vorhanden. VEB Henneberg Porzellan/Ilmenau war eines der modernsten Werke der Porzellanindustrie im gesamten RGW-Raum mit 1.000 Beschäftigten. Der Holzreichtum des Thüringer Waldes war die Rohstoffgrundlage für zahlreiche Möbelbetriebe, die im VEB Möbelkombinat Suhl zusammengefasst waren. Charakteristisch für die Industrie im Bezirk Suhl war trotz großer Kombinatsstammbetriebe einerseits die Existenz vieler Klein- und Mittelbetriebe. Eine große Zahl dieser Betriebe war bei der letzten Verstaat­lichungswelle 1972 in die Kombinate eingegliedert worden, wurde aber vielfach durch den vorherigen Unternehmer als VEB-Leiter weitergeführt. Zum anderen war im Bezirk Suhl die Konsumgüterherstellung auch für west­liche Märkte sehr ausgeprägt. Dies gilt z. B. für die Hausgeräteindustrie (Küchenmaschinen aus Suhl, Staubsauger aus Sonneberg), für die Porzellan- und Möbelindustrie und teilweise auch für Kfz-Zulieferung. Trotz Hindernissen im internationalen Austausch von technolo­gischem Know-how hat sich in Südthüringen ein vergleichsweise hohes Niveau von technischem Wissen bewahrt, beispielsweise in der Werkzeugindustrie und Feinmechanik. Der Bezirk Suhl war hinsicht­lich Fläche und Bevölkerung ein kleiner Bezirk, war aber mit am stärksten industrialisiert. Er gehörte deshalb auch zu einer „Vorzugsregion“ in Bezug auf Wohnbedingungen und kulturellem Umfeld. Hinzu kam die starke Förderung des Tourismus im Thüringer Wald durch den Bau großer Ferienheime. Der Bezirk Suhl war nach Rostock (Ostsee) das zweitgrößte Urlaubsgebiet der DDR. Wesent­liches Privatisierungshemmnis in Südthüringen war insbesondere der Zustand der Produktionskapazitäten. Trotz einiger moderner Ansätze waren die meisten Betriebe technolo­gisch nicht auf einem wettbewerbsfähigen Niveau. Auch die Produktivität, insbesondere in den großen Kombinatsstammbetrieben, war gering. Hier musste vielfach Sanierungsarbeit geleistet werden. Begünstigt wurde allerdings die Transformation durch eine „Reprivatisierungswelle“, die nach Erlass der Modrow-Gesetze begann. Ausschlaggebend hierfür war die große Zahl von Betrieben, die von den früheren Eigentümern geleitet wurden und nach Vorliegen gesetz­licher Mög­ lichkeiten unmittelbar reprivatisiert werden konnten, vielfach auch unter Mitwirkung der THA. Die Herstellung von Konsumgütern für west­liche Märkte schien zunächst eine günstige Voraussetzung für Privatisierungsmodelle zu sein. In der Regel waren die Produkte zwar auf west­lichen Märkten anerkannt, aber vorwiegend im unteren Preissegment. Man hatte Konsumgüter zur 140

|  Privatisierungen in den Regionen

Devisenbeschaffung preisaktiv verkauft und dabei nur eine geringe Devisenrentabilität erzielt.140 Die Konsumgüter herstellenden Betriebe in Südthüringen erzielten unterschied­liche Devisenrentabilitäten. Trotz teilweise hoher Umsätze aus dem Westexport mussten erheb­liche Anpassungen zur Verbesserung der Produktivität vorgenommen werden. Nicht immer ist dies hinreichend gelungen. Im Folgenden wird die Situation 2012/13 beschrieben. Der Transformationsprozess in Südthüringen verlief insgesamt zügig und konnte durch die Niederlassung Suhl formal bereits Anfang 1993 als abgeschlossen bezeichnet werden. Ca. 25.000 Arbeitsplätze wurden erhalten bzw. zugesagt. Die vertrag­lich vereinbarten Investitionen betrugen 1,5 Mrd.  DM. Als Privatisierungsergebnis der Niederlassung konnte weitgehend die Wiederherstellung der Klein- und Mittelindustrie betrachtet werden. Bereits in den Jahren 1993 bis 1995 zeigten die Arbeitsmarktdaten für Südthüringen eine positive Tendenz. So lag z. B. in Schmalkalden-Meiningen die Arbeitslosenquote bei 14,8 Prozent, im Wartburgkreis und Hildburghausen bei 13,5 Prozent und in Sonneberg bei 11,8 Prozent. In Thüringen lag sie damals über 16 Prozent. Die neuesten Zahlen zeigen ein ähn­liches Bild. In 2013 waren 7,8 Prozent Thüringer arbeitslos, im Wartburgkreis 6,6 Prozent, in Schmalkalden-Meiningen 6,9 Prozent, in Hildburghausen 6,3 Prozent und in Sonneberg 5,2 Prozent. Die Erwerbsstatistik des Jahres 2012 zeigt für die Thüringer Industrie einen Wert von 76,5 (Erwerbstätige in der Industrie pro 1.000 Einwohner). In Sonneberg liegt dieser Wert bei 119, im Wartburgkreis bei 113, in Schmalkalden-Meiningen bei 93 und in Hildburghausen bei 89. Daraus ist deut­lich, dass die Region Südthüringen nach wie vor eine der am stärksten industrialisierten Gebiete Thüringens ist, aber auch industrielle Dynamik zu verzeichnen hat. So stieg beispielsweise die Zahl der Erwerbstätigen in der Industrie pro 1.000 Einwohner in Thüringen um 31,2 Prozent, in Sonneberg 140 Die Marktbeziehungen zur Bundesrepublik waren von der DDR systematisch zur Devisenbeschaffung gepflegt worden. Die Maßgröße war die Devisenrentabilität. Dadurch wurde ausgedrückt, wieviel DDR-Mark der exportierende Betrieb aufwenden musste, um eine DM Exporterlös zu erzielen. 1980 betrug die Devisenrentabilität 2,40 (1  DM Erlös erforderte 2,40  DDRMark Aufwand). 1989 war dieser Faktor 4,40. Ursäch­lich für diesen Anstieg waren verschiedene Faktoren, u. a. die stark gesunkene Produktivität, auch steigende Verrechnungspreise für Rohstoffe aus der UdSSR, auch wenn am Weltmarkt die Preise gesunken waren. Privatisierung und Wachstum in Südthüringen  |

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um 38 Prozent und im Wartburgkreis um 33,6 Prozent. Ursäch­lich dafür ist u. a. die Innovationskraft der Südthüringer Industrie. Maßstab hierfür sind die Patentanmeldungen pro 1.000 Einwohner. Diese liegen zwar in Südthüringen noch weit unter dem Bundesdurchschnitt, aber in Thüringen neben Jena in der Spitzengruppe. Die Basis wurde bereits durch die Privatisierung Anfang 1990 gelegt, beispielsweise durch die Privatisierung und Einbindung der zentralen Forschungsabteilung des Werkzeugkombinats in die Südthüringer FuE-Landschaft. Auch in Südthüringen hat sich ein Strukturwandel vollzogen. Stark sind die Kfz-Zulieferindustrie, Werkzeugherstellung, Feintechnik und Fein­ mechanik, Behälterglasindustrie sowie einige Bereiche der Nahrungs- und Genussmittelherstellung. Die ehemals beschäftigungsstarke Möbelindustrie ist deut­lich reduziert. Dies hängt ursäch­lich damit zusammen, dass die Produktion in der DDR auf Waren im unteren Preissegment ausgerichtet war. Im Preiswettbewerb nach der Wiedervereinigung konnte man wegen deut­licher Produktivitätsnachteile nicht bestehen. Hinzu kam, dass die osteuropäische Konkurrenz – etwa aus Polen – wegen erheb­lich niedrigerer Löhne sich Preisvorteile auf dem west­lichen Markt verschaffen konnte. Ähn­lich ist die Situation bei der Spielwarenindustrie. Hier hat vor allem die ost- und südostasiatische Konkurrenz den Niedergang beschleunigt. Auch die Porzellanindustrie war im unteren Preissegment auf den Westmärkten tätig und konnte sich nicht behaupten. Sie ist heute in Südthüringen nur noch über handwerk­liche Manufakturen vertreten, eine Porzellanindustrie ist hier nicht mehr vorhanden. Die dezentrale Organisationsstruktur der THA (Niederlassungskonzept) wurde in Südthüringen durch interne organisatorische Lösungen ergänzt, die zu einer beschleunigten Privatisierung und zu privatisierungsgerechten Sanierungskonzeptionen beigetragen haben. Den Direktoraten wurde die Zuständigkeit für die Beteiligungsunternehmen nach regionalen Gesichtspunkten (Landkreisen) übertragen und damit Beteiligungsverwaltung, Sanierung und Privatisierung in eine Hand gelegt. Darüber hinaus konnte damit die Zusammenarbeit mit den Kommunen sachdien­lich konzentriert und intensiviert werden. Dies war nicht nur bei den durch die von der THA zu behandelnden Kommunalisierungsvorgängen vorteilhaft, sondern hat auch die Abstimmung bei betrieb­lichen Sanierungs- und Privatisierungsvorgängen begünstigt. Auch waren in den Aufsichtsräten von Südthüringer Unternehmen – insgesamt sechs – bis zur Privatisierung die kommunalen Gebietskörperschaften vertreten (z. B. Landräte, Bürgermeister). 142

|  Privatisierungen in den Regionen

Die Privatisierung durch die THA ist als die erste und wichtigste Phase im Transformationsprozess zu betrachten. Sie hat sich in verschiedenen Formen vollzogen. Die Reprivatisierung, eine Sonderform der betrieb­ lichen Transformation, wurde bereits ab März 1990, noch durch die damalige DDR -Regierung eingeleitet, jedoch nur halbherzig marktwirtschaft­ lich untersetzt. Die Rückübertragung der unternehmerischen Verantwortung der 1972 verstaat­lichten Betriebe wurde durch ein Gesetz ermög­licht („Modrow-Reprivatisierung“). Diese Mög­lichkeit wurde in Südthüringen unmittelbar zahlreich genutzt. Die THA hat daraufhin ab Ende 1990 in Zusammenarbeit mit den zuständigen Ämtern für offene Vermögensfragen die vertrag­lichen und wirtschaft­lichen Grundlagen präzisiert sowie weitere Reprivatisierungen eingeleitet und unterstützt. Insbesondere wurden hier auch Entschädigungen für die enteigneten Unternehmer berechnet, die sich aufgrund von Ertrags- und Vermögensänderungen seit der Enteignung ergeben hatten. Damit wurde der Übergang in das marktwirtschaft­liche Umfeld ermög­licht, sofern der reprivatisierende Unternehmer nach der Rückgabe in wirtschaft­licher und beschäftigungspolitischer Hinsicht einen Beitrag zur Entwicklung der Region zu leisten imstande war. Viele dieser Reprivatisierungen haben sich bis heute positiv entwickelt und haben damit zum Auf- und Ausbau der mittelständischen Struktur in Südthüringen wesent­ lich beigetragen. Zahlreiche Beispiele zeigen deut­lich, dass die unternehmerische Leistung als wesent­liches Element unserer marktwirtschaft­lichen Ordnung die Ursache für Stabilität, Wachstum und Beschäftigung darstellt. Die Formen der Privatisierung in Südthüringen waren vielfältig. Diejenige Privatisierungsform, die im konkreten Fall gewählt wurde und zur Anwendung kam, war objekt- und situationsabhängig. Besonders häufig war der Verkauf der Geschäftsanteile der Nachfolgekapitalgesellschaft eines VEB, fast ausschließ­lich eine GmbH („share-deal“). In Südthüringen wurden häufig Betriebsteile einer GmbH privatisiert („asset-deal“), vor allem bei der Auflösung von Kombinatsstammbetrieben. Die THA hat in Südthüringen auch besonderen Wert darauf gelegt, dass Führungskräfte des ehemaligen VEB die Chance erhielten, den Betrieb, für den sie Führungs- und Leistungsverantwortung hatten, als Unternehmer und Eigentümer weiterzuführen. Daraus ergaben sich einige MBO, die sich bis heute erfolgreich entwickelt haben. Eine Variante dieser Privatisierungsform, durch die zusätz­liche Voraussetzungen für eine positive Entwicklung geschaffen werden konnten, bestand darin, das ehemalige VEB-Management durch einen betriebsfremden, aber branchenerfahrenen und/oder finanzstarken Partner zu ergänzen und abzusichern (MBO und MBI). Privatisierung und Wachstum in Südthüringen  |

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Wesent­liche Privatisierungserfolge waren insbesondere auch dann zu erwarten, wenn als Privatisierungspartner bzw. Käufer eines Privatisierungsobjektes ein kapitalstarkes Unternehmen mit deut­licher Marktstellung und/ oder entsprechenden FuE-Kapazitäten gewonnen werden konnte. Daraus resultierende Synergieeffekte haben oftmals beim privatisierten Betrieb zu deut­lichen Wachstumseffekten geführt. Nicht zuletzt haben auch in der ersten Phase des Transformationsprozesses Neuansiedlungen einen beschäftigungswirksamen Beitrag geleistet. Bei ganz oder teilweise stillgelegten Betrieben haben Investoren die Chancen genutzt, die sich aufgrund des freigewordenen und qualifizierungsfähigen Arbeitskräftepotenzials ergaben und neue Betriebe errichtet, die sich teilweise auch zum Stammbetrieb von Unternehmensgruppen entwickelt haben. An einer Reihe von Beispielen soll gezeigt werden, wie die Transformationsvorgänge im Einzelnen abgelaufen und welche Ergebnisse aus heutiger Sicht dabei erzielt worden sind. Vor allem die Industriezweige –– Fahrzeug- und -zulieferindustrie, –– Glasindustrie, –– Kleineisen und Werkzeuge, –– Feintechnik und Elektrogerätewerke haben in Südthüringen die Entwicklung getragen. Beispiele aus der Nahrungs- und Genussmittelindustrie und der Spielwarenindustrie ergänzen die Darstellung. Die Fahrzeug- und -zulieferindustrie hat sich in Thüringen seit 1990 stark entwickelt. Die Voraussetzungen waren dabei vor allem in West- und Südthüringen günstig. Die Fahrzeugfabrik Eisenach existiert seit 1896 und war als VEB Automobilwerk Eisenach (AWE) 1990 Kooperationspartner von Opel. Das vorhandene Arbeitskräftepotenzial war ein Grund für Opel, sich in Eisenach anzusiedeln. 1992 wurde das neue Werk eröffnet. In der gleichen Zeit haben BMW und Bosch Produktionsstandorte übernommen und ausgebaut. Konzerneigene FuE-Kapazitäten bei diesen Unternehmen haben in Verbindung mit Technologienetzwerken zu einer Anreicherung des technischen Wissens in der Region geführt und damit die Marktfähigkeit der Produkte erhöht und gesichert. Heute werden bei Opel in Eisenach 1.600 Mitarbeiter beschäftigt. Der neue Kleinwagen „Adam“ bietet eine hoffnungsvolle Zukunftsperspektive. Bosch fertigt in Eisenach Sensoren für Fahrzeuggetriebe und Abgastechnik mit 1.700 Mitarbeitern, BMW hat in das Werk für Umformwerkzeuge in Eisenach seit 1992 ca. 120 Mio. Euro investiert und beschäftigt 230 Mitarbeiter. 144

|  Privatisierungen in den Regionen

Der Schwerpunkt der mittelständischen Zulieferindustrie liegt im Raum Eisenach. In Südthüringen haben sich im Transformationsprozess auch Unternehmen entwickelt, die nicht nur eine deut­liche beschäftigungsstabilisierende Wirkung in ihrer Region aufweisen, sondern auch teilweise technolo­gische Führungsrollen in ihren jeweiligen Geschäftsfeldern ausfüllen. Das Unternehmen GPM GmbH, Merbelsrod (Kreis Hildburghausen) wurde 1939 gegründet und 1972 zum VEB GPM verstaat­licht. Man war in der DDR Lieferant von Wasserpumpen, Kühlmittelpumpen und Ölpumpen für Fahrzeuge sowie Gleitringdichtungen für den Maschinen- und Anlagenbau. 1991 wurde der VEB reprivatisiert, der Gründerfamilie zurückgegeben und als Geräte- und Pumpenbau GmbH weitergeführt. Die THA Suhl hat dazu die vertrag­liche Basis geschaffen. Damals wurden 200 Mitarbeiter übernommen, heute beschäftigt das Unternehmen 750 Mitarbeiter. Man hat sich aufgrund jahrzehntelanger Systemkompetenz zu einem Technologieführer und wichtigen Partner für die Automobilindustrie entwickelt. Als Weltneuheit wurde vor kurzem eine regelbare Kühlmittelpumpe vorgestellt, die die führende Stellung des Unternehmens auf dem Weltmarkt unterstreicht. 2013 wurde das Unternehmen dafür mit dem Thüringer Innovationspreis ausgezeichnet. 1941 wurde das Unternehmen Kern-Technik GmbH, Schleusingen (Kreis Hildburghausen) als Maschinenfabrik gegründet, 1972 zum VEB Elektrobauelement verstaat­licht und in das Kombinat OSTRA Hydraulik Leipzig eingegliedert. 1991 wurde durch die THA Suhl die Reprivatisierung abgeschlossen und das Unternehmen an die Gründerfamilie zurückgegeben. Bereits in der DDR war das Unternehmen führend in der Entwicklung und Herstellung von Magneten verschiedenster Bauart, insbesondere Hydraulikmagneten. Die Produkte sind Einbauelemente bei allen Antrieben und Steuerungen, die mit Hydraulik, Pneumatik und anderen Medien arbeiten. Automobilindustrie und deren Zulieferer sind wesent­lich Abnehmer. 1991 wurden 120 Mitarbeiter übernommen, heute werden 350 Mitarbeiter beschäftigt. Die Leistungen des Unternehmens wurden durch verschiedene Auszeichnungen belohnt, z. B. 1999 „Oskar für den Mittelstand“ und 2002 „Member of Top 100“ des innovativen Mittelstands. Das Unternehmen ELEKTRA GmbH, Schalkau (Kreis Sonneberg), wurde 1992 durch die THA Suhl privatisiert. Es wurde an die Betriebsführung des VEB Elektra als MBO übertragen. Man war in der DDR Zulieferer elektromechanischer Teile und Baugruppen vorwiegend für die Fahrzeugindustrie. Das Management hat es innerhalb kurzer Zeit verstanden, sich mit führender Technologie als Zulieferer qualitativ durchzusetzen. Das Unternehmen ist Systemanbieter von elektromechanischen Baugruppen, u. a. Privatisierung und Wachstum in Südthüringen  |

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für Abgasrückführungssysteme, ABS-Anwendungen, Starter, Motorkühlung etc. Im Stammwerk in Schalkau werden 300 Mitarbeiter beschäftigt, in einem Zweigwerk in Polen, das die osteuropäische Automobil- und -zulieferindustrie bedient, 400 Mitarbeiter. Die eigene Entwicklungsabteilung, in Zusammenarbeit mit der TU Ilmenau, ist die Basis für eine auch zukünftig gesicherte Marktentwicklung. Der VEB TIRA Rauenstein war ein Maschinenbaubetrieb im Kombinat Fritz Heckert. Die Produktgruppen waren Materialprüfungsgeräte, Auswuchttechnik und Schwingungstechnik. Als TIRA Maschinenbau GmbH wurde das Unternehmen von der THA Suhl übernommen. Zur Einführung auf west­lichen Märkten waren die Produkte damals ungeeignet. Elektronische Steuerung und erforder­liche Computertechnik entsprach nicht den Anwendererfordernissen. Die THA Suhl hat eine Sanierungs- und Entwicklungsphase eingeleitet, mit der Zielsetzung, marktfähige Produkte herzustellen. Die personellen Voraussetzungen in den entsprechenden Abteilungen wurden dafür als geeignet eingeschätzt. In relativ kurzer Zeit wurde diese Zielsetzung verwirk­licht. Prüfgeräte zur Zug-, Druck- und Biegeprüfung, Auswuchtgeräte zur Unwuchtmessung und zum Wuchtausgleich sowie Geräte zum Test von Baugruppen unter Schwingungsbelastung (Schwingungstechnik), hauptsäch­lich zum Einsatz in der Fahrzeugindustrie, waren auf der Grundlage der vorhanden Technik entwickelt worden. Die Privatisierungsbemühungen waren jedoch auch nach der Sanierungsphase nicht erfolgreich. Maschinenbauunternehmen und Kfz-Zulieferer hatten nicht in allen Geschäftsfeldern der TIRA Kompetenz und damit kein Synergie- und Akquisitionsinteresse für das Gesamtunternehmen. Die THA Suhl hat daher ein Privatisierungsmodell entwickelt, in dem MBO , Beschäftigungsmaßnahmen und kommunale Wirtschaftsförderung kombiniert wurden. Das Werksgelände wurde von der Wirtschaftsförderungsgesellschaft des Kreises Sonneberg gekauft und mit Beschäftigungsmaßnahmen saniert und entwickelt. Danach konnten einige Ansiedlungen mit einer Beschäftigungswirkung von 250 Mitarbeitern realisiert werden. Das Management von TIRA gründete eine neue Gesellschaft, übernahm Entwicklung, Fertigung und Vertrieb der gesamten Produktpalette und mietete vom Eigentümer, der Wirtschaftsförderungsgesellschaft, die notwendigen Gebäude und Einrichtungen. Die MBO -Privatisierung entwickelte sich positiv, 1998 wurde ein eigenes Firmengebäude in Schalkau fertiggestellt und bezogen. Heute beschäftigt das Unternehmen ca. 250 Mitarbeiter. Aus der Kooperation mit TIRA in der Teilefertigung hat sich in unmittelbarer Nähe in Schalkau eine weitere Ansiedlung ergeben. KASTO, ein führender 146

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Anbieter von Metallsägen, hat ein Zweigwerk mit heute ca. 120 Mitarbeitern errichtet. Hier handelt es sich um ein Beispiel, wie die THA mit einem kombinativen Konzept und Vorsanierung eine komplizierte Privatisierungsaufgabe lösen konnte. 1991 hat die THA Suhl die Plasta GmbH (Sonneberg) übernommen. Diese GmbH war vormals als VEB Plasta-Werke Sonneberg dem Kombinat Plast- und Elastverarbeitung Berlin zugeordnet. Organisatorische Hemmnisse in der THA Berlin waren für die Übertragung auf die Niederlassung Suhl ausschlaggebend. Man war in der DDR führend in der Fertigung von Hartgeweberohren und beim Pressen und Spritzgießen von Duroplasten. Maschinenbau, Elektrotechnik und Fahrzeugbau waren die Hauptabnehmer. Das Unternehmen hatte in Teilbereichen einen vergleichsweise modernen Bestand von Spritzgießmaschinen, teilweise auch von westdeutschen Herstellern. Das Unternehmen wurde als privatisierungsfähig eingeschätzt. Eine Sanierungsaufgabe musste jedoch gelöst werden, ein Braunkohleheizhaus mit sechs Kammern und einem 70 Meter hohen Schornstein stellte eine energietechnolo­gische, ökolo­gische und finanzielle Belastung dar. Diese Aufgabe sollte der Privatisierungsinteressent in Angriff nehmen mit entsprechender Auswirkung in den Übernahmekonditionen. Im Verlauf der Privatisierungsakquisition kam ein Kontakt mit Mann & Hummel, Ludwigsburg, zustande. Dieses Unternehmen ist ein führender Hersteller von Filtersystemen für die Kfz-Industrie mit gegenwärtig ca. 3 Mrd. Euro Umsatz und ca. 15.000 Mitarbeitern. Ende 1991 konnte Plasta GmbH an Mann & Hummel GmbH privatisiert werden. Es wurden 200 Mitarbeiter übernommen, heute werden über 500 Mitarbeiter beschäftigt. In 2011 wurde eine Erweiterungsinvestition durchgeführt, nachdem sich in den vorangegangen sieben Jahren der Umsatz verdoppelt hatte. Heute werden in Sonneberg Saugrohre für Verbrennungsmotoren gefertigt. Bei diesem Produkt hat man im Konzern eine technolo­gische Führungsrolle. Hier handelt es sich um ein Privatisierungsprojekt, bei dem deut­lich wird, dass Synergien zwischen den Kapazitäten für Forschung, Entwicklung und Fertigungstechnologie eines Konzerns einerseits und qualifizierten Mitarbeitern eines ehemaligen VEB andererseits zu einer Spitzenposition auf dem Weltmarkt führen können. In Sonneberg und Neuhaus-Schierschnitz hatte sich aus der Keramik- und Porzellantradition in der DDR der VEB Elektrokeramische Werke Sonneberg ergeben. Dort wurden seit Anfang der 1950er Jahre „Isolator“-Zündkerzen hergestellt, die im gesamten RGW-Raum für die Fahrzeugerstausrüstung eingesetzt wurden. 1991 wurde die Zündkerzenproduktion an BERU Privatisierung und Wachstum in Südthüringen  |

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Federal Mogul privatisiert. BERU ist ein weltweit führender Hersteller von Zünd- und Glühkerzen. Bei Dieselmotor-Glühkerzen wird der Weltmarktanteil auf über 40 Prozent geschätzt. Im Jahre 2005 wurde BERU von Borg-Warner übernommen, 2012 wurde der Geschäftsbereich Zündkerzen und die Marke „BERU “ an Federal Mogul, einen global tätigen Zulieferer von Komponenten für die Automobilindustrie mit weltweit ca. 45.000 Mitarbeitern verkauft. In Neuhaus-Schierschnitz werden Zündkerzen für die Erstausrüstung und den After-Markt für zahlreiche Fahrzeughersteller gefertigt. Bei der Übernahme 1991 waren 80 Mitarbeiter beschäftigt, heute sind es 180. Die Zugehörigkeit zu einem Konzern schafft Voraussetzungen für den technolo­gischen Erfahrungsaustausch und die Zusammenarbeit mit zentralen FuE-Bereichen. Dadurch wird die ständige Anpassung der Produkte und Fertigungsverfahren an die Markterfordernisse sichergestellt. Im Jahre 1856 wurde von den Gebrüdern Simson in Suhl eine Stahlschmiede gegründet. Dieses Unternehmen hat im Laufe der Zeit mehrere Umstrukturierungen erfahren, im Wesent­lichen jedoch waren Fahrzeuge und Waffen immer Bestandteile des Leistungsprogramms. In der DDR war das Kombinat Ernst Thälmann VEB Fahrzeug- und Waffenproduktion die Organisationseinheit, welcher darüber hinaus mehrere Betriebe zugeordnet waren. Neben Waffen, beispielsweise Kalaschnikow, wurden pro Jahr ca. 200.000 Mopeds und Roller hergestellt. Anfang 1990 wurde das Kombinat aufgeteilt, u. a. in die Simson Fahrzeuge GmbH und die Jagd- und Sportwaffen GmbH. Für Simson war THA Berlin zuständig, für die Jagdund Sportwaffen GmbH zunächst THA Suhl, danach durch Vorstandsbeschluss THA Berlin. Auf Veranlassung der THA Berlin wurde Ende 1990 das Gesamtvollstreckungsverfahren (Konkursverfahren nach DDR -Recht) für Simson eingeleitet. Man hielt das Unternehmen nicht für privatisierungsfähig. Auch der Aufsichtsrat von Simson hatte dieses Vorgehen nicht verhindert. In der Folge wurden Sanierungsüberlegungen unterlassen und nur noch Liquidations- und Abwicklungsvorgänge durchgeführt. Die Einleitung des Gesamtvollstreckungsverfahrens schien voreilig. Es wurde danach öffent­lich bekannt, dass die Zahlungsfähigkeit über längere Zeit gesichert gewesen wäre, ausreichend, um eine Due-Dilligence-Prüfung mit StärkenSchwächen-­Analyse vorzunehmen. Bei einem weltweiten Bestand von mehreren Millionen Simson-­Fahrzeugen wäre ein Absatzpotenzial an Ersatzteilen sowie Ersatz- und Neufahrzeugen darstellbar gewesen, vor allem, weil die Produkte auf ihren Märkten qualitativ anerkannt waren. Weitere Sanierungsüberlegungen (z. B. Produktivitätsanpassungen, Modernisierung des 148

|  Privatisierungen in den Regionen

Produktdesigns, Überprüfung der Produktkonzeption hinsicht­lich gesetz­ licher Vorgaben, Ausbau bzw. Wiederaufbau der Vertriebsorganisation etc.) wurden nicht angestellt. Stattdessen wurde das Unternehmen abgewickelt. Das Werksgelände wurde als Gewerbepark ausgewiesen in der Hoffnung auf Industrie- und Gewerbeansiedlungen. Auch dieses Vorhaben war konzeptionell unzureichend untersetzt. Die Stadt Suhl hatte bereits 1991 zusammen mit der angrenzenden Großgemeinde St. Kilian das Entwicklungsgebiet Friedberg mit ca. 180 ha Gesamtfläche ausgewiesen. Im Vergleich zu dem innerstädtischen, kaum sanierten und entwickelten Gewerbepark Simson wurden mit diesem Gelände wesent­ lich günstigere Voraussetzungen hinsicht­lich Erschließung und Verkehrsanbindung geboten. 1998 waren hier 45 Unternehmen mit insgesamt ca. 1.800 Arbeitsplätzen angesiedelt. Auf dem Gewerbepark Simson konnte außer einigen Handelsbetrieben keine nennenswerte Ansiedlung realisiert werden. Allerdings hatten Ende 1991 einige ehemalige Mitarbeiter von Simson eine Neugründung, die Suhler Fahrzeugwerke GmbH, vorgenommen und versucht, sich auf dem Markt zu positionieren. Dieses Unternehmen hatte nicht den Charakter einer THA-Privatisierung. Man musste Betriebsgebäude und Einrichtungen vom Gewerbepark Simson anmieten und den Markennamen „Simson“ kaufen. Für nennenswerte Investitionen in Produktentwicklung und Fertigungstechnologie war die finanzielle Basis dieses Unternehmens zu schwach. Die Suhler Fahrzeugwerke GmbH wurde insolvent. Nach einigen weiteren Versuchen wurde 2003 die Produktion eingestellt und das Ende der Firmengeschichte Simson besiegelt. Seit 1990 wurden bis dahin etwa 53.000 Fahrzeuge produziert, in 13 Jahren insgesamt etwa ein Viertel der vorherigen Jahresproduktion. Simson ist ein Beispiel dafür, wie im Transformationsprozess die De-­ Industrialisierung einer Region mit langer Industrietradition eingeleitet worden ist. Ursäch­lich war eine Reihe von Fehlentscheidungen der THA und des Standortmanagements. Die Entscheidung zur Gesamtvollstreckung bzw. Liquidation bereits im Dezember 1990 war voreilig und nicht hinreichend fundiert. Die nachfolgenden „Schein-privatisierungen“ waren weder hinsicht­lich Finanzierung noch Marketing auf einer schlüssigen Konzeption aufgebaut. Die Glasindustrie ist auch heute noch eine bedeutende Industrie in Süd­ thüringen. In der DDR waren die Glasbetriebe in zwei Kombinaten zusammengefasst, dem VEB Kombinat Technisches Glas Ilmenau mit Produkten vor allem für technische Anwendungen sowie dem VEB Thüringer Behälterglas. Der VEB Technisches Glas Ilmenau wurde von der THA Berlin betreut, Privatisierung und Wachstum in Südthüringen  |

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die THA Suhl übernahm 1990 vom Behälterglaskombinat die Thüringer Behälterglas GmbH (Schleusingen) mit Betrieben in Schleusingen, Schönbrunn und Waldau, die Glaswerke Piesau GmbH, die Glaswerke Ernstthal GmbH und die Glaswerke Katzhütte GmbH mit Betrieben in Katzhütte, Fehrenbach und Mellenbach. Ein weiterer Betrieb des Behälterglaskombinats, das Glaswerk Großbreitenbach wurde 1990 von der Unternehmensgruppe Wiegand übernommen und erweitert. Heute werden dort an fünf Produktionslinien mit ca. 200 Mitarbeitern Getränkeflaschen hergestellt. In einem neu errichteten Werk in Großbreitenbach werden PET-Flaschen hergestellt und 100 Mitarbeiter beschäftigt. Bei der Übernahme durch die THA Suhl waren in den drei Werken der Thüringer Behälterglas GmbH, Schleusingen (Kreis Hildburghausen) insgesamt 750 Mitarbeiter beschäftigt. Es wurden pro Jahr etwa 130 Mio. Gläser und Flaschen für die Lebensmittel- und Getränkeindustrie hergestellt. Die gesamtbetrieb­liche Produktivität war auf einem niedrigen Niveau, die Wannen- und Maschinentechnik war veraltet. Die Wannenhitze wurde mit Stadtgas erzeugt, gegenüber Erdgas mit erheb­lich höheren Kosten. Das Absatzvolumen bei den Hauptabnehmern in Ostdeutschland ging erheb­ lich zurück, Westmärkte waren nur in geringem Umfang erschlossen. Das Unternehmen war in diesem Zustand nicht privatisierungsfähig. Die THA Suhl beschloss, den Privatisierungshandlungen eine Sanierungsphase voranzustellen. Eine der ersten Maßnahmen war die Renovierung der Wanne 1 und Umstellung auf marktgängige Gläser (Weiß- statt Braunglas). Eine Kooperation mit einem westdeutschen Behälterglashersteller wurde beendet. Die Erlöse lagen hier unter den Lohnkosten. Dieses Unternehmen hat daraufhin dem Vorstand der THA vorgeschlagen, eine neue Glashütte in Sachsen-Anhalt zu bauen, unter der Voraussetzung der Schließung der Hütte in Schleusingen. Die THA Suhl hat dies abgelehnt und daraufhin die Sanierung intensiviert. Eine energetische Umstellung führte zu erheb­ lichen Kostensenkungen. Die Betriebe in Schönbrunn und Waldau wurden geschlossen, in Schleusingen wurden zusätz­liche Rationalisierungsmaßnahmen durchgeführt und das Sortiment für west­liche Märkte weiter aufbereitet. Die Sanierungsphase hat sich bis 1993 erstreckt. Am 1. Januar 1994 wurde das Unternehmen an einen Beteiligungsfonds der amerikanischen Beteiligungsgesellschaft Advent International verkauft. Bei der Übernahme waren 215 Mitarbeiter beschäftigt. Von Advent wurden weitere Maßnahmen durchgeführt, z. B. Wannenerneuerung, Ausbau auf fünf Fertigungslinien und Einführung einer neuen Verpackungstechnik. Im Jahre 1999 hat Advent die Thüringer Behälterglas GmbH an die GTH Glastechnik Holding AG in 150

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Zürich verkauft. 2011 hat Wiegand diese Holding gekauft und das Unternehmen in die Wiegand-Gruppe eingegliedert. Wiegand ist damit mit Werken in Schleusingen, Großbreitenbach und Steinbach am Wald (Kreis Kronach) einer der größten Behälterglashersteller in Deutschland geworden. Heute werden in Schleusingen 250 Mitarbeiter beschäftigt und mit fünf Produktionslinien 120.000 t Glas pro Jahr zu Flaschen und Gläser für die Getränke- und Nahrungsmittelindustrie verarbeitet. Die Einbindung in die Wiegand-Gruppe bringt für das Unternehmen nunmehr eine langfristige Perspektive. Das Glaswerk Ernstthal (Kreis Sonneberg) wurde 1923 gegründet. Das Produktionsprogramm bestand aus Flaschen und Gläsern in kleinen Abmessungen vor allem für die kosmetische und pharmazeutische Industrie sowie für technische Anwendungen. Als selbständig umgewandelte GmbH wurde das Unternehmen 1990 von der THA Suhl übernommen. Die Produkte waren teilweise auf west­lichen Märkten eingeführt und qualitativ anerkannt. Um die Privatisierungsfähigkeit zu unterstützen, wurden verschiedenen Maßnahmen veranlasst. Die Wannen wurden saniert, eine neue Glasformmaschine wurde gebaut und die Energieversorgung auf Erdgas umgestellt. Trotz Erhöhung der Wirtschaft­lichkeit und Verbesserung der Marktchancen war die Privatisierung schwierig. Interessenten aus der Branche stellten sich als finanziell angeschlagen heraus und branchenfremde Interessenten hatten keine vertrauenswürdige Konzeption. Der Absatzanteil westdeutscher Kunden betrug inzwischen 85 Prozent, die hohe Flexibilität der Fertigung war ein wesent­liches akquisitorisches Potenzial und die Produktqualität hatte überzeugt. Im Rahmen einer Patenschaftsaktion der Handelskammern, unterstützt durch das „Handelsblatt“ konnte 1993 die Privatisierung erfolgreich abgeschlossen werden. Es wurden 150 Mitarbeiter übernommen, anschließend kontinuier­lich investiert und die Produktentwicklung marktgerecht verfeinert. Drei Glasschmelzwannen haben eine Tageskapazität von 600 t. Daraus können 1,2 Mio. Flaschen für Spirituosen, Saucen und Öle sowie auch hochwertige Designerflaschen hergestellt werden. Heute werden einschließ­ lich Vertrieb, Logistik und Produktentwicklung 550 Mitarbeiter beschäftigt. Damit ist man der größte Arbeitgeber im Kreis Sonneberg. Das Glaswerk Piesau (Kreis Saalfeld-Rudolstadt, früher Neuhaus) des Kombinats VEB Thüringer Behälterglas wurde als Glaswerk Piesau GmbH 1990 der THA Suhl übertragen. Bereits früh haben sich Kontakte zur Heinz-Gruppe ergeben. Bei der Umstellung auf Reihenmaschinen hat Heinz unterstützt. 1991 wurde die Glaswerk Piesau GmbH von der Privatisierung und Wachstum in Südthüringen  |

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Heinz-Glashüttenwerke GmbH & Co. KG, Tettau (Kreis Kronach) übernommen. Die Heinz-Gruppe hat eine fast 400-jährige Glasmachertradition und ist Weltmarktführer bei Glas-Flakons für die Parfüm- und Kosmetikindustrie. Insgesamt werden 3.000 Mitarbeiter beschäftigt, davon 1.700 in Deutschland. In Piesau waren Ende 2013 300 Beschäftigte tätig. Gegenwärtig wird eine Verlagerung der Opal-Glasproduktion nach Polen vollzogen. Die Energiekosten für diese Produktlinie seien sehr stark gestiegen, man bekomme auch keine Netzentgelterstattung. Der einzige Wettbewerber produziere in Frankreich mit der Hälfte der Energiekosten. Der notwendige Personalabbau würde allerdings sozialverträg­lich abgefangen. Dieses Beispiel zeigt, dass bei einer traditionsreichen Industrie mit eingeführten Produkten, teilweise auch mit Marktführerschaft, die Energiekostenproblematik bei der energieintensiven Produktion der Südthüringer Glasindustrie Wachstumsbremse und Beschäftigungsrisiko darstellen kann. Die Herstellung von Eisen- und Stahlwaren sowie Werkzeugen hat in Schmalkalden eine lange Tradition. Die Region Schmalkalden wird auch die Wiege der deutschen Werkzeugindustrie genannt. Zahlreiche mittelständische Unternehmen, teilweise im 19. Jahrhundert gegründet, wurden in der DDR zum VEB Werkzeugkombinat Schmalkalden zusammengefasst. Nach der Auflösung des Kombinats wurden die einzelnen Unternehmen der THA Suhl zur Privatisierung übertragen, einige wurden auch von den früheren Eigentümern übernommen. Das in Schmalkalden befind­liche Forschungszentrum der Werkzeugindustrie der DDR wurde aus dem Kombinat ausgegliedert und stand 1991 kurz vor der Auflösung. Durch Unterstützung der THA Suhl konnte daraus die Gesellschaft für Fertigungstechnik und Entwicklung als e. V. gegründet werden und in Räumen des ehemaligen Kombinats seine Tätigkeit aufnehmen. Die Mehrzahl der aus dem Werkzeugkombinat entstandenen Unternehmen hat sich positiv entwickelt. Im Folgenden hierzu einige Beispiele. Die GFE (Gesellschaft für Fertigungstechnik und Entwicklung Schmalkalden e. V.) ist eine wirtschaftsnahe, gemeinnützige Forschungsvereinigung mit gegenwärtig 111 Mitgliedern, vorwiegend mittelständische Unternehmen aus ganz Deutschland, Verbände, Hochschulen, Forschungseinrichtungen und öffent­lich-recht­liche Körperschaften. Es werden insgesamt 40 Mitarbeiter beschäftigt. Als Dienstleister für mittelständische Unternehmen wurde eine gewerb­liche Tochtergesellschaft, die GFE-Präzisionstechnik Schmalkalden GmbH, gegründet. Die Forschungskompetenz der GFE liegt in den Feldern Werkzeugtechnik, Messtechnik, Dünnschichttechnik und Werkstoffprüfung. Die Forschungsergebnisse kommen nicht zuletzt auch den mittelständischen 152

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Unternehmen der Region und Thüringens zugute. Die GFE hat auch eine führende Rolle im Netzwerk FerMeTh für den Thüringer Maschinenbau. Sandvik Tooling GmbH ist ein schwedisches Stahlunternehmen mit insgesamt 49.000 Mitarbeitern. In der Sparte Hartmetallwerkzeuge werden 20.000 Mitarbeiter beschäftigt. 1991 hat Sandvik den Betrieb für Dreh- und Bohrwerkzeuge des Kombinats mit 82 Mitarbeitern übernommen. Heute ist man der weltweit größte Standort von Sandvik für die Produktion von Sonderwerkzeugen, die kundenspezifisch konstruiert und hergestellt werden. Es werden 210 Mitarbeiter beschäftigt, davon ca. ein Drittel in Konstruktion und Planung. Das Unternehmen Rennsteig-Werkzeug GmbH ist aus dem VEB Handwerkzeuge Steinbach-Hallenberg entstanden und 1991 privatisiert worden. Es werden Handwerkzeuge (Zangen, Schlagwerkzeuge, Einsteckwerkzeuge) und Werkzeuge für die Kabelverarbeitung, vor allem für den Handwerkerbedarf hergestellt. Bei einigen Produkten gilt man als Marktführer. Das Unternehmen beschäftigt 230 Mitarbeiter. Es gehört zur Knippex-Gruppe, einem Spezialisten für Zangen mit weltweit 1.300 Mitarbeitern. Die SWM Werkzeugfabrik GmbH & Co. KG gehört zur Stahlwille-­ Gruppe, einem Hersteller für Schraubwerkzeuge aus Wuppertal mit 600 Mitarbeitern. SWM wurde 1992 als Gesenkschmiedebetrieb mit Werkzeugbau und spanabhebender Bearbeitung übernommen. Es werden 150 Mitarbeiter beschäftigt. NWS ist ein Unternehmen aus Solingen, das seit 1973 Werkzeuge zur Blechbearbeitung herstellt. 1991 wurde ein Teilbetrieb des Werkzeugkombinats in Steinbach-Hallenberg übernommen. 2008 wurde ein weiterer Produktionsstandort in Schwarza errichtet. An beiden Standorten wird ein komplettes Zangen- und Blechscherenprogramm entwickelt und hergestellt. Es werden 150 Mitarbeiter beschäftigt. Das Unternehmen MWS Schneidwerkzeuge GmbH & Co. KG ist 1991 durch Privatisierung des Schneidwerkzeugbetriebs entstanden und ist ein führender Hersteller von Messer für Land- und Forstwirtschaft mit eigener Stanz- und Umformtechnik, Härterei und angeschlossenem Werkzeugbau. Das Unternehmen gehört zur Mendritzki-Gruppe, einem Stahlunternehmen aus dem Sauerland. MWS beschäftigt 220 Mitarbeiter. Mendritzki hat 1992 auch die Meteor-Umformtechnik GmbH, Zella-Mehlis, von der THA Suhl übernommen. Dort sind 80 Mitarbeiter beschäftigt, die Feinschneideteile, vorwiegend für die Automobilindustrie, herstellen. Die SMM Schmalkaldener Maschinenmesser GmbH fertigt Maschinenmesser, vorwiegend für die Papier-, Kunststoff- und Holzindustrie mit 150 Mitarbeitern. Es ist aus einem privatisierten Betriebsteil entstanden. Privatisierung und Wachstum in Südthüringen  |

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Das Unternehmen Bergbauwerkzeuge Schmalkalden GmbH & Co. KG wurde 1991 aus einem Betriebsteil privatisiert und stellt Bohr- und Verschleißwerkzeuge für Bergbau, Tunnelbau sowie die Naturstein- und Zerkleinerungsindustrie her. Es werden 150 Mitarbeiter beschäftigt. Die SAEFA GmbH, Schmalkalden-Meiningen ist 1991 durch Privatisierung des Sägenbetriebs entstanden. Es werden Press-, Zieh- und Stanzteile hergestellt und 120 Mitarbeiter beschäftigt. Diese Privatisierungsbeispiele der Werkzeugindustrie zeigen, dass durch gezielte Auflösung eines Kombinats und auch des Kombinatsstammbetriebs Privatisierungsergebnisse mit langfristiger Wirkung erreichbar waren. Insgesamt sind in diesen Beispielen Beschäftigungseffekte von ca. 1.400 Mitarbeitern erkennbar. Bei der Entwicklung der privatisierten Unternehmen hat der Technologieverbund über die GFE und auch über den zwischenbetrieb­ lichen Erfahrungsaustausch einen nicht ganz unwesent­lichen Anteil. Hier zeichnen sich auch für die Zukunft weitere branchenbezogene Entwicklungsschwerpunkte ab. Elektrotechnik und Feintechnik sind Thüringer Industriezweige mit stabilen Wachstumsraten. Dies hat vor kurzem auch der Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie bestätigt. Durch Änderung der Erfassungssystematiken ist aber ein exakter Zeitvergleich nicht mög­lich. Bei einem Vergleich der Industriezweige zeigt sich, dass in der Hauptgruppe „elektrische Ausrüstungen“ 2012 in Thüringen 10.538 Personen beschäftigt waren (6,3 Prozent der Industriebeschäftigten), in der Kfz- und -teileindustrie 14.966 (9 Prozent) Daraus wird die Bedeutung der elektrotechnischen Industrie für Thüringen deut­lich. In Südthüringen konnten durch die THA Suhl einige Unternehmen dieses Industriezweigs nachhaltig privatisiert werden. Bei einigen prominenten Betrieben der DDR-Wirtschaft aus der Region hat sich aber früh herausgestellt, dass ihre Produkte nicht wettbewerbsfähig hergestellt werden konnten. Dies galt insbesondere im Konsumgüterbereich. Der VEB Stern-Radio Sonneberg ist dafür ein Beispiel. Er war der größte Hersteller von Radiogeräten in der DDR. Die Geräte waren allerdings für den Westexport ungeeignet, weil ihre Empfangsfrequenzen für die DDR eingerichtet waren, um den Empfang von West-Radioprogrammen zu verhindern. Eine Anpassung war kurzfristig nicht mög­lich. Die auf dem Markt eventuell erzielbaren Erlöse waren ein Bruchteil der Herstellungskosten. Darüber hinaus waren Design und Bedienungstechnik nicht marktgerecht. Die Geräte waren auf den entsprechenden Märkten nicht mehr abzusetzen. Die Erlöse gingen gegen Ende 1990 fast auf null zurück. Eine Due-Dilligence-­ Prüfung hat ergeben, dass eine Sanierungsfähigkeit des Unternehmens 154

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weitgehend auszuschließen war. Die THA Berlin hat eine Liquidation im Gesamtvollstreckungsverfahren beschlossen. Der THA Suhl oblag es allerdings, die dadurch entstandene Arbeitsmarktsituation aufzufangen. Es konnte kurzfristig eine Ansiedlung von Märklin (Modelleisenbahnen) auf dem Firmengelände realisiert werden. In einer Kooperation mit LOEWE Kronach (Fernsehgeräte) konnte über einen Arbeitskräftetransfer mit Busverbindung eine vorübergehende Entspannung erreicht werden. Hier handelt es sich um ein Beispiel, an dem deut­lich geworden war, dass ein DDR-Markenprodukt auf dem größeren nationalen Konsumgütermarkt in Deutschland keine und noch viel weniger auf dem globalen Markt Absatzchancen mit kostendeckenden Preisen hatte. Ursäch­lich dafür waren der technolo­gische Rückstand des Produkts und die hohe Unwirtschaft­ lichkeit der Herstellung. Einige andere Unternehmen hatten marktfähige Produkte, die schon zu DDR-Zeiten auf Westmärkten abgesetzt worden waren und deren technolo­gisches Know-how in Fertigung und Anwendung eine relativ schnelle Anpassung begünstigte. Ein solches Unternehmen war beispielsweise die EIO Elektrogeräte GmbH Sonneberg. Der VEB EIO Sonneberg war vor 1945 ein Werk für elektronische Kleinteile von Siemens-Schuckert. Seit 1957 wurden Staubsauger produziert, die unter den jeweiligen Handelsmarken auch an westdeutsche Versandhäuser und Importeure in Frankreich und Spanien geliefert wurden. 1990 war das Unternehmen zunächst in der Verantwortung der THA Berlin. Eine voreilige Einschätzung hatte dort zu der Meinung geführt, in Deutschland seien die Herstellungskapazitäten für Staubsauger ausreichend. Die Fabrik von EIO sei für die Versorgung des Marktes nicht notwendig. Auf Verlangen der Geschäftsführung von EIO wurde die Zuständigkeit Anfang 1991 der THA Suhl übertragen. Damals hatte man noch Teilbetriebe in Steinheid, Streufdorf und Reichmannsdorf und über 700 Beschäftigte. Mit einer Jahresproduktion von zuletzt ca. 900.000 Einheiten war man die größte Staubsaugerfabrik des Kontinents. Die Sanierungsfähigkeit wurde eingehend geprüft. Als Mitglied des Aufsichtsrats konnte der ehemalige technische Leiter eines westdeutschen Staubsaugerherstellers gewonnen werden. Unter dessen Leitung wurde ein Rationalisierungs- und Sanierungsprogramm in Produktentwicklung, Fertigung und Beschaffung durchgeführt. Die drei Teilbetriebe wurden stillgelegt. Gleichzeitig wurde durch einen neuen Geschäftsführer, ein ehemaliger Vertriebsvorstand eines westdeutschen Hausgeräteherstellers, die Markenund Vertriebspolitik neu orientiert. Die Marke EIO wurde im Fachhandel eingeführt und für die Auslandsmärkte wurde eine eigene Handelsmarke Privatisierung und Wachstum in Südthüringen  |

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entwickelt. Die Sanierung verlief planmäßig, eine Privatisierung konnte bis 1993 noch nicht erreicht werden. Das Unternehmen wurde vorübergehend einer Management KG übertragen, die ihrerseits das Unternehmen 1994 an Glen-Dimplex übertragen konnte. Glen-Dimplex ist ein internationales Unternehmen der Hausgeräteindustrie mit Sitz in Dublin/Irland. In Deutschland werden 900 Mitarbeiter beschäftigt, davon 200 im Werk Sonneberg. 2010 wurde dort der zwanzigmillionste EIO-Staubsauger hergestellt. EIO ist heute ein wichtiger Arbeitgeber in Sonneberg, der auch für den Erhalt von zahlreichen Arbeitsplätzen bei regionalen Zulieferern sorgt. Es handelt sich hier um ein Beispiel, wie durch gründ­liche Prüfung ein Sanierungskonzept entwickelt werden und durch konsequente Umsetzung auch zu einer erfolgreichen Privatisierung führen konnte. Hätte man es bei der oberfläch­lichen Betrachtung und Einschätzung belassen, wäre vermut­lich eine Stilllegung vollzogen worden. Im Jahre 1920 wurde das Unternehmen Feintechnik Eisfeld GmbH, Eisfeld (Kreis Hildburghausen) als Ritzma-Werke gegründet. Es wurden Rasierklingen und Schneidgeräte hergestellt. 1948 wurde daraus der VEB Feintechnik Eisfeld. Dieser Betrieb war der einzige Hersteller von Nassrasiertechnik in der DDR. 1974 wurde die Marke Croma für rostfreie Rasierklingen eingeführt und Handelsmarken auch an westdeutsche Abnehmer verkauft. 1990 wurde das Unternehmen als Feintechnik Eisfeld GmbH von der THA Suhl übernommen. 1991 konnte das Unternehmen an die Unternehmerfamilie Holzknecht aus Bozen/Südtirol privatisiert werden. Das Unternehmen entwickelte sich neben den Markenherstellern Gillette und Wilkinson zum Markt- und Technologieführer im Handelsmarkenbereich. 1999 wurde über ein Joint-Venture mit Leica-Microsysteme ( Jung-Feintechnik GmbH) die eigene FuE-Kapazität verstärkt. Es wurde eine Mikroton-­Klinge entwickelt, mit der man sehr dünne Schnittpräparate z. B. für Einsatzgebiete in Biologie und Medizin erzeugen kann. Diese Entwicklung hat auch dazu geführt, dass man ein Hersteller mit hoher Technologiekompetenz und Qualitätsführerschaft in Europa geworden ist. Im Jahre 2007 wurde das Unternehmen an eine österreichische Beteiligungsgesellschaft verkauft. Seitdem hat sich der Umsatz verdoppelt. Im Jahre 2013 hat ein US-amerikanisches Start-up-Unternehmen die Feintechnik Eisfeld GmbH übernommen. Heute werden 300 Mitarbeiter beschäftigt. Der neue Eigentümer will sein erfolgreich begonnenes weltweites Internetgeschäft mit Rasierklingen qualitativ und mit entsprechender Produktionskapazität absichern. Dieses Beispiel zeigt, wie nach der Privatisierung in einem abgegrenzten Marktsegment die technolo­gische Führerschaft erhalten sowie 156

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ausgebaut werden konnte und auch bei neuesten Marktentwicklungen eine aussichtsreiche Zukunftsperspektive für das Unternehmen besteht. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde Sonneberg auch als „Weltspielwarenstadt“ bezeichnet. 20 Prozent der auf dem Weltmarkt gehandelten Spielwaren stammten aus der Region Sonneberg. In der DDR waren die Spielwarenbetriebe zum VEB Kombinat Spielwaren zusammengefasst, dem zuletzt elf Betriebe angehörten. Vor allem Plüschtiere, Puppen und technische Spielwaren (Modelleisenbahnen) waren die Produktionsfelder. Teilweise wurden Sonneberger Spielwaren auch auf westdeutschen Märkten abgesetzt. Sie konnten sich dort preis­lich wegen ihres geringen Devisenrentabilitätsfaktors behaupten. Ihnen fehlte jedoch eine Markendominanz oder zumindest Markengeltung, wie z. B. bei Plüschtieren Steiff („Knopf im Ohr“). Nach der Wiedervereinigung sind die Westmärkte schnell verloren gegangen. Vorwiegend nach Reprivatisierungen hatte die Sonneberger Spielwarenindustrie versucht, sich zu positionieren, jedoch im Vergleich zur Bedeutung des DDR-Kombinats mit geringem Erfolg. Ledig­lich einige wenige Unternehmen haben heute noch eine Marktposition, die sich als zukunftsfähig darstellt. Bei Plüschtieren hat die Plütinova GmbH nach einem Neustart 2005 wieder Marktanteile zurückgewinnen können, nachdem das reprivatisierte Unternehmen Plüti zuvor insolvent geworden war. Die Schildkröt-Puppen und Spielwaren GmbH, ein 1896 in Mannheim gegründetes Unternehmen, hat sich 1993 in Rauenstein (Kreis Sonneberg) angesiedelt, weil man hier qualifizierte Arbeitskräfte zur Herstellung der zum großen Teil hochwertigen Puppen finden konnte. Auf dem schwierig gewordenen Markt der Modelleisenbahnen, auf dem erst vor kurzem der Marktführer Märklin ein Sanierungsverfahren durchlaufen musste, hat sich ein Sonneberger Unternehmen, die Piko Spielwaren GmbH, bis heute behauptet. Der VEB Piko Sonneberg war Erzeugnisleitbetrieb für Modelleisenbahnen des Spielwarenkombinats. Die Produkte waren auch auf dem westdeutschen Markt eingeführt und wurden vorwiegend an Versandhäuser geliefert. 1989 hatte Piko zahlreiche Betriebsteile mit insgesamt 1.000 Beschäftigten. 1992 wurde das Unternehmen privatisiert und die Fertigung auf einen Betrieb konzentriert. Es wurden 100 Mitarbeiter übernommen. Das Unternehmen stellt heute Modelleisenbahnen in allen gängigen Spurbreiten sowie Zubehör her. Man ist im Fachhandel und anderen Handelsformen einschließ­lich Online-Handel etabliert. Seit einiger Zeit werden in eigener Fabrik in China Zulieferteile und einige Produktlinien hergestellt. Insgesamt werden 550 Mitarbeiter beschäftigt, davon 200 in Sonneberg. Privatisierung und Wachstum in Südthüringen  |

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Auch auf dem Gebiet der Nahrungs- und Genussmittelindustrie gab es positive Entwicklungen. Das Unternehmen Viba sweets GmbH, Floh-Seligenthal (Kreis Schmal­ kalden-Meiningen) geht zurück auf ein Kaffeehaus, das 1893 in Schmalkalden von der Familie Viebahn gegründet wurde. Ab 1920 wurden Nougat und Marzipan produziert, 1935 bereits mit 350 Mitarbeitern. 1972 wurde das Unternehmen als VEB Nougat und Marzipan verstaat­licht. 1990 wurde es von der THA Suhl als Viebahn Süßwaren GmbH übernommen. Zum Aufbau eines Markenprodukts und zur Entwicklung geeigneter Marketingmaßnahmen wurde 1991 ein erfahrener Markenartikelmanager aus der Süßwarenbranche eingesetzt. Dieser war in kurzer Zeit erfolgreich. Im Jahre 1992 hat er zusammen mit dem Produktionsleiter des ehemaligen VEB die Geschäftsanteile als MBO/MBI übernommen. Damals waren 120 Mitarbeiter beschäftigt. Die Produkte wurden unter der Marke „Viba“ eingeführt und zunehmend wurden Marktanteile gewonnen. 1997 wurde ein neues Firmengebäude in Floh-Seligenthal bezogen, die Marktposition konnte man durch gezielte Produkt- und Sortimentspolitik und neue Vertriebswege (z. B. eigene Shops) weiter ausbauen. 2004 wurde das Unternehmen Landessieger beim Wettbewerb „Innovativer Mittelstand“. 2009 hatte es deutschlandweit einen Marktanteil bei Nougatriegeln von 63 Prozent und ist damit Marktführer. 2012 wurde die Viba-Erlebniswelt mit Schaufertigung und Produktpräsentation eröffnet. Heute werden 240 Mitarbeiter beschäftigt. Seit 1917 ist in Schmalkalden die Laura-Quelle als Mineralwasserquelle bekannt. Der VEB Laura Quelle Schmalkalden war ein Betrieb zur Mineralwasserversorgung der süd­lichen DDR. 1981 wurde die Quelle saniert, war aber nicht mehr sehr ergiebig. Im Stadtgebiet waren weitere Bohrungen gefähr­lich und Erweiterungen der Abfüllanlage kaum mög­lich. 1990 wurde das Unternehmen als Laura Quelle GmbH von der THA Suhl übernommen. Eine Privatisierung war unter den gegebenen Umständen fast aussichtslos. Der VEB hatte jedoch nach Probebohrungen außerhalb des Stadtgebiets von Schmalkalden einen großen Wasservorrat mit hoher minera­lischer Qualität entdeckt. Für eine Erschließung zur kontinuier­lichen Nutzung war dem VEB jedoch die geeignete Bohr- und Brunnentechnologie nicht verfügbar. Die THA Suhl hat entschieden, die Bohrung weiter zu betreiben und nach positivem Ergebnis der Mineralanalyse auch die Fördertechnik zu installieren. Da Mineralwasser am Ort der Quelle abzufüllen ist (­Mineral- und Tafelwasserverordnung), musste konsequenterweise bei positivem Bohr­ ergebnis auch die Abfüllanlage gebaut werden. Die Investitionen von insgesamt 25 Mio. DM wurden von der THA Suhl finanziert. 158

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Diese Anfangssanierung war die Voraussetzung, dass überhaupt erfolgversprechende Privatisierungsgespräche begonnen werden konnten. 1991 wurde das Unternehmen an die Apollinaris AG, eine Tochtergesellschaft von Brau und Brunnen AG, verkauft. Zur Schaffung eines attraktiven Markennamens wurde zuvor noch der Firmennamen in Thüringer Waldquell Mineralbrunnen GmbH geändert. 40 Mitarbeiter wurden übernommen. 1992 wurde eine zusätz­lich Quelle erschlossen und eine neue Marke, die Rennsteigquelle, platziert. 1994 wurde die Produktion von VITA-Cola, das Cola-Getränk der DDR, wieder aufgenommen. VITA-Cola ist in Thüringen Marktführer mit 31 Prozent Marktanteil. In Ostdeutschland beträgt der Marktanteil 13 Prozent. 2005 wurde bei Brau und Brunnen AG die Konzernstrategie geändert und daher das Unternehmen an die Hassia-Gruppe (Bad Vilbel) verkauft. Hassia ist eines der größten Unternehmen auf dem deutschen Brunnenmarkt mit einem Jahresabsatz von 750 Mio. Liter. Bei Thüringer Waldquell Mineralbrunnen GmbH werden heute über 100 Mio. Liter pro Jahr unter drei Dachmarken (Thüringer Waldquell, Rennsteigquelle und VITA-Cola) in ca. 50 Produkte abgefüllt. Es werden 140 Mitarbeiter beschäftigt. Dieses Unternehmen ist ein Beispiel dafür, wie erst nach einer Anfangsinvestition eine Privatisierungsfähigkeit hergestellt werden konnte, dann aber zu einer erfolgreichen Privatisierung geführt hat. 1873 wurde in Schönbrunn (Kreis Hildburghausen) das Gewürzwerk Schmidt gegründet, vor allem, um die regionalen Gewürzpflanzen zu verarbeiten. Heute befindet sich dort noch ein Gewürzmuseum. In der DDR wurde die „Gewürzmühle“ vom Konsum betrieben. 1990 wurde sie von F UCHS Gewürze GmbH übernommen. Fuchs hat danach in Schönbrunn ein integriertes Gewürzwerk mit eigener Kunststoffherstellung, Hochregallager und Logistik errichtet. FUCHS ist eines der weltweit größten Gewürz­ unternehmen mit über 3.000 Beschäftigten. Neben der Marke F UCHS werden die Marken Ostmann, Ubena sowie mehrere Handelsmarken hergestellt und vertrieben. Damit hat man in Deutschland einen dominanten Marktanteil. Das Werk in Schönbrunn ist das größte in Deutschland und beschäftigt mehrere hundert Mitarbeiter. Hier hat sich ein traditionsreiches Gewerbe aus dem Thüringer Wald zur großindustriellen Form mit überregionaler oder gar weltweiter Bedeutung gewandelt. Zusammenfassend lässt sich feststellen: In der Region Südthüringen ist der Transformationsprozess im Vergleich zu anderen Regionen der früheren DDR mit verhältnismäßig geringerem Beschäftigungsrückgang abgelaufen. Die Ursachen hierfür sind vielfältig. Vielfach konnte man eine hohe Privatisierung und Wachstum in Südthüringen  |

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Anpassungsgeschwindigkeit hinsicht­lich Produkten, Produktivität und Betriebsführung feststellen. Mehrfach waren die Produkte auf west­lichen Märkten eingeführt und konnten sich nach entsprechender Anpassung weiter behaupten. Der hohe Reprivatisierungsanteil hat sich sicher­lich auch ausgewirkt. Der frühere Unternehmer, der z. B. ab 1972 als Betriebsleiter tätig war, hat das Unternehmen nach der Rückgabe wieder unternehmerisch und marktwirtschaft­lich orientieren können. Ebenso waren in einigen Branchen Mitarbeiter mit technolo­gischen Fertigkeiten vorhanden, die nach Qualifizierungsmaßnahmen kurzfristig wettbewerbsfähige Produkte herstellen konnten. Diese Faktoren waren in unterschied­licher Ausprägung in der Fahrzeugzulieferindustrie, Werkzeugindustrie, den Betrieben der Behälterglaserzeugung, bei Feintechnik und Elektrogeräten sowie auch bei Nahrungs- und Genussmittel ursäch­lich. Nicht zuletzt haben sich auch das Vorgehen bei der Privatisierung sowie die Auswahl der Privatisierungspartner ausgewirkt. Auch die konsequente Prüfung der Sanierungsfähigkeit und die Etablierung von unternehmensspezifischen Sanierungsprogrammen haben vielfach die Privatisierungschancen erhöht, bzw. erst zu einer Privatisierungsfähigkeit geführt. Die Industriekonzentration in Südthüringen und die teilweise frühzeitige Privatisierung hatte zur Folge, dass auch sehr früh Neuansiedlungen von Unternehmen, vor allem in Wachstumsbranchen wie etwa Fahrzeugteilefertigung stattfanden. Privatisierung und regionale Wirtschaftsförderung haben sich hier sinnvoll ergänzt. In einigen Branchen mussten jedoch erheb­liche Beschäftigungsrückgänge verzeichnet werden. Dies gilt vor allem für die Hersteller technischer Glaswaren, für die Möbel- und Spielwarenindustrie sowie die Hersteller von Porzellan- und Keramikwaren. Auch hier lagen unterschied­liche Kausalitäten vor. Bei technischen Glaswaren war der technolo­gische Rückstand, vor allem bei der Weiterverarbeitung, deut­lich. Diese Branche hatte wenig Marktkontakte in west­liche Länder. Auch war das Privatisierungskonzept für diese Branche sicher­lich nicht geeignet, die Privatisierung zu begünstigen oder zu beschleunigen. Die Behälterglasindustrie konnte sich dagegen wesent­lich schneller anpassen. Heute arbeiten ca. 10 bis 15 Prozent aller Beschäftigten der Behälterglasindustrie Deutschlands in Südthüringen. Die Möbelindustrie hatte zwar Absatzmärkte in Westdeutschland, aber vorwiegend im „konsumigen“ Bereich, d. h. im unteren Preissegment. Der Preisdruck nach Einführung der D-Mark, vor allem durch die Einkaufsverbände im stark konzentrierten Möbelfachhandel, war groß. Er konnte durch betrieb­liche Rationalisierungen kurzfristig nicht aufgefangen werden. Die kleinbetrieb­liche Struktur der Südthüringer Möbelindustrie und 160

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der geringe Rationalisierungsstand in den Betrieben waren wesent­liche Hemmnisse bei der Anpassung der Herstellungskosten. Hinzu kam eine „Billigkonkurrenz“ aus osteuropäischen Ländern, insbesondere Polen, aufgrund der dortigen Lohnsituation, die sogar zu Produktionsverlagerungen westdeutscher Möbelhersteller geführt hatte. Bei Spielwaren ergab sich eine ähn­liche Situation. Auch hier waren die nach Westdeutschland exportierten Produkte im preiswerten Segment angesiedelt. Es fehlte eine Markenpräsenz mit Wertanmutung. Man konnte sich gegenüber der asiatischen Konkurrenz nicht mehr behaupten. Dem Kostendruck bei der Produktion konnte man nach Einführung der D-Mark nicht mehr begegnen. Auch für die Porzellanindustrie gilt, dass die Waren für die relevanten Absatzmärkte zu teuer produziert wurden. Es handelte sich vorwiegend um „No-name-Produkte“. Für Entwicklung von Marken, eventuell auch Design-Marken, waren die Voraussetzungen nicht gegeben bzw. nicht in absehbarer Zeit herstellbar. Aus heutiger Sicht kann auch eine falsch angelegte Transformationsstrategie im Einzelfall ausschlaggebend gewesen sein. Dies kann z. B. für Simson, Suhl vermutet werden. Eine frühzeitige Entscheidung gegen Sanierung und Privatisierung hat zu einem Verlust an Arbeitsplätzen geführt, der im Ergebnis zu einer De-Industrialisierung einer traditionsreichen Industrieregion geführt hat. Die Stadt Suhl hatte 2012 in 27 Betrieben 1.985 Beschäftigte in der Industrie. 2002 waren es noch 2.175. Suhl ist die einzige Region Thüringens, in der in diesem Zeitraum die Industriebeschäftigung abgenommen hat. 1990 waren allein im Fahrzeug- und Jagdwaffenkombinat über 4.000, in Zulieferbetrieben mehrere hundert Mitarbeiter beschäftigt. Suhl hat seit der Wiedervereinigung die höchste Abwanderungsquote zu verzeichnen und ist heute eine der „ältesten“ Städte Deutschlands.

Privatisierung und Wachstum in Südthüringen  |

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Arbeitsmarkt- und sozialpolitische Flankierung der Privatisierung

Nach dem Treuhandgesetz war es der Auftrag der Treuhand­anstalt, die Privatisierung sozialverträg­lich zu gestalten. Da dies allein auf dem Wege des Verkaufs von Unternehmen nicht mög­lich war, wurden schon zu Beginn der Privatisierung flankierende Maßnahmen beschlossen. Die THA wurde häufig als „Totengräber“ und „Stilllegungsagentur“ der DDR-Wirtschaft bezeichnet. Sie habe es sich leicht gemacht mit Betriebsstilllegungen und eine Politik der verbrannten Erde betrieben. Diese Kritik basiert in der Regel nicht auf einer Prüfung der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und deren Bilanzen, sondern auf Emotionen von betroffenen Mitarbeitern und ehemaligen Führungskräften. Tatsäch­lich waren nach dem Abschlussbericht des Vorstands der THA im Sommer 1990 mehr als 3,5 Mio. Menschen in den neuen Ländern beschäftigt. Im Laufe dieses Jahres gab es jedoch gravierende Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt: –– 14 Prozent der Arbeitnehmer sind in arbeitsmarktpolitische Maßnahmen gewechselt, die von der THA unterstützt wurden, –– 5 Prozent sind in den Vorruhestand oder in den Ruhestand getreten, –– 8 Prozent haben selbst gekündigt, –– bei 11 Prozent ist der Verbleib unbekannt, –– 45 Prozent sind an ihrem Arbeitsplatz verblieben, –– 17 Prozent sind arbeitslos geworden.141 Ab 1993 standen bei den Arbeitslosen die § 249h-Maßnahmen des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) im Vordergrund. Dabei wurden mehr als 55.000 Arbeitnehmer für Projekte zur Rekultivierung und Beseitigung ökolo­gischer Altlasten eingesetzt. Der sogenannte zweite Arbeitsmarkt hat damals einen hohen Anteil der Kurz- und Langzeitarbeitslosen aufgenommen und damit die Zahl der Langzeitarbeitslosen deut­lich reduziert. Diese Zahlen ergeben ein differenzierteres Bild vom Arbeitsplatzmarkt Anfang der 1990er Jahre, als dies in vielen Publikationen dargestellt wird. 141 Vgl. Bericht des Vorstands der Treuhand­anstalt über den Abschluß der Arbeiten zum 31.12.1994 (Treuhand Informationen), S. 11. Arbeitsmarkt- und sozialpolitische Flankierung der Privatisierung  |

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Trotzdem musste ein erheb­licher Teil der Bevölkerung Einkommensverluste hinnehmen und ihr Leben auf eine neue und sparsamere Basis stellen. Untersuchungen belegen, dass eine langanhaltende Arbeitslosigkeit psychische Krankheiten verursachen oder verschlimmern kann. Der Arbeitsplatzverlust und die lange anhaltende Arbeitslosigkeit werden als Stressfaktoren angesehen, die die ökonomische Sicherheit, die soziale Einbindung und das Selbstwertgefühl schwächen. Sie führen zu finanziellen Sorgen, zu Zukunftsunsicherheit und sozialer Stigmatisierung. Wenn die Arbeitslosigkeit ein Massenphänomen wird, wirken die Stressfaktoren anders, aber nicht weniger gravierend. Im Zuge der Privatisierung standen viele Arbeitnehmer in den neuen Ländern vor der Perspektive: „Arbeitslos – Gesundheit los – chancenlos“.142 Darunter litten beim Zusammenbruch der ostdeutschen Wirtschaft nicht nur die unmittelbar Betroffenen, sondern auch deren Angehörige. Auch wenn die Arbeitsplatzverluste ungewollte Begleitverluste einer Privatisierung der Staatsbetriebe waren, hat die Bevölkerung von der THA mit Fug und Recht Maßnahmen gefordert, die den Übergang von volkseigenen zu privaten Unternehmen mit mög­lichst geringen Arbeitsplatzverlusten ermög­lichen. Die THA hat dementsprechend mit ihrer Privatisierungsstrategie nicht nur betriebswirtschaft­liche, sektorale und regionale, sondern vor allem auch beschäftigungspolitische Ziele verfolgt. Es ist ihr gelungen, durch Kaufpreis­ abschläge ein höheres Investitions- und Beschäftigungsvolumen in den neuen Ländern sicherzustellen, als die Investoren ohne diese Beschränkungen zu erfüllen bereit gewesen wären. Mit den neuen Eigentümern wurden bis Ende 1994 Investitionszusagen von 211 Mrd. DM, Beschäftigungszusagen für mehr als 1,5 Mio. Menschen sowie Verkaufserlöse von 66,6 Mrd. DM vereinbart. Ausländische Investoren übernahmen 860 Unternehmen und Betriebsteile für 6,8 Mrd. DM.143 142 Vgl. dazu Alfons Hollederer: Arbeitslos – Gesundheit los – chancenlos? IAB-Kurzbericht Nr. 4 vom 21. März 2003 (http://doku.iab.de/kurzber/2003/ kb0403.pdf, Abruf: 27. März 2014) sowie Doris Hess/Wolfgang Hartenstein/ Menno Smid: Auswirkungen von Arbeitslosigkeit auf die Familie, in: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 24. Jg. (1991) (http:// doku.iab.de/mittab/1991/1991_1_mittab_hess_hartenstein_smid.pdf, Abruf: 27. März 2014). 143 Vgl. Über Erfolg oder Mißerfolg der Treuhand­anstalt ist noch nicht entschieden, in: FAZ, 22. August 1995.

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Die Investoren waren an ihre gegebenen Arbeitsplatz- und Investitionszusagen gebunden. Eine Bindung an die Arbeitsplatzzusage hätte demzufolge ohne Kaufpreisabschläge zu einem Rückgang der Investitionstätigkeit geführt. Bei großen und regional bedeutsamen Investitionen wurde gelegent­lich auch die Nichteinhaltung der Arbeitsplatz- und Investitionszusagen aus guten Gründen toleriert, um ein ansonsten drohendes Scheitern der Privatisierung zur verhindern. Im Jahre 1995 haben 16,3 Prozent der Investoren die Arbeitsplatzzusagen und 17,9 Prozent die Investitionszusagen nicht eingehalten. Beschäftigungs- und Investitionsanreize hat auch das  DM-Bilanzgesetz geschaffen, das in der Existenz gefährdeten Unternehmen bei drohenden Verlusten Ausgleichsdarlehen gewährt und damit zusätz­liches Eigenkapital zugeführt hat. Die THA war im Rahmen ihrer Aufgabenstellung außerdem bestrebt, eine breite mittelständische Unternehmensstruktur in den neuen Bundesländern zu fördern. Dazu sollte ein MBO/MBI-Programm beitragen, das die Übernahme von kleineren Unternehmen oder Unternehmensteilen durch entsprechend befähigte Mitarbeiter aus den eigenen Reihen (MBO) oder durch externe Existenzgründer (MBI) vorsah. Die Fördermaßnahmen der THA umfassten Kaufpreisstundungen, günstige Kredite, langfristige Verpachtung von Grundstücken und bei Bedarf auch Managementhilfen. Vor allem über die MBO -Lösung bot sich so die Mög­lichkeit, Mitarbeitern aus den neuen Ländern eine Brücke in eine neue selbständige Existenz zu bieten. Annähernd 20 Prozent der Privatisierungen erfolgten über diese Schiene, etwa drei Viertel davon waren erfolgreich, eine beacht­liche Quote angesichts der mangelnden betriebswirtschaft­lichen Erfahrungen vieler Investoren. Im Hinblick auf das gesamte Beschäftigungspaket muss festgestellt werden, dass der Privatisierungsprozess nicht nur von wirtschaft­lichen, sondern nicht zuletzt auch von sozialen Prinzipien geprägt war. Das Ringen um Arbeitsplätze hat zu einer Förderintensität geführt, die nur mit der nationalen Herausforderung, vor der Deutschland bei der Wiedervereinigung stand, begründet werden konnte. Die Treuhand hat ihre Eigentümerverantwortung stets ernst genommen und versucht, auch aus Stilllegungen noch Ansatzpunkte für eine Wiederbelebung der betroffenen Standorte zu finden und zu nutzen. Daher wurde in solchen Fällen überwiegend (80 Prozent) nicht der Weg in die Gesamtvollstreckung, sondern die für die THA meist kostenträchtigere stille Liquidation – auch als Abwicklung bezeichnet – gewählt. Diese Verfahrensweise war aufwendig, aber erfolgreich. Immerhin konnten so rund 30 Prozent der Arbeitsplätze in den von Stilllegung betroffenen Standorten gesichert Arbeitsmarkt- und sozialpolitische Flankierung der Privatisierung  |

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werden. Dies ist angesichts der Aussichtslosigkeit für den ursprüng­lichen Betrieb ein beacht­liches Ergebnis. Es war von Anfang an zu befürchten, dass der hohe Beschäftigungsstand nicht zu halten war. Dafür sprachen der überhöhte Personalbestand und die geringe Produktivität der VEB. Es existierte ein hoher Besatz an Arbeitsplätzen, eine künst­lich verordnete Beschäftigung sowie eine Überhäufung der Betriebe mit betriebsfremden Aufgaben. Die vorhandenen Maschinen und Anlagen waren überwiegend in einem maroden Zustand. Mit ihnen konnten die marktgängigen Produkte nicht oder nicht mit wettbewerbsfähigen Stückkosten hergestellt werden. Der Weg zur Vollbeschäftigung musste deshalb über den Abbau alter und die Schaffung neuer Arbeitsplätze führen. Trotz alledem musste die Treuhand­anstalt für jedes Unternehmen einen Investor finden. Die Zahl der bei der Privatisierung gesicherten 1,5 Mio. von ursprüng­lich 4 Mio. Arbeitsplätzen wurde der THA immer wieder als Versagen angelastet. Dabei wurden aber die zusätz­lichen 1,5 Mio. Arbeitsplatzzusagen der Investoren nicht berücksichtigt, da diese nicht so schnell und nicht in ausreichender Anzahl zur Verfügung standen. Ebenso blieben auch die Arbeitsplätze außer Betracht, die bei der Ansiedlung und Gründung neuer Unternehmen in den neuen Ländern zusätz­lich geschaffen wurden und werden. Noch weniger war absehbar, welche Multiplikator- und Akzelerator-Effekte von den geplanten Investitionen ausgehen würden. Die THA hat diesen Prozess nicht abgewartet, sondern sich während des gesamten Prozessverlaufs ihrer Verantwortung für Arbeitsplätze gestellt und in enger Zusammenarbeit mit der Arbeitsverwaltung, den neuen Ländern und den Gewerkschaften die soziale Abfederung unumgäng­licher Freisetzungen unterstützt. Durch die Einrichtung und Förderung von Beschäftigungsgesellschaften sowie Weiterbildungs- und Umschulungsmaßnahmen mit einer Laufzeit von einem bis zu drei Jahren wurde die Rückkehr von Arbeitslosen in die Arbeitswelt vorbereitet. Auch der Freistaat Thüringen hat im Rahmen eines eigenen Arbeitsmarktprogramms jähr­lich 500 bis 600 Mio. DM an Rückkehrhilfen gewährt. Dazu zählten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) und insbesondere Strukturanpassungsmaßnahmen (SAM). Sie wurden von der Bundesanstalt für Arbeit und dem Freistaat Thüringen in Form eines Lohnkostenzuschusses an private oder öffent­liche Arbeitgeber gewährt, die Arbeitslose beschäftigten, die auf dem Stellenmarkt schwer vermittelbar waren: Arbeitslose ab 55 Jahre, Schwerbehinderte, Langzeitarbeitslose, Arbeitslose ohne Berufsausbildung usw. Zusätz­lich wurden aus Mitteln zur SAM Umschulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen finanziert. Das finanzielle Gewicht all dieser Maßnahmen 166

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wird beim Blick auf die Förderinstitutionen deut­lich: der Europäische Sozial­ fonds (ESF), die Bundesanstalt für Arbeit und die Länder. Für die Durchführung dieser Maßnahmen gab es vielfältige Maßnahmenträger, die sicherstellten, dass jeder Arbeitslose davon Gebrauch machen konnte. Abfindungspakete und Vorruhestandsregelungen wurden von der THA sowie von großen Unternehmen geschnürt und in großem Umfang realisiert. Die Wiedervereinigung und die Privatisierung der Wirtschaft waren mit einem historisch einmaligen „Lastenausgleich“ zugunsten von „Privatisierungsopfern“ verbunden, der die Abschaffung der sozialistischen Planwirtschaft sozialverträg­ licher gestaltet hat, den Verlust von Arbeitsplätzen aber nicht vermeiden konnte. Der große Schock der Arbeitslosigkeit trat Ende 1990 ein, als innerhalb kurzer Zeit eine Massenarbeitslosigkeit ausbrach und jeder in großer Sorge um seinen oder einen Arbeitsplatz war. Dieses Angstgefühl hielt auch noch an, als die Investoren die vereinbarten zusätz­lichen Arbeitsplätze bereits geschaffen hatten. Die beigefügte Statistik weist aus, dass es bis 2005 Anlass gab, um seinen Arbeitsplatz zu bangen, da die Arbeitslosenziffern bis dahin auf hohem Niveau verharrten.144 Die Arbeitsmarktpolitik wird in den neuen Ländern auch dann ein wichtiges Thema bleiben, wenn sich die Arbeitslosenquote noch mehr reduziert und dem Westniveau angeg­lichen hat, denn Erwerbsarbeit ist auch hier nach wie vor ein zentraler Lebenswert. Wenn dieses Ziel der Sicherung von Arbeitsplätzen nicht in Gänze erreicht werden konnte, so liegt es nicht an der Treuhand, sondern an den Gegebenheiten des Marktes. Nach Beendigung der THA und der BvS stand fest, dass die Privatisierung der meisten DDR-Betriebe abgeschlossen, zunächst aber mit großen Arbeitsplatzverlusten verbunden war.145 Der Beschäftigungsstand von 1991 wurde bis heute nicht mehr erreicht. Vor der Wiedervereinigung hatte Thüringen 600.000 der Industrie zugeordnete Arbeitsplätze, Ende 1994 waren es noch 125.000. Hier ist zu berücksichtigen, dass ein erheb­licher Teil der 144 Vgl. die Übersicht zur Entwicklung der Arbeitslosigkeit in Thüringen, in: http://www.erfurt.ihk.de/linkableblob/efihk24/produktmarken/­ standortpolitik/downloads/2526878/.4./data/Arbeitsmarkt-data.pdf (Abruf: 7. Juli 2014). Siehe auch Anlage 4 im Anhang. 145 Vgl. Harald Hagn: Der Prozess der wirtschaft­lichen Umgestaltung in Thüringen, in: Statistisches Monatsheft Januar/Februar 1995. Hg. vom Thüringer Landesamt für Statistik (http://www.statistik.thueringen.de/analysen/ Aufsatz-01-02-1995.pdf, Abruf: 7. Juli 2014). Arbeitsmarkt- und sozialpolitische Flankierung der Privatisierung  |

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Arbeitsplätze der Industrie zugeordnet war, aber Aufgaben aus dem Dienstleistungssektor beinhaltete. Am stärksten waren von der Arbeitslosigkeit Regionen mit „alter Industrie“ betroffen, z. B. in Sömmerda (Büromaschinenbau), in Ostthüringen (Uranbergbau), Nordthüringen (Kalibergbau). Entlastend wirkten sich die Grenznähe zu den Ländern Bayern, Hessen und Niedersachsen und die hohe Zahl der Berufspendler und Übersiedler sowie die Arbeitsbeschaffungs-, Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen aus. Die für viele zu geringe Zahl an Unternehmen und Arbeitsplätzen, die aus der Privatisierung hervorgegangen sind, ist noch kein Beleg dafür, dass der von der THA eingeschlagene Weg falsch war. Bei einem so tiefgreifenden Strukturwandel ist es ganz unvermeid­lich, dass viele Unternehmen nicht überleben und zahlreiche Arbeitsplätze wegfallen. „Eine erfolgreiche Bewältigung des Strukturwandels ist nicht danach zu beurteilen, inwieweit es gelingt, Unternehmen und Arbeitsplätze zu erhalten. Maßgeb­lich ist vielmehr, dass neue Unternehmen gegründet und neue Arbeitsplätze geschaffen werden, die besser für den Wettbewerb gewappnet sind.“146 Für den Erfolg der THA ist es entscheidend, ob sie die Anpassung der ostdeutschen Wirtschaft an die neuen Marktverhältnisse vorangebracht hat. Sie waren das entscheidende und recht­lich verbind­liche Gegengewicht zu Arbeitsplatzverlusten in Thüringen: Zusagen der Investoren für 206.000 zusätz­liche Arbeitsplätze und die arbeitsmarktpolitischen Hilfen des Bundes und des ESF. Mittelfristig war deshalb ein starker Rückgang der Arbeitslosenquote zu erwarten. Hinzu kam, dass das vorhandene Potenzial an Produktionsfaktoren es ermög­lichte, in verhältnismäßig kurzer Zeit Nachfolgeunternehmen und Unternehmensansiedlungen zu gewinnen und einen Umbau der Wirtschaftsstruktur zu vollziehen. Nach 1995 ist in allen ostdeutschen Ländern die Beschäftigungsquote zunächst gesunken, in Thüringen um 1,9 Prozent-Punkte und in Ostdeutschland insgesamt um 2,5 Prozent-Punkte. Thüringen weist demnach die günstigste Beschäftigungsentwicklung und die niedrigste Arbeitslosenquote in Ostdeutschland auf (2 Prozent-Punkte unter dem ostdeutschen Niveau). Der Anteil großer Betriebe – üb­licherweise wurden damit Betriebe in einer Größenordnung von mindestens 400 Beschäftigten bezeichnet – belief 146 Herbert Hax: „Sanierung durch Privatisierung“ oder „Sanierung vor Privatisierung“? – Rückblick auf eine Kontroverse, in: BvS-Abschlussbericht, S. 219.

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sich auf 35,9 Prozent, er war niedriger als im Osten insgesamt. Den höchsten Beschäftigungszuwachs erzielten die mittelgroßen Unternehmen, die sich am schnellsten in den nationalen und europäischen Binnenmarkt integriert haben. Bei der Gruppe der qualifizierten Fachkräfte (Meister, Fachschulabschluss) stand Thüringen nach Sachsen ebenfalls an der Spitze der Wachstumsskala in den neuen Ländern. Auch beim Branchenprofil weist der Freistaat heute eine überdurchschnitt­liche Ausprägung der Wirtschaftszweige mit hohen Wachstumschancen auf: den Automobilbereich, die Optoelektronik, die Feinmechanik, den Maschinenbau. Auch das vergleichsweise niedrigere Lohnniveau hat einen starken positiven Effekt auf die Beschäftigungsentwicklung ausgelöst. Der weitere Verlust von Arbeitsplätzen im Jahre 1995 war der Tatsache geschuldet, dass die Produktivität der privatisierten Unternehmen zunächst niedriger war als ihr Lohnniveau. Die Arbeitgeber und die Gewerkschaften gingen davon aus, dass die sich aus der Produktivitätslücke ergebende Finanzierungslücke mit staat­lichen Finanzhilfen geschlossen werden muss. Sie wurden im Nachgang zur Privatisierung oder im Zuge einer Zweitprivatisierung gewährt, waren aber ungeeignet, um die Produktivitätslücke zu schließen, so dass der Abbau weiterer Arbeitslätze nicht zu vermeiden war. Hätten die Tarifpartner noch schneller die Angleichung der Löhne an die west­lichen Tariflöhne vollzogen, dann wären noch mehr Arbeitsplätze abgebaut worden. Die Tarifpartner und die Landesregierung hatten die Wahl zwischen niedrigeren Löhnen oder höherer Arbeitslosigkeit. Da ein begrenzter Rückstand der Löhne leichter zu ertragen war als eine hohe Arbeitslosigkeit, haben sich die Tarifpartner für eine moderate Lohnpolitik ausgesprochen. Diese Arbeitsmarktpolitik hat sich bewährt, denn die Produktivität konnte insbesondere in den mittleren und größeren Unternehmen gesteigert und die Zahl der Beschäftigten spürbar erhöht werden. Das derzeitige Lohnniveau in Thüringen entspricht im industriellen Bereich – in den meisten Fällen – den Tariflöhnen und der Produktivitätsentwicklung. In Thüringen haben auch die Struktur- und Arbeitsmarktpolitik zu einem Anstieg der Wachstumsrate und zu einem Rückgang der Arbeitslosenquote beigetragen. 2013 lag die Arbeitslosenquote bei 8,2 Prozent. Im Vergleich dazu lag die Arbeitslosenquote 1994 bei 15,6 Prozent, 1997 bei 17,8 Prozent. Deut­lich gesunken ist sie dann ab dem Jahr 2010 (9,8 Prozent).147 Die Umwandlung 147 Vgl. die Übersicht zur Entwicklung der Arbeitslosigkeit in Thüringen, Anlage 4 im Anhang. Vgl. zur Entwicklung auch IAB regional Sachsen-­ Anhalt-Thüringen: Strukturbericht Thüringen, Nr. 02/2011. Bearbeitet von Arbeitsmarkt- und sozialpolitische Flankierung der Privatisierung  |

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der Planwirtschaft in die Soziale Marktwirtschaft ist inzwischen weit vorangeschritten, ohne viele Unternehmen mit einer hohen Staatsbeteiligung zu hinterlassen. Nach den IAB Betriebspanels 2000 bis 2007 ergibt ein Vergleich der ehemaligen Treuhandunternehmen mit den übrigen Unternehmen folgende Werte: Die ehemaligen Treuhandbetriebe weisen seit 2002 ein höheres Produktionsniveau und eine günstigere Produktivitätsentwicklung aus als die übrigen Unternehmen. „Der Anteil der exportorientierten Betriebe an allen Betrieben ist unter den ehemaligen Treuhandbetrieben wesent­lich höher als bei den anderen Betrieben in Ostdeutschland.“148 Vergleicht man die Determinanten des Wirtschaftswachstums und der Beschäftigungsentwicklung mit denen der übrigen neuen Länder dann kommt man zu folgenden Ergebnissen: Thüringen ist das Land mit der besten Beschäftigungsentwicklung in Ostdeutschland. Auch bei anderen Determinanten schneidet es am besten ab: bei den Branchen- und Standort­ effekten, beim Lohnniveau, bei den Lohnstückkosten (seit 2000 unter dem Westniveau), beim Qualifikationsprofil der Mitarbeiter und beim Produktionsniveau. Nach der IAB-Studie fallen in keinem anderen neuen Land die Ergebnisse des Vergleichs so vorteilhaft aus wie in Thüringen.

Ingrid Dietrich/Birgit Fritzsche/Michaela Fuchs/Per Kropp (http://doku. iab.de/regional/SAT/2011/regional_sat_0211.pdf, Abruf: 8. Juli 2014). 148 Lutz Bellmann/Hans-Dieter Gerner: Die Entwicklung ehemaliger Treuhand-Unternehmen: Analysen mit den Daten der IAB-Betriebspanels, in: Depenheuer/Paqué (Hg.): Einheit–Eigentum–Effizienz, S. 78.

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Bilanz der Treuhand­anstalt

Die Zwischenbilanz der Treuhand im April 1991 wies insgesamt 1.596 verkaufte Unternehmen aus. Im 2. Halbjahr 1990 waren 403 Unternehmen verkauft worden, zwischen Januar und April 1991 waren es 1.193 Unternehmen. Dadurch konnten in etwa 340.000 Arbeitsplätze erhalten werden.149 Viele Manager kauften damals ihre Betriebe, insbesondere in der Bauindustrie, auf. Umstritten war der Verkauf von Unternehmen, bei denen die THA keine Verkaufserlöse erzielen konnte, sondern Sanierungshilfen insgesamt in Milliardenhöhe zu leisten hatte. Bereits Ende 1992 waren im Zuge der „Kleinen Privatisierung“ mehr als 50 Prozent der 15.000 Handels- und Dienstleistungsgeschäfte, Hotels und Gaststätten privatisiert worden. In den von Krisen bedrohten oder betroffenen Branchen war die Quote entsprechend niedriger. Schwierigkeiten bereitete die Privatisierung der Industrie, die mit erheb­lichen Problemen verbunden war: Die Absatzmärkte waren unterentwickelt, die Altlasten und Herstellungskosten zu hoch und die Rationalisierungsinvestitionen zu niedrig. Ende 1994 waren 50 Prozent der THA-Betriebe in den neuen Ländern verkauft oder in private Hände übergeben. 25 Prozent der Betriebe (über 3.700) befanden sich in Liquidation, wobei 157 Verfahren abgeschlossen waren –– 860 Betriebe gingen an ausländische Investoren, –– 3.000 Privatisierungen entfielen auf MBO, –– dazu kam der Verkauf von 28.000 Liegenschaften, –– insgesamt waren es ca. 71.000 Privatisierungsobjekte.150 Um die vereinbarten Arbeitsplatzzusagen zu gewährleisten, wurden Preisnachlässe in D-Mark pro zugesagtem Arbeitslatz gewährt. Um bedrohte Arbeitsplätze zu sichern, hat die THA in erheb­lichem Umfang auf Privatisierungserlöse verzichtet und ein noch höheres Defizit in Kauf genommen, das sich am Schluss auf 250 Mrd. DM belaufen hat. 149 Vgl. Treuhand­anstalt: Auftrag – Zwischenbilanz – Grundsätze. Berlin Juni 1991 sowie Bisher wurde jedes achte Industrieunternehmen verkauft, in: FAZ, 15. April 1991. 150 Vgl. Theo Waigel: Die finanzpolitischen Rahmenbedingungen des Treuhandmodells, in: Breuel/Burda (Hg.): Die Treuhand­anstalt 1990 bis 1994, S. 64. Bilanz der Treuhandanstalt  |

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Neben den erzielten Privatisierungserfolgen gibt es auch eine finanzielle Schlussbilanz der THA. Sie belief sich – auf der Datenbasis von 1998 – im Jahre 1994 auf folgendes Einnahmen- und Ausgabenvolumen in DM 151: Ausgaben der THA Privatisierungserlöse Defizit

320 Mrd. 67 Mrd. 250 Mrd. gehen in den Erblastentilgungsfonds

Schulden der DDR

113 Mrd.

Schulden der THA

204 Mrd.

Altschulden im Wohnungsbau Sonstige Altschulden Insgesamt

28 Mrd. 9 Mrd. 355 Mrd.

Die Bemühungen zur Überwindung der deutschen Teilung erforderten ein Transfervolumen von jahresdurchschnitt­lich 4 bis 4,5 Prozent des BIP. Der Nettotransfer belief sich bis zum Jahr 2000 auf über 1.000 Mrd. DM, von denen der Bund 600 Mrd.  DM zu tragen hatte und von denen 850 Mrd.  DM Nettoinvestitionen waren.152 60 bis 65 Prozent der Transferleistungen sind in den Sozialbereich geflossen. Angesichts dieser Zahlen muss festgestellt werden, dass der Transformationsprozess in starkem Maße sozialpolitisch flankiert wurde. 560 Mrd. Euro flossen seit 1991 als Direkttransfers in die neuen Länder. Damit haben die Zuschussgeber den gesamten Kapitalstock der DDR-Wirtschaft durch einen neuen ersetzt, denn die Wertzerstörung der Verlust schreibenden Unternehmen war so weit vorangeschritten, dass eine De-Industrialisierung der DDR nur mit einem völlig neuen Kapitalstock vermeidbar war. Unmittelbar nach der Währungsunion mussten die Firmen eine Wertminderung statt einer Wertschöpfung ausweisen. Jede reale Lohnsteigerung bedeutete für Betriebe, die zu gegebenen Weltmarktpreisen produzieren mussten, eine Belastung. Die Wertminderung der Verlust bringenden Unternehmen konnte mit dem neuen Kapitalstock gestoppt und in einen Wachstumsprozess überführt werden. 151 Ebd., S. 66 f. 152 Vgl. ebd., S. 67.

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|  Bilanz der Treuhandanstalt

Die Beschäftigung im verarbeitenden Sektor ist seit 1995 um 6,2 Prozent gestiegen, die Produktion um 52 Prozent. In der Investitionsgüterindustrie weist Ostdeutschland seit 1995 Produktionssteigerungen von 63 Prozent auf. Hier zeigt sich die erheb­liche Produktivitätssteigerung in Ostdeutschland. Der Strukturwandel in der ostdeutschen Industrie setzt sich fort, wobei die Ernährungsindustrie, Holz und Papier, die Chemie, Elektrotechnik, die Optoelektronik, der Automobilbau und der Recyclingsektor die Gewinner sind. Anzahl und Struktur der Betriebe und Beschäftigten der privatisierten Treuhandunternehmen nach Wirtschaftsgruppen, Mai 2003153 Wirtschaftsgruppe

Betriebe

Beschäftigte

Anzahl

Verteilung %

Anzahl

Anzahl je Betrieb

Verteilung %

Land- und Forstwirtschaft

68

1

3.064

45

1

Bergbau, Energiewirtschaft, Wasserversorgung

170

3

38.794

228

7

2.550

48

303.412

119

55

Baugewerbe

655

12

66.679

102

12

Verarbeitendes Gewerbe Handel und Reparatur

655

12

33.429

51

6

Verkehr und Nachrichtenübermittlung

186

3

18.581

100

3

Dienstleistungsgewerbe

984

19

82.551

84

15

86

2

6.600

77

1

5.354

100

553.110

103

100

nicht zuordenbare Unternehmen Insgesamt

Danach zählen 63 Prozent der privatisierten Unternehmen zum produzierenden Gewerbe, dem mit deut­lichem Abstand das Dienstleistungsgewerbe folgt. 62 Prozent der ehemaligen Treuhand-Unternehmen werden heute zum produzierenden Gewerbe und 49 Prozent zum verarbeitenden Gewerbe gerechnet. Im Vergleich zur Wirtschaft der DDR hat die Privatisierung zu einem grundlegenden Wandel der Wirtschaftsgruppen in den neuen Ländern geführt.154 153 Vgl. Tabelle 4, in: BvS-Abschlussbericht, S. 310. 154 Ebd. Bilanz der Treuhandanstalt  |

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Bei der Beendigung der Arbeit der Treuhand­anstalt im Jahre 1994 waren in Thüringen 2.448 Treuhandprivatisierungen vollzogen. Davon waren 1.051 vollständige Unternehmen, 1.316 Betriebsteile, 222 Reprivatisierungen und 434 MBO/MBI-Unternehmen. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden Investitionszusagen im Umfang von 16 Mrd. DM und Beschäftigungszusagen in Höhe von 206.314 Arbeitsplätzen gegeben. In Thüringen überwogen die Privatisierungen von Betriebsteilen mit 48 Prozent; in 39 Prozent der Privatisierungen wurden vollständige Unternehmen verkauft, bei denen es sich um mittlere und größere Unternehmen handelte, die zum Teil aus einer Zweitprivatisierung hervorgegangen sind.155 Die Reprivatisierung hat nicht den Umfang erreicht, den viele erhofft und andere befürchtet haben. Im industriellen Sektor spielten sie nur eine geringe Rolle, demgegenüber war die Zahl der MBO/MBI-Privatisierungen deut­lich höher. Sie kamen erst in der Schlussphase der THA und nach Gründung der BvS voll zum Zuge und haben zu einer starken Entspannung der Situation in Thüringen beigetragen. Die Management KGen kamen in Thüringen nur selten zum Einsatz. Die sektoralen und regionalen Entwicklungsprojekte der THA sind unterschied­lich zu bewerten. Die Neuordnung des Kalibergbaus hat sich insbesondere in Bischofferode als Fehlschlag erwiesen, weil man Marktanpassung betreiben und Bischofferode stilllegen wollte, um andere Kalistandorte zu retten. Stattdessen hätte man die spezifischen Marktchancen des dortigen Kalibergbaus besser ausloten und nutzen sollen, verbunden mit einer stärkeren Produktdifferenzierung. In Jena sind mit Hilfe der THA große Erfolge erzielt worden. Die Gründungen der Nachfolgeunternehmen des Kombinats Carl Zeiss und des Jenaer Glaswerks und der Aufbau der Jenoptik sind gelungen. Zusätz­lich zu den großen Nachfolgeunternehmen konnten annähernd 100 kleine und mittelständische Unternehmen als MBO oder MBI angesiedelt sowie verschiedene Forschungsinstitute und Transfereinrichtungen gegründet werden, die für die künftige Wirtschaftsstruktur der Stadt und der Region Jena von großer Bedeutung sind.

155 Vgl. Rolf Walter/Betina Meißner/Jürgen Schreiber: Brücken in die Zukunft. Die wirtschaft­liche Entwicklung Thüringens 1989 – 2009 (Studie der Friedrich-­Schiller-Universität Jena, Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozial­ geschichte). Erfurt 2009, S. 121.

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|  Bilanz der Treuhandanstalt

In Eisenach war die Errichtung des neuen Opel-Werks, für das sich die

THA nachhaltig eingesetzt hat, ein voller Erfolg. Damit ist es gelungen, für

diesen Standort ein Nachfolgeunternehmen als moderne Alternative zu den Wartburg-Automobilwerken zu gewinnen, die wegen Unwirtschaft­lichkeit stillgelegt werden mussten. Zur weiteren Strukturverbesserung trugen im Raum Eisenach und in Nord- und Südthüringen die Ansiedlung und der Ausbau von Autozulieferunternehmen bei. Zu verweisen ist etwa auf die Motorenwerke der Daimler AG in Kölleda und Ichtershausen (Erfurter Kreuz), die Werke von Muhr & Bender (MUBEA) in Weißensee und Hildburghausen und auf die GPM GmbH in Merbelsrod sowie die Mitec Automotive AG, die Emitec in Eisenach, die Feuer Powertrain in Nordhausen oder die BMW Fahrzeugtechnik GmbH in Krauthausen. Hier hat das Planungs-, Entwicklungs- und Förderinstrumentarium des Freistaates nachhaltig gewirkt und die Automobilproduktion zum größten Wirtschaftssektor des Landes und den Raum Eisenach zu einer Automobilregion und einem -cluster gemacht. 75 Prozent der in Thüringen gebauten Fahrzeuge werden heute in Eisenach und dem Wartburgkreis produziert. Die Automobilregion weist das höchste Wachstum des BIP, den stärksten Rückgang der Arbeitslosenquote und die beste Beschäftigungsentwicklung aus. Steigerungsbedürftig ist insbesondere der Anteil von hoch qualifizierten Arbeitnehmern. Ostthüringen kann neben Jena auch im Saale-Orla-Kreis Spitzenwerte beim Wirtschaftswachstum vorweisen. Leider gab es auch zahlreiche Unternehmen ohne Zukunftschancen, weil ihre Produkte nicht mehr nachgefragt oder die nachgefragten Produkte von ihnen nicht hergestellt werden konnten. Die vorgelegten Unternehmenskonzepte wurden von Wirtschaftsprüfern begutachtet, mussten aber von der THA bzw. BvS aus betriebswirtschaft­lichen Gründen abgelehnt werden. Sie wurden dann als nicht sanierungsfähig eingestuft und dem Bereich Abwicklung zugeordnet. Es hat dabei allerdings Fälle gegeben, in denen die Landesregierung der geforderten Stilllegung eines Unternehmens wider­sprochen und in eigener Regie Investoren gesucht und gefunden hat. Beispiele dafür sind die Umformtechnik in Erfurt und die Textilwerke in Leinefelde. Angesicht der vorgelegten Schlussbilanz kann jedoch in Thüringen nicht von einem Ausverkauf, Ausplündern oder Verramschen ostdeutscher Unternehmen gesprochen werden. Grundstücke wurden unter dem Aspekt der Arbeitsplatzbeschaffung abgegeben. Die Vermarktung von Industriebrachen durch die TLG war zunächst primär von fiska­lischen Erwägungen bestimmt. Erst in der Schlussphase der Bilanz der Treuhandanstalt  |

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THA und der Startphase der BvS erfolgten dann eine stärkere Gewichtung

der strukturpolitischen Erfordernisse und der Sanierungsaufgaben sowie eine Rückbesinnung auf das ursprüng­lich von der THA für die Verwertung der Liegenschaften vorgegebene Konzept.156 Von vielen Kritikern der THA werden die Erfolge der BvS völlig ausgeblendet. Sie wurde 1995 als Nachfolgeorganisation der THA gegründet, hat eine Reihe von Aufgaben fortgeführt, war doppelt so lange tätig wie die Treuhand­anstalt und ihre Ergebnisse waren nicht minder bedeutend. Ihr ursprüng­licher Auftrag war es, die Restaufgaben der THA zu erledigen und das Vertragsmanagement zu übernehmen. Dabei ist es nicht geblieben, denn Mitte der 1990er Jahre gerieten viele bereits privatisierte Unternehmen in eine existenzielle Liquiditätskrise. Sie benötigten Finanzhilfen und mussten umfassend saniert oder – nicht selten – erneut privatisiert werden. Die BvS erweiterte daraufhin ihr Tätigkeitsfeld und gewährte den existenzbedrohten Unternehmen Liquiditätshilfen aus den Konsolidierungsfonds. In solchen Fällen veranlasste und finanzierte sie gemeinsam mit den Ländern und Banken eine umfassende Sanierung krisengeschüttelter Unternehmen. Im Falle von Managementversagen leitete sie eine Zweitprivatisierung ein. Wurden Privatisierungsverträge nicht erfüllt, nahm sie im Fall gravierender Mängel einen Investorentausch vor. Einen Impuls hat die BvS auch im infrastrukturellen Bereich gegeben. Gemeinsam mit der TLG bot sie den Ländern, Kommunen und Unternehmen Liegenschaften zu finanzierbaren Konditionen an. Ähn­lich verlief die Sanierung und Entwicklung der ehemals militärisch genutzten Liegenschaften. Das Sondervermögen des sowjetischen Militärs (Westgruppe GUS Truppen/WGT) und der Konversionsfonds haben es mög­lich gemacht, mehr als 11.300 ha Fläche von Militärstandorten zu sanieren und zu Industrieparks, Dienstleistungszentren oder Wohngebieten zu entwickeln. Ein Beispiel dafür sind die Truppenübungsplätze in Ohrdruf und auf dem Kindel in Eisenach. Dies sind Beispiele für die gewaltige Leistung, die die Transferierung einer gesamten Volkswirtschaft erforder­lich gemacht hat. Es handelt sich um einen außergewöhn­lichen und bislang weltweit einmaligen Prozess, eine eindrucksvolle Aufbau- und Umbauleistung eines Staates.

156 Vgl. Verfügungen von Treuhandunternehmen über Grundstücke, in: Dokumentation Treuhand­anstalt, Bd. 8., S. 352 f.

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|  Bilanz der Treuhandanstalt

Industrialisierung im Freistaat Thüringen

In Thüringen gab es im Dezember 1993 noch 232 tätige Treuhandunternehmen mit insgesamt 25.000 Beschäftigten.157 Die drei Treuhandniederlassungen im Freistaat wurden im November 1993 in Geschäftsstellen umgewandelt, die teilweise die Aufgaben der Niederlassungen, so z. B. das Vertragsmanagement, übernahmen. 1995 wurden diese Geschäftsstellen an die BvS übertragen. Reprivatisierungsansprüche, fehlende Rationalisierungs- und Erweiterungsinvestitionen sowie Standortsanierungsmaßnahmen behinderten oder blockierten den Verkauf weiterer Unternehmen. 1994 forderte deshalb die Landesregierung ein Programm zur Erhaltung industrieller Standorte. In Zusammenarbeit mit der THA und den Banken sollten erhaltenswürdige Unternehmen doch noch wettbewerbsfähig gemacht und zur Privatisierung geführt werden. Die Treuhand und der Bund haben darauf reagiert und beschlossen, an den verbliebenen Treuhandstandorten die nicht betriebsnotwendigen Flächen von den Betriebsgrundstücken abzuspalten, um diese zu überplanen, zu erschließen und für eine Neuansiedlung von Unternehmen im Rahmen einer Integrierten Standortentwicklung nutzbar zu machen. Über eine Verwaltungsvereinbarung der Treuhand­anstalt mit dem Thüringer Wirtschaftsministerium wurde eine Teilung der bei der Sanierung von Industriebrachen anfallenden Kosten im Verhältnis 60:40 vorgenommen. Die Folge davon war ein weiterer Privatisierungsimpuls. Vor der Beendigung ihrer Tätigkeit richtete die THA auch einen Konso­ lidierungsfonds mit einer Kapitalausstattung von 85 Mio.  DM für Thüringen ein, der mittelständischen Unternehmen bei akuten Problemen oder zur Wiederherstellung ihrer Wettbewerbsfähigkeit mit Darlehen und Beteiligungen unterstützen sollte.158 Der Freistaat Thüringen hat seinerseits zur Verstärkung seiner Sanierungsaktivitäten weitere Mittel in Höhe der Hälfte der Fondsmittel bereitgestellt, so dass gefährdeten Treuhandunternehmen wirksame Liquiditätshilfen gewährt werden konnten. Die niedrige Produktivität und die schlechte Auftragslage von privatisierten oder neu gegründeten 157 Vgl. Walter/Meißner/Schreiber: Brücken in die Zukunft, S. 44. 158 Vgl. die Vereinbarung zwischen der Treuhand­anstalt Berlin und dem Freistaat Thüringen vom 12. Oktober 1994, in: Dokumentation Treuhand­anstalt, Bd. 10, S. 400 – 406. Industrialisierung im Freistaat Thüringen  |

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Unternehmen haben schließ­lich auch die BvS und den Freistaat Thüringen veranlasst, das Instrument der Liquiditätshilfen fortzuführen. Als die Treuhand­anstalt am 31. Dezember 1994 ihre Tätigkeit einstellte, gehörten in Thüringen noch 18 Unternehmen mit etwa 3.800 Beschäftigten zu ihrem Bestand.159 Vergleicht man diese Zahlen mit denen des Vorjahres, dann stellt man große Privatisierungsfortschritte fest. Die noch nicht privatisierten Unternehmen wurden der Beteiligungs- und Management-Gesellschaft Berlin mbH zur Betreuung und Privatisierung übertragen. Am 1. Januar 1995 übernahm die neu gegründete Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS) die verbliebenen Treuhandaufgaben Vertragsmanagement und die Abwicklung der Reprivatisierung. Die Verwaltung, Verpachtung und Vermarktung landwirtschaft­licher Flächen lag weiterhin bei der BVVG. Die Verwaltung und Verwertung der übrigen Liegenschaften wurden von der Treuhand-Liegenschaftsgesellschaft wahrgenommen. Die Mitarbeiter der BvS spürten bald, dass die Anforderungen komplexer sein würden, als ihnen prophezeit worden war. Gleichzeitig sah sich die BvS durch die Entwicklung in den neuen Ländern veranlasst, gegenüber solchen privatisierten Unternehmen, die nach dem Abnabeln von der Treuhand­anstalt erneut in wirtschaft­liche Schwierigkeiten gerieten, eine offenere, mehr unternehmensbezogene Position einzunehmen. Die Zahl solcher Fälle nahm schon vor der Jahreswende 1994/95 zu. Nach intensiven Beratungen in den zuständigen Gremien bekannte sich die BvS dann zu einem pragmatischen, lösungsorientierten Kurs: Sie schaltete sich auch bei privatisierten Betrieben ein und half zudem mit zusätz­lichem Geld, wenn noch eine echte Sanierungschance bestand. Die BvS erwartete bei solchen Aktionen, dass auch die Eigentümer oder die Banken, die Mitarbeiter und vor allem die Länder einen substantiellen Betrag beisteuerten (Konzertierte Aktionen). Ohne diese Anstrengungen gäbe es manche ostdeutsche Unternehmen und tausende Arbeitsplätze nicht mehr. Ein weiteres Rettungs­ instrument war der Investorentausch, der dann vorgenommen wurde, wenn die eigent­liche Schwachstelle der Investor selbst war. Aus den Privatisierungs- und Sanierungsanstrengungen der THA und der BvS ist der Grundstock an Unternehmen hervorgegangen, der den Aufbau Ost und das eindrucksvolle Wachstum der ostdeutschen Industrie getragen hat. Dabei wurden jedoch unterschied­liche Aufbaustrategien verfolgt. 159 Vgl. Walter/Meißner/Schreiber: Brücken in die Zukunft, S. 44.

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|  Industrialisierung im Freistaat Thüringen

Am Anfang stand die These: Sanierung vor Privatisierung. Auf ihr basierte zunächst das gesamte Förderszenarium der THA. „Die Grundsatzentscheidung, den Weg zur Sanierung vorrangig über die Privatisierung zu suchen, beruht auf der Einsicht, daß die leistungswirtschaft­liche Sanierung von Tausenden von Unternehmen nicht durch eine bürokratische Organisation wie die Treuhand­anstalt in die Wege geleitet werden kann.“160 Hier ist anzumerken, dass auch jede andere Organisation nicht in der Lage gewesen wäre, eine Sanierung aller Unternehmen durchzuführen. Durch Privatisierung werde unternehmerisches Potenzial mobilisiert, zugleich werde gewährleistet, dass „alle Investitionen sich streng an den Ziel des Markterfolges und damit an der Rentabilität orientieren“.161 Bei Sanierungen, die unter der Obhut der THA eingeleitet werden, sei kaum zu vermeiden, dass politische Gesichtspunkte die Entscheidung beeinflussen. Über die Sanierungswürdigkeit werde dann nach anderen Gesichtspunkten entschieden als der ökonomischen Sanierungsfähigkeit. Gegen diese Konzeption sprach der desolate Zustand des Sachkapitals in den neuen Ländern, zu dessen Sanierung es umfangreicher Investitionen in den Kapitalstock bedurft hätte. Die Privatisierung von Ostbetrieben wurde immer schwieriger, was dazu geführt hat, die Sanierungsaufgaben gleichrangig neben die Privatisierungsaufgaben zu stellen. Seit der Wiedervereinigung wird deshalb zunehmend die Forderung nach einer neuen, aktiven Industriepolitik erhoben, in die die Treuhand einzubeziehen sei. Sie soll der „De-Industrialisierung in den neuen Ländern nicht nur durch breite Sanierung erhaltenswürdiger, wenn auch nicht betriebswirtschaft­lich erhaltungsfähiger Industriebetriebe entgegenwirken, sondern vor allem durch die Initiierung ganz neuer Industrieentwicklungen“.162 Die betriebswirtschaft­liche Sicht der Industriepolitik greife zu kurz und müsse der volkswirtschaft­lichen Begründung Platz machen (IG Metall). Diese Position kommt einer Politisierung der Entscheidungen gleich und birgt die Gefahr eines Scheiterns im Wettbewerb und von Dauersubventionen in sich. Die THA hat in den Krisenregionen von Anfang an eine Industrialisierungspolitik vollzogen, deren Erfolg oder Misserfolg noch nicht feststeht, weil Strukturwandel ein permanenter Prozess ist.

160 Fischer/Hax/Schneider (Hg.): Treuhand­anstalt, S. 5. 161 Ebd. 162 Ebd., S. 6 [Hervorhebung im Original]. Industrialisierung im Freistaat Thüringen  |

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Die Sanierung umfasste jenen Teil Treuhandtätigkeit, der über den reinen Verkauf hinausgeht. Die THA ist dieser Entwicklung zunächst nur in Einzelfällen und dann immer häufiger gefolgt und hat im Laufe der Zeit ihre Sanierungsstrategie geändert.163 1993 wurde dann die THA als strukturpolitische Instanz bezeichnet, die von der passiven zur aktiven Sanierung übergehen sollte. In der Diskussion waren unterschied­liche Modelle. Die Gegenposition lautete: Sanierung vor Privatisierung. Die IG Metall hat sich in ihren „Darmstädter Thesen“ gegen die Dominanz betriebswirtschaft­ licher Kriterien in der Privatisierungs- und Sanierungspraxis der THA gewandt und eine Konzentration auf industrie- und regionalspezifische Ziele gefordert. Sanierungshilfen sollen die Schaffung von überlebensfähigen und unabhängigen Unternehmens- und Branchenstrukturen in der ostdeutschen Industrie fördern und einer Zerstörung industrieller Kernbereiche oder deren Rückführung auf verlängerte Werkbänke von Westunternehmen verhindern. Damit wird eine staat­lich gesteuerte Industriepolitik gefordert. Es blieb offen, ob dem die Zuversicht zugrunde lag, „der staat­lichen Industriepolitik werde es schließ­lich auch gelingen, eine marktkonforme Lösung zu finden“.164 Dies sollte jedoch nicht mit Instrumenten der zentralen Wirtschaftslenkung, sondern durch eine industriepolitische Planungsinstanz erfolgen.165 Bei der Kontroverse über Privatisierung und Sanierung ging es im Kern um die Alternative: –– Mobilisierung der freien unternehmerischen Initiative für die Strukturanpassung (Sanierung durch Privatisierung) oder –– staat­liche Industriepolitik (Sanierung vor Privatisierung). In Branchen und Regionen mit fundamentalen Strukturkrisen oder mit strate­ gisch bedeutsamen Clustern ist eine staat­liche Industriepolitik von Nöten: so etwa in der Werften- und der Stahlindustrieindustrie, im Chemiedreieck, in der Braunkohle- und in der Kaliindustrie. In den übrigen Sektoren und Regionen sollte aus ordnungspolitischen Gründen die unternehmerische Initiative bei der Strukturanpassung im Vordergrund stehen. Das dritte Modell sieht einen Schwebezustand zwischen Privatisierung und Stilllegung vor: Bei der Realisierung des Programms „Sanierung durch Privatisierung“ war häufig ein großer Zeitaufwand nötig, um ein konsensfähiges Privatisierungskonzept zu ent­wickeln. In der Zwischenzeit drohten 163 Vgl. Sömtron in Sömmerda. 164 BvS-Abschlussbericht, S. 211. 165 Ebd., S. 210.

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|  Industrialisierung im Freistaat Thüringen

vielfach ein Scheitern der Verhandlungen und eine Stilllegung des Privatisierungs- und Sanierungskonzeptes. Um dies zu verhindern, sollte die THA in einem solchen Schwebezustand ein Mindestmaß an Sanierungsmaßnahmen, beispielsweise zur Sicherung der Energieversorgung, fördern. Dem Vorwurf, sanierungsfähige Unternehmen leichtfertig aufzugeben, durfte sie sich ebenso wenig aussetzen wie einer Untätigkeitsklage. Von der passiven zur aktiven Sanierung: Im Interesse eines kontinuier­ lichen Transformationsverlaufs wurde vorgeschlagen, ihn in folgende Phasen zu gliedern: –– 1. Phase: Privatisierung ist die beste Form der Sanierung, –– 2. Phase: Ansanierung zur Privatisierungsvorbereitung, –– 3. Phase: aktive Sanierung. Durch den Zeitdruck unter dem die THA stand, war es ihr jedoch nicht immer mög­lich, ihren Auftrag mit dieser Präzision abzuwickeln. Privatisierung von Standorten: Finanziert wurde dieser Strukturwandel von der THA bzw. der TLG 166 und dem Freistaat Thüringen. Durchgeführt wurde er von der LEG oder der TLG. Der Freistaat verfolgte neben der Privatisierung und Sanierung der volkseigenen Industrie auch eine konzeptionelle Strukturpolitik. Die Privatisierung und Sanierung der bisherigen Betriebe hätte allein weder die geforderte Anzahl von Arbeitsplätzen noch ein BIP und ein Einkommensniveau erreicht, das mit dem Westniveau vergleichbar ist. Unter dem Druck der neuen Länder hat die Treuhandanstalt dann eine Grundsatzentscheidung getroffen und beschlossen, auch die Privatisierung von Grundstücken zu fördern. Möglich wurde damit auch die Privatisierung von brachfallenden Unternehmen, aber auf andere Weise. Zunächst erfolgte ein Abriss oder ein Umbau der vorhandenen Produktionsstätten. Das vorhandene Potenzial an qualifizierten Fachkräften, Forschungspersonal und die umliegenden Spin Offs oder MBO oder die Lagegunst des Standorts lösten dann eine Nachfrage nach dem neuen Industriestandort aus. Der Freistaat Thüringen hat das Konzept der THA noch erweitert und die Strategie entwickelt: Privatisierung, Sanierung und Entwicklung. Mit dieser zusätzlichen Aufgabenstellung verfolgte er das Ziel, die Aufgaben der Treuhandanstalt und der BvS sowie die strukturpolitischen Aufgaben des Landes stärker zu bündeln und die jeweiligen finanzpolitischen Instrumentarien 166 Vgl. den Punkt Treuhand-Liegenschaftsgesellschaft/Bodenverwertungsund -verwaltungsgesellschaft. Industrialisierung im Freistaat Thüringen  |

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stärker zu verzahnen. Damit wurde die Voraussetzung dafür geschaffen, die Industrialisierung Thüringens zu forcieren. Die Landesregierung hat deshalb große Anstrengungen unternommen, optimale Standortbedingungen zu schaffen und neue Investoren aus dem In- und Ausland anzusiedeln. Das erste Ziel ist aus mehreren Gründen erreicht worden: –– Die THA/BvS/TLG boten dem Land und den Kommunen Betriebsgrundstücke zu angemessenen Konditionen für Zwecke der Erschließung und Entwicklung. –– Der Bund hat außerdem die ehemals militärisch genutzten Liegenschaften der sowjetischen Westgrenztruppe (WGT) dem Freistaat für zivile Nutzungen übergeben. Die Landesregierung hat zur Finanzierung der Sanierung und Entwicklung ausgewählter WGT-Flächen einen Konversionsfonds bereitgestellt. Von beiden Angeboten hat Thüringen in großem Umfang Gebrauch gemacht und die Fondsmittel voll ausgeschöpft. Mit dieser Unterstützung und mit den Fördermitteln der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW) und des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und anderen Fördermitteln konnte die Landesregierung mit Hilfe der LEG Thüringen 22 Sanierungs- und Entwicklungsgroßprojekte durchführen, die wichtige Voraussetzungen für die weitere Industrialisierung und Stadtentwicklung des Landes geschaffen haben. Übersicht der Sanierungs- und Entwicklungsgroßprojekte in Thüringen 167 Ort

bisherige Nutzung

Nachnutzung

Eisenach

Truppenübungsplatz, Indus­ triebrache, Freifläche

Industriepark Kindel, Fachmarktzentrum, Fabrikerweiterung

Ohrdruf

Truppenübungsplatz, Freifläche

Gartenstadt, Industriezentrum

Gotha

Kasernenbauten, Altes Gewerbegebiet

Neues Wohn- und Geschäftszentrum, Standortentwicklung

Erfurt

Altes Fabrikgebäude, Freifläche

Büropark Brühl, Wohnpark

167 Vgl. Tabelle 27, in: Walter/Meißner/Schreiber: Brücken in die Zukunft, S. XVIII.

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|  Industrialisierung im Freistaat Thüringen

Ort

bisherige Nutzung

Nachnutzung

Leinefelde

Textilwerk Leinefelde

Standortsanierung und -entwicklung

Sömmerda

Sömtron Industriebrache

Sömtron-Industriepark

Kölleda

Freifläche

Motorenwerk Daimler AG

Weißensee

Freifläche

Ansiedlung Muhr und Bender

Ichtershausen

Truppenübungsplatz, Altes Fabrikgelände

Industriepark, Standortentwicklung

Weimar

Kasernen Gewerbegebiet Weimar Nord, Hubschrauberlandeplatz, Garnison

Bauen am Horn, Standortentwicklung, Mischgebiet, Hochschuleinrichtung

Rositz

Teersee

Umwelttechnische Unternehmen

Nobitz

Militärflugplatz

Zivilflugplatz, Gewerbegebiet

Nordhausen

IFA Motorengelände

Gewerbegebiet

Sondershausen

Kalizeche

Industriegebiet, Versatzbergbau, Erlebnisbergwerk

Artern

Kyffhäuser Hütte

Industriegebiet

Hermsdorfer Kreuz Altes Industrieareal

Standortentwicklung, Industrieansiedlung

Rudolstadt-­ Schwarza

Faser AG

Ansiedlung von Kunststoffunternehmen, Papierindustrie

Unterwellenborn

Stahlwerk

Umbau Zechengelände und Stahlwerk Thüringen, Verlegung Bundesstraße, Neubau Gleisanschluss

Ronneburg

Wismutregion

Erschließung eines neuen Industriegebietes, Bundesgartenschau

Gera

Industriegebiet

Sanierung und Umbau des Industriegebietes

Ilmenau

Glasring

Sanierung des Industriegeländes, Ansiedlung neuer Unternehmen, Errichtung eines Technologie- und Scienceparks

Arnstadt

Altes Industriearreal, Chema Balke Dürr

Standortsanierung, Umbau der Fabrikanlagen, Ansiedlung neuer Unternehmen

Industrialisierung im Freistaat Thüringen  |

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Zu erwähnen sind auch diejenigen Standortentwicklungen, die von Kommunen geplant und durchgeführt wurden. Hier sind in der Regel verschiedene Förderprogramme zur Anwendung gekommen (beispielsweise GRW-­ Infrastruktur mit entsprechenden Landesmitteln), Initiative und Projektkompetenz lag aber in erster Linie bei der zuständigen Kommune. Ein deut­liches Beispiel ist die Stadt Ohrdruf, die gemeinsam mit den angrenzenden Gemeinden Herrenhof und Hohenkirchen bereits im Jahr 1991 ein Gewerbe- und Industriegebiet mit einer Gesamtfläche von 180 ha erschlossen hat. Heute werden dort ca. 3.000 vielfältige Arbeitsplätze angeboten, so beispielsweise von dem Süßwarenunternehmen Storck, dem Zwiebackhersteller Brandt, einigen Automobilzulieferern (z. B. SSW industries, Möller tech GmbH, Feintool GmbH) der Firma MKT , Marktführer für Kantenbanden für die Möbelindustrie sowie von einem Logistik-Service-­ Betrieb der Hermes-Gruppe. Die zentrale Lage und der unmittelbare Autobahnanschluss (A 4) haben auch in Nesse-Apfelstädt zu Ansiedlungen auf einem kommunalen Gewerbegebiet geführt. Hier hat etwa das Logistikunternehmen Fiege mit weltweit 200 Standorten ein Verteilzentrum für die Belieferung von Handelseinrichtungen errichtet. Die Fertigstellung der Autobahnen A 4, A 9, A 71, A 73 und A 38 haben insbesondere in Thüringen zu weiteren Ansiedlungen geführt. Vor allem kommunale Projekte, wie etwa das Industriegebiet Thüringer Tor, haben dazu beigetragen. Der Landkreis Schmalkalden-Meiningen hat in der Gemeinde Grabfeld, etwa einen Kilometer vom unmittelbaren Autobahnanschluss ab 2007 105 ha erschlossen und inzwischen mehrere Industriebetriebe mit insgesamt über 500 Beschäftigten angesiedelt. Im Jahr 1992 hat der Kfz-Zulieferer Muhr & Bender auf einem von der Stadt Weißensee (Kreis Sömmerda) bereitgestellten Gelände einen weiteren Produktionsstandort errichtet. Achsfedern und Stabilisatoren werden dort produziert. Heute sind im Unternehmen über 800 Mitarbeiter tätig. Muhr & Bender ist Marktführer bei Federungssystemen und beschäftigt weltweit über 10.000 Mitarbeiter. 2003 hat die Borbet-Gruppe ihr fünftes Werk in Deutschland in einem Gewerbegebiet der Stadt Bad Langensalza eröffnet. Zurzeit arbeiten dort 500 Mitarbeiter. Borbet ist ein führender Hersteller von Leichtmetallfelgen für die Automobilindustrie mit insgesamt ca. 4.000 Mitarbeitern. In Großheringen, nahe der Landesgrenze zu Sachsen-Anhalt, hat Viega 1992 ein Werk für Rohrleitungssysteme gebaut, das heute 650 Mitarbeiter beschäftigt. Viega ist eine international tätige Unternehmensgruppe mit 184

|  Industrialisierung im Freistaat Thüringen

3.500 Mitarbeitern und einer führenden Stellung bei Installations- und Entwässerungssystemen. Siemens, eines der größten Industrieunternehmen der Welt, hat bereits frühzeitig Mög­lichkeiten gesehen, Thüringer Technologiekompetenz einzubinden und weiterzuentwickeln. 1991 wurde der Betrieb der ehemaligen Thüringenwerk AG in Erfurt erworben und zu einem Kompetenzzentrum für Generatoren im weltweiten Siemens-Verbund ausgebaut. In Rudolstadt hat Siemens ein Werk für Röhren zur Anwendung in der Röntgentechnik übernommen, das dort eine über 100-jährige Tradition hatte. Insgesamt hat Siemens in Thüringen ca. 1.300 Mitarbeiter beschäftigt und ist damit einer der größten industriellen Arbeitgeber im Freistaat. Grundlage für diese Privatisierungen und Ansiedlungen war auch die Verbesserung der Infrastruktur durch die Verkehrsprojekte Deutsche Einheit. Hinzu kamen noch vielfältige Infrastrukturmaßnahmen, die in der Hoheit des Landes lagen und ohne die eine Transformation nicht mög­lich gewesen wäre. Dazu zählen: Maßnahmen zur Sanierung sowie Erneuerung des Wohnungsbestandes und des staat­lichen Hochbaus, zur Beseitigung der Unwirt­lichkeit der Innenstädte und der ökolo­gischen Altlasten. Diese Bilanz rechtfertigt die Feststellung, dass der Wiedervereinigung in Thüringen eine Gründerzeit folgte, die den Freistaat weit voran gebracht hat. Heute ist die Mitte Deutschlands und Europas mit allen europäischen Ländern infrastrukturell gut vernetzt. Innerhalb des Landes ist jeder Standort sehr eng mit allen Infrastrukturnetzen verbunden. Der Freistaat bietet gut gelegene und voll erschlossene Industrie- und Gewerbeflächen, günstig gelegene Wohngebiete, attraktive Städte und nicht zuletzt schöne und erholsame Landschaften an. Es ist gewappnet für den europäischen Wettbewerb der Standorte und Infrastrukturen.

Industrialisierung im Freistaat Thüringen  |

185

Das strukturpolitische Instrumentarium des Landes

In zahlreichen Privatisierungs- und Konsolidierungsfällen der Treuhand wurde deut­lich, dass eine nachhaltige Privatisierung von Unternehmen nicht mög­lich war ohne begleitende strukturpolitische Maßnahmen der Länder. Dies ist insbesondere in der Ära der BvS immer wieder evident geworden. Nach Beendigung der Treuhand­anstalt lag deshalb die Frage nahe, in welcher Weise die neuen Länder in Zukunft ihren strukturpolitischen Aufgaben gerecht werden können. Dabei wurde nicht nur an die Umwandlung volkseigener Betriebe gedacht, sondern vor allem an die Steigerung der Wirtschaftskraft des Landes. Gesucht wurden strukturpolitische Instrumente, um die Industrialisierung des Landes, die Arbeitsproduktivität der Unternehmen, den Industriebesatz und die Exportquote zu steigern, den Arbeitsmarkt zu stabilisieren, die FuE-Ausstattung der Betriebe zu verbessern und die wirtschaftsnahe Forschungs- und Entwicklungsinfrastruktur auszubauen. Durch die Bündelung vorhandener Förderprogramme im Ministerium für Wirtschaft und Infrastruktur und die Anbindung von Landesgesellschaften an dieses Ministerium ist es gelungen, einen zielgerichteten und effizienten Industrialisierungsprozess einzuleiten, der bereits nachhaltig gewirkt hat. Die Landesregierung hat ab 1992 ein eigenes strukturpolitisches Instrumentarium geschaffen. Um aus Träumen Pläne und aus Plänen Projekte zu machen, um bestehende Unternehmen zu sanieren und neue anzusiedeln, hat sie Landesgesellschaften gegründet. Dabei handelt es sich um „non profit organizations“, die Partner des Wirtschaftsministeriums und anderer Ministerien sind und vom Freistaat Thüringen finanziert werden und die wichtige Voraussetzungen für die Ansiedlung, Erweiterung, Sanierung und Gründung von privaten Unternehmen schaffen. Sie haben neben den Zentralen in Erfurt auch regionale Außenstellen gegründet, um für die Kommunen, Unternehmen und Bürger leicht erreichbar zu sein. Mit ihrer Gründung konnte die Effektivität des Regierungshandelns wesent­lich gesteigert werden.

Landesentwicklungsgesellschaft Zur Verstärkung der Strukturpolitik des Landes hat die Thüringer Landesregierung 1992 eine Landesentwicklungsgesellschaft (LEG) nach dem Vorbild einer Regionalen Entwicklungsgesellschaft gegründet und mit der Landesentwicklungsgesellschaft |

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Wahrnehmung von Aufgaben betraut, die weder von der Staatsverwaltung noch von der THA hinreichend wahrgenommen werden konnten, aber für den wirtschaft­lichen Transformationsprozess unentbehr­lich sind. Hierzu zählen: –– ein aktives Flächenmanagement, um nicht mehr benötigte industrielle Brachflächen einer neuen Nutzung zuzuführen, –– die Verbesserung bzw. Erweiterung der Ver- und Entsorgungsinfrastruktur, –– die Ansiedlung neuer Unternehmen und die Schaffung neuer Gewerbeund Industrieparks, –– der Ausbau der technischen und technolo­gischen Infrastruktur des Landes, –– eine stärkere Verflechtung der Thüringer Wirtschaft untereinander und eine stärkere Vernetzung der Thüringer Wirtschaft mit dem europä­ ischen Binnenmarkt. Bereits am 26. Februar 1992 kündigte Ministerpräsident Bernhard Vogel in seiner ersten Regierungserklärung die Gründung der LEG Thüringen an. Es gab in Deutschland kein vergleichbares Instrument mit einem so breiten Aufgabenspektrum, wie es in Thüringen vorgesehen war. In den übrigen Ländern orientierten sich Landesentwicklungsgesellschaften an den Vorbildern der LEG in den alten Bundesländern und konzentrierten sich auf Stadtentwicklung und Wohnungsbau. Die LEG in Thüringen wurde mit einem Stammkapital von 40 Mio.  DM ausgestattet, von dem 97 Prozent der Freistaat Thüringen übernahm. Je 1,5 Prozent hielten die Landeswohnungs- und Städtebaugesellschaft Bayern GmbH und die Hes­sische Heimstätte, die mit ihren Erfahrungen die LEG Thüringen beim Aufbau unterstützt haben. Die umfangreiche Aufgabenstellung wurde in § 2 des Gesellschaftsvertrages formuliert: „(1) Die Gesellschaft wirkt in jeg­licher Form mit bei Aufgaben und Maßnahmen im Interesse des Landes Thüringen zur strukturellen und infrastrukturellen Entwicklung, insbesondere auf den Gebieten: –– Industrie und Gewerbe –– Wohnungs- und Städtebau –– Allgemeiner Hochbau –– Landwirtschaft –– Umweltschutz –– Verkehr im nicht hoheit­lichen Bereich. Hierfür steht sie dem Land Thüringen, seinen Städten und Gemeinden, Gemeindeverbänden, regionalen Entwicklungsgesellschaften und anderen 188

|  Das strukturpolitische Instrumentarium

Auftraggebern zur Verfügung. Die LEG tritt nicht in Konkurrenz zu Gesellschaften mit Landesbeteiligung. (2) Die Gesellschaft befaßt sich mit dem Erwerb, der Sanierung, Erschließung, Neuordnung und Baureifmachung, der Verwaltung, Vermittlung, Belastung und Veräußerung von Grundstücken, dem Erwerb und der Ausgabe von Erbbaurechten, dem Erwerb, der Errichtung, dem Betrieb, der Verwaltung, Vermittlung und Veräußerung von Gebäuden, Anlagen und Einrichtungen jeder Art, wobei dies sowohl im eigenen als auch fremden Namen, für eigene als auch fremde Rechnung geschehen kann. Ihr obliegt die Erhaltung, Pflege und Modernisierung des jeweiligen Bestandes an Anlagevermögen.“ Der Freistaat Thüringen entsandte als Aufsichtsratsvorsitzenden den damaligen Minister in der Staatskanzlei Franz Schuster. Neben weiteren Ministern und Staatssekretären bestand der zwölfköpfige Aufsichtsrat aus dem Präsidenten des Thüringer Landkreistages, dem Vorsitzenden des Gemeinde- und Städtebundes und je einem Vertreter der Mitgesellschafter. Dadurch wurde die Mitwirkung der Landesregierung und der kommunalen Spitzenverbände auf höchster Ebene sichergestellt. In der Folgezeit bestimmte das Land den Wirtschaftsminister als Vorsitzenden des Aufsichtsrates. Für den Ankauf von großen Industrieflächen insbesondere von der THA bzw. der TLG sowie für die landesweite Schaffung von Wohnbauland und die Konversion der militärischen Liegenschaften benötigte die LEG zusätz­ liche Mittel. Hier mussten weitere Finanzierungslösungen gefunden werden. Dies bereitete große Probleme, weil die Preisvorstellungen insbesondere der TLG zumindest am Anfang vorwiegend von fiska­lischen und nicht von strukturpolitischen Zielen geprägt waren. Grundsätz­lich ist davon auszugehen, dass die Entwicklung und Sanierung industrieller Altstandorte immer mehr kostet, als sich durch den Verkauf der neu erschlossenen und von Altlasten befreiten Industrie- und Gewerbeflächen erlösen lässt. Dies macht öffent­liche Zuschüsse erforder­lich. Im Wesent­lichen stehen sich hier folgende Blöcke an Einnahmen und Ausgaben gegenüber: Einnahmen bzw. Finanzierungsquellen

Ausgaben

Verkauf

Kauf

Vermietung

Verwaltung

Fördermittel GRW

Instandsetzung/Instandhaltung

Altlastenfinanzierung

Altlastenbeseitigung

Landesentwicklungsgesellschaft |

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Einnahmen bzw. Finanzierungsquellen

Ausgaben

Städtebauförderung

Ver- und Entsorgung

Arbeitsförderung (ABM)

Abriss/Neubau

Denkmalschutz

Planung

Sonstige Programme

Erschließung

Landeszuschuss

Management/Vermarktung

Trotz Ausschöpfung sämt­licher vorhandener Förderprogramme, insbesondere der GRW war die Bereitstellung von zusätz­lichen Landesmitteln erforder­ lich, um die Revitalisierung industrieller Altstandorte finanzieren zu können. Für den Auftrag zur Entwicklung und Erschließung von Industrie- und Gewerbeflächen stellte die Landesregierung im Haushalt den sogenannten Industrietitel ein, aus dem die LEG bis heute Zuschüsse zur Finanzierung der auftragsabhängigen Erschließungs- und Entwicklungskosten erhält. Auch für die Entwicklung von Wohnbauland und für den sozialen Wohnungsbau musste die LEG zunächst Flächen erwerben, Baurecht schaffen und diese erschließen. Hierfür stellte das Land der LEG Mittel zur Verfügung. 1993 wurde ein Wohnbaulandfonds mit einem Volumen von 50 Mio. DM aufgelegt. Nachdem sich der Markt für Wohnbauland in den späteren Jahren entwickelt hatte und eine staat­liche Förderung nicht mehr erforder­lich war, hat die Landesregierung diesen Fonds in ein Darlehen umgewandelt, so dass die LEG hier eigenwirtschaft­lich tätig wurde. Für die insgesamt ca. 11.300 ha Fläche ehemaliger Liegenschaften des sowjetischen Militärs (Westgruppe GUS Truppen/WGT ), die dem Freistaat Thüringen übertragen wurden, hat dieser das „WGT-Sondervermögen“ errichtet und die LEG mit der Verwaltung und Verwertung beauftragt. Die Finanzierung der Sanierung und Entwicklung ausgewählter Liegenschaften erfolgte auch hier über ein Fondsmodell, den sogenannten Konversionsfonds, in den die Einnahmen aus der Verwertung wieder zurückflossen. Der Konversionsfonds wurde 1992 mit 40 Mio. DM ausgestattet. Die Revitalisierung großer komplexer Standorte erforderte vor dem Hintergrund eines hohen Zeit- und Erwartungsdruckes bezüg­lich der Schaffung neuer marktfähiger Strukturen die parallele Bearbeitung unterschied­licher Probleme mit einer Vielzahl von Partnern. Deshalb hat die LEG hierfür die Methode der Integrierten Standortentwicklung zur Anwendung gebracht und verfeinert, um durch synchrone Bündelung und Verzahnung der notwendigen vielfältigen Abstimmungsmechanismen eine zügige und effiziente Standortaufbereitung sicherzustellen und darüber hinaus mit ihrem breiten 190

|  Das strukturpolitische Instrumentarium

Betreuungsinstrumentarium anzusiedelnde bzw. angesiedelte Unternehmen durch einen gezielten Service aus einer Hand zu begleiten und deren Entwicklung am Standort zu fördern. Darüber hinaus akquiriert sie gezielt zum Standortprofil passende Investoren, führt die regionalen Akteure (Unternehmer, Behörden, Versorger, Bildungseinrichtungen, Forschungseinrichtungen usw.) zusammen und unterstützt die Bildung von Kooperationen, Netzwerken und Clustern. Seit 2004 ist die Arbeit der LEG im Bereich Integrierte Standortentwicklung nach DIN EN ISO 9001 zertifiziert. Die vorrangige Zielstellung der Industriepolitik in Thüringen bestand und besteht darin, die alten Produktionsstandorte als Kern der wirtschaft­ lichen Entwicklung einer Region zu erhalten und auf ihnen neue, marktfähige Unternehmen anzusiedeln, die zukunftssichere Arbeitsplätze schaffen. Nur so konnten die im Zuge des Transformationsprozesses entstandenen Verluste an Beschäftigung und Steuerkraft teilweise wieder ausgeg­lichen werden. Dabei war es natür­lich von Vorteil, wenn das am Standort vorhandene Unternehmen erfolgreich durch die THA privatisiert werden konnte. Bei den Keramischen Werken Hermsdorf (Tridelta) handelte es sich um das erste Industrieprojekt der LEG überhaupt. Die Beurkundung des Tridelta-­Vertrages fand bereits am 29. Juni 1992 statt, eineinhalb Monate nach Gründung der LEG. Die Landesregierung hatte Lothar Späth beauftragt, die Tridelta durch die Jenoptik von der THA zu erwerben und das Unternehmen zu sanieren. Für diese Privatisierung war es erforder­lich, die betriebsnotwendigen von den nicht betriebsnotwendigen Immobilien zu trennen. Dies geschah in diesem Fall dadurch, dass die nicht betriebsnotwendigen Immobilien auf der Basis eines Spaltungsbeschlusses abgespalten und in die hierzu neu gegründete Gesellschaft TDA GmbH eingebracht wurden. Deren Anteile hat dann die LEG von der THA erworben. Als Geschäftsbesorger für das Management am Standort und die Verwaltung der Immobilien beauftragte die LEG als Gesellschafter der TDA die Aufbaugesellschaft Ostthüringen GmbH (AGO). Diese war eine Tochter der Jenoptik AG, die das Immobilienmanagement und die Standortentwicklung für den Konzern betrieb. Hier waren Mitarbeiter angestellt, die vorwiegend aus den Keramischen Werken stammten und über die notwendigen Kenntnisse vor Ort verfügten. Von der AGO wurde später die Jenoptik Bauentwicklung abgespalten, die AGO selbst wurde am 1. Juli 1995 als regionale Tochter für Ostthüringen in den LEG-Verbund eingegliedert. Am 20. November 1998 übergab der damalige Wirtschaftsminister Franz Schuster den sanierten Industriepark Tridelta an die Stadt Hermsdorf. Als Ergebnis des Umstrukturierungsprozesses wurden zu dieser Zeit Landesentwicklungsgesellschaft |

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von ursprüng­lich 57,3 ha Fläche bereits 11 ha wieder industriell genutzt. Die Infrastruktur war erneuert und 4,4 km neue Straßen waren gebaut worden. Die Kosten für die Neuerschließung betrugen unter Einbeziehung von 26,5 Mio. DM Fördermitteln 38,2 Mio.  DM. Heute bieten hier ca. 130 Unternehmen etwa 2.200 Mitarbeitern eine neue Beschäftigung. Dieser regional bedeutende Industriestandort konnte nur erhalten werden, weil der Freistaat Thüringen durch seine Initiative einerseits das Privatisierungsproblem der THA löste und die LEG andererseits für eine Standortentwicklung sorgte, die sowohl gute Rahmenbedingungen für die angesiedelten Unternehmen bot, als auch Impulse für die Stadtentwicklung in Hermsdorf auslöste. Die Entwicklung des Geländes des ehemaligen Stahlwerks Maxhütte in Unterwellenborn (MHU) ist ein gutes Beispiel dafür, wie durch die Zusammenarbeit zwischen THA und LEG die Privatisierung des Kerngeschäftes durch die Entwicklungstätigkeit der LEG unterstützt wurde. Mit Vertrag vom 9. April 1992 hatte die THA den privatisierungsfähigen Teil der MHU GmbH, das Walzwerk, an die SOBERI GmbH, einem Tochterunternehmen der ARBED S. A., verkauft. Dabei wurde der Käufer zum Weiterbetrieb des Walzwerks und zum Neubau eines Stahlwerks verpf­lichtet. Die LEG hatte die Aufgabe, das rest­liche Gelände zu übernehmen und die notwendigen Entwicklungsmaßnahmen durchzuführen. Am 3. Juni 1993 hat die LEG hierzu mit dem Planungszweckverband einen Entwicklungsvertrag geschlossen, wodurch die Kommunen als Planungsträger eingebunden waren. Der Kaufvertrag zwischen THA/MHU GmbH i. L. und der LEG wurde am 7. Oktober 1993 beurkundet und am 1. November 1993 vom Aufsichtsrat der LEG genehmigt. Auch diese Terminkette zeigt, unter welchem Zeitdruck Thüringen derartige Prozesse vorangetrieben hat. Die grundsätz­liche Zielstellung stand bereits in der „Vorbemerkung“ zum Vertrag mit der Formulierung: „Die Vertragsparteien schließen deshalb diesen Kaufvertrag mit dem Ziel, den Industrie- und Gewerbestandort Maxhütte Unterwellenborn zur Sicherung einer langfristigen Industrieund Gewerbeentwicklung unter Einbeziehung aller Fördermög­lichkeiten zu sanieren, zu erschließen und zu entwickeln, vorrangig für die Branchen der Stahl-, Bau- und Baustoff- sowie Recycling-Industrie.“ Weiterhin war fixiert, dass die THA Träger eines Großprojektes für Abriss und Sanierung nach § 249h AFG war, welches bis 31. Dezember 1994 abzuschließen war. Die Finanzierung derartiger Projekte erfolgte durch Bund/THA, Freistaat Thüringen und Bundesanstalt für Arbeit. Schwerpunkt der Standortentwicklung war hier eine umfangreiche neue Erschließung der ca. 260 ha, die das Gebiet insgesamt umfasste. Dies geschah 192

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in den Komplexen: Neuordnung der gesamten Ver- und Entsorgung, neues Straßennetz mit Teilstück B 281 und 13 Brückenbauwerken, Eisenbahnanschluss für das Stahlwerk sowie Erweiterung der Schlackehalde und deren Nachnutzung. Im Jahr 2000 konnten der Stadt Saalfeld und den anliegenden Gemeinden die ersten Erschließungsstraßen übergeben werden. Es entstand hier ein umweltfreund­liches Industrie- und Gewerbegebiet mit einem Sondergebiet Handel. Im Umfeld eines der modernsten Elektro­ stahlwerke Europas konnten Unternehmen des produzierenden Gewerbes, des Handwerks und ein breites Spektrum der Dienstleistungsbranche angesiedelt werden, die vom Stahlwerk selbst oder von der Standortentwicklung profitierten. Das auf dem Standort befind­liche Bildungszentrum Saalfeld bietet die auf die Unternehmensanforderungen zugeschnittene Qualifizierung von Fachkräften an. Die Infrastruktur- und Entwicklungsmaßnahmen wurden bis zum Jahr 2000 abgeschlossen. Heute sind an diesem Standort ca. 70 Unternehmen angesiedelt, die insgesamt etwa 1.700 Arbeitsplätze geschaffen haben. Die Erweiterung der Schlackehalde, eine wichtige Basis für die langfristige Produktion des Stahlwerks, wurde 2012 abgeschlossen. Die Übernahme von Industriestandorten mit bereits privatisiertem Kerngeschäft erforderte eine enge Zusammenarbeit nicht nur zwischen THA und LEG , sondern auch zwischen der LEG , dem meist in Liquidation befind­lichen ehemaligen Unternehmen, dem Investor für den industriellen Kern, den bereits angesiedelten Unternehmen und den Kommunen sowie den zuständigen Behörden aller Ebenen. Ohne die LEG wäre die Privatisierung an diesem Standort schwierig geworden, da dem Investor die wesent­lichen Rahmenbedingungen für seine weitere Entwicklung und notwendige Investitionen gefehlt hätten. Gleichzeitig hat sie die in der Folge stattgefundenen Eigentümerwechsel des Stahlwerks und dessen weiteres Wachstum so begleitet, dass der Stahlstandort Unterwellenborn bis heute nachhaltigen Bestand hat. Die THA hatte bereits am 3. Oktober 1991 den nach THA-Gesetz umgewandelten Stammbetrieb des Chemiefaserkombinats als Thürin­gische Faser AG (TFS) in Rudolstadt-Schwarza an die Twenty First Century Oils SdN BH d verkauft. Die Entwicklung verlief in Schwarza jedoch nicht erfolgreich, so dass das Amtsgericht Gera am 31. August 1993 das Gesamtvollstreckungsverfahren eröffnen musste. Zur Erhaltung dieses Standorts war demzufolge neben der Entwicklung des Geländes auch die Fortführung des in Gesamtvollstreckung befind­lichen Unternehmens zu bewältigen. Diese Aufgabe wurde der LEG von der Landesregierung übertragen. Am 27. Mai Landesentwicklungsgesellschaft |

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1994 erwarb die LEG deshalb die Immobilien auf einer Fläche von rund 80 ha. Etwa 22 ha wurden zeitgleich an ausgegründete Dienstleistungsunternehmen übertragen In der Präambel des Kaufvertrags war die Rolle der LEG mit dem Satz beschrieben: „… hat sich die LEG bereitgefunden, die Entwicklung privatisierungsfähiger Geschäftsbereiche und die Neuansiedlung von Investoren zu unterstützen.“ Eine weitere Besonderheit dieses Vertrages war die hierin enthaltene Vereinbarung zur Altlastenkapitalisierung zwischen der THA und der LEG. Sie enthielten die notwendigen Sanierungskomplexe wie beispielsweise Schwermetalle im Boden und Altdeponien. Beide Seiten verständigten sich auf der Grundlage vorliegender Gutachten und behörd­licher Bescheide auf den Umfang der hierzu erforder­ lichen Kosten. Der von der THA zu tragende Anteil wurde berechnet, mit 5,8 Prozent pro Jahr über vier Jahre abgezinst und an die LEG ausgezahlt. Damit entfielen die bei anderen Projekten sehr mühsamen Abstimmungen zu jeder Einzelmaßnahme und Auftragserteilung. Es war die erste derartige Vereinbarung. Nach dem Modell der Integrierten Standortentwicklung realisierte die LEG auf den 102 ha Bruttofläche neben der Altlastenbeseitigung und der Sanierung erhaltenswerter Bausubstanz eine neue Verkehrsinfrastruktur und moderne Ver- und Entsorgungseinrichtungen – auch hier gefördert von der GRW. Hierzu gehören ein Heizkraftwerk und eine Industriekläranlage. Im Ergebnis der Ansiedlungsbemühungen und der Bestandspflege befinden sich heute 44 Unternehmen mit ca. 1.200 Arbeitsplätzen am Standort. Er wird geprägt durch die Adolf Jass Papierfabrik, flock & faser Thüringen GmbH, BASF Performance Polymers GmbH, STFG Säch­sische und Thüringer Filamente, Smartfiber und OMP GmbH. Als Standortvorteil für die hier produzierende Faser- und Polymerchemie unterstützt das Thürin­gische Institut für Textil- und Kunststoff-Forschung e. V. als wirtschaftsnahe Forschungseinrichtung die Entwicklung innovativer Produkte und Technologien. Die Umstrukturierung dieses Standorts wurde als weltweites Projekt der EXPO 2000 gewürdigt. An diesem Standort war die THA mit ihrem Privatisierungskonzept letzt­lich gescheitert. Nur durch die Integrierte Standortentwicklung der LEG ist es gelungen, diesen alten Industriestandort wieder zukunftsfähig zu gestalten. Am 16. September 1996 erwarb die LEG den Standort Chema Rudisleben. Den industriellen Kern hatte 1991 die Balcke-Dürr AG als Investor übernommen. Grundlage für die Erschließung des Geländes bildete der Erschließungsvertrag vom 11. März 1998. Zur Entwicklung eines modernen 194

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Industrie- und Gewerbegebietes führte die LEG auch hier zahlreiche Neustrukturierungs- und Erschließungsmaßnahmen durch. Im Jahr 2001 erfolgte die Übergabe der Erschließungsanlagen an die Stadt Arnstadt. Es entstanden 19 ha Industriegebiet und 5 ha Gewerbe- bzw. Mischgebiet. Die LEG verfügte hier über elf Industriehallen und zwei Bürogebäude mit 21.600 m² vermietbarer Fläche. Heute sind hier auf dem 29 ha großen Gelände 28 Unternehmen angesiedelt, die insgesamt ca. 410 Mitarbeiter beschäftigen. Es ist ein Branchenmix aus Anlagenbau, Solartechnik, Stahlbau und Dienstleistungsgewerbe entstanden. Auch zum Erhalt des IFA Motorenwerks Nordhausen, ein für die Region in Nordthüringen wichtiger Standort mit einer Tradition seit 1905, verlief das Engagement der LEG nach dem inzwischen bewährten Muster. Nachdem sie am 25. Oktober 1995 von der Landesregierung den Auftrag erhalten hatte, kaufte sie im Mai 1996 die Immobilien der IFA Motorenwerke und im September 1996 die der Thüringer Motorenwerke zum Zweck der Sanierung und Entwicklung. Gemeinsam mit der Stadt Nordhausen, die ebenfalls Flächen übernommen hatte, begann 1997 die Entwicklung des „IFA-Industrieparks“. Für das Wachstum vorhandener und die Ansiedlung neuer Unternehmen musste der Standort neu erschlossen werden. Der Erschließungsvertrag mit der Stadt Nordhausen wurde 1999 erarbeitet, abgestimmt und konnte im Januar 2000 von beiden Seiten unterzeichnet werden. Die Sanierungsmaßnahmen sind im Jahr 2008 abgeschlossen worden. Heute arbeiten an diesem 50 ha großen Standort mit Gleisanschluss rund 50 Unternehmen. Die Branchenschwerpunkte sind Maschinenbau, Lasertechnik, Motoren- und Komponentenentwicklung sowie Logistik. Auch hier gehören die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten regionaler Netzwerke und Kooperationen zwischen privaten und öffent­lichen Institutionen zu den Rahmenbedingungen einer nachhaltigen Entwicklung. Eine wichtige Rolle spielt hierbei die Fachhochschule Nordhausen. Bei den im Folgenden behandelten Standorten geht es um Areale, die sich signifikant von den zuvor beschriebenen unterscheiden. Einerseits handelte es sich um Industriebrachen im Besitz der THA, auf denen sich kein nennenswertes privatisierungsfähiges Unternehmen, kein industrieller Kern, mehr befand. Die Erschließung entsprach auch hier nicht den modernen Erfordernissen und vielfach waren ökolo­gische Altlasten vorhanden. Ferner handelte es sich auch um Konversionsflächen aus dem WGT-Sondervermögen. Die LEG hatte hieraus im Ergebnis einer Potenzialanalyse auf ca. 1.800 ha etwa 20 Konversionsprojekte definiert, die aufgrund ihrer Lage die Chance boten, eine neue Nutzung zu erhalten, z. B. als Industrie- und Gewerbeflächen. Landesentwicklungsgesellschaft |

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Brachflächenrecycling ist ein weltweites Thema und betrifft auch heute die gesamte Bundesrepublik. Die Besonderheit in Thüringen bestand in der großen Anzahl solcher Flächen bei verhältnismäßig geringen Chancen, diese kurzfristig wieder vermarkten zu können. Wie bereits dargestellt 168, war das Büromaschinenwerk Sömmerda (BWS) der einzige Standort, an dem die THA nur auf Drängen der Landesregierung selbst die Standortentwicklung durchführte, um den dort vorhandenen Unternehmen geeignete Arbeitsbedingungen zu verschaffen und leerstehende Immobilien vermietungs- oder verkaufsfähig zu machen. Die LEG hat hier deshalb keine Immobilien zum Zwecke der Entwicklung erworben, jedoch die THA mit Fachkompetenz und Einsatz von Personal unterstützt. Für die Aufgaben der Altlastenbeseitigung, der Neugestaltung, der Erschließung, der Sanierung und des Umbaus von Gebäuden hat sie im Auftrag der THA die Funktion des Projektkoordinators übernommen. In Zusammenarbeit zwischen THA, Wirtschaftsministerium, LEG und der Stadt Sömmerda konnte der Standort des ehemaligen Büromaschinenwerks wieder zukunftsfähig gestaltet werden. Dabei haben die inzwischen realisierte Anbindung an die Autobahn und die Ansiedlung bedeutender Unternehmen im Umfeld von Sömmerda den Transformationsprozess auch hier positiv beeinflusst. Am 30. Juni 1993 wurde die Produktion im Kaliwerk Merkers eingestellt. Ledig­lich 300 Menschen wurden langfristig durch die Kali und Salz GmbH mit Verwahrungsarbeiten beschäftigt. Dies war für Merkers das Ergebnis der Privatisierung der Mitteldeutschen Kali AG durch die THA . Die LEG hat 1996 das ca. 38 ha große Gelände von der Kali und Salz GmbH übernommen, um auf der Brachfläche, die die THA hinterlassen hatte, einen modernen Industrie- und Gewerbepark zu entwickeln. Hier standen noch die Reste der Fabrik- und Bürogebäude der ehemaligen Kaliproduktion. Grundlage für die Standortentwicklung bildete die zwischen der LEG und der Gemeinde Merkers-Kieselbach im August 1995 abgeschlossene Entwicklungsvereinbarung. Für die Freistellung von den Kosten der Altlastenbeseitigung musste die LEG den Antrag stellen, der im Dezember 1996 positiv beschieden wurde. Die LEG hatte dabei einen Eigenanteil von 10 Prozent zu tragen. Auf dem Gelände lagen 20 km Gleise einer Anschlussbahn, die Kali und Salz teilweise dort zurückgebaut hatte, wo sie für eigene Zwecke nicht mehr benötigt wurden. Zwei auf dem Standort inzwischen neu angesiedelte Firmen 168 Vgl. den Punkt Abwicklung.

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nutzten diesen Anschluss mit und waren existenziell darauf angewiesen. Da das Wagenaufkommen insgesamt nicht mehr kostendeckend war, kündigte die Kali und Salz GmbH den Anschlussvertrag mit der Deutschen Bahn AG und stellte zum 31. März 1997 den Betrieb der Anschlussbahn ein. 1998 kaufte die LEG die Anschlussbahn und sanierte sie in der Folge von Grund auf. Dadurch konnten bei den angesiedelten Firmen ein Investitionsvolumen von ca. 28 Mio. DM sichergestellt und etwa 70 Arbeitsplätze erhalten werden. Mit dem Betrieb der Anschlussbahnanlage wurde ein geeignetes Unternehmen beauftragt. Den Erhalt dieser Infrastruktur haben die LEG und die Gemeinde in der Folge finanziell unterstützt. Bis zum Jahr 2003 wurden für die Erschließung des Geländes rund 25 Mio. DM in vier Bauabschnitten investiert. Heute sind hier neun Unternehmen tätig und noch ca. 17 ha im Angebot. Am Beispiel des ehemaligen Kalistandorts Merkers ist festzustellen, dass in der Folge der Privatisierungspolitik der THA in dieser Region eine Industriebrache mit Altlasten verblieben wäre, aus der sich noch die letzten verbliebenen Unternehmen zurückgezogen hätten. Dies konnte nur durch das gemeinsame Engagement von Landesregierung, LEG und Gemeinde verhindert werden. Im Unterschied zu den vorgenannten Beispielen handelt es sich beim Gewerbegebiet Gotha-Ost um ein kommunales Gewerbegebiet, welches teilweise besiedelt und teilweise brachgefallen war. Die LEG hat hier 1999 als Geschäftsbesorger für die Stadt, bzw. die Kommunale Entwicklungsgesellschaft die Aufgabe übernommen, das rd. 300 ha große Gebiet neu zu ordnen und die Erschließung den Erfordernissen entsprechend zu gestalten. Wie bei der Sanierung einer bewohnten Wohnung mussten alle Abriss- und Neubaumaßnahmen so erfolgen, dass bereits am Standort vorhandene Unternehmen und Einrichtungen ihre Arbeit fortsetzen konnten. Der Standort war und ist geprägt durch die Branchen Gummi, Automobilzulieferer, Recycling sowie Fertigung von Fenstern und Türen. Wie die Nutzung, mussten auch die Eigentumsverhältnisse neugeordnet werden. Im Mai 2004 konnte der erste Bauabschnitt der Erschließungsstraße übergeben werden. Heute sind rd. 178 ha der Fläche belegt. Ein traditionelles Industrie- und Gewerbegebiet ist durch kommunale Aktivität mit Unterstützung der LEG und unter Einsatz der Fördermög­lichkeiten als eine Basis der wirtschaft­lichen Entwicklung der Stadt Gotha erhalten geblieben und bietet weitere Chancen für die Zukunft. Das ehemalige Teerverarbeitungswerk in Rositz mit seinem berüchtigten Teersee „Neue Sorge“ ist eines von zwei signifikanten Altlastengroßprojekten in Thüringen. Landesentwicklungsgesellschaft |

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Auf der Grundlage des Verwaltungsabkommens zwischen dem Bund und den neuen Ländern vom 1. Dezember 1992 wurde der Standort am 27. Juli 1993 mit zunächst geschätzten Sanierungskosten von 113,3 Mio.  DM als Altlastengroßprojekt eingestuft. Dies bedeutete, dass sich THA und Thüringen hier 90 Prozent der Kosten im Verhältnis 75:25 teilten. Die rest­lichen 10 Prozent entfielen immer auf den Investor, in diesem Fall die LEG. Vom Thüringer Landesverwaltungsamt erhielt die LEG mit Schreiben vom 11. April 1994 den Freistellungsbescheid. Nachdem nunmehr die Finanzierung der wesent­lichen Kosten geklärt war, erhielt die LEG den Auftrag zum Erwerb sowie zur Erschließung und Entwicklung und kaufte am 21. April 1994 die 40 ha große Immobilie. Beteiligt an diesem Kaufvertrag waren außer THA und LEG die nach der Unternehmensschließung verbliebene Verwaltungsund Verwertungsgesellschaft – Industriegelände Rositz mbH (VVG) und der Freistaat Thüringen wegen dessen Beteiligung an der Finanzierung der Altlastenbeseitigung. In § 8 verpf­lichtete sich die THA auch zur Mitwirkung bei der Demontage, Beräumung und Entsorgung von Gebäuden und Anlagen im Rahmen von Maßnahmen nach § 249h AFG. Die Standortentwicklung wurde unter das Thema „Umwelt und Recycling“ gestellt, da die größten Chancen für Unternehmensansiedlungen dort gesehen wurden, wo die Unternehmen selbst durch Auftragsabarbeitung an der Sanierung des Standorts partizipierten. Die Sanierungskosten wurden nach Vorliegen der Gutachten auf ca. 300 Mio.  DM und die Erschließungskosten auf 60 Mio. DM beziffert. Für 90 Prozent der Erschließungskosten standen GRW-Mittel zur Verfügung. Am Altlastengroßprojekt Rositz wurde die Problematik der Organisation und Durchführung von Sanierungsmaßnahmen besonders deut­lich. Ein grundsätz­licher Interessenkonflikt bestand darin, dass die THA , die den größten Anteil der Kosten zu tragen hatte, diese nach der Maxime „So wenig, wie mög­lich“ gering halten wollte. Die ört­lich zuständige Behörde, das Staat­liche Umweltamt in Gera, wollte jedoch eine Sanierung durchsetzen, die nach dem Grundsatz „So gut, wie mög­lich“ eventuelle spätere Kritiken an der Sanierungsqualität unwahrschein­lich machen sollte. Den hier erlassenen Bescheiden und Anordnungen hatte die LEG zu folgen, es sei denn, sie konnte erfolgreich Widerspruch einlegen. Die Landesregierung hatte einerseits die Last der Finanzierung mitzutragen und andererseits die fach­liche Verantwortung für eine ordnungsgemäße Sanierung. Sie arbeitete nach dem Leitsatz „So gut, wie nötig“. Dazwischen standen das Landesverwaltungsamt als Mittelbehörde und Aufsicht sowie die Thüringer Landesanstalt für Umwelt als Fachbehörde. Schwerpunkt der Diskussion bildete 198

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die Frage, wie der Begriff „Gefahrenabwehr“ zu definieren sei. Hierdurch entstand ein Kreislauf, der oft mehrfach ganz oder teilweise durchlaufen werden musste, bis es zu einer Entscheidung kam. Die Diskussionen um die Genehmigung angeordneter Maßnahmen durch die THA endeten erst, nachdem zwischen Thüringen und der THA der sogenannte Altlastengeneralvertrag 169 geschlossen worden war. Im September 2012 konnte die Sanierung des Teersees „Neue Sorge“ erfolgreich beendet werden. Die Instandsetzung hatte 1997 mit der Errichtung eines Abdecksystems begonnen und etwa 80 Mio. Euro gekostet. 343.000 m³ Inhaltsstoffe wurden entsorgt und 88.000 t Ton sowie 380.000 t Boden verfüllt. Die LEG verwaltet, entwickelt und verwertet 47 ehemalige Militär­ flächen aus dem WGT-Sondervermögen. Eine Besonderheit stellte hier die Beräumung von Kampfmitteln dar, die in großer Menge ober- oder unterirdisch vorhanden waren und eine Gefahr bildeten. Allein auf den Truppenübungsplätzen Kindel, Weimar und Crawinkel hat die LEG bis 2010 auf einer Fläche von 276 ha über 22.000 kg sprengfähige Munition beräumen lassen müssen. Erst wenn die Kampfmittelfreiheit gegeben war, konnte die Erschließung dieser Flächen begonnen werden. Eine mög­liche Nachnutzung solcher Brachflächen sind Industrie- und Gewerbegebiete. Mit dem Planungszweckverband Kindel schloss die LEG am 13. Juli 1993 einen Entwicklungsvertrag als Grundlage für die Umgestaltung des ehemaligen Truppenübungsplatzes zu einem Industrie- und Gewerbegebiet. Chancen für eine positive Entwicklung bot die Lage des Geländes in der Nähe des damals geplanten Verlaufes der Autobahn A 4 im Rahmen des sechsspurigen Ausbaus. Der erste Erschließungsvertrag wurde am 24. April 1996 unterzeichnet und ein gutes Jahr später der Vertrag für den zweiten Bauabschnitt geschlossen. Heute liegt die A 4 nur 1,5 km entfernt. Direkt an dem erschlossenen Industriegebiet gelegen, bietet ein Verkehrslandeplatz der Klasse 1 die Anbindung an den Luftverkehr. Die 2.200 Meter lange und 60 Meter breite Startbahn kann für Flugzeuge und Hubschrauber bis 20 Tonnen rund um die Uhr genutzt werden. Das Industrie- und Gewerbegebiet ist zu einem modernen Standort mit mehreren Großansiedlungen geworden. Bedingt durch den Automobilstandort Eisenach sind hier die Branchen Fahrzeug- und Maschinenbau, Automobilzulieferer, Kunststofftechnik und Logistik vertreten.

169 Vgl. den Punkt Umwelt/Altlasten. Landesentwicklungsgesellschaft |

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Für die positive Entwicklung, die Unternehmen an diesem Standort genommen haben, seien hier nur zwei Beispiele genannt: Die Firma REGE Motorenteile GmbH wurde 1997 mit einer Investitionssumme von über 50 Mio. DM und zugesagten 500 Arbeitsplätzen angesiedelt. Sie beschäftigt heute 975 Mitarbeiter. Die Emitec Gesellschaft für Emissionstechnologie mbH wurde 1999 mit einer Investitionssumme von über 40 Mio. DM und zugesagten 100 Arbeitsplätzen akquiriert. Sie hat heute 170 Mitarbeiter vor Ort. Ohrdruf hat als Militärstandort eine über hundertjährige Geschichte. Die kaiser­liche Armee führte hier bereits Manöver durch. Nach der Nutzung durch die Wehrmacht wurden hier Teile der WGT stationiert. Nach deren Abzug blieben 5.000 ha Truppenübungsplatz und über 130 ha Garnisonsgelände zurück, die teilweise bis heute von der Bundeswehr genutzt werden. Die LEG übernahm die Entwicklung des überwiegenden Teilbereiches der ehemaligen Garnison mit einer Größe von rd. 112 ha. Dieses Gebiet war mit Kasernen, Wohngebäuden und militärischen Zweckbauten belegt, mit Altlasten kontaminiert und mit Munition belastet. Nach einer Bestandsaufnahme und Potenzialanalyse für das Areal hat die LEG 1994 folgendes Entwicklungskonzept für die Revitalisierung erarbeitet: 35 ha Erschließung als Wohngebiet; 75 ha Beräumung und Renaturierung als Ersatz bzw. Ausgleichsmaßnahme für den sechsspurigen Ausbau der Bundesautobahn A4. Zur Umsetzung dieses Konzeptes wurden folgende Schwerpunktmaßnahmen durchgeführt: –– Entsorgung von 14.600 t kontaminiertem Material, Beseitigung von 103 Tanks und über 8.300 Munitionskörpern sowie Abriss von 540.000 m³ umbautem Raum; –– Errichtung einer Erschließungsstraße, eines Regenrückhaltebeckens sowie Ertüchtigung und Ausbau des Abwassersystems; –– Umsetzung umfangreicher Renaturierungsmaßnahmen im Auftrag der Bundesstraßenverwaltung. Im Jahr 2006 konnte die Konversion durch Verkauf von rd. 35 ha an eine Projektentwicklungsgesellschaft und etwa 77 ha an die Bundesrepublik nach Übertragung der öffent­lichen Flächen an die Stadt Ohrdruf erfolgreich beendet werden. Hier ist ein attraktives Wohngebiet entstanden und ehemals belastete und versiegelte Flächen wurden zum Zwecke des Naturschutzes und der Landschaftspflege renaturiert. Die industrielle Entwicklung erfolgte auf dem durch Ohrdruf und die Gemeinden Herrenhof und Hohenkirchen ausgewiesenen Industrie- und Gewerbegebiet. Mit Unterstützung der LEG 200

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wurden hier u. a. Automobilzulieferer (Schroth Antriebselemente, Fagerdala Deutschland), Lebensmittelhersteller (STORCK , Brandt Zwieback) und Maschinenbaufirmen (Fermat, Muhr & Söhne) angesiedelt. Über 30 Firmen beschäftigen heute hier etwa 3.000 Mitarbeiter. Einen weiteren Aufgabenschwerpunkt stellen Brachflächenrecycling und Stadtentwicklung dar. Hier handelt es sich um Industrie- oder Militärbrachen, die aufgrund ihrer Lage baurecht­lich für Industrie oder Gewerbe nicht geeignet waren, aber ein wichtiges Potenzial für die Stadtentwicklung darstellten. An den zwei sicher bedeutendsten Projekten soll beispielhaft erläutert werden, wie der Umbauprozess für eine neue Nutzung vonstatten ging. In enger Zusammenarbeit mit der Stadt kam es jeweils darauf an, die Umgestaltung dieser Gebiete mit einem hohen Anspruch an städteplanerischer und bau­licher Qualität zu verwirk­lichen. Bei Erfurt-Brühl handelt es sich um ein rund 22 ha großes Gelände in zentraler Lage der Landeshauptstadt Erfurt. An diesem Standort waren bis zur Wiedervereinigung das Büromaschinenwerk Robotron-Optima und das Kombinat Mikroelektronik (ERMIC/MTG) mit mehreren tausend Arbeitskräften tätig. Diese Unternehmen befanden sich 1992 in Liquidation. Der Standort war für eine industrielle Nutzung nicht mehr und für eine gewerb­ liche Nutzung nur eingeschränkt geeignet. Das Interesse der Stadt Erfurt bestand darin, einen attraktiven Stadtteil für Wohnen, Handel, Gastronomie, Kultur, Büros, öffent­liche Einrichtungen usw. zu entwickeln. Die teilweise vermietete Bebauung auf dem Gelände umfasste eine Brutto­ geschossfläche von ca. 185.000 m². Auf Grund der bisherigen Nutzung war auf dem Areal ein breites Spektrum von Altlasten vorhanden, deren Beseitigungskosten auf bis zu 40 Mio. DM geschätzt wurden. Die THA war der Auffassung, wegen der zentralen Lage des Grundstücks erheb­liche Einnahmen aus dem Verkauf erhalten zu können und wollte im Rahmen einer Ausschreibung einen maximalen Erlös erzielen. Wegen des vorrangigen Interesses von Stadt und Land an einer schnellen und abgestimmten Entwicklung wurde jedoch erreicht, dass die LEG dieses Grundstück erwerben konnte. Der Kaufvertrag wurde bereits am 7. Dezember 1992 beurkundet. Erfurt-Brühl war damit nach Tridelta die zweite ehemalige Industriefläche, deren Entwicklung in die Verantwortung der LEG überging. Allerdings war man sich bei Abschluss des Kaufvertrages über zwei wichtige Positionen nicht einig, näm­lich über den Kaufpreis und über die Kosten der Altlastenbeseitigung. Um trotzdem zu einem wirksamen Eigentumsübergang zu kommen, einigten sich beide Seiten auf ein Verfahren zur Feststellung dieser strittigen Positionen. Zunächst wurde ein vorläufiger Landesentwicklungsgesellschaft |

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Kaufpreis bezahlt. Die Wertermittlung sollte dann durch einen einvernehm­ lich bestimmten Gutachter erfolgen, dessen Ergebnis von beiden Seiten anzuerkennen war. Von diesem Wert waren die Kosten für die Beseitigung der Altlasten abzuziehen, die ebenfalls durch einen einvernehm­lich zu bestimmenden Gutachter festzustellen waren. Es dauerte noch Jahre, bis hierzu eine endgültige Einigung erzielt wurde, wobei der Kaufpreis am Ende nur geringfügig über dem vorläufig gezahlten lag. Für die Entwicklung des Geländes hat die LEG im Juni 1993 in einem Rahmenvertrag mit der Stadt Erfurt die Grundlagen geschaffen. Richtschnur bildete dann ein Rahmenplan, der in einem städtebau­lichen Gutachterverfahren aufgestellt wurde. Auf dessen Grundlage konnten B-Pläne erstellt oder Genehmigungen nach § 34 Baugesetzbuch erteilt werden. Initiator der Entwicklung des Standorts war die LEG selbst, insbesondere erfolgte hier der Neubau des Erfurter Theaters und die Errichtung des Justizzentrums. Ein weiteres Beispiel war das etwa 10 ha große ehemalige Kasernengelände an der Leibnizallee in Weimar. Der Boden war durch die militärische Nutzung mit Treib- und Schmierstoffen, Säuren und Blei belastet. Die Sanierung erfolgte auf der Grundlage eines Bescheides des Staat­lichen Umweltamtes von 1997. Eine nicht mehr nachnutzbare Gebäudesubstanz mit ca. 80.000 m³ umbautem Raum in 27 Objekten wurde abgebrochen. Durch die Lage unweit des Schlosses am Ilmpark innerhalb einer umgebenden Wohnbebauung war eine Konversion nur im Rahmen einer städtebau­ lich attraktiven Stadtentwicklung mög­lich. Anfang 1996 hat der Stadtrat von Weimar den städtebau­lichen Rahmenplan bestätigt. Der Bebauungsplan wurde 1996/97 durch eine Planungswerkstatt mit elf europäischen Architekturbüros erarbeitet und 1998 offengelegt. Einen Schwerpunkt der Entwicklung bildete das Projekt „neues bauen am Horn“, in dem modellhaft ein neues Stadtquartier geplant, im Kulturstadtjahr 1999 sowie bei der EXPO 2000 in Hannover vorgestellt und in den Folgejahren auch realisiert wurde.170 Die Erschließung begann im Februar 2000 und endete mit der Übergabe der Anlagen im Juli 2003. Wichtigste Ergebnisse der Entwicklung sind beispielsweise: Die Streichhankaserne wurde zur Musikhochschule umgebaut, das Militärgericht und die Gewehrkammer zu Studentenwohnungen. Das ehemalige Kasino ist Sitz des Instituts für Europäische Urbanistik der Bauhaus-Universität Weimar. 170 Vgl. Neues bauen am horn. Eine Mustersiedlung in Weimar. Hg. von Lars-Christian Uhlig und Walter Stamm-Teske. Weimar 2005.

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In den 22 Jahren seit ihrer Gründung haben sich die LEG und ihre Aufgabenstellung ständig weiterentwickelt. Die territorial breit gefächerte Entwicklungstätigkeit erforderte eine enge Zusammenarbeit mit den kommunalen Gebietskörperschaften. Deshalb gründete die LEG gemeinsam mit den Landkreisen, kreisfreien Städten und Sparkassen regionale Töchter. Dies begann bereits im Juni 1993 mit der Gründung der Entwicklungsgesellschaft Südharz-Kyffhäuser mbH (ESK ) in der Absicht, für den Kali-Standort Bischofferode und andere Standorte neue Perspektiven zu schaffen. Im Jahr 1994 folgte die Gründung der Entwicklungsgesellschaft Südwest-Thüringen mbh (ESW). 1995 hat die LEG die AGO von der Jenoptik übernommen. Nach mehr als zehn Jahren war diese Struktur nicht mehr notwendig und die Regionaltöchter wurden ab 2007 in die LEG integriert. Im Gegensatz dazu ergab sich aber die Notwendigkeit zur Gründung von Tochtergesellschaften mit funktionalem Bezug wie: –– Betreibung von Applikations- und Technologiezentren (BATT), –– Vermietung von Gewerbeimmobilien an Investoren (G. N. W./EFX), –– Sanierung von Sonderabfalldeponien (TSD). Mit der Neuentwicklung der Wirtschaftsstruktur des Freistaates Thüringen und den wachsenden Anforderungen an die Internationalisierung und Flexi­ bilität der Unternehmen vollzog sich für die LEG Thüringen mbH zudem auch ein dynamischer Prozess der Veränderung ihrer Geschäftsfelder. Wie sich im Laufe der Jahre zeigte, findet das Konzept des Einsatzes einer Landesentwicklungsgesellschaft als strukturpolitisches Instrument nachhaltig Bestätigung. Dieser Prozess spiegelte sich wider in der schrittweisen Inangriffnahme neuer Aufgabenfelder wie der Akquisition von Investoren, der Entwicklung des Thüringen-Marketings und der Vertretung auf internationalen Messen (schon ab Mitte der 1990er Jahre) sowie – ab Mitte der 2000er Jahre bis heute – in der Anbahnung internationaler Wirtschaftskontakte, der Exportförderung Thüringer Unternehmen, der Förderung und Vermarktung von Innovationen sowie einem zukunftsorientierten Clustermanagement. Bei der Schaffung der Rahmenbedingungen für ein innovatives Wachstum von Unternehmen hat sich die Landesregierung ebenfalls der LEG als Instru­ ment bedient. Zum Ausbau und Erhalt der Position Thüringens im Bereich grüner Technologien ist hier die Thüringer Energie- und GreenTech-Agentur angesiedelt. Den flächendeckenden Ausbau des Breitbandnetzes in Thüringen unterstützt die LEG mit ihrem Breitbandkompetenzzentrum. Der Erhalt ehemaliger Industriestandorte von regionaler Bedeutung und die Nutzung von Brachflächen für neue Unternehmensansiedlungen war nur ein Teil der Industriepolitik, die durch die LEG umgesetzt wurde. Landesentwicklungsgesellschaft |

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Die Akquisition von Investoren erforderte ein Angebot an Industrieflächen, die den Anforderungen an Lage, Größe und Erschließungsqualität gerecht wurden. Es handelte sich dabei um einen der harten Standortfaktoren, um sich im internationalen Standortwettbewerb durchsetzen zu können. Die Landesregierung startete deshalb die „Thüringer Industriegroßflächeninitiative“, um in allen Landesteilen geeignete Standorte künftig erschlossen anbieten zu können. Durch das Kabinett wurden zunächst fünf Projekte bestätigt, deren Bearbeitung die LEG 2010 begann. Die Erfahrungen hatte sie bereits bei der vorangegangenen Entwicklung der Fläche „Erfurter Kreuz“ gesammelt, die als Beispiel nachfolgend beschrieben ist. Heute entwickelt die LEG an sieben Standorten Industriegroßflächen: –– Erfurter Kreuz (400 ha) –– Waltershausen/Hörselgau (180 ha) –– Artern/Unstrut (175 ha) –– „Goldene Aue“ Nordhausen (100 ha) –– Sömmerda/Kölleda (78 ha) –– Hermsdorfer Kreuz (50 ha) –– Gera Vogelherd/Cretzschwitz (42 ha). Der am Autobahnkreuz A 4/A 71 gelegene Standort Erfurter Kreuz ist auf Grund seiner Lage in der Mitte Deutschlands für Investoren besonders attraktiv. Für die Ansiedlung von Industrieunternehmen mit einer Vielzahl zukunftsfähiger Arbeitsplätze bedurfte es ebener Industrieflächen in der Größenordnung von 100 ha. Die Landesregierung beauftragte deshalb die LEG 2001 mit der Entwicklung der Industriegroßfläche „Erfurter Kreuz“. Von 2005 bis 2007 hatte die LEG hier in einem ersten Bauabschnitt 160 ha erschlossen und bis 2010 bereits acht Unternehmen mit 1.800 Arbeitsplätzen angesiedelt. Darunter befanden sich Unternehmen wie: N3 Engine Overhaul Services (Rolls Royce/Lufthansa) für Triebwerke, ICSIG (IHI/Daimler) für die Produktion von Turboladern und der Automobilzulieferer Gonvauto (Spanien). Heute hat dieser Standort nach der West-Nord-Erweiterung eine verfügbare Nettofläche von 337 ha Industriegebiet. Im April 2012 fand die Grundsteinlegung für ein neues Logistikzentrum von Schenker mit 20 Arbeitsplätzen statt. Aus der Erschließung des zweiten Bauabschnittes, die 2008 begonnen wurde, entstehen 35 ha und weitere Bauabschnitte mit 169 ha sind eingeleitet worden oder folgen. 3.250 Arbeitsplätze sind hier durch Unternehmensansiedlungen entstanden, wie beispielsweise: Bosch Solar Energy AG, MDC Technology GmbH und Schuite & Schuite Druckfarben GmbH. Für das Motorenwerk Kölleda kaufte die LEG im Dezember 2001 von der Gemeinde Kölleda die erforder­lichen Grundstücke. Im Januar 2002 204

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unterzeichneten beide Partner den Entwicklungsvertrag. Dies war die Grundlage dafür, das Industriegebiet „Kiebitzhöhe“ zunächst für die Ansiedlung des MDC Motorenwerks (Daimler/Chrysler/Mitsubishi Motors) mit 1.155 geplanten Arbeitsplätzen und über 600 Mio. Euro Investitionssumme entwickeln zu können. Das Industriegebiet gehört heute mit seinen mehr als 111 ha Netto­fläche und seinem Gleisanschluss zu den größten in Thüringen. Derzeit laufen die Vorbereitungen für die Erschließung des zweiten Bauabschnittes. Hier sind heute zehn Unternehmen mit insgesamt über 2.000 Arbeitsplätzen, vorrangig aus Automobilindustrie, Elektronik/Elektrotechnik und Logistik tätig. Dies ist ein Beispiel dafür, dass erfolgreiche Ansiedlungen mit entsprechender Schaffung von Arbeitsplätzen nur gelingen, wenn kurzfristig die hierfür erforder­lichen maßgeschneiderten Standortbedingungen erfüllt werden können. Dabei müssen Landesregierung, Gemeinden, Behörden und sonstige Einrichtungen mit der LEG an einem Strang ziehen. In Kölleda ist so ein für diese Region bedeutender Standort mit einer dynamischen Entwicklung entstanden. Für die Präsentation des Wirtschaftsstandorts Thüringen und die Akquisition von Investoren hatte die Landesregierung zunächst die Thüringer Landeswirtschaftsförderungsgesellschaft (TLW ) gegründet. Bereits 1995 wurde die TLW mit der LEG verschmolzen, denn die Ansiedlung von Unternehmen und die Entwicklung von Industrie- und Gewerbegebieten erforderten über eine gute Zusammenarbeit hinaus eine enge Verknüpfung und Abstimmung der beteiligten Institutionen. Die LEG pflegt eine jahrzehntelange enge Zusammenarbeit mit allen Wirtschaftsförderern in den kommunalen Gebietskörperschaften. Sie hat alle freien Industrie- und Gewerbeflächen Thüringens in ihrer Datenbank, welche die Thüringer Flächenangebote bündelt. Die Standortentscheidungen selbst treffen letzt­lich nur die Investoren nach ihren eigenen Anforderungsprofilen. Grundsätz­lich kann nicht ausgeschlossen werden, dass sowohl Gemeinden als auch die LEG über Flächen verfügen, die sich im Laufe der Jahre auf Grund ihrer spezifischen Standortgegebenheiten bzw. sich ändernder Standortanforderungen nur schwer vermarkten lassen. Seitdem die LEG in enger Abstimmung mit dem Wirtschaftsministerium einerseits und den Kommunen andererseits ein umfassendes Thüringen-Marketing betreibt und Investoren mit einem breiten Serviceangebot bei ihrer Ansiedlung unterstützt, hat sich Thüringen zu einer gefragten Adresse im In- und Ausland entwickelt. Seit 2009 wurde der Freistaat von Ernst & Young, IBM Plant Location International und New Plant Database wiederholt als Top-Investitionsstandort in Deutschland sowie in Mittel- und Westeuropa ausgezeichnet. Landesentwicklungsgesellschaft |

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Das spiegelt sich letzt­lich in der Investitions- und Arbeitsplatzstatistik der LEG für die letzten Jahre wider: Zeitraum

Anzahl neuer Unternehmen

Anzahl neuer Arbeitsplätze

Investitions­ volumen

bis 1999

290

14.271

2,1 Mrd. Euro

2000 – 2009

673

23.613

4,4 Mrd. Euro

seit 2010

231

11.076

2,2 Mrd. Euro

Für die Steigerung der Exportquote in der Thüringer Wirtschaft ist – insbesondere vor dem Hintergrund ihrer vorwiegend mittelständischen Struktur – die Erleichterung des Zugangs zu den Außenmärkten sowie die die Stärkung ihrer internationalen Wettbewerbsposition eine wichtige Aufgabe. Die oft knappen Personalkapazitäten der KMU schränken die Mög­lichkeiten zur effektiven Erkundung und Erschließung von Exportmärkten ein. Insbesondere für den meist kostenintensiven Auftritt auf wichtigen Messen sind auf Grund der vielfach knappen Kapitalausstattung der Firmen die notwendigen finanziellen Mittel nicht ausreichend verfügbar. Die LEG hat deshalb bereits in den 1990er Jahren damit begonnen, im Zusammenhang mit dem Thüringen-Marketing gemeinsam mit den IHK auf internationalen Messen Gemeinschaftsstände anzubieten. Von der Hannover Messe über die Seoul Motor Show, die Laser World of Photonics in Mumbai bis zur Arab Health in Dubai ist sie bis heute auf einer Vielzahl von Fachmessen weltweit vertreten. Eine weitere Mög­lichkeit der Exportförderung bietet die Ausrichtung von Delegationsreisen. Der ständige Ausbau und die Systematisierung der Exportförderung führten 2012 zur Etablierung des neu formierten Arbeitsbereichs „Thüringen International“ in der LEG. Sie bietet darüber hinaus für den Messe­ auftritt kleinerer und mittlerer Unternehmen ein komplettes Servicepaket an. Zur Unterstützung junger innovativer Unternehmen und Start-ups sind in Thüringen Applikations- und Technologiezentren errichtet worden. Für die fach­liche Betreuung zuständig ist die 1993 gegründete Stiftung für Technologie, Innovation und Forschung Thüringen (STIFT).171 Die Verwaltung dieser Zentren erfolgt durch eine 2004 gegründete gemeinsame Tochter, die BATT, an der die LEG 51 Prozent der Anteile hält. Die Zentren sind das Applika­ tionszentrum Ilmenau (APZ), das Anwendungszentrum Mikrosystemtechnik 171 Vgl. den Punkt Stiftung für Technologie, Innovation und Forschung.

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(AZM) und das Studiopark KinderMedienZentrum in Erfurt, das Centrum für Intelligentes Bauen (CIB) sowie die bauhaus FACTORY in Weimar. Die BATT bietet Räume, technische und organisatorische Infrastruktur, Kommunikation und die Einbindung in Netzwerke. Sie richtet diese Zentren nach bestimmten Wachstumsfeldern in Verbindung mit den Universitäten und Fachhochschulen aus. Eine nachhaltige Integrierte Standortentwicklung erfordert, wie bereits dargestellt, auch die Organisation von Unternehmenskooperationen und die Bildung von Netzwerken und Clustern. Aus den standortbezogenen Erfahrungen der LEG sind die Schlussfolgerungen für eine zukunftsorientierte Wirtschaftspolitik gezogen worden, dieses Thema für Thüringen gezielt und in der Breite anzugehen. Mit dem „Trendatlas 2020“ sind strate­gische Wachstumsfelder der Wirtschaft Thüringens identifiziert worden. Als ein zentraler Ansatzpunkt zur Gewährleistung und zum Ausbau der nationalen und internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Thüringer Unternehmen wird die noch bessere Nutzung von Netzwerken zur Stärkung der Innovationskraft angestrebt. Wissenstransfer und Innovation sind als Priorität ins Zentrum der aktuellen Förderperiode der EFRE-, ESF- und ELER-Programme (Europäischer Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des länd­lichen Raums) für 2014 bis 2020 gerückt und werden als grundlegend für alle weiteren Bereiche betrachtet. Thüringen besitzt dazu mit seinen modernen, in der Region verwurzelten Unternehmen und den vielfältigen Forschungseinrichtungen ein enormes Potenzial. Allerdings erfordert die kleingliedrige Wirtschaftsstruktur das Beschreiten neuer innovativer Wege und die noch bessere Nutzung von zunehmend vernetzten Strukturen. Mit der Etablierung des Thüringer ClusterManagements (ThCM) innerhalb der Struktur der LEG wird durch die Wirtschaftspolitik des Freistaates Thüringen auf diese Herausforderung reagiert. Clustermanagement bedeutet: –– Potenzialstudien zu erarbeiten, –– Entwicklungskonzepte zu erstellen, –– Projekte zu initiieren, –– Partner zusammenzuführen und zu vernetzen, –– Kommunikationsplattformen anzubieten, –– Technische Unterstützung (Internet, Veranstaltungen, Informationen) zu leisten.172 172 Vgl. hierzu LEG Thüringen mbH: Synergien schaffen. Netzwerke nutzen. Cluster in Thüringen. Organisationsstrukturen und Aktivitäten in den Landesentwicklungsgesellschaft |

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Der Fachkräftemangel ist ein zunächst prognostizierter und inzwischen akuter Engpass bei der Entwicklung der Wirtschaft. Diesem Fachkräftemangel entgegenzuwirken ist das Ziel der 2011 gegründeten Thüringer Agentur Für Fachkräftegewinnung (THAFF), die ebenfalls bei der LEG angesiedelt wurde. Die THAFF unterhält eine Stellen- und eine Bewerberbörse, auf die registrierte Unternehmen Zugriff haben, berät Fachkräfte und Unternehmer und führt Veranstaltungen, wie Messen und Kooperationsbörsen, durch. Nach außen betreibt sie Marketing für den Beschäftigungsstandort Thüringen und unterhält das „Welcome Center Thuringia“ zur Unterstützung ausländischer Fachkräfte bei ihrer Integration in Arbeitsmarkt und Gesellschaft und zur Beratung einheimischer Unternehmen bei der Rekrutierung von ausländischen Fachkräften. Nachdem der Aufbau Ost weitgehend abgeschlossen ist, wendet sich die LEG nunmehr neuen Zukunftsaufgaben zu, die sie ebenfalls vor große Herausforderungen stellen werden.

Thüringer Aufbaubank Die Thüringer Aufbaubank (TAB) ist als Förderbank angelegt und hat die Aufgabe, private Investitionen durch Zuschüsse sowie zinsgünstige Kredite und Beteiligungen zu fördern. Die Geschichte der TAB ist geprägt von unterschied­lichen Erwartungen, die die Menschen im Freistaat nach der Wiedervereinigung an das neue Wirtschaftssystem hatten. Viele Betriebe standen vor dem Aus und waren im Vergleich zur Konkurrenz im Ausland und in den alten Bundesländern nicht wettbewerbsfähig. Die erste Thüringer Landesregierung nach der Wiedervereinigung stellte politisch die Weichen für eine öffent­liche, institutionalisierte Förderung der bestehenden Betriebe und neuer Unternehmen. Natür­lich war es vor allem die Aufbauarbeit der Unternehmen selbst, die sich nach dem politischen und wirtschaft­lichen Umbruch 1990 neu orientieren mussten; dies beinahe strate­gischen Wachstumsfeldern und Branchen. Erfurt 2013 sowie Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Technologie: Thüringer Cluster-­ Management (ThCM) Ziele, Strukturen und Arbeitsschwerpunkte. Erfurt 2012 (http://www.cluster-thueringen.de/service/downloads/dokument/01-­ clusterbroschuere/, Abruf: 12. Mai 2014). Siehe auch Anlage 5 im Anhang.

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von Null, nur mit ihrem Humankapital und veralteten Produktionsmitteln, jedoch ohne Eigenkapital. Die Straßen, die Energieversorgung, die Infrastruktur und auch die Kapitalstöcke mussten erneuert werden, um Neustrukturierung und Wachstum zu ermög­lichen und diesen Unternehmen den Weg in die Zukunft zu ebnen. Zudem barg die eher kleinteilige Struktur Thüringens das Risiko einer unzureichenden Standortgunst für Investoren und Risiko-Kapitalgeber. Das vielfältige Aufgabenspektrum und der Umfang an Arbeit für die Wirtschaftsförderung konnte nicht von einem Ministerium und der Treuhand bewältigt werden. Für die Revitalisierung der Thüringer Wirtschaft nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Planwirtschaft benötigte der Freistaat eine eigene Gesellschaft mit einer Banklizenz. Das Thüringer Wirtschaftsministerium bereitete daher die Gründung der Thüringer Aufbaubank vor. Im Kabinett wurde das Konzept im März 1992 erstmals behandelt. Der Thüringer Landtag beschloss dazu das entscheidende Gesetz für die Gründung der Thüringer Aufbaubank, das am 21. Juli 1992 im Thüringer Gesetzesblatt veröffent­licht wurde. Darin sind drei Aufgabenfelder der Bank verankert: –– Investitionen der gewerb­lichen Wirtschaft fördern, –– Mitfinanzierung des Ausbaus der wirtschaftsnahen Infrastruktur, –– die Förderung des Wohnungs- und Städtebaus. Im Oktober 1992 nahm die Bank offiziell ihre Tätigkeit auf. Mit Wirkung zum 1. Januar 1993 erteilte das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen die nötige Erlaubnis zum Betreiben von Bankgeschäften. Als Förderbank sollte das neue Institut dabei nicht in Konkurrenz zu den Geschäftsbanken stehen. Die TAB wurde als eine hundertprozentige und eigenständige Tochter des Landes gegründet – nicht unbedingt eine Selbstverständ­lichkeit. Brandenburg und Sachsen verfügten damals über staat­liche Förderbanken, die Tochterunternehmen von öffent­lich-recht­lichen Institutionen aus den alten Bundesländern waren, nament­lich der WestLB bzw. der Landeskreditbank Baden-Württemberg. Bei der Thüringer Aufbaubank dagegen konnte die Thüringer Landes­ regierung direkt Einfluss auf die Förderpolitik ausüben und der Bank auch zusätz­lich Aufgaben übertragen. Die Geschäftsbefugnisse der TAB-­ Geschäftsleitung blieben dennoch erhalten. Der Verwaltungsrat setzte sich weitgehend aus Politikern zusammen, Vorsitzender des Verwaltungsrats war der Thüringer Wirtschaftsminister. Die Verzahnung von Wirtschaftspolitik mit den Aufgaben der Aufbaubank war sehr eng. Die TAB übernahm zunächst die Auszahlung der Investitionszuschüsse im Rahmen der GRW. Thüringer Aufbaubank  |

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In der Folge nahm die Bank das Mittelstandskreditprogramm in Angriff, um vor allem kleine Unternehmen – einschließ­lich des Handwerks – ohne Primäreffekte fördern zu können, da für diese Gruppe der Einsatz von Mitteln der Gemeinschaftsaufgabe nicht mög­lich war. 1995 folgten dann der Konsolidierungsfonds und das Bürgschaftsgeschäft sowie schließ­lich auch die Wohnungsbauförderung. Das Hauptaugenmerk der Thüringer Aufbaubank in den Jahren des Wiederaufbaus der Thüringer Wirtschaft lag vor allem auf den klein- und mittelständischen Unternehmen, insbesondere in der Industrie. Damals gingen 99 Prozent der Bewilligungsbescheide an KMU. Dies war vor allem eine Folge der Umstrukturierungsphase der Thüringer Wirtschaft nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Planwirtschaft. Je nach Branche hielt dieser Prozess bis Ende der 1990er Jahre an. Anfangs gab es viele Insolvenzen – und damit auch erheb­ liche Verluste an Arbeitsplätzen. Die TAB wurde mitten in diesen Prozess hinein gegründet, um die Folgen der Umstrukturierung einerseits sozialverträg­lich abzufedern, aber auch den Neuaufbau vor allem der mittelständischen Wirtschaft aktiv zu unterstützen. Vorrangiges Ziel der TAB musste es dabei sein, zur Schaffung wettbewerbsfähiger und stabiler Arbeitsplätze beizutragen. Dem anfäng­lich drohenden Zusammenbruch der Wirtschaft im Freistaat – mit Ausnahme der Baubranche – begegnete die Aufbaubank auf zwei Feldern durch Förderung von Unternehmen der gewerb­lichen Wirtschaft einerseits und durch Unterstützung von Konsolidierungs- und Sanierungsbemühungen von Unternehmen mit Liquiditätsproblemen andererseits. Dabei wurden kleinen und mittleren Unternehmen höhere Fördersätzen gewährt. Auf diese Weise wollte man landesweit eine breite Basis an wettbewerbsfähigen Unternehmen schaffen und eine Erhöhung der Betriebsgrößen erreichen. Der damalige Verwaltungsrat betonte diese Aufgabe bei der Aufbaubank mit einer Anweisung in seiner Sitzung am 20. Mai 1994. Die TAB sollte sich bemühen, kein Thüringer Unternehmen, das eine realistische Zukunftschance hatte, untergehen zu lassen. In Ausnahmefällen sollten hierfür Direktkredite gewährt werden. Zur Absicherung der damit verbundenen Risiken wurde ein Haftungsfonds eingerichtet. Das Förderinstrumentarium beruhte auf vier Säulen: –– der Gewährung von Zuschüssen, –– der Vergabe von zinsgünstigen Darlehen (Landesinvestitionsprogramm), –– der Übernahme von Bürgschaften, –– der Übernahme von Beteiligungen. 210

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Die TAB trat dabei nicht in den Wettbewerb zu Geschäftsbanken, sondern ergänzte bzw. unterstützte deren Finanzierungen vielmehr, um Projekte und Investitionen überhaupt zu ermög­lichen, indem die Aufbaubank das Risiko für die Banken und Investoren reduzierte. Vielfach wurden dadurch Projekte erst realisierbar. Im weiteren Verlauf gewann auch die Technologie- und Energieförderung durch zusätz­liche Landesprogramme an Bedeutung. Konsequenterweise wurde 1995 die Zuschuss-Abteilung der Thüringer Landeswirtschaftsförder­ gesellschaft in die TAB eingegliedert, die bis dato vorrangig Industrie­ unternehmen gefördert hatte. Beim Einsatz der Fördermittel erfolgte keine regionale Differenzierung, um die Investitionsfähigkeit landesweit auf breiter Basis zu stärken. Die Strategie, unvoreingenommen allen Impulsen und unternehmerischen Initiativen gleiche Chancen einzuräumen, erwies sich als richtig. Die Thüringer Wirtschaft hatte schon in der ersten Hälfte der 1990er Jahre eine eigene Struktur, die weniger aus eigenkapitalstarken und großen Betrieben bestand, sondern aus vielen kleinen und mittleren Unternehmen. Zahlreiche kleine Betriebe waren damals oft nur wenig bekannt, sind aber heute zum Teil große mittelständische Unternehmen und wichtige Arbeitgeber in den Regionen. Bestätigt wurde damit die Förderstrategie des Freistaats, KMU besonders intensiv zu fördern. So hat beispielsweise Südthüringen einen Industriebesatz, der über dem bundesdeutschen Durchschnitt liegt, dank der vielen kleinen und mittleren Unternehmen, die in der Summe mehr Industriearbeitsplätze bereitstellen, als manche Großunternehmen in den Ballungszentren der alten Bundesländer. Träger dieser Entwicklung sind vor allem KFZ-Zulieferer, Metall-, Maschinen- und Werkzeugbau, Kunststoffverarbeitung, Lebensmittelindustrie oder Optik – alles Branchen, in denen man mit innovativen Produkten Wettbewerbsstärken entwickeln konnte. Die Förderung der TAB erstreckte sich auch auf solche Bereiche, die im Vergleich zur Industrie nur einen geringen Beitrag zur Wirtschaftskraft geleistet haben, wie z. B. der Tourismus. Zum Wiederaufbau des Freistaats gehörte jedoch nicht nur die direkte Wirtschaftsförderung. In der Thüringer Aufbaubank sollten zudem Aufgaben gebündelt werden, die auch dem Wachstum und der Modernisierung des Landes allgemein dienen, wie beispielsweise Umweltschutz oder Infrastruktur. Die Zuständigkeiten dafür verteilten sich auf mehrere Ministerien, die zunehmend der TAB weitere Verantwortung übertrugen. Vor diesem Hintergrund widmete sich die Aufbaubank ab 1995 auch der Wohnungsbauförderung. Bis 2002 übernahm sie dann komplett die Thüringer Aufbaubank  |

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Wohnungsbauförderprogramme der Bayerischen Landesbodenkreditanstalt, die die damit verbundenen Aufgaben bis dato kommissarisch im Auftrag des Freistaats erledigte. Bis heute wurden mit Unterstützung der TAB 33.500 Mietwohnungen saniert. Gleichzeitig wurden 8.450 Eigenheime gebaut, gekauft oder ausgebaut. Thüringer Familien wurden bei ihren Bauprojekten mit insgesamt 417 Mio. Euro Förderdarlehen unterstützt. Der in der DDR häufige quantitative und qualitative Wohnungsmangel gehörte deshalb bereits in den späten 1990er Jahren in Thüringen der Geschichte an. Nun ging es an die Modernisierung. Für die TAB bedeutete die neue Aufgabe auch ganz neue Zielgruppen im kommunalen und privaten Wohnungs- sowie Städtebau. Die Thüringer Aufbaubank bediente sich zur Umsetzung des Wohnungsbauförderprogramms wie bei den anderen Wirtschaftsförderprogrammen mehrerer strate­gischer Instrumente. So sollte zeitgemäßer Wohnraum entweder geschaffen oder erhalten werden. Zum einen wurde hierfür die Instandsetzung und – später auch energetische – Modernisierung von Mietwohnungen gefördert. Mit zinsverbilligten Darlehen stimulierte sie zudem den Um- oder Ausbau sowie den Kauf von Eigenheimen und Eigentumswohnungen. Auch hier kamen gegen Ende der 1990er Jahre zunehmend energetische Modernisierungen hinzu. In der Technologieförderung konnten viele Betriebe auf Know-how und Expertise der Mitarbeiter aufbauen. Zahlreiche Unternehmen hatten das Potenzial, sich in High-Tech-Geschäftsfeldern zu etablieren. Deshalb hat die TAB auch die Einführung neuer Technologien in Unternehmen gefördert. Ohne diese Investitionsförderung hätten viele Betriebe im Wettbewerb nicht überlebt oder nicht wachsen können. Der Erfolg blieb nicht aus. Das Jenaer Unternehmen Clondiag beispielsweise – heute umbenannt in Alere Technologies – startete mit Hilfe der Aufbaubank und brachte es bis heute von Null auf über 300 Mitarbeiter. Die Unterstützung der Eigenkapitalstruktur von High-Tech-Finanzierungen ist damals wie heute eines der wichtigen Handlungsfelder der Aufbaubank. Eher unbemerkt von großer öffent­licher Wahrnehmung entwickelte sich die Landwirtschaft Thüringens, die ebenso eine Umstrukturierung nach dem Zusammenbruch der DDR durchmachen musste. Gerade in Thüringen besitzt dieser Wirtschaftszweig eine große Bedeutung. Der Freistaat hat einen hohen Anteil an land- und forstwirtschaft­lichen Flächen sowie an Betrieben der Nahrungsmittelindustrie. Zur Modernisierung und Rationalisierung der Agrarwirtschaft förderte die TAB ab 2008 auch Investitionen in Gebäude, Anlagen, landwirtschaft­liche Geräte und Fuhrparks. 212

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Schließ­lich wurden seitens der TAB Städte, Gemeinden und kommunale Unternehmen bei ihren Modernisierungs- und Sanierungsvorhaben zur Verbesserung ihrer Standortqualität gefördert und beraten. Zudem trägt die TAB mit ihren Finanzierungshilfen auch zum Ausbau eines Hochgeschwindigkeit-Breitband-Netzes in Thüringen bei. Im Zuge des wirtschaft­lichen Neuaufbaus des Freistaats musste die TAB nicht nur erheb­liche Verantwortung, sondern auch große Risiken bei der Vergabe von Direktkrediten und der Übernahme von Bürgschaften eingehen. Dabei geriet sie selbst in eine existenzbedrohende Situation. Im Jahr 2001 beschloss der Verwaltungsrat unter Vorsitz des damaligen Wirtschaftsministers für die Bank ein – auch vom Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen gefordertes – durchgreifendes Sanierungsprogramm in finanzieller und organisatorischer Hinsicht. Gleichzeitig verhandelte man mit der Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba) über eine offene Beteiligung. Die Helaba übernahm ab 2002 die Hälfte der Anteile an der Thüringer Aufbaubank vom Freistaat Thüringen – damit auch an den Sitzen im Verwaltungsrat. Die Unternehmensberatung Roland Berger hatte eine umfangreiche Analyse angefertigt. Sie zeigte, dass die Struktur der TAB verändert werden musste. Es gab Regionalbüros in Suhl, Artern und Gera, die vor Ort allein für die Auszahlung von Millionenbeträgen verantwort­lich waren. Daher wurde die Bearbeitung von Anträgen wieder zurück in die Zentrale nach Erfurt geholt und dort gebündelt. Ferner wurden die bankmäßigen Ablaufprozesse standardisiert und zentralisiert. Dagegen wurde die Beratung und Information vor Ort als wichtige Aufgabe beibehalten. Der Verwaltungsrat der Thüringer Aufbaubank manifestierte in seiner Sitzung am 26. Juni 2002 die neue Ausrichtung der Bank in einem Strate­ giekonzept. Die Aufbaubank sollte angesichts hoher Betriebskosten mit einer neuen Aufgaben-, Organisations- und Personalstruktur künftig effizienter und flexibler arbeiten. Die Förderberatung aus einer Hand wurde immer wichtiger. Die Förderprogramme der EU, aus den Strukturfonds und der GRW waren zu komplex für viele Unternehmen. Die Antragstellung erforderte Know-how, das zu den Stärken der TAB gehörte. Diese sollten vor Ort kontinuier­lich ausgebaut werden. In diesem Zusammenhang galt es auch, die Institutionen der Wirtschaftsförderung in Thüringen neu zu ordnen. Es gab zum einen die Thüringer Industriebeteiligungsgesellschaft (TIB). Der TAB-Vorstand war hier als Stiftungsvorstand eingesetzt. Zum anderen agierte seit 1998 die Venture Capital Thüringen (VCT). Für die VCT stellte die TAB eine Tochtergesellschaft als Komplementär bei der Unternehmensgründung zur Verfügung. Thüringer Aufbaubank  |

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Und als dritter Akteur in der Eigenkapitalförderung agierte der Thüringer Innovationsfonds. Die Aufbaubank hielt ohnehin die Mehrheit an der VCT. Diese wurde 2002 in die bm-t (beteiligungsmanagement thüringen) GmbH als hundertprozentige Tochter der TAB umgewandelt. Die anderen beiden Akteure TIB und Thüringer Innovationsfonds wurden ebenfalls unter das Dach der bm-t geholt. Der Großteil des Personals wurde übernommen. Arbeitsabläufe und Aufgaben wurden zentralisiert und gebündelt, die Förderstruktur und ihre Ansprechpartner kundenfreund­licher gestaltet. Dazu gehörte auch eine Umstrukturierung der Produktpolitik. Angesichts der Tatsache, dass die Mittel aus Brüssel vom EU-Strukturfonds und von Berlin aus dem Solidarpakt II jähr­lich schrumpfen werden und weiter nach Osten wandern, musste die Thüringer Aufbaubank erneut reformiert werden, um auch in Zukunft als Bank die Wirtschaftsentwicklung in Thüringen unterstützen zu können. Weniger Fördervolumen bedeutete für die Arbeit der Aufbaubank weitere Geschäftsfelder zu entwickeln. Viele Zuschüsse an Unternehmen und andere Antragsteller werden nur bei einer Sicherstellung der notwendigen Ko-­Finanzierung gewährt. Daher ist auch die Förderung durch attraktive Kreditprodukte ein wichtiger Zubringer für Zuschüsse von EU, Bund und Land. Die Thüringer Aufbaubank führte dafür „Thüringen-Invest“ ein. Sie springt bei der Komplementärfinanzierung ein, wenn bei Zuschüssen eine Durch- oder Restfinanzierung fehlt. Damit wird für die Hausbanken das Risiko verringert und der Anreiz einer Mitfinanzierung erhöht. Zudem wurde das Beteiligungsprodukt „Thüringen-Kapital“ eingeführt. Zielgruppe waren und sind KMU und Freiberufler, auch mit kleineren Antragssummen. Die eingeleiteten Konzentrationsprozesse sowie das generelle Ziel, ­Ressorts stärker zu bündeln, führten auch dazu, dass die Landesregierung die Gesellschaft für Arbeitsmarkt und Wirtschaft (GfAW ) an die TAB angegliedert hat. Die TAB stand bei der GfAW zunächst vor einer ähn­ lichen Aufgabe, wie einst in ihrem eigenen Bereich. Mit der inneren Konsolidierung hatte man bereits Erfahrung. So zeigte sich in der Analyse: Es fehlte an Qualitätsmanagement. Viele Prüfprozesse von Anträgen gingen nur schleppend oder gar nicht vonstatten. So übernahm die TAB per Vertrag auch Dienstleistungen für die Tochtergesellschaft GfAW. In der Finanzierung der Wohnraummodernisierung rückten mit neuen Produkten neben den Kommunen nun auch private Bauherren immer mehr in den Vordergrund. Mit den Familienbaudarlehen stützte die Aufbaubank Sanierungs- und Modernisierungsprojekte im Zusammenspiel mit der 214

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jeweiligen Hausbank, indem sie auch hier mit einem Nachrang-Darlehen das Risiko der Hausbank dämpft und damit den Anreiz für Finanzierungen in diesem Bereich erhöht. Seit 2013 ist die Aufbaubank auch im Konsortialgeschäft tätig. Mit diesem Geschäftsfeld wird die Bank unabhängiger von den öffent­lichen Förderprogrammen. Man wollte auf diesem Weg als Förderbank die Leistungsfähigkeit für das Wachstum der Thüringer Wirtschaft stabilisieren. Laut Geschäftsbericht für das Jahr 2012 – 20 Jahre nach ihrer Gründung – zahlte die Thüringer Aufbaubank in zwölf Monaten allein 400 Mio. Euro Wirtschaftsförderung, 28 Mio. Euro Wohnungsbauförderung, 36 Mio. Euro für die Thüringer Landwirtschaft sowie 441 Mio. Euro für Infrastruktur­ finanzierung, kommunale Finanzierungen und Globaldarlehen. Insgesamt hat die Arbeit der Aufbaubank erheb­lich zum Neuaufbau der Thüringer Wirtschaft beigetragen. Die Zusammenarbeit mit der LEG Thüringen und dem Wirtschaftsministerium funktioniert im Interesse der Investoren und des Freistaats heute gut – nicht zuletzt durch die Umstrukturierung, mit der die Thüringer Aufbaubank mehr Handlungs- und Gestaltungsfreiheit als Förderbank erreichte.

Stiftung für Technologie, Innovation und Forschung Die Stiftung für Technologie, Innovation und Forschung (STIFT) wurde 1993 als Stiftung privaten Rechts in Erfurt gegründet. Satzungsmäßiger Zweck der STIFT ist es, die Förderung von Wissenschaft, Forschung und Technologie zu betreiben. Der Stiftungszweck wird verwirk­licht insbesondere durch die Förderung von Wissenschaft, Forschung und Technologie in Hochschulen, außeruniversitären Forschungseinrichtungen, Forschungsverbünden, in wirtschaftsnahen Forschungsinstituten und in anderen Einrichtungen im Freistaat Thüringen, die Förderung des Transfers neuer wissenschaft­licher Erkenntnisse und innovativer Technologien in Thüringen, die Förderung des Transfers wissenschaft­licher Erkenntnisse zugunsten der Allgemeinheit, um die Herausbildung flexibler und wettbewerbsfähiger Strukturen im technolo­gischen Bereich Thüringens zu unterstützen sowie die Förderung des Gründungsverhaltens und des Transfers wissenschaft­licher Erkenntnisse in technologieorientierte Existenzgründungen. Dieser vom Stifter – dem Freistaat Thüringen – vorgegebene Stiftungszweck zielt auf eine Unterstützung der Entwicklung und Erschließung der wissensbasierten regionalen, endogenen Potenziale Thüringens. Dabei wird Stiftung für Technologie, Innovation und Forschung  |

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die STIF T zum einen selbst aktiv, in dem sie eigene Projekte durchführt, die auch durch Mittel Dritter (wie beispielsweise EU, Land) anteilig finanziert werden können. Im Rahmen der inhalt­lichen Schwerpunktsetzungen werden zum anderen auch Projekte Dritter finanziell gefördert. Die oben genannten Aufgaben werden im Wesent­lichen aus Erträgen des Grundstockvermögens getragen. Darüber hinaus werden die Projekte über eine Projektförderung bzw. direkt vom Freistaat Thüringen und über die Europäische Union, Partner und Sponsoren finanziert. Organe der Stiftung für Technologie, Innovation und Forschung Thüringen sind das Kuratorium und der Vorstand. Dem Kuratorium der Stiftung gehören Vertreter des Landes, der Wirtschaft, der Hochschulen und der außeruniversitären Forschungseinrichtungen Thüringens an. Das Kuratorium kontrolliert und berät den Vorstand. Darüber hinaus obliegt ihm insbesondere die Beschlussfassung in grundsätz­lichen Fragen, wie beispielsweise der Erlass von Richtlinien für die Vergabe von Stiftungsmitteln. Der Vorstand vertritt die Stiftung und entscheidet insbesondere über die Vergabe von Stiftungsmitteln. Die Umsetzung der Beschlüsse des Vorstandes sowie das operative Geschäft obliegen der Geschäftsführung. Die STIF T fördert die Basis von Wissen und dessen Umsetzung in Innovationen auf diversen Stufen. Dabei orientieren sich die Aktivitäten der STIFT an folgenden inhalt­lichen Schwerpunktsetzungen: –– Nachwuchsforschung, –– Hochschulen, –– Innovativ Gründen, –– Innovationspreis Thüringen, –– Internationale Anbindung, –– Innovations-Infrastruktur. Die STIFT engagiert sich im Rahmen ihres Stiftungszweckes in der Thüringer Nachwuchsförderung. Ziel ist es u. a., den potenziellen Thüringer Fachkräftenachwuchs für Wissenschaft und Forschung zu begeistern und ihm darüber hinaus den Standort Thüringen als Zukunftsperspektive nahezubringen. Dabei setzt die STIFT gemeinsam mit zahlreichen Partnern an vielen Stufen an. Mit der Initiative „Thüringen – Land der kleinen Forscher“ sollen in allen Kindertagesstätten im Freistaat frühkind­liche Bildungsangebote in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik (MINT) entstehen. Die drei Stiftungspartner, STIFT, Stiftung Bildung für Thüringen und Stiftung Haus der kleinen Forscher, wollen damit einen Beitrag zur Nachwuchsförderung leisten. 216

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Bereits seit 2009 arbeiten das Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur, die Stiftung Bildung für Thüringen und die Stiftung Haus der kleinen Forscher im Rahmen des Thüringer Bildungsplans gemeinsam an der Umsetzung der Angebote von Deutschlands größter frühkind­licher Bildungsinitiative, dem „Haus der kleinen Forscher“. Diese Einrichtung qualifiziert Erzieher, Grundschulpädagogen sowie Hortner in praxisnahen Weiterbildungen kontinuier­lich in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Die STIFT unterstützt „Jugend forscht“ – Deutschlands größten Wettbewerb im Bereich Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik in vielfältiger Weise. Seit 2005 ist die STIFT Patenunternehmen für den Regionalwettbewerb Mittelthüringen „Jugend forscht“ und übernimmt in diesem Zusammenhang die Organisation und Finanzierung des Wettbewerbes auf regionaler Ebene. Finanziell werden weitere Thüringer Regionalwettbewerbe durch die STIF T unterstützt. Die Koordinierungsstelle „Jugend forscht“ – angesiedelt bei der STIFT – wird als erste Anlaufstelle für Jungforscher und Partner angenommen. Die Regionalbereiche, der Landeswettbewerb sowie die Unterstützungsangebote präsentieren sich auf der gemeinsamen Internetseite www.jugendforschtthueringen.de. Für die Thüringer Regional- sowie Landessieger organisiert die STIFT Coachings zur Vorbereitung auf die Teilnahme am Landes- bzw. Bundeswettbewerb. Thüringen verfügt über ein breites, mit viel Engagement der jeweiligen Akteure etabliertes Angebot für Schülerinnen und Schüler, die sich auch außerschu­lisch mit Wissenschaft und Forschung befassen wollen. Deut­ lich zeigt sich dies auch am Status, den der Wettbewerb „Jugend forscht“ in Thüringen erlangt hat. Eine Vielzahl der dort aktiven Jungforscher und deren Betreuungslehrer nutzen solche Angebote, die von Schülerlaboren an den Hochschulen oder spezialisierten Vereinen bis hin zur Begleitung von Jungforscherprojekten an Hochschulen und in Forschungseinrichtungen reichen. Gerade die außerschu­lische individualisierte Betreuung und Bereitstellung von Forschungsinfrastruktur über Ferienangebote bis hin zur Einzelbetreuung entsprechen dem, wofür deutschlandweit die Bezeichnung „Schülerforschungszentrum“ steht. Vor diesem Hintergrund bringen die Technische Universität Ilmenau, die Friedrich-Schiller-Universität Jena, das Universitätsklinikum Jena und die Ernst-Abbe-Fachhochschule Jena mit weiteren regionalen Akteuren wie etwa dem Beutenberg Campus und witelo sowie die Fachhochschule Nordhausen gemeinsam mit der STIF T die SchülerForschung Thüringen auf den Weg. Die STIFT übernimmt dabei die übergreifende Öffent­lichkeitsarbeit, die Organisation des Austausches Stiftung für Technologie, Innovation und Forschung  |

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zwischen den beteiligten Partnern und die Einbindung in die Initiative Jugend forscht Thüringen. Vor dem Hintergrund des demographischen Wandels in Deutschland und einer bereits heute bestehenden Lücke von bundesweit 49.800 Ingenieuren 173 sind Politik, Wirtschaft und Schule verstärkt gefordert, mehr junge Menschen für technische und naturwissenschaft­liche Berufe zu gewinnen. Hier gilt es, vom Kindergarten über die Schule bis hin zur Hochschule das Interesse und die Begeisterung für die MINT­Fächer zu wecken bzw. zu bewahren. Zu diesem Zweck ist insbesondere eine nachhaltige Verbesserung der Qualität und Quantität des MINT-Unterrichts an Schulen ein Weg. Mit der jähr­lichen Ausschreibung „MINT-freund­liche Schule Thüringen“ sind alle weiterführenden Schulen in Thüringen eingeladen, in einen Wettbewerb zu treten und ihrem Engagement für Naturwissenschaften und Technik mehr Strahlkraft zu verleihen. Die Auslobung des Wettbewerbes erfolgte durch die STIFT und die Stiftung Bildung für Thüringen, unterstützt durch das Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien und in Zusammenarbeit mit dem MINT Zukunft Schaffen e. V., Berlin. Schulen, die die Kriterien erfüllen und ausgezeichnet werden, erhalten für drei Jahre das Siegel „MINT freund­liche Schule Thüringen“. Des Weiteren werden besonders hervorzuhebende Schulen mit einem Preisgeld ausgezeichnet. Die STIF T unterstützt die Thüringer Hochschulen in ihrer Rolle als regionale Innovationsmotoren und Bildungsträger. Hervorzuheben sind dabei die Stiftungsprofessuren an den Hochschulen in Jena und Ilmenau, die gemeinsam mit der Wirtschaft finanziert werden. Mit der Ausschreibung des „STIFT-Preises für hervorragende anwendungsorientierte Abschlussarbeiten an Thüringer Hochschulen“ verfolgt die STIFT das Ziel, Studierende und Wissenschaftlerinnen aus den natur- und ingenieurwissenschaft­lichen Bereichen für eine Anwendungs- und Verwertungsorientierung der inhalt­lichen Ausrichtung ihrer Arbeiten sowie deren Verbindung zu den Thüringer Technologiepotenzialen zu sensibilisieren. Der Preis ist mit insgesamt 35.000 Euro dotiert und wird entsprechend den Studierendenzahlen auf die Hochschulen aufgeteilt. Innerhalb des daraus folgenden Betrages können die Hochschulen Vorschläge für die Prämierung hervorragender Promotions- und/oder Abschlussarbeiten unterbreiten. Mit dem Thüringer Netzwerk für Innovative Gründungen (ThürInG) wurde im März 2011 ein neues Netzwerk als zentrale Anlaufstelle für 173 Vgl. VDI Ingenieurmonitor Januar 2011.

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innovative Gründungen außerhalb der Hochschulen geschaffen. ThürInG bietet innovativen Start-ups ein breites Unterstützungsangebot, das von Qualifizierungsmaßnahmen über die professionelle Unterstützung bei der Er- und Überarbeitung von Businessplänen und der Beschleunigung des Unternehmensaufbaus bis hin zur Verbesserung des Zugangs zu Kapital reicht. ThürInG konzipiert und organisiert breitgefächerte Qualifizierungs-, Weiterbildungs- und Netzwerkveranstaltungen, die sich den Hauptproblem­ feldern von Gründern wie Strategieentwicklung, Businessplanerstellung, Professionalisierung des Unternehmensaufbaus und des Markteintritts bis hin zur Kapitalbedarfsplanung und der – auch komplexen – Unternehmensfinanzierung widmen. Das Enterprise Europe Network (EEN) Thüringen wird von der STIFT gemeinsam mit der IHK Erfurt getragen und von der EU sowie dem Thüringer Wirtschaftsministerium kofinanziert. Das EEN verfügt über eine umfangreiche europaweite Datenbank mit ausführ­lichen und aktuellen Kooperationsangeboten und -gesuchen. Zur Erschließung von Thüringer Innovationspotenzialen konzipiert, errichtet und begleitet die STIFT Technologiezentren. Diese Zentren unterstützen insbesondere kleine und mittelständische, innovative Unternehmen bei Forschungs- und Entwicklungsvorhaben und einer schnellen Markteinführung von innovativen Produkten durch die Bereitstellung hochwertiger technischer Infrastruktur und Entwicklungskapazitäten. Die Zentren wurden unter Inanspruchnahme von Mitteln der EU, des Bundes sowie des Freistaates Thüringen finanziert. Verschiedene Infrastrukturprojekte und Technologiezentren werden durch die STIFT begleitet. Das Anwendungszentrum Mikrosystemtechnik (AZM ) Erfurt unterstützt Neu- oder Ausgründungen im Hochtechnologiebereich der Mikrosystemtechnik mit einem hervorragenden Angebot an technolo­gischen Flächen und Ausrüstungen. Mit dem AZM Erfurt wird ein Verbund aus gemeinnütziger Forschung, Gründerfirmen und etablierten Unternehmen der Branche erreicht. Durch die Zusammenführung von industrienaher Forschung und Entwicklung sowie dienstleistenden und produzierenden klein- und mittelständischen Unternehmen im Centrum für Intelligentes Bauen CIB.Weimar bestehen hervorragende Voraussetzungen zum Aufbau eines projekt-und praxisorientierten Netzwerks. Die Fokussierung auf neue Technologien und Dienstleistungen für die Baubranche unterstützt die Akteure, die zukünftigen Herausforderungen zu bestehen und gestärkt aus dem Wettbewerb hervorzugehen. Stiftung für Technologie, Innovation und Forschung  |

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Der Studiopark KinderMedienZentrum ist einzigartig in Deutschland. Der hochmoderne Studio- und Bürokomplex positioniert sich als das Kompe­ tenzzentrum für kindgerechte Medienangebote. Es bietet zielgruppengenau optimale Spezialisierungsvorteile und generiert Synergieeffekte. Im Studio­ park KinderMedienZentrum wird Produzenten aus ganz Deutschland Kernkompetenz im Bereich Kindermedien aus einer Hand angeboten. Die STIF T errichtete am Standort Weimar die bauhaus FACTORY , ein (Gewerbe-)Zentrum für die Kreativwirtschaft Thüringen. Das Zentrum soll ein Anziehungs- und Anlaufpunkt werden für Existenzgründer, Universitäts- und Hochschulabsolventen, aber auch für bereits am Markt präsente kleine Firmen. Es hält eine auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Infrastruktur vor, führt Interessierte zusammen und ermög­licht damit die Erschließung vielfältiger Synergieeffekte. Die Betreibergesellschaft für Applikations- und Technologiezentren Thüringen mbH (BATT mbH) hat die Aufgabe, die Applikations- und Technologiezentren der STIFT zu betreiben. Die STIFT hält 49 Prozent, die Landesentwicklungsgesellschaft Thüringen mbH (LEG ) 51 Prozent der Gesellschafteranteile. Die Förderung der STIFT zielt auf eine Stärkung und Vernetzung der Technologieaktivitäten in Thüringen. Gefördert werden können grundsätz­lich Unternehmen, Hochschulen, Forschungseinrichtungen, Netzwerke, Kammern und Verbände sowie sonstige Bildungseinrichtungen. Unterstützt wird primär anteilig, d. h. der Antragsteller hat einen Eigenanteil zu tragen, das Vorhandensein einer Industriebeteiligung bzw. eine Finanzierung über alternative Fördermög­lichkeiten nachzuweisen. Die Mittel werden für Projekte zur Verfügung gestellt, die nicht in öffent­lichen Förderprogrammen gefördert werden. Die Förderung soll die existierenden Förderprogramme ergänzen. Die Förderung durch die STIF T konzentriert sich insbesondere auf Projekte und Veranstaltungen, die in besonderer Weise den Transfer zwischen Wissenschaft und Wirtschaft unterstützen, die Verbesserung der infrastrukturellen und kompetenzorientierten Ausstattung der Hochschulen in technologie- bzw. anwendungsorientierten Bereichen, die Förderung der Technologieakzeptanz bei Kindern und Jugend­lichen sowie die Förderung technologieorientierter Existenzgründungen. Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Landesgesellschaften werden aus Fördermitteln des Freistaates finanziert, die auf der Basis konkreter und abgestimmter Projektanträge gewährt werden. Insgesamt hat die Landesregierung im Bereich der Infrastruktur zahlreiche Großprojekte, Standortprogramme 220

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(Sanierung, Erweiterung und Neubau) sowie Investitionsvorhaben verwirk­ licht. Hinzu kommen mehr als 8.200 Vorhaben der gewerb­lichen Wirtschaft. Allein im Ramen der Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur (GRW ) wurden seit 1990 in Thüringen rund 8,1 Mrd. Euro aus Zuschüssen für gewerb­liche Vorhaben mit einem Investitionsvolumen von über 39 Mrd. Euro bereitgestellt. Dadurch konnte zur Schaffung und Sicherung von über 650.000 Arbeitsplätzen beigetragen werden. Im Infrastrukturbereich sind darüber hinaus aus der GRW weitere 2,7 Mrd. Euro eingesetzt worden, mit denen Investitionen von rund 4,5 Mrd. ermög­licht wurden.174 Aus Mitteln der GRW und des EFRE sind rund 1.400 Euro pro Einwohner investiert worden. Das waren 20 Prozent mehr als im Durchschnitt der neuen Länder. Allein im Zeitraum von 1995 bis 2000 wurden 50.000 neue Arbeitsplätze geschaffen und 200.000 gesichert. Diese strukturpolitischen Fördermaßnahmen haben ganz wesent­lich dazu beigetragen, dass in Thüringen seit der Wiedervereinigung und dem dabei zu Tage tretenden wirtschaft­lichen Desaster inzwischen wieder eine moderne und leistungsfähige industrielle Basis aufgebaut werden konnte. Inzwischen liegt die Industriedichte im Freistaat, gemessen an der Zahl der Industriebeschäftigten je 1.000 Einwohner, mit einem Wert 77 über dem Bundesdurchschnitt von 72. Das bedeutet immerhin Rang 5 unter den Bundesländern. Frei­lich darf dabei nicht übersehen werden, dass innerhalb des Freistaats teilweise noch deut­liche Unterschiede in der industriell-gewerb­lichen Entwicklung bestehen. Insbesondere in nörd­lichen und öst­lichen Teilgebieten Thüringens sind hier noch Defizite erkennbar, während vor allem Regionen im Westen und Süden des Landes eine beacht­liche Entwicklungsdynamik aufweisen.175

174 Vgl. Claus Peter Müller: Land der sechsspurigen Autobahnen, in: FAZ, 29. August 2014. 175 Vgl. Thüringer Landesamt für Statistik: Pressemitteilung 213/2014 vom 6. August 2014 (http://www.tls.thueringen.de/presse/2014/pr_213_14.pdf, Abruf: 2. Oktober 2014) sowie Ulrike Lenk: Die Entwicklung der Betriebsund Beschäftigtendichte im Bergbau und Verarbeitenden Gewerbe Thüringens von 2008 bis 2012 im deutschlandweiten Vergleich, in: Aufsätze aus den Monatsheften – Januar 2014, Thüringer Landesamt für Statistik, S. 6 f. (http://www.statistik.thueringen.de/analysen/Aufsatz-01b-2014.pdf, Abruf: 2. Oktober 2014). Siehe auch Anlage 6 und 7 im Anhang. Stiftung für Technologie, Innovation und Forschung  |

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Die THA hat den Transformationsprozess eingeleitet, die neuen Länder vor einer De-Industrialisierung und die Bevölkerung vor einer schweren Versorgungskrise bewahrt und den Aufbau einer wettbewerbsfähigen Industrie, eines effizienten Handels und einer bäuer­lichen Landwirtschaft weit voran gebracht. Die BvS sowie die Tochtergesellschaften der Treuhand­ anstalt haben ihn fortgesetzt und der Freistaat Thüringen hat mit seinem strukturpolitischen Instrumentarium die Transformation der sozialistischen Planwirtschaft und den wirtschaft­lichen Wiederaufbau des Landes begleitet und abgeschlossen.

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Vom Aufbau Ost zum Ausbau Ost

Die Abschaffung der sozialistischen Planwirtschaft und die Einführung der Sozialen Marktwirtschaft waren spätestens zehn Jahre nach der Wiedervereinigung weitgehend bewältigt. Dieser Prozess lief in verschiedenen Phasen ab. Nach Einführung der Treuhand­anstalt gab es zunächst schnelle Privatisierungserfolge, z. B im Handwerk, im Handel- und im Dienstleistungsgewerbe, im Baugewerbe und in gewerb­lich-industriellen Betrieben mit stabilen Absatzmärkten. Schnell hat sich auch die Reprivatisierung von volkseigenen Betrieben entwickelt, die 1972 verstaat­licht worden waren. 1993 war aber aufgrund der bis dahin vorliegenden Erkenntnisse und Erfahrungen bereits abzusehen, dass der Transformationsprozess im industriellen Sektor nicht innerhalb von vier Jahren abgeschlossen werden konnte. Die Kombinate waren mit der neuen Wirtschaftsordnung nicht vereinbar und mussten deshalb aufgelöst werden. Auch die Stammbetriebe der Kombinate waren in den meisten Fällen nicht geeignet, in Gänze privatisiert zu werden. Die Privatisierung fand deshalb vor allem bei den kombinatseigenen Betrieben statt. Sie wurden entweder ganz an neue Investoren veräußert oder es wurden bestimmte Betriebsteile abgespalten, die dann in andere Unternehmen eingegliedert oder, häufig auch im Rahmen von MBO/ MBI-Lösungen, durch zusätz­liche Investitionen zu eigenen Unternehmen ausgebaut wurden. Der bau­liche und technische Zustand der Betriebe und Betriebsteile war weitgehend rückständig und marode, so dass an einen raschen Marktzugang und die Schaffung neuer Arbeitsplätze nicht zu denken war. Dagegen verliefen der Zusammenbruch von VEB und der Verlust an Arbeitsplätzen sehr schnell. Im industriellen Bereich schrumpfte die Zahl der Arbeitsplätze in Thüringen bis 1993 von über 500.000 auf 150.000. Dies wurde von vielen Kritikern als Versagen der Treuhand­anstalt gesehen. Dabei wurden wichtige Privatisierungserfolge nicht genannt: die Zahl der vertrag­lich festgelegten Investitionen ebenso wie die vertrag­lich zugesagten Arbeitsplätze sowie die Tatsache, dass selbst bei der Abwicklung von Betrieben durchschnitt­lich 30 Prozent der Arbeitsplätze durch Integrierte Standortentwicklung und neue unternehmerische Initiativen erhalten werden konnten. Nicht berücksichtigt wurden auch die Konsolidierung- und Privatisierungserfolge der BvS und der Beitrag der Wirtschaftsförderung Vom Aufbau Ost zum Ausbau Ost  |

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der neuen Länder zur Schaffung wettbewerbsfähiger Unternehmen und stabiler Arbeitsplätze. Die grundsätz­liche Zustimmung zum Privatisierungskurs der THA schließt aber eine Kritik an Einzelentscheidungen nicht aus. Fehlgriffe und Rückschläge hat es insbesondere bei der Privatisierung der Stammbetriebe von Kombinaten oder im Bereich der sogenannten Zukunftsindustrien gegeben. Kritikwürdig war auch die Gewichtung der strukturbestimmenden Unternehmen in der DDR . So wurden etwa die Werftindustrie, die Chemie­ industrie im Chemiedreieck, die Stahlindustrie und der Braunkohlebergbau mit hohem Mitteleinsatz umstrukturiert. Im Gegensatz dazu wurde in der Kaliindustrie in Thüringen durch Stilllegungen eine Kapazitätsanpassung an den Weltmarkt betrieben, die mit erheb­lichen Arbeitsplatzverlusten verbunden war. Summa summarum ist jedoch festzustellen, dass die THA, die BvS und die Wirtschaftsförderung der Freistaates Thüringen einen wirtschaft­lichen Neuaufbau geschafft haben, der Thüringen mit an die Spitze der neuen Länder getragen hat.

Aufschwung und Gefahren Inzwischen gibt es auch in den neuen Ländern moderne industrielle Arbeitsplätze, die in der Produktivität mit dem Westen mithalten können oder gar darüber liegen.176 Deshalb steigt die Nachfrage nach Produkten aus Thüringen und bewirkt eine höhere Auslastung der Produktionskapazitäten sowie einen weiteren Anstieg der Investitionstätigkeit. Höhere Investitionen induzieren eine zusätz­liche Nachfrage. Es kommt ein exponentieller Wachstums­ prozess in Gang, der als Multiplikator- und Akzeleratoreffekt bezeichnet wird und in einen sich selbst tragenden Aufschwung einmünden kann. Die Zahl der Betriebe stagniert zwar, die Beschäftigung ist jedoch weiter ansteigend. 2012 war das siebte Jahr in Folge, in dem sich die Beschäftigung in Thüringen erhöhte. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten steigt stärker als die Gesamtbeschäftigung, der Anteil der atypischen

176 Vgl. Michael C. Burda: Die makroökonomischen Zwänge der Treuhand-Privatisierung, in: Depenheuer/Paqué: Einheit–Eigentum–Effizienz, S. 88 – 91.

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Beschäftigungsverhältnisse ist 2012 nicht weiter angestiegen.177 Die Tariflöhne erreichten 2013 fast Westniveau, und Ostdeutschland erlebte eine Reindustrialisierung.178 Bei aller Genugtuung über die bisherigen Erfolge des Umstrukturierungsprozesses müssen die noch bestehenden Unterschiede im Entwicklungsstand zwischen West und Ost beachtet werden. Dazu zählt auch die relativ geringe Steuerkraft der neuen Länder, die zwar beacht­lich gestiegen ist, aber noch deut­lich hinter der in den alten Ländern zurückliegt.179 In allen neuen Ländern gibt es noch ein Defizit an wirtschaft­licher Dynamik, das auf einen Mangel an Wirtschaftssektoren mit überregionaler Bedeutung zurückzuführen ist.180 Demzufolge lag 2012 der Anteil der Bruttowertschöpfung des verarbeitenden Gewerbes im Westen bei rund 24 Prozent, in den neuen Ländern dagegen bei 17 Prozent. Thüringen übertrifft dabei mit 22,3 Prozent erheb­lich den Mittelwert der neuen Länder und sogar den gesamtdeutschen Durchschnitt von 21,8 Prozent.181 Besonders bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die Arbeitsproduktivität, gemessen an der Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigen

177 Vgl. IAB -Betriebspanel. Länderbericht Thüringen. Ergebnisse der 17. Welle 2012. Hg. vom Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Technologie. Mai 2013 (https://www.thueringen.de/imperia/md/content/tmwta/arbeit/­ arbeitsmarktstatistik2013/kurzfassung_betriebspanel_th__ringen_2012.pdf, Abruf: 1. Juli 2014). 178 Vgl. Tariflöhne erreichen im Osten fast Westniveau, in: FAZ, 2. Oktober 2013 sowie Ostdeutschland erlebt eine Reindustrialisierung, ebd., 18. November 2013. 179 Vgl. Kristina van Deuverden: Auch nach 20 Jahren: Steuereinnahmen in den Neuen Ländern schwach. IWH-Pressemitteilung 11/2010 (http://www. iwh-halle.de/d/publik/presse/11-10L.pdf, Abruf: 9. Juli 2014) 180 Vgl. zum Folgenden Karl-Heinz Paqué: Gewachsen, aber gefährdet: Eine wirtschaft­liche Zwischenbilanz der Deutschen Einheit für Mitteldeutschland und Thüringen, anno 2013, Thüringer Memos, Ausgabe 02. Hg. vom Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Technologie (http:// www.thueringen.de/de/publikationen/pic/pubdownload1458.pdf, Abruf: 1. April 2014). 181 Vgl. Claus Peter Müller: Land der sechsspurigen Autobahnen, in: FAZ, 29. August 2014. Aufschwung und Gefahren  |

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im verarbeitenden Gewerbe, im Osten erheb­lich von rund 20 Prozent des Westniveaus im Jahre 1992 auf ca. 70 Prozent im Jahre 2011 zunahm. Das industrielle Lohnniveau im Osten erhöhte sich verhältnismäßig schnell von nicht ganz 40 Prozent des Westniveaus (1992) auf 77 Prozent (2012). Die Lohnstückkosten im Osten sanken per Saldo zwischen 1992 und 2007 im Vergleich zum Westen von rund 190 Prozent auf etwa 90 Prozent. Die Arbeitslosenquote im Osten lag zwar seit der Wiedervereinigung durchschnitt­lich 5 bis 10 Prozent-Punkte höher als im Westen, ermäßigte sich aber seit 2005 von 21 Prozent auf 12 Prozent stärker als im Westen. Zuversicht­lich stimmt, dass vor allem in den süd­lichen Flächenländern Sachsen und Thüringen den Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen der Wirtschaft ein beacht­licher Stellenwert eingeräumt wird. So lagen 2011 die FuE-Aufwendungen der Wirtschaft in Sachsen und Thüringen mit 1,3 Prozent bzw. 1,1 Prozent der Bruttowertschöpfung auf dem Niveau von Nordrhein-Westfalen noch vor Hamburg, Bremen, Schleswig-Holstein und dem Saarland. Auch beim Anteil des FuE-Personals an den Erwerbstätigen der Wirtschaft lagen Thüringen und Sachsen 2011 bereits gleichauf mit Nordrhein-Westfalen. Als struktureller Nachteil kann sich in den neuen Ländern die geringere durchschnitt­liche Betriebsgröße im Vergleich zum Westen erweisen, wobei es hier auch Ausnahmen gibt. Allerdings bietet sich eine gewisse Mög­lichkeit, diesen Nachteil über Kooperationen auszugleichen. Schließ­lich bleibt auch die Weltmarktpräsenz der ostdeutschen Wirtschaft trotz steigender Exportintensität nach wie vor hinter dem Westen zurück. So erhöhte sich die Exportquote der neuen Länder zwischen 1993 und 2012 per Saldo von rund 6 Prozent auf 24 Prozent des BIP, im Westen dagegen von rund 20 Prozent auf rund 36 Prozent.182 In der „Thüringer Allgemeinen“ vom 1. Februar 2014 gab es die Schlagzeile: „Thüringer arbeiten mehr als alle anderen – und verdienen weniger“. Sie trifft nicht generell zu, denn viele Unternehmen bezahlen bereits Westtarife. Für die Mehrzahl der Arbeitnehmer gilt jedoch diese Festellung, die sich allerdings nur auf das Lohnniveau, nicht auf die relative Kaufkraft bezieht, also das niedrigere Preisniveau in den neuen Ländern nicht berücksichtigt. Nach dem 182 Nicht eingerechnet sind hier die indirekten Exporte der Thüringer Wirtschaft. Dabei erbringen thürin­gische Unternehmen Vorleistungen, die „nach einer Weiterverarbeitung in anderen Bundesländern exportwirksam werden können“. Vgl. Walter/Meißner/Schreiber: Brücken in die Zukunft, S. 159.

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IAB-Betriebspanel 2013183 stieg der Bruttodurchschnittslohn in Thüringen,

während die Lohnangleichung von 1996 bis 2012 auf dem Niveau von 77 Prozent des Westniveaus stagnierte. Gleichzeitig verharrte die Arbeitsproduktivität (Produktionsmenge/Arbeitsvolumen) bei rund 70 Prozent, obwohl es in Thüringen und in den anderen neuen Ländern inzwischen zahlreiche moderne industrielle Arbeitsplätze gibt, die in der Produktivität mit dem Westen mithalten können oder gar darüber liegen. Trotzdem ist der Abstand zur Bruttowertschöpfung bestimmter alter Länder noch sehr groß. So liegen Hamburg, Hessen, Baden-Württemberg und Bayern bei 130 bis 105 Prozent des Bundesdurchschnitts. Gemessen an der internationalen Arbeitsproduktivität ist der Abstand noch größer, denn das deutsche Produktivitätsniveau liegt im Vergleich zu den USA nur bei rund 77 Prozent. Alles in allem kann festgestellt werden, dass der Entwicklungsrückstand der neuen Länder gegenüber dem Westniveau insbesondere beim Bruttoinlandsprodukt, bei der Arbeitsproduktivität, beim Industriebesatz, bei der Exportintensität, beim Innovationspotenzial, bei der Arbeitsmarktstabilität und bei der Selbstfinanzierungskraft insgesamt noch nicht beseitigt werden konnte. Laut dem Dresdner Ifo-Institut wird der Osten „auf absehbare Zeit den Anschluss an den Westen nicht schaffen“184. Eine derartige Prognose ist jedoch sehr pessimistisch und beruht auf unsicheren Prämissen. An dieser Stelle erscheint es zweckmäßig, kurz den Blick auf eine Thematik zu richten, die nach der Wiedervereinigung im Zuge der wirtschaft­ lichen Umstrukturierung in den neuen Ländern immer wieder Anlass zu Diskussionen gab und gibt: die Haushaltspolitik und insbesondere die Verschuldung der neuen Länder, hier fokussiert auf Thüringen. Strukturpolitik war und ist in der Regel verbunden mit dem Einsatz öffent­licher Mittel zur Verwirk­lichung bestimmter Zielvorgaben. Das gilt besonders für die Umwandlung einer ganzen Volkswirtschaft, der DDR-Planwirtschaft in die Soziale Marktwirtschaft. Spätestens nach Aufdeckung des totalen Desasters der DDR-Wirtschaft wurde offenkundig, dass ein Neuaufbau gewaltige finanzielle Anstrengungen erfordern würde. Neben dem Bund 183 Vgl. IAB-Betriebspanel. Länderbericht Thüringen. Ergebnisse der 18. Welle 2013. Hg. vom Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Technologie. Mai 2014, S. 76 (http://www.thueringen.de/de/publikationen/pic/pubdownload1511.pdf, Abruf: 1. Oktober 2014). 184 So Joachim Ragnitz, zitiert nach Martin Grieve: Das Land der zwei Billionen, in: Welt am Sonntag, 4. Mai 2014. Aufschwung und Gefahren  |

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und der EU mussten auch die neuen Länder als Träger der Strukturpolitik dazu einen angemessenen Beitrag leisten – trotz ihrer anfangs äußerst schwachen Finanzkraft, die zunächst nur durch Transferleistungen und Verschuldung stabilisiert werden konnte. Das war die Realität. Die entscheidende Frage war dabei nicht die Kreditaufnahme an sich, sondern die Zielrichtung der Mittelverwendung und im weiteren das Problem der Schuldentilgung. In einem Artikel in der FAZ vom 30. April 2014 mit dem Titel „Der Osten hat die besseren Haushälter“185 wird den neuen Ländern eine erfolgreiche Haushaltpolitik bescheinigt. Ledig­lich für das Finanzgebaren der Thüringer Landesregierung in den 1990er Jahren findet der Autor kritische Worte: Es sei damals „geprasst“ worden mit der Folge einer überdurchschnitt­lichen Verschuldung, die allerdings inzwischen im Rahmen einer wirksamen Haushaltskonsolidierung wieder zurückgeführt werde. Diese Aussage beleuchtet nur eine Seite der Medaille. Sie trifft in dieser vereinfachenden, aus dem Gesamtzusammenhang herausgenommenen Bewertung nicht den Kern der Sachlage und ist geeignet, ein Zerrbild des tatsäch­lichen Geschehens in Thüringen zu zeichnen. Sie bedarf deshalb der Modifizierung und Ergänzung. Eine Kreditaufnahme der öffent­lichen Hand – gleich, ob Bund, Land oder Gemeinde – ist zunächst nur als Faktum zu konstatieren. Ihre wirtschafts- und finanzpolitische Bewertung erfordert in jedem Fall eine Berücksichtigung der dafür ursäch­lichen Umstände sowie der Dimension und der jeweils verfolgten Zielsetzung. Öffent­liche Verschuldung ist nicht unbedingt und von vornherein als negativ zu bewerten. Sie kann ebenso Ausdruck und Folge eines nicht gerade soliden, den Grundsätzen einer sparsamen Haushaltsführung auch längerfristig nicht oder nicht hinreichend Rechnung tragenden öffent­lichen Finanzgebarens sein wie einer gezielten, an den jeweiligen wirtschaft­lichen, sozialen und infrastrukturellen Erfordernissen orientierten struktur- und konjunkturpolitischen Haushaltsgestaltung. In der Nationalökonomie ist die temporäre Kreditaufnahme des Staates zur Finanzierung wirtschaft­lich relevanter Zwecke – auch als „deficit spending“ geläufig – als ein Steuerungsinstrument der Wirtschaftspolitik grundsätz­lich anerkannt. Ihr Einsatz wurde bisher je nach Sachlage und konkreten wirtschaft­lichen Rahmenbedingungen immer wieder verfeinert und veränderten regionalen und globalen Entwicklungen angepasst. Um etwaigen Missverständnissen vorzubeugen: Hier soll keineswegs der Eindruck einer generell positiven Bewertung der Staatsverschuldung 185 Vgl. Manfred Schäfers: Der Osten hat die besseren Haushälter, in: FAZ, 30. April 2014, S. 17.

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erweckt werden. Es geht ledig­lich darum, zu verdeut­lichen, dass die Beurteilung einer öffent­lichen Kreditaufnahme stets auch eine Berücksichtigung der jeweiligen konkreten Umstände und politischen Zielsetzungen erfordert. Dies vorausgeschickt sollten zur sachgerechten Bewertung der in den 1990er Jahren festzustellenden überdurchschnitt­lichen Verschuldung des Freistaats Thüringen folgende Gesichtspunkte in die Überlegungen einbezogen werden. Zweifellos standen die neuen Länder nach der Wiedervereinigung vor einer bisher beispiellosen Fülle von Aufgaben, die im Zuge des politischen, wirtschaft­lichen und sozialen Transformationsprozesses zu bewältigen waren. Beispielhaft sei nur hingewiesen auf die grundlegende Erneuerung der maroden Infrastruktur, den totalen Neuaufbau des Kapitalstocks der Wirtschaft, die notwendige Erbringung des jeweiligen Eigenanteils der Länder beim Einsatz der Strukturprogramme der EU und des Bundes, die notwendige Auflegung eigener Förderprogramme zur Ergänzung und Vervollständigung des strukturpolitischen Instrumentariums und nicht zuletzt auch die enormen Aufwendungen zur notwendigen Abfederung drohender Einbrüche auf dem Arbeitsmarkt, um sozialen Verwerfungen begegnen zu können. Es wurde dabei sehr bald klar, dass diese gewaltigen Aufgaben nur mit erheb­lichem Finanzaufwand zu stemmen waren und dass hierfür neben den Transferzahlungen des Bundes und der EU auch außerordent­liche eigene finanzielle Anstrengungen der neuen Länder erforder­lich waren – und das trotz völlig unzureichender Eigenfinanzierungskraft. Dem konnte sich auch die Thüringer Landesregierung nicht entziehen. Die Steuerdeckungsquote in Thüringen betrug in diesen schwierigen Anfangsjahren nur rund 20 Prozent des Haushaltsvolumens. Haupteinnahmeposition waren die Zuweisungen des Bundes aus dem Fonds Deutsche Einheit. Erst ab 1995 wurden die neuen Länder in den bundesstaat­lichen Finanzausgleich einbezogen. Die Einnahmesituation des Freistaats Thüringen hat sich dadurch zwar verbessert, der Finanzbedarf für Investitionen in Wirtschaft und Infrastruktur ist aber nicht spürbar geringer geworden. So blieb in der schwierigsten Phase des Neuaufbaus in den Jahren unmittelbar nach der Wiedervereinigung hier wie dort als Lösung zur Deckung von Finanzierungslücken nur die Verschuldung. Andernfalls war die Finanzierung der notwendigen Investitionen und sozialer Absicherungsmaßnahmen nicht gewährleistet. Die neuen Länder mussten diesen Weg bestreiten, frei­lich in unterschied­lichem Ausmaß je nach konkreter Aufgabenstellung und politischer Programmgestaltung. Das war unumgäng­liche Konsequenz der damaligen Ausnahmesituation. So hat auch Thüringen aus diesen Gründen vor allem in den 1990er Jahren zur Kreditaufnahme greifen müssen. Die Landesregierung hat dabei Aufschwung und Gefahren  |

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im Interesse einer mög­lichst schnellen Bewältigung des Transformationsprozesses bewusst einen vorübergehend überdurchschnitt­lichen Verschuldungsgrad in Kauf genommen. Maßgebend für diese Strategie war die Überlegung, dass ein effektiver und nachhaltiger Neuaufbau des Freistaats in erster Linie eine Konzentration des Mitteleinsatzes auf öffent­liche und private Investitionen erforderte. Nur auf der Basis einer dermaßen durch öffent­liche Mittel gestützten oder direkt veranlassten Investitionsoffensive bestand eine Chance, das von der sozialistischen Planwirtschaft hinterlassene Desaster in Wirtschaft, Arbeitsmarkt und Infrastruktur nachhaltig und zügig zu überwinden. Darüber hinaus ging es auch darum, die Folgen der mit dem Transformationsprozess verbundenen drastischen Arbeitsplatzverluste, von denen Thüringen in starkem Maße betroffen war, wirksam abfedern zu können. Nicht konsumtive Ziele bestimmten somit in erster Linie die Thüringer Haushaltpolitik der 1990er Jahre, sondern Prioritätensetzung für die Investitionsförderung, die im Landesetat mit einer hohen Investitionsquote von jeweils etwa einem Drittel des Haushaltsvolumens ihren Niederschlag fand, daneben aber auch für arbeitsmarktpolitische Auffangmaßnahmen. Die dafür in Kauf zu nehmende höhere Landesverschuldung Thüringens ist also nicht etwa Ausdruck eines leichtfertigen Umgangs mit den Staatsfinanzen, sondern einer wohlüberlegten und längerfristig angelegten Finanz- und Wirtschaftsstrategie zum Neuaufbau des Landes. Thüringen hat im Zeitraum 1991 bis 2014 aus dem Landeshaushalt nahezu 48 Mrd. Euro zur Investitionsfinanzierung bereitgestellt. Die vergleichsweise sehr hohe Investitionsquote von zunächst über 30 Prozent der Haushaltsausgaben wurde zwar nach 1995 schrittweise etwas zurückgeführt bis auf gut 25 Prozent im Jahr 2000 und auf 18 Prozent zu Beginn der Konsolidierung des Landeshaushalts im Jahr 2007, sie lag damit aber noch immer auf vergleichsweise sehr hohem Niveau. Diese zukunftsorientierte Haushalts- und Strukturpolitik in Thüringen hat sich sehr bewährt und findet ihren Niederschlag in den überdurchschnitt­ lichen Wachstumsraten des Freistaats und dem damit einhergehenden deut­ lichen Rückgang der Arbeitslosigkeit. Nach Überwindung der massiven wirtschaft­lichen Einbrüche in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung verzeichnete Thüringen – wie bereits an anderer Stelle erläutert – unter den neuen Bundesländern mit die stärkste Zunahme der Wirtschaftskraft und den höchsten Abbau der Arbeitslosigkeit. Damit wurde zugleich das Fundament dafür gelegt, dass der Freistaat ab 2007 daran gehen konnte, im Rahmen seiner gestärkten Eigenfinanzierungskraft den Landesaushalt zu konsolidieren und die Verschuldung zurückzuführen. Thüringen bereitet 230

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sich damit auch bereits auf das zu erwartende Auslaufen der Transferzahlungen durch Bund und EU vor. Diese besonnene und vorausschauende Landespolitik in Thüringen, die vorübergehend höhere Haushaltsdefizite in Kauf nahm, um damit nachhaltige Investitionsimpulse auszulösen und eine dynamische Wachstums- und Beschäftigungsentwicklung zu erreichen, hat sich als erfolgreich und richtig erwiesen und kommt letzt­lich den Menschen im Freistaat zugute. Der DDR-Zentralismus hat die Struktur in der Thüringer Wirtschaft völlig umgestaltet. An die Stelle der mittelständischen Betriebe traten großbetrieb­lich organisierte und verstaat­lichte Betriebe mit einer veränderten, vom Zentralplan vorgegebenen Produktionsstruktur, denn es wurden vor allem die Güter hergestellt, die vom RGW angefordert wurden. Mit der Umwandlung und Privatisierung der volkseigenen Betriebe in Kapitalgesellschaften und mit der Wirtschafts- und Währungsunion ist die ehemalige DDR-Wirtschaft wieder den Gesetzen von Angebot und Nachfrage gefolgt und hat ihre Produktions- und Beschäftigungsstruktur marktkonform gestaltet. Der Umbau der Wirtschaft vollzog sich jedoch nicht „automatisch“. Um den Übergang zu einem privatwirtschaft­lichen Marktteilnehmer zu erleichtern, mussten die Wettbewerbschancen des bisher staat­lichen Unternehmens verbessert werden. Von entscheidender Bedeutung war dabei die Privatisierungs- und Sanierungstätigkeit der THA, die in der ersten Zeit nach der Wiedervereinigung nahezu allein die Aufgabe der Umstrukturierung der Wirtschaft in den neuen Ländern zu bewältigen hatte. Sie ließ sich dabei auf der einen Seite, vor allem im Rahmen der Privatisierung von strukturbestimmenden Großprojekten, von den Strategien zur Wirtschaftsmodernisierung leiten, die eine produktivitätsorientierte Hochtechnologieförderung zum Inhalt haben. Sie musste dabei aber den Verlust arbeitsintensiverer und niedrigproduktiver Arbeitsplätze in Kauf nehmen. Die damit verbundenen sozialen Kosten der Freisetzungen wurden – in Abstimmung mit Gewerkschaften und Industrie – als unvermeid­lich toleriert und mit Vorruhestandsund Sozialplanregelungen auf die betreffenden THA-Unternehmen und die sozialen Sicherungssysteme überwälzt. Diese Strategie wurde bereits bei der Bewältigung der Strukturkrisen in der Kohle- und Stahlindustrie angewandt. „In der massiven Förderung kapitalintensiver Großprojekte liegen Erfolg und Tragik des Aufbaus Ost eng beieinander. Einerseits gelang es, großindustrielle Sektoren wie die Chemie-, Mineralöl- und Stahlindustrie, die zu DDR-Zeiten im Vergleich zum Westen die schlechteste Produktivität aufwiesen, zu Gewinnern im Preiswettbewerb zu machen, während sich die Aufschwung und Gefahren  |

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Wettbewerbsposition der DDR-Vorzeigebranchen ständig verschlechterte. Andererseits blieben die Beschäftigungseffekte der höchst kapitalinten­ siven Branchen bescheiden.“186 Der vergleichsweise sehr hohe Einsatz von Finanzmitteln für kapitalintensive Großprojekte erleichterte tendenziell nicht gerade „die Entwicklung einer lebensfähigen, auf beschäftigungs- und dienstleistungsintensiven Produkten basierenden Industriestruktur“.187 Die THA hat sich hier mit einer standort- und branchenbezogenen Privatisierungssteuerung auf das unsichere Terrain der sektoralen Strukturpolitik begeben und dabei in einer Reihe von Fällen zumindest nicht unumstrittene Ergebnisse – siehe Werften, Mikroelektronik oder Kaliindustrie – erzielt, die dann auch in den Medien besondere Aufmerksamkeit fanden und dadurch teilweise zu einer Imagebelastung für die THA wurden. Es muss auf der anderen Seite aber auch hervorgehoben werden, dass die THA gleichermaßen nachhaltig bestrebt war, eine breite Basis mittelständischer Unternehmen zu erhalten und zu schaffen. Dazu hat insbesondere die Aufspaltung der Kombinate in kleinere privatisierungsfähige Betriebseinheiten ebenso beigetragen, wie das besondere Augenmerk, das sie der Unterstützung von MBO und MBI beigemessen hat. Im Übrigen stand bei allen Privatisierungsaktivitäten der Anstalt generell das Bemühen um den Erhalt und die Schaffung von Arbeitsplätzen im Vordergrund. Die überwiegende Mehrzahl der THA-Privatisierungen entfiel auf kleine und mittlere Unternehmen. Dieser besondere Mittelstandseffekt ihrer Arbeit wurde nicht zuletzt durch die dezentrale Organisationsstruktur der THA mit einem breiten Netz regionaler Niederlassungen ermög­licht, die mit weit reichenden Entscheidungskompetenzen ausgestattet waren. Der Freistaat Thüringen hat nach der Wiedervereinigung zügig ein eigenständiges strukturpolitisches Förderinstrumentarium entwickelt. Er verzichtete zwar anfangs im Rahmen seiner Förderstrategie zunächst auf eine spezielle Förderung industriepolitischer Großvorhaben, musste dann aber erkennen, dass jedenfalls in dieser Ausnahmesituation aktive Eingriffe des Staates notwendig sind, um Standorte in Thüringen aufrechtzuerhalten. Deshalb hat er in der Folge neben den eigenen Aktivitäten in den Bereichen der betrieb­lichen und der Infrastrukturförderung die LEG beauftragt, alte nicht mehr lebensfähige Industriestandorte zu sanieren und zu entwickeln. „Anstatt 186 Czada: Das Erbe der Treuhand­anstalt, in: Depenheuer/Paqué: Einheit– Eigentum–Effizienz, S. 132. 187 Ebd.

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eine betriebsorientierte Sanierungspolitik bei den Industrieunternehmen zu verfolgen und wirtschaft­lich besonders schwache Regionen zu fördern, konzentrierte man sich in Thüringen auf die Stützung der vergleichsweise strukturstarken Räume“188 durch Förderung gewerb­licher Investitionen und der wirtschaftsnahen Infrastruktur. Das umfangreichste und wirksamste Instrument zur Förderung der Privatisierung von Unternehmen sowie zur Sanierung und Entwicklung von Standorten war und ist die Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur (GRW) mit Fördersätzen von 35 bzw. 50 Prozent bei gewerb­lichen Investitionen und 80 bis 90 Prozent der Infrastrukturaufwendungen. Sie wird ergänzt durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und den Europäischen Sozialfonds (ESF) der EU. Ohne diese Instrumente hätte die Privatisierungsquote stagniert. Mit ihnen wurde auch erreicht, die rest­lichen privatisierungsfähigen THA-Unternehmen ganz oder teilweise zu veräußern und den Anteil der abzuwickelnden Unternehmen unter 25 Prozent zu halten. Die Arbeit der THA und die strukturpolitischen Maßnahmen der Thüringer Landesregierung haben im Zusammenwirken mit den unternehmerischen Aktivitäten im Freistaat dazu geführt, dass Thüringen – ähn­lich wie auch die anderen neuen Länder – nach der Wiedervereinigung einen erfolgreichen wirtschaft­lichen Aufholprozess gegenüber den alten Bundesländern verzeichnen konnte. Der Freistaat erreichte hier unter den neuen Ländern bei vielen Strukturindikatoren Spitzenwerte. Aktuelle Untersuchungen aus Thüringen bestätigen das.189

Wirtschaftspolitische Zukunftsstrategien Trotz der erreichten Erfolge bestehen, wie schon beschrieben, in den neuen Ländern und insbesondere auch in Thüringen noch immer Strukturdefizite im Vergleich zum Westen, so bei der Arbeitsproduktivität, der Brutto­ wertschöpfung im verarbeitenden Gewerbe, der Industriedichte sowie bei der durchschnitt­lichen Betriebsgrößenstruktur und der Exportquote. Auch die Stabilität des Arbeitsmarktes erscheint noch nicht hinreichend 188 IAB regional: Vergleichende Analyse von Länderarbeitsmärkten. Länderstudie Thüringen, Nr. 02/2005, S. 12. 189 Vgl. dazu insbesondere Paqué: Gewachsen, aber gefährdet sowie WIN – Wachstum//Innovation//Nachhaltigkeit. Trendatlas Thüringen 2020. Wirtschaftspolitische Zukunftsstrategien  |

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widerstandsfähig, während die FuE-Aktivitäten in Thüringen und auch in Sachsen immerhin schon höher liegen als in einigen west­lichen Bundesländern. Anlass zu unverminderter Wachsamkeit gibt schließ­lich insbesondere die in jüngster Zeit ansatzweise zu beobachtende nachlassende Wachstumsdynamik in den neuen Ländern mit der Folge, dass sich bei einzelnen Strukturkennzahlen der Rückstand gegenüber dem Bundesdurchschnitt zuletzt nicht mehr entscheidend verringert hat. Diese Erkenntnisse lassen auf ein noch immer bestehendes strukturelles Gefährdungspotenzial auch in Thüringen schließen und unterstreichen die Notwendigkeit der intensiven Fortführung strukturpolitischer Fördermaßnahmen. Das gibt zugleich Anlass zu einer eingehenden Befassung mit der Frage der künftigen Ausformung der Gestaltungsmög­lichkeiten für eine effektive Strukturpolitik in Thüringen. Unstreitig ist, dass das Förderinstrumentarium der kommenden Jahre auf die Dynamik des wirtschaft­lichen Wandels abgestellt werden und dazu beitragen sollte, Entwicklungshemmnisse zu beseitigen und Rahmenbedingungen zu schaffen, die geeignet sind, Investitionen zu erleichtern und Wachstumsengpässe abzubauen. Die Frage ist dabei, ob die bisherigen Programme und Maßnahmen dafür ausreichend erscheinen oder einer Anpassung bzw. Ergänzung bedürfen. Eine Diskussion dieser Thematik unter Berücksichtigung vorliegender Untersuchungen 190 sollte von den erkennbaren wesent­lichen Rahmenbedingungen und Determinanten der Strukturpolitik ausgehen, die den Gestaltungsspielraum für künftige Aktivitäten vorgeben. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien nachfolgend einige stichwortartig hervorgehoben, die für Thüringen relevant sein können: –– Wir befinden uns in der Bundesrepublik wirtschaft­lich in einer hoch entwickelten Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft, in der von einem starken weiteren Wachstum des regional und überregional operierenden Dienstleistungssektors ausgegangen werden kann, während der produzierende Bereich eher stagniert oder sogar leicht rückläufig sein dürfte. Dies bedeutet, dass in den nächsten Jahren industriell-gewerb­liche Neuansiedlungen eher die Ausnahme sein werden, nicht so sehr dagegen Standortverlagerungen. Umso intensiver wird künftig der Standortwettbewerb um Industrieansiedlungen werden – und zwar weltweit. Es ist auch damit zu rechnen, dass mit der Globalisierung und der wirtschaft­lichen 190 Vgl. auch dazu im Folgenden Paqué, S. 17 ff. sowie WIN – Wachstum//Innovation//Nachhaltigkeit. Trendatlas Thüringen 2020, S. 110 ff. und S. 248 ff.

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Erstarkung der aufstrebenden jungen Industrienationen und Schwellenländer in Asien und Lateinamerika ein nicht unerheb­licher Teil des industriellen Neuansiedlungspotenzials in diese Regionen wandert, vor allem im Falle einer Verschlechterung wirtschaft­licher Rahmenbedingungen in der Bundesrepublik und in der EU. –– Der wirtschaft­liche und insbesondere der industriell-gewerb­liche Entwicklungsprozess in Thüringen dürfte sich deshalb in den kommenden Jahren schwerpunktmäßig eher auf der Basis der vorhandenen Strukturen abspielen, also innerhalb des sogenannten endogenen Potenzials durch Erweiterungen, Rationalisierungen und Umstrukturierungen bestehender Unternehmen. –– Dabei wird sich wohl aufgrund des Mangels an eigenen Bodenschätzen und Rohstoffen in Deutschland der Trend zu innovativen und technolo­ gisch immer höherwertigen Produkten auch in Thüringen fortsetzen und verstärken, da nur so die Wettbewerbsfähigkeit auf den internationalen Märkten gesichert werden kann. „Die Dynamik des wirtschaft­lichen Wandels nimmt deut­lich zu. In naher Zukunft wird ein Großteil des Umsatzes durch Produkte und Dienstleistungen erbracht, die heute noch unbekannt sind. Diese Entwicklungsdynamik ist als Folge der Globalisierung überall wirksam – auch am Wirtschaftsstandort Thüringen. Wer nicht auf der Strecke bleiben will, muss deshalb rechtzeitig technolo­gische Entwicklungstrends und Marktchancen erkennen – und im Stande sein, sie zu nutzen.“191 Die Bedeutung von Innovation sowie Forschung und Entwicklung wird daher auch in Thüringen weiter zunehmen. –– Ferner wird es generell – also unbeschadet von regionalen Einkommensunterschieden – darauf ankommen, die Arbeitsproduktivität und damit die Produktionskosten durch Rationalisierung und Umstrukturierung weiter zu senken, um auch im Preiswettbewerb gegenüber Niedriglohnländern konkurrenzfähig zu bleiben. Für die Unternehmen in Thüringen und in allen neuen Ländern mit ihrer insgesamt noch unterdurchschnitt­lichen Arbeitsproduktivität gilt das besonders.

191 Aktivierung der schöpferischen Potenziale durch regionale Cluster. Eine Strategie zur Überwindung regionaler Wachstumsbarrieren in Thüringen. [Rede des Thüringer Ministers für Wirtschaft, Arbeit und Infrastruktur zur Plenarsitzung am 6./7. März 2003]. Hg. vom Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Infrastruktur. Erfurt 2003, S. 4. Wirtschaftspolitische Zukunftsstrategien  |

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–– Die gewerb­liche Wirtschaft in Thüringen ist in erheb­lichem Maße durch eine mittelständische Unternehmensstruktur geprägt. Das wird auch durch neueste Zahlen bestätigt. Die durchschnitt­liche Betriebsgröße im verarbeitenden Gewerbe liegt derzeit in Thüringen bei 91 Beschäftigten je Betrieb gegenüber 132 im Bundesdurchschnitt. Damit korrespondiert die überdurchschnitt­liche Betriebsdichte im Freistaat mit 83 Betrieben je 100.000 Einwohnern gegenüber 55 im Bundesdurchschnitt.192 Die damit verbundene breite Branchenpalette lässt zwar eine überdurchschnitt­liche Widerstandskraft gegenüber konjunkturellen Rückschlägen erwarten, doch ergeben sich für kleine und mittlere Unternehmen (KMU ) im Freistaat gerade in Bezug auf FuE-Aktivitäten sowie auf Kosteneinsparungen tendenzielle Entwicklungsbarrieren, vor allem unter folgenden vier Gesichtspunkten. Erstens: Kleine und mittlere Unternehmen können häufig nicht genug FuE- und Innovationsaktivitäten entfalten, die geeignet sind, stabile Wachstumsprozesse anzustoßen. Ihnen fehlt oft die personelle, technische und vor allem finanzielle Ausstattung, um FuE-intensive Lösungen voran zu treiben. Viele mittelständische Thüringer Unternehmen werden daher im Globalisierungsprozess vor der Alternative stehen: Konzentration, Anbindung an große Konzerne oder Kooperation, wenn nötig, auch mit der Konkurrenz. Zweitens: KMU, die größenspezifische Nachteile durch Kooperation kompensieren wollen, stoßen bei der Frage nach mög­lichen Partnern immer wieder auf Such- und Auswahlprobleme. Drittens: Kleinere Betriebe können im Gegensatz zu großen Unternehmen keine Größenvorteile nutzen und keine Preisnachlässe und Kosteneinsparungen erzielen.193 Viertens: KMU haben es häufig schwerer als Großunternehmen, sich Zugang zu den internationalen Märkten zu verschaffen oder ihre Wettbewerbsposition dort zu verbessern. –– Der seit langem im wirtschaft­lichen Entwicklungsprozess der Bundesrepublik zu beobachtende und sich eher verstärkende Sog der Ballungsräume mit entsprechender räum­licher Konzentration des Wirtschaftspotenzials dürfte Thüringen mit seiner eher breit gestreuten Siedlungsstruktur im Standortwettbewerb zumindest nicht begünstigen. 192 Vgl. Lenk: Die Entwicklung der Betriebs- und Beschäftigtendichte im Bergbau und Verarbeitenden Gewerbe Thüringens von 2008 bis 2012 im deutschlandweiten Vergleich, S. 3 und S. 9. Siehe auch Anlage 6 und 7. 193 Vgl. ebd., S. 4 f.

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–– Schließ­lich kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass die erkennbar zunehmende Neigung des Bundes und der EU zu dirigistischen Eingriffen in den Wirtschaftsprozess nachteilige Auswirkungen auf die Standortattraktivität auch in Thüringen haben kann. Zu denken ist hier an Themen wie überzogene administrative bis prohibitive Auflagen aus Brüssel oder im Inland dirigistische Vorgaben wie Mindestlohn, sozialpolitisch motivierte Ruhestandsregelungen und nicht zuletzt die nicht vollends durchdacht wirkende Energiewende. Viele Unternehmen in Deutschland leiden bereits unter den hohen Energiepreisen. Das Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln spricht sogar davon, „dass 24 Prozent der Industrieunternehmen Investitionen wegen der Energiepolitik“194 zurückstellen. Die Energiewende sei zu teuer und die De-Industrialisierung habe in Deutschland bereits begonnen. Sollte sie anhalten, dann würde auch die Entwicklung in den neuen Ländern gebremst. Wie können Wirtschaft und Politik in Thüringen dieser Situation Rechnung tragen? Wie sollte das künftige Förderinstrumentarium gestaltet sein? Aus den im Vorstehenden aufgeführten Entwicklungserfordernissen und -problemen im Freistaat lassen sich dazu ohne Anspruch auf Vollständigkeit folgende Überlegungen ableiten, die frei­lich mit Unsicherheiten behaftet sind: –– Der trotz aller erreichten, aber noch nicht hinreichend gefestigten Umstrukturierungserfolge in Thüringen weiter bestehende wirtschaft­ liche Konsolidierungs- und Nachholbedarf unterstreicht die unbedingte Notwendigkeit einer Fortführung der strukturpolitischen Förderinstrumente, insbesondere also GRW, EFRE und landeseigene Finanzierungsprogramme. Sie sind angesichts der verschärften Standortkonkurrenz für die Gewinnung von gewerb­lichen Neuansiedlungen ebenso unverzichtbar wie als Investitionsanreize für die heimische Wirtschaft, also die Stärkung des endogenen Potenzials. Man wird dabei in jedem Fall vorerst an der einzelbetrieb­lichen Investitionsförderung festhalten müssen, um auch weiterhin die Finanzierung notwendiger Erweiterungs-, Modernisierungs- und Rationalisierungsvorhaben erleichtern zu können. Ob es dabei zweckmäßig ist, die Förderpolitik künftig stärker an Lohnkriterien zu koppeln, muss zumindest dahingestellt bleiben.

194 Michael Hüther: Die De-Industrialisierung in Deutschland hat begonnen, Anzeige in: Der Spiegel, 5. Mai 2014, S. 6. Wirtschaftspolitische Zukunftsstrategien  |

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–– Entscheidend für eine Fördermaßnahme sollte dabei nicht die Branchenzugehörigkeit des Investors sein, sondern die wirtschaft­liche Plausibilität des Vorhabens. In diesem Zusammenhang könnte die Frage gestellt werden, ob das Land nicht besser mit der Verfolgung einer sektoralen Wirtschaftspolitik beraten wäre. Die Diskussion darüber erfordert zunächst eine Begriffsklärung. Darunter wird häufig eine strukturkonservierende Politik verstanden, die in den neuen Ländern aber bedeutungslos ist. Andere Definitionen sehen darin eine interventionistische Politik mit dirigistischen Elementen einer Struktursteuerung. Verschiedent­lich bezeichnet man sie auch als Industriepolitik. Eine derartige sektorale Wirtschaftspolitik ist wegen drohender Fehlsteuerungen abzulehnen. Eingriffe in den Wettbewerb und die Eigentümerverantwortung oder Strukturkrisenkartelle sind mit der Sozialen Marktwirtschaft nicht zu vereinbaren. Eine Beschränkung der Wirtschaftsförderung auf sogenannte Zukunftsbranchen würde gleichbedeutend sein mit einem Verzicht auf eine ansonsten mög­liche weitere Stärkung der Wirtschaftskraft des Freistaats. Entscheidend für eine Förderzusage kann letzt­lich nicht die Branchenzugehörigkeit eines Investors sein, sondern die individuelle betrieb­liche Situation des jeweiligen Antragstellers und die Beurteilung der wirtschaft­lichen Tragfähigkeit seines Vorhabens. Empfehlenswert ist generell eine Förderpolitik, die vor allem innovative und investive Maßnahmen zum Abbau von Entwicklungsengpässen unterstützt. –– In Anbetracht des nur begrenzt verfügbaren und tendenziell knapper werdenden Mittelvolumens sollte die Wirtschaftsförderung in Thüringen im Interesse der Vermeidung einer Verzettelung und damit wirkungslosen Verpuffung der Finanzierungshilfen vor allem auf die bereits vorhandenen wirtschaft­lichen Schwerpunkte konzentriert werden, um so deren Wachstumspotenzial und Standortattraktivität weiter zu stärken. Das bedeutet frei­lich nicht, dass im Einzelfall öffent­liche Finanzierungshilfen für aussichtsreiche Vorhaben in anderen Gebieten generell unterbleiben sollten, denn die letzte Entscheidung über die Standortwahl für eine Investition trifft der jeweilige Unternehmer, der schließ­lich auch das gesamte Risiko für das Vorhaben trägt. Die Wirtschaftsförderung in Thüringen muss im Interesse der Ausschöpfung aller Wachstumsimpulse trotz grundsätz­ licher Konzentration auf Schwerpunkte ausreichend flexibel bleiben, um im Einzelfall auch die Verwirk­lichung erfolgversprechender Projekte in anderen Räumen wirksam unterstützen zu können. In jedem Fall setzt eine Erfolg versprechende Akquisition von Investoren eine kompetente 238

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und individuelle Betreuung aus einer Hand voraus. Dazu gehören Hilfen bei der Standortwahl, Behördenmanagement, Förderberatung und Kontaktvermittlung. Der Freistaat hat hier in der Vergangenheit mit der LEG und der TAB bereits ein sehr effektives Betreuungssystem für potenzielle Investoren entwickelt, das unbedingt auch künftig beibehalten und weiter ausgebaut werden muss. –– Thüringen verfügt nicht über große Ballungsräume und Wirtschaftszentren, die mit denen in den alten Bundesländern vergleichbar wären. Um deren Anziehungskraft im Standortwettbewerb um Investitionen entgegenwirken zu können, wäre die Entwicklung verstärkter kommunaler Kooperationen im Freistaat z. B. in Anlehnung an die Monopolregion Nürnberg/Fürth/Erlangen im benachbarten nordbayerischen Raum erwägenswert, so etwa im Einzugsbereich der großen Magistralen A 4 und A 9. Eine solche Kooperation würde sich mög­licherweise für das Dreieck Erfurt/Jena/Ilmenau anbieten, ohne hier andere Varianten vorwegzunehmen. Angesichts der damit erreichbaren Führungsvorteile erschiene ein dem entgegenstehendes kleinstaat­liches Denken in einer Zeit weltweiter Globalisierung kontraproduktiv. Überlegungen in dieser Richtung müssten auch nicht unbedingt an den Landesgrenzen Halt machen. –– Die vorwiegend mittelständische Prägung der Thüringer Wirtschaft spricht im Übrigen ebenfalls für eine Beibehaltung und Fortentwicklung der bisherigen einzelbetrieb­lichen Förderprogramme, um auch weiterhin den Abbau betriebsgrößenbedingter Nachteile flankieren zu können. Neben der finanziellen Förderung sollten aber auch vertikale und horizontale Kooperationsbeziehungen von Unternehmen gefördert werden. Verstärkte Kooperation trägt dazu bei, Kosten zu verringern und die Gewinn- und Erlössituation von Betrieben zu verbessern. KMU haben erfahrungsgemäß etwa aufgrund von Berührungsängsten oder einfach mangels Mög­lichkeiten nicht selten Probleme bei der Aufnahme geeigneter zwischen- oder überbetrieb­licher Kontakte. Umso notwendiger ist gerade hier eine flankierende Hilfestellung des Freistaates, der Landesgesellschaften und auch der Kammern beispielsweise durch Organisation von Kontaktforen oder Anbahnung und Unterstützung von Kooperationsmodellen. Hier bietet sich ein weites Feld der Zusammenarbeit auch zwischen Unternehmen und Forschungseinrichtungen oder zwischen Produktions- und Dienstleistungssektor zur Gestaltung gebündelter Angebote. Die LEG hat bereits von sich aus mit ihrem Fachkräftepool „Fachkräftesicherung“ eine überbetrieb­liche Plattform im Personalsektor insbesondere auch für KMU geschaffen. Tendenziell können durch Wirtschaftspolitische Zukunftsstrategien  |

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effiziente Kooperationen Preisvorteile erreicht, Kostennachteile abgebaut oder Fühlungsvorteile genutzt werden. –– Die Exportquote der Thüringer Wirtschaft liegt bis heute unter dem Bundesdurchschnitt. Die Exportquoten in West und Ost sind zwar generell gestiegen, klaffen aber immer noch rund 10 Prozent-Punkte auseinander.195 Es gilt deshalb, die Exportintensität der Industrie und des produktionsorientierten Dienstleistungssektors im Freistaat zu steigern. Eine Verstärkung der Präsenz auf den Außenmärkten stößt aber erfahrungsgemäß gerade bei mittelständischen Betrieben auf Schwierigkeiten. Diese verfügen in vielen Fällen nicht über alle Mög­lichkeiten, die notwendig sind, um international verstärkt Fuß zu fassen. Landesregierung, LEG, TAB und Kammern können hier bei den Bemühungen der exportorientierten Firmen um den Auf- und Ausbau ihrer Präsenz auf den Außenmärkten Hilfestellung leisten. Dazu gehören Fördermög­ lichkeiten zur Teilnahme an internationalen Messen und Ausstellungen, Anbahnung von Geschäftskontakten mit ausländischen Partnern insbesondere über die Außenhandelskammern oder über bereits bestehende Geschäftsbeziehungen, die Vermittlung von Kooperationsmög­lichkeiten mit Partnern im Auslandsgeschäft oder Beratungsangebote für internationale Geschäftsbeziehungen. In diesem Bereich sind bereits zahlreiche Aktivitäten in Thüringen entwickelt worden. Ansatzpunkte für ihren Ausbau wären zu prüfen. –– Die wohl größten Herausforderungen für die gewerb­liche Wirtschaft ebenso wie für die Strukturpolitik in Thüringen stellen sich im Bereich Technologie, Forschung und Innovation. Hier liegt der Schlüssel für eine erfolgreiche wirtschaft­liche Fortentwicklung des Freistaats in den kommenden Jahren. Es stimmt zuversicht­lich, dass die anteiligen FuE-­ Aufwendungen der Thüringer Wirtschaft schon das entsprechende Niveau in einigen west­lichen Bundesländern erreicht haben. Der sich weiter beschleunigende technolo­gische Fortschritt erlaubt aber keine Atempause bei den heimischen Anstrengungen in diesem Schlüsselsektor. Neben den unternehmenseigenen technolo­gischen Entwicklungsaktivitäten bietet sich hier eine Reihe von überbetrieb­lichen Ansatzpunkten auch für die Landespolitik. Gemäß dem amerikanischen Modell des „Networking“ geht es dabei vor allem um das Ziel, über lose Kontakte Gemeinsamkeiten 195 Vgl. Tabellen 29 und 30, in: Walter/Meißner/Schreiber: Brücken in die Zukunft, S. XX.

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auszuloten und diese in innovative Produkte, Produktionsverfahren und Dienstleistungen umzusetzen. Ein Schwerpunkt für die weitere technolo­ gische Entwicklung im Lande sind dabei die Thüringer Cluster.196 Cluster operieren zwar nicht selten aus sich selbst heraus durch Eigeninitiative ihrer Mitglieder, doch kann es bei Bedarf auch hilfreich sein, flankierende organisatorische oder logistische Unterstützung von außen zu bieten. Die LEG hat sich beispielsweise im Bereich der Solarenergie frühzeitig als treibende Kraft entsprechend eingeschaltet. Inzwischen wurde bei dieser Gesellschaft im Auftrag des Thüringer Wirtschaftsministeriums ein eigenständiges Clustermanagement aufgebaut, das in Zusammenarbeit mit der TAB eine ganze Palette von Informations-, Beratungs- und Fördermög­lichkeiten auf diesem Gebiet bereithält. Im Übrigen können Clusterbildungen gerade im Technologiebereich geeignet sein, ähn­lich wie Ballungsräume eine eigenständige Sogwirkung auf die weitere Ansiedlung von branchennahen Betrieben auszuüben. –– Über die Clusterbildung hinaus wäre zu prüfen, ob und inwieweit im Rahmen der bestehenden Wirtschaftsförderprogramme die innovationsorientierten Finanzierungshilfen gegenüber der reinen Investitionsförderung noch intensiviert werden können, vor allem für KMU. Weitere Ansatzpunkte auf dem Gebiet der Technologie und Innovation sind die Verstärkung bestehender Kooperationsansätze zwischen Hochschulen und Wirtschaft einschließ­lich wechselseitigem Austausch von Mitarbeitern, ferner die Bereitstellung von überbetrieb­licher Infrastruktur zur Nutzung für Forschungsarbeiten von Unternehmen oder das Vorhalten von Gelände und Räum­lichkeiten für technologieorientierte KMU und Existenzgründer. Schließ­lich sollte man auch die Fortentwicklung der bereits durch die THA evaluierten und ausgegliederten betrieb­lichen Forschungseinrichtungen ehemaliger DDR-Kombinate im Auge behalten. In Thüringen sind dies beispielsweise das Hermsdorfer Institut für Technische Keramik e. V. (HITK) in Hermsdorf und das Thürin­gische Institut für Textil- und Kunststoff-Forschung e. V. (TITK) in Rudolstadt-Schwarza. Für beide Forschungsstätten konnten nach der Privatisierung geeignete Räum­lichkeiten auf Altindustriestandorten durch die LEG bereitgestellt werden. Beide Institute haben sich inzwischen auch international ein beacht­liches Ansehen in Fachkreisen erworben. Auch die bereits beschriebene Gesellschaft für Fertigungstechnik und 196 Zur Darstellung der Cluster in Thüringen siehe Anlage 5 im Anhang. Wirtschaftspolitische Zukunftsstrategien  |

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Entwicklung Schmalkalden e. V. ist hier als wichtiges Beispiel für erfolgreiche außeruniversitäre Forschungs- und Entwicklungsarbeit mit aufzuführen. Die neuen Länder müssen jedenfalls weitere Anstrengungen unternehmen, um rechtzeitig technolo­gische Entwicklungstrends und Marktchancen zu erkennen und deren Nutzungsmög­lichkeiten zu fördern. Um den technischen Fortschritt in den Unternehmen zu steigern, neue Produkte zu entwickeln und weitere Absatzmärkte zu erschließen, bedarf es grundsätz­lich auch einer engen Zusammenarbeit von Wirtschaft, Hochschulen und außeruniversitären Forschungs- und Entwicklungszentren. Die genannten Aktivitäten der STIFT können dazu bereits wertvolle Ansatzpunkte bieten.197 –– Schließ­lich stellt sich in Thüringen nach wie vor die Aufgabe, die latent unterdurchschnitt­liche Arbeitsproduktivität der Wirtschaft dem Bundesdurchschnitt anzunähern, ein Rückstand, mit dem sich auch die übrigen neuen Länder auseinandersetzen müssen. Bisher jedenfalls ist es nicht gelungen, das „‚West/Ostproduktivitätsproblem‘, das alle ostdeutschen Regionen durchzieht“198, zu lösen Die Wirtschaftspolitik des Freistaates Thüringen sollte deshalb auch künftig alle Bemühungen zur Steigerung der Arbeitsproduktivität unterstützen. Um Missverständnissen vorzubeugen, ist zu betonen, dass diese Forderung nicht den Arbeitseifer der Mitarbeiter anspricht, sondern die Maßzahl: BIP real/Arbeitsvolumen. Im Falle einer produktivitätsorientierten Lohnpolitik wäre die Produktivitätsquote der richtige Maßstab für das Lohnniveau, bei vereinigungsbedingten, d. h. nicht primär ökonomisch motivierten höheren Löhnen müsste der Staat gegebenenfalls Lohnkostenzuschüsse gewähren, um Arbeitsplatzverluste zu vermeiden. Zur weiteren Steigerung der Arbeitsproduktivität bieten sich insbesondere Produkt- und Prozessinnovationen, Verbesserung der Arbeitsorganisation (Verfahren, Abläufe), Erreichen optimaler Betriebsgrößen und Produktionsvolumina sowie Rationalisierungsmaßnahmen (Outsourcing) an. Entgegen allen Forderungen aus der EU sollten Wirtschaft und Politik in der Bundesrepublik nicht nachlassen, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft durch Senkung der Lohn-Stück-Kosten und durch Entwicklung neuer und hochwertiger Produkte weiter zu verbessern. Eine exportstarke

197 Vgl. den Punkt Stiftung für Technologie, Innovation und Forschung. 198 Paqué: Gewachsen aber gefährdet, S. 14.

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deutsche Wirtschaft wird in wachsendem Maße aus den Euro- und den übrigen EU-Ländern importieren und somit auch deren Wohlstand steigern. Um errungene Erfolge nicht zu gefährden, müssen von den Unternehmen alle notwendigen Maßnahmen umgehend eingeleitet werden. Die dafür benötigten Ressourcen stehen im Rahmen des Solidarpaktes II noch bis 2019 zur Verfügung. 25 Jahre nach der Wiedervereinigung steht fest, dass die Transformation der sozialistischen Planwirtschaft zur Sozialen Marktwirtschaft gelungen und die Gefahr einer De-Industrialisierung der neuen Länder gebannt ist. In Thüringen haben die THA, die BvS und die Wirtschaftsförderung des Freistaats einen wirtschaft­lichen Neuaufbau geschafft, der Thüringen mit an die Spitze der neuen Länder geführt hat. Es darf jedoch nicht übersehen werden, dass Erfolg und Gefahren in den neuen Ländern nah beieinander liegen. Insbesondere macht es Sorgen, dass sich die stetige Aufwärtsentwicklung, die in den 1990er Jahren und noch bis 2010 erreicht worden ist, in jüngster Zeit nicht mehr fortgesetzt hat und einer gewissen Stagnation gewichen ist. Es ist bisher nicht gelungen, den Aufholprozess nachhaltig wiederzubeleben und das zentrale Ziel der ostdeutschen Bevölkerung, ihre Realeinkommen und Lebensbedingungen endgültig an das Niveau in den alten Bundesländern heranzuführen, vollständig zu erreichen. Hier gibt es noch Nachholbedarf. Deshalb muss die Strukturpolitik eine Daueraufgabe dieser Länder werden. Aus Vergangenem kann und sollte man lernen, verändern lässt es sich aber nicht mehr. Gegenwart und Zukunft sind es dagegen, die uns hier und jetzt herausfordern und die es zu gestalten gilt. Carpe diem!

Wirtschaftspolitische Zukunftsstrategien  |

243

Anlagen

Anlage 1: 12-Punkte-Erklärung der Bundesregierung und der Regierung der DDR zur Währungsumstellung, 2. Mai 1990199 1. Es ist vorgesehen, die Währungsumstellung nach Inkrafttreten des Staatsvertrages zum 2. Juli vorzunehmen. 2. Löhne, Gehälter, Stipendien, Mieten, Pachten und Renten sowie andere Versorgungszahlungen (z. B. Unterhaltszahlungen) werden im Verhältnis 1:1 umgestellt. Bei Löhnen und Gehältern werden die Bruttobeträge vom 1. Mai 1990 zugrundegelegt. 3. Das Rentensystem in der DDR wird dem Rentensystem der Bundesrepublik Deutschland angepaßt. Das bedeutet, daß die meisten Renten in D-Mark höher liegen werden als heute in Mark der DDR. Sofern sich in Einzelfällen ein niedrigerer Betrag gegenüber der bisherigen Rente in Mark der DDR ergibt, wird sichergestellt, daß der bisherige Rentenbetrag in D-Mark gezahlt wird. 4. Durch in der Deutschen Demokratischen Republik zu schaffende recht­ liche Regelungen werden sich insbesondere für Bezieher niedriger Renten und für Studenten ergebende soziale Härten ausgeg­lichen. Die DDR wird dies im Rahmen ihrer finanziellen Eigenverantwortung und unter Betrachtung der gesamten Finanzlage regeln. 5. Sonstige Forderungen und Verbind­lichkeiten werden grundsätz­lich im Verhältnis 2:1 umgestellt. 6. Personen mit ständigem Wohnsitz in der Deutschen Demokratischen Republik können im Verhältnis 1:1 folgende Beträge pro Kopf (Bargeld und Bankguthaben) tauschen: –– Kinder bis zum vollendeten 14. Lebensjahr 2000 Mark, –– Personen im Alter von 15 bis zum vollendeten 59. Lebensjahr 4000 Mark, –– Personen ab dem 60. Lebensjahr 6000 Mark.

199 Zitiert nach Dieter Grosser: Das Wagnis der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion. Politische Zwänge im Konflikt mit ökonomischen Regeln (Geschichte der deutschen Einheit 2). Stuttgart 1998, S. 288 f. Anlagen |

245

Darüber hinausgehende Beträge werden 2:1 umgestellt, vorbehalt­lich Ziffer 9. Nach einer Bestandsaufnahme des volkseigenen Vermögens und seiner Ertragsfähigkeit sowie nach seiner vorrangigen Nutzung für die Strukturanpassung der volkseigenen Unternehmen und für die Sanierung des Staatshaushalts wird die Deutsche Demokratische Republik nach Mög­ lichkeit vorsehen, daß den Sparern zu einem späteren Zeitpunkt für den bei der Umstellung 2:1 reduzierten Betrag ein verbrieftes Anteilsrecht am volkseigenen Vermögen eingeräumt werden kann. 7. Guthaben von natür­lichen und juristischen Personen, deren ständiger Wohnsitz oder Sitz sich außerhalb der Deutschen Demokratischen Republik befinden, werden 3:1 umgestellt, soweit die Guthaben nach dem 31. Dezember 1989 entstanden sind. 8. Der Umtausch ist nur mög­lich über Konten bei Geldinstituten in der Deutschen Demokratischen Republik, auf die auch die umzustellenden Bargeldbeträge einzuzahlen sind. 9. Es werden geeignete Vorkehrungen getroffen, um Umgehungen und Mißbräuche zu unterbinden (…) 10. Der seit dem 1. Januar 1990 geltende Umtauschkurs von D-Mark in Mark der DDR von 1:3 beträgt ab sofort 1:2. 11. Die Bedingungen der Währungsumstellung sind vereinbart. In den folgenden Gesprächen werden weitere Einzelheiten des beabsichtigten Staatsvertrages geklärt. 12. Verpf­lichtungen der DDR gegenüber anderen Staaten genießen Vertrauensschutz.

246

| Anlagen

Anlage 2: Tabellen des IWH 200

Dienstleistungsunter­ nehmen (ohne Wohnungsvermietung)

Handel, Verkehr

Baugewerbe

Verarbeitendes Gewerbe

Energie/Bergbau

Land- und Forstwirtschaft

Unternehmen (ohne Wohnungsvermietung)

Jahr

Arbeitsproduktivität im Ost-West-Vergleich – Westdeutschland = 100 –

1991

30,7

43,6

42,8

19,4

48,9

35,1

45,2

1992

43,0

67,3

47,8

31,4

61,9

44,8

50,7

1993

51,9

81,8

64,7

43,2

67,8

53,2

54,3

1994

55,1

72,6

66,9

50,4

76,4

56,1

54,3

1995

57,0

73,4

68,9

55,1

76,6

59,0

55,1

1996

58,3

69,3

88,1

57,6

77,6

60,4

55,5

1997

59,1

66,5

92,6

62,2

76,8

61,0

56,4

200 Quelle: Tabellen 3 – 1 und 3 – 2 bei Joachim Ragnitz/Ingrid Haschke/Gerald Müller/Jacqueline Rothfels/Udo Ludwig: Transfers, Exportleistungen und Produktivität. Wirtschaft­liche Strukturdaten für die neuen Länder. Hg. vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle. Sonderheft 2/1998. Halle 1998, S. 43 und 45. Anlagen |

247

Ausrüstungsbestand je Erwerbstätigen, Ostdeutschland im Verhältnis zu Westdeutschland – Westdeutschland = 100 – 1992 (Jahres­ anfang)

1995 (Jahres­ anfang)

Unternehmen (ohne Wohnungs­ vermietung) zusammen

0,363

0,557

0,628

Land- und Forstwirtschaft, Fischerei

0,206

0,266

0,242

Produzierendes Gewerbe Energie- und Wasserversorgung, Bergbau Verarbeitendes Gewerbe Baugewerbe

0,418

0,627

0,671

0,359 0,425 0,430

0,693 0,803 0,514

0,838 0,897 0,526

Handel und Verkehr Handel Verkehr, Nachrichtenübermittlung

0,505 0,335 0,429

0,918 0,568 0,865

1,132 0,629 1,147

0,151

0,218

0,273

0,203

0,491

0,563

0,142

0,197

0,250

Dienstleistungsunternehmen (ohne Wohnungsvermietung) Kreditinstitute, Versicherungs­ unternehmen Sonstige Dienstleistungs­ unternehmen

248

1994 (Jahresanfang)

Staat, private Haushalte und Orga­ nisationen ohne Erwerbszweck Staat Private Haushalte und Organisa­ tionen ohne Erwerbszweck

0,279

0,569

0,672

0,290

0,601

0,714

0,100

0,211

0,270

Alle Wirtschaftsbereiche

0,340

0,533

0,609

| Anlagen

Anlage 3: Tabellen des IWH 201 Transferleistungen für Ostdeutschland 2001 bis 2003 – in Mrd. Euro – 2001

2002

2003

Quelle

Investitionsförderung (gewerbliche Wirtschaft)

1,94

1,73

1,54 BMF

Zinszuschüsse Mittelstands­förderung

0,29

0,28

0,33 BMF

Absatzförderung

0,01

0,01

0,01 BMF

Wissenschaftsausgaben lt. BMBF

2,35

2,35

2,34 BMBF

Verkehrsinfrastruktur­investitionen

3,9

3,9

3,9

Städtebauförderung

0,29

0,29

0,29 BMF

1,55

1,36

1,35 BMF

Bund Wirtschafts- und Technologieförderung

Infrastrukturinvestitionen

Wohnungsbau

BMVBW; eigene Schätzung

Altlastensanierung

0,68

0,67

0,67 BMF

Kulturinvestitionen

0,04

0,04

0,03 BMF

Sonstige Infrastruktur­investitionen

0,87

0,83

4,24 BMF

IfG Aufbau Ost

3,29

0

0

BMF

Personalaltlasten Reichsbahn

0,52

0,26

0

BMF

Wohngeld

0,47

0,5

0,62 BMVBW; eigene Schätzung

Erziehungsgeld

0,49

0,49

0,48 BMF, Statistisches Bundesamt; eigene Schätzung

Arbeitslosenhilfe und Arbeitsmarktpolitik (Bundesleistungen)

7,03

7,25

8,25 Bundesagentur für Arbeit; eigene Schätzung

Sozialleistungen

201 Quelle: Tabelle 1 und 2 bei Harald Lehmann/Udo Ludwig/Joachim Ragnitz: Transferleistungen und Bruttoinlandsprodukt in Ostdeutschland. Hg. vom Institut für Wirtschaftsforschung. Halle 2005 (http://www.iwh-halle.de/d/ publik/presse/20 – 05L.pdf ), S. 8 f. Anlagen |

249

2001

2002

1,93

5,62

12,56

13,38

BAFÖG

0,3

0,34

0,35 BMBF, BMF, Statistisches Bundesamt

Kriegsopferversorgung und -fürsorge

0,72

0,67

0,63 eigene Schätzung

SoBEZ

7,16

10,53

10,53 BMF

Fehlbetrags-BEZ u. Ä.

1,93

1,88

1,86 BMF; eigene Schätzung

Personalausgaben

6,11

6,14

6,18

Sonstige Finanzhilfen

0,02

0,02

0,02 BMF

12,31

13,49

13,58 VDR

Bundeszuschuss zur Arbeitslosenversicherung Leistungen des Bundes an die Rentenversicherung

2003

Quelle

6,22 Bundesagentur für Arbeit 14,12

VDR

Ungebundene Transfers an Länder­ haushalte

Sonstige Bundesleistungen BMF, Statistisches Bundesamt, eigene Schätzung

Sozialversicherungen Finanzausgleich und Defizitausgleich in der Rentenversicherung Finanzausgleich in der Krankenversicherung Finanzausgleich in der Arbeits­ losenversicherung

2

2,39

3,01 BMGS

15,68

11,36

8,4

10,01

9,76

9,63 BMF; eigene Schätzung 3,83 BMF

Bundesagentur für Arbeit; eigene Schätzung

Länder (West) Umsatzsteuervorwegausgleich

250

LFA im engeren Sinne

4,14

4,21

Steuerverteilung Est, KSt

1

0,94

1,24 AK Steuerschätzung

Investitionsförderung (gewerb­liche Wirtschaft)

0,15

0,14

0,15

| Anlagen

BMF; eigene Schätzung

2001

2002

2003

Quelle

32,62

32,56

32,5

BMF; eigene Schätzung

1,3

1,46

Einnahmen (Bundesanteil) Bundes- und Gemeinschaftssteuern (ohne KSt und GewStUmlage) KsT und GewStUmlage

1,77

BMF; eigene Schätzung

Nettotransfers Bund

20,48

24,51 29,69

Länder (West)

15,3

15,06

Sozialversicherungen

30

27,24 24,99

14,85

Zusammen

65,78 66,8

Bruttotransfers

99,7

69,54

100,8 103,8

Nachrichtlich: in % der Bruttotransfers Wirtschaftsförderung

7,8

7,5

7,2

Infrastrukturausbau

10,6

7

10,1

Sozialleistungen

54,2

55,3

53,6

Ungebundene Leistungen

24,3

27,1

26,1

Sonstiges Zusammen

6,1

6,1

100

100

6 100

Summe

Berlin-Ost

Sachsen

Thüringen

Mecklenburg­Vorpommern

Sachsen-Anhalt

Brandenburg

Jahr

Regionale Aufteilung der Nettotransfers (nach Einwohnerzahl) – in Mrd. Euro –

2001

11,34

11,35

7,72

10,58

19,24

5,55

65,78

2002

11,56

11,47

7,83

10,74

19,52

5,68

66,80

2003

12,07

11,88

8,15

11,17

20,31

5,96

69,53

Anlagen |

251

Anlage 4: Entwicklung der Arbeitslosigkeit in Thüringen 202 Jahr

Arbeitslose

Arbeitslosenquote alle zivilen Erwerbspersonen in %

1991

147.963



1992

192.748



1993

192.939



1994

190.405

15,6

1995

172.149

14,1

1996

191.013

14,9

1997

217.675

17,8

1998

209.275

17,1

1999

189.436

15,4

2000

193.663

15,4

2001

194.131

15,3

2002

201.157

15,9

2003

210.664

16,7

2004

207.430

16,7

2005

209.942

17,1

2006

188.453

15,6

2007

158.488

13,1

2008

134.882

11,2

2009

136.016

11,4

2010

117.056

9,8

2011

104.159

8,8

2012

99.316

8,5

2013

95.858

8,2

202 Jahresdurchschnittswerte, Datenstand Januar 2014, Thüringer Landesamt für Statistik, Quelle: http://www.erfurt.ihk.de/linkableblob/efihk24/produktmarken/standortpolitik/downloads/2526878/.4./data/Arbeitsmarkt-data.pdf (Abruf: 7. Juli 2014).

252

| Anlagen

Anlage 5: Cluster in Thüringen 203 Netzwerk „automotive thüringen e. V.“ –– Wachstumsfeld Automobil –– Gegründet 2000 –– 113 Mitglieder, darunter 5 Forschungseinrichtungen Netzwerk „medways e. V.“ –– Wachstumsfeld Life Sciences – Biotechnologie und Medizintechnik –– Gegründet 1999 –– 67 Mitglieder, darunter 8 Forschungseinrichtungen Netzwerk „Solarinput e. V.“ –– Wachstumsfeld Umweltfreund­liche Energien und Energiespeicherung –– Gegründet 2003 –– 64 Mitglieder, darunter 11 Forschungseinrichtungen Netzwerk „FerMet – Cluster für Fertigungstechnik und Metallbearbeitung in Thüringen“ –– Wachstumsfeld Maschinenbau –– Gegründet 2009 –– 17 Mitglieder, darunter 1 Forschungseinrichtung Netzwerk „PolymerMat e. V. – Kunststoffcluster Thüringen“ –– Wachstumsfeld Kunststoffe und Keramik –– Gegründet 1999 als „Innovative Region Ilm-Saaletal“ und 2004 Umstrukturierung –– 50 Mitglieder, darunter 5 Forschungseinrichtungen

203 Vgl. hierzu LEG Thüringen mbH: Synergien schaffen. Netzwerke nutzen. Cluster in Thüringen. Organisationsstrukturen und Aktivitäten in den strate­gischen Wachstumsfeldern und Branchen. Erfurt 2013 sowie Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Technologie: Thüringer Cluster-Management (ThCM) Ziele, Strukturen und Arbeitsschwerpunkte. Erfurt 2012 (http://www.cluster-thueringen.de/service/downloads/dokument/01-clusterbroschuere/, Abruf: 12. Mai 2014). Anlagen |

253

Netzwerk „MNT Mikro-Nanotechnologie Thüringen e. V.“ –– Wachstumsfeld Mikro- und Nanotechnik –– Gegründet 2001 –– 45 Mitglieder, darunter 16 Forschungseinrichtungen Netzwerk „Elektronische Mess- und Gerätetechnik (ELMUG) eG“ –– Wachstumsfeld Mess-, Steuer- und Regeltechnik –– Gegründet 2007 –– 25 Mitglieder, darunter 3 Forschungseinrichtungen Netzwerk „OptNet e. V.“ –– Wachstumsfeld Optik und Optoelektronik –– Gegründet 1999 –– 96 Mitglieder, darunter 10 Forschungseinrichtungen Netzwerk „Thüringer Ernährungsnetzwerk e. V. – TH-ERN“ –– Wachstumsfeld Ernährungswirtschaft –– Gegründet 2011 –– 16 Mitglieder, darunter 2 Forschungseinrichtungen –– Netzwerk „Logistik Netzwerk Thüringen e. V.“ –– Wachstumsfeld Logistik –– Gegründet 2008 –– 38 Mitglieder, darunter 2 Forschungseinrichtungen Netzwerke in Querschnittstechnologien, wachstumsfeldübergreifenden Sonderprojekten, Verbünde und Plattformen –– Bioenergie Verbund Thüringen e. V. –– Erdwärme Thüringen e. V. –– EnergieEffizienz-Netzwerk Thüringen (ENT) –– GECO e. V. – Fachvereinigung für effiziente Lösungen und Strategien zu Geruch und Korrosion in Kommune, Gewerbe und Industrie –– HzweiO-Net –– Material innovativ Thüringen (MiT) –– PolymerTherm –– Protonetz – Netzwerk der Thüringer Prototyper –– SmartTex-Netzwerk –– Solarvally Mitteldeutschland e. V. –– SpectroNet – Kompetenznetzwerke für Green Vision & Spectral Imaging –– Thüringer AG Biomaterial e. V. (TAGB) 254

| Anlagen

–– –– –– –– ––

Thüringer Erneuerbare-Energien-Netzwerk (THEEN) Towerbyte eG UFT Umweltinstitut für Forschung und Technologie in Thüringen e. V. ZIM NEMO Netzwerk „Thermie“ Wachstumsfelder GreenTech und Service-Robotik

Darüber hinaus entfaltet die LEG Thüringen mbH eine Reihen von Aktivitäten zur Etablierung von Anwenderzentren wie beispielsweise bei –– dem „Zentrum für Thüringer Maschinenbau“ –– dem „ThIMo – Thüringer Innovationszentrum Mobilität“ –– dem „Center for Energy and Environmental Chemistry Jena“ (CEEC Jena)

Anlagen |

255

Anlage 6: Betriebs- und Beschäftigtendichte in der Industrie 2012 und 2013 nach Kreisen 204 Kreisfreie Stadt Landkreis Land

Betriebe je 100.000 Einwohner 1) 2012

2013

Beschäftigte je 1.000 Einwohner 1) 2012

2013

Stadt Erfurt

39,5

38,3

33,5

32,2

Stadt Gera

42,9

43,1

36,0

36,1

Stadt Jena

75,3

73,2

78,1

78,1

Stadt Suhl

74,4

80,9

54,7

59,3

Stadt Weimar

36,5

33,3

29,7

28,2

Stadt Eisenach

45,5

52,8

133,2

140,9

103,2

101,8

86,7

83,8

66,1

67,8

66,0

69,2

Wartburgkreis

116,0

116,0

114,2

109,1

Unstrut-Hainich-Kreis

76,9

82,2

59,5

61,5

Kyffhäuserkreis

55,6

57,6

52,9

54,2

Schmalkalden-Meiningen

117,0

120,1

93,7

94,5

Gotha

85,5

85,1

92,1

94,2

Sömmerda

78,5

86,1

79,9

90,3

109,3

115,0

90,2

93,4

Eichsfeld Nordhausen

Hildburghausen Ilm-Kreis

111,1

111,8

109,6

108,3

Weimarer Land

68,1

70,9

53,6

54,3

Sonneberg

147,9

147,7

120,8

127,1

Saalfeld-Rudolstadt

98,3

97,4

87,5

87,7

Saale-Holzland-Kreis

114,0

112,8

78,7

77,2

Saale-Orla-Kreis

115,5

116,6

126,6

129,3

Greiz

85,7

89,6

60,7

63,7

Altenburger Land

78,7

80,7

73,7

73,9

Thüringen

84,1

85,2

77,0

77,8

1) Bevölkerungsstand: 30.06. des jeweiligen Jahres – Bevölkerungsfortschreibung auf der Grundlage des Zensus 2011

204 Quelle: Thüringer Landesamt für Statistik: Pressemitteilung 213/2014 vom 6. August 2014 (http://www.tls.thueringen.de/presse/2014/pr_213_14.pdf, Abruf: 2. Oktober 2014).

256

| Anlagen

Anlage 7: Entwicklung der Anzahl der Beschäftigten 205 Beschäftigte (BVG) im Monatsdurchschnitt nach Ländern  Länder Deutschland

2008

2009

2010

2011

2012

Baden-Württemberg

1.225.514

1.159.070

1.549.981

1.192.238

1.209.241

1.186.803

1.137.025

1.138.089

1.175.942

1.196.572

Berlin

89.305

87.836

89.957

93.118

92.836

Brandenburg

90.888

90.271

91.479

98.592

99.135

Bremen

53.175

50.643

49.044

50.310

51.636

Hamburg

85.118

82.782

81.089

83.058

83.766

405.927

384.584

385.330

399.502

400.144

MecklenburgVorpommern

58.099

55.707

56.205

57.055

57.292

Niedersachsen

510.019

491.024

490.154

501.023

515.952

1.259.689

1.193.056

1.170.672

1.199.644

1.218.009

283.947

275.119

275.006

283.362

286.779

Bayern

Hessen

Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz Saarland

97.962

91.620

90.861

95.137

92.974

Sachsen

248.003

234.986

240.194

255.397

261.527

Sachsen-Anhalt

124.929

124.188

126.747

130.241

130.578

Schleswig-Holstein

127.238

121.954

118.762

121.003

121.500

Thüringen

159.352

154.234

157.043

165.528

167.446

6.005.968

5.734.108

5.715.613

5.901.150

5.985.387

770.576

747.231

761.625

799.931

808.814

5.235.392 4.986.877 4.953.988

5.101.219

5.176.573

Deutschland NBL einsch. Berlin Alte Bundesländer

205 Quelle: Tabelle bei Ulrike Lenk: Die Entwicklung der Betriebs- und Beschäftigtendichte im Bergbau und Verarbeitenden Gewerbe Thüringens von 2008 bis 2012 im deutschlandweiten Vergleich, in: Aufsätze aus den Monatsheften – Januar 2014, Thüringer Landesamt für Statistik, S. 5. (http://www.statistik. thueringen.de/analysen/Aufsatz-01b-2014.pdf, Abruf: 2. Oktober 2014). Anlagen |

257

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259

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260

| Literaturverzeichnis

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Literaturverzeichnis |

261

Abkürzungsverzeichnis BIP

Bruttoinlandsprodukt

BvS

Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben

BVVG

Bodenverwertungs- und -verwaltungsgesellschaft

EFRE

Europäischer Fonds für Regionale Entwicklung

ESF

Europäischer Sozialfonds

FuE

Forschung und Entwicklung

GPH

Gesellschaft zur Privatisierung des Handels

GRW

Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“

GVV

Gesellschaft zur Verwahrung und Verwertung von stillgelegten Bergwerksbetrieben mbH

KMU

Kleine und mittlere Unternehmen

LEG

Landesentwicklungsgesellschaft Thüringen

MBI

Management-Buy-In

MBO

Management-Buy-Out

MdK

Mitteldeutsche Kali AG

PGH

Produktionsgenossenschaften des Handwerks

RGW

Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe

STIFT

Stiftung für Technologie, Innovation und Forschung Thüringen

TAB

Thüringer Aufbaubank

THA

Treuhandanstalt

TLG

Treuhand-Liegenschaftsgesellschaft

VEB

Volkseigener Betrieb

WGT

Westgruppe GUS-Truppe

Abkürzungsverzeichnis |

263

HANS-GERT PÖTTERING (HG.)

POLITIK IST DIENST FESTSCHRIFT FÜR BERNHARD VOGEL ZUM 80. GEBURTSTAG ZUSAMMENGESTELLT UND BEARBEITET VON MICHAEL BORCHARD UND HANNS JÜRGEN KÜSTERS

Immer wieder hat Bernhard Vogel sich in die Pflicht nehmen lassen. Jeden Dienst, zu dem er sich verpflichten ließ, hat er in außerordentlichem Maß erfüllt. »Politik ist Dienst« gilt für Bernhard Vogel in besonders treffender Weise. Politik ist für ihn Dienst – Dienst für die Menschen, Dienst für das Gemeinwohl, Dienst aus Überzeugung für das Wohl der Menschen. In Reden hat Bernhard Vogel gerne und häufig Zitate verwandt, die – zusammen mit seinen eigenen Bonmots – Ausgangspunkt der Beiträge von über fünfzig Autoren dieser Festschrift sind. Jeder Beitragende hat zu einem ausgesuchten Zitat seine Gedanken zu Papier gebracht und damit einen persönlichen Bezug zum Jubilar hergestellt. Mit Beiträgen von Angela Merkel, Norbert Lammert, Uwe Tellkamp, Klaus Naumann, Roman Herzog, Kurt Biedenkopf, Rita Süssmuth u. a. 2012. 320 S. GB. MIT SU. 155 X 230 MM | ISBN 978-3-412-21087-8

böhlau verlag, ursulaplatz 1, d-50668 köln, t: + 49 221 913 90-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar