Theorieelemente des internationalen Menschenrechtsschutzes: Das Beispiel der Präambel des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte [1 ed.] 9783428502585, 9783428102587

Der Autor der vorliegenden Arbeit entwickelt anhand des Menschenrechtsprogramms aus der Präambel des Internationalen Pak

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Theorieelemente des internationalen Menschenrechtsschutzes: Das Beispiel der Präambel des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte [1 ed.]
 9783428502585, 9783428102587

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MARKUS KOlZUR

Theorieelemente des internationalen Menschenrechtsschutzes

Schriften zum Völkerrecht

Band 143

Theorieelemente des internationalen Menschenrechtsschutzes Das Beispiel der Präambel des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte

Von Markus Kotzur

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Kotzur, Markus: Theorieelemente des internationalen Menschenrechtsschutzes : das Beispiel der Präambel des internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte I von Markus Kotzur.- Berlin: Duncker und Humblot, 2001 (Schriften zum Volkerrecht; Bd. 143) Zugl.: Bayreuth, Univ., Diss., 2000 ISBN 3-428-10258-4

Alle Rechte vorbehalten

© 2001 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0251 ISBN 3-428-10258-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 8

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 1999/2000 von der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth als Dissertation angenommen. Ebenso großer wie herzlicher Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Universitätsprofessor Dr. Dr. h.c. mult. Peter Häberle, Bayreuth/St. Gallen, der als akademischer Lehrer und wissenschaftlicher Mentor diese Arbeit zunächst angeregt, sodann mit außerordentlicher persönlicher Unterstützung, weiterfilhrenden Hinweisen und konstruktiver Kritik begleitet hat. Darüber hinaus war mir die wissenschaftliche Diskussion in seinem ständigen, bewußt in der Tradition von Rudolf Smend und Konrad Hesse gefllhrten, Bayreuther Seminar unverzichtbare Hilfestellung bei der Erstellung dieser Arbeit. Besonders erwähnt sei der inspirierende Gedankenaustausch mit ausländischen Gastwissenschaftlern im Rahmen der von Professor Häberle 1998 gegründeten und seither von ihm geleiteten "Forschungsstelle fl1r Europäisches Verfassungsrecht" an der Universität Bayreuth. Dankbar bin ich meinem Doktorvater auch fl1r seine Ermutigung und Hilfe, die mir im Jahre 1993/94 einen einjährigen Studienaufenthalt im Rahmen eines LL.M.-Programms an der Duke University (Durham, North Carolina) ermöglicht haben. Die vergleichenden BezUge auf die USamerikanische Verfassungs- und Völkerrechtslehre wären ohne diese Erfahrung und die nachhaltigen Anregungen meiner dortigen Lehrer nicht möglich gewesen. Großen Dank schulde ich auch Herrn Universitätsprofessor Dr. Rudolf Streinz fUr seinen vielfllltigen Rat und die ungemein schnelle Erstellung des Zweitgutachtens. Im November 2000 wurde vorliegende Arbeit mit einem Promotionspreis der Stadt Bayreuth ausgezeichnet. Für diese Anerkennung sei an dieser Stelle ebenfalls meine große Dankbarkeit ausgesprochen. Schließlich danke ich allen Freunden und Kollegen fl1r Verständnis, Kritik und Unterstützung von den ersten Gesprächen bis hin zur Erstellung der Druckformatvorlage. Bayreuth, im Februar 2000

Markus Kotzur

Inhaltsverzeichnis Einleitung Menschenrechtstheorien und Menschenrechtsinterpretation A.

Der Zusammenhang von Menschenrechtstheorien und Menschenrechtsinterpretation .................................................................................................... .

B.

Gang der Untersuchung, Ziel der Arbeit........................................................

3

Erster Teil Methodische Grundlagen zur Entwicklung von Theorieelementen des internationalen Menschenrechtsschutzes -

6

Der multidisziplinäre, kulturwissenschaftliche Ansatz ..................................

6

A.

I.

Die kulturwissenschaftliche Dimension in der Völkerrechtslehre ..........

6

II. Die Offenheit des Menschenrechtsbegriffs.............................................

12

III. Das multidisziplinäre Zusammenspiel der relevanten Forschungszugänge ......................................................................................................

15

I. 2. 3. 4. B.

C.

Die Notwendigkeit einer multidisziplinären Analyse....................... Eine Bestandsaufnahme möglicher Forschungszugänge................... Multidisziplinarität und Methodenpluralismus................................. Grenzen des multidisziplinären Ansatzes..........................................

15 19 21 23

Der textwissenschaftliche Ansatz...................................................................

25

I.

Die wachsende Bedeutung der Hermeneutik filr das Völkerrecht..........

25

II.

Voraussetzungen filr das Verstehen völkerrechtlicher Texte..................

27

III. Die Rezeption von Klassikertexten im Völkerrecht...............................

29

1. Der Klassikerbegriff...... ....... ...... ........... .. .............. .................. ......... . 2. Klassikertexte im Völkerrecht: Die Bedeutung von Art. 38 lit. d des IGH-Statuts ...................................... .................................... .... .. ....... 3. Rezeptionsmodelle............................................................................

29 30 31

IV. Grenzen des textwissenschaftlichen Ansatzes ... ... .... .. .... .. .. .. .. .. ... ....... .. ..

35

1. Das Spannungsverhältnis von Text und Wirklichkeit....................... 2. Das Problem der Mehrsprachigkeit völkerrechtlicher Verträge ........

35 36

Der wirklichkeits- bzw. erfahrungswissenschaftliche Ansatz ........................

37

Inhaltsverzeichnis

X

D.

E.

I.

Die Notwendigkeit einer wirklichkeitsnahen Analyse............................

37

II.

Die Menschenrechtswirklichkeit nach 1945 ...........................................

40

III. Die Wirklichkeit der Staatenwelt nach dem Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa nach 1989.........................................................

42

IV. Die Wirklichkeit der Staatenwelt im Zeitalter der Globalisierung .........

44

V. Grenzen des wirklichkeitswissenschaftlichen Ansatzes.........................

47

Der rechtsvergleichende Ansatz.....................................................................

47

I.

Ebenen einer rechtsvergleichenden Analyse ................................... .......

49

II.

Rechtsvergleich als Kulturvergleich. .. .. .. .... .. .... ......... .. .. .. ..... .. .. .. .......... ..

51

III. Rechtsvergleich als universelles Rechtsgespräch ...................................

54

Rezeption von Theorieelementen der je nationalen Staats- und Verfassungslehren.............................................................................................................

56

Zweiter Teil Erscheinungsbild, spezifische Strukturen und Funktionen von Prlambeltexten in völkerrechtlichen Vertrigen am Beispiel des IPbOrgR

59

A.

Der Text der Präambel....................................................................................

B.

Begriff, Struktur, Aufbau und Funktionen der Präambel...............................

60

I.

Herleitung und Entwicklung des Präambelbegriffs im Völkerrecht.......

60

II.

Die formale Gestaltung von Präambeltexten ... ............ .. .. ......... .. .... ...... ..

65

1. Der Zusammenhang von Form und Inhalt ........................................ 2. Die Abgrenzung der Präambel von anderen Einleitungspassagen zu Gesetzen und Verträgen .................................................................... a) Überschriften und Einleitungsformeln........................................ b) Verweis auf Gesetzgebungsmaterialien ... .. .... .. ....... .. .. .... .. .... .... .. c) Leitvorschriften .......................................................................... 3. Typusprägende Strukturelemente von Präambeln völkerrechtlicher Verträge............................................................................................ a) Titel und Überschrift................................................................... b) Die Anrufungsformel... .. .. .. .. .. .. .. .. ....... ....... ............. .... ... ...... ... .. .. c) Die Aufzählung der vertragschließenden Parteien...................... d) Der Hauptteil der Präambel ........................................................ e) Die Schlußformel........................................................................

65

59

68 69 69 70 71 71 72 76 77 77

III. Die sprachliche Gestaltung von Präambeltexten, die Funktion der Sprachebenen..........................................................................................

78

1. Die Alltags- oder Allgemeinsprache ..... .. ...... ... ... ........ .... .. ...... ... ....... a) Die Offenheit der Allgemeinsprache ..........................................

79 79

Inhaltsverzeichnis aa) Zur Idee der .,Ordinary Language Analysis"........................ bb) Die Konkretisierung offener Begriffe.................................. cc) Sprachliche Offenheit und die Prinzipienstruktur der Menschenrechte .. .... .... .. ... ... .. .. ..... ..... .. ..... ..... .. ..... .. .............. dd) Die Offenheit ftlr Rezeptionen............................................. b) Die völker- bzw. bürgernahe Sprache von Menschenrechtstexten, insbesondere deren Präambeln............................................. aa) Die typische Bürgerfeme völkerrechtlicher Regelungen...... bb) Das bürger- bzw. völkernahe Völkerrecht zum Schutze internationaler Menschenrechtsgarantien. .. .. .. ...... .. .. .. ... ......... . 2. Die Fachsprache................................................................................ a) Begriffliche Differenzierung....................................................... b) Verwendung und Funktion fachsprachlicher Elemente in völkerrechtlichen Präarnbeltexten: das Beispiel des IPbürgR.......... 3. Die Hochsprache und die Sprachformeln der Diplomatie................. a) Begriffund Funktion der Hochsprache in völkerrechtlichen Vertragspräambeln: das Beispiel des IPbürgR............................ aa) Die Selbstdarstellung der Staaten, die Präambel als Schauseite staatlicher Souveränität................................................ bb) Werthaltige Bekenntnisse, der Aspekt der Bürgerintegration b) Die Sprachformeln der Diplomatie ............................................. aa) .,In der Erkenntnis"............................................................... (1) Die Erkenntnisformel als verstärktes Bekenntnis........... (2) Der Wahrheitsanspruch der Erkenntnisformel............... (3) Die Idee der Rechtsaufklärung durch Kodifikation........ bb) "In der Erwägung"............................................................... cc) .,Im Hinblick darauf'............................................................ IV. Weitere spezifische Funktionen der Präambeln völkerrechtlicher Verträge........................................................................................................ I . Der normative Gehalt der Präambeln................................................ 2. Die Präambel als Interpretationsanleitung ........................................ a) Beispiele aus der Rechtsprechung nationaler und internationaler Gerichte ... .. ... ...... .......... .. .. .... .. .... .. .............. .. .. .. ..... .. .. .... ... ... .. .... . b) Der Theorierahmen....... .. ......... ... .. .. .. .. .. .... .. .. .. .. ... .. .. .. ....... ..... ..... 3. Die Zeitdimension in der Präambel................................................... a) Historisch-ideengeschichtliche Bezüge in Präarnbeltexten......... aa) Die Vergegenwärtigung von Vergangenem durch direkte Bezugnahmen....................................................................... bb) Die Auseinandersetzung mit der Geschichte durch indirekte Bezugnahme............................................................. b) Die Präambel als Zukunftsentwurf .............. ... .... ...... .. ... ... .... .. .. ..

XI 79 81 82 84 86 86 89 91 91 92 93 94 94 96 98 99 99 100 101 102 102 103 103 105 105 108 109 109 109 110 114

XII

Inhaltsverzeichnis Dritter Teil

Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbürgR A.

Das Vertragsparadigma..................................................................................

120

I.

Die kulturelle Dimension des Vertragsgedankens..................................

120

II.

Spezifische Funktionen völkerrechtlicher Verträge...................... ..........

123

1. Das vertragliche Austauschverhältnis, das Reziprozitätsprinzip....... 2. Der Kompromißcharakter des Vertrages, seine diskursive Legitimität.................................................................................................. 3. Der Planungscharakter des Vertrages .. .... .. .. .. .. .. .. .. ...........................

123 125 126

III. Überpositive Menschenrechte und völkervertragliche Menschenrechtsgarantien ...................... ... .... .. ....... ...... .. ......... ......................... .... .... .........

128

IV. Die Rechtsnatur völkerrechtlicher Verträge zum Schutze der Menschenrechte.............................................................................................

129

1. 2. 3. 4. B.

119

Die Selbstverpflichtung der Staaten.................................................. Menschenrechtspakte als "Verträge zugunsten Dritter"?.................. Menschenrechtspakte als Verfassungsverträge? ............................... Menschenrechtspakte als Friedensverträge im weiteren Sinne.........

129 130 134 137

Ein Völkerrecht filr den Menschen- die Völkerrechtskonzeption des IPbUrgR..........................................................................................................

138

Denktraditionen im Völkerrecht- ein entwicklungsgeschichtlicher Überblick bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges.................................

138

I.

Die anthropozentrische Wende im Völkerrecht......................................

143

III. Die Idee der verfaßten Völkerrechtsgemeinschaft..................................

II.

146

1. Historische Wurzeln des Gemeinschaftsgedankens im Völkerrecht 2. Definitionselemente eines modernen Völkerrechtsbegriffs .............. 3. Die Differenzierung zwischen Völkergemeinschaft und Staatengesellschaft........................................................................................ a) Das soziologische Gesellschafts- und Gemeinschaftsmodell...... b) Gesellschaft und Gemeinschaft als Kategorien des Völkerrechts aa) Die Staatengesellschaft des klassischen Koexistenzvölkerrechts .................................................................................... bb) Die sich verfassende Völkerrechtsgemeinschaft im Zeitalter des Kooperationsvölkerrechts.. ................................. ........... cc) Die Bedeutung internationaler Menschenrechtsgarantien filr eine sich verfassende Völkergemeinschaft........................... (1) Menschenrechte und Völkergemeinschaft: ein Verhältnis wechselseitiger Abhängigkeit................................... (2) Werte und Aufgaben der Gemeinschaft.........................

147 149 150 150 152 152 153 157 157 159

Inhaltsverzeichnis

C.

(3) Gemeinschaftsinteressen ................................................ (4) Eine Kommunikationsgemeinschaft............................... (5) Die Herrschaft des Rechts in der Gemeinschaft .. . ..... .....

162 163 164

Der Entwurf eines menschengerechten Staates - das Staatsbild des IPbürgR

165

Die Frage nach der Legitimität staatlicher Herrschaft .. .. .. .. .... ................ 1. Die Herrschaftssoziologie Max Webers............................................ 2. Die Rechtfertigung des Staates aus seinen Aufgaben .......................

166 169 172

II. Menschenrechtssicherung als erste und letzte Quelle der Herrschaftslegitimation............................................................................................. 1. Der Theorierahmen .. .. .... .. .... .... ...... .. .. .. ... .......... .. .... .. .... ........... ......... 2. Beispielsfelder....................... ................................................. ........... a) Das Selbstverständnis junger Demokratien .............................. .. b) Das Selbstverständnis der sog. "Newly Independent States"...... c) Die neuere Praxis der Staatenanerkennung. .... .. ........... ..... ..... .....

174 174 176 176 177 177

Menschenrechtsschutz und internationale Öffentlichkeit...............................

180

I.

Problemstellung......................................................................................

180

II.

Der Begriff der internationalen Öffentlichkeit .......................................

182

I. Öffentlichkeit als "Bereichs-Begriff'................................................ 2. Öffentlichkeit als "Wert-Begriff'...................................................... 3. Das Element der Internationalität...................................................... III. Das Verhältnis von Öffentlichkeit und öffentlicher Meinung................

183 184 188 190

IV. Wirkungsebenen internationaler Öffentlichkeit......................................

194

V. Die Träger der internationalen Öffentlichkeit.........................................

195

I.

D.

XIII

I. Die internationalen, supranationalen oder regionalen Organisationen.................................................................................................... a) Die "UN-Familie" bzw. das "UN-System" ................................. aa) Allgemeine Aspekte............................................................. bb) Die Öffentlichkeitsgarantien in den Menschenrechtspakten selbst ....... .......... .... ...... .. ....... .... ........ ............... ...... ... ...... b) Die regionalen Organisationen................................................... 2. Die staatlichen Gewalten................................................................... a) Die Legislative............................................................................ b) Die Exekutive............................................................................. aa) Die Regierung ......................................... ...... .................. ..... bb) Die Verwaltung.................................................................... c) Die Judikative............................................................................. 3. Die rechtsberatenden Berufe............................................................. 4. Politische Parteien und Verbände..................................................... 5. Die besondere Rolle der Non-Gouvemmentai-Organizations...........

196 196 196 198 201 202 202 202 202 203 203 204 204 205

XIV

Inhaltsverzeichnis 6. Kirchen und Religionsgesellschaften ................................................ 7. Ideologische Weltbewegungen ......................................................... 8. Bildungseinrichtungen ............................................................ .......... 9. Die öffentlichen und privaten Massenmedien................................... 10. Die Künste........................................................................................ 11 . Die Wissenschaften...........................................................................

E.

VI. Öffentlichkeit als Voraussetzung von Wahrheitssuche und Gerechtigkeitsfindung .. .... ...... .... ......... ................................. .. ......... .. ...... .. ............ .

213

VII. Grenzen..................................................................................................

216

Die Menschenwürde als normative Grundlage des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes.......................................................................................

217

I.

217

Bestandsaufnahme.................................................................................. 1. Die Menschenwürdeformel in völkerrechtlichen Menschenrechtstexten................................................................................................. 2. Menschenwürde-Artikel in nationalen Verfassungstexten................ 3. Die Menschenwürde im Spiegel von Klassikertexten und wissenschaftlichen Theorieentwürfen..........................................................

220

Elemente eines völkerrechtlichen Menschenwürdekonzepts..................

220

1. Die Offenheit der Menschenwürdeformel....... .. .. .. .. ....... .. .......... ....... 2. Naturrechtliche Wurzeln des Menschenwürdedenkens..................... 3. Die Menschenwürde als Konstitutionsprinzip der staatlichen und der internationalen Gemeinschaft .... .... .. ... .. .... .. .. .. ..... .. .. .. .......... .... ... a) Menschenwürde und Rechtsgeltung ............................... ............ b) Der anthropologische Begründungsansatz der Menschenrechte c) Die Teleologie der Menschenwürde........................................... d) Die Universalität des Menschenwürdedenkens ..........................

220 221 224 224 226 227 228

III. Der normative Gehalt der Menschenwürde............................................

230

Die Trias von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden........................................

233

I.

Das Ideal vom freien Menschen.............................................................

233

I. Begriffund Funktionen des Ideals im Völkerrecht........................... a) Begriffliche Wurzeln.................................................................. b) Spezifische Funktionen............................................................... aa) Legitimation von Sollenssätzen und Korrektiv politischer Entscheidungen.................................................................... bb) Relativierung bloßer Effektivitätsgrundsätze....................... cc) Übergeschichtliche Orientierung.......................................... dd) Zukunftsgestaltung .............................................................. ee) Ausprägung eines positiven Menschenbildes....................... 2. Die Dimensionen der Freiheit...........................................................

233 233 235

II.

F.

207 208 208 209 212 213

218 219

235 236 238 239 241 242

Inhaltsverzeichnis a) Der Freiheitsbegriff .................................................................... b) Die "Vier Freiheiten" nach F. D. Roosevelt ............................... aa) Die Meinungs- und Religionsfreiheit................................... bb) Die Freiheit von Furcht und Not.......................................... (1) Die Freiheit von Not....................................................... (2) Die Freiheit von Furcht..................................................

242 243 245 246 246 248

II. Die Idee der Gerechtigkeit......................................................................

250

1. Das Gerechtigkeitspostulat im Spiegel völkerrechtlicher Texte und Judikatur........................................................................................... 2. Inhalte eines völkerrechtlichen Gerechtigkeitsbegriffs ..................... a) Justitiadistributiva und commutativa ......................................... b) "Equity" und "Justice"................................................................ c) Der Aspekt der Vertragsgerechtigkeit......................................... 3. Der spezifische Zusammenhang von Menschenrechtsschutz und Gerechtigkeit..................................................................................... 111. Frieden und Menschenrechte.................................................................. 1. Der Friedensbegriff........................................................................... 2. Die normative Dimension des Friedensbegriffs................................ 3. Der spezifische Zusammenhang von Frieden und Menschenrechtssicherung........................................................................................... a) Völkerrechtliche Vertragstexte ................................................... b) Nationale Verfassungstexte ........................................................ c) Die friedenssichemde Funktion der Menschenrechte................. aa) Menschenrechte und das ius ad bellum ................................ bb) Konfliktvermeidung durch Minderheitenschutz.................. cc) Sicherung des sozialen Friedens........................................... d) Friedenssicherung als Menschenrechtsaufgabe .......................... e) Friedensgefllhrdung durch Menschenrechte?.............................. G.

XV

250. 252 252 255 255 256 258 258 261 263 264 265 267 267 268 269 270 271

Das "Prinzip Verantwortung" im internationalen Menschenrechtsschutz......

274

Die Dimensionen des Verantwortungsbegriffs.......................................

274

I. Textezum Verantwortungsbegriff.................................................... 2. Theoretische Einordnung.................................................................. a) Verantwortung- eine Kategorie der Ethik................................. b) Verantwortung und Verantwortlichkeit...................................... c) Verantwortung als Kompetenzbegriff......................................... d) Die Verantwortung des Staates für seine Bürger........................ e) Die Selbstverantwortung des einzelnen, seine Verantwortung als Bürger....................................................................................

275 276 276 277 278 278

II. Beispielsfelder ............................................... .........................................

280

I. Der Topos der "gemeinsamen Verantwortung" ................................

280

I.

279

XVI

Inhaltsverzeichnis a) Gemeinsame Verantwortung filr Natur und Umwelt.................. b) Gemeinsame Verantwortung für das kulturelle Erbe der Menschheit.................................................................................. c) Gemeinsame Verantwortung für nachhaltige Entwicklung .... .. .. 2. Die Verpflichtung der Staaten, "die allgemeine und wirksame Achtung der Rechte und Freiheiten des Menschen zu fördern" ........ a) Internationale Kooperation zur Förderung der Menschenrechte aa) Textbelege aus dem Völkervertragsrecht ............................. bb) Zur Idee der "Förderung".................................................... cc) Die ökonomischen und ökologischen Rahmenbedingungen, die Entwicklungszusammenarbeit........................................ dd) Eine weltweite Kommunikation in Sachen Menschenrechte b) Menschenrechtsschutz durch regionale Verantwortungsgemeinschaften.......... ... ... .. ... ..... .... .. .. .. .. .. .. ... .................. ..... .... ... .. ....... .. . c) Menschenrechtsschutz durch die Nationalstaaten....................... d) Auswirkungen der Förderungspflicht auf das Menschenrechtsverständnis.................................................................................. e) Insbesondere: Menschenrechte als Erziehungsziele ................... aa) Bestandsaufnahme................................................................ bb) Entwurf eines Theorierahmens zur Menschenrechtserziehung................................................................................. (1) Menschenrechtserziehung als Grundlage jeder freiheitlichen politischen Ordnung............................................ (2) Die Erziehung zu Solidarität und Verantwortung.......... (3) Der Zusammenhang von Erziehung und Entwicklung... (4) Grenzen und Gefahren des Ansatzes.................. ............ 3. Verantwortung und die Gemeinschaftsbezogenheit individueller Freiheitswahrnehmung - die Menschenpflichten .. .. .. .. ..... .. .. .. .. .... .. .. a) Bestandsaufnahme ...................................................................... b) Der Stellenwert der Menschen- bzw. Grundpflichten im freiheitlichen Verfassungsstaat............................................................... aa) Der Pflichtenbegriff.............................................................. bb) Menschenpflichten als verfassungsstaatliche Orientierungswerte.................................................................................... c) Die Pflichtenklausel - eine kulturelle Brücke zu nichtwestlichen Denktraditionen ... ... .. .. .. ...... .. .. .. .. .. .... .... .. .. .. .. ..... .. .. .. .. .. .. ... ... .... .. .

H.

Die Souveränität der Staaten und der internationale Menschenrechtsschutz

I.

280 281 283 284 284 284 285 286 289 291 292 296 298 298 302 302 304 304 305 305 305 307 307 309 312 3 13

Der Souveränitätsbegriff............................. ... .... .... .. .. .. .. .... .. ... .. .. .... ... .... .

313

1. Die Idee der Souveränität in ihrer historischen Entwicklung............ 2. Die Verankerung des Souveränitätsgedankens im Präambeltext des IPbürgR ..... .. .. ... .. .. .. .. .. .... .................... ...... .... .. .. ................... ...... .

313 316

Inhaltsverzeichnis II.

XVII

Die Souveränität und die Verfassung der internationalen Staatengemeinschaft ... ............ .... ........... .. .... ......... ....... ...... .... .... ..... ........ ..... ..........

317

1. Die Relativierung des Souveränitätsdogmas durch den Funktionswandel des Staates .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .... .... .. .. .. .. .. .. .. .. ...... .. .. .. .. .. .... .. .. .. .. .. .. 2. Die Idee eines Weltgesellschaftsvertrages ........................................

317 320

III. Der spezifische Zusammenhang von Souveränität und Menschenrechten, das instrumentale Souveränitätsverständnis.....................................

322

l. Souveränität und Ideologie...............................................................

322

2. Die Kompetenz zur Formulierung und Durchsetzung internationaler Menschenrechte........................................................................... 3. Dimensionen eines instrumentalen Souveränitätsverständnisses .... .. a) Die Souveränität des Staates und die Würde des Individuums... b) Die freiheitssichemde Funktion des Souveränitätsdogmas.........

323 324 324 325

I.

Das Selbstbestimmungsrecht der Völker........................................................

327

J.

Die Universalität der Menschenrechte............................................................

328

I.

Bestandsaufnahme..................................................................................

328

II.

Der Theorierahmen.................................................................................

330

I. 2. 3. 4.

330 331 331 332

Die Universalität elementarer Unrechtserfahrungen ......................... Die Vor- bzw. Überstaatlichkeit universeller Menschenrechte ......... Die Universalität als Ergebnis kultureller Entwicklungsprozesse..... Grenzen - die Universalität und Partikularität der Menschenrechte Vierter Teil

Zusammenfassung

333

Literaturverzeichnis .................................................................................................

336

Sachregister..............................................................................................................

364

2 Kotzur

Einleitung

Menschenrechtstheorien und Menschenrechtsinterpretation A. Der Zusammenhang von Menschenrechtstheorien und Menschenrechtsinterpretation Effektiver völkerrechtlicher Menschenrechtsschutz erfordert eine Dogmatik, die die Menschenrechtsinterpretation ebenso wie die Menschenrechtspolitik umgreift und filr die rechtswissenschaftliche Entscheidung tragfllhige Rationalitätsgarantien entwickelt. 1 Menschenrechtstheorien und -dogmatik sind Mittel zum Zweck, niemals Selbstzweck. Sie stehen im Dienst der konkreten Menschenrechtsverbürgungen und müssen offen auf immer neue Gefllhrdungslagen reagieren können. Vor allem dürfen sie neue Fragestellungen, die eine sich stetig verändernde staatliche wie gesellschaftliche Wirklichkeit provoziert, nicht aus der Perspektive eines vermeintlich "klassischen", aber statischen Menschenrechtsverständnisses "dogmatisieren", sondern müssen alternative Problemlösungsmodelle zur Diskussion stellen. Damit verbietet sich von vomherein jeder Absolutheitsanspruch. Es kann keine einheitliche, abschließende, "richtige" Menschenrechtstheorie, sondern nur einen Pluralismus sich ergänzender, zugleich relativierender Theorieelemente geben. Die Forderung nach Offenheit will aber nicht der Auflösung aller dogmatischer Strukturen, einem Verlust an Rechtssicherheit oder blindem Auslegungsdezisionismus das Wort reden. Im Gegenteil: Erst das Wissen um die Multidimensionalität und -funktionalität der Menschenrechte bzw. ihrer theoretischen Grundlagen kann eine Basis filr rational abgeleitete, freiheitssichemde und gerechtigkeitsorientierte Auslegungsmaximen schaffen. Das gilt um so mehr, als der Menschenrechtsschutz auf der Weltebene die vom jeweiligen Entwicklungsstand abhängigen Asymmetrien und Ungleichzeitigkeiten in den einzelnen Unterzeichnerstaaten stets mitzuberücksichtigen hat? 1 Zur Rationalisierungsfunktion juristischer Dogmatik allgemein: P. Häberle, Grundrechte im Leistungsstaat, in: VVDStRL 30 (1972), S. 43 ff., 71; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1995 (Neudruck 1999), Rn. 68. 2 Vgl. dazu P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, s. 93 ff., 159 ff.

2

Einleitung: Menschenrechtstheorien und Menschenrechtsinterpretation

Die unterschiedlichen Menschenrechtstheorien vermitteln dabei eine systematisch orientierte Auffassung über die Herleitung, den allgemeinen Charakter, die normative Zielrichtung und die inhaltliche Reichweite der Menschenrechte, schließlich über ihre Universalität und Partikularität.3 Dabei sind zwei einander bedingende Ebenen maßgeblich: Die universellen Menschenrechte der "International Bill of Rights" bilden eigenständige, originär völkerrechtliche Garantien, doch in ihrer Wirklichkeit und Wirksamkeit bleiben sie abhängig von der jeweiligen Staatsauffassung bzw. Verfassungstheorie in den einzelnen Nationalstaaten. In seinen Menschenrechtsnormen entwirft das Völkerrecht mit weltumspannendem Anspruch ein Idealbild der internationalen Gemeinschaft und macht zugleich programmatische Vorgaben ftlr den Typus Verfassungsstaat als menschheitliches Projekt. Es besteht eine große Variationsbreite dessen, was Menschenrechte sein können. Ihr normativer Anspruch ist abhängig von den Ordnungsaufgaben, die angesichts sich beständig wandelnder sozialer Gegebenheiten von einem politischen Gemeinwesen erftlllt werden sollen4 : von der klassischen, liberal-rechtsstaatliehen Freiheitssicherung über demokratische Teilhabe am politischen Prozeß bis zur leistungsstaatlichen Daseinsvorsorge, von der rechtlichen und politischen Gestaltung einer global-vernetzten Wirklichkeit bis hin zur Bewahrung der kulturellen Identität des Nationalstaates vice versa. In einem solchen Ordnungsgefiige bilden die Menschenrechte nicht nur punktuelle Gewährleistungen ftlr einzelne, besonders gefährdete Lebensbereiche, sondern sind selbst Konstitutionsprinzipien von Staat und - entgegen der bekannten Trennungsthese - verfaßter Gesellschaft, von Nationalstaat und Staatengemeinschaft. Es ist daher unmöglich, die Menschenrechte als eigenständiges, in sich geschlossenes System zu verstehen. Sie sind vielmehr mit der objektiven Ordnunf der jeweiligen politischen Gemeinschaft verflochten, sind ftlr sie konstitutiv. Somit lassen sich die einzelnen Theorieelemente völker3 Diese Umschreibung ist angelehnt an den bekannten, allerdings zu stark das Gegen- anstatt das Miteinander der Grundrechtsdimensionen betonenden Definitionsansatz bei E.-W. Böckenförde, Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation, NJW 1974, S. 1529 ff., 1529. Zur Bedeutung der Grundrechtstheorien aus Sicht des deutschen Verfassungsrechts vgl. weiterhin K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1995 (Neudruck 1999), Rn. 277 ff.; K. Stern, Staatsrecht, Bd. 111/1, 1988, S. 204, 206m. w. N.; W Brugger, in: JZ 1987, S. 633 ff.; für die Schweiz J. P. Müller, Elemente einer schweizerischen Grundrechtstheorie, 1982, S. 8 ff. 4 Aus der deutschen Grundrechtslit.: K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1995 (Neudruck 1999), Rn. 279 ff.; E.-W Bökkenförde, Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation, NJW 1974, S. 1529 ff., 1529. 5 So für die Grundrechte des GG explizit K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1995 (Neudruck 1999), Rn. 300.

B. Gang der Untersuchung, Ziel der Arbeit

3

rechtlichen Menschenrechtsschutzes auch nur aus dem Gesamtkontext jener Ziele und Aufgaben aus Kapitel II der UN-Charta erschließen, in denen die "Völker der Vereinten Nationen" die verfassende Rahmenordnung ftlr ihr kooperatives Miteinander festgelegt haben. Dazu will die vorliegende Untersuchung am Beispiel der Präambel des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (IPbürgR) vom 19. Dezember 1966, filr die Bundesrepublik Deutschland in Kraft seit dem 23. März 19766 , einen Teilbeitrag leisten.

B. Gang der Untersuchung, Ziel der Arbeit Der positive Präambeltext ist aus vielerlei Gründen ein geeigneter Anknüpfungspunkt zur Theoriebildung. Er ist anleitender "Orientierungsrahmen" und zugleich "Quintessenz" des dem Vertragswerk zugrunde liegenden Menschenrechtskonzepts.7 Der programmatische Vertragsvorspruch gibt Aufschluß über Vor- und Selbstverständnis der Vertragsparteien und ordnet die Menschenrechte und -pflichten als Fundamentalprinzipien ftlr "Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden" in den übergreifenden Kontext einer freiheits- und gerechtigkeitsorientierten Völkerrechtsordnung ein. Daß unter mehreren denkbaren Menschenrechtsverträgen die Präambel des IPbürgR Anknüpfungspunkt der Untersuchung ist, rechtfertigt sich aus dem universellen Anspruch des den bürgerlichen und politischen Rechten verpflichteten Weltpaktes. Er repräsentiert zwar nicht die modernste Entwicklungsstufe bei der textlichen Festschreibung internationaler Menschenrechtsstandards, ist aber die erste verbindliche Garantie von Menschenrechten auf internationaler Ebene und damit Herzstück der "International Bill of Rights". Er weist heute weltweit mehr als 140 Unterzeichnerstaaten auf.8 Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, sein Menschenrechtsprogramm immer auch bezogen auf die sonstigen internationalen und regionalen Menschenrechtsverträge - zu entfalten und so Chancen und Grenzen eines effektiven Systems zum Schutz universeller Menschenrechte aufzuzeigen. Der erste Teil gilt dabei den methodischen Grundlagen der Theoriebildung. Der offene, multifunktionale Menschenrechtsbegriff erfordert ein multidisziplinäres Miteinander unterschiedlicher Forschungszugänge. Die Grundlage bilden die maßgeblichen völkerrechtlichen Texte, die wirklichkeitswissenText: BGBI. 1973 II, S. 1534; zum Inkrafttreten siehe BGBI. 1976 II, S. 1068. Dazu P. Häberle, Präambeln im Text und Kontext von Verfassungen, in: FS J. Broermann, 1982, S. 211 ff., 248. 8 Vgl. W. Lauf/. Der Schutz bürgerlicher und politischer Rechte durch die Vereinten Nationen, NJW 1981, S. 2611 ff., 2611. 6

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Einleitung: Menschenrechtstheorien und Menschenrechtsinterpretation

schaftlieh zu untermauem und rechtsvergleichend zu erschließen sind. Ein weiterer Gesichtspunkt darf daneben nicht außer Acht bleiben: Was die nationalen Staats- und Verfassungslehren an theoretischer "Vorarbeit" geleistet haben, wird filr die teils rezipierende, teils nach Innovationen suchende Völkerrechtslehre zum anleitenden Theoriegerüst In einem zweiten Abschnitt sollen dann das Erscheinungsbild, die spezifischen Strukturen und Funktionen von Präambeltexten völkerrechtlicher Verträge allgemein und mit besonderem Blick auf den IPbürgR erläutert werden. Die Frage nach der formalen und sprachlichen Gestaltung steht hier gleichberechtigt neben den inhaltlichen Aspekten: dem nonnativen Gehalt von Vertragsvorsprüchen, ihrer Rolle bei der Vertragsinterpretation und ihrer "Brückenfunktion"9 in die Zeit. Im dritten Teil der Arbeit werden die einzelnen Theorieelemente, Themen und Leitideen des internationalen Menschenrechtsschutzes in ihrem kontextgebundenen Zusammenspiel entwickelt. Der Weg fUhrt dabei vom Allgemeinen zum Besonderen. Am Anfang steht das Vertragsparadigma, gefolgt von der spezifischen Völkerrechtskonzeption und dem Staatsbild des IPbürgR. In diesem gemeinsamen Brennspiegel von Verfassungslehre und Völkerrechtslehre als Lehre von einer sich verfassenden Gemeinschaft im weiteren Sinne soll die herrschaftslegitimierende Funktion der Menschenrechte erläutert werden. Dazu gehören zuvorderst der spezifische Zusammenhang von Menschenrechten und einer werthaft verstandenen Öffentlichkeit sowie die nonnativen Gehalte der MenschenwUrdeformeL Anband der Trias "Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden" werden dann unterschiedliche Dimensionen der multifunktionalen Menschenrechte, deren freiheitssichemde und freiheitsgestaltende, friedenssichemde und friedensgestaltende Funktionen erläutert. Das "Prinzip Verantwortung" (H. Jonas) liefert das Stichwort filr die Gemeinschaftsbezogenheit individueller Freiheitswahrnehmung (Menschenrechte als Erziehungsziele, Menschenrechte und Menschenpflichten). Die von der Verantwortungsethik erhobenen Postulate schließen eine aktive Rolle des Staates bei der Freiheitsgewährleistung dabei keineswegs aus. Als Konsequenz aus dem Überblick über die einzelnen Dimensionen und Schutzrichtungen der fundamentalen Rechte und Freiheiten muß die Frage nach der staatlichen Souveränität neu gestellt werden. Der Funktionswandel des sich kooperativ öffuenden Verfassungsstaates und die menschenrechtlich fundierte Herrschaftslegitimation machen eine Relativierung der überkommenen Souveränitätsdoktrin notwendig. Es wird aber auch zu zeigen sein, daß 9 So P. Häber/e, Präambeln im Text und Kontext von Verfassungen, in: FS J. Broermann, 1982, S. 211 ff., S. 233.

B. Gang der Untersuchung, Ziel der Arbeit

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nichtsdestoweniger der souveräne Nationalstaat unverzichtbarer Garant von Freiheit und Menschenrechten bleibt10, daß staatliche Souveränität nicht abzuschaffen, sondern instrumental in den Dienst des Menschen zu stellen ist. Dem Selbstbestimmungsrecht der Völker, das nicht in der Präambel, aber bewußt "präambelnah" in einem selbständigen ersten Teil des IPbürgR verankert ist, gilt anschließend ein kurzer Seitenblick. Summe und Abschluß der Überlegungen ist der Topos von der Universalität der Menschenrechte. Die Universalität im Menschenrechtsdenken ist nämlich nicht nur Voraussetzung, sondern vor allem Ergebnis weltweiter kultureller Prozesse zur Sicherung menschlicher Freiheit. Es soll anband eines kulturwissenschaftlich begründeten Völkerrechtsverständnisses versucht werden, die überkommene Dichotomie von Universalität und kultureller Relativität zu überwinden und durch das sich ergänzende Begriffspaar von Universalität und Partikularität zu ersetzen.

10 Zur Rolle des Staates als Garant von Freiheit und Ordnung mit weiterführenden Literaturnachweisen P. Saladin, Wozu noch Staaten?, 1995, S. 164 ff.

Erster Teil

Methodische Grundlagen zur Entwicklung von Theorieelementen des internationalen Menschenrechtsschutzes A. Der multidisziplinäre, kulturwissenschaftliche Ansatz I. Die kulturwissenschaftliche Dimension in der Völkerrechtslehre Rechtswissenschaftliche Theoriebildung ist angeleitet von den Kunstregeln juristischer Methodik. Die Erkenntnis des geltenden Rechts, sei es positiviert, kraft Gewohnheit anerkannt oder im Überpositiven verortet, setzt dabei einen offenen wissenschaftlichen Prozeß voraus, der seine selbstgewählten Prämissen, sein methodisches Vorgehen und sein (letztlich kulturell geprägtes) Vorverständnis aufdecken muß. 1 Methoden und Inhalte stehen einander nicht unabhängig gegenüber, sondern bedingen sich gegenseitig, die Methodenwahl ist immer zugleich auch eine erste inhaltliche Weichenstellung. 2 Das Völkerrecht macht hier keine Ausnahme, zumal wenn es im Interesse seiner eigenen Rationalität und Legitimität dem Vorwurf rein pragmatischer Einzelfallentscheidungen entgehen will, die eher durch konkrete staatliche Machtinteressen als durch eine systematisch-konstruktive Analyse des ihnen zu Grunde liegenden Normsystems fundiert scheinen.3 Aber auch und gerade im menschenrechtliehen Kontext wäre es wenig sachgerecht, allzu pauschal Defizite der völkerrechtlichen Methodendiskussion zu behaupten. 4 Das Völkerrecht weist im Vergleich zum nationalen Recht Beson1 Grundlegend J. Esser, Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung, 1972; H.-G. Gadamer, Wahrheit und Methode, 5. Aufl. 1986, S. 281 ff. Dazu auch E. Kramer, Juristische Methodenlehre, 1998, S. 220 ff. 2 Dazu L. Michael, Der allgemeine Gleichheitssatz als Methodennorm komparativer Systeme, 1997, S. 21. 3 A. Bleckmann, Grundprobleme und Methoden des Völkerrechts, 1982, S. 10. 4 Zu diesem Problemkreis: P. Häber/e, Der Verfassungsstaat in entwicklungsgeschichtlicher Perspektive, in: PS K. Stern, 1997, S. 143 ff., insbes. S. 153 (Stichwort: "Theoriedefizit in Sachen Völkerrecht"); A. Bleckmann, Grundprobleme und Methoden des Völkerrechts, 1982, S. 9 f. Schon 1860 konstatiert R. v. Mohl, Staatsrecht, Völkerrecht und Politik, Bd. I, 1860 (Nachdruck 1962), S. 579 f.: "(...) aber die Wissenschaft

A. Der multidisziplinäre, kulturwissenschaftliche Ansatz

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derheiten in seinem Charakter auf, die eher Parallelen zum Zivilrecht zeigen. Das erklärt sich schon daraus, daß das Völkerrecht- jedenfalls zunächst- nicht auf Subordination, sondern auf Koordination beruht und rechtliche Bindungen von den Staaten freiwillig anerkannt werden müssen. So spricht F. Berber anschaulich von dem "genossenschaftliche(n), schwachorganisierte(n), konkrete(n), politische(n), ethische(n) und indirekte(n) Charakter des Völkerrechts."5 Diese Eigenart des International Public Law brachte in der wissenschaftlichen Literatur umfangreiche Anstrengungen und Versuche mit sich, seine Existenz zu begründen und seine Methoden zu umschreiben. 6 Es ist kein Zufall, daß dabei das spezifisch Politische des Völkerrechts, das gegenüber dem allgemein politischen Gehalt jeden Rechts als Gestaltungsmittel der Politik weitere Besonderheiten aufweist, mit großem Nachdruck herausgearbeitet wurde. Das Wesensmerkmal des Politischen zu verkennen hieße letztlich, wenn auch ungewollt, den Rechtscharakter des Völkerrechts zu verleugnen. Denn wo immer wirklichkeitsblinde Theorie die politische Determinierung des internationalen Rechts bestreitet, führt das unweigerlich zum Gegenschlag jener Realisten oder Neo-Realisten, die alles Rechtliche aus den internationalen Beziehungen zu eliminieren und nur das Politische zu betonen versuchen. Daher liegen die Gründe für manche methodische Unschärfe des Völkerrechts auch weniger im vielfach behaupteten politischen Charakter dieses Rechtsgebietes oder der mangelnden Geschlossenheit seiner Regelungen, sondern vielmehr in der bisweilen zu stark pragmatisch ausgerichteten, kasuisti· sehen Annäherungsweise der traditionellen Völkerrechtslehre. 7 Sie verfolgt, eher beobachtend als gestalterisch fortschreibend, von Fall zu Fall die Staaten-

(vom Völkerrecht, Ergänzung des Verf.) als solche hatte, indem die verschiedentliehen und grossen Bewegungen auf dem Gebiete der Rechtsphilosophie und der socialen Wissenschaften von ihr ganz unbeachtet gelassen wurden, einen langen Stillstand gemacht und war entschieden hinter verwandten Disciplinen weit zurückgeblieben, und zwar in stofflicher als in formeller Beziehung." Vgl. auch Ph. R. Trimble, International Law, World Order and Critical Legal Studies, in: Stanford Law Review (Vol. 42) 1990, S. 811 ff., 811: "To academics and practitioners alike, international law is a peripheral enterprise." Ähnlich J. K. Gamble/N. S. Shields, Journal of Legal Education (Vol. 39) 1989, S. 39 ff., 39, die feststellen: "(... ) many academics still regard internationallaw as ( ...) a ,fringe' specialty, weil meaning, even noble, but naive and largely irrelevant to the real world." Schließlich auch W. Krawietz, Juristische Entscheidung und wissenschaftliche Erkenntnis, 1978, S. 13. 5 Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. I, Allgemeines Friedensrecht, 2. Autl. 1975, S.l6ff. 6 Einen Überblick über den heutigen Diskussionsstand gibt z.B. K. Ipsen, Völkerrecht, 4. Autl. 1999, § 1, Rn. 18 ff. ; vgl. auch H. Neuhold/W. Hummer/Ch. Sehreuer (Hrsg.), Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, 3. Autl. 1997, S. 1 ff. 7 A. Bleckmann, Grundprobleme und Methoden des Völkerrechts, 1982, S. 10.

Erster Teil: Methodische Grundlagen

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praxis, ohne das notwendige Augenmerk auf dogmatische Vertiefung und übergeordnete Wirkungszusammenhänge zu lenken. Um einem Mißverständnis vorzubeugen: Zum fallbezogenen ,.pragmatic approach" gibt es schon wegen des Effektivitätsprinzips keine Alternative, soll nicht Wunsch mit Wirklichkeit verwechselt werden. Denn wo die Effektivität vernachlässigt ist, wird Völkerrechtslehre zum theoretischen Glasperlenspiel im wissenschaftlichen Elfenbeinturm. Wo aber die Effektivität überbetont ist, geht die Normativität und damit die Aufgabe jeder Rechtsordnung, einen Mindestbestand verbindlicher Maßstäbe zu formulieren, verloren. Eine rein punktuelle, unkritischem Effektivitätsdenken verhaftete Vorgehensweise bliebe daher unzureichend, um den universellen Geltungsanspruch fundamentaler Menschenrechte aus ihrem kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Kontext theoretisch zu untermauern. Vor allem greift der Rekurs auf die in Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut positivierten Rechtsquellen im formellen Sinne zu kurl. Zu Recht sieht die völkerrechtliche Literatur diesen Katalog als unvollständigen, jedenfalls erweiterungsfähigen Ausgangspunkt der Diskussion an. 9 Dabei ist zunächst eine Stärke der heute von einem breiten Konsens zwischen den Staaten getragenen Rechtsquellenlehre einzuräumen: Dieses Einigsein über "Erscheinungsformen" ebenso wie "Erzeugungsakte" internationalen Rechts hat trotz fehlender Zentralisation in Gesetzgebung und Rechtsprechung, trotzdivergierender Weltanschauungen ft1r eine erstaunliche Einheit mit Blick auf die grundlegenden Ordnungsstrukturen des völkerrechtlichen Systems geführt - freilich nur von der formell-technischen Seite her. 10 Es genügt aber 8 Aus dem völkerrechtlichen Schrifttum vor allem A. Bleckmann, Grundprobleme und Methoden des Völkerrechts, 1982, S. IO; ftlr die Verfassungslehre P. Häberle, Rechtsquellenprobleme im Spiegelneuerer Verfassungen- ein Textstufenvergleich, in: ARSP-Beiheft 62 (1995), S.l27 ff; ders., Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 472; kritisch zum Rechtsquellenbegriff auch L. Michael, Der allgemeine Gleichheitssatz als Methodennorm komparativer Systeme, 1997, S. 21 f. Derformelle ist hier streng vom materiellen Rechtsquellenbegriff zu unterscheiden. Während der erstere die allgemein anerkannten Erzeugungsarten und Erscheinungsformen, die Verfahren, in denen positive Rechtsnormen des Völkerrechts entstehen, meint, betrifft der zweitere Bedingungsfaktoren und Tatsachen, die auf den Norminhalt einwirken, d.h. die rechtsphilosophischen und rechtstheoretischen Letztfragen nach dem Geltungsgrund von Recht: vgl. dazu m. w. N. W. H. Wilting, Vertragskonkurrenz im Völkerrecht, 1996, S. 45, zur Abgrenzung insbes. Fn. 226. 9 G. J H. van Hoof, Rethinking the Sources oflntemational Law, 1983, S. 135 ff.; A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. 1984, S. 321 ff.; B. Simma, in: H. Neuhold/W. Hummer/Ch. Sehreuer (Hrsg.), Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, 3. Aufl. 1997, Rn. 196 ff. und W. Kar/, in: ebd., Rn. 534 ff.; M. Schweitzer, Staatsrecht 111, 6. Aufl. 1997, Rn. 97 ff. 1 K. /psen, Völkerrecht, 4. Aufl. 1999, S. 95, 97; A. Bleckmann, Grundprobleme und Methoden des Völkerrechts, 1982, S. 11.

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A. Der multidisziplinäre, kulturwissenschaftliche Ansatz

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nicht, aus dem Vertragsrecht, Gewohnheitsrecht und den allgemeinen Rechtsgrundsätzen einschließlich der in Art. 38 lit. d IGH-Statut genannten "Hilfsmittel" (richterliche Entscheidungen und Lehrmeinungen) einzelne Rechtssätze abzuleiten, ohne deren Entstehungsprozeß, seine philosophischen Hintergründe und seine kulturellen Rahmenbedingungen zu hinterfragen. Die Metapher "Quelle" wird um so fragwürdiger, je mehr sie die Vorstellungen einer fertigen, gleichsam von selbst fließenden Rechtserkenntnis suggeriert und damit deren prozeßhafte Genese bzw. zukunftsoffene Wandelbarkeit bestreitet." Solchermaßen relativiert, bedarf die Rechtsquellenlehre der Ergänzung um eine sehr viel breiter angelegte, gerechtigkeitsorientierte Methodenlehre, die allen an der Rechtsfindung und Norminterpretation beteiligten schöpferischen Kräften hinreichend Rechnung trägt. 12 Für diese interdisziplinäre Öffnung, deren Implikationen schon in den wegweisenden Schriften G. Schwarzenhergers aus den 50er und 60er Jahren zum Tragen kommen 13, sei eine erste Prämisse formuliert. Mehr noch als jedes nationale Rechtssystem fordert das internationale Recht Theoriebildung auf möglichst breiter Basis, da es Geltungsanspruch in einer kulturell vielgestaltigen, politisch und sozial, ethnisch und religiös heterogenen Weltgemeinschaft erhebt. Die von vomherein verengte, allenfalls noch in der besonderen Tradition H. Kelsens vereinzelt vertretene Perspektive einer ausschließlich dogmatisch arbeitenden, normativen Wissenschaft 14 hilft dabei nicht weiter. Würde die Völkerrechtslehre schon in der Methodenfrage auf eine reine Normwissenschaft reduziert, ist der damit verbundene, tatsächliche oder vermeintliche Präzisionsgewinn um einen zu hohen Preis erkauft. Er verleugnet zum einen die kulturelle Dimension des Rechts und begründet zum anderen von Anfang an die Notwendigkeit, die zunächst auf das bloße Sollen festgelegte Disziplin um die komplementären Perspektiven der sie bedingenden Nachbarwissenschaften von außen zu ergänzen. Das bloße Nebeneinander von Recht und 11 Vgl. H. Ehmke, Prinzipien der Verfassungsinterpretation, in: VVDStRL 20 (1963), S. 53 ff., 55; P. Häberle, Rechtsquellenprobleme im Spiegelneuerer Verfassungen- ein Textstufenvergleich, in: ARSP-Beiheft 62 (1995), S. 127 ff., 138; ders., Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 472; L. Michael, Der allgemeine Gleichheitssatz als Methodennorm komparativer Systeme, 1997, S. 21 f. 12 Zur völkerrechtlichen Theoriegeschichte, in der viele dieser Ansätze schon vorgezeichnet sind: Allg. W Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte, 2. Aufl. 1988 (u.a. zum Positivismus, S. 591 ff. ); M. Koskenniemi, From Apology to Utopia, .1989, S. 52 ff. ("Doctrinal History"); K.-H. Ziegler, Völkerrechtsgeschichte, 1994, S. 192 ff., 233 ff., 257 ff., 286 ff. 13 Machtpolitik, 1955; The Frontiers of International Law, 1962; Über die Machtpolitik hinaus?, 1968. 14 P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 162, spricht plastisch von dogmatischen "Engfllhrungen".

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Erster Teil: Methodische Grundlagen

Kultur, Recht und Ethik, Recht und Geschichte, Recht und sozialer Wirklichkeit verkennt, daß eben dieses Recht selbst ein Stück Kultur, ein Ergebnis historischer Entwicklungsprozesse, ethisch begründeter Verhaltensmaßstäbe und gesellschaftlicher Erfahrungen ist. 15 Die völkerrechtliche Methodenlehre muß daher den übergreifenden kulturellen, sozialen und politischen Kontext, in den das internationale Recht eingebettet ist, in ihren Blick nehmen. 16 Dann wird schnell deutlich, daß die internationalen Verträge, das Gewohnheitsrecht, die allgemeinen Rechtsgrundsätze und die Lehrmeinungen der Völkerrechtler nebst richterlichen Entscheidungen nicht nur formelle Rechtsquellen, sondern Ergebnis komplexer, auch außerrechtlich gesteuerter Entwicklungsprozesse sind. Anders formuliert: Die Völkerrechtsordnung als solche ist letztlich ein Kulturprodukt und macht deshalb eine kulturwissenschaftlich angereicherte Analyse ihrer normativen Gehalte unentbehrlich. 17 Daß die Kategorie der Kultur dem Völkerrecht nicht fremd ist, bestätigen auch seine Texte. Zwei Beispiele seien genannt: Art. 38 Abs. 1 lit. c IGH-Statut enthält einen expliziten Verweis auf die Kultur, allerdings in rückwärtsgewandtem Kontext. Wenn die hochentwickelten Kulturvölker, die civilized nations, dort als Gegensatz zu nicht-zivilisierten Staaten verstanden werden, so beruht • 15 Zum kulturwissenschaftlichen Verständnis von Recht und Verfassung bzw. zur geisteswissenschaftlichen Methode der Verfassungsinterpretation in der Tradition R. Smends grundlegend P. Häber/e, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, s. 578 ff. 16 Dazu grundlegend D. Schind/er, Des Facteurs Sociologiques et Psychologiques du Droit International, in: Recueil des Cours 46 (1933-IV), S. 235 ff., insbes. 235-240, 297 ff.; aus staatstheoretischer Sicht A. Dehnhard, Dimensionen staatlichen Handelns, 1996, S. 57 ff. (insbes. zu H Hellers Forderung nach Interdisziplinarität). Zum Zusammenhang von Theorie und Dogmatik im Völkerrecht vgl. S. Kadelbach, Wandel und Kontinuitätendes Völkerrechts und seiner Theorie, in: R. Gröschner/M. Morlok (Hrsg.), Rechtsphilosophie und Rechtsdogmatik in Zeiten des Umbruchs, 1997, S. 178 ff., 192; zur Interdisziplinarität als Herausforderung der Rechtswissenschaft 0. Lepsius, Die ·Ökonomik als neue Referenzwissenschaft fllr die Staatsrechtslehre?, in: Die Verwaltung 32 (1999), S. 429 ff., 429 f.; vgl. auch Ch. Enders, Die Menschenwürde in der Verfassungsordnung, 1997, S. 163 ff. 17 Grundlegend fllr dieses Rechtsverständnis aus Sicht der vergleichenden Verfassungslehre P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, schon in der 1. Aufl. 1982, programmatisch fortgefllhrt in der 2. Aufl. 1998, S. 28 ff., 578 ff. und passim; fiir das internationale Recht ausdrücklich A. Verdross, Die Wertgrundlagen des Völkerrechts, in: ArchVR 4 (1953), S. 129 ff., 129: Völkerrecht als ein "Produkt der christlichabendländischen Kultur"; S. V. Pieper, "The Clash of Civilizations" und das Völkerrecht, in: Rechtstheorie 29 (1998), S. 331 ff., 333 : "Völkerrecht als Kulturprodukt". Zur Problematik des kulturellen Intemationalismuslkulturellen Nationalismus allg. V Kaufmann, Kulturwissenschaften und Nationalismus, in: J. Anderegg/E. A. Kunz (Hrsg.), Kulturwissenschaften, 1999, S. 105 ff., 116 f.

A. Der multidisziplinäre, kulturwissenschaftliche Ansatz

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das auf einer längst überkommenen, im Denken des Kolonialismus verhafteten Völkerrechtsdoktrin, die mit dem Grundprinzip der souveränen Gleichheit aller Staaten nicht vereinbar ist. 18 Macht die UN-Charta, obwohl in Art. 2 Nr. I diesem tragenden Konstitutionsprinzip der internationalen Gemeinschaft verpflichtet, über Art. 92 das IGH-Statut zu ihrem integralen Bestandteil und rezipiert so den schon auf Art. 38 StiGH-Statut zurückgehenden Passus von den "Kulturvölkern", ist damit notwendig ein - allmählicher - Bedeutungswandel verbunden. Begriff und Idee der Kultur dienen in der postkolonialen Welt immer weniger als Unterscheidungskriterium zwischen Kulturstaaten auf der einen, nicht-zivilisierten Staaten auf der anderen Seite, sondern verweisen gewollt oder ungewollt progressiv - auf die tiefergründende Dimension des kulturellen Elements bei der Rechtserzeugung: auf nichts anderes nämlich, als daß die von Art. 38 Abs. l lit. c IGH-Statut gemeinten allgemeinen Rechtsgrundsätze kulture//e Leistungen der Einzelstaaten und der Völkergemeinschaft in ihrem Zusammenwirken sind. 19 Ein weiterer wichtiger Beleg filr die Notwendigkeit der kulturwissenschaftlichen Methode filr das Völkerrecht findet sich in Art. 9 IGH-Statut: Dort wird garantiert, daß die Zusammensetzung der Richter des Internationalen Gerichtshofes gemäß der "großen Kulturkreise" der Welt zu erfolgen hat. 20 Das Telos einer solchen Regelung kann nicht nur mit vordergründigen Proporzgesichtspunkten erklärt werden. In die richterliche Rechtsfindung sollen vielmehr die unterschiedlichen kulturellen Erfahrungen, das jeweils kulturell geprägte Vor18 In der Tat ist bemerkenswert, daß die überholte Formulierung von den "Kulturvölkern" offenbar noch 1945 der Vorstellungswelt vieler entsprach oder jedenfalls unkritisch rezipiert wurde. Zu bedenken ist dabei aber, daß die große Entkolonialisierungswelle erst in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts einsetzte und seither das völkerrechtliche Koordinatensystem nachhaltig verändert hat. Auf die kulturellen Wurzeln von Staat und Gesellschaft, die im Begriff "Kulturvölker" mitangelegt sind, deutet eine frühe Entscheidung des deutschen BVerfG hin. E 12, I (4): "Das Grundgesetz hat nicht irgendeine, wie auch immer geartete freie Betätigung des Glaubens schützen wollen, sondern nur diejenige, die sich bei den heutigen Kulturv6lkern (Hervorhebung durch den Verf.) auf dem Boden gewisser übereinstimmender sittlicher Grundanschauungen im Laufe der geschichtlichen Entwicklung herausgebildet hat." 19 S. dazu G. Schwarzenberger, The Frontiers of International Law, 1962, S. 70 ff. ("The Coalescence of International Law and Civilisation"). Zum Zusammenhang "Rute of Law" und ,.Civilized Nations" vgl. ebd., S. 77: Wenn Schwarzenherger als Kriterien für den Status einer ,.civilized nation" die Schutztrias von Leben, Freiheit und Eigentum (auch von Ausländern) nennt, so sind diese Grundrechte und -freiheiten selbst kulturelle Leistungen. Vgl. H. Heller, Souveränität ( ... ), S. 126: Völkerrecht als Erzeugnis einer "Kulturgemeinschaft"; S. U. Pieper, "The Clash of Civilizations" und das Völkerrecht, in: Rechtstheorie 29 ( 1998), S. 331 ff., 335. 20 Dazu S. U. Pieper, "The Clash of Civilizations" und das Völkerrecht, in: Rechtstheorie 29 ( 1998), S. 331 ff., 336.

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Erster Teil: Methodische Grundlagen

verständnis der Entscheidungsträger einfließen. Die Urteilsfmdung wird zum Kulturgespräch. Dieser kulturwissenschaftliche Ansatz muß filr den Bereich des internationalen Menschenrechtsschutzes nutzbar gemacht werden. Hier fmdet sich freilich oftmals noch eine sehr einseitige Sichtweise bezüglich der Rolle der Kultur. Behauptet wird eine Dichotomie von Universalität und kultureller Relativität der Menschenrechte, Kulturgebundenheit und weltweiter Geltungsanspruch erscheinen gegeneinander ausgespielt. Dahinter steht aber ein verabsolutierendes Entweder-Oder: Universalität wird mit einem überpositiven Naturzustand, mit der natürlichen und angeborenen Freiheit des Menschen, gleichgesetzt, Relativität mit den konkret positivierten Grundrechten im Kontext einer historisch, politisch, religiös und wirtschaftlich geprägten Rechtskultur. Dieses Schwarz-Weiß-Denken übersieht jedoch, daß die natürlichen Rechte und Freiheiten letztlich immer nur, wenngleich unverzichtbare, Fiktion bleiben und erst in kulturellen Prozessen effektiviert und zu durchsetzbaren Garantien werden. 21 Das gilt für die nationalen wie die internationalen Menschenrechte. Was als international verbindlicher Standard mit universeller Gültigkeit anerkannt wird, ist eben auch kulturelle Leistung, die Universalität selber gründet immer in einem Zugleich von überpositiver Fiktion und kultureller Realisation. Die kulturwissenschaftliche Methode ist auch deshalb filr das Verstehen universeller Menschenrechtsverbürgungen unverzichtbar. Menschenrechtsschutz wird durch die Kategorie der Kultur nicht nur relativiert, sondern vor allem effektiviert. Er ist nicht trotz, er ist erst aus der ond durch die Kultur möglich. II. Die Offenheit des Menschenrechtsbegriffs Trotz der vermeintlich eindeutigen Terminologie "Menschenrechte", die rein subjektive Rechtspositionen zu bestimmen scheint, sind Begriff wie Idee der Menschenrechte von einer weit größeren Komplexität. 22 Schon eine die . historische Entwicklung einbeziehende, zunächst aber spezifisch rechtswissenschaftliche Analyse ergibt ein sehr viel differenzierteres Bild: Die allgemeinen Menschenrechte changieren jenseits "übersteigerter Subjektautonomie"23 zwiP. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 578 ff. Vgl. M. Kriele, Menschenrechte und Gewaltenteilung, in: E.-W. Böckenförde/R. Spaemann (Hrsg.), Menschenrechte und Menschenwürde, 1987, S. 242 ff., 242 f.; W Brugger, Menschenrechte im modernen Staat, in: AöR 114 (1989), S. 537 ff., 541 f.; J. Donnel/y, Human Rights, Democracy and Development, in: Human Rights Quarterly 21 (1999), s. 608 ff., 612 f. 23 E. Denninger, Die Wirksamkeit der Menschenrechte in der deutschen Verfassungsrechtsprechung, JZ 1998, S. 1129 ff., 1135. 21

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A. Der multidisziplinäre, kulturwissenschaftliche Ansatz

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sehen rechtsethischen Prinzipien und allgemeinen Rechtsgrundsätzen, zwischen Regeln, Standards, Programrnsätzen, zwischen deklaratorischen Bekräftigungen oder objektiven und subjektiven Rechtsgarantien. Sie haben eine individuelle und institutionelle Seite und fmden sich in Staatsaufgabenkatalogen und Staatszielbestirnrnungen.24 Doch der Blick ist noch ins Außerrechtliche zu weiten. So werden in der wissenschaftlichen Literatur die Menschenrechte als "Mysteriurn"25 in die Nähe eines transzendental-rnetaphysischen Verständnisses gerückt. Sie erhalten Etikette wie "überstaatliche Werte"26, "Kristallisationspunkte der Forderungen politischer Hurnanität"27, "Früchte der großen moralischen Aufklärungsbewegung des 18. Jahrhunderts"28 oder "ethische Gegebenheit und politisches Prinzip"29• Sie mögen konstitutive Elemente eines universellen Weltethos im Sinne H. Küngs sein30• Sie werden emphatisch gefeiert als einer jener "programmatischen Begriffe, mit denen ein Selbstverständnis der Neuzeit bündig zusamrnengefaßt wird"31 • Manche sehen in ihnen ",existenzielle' Ansprüche, welche die Substanz des Menschseins in der Gesellschaft berühren"32, andere wollen sie schlicht und in nachdrücklicher Ablehnung aller naturrechtliehen Begründungsversuche auf eine "value preference"33 reduziert wissen. All diese Metaphern, Umschreibungen und schlagwortartig verkürzten Definitionsansätze verweisen auf Dimensionen menschenrechtliehen Denkens außerhalb des Rechtlich-Normativen, auf Bezüge zum Theologischen, Politischen und Ideologischen und die verschiedensten in diesem Zusammenhang relevanten natur- wie geisteswissenschaftlichen Disziplinen34, die den MenH. Hofmann, Menschenrechtliche Autonomieansprüche, JZ 1992, S. 165 ff., 167. Zum Begriff G. Dietze, Bedeutungswandel der Menschenrechte, 1972, S. l 0. 26 U. P. Ramser, Das Bild des Menschen im neuen Staatsrecht, 1958, S. 150. 27 Staatslexikon der Görres-Gesellschaft, Bd. 3, 7. Aufl. 1987, S. 1107, linke Spalte. 28 F. v. Hippe/, Ideologie und Wahrheit in der Jurisprudenz, 1973, S. 144. 29 L. Moulin, in: E.-W. Böckenförde/R. Spaemann (Hrsg.), Menschenrechte und Menschenwürde, 1987, S. 16 ff., 16. 30 In diesem Sinne argumentiert W. Huber, Die tägliche Gewalt. Gegen den Ausverkaufder Menschenwürde, 1993, S. 174. 31 K. Hilpert, Die Menschenrechte, 1991, S. 19. 32 P. Pernthaler, Allgemeine Staatslehre und Verfassungslehre, 1986, S. 349. 33 S. Prakash Sinha, in: ARSP 70 (1984), S. 342 ff., 378. 34 F. Ermacora, Menschenrechte in der sich wandelnden Welt, Bd. l, 1974, S. 26; vgl. auch W. Eigel, Entwicklung und Menschenrechte, 1984, S. 39; E. Riede/, Theorie der Menschenrechtsstandards, 1986, S. 23, der eine theoretisch-rationale Letztbegründung der Menschenrechte trotz aller Bemühungen der Theologie, Philosophie, Anthropologie, Jurisprudenz etc. nicht filr möglich hält, aber dennoch ein "praktisches Bedürfnis" nach ihrer Begründung anerkennt. Diesem könne - bei aller Verschiedenheit der Begründungsmodelle - letztlich nur durch Konsens über die "Anerkennung der Menschenrechte als höherrangiges Recht" Rechnung getragen werden. Aus der klassi24

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Erster Teil: Methodische Grundlagen

sehen schon sehr viel früher und weitergehender als die Rechts- und Staatswissenschaft zum zentralen Erkenntnisgegenstand ihres Forschens erhoben haben. Sie sind fllr die Jurisprudenz über die Rolle bloßer Hilfswissenschaften längst hinausgewachsen. 35

Ein solchermaßen offener Begriff der Menschenrechte ist zweifelsohne untauglich filr die dogmatisch arbeitende Rechtswissenschaft und bedarf der Präzisierung zum juristisch handhabbaren Terminus. Doch die damit verbundene definitorische Verengung ist immer erst der zweite Schritt, die Frage nach den vor- und außerrechtlichen Implikationen der erste, notwendig vorgelagerte. Die Völkerrechtslehre darf auf das weit größere Potential der soeben exemplarisch herausgegriffenen Theorieansätze jenseits ihres Forschungsgegenstandes im engeren Sinne nicht verzichten, sondern muß sie zunächst ihrer eigenen Theoriebildung zugrunde legen. Nur so ist gewährleistet, daß die dogmatische rechtswissenschaftliche Forschung sich den in völkervertraglich positivierten Menschenrechtstexten wirkenden Rechtsgedanken nicht verschließt, die Bedeutung des Rechts im Wandel der Zeit erfassen und seine Fortbildung kritisch begleiten kann. Die methodische Konsequenz ist eindeutig: Der offene Menschenrechtsbegriff macht eine multidisziplinäre Analyse seiner konkreten Gehalte notwendig, er ist in den "Gesamtbereich der Humanwissenschaften"36 respektive Kulturwissenschaften einzugliedern, erfordert multidisziplinäre Forschung und muß von vielen Wissenschaften "vorbereitet", "mitgetragen" und "arbeitsteilig erfaßt" werden. 37 sehen völkerrechtlichen Grundlagenliteratur siehe darüber hinaus: D. Schind/er, Des Facteurs Sociologiques et Psychologiques du Droit International, in: Recueil des Cours (...), s. 235 ff., 240. 35 F. Ermacora bezeichnet im Vorwort (S. VII) zu seiner "Allgemeinen Staatslehre", 1. Teilband, 1970, die "politische Wissenschaft, die Soziologie, die Wirtschaftswissenschaften, die Statistik, die historischen Wissenschaften etc." als "Hilfswissenschaften der Allgemeinen Staatslehre" im technischen Sinne. Er merkt ebd. S. 216 aber auch kritisch an, daß "der Mensch als erkenntniswürdiges Objekt der Staatslehre und der Rechtswissenschaften" übergangen worden sei. Er werde wohl "von der Staats- und Rechtswissenschaft vorausgesetzt, aber nicht eigentlich zum Gegenstand kritischer staats- und rechtswissenschaftlicher Forschung gemacht." Begrifflich geglückt ist die Formulierung "Nachbarwissenschaften", die ein kooperatives Ineinandergreifen von Disziplinen und Methoden impliziert, vgl. dazu D. Grimm, Rechtswissenschaft und Nachbarwissenschaften, Bd. 1, 2. Aufl. 1976, Bd. 2. 36 F. Ermacora, Menschenrechte in der sich wandelnden Welt, Bd. 1, 1974, S. 35. 37 P. Häber/e, Perspektiven einer kulturwissenschaftlichen Transformationsforschung, in: ders., Europäische Rechtskultur, 1997, S. 149 ff., 151. Wenn Häherfe feststellt, daß "der Weg zum Verfassungsstaat letztlich nur in interdisziplinärer Zusammenarbeit und nur in kulturwissenschaftlichem Ansatz" begleitet werden kann (ebd.), so läßt sich dies, ausgeweitet auf die Kulturen und Zivilisationen, die die Weltgemeinschaft formen, als wissenschaftstheoretischer Grundsatz auch auf den intematio-

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111. Das multidisziplinäre Zusammenspiel der relevanten Forschungszugänge 1. Die Notwendigkeit einer multidisziplinären Analyse

Die geforderte multidisziplinäre Öffnung völkerrechtlicher Forschung auf dem Feld der Menschenrechte begegnet aufgrund eines in der Tradition H Kelsens gewachsenen Selbstverständnisses der Jurisprudenz als reiner Normwissenschaft mancher Kritik und muß daher ihre Notwendigkeit in besonderem Maße begründen. Der Ausgangspunkt hierfiir wurde bereits benannt: die Rolle der Kultur bei der Genese völkerrechtlicher Menschenrechtsgarantien und die Offenheit eines vordogmatischen Menschenrechtsbegriffs. Dem wird die bekannte These entgegengehalten, jede interdisziplinäre Erweiterung der spezifisch rechtswissenschaftliehen Analyse leiste einer unkontrollierbaren Politisierung des Rechts und letztlich der Beliebigkeit richterlicher Entscheidungsfmdung Vorschub.38 Doch die so umrissene Gefahr ist nur eine scheinbare, denn ein offener Ansatz, der die jedem Rechtssetzungs- und Interpretationsprozeß vorgelagerten kulturellen, politischen und sozialen Grundbedingungen aufgreift, will die Grenzen zwischen politisch Gewolltem und rechtlich Gesolltern nicht auflösen oder gar die klassischen Kunstregeln der Jurisprudenz als normativer Wissenschaft verabschieden. Es geht ihm vielmehr um einen ersten Zugriff im Vorfeld der dogmatischen Präzisierung. Die Jurisprudenz darf nicht übersehen, daß die vielberufenen kulturellen und politischen Entwicklungspronalen Menschenrechtsschutz übertragen. Vgl. darüber hinaus L. Kühnhardt, Die Universalität der Menschenrechte, 1987, S. 26; M Seck, Plädoyer filr eine Erziehung auf dem Gebiet der Menschenrechte in Afrika, in: EuGRZ 1990, S. 311 ff., 315. Zur "Einbettung des Individuums in Kultur, Globalkultur und Natur" siehe Ch. E. Ritterband, Universeller Menschenrechtsschutz und völkerrechtliches Interventionsverbot, 1982, S. 475 ff. Zur Interdisziplinarität in der Jurisprudenz bzw. im öffentlichen Recht allg. siehe E. Schmidt-Aßmann, Zur Situation der rechtswissenschaftliehen Forschung, JZ 1995, S. 2 ff. Er spricht zwar von einem Selbstverständnis der Jurisprudenz als "disziplinärer Individualforschung" (S. 2), wertet "Disziplinarität als zentrales Struktunnerkmal von Wissenschaft" (S. 7), betont aber gleichzeitig, daß angesichts der komplexen Problernsituationen in Bereichen wie Umwelt, Technologie, Medien etc. Interdisziplinarität eingefordert werden und dabei auf eine wissenschaftstheoretisch gesicherte Basis gestellt werden muß (S. 7 f.). Vgl. darüber hinaus C. Möllers, Braucht das öffentliche Recht einen neuen Methoden- und Richtungsstreit?, in: Verwaltungs-Archiv 90 (1999), S. 187 ff., 203 ff.; 0. Lepsius, Die Ökonomik als neue Referenzwissenschaft fllr die Staatsrechtslehre?, in: Die Verwaltung 32 (1999), S. 429 ff., 42~32; H. J. Berman, Towards an Integrative Jurisprudence: Politics, Morality, History, in: Califomia Law Review, Vol. 76 (1988), S. 779 ff., 797 ff. 38 So aus verfassungsrechtlicher Sicht z.B. W. Henke, Staatsrecht, Politik und verfassunggebende Gewalt, in: Der Staat 19 ( 1980), S. 181 ff., 190 f.

3 Kouur

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zesse ein entscheidendes Innovationspotential fUr rechtliche Veränderung beinhalten, Alternativen zu bisher Dagewesenem formulieren und erst den Raum schaffen, in dem der Gesetzgeber, die vertragschließenden Parteien im Völkerrecht sowie die Norminterpreten tätig werden. 39 Die den Rechtssetzungs- wie lnterpretationsprozeß teils analysierend begleitende, teils kreativ vorantreibende Wissenschaft darf diese ursächlichen Zusammenhänge nicht verleugnen und so ihren Erkenntnishorizont unnötig verengen. Selbst von einem eher positivistischen Standpunkt aus kann eine hinter den konkreten Rechtstexten stehende, aus politischem Wollen und gesellschaftlicher Wirklichkeit gespeiste Metaebene nicht geleugnet werden. Und erst die Erkenntnis, daß kein Rechtsakt aus dem normativen Nichts entsteht, sondern immer auch konkretes Ergebnis außerrechtlicher Vorgänge ist, vermag das Recht gegen unzulässige Politisierung und Ideologisierung zu schützen. Die Flucht in eine "reine Rechtslehre" wäre nur eine vermeintliche Rationalitätsgarantie und sie hat sich auch historisch als Irrweg erwiesen. Die spezifisch fUr das Menschenrechtsthema aufgestellte Forderung nach einem breit angelegten, disziplinübergreifenden Forschungsansatz ist - wie einleitend unter Bezug auf die Theoriegeschichte bereits ausgefUhrt - für die allgemeine völkerrechtliche Methodenlehre keineswegs ein Novum.40 Über den politischen Charakter des Völkerrechts, die alten, aber von Epoche zu Epoche gültig bleibenden Zusammenhänge von Recht, Politik und Moral und die damit in letzter Konsequenz verbundene konzeptionelle Einbettung völkerrechtlicher Forschungsarbeit in den übergeordneten Rahmen politischer Theorie besteht im Schrifttum seit Hugo Grotius' "Klassikertext"41 : "De Iure Belli ac Pacis libri tres", 1625, eine unter den Prämissen des jeweiligen Zeitgeistes immer wieder 39 H. L. A. Hart, The Concept of Law, 2nd ed. 1994 (Reprint 1997), S. 213: "multiple relationships between law, coercion, and morality"; E. Kramer, Juristische Methodenlehre, 1998, S. 193 ff., benennt explizit "ausserrechtliche Argumente" als "lnspirationsquelle für modo legislatoris geschaffenes Richterrecht": z.B. die ökonomische Analyse (S. 194 f. ), die Psychologie (S. 196), die Demoskopie (S. 196 f. ), sozialwissenschaftliche Begründungselemente (S. 197). 40 Schon R. v. Moh/, Staatsrecht, Völkerrecht und Politik, Bd. 1, 1860 (Nachdruck 1962), S. 580, beklagt, daß das Völkerrecht seiner Epoche die "grossen Bewegungen auf dem Gebiete der Rechtsphilosophie und der socialen Wissenschaften" weitgehend vernachlässigt habe. Von einem naturrechtliehen Standpunkt aus fordert W. Schücking, Die Organisation der Welt, in: FS P. Laband, Bd. I, 1908 (Nachdruck 1978) eine "philosophische Methode zur Fortbildung des Völkerrechts". Vgl. auch J. Soder, Die Idee der Völkergemeinschaft, 1955, S. 3; G. Schwarzenberger, Machtpolitik, 1955, S. 5, der ftlr die Wissenschaft von den internationalen Beziehungen unter Rückgriff auf die Terminologie A. Zimmernsein "Methodenbündel" verlangt. 41 Der Begriff des "Kiassikertextes" ist geprägt von P. Häber/e, Klassikertexte im Verfassungsleben, 1981. Dazu auch unter B. III.

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neu belebte Diskussion.42 Hier können nur wenige, besonders anschauliche Beispiele herausgegriffen werden. So postulierte U. Scheuner- über den politischen· Kontext hinausgehend - eine am Vorbild der Staats- und Verfassungsrechtswissenschaft orientierte "methodische Wende" im internationalen Recht, sprach sich gegen die Isolation aller "rechtlichen und staatlichen Erscheinungen" in einer "rein normativen Sphäre" und fUr eine wissenschaftstheoretisch notwendige, enge Verbindung zu den übrigen Geisteswissenschaften aus. 43 Die maßgebliche Bedeutung eines interdisziplinären Forschungsansatzes fUr das internationale Recht hat, vom rechtstheoretischen Hintergrund des "Common Law"-Systems beeinflußt, vor allem auch die anglo-amerikanische Völkerrechtswissenschaft herausgearbeitet.44 War in den USA wie anderswo die klassische Völkerrechtslehre streng in die Schule der Naturalisten und Positivisten gespalten45, so deutete sich nach 1945 als Konsequenz aus den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges eine Wende an. Die Katastrophe des Krieges besiegelte in den Augen vieler das Scheitern der alten, in doktrinärem Formalismus verhafteten, wirklichkeitsahgewandten Völkerrechtsordnung, die die souveränen Staaten und ihre Regierungen nicht in ein effektives internationales Sicherheitskonzept hatten integrieren können. Mit der Errichtung einer neuen Weltordnung unter dem Regime der Vereinten Nationen verbanden sie die Notwendigkeit zu einer pragmatischen Neuorientierung und damit zur Überwindung des überkommenen Dualismus von Naturrecht und Rechtspositivismus. Herausragendes Beispiel eines "policy-oriented approach" ist bis heute die von dem Juristen M McDougal sowie dem Soziologen und Politologen Lasweil, Professorenkollegen in Yale, begründete .,New Haven School", deren 42 Aus ideengeschichtlicher Perspektive siehe E. Reibstein, Völkerrecht. Eine Geschichte seiner Ideen in Lehre und Praxis, Bd. l, 1958, insbes. auch S. 3. Eine grundlegende Arbeit auf dem Felde der internationalen Beziehungen bleibt nach wie vor G. Schwarzenberger, Power Politics. A Study ofWorld Society, 3. Aufl. 1964; vgl. aber auch D. M Johnston, The Heritage of Political Thought in International Law, in: R. St. J. Macdonald/D. M. Johnston (Hrsg.), The Structure and Process of International Law, 1983, S. 179 ff., 179; F. Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, I. Bd., 2. Aufl. 1975, S. 25 ff.; K. lpsen, Völkerrecht, 4. Aufl. 1999, S. 45 ff.; 0. Kimminich, Einftlhrung in das Völkerrecht, 4. Aufl. 1990, S. 41 ff. mit weiterruhrenden Nachweisen. Allgemein zur Rechtswissenschaft als politischer Wissenschaft unter Rückgriff auf die Theorien Laswe/ls siehe schon G. Casper, Juristischer Realismus und politische Theorie im amerikanischen Rechtsdenken, 1967, S. 159 ff. 43 U. Scheuner, Staat und Staatengemeinschaft (1931), in: ders., Schriften zum Völkerrecht, 1984, S. 3 ff., S.8 f. 44 Vgl. z.B. M N. Shaw, International Law, 1986, S. 49 ff., der unter der bezeichnenden Kapitelüberschrift "New Approaches" einen guten Überblick gibt. Siehe auch G. Schwarzenberger, International Law and Order, 1971, S. 4. 45 Vgl. z.B. N. Purvis, Critical Legal Studies in Public International Law, in: Harvard International Law Journal (Vol. 32) 1991, S. 81 ff., 82.

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erklärte Zielsetzung die wissenschaftliche Fundierung einer "world public of human dignity" ist.46 Die Grundlage daftlr bildet eine Rechtstheorie, die das Wesen des Rechts nicht in Beschränkung auf eine nationalstaatliche Ordnung, sondern im "Weltmaßstab" des internationalen Beziehungsgeflechts zu ergründen sucht. 47 Unter dieser Prämisse sind Autorität und Legitimität der gesamten Völkerrechtsordnung aus einer universellen normativen Philosophie menschlicher Gerechtigkeit abzuleiten, deren Gehalt nur pragmatisch unter Bezugnahme auf menschliche Bedürfnisse, soziologische Gegebenheiten und politische Entscheidungsprozesse erfaßt werden kann.48 Im Mittelpunkt der Jurisprudenz McDougals steht letztlich der einzelne Mensch, der in Staat und Gesellschaft seine Wertvorstellungen zu verwirklichen trachtet.49 Zweck der Völkerrechtsordnung ist ftlr ihn daher, rechtliche und tatsächliche Grundbedingungen zur Realisierung der Menschenwürde in einer weltweit freien Gesellschaftsordnung zu schaffen.50 An dieser Stelle sollen nicht die Stringenz und Überzeugungskraft der Konzeption McDougals und seiner Schüler von Grund aufhinterfragt werden. Festzustellen bleibt aber, daß mit dem von ihm entwickelten Ansatz nicht nur die "politische Theorie Einzug in das amerikanische Rechtsdenken gehalten hat"51 • Die rechtstheoretische Besinnung auf den Menschen hat weit darüber hinausgehend die mit der Allgemeinen Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen ( 1948) sich allmählich intensivierende, keineswegs abgeschlossene, anthropozentrische52 Wende im Völkerrecht wissenschaftlich begleitet und 46 M McDougal/W M Reismann, International Law in Policy-Oriented Perspective, in: R. St. J. MacDonald/D. M. Johnston (Hrsg.), The Structure and Process of International Law, 1983, S. 103 ff.; siehe auch Ph. R. Trimble, International Law, World Order and Critical Legal Studies, in: Stanford Law Review (Vol. 42) 1990, S. 811 ff., 814. Für die deutsche Methodendiskussion: G. Casper, Juristischer Realismus und politische Theorie im amerikanischen Rechtsdenken, 1967, S. 81 ff. Für eine knappe Werkübersicht von Lasweil und McDougal vgl. W Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. II, 1975, S. 422 in Fn. 80; zur Fortentwicklung der Theorien vgl. L.-Ch. Chen, An Introduction to Public International Law, 1989. 47 W Krawietz, Juristische Entscheidung und wissenschaftliche Erkenntnis, 1978, S. 129. 48 Vgl. N. Purvis, Critical Legal Studies in Public International Law, in: Harvard International Law Journal (Vol. 32) 1991, S. 81 ff., 85. 49 W Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. II, 1975, S. 424. 50 Ph. R. Trimble, International Law, World Order and Critical Legal Studies, in: Stanford Law Review (Vol. 42) 1990, S. 811 ff., 815. 51 W Krawietz, Juristische Entscheidung und wissenschaftliche Erkenntnis, 1978, s. 129. 52 Zum Begriff siehe auch P. Häberle, Demokratische Verfassungstheorie im Lichte des Möglichkeitsdenkens, in: ders., Die Verfassung des Pluralismus, 1980, S. I ff., 28; J. Stone, A Sociological Perspective on International Law, in: R. St. J. Macdonald/D.

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exemplarisch herausgestellt, daß diese Entwicklung nur in multidisziplinärer Kooperation theoretisch aufbereitet werden kann.53 2. Eine Bestandsaufnahme möglicher Forschungszugänge

Muß die Jurisprudenz auf das Theorieangebot anderer Wissenschaften zurückgreifen, so ist damit notwendig immer auch eine Auswahlentscheidung verbunden, die ihrerseits wiederum rationaler Begründung bedarf. Welche anderen Disziplinen sind aus welchen Gründen zu befragen? Ein umfassender Kanon aller denkbaren Annäherungswege wird sich dabei kaum aufstellen lassen, es ist vielmehr bereichsspezifisch vorzugehen. Für den Menschenrechtstopos bietet sich eine erste, generelle Zweiteilung an. Die Menschenrechte sind eine juristisch-dogmatische Größe einerseits, ein jeder Positivierung vorausliegendes "philosophisch-ethisches Gebilde" andererseits. 54 Von dieser Prämisse ausgehend, sind vielgestaltige Differenzierungsmöglichkeiten denkbar: Menschenrechte als "Elemente staatlicher Verfassungen", "Bestandteile des Völkerrechts" oder "Inhalt religiöser bzw. allgemeiner weltanschaulicher Soziallehren. 55 Sehr viel weitergehend hat L. Kühnhardt - trotz expliziter Beschränkung auf den geistes- und gesellschaftswissenschaftliehen Bereich - in seiner politikwissenschaftlichen Studie zur "Universalität der Menschenrechte" acht teilweise ineinandergreifende "Forschungszugänge" entwickelt.56 Ausgangspunkt ist für ihn die "historische Genese" im Sinne klassischer geschichtswissenschaftlicher Forschung.57 Daran anschließend werden die "kulturellen WurM. Johnston (Hrsg.), The Structure and Process of International Law, 1983, S. 263 ff., 263; vgl. auch E. Friesenhahn, Der internationale Schutz der Menschenrechte, 1960, S. 18; Ch. Tomuschat, Der Verfassungsstaat im Geflecht der internationalen Beziehungen, VVDStRL 36 (1978), S. 7 ff., S. 53. Nicht vergessen sei allerdings, daß schon 1879 C. Bluntschli (Die Entwicklung des Rechts und das Recht der Entwicklung Kleine Schriften, S. 45) konstatierte: "Alles Recht dient dem Menschenleben". 53 Jedenfalls dieser wissenschaftliche Ertrag kann durch die teilweise sehr polemische Kritik an McDouga/s Konzept (z. B. H. Bülck, Universelles Völkerrecht, in: Der Staat 19 (1980), S. 260 ff.: "erwartungsvollen Völkerrechtsapologeten der Supermächte" (S. 266), "International Order of Human Digni!)' als moderner Sozialzement missionarischer Ideologien" (S. 269), "Hypermoral der Ubermächtigen"(ebd.)) nicht in Frage gestellt werden. 54 So z.B. W: Eigel, Entwicklung und Menschenrechte, 1984, S. 37. 55 Diese Kategorisierung schlägt K. Hilpert, Die Menschenrechte, 1991, S. 22, vor. Aus spezifisch sozialwissenschaftlicher Perspektive vgl. N. Luhmann, Grundrechte als Institution, 1986, S. 12. 56 L. Kühnhardt, Die Universalität der Menschenrechte, 1987, S. 26 ff. 57 Grundlegend hierzu ist der methodische Ansatz bei F. Ermacora, Menschenrechte in der sich wandelnden Welt, 1974; modernere Forschung einbeziehend H. Maier,

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Erster Teil: Methodische Grundlagen

zeln", "philosophischen Grundlagen", die "theologische Basis", "nationale Praxis", "behavioristische Perspektive", "internationale Ordnung" und, als Auffanggruppe, "Einzelprobleme des Menschenrechtsschutzes" genannt.58 Aber auch dieser Katalog bestimmt nur relativ allgemeine Kategorien, die in vielschichtiger und stets vom Vorverständnis des Forschenden geprägter Weise untergliedert werden können. So darf sich ein theologischer Ansatz nicht auf das christliche Abendland beschränken, sondern muß auf alle Weltreligionen ausgeweitet werden. 59 "Kulturelle Wurzeln" menschenrechtliehen Denkens können mit dem wissenschaftlichen Instrumentarium der Anthropologie analysiert60, in den schönen Künsten, der Musik, der Literatur entdeckt oder als Schwerpunktthemen der vergleichenden Kulturwissenschaften eingeordnet werden. Letztlich lassen sich ftlr jeden der von Kühnhardt vorgeschlagenen "Forschungszugänge"61 weiter ausdifferenzierte Unterpunkte denken. Außerdem erheben die vorgeschlagenen Kategorien keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sind exemplarisch, nicht abschließend gemeint. Auch wirtschaftswissenschaftliche Theoriekonzepte können einfließen - genannt sei das Stichwort von der "ökonomischen Analyse des Rechts"62 - oder naturwissenschaftliche Analysemodelle nutzbar gemacht werden - besonders wichtig ist Überlegungen zu einer Geschichte der Menschenrechte, in: FS für P. Lerche, 1993, s. 43 ff. 58 L. Kühnhardt, Die Universalität der Menschenrechte, 1987, S. 27-29 mit jeweils vertiefenden Nachweisen. 59 Zu den christlichen Ursprüngen der Menschenrechte siehe H. Maier, Wie universal sind die Menschenrechte?, 1997, S. 82 ff., zu den Gegensätzen und Gemeinsamkeiten christlicher und menschenrechtlicher Freiheit ebd. S. 52 ff. 60 Auch in der Jurisprudenz ist eine anthropologisch ausgerichtete Analyse des Rechts kein Novum, sondern wissenschaftlich bereits erprobt: vgl. z.B. L. Pospisil, Anthropologie des Rechts, 1972; G. Küchenhoff Rechtsbesinnung - Eine Rechtsphilosophie, 1973, S. 2; P. Sack/J. Aleck, Law and Anthropology, 1992; E.-J. Lampe, Rechtsanthropologie. Entwicklung und Probleme, in: ARSP 85 (1999), S. 246 ff., insbes. der Problemkatalog S. 261 ff. 61 L. Kühnhardt, Die Universalität der Menschenrechte, 1987, S. 26. 62 R. A. Posner, Economic Analysis of Law, 4th ed. 2nd printing, 1992; ders., The Economics of Justice, 1981 ; ders., Overcoming Law, 1996, S. 426 ff. S. auch H. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip - Möglichkeiten und Grenzen der ökonomischen Analyse des Rechts, 1995; K.-H. Fezer, Aspekte einer Rechtskritik an der Economic Analysis of Law, in: JZ 1986, S. 817 ff. Für die Verfassungstheorie vgl. aus der älteren Lit.: R. Eschenburg, Der ökonomische Ansatz zu einer Theorie der Verfassung, 1977; neuerdings z.B. T. Petersen, Prinzipien und Grenzen der ökonomischen Theorie der Verfassung, in: Der Staat 35 (1996), S. 411 ff.; M. Morlok, Vom Reiz und Nutzen, von den Schwierigkeiten und Gefahren der Ökonomischen Theorie für das Öffentliche Recht, in: Ch. Engei/M.Morlok (Hrsg.), Öffentliches Recht als Gegenstand ökonomischer Forschung, 1998, S. 1 ff. ; 0. Lepsius, Die Ökonomik als neue Referenzwissenschaft für die Staatsrechtslehre?, in: Die Verwaltung 32 (1999), S. 429 ff., 434 ff.

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hier die Übertragung des Evolutionsgedankens auf die Felder der Soziologie und der Rechtswissenschaft. 63 Interessante disziplinübergreifende Ansätze sind darüber hinaus auch im Rahmen der "Critical Legal Studies" vor allem in den Vereinigten Staaten entwickelt worden. Diese wichtige, der Idee der Postmodeme und damit stark pluralistischen Konzeptionen verhaftete Rechtstheorie wendet sich kritisch gegen eine traditionell-liberale Rechtsauffassung und ist offen filr "außerjuristisch" mitbeeinflußte Ansätze. Hinter dem Schlagwort "Critical Legal Studies" verbergen sich dabei ganz unterschiedliche Elemente einer "socialist, structuralist, deconstructionist, feminist, phenomenological and Hegelian critical legal theory". 64 Diese Liste der verschiedenen Kategorien, Disziplinen und Methoden ließe sich noch unschwer erweitern, die Bestandsaufnahme muß notwendig fragmentarisch bleiben. 3. Multidisziplinarität und Methodenpluralismus

Eine interdisziplinäre "Arbeitsteilung" auf wissenschaftstheoretisch hinreichend gesicherter Basis wirft - wie schon angedeutet - auch methodologische Probleme auf. Sie verlangt zwangsläufig die Offenheit von Methode und System65, erfordert einen "ineinandergreifenden Methodenpluralismus", der den spezifischen Bedürfnissen aller betroffener Disziplinen bzw. Referenzsysteme gerecht werden soll.66 Wenn die Berücksichtigung fachfremder Fragestellungen 63 Z.B. K. R. Popper, Auf dem Weg zu einer evolutionären Theorie des Wissens, in: ders., Eine Welt der Propensitäten, 1995, S. 55; N. Luhmann, Evolution des Rechts, in: ders., Ausdifferenzierung des Rechts, 1981; ders., Verfassung als evolutionäre Errungenschaft, Rechtstheoretisches Journal 9 (1990), S. 176 ff.; P. Häberle, in: FS filr K. Stern, 1997, S. 143 ff., 145; H. Helsper, Die Vorschriften der Evolution filr das Recht, Köln 1989; K. F. Röhl, Rechtssoziologie, 1987, S. 537 ff.; Th. Raiser, Das lebende Recht, 1995, S. 318 ff. 64 J. Boy/e, Introduction XIII, in: ders. (Hrsg.), Critical Legal Studies, 1995; ders., Is Subjectivity Possible?, in: University of Colorado Law Review, Vol. 62 (1991), S. 489 ff.; N. Purvis, Critical Legal Studies in Public International Law, in: Harvard International Law Journal (Vol. 32) 1991, S. 81 ff.; Ph. R. Trimble, International Law, World Order and Critical Legal Studies, in: Stanford Law Review (Vol. 42) 1990, S. 811 ff.; M. Habe/, Postmodeme Ansätze der Rechtserkenntnis, Archiv filr Rechtsund Sozialphilosophie (Vol. 83) 1997, S. 217 ff., 224. 65 E. Zeller, Auslegung von Gesetz und Vertrag, 1989, S. 45 ff. 66 F. Ermacora, Menschenrechte in der sich wandelnden Welt, Bd. I, 1974, S. 26; ebenso B. Simma, Bemerkungen zur Methode der Völkerrechtswissenschaft, in: FS E. Kolb, 1971, S. 339 ff.; M. Huber, Über die Geltung des Völkerrechts, in: ders., Rechtstheorie, Verfassungsrecht, Völkerrecht, 1971, S. 567 ff., 567. Zur "Wendung von der begrifflichen Formalistik zur geisteswissenschaftlichen Methode" vgl. bereits G. Holstein, Von Aufgaben und Zielen heutiger Staatsrechtswissenschaft, AöR 50 (1926), S. I ff., insbes. 31; zum Methodenpluralismus bei der Verfassungsinterpretation siehe

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Erster Teil: Methodische Grundlagen

fiir die Jurisprudenz zum unverzichtbaren Rüstzeug wird, entsteht daraus zugleich eines der wichtigsten innerjuristischen Methodenprobleme: Muß die Rechtswissenschaft sich hier allein auf ihre eigenen Instrumentarien stützen oder kann ihr Vorgehen durch außerjuristische Methoden ergänzt werden?67

Die Antwort hat zwei Seiten zu bedenken. Zum einen: Das filr die Darlegung eines Rechtsstoffes typische logisch-deduktive Vorgehen muß mit empirischen Ansätzen verknüpft werden, um soziologische und politische Wechselwirkungen im Kontext mit neuen normativen Strukturen einer sich dynamisch wandelnden Völkerrechtsordnung erfassen zu können.68 Denn nur so sind eine teleologisch ausgerichtete Norminterpretation und eine an den realen Bedürfnissen orientierte Rechtsfortbildung möglich.69 Zum anderen darf aber auf der Suche nach der "Richtigkeit einer Menschenrechtstheorie oder Menschenrechtsvergleichung" nicht unreflektiert oder gar unbewußt die, historisch wie kulturell bedingte, "Auslegungspluralität" einem rein "subjektiven oder machtpolitischen Auslegungsdezisionismus" gleichgestellt werden. 70 Andernfalls bestünden nicht zu unterschätzende Gefahren eklektizistischer Subjektivität. Vor allem gilt es auch zu bedenken, daß Methodenpluralismus nicht die schablonenhafte Übertragung der bloßen Nomenklatur einer Wissenschaftsdisziplin auf eine andere meint. Solcher Etikettenschwindel fUhrt nicht zu neuen Erkenntnissen, sondern trägt vielmehr das Risiko verfehlter Analogieschlüsse in sich. Damit werden aber auch die Grenzen eines multidisziplinären, methodenpluralistischen und - in diesem Rahmen weiter ausdifferenziert - multikulturellen Analyseansatzes deutlich.

H. Ehmlre, Prinzipien der Verfassungsinterpretation, in: VVDStRL 20 (1963), S. 53 ff., 58 ff.; P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 578 ff.; 0. Lepsius, Die Ökonomik als neue Referenzwissenschaft fllr die Staatsrechtslehre?, in: Die Verwaltung 32 (1999), S. 429 ff., 430 ff.; H. Eidenmüller, Rechtswissenschaft als

Realwissenschaft, in: JZ 1999, S. 53 ff., 57 f. 67 Dazu 0. Lepsius, Die Ökonomik als neue Referenzwissenschaft fUr die Staatsrechtslehre?, in: Die Verwaltung 32 (1999), S. 429 ff., 429. 68 B. Simma, Bemerkungen zur Methode der Völkerrechtswissenschaft, in: FS E. Kolb, 1971, S. 339 ff., 340/341; siehe dazu auch D. Schind/er, Des Facteurs Soziologiques et Psychologiques du droit International, in: Recueil des Cours ( ... ), S. 235 ff., 270 ff. 69 H. Eidenmüller, Rechtswissenschaft als Realwissenschaft, in: JZ 1999, S. 53 ff., 60 f. 70 W. Brugger, Menschenrechtsethos und Verantwortungspolitik, 1980, S. 35.

A. Der multidisziplinäre, kulturwissenschaftliche Ansatz

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4. Grenzen des multidisziplinären Ansatzes

Kein noch so weitläufig angelegtes Forschungsprojekt kann das Menschenrechtsthema unter jedem nur denkbaren Gesichtspunkt und aus der Perspektive aller relevanten Disziplinen oder Teildisziplinen beleuchten, geschweige denn alle auftretenden wissenschaftstheoretischen und methodologischen Fragen umfassend beantworten. Disziplin- und systemübergreifendes Denken bleibt vielmehr darauf angewiesen, die vorgefundenen Ergebnisse und divergierenden Ansätze der jeweils anderen Fachrichtungen zu übernehmen, ohne sie eigenständig von Grund auf zu hinterfragen. 71 So fmdet zwangsläufig ein Auswahlprozeß statt, der, um seinerseits dem Anspruch der Wissenschaftlichkeit zu genügen, einer erkenntnistheoretisch gesicherten, rationalen Basis bedarf und dem das durch "Kultur-Raum" und "Jetzt-Zeit" bestimmte kulturelle, aber auch personale Vorverständnis des jeweils Auswählenden wesentliche Prägung verleiht.72 Ohne Zweifel birgt ein Pluralismus von Disziplinen und Methoden für den Juristen, der die überkommenen Grenzen seines eigenen Fachs überschreiten will, eine Fülle nicht unerheblicher Risiken. Versucht er, die fachfremden theoretischen Grundlagen selbst zu entwickeln, sieht er sich dem Vorwurf des Dilettantismus ausgesetzt. Will er vorgefundene Ergebnisse nur rezipieren, so kann er zum einen die anderweitig erarbeiteten Theorien nicht unreflektiert auf seine eigene Disziplin übertragen, und muß zum anderen willkürliche Auswahlprozesse beim Rezeptionsvorgang vermeiden. Eine interdisziplinäre Studie bleibt jedenfalls dann mit der Gefahr des Eklektizismus73 konfrontiert, wenn sie das ihr zugrunde liegende Vorverständnis nicht transparent macht und sich der Relativität des gewählten Ansatzes nicht bewußt wird. Das Dilemma der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den internationalen Menschenrechten ist damit klar umrissen. Der Menschenrechtstopos Vgl. L. Kühnhardt, Die Universalität der Menschenrechte, 1987, S. 30. Ch. E. Ritterband, Universeller Menschenrechtsschutz und völkerrechtliches lnterventionsverbot, 1982, S. 27, anknüpfend an die zivilrechtliche Methodendiskussion bei J Esser, Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung, 1972, S. 44; parallele Erwägungen aus Sicht des bundesdeutschen Verfassungsrechts schon bei H. Ehmke, Prinzipien der Verfassungsinterpretation, in: VVDStRL 20 (1963), S. 53 ff., 56. Vgl. aus der Fülle der Lit.: K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 4. Aufl. 1979, S. 183 ff.; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1995 (Neudruck 1999), Rn. 62; E. Kramer, Juristische Methodenlehre, 1998, S. 220 ff.; zum Begriff eines "verfassungstheoretischen" Vorverständnisses vgl. F. Müller, Juristische Methodik, 6. Aufl. 1995, S. 240. 73 Zum Stichwort Eklektizismus vgl. W. Fikentscher, Methoden des Rechts in vergleichender Darstellung, Bd. ll, 1978, S. 186. 71

72

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Erster Teil: Methodische Grundlagen

als solcher ist von so großer Komplexität, daß er nur multidisziplinärarbeitsteilig und in multikulturellem Kontext erfaßt werden kann. Dabei müssen aber auch Beurteilungskriterien ungeprüft von den verschiedenen Disziplinen übemommen74, können kulturelle Vorprägung und Vorverständnis nicht "neutralisiert" und auch im Zusammenspiel der unterschiedlichen Forschungsansätze letztlich immer nur Teilsegmente des Problemhorizonts erfaßt werden. In Aporie endende "radikale Erkenntnisskepsis" - die neben der Rechtswissenschaft auch in anderen Disziplinen en vogue sein mag - böte gewiß einen Ausweg aus diesem Dilemma, aber keine sinnvolle Grundlage fUr weiterfUhrende wissenschaftliche Bemühun~en. 75 Ebenso wäre eine Rückkehr, wie ausgefUhrt, zur "reinen Rechtslehre" 6 , die die Jurisprudenz allein auf das "Sollen", auf ausschließlich normative Prämissen festlegt und alle außerrechtlichen Bezüge ausklammert, mit der notwendigen kulturwissenschaftlichen Einbettung der Menschenrechtsfrage nicht vereinbar. Die Autarkie der Rechtswissenschaft als vorgeblicher Garant ihrer Objektivität ist eine im tatsächlichen Wortsinne wirklichkeitsferne und -fremde Illusion. Eine Analyse völkerrechtlicher Normen muß, in noch sehr viel stärkerem Maße als im GefUge des innerstaatlichen Rechts, die Grenzen eines methodologisch geschlossenen normativen Systems aufbrechen, dafUr aber die Vielschichti.P.'eit des Entstehungsprozesses rechtlicher Strukturen zur Kenntnis nehmen. 7 Verbindliches Völkergewohnheitsrecht oder konkrete Vertragstexte sind ebenso das Resultat politischideologischer Gegensätze und Interessendivergenzen, die es im echten Vergleich und nicht nur durch einen Formelkompromiß zu überwinden, wenigstens auszugleichen gilt. Sie sind aber auch Ausdruck gemeinsamer Ordnungsvorstellungen, die von vomherein eine trag- und entwicklungsfilhige Konsensbasis begründen. 78 Das Völkerrecht aus seinen Texten und Kontexten zu begreifen, wird von daher zu einer unverzichtbaren methodischen Vorgabe.

Sehr restriktivE. Riede/, Theorie der Menschenrechtsstandards, 1986, S. 374. F. Bydliski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff., 2. Aufl. 1991, S. 173. 76 H Kelsen, Reine Rechtslehre, 1960, S. 251 ff. und S. 349 ff.; vgl. kritisch hierzu F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. Aufl. 1991, S. 48; E. Denninger, Über das Verhältnis von Menschenrechten zum positiven Recht, JZ 1982, 74 75

s. 225 ff., 225.

77 Zur Bedeutung der ideengeschichtlichen Zusammenhänge bereits G. Ho/stein, Von den Aufgaben und Zielen heutiger Staatsrechtswissenschaft, in: AöR 50 (1926), s. 1 ff., 31. 78 B. Simma, Bemerkungen zur Methode der Völkerrechtswissenschaft, in: FS E. Kolb, 1971, S. 339 ff., 341; M. S. McDouga//W. M. Reismann, International Law in Policy-Oriented Perspective, in: R. St. J. Macdonald/D. M. Johnston (Hrsg.), The Structure and Process oflnternational Law, 1983, S. 103 ff., 117.

B. Der textwissenschaftliche Ansatz

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B. Der textwissenschaftliche Ansatz I. Die wachsende Bedeutung der Hermeneutik für das Völkerrecht Für den kontinentaleuropäisch geschulten, von der Tradition einer geschriebenen Verfassung geprägten Juristen bedeutet Rechtswissenschaft immer auch Arbeiten an Texten. Er begreift die Jurisprudenz von vornherein als hermeneutische Wissenschaft. 79 Eine andere Perspektive bietet der anglo-amerikanische Rechtskreis mit seinem Nebeneinander von common und statutory law und in dessen Konsequenz einem sehr viel größeren Gewicht auf der richterlichen Entscheidung im Präzedenzfall. Rechtsfmdung ist dort nicht allein methodisch geordnete Interpretation des geschriebenen Gesetzes. Dabei gibt es freilich wiederum viele Nuancen, deutlich sichtbar an der unterschiedlichen Verfassungstradition in den Vereinigten Staaten und England: hier die geschriebene Verfassung und die großen Rechtsprechungsleistungen des Supreme Court, dort Verfassungsstaatlichkeit ohne eine geschriebene Verfassungsurkunde. Ohnehin ist vor dem Hintergrund heterogener Rechtskulturen textwissenschaftliches Arbeiten filr das Völkerrecht keine Selbstverständlichkeit. Seine Grundlagen beruhten seit jeher auf Gewohnheitsrecht, allgemeinen Rechtsgrundsätzen und von den Staaten postulierten Doktrinen. Das Völkervertragsrecht, vor allem in der Phase vor dem Völkerbund, regelte in bilateralen wie multilateralen Abkommen eine unüberschaubare Fülle zwischenstaatlicher Beziehungen, ohne die übergeordneten, fUr die Völkergemeinschaft konstitutiven Prinzipien auf einheitliche Texte zu bringen. Doch die Idee einer neuen Weltordnung unter dem Regime der Vereinten Nationen brachte einen lnnovationsschub, der textgeleitetes Arbeiten ftlr die Völkerrechtswissenschaft heute von immer größerer Bedeutung werden läßt. Je intensiver sich das internationale Recht eine "verfassende" Rahmenordnung80 schafft, desto ausdifferenzierter und umfassender werden seine Kodifikationsleistungen. Vor allem die UNCharta und die beiden Weltpakte über bürgerliche und politische auf der einen, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte auf der anderen Seite etc. bilden einen Kodex der Fundamentalprinzipien des modernen Völkerrechts und for79 Vgl. P. Häberle, Textstufen als Entwicklungswege des Verfassungsstaates (1989), in: ders., Rechtsvergleichung im Kraftfeld des Verfassungsstaates, 1992, S. 3 ff., 4. Klassisch hierzu das Dictum von F. C. K. v. Savigny, Juristische Methodenlehre, 1802/3 (hrsg. v. G. Wesenberg, 1951), S. 15: "Die Jurisprudenz ist eine philologische Wissenschaft." Von einer "ins Wesen treffende(n) Verbindung des Rechts zur Sprache" ausgehend E. Forsthoff. Recht und Sprache, 1940, S. I. Aus Sicht der Linguistik D. Busse, Recht als Text, 1992, S. II, 41 ff., 73 ff. und passim. 80 Dazu ausfllhrlich unten 3. Teil A. III. 3. und B. 111.

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Erster Teil: Methodische Grundlagen

mutieren Texte fUr die gesamte Völkerrechtsgemeinschaft, ja die ganze Menschheit81 • Da diese Verträge von der überwiegenden Zahl aller Staaten ratifiziert worden sind, verliert ihre relative, nur zwischen den Parteien wirkende Verbindlichkeit zunehmend an Bedeutung und sie sind schon heute ein Stück völkerrechtlicher Weltliteratur (P. Häberle). 82 Wie die Texte wirken, welche neuen Anstöße sie vermitteln können, hängt vor allem davon ab, was hinter ihnen steht. Aufschlußreich ist ein Blick auf die Arbeit der bereits 1947 geschaffenen Völkerrechtskommission, der International Law Commission {ILC)83 , die in Art. 13 Abs. 1 (a), 2. Alt. SVN die Rechtsgrundlage fUr ihr Tätigwerden fmdet. Mehr als 30 weisungsfreie Mitglieder aus den unterschiedlichen Rechtskulturen, zum Teil ftlhrende Völkerrechtswissenschaftler, erstellen Vertragsentwürfe, sei es, um Entwicklungsperspektiven ftlr noch ungeklärte Rechtsgebiete aufzuzeigen, sei es, um bereits geklärte Rechtsfragen im Interesse größerer Rechtsklarheit und Rechtssicherheit zu kodifizieren.84 Dahinter steht auch die Idee, daß die nach dem Zweiten Weltkrieg zu schaffende neue internationale Ordnung konkreter, sie stabilisierender und damit letztlich "verfassender" Texte bedarf, die alle Mitgliedstaaten in souveräner, ihrem politischen Willen genauso wie ihrer verfassungsrechtlichen Ordnung entsprechender Entscheidung gemeinsam mitzutragen willens und bereit sind. 85 Die Arbeiten der ILC erstrecken sich über einen Zeitraum von mehreren Jahren oder Jahrzehnten, in ständiger Rüs;kkoppelung mit dem Rechtsausschuß der Generalversammlung und den Mitgliedstaaten. Dieses gemeinsame, Kulturund Rechtskreise übergreifende Ringen um juristische Texte in einem teils wissenschaftlich, teils politisch bestimmten Kommunikationsprozeß verbürgt de-

81 In diesem Sinne schon der Dissent von M A/varez im Genozid-Fall, I.C.J.Reports 1951, S. 15 ff., 51; vgl. auch W. Graf Vitzthum, Begriff, Geschichte und Quel.Jen des Völkerrechts, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, 1997, S. 1 ff., 40. 82 Zur anders gelagerten, konkreten Problematik der Entwicklung von allgemeinem Völkerrecht aus völkerrechtlichen Verträgen siehe die Entscheidung des IGH im Nordsee-Festlandsockelfall, I.C.J.-Reports 1969, S. 3 (41 ff.). 83 UN Doc. A/RES/174 (II); ebendort findet sich auch das Statut der ILC. 84 Dazu siehe E. Klein, Die Internationalen und Supranationalen Organisationen als Völkerrechtssubjekte, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 1997, S. 267 ff., S. 367; Ch. Tomuschat, ILC - die Völkerrechtskommission, in: Handbuch VN, S.33lff. 85 C.-A. Fleischhauer, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen. Kommentar, 1991, Art. 13 Rn. 4; zum Zweck völkerrechtlicher Kodifikationen vgl. W. K. Geck, Völkerrechtliche Verträge und Kodifikationen, in: ZaöRV 36 (1976), S. 96 ff., 102 ff., 129 ff.

B. Der textwissenschaftliche Ansatz

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ren hohe Relevanz. 86 Selbst wenn ein Vertrag letztlich nicht zustande kommt oder ein Vertragswerk nur von wenigen Staaten gebilligt wird - manche mögen sich den Beitritt zu einer multilateralen Übereinkunft auch ftlr einen späteren Zeitpunkt offenhalten -, so sind die Texte und Vertragsentwürfe doch allen beteiligten Kräften, bewußt oder unbewußt, präsent und steuern so wenigstens mittelbar die Rechtsanwendung und Rechtsfortbildung in den einzelnen Staaten ebenso wie in internationalen Gremien. Die tragenden Bestandteile des völkerrechtlichen Normgebäudes lassen sich somit aus seinen Texten konstruieren, bisweilen auch rekonstruieren. Das Textmaterial ist dabei nicht auf die in Kraft getretenen Verträge, die Iex scripta im Sinne einer streng positivistischen Doktrin, beschränkt, sondern sehr viel umfassender. Einbezogen werden müssen die Vertragsentwürfe bzw. die travaux preparatoirs, Resolutionen der UN-Generalversammlung oder anderer internationaler Organisationen, schließlich der gesamte Bereich des soft law. Eine wichtige Rolle spielen aber auch Deklarationen, einseitige Erklärungen der Staaten und wissenschaftliche Texte, hier vor allem die klassischen Schriften der großen Völkerrechtler. Zu denken ist nicht zuletzt an die Leitentscheidungen der Gerichte als prätorisch entwickelte Rechtstexte. Aus der Fülle dieser Texte einen tragflihigen Theorierahmen fUr ihre unterschiedlichen Teilgebiete, insbesondere das weite Feld der Menschenrechte, zu entwickeln, ist Aufgabe der Völkerrechtslehre. Für sie gilt in immer stärkerem Maße das von N. Onufgeprägte Dictum: "Scholarship is ( ... ) a thing and a process, a series of texts and, in a farniliar smile, a conversation enacted through texts."87

II. Voraussetzungen für das Verstehen völkerrechtlicher Texte Ist das Völkerrecht eine hermeneutisch arbeitende Wissenschaft, so stellt sich ihm die Aufgabe methodisch strukturierter Textinterpretation, die filr das Verstehen der Texte unverzichtbar ist. Die Wiener Vertragsrechtskonvention (WVK) hält filr den Interpretationsprozeß in Art. 31 ff. ein Instrumentarium allgemein vom Völkerrecht anerkannter Auslegungsregeln bereit, das weitgehend auch kraft Völkergewohnheitsrechts filr all die Staaten gilt, die der Konvention nicht beigetreten sind. Neben dem Grundsatz von Treu und Glauben 86 Zu den Vorarbeiten und dem Verfahren in der Völkerrechtskommission W K. Geck, Völkerrechtliche Verträge und Kodifikationen, in: ZaöRV 36 (1976), S. 96 ff., 109 ff.; C-A. Fleischhauer, in: B. Siroma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, 1991,

Art. 13, Rn. 12 ff. 87 N. Onuf, The Constitution oflntemational Society, in: EJIL 5 (1994), S. I ff., I.

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Erster Teil: Methodische Grundlagen

sind mit den Stichworten Vertragswortlaut, Systematik, Telos bzw. Vertragszweck und Entstehungsgeschichte (Art. 32 WVK, die Umstände des Vertragschlusses als ergänzendes Auslegungsmittel) im wesentlichen die materiellen Auslegungskriterien genannt, die in der Tradition F. C. von Savignys auch filr das innerstaatliche Recht gelten. Doch ermöglichen die Kunstregelnjuristischer Hermeneutik nur einen teilweisen Zugriff auf die oft sehr viel tiefer gründenden philosophisch-kulturellen Gehalte der Texte. Diese dürfen aber vom Völkerrecht gerade dort nicht außer Acht gelassen werden, wo es wie beim internationalen Menschenrechtsschutz dogmatisches Neuland betritt und stetiger Selbstvergewisserung bedarf. Rechtstexte verstehen heißt, sie aus ihrem kulturellen Kontext heraus, auch aus der Wirklichkeit, der sie ein nonnatives Programm vorgeben wollen, zu begreifen. Die Völkerrechtstexte beruhen auf konkreten Erfahrungen, sind - mitunter auch nur formelhafte - Kompromisse verschiedener politischer Ideen, Rechtssysteme und vor allem Kulturen. Sie können daher noch sehr viel weniger als innerstaatliche Verfassungs- oder Gesetzestexte durch eine rein dogmatischexegetische Annäherung im Sinne eines unkritischen Positivismus erschlossen werden. Sinnvolles Verstehen eines Normtextes kann nur aus seinem historischen, sozialen und kulturellen Kontext Gelingen und ist nicht allein ein hermeneutisches Problem im engeren Sinne. 8 Text und Kontext des IPbürgR selbst mögen als Beispiel dienen. Der Pakt widerspiegelt Vorgefundenes, politische Vorstellungen, kulturelle Eigentümlichkeiten, rechtliche wie gesellschaftliche Erfahrungen und nicht zuletzt divergierende Vorverständnisse der vertragschließenden Parteien. Er formuliert Kompromisse und ist Ergebnis vielschichtiger, historisch in die "Zeit" und rechtsvergleichend in den "Raum" ausgreifender Rezeptionsprozesse. 89 Es wäre daher kurzsichtig, hinter einem völkerrechtli-

88 Auch in diesem Zusammenhang lassen sich fllr das Völkerrecht wichtige Ansätze · aus der Verfassungsrechtswissenschaft, Rechtstheorie und Philosophie rezipieren. Vgl. z.B. K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1995 (Neudruck 1999), Rn. 61-65, zur Frage des sinnvollen "Verstehens" verfassungsrechtlicher Verbürgungen. K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 181, bezeichnet die Jurisprudenz als eine "verstehende" Wissenschaft. Grundlegend zum philosophischen Begriff des "Verstehens" siehe H. -G. Gadamer, Wahrheit und Methode, 4. Aufl. 1975, S. 245 ff. 89 Grundlegend hierzu aus der Perspektive der Verfassungslehre P. Häberle, Textstufen als Entwicklungswege des Verfassungsstaates (1989), in: ders., Rechtsvergleichung im Kraftfeld des Verfassungsstaates, 1992, S. 3 ff., 4. Zur Bedeutung der Rechtsvergleichung im V~lkerrecht siehe H. Krüger, Das Programm. Verfassung und Recht in Ubersee, in: VRU I (1968), S. 3 ff., 7ff.; K. Zweigert/H. Kötz, Einfllhrung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 1996, S. 7 f.

B. Der textwissenschaftliche Ansatz

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eben Vertragstext nur Rechtsanwendungsbefehle zu vermuten, die sich im Sinne des oben genannten Kanons der historischen, grammatikalischen, systematischen und teleologischen Auslegungsmethoden mehr oder weniger eindeutig erfassen ließen. Der Text ist zugleich über seine nonnativen Bedeutungsschichten hinaus umfassender Ausdruck sozialer Zusammenhänge, Interessenlagen, der gesamten Lebensumstände, auf die er sich bezieht, die er rechtlich durchdringen und in denen er Geltung beanspruchen will. 90 Ein solches Text- und Kontextverständnis nimmt die Iex scripta auch jenseits ihrer rein nonnativen Aussagen ernst und bietet eine erkenntnistheoretisch hinreichend abgesicherte, rationale Ausgangsbasis ft1r eine Teilannäherung an die komplexe Menschenrechtsfrage. Der positive Text gibt dabei Orientierungsrahmen und -maßstab vor. Er ist zwar - im technischen Sinne - keine Bestandsaufnahme all der wissenschaftlichen Leistungen, die die relevanten Geistes- und Gesellschafts-, ja auch Naturwissenschaften zum Menschenrechtsdenken beigetragen haben, aber er baut auf diesen Bemühungen auf und ist von ihren Ergebnissen mitbestimmt. Das gilt sowohl, wo er in positivem Sinne Neues wagt, als auch, wo er in negativem Sinne verklausulierte und formelhafte Kompromißlösungen anstrebt, deren rechtliche Tragflihigkeit wie praktische Durchsetzbarkeit kaum zu überzeugen vermögen. Dient jede juristische Interpretation letztlich dazu, das nonnative Telos eines Rechtssatzes möglichst eindeutig zu umreißen, so kann dies nur gelingen, wenn, gleichsam vorgeschaltet, die Genese des Textes unter Berücksichtigung aller sie bestimmenden historischen, politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Faktoren mitberücksichtigt wird. 111. Die Rezeption von Klassikertexten im Völkerrecht I. Der Klassikerbegriff

Unter den vielgestaltigen, die Theoriebildung anleitenden Textquellen kommt den völkerrechtlichen Klassikertexten besondere Bedeutung zu. Der "Klassiker" oder das "Klassische" ist freilich kein spezifisch juristischer Terminus, sondern entfaltet in seiner allgemeinsprachlichen Verwendungsweise ein breites Spektrum unterschiedlicher Bedeutungen: die klassische, ernste Musik als Gegenbegriff zur Unterhaltungsmusik, die Klassik als Epoche in der Kunst- oder Literaturgeschichte, klassisch als Synonym ftlr die griechischrömische Antike, aber auch als Qualitätsbezeichnung ftlr Mustergültiges, zeit-

90

K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 187.

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Erster Teil: Methodische Grundlagen

los Wirkendes. Für die Verfassungslehre hat P. Häberle das Attribut "klassisch" hinsichtlich seiner Verwendungsweisen differenziert und spricht von einem "Wertbegriff' auf der einen, einem "Erfolgsbegriff' auf der anderen Seite. 91 Gemeint sind damit zwei voneinander abhängige Aspekte. "Klassisch" wird wertend zum Synonym herausragender Qualität und benennt deskriptiv die Autoren und Werke, die nachhaltige Wirkung erzielt und weitgehende Anerkennung gefunden haben, deren Maßstäbe vom betroffenen Adressatenkreis ftlr verbindlich erachtet werden oder die als "Gegenklassiker" eine kritische Diskussion provozieren.92 Gerade deshalb haben die Klassikertexte in einer politischen Gemeinschaft mitkonstituierende Funktion, sie sind "Verfassungstexte im weiteren Sinne"93 . Sie wirken als der geschriebene Kontext zur Verfassung und entwickeln inhaltlich viele der fundamentalen Gerechtigkeitsprinzipien, aus denen die positivierten Kernsätze der Verfassung letztlich ihre Legitimität und Lebenskraft schöpfen. 2. Klassikertexte im Völkerrecht: Die Bedeutung von Art. 38 lit. d des /GH-Statuts

Auch das Völkerrecht bedarf solcher konstituierender Texte im weiteren Sinne, die auf Weltebene wirken. Klassiker sind hier unverzichtbare Konsensfaktoren, da sie ihr jeweiliges Ideengut über den eigenen Kulturkreis hinaus transportieren und ein globales Kulturgespräch ermöglichen. Sie vermitteln zudem weiterwirkende Erfahrungen aus der Vergangenheit, die die Menschheit als solche in der Gegenwart angehen. Dieser Gedanke fmdet eine Stütze auch im positiven Völkerrecht: Art. 38 lit. d des IGH-Statuts weist neben richterlichen Entscheidungen auch die "Lehrmeinung der fähigsten Völkerrechtler der verschiedenen Nationen als Hilfsmittel zur Feststellung von Rechtsnormen" aus. Schon dessen Vorläufer, Art. 38 Abs. 4 des Statuts des Ständigen Internationalen Gerichtshofes, hatte die Judikatur und die Völkerrechtsdoktrin in den Katalog der Rechtsquellen aufgenommen. Dabei belegen Entstehungsgeschichte94 und Wortlaut, daß beide nicht selbständige Rechtsquellen sind, sondern den Bestand vertrags- bzw. gewohnheitsrechtlicher Normen oder allgemeiner Rechtsgrundsätze voraussetzen und lediglich als Hilfsmittel zur Klärung strittiger Fragen bei zweifelhaftem Norminhalt dienen ("moyen auxiliaire de deter-

Klassikertexte im Verfassungsleben, 1981, S. 14. Ebd. 93 Ebd., S. 12. 94 Dazu A. Verdross, Die Verfassung der Völkerrechtsgemeinschaft, 1926, S. 68; G. J. H. van Hoof, Rethinking the Sources oflntemational Law, 1983, S. 135 ff. 91

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B. Der textwissenschaftliche Ansatz

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mination des regles de droit"95). Entscheidend bleibt aber, daß durch die Aufnahme in Art. 38 Abs. 4 bzw. der heutigen lit. d die Rechtsansichten der angesehensten Völkerrechtler, der Klassiker des völkerrechtlichen Schrifttums, nicht auf eine bloße Erkenntnis- oder Interpretationsfunktion reduziert werden, sondern eigene "Rechtsautorität" erlangen und "Hilfsrechtssätze", nicht nur wissenschaftliche Erkenntnisse, vermitteln.96 In den Klassikertexten ist ein Stück Narrnativität schon mitangelegt. 3. Rezeptionsmodelle

Klassiker wirken im Völkerrecht durch ihre Rezeption: Spricht Art. 38 lit. d IGH-Statut von den "Lehrmeinungen der fähigsten Völkerrechtler", so setzt er ja den oben umschriebenen, materialen und zugleich "pragmatisch-gemeinschaftsbezogenen" Klassikerbegriff voraus. Welche Lehrmeinungen besondere Autorität beanspruchen können, hängt neben dem Objektiv-Inhaltlichen von ihrem Erfolg in der jeweiligen Rezipienten-Gemeinschaft, von der kritischen Aneignung des Werkes durch sein Publikum ab. 97 Rezeptionswege und -verfahren sind dabei sehr komplex, und Kausalitätsketten können nicht mit letzter Sicherheit nachvollzogen werden. 98 Zudem gibt es zahlreiche Überschneidungen zwischen der Übernahme von Vorgedachtem und einer eigenständigen, produktiven Fortschreibung. Rezeptionen wirken so als Motoren der Modernisierung, sind immer ein Janus von tradierter Erfahrung und zukunftsorientierter Innovation. Angesichts dieser unübersichtlichen Gemengelagen besteht eine nicht zu unterschätzende Gefahr. Die pauschale Behauptung, dieser oder jener Klassiker habe einen völkerrechtlichen Vertrag, eine Doktrin oder ein Judikat mitbeeinflußt, nur weil manche Parallelen in Inhalt, Darstellung und Argumentation nachzuweisen sind, greift zu kurz und ist kaum verifizierbar.99 Soll die

95 A. Verdross, Die Verfassung der Völkerrechtsgemeinschaft, 1926, S. 68; T EIlias, The International Court of Justice and some Contemporary Problems, 1983, S. 14: "points of reference", "examples in illustration"; S. Rosenne, The Law and Practice of the International Court, 2nd ed. 1985, S. 614. 96 A. Verdross, Die Verfassung der Völkerrechtsgemeinschaft, 1926, S. 69; G. J. H van Hoof, Rethinking the Sources of International Law, 1983, S. 176 ff. 97 P. Häberle, Klassikertexte im Verfassungsleben, 1981, S. 38 f. 98 P. Häberle, Theorieelemente eines allgemeinen juristischen Rezeptionsmodells, in: JZ 1992, S. 1033 ff., I 035. 99 Vgl. dazu auch die skeptische Haltung bei H. Krüger, Das Programm. Verfassung und Recht in Übersee, in: VRÜ I (1968), S. 3 ff., 7 ff. : Rezeption meine die Übernahme nicht nur einzelner Aspekte einer fremden Rechtsordnung, sondern vollständiger Gedankensysteme; die vollständige Wirklichkeit könne aber nicht rezipiert werden.

4 Kotzur

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Erster Teil: Methodische Grundlagen

Rezeptionstheorie für die Rechtswissenschaft nutzbar gemacht werden, so bedarf sie einer weitergehenden Systematisierung. 100 Es muß zunächst nach den Rezeptionswegen differenziert werden. Klassikertexte können neue völkerrechtliche Verträge schon in ihrer Entstehungsphase prägen oder bei der Vertragsänderung Anstöße geben. Sie wirken daneben auf die Spruchpraxis der internationalen Gerichte genauso wie auf die Völkerrechtslehre, können schließlich auch die Praxis anleiten. 101 Dabei ist für jeden einzelnen der Rezeptionswege nach der jeweiligen Rezeptionsart zu differenzie102 ren. a) Am eindeutigsten ist wohl die formale Rezeption, die durch wörtliche Zitate oder Literaturnachweise den Urheber einer übernommenen Idee ausdrücklich benennt. In wissenschaftlichen Arbeiten sind solche Belege, oft in einem ausfuhrliehen Fußnotenapparat, Selbstverständlichkeit. Es finden sich aber auch Klassikerzitate in Urteilsbegründungen und vertragsvorbereitenden Materialien, den travaux preparatoirs, nicht in den Vertragstexten selber. Aufschlußreiches Beispiel fllr die Klassikerrezeption in den Judikaten internationaler Gerichte ist die Praxis des IGH in Bezug auf Art. 38 lit. d IGH-Statut. In den die Entscheidung tragenden Gründen finden sich nur selten direkte und namentliche Zitate aus den Schriften der "fähigsten Völkerrechtler", Verweise auf die Literatur bleiben bewußt vage, nachvollziehbar etwa an einer typischen Formulierung im Fall Nottebohm : "The same tendency prevails in writings of publicists and in practice." 103 Demgegenüber werden die Klassiker oft in den Parteianträgen sowie in den dissenting und individual opinions einzelner Richter zitiert. 104 Einige Beispiele aus der neueren Rechtsprechung des Gerichtshofes mögen der Illustration dienen 105 : Weeramantry stützt seine separate opinion 100 P. Häberle, Theorieelemente eines allgerneinen juristischen Rezeptionsrnodells, in: JZ 1992, S. 1033 ff.; G. Frankenberg, Stichworte zur "Drittwirkung" der Rechtsphilosophie im Verfassungsrecht, in: R. Gröschner/M. Morlok (Hrsg.), Rechtsphilosophie und Rechtsdogmatik in Zeiten des Umbruchs, 1997, S. 105 ff., 110. 101 Vgl. P. Häber/e, Theorieelemente eines allgemeinen juristischen Rezeptionsrnodells, in: JZ 1992, S. 1033 ff., 1036. 102 Dazu und zum folgenden G. Frankenberg, Stichworte zur "Drittwirkung" der Rechtsphilosophie im Verfassungsrecht, in: R. Gröschner/M. Morlok (Hrsg.), Rechtsphilosophie und Rechtsdogmatik in Zeiten des Umbruchs, 1997, S. 105 ff., II 0. 103 I.C.J.-Reports 1955, S. 4 ff., 22; vgl. dazu S. Rosenne, The Law and Practice of the International Court, 2nd ed. 1985, S. 616. 104 Allgemein zu Sondervoten P. Häber/e, Kommentierte Verfassungsrechtsprechung, 1979, S. 24 ff.; ders., Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 104 ff. 105 Für eine sehr viel ausflihrlichere Übersicht sei auf den Annex arn Ende jedes Einzelbandes der I.C.J.-Reports hingewiesen, in dem die in den Urteilen zitierten Dokumente und Texte aus dem völkerrechtlichen Schrifttum zusammengestellt sind.

B. Der textwissenschaftliche Ansatz

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im Fall Bosnia and Herzegovina v. Yugoslavia (Application of the Genocide Convention) auf Aristoteles106, im Gutachten zur "Le§ality ofthe 11rreat or Use of Nuclear Weapons" auf de Vatte/ 101 , John Rawls 10 und H. L. A. Harl 09 • In letzterem Fall argumentiert Koroma in seinem Dissent mit Klassikertexten von H. Grotius 110, de Vattel ist präsent in Shahabuddeens separate opinion im Urteil Denmark v. Norway (Maritime Delimination)lll. Die unterschiedliche Behandlung der Klassiker in den Entscheidungsgründen des Mehrheitsvotums auf der einen, in Sondervoten und Anträgen auf der anderen Seite ist kein Zufall. Verläßt sich das Urteil auf eine gesicherte Rechtsprechung, so besteht ein geringerer Legitimationsbedarf. Außerdem soll ein bewußt objektiv gehaltener Argumentationsstil den Eindruck vermeiden, das Entscheidungsgremium verließe sich eher auf die letztlich subjektiven Meinungen der Klassiker als auf den tatsächlichen Inhalt des Rechts. Demgegenüber muß der Antragsteller im Verfahren ebenso wie der abweichende Votant seine Argumente sehr viel ausfilhrlicher begründen und sich auf die Klassiker als Quellen fiir Stringenz, Überzeugungskraft, ja Legitimation seiner Ansicht berufen. Eines aber wird ganz deutlich: Unabhängig davon, ob in der Mehrheitsentscheidung oder in der dissenting bzw. concurring opinion zitiert, spielen die Völkerrechtsklassiker eine insgesamt nicht unbedeutende Rolle bei den kontroversen Urteilsberatungen des Gerichts, sie sind als Kontext der Entscheidungstindung präsent. Da vor allem die Sondervoten als wichtige Instrumente der Rechtsfortbildung dienen, machen sie das in den Klassikertexten gespeicherte Erfahrungswissen filr die künftige Völkerrechtsentwicklung nutzbar. b) Einen besonders umfassenden Anspruch erhebt die systematische Rezeption. 112 Sie greift nicht nur sporadisch einzelne Theorieelemente aus den Klassikertexten auf, sondern ringt um eine methodisch geordnete, tiefergehende Auseinandersetzung mit deren Ideenhorizont und Gesamtkonzept. Diese Form der Aufarbeitung und zugleich produktiven Weiterentwicklung eines tradierten Theoriegebäudes bleibt nahezu ausschließlich wissenschaftlichen Einzelstudien vorbehalten. Hier kann es gelingen, die zeitlos gültige Aktualität eines Konzepts filr die gegenwärtige Rechtslage herauszuarbeiten und die notwendige I.C.J.-Reports 1996 (II), S. 542 ff., 642. Ebd., S. 526. 108 Ebd., S. 522. 109 Ebd., S. 521. 110 Ebd., S. 560. 111 I.C.J.-Reports 1993, S. 38 ff., 158. 112 G. Frankenberg, Stichworte zur "Drittwirkung" der Rechtsphilosophie im Verfassungsrecht, in: R. Gröschner/M. Morlok (Hrsg.), Rechtsphilosophie und Rechtsdogmatik in Zeiten des Umbruchs, 1997, S. 105 ff., II 0. 106 107

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Erster Teil: Methodische Grundlagen

Einzelfallentscheidung theoretisch zu verorten. Da verschiedene Forschungsarbeiten immer andere Klassiker in ihren Mittelpunkt stellen, ist durch diese Form der Arbeitsteilung der notwendige wissenschaftliche Pluralismus von vomherein gesichert. Ein klassischer Theorieentwurf muß seine Überzeugungskraft in einem offenen wissenschaftlichen Prozeß gegenüber anderen beweisen und kann schon deshalb niemals den Anspruch alleiniger und ausschließlicher Wahrheit für sich beanspruchen. Eine besondere Bereicherung dieser systematischen Rezeption von Klassikertexten in der Völkerrechtslehre stellt das Kulturkreise übergreifende, vergleichende Vorgehen dar. Wenn eine Untersuchung afrikanischer oder asiatischer Wissenschaftler sich mit einem europäischen Völkerrechtsklassiker auseinandersetzt, so entsteht ein besonders vielschichtiges Kulturgespräch und ein Stück jener Universalisierung von klassischem Gedankengut, das vor allem für die Universalität der Menschenrechte unverzichtbar ist. c) Weit häufiger als die systematische ist allerdings die selektive Rezeption. Hier werden von der Lehre, der Rechtsprechung und Praxis, aber auch der Politik einzelne Argumentationstopoi zur Illustration des eigenen Standpunktes herausgegriffen. Eine solche Form der Auseinandersetzung mit Klassikern bleibt notwendig eklektizistisch, das mitunter willkürlich herausgegriffene Beispiel behält nur relativen Wert. Dennoch sollte sich die Völkerrechtslehre diesem Potential nicht verschließen. Das selektiv-auswählende Vorgehen führt nur dann zu einem verzerrten Gesamtbild, wenn das jeweilige Vorverständnis des Auswählenden nicht offengelegt wird. Ist das Vorverständnis aber transparent, kann gerade die Entscheidung für eine bloße Teilrezeption wichtige Rückschlüsse für die Interpretation völkerrechtlicher Texte zulassen. d) Der zugleich wichtigste und aufgrund seiner Komplexität am schwierigsten zu erfassende Rezeptionsvorgang ist die von G. Frankenberg treffend umschriebene .. osmotische " Rezeption. 11 3 Gemeint ist damit die unspezifische Auseinandersetzung mit klassischen Themen und Debatten, die nur den Hintergrund, das Diskussionsklima beeinflussen. Auf diese Weise liefern Klassikertexte - oft auf der Ebene des Un- oder Unterbewußten - Stichworte, die in den völkerrechtlichen Vertragsentwürfen und Kodifikationen, in Judikaten und der politischen Auseinandersetzung aufgegriffen werden. Die klassischen Konzepte dienen als verdeckte Grundlage der Konsensbildung und liefern Material für die Kompromißbildung bei Vertragsverhandlungen. Diese spezifischen Entwicklungszusammenhänge kann die Wissenschaft oft auch bei sorgfältigster 113 G. Frankenberg, Stichworte zur "Drittwirkung" der Rechtsphilosophie im Verfassungsrecht, in: R. Gröschner/M. Morlok (Hrsg.), Rechtsphilosophie und Rechtsdogmatik in Zeiten des Umbruchs, 1997, S. 105 ff., 110.

B. Der textwissenschaftliche Ansatz

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Auswertung aller Entwürfe und Verhandlungsdokumente nicht exakt nachvollziehen. Nichtsdestoweniger entfalten die Klassiker hier mitunter ihre größte Wirkkraft. Je intensiver die internationale Wissenschaftlergemeinschaft die einzelnen Spuren ihrer Klassiker in moderne Völkerrechtstexte verfolgt, desto vollständiger wird letztlich das Gesamtbild. Jede Untersuchung über internationalen Menschenrechtsschutz muß sich ihrer klassischen Texte und Kontexte bewußt sein, auch wenn sie selbst nicht alle relevanten Rezeptionswege aufdecken kann und ihrerseits Produkt nur schwer zu erschließender Rezeptionszusammenhänge ist. IV. Grenzen des textwissenschaftlichen Ansatzes 1. Das Spannungsverhältnis von Text und Wirklichkeit

Die textwissenschaftliche Methode ist nur einer unter mehreren notwendigen Ansätzen, um Theorieelemente internationalen Menschenrechtsschutzes aufzuzeigen. Die Grenzen, an die sie stößt, liegen nur allzu deutlich offen. Rechtstexte allein bieten keinen hinreichenden Einblick in die Wirklichkeit, sie geben keine Auskunft über das Maß ihrer normativen Kraft, wie sie :;ich im Tatsächlichen bewähren. Sie können auch wirklichkeitsfremde, sogar bewußt wirklichkeitsverzerrende Fassade sein. 114 Ausruhrliehe Grundrechtskataloge in den Verfassungen totalitärer Staaten verkommen zur Farce, unerfiillte Versprechen hinsichtlich Demokratie und Gewaltenteilung legen Zeugnis filr staatliche Willkür ab. Manch vollmundiger Text und Tonfall feierlicher Erklärungen degenerieren zu bloßen Lippenbekenntnissen und der vielgescholtenen Menschenrechtsrhetorik, um den Schein gegenüber der Weltgemeinschaft zu wahren. Diese Defizite machen aber die vergleichende Textanalyse nicht sinnlos. Zum einen, weil es Aufgabe der Jurisprudenz ist, die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit aufzuzeigen. Nur so können Wege gefunden werden, die normativen Gebote effektiv umzusetzen. Zum anderen wirken die Texte in der Zeit. Keine der großen Menschenrechtserklärungen war in ihrer Entstehungszeit nicht auch ein Stück weit Utopie und Zukunftsentwurf. In den Texten widerspiegeln sich elementare Unrechtserfahrungen; die völkerrechtlichen Dokumente verarbeiten dieses topische Material, sie verarbeiten aber auch die bewährte, durch die Verfassungsrechtsprechung abgesicherte und fortentwikkelte Menschenrechtspraxis einzelner Verfassungsstaaten. Was dort schon 114 Vgl. Ch. Tomuschat, Is Universality of Human Rights Standards an Outdated and Utopian Concept?, in: Gedächtnisschrift Ch. Sasse, Bd. 2, 1981, S. 585 tf., 590.

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Erster Teil: Methodische Grundlagen

Verfassungswirklichkeit ist, bleibt filr die Völkergemeinschaft als ganze noch Utopie. Worum die Politik filr die internationale Ebene noch ringt, was hier vielleicht noch nicht einmal Textgestalt angenommen hat, ist auf nationaler Ebene schon konkreter Verfassungstext und in der Praxis beachtet. 115 In diesem weltweiten Bezugsrahmen unterschiedlicher Textvarianten behält jedes Textbeispiel sein eigenes Gewicht, unabhängig von der Frage, ob es Spiegel- oder Zerrbild der jeweils relevanten Wirklichkeit ist. 2. Das Problem der Mehrsprachigkeif völkerrechtlicher Verträge

Die textwissenschaftliche Methode im Völkerrecht stößt angesichts der Vielsprachigkeit völkerrechtlicher Verträge an eine wichtige Grenze. Das Problem ist auf zwei Ebenen abzuschichten: Verbindlichkeit können zunächst nur die authentischen Vertragssprachen beanspruchen, filr den IPbürgR in Art. 53 I geregelt. Legt eine wissenschaftliche Untersuchung die Übersetzung in einer anderen Sprache zugrunde, muß sie immer mit Übersetzungsungenauigkeiten rechnen. Sie kann vor allem nicht das Vorverständnis, das sie mit ihrem aus der eigenen Muttersprache geläufigen Begriff verbindet, unreflektiert auf die authentische Sprachfassung übertragen. Daneben ist die Interpretation mehrsprachiger völkerrechtlicher Verträge, d.h. solcher, die in zwei oder mehr authentischen Sprachen abgefaßt sind, eine besondere Herausforderung filr die juristische Hermeneutik. Art. 33 WVK gibt hier den Auslegungsrahmen vor und stellt unter Ziff. 3 die Vermutung auf, daß "die Ausdrücke des Vertrags in jedem authentischen Text dieselbe Bedeutung haben". Dieser (notwendige) rechtstechnische Kunstgriff hält einer exakten sprachwissenschaftlichen Betrachtung kaum stand. Schon die verschiedenen etymologischen Wurzeln der jeweiligen Begriffe, ganz zu schweigen von ihren kulturell tradierten Bedeutungsgehalten und ihrer höchst individuellen Entwicklungsgeschichte, filhren die in der WVK ausgesprochene Vermutung nach den Maßstäben der Linguistik ad absurdum. Zudem schafft jede Rechtskultur ihre eigenen Rechtsinstitutionen und belegt sie mit ihrer eigenen Begrifflichkeit, die bisweilen kaum in die Sprache eines von anderen Prämissen ausgehenden Rechtssystems übersetzbar ist und dort keine vergleichbaren Gegenbilder findet. Ein interkulturelles Verständnis von Freiheit, Gleichheit oder Menschenwürde, um nur einige zentrale Beispiele anzufilhren, kann nicht selbstverständlich vorausgesetzt werden. Im Gegenteil: Je größer die kulturellen Differenzen zwischen den Vertragspartnern sind, um 115 Zu diesem Verständnis P. Häber/e, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 352.

C. Der Wirklichkeits- bzw. erfahrungswissenschaftliche Ansatz

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so geringer ist die Wahrscheinlichkeit, daß die in Texte gefaßten Konzepte tatsächlich die gleiche Bedeutung haben, daß die Vertragspartner die gleiche Sprache sprechen. 116 Die sprach- oder textwissenschaftliche Methode, wie sie hier vorgeschlagen wird, meint daher nicht die Analyse isolierter Begriffe, seien sie in einer der authentischen Vertragssprachen oder in einer darüber hinausgehenden Übersetzung abgefaßt. Es geht nicht darum, allein die etymologischen Wurzeln aufzudecken oder die unterschiedlichen Bedeutungsschichten eines Begriffs exakt auszuleuchten. Als Textwissenschaft betriebene Völkerrechtslehre ist vielmehr nur dann sinnvoll, wenn sie sich - immer kontextbezogen - mit den textlichen Entwicklungslinien in einer weltweit ausgerichteten Rezeptionsgemeinschaft auseinandersetzt Die Texte transportieren Ideen, sie modifizieren sie, schreiben sie fort, sie beschreiben Ungleichzeitigkeiten und Asymmetrien in den divergierenden Rechtskulturen und sie verarbeiten praktische Erfahrungen. 117 Nicht die vordergründige Analyse der Textinhalte, sondern das Verstehen ihrer Hintergründe, ihrer durch Rezeptionsvorgänge gesteuerten Wandlungen, gibt der dogmatisch arbeitenden Rechtswissenschaft die notwendige Handhabe zur Norm- bzw. Vertragsinterpretation im Einzelfall. Mag es auch paradox erscheinen: Die oben umschriebenen Grenzen des textwissenschaftlichen Vorgehens begründen zugleich seine Notwendigkeit. Wo Begriffe nicht mechanisch von einer Sprache in eine andere übersetzt, Bedeutungsgehalte nicht von einem Rechtssystem auf das andere übertragen werden können, gelingt die Interpretation multilateraler internationaler Verträge nur unter Berücksichtigung der textlich vermittelten, spannungsreichen Rezeptionzusammenhänge, aus denen sie letztlich erwachsen sind.

C. Der Wirklichkeits- bzw. erfahrungswissenschaftliche Ansatz I. Die Notwendigkeit einer wirklichkeitsnahen Analyse

Steht eine normative Ordnung im Spannungsfeld der sie konstituierenden Texte und der sie bestimmenden Wirklichkeit, sind Texte als gespeicherte Erfahrungen, als verarbeitete Wirklichkeit zu begreifen, so muß der textwissen116 Vgl. dazu V. Fastenrath, Relative Normativity in International Law, in: EJIL 4 (1993), S. 305 ff., 311. 117 Das wirklichkeitswissenschaftliche Verständnis von H. Heller ergänzt P. Häber/e, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, um die erfahrungswissenschaftliche Dimension.

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Erster Teil: Methodische Grundlagen

schaftliehe um einen Wirklichkeits- bzw. erfahrungswissenschaftliehen Analyseansatz ergänzt werden. 118 In der staatsrechtlichen Literatur der Weimarer Zeit hat H. Heller die hierfiir klassischen, nicht nur von der europäischen Wissenschaftlergemeinschaft aufgegriffenen Grundlagen geschaffen. Für ihn ist jede juristische Fragestellung in der Soziologie und zugleich in einer ethisch-politischen Sphäre verwurzelt, bedarf jede Analyse des Rechts einer empirischkausalen wie einer normativen Betrachtungsweise. 119 Auch der Staat ist eine historisch gewachsene, soziale Realität, nicht abstraktes Sinngebilde oder bloß ideelles Sein, sittliche Idee und objektiver Geist im Hegeischen Sinne. Der Staat darf nicht nur normativ als Sollen, sondern muß immer auch empirisch als Sein, als "menschlich-gesellschaftliche Lebensform" 120 begriffen werden. Gleiches gilt fllr das Miteinander der Staaten in der internationalen Gemeinschaft. Sie ist konkretes Sein und daher bestimmt durch die "Notwendigkeiten" menschlichen Zusammenlebens wie Bedürfnisbefriedigung, Interessenausgleich, Ge- und Verbotsregelungen, Sanktionsmechanismen, durch "reale Phänomene" also, mit denen verschiedene Staaten, Gesellschaften und Kulturen ihre je eigenen Erfahrungen gemacht und auf die sie mit rechtlichen und politischen Antworten reagiert haben. 121 Zwar verbietet es sich, vom "Sein" auf das "Sollen" zu schließen, aber eine Untersuchung über den normativen ebenso wie philosophischen Gehalt der Menschenrechte kommt ohne die Rückbindung an die Wirklichkeit des Staates respektive der Staatengemeinschaft nicht aus.

118 Grundlegend H Heller, Staatslehre, 1934, S. 37 ff; dazuA. Dehnhard, Dimensionen staatlichen Handelns, 1996, S. 50 ff. Weiterentwickelt wird Hellers Ansatz von P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 176, 242 f., 343 f., 352, 392 und passim; siehe auch H Eidenmüller, Rechtswissenschaft als Realwissenschaft, in: JZ 1999, S. 53 ff. "Wirklichkeitswissenschaftlich" argumentiert L.-C. Chen, An Introduction to Contemporary International Law, 1989, z.B. S. 437 ff.; vgl. darüber hinaus A. B. Fields/W-D. Narr, Human Rights as a Holistic Concept, in: Human Rights Quarterly, Vol. 14 (1992), S. 1 ff., 9, 19. 119 H Heller, Die Souveränität (1927), in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 2, 1971, s. 31 ff., 57. 120 H Heller, Staatslehre, 1934, S. 42. 121 F. Müller, Juristische Methodik, 1995, S. 124; vgl. auch K. R. Popper, Logik der Forschung, 8. Auf. 1984, S. 13; zur "erfahrungswissenschaftlichen Dimension" insbes. der Jurisprudenz siehe P. Häberle, Gemeineuropäisches Verfassungsrecht, in: ders., Rechtsvergleichung im Kraftfeld des Verfassungsstaates, 1992, S. 71 ff., 92; aus staatswissenschaftlicher Perspektive siehe F. Ermacora, Allgemeine Staatslehre, 1. Teilband, 1970, S. 216, der mit Nachdruck darauf aufmerksam macht, daß die "Staatswissenschaft allmählich ausschließlich zu einer Erfahrungswissenschaft geworden sei" und damit die "Grenzen zwischen den verschiedenen Zweigen der Gesellschaftswissenschaften und der Rechtswissenschaft fließend gew~rden" seien. Vg,I. aber auch schon H Krüger, Das Programm. Verfassung und Recht in Ubersee, in: VRU 1 (1968), S. 3 ff.

C. Der Wirklichkeits- bzw. erfahrungswissenschaftliche Ansatz

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Nicht zuletzt die amerikanische Strömung des "Legal Rea/ism " 122 hat zu diesem Verständnis von Rechtswissenschaft im allgemeinen einen maßgeblichen Beitrag geleistet. Der Rechtsrealismus der 30er Jahre zeugt von einem neu erwachenden sozialen Bewußtsein, das auf die rechtstheoretische Diskussion in Wissenschaft und Judikatur bestimmenden Einfluß hatte. Die Tatsachennähe wurde zum Zentralthema einer nach eigenem Selbstverständnis modernen Jurisprudenz, die den grundlegenden Wertfragen des Rechts durch "psychologische, behavioristische, soziologische, pra~atisch-empirische" und "politische" Antworten gerecht zu werden suchte. 1 3 Die Ideen der Realisten fielen im völkerrechtlichen Schrifttum auf fruchtbaren Boden. Die Wirklichkeit hatte dort ohnehin schon immer eine große, wenngleich im Sinne eines "Wirklichkeitsausschnitts" begrenzte Rolle gespielt: Gemeint ist die reine Orientierung des Völkerrechts an der Staatenpraxis ("pragmatic approach") 124, der jede weitergehende methodische Vertiefung genauso fremd ist wie das Ideal der Gerechtigkeit als inhaltliche Determinante. Die Konsequenzen des "legal realist approach" filr das internationale Recht gehen demgegenüber weit über bloßen Pragmatismus hinaus. Das Geflecht rechtlich geordneter zwischenstaatlicher Beziehungen soll, insbesondere wo grundsätzliche Wertentscheidungen in Rede stehen, aus der Perspektive seiner soziologischen Funktionen beleuchtet werden. Die völkerrechtliche Methodenlehre öffnet sich einer sehr viel umfassenderen Wirklichkeit als der Staatenpraxis, sie findet zu einer politik- und kulturwissenschaftlichen, soziologischen, auch ökonomischen Analyse jenseits der traditionell-normativen Ausrichtung des internationalen Rechts 125 • Für das Teilfeld des internationalen Menschenrechtsschutzes ist damit- um eine Formulierung F. Ermacoras aufzugreifen - die konkrete Forderung ver122 Dazu schon G. Casper, Juristischer Realismus und politische Theorie im amerikanischen Rechtsdenken, 1967, S. 13 ff.; W. Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. II, 1975, S. 273 ff., gibt eine gute Übersicht über die zentralen Themen, Richterpersönlichkeiten und Wissenschaftler, die den amerikanischen Rechtsrealismus entscheidend bestimmt haben. Auf S. 317 ff. findet sich zusammenfassend eine kritische Auseinandersetzung mit seiner Wirkungsgeschichte inner- und außerhalb der Vereingten Staaten. Vgl. auch W. Krawietz, Juritische Entscheidung und wissenschaftliche Erkenntnis, 1978, S.115. 123 Ebd., S. 273. 124 Vgl. A. Bleckmann, Grundprobleme und Methoden des Völkerrechts, 1982,

s. 12ff.

125 Vgl. dazu N. Purvis, Critical Legal Sturlies in Public International Law, in: Harvard International Law Journal (Vol. 32) 1991, S. 81 ff., 83. Zur soziologischen Perspektive des Völkerrechts siehe G. Schwarzenberger, The Frontiers of International Law, 1962, S. 21 ff.

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Erster Teil: Methodische Grundlagen

bunden, "die Frage nach der Positivität und Effektivität von Grundfreiheiten und Menschenrechten integral zu erfassen." 126 Die Untersuchung der nonnativen Geltung sowie der sozialen Wirksamkeit dieser Rechte darf nicht mehr allein auf deren rein juristisch zu beurteilende Letztbegründung und Gültigkeit abstellen. Sie muß vielmehr "integral" ergründen, ob die Grund- und Menschenrechte das gesamte gesellschaftliche Leben in ihrem Geltungsbereich, sei es die staatliche, regionale oder internationale Gemeinschaft, durchdringen und so ihre "mitverstandene Schutzfunktion in einer mit immer totaleren Ansprüchen auftretenden Gesellschaft ( ...) tatsächlich erftlllen können." 127 Die rechtstheoretische bzw. -philosophische Begründungsproblematik ist verknüpft mit der Analyse des wirtschaftlichen, politischen, kulturellen etc. "Gesamtzustandes"128 der jeweils betroffenen unterschiedlichen Staats- und Gesellschaftsordnungen und der Rolle, die dem einzelnen oder der Gruppe nach deren oft grundlegend divergierenden Selbstverständnissen zugewiesen ist. 129 Der "Gesamtzustand", das heißt die komplexe staatlich-gesellschaftliche Wirklichkeit, ist ständigem historischen Wandel unterworfen; jede Zustandsbeschreibung greift daher notwendig immer nur eine bestimmte "historische Sekunde" heraus. Für das Verstehen der Menschenrechte in ihrem Wirklichkeitsbezug sind insbesondere die Schlaglichter relevant, die entscheidende Umbruchsprozesse im politischen, auch im rechtlichen Denken markieren und so die Eckdaten einer neuen Menschenrechtswirklichkeit vorgeben. Im folgenden sind exemplarisch drei der wichtigsten Wirklichkeitssegmente filr die heutige Menschenrechtssituation herausgegriffen.

11. Die Menschenrechtswirklichkeit nach 1945 Historisch vorgehend ist mit dem Zusammenbruch nach 1945 zu beginnen: mit einer Wirklichkeit des Scheiteros oder, wie es die Präambel der Bayerischen Verfassung noch plastischer umschreibt: "Angesichtes des Trümmerfeldes, zu dem eine Staats- und Gesellschaftsordnung ohne Gott, ohne Gewissen und ohne Achtung vor der Würde des Menschen die Überlebenden des Zweiten Weltkrieges geführt hat(... )". Es ist dieses Trümmerfeld, auf dem die Notwen126 127

F. Ermacora, Menschenrechte in der sich wandelnden Welt, Bd. I, 1974, S. 35. Ebd.

128 Ebd. Siehe auch das anschauliche Dictum von K. W. Deutsch, Wie verstehen wir die Weltentwicklung, 1984, S. 37: "Die Welt ist aber nicht in Fachbereiche gegliedert, nur die Universität." Vgl. darüberhinaus A. B. Fields/W.-D. Narr, Human Rights as a Holistic Concept, in: Human Rights Quarterly, 14 (1992), S. 1 ff., 9. 129 M. Kriele, Die Menschenrechte zwischen Ost und West, 1977, S. 23.

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digkeit zu einer fundamentalen Neuorientierung des Völkerrechts erkannt und die Idee internationalen Menschenrechtsschutzes als Gegenbild zu den vormals gemachten Unrechtserfahrungen geboren wurde. Im einzelnen: Der Genfer Völkerbund war gescheitert. Zum zweiten Mal während des 20. Jh. hatte die "Geißel des Krieges", so die Präambel der UN-Charta, "unsagbares Leid über die Menschheit gebracht." Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges mußte die Staatengemeinschaft erkennen, daß der Nationalstaat überkommener Prägung als alleiniger Garant der Grund- und Freiheitsrechte seiner Bürger versagt und die Gefahr totalitärer Systeme von rechts wie von links nicht hatte bannen können. Eine der wesentlichen Voraussetzungen eines erfolgreichen Neubeginns unter dem Regime der Vereinten Nationen war daher, den Menschenrechtsschutz von der nationalen auf die internationale, also eine traditionell rein innerstaatliche Angelegenheit, nämlich das Verhältnis StaatBürger, aus dem domaine reserve auf die Oberstaatliche Ebene zu heben. 130 Damit verbunden war die Einsicht, daß neben dem Staat als dem ursprünglichen Träger völkerrechtlicher Rechte und Pflichten der Mensch, das Individuum, eine neue und neu zu definierende Rolle im internationalen Recht übernehmen mußte. 131 Die menschenrechtliche Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg hat eine vordem gültige, prinzipielle Beschränkung Oberholt und eine neue Wirklichkeit geschaffen: Das "polare" Verhältnis zwischen dem betroffenen Einzelnen oder der betroffenen Gruppe und dem Staat ist ein "trianguläres" geworden: Staat 130 Ph. Jessup, Modemes Völkerrecht, 1950, S. 120; G. Dahm/J. De/brück!R. Wo/frum, Völkerrecht, Bd. I/1, 1989, S.12; Ch. Schreuer, The Waning of the Sovereign State: Towards a New Paradigm for International Law, in: EJIL 4 (1993), S. 447 ff., 465 f.; D. Murswiek, Souveränität und humanitäre Intervention, in: Der Staat 35 (1996), S. 31 ff., 31; siehe auch J. A. Frowein, in: J. Schwartländer (Hrsg. ), Modemes Freiheitsethos und christlicher Glaube, 1981, S. 104 ff.; ders., Übernationale Menschenrechtsgewährleistungen und nationale Staatsgewalt, in: HdBStR, Bd. VII, 1992, § 180, Rn. 1; T. Buergentha/, in: A. Henkin (Hrsg.), Human Dignity: The Intemationalization of Human Rights, 1979, S. 15 ff.; W. Schreckenberger, Die Universalität der Menschenrechte als Prinzip der Rechtsrhethorik, in: FS f!lr W. Maihofer, 1988, S. 481 ff., 485. 131 E. Riede/, Menschenrechte der dritten Dimension, in: EuGRZ 1989, 9 ff., 9; vgl. aus dem Blickwinkel einer staatstheoretisch orientierten Forschung auch T. FleinerGerster, Allgemeine Staatslehre 1980, S. 90: "Stand im letzten Jahrhundert die Organisation der Staatsgewalt und zu Beginn dieses Jahrhunderts das Thema der Souveränität im Mittelpunkt der staatspolitischen Auseinandersetzung, dürften es heute die Grundund Menschenrechte sein." Aber auch schon im 19. Jh. gab es zukunftsweisende Ansätze, die Rolle des Individuums als Glied der internationalen Gemeinschaft zu beleuchten: so z. B. R. v. Moh/, Staatsrecht, Völkerrecht und Politik, Bd. I, 1860 (Nachdruck 1962), S. 586 f.: "Einmal sind sämtliche Subjekte einer internationalen Verbindung zu betrachten; nämlich nicht bloss die Staaten selbst, sondern auch die gesellschaftlichen Kreise und die einzelnen Individuen."

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Erster Teil: Methodische Grundlagen

Einzelmensch (oder Einzelmenschen in der Gruppe) - internationale Gemeinschaft. Das Bild ist sogar noch um die intennediäre Ebene der regionalen Verantwortungsgemeinschaften zu erweitern: Allen voran hat der Europarat mit der EMRK aus dem Jahre 1950 eine Vorreiterrolle gespielt; neben vielen anderen Faktoren auch deshalb, weil das "Trümmerfeld" des Zweiten Weltkrieges in Europa besonders tiefe Wunden und Narben hinterlassen hatte. Der Staat, die überstaatlichen regionalen Zusammenschlüsse und die Weltgemeinschaft haben heute eine "konkurrierende" Zuständigkeit, Menschenrechte zu "proklamieren und zu fonnulieren" 132, sie tragen aber auch eine gemeinsame Verantwortung filr deren effektiven Schutz und Umsetzung. 111. Die Wirklichkeit der Staatenwelt nach dem Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa nach 1989 Der Zusammenbruch der Sowjetunion und der kommunistischen Systeme Osteuropas nach 1989 hat zu einer Veränderung der Staatenwelt gefilhrt, die filr den internationalen Menschenrechtsschutz neue Chancen bietet, ihn aber auch mit neuen Gefahrenpotentialen konfrontiert: Auf der einen Seite bringt die Überwindung ideologischer Barrieren einen Impetus ftlr den globalen Konsens über die Universalität der Menschenrechte, der vor Glasnost, Perestrojka und dem Fall der Mauer noch als wirklichkeitsfremde Utopie erschienen war. Auf der anderen Seite steht ein bedrohliches Szenario alter, fortwirkender oder neuer, sich weiterentwickelnder Gefahrenherde: der sich verschärfende NordSüd-Konflikt, die Konfrontation mit dem islamischen Fundamentalismus, das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens, wiedererstarkende Nationalismen 133 in Rußland und auf dem Balkan - die Kriege in Bosnien, dem Kosovo und Tschetschenien seien exemplarisch genannt - und nicht zuletzt weltweite Migrationsbewegungen. Wenn nach dem Ende des Kalten Krieges und dem damit verbundenen Zerfall einer "bipolaren Weltordnung" 134 der schon in der Gründungsphase der UNO gebrauchte Begriff von einer "neuen Weltord. nung" eine unerwartete Renaissance gefunden hat 135, so darf dies Uber die fort-

132

F. Ermacora, Menschenrechte in der sich wandelnden Welt, Bd. I, 1974,

s. 5451546.

133 Vgl. /. Pernice, Carl Schmitt, Rudolf Smend und die europäische Integration, in: AöR 120 (1995), S. 100 ff., 102. 134 L. H. Görgens, Goethe und die neue Weltordnung, Buropaarchiv 1992, S.631 ff., 634. 135 Zu einer Betrachtung aus philosophischer Perspektive siehe hier Ph. A/lott, Eunomia: New Orderfora New World, 1990.

C. Der Wirklichkeits- bzw. erfahrungswissenschaftliche Ansatz

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bestehenden ökonomischen, politischen und weltanschaulichen Konfliktpotentiale nicht hinwegtäuschen. Allerdings hat das allmähliche Schwinden eines weitverbreiteten "FreundFeind-Schemas"136, das sich in den Militärblöcken der NATO und des Warschauer Paktes widerspiegelte, den Blick auf eine de facto weit komplexere Weltlage freigegeben und damit das Bewußtsein ftlr den hochdifferenzierten Kontext der Menschenrechtsproblematik und die immer wieder geforderte anthropozentrische Wende im Völkerrecht geschärft. Die neuen Themen rükken den Menschen verstärkt in den Mittelpunkt: die schon angesprochene weltweite Flüchtlingsproblematik, der Minderheitenschutz, die jüngst im Kosovo praktizierte humanitäre Intervention, das Prinzip der nachhaltigen Entwicklung. Die zweite Weltkonferenz über Menschenrechte, veranstaltet von den Vereinten Nationen vom 14. bis 25. Juni 1993 in Wien, markiert das bisher größte menschenrechtliche Symposion der Weltorganisation und ist angesichts des eben umrissenen Themenkatalogs von herausragender Bedeutung ftlr die konsequente Fortentwicklung des Menschenrechtsschutzes. In der Wiener Deklaration und dem damit verbundenen Aktionsprogramm 137 bekennen sich alle 171 Unterzeichnerstaaten einstimmig zur Universalität und gegenseitigen Interdependenz der Menschenrechte, betonen den untrennbaren Zusammenhang zwischen Entwicklungspolitik, Demokratie und Menschenrechten und stellen die Notwendigkeit heraus, durch effektive gemeinsame Maßnahmen der Staatengemeinschaft gegen ernsthafte Menschenrechtsverletzungen einzuschreiten. 138 Diese Erklärung verarbeitet ein Stück weit die Menschenrechtswirklichkeit und vermittelt manchen Anstoß ftlr die künftige wissenschaftliche Diskussion und Menschenrechtspraxis, wenngleich die Rezeption der Themen von 1993 bislang eher gering blieb.

136 Zum theoretischen Hintergrund des "Freund-Feind-Denkens" vgl. C. Schmitt, Der Begriff des Politischen, 1932, S. 14: "Die spezifisch politische Unterscheidung, auf welche sich politische Handlungen zurückführen lassen, ist die Unterscheidung in Freund und Feind." Ablehnend dazu schon H. Heller, Staatslehre, 4. Aufl. 1970, S. 9. Vgl. auch /. Pernice, Carl Schmitt, Rudolf Smend und die europäische Integration, in: AöR 120 (1995), S. 100 ff., 106, insbes. Fn. 33; zu den (negativen) Konsequenzen des Freund-Feind-Denkens B. Rüthers, Wer war Carl Schmitt? Bausteine einer Biographie, NJW 1994, S. 1681 ff. 137 UN.-Doc. N Conf. 157/23 of 12 July 1993. 138 M. Nowak (Hrsg.), World Conference on Human Rights, 1994, S. I.

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Erster Teil: Methodische Grundlagen

IV. Die Wirklichkeit der Staatenwelt im Zeitalter der Globalisierung Eine der wichtigsten gegenwärtigen Veränderungen der Staatenwelt beruht auf der beständig fortschreitenden Globalisierung 139 und Internationalisierung. Damit in unmittelbarem Zusammenhang steht der weltweite Siegeszug des Marktparadigmas, das weit über das Gebiet der Wirtschaft hinaus wirkt, als Theoriemodell von vielen Wissenschaftszweigen rezipiert und zur Leitmaxime staatlichen wie privaten Handeins wird. Insbesondere zwei Aspekte der Globalisierung sind ftlr den internationalen Menschenrechtsschutz von zentraler Bedeutung: a) Durch den zunehmenden Einfluß der Wirtschaft, die Dominanz der Medien in einer globalen Kommunikationsgesellschaft und ähnliche, auf technologischem, wirtschaftlichem und gesellschaftlichem Wandel beruhende Faktoren, kommt es in nationaler wie internationaler Perspektive zu zunehmender Machtkonzentration in der Verantwortungssphäre nichtstaatlicher "Gewalten" oder Funktionseliten. 140 Multinationale Großkonzeme 141 , Medienunternehmen ebenso wie Verbände und wirkungsmächtige Interessengruppen schaffen ihre eigene Infrastruktur, nehmen weitreichenden Einfluß auf politische Parteien und deren Programme, ja werden selbst ein Stück weit zu politischen Entscheidungsträgem ohne demokratische Legitimation und Kontrolle. 142 So besteht heute mehr denn je neben der institutionalisierten Staatlichkeit eine Vielzahl sozialer und wirtschaftlicher Organisatio.nen bzw. Institutionen, die neue For139 Vgl. hierzu F. Hengsbach, "Globalisierung" aus wirtschaftsethischer Sicht, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (B 21) 1997 (vom 16. Mai 1997), S. 3 ff.; P. Kirchhof, Der Staat als Organisationsfonn politischer Herrschaft und rechtlicher Bindung, DVBI. 1999, s. 637 ff., 646. 140 Überzeugend W. Schmitt Glaeser, Das Ansehen des Politikers als Problem des parlamentarischen Regierungssystems, in: ZRP 2000, S. 95 ff., 100: "(... ) wobei im übrigen Totalitarismus nicht nur von Seiten des Staates, sondern ebenso von den Medien und mächtigen gesellschaftlichen Gruppen ausgehen kann." 141 Interessant in diesem Kontext: M E. Winston, Dozent für Philosophie am College of New Jersey, hat im Auftrag der Business and Economic Relations Group von Amnesty International "Menschenrechtsgrundsätze flir multinationale Unternehmen" verfaßt, die Anfang 1998 veröffentlicht wurden (zit. nach SZ vom 15. Juli 1999, S. 15). Ähnliche Ansätze gab es vorher schon bei der Überwindung des Apartheidsystems in Südafrika. 142 Vgl. dazu K. Loewenstein, Verfassungslehre, 3. Aufl. 1975, S. 378 ff., vor allem auch 383: "Der Patriarchalismus des Staates hat weitgehend einer freiwilligen Zusammenarbeit mit den Interessengruppen Platz gemacht. In den konstitutionell-demokratischen Staaten hat sich diese Praxis derart eingebürgert, daß man von einem ungeschriebenen Verfassungsbrauch sprechen kann. Aus der neuesten Lit.: P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 188; W. Schmitt Glaeser, oben Fn. 140.

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men der Abhängigkeit begründen, die Integrität und Autonomie der Person gefährden und ihre Freiheitssphäre existenziell bedrohen können. 143 b) Daneben werden die klassisch nationalstaatliehen Handlungsspielräume immer geringer. Zwar sind dem Staat vor allem angesichts technologischer Innovationen neue Aufgaben- und Funktionsbereiche zugewachsen. 144 Nicht nur die Daseinsvorsorge nimmt in einer wirtschaftlich hochkomplexen Gesellschaft eine zentrale Rolle ein, sondern auch die "Risikovorsorge" ist zunehmend wichtigere "Staatsaufgabe" 145 • Die Bedrohungen des Menschen durch das in Wissenschaft und Technik "Machbare" 146 liegen offen zu Tage und werden vor allem mit Blick auf künftige Generationen zur Herausforderung ft1r den Verfassungsstaat. Nur einige signifikante Beispiele seien genannt: die friedliche wie militärische Nutzung der Kernenergie, der Umweltschutz, ethische Standards in der Gentechnologie, der Datenschutz oder die Kontrolle des Internet. Aber all diese Aufgaben beschränken sich nicht auf den innerstaatlichen Bereich, sondern können zu einem großen Teil nur noch in überstaatlicher Kooperation wahrgenommen werden. 147 Dadurch hat der Typus "Nationalstaat" grundlegende Funktionseinbußen hinnehmen müssen. 148 Der einzelne sieht sich

143 Aus rechtssoziologischer Sicht: H. Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz in der Rechtssoziologie, in: ders., Die Soziologen und das Recht, Opladen 1980, S. 98 ff., 138; Th. Raiser, Das lebende Recht, 3. Aufl. 1999, S. 181; aus verfassungstheoretischer Perspektive am Beispiel der OS-Verfassung siehe A. S. Miller, Social Change and Fundamental Law. America's Evolving Constitution, 1979, S. II ff. Ebenso spiegelt die auf nationaler wie internationaler Ebene geführte Diskussion über die sog. "Drittwirkung der Grundrechte" den Befund wider, daß der einzelne auch durch "gleichgeordnete" Private (Einzelpersonen, Personenmehrheiten, Institutionen etc.) in seiner Freiheitssphäre beeinträchtigt und in seinem Gleichbehandlungsanspruch verletzt werden kann: vgl. hierzu A. Bleckmann, Staatsrecht II - die Grundrechte, 4. Aufl. 1997, S. 219 mit weiterführenden Nachweisen zur europäischen und internationalen Dimension. 144 Grundlegend hierzu E. Forsthojf. Der Staat in der Industriegesellschaft, 1971. 145 Siehe W Köck, Risikovorsorge als Staatsaufgabe, AöR 121 (1996), S. l ff.; zur Risikovorsorge im Umweltbereich P. Pernthaler, Allgemeine Staats- und Verfassunglehre, 2. Aufl. 1996, S. II ff. 146 Zum Terminus des "Machbaren" aus der Perspektive der Philosophie und der Ethik vgl. G. Roel/ecke, Das Machbare und die Unterscheidung. Vom Sein zum Sollen und zurück, in: Rechtstheorie 27 (1996), S. 1 ff. 147 Vgl. R. McCorquodale/R. Fairbrother, Globalization and Human Rights, in: Human Rights Quarterly 21 (1999), S. 735 ff., 735 f. 148 Vgl. A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, 1995, S. 56; D. Kennedy, Receiving the International, in: FS J. M. Broekman, 1996, S. 393 ff., 394: "( ...) internationalization means, in short, a move from public to private. The state will be weaker and commerce will be strengthened."

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Erster Teil: Methodische Grundlagen

als Staatsbürger und "Weltbürger". 149 Er ist Teil der nationalen wie der "Weltgesellschaft"150 und auf allen Ebenen seiner Existenz von der kommunalen bis hin zur globalen Gemeinschaft einer Fülle von Bedrohungspotentialen durch Staat und Gesellschaft ausgesetzt, die seine individuelle Freiheit einschränken und seine soziale Existenzgrundlage in Frage stellen können. "Sein" Staat, dem das Individuum durch das Band der Staatsangehörigkeit verbunden ist, kann allein den notwendigen Schutz nicht mehr gewährleisten. Der einzelne bleibt darauf angewiesen, daß Staaten und Gesellschaften in internationaler Kooperation die politischen, wirtschaftlichen, sozialen und nicht zuletzt auch ökologischen Grundbedingungen schaffen, ohne die eine Realisierung von Freiheitsrechten nicht möglich ist. 151 Diese komplexe Wirklichkeit wird von einem nicht minder ausdifferenzierten System rechtlicher Regeln gesteuert, sie prägt aber zugleich die von ihr "gefundenen, systematisierten und interpretierten Normen."152 Aufgrund einer solchen Wechselwirkung muß sich jede normative Analyse immer der Wirklichkeit und der Erfahrungen vergewissern, die sie bewußt oder unbewußt - verarbeitet und ihrem theoretischen Ansatz zugrunde legt.

149 1n diesem Zusammenhang sei an die Vorstellungen vom Weltbürgertum in der philosophischen Tradition des deutschen Idealismus erinnert. Ebenso an Kants grundlegende Schrift "Zum ewigen Frieden" (1795). Verfassungstheoretisch betrachtet ist der Begriff wesentlich mitgeprägt von P. Häberle, Das Konzept der Grundrechte, in: ders., Europäische Rechtskultur, 1997, S. 279 ff., 294 in Fn. 24: ,;Terminologisch mag mannoch- in Schwierigkeiten kommen: Der Begriff der ,Bürgerrechte' wird hier den den Staatsbürgern zustehenden Grundrechten vorbehalten, und doch ist vom , Weltbürger'tum' die Rede. Das soll keinen ,Weltstaat' suggerieren, der nicht einmal als Utopie wünschenswert erscheint, sondern nur eine Weltkultur, in der sich kraft des grundrechtliehen ,status mundialis' jeder Bürger irgendeines Verfassungsstaates heimisch fühlen kann." 150 Vgl. P. Häberle, ebd., S. 291. S. dazu auch E.-0. Czempiel, Weltpolitik im Umbruch, 1991, S. 86 ff.; ders., Von der Staatenwelt zur Gesellschaftswelt, in: FAZ vom 25. Feb. 1995, Rubrik "Bilder und Zeiten". 151 Zur Interdependenz der Nationalstaaten siehe K. W. Deutsch, Wie verstehen wir die Weltentwicklung?, 1984, S. 30 ff. 152 B. Simma, Bemerkungen zur Methode der Völkerrechtswissenschaft, in: FS für E. Kolb, 1971, S. 339 ff., 339; P. Pernthaler, Grundrechtsdogmatik und allgemeine Staatslehre, in: FS F. Ermacora, 1988, S. 605 ff., 615 f.

D. Der rechtsvergleichende Ansatz

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V. Grenzen des wirklicbkeitswissenscbaftlicben Ansatzes Die wirklichkeitsorientierte Analyse ist nur ein Denkschritt bei der juristischen Theoriebildung und konkreten Nonninterpretation. 153 Sie steht immer in Wechselwirkungen mit der kulturwissenschaftlichen, textwissenschaftlichen und rechtsvergleichenden Methode. Die Bewertung der vorgefundenen Wirklichkeit, all der tatsächlichen Erfahrungen, die in Rechtstexte Eingang gefunden haben, vollzieht sich aus der Perspektive des Nonnativen und darf nicht das Sein an die Stelle des Sollen setzen. Ein nonnatives System nimmt die Wirklichkeit immer in einer Art antagonistischem Spannungsverhältnis zu dem ihm immanenten Ordnungsideal wahr. Die .,gute Verfassung" einer politischen Gemeinschaft meint immer eine bessere Wirklichkeit als die erlebte. Deshalb ist die Auseinandersetzung mit den empirischen Befunden von Staat, Gesellschaft und internationaler Gemeinschaft fUr die Völkerrechtslehre als normative Wissenschaft zugleich Notwendigkeit und Grenze. Es gilt, die Wirklichkeit hinter den Rechtstexten aufzudecken und ihre Verwirklichungschancen, ihre Effektivität zu ergründen, ohne das, was ist, zum Gebot zu machen, gar den status-quo als unveränderlich festzuschreiben. Der internationale Menschenrechtsschutz lebt vielmehr von Idealen und innovativen Produktivkräften. Die Universalität der Menschenrechte ist kein bloßes Faktum, das sich empirisch feststellen ließe, sondern kulturelle Stückwerkreform154 von den klassischen Menschenrechtserklärungen der Aufklärung bis hin zu den heutigen Menschenrechtstexten der UN. In diesem prozeßhaften Werden hat das Recht die Wirklichkeit weltweiter Unrechtserfahrungen, zunächst nur im nationalen Bereich, erst spät auf dem globalen Sektor, in ebenso großem Maße wahrgenommen und rezipiert, sie bewertet, zu gestalten und innovativ zu verändern versucht, wie es selbst von der Wirklichkeit (mit-)determiniert wurde. Das spezifisch Normative ist dabei immer sein ureigenes Metier geblieben.

D. Der rechtsvergleichende Ansatz Die internationalen Menschenrechtstexte sind, wie die bisherige Untersuchung zu zeigen versucht hat, das Ergebnis weltweiter Produktions- und Re153 Zu einem integrierenden Konzept von Möglichkeits-, Notwendigkeits-und Wirklichkeitsdenken vgl. P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Autl 1998, s. 573 ff. 154 Dazu K. R. Popper, Logik der Forschung, 8. Aufl. 1984.

5 Kotzur

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Erster Teil: Methodische Grundlagen

zeptionsprozesse. Sie gewinnen Gestalt aus den Erfahrungen, aus der gesellschaftlich-politischen Wirklichkeit vieler Rechtskreise und Kulturen, vieler Staaten und Völker. Ihre Interpretation setzt daher eine rechts- und kulturvergleichende Methode voraus. Daß die Rechtsvergleichung dem Völkerrecht nicht fremd ist, zeigt schon ein Blick auf Art. 38 Abs. I lit. c des IGH-Statuts. Sind die "von den Kulturvölkern anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätze" als Völkerrechtsquelle zu erschließen, so kann das nur durch einen wertenden Vergleich der unterschiedlichen nationalen Rechtsordnungen geschehen, der Rechtsprechung, wissenschaftliche Literatur, aber auch die soziokulturellen Rahmenbedingungen und in der Zeitdimension die historischen Entwicklungsprozesse miteinbezieht. 1ss So fmdet eine klassische Formulierung von Roscoe Pound im positiven Text des IGH-Statuts ihre völkerrechtliche Bestätigung: "lf we are to proceed wisely in creative juristic activity in the complex society of today we must study scientifically the legal materials ofthe whole world." 156

Gerade für die relativ junge Disziplin des internationalen Menschenrechtsschutzes, die sich ihre eigene Dogmatik erst schaffen muß, ist die im Sinne Pounds umfassend verstandene rechtsvergleichende Methode unabdingbar. 157 Dabei sind alle Dimensionen des Rechtsvergleichs zu beachten: der Vergleich von Technik und Methode, von Doktrin und Judikatur, von konkreten materiellen Normen und Verfahrensregelungen, schließlich von generellen Prinzipien und den einer jeden Rechtsordnung zugrunde liegenden Idealen bzw. Wertvorstellungen158. Die Komparatistik muß auch die Rechtswirklichkeit und den

155 Zur Rechtsvergleichung im Völkerrecht grundlegend C. W. Jen/es, The Common Law of Mankind, 1958, S. 84 f., 416 f. ("cultural value ( ... ) of comparative law"); siehe auch: A. Bleckmann, Grundprobleme und Methoden des Völkerrechts, 1982, S. 140; L.J. Constantinesco, Rechtsvergleichung, 1983; K.-P. Sommermann, Die Bedeutung der Rechtsvergleichung für die Fortentwicklung des Staats- und Verwaltungsrechts in Europa, in: DÖV 1999, S. 1017 ff., 1026 ff. Aus der Sicht einer vergl. Verfassungslehre P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 165 ff., 463 f.; M. A. Glendon, Rights Talk, S. 152 ff. Allg. aus methodischer Sicht: E. Kramer, Juristische Methodenlehre, 1998, S. 190 ff. Vgl. K. Zweigert/H. Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 1996, S. 7 f. 156 The Revival ofComparative Law, Tulane Law Review V (1930), S. 1 ff., 15. 157 C. W Jen/es, The Common Law of Mankind, 1958, S. 88 ("multicultural and multi-legal system approach"); K. Zweigert/H. Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 1996, S. 8; vgl. auch G. Seidel, Handbuch der Grund- und Menschenrechte auf staatlicher, europäischer und universeller Ebene, 1996, Einleitung S. V f. Zur Rolle der Rechtsvergleichung für eine europäische Rechtswissenschaft siehe H. Coing, Europäisierung der Rechtswissenschaft, NJW 1990, S. 937 ff., 940. 158 Dazu schon R. Pound, The Revival of Comparative Law, Tulane Law Review V (1930), S. 1 ff., 15; K. Zweigert/H. Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 1996, S. 4 f.; zu den Methoden der Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht

D. Der rechtsvergleichende Ansatz

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kulturellen Kontext einbeziehen und nicht nur in den Raum, sondern auch rechtshistorisch in die Zeit ausgreifen. 159 Im folgenden seien die Vergleichskategorien und -ebenen strukturiert. I. Ebenen einer rechtsvergleichenden Analyse Ein erster Schritt ist die Zusammenschau der geschriebenen und ungeschriebenen Menschenrechtsgarantien in den einzelnen Nationalstaaten einschließlich ihrer ideengeschichtlichen Herleitung und dogmatischen Ausgestaltung, denn letztlich grUnden die internationalen Menschenrechtskataloge in den Leistungen der Verfassungsstaaten. 160 Sie sind keine originäre Schöpfung des Völkerrechts, sondern haben ihre Wurzeln zumeist in konkreten nationalen Verfassungsverbürgungen und strahlen von dort auf die regionale und internationale Ebene aus. Die Idee allgemeiner, jedem Menschen kraft seiner Natur angeborener, unveräußerlicher und somit vorstaatlicher Menschenrechte geht zwar auf die universale Menschheit161 zurück, eine rechtliche Konturierung hat sie aber erst in den konkreten Rechtsordnungen der Verfassungsstaaten erfahren, die ihre Geltung wie Durchsetzung garantieren. 162 Soll eine universelle Menschenrechtstheorie entwickelt werden, setzt das somit eine vergleichende Analyse der wesentlichen Teilbeiträge jedes einzelnen Mitgliedes der Staatengemeinschaft voraus. Notwendig ist auf einer zweiten Stufe auch ein Textvergleich 163 der verschiedenen völkerrechtlichen Dokumente untereinander, um hier Entwicklungslinien nachzuzeichnen und Rezeptionsprozesse offenzulegen. Vor allem vgl. K.-P. Sommermann, Die Bedeutung der Rechtsve~gleichung ftlr die Fortentwicklung des Staats- und Verwaltungsrechts in Europa, in: DOV 1999, S. 1017 ff., 1021 ff. 159 P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 164 ff. 160 P. Häberle, Textstufen als Entwicklungswege des Verfassungsstaates, in: ders., Rechtsvergleichung im Kraftfeld des Verfassungsstaates, 1992, S. 3 ff., 9. 161 Programmatisch insoweit C. W Jenks, The Comrnon Law of Mankind, 1958, S. 19 ("common law of mankind") und passim. Zur Idee der Menschheit vgl. auch J. Ebbinghaus, Das Kantische System der Rechte des Menschen und des Bürgers in seiner geschichtlichen und aktuellen Bedeutung, in: ders., Gesammelte Schriften, Band 2, 1988, S. 249 ff., 259 ff.; J. Isensee, Die alte Frage nach der Rechtfertigung des Staates, JZ 1999, S. 265 ff., 276. 162 Vgl. dazu P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 724 f.; H. Hofmann, Geschichtlichkeil und Universalitätsanspruch des Rechtsstaates, in: Der Staat 34 (1995), S. 1 ff., 30. 163 Zur textbezogenen Methode in der Rechtsvergleichung K.-P. Sommermann, Die Bedeutung der Rechtsvergleichung fllr die Fortentwicklung des Staats- und Verwaltungsrechts in Europa, in: DÖV 1999, S. 1017 ff., 1021 f.

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Erster Teil: Methodische Grundlagen

bleiben die Austauschprozesse und die wechselseitige Vorbildfunktion zwischen der internationalen Gemeinschaft und den regionalen Gliederungen interessant. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948, die Internationalen Pakte über bürgerliche und politische bzw. wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sowie weitere universale Normen des "human rights Iaw" 164 stehen den regionalen Menschenrechtsabkommen gegenüber: der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) von 1950 und der Europäischen Sozialcharta (1961), der Amerikanischen Menschenrechtskonvention (AMRK) sowie der Afrikanischen Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker (AfrMRK). In den Textvergleich müssen aber auch völkerrechtliche Dokumente einbezogen werden, die nicht spezifisch den Menschenrechtsschutz zum Gegenstand haben, die Thematik jedoch mitbehandeln. Die Charta der Vereinten Nationen bildet hier den übergeordneten Rahmen, zahlreiche Spezialabkommen, Entwürfe und Deklarationen ("soft law") liefern weiteres TextmateriaL Anband all dieser Dokumente lassen sich unter Einbeziehung der Zeitdimension Rezeptionsprozesse nachvollziehen und Bedeutungsvarianten der verwendeten Begriffe gegenüberstellen. So können letztlich übergreifende Theorieelemente internationalen Menschenrechtsschutzes ermittelt werden, denn die Texte zeichnen als Gesamtensemble ein Bild von dem was bereits erreicht, rechtlich präzise gefaßt und worüber Konsens erzielt wurde. Sie sind Richtschnur fUr eine weitergehende Fortschreibung und Ausdifferenzierung der Kodifikationen, mögen aber auch manche Defizite und leere Kompromißformeln enthüllen. 165 Neben dem Textvergleich sind, strukturiert nach der Ebenentrias national, regional, international, auch die übrigen Vergleichskategorien einzubinden. So bedarf die völkerrechtliche Methodendiskussion wichtiger Anstöße aus dem verfassungsrechtlichen Kontext, müssen nationale Verfassungsgerichte, regionale und internationale Gerichtshöfe voneinander lernen. Der Vergleich von Rechtswirklichkeit166 ebenso wie der fUr eine Rechtsordnung konstitutiven Wertgrundlagen liegt einmal in den Händen der Wissenschaft, ist aber zugleich Hintergrund von Text- und Rechtsprechungsrezeptionen. Daß die Richter des IGH sowie Vertreter in internationalen Kommissionen in unterschiedlichen Eine Übersicht gibt z.B. M. Pape, Humanitäre Intervention, 1997, S. 41 ff. Dazu insgesamt P. Häber/e, Textstufen als Entwicklungswege des Verfassungsstaates (1989), in: ders., Rechtsvergleichung im Kraftfeld des Verfassungsstaates, 1992, s. 3 ff., 20-26. 166 Empirisches Material liefert das unverzichtbare Rüstzeug filr rechtsphilosophische und rechtstheoretische Untersuchungen. Dazu K.-P. Sommermann, Die Bedeutung der Rechtsvergleichung filr die Fortentwicklung des Staats- und Verwaltungsrechts in Europa, in: DOV 1999, S. 1017 ff., 1020. 164 165

D. Der rechtsvergleichende Ansatz

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Rechtssystemen ausgebildet sein müssen (Art. 9 IGH-Statut), ist ein wichtiger Garant ftlr rechtsvergleichendes Arbeiten im internationalen Recht. 167 Zugleich weitet eine solch multikulturelle Besetzung der Gremien den Blick auf die grundlegendste Dimension des Rechtsvergleichs, dessen Potential ftlr den internationalen Menschenrechtsschutz erschlossen werden muß: Rechtsvergleich als Kulturvergleich. II. Rechtsvergleich als Kulturvergleich

Die Gleichsetzung von Rechts- und Kulturvergleich setzt ein kulturwissenschaftliches Rechtsverständnis unausgesprochen als Prämisse voraus. Der einleitend bereits erläuterte kulturwissenschaftliche Ansatz kann in der deutschen Verfassungslehre auf eine lange Tradition seit H Heller, R. Smend, G. Holstein oder A. Hense/ zurückblicken und ist mitbestimmend ftlr die gegenwärtige verfassungs- und europarechtliche Diskussion.168 Das Völkerrecht kann aus einem solchen Theoriereservoir eigenschöpferisch Gewinn ziehen und sich auf dem Gebiet der Menschenrechte schrittweise aus dem vielzitierten Antagonismus von Universalität und kultureller Relativität lösen. Wird Universalität auf der einen Seite oft nur apologetisch behauptet, ist dem gegenüber das Argument kultureller Relativität nicht minder häufig eine vorgeschobene Schutzbehauptung zum Erhalt totalitärer Machtstrukturen 169• Solchem Schwarz-Weiß-Denken wirkt ein kulturvergleichender Forschungszugang entgegen, da er die kulturspezifische Prägung der Menschenrechtsgarantien in ihrem Zugleich von Universalität und Partikularität aufzuschlüsseln in der Lage ist. 170 Er legt dabei wichtige Elemente des Vorverständnisses jeder Menschenrechtstheorie offen: Die zu sichernde Freiheit ist immer kulturell gebunden, ist Inhalt einer gemeinsamen Kultur, ihrer Werte und konkreten Bedingungen ftlr das Zusammenleben in Gemeinschaften. 171 Der kulturelle Kontext ist das "Vorgefundene", die dem So C. W. Jenks, The Common Law ofMankind, 1958, S. 418. Grundlegend P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, l. Aufl. 1982, 2. Aufl. 1998. 169 Vgl. E. Klein, Universeller Menschenrechtsschutz - Realität oder Utopie?, in: EuGRZ 1999, S. 109 ff., 114. 170 Vgl. dazu S. U. Pieper, "The Clash of Civilizations" und das Völkerrecht, in: Rechtstheorie 29 (1998), S. 331 ff., 343 ff. 171 Dazu H. Heller, Souveränität(... ), S. 126; P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 578 ff.; P. Kirchhof, Der Staat als Organisationsfonn politischer Herrschaft und rechtlicher Bindung, DVBI. 1999, S. 637 tf., 641. Unglücklich, ja irrefUhrend fonnuliert P. Sieghart, The Lawful Rights of Mankind, 1985, S. 40: "These standards (die Menschenrechte, Anm. des Verf.) are deliberately designed tobe culturally and ideologically neutral: they arenot specifically liberal or social, Eastem or 167 168

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Erster Teil: Methodische Grundlagen

Staat vorgegebene Wirklichkeit, die er zu respektieren, teils auch auszugestalten hat, über die er aber weder verftlgen kann noch darf. Die Universalität der Menschenrechte setzt zwar kulturübergreifende Gemeinsamkeiten voraus, die aber ihrerseits nicht per se "überkulturell", sondern erst als Kulturprodukte durch globale kulturelle Austauschprozesse zum Gemeingut der Völkerrechts. haft geword en sm . d . 172 gememsc Dieser Austausch vollzieht sich in dynamischen Prozessen. Kulturelle Traditionen einschließlich des so wichtigen religiösen Moments sind nicht statisch, sondern aufgrund gesellschaftlicher und politischer Entwicklungen, vor allem auch im Dialog mit den jeweils anderen Kulturen, stetiger (kommunikativer) Veränderung unterworfen. 173 Kulturen können sich einander annähern, voneinander lernen, ohne das ftlr sie Spezifische aufzugeben oder ihre Eigenständigkeit zu verlieren. Dabei verbindet der Rechtsvergleich als Kulturvergleich die induktive mit der deduktiven Methode. Für die Jurisprudenz geht es nicht nur um die axiomatische Deduktion von obersten Prämissen, sie muß ergänzend auch induktiv und topisch vorgehen. Für den Menschenrechtsschutz heißt das in concreto: Der Vergleich kann aufzeigen, wie unterschiedliche Kulturen, Religionen oder Ethnien auf die grundlegenden, immer gleichen Bedrohungen und Gefährdungen des Menschen ebenso wie auf seine sozialen Bedürfnisse im Spannungsfeld von Freiheit und Gleichheit, Individuum und Kollektiv, individueller Werteverwirklichung und Konsensbildung in der Gemeinschaft reagieren. Umfassender Kulturvergleich müßte alle Kulturkreise einbeziehen. Er steht dabei zunächst vor der Schwierigkeit, daß auch die Kulturkreise selbst sehr heterogen sind. Buropa ist weit vielgestaltiger als das Bild vom christlichen Abendland zu vermitteln scheint, die Vereinigten Staaten verstehen sich selbst als "melting pot" verschiedenster kultureller Einflüsse. Die eine asiatische Welt gibt es nicht: Japans in Isolation gewachsene, erst nach der Meiji-Restauration (1867) sich dem Westen öffnende Inselkultur, steht dem großen chinesischen

Western, Northern or Southern, developed or developing, Christian, Buddhist, Islamic, or Hindu." Gemeint sind Universalität und Multikulturalität, aber gerade keine kulturelle Neutralität. 172 Vgl. dazu auch P. B. Cliteur, What Developments Can We Expect in the Field of Human Rights for the Coming Decades?, in: Rechtstheorie 27 (1996), S. 177 ff., 177. Zum Sichwort "Grundrechte im interkulturellen Vergleich siehe J. Rüsen, Theorieprobleme einer vergleichenden Universalgeschichte der Menschenrechte, in: FS fllr H.-U. Wehler, 1991, S. 58 ff., 60 f.; S. U. Pieper, "The Clash of Civilizations" und das Völkerrecht, in: Rechtstheorie 29 ( 1998), S. 331 ff., 342 ff. 173 R. Wolfrum, Die Entwicklung des internationalen Menschenrechtsschutzes, in: EA 1993, S. 681 ff., 684.

D. Der rechtsvergleichende Ansatz

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Kulturkreis gegenüber. 174 Für China wird kaum auf den ersten Blick sichtbar, was in Jahrtausenden an Kultur gewachsen oder von der kommunistischen Ideologie und einem machtvollen Parteiapparat in einer "Kulturrevolution" aufoktroyiert worden ist. Es mag sogar eine neue chinesisch-kommunistische Kultur neben der traditionellen entstanden sein. Indonesien und Indien lassen sich nur aus ihrer kolonialen Vergangenheie 75 begreifen, importierte Kulturelemente stehen neben originär gewachsenen. Nicht minder differenziert müßte eine Skizze filr die afrikanischen Kulturen ausfallen. Daher tut jeder kulturvergleichenden Studie Selbstbeschränkung und Selbstvergewisserung über die Komplexität ihres Gegenstandes Not. Es können nur Einzelaspekte herausgegriffen werden, die erst in einer Vielzahl einzelner Untersuchungen - werkstattgleich - zu einem Gesamtbild reifen. Für das Menschenrechtsthema ist eingrenzend zu fragen, welche Kulturkreise eigene, regionale Menschenrechtspakte geschaffen haben. Europa übernimmt mit der EMRK eine Vorreiterrolle, was schon aufgrund der historischen Wurzeln des Menschenrechtsdenkens in der europäischen Aufklärung und ihrer Vordenker verständlich ist. 176 Die auf sie folgenden bedeutenden regionalen Menschenrechtspakte, die Amerikanische Konvention von 1969 ebenso wie die Afrikanische von 1981, bedurften zu ihrer Entstehung der Ausstrahlungswirkung der mittlerweile geschaffenen Weltpakte über bürgerliche und politische Rechte auf der einen, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte auf der anderen Seite. Ein spezifisch asiatischer Pakt, der Elemente eines gemeinasiatischen Menschenrechtsverständnisses erkennen ließe, existiert nicht. Für die arabische Welt 177 sei auf die noch nicht in Kraft getretene Arabische Menschenrechtscharta vom 15. Septernher 1994 verwiesen. 178 Die Kairoer Erklärung der Menschenrechte vom 5. August 1991 steht filr die Menschenrechts-

174 Zur Menschenrechtssituation in China vgl. K. Stern, Staatsrecht, Bd. 111/1, 1988, S. 239 ff.; Amnesty International (Hrsg.), China, Refonnen ohne Menschenrechte: Staatliche Willkür in China, 1996. 175 Dazu Ch. Tomuschat, Is Universality of Human Rights Standards an Outdated and Utopian Concept?, in: Gedächtnisschrift Ch. Sasse, Bd. 2, 1981, S. 585 ff., 597 ff. 176 Zur Entstehungsgeschichte der EMRK siehe K. Stern, Staatsrecht, Bd. 111/1 , 1988, s. 268 ff. 177 H.-G. Ebert, Arabische Verfassungen und das Problem der "islamischen Menschenrechte", VRÜ 30 (1997), S. 520 ff.; E. Mikunda Franco, Das Menschenrechtsverständnis in den islamischen Staaten, in: JöR 44 ( 1996), S. 205 ff. 178 In englischer Sprache abgedruckt in: HRLJ 1997, S. 151 ff.; siehe auch H.-G. Ebert, Arabische Verfassungen und das Problem der "islamischen Menschenrechte", VRÜ 30 (1997), S. 520 ff., 521 ff.

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Erster Teil: Methodische Grundlagen

konzeption der islamischen Staaten. 179 Hier flillt eine Einordnung und rechtliche Auswertung der Texte besonders schwer. Ein undifferenzierter Fundamentalismusvorwurf kann zu keiner sachgerechten Bewertung fUhren, denn der Islam ist weder statisches System noch monolithisches Gebilde, sondern in ganz unterschiedliche Konfessionen und (traditionelle) Rechtsschulen aufgespalten. 180 Dieser schlaglichtartige Überblick umreißt, was als ein in die Breite und Tiefe gehender Kulturvergleich von vorliegender Arbeit nicht geleistet werden kann. Es geht allein darum, die theoretischen Grundlagen anzudeuten: Wo immer Rechtsvergleich betrieben, wo immer Normtexte einander gegenübergestellt werden, steht nicht der rein vordergründige Vergleich von Texten in Rede, sondern der immanente Vergleich der kulturellen Kontexte. Welche Kulturkreise auf die konkreten Normen wie gewirkt haben, müßte in thematisch stark begrenzten Einzelstudien nachgewiesen werden. Aber erst das Wissen um die kulturelle Prägung seines Gegenstandes ist eine hinreichende Rationalitätsbasis für den Rechtsvergleich, mag die Auswahl der Vergleichstopoi auch notwendig fragmentarisch bleiben. 111. Rechtsvergleich als universelles Rechtsgespräch Der Rechtsvergleich darf keine Einbahnstraße sein, sondern er beruht auf einem gegenseitigen Geben und Nehmen 181 : Es ist selbstverständlich, daß gerade in den jungen Demokratien sowohl die gesetzgebenden Körperschaften als auch die Gerichte besonders intensiv rechtsvergleichend arbeiten und die Standards der etablierten Verfassungsstaaten rezipieren. Das folgt zunächst aus dem praktischen Bedürfnis, auf das dort bereits Erprobte, auf Textvorbilder bei Gesetzeswerken ebenso wie die Leistungen von Judikatur und Wissenschaft

179 Der englische Text ist abgedruckt in: Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights (ed.), Human Rights: A Compilation of International Instruments, Vol. II- Regional Instruments, 1997, S. 478 ff. 18 Ch. Tomuschat, Is Universality of Human Rights Standards an Outdated and Utopian Concept?, in: Gedächtnisschrift Ch. Sasse, Bd. 2, 1981, S. 585 ff., 595 ff. ; G. Höver, Grundwerte und Menschenrechte im Islam, in: B. Mensen (Hrsg.), Grundwerte und Menschenrechte in verschiedenen Kulturen, 1988, S. 37 ff.; H. Bie/efeldt, Menschenrechte und Menschenrechtsverständnis im Islam, in: EuGRZ 1989, S. 489 ff.; L. Müller, Islam und die Menschenrechte, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 28/97, s. 21 ff. 181 In diesem Sinne M A. Glendon, Rights Talk, S. 158 ff., kritisch zur Praxis des US-Supreme-Court, der nur in seltenen Fällen rechtsvergleichend arbeitet: "The OneWay ,Overseas Trade' in Rights" (S. 158).

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zurückzugreifen. 182 Desweiteren dient solches Vorgehen einer Verstärkung der Legitimität des eigenen Entwicklungsweges, was ftlr Gesellschaften im Umbruch und Übergang angesichts mancher Verunsicherungen und dem Bedürfnis nach Neuorientierung eine entscheidende Rolle spielt. Nichtsdestoweniger dürfen sich auch die Mitglieder der Völkergemeinschaft, die auf eine lange verfassungsstaatliche Tradition und Menschenrechtsjudikatur zurückblicken können, dem Rechtsvergleich nicht verschließen. Zu Recht wird immer wieder kritisiert, daß weltweit in großem Ansehen stehende Verfassungsgerichte wie der amerikanische Supreme Court oder das deutsche Bundesverfassungsgericht den Rechtsvergleich bei der Urteilsfmdung entweder gänzlich ausblenden oder jedenfalls nicht offenlegen. 183 Diese Zurückhaltung entspricht eher überkommenem etatistischem Denken als den Notwendigkeiten des kooperativ offenen Verfassungsstaates der Gegenwart. Außerdem bleiben wichtige Potentiale ungenutzt, denn sowohl die völkerrechtlichen Texte als auch die neuen Verfassungen von Reformstaaten oder Entwicklungsländern schaffen eigenständig Normierungsstufen, von denen die alten Verfassungsstaaten lernen können. Vor allem aber ist der wechselseitige Vergleich, die wechselseitige Rezeption von je nationalen Grundrechtsstandards, völkervertraglich garantierten oder gewohnheitsrechtlich anerkannten Menschenrechten oder philosophischen Entwürfen unabdingbare Voraussetzung ftlr die Akzeptanz universeller Menschenrechte. Das umfassende Rechtsgespräch gleichberechtigter Partner ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Universalität der Menschenrechte. Werden auf den Ebenen aller drei staatlichen Gewalten solche Theorien und Ideen ausgetauscht, so öffnen sich unverzichtbare Einfallstore ftlr das zunächst westlich geprägte Menschenrechtsdenken in andere Kulturen und politische Systeme. Diese sind umso eher bereit, sich die so vermittelten Standards zu eigen zu machen, je stärker sie eine aktiv gestaltende Rolle spielen, ihre eigene Stimme in die Diskussion einbringen können und sehen, daß auch ihre Leistungen im Gegenzug rezipiert werden. 184

182 Zur praktischen Relevanz der "angewandten" Rechtsvergleichung K. -P. Sommermann, Die Bedeutung der Rechtsvergleichung fllr die Fortentwicklung des Staatsund Verwaltungsrechts in Europa, in: DÖV 1999, S. 1017 ff. 183 Kritisch zur Praxis des BVerfG, das auch im Blick auf die Menschenrechte der EMRK und darüber hinaus allenfalls sehr zurückhaltend rechtsvergleichend argumentiert: J. A. Frowein, Kritische Bemerkungen zur Lage des deutschen Staatsrechts aus rechtsvergleichender Sicht, DÖV 1998, S. 806 ff., 809. 184 Zum argumentativen Austausch bei der Ausarbeitung völkerrechtlicher Verträge siehe K.-P. Sommermann, Die Bedeutung der Rechtsvergleichung fllr die Fortentwicklung des Staats- und Verwaltungsrechts in Europa, in: DÖV 1999, S. 1017 ff., 1027.

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Erster Teil: Methodische Grundlagen

Damit sei keinesfalls einer globalen Nivellierung der Menschenrechtsstandards und einem Minimalkonsens das Wort geredet. Weder sollen die einzelnen Spruchkörper die kleinste gemeinsame Basis ihren Entscheidungen zugrunde legen und hinter das zurückfallen, was sie selbst schon erreicht haben, noch dient eine undifferenzierte Gleichmacherei der Sache der Menschenrechte. Rechtsvergleich meint auch nicht blinde Rezeption, sondern eine Erweiterung des Erkenntnishorizonts und des gegenseitigen Verstehens. Seine Aufgabe ist es, an einer gemeinsamen Verständigungs- und Verstehensgrundlage zu bauen und dem Ideal eines universellen Rechtsgesprächs schrittweise näher zu kommen.

E. Rezeption von Theorieelementen der je nationalen Staats- und Verfassungslehren Bei aller eigenschöpferischen Kraft, von der die erstmalige Kodifikation universeller Menschenrechte fUr die Weltgemeinschaft zeugt, hat das Völkerrecht doch maßgeblich auf die theoretischen Leistungen der je nationalen Verfassungslehren zurückgegriffen. Die Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen sind auch sprachliches "Konzentrat" von "Text-Vorbildern und Textelementen", die sich in den Verfassungstexten und der verfassungsrechtlichen Literatur der einzelnen Nationalstaaten seit der Virginia Bill of Rights von 1776 oder der Französischen Deklaration der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 fmden lassen. 185 Die Völkerrechtslehre verarbeitet die dogmatischen Errungenschaften der nationalen Wissenschaftlergemeinschaften und Verfassungsgerichte weiter, greifbar etwa anband der status-negativus-, -positivusund -activus-Lehren, der Menschenrechte als Elemente einer objektiven Wertordnung oder ihrer Einteilung in unterschiedliche "Generationen". Noch stärker aber fällt ins Gewicht, daß die Völkerrechtslehre in einem weiteren und zugleich tieferen Sinne "Verfassungslehre" ist. Denn hier wie dort geht es um die politische Gemeinschaftsbildung und die dafllr notwendigen, verfassenden Elemente. Politische Gemeinschaftsbildung vollzieht sich in der global vernetzten Welt von heute mit unterschiedlicher Intensität auf unterschiedlichen Ebenen. Zunächst bleibt es beim klassischen Nationalstaat als politischer Handlungs- und Wirkungseinheit, in diesem Rahmen wiederum je nach Staatsform- und -organisation gegliedert in kommunale Gebietskörperschaften, Regionen, Gliedstaaten im Bundesstaat. Daneben ist vor allem im 185 P. Häberle, Textstufen als Entwicklungswege des Verfassungsstaates, in: ders., Rechtsvergleichung im Kraftfeld des Verfassungsstaates, 1992, S. 3 ff., 9.

E. Rezeption von Theorieelementen der je nationalen Verfassungslehren

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Rahmen der Europäischen Union eine supranationale Organisationsform entstanden, bei der es ebenfalls um politische Gemeinschaftsbildung durch sie verfassende Teilelemente jenseits der Grenzen traditioneller Staatlichkeit geht. Und auch das staatliche Miteinander in der internationalen Gemeinschaft setzt Gemeinschaftsbildung im Sinne echter zwischenstaatlicher Kooperation und nicht bloßer Koexistenz voraus. Dabei gibt es auf den unterschiedlichen Ebenen große Unterschiede hinsichtlich der Intensität der gemeinschaftsbildenden Faktoren. Die Vorzeichen in einem kulturell relativ homogenen Nationalstaat sind andere als in einem multikulturellen, multiethnisch oder multireligiös geprägten Staatswesen. Noch problematischer gestaltet sich die Ausgangssituation in einer supranationalen Organisation wie der EU, erst recht in der weltumspannenden Völkergemeinschaft, wo die einheitsstiftenden Elemente am schwächsten ausgeprägt sind. Aber auf all diesen vielfllltig miteinander verknüpften Ebenen werden die folgenden Themen relevant, die in der überkommenen Staatslehre nur im Kontext der nationalstaatliehen Gemeinschaft diskutiert worden sind: das Gemeinwohl 186, das Öffentliche Interesse, die Staatsbzw. "Gemeinschafts"-Aufgaben oder die Legitimität politischen Handelns. Der letzte Aspekt drängt sich gerade angesichts der Erkenntnis auf, daß längst nicht alle Staaten der Welt Demokratien respektive Verfassungsstaaten im materiellen Sinne sind187• Diesen Herausforderungen kann das Völkerrecht methodisch nur Rechnung tragen, wenn es sich der Verfassungslehre öffnet und Erkenntnisse aus dem je nationalen staats- und verfassungsrechtlichen Schrifttum rezipiert. Eine globale, alle Verfassungsordnungen einbeziehende, vergleichende Vorgehensweise bleibt selbstverständlich Illusion. Die nationalen Wissenschaftlergemeinschaften können aber ihren jeweiligen Teilbeitrag leisten. Solches Vorgehen mag dem Vorwurf des Eklektizismus ausgesetzt sein. Aber das Völkerrecht ist kein geschlossenes System, sondern lebt aus der Vielfalt der nationalen Teilbeiträge. Die Völkerrechtslehre darf sich nicht abschotten, muß wie die Verfassungslehre "Integrationswissenschaft" 188 sein, ohne aber die Integration rein staatsbezogen, von der Prämisse nationaler und territorialer Homogenität her zu denken. Sie sollte daher um den produktiven Austausch mit den nationalen Staatsund Verfassungslehren bemüht sein, denn das Völkerrecht formuliert in seinen Menschenrechtsdokumenten Leitprinzipien, die auch auf die innerstaatliche 186 So findet sich der Gedanke eines "Wohls der gesamten Menschheit", eines "Weltwohls" schon bei F. de Vitoria. Vgl. dazu J. Soder, Die Idee der Völkergemeinschaft, 1955, S. 58 ff. 187 Dazu W. v. Simson, Demokratie und Diktatur in ihren völkerrechtlichen Beziehungen, in: Der Staat(... ), S. 109 ff. 188 P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 1062.

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Erster Teil: Methodische Grundlagen

Freiheitsordnung, letztlich auf das Verhältnis zwischen Staat und Bürger, zurückwirken.189 Dies gilt es im folgenden am konkreten Beispiel der Präambel des IPbürgR zu zeigen.

189 Ch. Tomuschat, Der Verfassungsstaat im Geflecht der internationalen Beziehungen, VVDStRL 36 (1978), S. 7 ff., 50 f.

Zweiter Teil

Erscheinungsbild, spezifische Strukturen und Funktionen von Präambeltexten in völkerrechtlichen Verträgen am Beispiel des IPbürgR A. Der Text der Präambel Die Menschenrechtskommission war mit der Prtlfung des Präambelwortlautes im Verlauf ihrer 637. bis zur 640. Sitzung befaßt. Zu dem vorgelegten Entwurf wurden nur wenige Änderungen beantragt. 1 In der 640. Sitzung erfolgte die Annahme mit 54 gegen 0 Stimmen bei zwei Enthaltungen (USA, Südafrika).2 Der Wortlaut sei zunächst in der authentischen (s. Art. 53 IPbürgR) englischen Sprachfassung wiedergegeben: "The States Parties to the present covenant, Considering that, in accordance with the principles proclaimed in the Charter of the

United Nations, recognition of the inherent dignity and of the equal and inalienable rights of all members of the human family is the foundation of freedom, justice and peace in the world, Recognizing that these rights derive from the inherent dignity ofthe human person, Recognizing that, in accordance with the Universal Declaration of Human Rights, the ideal of free human beings enjoying civil and political freedom and freedom from fear and want can only be achieved if conditions are created whereby everyone may enjoy his civil and political rights, as weil as his economic, social and cultural rights, Considering the obligation of states under the Charter of the United Nations to promote universal respect for, and observance of, human rights and freedoms, Realizing that the individual, having duties to other individuals and to the community to which he belongs, is under a responsibility to strive for the promotion and observance of the rights recognized in the present Covenant, Agree upon the following articles: ( .. f'.

Vgl. Document A/C.3/L. 460; A/C.3/L. 474; A/C.3/L. 473 . Dazu K. Münger, Bürgerliche und politische Rechte im Weltpakt der Vereinten Nationen und im schweizerischen Recht, 1973, S. 27. 3 United Nations Treaty Series Vol. 999, S. 171. 1

2

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Zweiter Teil: Erscheinungsbild, Strukturen, Funktionen von Präambeltexten

In der deutschen Fassung heißt es: "Die Vertragsstaaten dieses Paktes, In der Erwägung, daß nach den in der Charta der Vereinten Nationen verkündeten Grundsätzen die Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Gemeinschaft innewohnenden Würde und der Gleichheit und Unveräußerlichkeit ihrer Rechte die Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt bildet, In der Erkenntnis, daß sich diese Rechte aus der dem Menschen innewohnenden Würde herleiten, In der Erkenntnis, daß nach der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte das Ideal vom freien Menschen, der bürgerliche und politische Freiheit genießt und frei von Furcht und Not lebt, nur verwirklicht werden kann, wenn Verhältnisse geschaffen werden, in denen jeder seine bürgerlichen und politischen Rechte ebenso wie seine wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte genießen kann, In der Erwägung, daß die Charta der Vereinten Nationen die Staaten verpflichtet, die allgemeine und wirksame Achtung der Rechte und Freiheiten des Menschen zu fördern, Im Hinblick darauf, daß der einzelne gegenüber seinen Mitmenschen und der Gemeinschaft, der er angehört, Pflichten hat und gehalten ist, für die Förderung und Achtung der in diesem Pakt anerkannten Rechte einzutreten, Vereinbaren folgende Artikel: ( ... )".4

B. Begriff, Struktur, Aufbau und Funktionen der Präambel I. Herleitung und Entwicklung des Präambelbegriffs im Völkerrecht

Der Begriff der Präambel, etymologisch rilckftlhrbar auf das mittellateinische Lehnwort "praeambulum"- Vorspruch bzw. das spätlateinische Adjektiv praeambulus - vorangehend5 -, bezeichnet allgemein eine feierliche, einstimmende Erklärung am Anfang einer Urkunde oder eines Vertrages, im Besonderen den sprachlich wie formal herausgehobenen Vorspruch zu einem (einfachen) Geseti, einer Verfassungsurkunde7 oder einem völkerrechtlichen 4 BGBI. 1973 II S. 1534. Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte ist mit Ausnahme seines Art. 41 am 23. 03. 1976- auch filr die Bundesrepublik (siehe Bekanntmachung v. 14. 06. 1976, BGBI. 1976 II S. 1068)- in Kraft getreten. 5 Beide Formen gründen im klassisch-lateinischen Verbum prae-ambulare- vorangehen -, siehe G. Köbler, Etymologisches Rechtswörterbuch, 1995, Stichwort: Präambel, S. 311. 6 Dabei ist nicht nur an formelle Parlamentsgesetze zu denken, sondern auch an Verordnungen oder Satzungen, nicht zuletzt an die Fülle der Sekundärrechtsakte der EU filr den europarechtlichen Bereich. Zum Gesetzesvorspruch vgl. aus der Lit.: D. Rethorn,

B. Begriff, Struktur, Aufbau und Präambelfunktionen

61

Vertrag. 8 Auch in Konkordaten bzw. (Staats-)Kirchenverträgen9 oder Koalitionsvereinbarungen politischer Parteien - einer besonderen Fonn des verfassungsrechtlichen Vertrages - fmden sich oft umfangreiche, programmatisch gestaltete Präambeln. 10 Ausgehend von einem weiten, auch außerrechtlich (kultur- wie literaturwissenschaftlich) zu erschließenden Präambelbegriff, ist zunächst aufverwandte Spielarten in den literarischen Fonnen der Vorrede, des Prologs oder des Prooemiums 11 , auch auf die fUr die griechische bzw. altrömische Rhetorenkunst kennzeichnende captatio benevolentiae zu verweisen. Das getragene Pathos einer eigenständigen Einleitungsfonnel ist wesentliches kompositorisches Element schon der antiken Kunstfonneo der Rhetorik und Episto-

Verschiedene Funktionen von Präambeln, in: J. Rödig (Hrsg.), Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung, 1976, S. 296 ff., insbes. S. 307 f., 310 ff. mit rechtshistorischen (insbes. für die Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland) und rechtsvergleichenden Ansätzen. 7 Zu "Präambeln im Text und Kontext von Verfassungen" gleichnamig P. Häber/e, in: FS J. Broermann, 1982, S. 211 ff. 8 P. You, Le pn!ambule des traites internationaux, 1941, S. 1 wählt folgende einleitende Definition: "Le preambule d'un traite international est Ia partie initiale du traite ou sont enoncees des indications d'un caractere general." Allgemein zum Begriff der Präambel vgl. die weitgehend übereinstimmenden Definitionsansätze in: Brockhaus Enzyklopädie, 17. Bd., 19. Aufl. 1992, S. 431; Evangelisches Staatslexikon, Bd. II, 3. Aufl. 1987, Sp. 3743; Deutsches Rechts-Lexikon, Bd. 2, München 1992, S. 1429. Aus dem anglo-amerikanischen Rechtskreis die Definition bei J. A . Ballentine, Ballentine's Law Dictionary, 3rd ed. 1969, S. 975: "A prefatory statement most aptly illustrated by the fifty-two words at the beginning ofthe Constitution ofthe United States. A clause in a statute, following the title and preceeding the enacting clause, explanatory of the reasons for the enactrnent and the objects sought tobe accomplished." Aus europarechtlieber Perspektive: A.-C. Kulow, Inhalte und Funktionen der Präambel des EG-Vertrages, 1997. 9 A. Ho/lerbach, Verträge zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland, 1965, S. 237; vgl. als jüngeres Anwendungsbeispiel aus dem evangelischen Kirchenrecht H. Johnsen, Die Evangelischen Staatskirchenverträge in den neuen Bundesländern - ihr Zustandekommen und ihre praktische Anwendung, in: ZevKR 43 (1998), s. 182 ff., 193 f. 10 Als Beispiel aus jüngerer Zeit kann die Koalitionsvereinbarung zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und Bündnis 90/Die Grünen vom 20. 10. 1998 dienen, die in ihrer Präambel einen umfangreichen Katalog politischer Ziele formuliert, u.a. "ökologische Modernisierung", Bewahrung der "natürlichen Lebensgrundlagen", Erneuerung des "Generationenvertrages" oder "friedliche und partnerschaftliehe Zusammenarbeit" mit den europäischen Nachbarn (abgedruckt in: ZRP 1998, S. 485 ff., 485); siehe auch R. Zuck, Verfassungswandel durch Vertrag?, in: ZRP 1998, S. 457 ff., 457. 11 Der Einfluß der römischen Kultur auf die Völkerrechtsklassiker der spanischen Scholastik ist unverkennbar. So stellt F. Suarez seiner Schrift "De lege aeterna et naturali, ac iure gentium" ein "prooemium" voran (Ausgewählte Texte zum Völkerrecht, 1965, s. 28),

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Zweiter Teil: Erscheinungsbild, Strukturen, Funktionen von Präambeltexten

lographie 12 • Die rhetorischen Schriften eines Aristoteles13 oder Seneca 14 liefern das klassische Gerüst ftlr den Aufbau, die dispositio einer Rede. Deren Einleitung (exordium) soll auf den Adressaten eingehen und seine Aufmerksamkeit (attentum) in gleicher Weise wie sein Wohlwollen (benevolum) erringen. 15 Von dieser Idee ausgehend, hat der Vorspruch in den verschiedensten Literaturgattungen und im Schauspiel als textliches Gliederungsprinzip wie dramatisches Gestaltungsmittel im Laufe der Kunstgeschichte immer mehr an eigenständigen, typusprägenden Konturen gewonnen, die auch ft1r die juristische Kodifikation Vorbildfunktion entfalten konnten. 16 Hatte bereits das Gesetzeswerk des babylonischen Königs Harnmurabi eine Präambel, so forderte :fiir die griechische Welt erstmals Platon - auf dichterisch-musikalische sowie prosaische Traditionen zurückgreifend - im 4. Buch seiner "Nomoi" die allgemeine Ein:fiihrung des "Prooimions'' in der Gesetzgebung. 17 Ziel war ftlr ihn nicht nur, den Normadressaten auf zentrale inhaltliche Aspekte des Gesetzeswerkes vorzubereiten und mit seinem wesentlichen Inhalt vertraut zu machen, vielmehr sollten auch Bezüge zur Götterverehrung und zum Heroenkult hergestellt und dadurch die Idee der Gerechtigkeit in einen höheren, transzendenten Legitimadnet werden. 18 . hang emgeor . bonszusammen Standen am Anfang der Entwicklungsgeschichte rhetorische und allgemeinbekenntnishafte Elemente im Vordergrund, so hat die Präambel als Vorspruch bei Staatsverträgen, Konkordaten, Verfassungsurkunden und Gesetzen von ihren antiken Wurzeln hin zu neuzeitlichen Kodiftkationen deutlichere Konturen gewonnen. Es sind sehr viel präzisere Beziehungen zu konkreten Rechtsinhalten, Entstehungsgeschichte, Interpretation und Teleologie der Vertrags- oder 12 P. Häber/e, Präambeln im Text und Kontext von Verfassungen, in: Rechtsvergleichung im Kraftfeld des Verfassungsstaates, 1992, S. 212, Fn. 5; D. Rethorn, Verschiedene Funktionen von Präambeln, in: Studien ( ...), S. 298; F. Merzbacher, Art. Arenga, in: A. Erler/E. Kaufmann (Hrsg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. I, 1971, Sp. 217. 13 Rhetorik, 3, 13, 1414b. 14 Deoratore,2,315-332. 15 Dazu W. Gast, Juristische Rhetorik, 3. Aufl. 1997, S. 181 Rn. 247. 16 Vgl. F. Merzbacher, Art. Arenga, in: Handwörterbuch ( ... ), Sp. 217. Zu Recht verweist P. Häberle, Präambeln im Text und Kontext von Verfassungen, in: Rechtsvergleichung ( ...), Fn. 5, auch auf die Musik (Präludien, Ouvertüren) und das darin liegende, kulturvergleichend zu erschließende Potential. Zu "dichterisch-musikalischen" wie "prosaischen" Prooimia siehe H. Hunger, Prooimion. Elemente der byzantinischen Kaiseridee in den Arengen der Urkunden, 1964, S. 19 ff. Mit Blick auf die USBundesverfassung programmatisch C. M. Lawson, The Literary Force of the Prearnble, Mercer Law Review 39 (1988), S. 879 ff. (plastisch S. 882: "drarna ofthe prearnble"). 17 Platon, Nomoi, 4. Buch, I 213; dazu H. Hunger, Prooimion, 1964, S. 29. 18 H. Hunger, Prooimion, 1964, S. 29 f.

B. Begriff, Struktur, Aufbau und Präambelfunktionen

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Gesetzeswerke entstanden. 19 Beispielhaft erwähnt seien hier die Prooemien byzantinischer Kaiserurkunden genauso wie die Einleitung der Digesten, die sog. "Motivierungen" päpstlicher Dekretale seit dem 4. Jh. n. Chr., die Vorsprüche zur Lex Salica (ca. 510), zur Goldenen Bulle von 1356, die Arengen fränkischer Königsurkunden, die Einleitung des ewigen Landfriedens von 1495, die der peinlichen Gerichtsordnung Karls V. aus dem Jahre 1532. Schließlich geben die Praxis detaillierter, die Herrschaft "von Gottes Gnaden" herleitender, Gesetzespräambeln im absolutistischen Fürstenstaat, aber auch der klassisch-programmatische Entwurf der französischen Menschenrechtserklärung von 1789 und die ausfilhrliche Präambel des Preußischen Allgemeinen Landrechts von 1794 weitere Beispiele.20 Dabei darf nicht übersehen werden, daß dem einstimmenden Vorspruch als Mittel der Gesetzgebungstechnik in den verschiedenen Epochen der Rechtsgeschichte je unterschiedliche(s) Gewicht und Bedeutung zukamen. Während der "rex legibus absolutus" die göttlichen Wurzeln seines unumschränkten Herrschaftsanspruchs im einleitenden Gesetzesvorspruch hervorzuheben und so seine rechtsetzende Autorität über jeden Zweifel zu erheben versuchte, verlor die Präambel im Konstitutionalismus an Bedeutung. Der aufgeklärte Gesetzgeber vertraute selbstbewußt auf die legitimierende Kraft der ratio, die - aus sich selbst heraus verständlich -jede weitere Erklärung über Motivation und Telos einer Norm in seinen Augen überflüssig machte. 21 Noch die Paulskirchenverfassung verzichtete auf jeden Vorspruch, die Einleitung zur Reichsverfassung von 1871 war bewußt knapp gefaßt. Demgegenüber bekannte sich die- ebenfalls kurze - Präambel der Weimarer Reichsverfassung, vom Impetus einer politischen Um- und Aufbruchssituation getragen, sehr prägnant zu den tragenden Prinzipien des neuen Staatsgrundgesetzes, da nach dem Ende der konstitutionellen Monarchie Legitimität und Kontinuität des bisherigen Staatsverbandes in Frage gestellt schienen.22 In der Zeit des Nationalsozialismus spielte die 19 Hierzu H. 0. Meisner, Urkunden- und Aktenlehre der Neuzeit, 1950, S. 110; A. Er/er, Art. Präambel, in: ders.IE. Kaufmann, Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 111, 1984, Sp. 1848-1850.; F. Merzbacher, Art. Arenga, in: Handwörterbuch ( ... ), Sp. 217-218. 20 A. Er/er, Art. Präambel, in: ders.IE. Kaufmann (Hrsg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. III, 1984, Sp. 1849; F. Merzbacher, Art. Arenga, in: ebd., Sp. 217-218; H.-H. Dietze, Der Gesetzesvorspruch, 1939, S. 10 f. mit Quellennachweisen; H. Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. I, 1996, Präambel Rn. 2. 21 A. Er/er, Art. Präambel, in: ders.IE. Kaufmann (Hrsg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. III, 1984, Sp. 1850; H. Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. I, 1996, Präambel Rn. 2. 22 H. Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. I, 1996, Präambel Rn. 2; vgl. auch Ch. Gusy, Die Weimarer Reichsverfassung, 1997, S. 62, zu den leitenden Grundideen des neuen Verfassungswerkes.

6 Kotzur

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Zweiter Teil: Erscheinungsbild, Strukturen, Funktionen von Präambeltexten

Verfassungspräambel keine wesentliche Rolle, aber der Gesetzesvorspruch wurde eine feststehende Einrichtung der Gesetzgebungspraxis. Präambeln sollten das gesamte Rechtssystem als Strukturelemente einer ideologisch überhöhten Lebens- und Wertordnung durchziehen, sollten "Spiegelbilder des völkischen Lebens" sein23 . Demgegenüber steht die Präambel des Grundgesetzes (alte wie neue Fassung) mit ihrer bewußten Abkehr von der menschenverachtenden Diktatur des Dritten Reiches und der ethischen Neuorientierung der sich international öffnenden Bundesrepublik Deutschland in einer lange währenden Tradition verfassungsstaatlicher Präambeltexte. Diese Tradition beginnt mit dem klassischen "We the People" der amerikanischen Bundesverfassung und reicht bis hin zu den neuesten Verfassungsentwicklungen in Südafrika oder in den Reformstaaten Osteuropas.24 Die Präambel ist längst gängiger, wenngleich nicht zwingend notwendiger Baustein moderner Verfassungstexte geworden. Darüber hinaus wurde und wird auch in internationalen Rechtsdokumenten, im Völker- und Europarecht von der Präambeltechnik nahezu ausnahmslos Gebrauch gemacht.25 Die Satzung des Völkerbundes von 1919, die UN-Charta als Grundlage einerneuen Weltgemeinschaft nach der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges und die großen internationalen Menschenrechtspakte seien als eindrucksvolle Varianten exemplarisch herausgegriffen. Diese schlaglichtartige Übersicht erhebt keinesfalls den Anspruch auf Vollständigkeit, sondern will nur besonders signifikante Elemente des Typus Präambel hervorheben. Dabei werden vor allem zwei Aspekte deutlich. Die Jurisprudenz greift wie in vielen anderen Teilbereichen auch bei der Normierungstechnik eines Vorspruchs auf außerrechtliche Vorbilder zurück, sie stützt sich auf eine schon in der antiken Rhetorik geläufige literarische Kunstform, rezipiert und modifiziert sie zu einem eigenständigen, auch spezifisch normativen Bedürfnissen genügenden formalen Gestaltungselement von Verfassungs-, 23 H.-H. Dietze, Der Gesetzesvorspruch, 1939, S. 34 und passim (flir eine Zusammenstellung der Vorsprüche aus der Zeit von 1933 bis 1939 siehe S. 113); K. Pracht, Der Gesetzesvorspruch, 1937, S. 22; zur nationalsozialistischen Präambelpraxis vgl. P. Schoepke, Die rechtliche Bedeutung der Präambel des Grundgesetzes fllr die Bundesrepublik Deutschland, 1965, S. 48 ff. mit zahlreichen Quellenbelegen und Literaturhinweisen. 24 Zur Bayerischen Verfassung vgl. R. Böttcher, Die Präambel der Bayerischen Verfassung und ihr geistiger Vater, in: BayVBI. 1998, S. 385 ff. Zur Entstehungsgeschichte der Präambel der US-Bundesverfassung siehe D. Himmelfarb, The Prearnble in Constitutional Interpretation, in: Seton Hall Constitutional Law Journal, Vol. 2 (1991), S. 127 ff., 132 ff. 25 Bis in vorchristliche Jahrhunderte zurückgehende Beispiele aus der Rechtsgeschichte bei P. You, Le prearnbule des traites internationaux, 1941, S. 1.

B. Begriff, Struktur, Aufbau und Präambelfunktionen

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Vertrags- und Gesetzestexten.26 Nur vordergründig spricht das Recht allein seine Fach- oder Kunstsprache27, läßt sich die technisch-juristische Welt wissenschaftlich allein aus sich selbst heraus erschließen. Das Kodiflkationsergebnis, der Gesetzes- oder Vertragstext, ist nämlich nicht Produkt einer "reinen Rechtslehre", in ihm fmden sich vielmehr Kunstfertigkeit und Erfahrungswissen wieder, das die Rechtswissenschaft, vor allem die einem globalen, "menschheitlichen "28 Anspruch folgende Völkerrechtslehre, in zeitlich wie räumlich vergleichender Perspektive jenseits der engeren Grenzen ihrer eigenen Disziplin nutzt29 • Insbesondere im Völkervertragsrecht sollte daher nicht übersehen werden, daß die übereinkommenden Parteien schon im formalgestalterischen Bereich - vielleicht mitunter unbewußt - auf kulturelle Zusammenhänge zurückgreifen, die fi1r die spätere Interpretation und das ihr jeweils zugrunde liegende Vorverständnis von entscheidender Bedeutung sind.

II. Die formale Gestaltung von Präambeltexten 1. Der Zusammenhang von Form und Inhalt

Anhand von Defmitions- und Strukturmerkmalen der Regelungsfigur "Präambel" ist - zunächst abstrakt, dann angereichert durch konkretes Beispielsmaterial aus der Präambel des IPbürgR- deren formale Gestaltung30 zu erarbei26 So finden sich "Gedanken über Gemeinsamkeiten zwischen der juristischen und der musikalischen Interpretation" im gleichnamigen Beitrag von G. Schwalm, in: FS E. Dreher, 1977, S. 53 ff., 63 (insbes. zur Präambel}. 27 Vgl. dazu H. Schröder, Dialektik - Sprache - Rechtssprache, in: J. Eckert/H. Hattenhauer (Hrsg.), Sprache- Recht- Geschichte, 1991, S. 283 ff., 290 f. Zum Lateinischen als Kunstsprache der Gebildeten im Recht siehe H. Hattenhauer, Lingua venacula - Rechtssprache zwischen Volkssprache und Gelehrtensprache, in: ebd., S. 49 ff., 49. Vgl. auch K. Engisch, Einfllhrung in dasjuristische Denken, 9. Aufl. 1997, s. 93 f. 28 Zum Begriff der "Menschheit" als Kategorie des Völkerrechts P. Häberle, Das "Weltbild" des Verfassungsstaates, in: FS M. Kriele, 1997, S. 1277, 1295 ff., mit Verweisen auf die Weimarer Klassik und den Deutschen Idealismus, auf Texte von Lessing, Goethe, Schiller, Kant und Fichte. 29 P. Häber/e, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 588 ff.; C. W. Jenks, The Common Law ofMankind, 1958, S. 19 und passim. 30 So spricht H. Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. I, 1996, Präambel Rn. 1, von einem "formalen Gestaltungsmittel", das nicht zwingend, aber doch häufig bei Staatsverträgen, Konkordaten, Verfassungen, z.T. auch einfachen Gesetzen anzutreffen sei. Aus rechtshistorischer Perspektive bezeichnet D. Rethorn, Verschiedene Funktionen von Präambeln, in: J. Rödig (Hrsg.), Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung, 1976, S. 296 ff., 296, die Präambel des 16.-18. Jh. als eine "zentrale Figur in der Entwicklung der gesetzgeberischen Formensprache".

6•

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Zweiter Teil: Erscheinungsbild, Strukturen, Funktionen von Präambeltexten

ten, denn das formal-kompositorische und damit zugleich schöpferisch-gestaltende Element der Kodifikation korrespondiert mit den im folgenden zu erschließenden inhaltlichen Funktionen. Form und Inhalt, verstanden als philosophische ebenso wie literaturwissenschaftlich-hermeneutische Kategorien, sind letztlich einander voraussetzende und bedingende, dialektische Begriffe. 31 Der bestimmende, inhaltsgestaltende Aspekt des nur vordergründig "rein Formalen" läßt erste Rückschlüsse auf die inhaltlich-materiale Seite zu. Abstraktionsebenen, Prinzipienstruktur, kognitive und voluntative, normative und deskriptive Elemente erhalten ihr spezifisches Gepräge neben der sprachlichen Gestaltung gerade auch durch die äußere Form. Schon das römische Recht war geprägt von Formen und Formeln, war reich an Gesten, Gebärden und symbolischen Handlungen. 32 Der Prozeß, die gerichtliche Streitbeilegung, erscheint seither bis in die modernen Rechtsordnungen unserer Tage als ein "formalisierter Streit ums Recht". 33 Diese filr die prozedurale Seite typische Formalisierung findet ihr Spiegelbild in der je nach kulturellem Entwicklungszustand einer Gesellschaft mehr oder weniger differenzierten Sprache und formalen Komposition der Rechtstexte und Kodifikationen. Dabei gewinnt die formale Qualität des Kodifikationsergebnisses für die praktische Rechtsanwendung eigenen materiellen Wert. Nur das technisch sinnvoll gestaltete, systematisch gelungene und so handhabbare Regelungswerk gewährleistet ein wichtiges Stück Rechtssicherheie4 • Mehr noch: Das formale Element leistet seinen eigenständigen Beitrag ftlr die Legitimität und Autorität der Rechtsregeln und lnstitutionen.35 Denn die abstrakte, schematisch-verallgemeinemde Sprache und Form der Rechtssätze ermöglichen gleiches Recht für alle Rechtssuchenden. Sprachliche und formale Gestaltungsmittel dienen damit der materiellen Gerechtigkeit und Jassen sich als die formale Seite der Idee von der "Goldenen Regel" oder/. Kants Kategorischem Imperativ begreifen.36 31 H Triepel, Vom Stil des Rechts, 1947, S. 54; H 0. Meisner, Urkunden- und Aktenlehre der Neuzeit, 1950, S. 25; zum Formbegriff in der "postmodernen" Rechtstheorie siehe J. Boyle, Is Subjectivity Possible?, in: University of Colorado Law Review, Vol. 62 (1991), S. 489 ff. 32 E. Täubler, Imperium Romanum. Studien zur Entwicklungsgeschichte des Römischen Reichs, Bd. I, 1913 (Nachdruck 1964), S. 330 ff. 33 P. Kirchhof, Die Bestimmtheit und Offenheit der Rechtssprache, 1987, S. 15. 34 So H Schulze-Fielitz, Theorie und Praxis der parlamentarischen Gesetzgebung, 1988, s. 514/515. 35 Dazu aus der amerikanischen Literatur L. Friedman, The Republic of Choice, 1990, S. I 0; Th. Franck, The Power of Legitimacy among Nations, 1990, S. 50 ff. 36 Dazu P. Kirchhof, Die Bestimmtheit und Offenheit der Rechtssprache, 1987, S. 19; L. Michael, Methodenfragen der Abwägungslehre, in: JöR 48 (2000), S. 169 ff., 196.

B. Begriff, Struktur, Aufbau und Präambelfunktionen

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Vor diesem Hintergrund ist auch die spezifische Figur der Präambel zu erschließen. Ihre vielschichtigen, typusprägenden Gestaltungselemente bilden die formal-teclihische Grundlage, auf der inhaltlich-material das Tableau ihrer differenzierten Geltungs- und Wirkungsebenen vom politischen Bekenntnis bis hin zur normativ verbindlichen Rechtsregel gründet. Aufgrund des hohen Formalisierungsgrades in Aufbau und Sprache ist dieser Aspekt bei völkerrechtlichen Verträgen von zentraler Bedeutung.37 Ein zweiter Punkt: In den Kodiftkationsleistungen einer Epoche, in ihrer sprachlichen wie formalen Differenzierung, widerspiegeln sich auch Höhe und Entwicklungsstand ihres Rechtsbewußtseins. 38 Nicht nur inhaltlich ist das positive Recht abhängig von den sozialen und ökonomischen Verhältnissen, die es regeln, von den ethischen Grundpositionen und nicht zuletzt der wissenschaftlichen Leistungsflihigkeit einer Gemeinschaft, in der es gelten soll.39 Die gleiche Interdependenz gilt auch filr den formal-gestalterischen Bereich. Solche Entwicklungslinien nachzuzeichnen, ist filr die Völkerrechtslehre von entscheidender Bedeutung. Der Weg von einer zunächst (vor allem auch ideengeschichtlich) europäischen hin zu einer universellen Völkerrechtsordnung, zu einer sich immer intensiver verfassenden, organisierenden internationalen Gemeinschaft40, von bloßer Koexistenz hin zu echter Kooperation fmdet signifikanten Ausdruck in zentralen völkerrechtlichen Kodiftkationen, in der Satzung des Völkerbundes, der Charta der Vereinten Nationen, in den internationalen und regionalen Menschenrechtspakten, um nur einige Beispiele zu benennen. Die Kodifikation will nicht nur das ungeschriebene Völkergewohnheitsrecht positivieren und dadurch auf eine systematisch formulierte, gesicherte Grundlage stellen. In der Praxis ist damit vielmehr auch die Ergänzung und schöpferische Weiterentwicklung bisheriger Standards und Grundsätze verbunden. 41 37 P. Häberle, Präambeln im Text und Kontext von Verfassungen, in: Rechtsvergleichung ( ... ), S. 187, deutet die Struktur immer wiederkehrender Schemata bei völkerrechtlichen Verträgen an. 38 H Coing, Die obersten Grundsätze des Rechts, 1947, S. 120; Th. Würtenberger, Zeitgeist und Recht, 2. Aufl. 1991, S. 147; H Schröder, Dialektik- Sprache- Rechtssprache, in: J. Eckert/H. Hattenhauer (Hrsg.), Sprache - Recht - Geschichte, 1991, S. 283 ff., 290; aus sprachgeschichtlicher Sicht H Hattenhauer, Zur Geschichte der deutschen Rechts- und Gesetzessprache, 1987, S. 5. Zur Wandelbarkeit des Rechts aus erkenntnistheoretischer Sicht vgl. H-M Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, 3. Aufl. 1999, S. 9 ff. 39 Th. Würtenberger, Zeitgeist und Recht, 2. Aufl. 1991, S. 147. 40 Zu diesem Aspekt grundlegend: A. Verdross, Die Verfassung der Völkerrechtsgemeinschaft, 1926; H Mosler, The International Society as a Legal Community, 1980, S. 15 ff.; A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. 1984, S. 59 ff.; siehe auch A. Bleckmann, Grundprobleme und Methoden des Völkerrechts, 1982, S. 260 f. 41 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. 1984, S. 372.

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Zweiter Teil: Erscheinungsbild, Strukturen, Funktionen von Pr!lambeltexten

Originäre Rechtsschöpfung bzw. -setzung und fortschreibende Umsetzung von Gewohnheitsrecht in geschriebenes Völkervertragsrecht gehen dabei Hand in Hand. Gradmesser des in diesem Prozeß erreichten Entwicklungsstandes sind auch Form und sprachliche Gestaltung der erarbeiteten Rechtstexte. Der Präambel als Einstimmung und Auftakt eines Vertragswerkes kommt hier herausgehobene Bedeutung zu. Daher wird ein Blick auf ihre formale Gestaltung im einzelnen notwendig. 2. Die Abgrenzung der Präambel von anderen Einleitungspassagen zu Gesetzen und Verträgen

Die klassische Präambelform, auf die auch der IPbürgR zurückgreift, bildet eine selbständige, geschlossene, räumlich und in der Wahl ihrer Sprachmittel deutlich vom folgenden Verfassungs-, Vertrags- oder Gesetzestext im engeren Sinne abgegrenzte Vorbemerkung.42 Dabei gelten ftlr Präambeln von Verfassungsurkunden und internationalen Vertragsdokumenten je eigene Besonderheiten, die sie nach Inhalt und Funktion von den allgemeinen Gesetzesvorsprüchen unterscheiden. Dennoch kann in abstracto der Typus der Präambel zunächst unabhängig von diesen weitergehenden Spezifizierungen von anderen, ebenfalls der einstimmenden Erläuterung dienenden Normierungs- und Formulierungstechniken abgegrenzt werden. 43 Dazu folgende allgemeine Übersicht:

42 J. R. Fox, Dictionary of International and Comparative Law, 1992, S. 348, gibt folgende Pr!lambeldefinition ftlr den völkerrechtlichen Vertrag: "Preamble: the narrative introduction of a treaty. It is the portion of a treaty extending from the title to the text. The preamble often serves as an aid for interpretation of treaty provisions." D. Rethorn, Verschiedene Funktionen von Pr!lambeln, in: Studien(... ), S. 296 f., formuliert als vorläufige Definition: "eine, abgesetzt vor dem eigentlichen Text eines Rechtssetzungsaktes angeordnete, ihm eben ,vorangehende (Praeambula)', oft mit der Überschrift ,Pr!lambel' versehene Erklärung", verweist aber selbst auf die Problematik seines Ansatzes, da die Pr!lambel selbst Textbestandteil ist, und präzisiert - freilich rein formalistisch- den "eigentlichen Text" als denjenigen "Teil des Rechtssetzungsaktes ( ...), der durch Marginalien, Randziffem, Artikel oder Paragraphen gegliedert ist" (ebd. ). Auch ftlr G. Schwalm, Gedanken über die Gemeinsamkeiten zwischen der juristischen und der musikalischen Interpretation, FS E. Dreher, 1977, S. 53 ff., 63, gehört die Pr!lambel zum Textganzen. 43 Zum folgenden siehe die Systematik bei H Schneider, Gesetzgebung, 2. Aufl. 1991, S. 197 ff.; H Siedentopf!N. Huber, Präambeln, Vorsprüche und Zweckbestimmungen in den Rechtsordnungen der westlichen Welt, in: H. Hili (Hrsg.), Gesetzesvorspruch, 1988, S. 37 ff.

B. Begriff, Struktur, Aufbau und Präambelfunktionen

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a) Überschriften und Einleitungsformeln Die schlichte Überschrift ist knapp gefaßt, beschränkt sich zumeist auf einen Satz und umreißt- oft plakativ- Zweck, Inhalt und Zielsetzung, u. U. auch die Erwägungsgründe eines Rechtssetzungsaktes. 44 Sie dient der optischen Gliederung des Textes, ihr Schlagwortcharakter vermittelt erste Informationen. Darüber hinaus kann die Überschrift Zentralbegriffe des folgenden Textes vorwegnehmen und seine systematische Einordnung als (völkerrechtlicher) Vertrag, Verfassungsurkunde, Ergänzungs-, Reform-, Änderungsgesetz, Satzung oder Verordnung usw. formell bezeichnen.45 Demgegenüber nennt die Einleitungsformel46 den bzw. die Urheber der positivierten Rechtsregel(n) oder vertraglichen Bestimmungen. Sie nimmt so- oft formelhaft gewendet - Bezug auf die Quelle der Autorität, historisch beginnend mit der vorkonstitutionell-überkommenen, absoluten Fürstensouveränität "von Gottes Gnaden" bis hin zum demokratisch legitimierten Gesetzgeber im modernen Verfassungsstaat Obwohl rechtssetzende Autorität und Legitimität zwei streng zu unterscheidende Kategorien sind, scheint die Einleitungsformel bisweilen unterschwellig die Frage des inhaltlichen Geltungsanspruchs mit dem Autoritätsaspekt zu verknüpfen und so Legitimität kraft Autorität implizieren zu wollen. Gerade dadurch wird die Einleitungsformel auch zum Ausdruck des Selbstverständnisses der vertragschließenden Parteien respektive des normsetzenden Gesetz- oder Verfassunggebers. So strebt sie mit nur vordergründig betrachtet rein formalen Mitteln einen ersten Brückenschlag vom Buchstaben zum Geist des folgenden Gesetzes- bzw. Vertragswerks an. b) Verweis auf Gesetzgebungsmaterialien Im Völker- wie im innerstaatlichen Recht ist es teilweise auch üblich, neben bzw. an Stelle der Einleitungsformel zu Beginn eines Rechtssetzungsaktes oder eines Vertragstextes auf die ihm zugrunde liegenden Materialien hinzuweisen, sei es in einem vorangestellten Inhaltsverzeichnis, in einer ausftlhrlichen Fußnote oder auch im Text selbst.47 Diese Bezugnahme auf Entwürfe, vorbereiten44 H Schneider, Gesetzgebung( ...), S. 197; H Siedentopf/H Huber, Präambeln(...), in: Gesetzesvorspruch ( ... ), S. 39. 45 Für den Spezialfall von Verträgen zwischen Staat und Kirche siehe schon A. Hollerbach, Verträge zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland, 1965, s. 237. 46 H Schneider, Gesetzgebung( ... ), S. 201. 47 H Siedentopf/H Huber, Präambeln( ... ), in: Gesetzesvorspruch ( ...), S. 41.

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Zweiter Teil: Erscheinungsbild, Strukturen, Funktionen von Präambeltexten

de wissenschaftliche Gutachten, Untersuchungen von Expertenkommissionen, Berichte, Beratungsprotokolle und Parlamentsbeschlüsse erftlllt eine doppelte Funktion. Sie nennt zum einen die Tatsachengrundlage und hilft dadurch, das Regelwerk als Endprodukt eines empirisch wie rational fundierten Entwicklungsprozesses zu begreifen.48 Zum anderen werden dem Interpreten Hilfen zur Auslegung an die Hand gegeben, sei es mit Blick auf den Willen des historischen Gesetzgebers (respektive der Vertragsparteien), sei es zur Ermittlung des Telos der Regelung.49 c) Leitvorschriften Während Überschrift und Einleitungsformel eine teils beschreibend-programmatische, teils bekenntnishafte Funktion zukommt, gehören Leitvorschriften50 als einleitende Paragraphen, Artikel etc. unzweifelhaft zum normativen Teil des Rechtsaktes. Sie greifen, oft mit Formulierungen wie "Grundsätze", "Ziele und Aufgaben" überschrieben, Hauptgedanken der nachfolgenden Regelung auf, bilden einen möglichen systematischen Ort für Legaldefinitionen, für die Offenlegung von Zweckbestimmungen51 und teleologischen Erwägungen, zur Festlegun~ von Interpretationsmaximen, nicht zuletzt auch von Gerechtigkeitskriterien. 2 Auch die bloße einleitende Legaldefinition, vor allem in Nebengesetzen anzutreffen, kann eine wichtige Leitfunktion übernehmen. Wenn sie den sachlichen und persönlichen Geltungsbereich nennt, den

48 Auch hier sei erneut auf das Stichwort von der Rechtswissenschaft als "Erfahrungswissenschaft" verwiesen. 49 Allgemein "Zum Regelungsgehalt von Gesetzgebungsmaterialien" der gleichnamige Beitrag von E. Baden, in: J. Rödig (Hrsg.), Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung, 1976, S. 369 ff.; H. Schneider, Gesetzgebung( ...), S. 90. Für das Völkervertragsrecht sei bereits an dieser Stelle auf Art. 32 und 31 II WVK verwiesen; aus der Literatur siehe: A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. 1984, S. 492 f.; K. lpsen, Völkerrecht, 4. Aufl. 1999, S. 126; 0. Kimminich, Einfllhrung in das Völkerrecht, 6. Aufl. 1997, S. 480; I. Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, 9. Aufl. 1997, S. 81. so Zum Begriff H. Müller, Handbuch der Gesetzgebungstechnik, 2. Aufl. 1968, s. 37, 140-146. SJ Zu Zweckbestimmungsklauseln siehe H. Schu/ze-Fie/itz, Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung, 1988, S. 521 ff.; H. Höger, Die Bedeutung von Zweckbestimmungen in der Gesetzgebung der Bundesrepublik Deutschland, 1976, S. 13 f. 52 Vgl. H. Siedentopf/H. Huber, Präambeln(... ), in: Gesetzesvorspruch ( ...), S. 44; H. Schneider, Gesetzgebung(... ), S. 207 ff.; H. Hili, Einfllhrung in die Gesetzgebungslehre, 1982, S. 101.- W Hugger, Gesetze- Ihre Vorbereitung, Abfassung und Prüfung, 1983, S. 317, beklagt, daß "Zielformeln und Zweckbestimmungen" sich zu oft in Gestalt der Leitvorschriften im Gesetzestext im engeren Sinne befänden, obwohl ihr systematischer Ort die Präambel sei.

B. Begriff, Struktur, Aufbau und Präambelfunktionen

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verwendeten Begriffen der Umgangs-, aber auch der Rechtssprache defmitorisch einen besonderen, beschränkenden oder erweiternden, Bedeutungsgehalt zumißt, stellt sie dem Normadressaten gegenüber klar, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die von ihm betriebene Angelegenheit in den Geltungsbereich des folgenden Regelungswerkes flUlt. 53 3. Typusprägende Strukturelemente von Präambeln völkerrechtlicher Verträge

Die Präambel zu Beginn völkerrechtlicher Verträge vereinigt viele, nicht notwendigerweise alle formalen Elemente und Funktionen der ebengenannten Normierungtechniken zu einem eigenständigen, geschlossenen Ensemble. Dabei ergeben sich auch manche Parallelen zur Normierungstechnik sogenannter "allgemeiner Teile", wie sie in umfangreichen Kodiflkationen häufig üblich sind. Auf einer - nicht nur sprachlich - höheren Abstraktionsebene sollen gemeinsame und grundlegende Bestimmungen "vor die Klammer" gezogen werden, nicht allein um überflüssige Verweisungen innerhalb der Einzelregelungen zu vermeiden, sondern vor allem, um deren Abhängigkeit von übergeordneten RechtsprinziEien deutlich zu machen oder allgemeine Auslegungskriterien zu formulieren. 4 Vor diesem Hintergrund seien im folgenden die typusprägenden Elemente von Präambeln völkerrechtlicher Verträge aufgeschlüsselt. 55 Umfaßt ist dabei die gesamte, eher erzählend-einleitende Passage (narratio), die vom Titel bis hin zum operativen Teil (dispositio) reicht56• a) Titel und Überschrift Der Titel oder die Überschrift völkerrechtlicher Verträge benennen in schlagwortartiger Kürze zumeist die vertragschließenden Parteien, den Ver53 P. No/1, Gesetzgebungslehre, 1973, S. 263; H Siedentopf/H Huber, Präambeln ( ... ), in: Gesetzesvorspruch ( ... ), S. 40; G. Holzinger, Die Technik der Rechtssetzung, in: H. Schäffer (Hrsg.), Theorie der Rechtssetzung, 1988, S. 275 ff., 295. So kann eine ausdehnende Legaldefinition am Anfang eines Gesetzes wichtige Weichenstellungen für einen erweiterten Anwendungsbereich festlegen, vgl. hierzu H Schulze-Fielitz, Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung, 1988, S. 153. 54 P. Häber/e, Präambeln im Text und Kontext von Verfassungen, in: ders., Rechtsvergleichung im Kraftfeld des Verfassungsstaates, 1992, S. 176 ff.; H Schneider, Gesetzgebung, 2. Aufl. 1991, S. 212 f. 55 Vgl. dazu die Untersuchung von P. You, Le preambule des traites intemationaux, 1941, s. 2-7. 56 H-D. Treviranus, Preamble, in: R. Bemhardt (ed.), Encyclopedia ofPublic International Law, vol. 7, 1984, S. 393 f., 393.

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Zweiter Teil: Erscheinungsbild, Strukturen, Funktionen von Präambeltexten

tragsgegenstand und den Vertragstypus. 57 So hat sich die Bezeichnung als Konvention, Charta, Pakt oder Covenant vor allem ftlr multilaterale Verträge von überregionaler, gar globaler Bedeutung eingebürgert. Signifikante Beispiele sind hier die Charta der Vereinten Nationen, die Weltpakte über bürgerliche und politische Rechte auf der einen, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte auf der anderen Seite, sowie zahlreiche weitere Kodiflkationen, die im Rahmen von Art. 13 Abs. 1 lit. a UN-Charta entstanden sind: The Vienna Convention on Diplomatie Relations vom 18. April 1961, The Vienna Convention on Consular Relations vom 24. April1963, The Vienna Convention on the Law of Treaties vom 23. Mai 1969, um nur einige Beispiele zu erwähnen.58 Daneben dient der Titel erster, knapper inhaltlicher Information und ersetzt in manchen Fällen eine längere Einleitungsformel vollständig. 59 Daß die Präambel des IPbürgR den folgenden Vertrag als "Covenant", "Pakt", ausweist, ist kein terminologischer Zufall, sondern letztlich ein aus seinen kulturellen Tiefenschichten zu begreifendes Programm: ein "covenant" war schon der Bund Gottes mit dem Volk Israel im Alten Testament. Der säkulare Wortgebrauch ist der religiösen Bedeutungsschicht zwar weitgehend entkleidet, verweist aber auf das Unverbrüchliche, Grundlegende und Beständige, das jeder politischen Willkür entzogen ist und auch ftlr künftige Generationen gilt. b) Die Anrufungsformel Die Anrufungsformel, die Bezugnahme auf Gott, gibt ein typisches Beispiel, daß Form und Inhalt eines völkerrechtlichen Vertragswerkes nicht zu trennen sind. Sie entspringt einerseits diplomatischer Konvention und dem feierlichgetragenen Pathos der Verfassunggebung, ist ein formal-gestalterisches Element, um die Größe und Bedeutung des Übereinkommens zu versinnbildlichen. Wo immer die Anrufungsformel aber verwendet wird, hat sie andererseits auch inhaltlich-programmatischen Charakter. Die Rechtssetzung bzw. das "Einigsein" der vertragschließenden Parteien weiß sich einer transzendenten Instanz verpflichtet, vor deren Autorität das positive Regelungswerk zu bestehen hat.

57 H-D. Treviranus, ebd., S. 393; P. You, Le preambule des traites intemationaux, 1941, S. 2; L. Bittner, Die Lehre von den völkerrechtlichen Vertragsurkunden, 1924, S. 198; E. M. Satow, Guide to Diplomatie Practice, 5th ed. by Lord Gore-Booth, 1979, s. 240 f. 58 Nachweise bei E. M. Satow, ebd., S. 241 . 59 P. You, Le preambule des traites intemationaux, 1941, S. 2; L. Bittner, Die Lehre von den völkerrechtlichen Vertragsurkunden, 1924, S. 198.

B. Begriff, Struktur, Aufbau und Präambelfunktionen

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Um die Gottesbezüge im modernen Völkerrecht zu untersuchen, sei der Blick zunächst auf die nationalen Verfassungstexte bzw. die Theorieentwürfe der Verfassungslehre gerichtet. Die Gottesklausel, sei es in Form der invocatio dei bzw. invocation a Ia divinite, sei es abgeschwächt als bloße nominatio oder commemoratio dei60, ist auch an der Schwelle zum 21. Jahrhundert ein im säkularen, religiös neutralen Verfassungsstaat relativ häufig anzutreffendes Präambelelement. Gerade die Verfassunggeber in den neuen, jungen Demokratien (z.B. Polen oder Südafrika) machen von ihr sehr differenziert bewußten Gebrauch.61 Sie wollen ein neuerdings geschärftes Verantwortungsbewußtsein der staatlichen Gemeinschaft vor einem Schöpfer und der von ihm geschaffenen Lebenswelt dokumentieren, aber auch der Verabsolutierung, der "Selbstvergötterung" des egoistischen Individuums und aller damit verbundener totalitärer Machtverherrlichung eine bewußte Absage erteilen. 62 Daneben sind alternative Formulierungen anzutreffen: das Gewissen, die kritische Selbstreflexion, ergänzend neben bzw. an Stelle von "Gott", oder Verantwortungsklauseln, die eher eine diesseitig-gemeinschaftsbezogene als transzendente Orientierung im Blick haben.63 In völkerrechtlichen Vertragsurkunden hat die Berufung auf Gott heute weitgehend an Bedeutung verloren, während sie in früheren Jahrhunderten bei besonders feierlichen politischen Verträgen, bei Friedensschlüssen und Freundschaftsabkommen durchaus üblich war. 64 Die Formulierungen lauteten etwa "Au nom de Ia tres-Sainte et Indivisible Trinite", "In nomine sanctae et individuae trinitatis", in nachreformatorischer Zeit "Au nom de Dieu, auteur et Iegislateur de l'Univers". Zwischen christlichen und nichtchristliehen Staaten fand vor allem die Kompromißformel "Au nom de Dieu Tout-Puissant" Ver60 Meint die "invocatio dei" die Formulierung "Im Namen Gottes" im engeren Sinne, wird die Bezugnahme auf Gott im weiteren Sinne, z.B. in Form einer Verantwortungsklausel, wie das bundesdeutsche Grundgesetz sie kennt, zutreffender als "nominatio dei" oder "commemoratio dei" bezeichnet: So z.B. D. Merten, Bürgerverantwortung im demokratischen Verfassungsstaat, in: VVDStRL 55 (1996), S. 7 ff., 9; J. Ennuschat, "Gott" und Grundgesetz, NJW 1998, S. 953 ff., 954 m. w. N.; G. Czermak, "Gott" im Grundgesetz?, NJW 1999, S. 1300 ff., 1300. 61 S. dazu J. Ennuschat, "Gott" und Grundgesetz, NJW 1998, S. 953 ff., 954 m. w. N; gegen Gottesklauseln in Verfassungstexten argumentiert G. Czermak, "Gott" im Grundgesetz?, NJW 1999, S. 1300 ff., 1302 f. 62 G. Czermak, "Gott" im Grundgesetz?, NJW 1999, S. 1300 ff., 1300, spricht von einer ",Wiederaufnahme' Gottes in das Grundgesetz und etliche der westdeutschen Nachkriegsverfassungen aus der Erfahrung mit dem ,gottlosen' totalitären NS-Staat". 63 Das deutsche GG verknüpft in seiner Präambel beide Elemente: die "Verantwortung vor Gott und den Menschen". 64 Nachweise hierzu bei P. You, Le preambule des traites internationaux, 1941, S. 3; L. Bittner, Die Lehre von den völkerrechtlichen Vertragsurkunden, 1924, S. 198 f.

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wendung. 65 In der moslemischen Welt beginnt noch 1947 der bilaterale "Treaty of Brotherhood and Alliance, Iraq-Transjordan" mit der Formel: "In the name ofGod the merciful, the compassionate".66 Die Gründe ftir den Bedeutungsverlust sind vielfältig, monokausale Erklärungsmuster greifen zu kurz. An erster Stelle ist das allgemeine, alle Lebensbereiche durchziehende Phänomen der Säkularisierung zu nennen. H. Münkler spricht plastisch vom "Rückzug Gottes aus der Geschichte"67• In der politisch gespaltenen Welt spielen daneben ideologische Gegensätze eine wichtige Rolle. Ein Beispiel geben die Verhandlungen um die Universelle Menschenrechtserklärung von 1948. Zahlreiche Delegierte, z.B. aus dem Libanon, Brasilien oder den Niederlanden traten daftir ein, den göttlichen Ursprung des Menschen und die darin gründende Überpositivität seiner Rechte zu erwähnen.68 Aber die damalige Sowjetunion hat sich aufgrund ihrer antireligiösen, marxistisch-leninistischen Staatsideologie dem Vorschlag widersetzt.69 Die Ablehnung blieb auch filr den IPbürgR prägend, ein Kompromiß mit transzendentem Gottesbezug war undenkbar. Bewußt sollte jede Nähe zu einem theologischen Begründungsansatz der Menschenrechte vermieden werden, der in einer multireligiösen Gemeinschaft wenigstens insoweit nicht trägt, als nicht alle Weltreligionen einbezogen sind. An dessen Stelle trat eine naturrechtliche Verankerung, die von der Universalnatur des Menschen ausgeht. Ein weiterer Aspekt, der die Relativierung von Gottesbezügen im Völkervertragsrecht zu erhellen vermag, darf nicht vernachlässigt werden. In Verfassungspräambeln wie völkerrechtlichen Verträgen dient die Berufung auf den Namen Gottes einer gewissen Solennität, die der herausgehobenen Bedeutung des Textes Rechnung tragen soll. Eine ähnliche Funktion übernimmt heute der Gedanke der Verantwortung, der in neueren Textstufen teils neben, teils an Stelle einer Bezugnahme auf Gott zu fmden ist. Typische Varianten sind die Verantwortung vor etwas und die Verantwortung for etwas.70 Erstere weiß sich einer höheren Autorität verpflichtet, gleich ob transzendental verortet oder nicht, zweitere beruht auf der Verpflichtung ftlr etwas Anvertrautes. Hier die Verantwortung vor Gott, dort die Verantwortung für Natur und Umwelt. In der 65

Nachweise hierzu bei P. You, Le preambule des traites intemationaux, 1941 , S. 3;

L. Bittner, Die Lehre von den völkerrechtlichen Vertragsurkunden, 1924, S. 198 f. 66

s. 45.

Zitiert nach H. Blix/J. H. Emerson (ed.), The Treaty Maker's Handbook, 1973,

Im Namen des Staates, 1987, S. 78, 80. GAOR, NC.31215, S. 97 (Libanon); ebd. S. 55 (Brasilien); UN General Assembly, 3rd Session, 180th Plenary Meeting, S. 874 (Niederlande). 69 GAOR, NC.3/215, S. 111. 70 Dazu unten Teil 3, G. I. 67

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Fonnel von der "Verantwortung filr die Schöpfung" sind beide Aspekte miteinander verknüpft. Sie setzt implizit einen Schöpfer voraus, ohne diesen mit einer bestimmten Religion in Konnex zu bringen, und fordert zugleich, das einmal Geschaffene zu erhalten und zu bewahren. 71 Bei völkerrechtlichen Verträgen ist aber noch ein dritter Gesichtspunkt von entscheidender Bedeutung. Wo immer Gott angerufen wurde, ging es auch darum, den Vertrag unter die Garantie einer göttlichen Sanktion zu stellen, die den vertragsbrUchigen Partner treffen sollte. Dahinter stand der einem archaischen Gottesbild verhaftete Gedanke, daß angesichts vollständig fehlender oder allenfalls schwach ausgeprägter Durchsetzungsmechanismen im Völkerrecht allein die auf der Basis eines gemeinsamen Glaubens als verbindlich akzeptierte göttliche Autorität die Vertragstreue aller Signatarmächte verbürgen könne. 72 Diese, der Eidesleistung ("sacro sanctum") vergleichbare, Selbstbindung an die strafende Sanktionsgewalt einer wie auch immer beschaffeneo transzendenten Macht war schon im römischen Völkerrecht bekannt.73 Der Vertrag sollte in den Worten von E. Täubler "über die Rechtssphäre des Staatslebens hinausgehoben und in der Fonn eines Eides zum Inhalt einer Selbstverpflichtung gegenüber der Gottheit gemacht werden." 74 Vergleichbare Vorstellungen über den christlichen Gott als Hüter der Verträge finden sich bei H Grotius75 oder Samue/ von Pufendor/6 , Klassikern des neuzeitlichen Naturrechts und zugleich des modernen Völkerrechts. In einem fortschreitenden Prozeß der Säkularisierung, Rationalisierung und pragmatischen Neuausrichtung verlor der Glaube an die Heiligkeit der Verträge immer mehr an Bedeutung77, wurde die Garantiefunktion der Gottesklausel 71 Beispiele bei P. Häber/e, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 953 und passim. 72 Dazu H Krüger, Das Prinzip der Effektivität, oder: Über die besondere Wirklichkeitsnähe des Völkerrechts, in: ders., Staat, Wirtschaft, Völkergemeinschaft, 1970, s. 121 ff., 130. 73 Cicero, Oe officiis, Buch 111, Kap. 29; siehe Th. Mommsen, Römisches Staatsrecht, Bd. I, 3. Aufl., Nachdruck 1969, S. 235, 236, 249, 251 ff.; A. Verdross, Die Verfassung der Völkerrechtsgemeinschaft, 1926, S. 13. 74 Imperium Romanum. Studien zur Entwicklungsgeschichte des Römischen Reiches, 1. Bd., 1913 (Nachdruck 1964), S. 128. 75 H Grotius, Oe iure belli ac pacis libri tres, 1625, Zweites Buch, 13. Kapitel "Über den Eid" in der Übersetzung von W. Schätze!, 1950, S. 257 ff. 76 S. von Pufendorf, Elementorum Iurisprudentiae Universalis Libri duo, S. 147148. 77 S. Kadelbach, Wandel und Kontinuitätendes Völkerrechts und seiner Theorie, in: R. Gröschner/M. Morlok (Hrsg.), Rechtstheorie und Rechtsphilosophie in Zeiten des Umbruchs, 1997, S. 178 ff., 181.

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überflüssig. Das Völkervertragsrecht entwickelte vielmehr zunehmend ausdifferenzierte Durchsetzungsrnechanisrnen und ein immer engmaschigeres Netz internationaler Gerichtsbarkeit. Zudem vertraut eine globale Mediengesellschaft zunehmend auf die Kontroll- und Garantiefunktion der öffentlichen Meinung jenseits der institutionalisierten Staatlichkeil und zugleich diesseits jeder metaphysischen Instanz. Je stärker sich der moderne Staat von dem Gedanken einer göttlichen Stiftung löst, desto geringer wird das Bedürfnis, seine Bindungen vor einer göttlichen Macht anstatt vor den gleichberechtigten VertragspartDem zu rechtfertigen. Das Völkervertragsrecht verläßt sich auf Grundsätze wie "bona fides" und "pacta sunt servanda"78, nicht auf göttliche Sanktionen. c) Die Aufzählung der vertragschließenden Parteien Ein völkerrechtlicher Vertrag nennt in der Einleitungspassage seiner Präambel zumeist die Vertragsparteien: Staaten, Regierungen, Staatsoberhäupter oder, unter besonders feierlicher Samrnelbezeichnung, die "Hohen Vertragschließenden Mächte" bzw. "Parteien"79• Schon die Urheber der Verträge verraten die klassische "Staatenbezogenheit" des Völkerrechts. Eine wichtige Ausnahme darf allerdings nicht unerwähnt bleiben. Die Präambel der ON-Charta greift das "We the people" aus der OS-amerikanischen Bundesverfassung auf. Darin manifestiert sich zunächst der nachhaltige Einfluß der Vereinigten Staaten bei der Neuordnung der intemation·alen Gerneinschaft nach 1945. Doch weitergehend wird ein erster Ansatz daftlr erkennbar, daß diese Gerneinschaft gleichsam auf zwei Säulen ruht. Sie ist nicht nur eine Gerneinschaft der souveränen Staaten, sondern auch der Völker. Die Präambel des IPbürgR spricht demgegenüber nur von den Staaten (State Parties) und ist stärker dem klassischen Souveränitätsmodell verhaftet. Die Wendung ist schlicht, wenig zeremoniell, verzichtet auf die Formel von den "Hohen Vertragschließenden Parteien", sie bleibt aber hinter dem "We the People" der ON-Charta zurück und geht die textstutliehe Entwicklung nicht konsequent weiter. Daß die "Staaten" die Menschenrechte garantieren und nicht die Völker einbezogen sind, ist wenigstens mittelbar- Ausdruck ftlr ein vorn status-negativus-Denken ausgehendes Menschenrechtsverständnis, das aber schon im Präambeltext selbst um darüber hinausweisende Dimensionen der Freiheit ergänzt wird. 78 Vgl. dazu die Präambel der WVK vom 23. 05. 1969: "Im Hinblick darauf, daß die Grundsätze der freien Zustimmung und von Treu und Glauben sowie der Rechtsgrundsatz pacta sunt servanda allgemein anerkannt sind". 79 Dazu L. Bittner, Die Lehre von den völkerrechtlichen Vertragsurkunden, 1924, s. 199.

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d) Der Hauptteil der Präambel Der Hauptteil völkerrechtlicher Vertragspräambeln im allgemeinen und des IPbürgR im besonderen baut im Sinne einer inhaltlichen Einstimmung die Brücke zu den folgenden positiven Vertragsverbürgungen. Er nennt die politisch wie kulturell bestimmten Motive und Beweggründe der Vertragsparteien und entspricht insoweit der Arenga in der Urkundenlehre.80 Ziele und Zwecksetzungen, die immanente Teleologie der Kodifikation werden angedeutet, wegweisende Programmsätze formuliert. Der Zeitbezug ist im Präambelhauptteil greifbar, sei es im Sinne historischer Vergegenwärtigung oder visionärer Zukunftsorientierung. Die Vorgeschichte, die Umstände, die zum Vertragsschluß geftlhrt haben, werden, der Urkundennarratio verwandt, erzählt. Der Präambelhauptteil enthält so ein erzählendes, ein deskriptives Moment.81 Doch kommt es auch zu normativen Verdichtungen im Sinne gestufter Normativität. Hoffnungen und Bekenntnisse stehen neben Erkenntnissen. Der im Titel nur angedeutete Vertragsgegenstand fmdet seine Präzisierung. Konkrete Verpflichtungen der Vertragsparteien werden formuliert, die im Zusammenwirken mit den folgenden Einzelverbürgungen volle Normativität erlangen können. Der Präambelhauptteil ist somit eine Mischform aus deskriptiven und narrativen, aber auch voluntativen, kognitiven und normativen Elementen82, was es ftlr den IPbürgR im 3. Teil nachzuweisen gilt. e) Die Schlußformel Die Schlußformel von völkervertraglichen Präambeltexten ist Ausdruck des vertraglichen Einig-Werdens, des Übereinkommens. Die Formulierungsvarianten sind einander sehr ähnlich: "Agree upon the following" ("Vereinbaren die folgenden Artikel") im IPbürgR, "Haben folgendes vereinbart" (z.B. im Übereinkommen über die Rechte des Kindes, in der Wiener Vertragsrechtskonvention) oder "Sind wie folgt übereingekommen" (UN-Folterkonvention). Es geht um den kompromißhaft errungenen vertraglichen Konsens. Er ist Geltungsgrundlage ftir das gesamte Vertragswerk. Er ist darüber hinaus Ausdruck der prozeßhaften Genese: Einig-Sein setzt das Einig-Werden voraus. Der dynamische Aspekt kann nicht zuletzt der Vertragsinterpretation entscheidende Impulse vermitteln. Ebd., S. 206. L. Bittner, Die Lehre von den völkerrechtlichen Vertragsurkunden, 1924, S. 207. 82 Dazu A.-C. Kulow, Inhalte und Funktionen der Präambel des EG-Vertrages, Diss. Bayreuth 1997, S. 163 f. 80 81

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Zweiter Teil: Erscheinungsbild, Strukturen, Funktionen von Präambeltexten

111. Die sprachliche Gestaltung von Präambeltexten, die Funktion der Sprachebenen Die Qualität einer gesetzgeberischen oder kodifikatorischen Leistung bemißt sich auch nach der ihr jeweils zugrunde liegenden sprachlichen Präzision und Kunstfertigkeit, wobei fUr das Korrespondenzverhältnis von Sprache und Inhalt das Gleiche gilt wie fUr Dichotomie von Form und Inhalt. Das Recht bedient sich nicht nur der Sprache, sondern wird durch Sprache (mit-)hervorgebracht. 83 Sprach- und Rechtsbewußtsein weisen gemeinsame Berührungspunkte auf. Letztlich ist die sprachliche Entwicklung des Rechts geprägt von sich wandelnden gesellschaftlich-politischen Vorstellungen, Erfahrungen und vor allem auch wissenschaftlichen Leistungen. Das gilt ftlr die Gesetzessprache und die Sprache völkerrechtlicher Vertragstexte in gleicher Weise wie fUr die Sprache der Rechtsprechungsorgane, der an gerichtlicher, schiedsgerichtlicher oder auch außergerichtlicher Streitentscheidung beteiligten Parteien und nicht zuletzt fUr die Wissenschaftssprache der Jurisprudenz. 84 In Bezug auf das Teilsegment der positivierten Rechtstexte kommt dort wiederum den Präambeln eine eigenständige Bedeutung zu. Als Auftakt der Kodifikation wollen sie die Norm- oder Regelungsadressaten schon durch ihre sprachlich-stilistische Gestaltung ftlr die inhaltliche Seite gewinnen, leitmotivisch Kerngedanken der folgenden Regelung vorwegnehmen oder bekenntnishafte mit informativen, normative mit deskriptiven Elementen verbinden. Diesen unterschiedlichen Funktionen lassen sich verschiedene Sprachebenen zuordnen. Spezifisch ftlr Präambeln von Verfassungstexten hat P. Häberle im typologischen Vergleich zahlreicher Verfassungen und Verfassungsentwürfe drei Kategorien entwickelt: die Alltagssprache, die Fachsprache und die Feiertagssprache.85 Dieses Schema läßt sich mit Modifikationen auch auf völker83 Vgl. dazu A. Kaufmann, Sprache und Recht, in: ders., Beiträge zur juristischen Hermeneutik, 1984, S. 101 ff., 103; M. A. Glendon, Rights Talk, 1991, S. 98 ff. ("Does Language Matter?"). Anschaulich auch das Wortspiel von H. Müller-Dietz "Rechtssprache - Die Macht der Sprache, die Sprache der Macht" in seinem gleichnamigen Beitrag in: Loccumer Protokolle 15/97, S. 19 ff., 19. 84 Zu dieser Differenzierung vgl. A. Kaufmann, Sprache und Recht, in: ders., Beiträge zur juristischen Hermeneutik, 1984, S. 101 ff., 101; H. Hattenhauer, Zur Geschichte der deutschen Rechts- und Gesetzessprache, 1987, S. 5. Mit Blick auf die "Ästhetik" der Gesetzessprache und der Gerichtsrede G. Radbruch, Vorschule der Rechtsphilosophie, 3. Aufl. 1965, S. 86 f. 85 Präambeln im Text und Kontext von Verfassungen, in: FS J. Broermann, 1982, S. 211 ff., 227. Dem geht auf Seiten 214 eine umfangreiche Bestandsaufnahme voraus. Noch weitergehendes, vor allem auch die Reformstaaten Osteuropas, die Kleinstaaten und Entwicklungsländer einbeziehendes Beispielsmaterial findet sich in ders., Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 920 ff.

B. Begriff, Struktur, Aufbau und Präambelfunktionen

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rechtliche Verträge übertragen, wobei das Bild von den Sprachebenen nicht im Sinne einer strikten Trennung oder gar eines Stufenverhältnisses interpretiert werden darf. Die Übergänge bleiben fließend. I. Die Alltags- oder Allgemeinsprache

Die Alltags-, Umgangs- oder Gebrauchssprache86, die gängige, übliche Begriffe verwendet und um Allgemeinverständlichkeit ringt, ist ftlr juristische KodifJ.kationen unentbehrlich. In Verfassungsprämbeln dient sie insbesondere der "Bürgernähe" oder Integration, nimmt den juristischen Laien nicht nur als Normadressaten, sondern auch-interpretenernst und versucht so, ein Stück der in einer staatlichen Gemeinschaft notwendigen Konsensbasis zu schaffen.87 Auch in den Präambeln internationaler Vertragstexte kommt der Alltagssprache wichtige gestalterische Bedeutung zu, die vor allem anband der im folgenden beschriebenen, sich wechselseitig bedingenden Funktionen deutlich wird. a) Die Offenheit der Allgemeinsprache aa) Zur Idee der "Ordinary Language Analysis"

Die Alltagssprache dient zunächst der Ausprägung zentraler Grund- und Wertbegriffe88 bzw. Obergeordneter Prinzipien, die das gesamte Vertragswerk programmatisch umreißen. Die Präambel arbeitet bewußt mit den verschiedenen Bedeutungsschichten eines Begriffs und greift zurück auf seine "vordogmatische" Dimension. Um sich sprachphilosophisch den Zusammenhang von Rechtssprache und Allgemeinsprache zu vergegenwärtigen, kann die Jurisprudenz auf das Modell 86 Zur Terminologie vgl. P. Janich, Die methodische Abhängigkeit der Fachsprachen von der Umgangssprache, in: J. S. Petöfi/A. Podlech!E. v. Savigny (Hrsg.), Fachsprache- Umgangssprache, 1975, S. 33 ff., 36. 87 P. Häberle, Präambeln im Text und Kontext von Verfassungen, in: FS für J. Broermann, 1982, S. 211 ff., 227 f.; zur Bedeutung der Umgangssprache für die Rechtssprache siehe auch R. Wank, Die juristische Begriffsbildung, 1985, S. 19 ff. Es sei auch darauf verwiesen, daß Koalitionsvereinbarungen politischer Parteien in ihren Präambeln in gleichermaßen allgemeinverständlicher und programmatischer Sprache um Signalwirkung in der Öffentlichkeit bemüht sind. Dazu unter Bezugnahme auf die Koalitionsvereinbarung "Aufbruch und Erneuerung- Deutschlands Weg ins 21. Jahrhundert" durch die SPD und Bündnis 90/Die Grünen vom 20. 10. 1998 R. Zuck, Verfassungswandel durch Vertrag?, in: ZRP 1998, S. 457 ff., 458. 88 Zum Terminus "Wertbegritr' siehe E. Kramer, Juristische Methodenlehre, 1998, S. 50 m. w. N.; E. Zeller, Auslegung von Gesetz und Vertrag, 1989, S. 432.

7 Kotzur

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Zweiter Teil: Erscheinungsbild, Strukturen, Funktionen von Präambeltexten

der "ordinary language analysis" zurückgreifen, die die Bedeutung der "normalen Sprechsprache" als Wissenschaftsprache in den Mittelpunkt rückt. 89 Sie geht davon aus, daß wissenschaftliche Erkenntnis als Handwerkszeug weniger einer idealen Kunstsprache bedarf, sondern durch die "Gebrauchs-" bzw. "Umgangssprache" Problemstellungen, Thesen oder Argumentationsstrukturen sehr viel offener und frei vom Verdacht einer nur Selbstzwecken dienenden, fachspezifischen Arkansprache neu formuliert werden können. 90 Der letzte Aspekt ist nicht nur ft1r die Sprache der Wissenschaft, sondern in noch stärkerem Maße ftlr die Sprache der Gesetze und damit auch ft1r die Rechtssetzung und Kodifikation im internationalen Bereich von entscheidender Bedeutung. Wo Präambeln grundsätzliche und programmatische Aspekte des folgenden Vertragswerkes gleichsam als Leitfaden skizzieren, greifen sie auf gängige Termini der Alltagssprache zurück. Begriffe wie "Würde", "Gleichheit", "Freiheit", "Gerechtigkeit" oder "Frieden", "menschliche Gesellschaft" oder "Gemeinschaft" sind zunächst dem allgemein üblichen Sprachgebrauch zuzuordnen. Sie sind nicht spezifisch juristisch geprägt, sondern verweisen auf gesellschaftliche Wertungen91 , die im Kontext ganz unterschiedlicher (Rechts-)Kulturen zwar von divergierenden Prämissen ausgehen, aber doch als gängige Kategorien verstanden werden und so die Verständigungsgrundlage fiir einen globalen Diskurs bieten. Diese offenen, allgemeinsprachlichen Wertbegriffe der Präambel sind dabei in hohem Maße ausftlllungsbedürftig92 und weisen insoweit große Ähnlichkeit mit - normativ zweifelsohne verbindlichen - unbestimmten Rechtsbegriffen im operativen Vertragsteil, mit Ermessenstatbeständen oder den klassischen Generalklauseln ("Treu und Glauben", "gute Sitten" etc.) auf. Hier wie dort erfolgt erst in einem zweiten Schritt der Zugriff des interpretierenden Rechtsanwenders und der ihn begleitenden Wissenschaft. Ihre Auf89 A. Kaufmann, Sprache und Recht, in: ders., Beiträge zur juristischen Hermeneutik, 1984, S. 101 ff., 106. E. v. Savigny, Die Philosophie der normalen Sprache, 1993, S. 323 ff.; ders./0. Scholz, Das Normalsprachenprogramm in der Analytischen Philosophie, in: M. Dascal/D. Gerhardus/K. Lorenz/G. Meggle (Hrsg.), Sprachphilosophie, 1. Halbband, 1992, S. 859 ff. 90 B. Grossfe/d, Unsere Sprache: Die Sicht des Juristen, 1990, S. 9 f. 91 E. Kramer, Juristische Methodenlehre, 1998, S. 50; W. A. Parent, Constitutional Demands of Human Dignity, in: Canadian Journal of Law and Jurisprudence, 1992, s. 237 ff. 92 Th. Buergentha/, Codification and Implementation of International Human Rights, in: A. Henkin (ed.), Human Dignity. The Internationalization ofHuman Rights, 1979, S. 15 ff., 16: "intentionally vague language". S. auch D. Himmelfarb, The Preamble in Constitutional Interpretation, in: Seton Hall Constitutional Law Journal, Vol. 2 (1991), S. 127 ff., 203 für das Anwendungsbeispiel der amerikanischen Bundesverfassung.

B. Begriff, Struktur, Aufbau und Präambelfunktionen

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gabe ist es, zum einen die hinter den Begriffen liegende philsophisch-ethische Tiefendimension zu erschließen, zum anderen, sie defmitorisch möglichst eindeutig zu fassen und dadurch normativ handhabbar zu machen, ohne den Bezug zum Allgemeinverständlichen gänzlich aufzuheben. 93 Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang auch, daß der Internationale Gerichtshof bei der Auslegung völkerrechtlicher Verträge der natural oder ordinary meaning analysis -jetzt kodifiziert in Art. 31 und 32 der WVK - im Kanon seiner Auslegungsmethoden einen hohen Stellenwert beimißt und sie als Ausgangspunkt zur Interpretation juristischer Fachtermini nutzt94• So heißt es im Temple of Preah Vihear Case: "(... ) that words aretobe interpreted according to their natural and ordinary meaning in the context in which they occur."95 Ähnlich war die Argumentation im Right of Passage Case: "construed in their ordinary sense".96 Die von der Rechtsdogmatik zu leistenden Rationalitätsgarantien fUr die gerichtliche·Entscheidung setzten das Bewußtsein um die Offenheit der Rechtssprache und ihre Rückkopplung an die Allgemeinsprache voraus. bb) Die Konkretisierung offener Begriffe

Für die Konkretisierung von Präambelinhalten ist ein weiterer Aspekt von maßgeblicher Bedeutung, anband dessen sich auch zeigen läßt, daß im Gewand der Alltagssprache nicht nur deskriptive Tatbestandsmerkmale umrissen, sondern erste normative Wertungen vorgenommen und Sollensgebote formuliert werden, die freilich noch einer weitergehenden Umsetzung bedürfen. Die allgemeinverständlichen Basisbegriffe der Präambel geben insoweit "Versprechen'm, die in wertender Zusammenschau mit dem folgenden Konventionstext normativ eingelöst werden müssen. So findet die "allen Mitgliedern der menschlichen Gesellschaft innewohnende Würde" (Präambel IPbürgR) ihr 93 Vgl. W Krawietz, Sprachphilosophie in der Jurisprudenz, in: M. Dascai!D. Gerhardus/K. Lorenz/G. Meggle (Hrsg.), Sprachphilosophie, 2. Halbband., 1996, S. 1470 ff., 1470; E. Ze/ler, Auslegung von Gesetz und Vertrag, 1989, S. 39. Zur Differenzierung nach "AIItagsbedeutung" und "fachspezifischem Sinn" vgl. E. Kramer, Juristische Methodenlehre, 1998, S. 93 f. 94 Vgl. U. Fastenrath, Relative Normativity in International Law, in: EJIL 4 (1993), s. 305 ff., 312. 95 I.C.J.-Reports 1961, S. 32. 96 I.C.J.-Reports 1957, S. 142. 97 P. W Rodino, Living with the Preamble, in: Rutgers Law Review 42 (1990), S. 685 ff., 690, spricht mit Blick auf die OS-Bundesverfassung ausdrücklich von "promise of the preamble", "preamble's promise of equal justice for all"- ein Versprechen, das u.a. der Supreme Court durch seine Rechtsprechung erftlllen müsse.

7•

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Zweiter Teil: Erscheinungsbild, Strukturen, Funktionen von Präambeltexten

normatives Gegenstück z.B. im Lebensrecht des Art. 6, im Sklavereiverbot des Art. 8 oder fi1r den geistig-intellektuellen Bereich in der Gedanken-, Religionsund Gewissensfreiheit des Art. 18 IPbürgR. So wird das Gerechtigkeitspostulat der Präambel in materieller wie prozeduraler Perspektive durch Art. 26, 27, 25, 24 Abs. I, 14 Abs. I IPbürgR eingelöst, fmdet sich die Idee der Freiheit in der persönlichen Freiheit der Art. 9 und I 0 genauso wieder wie in der religiösweltanschaulichen Freiheit des Art. 18 IPbürgR. Die Reihe der Beispiele ließe sich fortsetzen. cc) Sprachliche Offenheit und die Prinzipienstruktur der Menschenrechte

Eine relativ junge Disziplin wie der völkervertragsrechtliche Menschenrechtsschutz, der weder auf hochentwickelte gewohnheitsrechtliche Strukturen noch auf eine gesicherte Grundlage im klassisch staats- und souveränitätsorientierten "ius inter gentes" zurückgreifen kann, ist fllr die Entwicklung eigenständiger dogmatischer Strukturen auf das Prinzipiendenken angewiesen - von J. Esse/8 fllr das Zivilrecht klassisch entwickelt, darüber hinaus von R. Dworkin99, F. Byd/inskl 00 oder R. A/exy101 aus rechtstheoretischer und verfassungsrechtlicher Perspektive untersucht. Übergreifende Prinzipien bilden die theoretische, durchaus werthaltige Grundlage der konkret zu fassenden, sich in Tatbestand und Rechtsfolge gliedernden Normen. Sie sind historisch und kulturell gewachsen und stellen den Bezug zur Idee von Recht und Gerechtigkeit her. Zugleich sind sie Ausdruck der ratio legis, deuten normative Bewertungen an und formulieren Abwägungskriterien fllr die konkrete richterliche Entscheidung: Letztlich steht aufgrund ihres hohen Abstraktionsgrades, der nicht mit inhaltsleerer Beliebigkeit verwechselt werden darf, hinter ihnen ein Stück Universalität. 102 Die Idee allgemeiner Prinzipien hat im Völkerrecht ihren festen Grundsatz und Norm, 4. Aufl. 1990, S. I ff., 51 ff. und passim. Bürgerrechte ernst genommen, 1984, S. 54 ff. und passim. 100 Fundamentale Rechtsgrundsätze, 1988, S. 121. 101 Theorie der Grundrechte, 1985, S. 71 ff. und passim. 102 Zu diesem Prinzipienbegriff siehe aus der völkerrechtlichen Lit.: B. Cheng, General principles of Law, S. 24, 375 f.; G. Schwarzenberger, International Law, Vol. I, 3. Aufl. 1957 (Nachdruck 1977), S. 15, 19; auch W Brugger, Stufen der Begründung von Menschenrechten, in: Der Staat 31 ( 1992), S. 19 ff., 30; E. H Riede/, Theorie der Menschenrechtsstandards, 1986, S. 260; N. Onuf, The Constitution of International Society, in: EJIL 5 (1994), S. 1 ff., 9 ff.; A. 8/eckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, 1995, S. 4 (ratio legis und Rechtsprinzip). Grundlegend fllr das Zivilrecht: J. Esser, Grundsatz und Norm, 4. Aufl. 1990, S. 1 ff., 51 ff., 73 ff. und passim. Für die allg. Rechts- und spezielle Grundrechtstheorie vgl. F. Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze, 1988, S. 121; R. Dworkin, Bürgerrechte ernst genommen, 1984, S. 54 ff., S. 64 ff. und passim; R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 71 ff., 93; L. Michael, 98

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Platz. So benennt Art. 38 Abs. I lit. c die "allgemeinen Rechtsgrundsätze" als Quelle des Völkerrechts, formuliert Art. 2 UN-Charta unter dem Titel: "Chapter I. Purposes and Principles" die Fundamentalprinzipien der Weltgemeinschaft, um nur die beiden herausragendsten Beispiele zu zitieren. Die Prinzipienstruktur muß von der Völkerrechtslehre aber auch von der methodischen Seite her ernst genommen und aufbereitet werden. Möglicher Ausgangspunkt filr eine gleichermaßen inhaltliche wie sprachliche Analyse sind hier die Zentralbegriffe der Präambeln, da sie Prinzipielles im Kleid einer allgemeinverständlichen Alltagssprache formulieren. Dahinter steht aber noch mehr, denn wesentliches Kriterium des Prinzipiendenkens ist nicht nur ein Mindestmaß von Allgemeinverständlichkeit, sondern eine umfassende Basis von Wertvorstellungen, Erfahrungen, gesellschaftlichen, politischen, kulturellen und auch wissenschaftlichen Prozessen weit über die Grenzen des Rechtlichen im engeren Sinne hinaus. 103 Nur daraus können letztlich Fundamentalprinzipien erwachsen, die die gesamten nationalen wie die internationale Rechtsordnung(en) durchziehen. Der aus dem Verfassungsrecht geläufige Parallelbegriff von der "strukturellen Offenheit" 104 liefert ein wichtiges Stichwort, das auf das internationale Recht übertragen werden sollte. Die Völkerrechtsdogmatik, vor allem die Menschenrechtsdogmatik, muß den sich beständig wandelnden politisch-gesellschaftlichen Rahmenbedingungen Rechnung tragen und ist der kontinuierlichen Rechtsfortbildung verpflichtet. Doch die Menschenrechtstexte ändern sich relativ selten, der Wortlaut muß nur im Kontext einer konkreten Zeit und Wirklichkeit interpretiert werden. Bleibt die Textgrundlage konstant, macht das Prinzipiendenken die flexible, nicht beliebige, Antwort auf neue Herausforderungen möglich. Im alltagssprachlichen Denken wie Verstehen sind viele der Grundlagen gespeichert, die filr rechtsfortbildende Wachstumsprozesse unabdingbar sind. Das Der allgemeine Gleichheitssatz als Methodennorm komparativer Systeme, 1997, S. 95 ff. Zur Struktur der Rechtsprinzipien 0. Weinberger, Die Revolution in der Rechtssatztheorie, in: ARSP 84 (1998), S. 263 ff., 266 f. Zur Universalität allgemeiner Rechtsgrundsätze siehe P. Häber/e, Das "Weltbild" des Verfassungsstaates, in: FS M. Kriele, 1997, S. 1277 ff., 1282. 103 In diesem Sinne auch H. Hofmann, Das Recht des Rechts, das Recht der Herrschaft und die Einheit der Verfassung, 1998, S. 51, der, ohne die notwendige Trennung von Recht und Moral grundsätzlich in Frage zu stellen, einem schematisch vereinfachenden "Entweder-Oder" die "Existenz des tradierten lebensweltlichen Ethos" und die "in den alltäglichen Lebensformen längst objektivierte Sittlichkeit einer Sozietät" gegenüberstellt (Hervorhebungen jeweils vom Verf.). 104 Dazu unter Verweis auf "Klassiker" wie H. Triepe/, R. Smend, H. Heller oder E. Kaufmann für das Bonner Grundgesetz H. Ehmke, Prinzipien der Verfassungsinterpretation, in: VVDStRL 20 (1963), S. 53 ff., 62.

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Zweiter Teil: Erscheinungsbild, Strukturen, Funktionen von Präambeltexten

Recht nimmt diese vorgefundenen Kategorien erst auf und rezipiert so Erfahrungswissen und Vorverständnisse. Es fmdet gemeinsame Kommunikationsgrundlagen und Verständigungsmittel filr einen spezifisch juristischen Gedankenaustausch, in dem von allen Beteiligten aus Wissenschaft, Rechtsprechung, politischen Gruppierungen, insbesondere auch Nongovernmental Organisations (NGOs) Kompromisse erarbeitet, Defmitionen entwickelt, aber auch bewußt streitige Gegenpositionen formuliert werden. 105 Der internationale Menschenrechtsschutz, wie kaum ein anderes Rechtsgebiet von ideologischen Antagonismen, vom Streit um die Relativität oder Universalität der einzelnen Rechte überschattet, muß immer neu um eine gemeinsame Sprache ringen. Wenn die Präambeln der Menschenrechtspakte Grundlagenbegriffe im Gewand der Alltagssprachen formulieren, liefern sie der inhaltlichen Prinzipiendiskussion das nötige Rüstzeug. dd) Die Offenheit für Rezeptionen

Aus der Interdependenz von allgemeineren und zugleich allgemeinverständlicheren Begriffen der Präambel und ihrer anschließenden normativen Präzisierung bzw. Umsetzung wird eine weitere wichtige Funktion der Alltagssprache ftlr rechtliche Verbürgungen deutlich. Sie ist ein Stück weit offener, auch weniger eindeutig als der konkrete, defmitorisch verengte juristische Arbeitsbegriff und läßt Raum fllr das assoziative Bedeutungsumfeld. 106 Dazu gehören die kulturellen Besonderheiten in den einzelnen Vertragsstaaten, die kulturelle Partikularität der ihrer Idee nach universellen Menschenrechte. Eine solche .. open texture "-Struktur 101 verbindet die Gesetzgebung bzw. völkervertragliche Rechtssetzung mit den fllr jede Rechtsgemeinschaft schlechthin konstitutiven gesellschaftlichen Basiswertungen und öffnet damit zugleich Einfallstore fllr eine sich ändernde gesellschaftliche Wirklichkeit, fllr die Rezeption neuer Wertungshorizonte.108 Hier liegt der Vorteil der "Wagheit" allgemeinsprachlicher 105 Vgl. dazu P. Kirchhof, Die Bestimmtheit und Offenheit der Rechtssprache, 1987, S. 6. P. Janich, Die methodische Abhängigkeit der Fachsprachen von der Umgangssprache, in: Fachsprache- Umgangssprache(... ), S. 33 ff., 48, bezeichnet die Umgangssprache als "Sprache einer Lebenspraxis, die der Ausbildung von Fächern vorhergeht". E. v. Savigny, Inwiefern ist die Umgangssprache grundlegend für die Fachsprache?, in: Fachsprache - Umgangssprache ( ... ), S. I ff., I, stellt fest, daß "die Umgangssprache eine große Menge von Erfahrungen enthält", die "in einer langen Erkenntnisgeschichte der Menschheit angesammelt worden sind". 106 Dazu E. Zel/er, Auslegung von Gesetz und Vertrag, 1989, S. 110 ff. 107 Grundlegend H. L. A. Hart, The Concept of Law, 2nd ed. 1994 (Reprint 1997), S. 123 ff., 135. Daran anknüpfendE. Kramer, Juristische Methodenlehre, 1998, S. 53. 108 E. Zeller, Auslegung von Gesetz und Vertrag, 1989, S. 110.

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Begriffe. Sie machen es möglich, neue Erfahrungen auf der Zeitschiene zu verarbeiten und den Vertrag als lebendiges Instrument in der jeweils konkreten Wirklichkeit zu interpretieren. 109 Sie sind selbst in Zeit und Raum offen und können Erfahrungswissen aus allen Lebensbereichen rezipieren. Dies läßt sich am Beispiel erläutern: So steht hinter dem Freiheitstopos der Präambel der UN-Charta oder des IPbürgR (und vieler anderer internationaler Verträge) gleichermaßen eine politische Idee wie die Vorstellung konkreter Freiheitsrechte. Es vermischen sich reale Freiheitsbedingungen und ideale Wunschvorstellungen bis hin zu Freiheitsutopien. Zwar steht außer Frage, daß weder der Normgeber noch-interpretauf einer ersten Stufe allzu diffuser Begriffsschablonen stehenbleiben dürfen. 110 Aber dennoch müssen Gewährleistungsgehalt und Geltungsanspruch der im IPbürgR garantierten Einzelrechte auch von solchen der Alltagssprache entnommenen Grundlagenbegriffen her erschlossen werden und ftlr den gesellschaftlichen Werte- und damit verbundenen Bedeutungswandel offen bleiben.111

109 Zu all dem U. Fastenrath, The Relative Normativity in International Law, in: EJIL 4 (1993), S. 305 ff., 311: "the vagueness in content of living languages is indispensible." 110 Zum Problem einer zu unbestimmten, generellen, gar "sybillinischen" Begrifflichkeit in der Universellen Menschenrechtserklärung von 1948 vgl. A. Cassese, Human Rights in aChanging World, 1990, S. 40; kritisch auch W v. Simson, Überstaatliche Menschenrechte: Prinzip und Wirklichkeit, in: FS K. J. Partsch, 1989, S. 47 ff., 51 f.; kritisch zum hohen Abstraktionsgrad der Präambelthemen in der amerikanischen Bundesverfassung D. Himmelfarb, The Preamble in Constitutional Interpretation, in: Seton Hall Constitutional Law Journal, Vol. 2 (1991), S. 127 ff., 203. 111 Das Argument gesellschaftlichen Wandels ist auch in den Entscheidungen internationaler Gerichte immer stärker präsent. Wegweisend in diesem Kontext z.B. die Entscheidung des EGMR im Fall Dudgeon v. United Kingdom, 4 E.H.R.R. (European Human Rights Reports) 149, 167: "As compared with the era when that legislation was enacted, there is now a better understanding, and in consequence an increased tolerance, of homosexusal behaviour to the extent that in the great majority of the member-States ofthe Council ofEurope it is no Ionger considered tobe necessary ( ...) to treat homosexual practices ( ... ) as in themselves a matter to which sanctions of the criminal law should be applied; the Court cannot overlook the marked changes (Hervorhebung durch den Verf.) which have occured in this regard in the domestic law ofthe member States."

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Zweiter Teil: Erscheinungsbild, Strukturen, Funktionen von Präambeltexten

b) Die völker- bzw. bürgernahe Sprache von Menschenrechtstexten, insbesondere deren Präambeln aa) Die typische Bürgerferne völkerrechtlicher Regelungen

Allgemeinverständliche Basisbegriffe spielen nicht nur für die dogmatische Entwicklung übergeordneter Prinzipienstrukturen, sondern vor allem auch für die sprachliche Nähe zum betroffenen Normadressaten hin eine entscheidende Rolle. Das von der Völkerrechtswissenschaft stets mitzudenkende Verfassungsrecht liefert wichtiges AnschauungsmateriaL Wo Verfassungspräambeln die Alltagssprache als bewußtes Stilelement einsetzen, geschieht das mit dem Ziel, die Bürger schon rein begrifflich im Kontext einer ihnen vertrauten Erfahrungswelt unmittelbar anzusprechen und ihre Zustimmung zur staatlichen Grundordnung zu gewinnen, die von allen gemeinsam und aktiv mitkonstituiert wie auch demokratisch kontrolliert werden muß.112 Mehr als anschaulich schreibt C. M Lawson über die Präambel der amerikanischen Bundesverfassung: "The suggestive rhetoric of the Preamble draws us into its political drama, and we make a community with the framers by joining with them in creating, establishing, and ordaining a constitution. One message of the Preamble, then, is that in each creative and imaginatively sympathetic reading, we remake the Constitution for ourselves in this generation as we reaffirm the special validity of purpose to which the framers, 'We, the People', have consecrated it." 113

Dieser Aspekt von Konsens und Integration läßt sich aus einer Mehrzahl von Gründen nicht generell auf völkervertragsrechtliche Kodifikationen übertragen. Dabei ist schon im Grundsätzlichen zu beachten, daß die Völkerrechtsordnung von dem Konsens souveräner Staaten, nicht dem Konsens ihrer jeweiligen Bürger oder Staatsangehörigen getragen wird - der Begriff "Staatsangehörig112 Dazu P. Häberle, Präambeln im Text und Kontext von Verfassungen, in: Rechtsvergleichung ( ... ), S. 176 ff., 192. S. auch P. Noll, Gesetzgebungslehre, 1973, S. 180, S. 258 ff.; V. Kubes, Theorie der Gesetzgebung, 1987, S. 284. H Schneiders provokative These über die "Illusion vom gesetzeslesenden Bürger" (Gesetzgebung, 2. Aufl. 1991, S. 207 Rn. 326) mag fllr einfache Gesetze, Verwaltungsvorschriften etc. durchaus Berechtigung haben, läßt sich aber nicht auf die in der Verfassung getroffene Grundentscheidung über das Zusammenleben in der staatlichen Gemeinschaft übertragen. Für das US-amerikanische Verfassungsrecht siehe noch C. M. Lawson, The Literary Force of the Preamble, Mercer Law Review 39 (1988), S. 879 ff., 879: "it evokes in our imagination a world in which the reader can participate"; ebd. S. 887: "offer of community"; P. W Rodino, Living with the Preamble, in: Rutgers Law Review 42 (1990), S. 685 ff., 687: "covenant oftrust". 113 The Literary Force of the Preamble, Mercer Law Review 39 (1988), S. 879 ff., 885.

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keit" deutet die Mediatisierung des Individuums im Völkerrecht bereits an. 114 Von einer so engen Prämisse ausgehend, kommt den in staatlicher wie in Weltgemeinschaft lebenden Einzelmenschen zunächst keine entscheidende Rolle als Träger der Integrationsprozesse zu, die fUr ein geordnetes, organisiertes und ein Stück weit verfaßtes Miteinander der Völkerrechtsgemeinschaft notwendig sind. Auch die Idee vom politischen Aktivbürger bleibt zunächst mit dem nationalen Verfassungsstaat verknüpft. Hier gibt es demokratisch legitimierte Parlamente und verantwortliche Regierungen, hier partizipiert der Bürger in Wahlen und Abstimmungen, engagiert er sich in politischen Parteien, Verbänden oder Interessengruppen, setzt sich schließlich mit den ftlr seine staatliche Ordnung prägenden Werten auseinander.115 Angesprochen ist dabei auch die emotionale Seite, das Bewußtsein. Geistige wie politische Heimat ist ftlr den einzelnen eher der kulturell geprägte Raum seines Staates als eine abstrakt gedachte Weltgemeinschaft unter dem Regime der Vereinten Nationen. Deshalb besteht die Gefahr, daß internationale Organisationen oder Vertragswerke vom Einzelmenschen oft als ein wirklichkeitsfernes Konstrukt von Staaten und Regierungen wahrgenommen werden, auf das er ohnehin keinen Einfluß hat und ftlr das er sich nicht verantwortlich ftlhlen muß. 116 Dieses Bild bestätigt auch ein Blick auf die fast unbegrenzte Vielzahl internationaler Verträge und Übereinkommen bilateraler oder multilateraler Natur: rechtsgeschäftliche oder rechtssetzende Verträge, Gründungsverträge internationaler Organisationen, Friedens- und Freundschaftsverträge, militärische Abkommen und Bündnisse, Handelsverträge, Vereinbarungen zum Schutze der Umwelt, schließlich Konkordate. 117 Trotz ihrer typologisch oft schwer faßbaren 114 Zum Staatsangehörigkeitsbegriff: A. Verdross!B. Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. 1984, S. 787. 115 Weitergehend H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 1966, S. 542, mit seiner Forderung, der Aktivbürger müsse von seinen Grundrechten Gebrauch machen. Zum status activus siehe P. Häber/e, Die Wesensgehaltgarantie des Art. 19 Abs. 2 Grundgesetz, 3. Aufl. 1983, S. 373 ff. 116 Aufschlußreich in diesem Zusammenhang ist auch der kritische Befund E. Reibsteins (Völkerrecht, Bd. 1, 1958, S. 9): "Das Völkerrecht wäre, wenn es sich in den Regelungen der gegenseitigen Staatenbeziehungen erschöpfte, tatsächlich die klassische Domäne der Staatsraison und der Propaganda, der Übergriffe und der Zwischenfälle, der Bedenken und der Verstimmungen, kurz des organisierten Mißtrauens (Hervorhebung durch den Verf.) auf allen Seiten." 117 Vgl. dazu, insbes. auch zu den unterschiedlichen Vertragsbezeichnungen A. Verdross!B. Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. 1984, S. 335 f.; 0. Kimminich, Einfllhrung in das Völkerrecht, 6. Aufl. 1997, S. 212 ff.; W. Graf Vitzthum, Begriff, Geschichte und Quellen des Völkerrechts, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, 1997, S. I ff. , 74.

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Diversifikation weisen sie weitgehende Gemeinsamkeiten auf. Normgeber und Normadressaten sind identisch, es sind die beteiligten souveränen Staaten118, und Vertragsgegenstand sind ihre gegenseitigen Beziehungen mit dem Ziel des wechselseitigen Austausches von Vorteilen im Sinne des Reziprozitätsgrundsatzes119. Die Abkommen sind Ergebnisse komplexer diplomatischer Kommunikationsprozesse, an denen vor allem Eliten beteiligt sind und die sich wiederum an Eliten als Adressaten wenden: an Repräsentanten von Staaten und internationalen Organisationen, an Regierungsmitglieder und geschulte Diplomaten, an Militärs, Exekutivorgane und Funktionäre einflußreicher Verbände, an die innerstaatliche wie internationale Judikatur, nicht zuletzt die teils beratende, teils kritisch analysierende Wissenschaft, aber nicht an den einzelnen Bürger. 120 Er bleibt mediatisierter Angehöriger seines Staates, spielt keine selbständige Rolle im Beziehungsgeflecht der "Staatengesellschaft" 121 und soll daher von den Kodifikationen des Völkervertragsrechts gar nicht unmittelbar angesprochen werden.

118 H. Huber, Über die Geltung des Völkerrechts, in: ders., Rechtstheorie, Verfassungsrecht, Völkerrecht, 1971, S. 565 ff., 585. Vielfach können auch internationale Organisationen Parteien völkerrechtlicher Verträge sein, aber auch hier wirken mittelbar die Staaten Ober ihre Vertreter, die Rollenverteilung bleibt unverändert: staatliche Autorität setzt die Normen und verpflichtet sich uno actu zu deren Befolgung. 119 R. Bernhardt, Thoughts on the Interpretation of Human Rights Treaties, in: Protecting Human Rights: The European Dimension, 1988, S. 65 ff., 65. Allgemein zum Reziprozitätsprinzip G. Schwarzenberger, The Frontiers of International Law, 1962, s. 29 ff. 120 Zum Verständnis von Diplomatie als "inter-elite communication in the world arena" vgl. B. S. Murty, The International Law ofDiplomacy, 1989, S. I ff., 10 f. Er unterteilt die Teilnehmer am diplomatischen Prozeß in drei Kategorien: "Officials of States" ("head of state", "head of government", "ministries" etc.), ebd. S. 19 ff., "International Officials", S. 34 ff., "Non-Officials" ("transnational political parties", "pressure groups", "private associations"), S. 40 ff. S. auch H. Nicolson, The Evolution of Diplomatie Method, 1954, S. 75 ff. Zum "common standard ofprofessional conduct" W: M. Reismann, International Lawmaking: A Process of Communication, in: Proceedings, Am. Soc. Int'l Law 75 (1981), S. 101 ff., 107. Zur politischen Signifikanz der am Meinungsbildungsprozeß Beteiligten vgl. W: Lippmann, Public Opinion, 1960, S. 46 ff.; N. Luhmann, Öffentliche Meinung, in: Politische Vierteljahresschrift II (1970), S. 2 ff., 22 f. 121 Zum Begriff der Staatengesellschaft bzw. internationalen Gesellschaft vgl. A. Truyol y Serra, Die Entstehung der Weltstaatengesellschaft unserer Zeit, 1963; siehe auch A. Cassese, Human Rights in aChanging World, 1990, S. 13 ff.

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bb) Das bürger- bzw. völkernahe Völkerrecht zum Schutze internationaler Menschenrechtsgarantien

Dieser Befund kann aber ftlr internationale Menschenrechtspakte nicht gelten. Zwar sind auch hier die Staaten Nonnsetzer und Adressaten zugleich, wenn sie sich zur Anerkennung der verbürgten Rechte verpflichten. 122 Doch der Kreis der unmittelbar Betroffenen erweitert sich, wo die Rechte eines jeden Menschen erklärt werden. 123 Daher nehmen Menschenrechtsabkommen unter den völkerrechtlichen Verträgen eine Sonderstellung ein, betreffen nicht in erster Linie das wechselseitige Beziehungsgeflecht der übereinkommenden Staaten und beruhen nicht auf dem "do ut des" respektive Reziprozitätsprinzip. Sie verbürgen vielmehr wie die Grundrechtsteile nationaler Verfassungen fundamentale Rechte des einzelnen, die ihm die Freiheit gefen den Staat sichern und die Freiheit zum Staat erst möglich machen sollen.12 Schon deshalb müssen sie, wie Verfassungstexte, den Menschen als ihren primären Normadressaten gleichermaßen ansprechen und ernst nehmen. Die Präambeln der internationalen Menschenrechtspakte erftlllen so eine wichtige sprachliche Brükkenfunktion ftlr ein bürger- und völkernahes Konzept des internationalen Rechts. Besonders nachdrücklich diesem Ziel verpflichtet ist die Einleitungsformel im ersten Präambelpassus der UN-Charta: In bewußter Analogie zur Präambel der Verfassung der Vereinigten Staaten greift sie das klassische "We the people" auf125, das in den jungen USA den überkommenen "pluralis majestatis" des monarchischen Staates emphatisch in den "pluralis populi" einer von den Bürgern getragenen, pluralistischen Verfassungsordnung gewandelt hatte. So werden die Völker, nicht die Staaten zu den "Founding Fathers" der in den Vereinten Nationen organisierten Völkerrechtsgemeinschaft. Dabei fehlt, anders als in Art. I Ziff. 2 UN-Charta, dem Terminus "peoples", "Völker", in der Präambel der ethnische Bezug, sondern er ist im Sinne von "Bevölkerung der

122 Vgl. z.B. den Wortlaut der Präambel des IPbürgR: "Die Vertragsstaaten ( ... ) vereinbaren". Sodann Art. 2 Abs. 1-3: "Jeder Vertragsstaat verplichtet sich", ebenso Art. 3: "Die Vertragsstaaten verpflichten sich". 123 Vgl. dazu Teil III des IPbürgR: "Jeder Mensch" ( z.B. Art. 6 Abs. 1), "Alle Menschen" (z.B. Art. 14 Abs. 1), "Jeder" (z.B. Art. 10 Abs. 1, Art. 14 Abs. 2 und 3), "Jedermann" (z.B. Art. 9 Abs. 1, Art. 12 Abs.1, Art. 16 Abs.l, Art. 18 Abs. 1, Art. 19 Abs. 1). 124 R. Bernhardt, Thoughts on the Interpretation of Human Rights Treaties, in: Protecting Human Rights, 1988, S. 65 ff., 66; P. Häberle, Die Wesensgehaltgarantie des Art. 19 Abs. 2 Grundgesetz, 3. Aufl. 1983, S. 73,93 f., 230 und passim. 125 Dazu N. Onuf, The Constitution of International Society, in: EJIL 5 (1994), S. 1 ff., 16; R. Wolfrum, in: B. Simma u.a. (Hrsg.), Die Charta der Vereinten Nationen, 1991 , Präambel Rn. 4 m. w. N.; zur OS-Bundesverfassung vgl. P. W. Rodino, Living with the Preamble, in: Rutgers Law Review 42 (1990), S. 685 ff., 687 ff.

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Mitgliedstaaten" zu lesen. 126 Das Argument, Völker seien in der Präambel gleichbedeutend mit Staaten verwendet und die begriffliche Differenzierung diene allein dazu, den handelnden Regierungen eine besonders feierlich-pathetische Aura so verleihen 127, greift daher zu kurz. Daß die Bevölkerung, d.h. die Bürger der Mitgliedstaaten, die Träger der Gemeinschaft bilden, hat auch, aber nicht nur symbolische, sondern programmatische Bedeutung für eine vom Menschen ausgehende Völkerrechtsordnung. Zwar bleiben die universellen Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen, der IPbürgR und der IPwirtR, hinter dieser Textstufe einen Schritt zurück: Die gleichlautenden Eingangszeilen ihrer Präambeln stellen im traditionellen Duktus eines zwischenstaatlichen Übereinkommens "die Vertragsstaaten" an den Anfang, die kraft ihrer Souveränität dem einzelnen im Wege vertraglicher Übereinkunft Rechte gewähren. Aber nicht nur durch die Anerkennung der Menschenwürde schon im ersten Präambelabschnitt, auch durch so plastische Formulierungen wie dem "Ideal vom freien Menschen, der bürgerliche und politische Freiheit genießt und frei von Furcht und Not lebt" 128, wählen sie den Menschen, den Bürger als ihren Adressaten, richten sich in allgemeinverständlichen Worten gerade an ihn in seiner konkreten Lebenswirklichkeit Die Alltagssprache wird zu einem unabdingbaren Gestaltungsmittel eines menschen- bzw. bürgernahen Völkerrechts. Einem solchen Ansatz könnte entgegengehalten werden, daß ihm die politisch-gesellschaftliche wie die Rechtswirklichkeit widerspricht. Ist es schon in den hochentwickelten Rechtskulturen der Verfassungsstaaten westeuropäisch/angloamerikanischer Prägung schwierig, den Normadressaten durch die sprachliche Gestaltung der Gesetzestexte auch zu erreichen, so gilt das um so mehr für andere Kulturkreise, Reformstaaten oder Entwicklungsländer. Das Bild vom gesetzeslesenden, gar völkerrechtliche Verträge lesenden Bürger bleibt hier wie dort Utopie. Doch übersieht diese Kritik, daß der einzelne mittelbar von den Texten angesprochen werden kann: durch öffentliche Diskussion, in den Medien, von Menschenrechtsorganisationen, in Parteiprogrammen etc. Die Wirkungsintensität hängt ohne Zweifel von einer Fülle divergierender Einzelfaktoren ab: der Bildung, dem Erziehungssystem, dem wirtschaftlichen, rechtlichen und kulturellen Entwicklungsstand, der pluralistischen Freiheit oder der restriktiven Meinungsdiktatur totalitärer Regime. Entscheidend bleibt bei alledem aber die Möglichkeit, schrittweise eine immer größere Öffentlichkeit 126 R. Wolfrum, in: B. Simma u.a. (Hrsg.), Die Charta der Vereinten Nationen, 1991, Präambel Rn. 4. 127 So aber K. J. Partsch, Menschenrechte und "Rechte der Völker", in: VN 1986, s. 153 ff., 157. 128 Die Rezeption von Präsident F. D. Rooseve/ts Rede zu den "Four Freedoms" aus dem Jahre 1941 wird im dritten Teil der Arbeit noch ausfUhrlieh dargestellt.

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für das Menschenrechtsthema zu schaffen und dadurch die Akzeptanzgrundlage für universell geltende Menschenrechte zu stärken. Das kann aber nur gelingen, wenn die Konventionstexte Begriffe übernehmen, die in der Alltagswelt der (potentiellen) Normadressaten präsent sind. Dort können und müssen sie die Menschen, die Bürger unmittelbar ansprechen und für ihr Anliegen gewinnen.

2. Die Fachsprache a) Begriffliche Differenzierung Allgemein- und fachsprachliche Elemente sind in Präambeltexten auf vielfiiltige Weise miteinander verwoben. 129 Der Oberbegriff der Fachsprache bedarf dabei der Differenzierung. Es gibt nicht die eine Fachsprache der Jurisprudenz, sondern unterschiedliche Teilbereiche mit jeweils eigenständigem Sprachprofil: die Gesetzessprache, die Sprache völkerrechtlicher Kodifikationen, davon wiederum zu unterscheiden die Sprache der Verwaltung oder der Rechtspflege. Die Rechtswissenschaft schließlich hat für ihre verschiedenen Disziplinen eine mitunter hochspezifizierte Fachterminologie entwickelt. 130 Wie bereits dargestellt, wendet sich der IPbürgR nicht nur im Sinne einer "inter-elite communication"m an juristische Spezialisten, sondern formuliert verbindliche Menschenrechte aller, er spricht die gesamte Rechtsgemeinschaft an. Sprachlich sind somit dieselben Kriterien anzuwenden, die für alle Gesetzgebungswerke gelten, deren Adressat der Bürger ist. Seine Inhalte müssen trotz aller Technizität und fachlicher Prägung einer internationalen allgemeinen Öffentlichkeit, die überdies noch sehr viel heterogener als ein Staatsvolk ist, vermittelbar bleiben. 132 Aufgabe fachspezifischer Formulierungen des Men129 P. Häberle, Präambeln im Text und Kontext von Verfassungen, in: FS J. Broermann, 1982, S. 211 ff., 227 f. 130 H. Hattenhauer, Zur Geschichte der deutschen Rechts- und Gesetzessprache, 1987, S. 3; A. Podlech, Die juristische Fachsprache und die Umgangssprache, in: Fachsprache- Umgangssprache( ... ), S. 161 ff., 162; W Otto, Die Paradoxie einer Fachsprache, in: Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung (Hrsg.), Die Sprache der Verwaltung und des Rechts, Bd. 2, 1991, S. 44 ff., 5 I. 131 B. S. Murty, The International Law of Diplomacy, 1989, S. 11; W M. Reismann, International Lawmaking: A Process of Communication, in: Proceedings, American Society of International Law 75 (1981), S. 101 ff., 107 und passim; vgl. dazu auch N. Luhmann, Öffentliche Meinung, in: Politische Vierteljahresschrift II ( 1970), S. 2 ff., 22 f. 132 P. Kirchhof, Die Bestimmtheit und Offenheit der Rechtssprache, 1987, S. 5 f.; K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 320; B. Grossfeld, Unsere Sprache: Die Sicht des Juristen, 1990, S. 9 f.

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Sehenrechtspaktes ist es deshalb, allgemeinsprachliche Begriffe zu präzisieren, definitorisch zu verengen, sie zu Arbeitsbegriffen einer normativ ausgerichteten Disziplin zu machen, abstrakt-generell und auch schematisch-verallgemeinernd zu formulieren. 133 Doch darf dabei nicht einem naiven Positivitätsideal das Wort geredet werden. Die Fachsprache des Rechts kann niemals "mathematisch exakte Kalkülsprache" mit einem Grad an Genauigkeit werden, der von vornherein divergierende Interpretationsmöglichkeiten und Bedeutungsunterschiede ausschließt. 134 b) Verwendung und Funktion fachsprachlicher Elemente in völkerrechtlichen Präambeltexten: das Beispiel des IPbürgR Um die Funktion fachsprachlicher Elemente in völkerrechtlichen Präambeltexten allgemein und spezifisch ftlr die Menschenrechtspakte zu erschließen, sind konkrete Beispiele aus der Präambel des IPbürgR zu benennen. Die Trias von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden aus dem ersten Präambelpassus, oben als Beispiel für allgemeinsprachliche Elemente angeftlhrt, weist auch fachsprachliche Charakteristika auf. "Friede" ist zentraler Arbeitsbegriff der politischen wie der völkerrechtlichen Wissenschaft, das Gerechtigkeitspostulat, von Aristoteles bis J. Rawls Gegenstand zahlreicher Klassikertexte, muß auch als juristischer Fachbegriff entschlüsselt werden und der Freiheitstopos gewinnt seine spezifisch rechtlichen Konturen aus dem Kontext einer langen Tradition von Rechts-, Staats- und Verfassungsleiire der Nationalstaaten und deren allmählicher Öffnung hin zum Völkerrecht. Daraus wird deutlich, daß die Sprachebenen in der Präambel fließend ineinander übergehen. Dieselben Begriffe richten sich in ihrer allgemeinsprachlichen Dimension an alle von dem Kodifikationswerk betroffenen Adressaten, gleichzeitig müssen sie vom fachkundigen Juristen ftlr die praktische Rechtsanwendung definitorisch präzisiert werden. Ein weiterer Textbeleg sei angeftlhrt. Wenn die Präambel in ihrem dritten Passus zwischen bürgerlichen und politischen Rechten einerseits, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten andererseits differenziert, wird trotz der allgemeinsprachlichen Einkleidung die dogmatische Konzeption der Unterscheidung nur dem Fachjuristen klar. Er verbindet mit ersteren die klassischen staatlichen Abwehrrechte als Menschenrechte der ersten Generation, mit letzteren die Leistungs- und Teilhaberechte der zweiten Generation. 133 Vgl. P. Kirchhof, Die Bestimmtheit und Offenheit der Rechtssprache, 1987, S. 19; Th. Fleiner-Gerster, Wie soll man Gesetze schreiben?, 1985, S. 151 ff., 154. 134 H. Müller-Dietz, Rechtssprache - Die Macht der Sprache, die Sprache der Macht, in: Loccumer Protokolle 15/97, S. 19 ff., 30.

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Die hier angeftlhrten Beispiele machen deutlich, daß die Präambel des IPbürgR auf eine hochspezielle rechtstechnische Fachterminologie verzichtet, d.h. die fachspezifische Seite aus der Allgemeinsprache entwickelt. Diese Sprachform dient einer wesentlichen inhaltlichen Funktion des Menschenrechtspaktes. Sein universeller Geltungsanspruch verbietet gerade im grundlegenden Vorspruch eine zu starke terminologische Verengung, gar eine juristische Kunstsprache. Es muß vielmehr die begriffliche Grundlage ftlr eine weitergehende zwischenstaatliche Konsensbildung bei der Interpretation und Rechtsanwendung geschaffen werden. Das erfordert einen hohen Abstraktionsgrad, aber auch ein Mindestmaß an Sachlichkeit und Präzision, die den Entscheidungsbildungsprozeß durch die Fachjuristen der Unterzeichnerstaaten diszipliniert und zugleich alle anderen Vertragsinterpreten wie -adressaten von den politisch Verantwortlichen bis hin zum betroffenen Bürger miteinbezieht.135 Darüber hinaus ist bei einem völkerrechtlichen Vertrag noch eine letzte Besonderheit zu bedenken: Die vertragschließenden Parteien können übereinstimmend einem Ausdruck auch eine von ihrem spezifischen Parteiwillen geprägte Bedeutung beimessen {vgl. dazu die Auslegungsregel des Art. 31 Nr. 4 WVK). Denn gerade bei der Terminologiebildung, beim Ringen um Begriffe, kommen divergierende Vorverständnisse zum Tragen, muß Konsens über den konkreten Inhalt der termini technici gefunden werden. 3. Die Hochsprache und die Sprachformeln der Diplomatie

Entscheidendes Gestaltungsmittel der Präambeln völkerrechtlicher Verträge ist ein besonders feierlicher, ins Formelhafte gewendeter, ja zeremonieller Sprachduktus 136, der die alltags- und fachsprachlichen Elemente wie in einen Rahmen einbindet. Altertümliche, weniger gebräuchliche, festlich klingende Formulierungen und ein getragenes Pathos prägen den Stil. Dabei ist eine Differenzierung nach äußerer Form und inhaltlicher Funktion notwendig: die "Feiertagssprache" im allgemeinen und die ftlr völkerrechtliche Texte typischen Sprachformeln im besonderen. 135 Vgl. dazu P. Häber/e, Präambeln im Text und Kontext von Verfassungen, in: ders., Rechtsvergleichung im Kraftfeld des Verfassungsstaates, 1992, S. 176 ff., 191 f., 210; P. Kirchhof, Die Bestimmheit und Offenheit der Rechtssprache, 1987, S. 19 f. 136 P. You, Le preambule des traitees intemationaux, 1941, S. 11 ("degre de solennite"); P. Häber/e, Prämbeln im Text und Kontext von Verfassungen, in: ders., Rechtsvergleichung im Kraftfeld des Verfassungsstaates 1992, S. 176 ff., 1991, spricht von "Feiertagssprache" oder "Mehr-als-Hoch-Sprache"; daran anknüpfend A.-C. Kulow, Inhalte und Funktionen der Präambel des EG-Vertrages, Diss. Bayreuth 1997, S. 212.

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a) Begriffund Funktion der Hochsprache in völkerrechtlichen Vertragspräambeln: das Beispiel des IPbürgR Bewußtes Pathos und stilisierte Hochsprache erzeugen die Grundstimmung fiir das Besondere und Bekenntnishafte der Präambel des IPbürgR. Sie besteht aus einem einzigen Satz, ihr gesamtes Programm wird zwischen Subjekt und Prädikat in fiinf Nebensätzen, als eigene Abschnitte optisch hervorgehoben, entfaltet. Motivationen, Bekenntnisse, Zielsetzungen, Legitimationszusammenhänge, letztlich alle Präambelinhalte präsentieren sich rein äußerlich als geschlossenes Textensemble, sind "in einem Atemzug" genannt. Dabei ergibt sich eine interessante Parallele zum Stil des französischen Rechtsdenkens, wie es sich in den Urteilen des Kassationshofs und auch der Instanzgerichte widerspiegelt und nicht zuletzt die Entscheidungen des EuGH prägt. Ihre Urteilsbegründungen bestehen häufi~ aus nur einem, ebenfalls in Parenthesen untergliederten Entscheidungssatz. 13 Hier wie dort zeichnet sich die äußere Gestaltung durch stilistische Eleganz, formale Klarheit und Konzentration auf das Wesentliche aus. Andererseits kleidet sie apodiktische Formulierungen in ritualisierte Formelhaftigkeit. 138 Die "Erkenntnis, daß sich diese Rechte aus der dem Menschen innewohnenden Würde herleiten", die Behauptung, daß der "einzelne gegenüber seinen Mitmenschen und der Gemeinschaft, der er angehört, Pflichten hat", seien beispielhaft genannt. In ihrer Ambivalenz aus gebotener sprachlicher Prägnanz und unkritisch hingenommener Formelhaftigkeit erftlllen diese Stilelemente eine doppelte, nämliche eine staatsbezogene wie eine adressatenbzw. bürger- oder völkerbezogene Funktion. aa) Die Selbstdarstellung der Staaten, die Präambel als Schauseite staatlicher Souveränität

Die feierliche Sprache in den Präambeln internationaler Verträge ist Ausdrucksmittel fiir das Selbstverständnis der Unterzeichnerstaaten und dient deren Selbstdarstellung nach außen hin. Sie will keine Zweifel an Legitimität, Autorität und Souveränität aufkommen lassen, will von Größe und Glanz des Staates

137 K. Zweigert/H. Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 1996, S. 121; H. Kötz, Über den Stil höchstrichterlicher Entscheidungen, 1973, S. 7; J. P. Dawson, The Oracles of the Law, 1978, S. 407 ff.; P. Mimin, Le style des jugements, 3. Aufl. 1970, S. 185 ff. 138 Vgl. zur französischen Praxis wiederum K. Zwet$ert/H. Kötz, Einfilhrung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 1996, S. 121; H. Kötz, Uber den Stil höchstrichterlicher Entscheidungen, 1973, S. 9 und 13.

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zeugen. 139 Ein Blick in die Geschichte gibt Aufschluß über die Wurzeln dieser spezifisch diplomatischen Sprachkultur. Vor der Unabhängigkeit Amerikas und der Französischen Revolution hatte das Völkerrecht eine nahezu ausschließlich monarchische Prägung, war vom Umgang der persönlichen Souveräne bestimmt und lag in den Händen einer aristokratisch-exklusiven diplomatischen Elite. In diesem Milieu wurde, maßgeblich beeinflußt von der diplomatischen Tradition Frankreichs seit Ludwig XIV., Form, Stil, Etikette und Konvention eine übergroße, selbständige Bedeutung eingeräumt. 140 Vor allem fUr den Nationalstaat des 19. und 20. Jahrhunderts waren Botschafter und Gesandte die symbolische Verkörperung der Nation und der Hoheitsgewalt des Entsendestaates14\ was das diplomatische Zeremoniell, die Privilegien und Immunitäten bis heute maßgeblich beeinflußt. Diese Tradition hat zahlreiche revolutionäre Umbrüche überlebt und wirkt trotz manch anachronistischer Elemente im demokratischen Verfassungsstaat genauso wie in totalitären Regimen jedweder Provenienz fort. Die Bedeutung eines feierlichen Sprachstils erschöpft sich aber nicht in den Konventionen internationaler Diplomatie. Vielmehr soll ftlr die werthaltigen Bekenntnisse und programmatischen Grundentscheidungen der Signatarmächte eine adäquate Sprachform gefunden werden. Die Selbstverpflichtung der Staaten, die Menschenrechte zu schützen, knüpft dabei im Sprachduktus sehr bewußt an den zeremoniellen Stil großer, feierlicher Erklärungen, insbesondere der Französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte an. Auch Parallelen zum Sprachstil religiöser Texte sind nicht zufällig, denn das Bekenntnis 139 Zur legitimierenden Kraft symbolischen und rituellen Handeins im Völkerrecht Th. Franck, Legitimacy in the International System, in: American Journal of International Law 82 (1988), S. 705 ff., 725 ff.; ders., The Power ofLegitimation among Nations, 1990, S. 91 tf., 103, mit Hinweisen auf die diplomatische Praxis und repräsentative Titel ("ambassador extraordinary and plenipotentiary"). Allgemein zur Rechtssprache als Ausdruck von Herrschaft, Macht und Autorität siehe H. Müller-Dietz, Rechtssprache - Die Macht der Sprache, die Sprache der Macht, in: Loccumer Protokolle 15/97, S. 19 tf., 24 f., 26 ("autoritativer Stil", "sprachliche Inszenierung von Herrschaft"). 140 Vgl. M. Huber, Die soziologischen Grundlagen des Völkerrechts, 1928, S. 59; allg. zur Sprache der Diplomatie H. Nico/son, Diplomatie, 1947, S. 172 tf.; ders. , The Evolution of Diplomatie Method, 1954, S. 57, 72: "It (the French dip1omatic method, Erg. des Verf.) was courteous and dignified; ( ...)". Ebd., S. 75, zur spezifischen Struktur der diplomatischen Elite: "These officials representing their Govemments (...) possessed similar standards of education, similar experience, and a similar aim. They desired the same sort of world. As de Callieres bad already noticed in 1716, they tended to develop a corporate identity (Hervorhebung durch den Verf.)". 141 Th. Franck, The Power of Legitimacy among Nations, 1990, S. 103: "an ambassodor is the embodiment of the nation". Allgemein zum Zusammenhang von "Political Power and Symbolization" H. Lindah/, Sovereignty and Symbolization, in: Rechtstheorie 28 (1997), S. 347 tf., 359 tf.

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zu den Menschenrechten als "Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt" wird zum universellen politischen Credo der Verfassungsstaaten142 und ist neben dem Demokratieprinzip und der Rechtsstaatlichkeie 43 die entscheidende Legitimationsgrundlage staatlicher Herrschaft im Inneren wie Äußeren. Die Präambeln der Menschenrechtspakte sind somit auch sprachliche Schauseite staatlicher Identitätsbildung im Geflecht internationaler Beziehungen und globaler Verantwortung. 144 Ihnen wohnt darüber hinaus eine Appellfunktion inne, die durch hohes Pathos verstärkt wird. Alle Staaten, die sich der internationalen Zusammenarbeit in Sachen Menschenrechte bisher mehr oder weniger stark verweigert haben, sollen nachhaltig zur Unterzeichnung der Pakte aufgefordert werden. 14s Die Menschenrechtsidee respektive -kultur wird letztlich zum feierlich formulierten Leitmotiv aller "Kulturvölker" ("civilized nations", "nations civilisee") im Sinne von Art. 38 Abs. 1 Lit. c IGH-Statue 46 und zugleich zum appellativ vorgetragenen politischen Druckmittel in den zwischenstaatlichen Beziehungen.

bb) Werthaltige Bekenntnisse, der Aspekt der Bürgerintegration Wie bereits im Hinblick auf die Alltagssprache ausgefilhrt, wenden sich im Gegensatz zu den meisten anderen Typen völkerrechtlicher Verträge die Menschenrechtspakte direkt an den Einzelmenschen, dessen Rechte verbürgt werden. Der feierliche Sprachduktus ihrer Präambeln und das ihnen eigene Pathos erfilllt deshalb auch eine die Vertragsadressaten in den Blick nehmende Integrationsfunktion. Hohe Ideale, Bekenntnisse ebenso wie die Formulierung von Wertbegriffen, Überzeugungen und motivierenden Faktoren charakterisieren 142 Vgl. dazu nur den folgenden Textpassus aus der Präambel der UN-Charta: "(... ) unseren Glauben an die Grundrechte des Menschen ( ...) erneut zu bekräftigen". Zur "rituelle(n) Bedeutung" fundamentaler Verfassungssätze in der Präambel siehe P. W Rodino, Living with the Preamble, in: Rutgers Law Review 42 (1990), S. 685 ff. , 686. Er spricht mit Blick auf die Präambel der US-Bundesverfassung von "a kind of Article ofFaith". 143 Vgl. A. Watts, The International Rule of Law, in: German Yearbook of International Law 36 ( 1993), S. 15 ff. 144 Dazu auch P. Häber/e, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, s. 177. 145 Hier besteht eine interessante Paralle zum "missionarischen" Anspruch der Französischen Menschenrechtserklärung. Verwiesen sei auch auf die (erfolgreichen) Bemühungen der UN-Hochkommissarin filr Menschenrechte, Mary Robinson, China zur Unterzeichnung des IPbürgR noch vor Ablauf des Jahres 1998 zu bewegen, dazu Süddeutsche Zeitung vom 8. September 1998, S. 2, 9. 146 Zum Begriff der Kulturvölker /. Seidi-Hohenveldern, Völkerrecht, 9. Aufl. 1997, Rn. 506; A. Verdross, Die Quellen des universellen Völkerrechts, 1973, S. 124 ff., 127.

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eine Grundordnung, die vom Menschen ausgeht und ftlr den Menschen konzipiert ist. Er soll durch die sprachlichen Mittel gleichermaßen überzeugt und auf einer eher suggestiven Ebene angesprochen werden. 147 So haben Schlüsselbegriffe wie "Würde" und "Gleichheit", "Unveräußerlichkeit der Rechte", "Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden" nicht nur rationale Inhalte, sondern vermitteln auch Emotionales. Es sind Worte mit einem starken Gefllhls- und Stimmungsgehalt.148 Wenn das Völkerrecht als ein Stück "Menschheitsrecht" verstanden und die internationale Staatengemeinschaft zu einer Verantwortungsgemeinschaft ftlr die Durchsetzung universeller Menschenrechte werden soll 149, muß sie sich in ihren Texten auch den Menschen und Bürgern zuwenden. So wichtig der zwischenstaatliche Konsens als Grundlage internationaler Verpflichtungen bleibt, fordert eine dynamische Fortentwicklung des Völkerrechts die weltweite Beteiligung der politischen AktivbürgerJSO. Damit dies gelingen kann, darf die Völkerrechtsgemeinschaft nicht darauf verzichten, Identifl.kationsmöglichkeiten ftlr alle am Menschenrechtsdiskurs Beteiligten zu schaffen und um eine rationale wie emotionale Verankerung im Bewußtsein der "Weltbürgergesellschaft" zu ringen.

147 Dazu P. Häberle, Präambeln in Text und Kontext von Verfassungen, in: ders., Rechtsvergleichung im Kraftfeld des Verfassungsstaates, 1992, S. 176 ff., 192 ff.; E. Wolf, Verpflichtende Sprache im Rechtsdenken, in: ders., Studien zur Geschichte des Rechtsdenkens, 1982, S. 215 ff., 219; B. Großfeld, Sprache und Recht, in: JZ 1984, s. 1 ff., 6. 148 Th. Fleiner-Gerster, Wie soll man gute Gesetze schreiben?, 1985, S. 158; P. Häberle, Die Funktionenvielfalt der Verfassungstexte im Spiegel des "gemischten" Verfassungsverständnisses, in: ders., Rechtsvergleichung im Kraftfeld des Verfassungsstaates, 1992, s. 263 ff., 265 f. 149 P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 1160; vgl. auch A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, 1995, S. 880 ff. 150 Zu Recht weist schon A. Truyo/ y Serra, Die Entstehung der Weltstaatengesellschaft unserer Zeit, 1963, S. 18, darauf hin, daß die internationale Gesellschaft soziologisch umfassender sei als die zwischenstaatliche, wenngleich letztere oft rechtlich im Schatten der ersteren bleibe. Aus verfassungstheoretischer Sicht grundlegend P. Häberle, Die offene Gesellschaft der Verfassungsinterpreten (1975), in: ders., Verfassung als öffentlicher Prozeß, 3. Aufl. 1998, S. 155 ff., 160. Damit ist freilich nicht die Illusion heraufbeschworen, die Rechtstexte würden zum unmittelbaren Lesestoff ftlr den einzelnen. Es bedarf vielmehr vermittelnder Instrumente: von den global vernetzten Medien bis zum Schulunterricht in den Klassenzimmern.

s•

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Zweiter Teil: Erscheinungsbild, Strukturen, Funktionen von Präambeltexten

b) Die Sprachformeln der Diplomatie Die Sprache der Diplomatie lebt, wie bereits angeklungen, von einem großen Repertoire an immer wiederkehrenden Stereotypen 151, die an einen rituellliturgischen Vorgang erinnern und wie das epitheton ornans der homerischen Epen kaum mehr einer individuellen Charakterisierung dienen. Sie haben keinen eigenen neuen Aussagegehalt, sondern bleiben schmückendes Beiwerk. Das relativiert zu einem gewissen Grad viele der großen, werthaltigen Bekenntnisse in den Präambeln. Die Topoi "Frieden und Gerechtigkeit" kehren in einer Vielzahl völkerrechtlicher Vertragspräambeln stereotyp immer wieder, ohne daß damit automatisch neuer Erkenntnisgewinn oder normative Verdichtung verbunden wäre. Doch auch in der bloßen Wiederholung immergleicher Sprachformeln liegt eine Chance. Sie prägen sich intensiv in das Bewußtsein aller Normadressaten ein und das Begriffspotential, das unter der Decke beständiger Repetition schlummert, kann in einem historisch-politisch günstigen Moment Anstoß zu konstruktiver Textinterpretation und Rechtsfortbildung geben. Vor allem die Einleitungsformeln, die für die Präambeln völkerrechtlicher Verträge seit jeher prägend sind, verstärken deren zeremoniellen Duktus noch weit über den ohnehin feierlich-bekenntnishaften Charakter hinaus. Hier verdichten sich traditionelle diplomatische Sprachkonventionen zu immer wiederkehrender, stereotyper Formelhaftigkeit. Es wäre aber verfehlt, in diesen stets gleichen Mustern allein den Ausdruck einer selbstverständlichen Kontinuität oder ein inhaltsleeres Sprachritual zu sehen. Die Einleitungsformeln enthalten auch thematische Vorgaben. Kognitive und voluntative Momente wechseln einander ab, Bekenntnis- stehen neben Erkenntnisklauseln, Elemente des Planens und des Gestaltens werden sichtbar. 152 Damit sind Programm und Funktionen der Präambel als Grundlegung, Bekenntnis und Zukunftsentwurf auf einen knappen Nenner gebracht, was sich im folgenden anband der einleitenden Passagen des IPbürgR nachweisen läßt.

151 Vgl. dazu W. Lippmann, Public Opinion, 1960, S. 130. Interessant in diesem Kontext ist die von A .C. McGhee, International Community, 1992, S. 44, aufgestellte Forderung bezüglich der Sprache politischer und diplomatischer Führungseliten: "Seekin to improve the rhetoric of international political and intellectual Ieaders in such way as to emphasize the constructive and unifying expressions". 152 A.-C. Kulow, Inhalte und Funktionen der Präambel des EG-Vertrages, Diss. Bayreuth 1997, S. 163 f., nimmt anhand des Beispielsmaterials von EGKSV, EGV, EEA und EUV fllr das Europarecht eine Grobgliederung in "kognitive"=Wissens- und "voluntative"=Wollenselemente vor.

B. Begriff, Struktur, Aufbau und Präambelfunktionen

99

aa) ,. In der Erkenntnis"

Die Präambel des IPbürgR beginnt ihren zweiten und dritten Passus jeweils mit einer ErkenntnisformeL Zum einen heißt es: "In der Erkenntnis, daß sich diese Rechte aus der dem Menschen innewohnenden Würde herleiten lassen", zum anderen: "In der Erkenntnis, daß( ...) das Ideal vom freien Menschen( ... ) nur verwirklicht werden kann, wenn(...)". In diesen beiden Textvarianten gibt der Erkenntnisbegriff zunächst mehr Fragen auf, als er zu beantworten im Stande ist: Wer ist das erkennende Subjekt? Sind die Vertragsstaaten überhaupt zu der Erkenntnis flihig, auf die sie sich berufen? Wie verhalten sich Subjektivität und Relativität menschlicher Erkenntnis zu dem Absolutheitsanspruch, den sich die Präambel zu eigen zu machen scheint? Sind die Idee der Menschenwürde als Quelle der Rechte und das formulierte Freiheitsideal nicht letztlich axiomatische Begriffe und daher der Erkenntnis nicht zugänglich? In welchen Prozessen und mit welchen wissenschaftlichen Methoden lassen sich die behaupteten Erkenntnisse fmden? Geht es schließlich um die Wesenserkenntnis unveräußerlicher Menschenrechte oder nicht vielmehr um ein Selbstbekenntnis der Staaten, die sich ihnen verpflichtet wissen? Ein juristischer Text ist freilich kein philosophisches Traktat, kann nicht alle Grundsatzfragen der Erkenntnistheorie in ihrer Entwicklung von Platon bis Popper verarbeiten. Die Funktionen der Erkenntnisformel als typischer Präambelbaustein sind vielmehr vor der Folie eines gemeinsprachlichen wie philosophischen Begriffsverständnisses zu erschließen. (1) Die Erkenntnisformel als verstärktes Bekenntnis

Die Erkenntnisformel korrespondiert mit menschenrechtsbezogenen Bekenntisformeln in den Präambeln oder Grundlagen-Artikeln nationalstaatlicher Verfassungstexte, die ihre klassischen Vorbilder in der Virginia Bill of Rights von 1776 und der französischen Menschenrechtserklärung von 1789 ("natürliche, unveräußerliche und geheiligte Menschenrechte") haben. 153 Es ist eine textliche Entwicklungslinie vom bloßen Bekenntnis zur gesicherten Erkenntnis feststellbar oder, anders formuliert, "a balance of rationality and passionate conviction'" 54 • So nimmt Abs. 2 der Präambel der UN-Charta noch Rekurs auf

153 Dazu P. Häber/e, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 717 f. mit zahlreichen Belegen aus neueren Verfassungen. 154 So C. M. Lawson, The Literary Force of the Preamble, Mercer Law Review 39 (1988), S. 879 ff., 886, zum Wert- und Bekenntnisgehalt der Präambel der USBundesverfassung.

100 Zweiter Teil: Erscheinungsbild, Strukturen, Funktionen von Präambeltexten

einen "Glauben an die Grundrechte des Menschen, an Würde und Wert der menschlichen Persönlichkeit", macht den Glauben - ftlr einen normativen Zusammenhang ungewöhnlich und ft1r ein am Rationalismus orientiertes empirisches Wissenschaftsideal suspekt - zur Grundlage einer Geltungstheorie. Iss Bekenntnisformeln haben dabei eine lange Tradition in der Rechtsgeschichte. Das feierliche Bekenntnis entstammt der Formensprache der großen Offenbarungsreligionen und wanderte schon in der Spätantike in die Rechtssprache • IS6 em. Die Erkenntnisformel will diese traditionellen Bekenntnisklauseln verstärken und zugleich rationalisieren. 1s7 So knüpft der Erkenntnisbegriff in der Präambel des IPbürgR an empirisch feststellbare Merkmale des Menschenwürdebegriffs, an eine empirisch feststellbare menschliche Universalnatur an. Die Subjektivität des Bekenntnisses weicht der (vermeintlichen) Objektivität der Erkenntnis. Das Bekenntnis zielt ab auf normatives Sollen, die Erkenntnis auf objektives Sein. Die Präambel des IPbürgR verankert die Menschenwürde somit als Seinsgegebenheit der realen Welt und leitet aus ihr normative Solleosgebote ab. Letztlich verbirgt sich hinter der Erkenntnisformel ein doppeltes Verständnis von Rechtswissenschaft. Sie ist normative Wissenschaft und zugleich Wirklichkeitswissenschaft. 1s8 (2) Der Wahrheitsanspruch der Erkenntnisformel Hinter der Erkenntnisformel steht ein umfassender Wahrheitsanspruch 1s9 : eine Nähe zu dem großen historischen Vorbild, der Declaration des droits de l'homme et du citoyen von 1789, ist erkennbar. Auch diese war kein bloßer Akt der Rechtssetzung im formalen Sinne, sondern eine feierliche Erklärung von Rechten. Ihre Verbindlichkeit beruhte nicht etwa auf dem gesetzgeberi155

K. Dicke, Wir, die Völker(... ), in: S. Hobe (Hrsg.), Die Präambel der UN-Charta

(...), s. 47 ff., 48 f.

156 Zum sog. "Bindungsbekenntnis" im Codex Juris Justinians (1.14.4.) vgl. D. Simon, Princeps legibus solutus, in: Gedächtnisschrift ftlr W. Kunkel, 1984, S. 449 ff., 464 f. 157 P. Häberle, Präambeln im Text und Kontext von Verfassungen, in: FS J. Broermann, 1982, S. 211 ff., 231 ff. 158 Zu diesem Stichwort vgl. A. Dehnhard, Dimensionen staatlichen Handelns, 1996, s. 50 ff. 159 So wird R. Cassin, dem Mitverfasser der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahre 1948, mit Blick auf deren universellen Anspruch der Satz zugeschrieben: "Diese Idee wird wie die Wahrheit ihren Weg in die Geschichte machen" (zit. nach K. Dicke, Ein gemeinsam zu erreichendes Ideal, FAZ vom 30. 11. 1998, S. II). Dazu auch P. Häber/e, Wahrheitsprobleme im Verfassungsstaat, 1995.

B. Begriff, Struktur, Aufbau und Präambelfunktionen

101

sehen Willen der französischen Nationalversammlung, sondern einem von der Aufklärung philosophisch vermittelten Wahrheitsanspruch. 160 In der Erkenntnisformet leben wesentliche Elemente des Vernunftrechts der frühen Neuzeit fort. Durch die menschliche Ratio sei ein objektiv vorgegebenes, universell gültiges, wahres Recht erkennbar. Die Amerikanische Unabhängigkeitserklärung mit ihrer Formulierung: "We hold these Truths to be self-evident", "Folgende Wahrheiten erachten wir als selbstverständlich", gibt ein weiteres wichtiges Textbeispiel. 161 Die Sprache der Menschenrechtserklärungen des ausgehenden 18. Jahrhunderts ist generell geprägt von einem "offensiven moralischen Universalismus" 162, der ein bewußter Angriff auf die politisch-sozialen Realitäten der zeitgenössischen europäischen Staatenwelt war und die Loslösung der amerikanischen Kolonien vom europäischen Mutterland gleichermaßen wie die Überwindung des ancien regime zu legitimieren trachtete. 163 Eine vergleichbare Stoß- bzw. Wirkrichtung ist heute festzustellen: Die Universalität der Menschenrechte gründet in einem tieferen universellen Wahrheitsanspruch, dem sich kein Mitgliedstaat in der Völkerrechtsgemeinschaft verschließen darf, der in keinem politischen System zur Disposition steht. (3) Die Idee der Rechtsaufklärung durch Kodifikation Der Erkenntnisbegriff steht, wie erläutert, in engem Zusammenhang mit dem Rechtsdenken der Aufklärung. Er zielt auch auf die Idee der Rechtsaufklärung durch Kodifikation ab. Verbindliche Rechte des einzelnen sollen aus einem in Vernunft und Natur gegründeten Zusammenhang schöpferisch entwikkelt und dann positiviert werden. 164 Die Präambel erhebt die Menschenrechtserkenntnis zur Aufgabe aller Staaten in der internationalen Gemeinschaft. Sie wird als Existenzvoraussetzung für ein modernes, aufgeklärtes Staatswesen postuliert und als Grundlage seiner Legitimität ausgewiesen. Denn der Erkenntnis der Menschenrechte darf sich auch der innerstaatliche VerfassungHofmann, Menschenrechtliche Autonomieansprtiche, JZ 1989, S. 165 ff., 166. Vgl. dazu H. Hofmann, Geschichtlichkeit und Universalitätsanspruch des Rechtsstaates, in: Der Staat 34 (1995), S. 1 ff., 13. 162 Ebd., S. 18. Klassikertext zum prägenden Einfluß der französischen Menschenrechtserklärung auf die Verfassungsentwicklung in Europa ist G. Jellinek, Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, 4. Aufl. 1927, S. 3 ff. Ebd. S. 32 zur Wirkung der verschiedenen amerikanischen Bills of Rights auf die französische Deklaration. 163 H. Hofmann, Geschichtlichkeit und Universalitätsanspruch des Rechtsstaates, in: Der Staat 34 ( 1995), S. 1 ff., 18. 164 H. Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, 2. Aufl. 1994, S. 471; aus der Perspektive der juristischen Methodenlehre L. Michael, Der allgemeine Gleichheitssatz als Methodennorm komparativer Systeme, 1997, S. 23 ff. 160 H. 161

102 Zweiter Teil: Erscheinungsbild, Strukturen, Funktionen von Präambeltexten

und Gesetzgeber nicht verschließen. Er ist angehalten, seinen Beitrag zur Rechtsaufklärung und Rechtssicherheit durch eigenständige Kodiflkationen der Menschenrechte zu leisten und in diesem Zusammenhang bereits erreichte Standards produktiv fortzuschreiben. Ein solches Verständnis fUhrt zu einem wesentlichen Entwicklungsschub ftlr Gesellschaften im Übergang, die nach einer totalitären Vergangenheit um freiheitliche und demokratische, um "menschengerechte" Neuorientierung ringen.

bb) " In der Erwägung" Die Formel "In der Erwägung" verweist auf ein deliberatives, ein planendes Element. Doch geht es auch hier im weiteren Sinne um gesichertes Wissen, das den Erwägungen der Vertragsparteien zugrunde liegt. In concreto: Die Präambel des IPbUrgR nimmt auf die UN-Charta Bezug und bezieht sich auf die Menschenrechte, die die "Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt" bilden- eine eindeutig kognitive Aussage. Eine sichere Trennlinie zwischen kognitiven, deliberativen und voluntativen Elementen, zwischen Erkennen, Vorstellen und Vornehmen, kann nicht gezogen werden. 165 Die Einleitungsformeln verbinden die "kognitiv vorgestellte" und "voluntativ vorgenommene" Verwirklichung der Präambelinhalte. Dabei sind graduelle Variationen im Sinne eines Stufenverhältnisses erkennbar. Die Erkenntnisformel steht ausdrücklich ftlr die kognitive Seite, die Erwägungsformel verknüpft objektives Erkennen und die subjektive Bewertung der Erkenntnis auf der Rechtsfolgenseite.

cc) " Im Hinblick darauf' Die Wendung "Im Hinblick darauf' ist schließlich die sprachlich schwächste Ausprägung des kognitiven Elements. Sie vermittelt eine größere Distanz als der Erkenntnisvorgang, bleibt passiver als das aktive Moment der Erwägung und mag vielleicht nur ein "Seitenthema" einleiten. Im IPbürgR wird diese stilistisch gewollte Variante einer kognitiven Formel mit Blick auf die Pflichtgebundenheit des Individuums bewußt eingesetzt. Die Menschenpflichten waren von Anfang an umstritten, ein Fremdkörper in einem Katalog subjektiver Rechte. Sie finden deshalb auch "nur" im Präambeltext, nicht in den folgenden Vertragsartikeln Erwähnung. Und auch die Präambel will nicht von einer "Erkenntnis" der Pflichtgebundenheit des Individuums sprechen, aber nichts165

1997,

Dazu A.-C. Kulow, Inhalte und Funktionen der Präambel des EG-Vertrages, Diss. s. 165 ff.

B. Begriff, Struktur, Aufbau und Präambelfunktionen

103

destoweniger seine Pflichtenstellung als schlichte Tatsache in ihr Menschenrechtsprogramm aufuehmen. Solche sprachlichen Nuancen sind für die Vertragsinterpretation von nicht zu unterschätzender Bedeutung. IV. Weitere spezifische Funktionen der Präambeln völkerrechtlicher Verträge 1. Der normative Gehalt der Präambeln

Insoweit die Völkerrechtslehre auf die theoretischen Vorleistungen der Verfassungslehre bewußt zurückgreifen darf, können für die Frage nach der Bindungswirkung völkerrechtlicher Präambeltexte die je nationalen Theoriekonzepte zur normativen Wirkung von Verfassungspräambeln als anleitendes Vorbild dienen. Aus der Fülle des denkbaren Beispielsmaterials seien zwei Aspekte aus dem US-amerikanischen und dem bundesdeutschen Verfassungsrecht herausgegriffen. Zunächst ein rechtshistorischer Blick in die amerikanische Verfassungsgeschichte: Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts schrieb im Fall Jacobson v. Massachussetts Justice Harlan: "Although that Preamble indicates the general purpose for which the people ordained and established the Constitution, it has never been regarded as the source of any substantive power conferred on the Govemment of the United States or any of its Departments." 166

Sein eher apodiktisches als methodisch wie inhaltlich gesichertes Votum verkennt aber die Entwicklungstendenzen im amerikanischen Verfassungsrecht. Schon bei der Auseinandersetzung der Federalists und der Anti-Federalists im Verfassunggebungsprozess der jungen USA war heftig umstritten, ob der Wortlaut der Präambel den Bundesgerichten Handhabe dazu verleihe, die Kompetenzen des Bundes zu Lasten der Gliedstaaten zu stärken. Unterschiedliche Meinungen wurden aber nur im Blick auf das Wie der Interpretation, nicht auf das Ob der normativen Geltungskraft vertreten. 167 Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat im Grundlagenvertragsurteil (E 36, S. I ff.) zur normativen Kraft der Verfassungspräambel (alte Fassung) Stellung genommen. Das Wiedervereinigungsgebot und das Selbstbestimmungsrecht waren im Präambeltext verankert. Das Gericht betonte nachdrücklich, daß

197 U.S. II (1905), at 22. Mit ausführlichen Quellennachweisen aus den Federalist und Anti-Federalist Papers D. Himmelfarb, The Preamble in Constitutional Interpretation, in: Seton Hall Constitutional Law Journal, Vol. 2 (1991), S. 127 ff., 135 ff. 166 167

104 Zweiter Teil: Erscheinungsbild, Strukturen, Funktionen von Präambeltexten

dem Vorspruch des Grundgesetzes nicht nur politische Bedeutung zukomme, sondern daß er auch rechtlichen Gehalt habe. 168 Die Präambel ist ein Bestandteil der Verfassung, dem Grundsatz der "Einheit der Verfassung" entsprechend im konkreten Zusammenspiel mit den übrigen Verfassungsgewährleistungen auszulegen. Der Präambeltext läßt den verantwortlichen politischen Entscheidungsträgern, den Gerichten und der Verwaltung dabei einen größeren Handlungs- und Entscheidungsspielraum als die eindeutigen Rechtsanwendungsbefehle nach dem Schema von Tatbestand und Rechtsfolge. Er verliert dadurch aber nicht seine normative Kraft. Parallele Wertungen ergeben sich filr die normative Wirkung von völkerrechtlichen Vertragspräambeln. 169 Sie sind, wie schon Art. 31 Abs. 2 WVK zeigt, ein integraler Bestandteil des jeweiligen Vertragstextes und entfalten im Rahmen ihrer spezifischen Funktionen dieselbe rechtliche Bindungswirkung wie jeder andere Vertragsbestandteil auch. 170 Entscheidend ist hier, daß die Präambel meist nur wenige operative Teile enthält, sondern die historische Ausgangslage beschreibt, Motive benennt oder auf anderwärts getroffene völkerrechtliche Regelungen verweist. Die einzelnen Präambelbestandteile haben daher eine unterschiedliche rechtliche Bindungswirkung, man kann von relativer, noch deutlicher von abgestufter Narrnativität sprechen. Das entspricht letztlich einem Verständnis, das gesamte internationale Recht selbst als ein System abgestufter Narrnativität zu begreifen- die Diskussion um die Rechtsqualität des sog. "soft law" gibt wegweisende Stichworte. 171 Im einzelnen: Die normative Kraft von Präambelklauseln entfaltet sich vor allem im Zusammenwirken mit konkreten Bestimmungen im operativen VertragsteiL Gleiches gilt dort, wo die Präambel Termini aus früheren völkerrechtlichen Verträgen nebst Regeln des Völkergewohnheitsrechts aufgreift oder die Entscheidungen internationaler Gerichte bzw. Kommissionen nebst Sondervoten rezipiert. Darüber hinaus kann die Präambel auch Prinzipien des Völkerrechts, die im Rahmen von Vertragsverhandlungen diskutiert und von den Vertragsparteien anerkannt wurden, präzisierend festschreiben. Der jeweilige Kontext zeigt, daß hier nicht nur unverbindliche politische Zusagen, sondern E 36, 1 (17). P. You, Le preambule des traites intemationaux, 1941, S. 42 ff. 170 In diesem Sinne schon G. Fitzmaurice, The Law and Procedure of the International Court of Justice 1951-4, in: The British Yearbook of International Law 33 (1957), S. 202 ff., 228; siehe auch H. Köck, Vertragsinterpretation und Vertragsrechtskonvention, 1976, S. 30; fllr die Präambel der SVN R. Wolfrum, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, 1991, Präambel Rn. 13. 171 U. Fastenrath, Relative Nonnativity in International Law, in: EJIL 4 (1993), S. 305 ff., 330: "International Law as an Order ofGraduated Nonnativity." 168

169

B. Begriff, Struktur, Aufbau und Präambelfunktionen

105

normative Aussagen getroffen werden sollen. Grundlegende Bestätigung fmdet diese Sicht einer normativen Wechselwirkung durch den Internationalen Gerichtshof im Morocco-Case: "On the eve of the Algeciras Conference the three principles mentioned above, including the principle of 'economic liberty without any inequality' were expressly accepted by France and Gerrnany in an exchange of letters ( ... ). This principle, in its application to Morocco, was thus already weH established, when it was re-affirrned by that Conference and inserted in the Preamble of the Act of 1906. Considered in the light of these circumstances, it seems clear that the ~rinciple was intended to be of a binding character and not merely an empty phrase." 2

Das ineinandergreifende Miteinander von Präambelklauseln und operativen Vertragsbestimmungen verweist auf eine weitere, typisch normative Funktion der Präambel. Auch insoweit sie selbst keine rechtsverbindlichen Aussagen trifft, sich auf Bekenntnisse, Werthaltungen oder Motive beschränkt, dient sie doch als wichtige Anleitung zur Vertragsinterpretation. 2. Die Präambel als Interpretationsanleitung

a) Beispiele aus der Rechtsprechung nationaler und internationaler Gerichte Art. 31 Nr. 2 der Wiener Vertragsrechtskonvention von 1969 bringt auf einen positiven Text, was die Judikatur nationaler und internationaler Gerichte sowie die Wissenschaft schon vorher schrittweise erarbeitet haben: die Präambel ist als Vertragsbestandteil bei der Auslegung völkerrechtlicher Verträge maßgeblich zu berUcksichtigen. 173 Auch hier ist das nationale Verfassungsrecht ein Stück weit Vorbild. Beispiele aus der langen verfassungsstaatlichen Tradition der USA dienen der Veranschaulichung. So prägt die Einleitungsformel der Verfassungspräambel "We the People" die Interpretation des Begriffs "the people", wie ihn das 4. Amendment braucht. Richtschnur ist die Verfassungsauslegung im Lichte der Präambel 174 • Gleiches gilt filr die Frage der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Gliedstaaten, zu deren Klärung die Verfas1.C.J.-Reports 1952, S. 175 ff., 184. Dazu P. You, Le preambule des traites intemationaux, 1941, S. 13 ff.; K. Münger, Bürgerliche und politische Rechte im Weltpakt der Vereinten Nationen und im schweizerischen Recht, 1973, S. 27 f.; H. Köck, Vertragsinterpretation und Vertragsrechtskonvention, 1976, S. 30; G. Schwalm, Gedanken über die Gemeinsamkeiten zwischen der juristischen und der musikalischen Interpretation, FS E. Dreher, 1977, S. 53 ff., 63; G. J H. van Hoof, Rethinking the Sources of International Law, 1983, S. 249 f. 174 United States v. Verdugo-Urquidez, 494 U.S. 259 (1990), at 265. 172

173

106 Zweiter Teil: Erscheinungsbild, Strukturen, Funktionen von Präambeltexten

sungsrechtsprechung auf die Präambel zurückgreift. 175 Die Frage, wer als Bürger der Vereinigten Staaten zu betrachten sei, spielte in der Entscheidung des Supreme Court im Fall Dred Scott v. Sanford eine entscheidende Rolle. Das tragische Mehrheitsvotum von Chief Justice Taney, das die African-Americans ausschließt und bis zur Neuorientierung in Brown v. Board of Education ein dunkles Kapitel des OS-amerikanischen Equal-Protection-Verständnisses markiert, greift ebenfalls auf die Präambel als Interpretationshilfe zurück: "The words 'people of the United States' and citizens are synonymaus terms, and mean the same thing. They both describe the political body who (...) form the sovereignty (... ). They are what we familiarly call the 'sovereign people', and every citizen is one of this people ( ... ). The question before us is, whether the class of persons described in the plea in abatement (i.e., blacks) compose a portion of this people, and are constituent members ofthis sovereignty? We think they arenot ( ... )." 176

Auch die übrigen Präambelklauseln "form a more perfect Union", "establish justice", "insure domestic tranquility", "promote generat welfare", "secure the blessings of liberty" wurden immer wieder als Interpretationsmaßstab herangezogen. 177 So schreibt beispielsweise Richter Douglas in seiner concurring opinion im Fall Roe v. Wade (Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs): "But a catalogue of these rights includes customary, traditional, and time-honored rights, amenities, privileges, and immunities that come within the sweep of ,the blessings of liberty' mentioned in the preamble to the Constitution." 178 All diese Beispielsvarianten belegen: Gerade dort, wo es um wichtige Grundsatzfragen geht, die filr die politische Gemeinschaft von existenzieller Bedeutung sind, beruft sich die interpretierende Judikatur auf die Präambel. Es sind die wegleitenden Grundsätze der "Framers", der Verfassunggeber, die der politischen Gemeinschaft ihre Identität verleihen und das Gemeinsame wie in einem Brennspiegel festhalten. 179 Dieser Grundkonsens liefert neu anstehenden Richtungsentscheidungen ihre Legitimationsbasis. Das Votum des Bundesverfassungsgerichts im Grundlagenvertragsurteil bestätigt das Bild fllr die deutsche Verfassungsrechtsprechung und filr die gesam. te Verfassungsinterpretation unter dem Grundgesetz. Die Reichweite des Wiedervereinigungsgebotes und des freien Selbstbestimmungsrechts mußten von Schon in Chisholm v. Georgia, 2 U.S. 419 (1793), at 471. Dred Scott v. Sandford, 60 U.S. 393 (1857), at 404. 117 Dazu die ausfUhrliehe Studie von D. Himmelfarb, The Preamble in Constitutional Interpretation, in: Seton Hall Constitutional Law Journal, Vol. 2 (1991 ), S. 127 ff., 160 ff. mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung des Supreme Court. 178 410U.S.,I13,at210. 179 P. Häberle, Präambeln im Text und Kontext von Verfassungen, in: FS Broermann, 1982, S. 211 ff., 245, spricht von einer "Quintessenz der Verfassung". 175

176

B. Begriff, Struktur, Aufbau und Präambelfunktionen

107

jener Warte aus geklärt werden, die ftlr den Verfassunggeber identitätsbildend war. Er hat sie seinem Verfassungswerk in der Präambel vorangestellt. 180 Von der Verfassungstheorie und -rechtsprechung zurück zu den völkerrechtlichen Verträgen. Bereits in den 30er Jahren bezog der US-Supreme Court bei der Auslegung völkerrechtlicher Verträge, die die Vereinigten Staaten abgeschlossen hatten, die Präambel als wichtigen Anhaltspunkt der Vertragsinterpretation ein. 181 In dieser Tradition steht auch die dissenting opinion der Richter Stevens, Blackmun und 0 'Conner im Fall United States v. Alvarez-Machain. Im Hinblick auf die Auslegung eines "Extradition Treaty" zwischen den USA und Mexiko heißt es dort: "The parties announced their purpose in the preamble ( ...). From the preamble, through the description of the parties' obligations, the Treaty appears to have been designed to cover the entire subject of extradition." 182

Auch der Internationale Gerichtshof erkannte früh die Rolle der Präambel, vor allem mit Bezug auf das Vertragstelos. Der bereits zitierte Morocco Case läßt daran keinen Zweifel: "The purpose and objects of this Convention were stated in its Preamble in the following words ( ...)". 183 Ein weiteres Beispiel sei genannt: Im Asylum Case diente die Präambel der Rechtfertigung ftlr eine restriktive Vertragsinterpretation. 184 Neben dem Internationalen Gerichtshof befassen sich auch regionale Entscheidungsinstanzen mit der Reichweite der Präambel bei der Vertragsinterpretation. Im Fall Go/der, einer Entscheidung aus dem Jahre 1975, betonte der EGMR: "Wie Art. 31 Abs. 2 der Wiener Konvention besagt, gehört die Präambel eines Vertrages als fester Bestandteil in seinen Zusammenhang. Außerdem ist sie gewöhnlich von großem Nutzen ft.lr die Bestimmung von Ziel und Zweck des auszulegenden Textes." 185

180 Vgl. BVerfGE 36, 1 (17 ff.); dazu P. Häberle, Präambeln im Text und Kontext von Verfassungen, in: FS Broermann, 1982, S. 211 ff., 243. 181 So im Jahre 1931 in der Entscheidung Todok et al. v. Union State Bank of Harvard, Nebraska, 281 U.S. 449, at 451; im Jahre 1933 in Cook v. United States, 288 U.S. 102, at 112. 182 504 U.S. 655, at 671. 181 I.C.J.-Reports 1952, S. 196. 184 I.C.J.-Reports 1950, S. 282. 185 EGMR EuGRZ 1975, S. 91 ff., 95 ff. Dazu siehe 1. Sinclair, The Vienna Convention on the Law of Treaties, 2. Aufl. 1984, S. 128; weitere Beispiele, u.a. auch zur Präambel der Schlußakte von Helsinki, bei G. J. H. van Hoof, Rethinking the Sources of International Law, I 983, S. 249 f.

l 08 Zweiter Teil: Erscheinungsbild, Strukturen, Funktionen von Präambeltexten

b) Der Theorierahmen Anband der ausgewählten Rechtsprechungsbeispiele kann ein allgemeiner Theorierahmen filr die Rolle der Präambel bei der Vertragsauslegung gewonnen werden. Es hat sich gezeigt, daß die Vertragspräambel eine wichtige Auslegungshilfe filr den nachfolgenden operativen Vertragstext ist. Sie benennt nicht nur Prinzipien, die der Aktualisierung und Konkretisierung bedürfen 186, sondern formuliert einen übergeordneten Sinnzusammenhang, in dessen Rahmen die Einzelverbürgungen zu stellen sind. 187 Die Auslegung einzelner Klauseln des operativen Teils des Vertrages im Lichte des Präambeltextes ist insbesondere dort geboten, wo die Sprache unbestimmt und mehrdeutig erscheint. Enthält allerdings der operative Teil rechtliche Garantien, die weiter gehen, als die restriktive Sprache der Präambel vorzugeben scheint, so kann die Präambel nicht zu einer Begrenzung dieser Rechte instrumentalisiert werden. 188 Die Präambeln als Orientierungspunkt zur Vertragsinterpretation machen auch deutlich, wie wichtig das pluralistische Nebeneinander der unterschiedlichen Auslegungsmethoden ist. Die historische Interpretation, filr die die Geschichtsbezüge in der Präambel maßgeblich sind; die grammatische Interpretation, der die differenzierte sprachliche Gestaltung der Präambel Argumentationsanstöße liefert; die teleologische Auslegung, die sich auf die in der Präambel genannten Ziele und Motive stützen kann; die systematische und die rechtsvergleichende Methode, die auf den in ~er Präambel umrissenen Kontext zurückgreifen muß. Darüber hinaus spielen bei der völkerrechtlichen Vertragsauslegung das Effektivitätsprinzip und der Souveränitätsgedanke eine entscheidende Rolle. Für Verträge in zwei oder mehr authentischen Vertragssprachen hält Art. 33 WVK eine besondere Auslegungsregel bereit. Die Präambel ordnet Themen wie Souveränität und Effektivität einander relativierend zu. Sie hilft, die filr den Vertrag grundlegenden Begriffe kulturell zu hinterfragen und so jenseits bloßer "Übersetzungsprobleme" tieferliegende Bedeutungsschichten zu erschließen. Der Rekurs auf die Präambel hält den Interpretationsprozeß me-

186 L. Waser-Huber, Die Präambeln in den schweizerischen Verfassungen, 1988, S. 154; G. J. H. van Hoof, Rethinking the Sources of International Law, 1983, S. 249 f. 187 Vgl. schon G. Fitzmaurice, The Law and Procedure ofthe International Court of Justice 1951-4, in: The British Yearbook of International Law 33 (1957), S. 202 ff., 228; C. M. Lawson, The Literary Force ofthe Preamble, Mercer Law Review 39 (1988), S. 879 ff., 880; L. Waser-Huber, Die Präambeln in den schweizerischen Verfassungen, 1988, S. 158 ff.; H. F. Köck, Vertragsinterpretation und Vertragsrechtskonvention, 1976, s. 30. 188 Vgl. G. Fitzmaurice, The Law and Procedure ofthe International Court of Justice 1951-4, in: The British Yearbook oflnternational Law 33 (1957), S. 202 ff., 229.

B. Begriff, Struktur, Aufbau und Präambelfunktionen

109

thodisch wie inhaltlich offen und bezieht die Vielfalt der an der Auslegung beteiligten Rechtskulturen ein. 189 3. Die Zeitdimension in der Präambel

a) Historisch-ideengeschichtliche BezUge in Präambeltexten Cicero hat in seiner Schrift "De oratore" ein berühmtes, vielfach zitiertes Lob auf den fünffachen Nutzen der Historie formuliert: "Historia vero testis temporum, Iux veritatis, vita memoriae, magistra vitae, nuntia vetustatis." 190 All diese Aspekte mögen eine Rolle dafür spielen, daß die bewußte Bezugnahme auf Tradition und Geschichte sich in zahlreichen Verfassungspräambeln 191 ebenso wie in grundlegenden völkerrechtlichen Kodiflkationen fmdet und so dem Bedürfnis nach historischer Vergegenwärtigung Rechnung zu tragen sucht. Dabei sind unterschiedliche Gestaltungsformen erkennbar. aa) Die Vergegenwärtigung von Vergangenem durch direkte Bezugnahmen

Die Präambel der UN-Charta nimmt mit der Formulierung "fest entschlossen, künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren, die zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat" in bewußt plakativer, drastischer Sprache Bezug auf die großen Katastrophen des 20. Jahrhunderts und distanziert sich somit von ihrer Vor-Geschichte. 192 Geschichte ist verstanden als gemeinsame kollektive Erfahrung. Nicht minder konkret geißelt die Allg. Erklärung der Menschenrechte von 1948 in ihrem Vorspruch "Akte der Barbarei ( ...), die das Gewissen der Menschheit tief verletzt haben". Auch die Europäische Menschenrechtskonvention bezieht in ihrer Präambel die historische Dimension eines "gemeinsame(n) Erbe(s)" ein. Ein weiteres Beispiele enthält die Afrikanische Charta der Menschenrechte und der 189 Interessant der Ansatz bei J. W. Jenks, The Common Law of Mankind, 1958, S. 145 ff., der vergleichend die in den unterschiedlichen Rechtskreisen anerkannten Auslegungsmethoden einander gegenüberstellt; vgl. auch A. Rest, Interpretation von Rechtsbegriffen in internationalen Verträgen, 1971, S. 6, 67. 19 Kap. 2, 36. 191 Beispiele bei P. Häberle, Präambeln im Text und Kontext von Verfassungen, in: FS J. Broermann, 1982, S. 211 ff., 233 ff. 192 Dazu E. Riede/, Wir, die Völker der Vereinten Nationen- fest entschlossen( ... ), in: S. Hohe (Hrsg.), Die Präambel der UN-Charta ( ... ), 1997, S. 34 ff., 36; zur Abgrenzung von der Vor-Geschichte allgemein G. Frankenberg, Die Verfassung der Republik, 1997, s. 83.

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110 Zweiter Teil: Erscheinungsbild, Strukturen, Funktionen von Präambeltexten

Rechte der Völker: "kraft ihrer historischen Traditionen" 193 • Schließlich kennen viele nationale Verfassungsprämbeln eine negativ-polemische oder positive Anknüpfung an ihre eigene oder die Welt-Geschichte. 194 bb) Die Auseinandersetzung mit der Geschichte durch indirekte Bezugnahme

Demgegenüber enthält die Präambel des IPbürgR keinen vergleichbar ausdrücklichen Passus zur Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Das hat seinen Grund möglicherweise darin, daß es an einer gemeinsamen, die Kulturkreise übergreifenden historischen Menschheitserfahrung fehlt, daß eine einmütige Berufung auf eine Universalgeschichte der Menschenrechte unmöglich war 195 • Dennoch fehlen ihr Zeitdimension und Geschichtsbewußtsein nicht. Zum einen wird auf die Charta der Vereinten Nationen und die Allg. Erklärung der Menschenrechte und damit implizit auch auf deren Geschichtsbezug verwiesen. Zum anderen sind Begriffe wie z.B. Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden zutiefst historisch geprägt, nicht nur weil sie ideengeschichtlich auf Klassiker von Aristoteles bis /. Kant oder J. Bentham zurückzufUhren sind, sondern vor allem auch, weil sie nur in einer konkreten geschichtlichen Wirklichkeit die Grundlagen einer internationalen Rechtsgemeinschaft bilden und diese so ein Stück weit "verfassen" können. Ein weiterer Präambelabschnitt sei als Beispiel angefilhrt: das "Ideal vom freien Menschen, der ( ...) frei von Furcht und Not lebt", ist auf die Rede von den "Vier Freiheiten" des amerikanischen Präsidenten Frank/in D. Roosevelt zurückzufUhren und als unzweideutiges Gegenbild zur historischen Realität von Krieg und menschenverachtendem Totalitarismus zu begreifen. Auf diese eher indirekte, vielleicht subtilere Weise setzt die Präambel des IPbürgR den geltenden Konventionstext in Bezug zur Vergangenheit und Zukunft der Völkerrechtsgemeinschaft als solcher, nimmt die Geschichte gleichermaßen wie zukunftsorientierte Erwartungen, Ideale oder gar Utopien in den Blick und ringt damit um Legitimation des Kodifikationswerkes im Spannungsfeld zwischen Erfahrung und Erwartung. 196 Dieser Einordnung liegt ein 193 Banjul Charta der Menschenrechte und der Rechte der Völker vom 27. Juni 1981, abgedruckt in: B. Simma!U. Fastenrath (Hrsg.), Menschenrechte- ihr internationaler Schutz, 3. Aufl. 1992, S. 557 ff. 194 Nachweise dazu bei P. Häberle, Präambeln im Text und Kontext von Verfassungen, in: Rechtsvergleichung ( ...), S. 233 ff. 195 Dazu J. Rüsen, Theorieprobleme einer vergleichenden Universalgeschichte der Menschenrechte, in: FS fllr H.-U. Wehler, 1991, S. 58 ff., 58 f. 196 Von einer "Kluft von Erfahrung und Erwartung" im modernen Geschichtsverständnis, das die Dimensionen des "Ehemaligen" wie des "Künftigen" einschließt,

B. Begriff, Struktur, Aufbau und Präambelfunktionen

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modernes Geschichtsverständnis zugrunde, dessen Wurzeln gleichermaßen bis auf das eingangs erwähnte Cicero-Zitat wie auf die rationalistische Tradition der Aufklärung zurückgehen. Zunächst geht es nicht um die wirklichkeitsgetreue Abbildung des tatsächlich Gewesenen 197, sondern um den Wirkungszusammenhang der ihm zugrunde liegenden Ideen. W v. Humboldt hat schon 1821 die klassische Formel geprägt: "Das Ziel der Geschichte kann nur die Verwirklichung der durch die Menschheit darzustellenden Idee sein ( ...)". 198 Ein solcher säkularer, reflexiver Geschichtsbegriff sucht künftige soziale, politische und rechtliche Entwicklungen mit dem Erfahrungswissen der Vergangenheit zu erklären, zu begründen und letztlich zu legitimieren, sei es durch die bewußte Abgrenzung, den Bruch mit dem Gewesenen einerseits, sei es durch die ebenso zielgerichtete Anknüpfung an die Tradition als Quelle von Legitimität andererseits. 199 Entscheidend ist darüber hinaus aber auch das spezifische spricht R. Kose/leck, Art.: Geschichte, Historie, in: 0 . Brunner/W. Conze!R. KoseHeck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 2, 1979, S. 593 ff., 702. Zu dieser "Brückenfunktion in der Zeit" bezogen auf Verfassungspräambeln P. Häberle, Präambeln im Text und Kontext von Verfassungen, in: ders., Rechtsvergleichung im Kraftfeld des Verfassungsstaates, S. 176 ff., 196; ihm folgend L. Waser-Huber, Die Präambeln in den schweizerischen Verfassungen, 1988, S. 150. S. dazu auch das Geschichtsverständnis bei J.J.M van der Ven, Grundrechte und Geschichtlichkeit, 1960, S. 9 f.: "Geschichte ist dann noch mehr als ein Selbstbewußtsein, sie ist auch ein Selbstverständnis. Das je Geschehende soll, auch auf das Geschehene und das zu Geschehende hin, sich selbst verstehen." S. auch ebd. S. 12: "( ... )daß auch das Recht immer zugleich lebendige Vergangenheit, konkrete Gegenwart und zu-entwerfende Zukunft darbietet( ... )". 197 Mancher Präambeltext hält einer kritisch-historischen Überprüfung nicht in allen Punkten stand, vgl. dazu P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, s. 930. 198 Über die Aufgabe des Geschichtsschreibers, Leipzig 1946, S. 21. Vgl. auch ders., Betrachtungen über die Weltgeschichte (1814), in: Gesammelte Schriften, Bd. III, Berlin 1904, S. 350 ff., 353: "Der Geist, der diese (die körperliche Natur, Anm. des Verf.) beherrscht, überlebt den Einzelnen, und so ist das Wichtigste in der Weltgeschichte die Beobachtung dieses sich forttragenden, anders gestaltenden, aber auch selbst manchmal wieder untergehenden Geistes." 199 Zum reflexiven Geschichtsbegriff siehe R. Kose/leck, Art. Geschichte, Historie, in: Geschichtliche Grundbegriffe( ...), S. 691ff.; R. Bäum/in, Staat, Recht und Geschichte, 1961, S. 8; zum Traditionsbegriff vgl. A. Blankenagel, Tradition und Verfassung, 1987, S. 333 ff. Dieses Geschichtsverständnis baut zugleich auf einem Dualismus von philosophisch konzipierter (oder rekonstruierter) und empirisch aufgefaßter Geschichte auf, vgl. E. Stöve, Zeitliche Differenzierung und Geschichtsbewußtsein in der neuzeitlichen Historiographie, in: E. Rudolph!E. Stöve (Hrsg.), Geschichtsbewußtsein und Rationalität, 1982, S. II ff., 33. Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang auch der bei V. Anacker!H. M. Baumgartner, Art. Geschichte, in: H. Krings u.a (Hrsg.), Handbuch philosophischer Grundbegriffe, Bd. 2, 1973, S. 547 ff., 547, zu findende Hinweis, daß das Adjektiv "geschichtlich" oft auch im Sinne von "bedingt", "legitim", "objektiv" oder "verbindlich" gebraucht wird.

9 Kotzur

112 Zweiter Teil: Erscheinungsbild, Strukturen, Funktionen von Präambeltexten

Bewußtsein um die geschichtliche Bedingtheit des Rechts, um seine Zeitlichkeit und Geschichtlichkeit.200 Die Geschichtlichkeit mit ihrer Anknüpfung an die erlebte Wirklichkeit erteilt allen transzendentalen Gründungsmythen der Staats- bzw. Rechtsordnung eine Absage201 und rückt demgegenüber den Menschen als aktiv-gestaltendes Subjeke02 wie passiv-erleidendes Objekt der Geschichte ins Blickfeld203 : den Menschen als autonomes sittliches Individuum, zugleich aber auch als zoon politikon, animal sociale und damit Gemeinschaftswesen. Die Geschichtlichkeit des Rechts setzt dessen Gesellschaftsbezug voraus und enthält zudem auch das dynamische Element der Wandelbarkeit und Veränderbarkeit, also der Unvollkommenheit des jeweils bestehenden Rechtssystems.204 So verstanden ist Recht wie alle staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen ein in kulturellen Entwicklungsprozessen geschaffenes, empirisch rekonstruierbares und gerade nicht metaphysisch begründetes Ordnungsschema. Es ist weder die Emanation eines göttlichen Heilsplans noch eines vorgegebenen Schicksals, aber auch nicht naturgesetzliche Notwendigkeit

200 Dazu A. Kaufmann, Naturrecht und Geschichtlichkeit, in: Recht und Staat 197 (1957), S. 1 ff., insbes. S. 8, S. 30; G. Husserl, Recht und Zeit, 1955, S. II; R. Bäum/in, Staat, Recht und Geschichte, 1961, S. 16 ff. Zur Geschichtlichkeil als wesentlichem Element der spezifisch europäischen Rechtskultur vgl. P. Häberle, Europäische Rechtskultur, 1994, S. 21.; ders., Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 93 ff., zu "Zeit und Verfassungskultur". Zur Geschichtlichkeil des Staates K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1995 (Neudruck 1999), Rn. 9; P. Perntha/er, Allgemeine Staatslehre und Verfassungslehre, 2. Aufl. 1996, S. I; vgl. auch W. Henke, Recht und Staat 1988, S. 418 ff. (zum "Aufbau des Rechts aus der Geschichte"). A. A. mit Blick auf die Verfassung W. Leisner, Antigeschichtlichkeit des Öffentlichen Rechts?, in: Der Staat 7 (1968), S. 137 ff., insbes. S. 147 ("unhistorische Ordnung"), S. 152 (",überzeitliche' Instrumente") und passim. 201 In diesem Sinne ist der Mythos nicht nur Gegenbegriff zum Logos, sondern auch zur Historizität. 202 G. Franlrenberg, Die Verfassung der Republik, 1997, S. 58, spricht von der durch die Säkularisation bedingten "Zumutung" der Selbstgestaltung. Zum säkularen Staat vgl. auch J. /sensee, Die alte Frage nach der Rechtfertigung des Staates, JZ 1999, s. 265 ff., 269. 203 S. J.J.M van der Ven, Grundrechte und Geschichtlichkeit, 1960, S. 10 f. Die "entwicklungsgeschichtliche Dimension" betont P. Häber/e, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S 152 ff. 204 Zu diesem Begriff der Geschichtlichkeil J. Llompart, Die Geschichtlichkeit der Rechtsprinzipien, 1976, S. l f.; R. Bäum/in, Recht, Staat und Geschichte, 1961, S. 15 ff. Programmatisch insoweit auch der Titel von F. Ermacoras grundlegender Arbeit "Menschenrechte in der sich wandelnden Welt" (Hervorhebung durch den Verfasser), Bd. l, 1974.

B. Begriff, Struktur, Aufbau und Präambelfunktionen

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im Sinne einer "reinen" Evolutionstheorie.205 Es ist vielmehr ein Stück der vom Menschen gestalteten Wirklichkeit. Der Geschichtsbezug der Präambel ist also mehr als bloße historische Vergegenwärtigung, so wichtig diese als Legitimationsbasis und fllr die Frage der Akzeptanz durch die Unterzeichnerstaaten bleibt. 206 Er steht vielmehr ftlr das Menschenrechtsverständnis des Paktes selbst. Wenngleich die "allen Mitgliedern der menschlichen Gemeinschaft innewohnende Würde" erster und zugleich letzter überzeitlicher, ja ahistorischer Grund unveräußerlicher, angeborener, vorstaatlicher, dem Menschen nur aufgrund seines Menschseins zukommender Rechte ist, leugnet diese Wurzel ewiger, natürlicher Menschenrechte deren Geschichtlichkeit nur scheinbar. 207 Denn die Konkretisierung der Rechte in Verfassungs- und Völkerrechtstexten ist gebunden an die historische Wirklichkeit der jeweiligen Kodiftkationsepoche. So hat die heutige, moderne Idee von den Menschenrechten vielfliltige, oft inkohärente historische Wurzeln. Ihre konkreten Ausformungen vom Zeitalter der Aufklärung bis in die Gegenwart lassen sich nicht einheitlich defmieren, sondern sind geprägt von den divergierenden gesellschaftlich-politischen Herausforderungen und den jeweils damit verbundenen Gefll.hrdungen des menschlichen Individuums, sie sind "geschichtliche Antworten auf exemplarische Unrechtserfahrungen". 208 Die Menschenrechte, die in bewußter Gegenreaktion zu jeder Form des Totalitarismus von rechts oder links in den internationalen Pakten der Vereinten Nationen kodifiziert wurden, können nur als geschichtlich gewordene, als Ergebnisse eines historischen Entwicklungsprozesses verstanden werden, in dem die Erfahrungen der Vergangenheit gespeichert und Zukunftsentwürfe schon mitan-

205 U. Anacker/H. M. Baumgartner, Art. Geschichte, in: H. Krings u.a. (Hrsg.), Handbuch philosophischer Grundbegriffe, Bd. 2, 1973, S. 547 ff., 549; G. Frankenberg, Die Verfassung der Republik, 1997, S. 59. 206 Wichtiges legitimierendes Element ist auch die Idee der Dauerhaftigkeit und Unverbrüchlichkeit des Rechts, die historische Bezüge vermitteln können, vgl. dazu R. Bäum/in, Staat, Recht und Geschichte, 1961, S. 9. 207 G. Haverkate, Gewißheitsverluste im juristischen Denken, 1977, S. 197 ff. (zur Übergeschichtlichkeit der Rechtssubstanz), S. 223 ff.; G. Stella, Die utopische "Uchronie" der Menschenrechte, in: FS G. Winkler, 1997, S. 1123 ff., 1130. 208 So W. Brugger, Stufen der Begründung von Menschenrechten, in: Der Staat 31 (1992), S. 19 ff., 21; G. Luf, Kant und die Menschenrechte, in: FS G. Winkler, 1997, S. 597 ff., 612; siehe auch G. Oestreich, Geschichte der Menschenrechte und Grundfreiheiten im Umriß, 2. Aufl. 1978, S. 11; ders., Die Idee der Menschenrechte in ihrer geschichtlichen Entwicklung, 1974, S. 7 f. ; F. Ermacora, Menschenrechte in der sich wandelnden Welt, Bd. 1, 1974, S. 27; H. Floretta/Th. Ohlinger, Die Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen, 1978, S. 24. Kritisch zu einem historischen Menschenrechtsverständnis aber H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 1966, S. 533.

9•

114 Zweiter Teil: Erscheinungsbild, Strukturen, Funktionen von Präambeltexten

gelegt sind. 209 Ihre schriftliche Fixierung ist somit selbst geschichtliches Ereignis weniger im Sinne historischer Einmaligkeit als vielmehr einer Brücke zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft? 10 Das heißt aber auch, daß die Idee universeller, in der WUrde der Person gründender Menschenrechte vor dem Hintergrund tiefgreifender kultureller Divergenzen der einzelnen Nationalstaaten mit ihrer jeweils eigenen Geschichte und ihren eigenen Gesellschaftsentwürfen um immer neue globale Akzeptanz ringen muß. Die historische Selbstvergewisserung in den Präambeln der universellen Menschenrechtspakte kann nicht auf eine religiös, politisch und kulturell einheitliche, geschlossene Lebenswelt zurückgreifen, sondern ist vielmehr selbst Spiegel der Pluralität höchst unterschiedlicher geschichtlicher Erfahrungen. b) Die Präambel als Zukunftsentwurf Neben der retrospektiven Anknüpfung an Vergangenes richtet die Präambel des IPbürgR ihren Blick auch in die Zukunft. Dabei ist fUr den Pakt als solchen zunächst selbstverständlich, was fUr die meisten Gesetzeswerke und völkervertraglichen Übereinkünfte gilt. Der Gesetzgeber respektive die vertragschließenden Parteien wollen durch ihr Regelungswerk die Zukunft, die sie in ihrem Entwurf gedanklich antizipieren, rational planen und gestalten, so einen neuen und besseren Ordnungsrahmen vorgeben, ohne sich in Spekulationen über eine rein imaginäre, utopische neue Weltordnung zu verlieren.211 Daß der IPbürgR in diesem Sinne "Zukunfts-Entwurf'212 ist, wird vor allem in folgenden Text-

209 Vgl. dazu P.B. C/iteur, What Developments Can We Expect in the Field of Human Rights for the Coming Decades?, in: Rechtstheorie 27 (1996), S. 177 ff., 177; R. McCorquodale/R. Fairbrother, Globalization and Human Rights, in: Human Rights Quarterly 21 ( 1999), S. 735 ff., 740 f. 210 S. J.J.M. van der Ven, Grundrechte und Geschichtlichkeit, 1960, S. 12: "(...),daß auch das Recht immer zugleich lebendige Vergangenheit, konkrete Gegenwart und zuentwerfende Zukunft darbietet, aus dieser ,Dreieinheit' des Geschichtlichen seinen Sinn bekommt und infolgedessen nur daraus zu verstehen ist." Ebda. S. 17: "Auch das Recht ist beides in einem: ,actus historicus', Resultat gewisser geschichtlicher Prozesse, und ,agens historicus', selbst zutiefst auf geschichtliches Vorgehen einwirkend." Vgl. auch ebd. S. 19. 211 G. Husserl, Recht und Zeit, 1955, S. 55 f. 212 Zum Begriff siehe P. Häberle, Präambeln im Text und Kontext von Verfassungen, in: ders., Rechtsvergleichung im Kraftfeld des Verfassungsstaates, 1992, S. 176 ff., 197. R. Bäum/in, Recht, Staat und Geschichte, 1961, S. 34, spricht von "Verhaltensentwürfe(n)", die Präambeln enthalten. Zur zukunftsgerichteten, programmatischen Funktion am Beispiel der Präambel der UN-Charta siehe K. U. Meyn, Funktion und Bedeutung der Präambel der UN-Charta: Programm des Friedens und der Rechtsordnung, in: S. Hobe (Hrsg.), Die Präambel der UN-Charta ( ... ), 1997, S. 25 ff., 29 und passim; zum

B. Begriff, Struktur, Aufbau und Präambelfunktionen

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passagen seiner Präambel greifbar: Schon die Einleitungsformel "Die Vertragsstaaten dieses Paktes, in der Erwägung (Hervorhebung durch den Verf.) ( ... )" steht ftlr ein deliberatives und planendes Moment, soll die "Erwägung" nicht ohne jede praktische Konsequenz bleiben. Noch sehr viel deutlicher sind die Formulierungen: "das Ideal vom freien Menschen", das nur realisierbar ist, "wenn Verhältnisse geschaffen werden, in denen jeder seine(... ) Rechte genießen kann." Hier werden zwei für Verfassungs- und Vertragsvorsprüche typische Kategorien der Zukunftsorientierung sichtbar. Mit einem Idealbild verbindet sich nicht nur ein ethischer Anspruch, dahinter stehen auch Hoffnungen, Wünsche und Utopien. 213 Das Ideal tritt in ein Spannungsverhältnis zur als defizitär empfundenen Gegenwart, gibt ihr die Maßstäbe einer guten Ordnung vor214, bleibt aber auch in Zukunft unerreichbar und eher abstrakter Orientierungswert215 als von gleich welcher rechtssetzenden Autorität auch immer einlösbares Versprechen. Demgegenüber enthält der Passus "wenn Verhältnisse geschaffen werden" einen konkreten, an die Unterzeichnerstaaten gerichteten Imperativ, der Ziel und Maßstab ihres politischen Handeins und Rahmen ihrer Rechtsordnung sein soll. Er hat somit programmatischen, staatszielbestimmenden Gehalt. Gleiches gilt ftlr die zukunftsgewandte Verpflichtungsklausel, "die allgemeine und wirksame Achtung der Rechte und Freiheiten des Menschen zu fOrdern". Auch das ist ein bereits in der UN-Charta (Art. I Nr. 3) jeder einzelnen Signatarmacht vor- bzw. aufgegebenes Programm und Ziel, das ftlr den innerstaatlichen Bereich genauso wie ftlr die internationale Kooperation Geltung beansprucht und nicht etwa durch die bloße Kodifikation der Menschenrechtsgarantien schon erftlllt wäre. Weder den utopisch-idealistischen noch konkret-programmatischen Zukunftsbezügen kommt dabei unmittelbare normative Verbindlichkeit zu. Ideale, Orientierungsmaßstäbe oder Programmentwürfe formulieren keine einklagbaZukunftsprogramm der Präambel des EG-Vertrages vgl. A.-C. Kulow, Inhalte und Funktionen der Präambel des EG-Vertrages, 1997, S. !57 ff. 213 Grundlegend K. Mannheim, Ideologie und Utopie, 5. Aufl., 1969, S. 49 ff., 169 ff.; zum "kritisch-programmatischen" Gehalt von Utopien siehe W Gast, Gesetz und Justiz in den Utopien, 1988, S. 27.; J. Boyle, Idealsand Things: International Legal Schotarship and the Prison-house of Language, Harvard Intl. Law Journal 1985 (vol. 26), S. 327 ff., S. 350, spricht von ",utopian aspiration' (of international legal scholarship, Anm. des Verf.)- the implicit political, moral, and epistemological goals that seem to motivate each project." Vgl. auch E. Klein, Universeller Menschenrechtsschutz - Realität oder Utopie, in: EuGRZ 1999, S. 109 ff., 109. 214 H. Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, 2. Aufl. 1994, S. 341.; M Huber, Die soziologischen Grundlagen des Völkerrechts, 1928, S. 95. 215 Zum Begriff: P. Häberle, Erziehungsziele und Orientierungswerte im Verfassungsstaat, 1981, S. 87 ff.; ders., Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, s. 771 ff.

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ren Rechte, sind aber nichtsdestoweniger zentrale Vorbedingungen filr die Durchsetzbarkeit internationaler Menschenrechtsgarantien. Dafilr lassen sich folgende Gründe anftlhren. Wünsche und Hoffnungen, Utopien und Zukunftsvisionen sind wichtige Konsensquellen216 bei der Suche nach ethischen Standards, die die Wertvorstellungen der internationalen Gemeinschaft reflektieren. Der komplexe rechtliche und politische Prozeß, in dem Menschenrechtsverbürgungen entstehen, lebt auch von visionären Elementen.217 Gerade die Präambel soll nicht nur die erlebte Wirklichkeit beschreiben, sondern wegweisend in die Zukunft wirken und das Innovationspotential von Idealen und Utopien filr den rationalen wissenschaftlichen Diskurs und sogar filr die konkrete Rechtsanwendung nutzbar machen. Deshalb darf sie sich dabei nicht im rein Spekulativen verlieren und muß von der hohen Abstraktionsebene des WerthaltigVisionären pragmatische Konsequenzen filr die politische Zukunftsgestaltung und deren rechtliche Rahmenbedingungen ziehen.218 Diesen Weg geht die Präambel des IPbürgR, indem sie betont, daß "das Ideal vom freien Menschen, ( ...), nur verwirklicht werden kann, wenn Verhältnisse geschaffen werden, (...)". Der letzte Passus ist die Brücke hin zu konkreteren Realisationsbedingungen effektiven Menschenrechtsschutzes. Gleiches gilt filr die oben angesprochene Verpflichtung, die "Rechte und Freiheiten des Menschen zu fördern". Wenngleich die Präambel auch hier offen bleibt und kein detailliertes Programm vorgibt, deuten sich aus dem Kontext allgemeiner Völkerrechtspolitik und -entwicklung manche Stichworte an: von der Schaffung sozialer Grundbedingungen durch Entwicklungshilfe über die Erziehung zu den Men216 P. Häberle, Rechtsvergleichung im Kraftfeld des Verfassungsstaates, 1992, S. 675, bezeichnet fllr den Verfassungsstaat das "Emotinale neben dem Rationalen" als unverzichtbare "Konsensquelle" und verweist auf die zentrale Rolle "konkreter Utopien" und deren Verwirklichungschancen. Vgl. ders., Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. I 998, S. 5 I 8 tT. Von "utopischem Bewußtsein" spricht schließlich schon K. Mannheim, Ideologie und Utopie, 5. Aufl., 1969, S. 169 tT. 217 Vgl. A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, 1995, S. 82. S. dazu auch M.N. Shaw, International Law, 4th ed., 1997, S. 197 f., mit Hinweisen auf das "policy-oriented" movement McDougals (S. 198 Fn. 12); J. Boy/e, Ideals and Things: International Legal Schotarship and the Prison-house of Language, in: Harvard Intl. Law Journal 1985 (vol. 26), S. 327 tT., 349 f.; W. Gast, Gesetz und Justiz in den Utopien, 1988, S. 6, bezeichnet die Utopie als eine "Geisteshaltung und wohl auch ein menschliches Bedürfnis ( ...). Gemeint ist damit das Entwerfen besserer gesellschaftlicher Zustände als der jeweils erfahrbaren, wobei die Entwürfe etwas Realmögliches, Erreichbares im Sinn haben(... )". Verwiesen sei auch auf die große Tradition utopischer Staatsromane, beginnend mit Thomas Morus "Utopia". S. auch H.-U. Weh/er, Die humane Utopie des Westens, Die Zeit Nr. 39 vom 17. September 1998, S. 21. 218 So auch A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, 1995, S. 82: "Im Ziel muß die Völkerrechtspolitik idealistisch-utopisch sein, bei der Bestimmung der hierfllr zu verwendenden Mittel muß sie mit Bismarcks Worten Realpolitik treiben."

B. Begriff, Struktur, Aufbau und Präambelfunktionen

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sehenrechten bis hin zu einer effektiven internationalen Gerichtsbarkeit. Die Sorge ftlr zukünftige Generationen ist davon mitumfaßt. Das heißt aber auch, daß die Präambel des IPbürgR die Zukunft des internationalen Menschenrechtsschutzes in Bezug zur Entwicklung des Völkerrechts insgesamt setzt. Sollen die oben beschriebenen Verhältnisse geschaffen und die Menschenrechte gefördert werden, ist der internationalen Staatenwelt eine gemeinsame Verantwortung übertragen, die nicht mehr durch bloße Koexistenz unumschränkt souveräner Staaten bewältigt werden kann. Das domaine reserve ausschließlich staatlicher Zuständigkeit verliert an Bedeutung, da viele der klassischen wie neuen Staatsaufgaben219 nicht mehr von den Nationalstaaten allein erftlllt werden können, sondern angesichts politischer und wirtschaftlicher Interdependenzen220 bzw. Interessenverflechtungen zu Gemeinschaftsaufgaben von Nationalstaat und Staatengemeinschaft werden. Streng voneinander abgegrenzte Kompetenz- und Rechtssphären verschwimmen. 221 Die Zukunftsperspektiven des internationalen Menschenrechtsschutzes dürfen deshalb nicht isoliert betrachtet, sondern können nur in diesem übergeordneten Zusammenhang einer globalen inner- wie überstaatlichen Verantwortung entwickelt werden.222 Während die Hauptteile des IPbürgR ihrem Wortlaut nach die Menschenrechte vorwiegend als Schranken und Grenzen staatlichen Handeins im Sinne des status-negativus-Denkens definieren 223 , geht die Präambel zukunftsweisend über diese Grenzen hinaus. Sie bietet einen textlichen Anhaltspunkt daftlr, die Menschenrechte umfassender als Ziele der Völkerrechtsordnung zu betrachten, und fordert damit implizit eine Neuorientierung des zu stark in

219 Zu den zentralen Themen gehören vor allem die innere und äußere Sicherheit einschließlich der Mechanismen zur Friedenssicherung, die Wirtschaft, die Kultur, der Natur-und Umweltschutz, der Gesundheitsschutz, die Sicherung der Lebensbedingungen in der Generationenperspektive etc., siehe dazu P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 834 f. Zudem besteht ein enger thematischer Zusammenhang von Staatsaufgaben-und Grundrechtskatalogen, vgl. ebd. S. 833. 22 Ch. Tomuschat, Der Verfassungsstaat im Geflecht der internationalen Beziehungen, in: VVDStRL 36 (1978), S. 7 ff., 16, stellt die Formel "Interdependenz als rechtlicher Normalzustand" bewußt gegen C. Schmitts Formel vom "Ausnahmezustand". 221 L. Wildhaber, Entstehung und Aktualität der Souveränität, in: FS K. Eichenberger, 1982, S. 131 ff.; A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, 1995, s. 226 f., s. 965. 222 So schon Th. van Boven, Menschenrechte: Möglichkeiten und Grenzen der Vereinten Nationen, in: VN 1979, S. 95 ff., 95. 223 A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, 1995, S. 82, der dabei aber die in den Präambeln enthaltenen weiterfUhrenden Aspekte nicht berücksichtigt.

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118 Zweiter Teil: Erscheinungsbild, Strukturen, Funktionen von Präambeltexten

überkommenem Souveränitätsdenken224 verhafteten internationalen Rechts. Die Völkerrechtsordnung muß wie jede Rechtsordnung vom Menschen ausgehen und den Staat, so wichtig er als Garant von Bürgerrechten225 , als Rechts-, Leistungs-, Wohlfahrts- und auch Ordnungsstaat bleibt, instrumental auf den Menschen hin denken. Das in der Präambel des IPbürgR entfaltete völkerrechtliche Menschenrechtsprogramm ist dafilr wegweisend.

224 Es geht nicht darum, das in der UN-Charta verankerte Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten völlig in Frage zu stellen, es muß vielmehr auch auf den Menschen hin verstanden und interpretiert werden. 225 H.-P. Schneider, 50 Jahre Grundgesetz, NJW 1999, S. 1497 ff., 1499; E. Denninger, Die Wirksamkeit der Menschenrechte in der deutschen Verfassungsrechtsprechung, JZ 1998, S. 1129 ff., ll29; H. Hofmann, Geschichtlichkeit und Universalitätsanspruch des Rechtsstaates, in: Der Staat 34 (1995), S. l ff., 30; W. Schreckenberger, Der moderne Verfassungstaat und die Idee der Weltgemeinschaft, in: Der Staat 34 (1995), S. 503 ff., 509; W. Brugger, Menschenrechte im modernen Staat, in: AöR 114 (1989), S. 537 ff., 537 f.; vgl. schließlich auch P. Saladin, Wozu noch Staaten?, 1995, S. 164 ff.

Dritter Teil

Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbürgR Die Präambel des IPbürgR zeigt das Panorama des internationalen Menschenrechtsschutzes in seiner gesamten Bandbreite: von den philosophischen Grundlagen bis hin zu den Voraussetzungen effektiver Norrnverwirklichung. Eine solche Gesamtschau ist fUr die Theoriebildung inspirierende Hilfestellung, denn sie berücksichtigt die einzelnen Themen und Leitideen von vornherein in ihrem kontextgebundenen Zusammenspiel. Die Präambelanalyse kann daher leisten, was filr die Dogmatik der Einzelrechte grundierender Theorierahmen bleibt. Sie macht deutlich, daß keines der tragenden Prinzipien zum Schutz der Menschenrechte ftir sich alleine steht und absoluten Geltungsanspruch erheben kann, sondern durch teils korrespondierende, teils gegenläufige Prinzipien relativiert wird. 1 So wie die allgemeinen Grundrechtslehren im nationalen Recht sich der konfligierenden Schutzinteressen und der Notwendigkeit ihres Ausgleichs bewußt sein müssen, bauen auch die allgemeinen Menschenrechtslehren auf dem Gedanken der Abwägung auf. Darüber hinaus besteht eine Wechselwirkung zwischen den allgemeinen Menschenrechtslehren und der allgemeinen Völkerrechtslehre, klar sichtbar am Beispiel der staatlichen Souveränität. Die Garantie universeller Menschenrechte fordert eine Neuformulierung der klassischen Souveränitätslehre seit J. Bodin, zugleich bleibt aber das Souveränitätsdenken mitbestimmend für die Defmition ebenso wie die effektive Umsetzung internationaler Menschenrechtsgarantien. Auch solche Bedingungzusammenhänge lassen sich aus dem Präambeltext ablesen. Im folgenden soll das Menschenrechtsprogramm der Präambel unter Berücksichtigung dieser vielgestaltigen und spannungsreichen Abhängigkeiten inhaltlich aufgeschlüsselt werden. Dabei ist mit der gleichsam "konstitutiven" Prämisse zu beginnen. Wenn es heißt: "Die Vertragsstaaten

1 Dazu W A. Parent, Constitutional Demands of Human Dignity, in: Canadian Journal of Law and Jurisprudence, 1992, S. 237 ff., 239 ("integrated conceptual scheme"). Bezogen auf die Präambel der amerikanischen Bundesverfassung verwendet P. W Rodino, Living with the Preamble, in: Rutgers Law Review 42 (1990), S. 685 ff., 687, die plastische Umschreibung: "multiple, overlapping goals inherent in a free society".

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Dritter Teil: Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbUrgR

dieses Paktes ( ... ) vereinbaren (Hervorhebung durch den Verf.)", so verweist die Formulierung auf die Idee des Menschenrechtsschutzes durch Vertrag.

A. Das Vertragsparadigma I. Die kulturelle Dimension des Vertragsgedankens Das gesamte moderne Völkerrecht als selbständige wissenschaftliche Disziplin gründet letztlich auf dem "Geburtsparadigma" des ,.pacta sunt servanda"2. Die Literatur hat immer wieder die kontraktualistische Konzeption und den genossenschaftlichen Charakter des Völkerrechts hervorgehoben3 und aufgezeigt, welch konstitutive Rolle das Leitbild souveräner Staaten als idealiter - in ihrer Entscheidung freier, gleichgeordneter und gleichberechtigter Vertragsparteien fi1r die Konsensbildung in der Völkergemeinschaft spielt. Verträge sind von daher die "eindeutigste" der allgemein anerkannten Quellen des Völkerrechts4 , seine "Hauptrechtsquelle", ohne daß mit dieser Formulierung ein hierarchisches Rangverhältnis der Rechtsquellen zueinander impliziert wäre. 5 Wichtige, exemplarisch herausgegriffene Textbelege aus völkerrechtlichen Vertragstexten selbst bestätigen diesen Befund. An so hervorgehobener Stelle wie der Präambel der UN-Charta wird die Bedeutung und selbständige Rolle der völkerrechtlichen Verträge mit Nachdruck betont: "Obligations arising from treaties and other sources of international law", "Verpflichtungen aus Verträgen und anderen Quellen des Völkerrechts." 2 P. Häberle, Der Verfassungsstaat in entwicklungsgeschichtlicher Perspektive, in: FS filr K. Stern, 1997, S. 143 ff., 153; vgl. auch Ch. Hillgruber, Der Vertrag als Rechtsquelle, in: ARSP 85 (1999), S. 348 ff., 352 ff. 3 Dazu F. Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, 2. Aufl., 1975, S. 16 ff.; A. Randelzhofer, Staatsgewalt und Souveränität, in: HdBStR, Bd. I, 1995, § 15, Rn. 27; M Hebeisen, Souveränität in Frage gestellt, 1995, S. 466; Ch. Hillgruber, Der Vertrag als Rechtsquelle, in: ARSP 85 (1999), S. 348 ff., 352. 4 0. Schachter, International Law in Theory and Practice, 1991, S. 35; vgl. auch A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. 1984, S. 335; R. Higgins, Problems and Process, 1994, S. 103; G. J. H. van Hoof, Rethinking the Sources oflnternational Law, 1983, S. 117 ff. 5 Die Völkerrechtslehre geht überwiegend vom "Grundsatz der Gleichrangigkeit" der in Art. 38 Abs. 1 Iit. a-c lOH-Statutgenannten Völkerrechtsquellen aus. Bestritten wird dies nur teilweise mit dem Blick auf das Verhältnis der allgemeinen Rechtsgrundsätze in bezugauf das Vertrags- und Gewohnheitsrecht. Dazu schon G. Jänicke, Art. : Völkerrechtsquellen, in: K. Strupp/H.-J. Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. 3, 2. Aufl. 1962, S. 766 ff.; desweiteren W H. Wilting, Vertragskonkurrenz im Völkerrecht, 1996, S. 45/46 m. w. N.

A. Das Vertragsparadigma

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Die Wiener Vertragsrechtskonvention stellt an den Anfang ihrer Präambel die Legitimation aus der Geschichte: "Considering the fundamental role of treaties in the history of international relations"6 , "In Anbetracht der grundlegenden Rolle der Verträge in der Geschichte der internationalen Beziehungen".7 Sie wagt aber auch bekenntnishaft-optimistisch den Blick in die Zukunft, baut auf die zentrale Rolle der Verträge bei der Weiterentwicklung des Völkerrechts und der internationalen Beziehungen: "Recognizing the everincreasing (...) importance of treaties as a source of intemationallaw and as a means of developing peaceful co-operation among nations, whatever their constitutional and social systems"8 , "in Anerkennung der ständig wachsenden Bedeutung der Verträge als Quelle des Völkerrechts und als Mittel zur Entwicklung der friedlichen Zusammenarbeit zwischen den Völkern ungeachtet ihrer Verfassungs- und Gesellschaftssysteme."9 Diese letzte Formulierung verweist auf die Universalität des Vertragsgedankens jenseits konkreter "Verfassungs- und Gesellschaftssysteme". "Pacta sunt servanda" ist ein allgemeiner Rechtsgrundsatz, der in allen Rechtsordnungen und Kulturen anerkannt wird. 10 Mehr noch: Einig-Sein und Einig-Werden durch Vertrag ist ein gleichsam "kulturelles Gen" jeder politischen Gemeinschaft. 11 Die Universalität des Vertragsdenkens läßt sich vor allem mit seinen kulturgeschichtlichen Wurzeln begründen. Bis hinein ins Mythische oder in die Riten früher, primitiver Gesellschaften reicht die Idee des Vertrages. Die Heiligkeit und Unverletzlichkeit der Verträge ist gemeinsames Moment der großen Weltreligionen und Weltkulturen. Sie kann zurUckgeflihrt werden auf die biblisch-alttestamentarische Lehre vom Bunde Gottes mit den Menschen, dem auf staatlich-diesseitiger Ebene der Bund des Königs mit seinem Volk entsprach. 12 Aber auch weit über die jüdisch-christliche Tradition hinaus ist der Vertrag "eine der Rechtserfahrung vorausgehende Kategorie" 13, eine Urform der Be-

UN Doc. A/CONF. 39/11/Add. 2; BGBI. 1985 II, S. 926 ff. Ebd. 8 Ebd. 9 Ebd. 10 Vgl. dazu die rechtsvergleichende Darstellung bei C. W. Jenks, The Common Law of Mankind, 1958, S. 143 f., mit Beispielen aus dem islamischen, hinduistischen, asiatischen und jüdischen Rechtskreis. 11 Zur Verfassung als Vertrag P. Häber/e, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Autl. 1998, S. 596,621,764 und passim. 12 G. Oestreich, Die Idee der Menschenrechte, 1974, S. 23; Ch. Hillgruber, Der Vertrag als Rechtsquelle, in: ARSP 85 (1999), S. 348 ff., 349. 13 K. Stern, Zur Grundlegung einer Lehre des öffentlich-rechtlichen Vertrages, in: VerwArch 49 (1958), S. 106 ff., 123. 6

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Dritter Teil: Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbtirgR

gründung von Rechtsverbindlichkeit jenseits des kulturbedingt Partikulären. 14 Schon deshalb erweist er sich als die geeignete, kulturübergreifende rechtliche Gestaltungsform zur Festschreibung universeller Menschenrechte. Dabei ist die Nähe zur Lehre vom Gesellschaftsvertrag ein weiteres kulturelles Moment. Es geht weniger um die Begründung einer bestimmten Gesellschafts- oder Regierungsform, die die klassischen Vertragstheorien eines Thomas Hobbes mit der Garantie von Leben und Sicherheit bzw. eines John Locke und seiner Formel von Freiheit und Eigentum vor Augen hatten. Wegleitend ist die "Neuentdeckung" und Fortschreibung der Vertragstheorie bei John Rawls. Objekt des Vertrages sind ftlr ihn die universellen Prinzipien der Gerechtigkeit, wie sie ftlr jede Form der politischen Gemeinschaft konstitutiv sind. 15 Alles Recht gründet in einer gerechtigkeitsorientierten und -sichernden Vereinbarung, einem Vertrag, und bezieht daraus seine doppelte Legitimität: aus Konsens und aus überpositiven Gerechtigkeitsprinzipien. Das gilt nicht nur ftlr die staatliche Verfassung, sondern auch ftlr die internationale Gemeinschaft16 - bei allen Unterschieden je nach Integrationsgrad und Vertragsgegenstand. Der nationale Verfassungsvertrag ist um den generell flktiv gedachten, in Teilbereichen aber realiter greifbaren oder wenigstens realisierbaren "Weltgesellschaftsvertrag" 17 zu ergänzen. Vertragspartner sind nicht vorrangig die Staaten, sondern die Völker, letztlich alle Menschen, die Menschheit als solche. Vertragsgegenstand sind dabei die fundamentalen Gerechtigkeitsprinzipien, an denen sich das Zusammenleben in der internationalen Gemeinschaft zu orientieren hat. Die Achtung vor den grundlegenden Freiheiten und Rechten der Menschen, die Anerkennung ihrer Würde, ihrer Gleichheit und der Unveräußerlichkeit ihrer Rechte, ist elementarer Bestandteil dieser Gerechtigkeitsprinzipien. Die Präambel des IPbürgR spricht in ihrem ersten Passus eine insoweit eindeutige Sprache. Die Menschenwürde und die unveräußerlichen Menschenrechte bilden die Grundlage der Gerechtigkeit in der Welt. Die Menschenrechtstheorie braucht somit die Denkfigur des Gesellschaftsvertrages zur Interessenkoordination auf der globalen Ebene, sei es letztlich auch nur als Fiktion. Unklar ist z. B., wie man sich die Zustimmung vorzustellen hat. Muß sie explizit oder kann sie auch konkludent erfolgen? Können ein14 K. Stern, Zur Grundlegung einer Lehre des öffentlich-rechtlichen Vertrages, in: VerwArch 49 (1958), S. 106 ff., 129 f.; H. Hofmann, Gebot, Vertrag, Sitte. Die Urformen der Begründung von Rechtsverbindlichkeit, 1993, S. 11 ff., 31 ff. 15 J Raw/s, A Theory of Justice, 1973, S. II. 16 Vgl. H. Hofmann, Gebot, Vertrag, Sitte. Die Urformen der Begründung von Rechtsverbindlichkeit, 1993, S. 31 ff. 17 Dazu P. Häber/e, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, s. 1125.

A. Das Vertragsparadigma

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zeine auch die Zustimmung verweigern? Welche Bindungswirkung entfaltet der Vertrag filr künftige Generationen? 18 Trotz dieser Defizite ist das filr jede politische Gemeinschaft unabdingbare einheitsstiftende Element letztlich nur mit dem vertraglichen Einigsein, mit dem "Sich Vertragen und Ertragen" im Sinne der Verfassungsdefmition P. Häher/es erklärbar. 19 Um so bedauerlicher bleibt es deshalb, daß die Präambel des IPbürgR nur von den "Staaten" als Vertragspartnern spricht, das "Sich-Vertragen und Ertragen" nicht mit Blick auf die Völker und die Menschheit als solche denkt. Die Präambel der UNCharta mit ihrem "We the People" wagte demgegenüber schon einen weitergehenden Schritt. II. Spezifische Funktionen völkerrechtlicher Verträge I. Das vertragliche Austauschverhältnis, das Reziprozitätsprinzip

An erster Stelle ein Wort zum Gegenseitigkeits- oder Reziprozitätsprinzip, das nicht nur filr das vertragliche Austauschverhältnis, das typische "do ut des" fundamentale Bedeutung besitzt, sondern auf dem das gesamte Völkerrecht gründet. 20 Gängig ist in der Völkerrechtslehre das Bild von den "zwei Säulen", die das internationale Recht als solches tragen: Der Grundsatz "bona fides" als die eher ideelle, die Reziprozität als die pragmatische Seite.21 Seine konstruktive und konstitutive Wirkung entfaltet das Gegenseitigkeitsprinzip schon bei der Erzeugung völkerrechtlicher Normen22, vor allem aber bei der Erfilllung völkerrechtlicher Verpflichtungen. Kurz: Es besteht eine faktische Abhängigkeit der Beachtung völkerrechtlicher Normen von der Gegenseitigkeit. Sie ist Ausdruck der souveränen Gleichheit (Art. 2 Nr. 1 SVN) und damit auch der

Vgl. zu alldem G. Franlrenberg, Die Verfassung der Republik, 1997, S. 51 ff. Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 621 und passim. 20 Aus der Lit. : B. Simma, Das Reziprozitätselement im Zustandekommen internationaler Verträge, 1972, S. 43 ff.; A. Verdross/8. Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. 1984, S. 48 ff. m. w. N.; R. 0. Keohane, Redprocity in International Relations, in: International Organization, Vol. 40 ( 1986), S. I ff., insbes. 6 ff. ("equivalence of benefits"); A. 8/eckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, 1995, S. 793 ff.; 0. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, 6. Aufl. 1997, S. 39 ff., 292 ff. 21 A. Verdross!B. Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. 1984, S. 48; 0. Kimminich, Einfllhrung in das Völkerrecht, 6. Aufl. 1997, S. 292. 22 Vgl. A. Verdross/8. Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. 1984, S. 49; M. Koslrenniemi, From Apology to Utopia, 1989, S. 150.; M. N. Shaw, International Law, 4th. ed., 1997, S. 7. 18

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Dritter Teil: Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbürgR

Rechtsgleichheit aller Staaten, die jedem auf machtpolitischer Überlegenheit gründenden Befolgungszwang die Grundlage entzieht.23 Doch kulturwissenschaftlich betrachtet sind auch kritische Seitenblicke notwendig. Das Gegenseitigkeitsprinzip ist sicher unabdingbar fUr die auf synallagmatischen Austausch von Leistung und Gegenleistung gerichteten (zivilrechtlichen) Verträge oder die internationalen Handelsverträge. Es ist aber auch typische Organisationsstruktur primitiver Gesellschaften und beruht dort, wo es um mehr geht als schlichten Leistungsaustausch, auf einem überkommenen Taillonsprinzip, dem anarchischen, alttestamentarischen "Auge um Auge, Zahn um Zahn"?4 Je mehr das Völkerrecht seine primitiven Strukturen überwindet, je weiter es institutionell ausdifferenziert wird und sein Konstitutionalisierungsprozeß voranschreitet, um so stärker relativiert sich ein Schwarz-WeißDenken der Gegenseitigkeit. Es mag bei den internationalen Handels- und Wirtschaftsbeziehungen seine relative Berechtigung haben, wenngleich auch hier in langfristiger Perspektive vorübergehende Nachteile für die ein oder andere Vertragspartei letztlich zu Vorteilen werden können. Der Menschenrechtsschutz ist aber ein typisches Beispiel, wo das do ut des der Reziprozität nicht mehr greifen kann25 • Von der Prämisse unveräußerlicher Menschenwürde her wird jedes Äquivalenz- und Balancedenken unmöglich, denn die Menschenrechtsidee verweist auf eine über das vertragliche Regime hinausgehende objektive Ordnung26, auf ein gemeinsames Interesse der Staatengemeinschaft als solcher. 27 Das bestätigt schließlich Art. 60 Nr. 5 WVK. Die Vertragsbeendigung und Suspendierung nach Reziprozitätsgrundsätzen ist in Verträgen humanitärer Art mit Blick auf die Bestimmungen zum Schutz der menschlichen Person nicht möglich.

0. Kimminich, Einfllhrung in das Völkerrecht, 6. Aufl. 1997, S. 39 f. B. Simma, Das Reziprozitätselement im Zustandekommen internationaler Verträge, 1972, S. 15, 17 ff.; R. 0. Keohane, Redprocity in International Relations, in: International Organization, Vol. 40 (1986), S. I ff., 10 ("ambiguous moral status"). 25 In diesem Sinne auch A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, 1995, s. 793. 26 R. 0. Keohane, Redprocity in International Relations, in: International Organization, Vol. 40 (1986), S. 1 ff., 12. 27 Dazu G. Jaenicke, Zur Frage des internationalen Ordre public, in: Berichte der Deutschen Gesellschaft fllr Völkerrecht, Bd. 7 (1967), S. 77 ff., 85: "Völkerrechtsordnung als Rechtsgemeinschaft mit übergeordneten Gemeinschaftsinteressen"; W. Kälin, Menschenrechtsverträge als Gewährleistung einer objektiven Ordnung, S. 9 ff., S. 36; A. Cassese, Human Rights in aChanging World, 1990, S. 161 ff., A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, 1995, S. 793 ("Allgemeininteresse der Völkerrechtsgemeinschaft"). 23

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A. Das Vertragsparadigma

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2. Der Kompromißcharakter des Vertrages, seine diskursive Legitimität

Der völkerrechtliche Vertrag ist Ausdruck eines Kompromisses im Sinne des Sich-Vertragens, Sich-Einig-Seins oder des Außer-Streit-Stellens. Er ist, formalisiert in Verfahren der Ratifikation, von den meisten Verfassungen an die Zustimmung der nationalen Parlamente gebunden?8 Was ftlr den Gesellschaftsvertrag letztlich nur fiktiv gedacht werden kann, wird hier real greifbar. Die Vertragsparteien ringen um Inhalte und Formulierungen und versuchen, gemeinsame Nenner filr widerstreitende Gesellschaftsvisionen und Politikkonzepte zu finden. Die rechtlichen Grundlagen, auf denen die teils verfaßte, teils sich verfassende internationale Gemeinschaft beruhen soll, werden tatsächlich ausgehandelt. Dieser Kompromiß leistet einen entscheidenden Beitrag zur Universalisierbarkeit der Menschenrechte, er legitimiert sie von der diskursiven Seite her und entzieht damit einem einseitigen kulturellen Relativismus die Grundlage. Das vertragliche Einigsein ist dabei zwar noch weit entfernt von einem globalen Konsens über gemeinsame Wertvorstellungen, aber doch negativ formuliert- von einem gemeinsamen Unwertbewußtsein (als Minimalstandard) getragen. 29 Der Kompromiß wird bei der Auslegung des Vertrages weitergefilhrt. Hier kommen alle divergierenden Konzeptionen, Uneinigkeiten über vage Formulierungen und kulturellen Unterschiede erst recht zum Tragen, aber es besteht eine Diskussionsgrundlage, an die alle an der Auslegung beteiligten Produktivkräfte der internationalen Gemeinschaft anknüpfen können. Der Vertrag ist nicht das letzte Wort, sondern Anstoß filr einen in öffentlichen Prozessen fortgesetzten, weltweiten interkulturellen Dialog. Noch deutlicher als bei der Interpretation der "Verfassung als Vertrag" wird bei der völkerrechtlichen Vertragsauslegung das immer neue Sich-Einig-Werden greifbar. Vertragsinterpretation und Fortbildung von Menschenrechtsgarantien haben fließende Grenzen. Entscheidend bleibt dabei, daß die einmalige Kodifikationsleistung nicht abgeschlossen ist, sondern im Interpretationsprozeß offen gehalten wird. So entsteht ein StUck diskursiver Legitimität. Das Beispiel der Menschenrechtspakte belegt, daß schon im Rahmen der Vertragsverhandlungen traditionell europäisch geprägte Elemente des Menschenrechtsdenkens auf einem internationalen Forum, das die damals noch kommunistische Welt, asiatische und afrikanische Staaten, hochentwickelte Industrienationen ebenso wie Entwicklungsländer 28 A. Cassese, Human Rights in aChanging World, 1990, S. 48, 63 ("process of debate and negotiation"); R. Higgins, Problems and Process, 1994, S. 98. 29 A. Pradetto, Die NATO, humanitäre Intervention und Völkerrecht, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 11/99, S. 26 ff., S. 32.

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Dritter Teil: Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbUrgR

mitumfaßte, weiter diskutiert und entwickelt werden konnten. Dieser Prozeß findet bei der Vertragsauslegung seine Fortsetzung. Das einmal begonnene und immer weiter geführte "Kulturgespräch" leistet seinen eigenständigen Beitrag zur Universalität der Menschenrechte. 30 Denn die freiwillige Zustimmung der Vertragsstaaten zum IPbürgR ist ein Akt uneingeschränkt souveräner Entscheidung, die die Universalisierbarkeit der Menschenrechtsidee bezeugt, wenngleich noch nicht im Ergebnis unstreitig universelle Kategorien schafft. Damit ist aber eine wegweisende Weichenstellung vorgenommen. Der politisch-rhetorische ebenso wie wissenschaftlich-argumentative Rückzug auf kulturell bedingt unversöhnliche Menschenrechtskonzeptionen wird in seiner apodiktischen Totalität unglaubwürdig. Die Vertragsparteien, gleichberechtigte Partner bei der Interpretation des jeweils in Rede stehenden Völkerrechtsaktes3 \ sind vielmehr angehalten, nicht mehr hinter den von ihnen selbst geschaffenen status quo, hinter die einmal errungene Diskussionsbasis zurückzutreten. Eine weltumspannende KommunikationsgemeinschaF 2 in Sachen Menschenrechte kann vielmehr auf allen Ebenen politischer und wissenschaftlicher Diskussion das Völkerrecht vom Menschen her weiterdenken und die internationalen Beziehungen auf einen sich stetig erneuernden Konsens über die Menschenrechtsfrage gründen. 3. Der Planungscharakter des Vertrages

Der prozeßhafte Charakter und die Planungsfunktion33 des Völkervertragsrechts stehen in engem Zusammenhang. Bei Wirtschafts- oder Umweltabkommen tritt die (zukunfts-)gestaltende, planende Komponente der neu geschaffenen oder wenigstens vertraglich präzisierten Konsensbasis deutlich zutage. Nichts anderes gilt aber auch ftlr die Menschenrechtspakte und die ihnen innewohnende Grundsatzentscheidung der Völkergemeinschaft. Die Staaten und 30 Vgl. dazu das Kapitel: "Umstrittene Universalität der Menschenrechte", in : L. Kühnhardt, Die Universalität der Menschenrechte, 1987, S. 37 ff.; A. Cassese, Human Rights in a Changing World, 1990, S. 48 ff. 31 Zu diesem, letztlich auf den Grundsatz der souveränen Gleichheit (Art. 2 Nr. 1 UN-Charta) zurückzufllhrenden Aspekt vgl. Ch. Tomuschat, Der Verfassungsstaat im Geflecht der internationalen Beziehungen, in: VVDStRL 36 (1978), S. 7 ff., 13. 32 Auch Verfassungstexte öffnen sich der internationalen Kommunikation: z.B. Art. 10 IV der Verf. der Ukraine. Vgl. darüber hinaus die knappe empirische Studie von K. W. Deutsch/R. L. Merritt, Transnational Communications and the International System, 1978; D. Kennedy, Theses about International Legal Discourse, German Yearbook of International Law 23 (1980), S. 353 ff., 374 ff. 33 Zum Aspekt der Planung siehe G. Schwarzenberger, Machtpolitik, 1955, S. 400 ff.; A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, 1995, S. 72 ff.

A. Das Vertragsparadigma

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die Staatengemeinschaft treten kooperierend zum Schutz der Menschenrechte nebeneinander. Das wird ganz deutlich im Zusammenspiel von nationalem Verfassungsrecht, regionalen und internationalen Menschenrechtspakten mit den jeweiligen prozeduralen Mitteln und Subsidiaritätsbestimmungen. Die gebietsübergreifende Kooperation der Einzelstaaten bestimmt in ihrem jeweiligen (Plan-)bereich maßgeblich die zukünftige Entwicklung der internationalen Beziehungen. Menschenrechtspakte sind dabei ein - sicher nicht ausschließlicher, vielleicht nicht einmal besonders offensichtlicher- Motor dieser Entwicklung. Sie können die Intensität der Kooperation quantitativ und auch qualitativ verändern. Denn die Konventionen, und unter ihnen herausragend der IPbürgR, sind darauf angelegt, zukunftsweisend und -gestaltend zu arbeiten. Sie wollen die Menschenrechtsidee universalisieren, eine internationale Öffentlichkeit als Kontrollinstanz schaffen und schließlich die verfassungsrechtliche Entwicklung in den Vertragsstaaten durch Rückkoppelungseffekte beeinflussen. Darüber hinaus sollen Menschenrechte als Staatsziele, als Leitlinien ftlr jede Form staatlicher Tätigkeit in die staatlichen Planungsentscheidungen, letztlich in die Planungsentscheidungen jeder politischen Gemeinschaft miteinbezogen werden. 34 Gerade künftigen Generationen muß deren effektiver Grundrechtsgebrauch gewährleistet werden. Daher dürfen menschenrechtliche Garantien nicht erst wirksam werden, wenn der einzelne sich gegen die einmal erfolgten Beeinträchtigungen seiner Rechte durch den Staat zur Wehr setzen will, Menschenrechte müssen vielmehr schon im Vorfeld Orientierungsmaßstab politischer Weichenstellungen sein. Zusammenfassend gilt: Der völkerrechtliche Vertrag bleibt das wichtigste Instrument für die aktive, dynamische, Konsens schaffende (eben nicht nur Konsens voraussetzende) Weiterentwicklung der Völkerrechtsordnung und die bewußte Zukunftsgestaltung internationaler Beziehungen. Neben der Gestaltung von Neuern wird durch Verträge vor allem aber auch Vorgefundenes rezipiert, werden völkergewohnheitsrechtliche Entwicklungen aufgegriffen, weiter ausdifferenziert und begrifflich präzisiert.35 Dieser dynamische Prozeß aus Rezeption und Innovation war und ist entscheidend ftlr die Begründung eines völkervertraglichen Regimes zum Schutz der Menschenrechte.

34 Dazu P. Pernthaler, Grundrechtsdogmatik und allgemeine Staatslehre, in: FS F. Ermacora, 1988, S. 605 ff., 613. 35 Vgl. hierzu K. /psen, Völkerrecht, 4. Aufl. 1999, S. 96; allg. zum Völkergewohnheitsrecht auch G. J. H. van Hoof, Rethinking the Sources of International Law, 1983, s. 85 ff.

10 Kotzur

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Dritter Teil: Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbUrgR

111. Überpositive Menschenrechte und völkervertragliche Menschenrechtsgarantien Sind die Menschenrechte als solche angeboren, unabdingbar und unveräußerlich, leiten sie sich aus der dem Menschen innewohnenden Würde her, so bedürfen sie nicht des konstitutiven Aktes staatlicher Verleihung. Sie stehen nicht zur Disposition souveräner Vertragsstaaten und fmden ihren Geltungsanspruch nicht im staatlichen consensus. Ihrer Natur nach vor- und damit zugleich überstaatlich, bilden sie selbst eines der maßgeblichen Konstitutionsprinzipien jeder staatlichen und rechtlichen Gemeinschaft.36 Sie sind in diesem Sinne "Grund-Rechte", vorstaatliche, präpositive, den Verfassungsstaat erst begründende und legitimierende Rechte, Oberbegriff ftlr universale Menschenrechte gleichermaßen wie ftlr nationale Bürgerrechte. 37 Der nationale Verfassungsstaat sichert dabei im Kontext seiner je eigenständigen Kultur und Rechtskultur die "Grund-Rechte" seiner Bürger und die auch filr Ausländer geltenden menschenrechtliehen Verbürgungen. Neben den Verfassungsstaat als klassischen Garanten vorstaatlicher Menschenrechte ist auf universaler Ebene die internationale Staatengemeinschaft getreten. Auch sie gründet letztlich auf den vorstaatlichen Menschenrechten, die nicht zu ihrer Disposition gestellt sind und zu deren Schutz und Anerkennung sie sich in globalen Menschenrechtspakten durch völkerrechtlichen Vertrag verpflichtet. Das Regelungsinstrument des Vertrages steht dabei zunächst fUr die Selbstverpflichtung der Vertragsstaaten (vgl. z. B. Art. 2 Abs. I IPbürgR: "Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, die in diesem Pakt anerkannten Rechte zu achten ( ...)"; ebenso Art. 2 Abs. 2 und 3; Art. 3). Die Kodifizierung beinhaltet daher zunächst die Anerkennung der überpositiven Rechte. Neue rechtliche Verpflichtungen begründet der positive Vertragstext dort, wo er weiter reicht, als die in der Menschenwürde gründenden unveräußerlichen und jeder politischen Gemeinschaft vorgegebenen Mindeststandards. Die Kodifizierung dient darüber hinaus der Präzisierung, der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit. Wie wichtig diese geltungssichemde Funktion ist, bestätigt ein Blick auf die Entstehungszeit und -geschichte der Menschenrechtspakte. Da der moderne Kodex internationaler Menschenrechte eine grundlegende völkerrechtliche Neuentwicklung darstellt, ist jedenfalls filr den Zeitraum vor der Kodifizierung nur ein stark begrenzter Rückgriff auf Völker36 H. Hofmann, Geschichtlichkeit und Universalitätsanspruch des Rechtsstaates, in: Der Staat 34 ( 1995), S. 1 ff., 19, spricht plastisch von der "Paradoxie einzelstaatlicher Positivierung". 37 P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 724 und 726.

A. Das Vertragsparadigma

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gewohnheitsTecht möglich. Zwar war der Grundsatz der Humanität, verstanden eher als moralische denn rechtliche Verpflichtung, dem modernen Völkerrecht seit jeher nicht fremd. 38 Noch weitergehender sind das Verbot der Sklaverei, die Freiheit von Völkermord, das Verbot der Rassendiskriminierung und die Freiheit von Folter gewohnheitsrechtlich wohl überwiegend anerkannt. Doch verbergen sich auch dahinter eher generelle Prinzipien. Die Formulierung echter Freiheitsrechte hat, angedeutet in der UN-Charta39 und vorbereitet durch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte40, erst mit dem IPbürgR begonnen. Angesichts der politisch-ideologischen Gespaltenheit der Welt nach dem Zweiten Weltkrieg war die Chance, daß sich in ausreichendem Maße Menschenrechtsstandards als universelles Völkergewohnheitsrecht herausbilden würden, äußerst gering. 41 Somit bot allein die Kodifikation in konkreten Vertragstexten die einzige, nur Schritt ftlr Schritt realisierbare Möglichkeit effektiven Menschenrechtsschutzes auf internationaler Ebene. 42 IV. Die Rechtsnatur völkerrechtlicher Verträge zum Schutze der Menschenrechte 1. Die Selbstverpflichtung der Staaten

Ausgehend vom herkömmlichen Vertragsverständnis, könnte die Bindungskraft der Menschenrechtspakte in einer freiwilligen Selbstverpflichtung der souveränen Signatarmächte gesehen werden, die nur relativ gegenüber allen anderen VertragspartDem und auch nicht notwendig zeitlich unbegrenzt wirkt. Eine derartige Sichtweise erscheint aber schon vom Regelungsgegenstand her 38 Siehe hierzu das Urteil des IGH im Korfu-Kanal-Fall: ICJ Reports 1949, S. 22; A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, 1984, S. 48. 39 Zur Entstehungsgeschichte, insbes. den Konferenzen von Dumbarton Oaks und San Francisco, M. G. Johnson, The Contributions of Eleanor and Franktin Roosevelt to the Development of International Protection for Human Rights, in: Human Rights Quarterly, Vol. 9 (1987), S. 19 ff., 23 ff. 40 Dazu W. Bausback, 50 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte - Politisches Dokument mit rechtsgestaltender Wirkung?, in: BayVBI. 1999, S. 705 ff. 41 Vgl. W. v. Simson, Überstaatliche Menschenrechte: Prinzip und Wirklichkeit, in: FS K. J. Partsch, 1989, S. 47 ff., 47 f.; 0. Kimminich, Menschenrechte in der Friedensregelung nach dem Zweiten Weltkrieg, 1990, S. 68; P. N. Drost, Human Rights as Legal Rights, 1965, S. 43 f. 42 In diesem Sinne schon Ch. Tomuschat, Die Bundesrepublik Deutschland und die Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen, in: VN 1978, S. 1 ff., 2; allgemein zum Zweck völkerrechtlicher Kodifikationen vgl. W. K. Geck, Völkerrechtliche Verträge und Kodifikationen, in: ZaöRV 36 (1976), S. 96 ff., 102 ff., 129 ff.

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zu eng, denn die Verträge formulieren Rechte, die die Individuen, nicht die Staaten berechtigen und die ihren universellen Geltungsanspruch aus der überzeitlichen Menschenwürde schöpfen. Eine weitere Frage drängt sich auf. Wem gegenüber würde die Verpflichtung begründet? Nur gegenüber den anderen Vertragsstaaten oder weitergehend gegenüber der Völkerrechtsgemeinschaft als solcher, letztlich gegenüber der Menschheit? Für letzteres spricht der Präambeltext des IPbürgR. Die Menschenrechte sind "Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt" und damit bezogen auf die gesamte Menschheit. Sichtbar wird auch der Gedanke mundialer Gemeinwohlaspekte43 , wenn von Verhältnissen die Rede ist, "in denen jeder seine bürgerlichen und politischen ebenso wie seine wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte genießen kann". Ein bloße Selbstverpflichtung gegenüber den anderen Vertragsparteien griffe von daher zu kurz. Daneben relativiert auch das Menschenwürdekonzept das Modell der Selbstverpflichtung. Die Würde des Individuums besteht schlechthin vor und unabhängig von jeder staatlichen Autorität. Ihre Anerkennung ist kein Regelungsgegenstand zwischenstaatlicher Vereinbarung, sondern eine der staatlichen Verfilgbarkeit entzogene "anthropologische Prämisse"44 jeder politischen Gemeinschaft. Konsequent wirkt die Verpflichtung zu ihrem effektivem Schutz nicht nur relativ gegenüber den anderen Vertragsstaaten. Verpflichtungsadressaten müssen darüber hinaus die Staatengemeinschaft als solche, die Menschheit, jeder einzelne Mensch sein. Doch ist dieser weitgefaßte Kreis mit den herkömmlichen Kategorien vertraglicher Selbstverpflichtung kaum faßbar. Wirkung, Funktionsweise und Reichweite der Menschenrechtsverträge bedürfen daher weiterfUhrender Erklärungsmodelle. 2. Menschenrechtspakte als " Verträge zugunsten Dritter"?

Wie schon ausgefilhrt, ist der wesentliche Inhalt einer herkömmlichen völkervertraglichen Bindung die gegenseitige Verpflichtung der Unterzeichnerstaaten. Geregelt werden typischer Weise zwischenstaatliche Interaktionen, mit denen die Parteien - gleichsam auf dem Tauschwege - einander begünstigen wollen und bei deren Nichteinhaltung das Streitschlichtungs- und Verantwortlichkeitsregime des allgemeinen Völkerrechts entsprechende Sanktionsmög43 Die "friedensorientierte und am Gemeinwohl ausgerichtete Intention des Völkerrechts" ist fllr P. Terz, Die Völkerrechtsphilosophie, Versuch einer Grundlegung in den Hauptzügen. Pro scietia ethica iuris inter gentes, in: ARSP 86 (2000), S. 168 ff., 169, wesentliche Prämisse einer Völkerrechtsphilosophie. 44 P. Häber/e, Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, in: HdBStR, Bd. I, 2. Aufl. 1995, S. 815 ff.

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lichkeiten bereithält. Diese Konzeption ist filr Menschenrechtspakte aber unzureichend. Denn hier geht es nicht vorrangig um wechselseitige Rechte und Pflichten der Staaten, sondern um ihre Verpflichtung gegenüber den Menschen aufgrund gemeinsamer Werte und Interessen der Völkergemeinschaft als solcher.45 Und die Verpflichtung besteht gerade darin, den Bürgern und Bewohnern innerstaatlich Grundrechte gegen die eigene Staatsgewalt zu garantieren.46 Richtungsweisend ist die prägnante Formulierung von B.-0. Bryde: "Soll Menschenrechtsschutz im Völkerrecht Sinn machen, dann als Verpflichtung zugunsten von Menschen gegenüber der Völkerrechtsgemeinschaft."47 Auch der Internationale Gerichtshof hat das fehlende Eigeninteresse der Vertragsstaaten als besonderes Wesensmerkmal von Menschenrechtsverträgen herausgestellt. 48 Nichtsdestoweniger begründen die Menschenrechtsabkommen ein vollwertiges System von Rechten und Pflichten zwischen den Vertragsstaaten verbunden mit den jeweiligen Erfilllungsansfrüchen, nur wird die Erfilllung der gesamten Völkergemeinschaft geschuldet.4 Nichts anderes meint auch die Idee der völkerrechtlichen Pflichten "erga omnes"50, ganz unabhängig davon, daß weder die "International community of States as a whole" noch der einzelne volle völkerrechtlich Rechtssubjektivität besitzt.51 Zum besseren Verständnis eines solch komplizierten rechtlichen Gefilges ist die Figur eines Vertrages zugunsten Dritter52 hilfreich, oder, wie es B. Simma sehr anschaulich formuliert: "Verträge, deren Erfilllung nicht im Verhältnis 45 R. Bernhardt, Einwirkungen der Entscheidungen internationaler Menschenrechtsinstitutionen auf das nationale Recht, in FS K. Doehring, 1989, S. 23 ff., 24 (keine typisch "zwischenstaatliche Zielsetzung"); A. Bleckmann, Zur Wandlung der Strukturen der Völkerrechtsverträge-Theorie des muttipolaren Vertrages, in: Archiv des Völkerrechts 34 (1996), S. 218 ff., 224. Zu Humanitäts- und Sittlichkeitswerten im Völkerrecht siehe P. Terz, Die Völkerrechtsphilosophie, Versuch einer Grundlegung in den Hauptzügen. Pro scietia ethica iuris inter gentes, in: ARSP 86 (2000), S. 168 ff., 177. 46 Dazu R. Streinz, Meinungs- und Informationsfreiheit zwischen Ost und West, 1981, s. 26 ff. 47 B.-0. Bryde, Verpflichtungen Erga Omnes aus Menschenrechten, in: Berichte der Deutschen Gesellschaft ftlr Völkerrecht, Bd. 23 (1994), S. 165 ff., 168. 48 ICJ Rep. 1951, 23- Gutachten zur Völkermordkonvention: "In such a convention the contracting States do not have any interest of their own; they merely have, one and all, a common interest." 49 B. Simma, Fragen der zwischenstaatlichen Durchsetzung vertraglich vereinbarter Menschenrechte, in: FS H.-J. Schlochauer, 1981, S. 635 ff., 642. 50 I.C.J.-Reports 1970, S. 32 ff. (Barcelona Traction). 51 B. Simma, Fragen der zwischenstaatlichen Durchsetzung vertraglich vereinbarter Menschenrechte, in: FS H.-J. Schlochauer, 1981, S. 635 ff., 643. 52 Zur Idee eines völkerrechtlichen "Vertrages zugunsten Dritter" E. Klein, Statusverträge im Völkerrecht, 1980, S. 218 ff.

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ihrer Parteien untereinander realisiert wird" 53 • Diese Charakterisierung ist noch präziser, denn gemeint sind nicht etwa Verträge zugunsten dritter Staaten, sondern zugunsten von Individuen - Individuen, die "hinter den Staaten stehen" bzw. die Staaten konstituieren. Auf einer vergleichbaren Prämisse beruht auch A. Bleckmanns Wendung von einem am Allgemeininteresse ausgerichteten "multipolaren" Vertrag54• Multilaterale Kollektivverträge zum Schutz von Menschenrechten begründen zunächst klassisch gegenseitige Rechte zwischen den Vertragsparteien, nehmen sie in die Pflicht: Jede Partei ist allen übrigen Vertragspartnern gegenüber zur Vertragserftlllung verpflichtet und umgekehrt berechtigt, von ihnen ihrerseits Erftlllung zu verlangen. Eine Theorie, die Vertragserftlllung werde ausschließlich gegenüber der Staatengemeinschaft als solcher geschuldet, griffe zu kurz. Diese wäre weder als Berechtigungssubjekt völkerrechtlich hinreichend faßbar noch zu effektivem Schutz befllhigt. ss Nur bilden solch multilaterale Pflichten, im Gegensatz zur klassischen Doktrin, mehr als ein Bündel bilateraler Rechtsverhältnisse. Die bereits angesprochene "erga omnes"-Orientierung fUhrt zu einer weiterreichenden Konsequenz. Keine Partei der multilateralen Menschenrechtspakte kann die eigene Verletzung vertraglicher Pflichten mit der Pflichtverletzung anderer begründen. Die Reziprozität, die Gegenseitigkeitsbindung wird durch ein übergeordnetes Allgemeininteresse aufgebrochen. Zugleich ist das Individuum in den Schutzbereich des Menschenrechtsvertrages aufgenommen, der zu seinen Gunsten wirkt. Von einem überstaatlichen Allgemeininteresse der Völkergemeinschaft zeugt die Advisory Opinion des Internationalen Gerichtshofs zur Genozidkonvention aus dem Jahre 1951: "The convention was manifestly adopted for a purely humanitarian and civilizing purpose. ( ...) its object on the one hand is to safeguard the very existence of certain human groups and on the other to confirm and endorse to most elementary principles of morality. In such a convention the contracting states do not have any interest of their own; they merely have, one and all, a common interest, namely, the accomplishment ofthosehigh purposes which are the raison d'etre ofthe convention. Consequently, in a convention of this type one cannot speak of individual advantages or disadvantages of States, or of the maintenance of a perfect contractual balance between rights and duties." 56

53 B. Simma, Das Reziprozitätselement im Zustandekommen internationaler Verträge, 1972, S. 161. 54 A. B/eckmann, Zur Wandlung der Strukturen der Völkerrechtsverträge - Theorie des muftipolaren Vertrages, in: Archiv des Völkerrechts 34 (1996), S. 218 ff., 224; zum Allgemeininteresse E. Klein, Statusverträge im Völkerrecht, 1980, S. 53 ff. 55 B. Simma, Fragen der zwischenstaatlichen Durchsetzung vertraglich vereinbarter Menschenrechte, in: FS H.-J. Schlochauer, 1981, S. 635 ff., 644 f. 56 I.C.J.-Reports 1951, S. 15 ff., 23.

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Ergänzend dazu ist das abweichende Votum des Richters M A/varez zu lesen: "Conventions of the above four categories ( including ,conventions seeking to regulate matters of a social or humanitarian interest with a view to improving the position of the individual', Anm. des Verf.) present characteristics which differentiate them markedly from ordinary multilateral conventions. Tobegin with, they have a universal character, they are, in a sense, the Constitution (Hervorhebung durch den Verf.) of international society, the new international law. They are not established for the benefit of private interests but for that of the general interest; they impose Obligations upon States without granting them rights, in this respect are unlike ordinary conventions which confer rights as weil as obligations upon their parties." 57

Eine noch deutlichere Sprache zum objektiven Charakter menschenrechtlieber Verträge fmdet sich schon in einem dieturn der Europäischen Menschenrechtskommission aus dem Jahre 1961: "(... ) it clearly appears ( ... ) that the purpose of the High Contracting Parties in concluding the Convention as not to concede to each other reciprocal rights and obligations in persuance of their individual national interests but to realize the aims and ideals of the Council of Europe, as expressed in its Statute, and to establish a common public order ofthe free democracies ofEurope. ( ... ) it follows that the obligation undertaken by the ( ... ) Parties in the convention are essentially of an objective Character, being designed rather to protect the fundamental rights of individual human beings from infringement by any ofthe ( ... ) parties than to create subjective and reciprocal rights for the ( ... ) Parties themselves ( ...)".58

Der Ansatz wird im Urteil des europäischen Gerichtshofs ft1r Menschenrechte im Fall Ireland v. United Kingdom (18. Januar 1978) aufgegriffen: "Unlike international treaties ofthe dassie kind, the convention comprises more than mere reciprocal engagements between contracting States. It creates over and above a network of mutual, bilateral undertakings, objective obli~ations which, in the words ofthe Preamble, benefit from a ,collective enforcement'". 9

Die Gewährung der in der Würde der Person gründenden Menschenrechte kann an keinerlei Vorbedingungen geknüpft werden. Zudem wäre es widersinnig, den schutzbedürftigen Individuen das Handel ihres Heimatstaates zuzurechnen, sind sie doch die Opfer, nicht die Täter. 60 Die Rechtsfiguren des Vertrages zu Gunsten Dritter, des Vertrages, der nicht allein im Verhältnis der Parteien untereinander realisiert wird, oder des "multipolaren Vertrages" umI.C.J.-Reports 1951, S. 15 ff., 51. Application Nr. 788/60, in: 4 Yearbook of the European Convention on Human Rights (1961), S. 116 ff. 59 Series A, Vol. 25 ( 1978), p. 90. 60 A. Bleckmann, Zur Wandlung der Strukturen der Völkerrechtsverträge - Theorie des multipolaren Vertrages, in: Archiv des Völkerrechts 34 (1996), S. 218 ff., 226. 57

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schreiben diese Dimension jenseits rein zwischenstaatlicher Selbstverpflichtung und Reziprozität. Wie z. B. das "Rome Statute of the International Criminal Court", das freilich noch der Ratifikation bedarf, haben die Menschenrechtsverträge "identitätsprägende Bedeutung" für die internationale Gemeinschaft und sind Teilelemente einer sich herausbildenden internationalen Verfassungsordnung.61 Wird nämlich eine Verpflichtung der Völkerrechtsgemeinschaft als solcher anerkannt und damit ein rein zwischenstaatliches Modell einer "ZwischenSouveränitäten-Ordnung"62 aufgegeben, so hat das Konsequenzen ftlr das Völkerrechtsverständnis. Nicht mehr die autarken souveränen Staaten sind, sondern die Völkerrechtsgemeinschaft ist oberster Bezugspunkt des Rechts. Das Völkerrecht wird ein StUck weit konstitutionalisiert. 63 Dabei beinhalten die Menschenrechtsverträge erste Elemente einer objektiven Ordnung und leisten so ihren eigenständigen Beitrag zur" Verfassung" der Völkergemeinschaft. 3. Menschenrechtspakte als Verfassungsverträge?

Daraus ergibt sich folgerichtig die Frage: Sind die Menschenrechtspakte "Verfassungsverträge"? Es wurde schon gezeigt, daß die multipolaren Menschenrechtspakte ein objektives System bilden, in dem die Gegenseitigkeitsbindung keine Rolle mehr spielt. Sie haben im Rahmen einer objektiven Völkerrechtsordnung eine quasi-legislative Funktion, sind sogenannte "law making treaties". 64 Aufgrund der Strukturen des internationalen Rechts kann die Völkerrechtsgemeinschaft legislative oder quasi-legislative Aufgaben nur in Gestalt ihres Hauptrechtssetzungsinstrumentes, nämlich des Vertrages wahrnehmen.65 Die Staaten setzen aber das Vertragsregime zunächst nur in Gang. Die 61 Dazu C. Stahn, Zwischen Weltfrieden und materieller Gerechtigkeit: Die Gerichtsbarkeit des Ständigen Internationalen Strafgerichtshofs (lntStGH), in: EuGRZ 1998, S. 577 ff., 590 f.; vgl. auch K. Ambos, Der neue Internationale Strafgerichtshofein Überblick, NJW 1998, S. 3743 ff., 3746; U. Fastenrath, Der Internationale Strafgerichtshof, JuS 1999, S. 632 ff. 62 H. Jahrreiß, Staatensouveränität und Frieden, in: FS E. Kaufmann, 1950, S. 163 ff., 167 und passim; L. Wi/dhaber, Entstehung und Aktualität der Souveränität, in: FS K. Eichenberger, 1982, S. 131 ff., 132. 63 So nachdrUcklieh B.-0. Bryde, Verpflichtungen Erga Omnes aus Menschenrechten, S. 165 ff., 170; vgl. auch B. Fassbender, The United Nations Charteras a Constitution of the International Community, in: Columbia Journal of Transnational Law 36 (1998), s. 529 ff., 538 ff. 64 Zum Begriff C. W Jenks, The Common Law of Mankind, 1958, S. 30 ff. In diesem Kontext siehe auch E. Klein, Statusverträge im Völkerrecht, 1980, S. 347, mit seinen Anmerkungen Uber "Statusverträge als Elemente einer sich entwickelnden internationalen Gesetzgebung". 65 B.-0. Bryde, Verpflichtungen Erga Omnes aus Menschenrechten, S. 165 ff., 168.

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Menschenrechtsverträge entwickeln dann aber aufgrund ihrer Orientierung am Allgemeininteresse der Völkergemeinschaft Selbststand und entfalten ihr Eigenleben, werden zur objektiven Ordnung.66 Dieses Verständnis wird relevant, wo es z. B. um Kündigungsmöglichkeiten geht. Als Nordkorea im Jahre 1997 den IPbürgR aufkündigen wollte, stellte sich der Generalsekretär der Vereinten Nationen dem entgegen und betonte, daß aufgrund der Natur des Vertrages kein stillschweigendes Recht auf Kündigung bestehe (vgl. Art. 56 Nr. 1 Iit. b WVK). 67 In diesem Sinne äußerte auch der Menschenrechtsausschuß: "Die im Pakt gewährleisteten Rechte gehören (Hervorhebung durch den Verf.) den Menschen, die im Gebiet der Vertragspartei leben. Der Menschenrechtsausschuß hat - wie seine ständige Praxis belegt - durchgehend die Meinung vertreten, daß, wenn die Menschen einmal des Schutzes der Paktrechte teilhaftig geworden sind, dieser Schutz mit dem Territorium übergeht und fortfährt, ihnen zu gehören, ungeachtet der Tatsache eines Systemwechsels, einschließlich der Auflösung eines Staates, der Staatensukzession oder irgendeiner nachfolgenden Aktion, die darauf abzielt, die Menschen dieser Rechte zu berauben." 68

Wenn die Menschenrechte den Menschen gehören, keine Rücksicht auf die Einzelinteressen der Unterzeichnerstaaten, deren unmittelbare Vor- oder Nachteile nehmen und so die Freiheit des Individuums unabhängig von seiner Staatsangehörigkeit verfassen, rückt die Idee eines "Verfassungsvertrages" in greifbare Nähe. Das einer solchen Einordnung zugrunde liegende Vorverständnis ist in zweifacher Hinsicht präzisierungsbedürftig. Gearbeitet wird mit einem vom Staatsbegriff losgelösten Verfassungsbegriffund der Idee der Verfassung als Vertrag bzw. durch Vertrag. 69 Vertragschließende Parteien sind nur vordergründig allein die Staaten - in einem tieferen Sinne aber all die, die die Staaten konstituieren, also die jeweiligen Bürgergesellschaften. Der Vertrag ist multiethnisch, multikulturell und 66 In diesem Sinne auch E. Riede/, Paradigmenwechsel im internationalen Umweltrecht, in: FS G. Roellecke, 1997, S. 255 ff., 268; vgl. darüber hinaus E. W. Vierdag, Some Remarks about Special Features of Human Rights Treaties, in: Netherland Yearbook ofinternational Law 1994, S. 119 ff., 124 f. 67 Dazu E. Klein, Universeller Menschenrechtsschutz - Realität oder Utopie, in: EuGRZ 1999, S. I 09 ff., 111. 68 UN-Doc. CCPRIC/SR. 1631 and Add. 1 (1997), zit. in der Übersetzung von E. Klein, Universeller Menschenrechtsschutz - Realität oder Utopie, in: EuGRZ 1999, S. 109 ff., 111. 69 Die europarechtliche Diskussion liefert manche Vorbilder: In der Rechtsprechung des EuGH (Les Verts!Europäisches Parlament, Slg. 1986, 1339, 1365) ebenso wie in einer frühen Entscheidung des BVerfG (E 22, 293, 296) werden die Gemeinschaftsverträge als "Verfassung der Gemeinschaft" anerkannt. Dazu J. Schwarze, Auf dem Wege zu einer europäischen Verfassung - Wechselwirkungen zwischen europäischem und nationalem Verfassungsrecht, in: DVB11999, S. 1677 ff., 1681 ff.

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multireligiös und ringt in dieser pluralistischen Vielfalt um .. verfassende" Gemeinsamkeiten ftlr die internationale Gemeinschaft. Der Verfassungsbegriff darf dabei weder im engeren Sinne staatsbezogen noch umfassend auf eine Vollverfassung hin gedacht werden. 70 Ebensowenig versteht er sich umfassend im Sinne der klassischen Lehre von der verfassunggebenden Gewalt eines einheitlichen Staatsvolkes, das in demokratischen Verfahren und in einer rein national definierten Öffentlichkeit die wichtigsten Grundsatzentscheidungen filr sein staatliches Zusammenleben triffi. Warum solltetrotz dieser Abstriche überhaupt von Verfassung (im weiteren Sinne) gesprochen werden? Die Antwort muß ein Bündel unterschiedlicher Aspekte aufgreifen: Verfassung meint hier vielmehr das prozeßhafte Sich-Verfassen, das jeder politischen Gemeinschaft eigen ist und keinen homogenen Verfassunggeber voraussetzt. Es knüpft vielmehr bei den gemeinschaftsbildenden Funktionen an. Der Begriff "gemeinschaftsbildend" verdeutlicht, daß es nicht um ein bloßes Organisationsstatut oder technisches Regelwerk geht, wie es jede beliebige Vereinigung treffen könnte. Gemeint ist ein inhaltliches Mehr, das filr die Gemeinschaft, ihr Selbstverständnis, ihre Rechtsordnung und ihr Wertesystem konstitutiv ist. Eben diese Verfassungsfunktionen vermögen die Menschenrechtspakte ftlr die Völkergemeinschaft zu leisten. Sie entfalten fundamentale Regeln über das Sich-Ertragen im täglichen Miteinander71 , sie wirken als Kontrolle und Begrenzung von Macht und legitimieren, von der Prämisse der Menschenwürde ausgehend, Herrschaftsausübung, soweit sie sich in den Dienst des Menschen stellt. Sie benennen Aufgaben, die die Völkerrechtsgemeinschaft im Interesse des Gemeinwohls wahrzunehmen hat, wollen Konsens schaffen und dabei immer die Verantwortung des einzelnen filr seine freie Selbstentfaltung und ftlr die soziale Gemeinschaft in den Blick nehmen. Schon aufgrund dieses Funktionsgefüges ist die Qualifikation als Verfassungsverträge gerechtfertigt. Die Menschenrechtsverträge sind zudem auch wie Verfassungen als dauerhafte Grundentscheidung filr heutige und zukünftige Generationen ausgestaltet und nicht jederzeit kündbar. Das Element der Dauerhaftigkeit bildet dabei einen wichtigen Stabilitätsfaktor in der inner- und zwischenstaatlichen Friedensordnung. So wird die friedenssichernde Teleologie der Menschenrechte zur umgreifenden Klammer, die die innerstaatlichen Ver-

70 Gegen eine etatistische Verengung des Verfassungsbegriffs J. Schwarze, Auf dem Wege zu einer europäischen Verfassung- Wechselwirkungen zwischen europäischem und nationalem Verfassungsrecht, in: DVBI. 1999, S. 1677 ff., 1682 m. w. N.; W. Hertel, Supranationalität als Verfassungsprinzip, 1999, S. 28 ff. 71 P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 621 und passim.

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fassungen integrativ mit der sich verfassenden internationalen Gemeinschaft verbindet. 72 4. Menschenrechtspakte als Friedensverträge im weiteren Sinne

Der Frieden ist das Leitbild jeder verfaßten Gemeinschaft. Im Völkerrecht sind es vor allem die Friedensverträge, die nach bewaffnetem Konflikt eine Neuordnung der zwischenstaatlichen Beziehungen möglich machen sollen. Neben konkreten Regelungen über Gebietsverluste, Reparationsleistungen oder sonstige Kriegsfolgen enthalten sie oftmals auch menschenrechtliche Aspekte.73 Am Ende des Ersten Weltkrieges zeugten der Frieden von Brest-Litowsk zwischen Deutschland und Rußland (1917), der vielkritisierte Versailler Vertrag und die Nichtteilnahme der Vereinigten Staaten am Völkerbund von einem noch allzu schwach ausgeprägten Bewußtsein der Staatengemeinschaft ftlr eine kollektive Friedens- und Menschenrechtssicherung. Doch die Neuordnung nach dem Zweiten Weltkrieg war mit der UN-Charta von vomherein weltumspannend entworfen und nahm von Anfang an die Friedensbewahrung und den Schutz der Menschenrechte als integrative Konzepte in ihren Blick. Die Sicherung des Weltfriedens wird in Art. 1 Nr. 1 SVN an herausgehobener Stelle genannt und auch die Präambel der UN-Charta verweist auf die friedenssichernde und friedensgestaltende Funktion der Menschenrechte. Die regionalen und internationalen Menschenrechtspakte sind daher konstitutiver Bestandteil der heutigen Weltfriedensordnung. Um auf einen klassischen politischphilosophischen Entwurf der Aufklärung zurückzukommen: Sie sind Teil eines "allgemeinen Übereinkommens", eines "Friedensbundes" (foedus pacificum) im Sinne der Vision/. Kants vom "Ewigen Frieden". 74 Aufgrund ihrer immanenten Teleologie können die Menschenrechtsverträge auf internationaler wie regionaler Ebene als Friedensverträge im weiteren Sinne begriffen werden. Auf den Zusammenhang von Menschenrechten und Frieden wird unter Punkt F. I. 2. im einzelnen zurückzukommen sein.

72 Dazu M. Kriele, Kriterien der Gerechtigkeit, 1963, S. 67; Ch. Hillgruber, Der Vertrag als Rechtsquelle, in: ARSP 85 (1999), S. 348 ff., 355; zu einem integrativen Verfassungsbegriff aus europarechtlicher Sicht J. Schwarze, Auf dem Wege zu einer europäischen Verfassung- Wechselwirkungen zwischen europäischem und nationalem Verfassungsrecht, in: DVBI. 1999, S. 1677 ff., 1688. 73 Vgl. das reiche Beispielsmaterial bei 0. Kimminich, Die Menschenrechte in der Friedensregelung nach dem Zweiten Weltkrieg, 1990. 74 Vgl. dazu Ch. Covell, Kant, die liberale Theorie der Gerechtigkeit und die Weltordnung, in: Der Staat 37 (1998), S. 361 ff., 366.

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Dritter Teil: Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbUrgR

B. Ein Völkerrecht f'ür den Menschen - die Völkerrechtskonzeption des IPbürgR Von der Konzeption des Verfassungsvertrages ftlhrt der Weg letztlich konsequent weiter bis zur Vision einer verfaßten, sich immer neu verfassenden Völkerrechtsgemeinschaft Auch hier lassen sich wichtige Aspekte aus den Präambeltexten der internationalen Menschenrechtspakte gewinnen. Sie widerspiegeln ein Völkerrechtsverständnis, das letztlich auf die eben zitierte Schrift I. Kants vom "Ewigen Frieden" zurückgeht und dem eine rein positivistische Verengung genauso fremd ist wie ausschließlich utilitaristische Begründungsmodelle. Im Sinne Kants dient das internationale Recht dem Telos der Friedenssicherung, es ist ein zweckgerichtetes System, das auf den Grundsätzen von Gerechtigkeit, Demokratie, Freiheit und den Menschenrechten beruht. 75 Organisationsprinzip eines solchen Systems ist keine wie auch immer geartete Weltregierung, sondern eine von Rechtsgrundsätzen bestimmte Gemeinschaft souveräner Staaten, die daneben aber auch auf den engen Beziehungen von Individuen und deren wechselseiti~ verflochtenen Interessen jenseits aller nationalstaatlichen Grenzen gründet. 6 Um die Strukturen nachzuzeichnen, die das Völkerrecht schon als echte (Menschen)-Rechtsgemeinschaft ausweisen oder wenigstens deren prozeßhaftes Werden andeuten, darf der entwicklungsgeschichtliche Kontext nicht unbeachtet bleiben. 77 I. Denktraditionen im Völkerrecht - ein entwicklungsgeschichtlicher Überblick bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges

Eine auf die jeweiligen Hegemonieverhältnisse abstellende Untergliederung der neuzeitlichen Völkerrechtsgeschichte in einzelne Epochen, wie sie die traditionelle Historiographie vorgenommen hat, kann als erster Orientierungsrahmen dienen. Sie vermag vor allem Eckdaten ftlr weitreichende Umbruchsprozesse in der Staatenwelt zu benennen: die "spanische Periode" beginnend mit der Conquista bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges ( 1494-1648), die

75 Vgl. H. H. Koh, Why Do Nations Obey International Law, in: The Yale Law Journal, Vol. 106 (1997), S. 2599 ff., 2610 (internationallaw as a "purposive system"); Ch. Cove/1, Kant, die liberale Theorie der Gerechtigkeit und die Weltordnung, in: Der Staat 37 (1998), S. 361 ff., 365-368. 76 H. H. Koh, Why Do Nations Obey International Law, in: Yale Law Journal, Vol. 106 (1997), s. 2599 ff., 2610. 77 Vgl. dazu z.B. G. Schwarzenberger, The Frontiers of International Law, 1962, S. 43 ff. ("International Law in Historical Perspective").

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"französische Epoche" vom Westfälischen Frieden bis zu den Napoleonischen Kriegen (1648-1815), das "englische Zeitalter" vom Wiener Kongreß bis zum Ersten Weltkrieg (1818-1919), die Völkerbundsepoche von 1919-1945, die Zeit von 1945 bis zum Wendejahr 1989 ganz im Zeichen der sowjetisch-amerikanischen Bipolarität, schließlich die gegenwärtig noch offene Standortbestimmung der Weltgemeinschaft nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Systeme des ehemaligen Ostblocks.78 Eine solche ganz an der äußeren Ereignisgeschichte orientierte zeitliche Einordnung hat aber nur relativen Wert, da sie den inneren Entwicklungen, den Theorieentwürfen, die gesellschaftlichpolitischen Wandel in oft langwierigen Vorphasen erst möglich gemacht haben, nur bedingt Rechnung trägt. Wichtiger als die Zuordnung nach der Führungsrolle der für dominant, gar epocheprägend, gehaltenen Staaten ist daher eine philosophie- bzw. ideengeschichtliche Periodisierung, die helfen kann, die Entwicklungslinien völkerrechtlicher Theorieentwürfe zu verfolgen. 79 Den Ausgangspunkt bildete die Idee einer christlich-europäischen Völkerfamilie (universitas christiana) als Grundlage einer zunächst rein eurozentrisch geprägten neuzeitlichen Völkerrechtsordnung. 80 Dabei darf aber nicht übersehen werden, daß nach Reformation, Glaubenskriegen und der Neuordnung des europäischen Staatensystems durch den Westfälischen Frieden (1648) von einer homogenen Gemeinschaft 78 Dazu grundlegend: W Grewe, Die Epochen der modernen Völkerrechtsgeschichte, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 103 (1943), S. 38 ff., insbes. 41 ff. zum "spanischen Zeitalter", 54 ff. zum "französischen Zeitalter", sowie 260 ff. zum "englischen Zeitalter", 282 ff. zum"Übergangszeitalter der anglo-amerikanischen Welthegemonie"; ders., Epochen der Völkerrechtsgeschichte, 2. Aufl. 1988, S. 19 ff., 163 ff. und passim; K.-H. Zieg/er, Völkerrechtsgeschichte, 1994, S. 5 ff. und passim; 0. Kimminich, Einflihrung in das Völkerrecht, 6. Aufl. 1997, S. 50. Zum historischen Einschnitt im "annus mirabilis" 1989 siehe P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 1133; dazu auch Th. Axworthy, Democracy and Development: Luxury or Necessity, in: K. E. Mahoney/P. Mahoney (Hrsg.), Human Rights in the Twenty-First Century: A Global Challenge, 1993, S. 721 ff., 721. 79 Vgl. dazu S. Kadelbach, Wandel und Kontinuitätendes Völkerrechts und seiner Theorie, in: R. Gröschner!M. Morlok (Hrsg.), Rechtsphilosophie und Rechtsdogmatik in Zeiten des Umbruchs, 1997, S. 178 ff., 179 f. Ein Klassikertext zu den Ideen als "schaffenden Kräften in der Geschichte" ist schon W. v. Humboldts Schrift "Über die Aufgabe des Geschichtsschreibers" (1821), 1946, S. 17 ff. 80 A. Verdross, Die Wertgrundlagen des Völkerrechts, in: ArchVR 4 (1953), S. 129 ff., 129, bezeichnet das Völkerrecht als ein "Produkt der christlich-abendländischen Kultur". S. zu den ideengeschichtlichen Grundlagen der "Respublica Christiana" E. Reibstein, Völkerrecht, Bd. 1, 1958, S. 81 ff.; W. Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte, 2. Aufl., I 988, S. 72 ff.; A. Truyol y Serra, Die Entstehung der Weltstaatengesellschaft unserer Zeit, I 963, S. 29 f; G. Schwarzenberger, Machtpolitik, S. 19 ff.; S. U. Pieper, "The Clash of Civilizations" und das Völkerrecht, in: Rechtstheorie 29 (1998), S. 33 I ff., 337 ff.

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Dritter Teil: Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbürgR

der in der römischen Kirche vereinten Christenheit nicht mehr auszugehen war. Zudem mußte sich schon das scholastische Völkerrecht dem Expansionsdrang der europäischen Mächte nach der Entdeckung der Neuen Welt stellen, und mit der Debatte um das Verhältnis der europäischen Staaten zu den überseeischen Völkern begann auch eine anthropologische Reflexion über die Universalnatur des Menschen und die natürliche Gemeinschaft aller Völker der Welt.81 Der Eurozentrismus war damit aber keineswegs überwunden. Auch das internationale Ordnungsmodell im Zeitalter des Vernunftrechts beruht auf der Konzeption eines "droit public de l'Europe" und dem Mächtegleichgewicht der europäischen Territiorialstaaten.82 Erst der Beginn des 19. Jahrhunderts brachte eine allmähliche Bewußtseinsänderung. Die neu entstandene Staatenwelt in Amerika, die auf Seeherrschaft und Kolonialbesitz begründete Weltmachtstellung Großbritanniens und die damit verbundenen wirtschaftlichen Verflechtungen machten eine pragmatische Öffnung des europäischen hin zu einem universellen Völkerrecht(s)83 notwendig. Ideelles Fundament zur Bildung eines umfassenden Weltstaatensystems war das Bild einer "Gesellschaft der zivilisierten Nationen"84• Der Zivilisationsgedanke wurde zum leitenden Paradigma und legitimierenden Faktor ftlr den Kolonialismus und alle damit verbundenen machtpolitischen Interessen, letztlich ftlr die ideologische Begründung einer "Suprematie der weißen Rasse" 85 • Er lieferte dem missionarischen, übernationalen Sendungsbewußtsein der Staaten Europas, auch Nordamerikas das moralisch-philosophische Rüstzeug: den Glauben an die Überlegenheit der europäischen Kultur einschließlich ihrer von der christlichen Religion her vorgeformten Werteordnung, das Leitbild eines globalen wissenschaftlich-technologi-

81 Vgl. S. Kadelbach, Wandel und Kontinuitätendes Völkerrechts und seiner Theorie, in: Rechtsphilosophie ( ... ), S. 178 ff., 180; A. -E. Perez Luna, Die klassische spanische Naturrechtslehre in 5 Jahrhunderten, 1994, S. 29. 82 S. Kadelbach, Wandel und Kontinuitätendes Völkerrechts und seiner Theorie, in: Rechtsphilosophie ( ...), S. 178 ff., 181. 83 Dazu C. W. Jenks, The Common Law of Mankind, 1958, S. 62 ff.; A. Verdoss/B. Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. 1984. 84 Eine Bezugnahme auf die "civilized nations" findet sich auch noch in neueren Völkerrechtsdokumenten: Art. 22 Völkerbundssatzung, Art. 38 Abs. I Iit. c) lOHStatut; vgl. dazu G. Schwarzenberger, The Frontiers of International Law, 1962, S. 55 ff., S. 67 ff. 85 W. Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte, 1988, S. 533; S. Kade/bach, Wandel und Kontinuitätendes Völkerrechts und seiner Theorie, in: Rechtsphilosophie ( ...), S. 178 ff., 183. Zum Zusammenhang von "International Law and Colonial Policy" vgl. C. W. Jenks, The Common Law of Mankind, 1958, S. 231 ff.

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sehen ebenso wie wirtschaftlichen Fortschritts, schließlich die Idee der Wohlstandsfl>rderung und Entwicklung in den Kolonien. 86 Aber spätestens nach dem Ende des Ersten Weltkrieges hatte die Zivilisationsidee ihre überzeugende und legitimierende Kraft verloren, begann sich die Lehre von der Gleichheit, der Gleichberechtigung und Gleichordnung aller Staaten unabhängig von Größe und Macht, Rasse, Kultur und geographischer Lage als zentrale Gerechtigkeitsbedingung fUr das Zusammenleben der Völkergemeinschaft durchzusetzen. 87 Die Verbindung von Völkerrecht und Zivilisationsgedanke war gelöst, die Menschheit selbst - in der allumfassenden societas humana des rationalistischen Naturrechts, in Vattels "societe des nations" schon im 18. Jh. theoretisch vorbereitet88 - wurde zum Bezugspunkt einer "weltumspannenden Rechtsgemeinschaft"89, ohne dieser aber eine neue, allgemeinverbindliche Werteordnung zugrunde legen zu können. 90 Zu spannungsreich war und ist die Vielfalt der Kulturen, Religionen und Gesellschaftsmodelle, zu verhalten blieben die Bemühungen der Völkerrechtslehre, das schon in der Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776 erhobene Menschheitspostulat wissenschaftlich aufzubereiten. Die Welt des Völkerbundes reagierte auf dieses Vakuum von der eher prozeduralen Seite, um durch erste Ansätze eines Systems kollektiver Sicherheit die Vision einer universellen Friedensgemeinschaft zu realisieren, was aber auch hieß, Einschränkungen der 86 Noch der Mandatsartikel 22 der Satzung des Völkerbundes vom 28. Juni 1919 zeugt, obwohl einer späteren Epoche zugehörig, von einem beinahe religiösen Glauben an die Zivilisation: "To those colanies and territories which as a consequence ofthe late war have ceased to be under the sovereignty of state which formerly govemed them and which are inhabited by peoples not yet able to stand by themselves under the strenuous conditions of the modern world, there should be applied the principle that the wellbeing and development of such peoples form a sacred trust of civilisation (...) (Hervorhebung durch den Verf,)", zit. nach: W. Grewe (Hrsg.), Fontes Historiae Iuris Gentium, Bd. 3/2, 1992, S. 810 ff., 819. Der Terminus "civilized nations" hat noch in Art. 38 Abs. I lit. c IGH-Statut Eingang gefunden - allerdings im völlig veränderten Kontext der Vereinten Nationen. S. auch A. Truyol y Serra, Die Entstehung der Weltstaatengesellschaft unserer Zeit, 1963, S. 45 f., S. 67; H. Nicolson, The Evolution of Diplomatie Method, 1954, S. 73. 87 H. Kelsen, Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts, 2. Aufl., 1928, S. 241 ff., 251 f., postuliert auf der Grundlage seiner "Reinen Rechtslehre" ein Supremat des Völkerrechts und beruft sich dabei ausdrücklich auf die "civitas maxima" des Philosophen Christian Wolff, ganz im Sinne einer übergeordneten Rechtsgemeinschaft "gleichberechtigter und gleichgeordneter Staaten". Vgl. auch U. Scheuner, Fünfzig Jahre Völkerrecht, in: ders., Schriften zum Völkerrecht, 1984, S. 213 ff., 213. 88 W. Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte, 2. Aufl. 1988, S. 689. 89 W. Grewe, ebd., S. 686; C. W. Jen/es, The Common Law ofMankind, 1958, S. 19 und passim. 90 Ebd., S. 690: "ethisch entleerte(s) Normensystem".

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Dritter Teil: Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbürgR

staatlichen Souveränität zugunsten einer weiterreichenden internationalen Rechtsbindung hinzunehmen und die Anerkennung nichtstaatlicher Völkerrechtssubjekte voranzutreiben. 91 Ordnungsbildend wirkten Institutionen wie das Verbot des Angriffskrieges im Briand-Kellogg-Pakt von 192892, die in der Stimson-Dokrin (1932) formulierte Weigerung, gewaltsam erlangten Besitzstand völkerrechtlich anzuerkennen93, vor allem auch die Streitschlichtung durch einen neuen Ständigen Internationalen Gerichtshof in Den Haag.94 Diesen Reformbemühungen diametral entgegengesetzt waren das imperiale Machtdenken von Faschismus und Nationalsozialismus und deren unverhohlene Mißachtung aller rechtlichen und ethischen Grundlagen der internationalen Ordnung.95 Der Austritt Deutschlands und Japans aus dem Völkerbund im Jahre 1933 ist ein entscheidender Faktor für das Scheitern völkerrechtlicher Reformbemühungen in der Zwischenkriegszeit Nicht minder kontraproduktiv wirkte die marxistisch-leninistische Ideologie in der sowjetischen Völkerrechtslehre. Während das nationalsozialistische Deutsche Reich sein Expansionsstreben durch das Konzept einer völkerrechtlichen Großraumordnung zu legitimieren versuchte, übertrug die Sowjetunion die Idee des Klassenkampfes auf die zwischenstaatlichen Beziehungen und bemühte die Figur des "gerechten Krieges" unter der Voraussetzung, daß das gewaltsame Vorgehen gegen bourgeoise Ordnungen nur der vermeintlichen Befreiung des Proletariats diente. 96 Die Ideologisierung des Völkerrechts von rechts wie von links erstickte all die gemeinschaftsbildenden Tendenzen der Völkerbundsära, die zu ersten Hoffnungen auf eine sich schrittweise verfassende Völkerrechtsgemeinschaft Anlaß gegeben hatten. 97

9 1 U. Scheuner, Die Entwicklung des Völkerrechts im 20. Jahrhundert, in: ders., Schriften zum Völkerrecht, S. 185 ff., 187; Ch. Schreuer, The Waning Sovereign State: Toward a New Paradigm for International Law, in: EJIL 4 (1993), S. 447 ff., 449.: "the monolithic picture of an international legal community consisting of States was never entirely accurate." Allg. zur philosophischen Grundlegung der Völkerbundsidee G. Beestermöller, Die Völkerbundsidee, 1995, S. 19 ff. .92 Dazu A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. 1984, S. 68. 93 Ebd., S. 294. Der Text findet sich in AJIL 26 (1932), S. 342 ff. 94 Vgl. S. Kadelbach, Wandel und Kontinuitätendes Völkerrechts und seiner Theorie, in: Rechtsphilosophie ( ...), S. 178 ff., 186. 95 U. Scheuner, Die Entwicklung des Völkerrechts im 20. Jahrhundert, in: ders., Schriften zum Völkerrecht, S. 185 ff., 187. 96 Vgl. dazu K.-H. Ziegler, Völkerrechtsgeschichte, 1994, S. 261 ff. 97 Vgl. G. Beestermöller, Die Völkerbundsidee, 1995, S. 133 ff. Nicht verschwiegen sei auch, daß die Nicht-Beteiligung der USA am Völkerbund von Anfang an eine seiner entscheidenden Schwächen war.

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II. Die anthropozentrische Wende im Völkerrecht

Die Staatengemeinschaft reagierte auf die Unrechtserfahrungen des Zweiten Weltkrieges mit einem fundamentalen Paradigmenwechsel. Die Menschenrechte wurden zum zentralen Wert, ja Fixpunkt der neuen Weltordnung unter dem Regime der Vereinten Nationen98• Diese Idee fand Rückhalt auch im Engagement von Persönlichkeiten wie Eleanor und Frank/in D. Roosevetr oder dem Gelehrten Rene Cassin, der der "Vater der internationalen Menschenrechte" 100 genannt wird. Zahlreiche Menschenrechtsbezüge fmden sich in der UN-Charta. Schon das einleitende Bekenntnis in ihrer Präambel betont die herausragende Bedeutung der "Grundrechte des Menschen" 101 , deren Förderung in Art. 1, Ziffer 3 102 und Art. 55 lit. c 103 als wesentliches Ziel der Weltgemeinschaft genannt ist. Die Universelle Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahre 1948 bildet zusammen mit den beiden UN-Menschenrechtspakten über bürgerliche und politische Rechte (1966) auf der einen, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte ( 1966) auf der anderen Seite die "International Bill of Rights" und

98 Zur historischen Entwicklung: F. Ermacora, Allgemeine Staatslehre, 2. Teilband, 1970, S. 717 ff.; ders., Menschenrechte in der sich wandelnden Welt, I. Bd., 1974, S. 69 ff. Zur Entstehungsgeschichte des IPbürgR siehe J. W. Brügel, Die Menschenrechtskonventionen der Vereinten Nationen, in: Europaarchiv 1967, S. 329 ff.; H. Floretta/Th. Öhlinger, Die Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen, 1978, S. 9 ff.; K. J. Partsch, Über Menschenrechte, VN 1985, S. 166 ff.; K. Doehring, Völkerrecht, 1999, Rn. 243 ff.; W. Bausback, 50 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte - Politisches Dokument mit rechtsgestaltender Wirkung ?, in: BayVBI. 1999, S. 705 ff., 707. Aus der englischsprachigen Lit.: G. Schwarzenberger, The Frontiers of International Law, 1962, S. 300 ff.; Ph. Alston, The UN's Human Rights Record: From San Francisco To Vienna and Beyond, in: Human Rights Quarterly, Vol. 16 (1994), S. 375 ff. 99 Dazu M. G. Johnson, The Contributions of Eleanor and Franklin Roosevelt to the Development of International Protection for Human Rights, in: Human Rights Quarterly, Vol. 9 (1987), S. 19 ff. 100 K. J. Partsch, Über Menschenrechte, VN 1985, S. 166 ff., 168. 101 Im Präambeltext heißt es u.a.: "Wir, die Völker der Vereinten Nationen- fest entschlossen(... ) unseren Glauben an die Grundrechte des Menschen, an Würde und Wert der menschlichen Persönlichkeit, an die Gleichberechtigung von Mann und Frau ( ...) erneut zu bekräftigen( ... )". 102 Art. I UN-Charta: "Die Vereinten Nationen setzen sich folgende Ziele:( ...) 3. eine internationale Zusammenarbeit herbeizufilhren, um internationale Probleme wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und humanitärer Art zu lösen und die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten filr alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion zu fördern und zu festigen;( ... )". 103 Art. 55 UN-Charta: "(... )fördern die Vereinten Nationen ( ... ) c) die allgemeine Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten filr alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion."

II Kotzur

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Dritter Teil: Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbürgR

damit das Kernstück des Menschenrechtsschutzes der Weltorganisation. 104 Dieses wird ergänzt durch das Fakultativprotokoll zum IPbürgR, zahlreiche Spezialkonventionen und Deklarationen regionaler wie internationaler Natur ebenso wie die grundlegende Entscheidung für die Unabhängigkeit der Kolonien und die Friendly Relations Declaration aus dem Jahre 1970 105 • Alle genannten Dokumente weisen die Menschenrechte - neben den Prinzipien der freien Selbstbestimmung der Völker, der souveränen Gleichheit, der nationalen Unabhängigkeit, dem Gewaltverzicht sowie der Verpflichtung zur kollektiven Friedenssicherung - als eine tragende Säule der "neuen Weltordnung" und unverzichtbares Legitimitätskonzept des Völkerrechts aus. 106 Doch war die "neue Weltordnung" von ihrer Geburtsstunde an ein Kompromißversuch, durch den einerseits die Staaten der Welt in eine organisierte Völkerrechtsgemeinschaft 107 einbezogen und so effektive Mechanismen zu dauerhafter Friedenssicherung begründet werden sollten, der andererseits aber das politische Kräftespiel zwischen den Großmächten und die ideologischen Gegensätze zwischen Kommunismus und Kapitalismus als (vermeintlich) unumstößliche Gegebenheiten hinnehmen mußte. 108 Die Diskussion über die internationalen Menschenrechtspakte war in starkem Maße vom Ost-West104 Zum Begriff "International Bill of Rights" siehe: GA Res. 43 (I) vom 11. Dez. 1946; H. Hannum, in: 0. Schachter/Ch. C. Joyner (Hrsg.), United Nations Legal Order, Bd. 1, 1995, S. 319ff., 326; M. Nowak, CCPR Commentary, 1993, Introduction Rn. 1, 2. 105 Zur historischen Entwicklung A. Cassese, Human Rights in aChanging World, 1990, s. 21 ff. 106 D. Georgiev, Politics or Rute of Law: Deconstruction and Legitimacy in International Law, in: EJIL 4 (1993), S. 1 ff., 11 f.; W. Kälin, Menschenrechtsverträge als Gewährleistung einer objektiven Ordnung, S. 9 ff., 36, spricht von der "Wahrung der Menschenrechte als Legitimationsfaktor der organisierten Staatengemeinschaft". 107 Zur Lehre von der internationalen Gemeinschaft vgl. schon R. v. Mohl, Staatsrecht, Völkerrecht und Politik, Bd. 1, 1860 (Nachdruck 1962), S. 579 ff. Zum Begriff der Völkerrechtsgemeinschaft, der das Völkerrecht als Rechtsordnung eines internationalen Systems versteht, das über die bloßen rechtlichen Beziehungen souveräner Staaten hinausgeht, vgl. F. Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. I, 1975, S. 1 - 9; G. Dahm/J. Delbrück!R. Wolfrum, Völkerrecht, Bd. 111, 1989, S. I - 21, insbes. 21 ; A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, 1995, S. 433; ders., Zur Wandlung der Strukturen der Völkerrechtsverträge-Theorie des muttipolaren Vertrages, in: Archiv des Völkerrechts 34 (1996), S. 218 ff., 220; zum Begriff der "community" oder "community of mankind" siehe G. v. G/ahn, Law Among Nations. An lntroduction to Public International Law, 1986, S. 55; weitergehend zum Begriff der "international community" vgl. H. Lauterpacht, International Law. Volume I. The General Works 1978, S. 28 ff., insbes. 29: "The international community of interdependence and solidarity which is thus a significant factor adding to the legal charakter of international law is a community not only of States but also of individuals." 108 Vgl. G. W. Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte, 1984, S. 755 und 756.

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Antagonismus geprägt. Sollten in den Konventionen universell gültige, ftlr alle Signatarmächte akzeptable menschenrechtliche Mindeststandards formuliert werden, so war der ideologischen Verschiedenheit der großen Machtblöcke Rechnung zu tragen. Es durfte nicht darauf ankommen, welch tiefgreifend unterschiedliche weltanschaulich-politische Positionen die teilnehmenden Staaten vertraten. 109 Daher entstanden der IPbürgR und der IPwirtR als separate, selbständige Pakte, wurden die bürgerlichen und politischen Rechte als klassisch-liberale Freiheitsrechte der sogenannten "ersten Generation" von den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leistungsrechten der "zweiten Generation" getrennt und somit auch zwei unterschiedliche Menschenrechtskonzeptionen einander gegenübergestellt. 110 Daneben mußte in beiden Konventionen bei der Formulierung der rechtlichen Verbürgungen durch einen hohen Abstraktionsgrad 111 interpretatorische Offenheit gewährleistet werden, denn die Unterzeichnerstaaten waren nur dann bereit, verbindliche Standards auf internationaler Ebene zu akzeptieren, wenn bei deren Interpretation genügend Freiraum zur Berücksichtigung des jeweils eigenen kulturellen, rechtlichen und politisch-ideologischen Vorverständnisses blieb. Bereits in den ersten Jahren nach der Unterzeichnung der Pakte hat der Gegensatz zwischen den divergierenden Menschenrechtskonzeptionen schrittweise an Bedeutung verloren. Die politische, vor allem aber die rechtswissenschaftliche Diskussion auf nationaler wie internationaler Ebene hat deutlich werden lassen, daß eine idealtypische Kategorisierung der Menschenrechte in völlig getrennte Systeme von Freiheits- und Leistungsrechten nicht möglich ist, sondern daß mannigfache Interdependenzen zwischen einem liberalen und einem sozialen Freiheitskonzept bestehen. 112 Die Einteilung der Menschenrech109 W. v. Simson, Überstaatliche Menschenrechte: Prinzip und Wirklichkeit, in: FS fllr K. J. Partsch, 1989, S. 47 ff., 48. 110 M Nowak, CCPR Commentary, 1993, Introduction Rn. 3; ders., Die Durchsetzung des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte, in: EuGRZ 1980, 532 ff., 533; K. J. Partsch, in: B. Simma (Hr~g.), Charta der Vereinten Nationen, 1991, Art. 55 lit. c Rn. 39; vgl. auch K. J. Partsch, Uber Menschenrechte, in: VH 1985, S. 166 ff., 167; L. Kuhnhardt, Die Universalität der Menschenrechte, 1987, S. 119; Ch. Tomuschat, Die Bundesrepublik Deutschland und die Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen, in: VN, 1978 I ff., 5; H. Hofmann, Menschenrechtliche Autonomieansprüche, JZ 1992, S. 165 ff., 165, spricht von einer "mundanen Teilung". 111 So auch M. Nowak, CCPR-Commentary, 1993, Introduction Rn. 11: 112 Vgl. zur völkerrechtlichen Diskussion z.B. E. Riede/, Menschenrechte der dritten Dimension, in: EuGRZ 1989, 9 ff., der als Fazit seiner Untersuchung (S. 20) ausftlhrt, daß "die lange Tradition der Menschenrechte immer eine ,up hill battle', eine entbehrungsreiche und zunächst nur ethische Forderungen als Fanale setzende geistige Kraft darstellte, die Jahrhunderte brauchte, um Allgemeingut zu werden. Dies galt ftlr die staatsbürgerlichen und politischen Rechte der ersten Dimension und wurde in den Sozialrechten der zweiten Dimension nachvollzogen." Zur wissenschaftlichen Diskussion

u•

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te in verschiedene "Generationen" bestätigt diesen Befund schon auf rein begrifflicher Ebene. Hier kommt zum Ausdruck, daß die Rechte als etwas "Gewordenes", "Gewachsenes" in einem dynamischen Entwicklungsprozeß entstanden, fortentwickelt und präzisiert worden sind, daß sie letztlich auf den gleichen geistesgeschichtlichen Wurzeln beruhen. 113 Dieses Gemeinsame gibt der sich verfassenden Völkergemeinschaft den Rahmen vor: Freiheitssicherung filr den einzelnen, die Schaffung einer gesicherten sozialen Existenzgrundlage in globaler Perspektive, ohne die effektive Freiheitsausübung unmöglich bleibt, das Nebeneinander wirtschaftlicher, politischer und kultureller Freiheiten. Die anthropozentrische Wende im Völkerrecht ftlhrt zu einer Neuausrichtung in doppelter Dimension. Der Mensch rückt in den Mittelpunkt der Völkerrechtsordnung und macht damit zugleich deren qualitative Veränderung notwendig: ihre schrittweise Entwicklung hin zu einer verfaßten Gemeinschaft. 111. Die Idee der verfaßten Völkerrechtsgemeinschaft Geltungsanspruch, Wirkung und konstitutiver Charakter der Menschenrechte im Völkerrecht können nicht losgelöst von der Vorfrage nach Selbstverständnis und rechtlicher Struktur einer wie auch immer verstandenen internationalen Ordnung diskutiert werden. Es geht hier nicht darum, die in der Literatur ausfUhrlieh behandelte, mitunter kontroverse Diskussion um die Rechtsqualität des Völkerrechts wiederaufzunehmen. 114 Soll die Idee der "Völkerrechtsgemeinschaft" aber nicht bloße Floskel moderner politischer Rhetorik bleiben, muß der Gemeinschaftsgedanke im Kontext des internationalen Men-

in der Bundesrepublik Deutschland vgl. die Darstellung von P. Häberle, Grundrechte im Leistungsstaat, VVDStRL 30 ( 1972), S. 43 ff. 113 P. Häberle, Der Verfassungsstaat in entwicklungsgeschichtlicher Perspektive, in: FS filr K. Stern, 1997, S. 143 ff., 150; zur Terminologie der Generationen vgl. auch M. Y. A. Zieck, The Concept of "Generations" of Human Rights and the Right to Benefit from the Common Heritage of Mankind with Reference to Extraterrestrial Realms, VRÜ 25 (1992), S. 161 ff., 164 ff., E. H. Riede/, Menschenrechte der dritten Dimension, in: EuGRZ 1989, S. 9 ff.; H. Hofmann, Menschenrechtliche AutonomieansprUche, in: JZ 1992, S. 165 ff., 165; W. Brugger, Menschenrechte im modernen Staat, in: AöR 114 (1989), S. 537 ff. (553 f.); P. Kirchhof, Verfassungsrechtlicher Schutz und internationaler Schutz der Menschenrechte: Konkurrenz oder Ergänzung?, in: EuGRZ 1994, S. 16, 21 ff.; K. Stern, Staatsrecht 11112, S. 1550 ff. 114 Vgl. dazu Ph. C. Jessup, Modemes Völkerrecht, 1950, S. 14 ff.; H. Lauterpacht, International Law, Vol. I, 1978, S. 9 ff.; A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl., 1984, S. 1 ff.; A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, 1995, s. 415 ff.

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Sehenrechtsschutzes neu erörtert werden. m Ein erster Fragenkatalog mag die Thematik anreißen. Woraus lebt die Gemeinschaft, hat sie ihre eigene Öffentlichkeit? Gibt es überhaupt einen Ansatz filr den notwendigen gemeinschaftsbildenden Konsens? Lassen heterogene Kulturen, Weltanschauungen und Politikentwürfe Gemeinschaftsbildung zu, oder stehen dem die Eigeninteressen der Staaten entgegen? Gibt es originäre Gemeinschaftsinteressen der Völkergemeinschaft, muß sie sich Begriffe wie Gemeinwohl und res publica als übernationale Kategorien zu eigen machen? Eine erste Annäherung sei aus geschichtlicher Perspektive versucht. I. Historische Wurzeln des Gemeinschaftsgedankens im Völkerrecht Art. 53 der Wiener Vertragsrechtskonvention (WVK) von 1969 ist der wohl bekannteste völkerrechtliche Vertragstext, der den Gemeinschaftsgedanken in der Formel von der "international community of States as a whole" positiviert116. Diese wichtige Innovation hat der Internationale Gerichtshof (IGH) schon 1970 in seinem berühmt gewordenen Barce/ona-Traction-Urteil aufgegriffen . 117 Der Begriff hat aber eine sehr viel längere Geschichte. Er geht zurück auf das kosmopolitische Gedankengut in der Philosophie der Stoa, auf die Schriften von Platon und Aristote/es 118 • Darauf aufbauend hat der wohl bedeutendste römische Jurist, Cicero, in seinem Werk "De legibus" den Entwurf einer die damals bekannte Welt umspannenden "humanitas" gewagt und den Wurzelgrund filr das moderne Denken von der "Menschheit" gelegt: "Universus hic mundus una civitas communis deorum atque hominum existimanda" 119. In den Schriften der spanischen Theologen des 16. Jahrhunderts fmdet der klassische Ansatz der Antike eine wichtige Renaissance. Genannt sei zunächst die "Orbisidee" bei F. de Vitoria, der die Völkergemeinschaft als naturgegebene, einheitsbildende Zusammenfassung aller Menschen und Völker begreift. 120 115 Zu Recht kritisiert Ch. Tomuschat, Die internationale Gemeinschaft, in: Archiv des Völkerrechts 33 (1995), S. I ff., 1, die inflationäre und unreflektierte Verwendung des "Modebegriffs" von der internationalen Gemeinschaft. 116 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969, BGBI. 1985 II, 927. 117 I.C.J.-Reports 1970, S. 3 (32). Aus der Folgejudikatur vgl. I.C.J-Reports 1980, S. 3 (43)- Teheraner Geisel-Fall. 118 Dazu W. Schreckenberger, Der moderne Verfassungsstaat und die Idee der Weltgemeinschaft, in: Der Staat 34 (1995), S. 503 ff., 507. 119 De legibus I, 7, 23. 120 "Habet enim totus orbis, qui aliquomodo est una respublica ( ... )."(Depot. civ. n. 21 , Getino II, S. 207). Vgl. dazu J. Soder, Die Idee der Völkergemeinschaft, 1955, S. 53 ff., 60 ff., 65 ff. (zum Verhältnis von Orbisidee und ius gentium).

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Eine ähnliche Rolle spielt die "unitas", "communitas" und "communicatio" bei F. Suarez 121 • Der Grund ftlr theologisch-philosophische Reflexionen über Einheits- und Gemeinschaftsbildung war zunächst keine globale Vision. Vielmehr sollte dem beginnenden, zunächst allmählichen Zerfall der kirchlichen und staatlichen Einheit in Europa die Idee eines gemeinsamen kulturellen Erbes und darin wurzelnder Wertvorstellungen als verbindlicher Ordnungsrahmen zwischenstaatlicher Beziehungen entgegengesetzt werden. 122 Weitere Konkretisierungen erfllhrt der Gemeinschaftsgedanke bei S. Pufendorf und Ch. Wo/ff. S. Pufendorf unterscheidet die "societas universalis" von der "societas particularis" des Einzelstaates. 123 Auch Ch. Wo?ffbekennt sich zu einer "civitas maxima", der zu Folge die Natur selbst alle Nationen zu einem Ganzen, zu einem gesellschaftlichen Verbund zusammengeftlgt habe. 124 Und schließlich zu einem weiteren Klassiker, der in vorliegendem Kontext nicht ungenannt bleiben darf: I. Kant. Sein philosophischer Entwurf "Zum ewigen Frieden" ( 1795/96) lebt vom Glauben an eine die Menschheit umfassende Gemeinschaft, an ein "Weltbürgertum", an einen "allgemeinen Menschenstaat" 125 • Für die Rezeption des Gemeinschaftsdenkens im 19. Jahrhundert sei auf ein Dictum des Schweizer Völkerrechtslehrers Johann C. Bluntschli aus dem Jahre 1868 verwiesen: "Das Völkerrecht verbindet als allgemeines Menschenrecht Christen und Mohamedaner, Brahamisten und Buddhisten, die AnhänJ&er des KongfutsU und die Verehrer der Gestirne, die Gläubigen und Ungläubigen." 1

Diese Ansätze und Traditionen wirken im 20. Jahrhundert fort. Zwar konnte spätestens seit dem Ende des Ersten Weltkrieges das ius publicum europaeum nicht mehr die Basis ftlr ein sehr viel differenzierteres, weltumspannendes Staatensystem bilden, doch blieb der Gemeinschaftsgedanke Iebendig 127 und gewann nunmehr in der Auseinandersetzung mit den rein positivistischen F. Suarez, Ausgewählte Texte zum Völkerrecht, 1965, S. 66. Dazu A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, 1995, S. 433. 123 S. Pufendorf, Deiure naturae et gentium, Buch VIII, Kap. 4 § 21. 124 Jus Gentium Methodo Scientifica Pertractatum, 1764, §§ 7, 9 (Gedanke der civitas maxima). Dazu F. Cheneval, Der präsumtiv vernünftige Konsens der Menschen und Völker- Christian Wo{US Theorie der civitas maxima, in: ARSP 85 (1999), S. 563 ff. 125 Dazu J. Habermas, Kants Idee des ewigen Friedens- aus dem historischen Abstand von 200 Jahren, in: Kritische Justiz 1995, S. 293 ff. 126 J. K. Bluntsch/i, Das moderne Völkerrecht der civilisierten Staaten, 1868, § 6 Abs. 3; ders., Lehre vom Staat, Bd. I, Allgemeine Staatslehre, 6. Aufl. 1886 (Neudruck 1965), S. 85: "Der Glaube an die Einheit des Menschengeschlechts ist dem gereinigten religiösen Geftlhl unentbehrlich. ( ...) Der civilisierte Staat setzt diese Einheit ebenfalls voraus." 127 Zur Lehre von der internationalen Gemeinschaft im 19. Jh. vgl. R. von Moh/, Staatsrecht, Völkerrecht und Politik, Bd. I, 1860 (Nachdruck 1962), S. 579 ff. 121

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Strömungen ein neues, eigenständiges Profil. In seiner Schrift über "Die Verfassung der Völkerrechtsgemeinschaft" aus dem Jahre 1926 bekennt sich A. Verdross zu einer am Gerechtigkeitswert orientierten, durch verbindliche Rechtsnormen geordneten, eigenständigen internationalen Gemeinschaft, die mehr ist als die bloße Summe der sie bestimmenden nationalen Teilordnungen. 128 Dieses Mehr auf der Grundlage eines breiteren, soziologischen und politikwissenschaftlichen Ansatzes zu ergründen und im gemeinschaftsbildenden Zentralwert der Menschenwürde zu verorten, war Anliegen der von Lasweil und McDougal begründeten New Haven School. Demgegenüber gab insbesondere die deutsche Völkerrechtslehre der Nachkriegszeit auch angesichts der unmittelbar erlebten großen Totalitarismen des 20. Jahrhunderts einem pragmatisch orientierten Ansatz den Vorzug und näherte sich dem Gemeinschaftstopos allenfalls zögerlich. Doch je mehr die UN-Charta trotz oder gerade wegen ihrer beständigen Relativierung durch die Blockadepolitik des Kalten Krieges in ihren Zielen ernst genommen, je intensiver um gemeinsame Menschenrechtsstandards gerungen wurde, um so unentbehrlicher erwies sich das Gemeinschaftsdenken filr die sachgerechte Definition eines modernen Völkerrechtsbegriffs. 2. Definitionselemente eines modernen Völkerrechtsbegriffs

Drei der wesentlichen Elemente der modernen Völkerrechtordnung unter dem Regime der Vereinten Nationen lassen sich auf den folgenden Nenner bringen. Sie ist erstens normative Grundlage filr ein internationales System, das sich zweitens nicht auf die rechtlichen Beziehungen zwischen souveränen Staaten und deren Konsens beschränkt, sondern internationale Or~anisationen, zwischenstaatliche Einrichtungen, nicht zuletzt die Individuen 12 einbezieht, und dabei drittens eine eigene Identität als Gemeinschaft und originäre Allgemeininteressen ausprägt. 130 Als viel beachtetes Beispiel filr dieses Verständnis kann die von H. Lauterpacht vorgeschlagene Defmition des Völkerrechts gelten:

Ebd., S. 3 ff. Dazu schon Ph. Jessup, Modemes Völkerrecht, 1950, S. 28 ff. 130 Vgl. Ph. Jessup, Modemes Völkerrecht, 1950, S. 11; F. Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. I, 1975, S. 1-9; G. von Glahn, Law among Nations. An Introduction to Pubtic International Law, 1986, S. 55 ("community", "community of mankind"); G. Dahm/J. Delbrück!R. Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, 1989, S. 1-21; A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, 1995, S. 433 ff. ; ders., Zur Wandlung der Strukturen der Völkerrechtsverträge - Theorie des muttipolaren Vertrages, in: Archiv des Völkerrechts 34 ( 1996), S. 218 ff., 220. 128

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Dritter Teil: Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbürgR

"International Iaw is the body of rules of conduct, enforceable by external sanction, which confer rights and impose obligations primarily, though not exclusively, upon sovereign States and which owe their validity both to the consent of States as expressed in customs and treaties and to the fact of the existence of an international community ofStates and Individuals." 131

Lauterpacht ergänzt die klassische Konsenstheorie um eine entscheidende, zweite Grundlage ftlr die Wirksamkeit völkerrechtlicher Normen: "the fact of the existence of an international community". Die Normen entfalten Geltungskraft in der Gemeinschaft und ftlr die Gemeinschaft, die Gemeinschaft ist ftlr ihre effektive Durchsetzung verantwortlich. Das kann aber nur gelingen, wenn originäre Interessen der Gemeinschaft bestehen und wenn Kooperation an die Stelle von Koexistenz tritt. Das Zusammenleben von immer mehr Menschen auf immer engerem Raum, das Bedrohungspotential moderner Massenvernichtungswaffen und das Wissen um wechselseitige wirtschaftliche Abhängigkeit auf globalen Märkten haben die Notwendigkeit der Zusammenarbeit und neuartiger völkerrechtlicher Verbindungen nachhaltig verstärkt. Sie haben darüber hinaus zu einem "substantiellen Gemeinschaftsbewußtsein" 132 geftlhrt, das im Kontext eines relativierten Souveränitätsdenkens, des umfassenden Gewaltverbotes und der Menschenrechte einen Paradigmenwechsel in den vormals rein zwischenstaatlichen Beziehungen ermöglicht. 3. Die Differenzierung zwischen Völkergemeinschaft und Staatengesellschaft a) Das soziologische Gesellschafts- und Gemeinschaftsmodell Welche Entwicklungschancen die "international community" im Sinne der Lauterpachtsehen Defmition hat, kann eine Gegenüberstellung von Völkerrechtsgemeinschaft und Staatengesellschaft zeigen. 133 Der im Völkerrecht gebräuchliche Gemeinschaftsbegriff ist nicht identisch mit der von der modernen

131

29.

International Law, Vol. I, 1978, S. 9; speziell zum GemeinschaftsbegriffS. 28 ff.,

132 So D. B/umenwitz, Souveränität - Gewaltverbot - Menschenrechte, in: Politische Studien, Sonderheft 4/1999, S. 19 ff., 20. 133 In der völkerrechtlichen Lit. werden die Begriffe "Gesellschaft" und "Gemeinschaft" häufig noch undifferenziert, oft als Synonyme verwendet. S. dazu schori G. L. Williams, International Law and the Controversy Concerning the Word "Law", in: British Yearbook oflnternational Law 22 (1945), S. 146 ff.; N. Onuf, The Constitution of International Society, in: EJIL 5 (1994), S. I ff., 1: "Nevertheless, the terrn ,international society' has a decidedly rhetorically flavour, often used interchangeably with terrns like ,international community' or ,family ofnations'."

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Soziologie entwickelten Unterscheidung von Gesellschaft und Gemeinschaft 134, die Modelle des Zusammenlebens von Individuen, nicht von Staaten, zu umschreiben sucht. Dennoch sind die in soziologischer Terminologie entwickelten Idealtypen auch von völkerrechtlicher bzw. politikwissenschaftlicher Seite rezipiert worden, näher spezifiziert in der Gegenüberstellung von Völkergemeinschaft und Staatengesellschaft. 135 Gemeinschaft bezeichnet dabei eine beliebige, größere oder kleinere soziale Einheit, deren Glieder ursprünglich und natürlich so fest miteinander verbunden sind, daß bei allen im Miteinander unvermeidbar entstehenden Auseinandersetzungen die ursprüngliche Bindung als solche niemals in Frage gestellt wird und die Gemeinschaft immer Zweck in sich bleibt. 136 Gesellschaft ist demgegenüber ein sozialer Körper, dessen Glieder ursprünglich selbständig, egoistisch, gegeneinander und frei voneinander sind und sich erst nachträglich zum Zwecke der Befriedigung selbstdefinierter Interessen zusammengeschlossen haben, also bloßes Mittel zum Zweck friedlicher Koexistenz. 137 Formaljuristisch lassen sich beide Formen am Vertragsmodell erläutern: die Gemeinschaft als ein dauernder, auf gegenseitigem Vertrauen gründender, existentieller Vertrag mit offenen Zielen, die Gesellschaft als Zweckvertrag inhaltlich und zeitlich begrenzter Natur. 138

134 Grundlegend F. Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft, 8. Aufl. 1935, S. 8 ff., 40 ff.; vgl auch G. Frankenberg, Die Verfassung der Republik, 1997, S. 77 ff. 135 Aus dem älteren Schrifttum: G. L. Williams, International Law and the Controversy Concerning the Word "Law", in: British Yearbook oflnternational Law 22 (1945), S. 146 ff., 155 f.; G. Schwarzenberger, Machtpolitik, 1955, S. 7 ff.; ders., The Frontiers of International Law, 1962, S. 9-11 , S. 22 und passim; ders., Über die Machtpolitik hinaus?, 1968, S. 11, 43 f., 0. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, 1. Aufl., 1975, S. 83 ff. (nicht mehr explizit in der 6. Aufl. 1997 übernommen). Aus der neueren und neuesten Lit.: H. Mosler, The International Society as a Legal Community, 1980, S. 15 ff.; D. Kennedy, Theses about International Legal Discourse, in: German Yearbook of International Law 23 (1980), S. 353 ff., 385 f.; G. C. McGhee, International Community, 1992, S. 37 ff.; P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 216. 136 F. Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft, 8. Aufl. 1935, S. 8; K. Schilling, Geschichte der sozialen Ideen, 2. Aufl., 1966, S. 13; G. Schwarzenberger, Machtpolitik, 1955, s. 8. 137 F. Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft, 8. Aufl. 1935, S. 40: "Die Theorie der Gesellschaft konstruiert einen Kreis von Menschen, welche, wie in der Gemeinschaft, auf friedliche Art nebeneinander leben und wohnen, aber nicht wesentlich verbunden, sondern wesentlich getrennt sind,(... ) dort verbunden bleibendtrotzaller Trennungen, hier getrennt bleibend trotz aller Verbundenheit." S. auch K. Schilling, Geschichte der sozialen Ideen, 2. Aufl. 1966, S. 13; G. Schwarzenberger, Machtpolitik, 1955, S. 8. Zur völkerrechtlichen Theorie von der friedlichen Koexistenz R. Streinz, Meinungs- und Informationsfreiheit zwischen Ost und West, 1981, S. 121 ff. 138 Dazu K. Schilling, Die Geschichte der sozialen Ideen, 2. Aufl. 1966, S. 16.

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Gesellschaft und Gemeinschaft im Sinne dieses soziologischen Dermitionsansatzes sind letztlich nur Idealbegriffe, die in der Wirklichkeit kaum in Reinform vorkommen. Kein soziales Gebilde von der antiken Polis bis hin zum modernen Staat, von der Familie bis hin zur ethnischen Gruppe ist Gemeinschaft oder Gesellschaft schlechthin. 139 Es gibt vielmehr zahlreiche Verflechtungen und Überschneidungen, deren Zusammenspiel differenziert erfaßt werden muß. b) Gesellschaft und Gemeinschaft als Kategorien des Völkerrechts aa) Die Staatengesellschaft des klassischen Koexistenzvölkerrechts

Für die Strukturen des klassischen Koexistenzvölkerrechts 140 ist der Typus Gesellschaft das näherliegende, adäquate ErklärungsmodelL Es geht von ursprünglich selbständigen, souveränen und mehr oder weniger autarken Staaten aus, die machtpolitische Eigeninteressen verfolgen und hauptsächlich zum Zwecke der Friedenssicherung nachträgliche, vertragliche Bindungen von beschränktem Umfang und beschränkter Dauer eingehen. 141 So beschreibt das Internationale Straftribunal fl1r das ehemalig Jugoslawien (Appeals Chamber) im Fall Tadic (2. Oktober 1995) die überkommene Konzeption wie folgt: "Whenever anned violence erupted in the international community, in traditional internationallaw the legal response was based on a stark dichotomy: belligerency or insurgency. The former category applied to anned conflicts between sovereign States (unless there was recognition of belligerency in a civil war), while the latter applied to anned violence breaking out in the territory of a sovereign State. ( ... ) This dichotomy was clearly sovereignty-oriented and reflected the traditional configuration of the international community, based on the coexistence of sovereign States more inclined to Iook after their own interests than community concems or humanitarian demands." 142

139 K. Schilling, Die Geschichte der sozialen Ideen, 2. Aufl. 1966, S. 17; G. Schwarzenberger, Über die Machtpolitik hinaus, 1968, S. 11: "Die Tatsache, daß die internationalen Beziehungen der Vergangenheit und Gegenwart weitgehend einen Gesellschaftscharakter hatten und haben, bedeutet nicht, daß in ihnen keine Züge von Gemeinschaft zu finden sind." 140 Vgl. R. Streinz, Meinungs- und Informationsfreiheit zwischen Ost und West, 1981, s. 121 ff. 141 SoG. Schwarzenberger, Machtpolitik, 1955, S. 8 ff.; ders., The Frontiers of International Law, 1962, S. 9; ders., Über die Machtpolitik hinaus?, 1968, S. 11 ; dazu auch 0 . Kimminich, Einfilhrung in das Völkerrecht, 1. Aufl. 1975, S. 83. 142 HRLJ 16 (1995), S. 437 ff., 457 (Ziff. 96 a. E.).

B. Die Völkerrechtskonzeption des IPbürgR

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Auf dieser Prämisse aufbauend, sind dem Konzept bloßer Koexistenz originäre Gemeininteressen und Gemeinwohlbelange der in einem internationalen System miteinander verbundenen Staaten und Völker fremd,. bb) Die sich verfassende Völkerrechtsgemeinschaft im Zeitalter des Kooperationsvölkerrechts

Doch die im Zeitalter der Globalisierung 143 zunehmend verflochtenen Interessen der Staatenwelt haben die sinkende nationalstaatliche Steuerungskapazitae44 deutlich werden lassen und einen dynamischen Entwicklungsprozeß hin zum echten Kooperationsvölkerrecht eingeleitet, das sich dem Gemeinschaftsgedanken öffnen muß. 145 Wieder ist I. Kant wegweisend. Er sieht schon in seinem Entwurf "Zum ewigen Frieden" die vergemeinschaftende Kraft des Welthandels, betont in seiner Rechtslehre (§ 62) die durch den Verkehr von Nachrichten, Personen und Waren geförderte, wachsende Interdependenz der Gesellschaften. 146 Der Gedanke einer weltweiten Partnerschaft, den die Prä143 Zum Begriff siehe A. Prinz/H Beck, Politische Ökonomie der Globalisierung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 23/99, S. 11 ff., 11; H James, Die Globalisierung der Wirtschaft, 1997; siehe auch D. Brock, Wirtschaft und Staat im Zeitalter der Globalisie· rung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 33-34/97, S. 12 ff., insbes. 15 ff.; J. Friedrichs, Globalisierung- Begriff und grundlegende Annahmen, in: ebd., S. 3 ff., 3; F.-X Kaufmann, Globalisierung und Gesellschaft, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 18/98, S. 3 ff., 6 f.; R. McCorquodale/R. Fairbrother, Globalization and Human Rights, in: Human Rights Quarterly 21 (1999), S. 735 ff., 736 f. 144 Dazu P. Kirchhof, Der Staat als Organisationsform politischer Herrschaft und rechtlicher Bindung, DVBI. 1999, S. 637 ff., 646; J. Frowein, Kritische Bemerkungen zur Lage des deutschen Staatsrechts aus rechtsvergleichender Sicht, DÖV 1998, S. 806 ff., 806. E.-0. Czempiel, Weltpolitik im Umbruch, 1991, S. 86 ff. Bemerkenswert in diesem Kontext auch das Dictum W. v. Simsons: "Politik ist heute weit mehr das Erkennen einer Lage als das Treffen von Entscheidungen." (Der Staat der Industriegesellschaft, in: ders., Der Staat(...), S. 77 ff., 80). 145 Zu den Idealen von Gerechtigkeit, Freiheit und Gemeinschaft als modernen Bezugspunkten der politikwissenschaftlichen Theoriebildung siehe W. Kymlicka, Politische Philosophie heute, 1996, S. 1; siehe auch D. Senghaas, Weltinnenpolitik- Ansätze fllr ein Konzept, in: Europaarchiv 1992, S. 643 ff., 646 f.: "weltweite Schicksalsgemeinschaft", "Weltöklogieproblematik", "Weltrisikogesellschaft"- so die Terminologie M Zürns. "Weltinnenpolitik" ist ein auf auf C. F. v. Weizsäcker (Bedingungen des Friedens, 4. Aufl. 1964, S. 13 ff.) zurückgehender Begriff. Ausdrücklich gegen das Konzept einer Weltgemeinschaft A. Randelzhofer, Der normative Gehalt des Friedensbegriffs im Völkerrecht der Gegenwart, in: J. Delbrück (Hrsg.), Völkerrecht und Kriegsverhütung, 1979, S. 13 ff., 19. 146 Dazu J. Habermas, Kants Idee des ewigen Friedens - aus dem historischen Abstand von 200 Jahren, in: Kritische Justiz 1995, S. 293 ff., 297 f. Siehe auch die geistige Nähe zu den Verkehrsfreiheiten des EG-Vertrages als Grundlagen und Ziele der europäischen Union.

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ambel der "Erklärung von Rio zu Umwelt und Entwicklung" (Rio Deklaration von 1992) auf einen modernen völkerrechtlichen Text bringt, ist nichts anderes als eine zeitgemäße Explikation des Kantschen Ansatzes: "Die Konferenz der Vereinten Nationen filr Umwelt und Entwicklung(... ) mit dem Ziel, durch die Schaffung von neuen Ebenen der Zusammenarbeit zwischen den Staaten, wichtigen Teilen der Gesellschaft und der Bevölkerung eine neue und gerechte weltweite Partnerschaft aufzubauen (... )". 147

Für den kooperationsoffenen Verfassungsstaat ergeben sich daraus gravierende Konsequenzen. Ein während des 19. und weiten Teilen des 20. Jahrhunderts nicht nur, aber besonders stark in der deutschen Staatslehre vorherrschendes statisch-etatistisches Denken ist angesichts einer veränderten Wirklichkeit obsolet geworden. 148 Daß politische Gemeinschaftsbildung sich heute auch jenseits der Grenzen souveräner Nationalstaaten vollzieht, beweisen nicht nur der Sonderfall der Europäischen Union und das Ringen um einen adäquaten Begriff, der ihre Rechts- und Gemeinschaftsnatur möglichst treffend umreißen soll und sich schon daher mit den gängigen Kategorien von Bundesstaat und Staaten(ver)bund nicht mehr begnügen darf. Auch die internationale Staatenwelt als solche wird mehr und mehr zu einer sich schrittweise konstituierenden Werte- und Interessengemeinschaft, zu einer "society of communities in formation"149. Damit ist kein Weltstaat gemeint, sondern eine auf vielfältigen Ebenen kooperativ miteinander verzahnte Staatengemeinschaft, die globale In-

147 Abgedruckt in EA 1993, S. D 28 ff., D 28 f.; vgl. ebd., S. D 29: "Grundsatz 7: Die Staaten arbeiten im Geist einer weltweiten Partnerschaft zusammen (... )". Wenngleich bloße Erklärungen wie die Rio-Deklaration keine völkerrechtliche Verbindlichkeit beanspruchen können, liefern sie doch wichtiges Textmaterial filr die wissensebenschaftliehe Aufbereitung einer zeitgemäßen Völkerrechtsdoktrin. 148 Zu Recht fordert P. Häber/e, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 38, 85 und passim, den Begriff der "Allgemeinen Staatslehre" zu verabschieden und stattdessen in mundialern Rechtsvergleich eine "Verfassungslehre" zu entwikkeln. Mit ähnlicher Tendenz, aber noch stärker staatsbezogen M W Hebeisen, Souveränität in Frage gestellt, 1995, S. 666: "Staatenlehre"; siehe auch G. Nicolaysen, Der Nationalstaat klassischer Prägung hat sich überlebt, in: FS U. Everling, Bd. II, 1995, S. 945 ff., 950: "modifizierte Staatlichkeit". 149 G. McGhee, International Community, 1992, S. 39; zu den Entwicklungsbedingungen einer internationalen Rechtsgemeinschaft vgl. auch G. Schwarzenberger, Über die Machtpolitik hinaus?, 1968, S. 43 ff.; zu ersten Ansätzen eines "Recht(es) der Gemeinschaft", eines "International Law of Co-Ordination" siehe ders., Machtpolitik, 1955, S. 136 f., und ders., The Frontiers of International Law, 1962, S. 34 ff. Aus rechtsvergleichender Sicht C. W Jenks, The Common Law ofMankind, 1958, S. 169 f., 414: "International law is in process of development from the law of an unorganised society into that ofan organised community". Vgl. auch W Herte/, Supranationalität als Verfassungsprinzip, 1998, S. 87.

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teressen formuliert. I so Deren Umsetzung obliegt zum Teil den internationalen Institutionen, in noch stärkerem Maße jedoch wiederum den "gemeinschaftsgebundenen Verfassungsstaaten" . 151 Diesem Modell verschränkter Ebenen entspricht graduell, was die "Verfaßtheit" der Staatengemeinschaft ausmacht. Zwar fehlt es ihr an einer generellen Verfassung, aber vor allem die UN-Charta (dort insbes. Kapitel 1) und die universellen Menschenrechtspakte enthalten zahlreiche verfassende Teilelemente in materiell-rechtlicher wie prozeduraler Hinsicht. 152 Wie im Zusammenhang mit dem Konzept der Menschenrechtspakte als Verfassungsverträge bereits ausgefilhrt, ist der Verfassungsbegriff dabei nicht staatsbezogen gedacht, sondern auf jede durch normativ verpflichtende Bindungen geformte Rechtsgemeinschaft bezogen. ISJ Diese Sicht hat, was eine etatistische Staatsleh-

ISO Dazu A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, 1995, S. 35 ff. und passim (zum Allgemeininteresse); P. Häber/e, Der kooperative Verfassungsstaat (1978), in: ders., Verfassung als öffentlicher Prozeß, 3. Aufl. 1998, S. 407 ff.; E. Riede/, Paradigmenwechsel im internationalen Umweltrecht, in: FS G. Roellecke, 1997, S. 255 ff., S. 266 f., 278. 151 So der aussagekräftige Terminus bei E. Riede/, Paradigmenwechsel im internationalen Umweltrecht, in: FS G. Roellecke, 1997, S. 255 ff., 278. 152 Früh schon die bemerkenswerte dissenting opinion von M A/varez im GenozidFall, I.C.J.-Reports 1951, S. 15 ff., 51 ("Constitution ofinternational society"); A. Ross, The Constitution oftheUnited Nations, 1950; C. W Jenks, The Common Law ofMankind, 1958, S. 26; H Mosler, The International Society as a Legal Commuity, 1980, S. 16. Weiterführend: E. Schwe/b, Die Menschenrechtsbestimmungen der Charta der Vereinten Nationen und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, in: VN 1973, S. 180 tf., 181; Ch. Tomuschat, Der Verfassungsstaat im Geflecht der internationalen Beziehungen, VVDStRL 36 (1978), S. 7 ff., 52 ("völkerrechtliche Nebenverfassung"); ders., Die Bundesrepublik Deutschland und die Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen, in: VN 1978, S. 1 ff., 2 (UN-Charta und Menschenrechtspakte als "Kern einer künftigen Weltverfassung"); H J. Berman, Towards an Integrative Jurisprudence: Politics, Morality, History, in: California Law Review, Vol. 76 (1988), S. 779 ff., 799; L.-C. Chen, An Introduction to Contemporary International Law, 1989, S. 437 ("global constitutive process"); A. Watts, The International Rufe of Law, in: German Yearbook of International Law 36 (1993), S. 15 tf., 22 ("quasi-consitutional framework"); N. Onuf, The Constitution of International Society, in: EJIL 5 (1994), S. I ff., 7 f., 15 f. (S. 18: Chapter I of the UN-Charta as the "international society's material constitution"); K. Ginther, Zivilgesellschaft und Entwicklung, in: VRÜ 30 (1997), S. 137 ff., 151 ff.; P. Häber/e, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 191 ff.; B. Fassbender, The United Nations Charteras Constitution of the International Community, in: Columbia Journal of Transnational Law 36 (1998), S. 529 ff., 546 und passim; W. Hertel, Supranationalität als Verfassungsprinzip, 1998, S. 88, mit spezifischem Blick auf die EU (",Gemengelage' teilsouveräner staatlicher und supranationaler Rechtsordnungen"). 153 Aus der europarechtlichen Lit: P. Häber/e, Die europäische Verfassungsstaatlichkeit, in: ders., Europäische Verfassungslehre in Einzelstudien, 1999, S. 64 ff., 89 ff.; W

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re gerne übersieht, durchaus eine fest verwurzelte Tradition in der völkerrechtlichen Literatur. 154 A/fred Verdross entwickelte schon in seiner 1932 erschienen Schrift über die "Einheit des rechtlichen Weltbildes auf Grundlage der Völkerrechtsverfassung" eine monistische Rechtstheorie, die die Völkerrechtsverfassung zur Grundlage eines einheitlichen Rechtssystems und damit mittelbar zu einer Verfassung auch all der staatlichen Rechtsordnungen macht, die sich zur Geltung des Völkerrechts bekennen. 155 Einen weiten, vom Staatsrecht gelösten Verfassungsbegriff hat Rudo/f Bindschedler entwickelt. Nach seiner Theorie beruht jede Rechtsgemeinschaft notwendig auf einer Verfassung im normativen Sinne. 156 Demgegenüber nähert sich A/fRoss der Verfassungsfrage aus der Perspektive der Institutionen und wertet die Gründung weltumspannender internationaler Organisationen als ein Stück Verfassungsbildung. 157 Ganz ähnlich spricht auch C. W Jen/es von einem "constitutional law of international organisations". 158 Dieses Denken lebt bis heute in Teilen der neueren amerikanischen VölkerrechtslehrelS9 fort und beherrscht ebenso die Diskussion um den europäischen Einigungsprozeß. So wie die genannten Völkerrechtler inspirierend und theoriebildend auf Europa wirken, kann umgekehrt das Europarecht dem Völkerrecht manchen Anstoß zurückgeben. Das Nebeneinander sich verfassender Teilordnungen, ftlr die Europäische Union modellhaft entwickele60, sollte auf internationaler Ebene Schule machen.

Hertel, Supranationalität als Verfassungsprinzip, 1998, S. 61 ff., 92 ff.; R. Steinberg, Grundgesetz und Europäische Verfassung, in: ZRP 1999, S. 365 ff., 366 ff. 154 Vgl. dazu die Darstellung bei W Hertel, Supranationalität als Verfassungsprinzip, 1998, s. 61 ff. 155 A. Verdross, Die Einheit des rechtlichen Weltbildes auf Grundlage der Völkerrechtsverfassung, 1923, S. 126 ff.; programmtischfortgeführt in ders., Die Verfassung der Völkerrechtsgemeinschaft, 1926; siehe schließlich auch ders.IB. Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. 1984, S. 59 f. 156 R. Bindschedler, Rechtsfragen der europäischen Einigung, 1954, S. 21. 157 A. Ross, The Constitution ofthe United Nations, 1950. 158 C. W. Jenks, The Common Law ofMankind, 1958, S. 26. 159 Dazu M. Herdegen, The "Constitutionalization" of the UN Security System, in: Vanderbilt Journal ofTransnational Law 1994, S. 135 ff. 160 P. Häberle, Die europäische Verfassungsstaatlichkeit, in: ders., Europäische Verfassungslehre in Einzelstudien, 1999, S. 64 ff., 89 ff.; D. Th. Tsatsos, Die europäische Unionsgrundordnung, EuGRZ 1995, S. 287 ff.; vgl. auch R. Streinz, Der Verfassungsstaat als Glied einer europäischen Gemeinschaft, DVBl. 1990, S. 949 ff.; ders., Europarecht, 4. Aufl. 1999, Rn. 346, zu den Gemeinschaftsverträgen als Verfassung der EGIEU.

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cc) Die Bedeutung internationaler Menschenrechtsgarantienfür eine sich verfassende Völkergemeinschaft

Die internationalen Menschenrechtsverträge fonnen ein solches "Ensemble materieller Teilverfassungen" (P. Häber/e). Ph. Alston spricht auf der Weltebene von sechs ",core' human rights treaties". Dazu gehören die beiden UN-Menschenrechtspakte, die "International Convention on the Elimination of All Fonns of Racial Discrimination", die "Convention on the Elimination of all Fonns of Discrimination against Women", die "Convention on the Rights of the Child" und die "Convention against Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment." 161 Ergänzend stehen daneben eine Vielzahl weiterer multinationaler Abkommen und regionaler Pakte, globale "monitoring mechanisms" dienen der institutionellen Absicherung. Anband des folgenden Tableaus sei spezifiziert, welch herausgehobene Rolle die Menschenrechte als gemeinschaftsbildende Faktoren in diesem Kontext spielen und die internationale Gemeinschaft schrittweise, ganz im Sinne der Poppersehen Stückwerktechnik, zu einer Menschenrechtsgemeinschaft fonnen. Daß die Welt sich von den westlichen Demokratien über die Refonnstaaten Osteuropas bis hin zu den Staaten Afrikas, Asiens oder Lateinamerikas in unterschiedlichen Entwicklungsstadien befmdet, daß Asymmetrien respektive Ungleichzeitigkeiten nicht nur die ökonomische Potenz, sondern, oft parallel, auch den Grad politischer Partizipationsmöglichkeiten und die Wirkungsmacht der Menschenrechte bestimmen, steht einer solchen Dynamik nicht entgegen. 162 Denn gefordert sind nicht Gleichmaß und Homogenität, sondern eigenständige Teilbeiträge jedes einzelnen Staates nach seinem Leistungsvennögen, die ein Zurück zum introvertierten Nationalstaat letztlich unmöglich machen. (I) Menschenrechte und Völkergemeinschaft: ein Verhältnis wechselseitiger Abhängigkeit Die Menschenrechte sind, wie bereits bei den Methodenfragen ausgeführt, multifunktional, es verbinden sich, unterschiedlich akzentuiert und mit fließenden Übergängen, mehrere Bedeutungsschichten. 163 Neben subjektiven Rechten 161 Ph. A/ston, The UN's Human Rights Record: From San Francisco To Vienna and Beyond, in: Human Rights Quarterly, Vol. 16 (1994), S. 375 ff., S. 376. 162 Vgl. E.-0. Czempiel, Weltpolitik im Umbruch, 1991, S. 87. 163 Zum Doppelcharakter der Grundrechte aus Sicht der deutschen Verfassungslehre K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1995 (Neudruck 1999), Rn. 279 ff.; P. Häber/e, Die Wesensgehaltgarantie des Art. 19 Abs. 2 Grundgesetz, 3. Aufl. 1983.

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Dritter Teil: Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbürgR

des einzelnen bilden die Menschenrechte die Grundelemente der objektiven Ordnung einer politischen Gemeinschaft. Aus diesem Doppelcharakter folgt ein dialektisches Spannungsverhältnis. Menschenrechte bilden die Gemeinschaft, sind für sie konstitutiv, und setzten sie doch bereits voraus. 164 Sie sichern den Status der Freiheit des einzelnen und fügen ihn aufgrund ihrer objektivrechtlichen Dimension in die Ordnung der politischen Gemeinschaft ein, die ihrerseits erst, wie es K. Hesse für den Verfassungsstaat auf eine bekannte Formel gebracht hat, "durch die Aktualisierung jener subjektiven Rechte Wirklichkeit gewinnen kann.'" 6s Wird das internationale System nicht mehr rein zwischenstaatlich, sondern vom Menschen her als Freiheitsordnung defmiert, gilt für sie eine vergleichbare, wechselseitig bedingte Abhängigkeit. Doch die kulturellen wie institutionellen Rahmenbedingungen sind grundlegend verschieden: auf der einen Seite die kulturell relativ homogene, verfaßte politische Gemeinschaft, auf der anderen Seite die heterogene Welt unterschiedlichster Staaten, Völker, Kulturen, die allenfalls um sie verfassende Teilelemente ringen kann. Solche Divergenzen sind nicht nur quantitativ-gradueller, sondern qualitativer Natur. Wenn verfassende Strukturen für das Völkerrecht entwickelt werden, so nicht im Sinne des klassischen Verfassungsbegriffs, einer Vollverfassung, gar einer Staatswerdung. Der Weltstaat bleibt nach wie vor negative Utopie. Aber dennoch gründen die internationale Gemeinschaft und der Verfassungsstaat in derselben anthropologischen Prämisse, der Menschenwürde. Sie ist Anstoß und Voraussetzung jeder Gemeinschaftsbildung, sie ist deren notwendige Konsensgrundlage. Sie ist eine klare Absage an ein unreflektiertes Souveränitätsdogma, das den potentiell allmächtigen Staat zum Maß aller Dinge erhebt und so das sich verfassende Miteinander der in der Völkergemeinschaft verbundenen Völker, Staaten und Individuen vereiteln könnte. 166 Der Gemeinschaftsbegriff fUhrt das Völkerrecht letztlich auf seine Grundlage zurück, auf den Menschen in seiner Individual- und seiner Sozialnatur167• Der Gedanke, daß die Völkergemeinschaft die naturgegebene Zusammenfassung aller Menschen sei, lebt schon in den klassischen philosophischen Ent164 G. McGhee, International Community, 1992, S. 45; W Schreckenberger, Der moderne Verfassungsstaat und die Idee der Weltgemeinschaft, in: Der Staat 34 (1995), s. 503 ff., 507, 522. 165 Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1995 (Neudruck 1999), Rn. 280. 166 Vgl. Ch. Tomuschat, Die internationale Gemeinschaft, in: Archiv des Völkerrechts 33 (1995) S. I ff., 6. 167 Vgl. dazu auch C. W. Jenks Idee eines "Common Law of Mankind" in seinem gleichnamigen Werk aus dem Jahre 1958, neben dem programmatischen Titel auch S. 19 und passim. Ebd. S. 43: "(... ) men are the ,ultimate members' of the society of States ( ...)".

B. Die Völkerrechtskonzeption des IPbürgR

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würfen eines F. de Vitoria 168 oder F. Suarez. Letzterer schreibt in seinem Werk "De legibus ac Deo legislatore", 2. Buch, 19. Kap: "Grundlage dieses Rechtsbereichs ist die Tatsache, daß das Menschengeschlecht, wie sehr es auch in verschiedene Völker und Reiche geteilt ist, doch immer eine gewisse Einheit bildet, und zwar nicht nur eine biologische Einheit, sondern auch die Einheit einer gleichsam politischen, durch das Sittengesetz geforderten Gemeinschaft." 169

Die von Suarez bezeichnete Gemeinschaft läßt sich heute sehr viel konkreter festmachen als im Sittengesetz. Das Völkerrecht hat, oft in Analogie zum Verfassungsstaat, seine gemeinschaftsbildenden Faktoren in zahlreichen Abkommen schon präziser defmiert: vom Schutz des Weltkulturerbes über den Umwelt- und Minderheitenschutz bis hin zu den Menschenrechten. In diesem Sinne vollzieht sich ein kontinuierlicher Umwandlungsprozeß des Völkerrechts von "einem bloßen Zwischenmächterecht zur Rechtsordnung der vielfach gegliederten Menschheit" 170. Es versucht, seine Werte und Aufgaben menschheits-, nicht staatenbezogen, neu zu formulieren. (2) Werte und Aufgaben der Gemeinschaft Der Gemeinschaftsbegriff setzt eine ihn formende Werteordnung, gemeinsame Erfahrungen, Ideale und Utopien, aber auch Symbole oder rituelle Verhaltensweisen voraus. Das als gemeinsam Erlebte und Verstandene soll die ratio und emotio aller Mitglieder gleichermaßen ansprechen. 171 Dabei kann auf der Weltebene weder die Einheit von Sprache, Kultur und Geschichte, die filr die Entwicklung des Nationalstaatsgedankens den maßgeblichen Anstoß gab 172, 168 Dazu J. Soder, Die Idee der Völkergemeinschaft, 1955, S. 65, S. 71 ff. (zur sozialen Natur des Menschen bei de Vitoria, die wiederum auf das aristotelische zoon politikon bzw. das animal sociale bei Seneca und Thomas v. Aquin zurückgeht). 169 Zit. nach F. Suarez, Ausgewählte Texte zum Völkerrecht, S. 67. Vgl. dazu auch J. Eppstein, The Catholic Tradition of the Law of Nations, 1935, S. 247: "That the Sovereign State should be the term of man·s special need and obligation is a notion alien to Catholic Christianity. Unity of faith and morals carries with the note of universality. This alone has been enough to establish ineradicably the idea that human race is a singIe family." 170 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. 1984, S. 916. 171 Mit Blick auf dieratiound emotio und deren Nähe zuR. Smends Integrationslehre P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 40 I; siehe auch R. Dworkin, Law's Empire, 1986, S. 211 f.; Th. Franck, Legitimacy in the International System, in: American Journal oflntemational Law 82 (1988), S. 705 ff., 759. 172 G. Radbruch, Ueber den Begriff der Kultur, in: Logos, Bd. 1/2 (1910/ 12), S. 200 ff., 205, spricht von der den philosophischen wie historischen Kulturbegriff prägenden "Einheitlichkeit der Wertverwirklichung". Zum Nationalstaat vgl. die berühmte Definition der Nation bei E. Renan, Was ist eine Nation? (1882), 1996, S. 34 f.:

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Dritter Teil: Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbUrgR

noch die relativ "einheitliche Werteverwirklichung" regional begrenzter Staatengemeinschaften wie der Europäischen Union als Anknüpfungspunkt dienen.173 Die Identitätsbildung der Völkergemeinschaft als solcher muß sich jenseits der klassisch-national oder regional bezogenen Integrationsfaktoren (im Sinne der Lehre von R. Smend) vollziehen und von vornherein bei der Menschheit ansetzen. Ihre Grundwerte sind die jedem Menschen allein aufgrund seines Menschseins zustehenden Rechte, die Weltfriedenspolitik, die Völkerfreundschaft, internationale Zusammenarbeit und Entwicklungshilfe, schließlich das weite Feld der humanitären Hilfe, neuerdings der natürlichen Lebensgrundlagen.174 Diese Kategorien sind zwar weitgehend unbestritten, aber hoch abstrakt, und es fehlt die konsensbegründende Nähe zum einzelnen, die der Verfassungsstaat eher schaffen kann. Daher ist es notwendig, das verfassungsstaatliche Selbstverständnis und Weltbild gleichsam als Brücke bzw. Bindeglied hin zu den universellen Werten der Völkergemeinschaft zu nutzen. Der kooperative, offene Verfassungsstaat versteht sich als Teil der Weltgemeinschaft, der zum einen universelle Werte wie die Menschenrechte in seinem eigenen kulturellen Kontext umsetzt, der zum anderen weiß, daß er eine Vielzahl seiner staatlichen Aufgaben nur gemeinsam mit anderen erfilllen kann: globale Wirtschaftsförderung und nachhaltige Entwicklung, weltweite Verbrechensbekämpfung, Umweltschutz, Kulturgüterschutz, Friedens- und Freiheitssicherung u.a.. Der aus der Bundesstaatstheorie stammende Begriff von den "Gemeinschaftsaufgaben", die Idee der treuhänderischen Aufgabenwahrnehmung175 durch die Weltgemeinschaft und die Formel von den "grenzübergreifenden Staatsaufgaben" 176 liefern wichtige Stichworte. Diese Staats- wie Ge"Eine Nation ist eine Seele, ein geistiges Prinzip( ...). In der Vergangenheit ein gemeinsames Erbe von Ruhm und Reue, f\lr die Zukunft ein gemeinsames Programm(...). Eine Nation ist also eine große Solidargemeinschaft (... ). Das Dasein einer Nation ist- erlauben Sie mir dieses Bild - ein Plebiszit Tag fllr Tag, wie das Dasein des einzelnen eine dauernde Behauptung des Lebens ist." G. Schwarzenberger, Machtpolitik, 1955, S. 33 ff. (Nation als "Gemeinschaft", S. 34; "landsmannschaftliches Kollektivbewußtsein", S. 35). 173 Vgl. dazu A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, 1995, s. 434 ff. 174 P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwisssenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 1158. 175 Zum Gedanken der Treuhand in der Atlantik-Charta vgl. G. Schwarzenberger, Machtpolitik, 1955, S. 167 ff. Der Gedanke der Treuhand wird hier aber allg. verstanden, nicht etwa mit Bezug auf das Treuhands- oder Mandatssystem seit dem Völkerbund. 176 So die Terminologie bei A. Dehnhard, Dimensionen staatlichen Handelns, 1996, S. 105 ff., und P. Kirchhof, Der Staat als Organisationsform politischer Herrschaft und rechtlicher Bindung, DVBI. 1999, S. 637 ff., 647; siehe auch P. Saladin, Wozu noch Staaten?, 1995, S.lll ff.

B. Die Völkerrechtskonzeption des IPbürgR

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meinschaftsaufgaben sind die Schnittmenge dessen, was W. v. Simson als "überstaatliche Bedingtheit des Staates" und im Umkehrschluß P. Häberle als "verfassungsstaatliche Bedingtheit des Überstaatlichen" 177 umschreiben. In der gemeinsam verantworteten, kooperativen Aufgabenwahrnehmung verwirklichen die Staaten gemeinsame Wertvorstellungen und wirken gemeinschaftsbilden. Die internationale Ordnung ist Werte- und gleichermaßen Aufgabengemeinschaft. Der Verfassungsstaat und die internationale Gemeinschaft stehen in gemeinsamer Verantwortung. Die Idee der übernationalen politischen Gemeinschaftsbildung stellt daher die Bindung, das "genuine link", des Bürgers an den Staat, an "seinen " Nationalstaat bis hin zu einem Menschenrecht auf Staatsangehörigkeit auch nicht in Frage und will die Staatlichkeit nicht verabschieden. Die von der Menschheit her gedachte Freiheit des Individuums realisiert sich noch immer am besten in staatlich verfaßter Freiheit. 178 Es wäre mehr als kontraproduktiv, wenn der Nationalstaat sich seiner Aufgaben auf die höhere Ebene entledigen wollte, sei es im Umweltrecht, sei es durch die Verlagerung des (verfassungs-)gerichtlichen Menschenrechtsschutzes auf internationale Instanzen.179 Neben den Nationalstaat tritt aber als zweite oder, wenn intermediäre regionale Strukturen entwickelt sind, dritte Bezugsgröße die Völkerrechtsgemeinschaft als solche. 180 So entsteht eine selbständige, nicht mehr allein durch den Staat vermittelte Beziehung zwischen dem Individuum und der überstaatlichen Gemeinschaft. Die Intensität dieser Bindung hängt vom institutionellen Rahmen und der jeweiligen Kompetenzverteilung ab. Eine Sonderstellung nimmt die Europäische Union ein, der einzelne Souveränitätsrechte der Mitgliedstaaten übertragen sind. Aber auch andere internationale Organisationen und Gruppierungen, vom Europarat bis zum GA IT, von der NATO bis zu den Vereinten Nationen, von der NAFTA bis zum Commenwealth 181 umklammern den Staat jenseits der klassischen Kategorien Bundesstaat oder Staatenbund. Sie leisten alle je nach Kompetenzen und Aufgabenprofil abgestuft auf unterschiedlich miteinander verflochtenen Ebenen politische Gemeinschaftsbildung. 177

P. Häberle, Das "Weltbild" des Verfassungsstaates, in: FS fllr M. Kriele,

178

W v. Simson, Der Staat der Industriegesellschaft, in: ders., Der Staat ( ...),

s. 1277 ff., s. 1304. s. 77 ff., 86.

179 Dazu W Bausback, "Auslagerung" des Grundrechtsschutzes auf die internationale Ebene?, in: ZRP 1999, S. 6 ff.; siehe auch P. Pernthaler, Grundrechtsdogmatik und allgemeine Staatslehre, in: FS F. Ermacora, 1988, S. 605 ff., 606. 18 Ch. Tomuschat, Der Verfassungsstaat im Geflecht der internationalen Beziehungen, in: VVDStRL 36 (1978), S. 7 ff., 57, wählt die Metapher einer weitreichenden "Umklammerung des Staates durch übergeordnete Entscheidungsebenen". 181 Zum Commonwealth vgl. G. Schwarzenberger, Machtpolitik, 1955, S. 45 ff.

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Dritter Teil: Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbürgR

(3) Gemeinschaftsinteressen Eine Gemeinschaft verdankt ihre Wirklichkeit nicht nur gemeinsamen Werten und Aufgaben, sondern auch originären Gemeinschaftsinteressen, die mehr sein müssen als eine Summe der in ihr zusammengefaßten egoistischen Einzelinteressen. Echte Gemeinschaftsinteressen im Völkerrecht sind dadurch definiert, daß sie nur global jenseits der nationalstaatliehen Grenzen erfUllt werden können. 182 Wie bereits ausgeftlhrt, stehen die Staaten im Zeitalter der Globalisierung schon de facto in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis, das de iure durch ein weitverzweigtes Netz von durch Gesetz, Vertrag und Gewohnheitsrecht geschaffenen gegenseitigen Rechten und Pflichten noch verstärkt wird. 183 F. Suarez scheint in seiner Schrift "De lege aeterna et naturali, ac iure gentium" ein Bild der modernen Staatenwelt vorwegzunehmen, wenn er sagt: "Denn niemals genügen sich die Völker und Staaten einzeln genommen so, daß sie nicht gegenseitiger Hilfe, Zusammenarbeit und Verständigung bedürften, manchmal (nur) zur größeren Wohlfahrt und zum höheren Nutzen, manchmal aber auch wegen einer wahren moralischen Notwendigkeit und des Ungenügens (des einzelnen Staates), wie die praktische Erfahrung zeigt." 184

Das so umschriebene Abhängigkeitsgeftlge in der Gemeinschaft setzt gegenseitige Solidarpflichten und Verantwortung ftlreinander voraus. Die wachsende Interdependenz der Staaten ftlhrt zu einer immer größeren Annäherung der jeweils eigenen an die Interessen der anderen. Es kann sich jedenfalls auf den Teilfeldern, die Kooperation zwingend voraussetzen, schrittweise ein Allgemeininteresse der Völkergemeinschaft entwickeln. 185 Dieses wird zwar weder durch ein ftlr die gesamte Welt sprechendes zentrales Organ formuliert oder repräsentiert, aber es wird im Kooperationsprozeß der Staaten vermittelt und durchgesetzt. Aufgabenwahrnehmung, Werteverwirklichung und Gemeinschaftsbildung in der Völkergemeinschaft vollzieht sich also immer kooperativ und prozeßhaft. Die Kooperationsmöglichkeiten sind ihre Voraussetzungen und Grenzen. Trotz unterschiedlicher politischer Systeme, fortbestehender ideologischer Spaltungen und rein national definierter machtpolitischer Eigeninteressen kann sich letztlich kein Staat der Notwendigkeit gemeinsamer Aufgabenwahrnehmung verschließen und vollständig autark bleiben. Vor allem 182 Vgl. dazu Th. Franclc, The Power of Legitimacy among Nations, 1990, S. 51 ("voluntarist secular community ( ... ) in which rules are deployed to ( ... ) promote societal goals"). 183 Dazu Ph. Jessup, Modemes Völkerrecht, 1950, S. 54 f.; Th. Franck, The Power ofLegitimacy among Nations, 1990, S. 196 f. 184 Zit. nach: F. Suarez, Ausgewählte Texte zum Völkerrecht, 1965, S. 67. 185 A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, 1995, S. 54.

B. Die Völkerrechtskonzeption des IPbürgR

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wäre es ein Trugschluß, das fUr die Marktgesellschaft typische System ökonomisch "begrenzter Unverantwortlichkeit" 186 auf das Völkerrecht zu übertragen. Das würde nur zur Versteinerung des Koexistenzvölkerrechts im Sinne eines mehr oder weniger friedlichen Nebeneinanders egoistischer, souveräner Staaten filhren und sich wirklichkeitsfremd der notwendigen Öffnung hin zum Kooperationsvölkerrecht verschließen. (4) Eine Kommunikationsgemeinschaft Die Kommunikation ist zugleich notwendige Voraussetzung und Ausdruck filr die Existenz einer jeden Gemeinschaft. Von der christlich-theologischen Weltsicht der spanischen Spätscholastik bis hin zur Theorie kommunikativen Handeins von J. Habermas ist der Gedanke wechselseitigen Austausches als (dikursive) Legitimationsbasis einer normativen Ordnung präsent. Das Stichwort vom Kommunikationsvölkerrecht meint einen globalen öffentlichen Prozeß, Kommunikation auf unterschiedlichen Ebenen und zwischen unterschiedlichen Kommunikationsträgem. Eine Eingrenzung auf die klassisch diplomatischen Kanäle des Informationsaustausches bliebe filr die konsensbildende und geltungssichernde Kommunikation in Sachen Menschenrechte unzureichend. Die Konzeption eines kommunikativen Völkerrechts macht desweiteren deutlich, daß damit ein größerer Wirkungszusammenhang erschlossen ist als das bloße Zusammenspiel positiver Rechtsnormen oder zwischenstaatlicher Vereinbarungen. Eine Gemeinschaft lebt vielmehr von politischer Partizipation und dem ständigen Ringen um eine filr das Zusammenleben tragfllhige Konsensbasis im einem offenen, wechselseitigen Erfahrungsaustausch. Die so verstandene Kommunikationsgemeinschaft ist zugleich immer eine Entwicklungsgemeinschaft187, die fortschreitender Integration offen gegenübersteht.

G. Frankenberg, Die Verfassung der Republik, 1997, S. 79. S. die Definition bei Th. Franck, The Power of Legitmacy among Nations, 1990, S. 51: "By community is meant a system of multilateral, reciprocal interaction which is capable of validating its members, its institutions, and its rules." S. auch ders., Legitimacy in the International Legal System, American Journal of International Law 82 (1988), S. 705 ff., 759; L.-C. Chen, An Introduction to Contemporary International Law, 1989,437 ff.; G. McGhee, International Community, 1992, S. 28; B. Tyson/A. Aziz Said, Human Rights: A Forgotten Victim ofthe Cold War, in: Human Rights Quarterly, Vol. 15 ( 1993 ), S. 589 ff., 600. 186 187

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Dritter Teil: Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbUrgR

(5) Die Herrschaft des Rechts in der Gemeinschaft Der letzte Punkt in diesem Tableau gemeinschaftsbildender Faktoren gilt der .,rufe of law not men", der effektiven Herrschaft des Rechts. Seine Anerkennung ist unverzichtbare Vorbedingung fUr die Transformation der Weltgesellschaft in eine rechtlich geordnete Gemeinschaft. 188 Dabei sind die "rule of law", die Idee des "limited government" ebenso wie die deutsche Variante des Rechtsstaatsprinzips klassisch liberale Konzepte, die innerhalb des Nationalstaates und ftlr sein Rechtssystem entwickelt wurden - im deutschen Terminus der Rechtsstaatlichkeil fmdet sich die Staatsbezogenheil schon rein begrifflich wieder. Eine schematische Übertragung auf die internationale Ebene ist nicht möglich, wohl aber eine vorsichtige Analogiebildung. Diese ist an zwei Voraussetzungen geknüpft. Zum einen an die Existenz einer hinreichend einheitlichen Gruppe von Rechtssubjekten, die das Prinzip als konstitutiv ftlr ihre Gemeinschaft anerkennen. Zum anderen an einen Mindestbestand von rechtlichen Regeln, die den Umgang der Staaten miteinander verbindlich regeln und von den Staaten auch als verbindlich anerkannt werden. 189 Die Europäische Union ist Anwendungsbeispiel einer regionalen Verantwortungsgemeinschaft, in der das Denken in den Kategorien der Rechtsstaatlichkeit bzw. "rule of law" bereits internationalisiert wurde. Der EGMR hat im Fall Goider (1975) das Rechtsstaatsprinzip dem gemeinsamen Erbe der europäischen Verfassungsstaaten zugerechnet190• Es ist zugleich ein Strukturprinzip des KSZE-Prozesses. Auf der Weltebene fehlt es zwar an so weitgehender institutioneller Ausgestaltung, aber es gibt schon Teilelemente der rule of law, die im Sinne der eben postulierten doppelten Prämisse gemeinschaftsbildend wirken. Dazu gehören das Primat des Rechts vor der Politik und ein Mindestmaß an Rechtssicherheit mit voraussehbaren richterlichen Entscheidungen. Die immer stärkere Kodifikation des Völkerrechts und nicht zuletzt die vertragliche Fixierung der Menschernechte haben dazu beigetragen, daß ein hinreichend vollständiger Kanon verbindlicher Rechtsregeln überhaupt existiert. Die Gleichheit vor dem Gesetz, die Gleichheit der Staaten wie der Individuen, das Verbot willkürlicher Entscheidungen, die effektive Rechtsanwendung und Rechtsdurchsetzung sind im Grundsatz weitgehend unbestritten, wenngleich die Rechtswirklichkeit diesen Stand oft noch nicht widerspiegelt. Allen voran 188 So G. Schwarzenberger, Über die Machtpolitik hinaus?, 1968, S. 52; A. Watts, The International Rute ofLaw, in: German Yearbook oflnternational Law 36 (1993), s. 15 ff., 26 ff. 189 A. Watts, The International Rute of Law, in: German Yearbook of International Law 36 (1993), S. 15 ff., 26. 190 ILR 57,201,217.

C. Das Staatsbild des IPbl.lrgR

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zeigen aber die Menschenrechte, daß neben der formalen auch die materiale Rechtsstaatlichkeit nicht länger eine Leistung ist, die ausschließlich ftlr die inneren Verhältnisse eines Staates Geltungsanspruch erheben kann. Der Staat schuldet vielmehr die rechtlichen Grenzen seines Tätigwerdens, das limited government, nicht nur sich selbst und seinen Bürgern, sondern der Weltgemeinschaft kooperativ offener Verfassungsstaaten und der Weltbürgergesellschaft.191

C. Der Entwurf eines menschengerechten Staates das Staatsbild des IPbürgR Das Postulat einer vom Menschen ausgehenden, anthropozentrisch verorteten Völkerrechtsordnung setzt immanent ein bestimmtes Staatsbild voraus: den menschengerechten, auf den Menschen hin verfaßten, ihm dienenden Staat. Im folgenden gilt es zu zeigen, auf welche Weise die Präambel des IPbürgR im wechselseitigen Zusammenwirken mit anderen grundlegenden völkerrechtlichen Verträgen dieses Staatsverständnis textlich faßt und somit wesentliche Konturen des Typus Verfassungsstaat von der überstaatlichen Ebene her aufzeichnet. Verfassungsvorsprüche auf der einen, die Präambeln internationaler Verträge auf der anderen Seite stehen dabei in einem wichtigen Korrespondenzverhältnis, denn beiden geht es um die Legitimation staatlicher Herrschaftsausübung: nach innen gewandt gegenüber der den Staat konstituierenden Bürgergesellschaft und nach außen gewandt gegenüber der Weltgemeinschaft und ihrer "Weltbürgergesellschaft". Verfassungspräambeln sind ein Spiegel der politisch, historisch und kulturell gewachsenen Legitimationsideen staatlicher Herrschaft. Sie vermögen zahlreiche Faktoren zu benennen, die den Staat, verstanden nicht als Selbstzweck, sondern als ein "Gebilde um seiner Aufgaben willen" rechtfertigen können. 192 Die Präambeln bilden den Rahmen, in dem sich der Verfassunggeber zum verfaßten Staat bekennt sowie Ziele und Aufgaben staatlichen Tätigwerdens postuliert. Viele dieser Staatsaufgaben können vom nationalen Verfassungsstaat aber nicht mehr allein bewältigt werden, sondern fallen - wie bereits ausgefUhrt - in einen gemeinsamen Bereich staatlicher und überstaatlicher Verantwortung. Die deshalb notwendige internationale Kooperation vermittelt dem 191 W v. Simson, Die Deutschen und ihr Rechtsstaat, in: Der Staat 21 (1982), S. 97 ff., 98; vgl. auch Ph. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 485 f. 192 SoL. Waser-Huber, Die Präambeln in den schweizerischen Verfassungen, 1988, S. 149, anknüpfend an P. Saladin, Verantwortung als Staatsprinzip, 1984, S. 94, 112.

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Dritter Teil: Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbürgR

Nationalstaat ein unverzichtbares Stück seiner Legitimität,. von außen". Verfassungsvorsprüchemit Beztlgen auf die Welt, den Weltfrieden oder vergleichbare Topoi öffnen den Staat von der Aufgabenseite her gegenüber der internationalen Gemeinschaft193 • Vice versa formulieren die Präambeln der UN-Charta, der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ( 1948) und der beiden Menschenrechtspakte, die als Basisdokumente ftlr gemeinsame Grundwerte der Staatengemeinschaft als solcher stehen, korrespondierende Aufgabenkataloge bzw. Zielvorgaben ftlr die Unterzeichnerstaaten und übernehmen so eine wichtige Komplementärfunktion zu Verfassungspräambeln, Staatszielbestimmungen und Staatsaufgaben-Artikeln in den nationalen Verfassungstexten. So zeichnet die Völkergemeinschaft ein eigenständiges Anforderungsprofil an die legitime Ausübung staatlicher Herrschaft und postuliert innere Legitimitätsvoraussetzungen ftlr jeden einzelnen Staat, die zugleich Existenzbedingungen der internationalen Gemeinschaft als solcher sind. 194 Im folgenden gilt es zu zeigen, daß die Vorsprüche zu den UN-Menschenrechtspakten die Achtung der Menschenrechte als elementare Staatsaufgabe ausweisen, sie zur Bedingung legitimer Herrschaftsausübung machen und so einem instrumentalen, auf den Menschen hin ausgerichteten Staats- und Völkerrechtsverständnis verpflichtet sind. Auf diese Weise benennen die Präambeln konstitutive Elemente des universalen Typus Verfassungsstaat 195 und Grundlagen seiner Legitimität, allen voran die Festlegung auf die Menschenwürde und den Schutz der Menschenrechte. Sie führen die Idee eines sich konstituierenden Völkerrechts 196 und die Konstitutionsprinzipien der "gemeinschaftsgebundenen" 197 Verfassungsstaaten zusammen.

I. Die Frage nach der Legitimität staatlicher Herrschaft Die Frage, wie eine wahrhaft legitime Form politischer Herrschaft begründet, oder, umgekehrt formuliert, wann die Gehorsamsverpflichtung der Bürger gegenüber der staatlichen Ordnung sittlich gerechtfertigt sei, gehört seit jeher 193 Vgl. z. B. die Präambel des GG: "als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen". 194 W. v. Simson, Zur Theorie der Legitimität, in: ders., Der Staat und die Staatengemeinschaft, 1978, S. 31 ff., 42. 195 Dazu P. Häber/e, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, s. 28 f., 178 f. 196 Vgl. das Stichwort von der "internationalen Verfassungsordnung" bei K. Ginther, Zivilgesellschaft und Entwicklung, in: VRÜ 30 (1997), S. 137 ff., 151 ff. 197 E. Riede/, Paradigmenwechsel im internationalen Umweltrecht, in: FS G. Roellecke, 1997, S. 255 ff., 278.

C. Das Staatsbild des IPbürgR

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zu den großen klassischen Themen der Staatsphilosophie. Sie drängt sich um so mehr auf, als der Staat nicht als göttliche Institution, als etwas tatsächlich Vorhandenes und naturhaft vorgegebene Größe begriffen werden kann, sondern alle Staatsgewalt erst durch die Verfassung rechtlich konstituiert 198 und gerade der Typus Rechtsstaat einem dauernden Rechtfertigungszwang unterworfen wird. 199 Besonders in Situationen politisch-gesellschaftlicher Krisen oder des Umbruchs stehen die Legitimität dieser staatlich verfaßten Ordnung und der daraus abgeleitete Autoritätsanspruch der staatlichen Gewalten in Rede. 200 Das zeigt sich in der Gegenwart am oft mühsamen Weg der postkommunistischen Staatenwelt Osteuropas zu freiheitlich-demokratischen Verfassungsordnungen201 oder an tiefgreifenden Transformationsprozessen in Südafrika, läßt sich aber auch an historischen Beispielen belegen. Nach der Reformation waren die vorwiegend religiös motivierten französischen und englischen BUrgerkriege des 16. und 17. Jh. Anlaß einer ftlr die europäische Staatenentwicklung entscheidenden Legitimitätskrise, resultierten sie doch aus dem sittlichen Konflikt, ob der einzelne trotz entgegenstehender Glaubensüberzeugung dem legalen Herrscher weiterhin Gehorsam. schulde oder gar zum Ungehorsam verpflichtet

198 Dazu K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1995 (Neudruck 1999), Rn. 5 ff. ; P. Häber/e, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 620 f.; W. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, in: N . Achterberg!W. Krawietz (Hrsg.), Legitimation des modernen Staates, 1981, S. 15 ff., 17; vgl. auch G. Frankenberg, Die Verfassung der Republik, 1997, S. 71 ff.; P. Pernthaler, Grundrechtsdogmatik und allgemeine Staatslehre, in: FS F. Ermacora, 1988, S. 605 ff., 607. Demgegenüber die präkonstitutionelle Rolle des Staates betonend J /sensee, Staat und Verfassung, in: HdBStR, Bd. I, 2. Aufl. 1995, s. 591 ff., 608. 199 W. Brugger, Stufen der Begründung von Menschenrechten, in: Der Staat 31 ( 1992), S. 19 ff., 19; P. Kirchhof, Der Staat als Organisationsform politischer Herrschaft und rechtlicher Bindung, DVBI. 1999, S. 637 ff., 639; J /sensee, Die alte Frage nach der Rechtfertigung des Staates, JZ 1999, S. 265 ff., 267, 277. 200 P. Bonavides, Die Entpolitisierung der Legitimität, in: Der Staat 35 (1996), S. 581 ff., 581; G. Frankenberg, Stichworte zur "Drittwirkung" der Rechtsphilosophie im Verfassungsrecht, in: R. Gröschner/M. Morlok (Hrsg.), Rechtsphilosophie und Rechtsdogmatik in Zeiten des Umbruchs, 1997, S. 105 ff.; G. Roellecke, Stabilisierung des Rechts in Zeiten des Umbruchs, in: ebd., S. 68 ff., insbes. S. 70, 73 f. Zum Begriff der Krise J Habermas, Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, 2. Aufl., 1973, S. 9 ff. 201 Vgl. dazu auch P. Häberle, Perspektiven einer kulturwissenschaftlichen Transformationsforschung - Übergangs-, Transfer- und Rezeptionsprobleme auf dem Weg des (post)kommunistischen Osteuropa zum gemeineuropäischen Verfassungsstaat, in: FS E. Mahrenholz, 1994, S. 133 ff., 136 ("Übergangspolitik"); ders., Aspekte einer kulturwissenschaftlich-rechtsvergleichenden Verfassungslehre in "weltbürgerlicher Absicht" - die Mitverantwortung filr Gesellschaften im Übergang, in: JöR 45 ( 1997), s. 555 ff., s. 556.

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sei?02 Sobald eine umfassende Weltdeutung im Sinne des christlich-mittelalterlichen Einheitsbewußtseins zerbrochen war, mußten neue weltanschauliche Orientierungsmodelle ihre ethische Rechtfertigung unter Beweis stellen.203 Nicht minder einschneidende Konsequenzen filr das Selbstverständnis der abendländischen Gesellschaft hatte der Übergang vom monarchischen Staat des Absolutismus mit seinen überkommenen Feudalstrukturen und einer auf Privilegien fußenden Gesellschaftsordnung hin zum bürgerlichen Verfassungsstaat. 204 Im Ringen um eine neue theoretische Grundlage zur Legitimation, Begrenzung und Kontrolle staatlicher Macht gewann die Idee des aktuell oder fiktiv zu denkenden Gesellschaftsvertrages immer stärker an Bedeutung und bleibt, in den Schriften von J. Locke über I. Kant bis hin zu J. Rawls differenziert weiterentwickelt, auch heute unentbehrlicher Theorierahmen rur ein modernes Verfassungs- und Völkerrechtsverständnis. 205 Auch die Neuorientierung des Völkerrechts in der zweiten Hälfte des 20. Jh. steht im geschichtlichen Kontext weitreichender Umbruchsprozesse206• Die Idee einer neuen "Weltfriedensorganisation"207, die Gründung der Vereinten Nationen (1945) ebenso wie die mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (1948) beginnende Internationalisierung des Menschenrechtsschutzes waren die bewußte Reaktion der Weltgemeinschaft auf die globale Katastrophe des 2. Weltkrieges und die systematische Mißachtung der Menschenrechte durch den Nationalsozialismus. Neben Rassenwahn, Judenverfolgung und 202 W Hennis, Legitimität, in: P. GrafKielmannsegg (Hrsg.), Legitimationsprobleme politischer Systeme, Opladen 1976, S. 9 ff., 13. 203 Th. Franck, The Power ofLegitmacy among Nations, 1990, S. 5 f.; G. Franlrenberg, Stichworte zur .,Drittwirkung" der Rechtsphilosophie im Verfassungsrecht, in: Rechtsphilosophie ( ...), S. 105 ff., 107 f. Zum säkularisierten Geschichtsbild vgl. auch H. Münkler, Im Namen des Staates, 1987, S. 78 ff. 204 Vgl. P. Bonavides, Die Entpolitisierung der Legitimität, in: Der Staat 35 (1996), S. 581 ff., 582. 205 Vgl. P. Häber/e, Verfassungslehre als Ku1turwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 621; R. Schottky, Die staatsphilosophische Vertragstheorie als Theorie der Legitimation des Staates, in: P. Graf Kielmannsegg (Hrsg.), Legitimationsprobleme politischer Systeme, 1976, S. 81 ff.; H. Hofmann, MenschenwUrde und Naturverständnis in europäischer Perspektive, in: Der Staat 37 (1998), S. 349 ff., 357 f. ; G. Franlrenberg, Die Verfassung der Republik, 1997, S. 51 ff. 206 Dabei ist freilich zu bedenken, daß schon mit dem Ende des Ersten Weltkrieges eine völkerrechtliche Umbruchsphase hin zu einer universalen Staatengemeinschaft beginnt. So sieht U. Scheuner, Die Entwicklung des Völkerrechts im 20. Jahrhundert, in: ders., Schriften zum Völkerrecht, 1984, S. 185 ff., 186, im Zweiten Weltkrieg auch .,weniger eine Wende als eine Unterbrechung der Entwicklung und ein(en) Katalysator ihrer Beschleunigung." 207 W. Grewe, Entstehung und Wandlungen der Vereinten Nationen, in: B. Simma (Hrsg. ), Charta der Vereinten Nationen, 1991, S. XXIII ff., XXIII.

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Holocaust machten und machen aber auch Stalinismus, rechte wie linke Diktaturen, der Fundamentalismus und nicht zuletzt der Zerfall der bürgerlichen Ordnung eine intensive, vom Völkerrecht ausgehende Legitimitätsdiskussion notwendig. 208 Diese muß sich der Vielfalt von Universalistischen oder individualistischen, voluntaristischen oder intellektualistischen, traditionalen, rationalen, pragmatischen und utopischen Legitimationsmustern stellen, die in der modernen Staatstheorie lebendig sind. 209 Heute hat sich in der Völkerrechtslehre ein "Triumvirat" von Legitimitätsbedingungen herausgebildet: Menschenrechte, Demokratie und Entwicklung? 10 Diese Prämisse zugrunde legend, kann von der Warte des internationalen Rechts die Frage nach der Legitimität staatlicher Herrschaft anband klassischer Theorieentwürfe der Sozialphilosophie und Verfassungslehre neu gestellt werden. Die weltweit rezipierte Herrschaftssoziologie Max Webers gibt wichtige Leitgedanken vor. 1. Die Herrschaftssoziologie Max Webers

In seinem Werk zu "Wirtschaft und Gesellschaft'' hat Max Weber211 die klassische Ausgangsthese formuliert, die seither die wissenschaftliche Diskussion über die Legitimität der staatlichen Ordnung prägt: Legitimität ist filr ihn "Gehorsamsmotivation"212, anders gesagt: Was ist entscheidend dafilr, daß die Zugehörigen bzw. Unterworfenen einer Ordnung diese als "geltend" behandeln. Solch ein soziologischer Legitimationsbegriff, der die Wirklichkeit des sozialen Geschehens beschreibend erfassen und die tatsächlichen Vorausset208 Zum Legitimitätskonzept im Völkerrecht siehe T Franck, The Power of Legitimacy among Nations, 1990; D. Georgiev, Politics or Rule of Law: Deconstruction and Legitimacy in International Law, in: EJIL 4 (1993), S. I ff., II ff. 209 Dazu J. lsensee, Die alte Frage nach der Rechtfertigung des Staates, JZ 1999, s. 265 ff., 267. 210 So J. Donne/ly, Human Rights, Democracy and Development, in: Human Rights Quarterly 21 (1999), S. 608 ff., 609. J. lsensee, Grundrechte und Demokratie, in: Der Staat 20 ( 1981 ), S. 161, sieht in den Menschenrechten und der Demokratie die "polare Legitimation" des politischen Gemeinwesens, allerdings ohne deren Zusammengehörigkeit anzuerkennen. 211 M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, l. Halbbd., 2. Aufl., 1925, S. 123: "Die ,Legitimität' der Herrschaft darf natürlich nur als Chance, dafür in einem relevanten Maß gehalten und praktisch behandelt zu werden, angesehen werden." Vgl. auch ebd., S. 28: "Macht bedeutet die Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht." 212 So W Hennis, Legitimität, in: Legitimationsprobleme ( ... ), S. 9 ff., 15; siehe auch W Pauly, Die Identifizierbarkeit des Staates in den Sozialwissenschaften, ARSP 85 (1999), s. 112 ff., 120.

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zungen seines Funktionierens benennen will, hat auch die juristisch-nonnative Diskussion maßgeblich mitbeeinflußt: 213 Legitim ist die - prozedural "gebändigte" - Herrschaftsausübung, deren Akzeptanz durch möglichst weitreichenden Konsens der Bürger und/oder durch legale Verfahren der Rechtserzeugung gewährleistet ist. 214 Orientiert an spezifischen Fonnen und Inhalten der Legitimation gelingt Weber eine Kategorisierung legitimer Herrschaft in den traditionalen, charismatischen und fonneU-rationalen Typus. 215 Dabei spielen ftlr den modernen Verfassungsstaat weniger der Rückgriff auf historisch überkommene Herrschaftsansprüche etwa im Sinne dynastischer Erbmonarchien oder gar der Glaube an eine charismatische politische Führergestalt eine wesentliche Rolle216, es geht vor allem um die letztgenannte rationale Legitimität. In diesem Sinne ist Herrschaftsausübung zunächst dann legitim, wenn die nonnative Ordnung positiv gesetzt ist und alle Unterworfenen an ihre Legalität, d.h. an das rein fonnal korrekte Verfahren von Rechtssetzung und -anwendung glauben. 217 Doch so wichtig die legitimierende Wirkung eines prozedural abgesicherten, offenen Diskurses bzw. von Verhandlungssystemen bleibt, in denen allen Betroffenen und Beteiligten die gleichberechtigte Partizipation bis hin zum Vetorecht möglich ist, so ist sie doch ftlr sich allein genommen nicht ausreichend. Es besteht ein wesentliches Defizit: Der Legitimitätsglauben wird dabei auf den Legalitätsglauben reduziert, der sich mit der Berufung auf das legale Zustandekommen einer Entscheidung begnügt. 218 Doch die historischen Erfahrungen 213 Zur Differenzierung des Legitimationsbegriffs "im Sprachgebrauch von Normwissenschaft und Soziologie" siehe R. Zippe/ius, Legitimation im demokratischen Verfassungsstaat, in: N. Achterberg!W. Krawietz (Hrsg.), Legitimation des modernen Staates, 1981, S. 84 ff., 84; siehe auch N. Purvis, Critical Legal Studies in Public International Law, Harvard International Law Journal32 (1991), S. 81 ff., 111 f. 214 Zur Übertragung von M Webers Ansatz auf das internationale Recht vgl. Th. Franck, Legitimacy in the International System, American Journal of International Law 82 (1988), S. 705 ff., 706, 709; ders., The Power of Legitimacy among Nations, 1990, s. 16 ff. 215 M Weber, Die drei reinen Typen der legitimen Herrschaft, in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, 4. Aufl., 1973, S. 475 ff. 216 Vgl. M Kriefe, Die demokratische Weltrevolution und andere Beiträge, 1997, s. 61 f. 217 Dazu auch J. Habermas, Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, 2. Aufl., 1973, S. 134; W. Brugger, Stufen der Begründung von Menschenrechten, in: Der Staat 31 (1992), S. 19 ff., 20; siehe auch den Definitionsansatz bei Th. Franck, The Power of Legitimacy among Nations, 1990, S. 19: "another part of the definition of legitimacy is: the perception ofthose addressed by a rufe or a rufe-making institution thnt the rufe or institution has come into being and operates in accordance with generally accepted principfes ofright process." 218 J. Habermas, Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, 2. Aufl. 1973, S. 135; U. Scheuner, Die Legitimationsgrundlage des modernen Staates, in: N. Achterberg/W. Krawietz (Hrsg.), Legitimation des modernen Staates, 1981, S. 1 ff., 4.

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mit dem Schreckensregime des Dritten Reiches genauso wie mit dem stalinistischen Terror in der ehemaligen Sowjetunion (und letztlich mit allen anderen Diktaturen gleich welcher Provenienz) zeigen die Grenzen dieses Legitimitätsverständnisses auf. Die beiden Beispiele stehen filr einen Machtgebrauch, der sich über alle ethischen Mindeststandards hinwegsetzt und deshalb als schlechthin illegitim zu qualifizieren ist, unabhängig davon, ob er von einer schweigenden Mehrheit der Bürger billigend hingenommen wurde oder sich auf die formale Legalität des Gesetzgebungsverfahrens berufen kann. Daraus wird deutlich, daß das Akzeptanzmodell nicht ausreicht, sondern eine inhaltliche, "qualitative, kritisch-normative Abgrenzung von Legitimität und Illegitimität" notwendig ist219 und daß die Rationalität der Herrschaftsmacht mehr meint als einen legal organisierten, aber inhaltlich beliebigen Willensbildungsprozeß. 220 Die Legalität ist allein ein "negativer Legitimitätstest", eine zwar notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung der Legitimität.221 Der Verfassungsstaat bedarf nicht nur einer formalen, sondern einer materialen RechtfertigungsgrundJage, zu der vor allem auch die Verpflichtung zur Achtung der Menschenrechte geho••rt.222

W Hennis, Legitimität, in: Legitimationsprobleme ( ... ), S. 9 ff., 15, 17. Vgl. W v. Simson, Zur Theorie der Legitimität, in: ders., Der Staat und die Staatengemeinschaft, 1978, S. 31 ff., 34; J. Rüsen, Theorieprobleme einer vergleichenden Universalgeschichte der Menschenrechte, in: FS für H.-U. Wehler, 1991, S. 58 ff., 63. 221 E. Denninger, Über das Verhältnis von Menschenrechten zum positiven Recht, JZ 1982, s. 225 ff., 229. 222 Eindrücklich die Formulierung bei D. Georgiev, Politics or Rute of Law: Deconstruction and Legitimacy in International Law, in: EJIL 4 (1993), S. I ff., S. 12: "Legitimacy, unlike legality refers to the ,ought' and not just to the ,is' of law. Moreover, one could say that it incorporates the ,ought' into the ,is' of law". Zur materialrationalen Herrschaftslegitimation aus Sicht der deutschen Staatslehre: M Kriele, Recht und praktische Vernunft, 1977, S. 117 ff.; ders., Die demokratische Weltrevolution und andere Beiträge, 1997, S. 60 f.; W Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, in: N. Achterberg/W. Krawietz (Hrsg.), Legitimation des modernen Staates, 1981, S. 15 ff., 20; U. Scheuner, Die Legitimationsgrundlage des modernen Staates, in: Legitimation(... ), S. I ff., 9; R. Zippelius, Gesellschaft und Recht. Grundbegriffe der Rechts- und Staatssoziologie, 1980, S. 66; P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 717, betont zu Recht, daß der Dualismus von Bürgerrechten auf der nationalen, Menschenrechten auf der internationalen Ebene, dem Verfassungsstaat eine "doppelte Legitimation" vermittle. Aus der deutschen Grundrechtsliteratur vgl. z.B. E.R. Huber, Grundrechte im Bismarckschen Reichssystem, in: FS U. Scheuner, 1973, S. 163 ff., 163; daran anknüpfend H. Bethge, Gewissensfreiheit, in: HdBStR, Bd. VI, § 137 Rn. I; vgl. schließlich H. Hofmann, Menschenrechtliche Autonomieansprüche, JZ 1992, S. 165 ff., 168 ff. 219 220

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2. Die Rechtfertigung des Staates aus seinen Aufgaben

Die in Art. 1 und Art. 2 UN-Charta formulierten Ziele bzw. Grundsätze widerspiegeln nicht nur das Selbstverständnis der Vereinten Nationen, sondern stellen implizit inhaltliche Kriterien legitimer Herrschaftsausübung auf, die das zwischenstaatliche (z. B. Wahrung des Weltfriedens, friedliche Streitbeilegung: Art. 1 Nr. 1, Art. 2 Nr. 3; Gewaltverbot Art. 2 Nr. 4; "Achtung vor dem Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker": Art. 1 Nr. 2) wie das Verhältnis Staat-Bürger (z. B. "Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten ft1r alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion": Art. 1 Nr. 3) betreffen. Ob die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen diesen Anforderungen gerecht werden und so Geltungskraft und -anspruch ihrer staatlichen und rechtlichen Ordnung ein Stück weit begründen können, wird zur internationalen Angelegenheit. Jeder einzelne Nationalstaat muß sich nicht nur vor der ihn konstituierenden Bürgergesellschaft, sondern auch vor der weltweiten Rechtsgemeinschaft verantworten. 223 Zentrales Moment ist dabei die fmale Legitimität kraft Aufgabe. 224 Herrschaft ohne diese Zielorientierung wäre sinnleerer Selbstzweck, würde die dem Menschen dienende Funktion des Staates verkennen. 225 Die Relativität möglicher Aufgaben stellt fllr dieses Legitimationsmodell zwar eine beachtliche Schwierigkeit dar, vor allem, da mit den Aufgaben an den Staat zugleich auch Wertansprüche formuliert werden, die je nach Kulturkreis oder Staatsverständnis grundlegend divergieren: vom freiheitlichen Verfassungsstaat der westlichen 223 Wichtiger Ausdruck einer solchen Verantwortlichkeit ist auch die seit den Kriegsverbrecherprozessen von Ntirnberg und Tokio bis hin zur Verabschiedung des Statuts eines Internationalen Strafgerichtshofs (International Criminal Court) am 17. Juli 1998 durch die Staatenkonferenz in Rom weltweit gewachsene Überzeugung, daß Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit "die gemeinsamen Wertvorstellungen der internationalen Gemeinschaft in derart eklatanter Weise in Frage stellen, daß keine staatliche Rechtsordnung dazu legitimiert (Hervorhebung durch den Verf.) ist, ihre Täter ungestraft zu lassen." So C. Stahn, Zwischen Weltfrieden und materieller Gerechtigkeit: Die Gerichtsbarkeit des ständigen Internationalen Strafgerichtshofs (IntSTGH), in: EuGRZ 1998, S. 511 ff., 577; siehe auch K. Ambos, Der neue Internationale Strafgerichtshof- ein Überblick, NJW 1998, S. 3743 ff., 3745 (Verbrechenstatbestände); U. Fastenrath, Der Internationale Strafgerichtshof, JuS 1999, S. 632 ff. 224 W Hennis, Legitimität, in: Legitimationsprobleme ( ... ), S. 9 ff., 24; U. Scheuner, Die Legitimationsgrundlage des modernen Staates, in: Legitimation(... ), S. l ff., S. 9 f.; W v. Simson, Zur Theorie der Legitimität, in: ders., Der Staat und die Staatengemeinschaft, 1978, S. 31 ff., 37 ff. 225 P. Sa/adin, Verantwortung als Staatsprinzip, 1984, S. 94, S. 112; L. WaserHuber, Die Präambeln in den Schweizer Verfasssungen, 1988, S. 149. Vgl. zum Aspekt der Zielorientierung A. Verdross, Die Verfassung der Völkerrechtsgemeinschaft, 1926, s. 3.

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Demokratien bis hin zu Lenins Lehre, die den Staat als Instrument des Klassenkampfes umzudeuten sucht. Doch jenseits aller Gefahren ideologischen Mißbrauchs auf der einen, kultureller Unterschiede auf der anderen Seite, lassen sich anband der universellen Bedürfnisnatur der Menschen zentrale Aufgaben formulieren, die als Lebensvoraussetzungen in der staatlichen wie überstaatlichen Gemeinschaft schlechthin unabdingbar sind und deshalb als ~erma­ nente, allgemein akzeptierte Legitimitätsanforderungen gelten können? 6 Dieser Aufgabenkatalog Wnfaßt zunächst die drei grundlegenden Ebenen der physischen Integrität des einzelnen, der Freiheitssicherung und der sozialen Sicherheit, ergänzt bzw. verklammert durch das Gebot umfassender Friedenssicherung.227 Dieser Teleologie entsprechen die in Art. I der UN-Charta konkretisierten und positivierten Zielbestimmungen, allen voran die Sicherung des inneren und äußeren Friedens und der Menschenrechtsschutz, daneben (komplementär) aber auch die wirtschaftliche Kooperation, der Umwelt- und Gesundheitsschutz, sicherheitspolitische Zusammenarbeit und vieles mehr. 228 Aufgabenkataloge und Zielbestimmungen müssen im politischen Prozeß offen gehalten werden, unter Berücksichtigung des Erstrebens- oder Wünschenswerten (Ideale, konkrete Utopien) auf der einen, des tatsächlich Machbaren auf der anderen Seite variabel gestaltet sein und auf neue Herausforderungen reagieren können. 229 Denn wie jede Erkenntnis vom Wesen des Staates seine sich beständig erneuernde Wirklichkeit230 und damit auf der heutigen Entwicklungs226 Vgl. W. v. Simson, Zur Theorie der Legitimität, in: ders., Der Staat und die Staatengemeinschaft, 1978, S. 31 ff., 39. 227 Schon ftlr J. Bodin gründet die Legitimation in der Aufgabe, Schutz und Sicherheit seiner Bürger nach innen und außen zu gewährleisten. Dazu H Quaritsch, Staat und Souveränität, Bd. 1, 1970, S. 277; Ch. Tomuschat, Der Verfassungsstaat im Geflecht der internationalen Beziehungen, in: VVDStRL 36 (1978), S. 7 ff., 13 m.w.N; W. v. Simson, Die Bedingtheit der Menschenrechte, in: FS B. Aubin, 1979, S. 217 ff., 224 (Freiheitsgewähr1eistung als wahre Rechtfertigung des Staates); K.-P. Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, 1997, S. 12 ff. ; J. Isensee, Die alte Frage nach der Rechtfertigung des Staates, JZ 1999, S. 265 ff., 271, spricht anschaulich von einer "Drei-Stufen-Teleologie des Verfassungsstaates". 228 Vgl. auch die Beispiele bei Th. Franck, The Power ofLegitimacy among Nations, 1990, S. 51. 229 So konstatiert K. Mannheim, Ideologie und Utopie, 5. Aufl., 1969, S. 191 : "Auch die liberal-humanitäre Utopie kam im Kampf gegen das Bestehende auf. In ihrer adäquaten Form stellt sie der ,schlechten' Wirklichkeit ein ,richtiges' rationales Gegenbild gegenüber." Desweiteren W. Hennis, Legitimität, in: Legitimationsprobleme ( ...), S. 9 ff., 25; E. Klein, Universeller Menschenrechtsschutz - Realität oder Utopie, in: EuGRZ 1999, S. 109 ff., 109. 230 R. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen, 3. Aufl., 1994, S. 119 ff., 127 und passim; H. Heller, Staatslehre, 6. Aufl., 1983, S. 50 ff.; K. Hesse, Die normative Kraft der Verfassung, 1959, S. 8 ff.; P. Häberle, Demokratische Verfassungstheorie im Lichte des Möglichkeitsdenkens, AöR 102

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stufe seine Einbettung in die internationale Staatengemeinschaft zum Gegenstand haben muß, so kann auch die Frage nach Legitimationsfaktoren staatlicher Herrschaft letztlich nur im globalen Kontext überstaatlichen Miteinanders und des daraus resultierenden Aufgabenpluralismus beantwortet werden. 231

II. Menschenrechtssicherung als erste und letzte Quelle der Herrschaftslegitimation 1. Der Theorierahmen

Aus einer wertenden Zusammenschau der Präambeln der UN-Charta, der Allgerneinen Erklärung der Menschenrechte (1948) sowie der beiden Weltpakte über bürgerliche und politische bzw. wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte ergibt sich, daß die "Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Gerneinschaft innewohnenden Würde und der Gleichheit und Unveräußerlichkeit ihrer Rechte"232 die elementare staatliche Herrschaft legitimierende Aufgabe ist. Die Individualfreiheit, die letztlich auch im Gedanken des Selbstbestimmungsrechts der Völker fortlebt, ist zugleich maßgebliche Rechtfertigung aller Staatlichkeit233 und weist doch auch schon über diese hinaus. In noch stärkerem Maße als die Idee der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit respektive der "rule of law" gilt das Bekenntnis zu den universalen Menschenrechten heute nahezu weltweit als Inbegriff einer guten Staatsordnung bzw. des

(1977), S. 27 ff., insbes. 41 ff. ("Wirklichkeitsdenken"); ders., Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 573 ff. 231 P. Häberle, Der kooperative Verfassungsstaat (1978), in: ders., Verfassung als öffentlicher Prozeß, 3. Aufl. 1998, S. 407 ff.; S. Hobe, Der kooperationsoffene Verfassungsstaat, in: Der Staat 37 (1998), S. 521 ff., S. 529 ("Zeitalter institutionalisierter Staatenkooperation"), S. 534 ff., 542 ff.; K.-P. Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, 1997, benennt fünf "Grundstaatsziele als Themen des Völkerrechts": "Frieden" (S. 259 ff.), "Menschenwürde und Freiheit" (S. 268 ff.), "Soziale Prinzipien" (S. 272 ff.), "Kultur" (S. 274 ff.), "Umwelt" (S. 277 ff.). 232 l. Passus der insoweit gleichlautenden Präambeln des IPbUrgR und des IPwirtR. Ähnlich der l. Passus der Präambel AllgErklMenschenR: "Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Familie innewohnenden WUrde und ihrer gleichen und unveräußerlichen Rechte". 233 So auch J. Jsensee, Die alte Frage nach der Rechtfertigung des Staates, JZ 1999, S. 265 ff., S. 277; siehe ebenfalls Ch. Tomuschat, ls Universality of Human Rights Standards an Outdated and Utopian Concept?, in: Gedächtnisschrift Ch. Sasse, Bd. 2, 1981, S. 585 ff., 607: "(... ) one will inevitably have to acknowledge equality and individual as weil as collective self-determination which both can be derived directly from the dignity of man, the comer-stone of any human rights concept."

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idealen Staates234, es ist Bedingung der staatlichen Selbstbehauptung235 • Die mehrfache, teils parallele Gewahrleistung der Menschenrechte im Völkerrecht und im nationalen Verfassungsrecht führt zu einer äußeren, "überstaatlichen" Legitimation des Staates.236 Darin verwirklichen sich zwei der schon in der französischen. Menschenrechtserklärung vom 26. August 1789 mit "missionarischem" Anspruch postulierte Grundprinzipien. So sagt Art. 2: "Der Endzweck aller politischen Vereinigung ist die Erhaltung der natUrliehen und unabdingbaren Menschenrechte."237 Weiter heißt es in Art. 16: "Eine Gesellschaft, in der weder die Garantie der Rechte (Hervorhebung durch den Verf.) noch die Trennung der Gewalten festgelegt ist, hat keine Verfassung"- modern gesprochen: begründet keinen vor der internationalen Gemeinschaft legitimierten Verfassungsstaat In der französischen Deklaration leuchtet ein neues, dem monarchischen Absolutismus wie dem Etatismus entgegengesetztes Staatsverständnis auf. Basis inhaltlicher Staatslegitimation wird ein Gedanke, den mehr als 150 Jahre später Art. 1 Abs. 1 des Verfassungsentwurfs von Herrenchiemsee ftlr den demokratischen Neubeginn in der Bundesrepublik Deutschland auf eine paradigmatisch wirkende, neue Textstufe bringt: "Der Staat ist um des Menschen willen da, nicht der Mensch um des Staates willen."238 Dieser Paradigmenwechsel gilt nicht nur ftlr das (deutsche) Verfassungsrecht, sondern auch im Völkerrecht. Wesentlicher Zweck des Staates ist seine Verpflichtung auf die Menschenrechte, deren Verwirklichung alle Staatsordnung und Staatsgewalt als bloßes Mittel zu dienen hat. 239 Menschenrechte sind die raison d'etre des Ver234 L. Waser-Huber, Die Präambeln in den schweizerischen Verfassungen, 1988, S. 163, 168 ff., stellt heraus, daß Präambeln ein wichtiger Spiegel des den Verfassungstexten zugrunde liegenden Staatsbildes sind. 235 So K. Stern, Idee der Menschenrechte und Positivität der Grundrechte, in: HdBStR, Bd. V, 1992, § 108 Rn. 44; siehe auch H. Hofmann, Menschenrechtliche Autonomieansprüche, JZ 1992, S. 165 ff., 168 ff. 236 Ch. Tomuschat, Der Verfassungsstaat im Geflecht der internationalen Beziehungen, VVDStRL 36 (1978), S. 7 ff., 51, 52 ("völkerrechtliche Nebenverfassung"); P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 717, spricht von einer "doppelten Legitimation" durch den ",Dualismus' von Menschen- und Bürgerrechten". 237 Zit. nach P.C. Mayer-Tasch (Hrsg.), Die Verfassungen Europas, 2. Aufl. 1975, S. 210. 238 Zit. nach: JöR n.F. Bd. I (1951); dazu auch W. Maihofor, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, in: Legitimation ( ...) , S. 15 ff., 20; H.-P. Schneider, 50 Jahre Grundgesetz, NJW 1999, S. 1497 ff., 1498. 239 P. Saladin, Verantwortung als Staatsprinzip, 1984, S. 112, bezeichnet den Staat als "Zweckgebilde", "als Aufgabe um seiner Aufgaben willen". Darüber hinaus W. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, in: Legitimation ( ...), S. 15 ff., 21; A. Cassese, Human Rights in aChanging World, 1990, S. 47, bezeichnet die Universelle Menschenrechtserklärung ( 1948) als "one of the parameters

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fassungsstaatesmoderner Prägung, 240 vielleicht gar die universale Zivilreligion unserer Zeit. 241 Dazu die folgenden Beispiele: 2. Beispielsfelder

a) Das Selbstverständnis junger Demokratien Die Einbindung junger Verfassungsstaaten in die Weltgemeinschaft ist wichtig filr deren eigene Legitimation. Nach dem Bruch mit der totalitären Vergangenheit beginnt die Suche nach einer neuen Rechtfertigung der eigenen Staatlichkeit. Für die Bundesrepublik Deutschland spricht die Präambel des Grundgesetzes seit den Gründerjahren eine unzweideutige Sprache, wenn es heißt: "in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen". Die Präambel der japanischen Verfassung, in der selben historischen Stunde nach der Menschheitskatastrophe des Zweiten Weltkrieges erwachsen, enthält eine vergleichbare, sich der internationalen Gemeinschaft öffnende Verpflichtung auf den Frieden. Parallelen fmden sich in vielen Verfassungstexten der jungen Demokratien unserer Tage: von den Reformstaaten in Osteuropa über die neue Verfassung Südafrikas bis hin zu Entwicklungsländerverfassungen.242 Zur Einbindung in die Weltgemeinschaft gehören zugleich die Achtung vor der Menschenwürde und das feierliche Bekenntnis zu unveräußerlichen Menschenrechten. Erst die Menschenrechtsverbürgungen machen den einzelnen Staat zu einem Verfassungsstaat im materiellen Sinne, der neben seiner politiwith which the international community delegitimizes sates." S. auch B.G. Ramachan, Strategies for the International Protection of Human Rights in the 1990s, in: Human Rights Quarterly, Vol. 13 (1991), S. 155 ff., 161; J. Rüsen, Theorieprobleme einer vergleichenden Universalgeschichte der Menschenrechte, in: FS filr H.-U. Wehler, 1991, S. 58 ff., 58: Menschenrechte als "allgemein anerkannte Rechtsprinzipien der Herrschaftslegitimation". 240 H. Bethge, Gewissensfreiheit, in: HdBStR, Bd. VI, 1989, § 137, Rn. I unter Rückgriff auf E. R. Huber, Grundrechte im Bismarckschen Reichssystem, in: FS U. Scheuner, 1973, S. 163 ff., 163. 241 Zum Begriff: W. Vögele, Zivilreligion in der Bundesrepublik Deutschland, 1994; A. Cassese, Human Rights in a Changing World, 1990, vergleicht die Wirkung der Universellen Menschenrechtserklärung mit "the power of the great political or religious texts" (S. 45), nennt sie gar einen "decalogue for five thousand million individuals", kritisch aber S. 156 ff. (Gefahr der Mystifizierung, gewaltbereite Kreuzzüge in Sachen Menschenrechte, fehlgeleiteter Erlösungsglaube). Ähnlich emphatisch ist der Begriff vom 21. Jh. als "Human Rights Century", dazu B. Gross, Towards a Human Rights Century, in: Human Rights Quarterly, Vol. 13 (1991), S. 387 ff., 390. 242 V gl. dazu P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, s. 30 ff.

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sehen auch seine moralische Autorität in die Weltgemeinschaft einbringen kann. Daß die produktiv fortgeschriebenen Menschenrechtsgarantien in den Verfassungstexten junger Demokratien deren Identität und Selbstverständnis maßgeblich prägen, filhrt zu Rückkoppelungseffekten auf völkerrechtlicher Ebene. Die Menschenrechte bestimmen auch die Identität der Völkergemeinschaft selbst. b) Das Selbstverständnis der sog. "Newly Independent States" Dieses Bild wird durch ein weiteres Beispiel ergänzt. So gut wie keiner der sog. "Newly Independent States", der Staaten also, die nach Beendigung der Kolonialherrschaft Selbständigkeit erlangten, hat sich je explizit gegen die "International Bill of Rights" gestellt oder der Universellen Erklärung der Menschenrechte formell widersprochen.243 Dafür wären manche entschuldigenden Gründe denkbar gewesen, hätten die Individualrechte europäischer Prägung doch als Relikte eines "Kulturimperialismus" der alten Kolonialmächte diskreditiert werden können. Aber das Bekenntnis zu den universellen Menschenrechten war ftlr die Selbständigkeit, die staatliche Eigenverantwortung der neuen Staaten nach eigenem Selbstverständnis entweder identitätsstiftend oder wenigstens notwendiges politisches Kalkül. Das bedeutet zwar noch lange nicht umfassende Akzeptanz oder gar effektive Umsetzung der Menschenrechte, ist filr die Entstehung verbindlicher Normen im Völkerrecht jedoch von entscheidender Bedeutung: Neben und in Ergänzung zu den Verträgen kann sich allmählich Völkergewohnheitsrecht ausbilden. Heute jedenfalls sind jenseits politisch-ideologischer Gegensätze die folgenden "core values" der internationalen Gemeinschaft verbindlich anerkannt: das Verbot des Völkermordes, der Rassendiskriminierung, der Folter sowie, maßgeblich vom Dekolonialisierungsprozeß bestimmt, das Recht der Selbstbestimmung der Völker. c} Die neuere Praxis der Staatenanerkennung Schließlich sei auf die jüngere Völkerrechtspraxis in Westeuropa verwiesen. Im Zusammenhang mit den Reformprozessen in Osteuropa wurde immer wieder die Frage aktuell, wann neu entstehende politische Gebilde als selbständige Staaten anerkannt werden können. Maßgebliches Kriterium ist nach traditionel243 Eine Ausnahme bildet der Iran, vgl. die Erklärung des iranischen Delegierten Rajaie-Khorsassani in der Kommission III der ON-Generalversammlung aus dem Jahre 1983, UN doc. NC.3/39/SR.65, 91-2,95; dazu A. Cassese, Human Rights in aChanging World, 1990, S. 45.

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Dritter Teil: Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbürgR

ler, nahezu weltweit vertretener Auffassung die auf den Kategorien von Staatsvolk, Staatsgebiet und Staatsgewalt gründende "Drei-Elemente-Doktrin" G. Jellineks, in deren Konsequenz die Legitimität der Herrschaftsausübung keine Rolle spielt.244 In Art. 1 der Montevideo-Konvention über die Rechte und Pflichten des Staates vom 26. 12. 1933 auf einen (Vertrags-)Text gebrache45 , gibt die klassische Je/lineksche Trias dem Völkerrecht seither das Grundgerüst der Staatlichkeit und damit den Orientierungsrahmen zur Anerkennung einer Verbandseinheit als Staat vor. 246 Demgegenüber legte der (damalige) EGMinisterrat am 16. 12. 1991 eine Liste von Bedingungen fest, die die neu entstandenen Staaten als Voraussetzung für ihre Anerkennung zu erfüllen hatten und die weit Ober die bisherige völkerrechtliche Praxis hinausgingen: "The Community and its Member States confirm their attachment to the principles of the Helsinki Final Act and the Charter of Paris, in particular the principle of selfdetermination. They affirm their readiness to recognize, subject to the normal Standards of international practice and the political realities in each case, those new States which, following the historic changes in the region, have constituted themselves on a democratic basis, have accepted the appropriate international obligations and have committed themselves in good faith to a peaceful process and to negotiations. Therefore, they adopt a common position on the process of recognition of these new States, which requires:

244 G. Je/linek, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl. 1914 (Nachdruck 1976), S. 394 ff., 406 ff., 427 ff. Dazu aus der Lit.: A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl., 1984, S. 227 ff.; K. Hailbronner, Der Staat und der einzelne als Völkerrechtssubjekte, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 1997, S. 181 ff., S. 204; 0. Kimminich, Einftlhrung in das Völkerrecht, 6. Aufl., 1997, S. 113 ff.; kritisch zum Jel/inekschen Staatsbegriff P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, s. 622 f. 245 League ofNations Treaty Series, Vol. 165, p. 19: "The State as a person of international law should possess the following qualifications: (a) a permanent population; (b) a defined territory; (c) government; and (d) capacity to enter into relations with other States". 246 Zur deutschen Staatspraxis vgl. die Bekanntmachung des Auswärtigen Amtes, 7. BT, 61. Sitzung, Sten. Ber., S. 3539, abgedruckt in ZaöRV 1975, S. 777: "Die Anerkennung eines neuen Staates setzt voraus, daß sich ein Staat gebildet hat mit einem neuen Staatsvolk, einem Staatsgebiet und einer Staatsgewalt, die durch eine effektive handlungstlthige Regierung verkörpert wird, die ihre Hoheitsgewalt über den größten Teil des Territoriums und die Mehrzahl der Einwohner effektiv ausübt und die sich mit Aussicht auf Dauer behaupten kann." In diesem Sinne auch VG Köln, DVBI. 1978, S. 510, 511 f. (Fürstentum Sealand). Zur amerikanischen Praxis vgl. die Staatsdefinition in: The American Law lnstitute's Restatement (2nd), Foreign Relations of the United States (1965), § 4, sowie The American Law Institute's Restatement (3rd), 1987, § 201. Aus der Lit.: J. Crawford, The Criteria of Statehood in International Law, in: BYIL XLVIII ( 1976-77), S. 93 ff., 111; R. Rich, Recognition of States: The Collapse of Yugoslavia and the Soviet Union, in: EJIL 4 ( 1993), S. 36 ff.

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- respect for the provisions of the Charter of the United Nations and the commitments subscribed to in the Final Act ofHelsinki andin the Charter ~fParis, especially with regard to the rule oflaw, democracy and human rights (... )." 47

Voraussetzung fUr die Anerkennung ist demzufolge das eindeutige Bekenntnis zu den Aussagen der Schlußakte von Helsinki und der Charta von Paris, vor allem in den Kernbereichen des Rechtsstaatsprinzips, der Demokratie und der Achtung der Menschenrechte. Mit diesem Kriterienkatalog hat die Europäische Gemeinschaft (heute Europäische Union) der formal-objektiven Drei-Elemente-Lehre eine klare Absage erteilt und sich damit weit von den traditionellen Standards der Staatenanerkennung entfernt. 248 Zwar darf nicht übersehen werden, daß der Ministerrat mit spezifischem Blick auf die Umbruchsituation in der ehemaligen Sowjetunion und Jugoslawien vor allem den Interessen der Europäischen Gemeinschaft dienen wollte und zu diesem Zwekke Anerkennungsvoraussetzungen formulierte, deren politische Motivation eher an die klassischen Vorbedingungen zur Aufuahme diplomatischer Beziehungen erinnert denn an objektive Kriterien der Staatlichkeit.249 Ein neues, weltweit geltendes völkerrechtliches Regime der Staatenanerkennung konnte durch den situationsgebundenen, auf die Europäische Gemeinschaft begrenzten Anforderungskatalog schwerlich begründet werden. Aber dennoch läßt sich eine nachdrückliche Tendenz erkennen, die formale Staatselementenlehre inhaltlich anzureichern und die Frage nach der Legitimität der Herrschaftsausübung einzubeziehen. Daß die Achtung vor den Menschenrechten neben Demokratie~ und Rechtsstaatsprinzip als materiale Voraussetzung der Staatlichkeit genannt wird, hat mehr als bloß deklaratorische respektive bekenntnishafte Bedeutung. Zum Ausdruck kommt darin vielmehr das Bild vom "Menschenrechtsstaat", das die Präambeln der internationalen Pakte zeichnen und das durch die europäische Anerkennungspraxis einen entscheidenden, international wirkenden Schub erhalten hat.

247 EA 47 (1992) D 120 ff. Das entspricht ILM 31 (1992), S. 1486 ff., abgedruckt in EJIL 4 (1993), S. 72. 248 M Weller, Current Developments, in: AJIL 86 (1992), S. 569 ff., 588; R. Rich, Recognition of States: The Collapse of Yugoslavia and the Soviet Union, in: EJIL 4 (1993), S. 36 ff., 42 ff.; K. Hailbronner, Der Staat und der Einzelne als Völkerrechtssubjekte, in: W. GrafVitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 1997, S. 181 ff., S. 228; W. Kälin, Menschenrechtsverträge als Gewährleistung einer objektiven Ordnung, in: Berichte der Deutschen Gesellschaft filr Völkerrecht, Bd. 33, 1993, S. 9 ff., 22. 249 M Weller, Current Developments, in: AJIL 86 (1992), S. 569 ff., 588; K. Hailbronner, Der Staat und der Einzelne als Völkerrechtssubjekte, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 181 ff., 228; vgl. auch Th. M Franclc, The Power ofLegitimacy among Nations, 1990, S. 111 ff.

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Dritter Teil: Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbürgR

D. Menschenrechtsschutz und internationale Öffentlichkeit I. Problemstellung Das Thema "Öffentlichkeit" mag im Rahmen des Menschenrechtsprogramms aus der Präambel des IPbürgR zunächst überraschen. Der Präambeltext nennt es an keiner Stelle, und auch die UN-Charta, auf die verwiesen wird, scheint "öffentlichkeitsblind". Doch schon ein zweiter Blick bestätigt eine Fülle impliziter Öffentlichkeitsbezüge: Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit setzen Öffentlichkeit voraus. Die "Freiheit von Not" ist eine Variante des öffentlichen Wohls, des Gemeinwohls. "Politische Rechte" sind originär öffentlich, die kulturellen Rechte leben aus einer kulturellen Öffentlichkeit. Letztlich ist das gesamte Menschenrechtsdenken bestimmt von Öffentlichkeit, von öffentlicher Freiheit und öffentlichem Diskurs, öffentlicher Kritik und öffentlicher Akzeptanz. Die Öffentlichkeit verklammert zahlreiche Einzelthemen und umgreift nahezu alle Theorieelemente des internationalen Menschenrechtsschutzes. Um so schwerer wiegt, daß sich das internationale Recht seiner Öffentlichkeitsbezüge bisher kaum angenommen hat. In der Völkerrechtslehre scheint der Öffentlichkeitstopos oft auf die gängige, wenngleich nicht unbestrittene Formel verkürzt, die "Weltmeinung" bzw. die "internationale Öffentlichkeit"250 könne eine wesentliche Garantiefunktion zur Einhaltung völkerrechtlicher Normen übernehmen und als Ersatz fehlender Zwangsmittel dienen. 2SI Damit ist aber allenfalls ein Segment aus einem sehr viel weiteren Problembereich aufgegriffen, dessen sich die Verfassungsrechtswissenschaft auf nationaler Ebene längst angenommen hat: sei es bei der Differenzierung zwischen den Kategorien privat, öffentlich und staatlich, sei es im 250 Der Begrifffindet sich auch bei P. Häber/e, "Wahrheitsprobleme im Verfassungsstaat" - eine Zwischenbilanz, in: FS fllr A. Hollerbach i. E. ("eine an den Menschenrechten geschulte Weltmeinung"). 251 Vgl. D. Schind/er, Des Facteurs Sociologiques et Psychologiques du Droit International, in: Recueil des Cours ( ...), S. 235 ff., 299 ff.; G. Schwarzenberger, Machtpolitik, 1955, S. 92 ff.; H Krüger, Allgemeine Staatslehre, 1966, S. 438 f.; B. Exner, Recht und öffentliche Meinung, 1990, S. 53, 71 ff.; I. Seidi-Hohenveldern, Völkerrecht, 9. Aufl. 1997, Rn. 1542, 1899; H Nicolson, Diplomatie, 1947, S. 57; G. Schwarzenberger, The Frontiers of International Law, 1962, S. 23; A. Cassese, Human Rights in a Changing World, 1990, S. 5. Zwar spricht H Lauterpacht, International Law, Vol. 1, 1978, S. 199 ("ineffective weapon ofpublic opinion") der Weltmeinung nachdrücklich jeden Zwangscharakter ab, anerkennt aber durchaus ihre Rolle bei der Rechtsentwicklung, siehe ebd. S. 19: "Public opinion ofthe world enlighted by a long range process of education divorced from appeal to facile realism, may indeed become a powerful agent in effecting changes in internationallaw in the direction of a true political integration of international society".

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Rahmen der Grundrechtsdogmatik ("öffentliche Freiheiten"), der Gemeinwohlorientierung des sozialen Leistungsstaates ("öffentliches Wohl", "öffentliches Interesse"), der Demokratietheorie oder der Rolle der Opposition.252 Das Völkerrecht, das "public international law" oder "droit international public" hat demgegenüber seiner spezifischen Öffentlichkeit nur beschränktes Augenmerk geschenkt: so dient das Adjektiv "publicus", "öffentlich", als Gegenbegriff der formellen Abgrenzung zum internationalen Privatrecht253, so leitet sich der öffentliche Charakter des Völkerrechts daraus ab, daß es vornehmlich die Beziehungen zwischen Staaten, das heißt "public powers"254 respektive Trägem öffentlicher Gewalt regelt. Zwar ist ein differenzierteres Öffentlichkeitsdenken schon im "policy oriented approach" von Lasweil und McDougal vorausgesetzt, ebenso in der bekannten These vom stark politischen Charakter des internationalen Rechts, doch bedarf es der Präzisierung des all diesen Ansätze zugrunde liegenden Öffentlichkeitsbegriffs. Zu fragen ist nach den Entstehungsbedingungen, Beteiligten, Funktionen und Inhalten, schließlich den Wirkungsebenen "internationaler Öffentlichkeit". Dieses gesamte Tableau prägt den Zusammenhang von Menschenrechten und Öffentlichkeit. Läßt sich die Völkerrechtstheorie auf ein Öffentlichkeitsdenken in Sachen Menschenrechtsschutz ein, so darf der Öffentlichkeitsbegriff nicht abstrakte Chiffre bleiben. Öffentlichkeit entsteht in einer konkreten historischen Wirklichkeit, ist insoweit auch soziologisches, kultur- und erfahrungswissenschaftlieh zu erfassendes Phänomen.255

252 S. dazu P. Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, 1970; ders., Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 656 ff.; R. Uerpmann, Das öffentliche Interesse, 1999. 253 C. Tomuschat, Art. Völkerrecht, in: Ev. Staatslexikon, Bd. II, 3. Aufl., 1987, Sp. 3875 ff., 3876. 254 Vgl. G. Schwarzenberger, International Law, Vol. I, 3rd ed., 1957, S. 17, der auf die klassische Formulierung des Permanent Court of Arbitration im sog. "Russian Indemnity Case", einem Rechtsstreit zwischen Rußland und der Türkei aus dem Jahre 1912 verweist: "( ... ) the question of Iaw involved in the present Iitigation, having arisen between States as public Powers subject to international Jaw, the Jaw to be applied is public international law, or the law of nations, and the parties rightly agree on this point" (Hervorhebung durch den Verf.). 255 Dazu P. Häberle, Die offene Gesellschaft der Verfassungsinterpreten, in: ders., Verfassung als öffentlicher Prozeß, 3. Aufl. 1998, S. 155 ff., 159 f.

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II. Der Begriff der internationalen Öffentlichkeit

Wenngleich das Öffentliche zu Recht als Schlüsselbegriff sowohl der modernen politischen und Gesellschafts- als auch der Verfassungstheorie apostrophiert wird, verweist schon die Vielfalt seiner Erscheinungsformen auf eine begriffliche Unschärfe. Diese zu klären ist Aufgabe aller wissenschaftlichen Teildisziplinen, die das Thema Öffentlichkeit zu ihrem Forschungsgegenstand gemacht haben: der Politikwissenschaften, der Soziologie, der Publizistik und der Kommunikationswissenschaften, schließlich der Jurisprudenz. So wie die genannten Wissenschaftszweige sich nach Inhalt und Methode unterscheiden, divergieren auch die von ihnen entwickelten Publizitätskonzepte256• Die Jurisprudenz kann, insbesondere wenn sie basierend auf einem kultur- wie erfahrungswissenschaftliehen Selbstverständnis vorgeht, die Ergebnisse ihrer Nachbardisziplinen aufgreifen und im Wege einer Synopse die spezifisch normative Struktur des Öffentlichen als Rechtsbegriff entwickeln.257 Mit seinem Grundlagenbeitrag "Zum Problem des Öffentlichen und der Öffentlichkeit" aus dem Jahre 1951 hat sich R. Smend ftlr die deutsche Verfassungslehre dieser Herausforderung gestellt und die Stichworte vorgegeben, die die wissenschaftliche Diskussion bis heute bestimmen. Eine umfassende Darstellung der Begriffsund Problemgeschichte der Öffentlichkeit von der klassischen Antike bis zur Gegenwart kann an dieser Stelle nicht geleistet werden, da nicht nur eine Fülle historischen Quellenmaterials aufbereitet, sondern auch die soziokulturellen Unterschiede berücksichtigt werden müßten. 258 So wäre das anglo-amerikani256 Vgl. A. Rinken, Das Öffentliche als verfassungstheoretisches Problem, 1971, S. 22; H. Schambeck, Staat, Öffentlichkeit und öffentliche Meinung, 1992, S. 15 f. 257 Zum Begriff des Öffentlichen als Rechtsbegriff siehe K. Hesse, Die verfassungsrechtliche Stellung der politischen Parteien im modernen Staat, VVDStRL 17 ( 1959), S. 17 ff., 41; W Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, 1969, S. 50 ff. ; P. Häber/e, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, 1970, S. 24 ff.; ders., Gibt es eine europäische Öffentlichkeit?, in: ders., Europäische Verfassungslehre in Einzelstudien, 1999, S. 130 ff., 132 f.; R. Uerpmann, Das öffentliche Interesse, 1999, S. 27 ff. 258 Aus der FOlie der staats- bzw. verfassungsrechtlichen, sozial- und politikwissenschaftlichen Literatur sei auf einige grundlegenden Ansätze verwiesen: R. Smend, Öffentlichkeit und Verantwortung, in: Gedächtnisschrift f. W. Jellinek, 1955, S. II ff.; E. Fraenke/, Öffentliche Meinung und Internationale Politik, Recht und Staat, Heft 255/256 (1962), S. 9 ff.; K. Hesse, Die verfassungsrechtliche Stellung der politischen Parteien im modernen Staat, VVDStRL 17 (1959), S. 11 ff., 42 ff.; P. Häber/e, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, 1970, S. 22 ff.; ders., Gibt es eine europäische Öffentlichkeit?, in: ders., Europäische Verfassungslehre in Einzelstudien, 1999, S. 130 ff., 132 f.; N. Luhmann, Öffentliche Meinung, in: Politische Vierteljahresschrift II ( 1970), S. 2 ff., insbes. 17 f. V gl. auch W Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, 1969, S. 17 bis 41; A. Rinken, Das Öffentliche als verfassungstheoretisches Problem, 1971, S. 22 ff.

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sehe Öffentlichkeitsverständnis dem kontinentaleuropäischen oder romanischen gegenüberzustellen, müßte ftlr den asiatisch-pazifischen und afrikanischen Raum, schließlich ftlr die islamische Staatenwelt jeweils eigenen Traditionen nachgegangen oder gar deren Fehlen konstatiert werden. Unter dieser einschränkenden Prämisse sei folgende Annäherung versucht. 1. Öffentlichkeit als "Bereichs-Begriff"

Öffentlichkeit ist ein Bereichs-Begriff59, Ausdruck dessen, was einsehbar, offenliegend, tatsächlich bekannt oder jedenfalls allgemein zugänglich ist und so der Kenntnisnahme durch jedermann ohne besondere Zugangskontrolle ~ ht. 26o Dam1t. 1st . zunächst em . Gegensatz zum Gehemen . 261 , zugIe1c . h eme . of1enste

allgemeine Kategorie umschrieben, die mannigfache Lebensbereiche durchzieht: die gesellschaftlichen Felder der Kunst, Wissenschaft, Religion, Wirtschaft und Politik, aber auch die organisierte Staatlichkeit mit der spezifischen Gerichts-, Parlaments-, Regierungs- und Verwaltungsöffentlichkeit, die in zahlreichen modernen Verfassungsordnungen ihre Positivierung gefunden hat. 262 Solch ein bereichsbezogener Öffentlichkeitsbegriff verweist schon aus sich heraus auf die internationale Dimension, denn der Begriff der Internationaliät im weiteren Sinne umschreibt das Beziehungsgeflecht zwischen einzelnen Gesellschaftsgruppen, die ihrerseits durch verschiedene Staatsgewalten bestimmt sind, und meint nicht nur die im engeren Sinne rechtlich determinierten Verhältnisse zwischen den Staaten selbst.263 So kennen Weltreligionen genauso wenig nationalstaatliche Grenzen wie Weltliteratur; Kunst und Musik schaffen multinationale Foren; die Wissenschaften bilden in ihren jeweiligen Disziplinen eine oft weltumspannende eigene Fachöffentlichkeit aus, und die 259 Zur Terminologie siehe P. Häber/e, Gibt es eine europäische Öffentlichkeit?, in: ders., Europäische Verfassungslehre in Einzelstudien, 1999, S. 130 ff., 132. 260 R. Smend, Öffentlichkeit und Verantwortung, in: Gedächtnisschrift f. W. Jellinek, 1955, S. 11 ff., 12; H. Schambeck, Staat, Öffentlichkeit und öffentliche Meinung, 1992, S. 14; N. Luhmann, Die Realität der Massenmedien, 2. Aufl. 1996, S. 184. 261 Zutreffend betont R. Uerpmann, Das öffentliche Interesse, 1999, S. 29, daß öffentlich als Gegensatz zu "geheim", aber auch zu "privat" verstanden werden kann. 262 Zu Recht spricht P. Häber/e, Gibt es eine europäische Öffentlichkeit?, in: Thüringer VB!. 1998, S. 121 ff., von einem "Bereichsbegrifl"; siehe auch 0. Jarren, Politik und Medien: Einleitende Thesen zu Öffentlichkeitswandel, politischen Prozessen und politischer PR, in: G. Bentele/M. Haller (Hrsg.), Aktuelle Entstehung von Öffentlichkeit, 1997, S. I 03 ff., der von "zahllosen" Öffentlichkeiten auf einem "großen Marktplatz" ausgeht. 263 Vgl. schon M. Huber, Die soziologischen Grundlagen des Völkerrechts, 1928, s. 3.

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fortschreitende Globalisierung erfordert Weltpolitik in Sachen Ökonomie und Ökologie264, Friedenssicherung und Menschenrechtsschutz. Diese Beispiele belegen aber auch, daß "internationale Öffentlichkeit" keine einheitliche Struktur aufweist, sondern sich aus einer Pluralität verschiedener Teilöffentlichkeiten265 zusammensetzt, die selbst wiederum höchst unterschiedlich (stark) ausgeprägt sind. So gibt es eine "aktive Öffentlichkeit", in der die politisch Handelnden, die Medien, die Parteien oder Teile der Bürgerschaft unmittelbar gestaltenden Einfluß auf den Meinungsbildungsprozeß nehmen, aber auch die "passive Öffentlichkeit" eines mehr oder weniger interessierten, öffentliche Prozesse kritisch begleitenden und dadurch wenigstens mittelbar beeinflussenden Publikums.266 Erkennbar sind Segmente, in denen Publizität nur durch und ftlr Eliten entsteht: Zu nennen wären etwa Literaten, bildende Künstler, Musiker, ebenso Wirtschaftsexperten, Wissenschaftler, Politiker etc. Andere Teilbereiche von sportlichen oder künstlerischen Großereignissen bis hin zu Umweltthemen sind dagegen einem breiteren Publikum zugänglich. Die Grenzen und Übergänge bleiben fließend und wandelbar, die in der Öffentlichkeitsdefmition vorausgesetzte prinzipielle "Kenntnisnahmemöglichkeit durch jedermann", d.h. durch den Menschen schlechthin, ist in abstracto zwar unbestrittenes Wesenselement von Öffentlichkeit, relativiert sich aber in concreto je nach lnteressenlage, Bildungsstand und Partizipationsmöglichkeiten der maßgeblichen Öffentlich267 . ke1tsträger. 2. Offentlichkeit als" Wert-Begriff' Öffentlichkeit, publicity oder publicite umfaßt aber nicht nur den offenen Raum allgemeiner Kenntnisnahmemöglichkeit und Zugänglichkeit, sondern ist

264 Zur Beteiligung der Öffentlichkeit im Umweltrecht R. Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, 1998, S. 273 ff., S. 276 ("Umweltöffentlichkeit"). 265 Von "Teilöffentlichkeiten" spricht U. Sarcine/li, Politikvermittlung und demokratische Kommunikationskultur, in: ders. (Hrsg.), Politikvermittlung 1987, S. 19 ff., 21, 24 und passim. 266 0. Jarren, Politik und Medien: Einleitende Thesen zu Öffentlichkeitswandel, politischen Prozessen und politischer PR, in: Aktuelle Entstehung(...), S. 103. 267 Auf der Theorieebene zuzustimmen ist J. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, 3. Aufl. 1990, S. 156: "Die bUrgerliehe Öffentlichkeit steht und fällt mit dem Prinzip des allgemeinen Zugangs. Eine Öffentlichkeit, von der angehbare Gruppen eo ipso ausgeschlossen werden, ist nicht etwa nur unvollständig, sie ist vielmehr gar keine Offentlichkeit." Dabei darf aber nicht übersehen werden, daß die prinzipielle Kenntnisnahmemöglichkeit immer von den individuellen Möglichkeiten und Voraussetzungen der Beteiligten abhängt.

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vom Gedanken der res pub/ica her inhaltlich als Wertbegritf68 und zugleich Organisationsprinzip269 einer freiheitlichen politischen Ordnung zu erschließen. In der Tradition der Französischen Revolution steht das den Republikbegriff bestimmende Adjektiv publicus filr die Eigenschaft, nicht "privat", sondern dem "Lebens-, Sinn- und Wertbereich" eines Volkes zugänglich zu sein.270 Die so verstandene res publica, das öffentliche Gemeinwesen, ist nicht nur Gegenentwurf zur Staatsform der Monarchie, sondern ideelle Wertegemeinschaft, auf die alle öffentliche Gewalt zurückzuftlhren ist und die sich dem Gemeinwohl, der salus publica, verpflichtet weiß. 271 Für den demokratischen Verfassungsstaat und die offene BUrgergesellschaft heißt das: Öffentlichkeit bildet den gesellschaftlich-öffentlichen Bereich zwischen staatlicher und privater Sphäre. Sie schafft den Rahmen, in dem die politischen Kräfte- Parteien, Verbände, "pressure groups" um Kompromisse und grundlegende Wertentscheidungen ringen, auf deren Grundlage sich letztlich das Rechtsbewußtsein der Bürger entwickeln kann. Öffentlichkeit ist Voraussetzung ftlr die politische Partizipation des Volkes durch Wahlen und Abstimmungen oder Petitionen. Sie schafft aber auch den Raum, in dem der Einzelmensch seine Individualität als homo politicus gewinnt und ist daher Essentiale ftlr die Ausübung der öffentlichen Seite individueller Freiheitsrechte: die Freiheit der Meinungsäußerung in öffentlicher Rede, das forum externum der Glaubensfreiheit, Versammlungs-, Vereinigungs- und Demonstrationsfreiheit.272 Schließlich darf auch der- funktionsspezifisch unterschiedlich intensive - Öffentlichkeitsbezug von Legislative, Exekutive und Judikative im Sinne der klassischen Gewaltenteilungslehre Montesquieus nicht übersehen werden. In einer so verstandenen Öffentlichkeit entstehen die den Verfassungsstaat konstituierenden Elemente, seine Institute 268 R. Smend, Zum Problem des Öffentlichen und der Öffentlichkeit, in: Gedächtnisschrift f. W. Jellinek, 1955, S. 11 ff., S. 12; P. Häberle, Gibt es eine europäische Öffentlichkeit?, in: Thüringer VBI. 1998, S. 121 ff., 122. 269 J. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, 3. Aufl. 1990, S. 57. 270 R. Smend, Zum Problem des Öffentlichen und der Öffentlichkeit, in: Gedächtnisschrift für W. Jellinek, 1955, S. II ff., 12. 271 E. Fraenkel, Öffentliche Meinung und internationale Politik, Recht und Staat, Heft 255/256, 1962, S. 8, spricht von der "opinio publica", die am "Leitbild der res publica ausgerichtet ist". Die Forderung nach einer inhaltlichen Abgrenzung zu einem rein formellen Republikverständnis wird auch in der deutschen verfassungsrechtlichen Literatur erhoben: K. Hesse, GrundzUg( ... ), Rn. 120; P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl., 1998, S. 99 f.; ders., Gibt es eine europäische Offentlichkeit?, in: Thüringer VBI. 1998, S. 121 ff., 122; G. Frankenberg, Die Verfassung der Republik, 1997, S. 107; a. A. E.-W Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, HdBStR I § 22, Rn. 96. 272 N. Luhmann, Öffentliche Meinung, in: Politische Vierteljahresschrift l1 (1970), S. 2 ff., S. 17; P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, s. 662.

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und Prozeduren vom Parlamentsgesetz bis zur Verfassungsbeschwerde, vom public hearing bis zum Ombudsmann, von den Grundrechten bis zur Bürgerverantwortung. 273 Eine vergleichbar konstitutive Funktion übernimmt die Öffentlichkeit filr die sich schrittweise verfassende Völkergemeinschaft. 274 Dabei bedarf es zunächst wichtiger Einschränkungen: Demokratische Willensbildung und Meinungsfreiheit sind längst kein völkerrechtliches Gemeingut, viele Staaten der Welt sind weder Demokratien noch Verfassungsstaaten im materiellen Sinne. Der absolute Wahrheitsanspruch totalitärer Regime ist zutiefst öffentlichkeitsfeindlich.275 Und doch verfaßt sich die Völkergemeinschaft in und aus Öffentlichkeit: Nach der Konsenstheorie ist Rechtserzeugung im Völkerrecht vom Willen der Staaten abhängig, dieser Wille wiederum wird bedingt durch das Wesen des Staates und die Frage, wie sich der politische Willensbildungsprozeß innerstaatlich vollzieht276• Demokratien praktizieren Öffentlichkeit, Diktaturen scheuen und unterdrücken sie in vielerlei Hinsicht. Aber jede Form der Konsensfmdung innerhalb eines Staates und zwischen den Staaten fmdet letztlich im öffentlichen Raum statt. Und es sei an dieser Stelle schon angemerkt, daß die Informationsmöglichkeiten in einem global vernetzten öffentlichen Raum auch manche Barriere totalitärer Meinungsdiktaturen277 durchbrechen können. Desweiteren hat die Völkerrechtsgemeinschaft als solche - wie ausgefilhrtoriginäre Eigeninteressen. Parallel dazu gibt es Aspekte eines selbständigen Gemeinwohls der Völkergemeinschaft. 27~ Der Gedanke des" Weltwohls" ist als Konsequenz seiner Orbisidee schon bei F. de Vitoria zu finden. 279 Gemeinwohl

273 Vgl. dazu P. Häberle, Öffentlichkeit und Verfassung, in: ders., Verfassung als öffentlicher Prozeß, 3. Aufl. 1998, S. 225 ff., 226 f. 274 So auch W. Schreckenberger, Der moderne Verfassungsstaat und die Idee der Weltgemeinschaft, in: Der Staat 34 (1995), S. 503 ff., 524: "Weltöffentlichkeit" als "konstitutives Element der Weltgemeinschaft". 275 Vgl. W .v. Simson, Demokratie und Diktatur in ihren völkerrechtlichen Beziehungen, in: ders., Der Staat( ... ), S. 109 ff., 125. 276 Ebd. S. 109 ff., 115 ff. 277 Zum unterschiedlichen Verständnis der Meinungsfreiheit in der ehemals durch den Eisernen Vorhang bipolar gespaltenen Welt R. Streinz, Meinungs- und Informationsfreiheit zwischen Ost und West, 1981, S. 53 ff. 278 So Ch. Tomuschat, Die internationale Gemeinschaft, in: Archiv des Völkerrechts 33 (1995), S. I ff., S. 18 ("Gemeinwohlbelange der internationalen Gemeinschaft"); vgl. auch G. McGhee, International Community, 1992, S. 37 f.; zu einem öffentlichen Interesse auf der Ebene der europäischen Union, einem "europäischen" Interesse, vgl. R. Uerpmann, Das öffentliche Interesse, 1999, S. 262 ff. 279 "Finis et bonum totius orbis", De jure belli n.l ., Getino II, p. 391 . Vgl. dazu J. Soder, Die Idee der Völkergemeinschaft, 1955, S. 58 ff.

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setzt Öffentlichkeit voraus, und die Völkergemeinschaft kann die sie verfassenden gemeinwohlspezifischen Teilstrukturen nur in öffentlichen Prozessen ausprägen. Denn das Völkerrecht kann ebensowenig wie das staatliche Recht aus einem abstrakten "Staatswillen" oder gar einer einmaligen Dezision abgeleitet werden, sondern gründet in der Rechtsidee, in seiner inhaltlichen Übereinstimmung mit obersten Gerechtigkeitsprinzipien ebenso wie in den Rechtsanschauungen der Gemeinschaft und damit in den rechtlichen Überzeugungen der Individuen, um die in öffentlichem Diskurs und Austausch von Generation zu Generation immer neu gerungen werden muß. 280 Letztlich ist der "Staatswille", der zum zwischenstaatlichen Konsens in völkerrechtlichen Übereinkommen führt, selbst nur ein trügerischer Formelbegriff für die vereinheitlichende Entscheidungsfmdung der verantwortlichen Staatsorgane. Er erzeugt selbst kein Recht, ist nicht Quelle seiner eigenen Legitimität oder in der Lage, Rechtsbewußtsein herausbilden zu können.281 So hat das Völkergewohnheitsrecht seine Wurzeln in den Rechtsüberzeugungen (idealiter) aller Menschen, die der internationalen Gemeinschaft angehören, lebt das Völkervertragsrecht von den innerstaatlichen Willensbildungsprozessen, die jedem Vertragsabschluß vorausgehen und sodann Voraussetzungen der effektiven Umsetzung der getroffenen Vereinbarungen sind. Dieser Befund soll keineswegs verschleiern, daß das nationale wie internationale Recht seine Verwirklichung der Gestaltungsmacht des Staates und seiner Institutionen verdankt: die staatliche Autorität setzt positives Recht und garantiert seine Durchsetzung, die Staaten geben verbindliche Rechtserklärungen ab, bestimmen die Rechtsbildung auf globaler Ebene. 282 Staaten geben Anstoß zur Positivierung bzw. Kodifikation völkerrechtlicher Normen, suchen die globale Kommunikation, ringen um Rechtsfortbildung im Völkerrecht. Staaten aber sind keine naturhaft vorgegebene, gar göttliche Institution, sondern sie werden erst durch die verfassende Kraft der sie konstituierenden (Bürger-)Ge280 Überzeugend formuliert M. Kriele, Menschenrechte und Gewaltenteilung, in: E.W. Böckenförde/R. Spaemann (Hrsg. ), Menschenrechte und Menschenwürde, 1987, S. 242 ff., 246: "Denn der Fortschritt in Richtung auf Gerechtigkeit hängt davon ab, daß sich die im Volk gemachten Unrechtserfahrungen frei und öffentlich artikulieren können." Siehe zudem U. Scheuner, Naturrechtliche Strömungen im heutigen Völkerrecht, in: ders., Schriften zum Völkerrecht, 1984, S. 99 ff., 126 f.; H. Huber, Uber die Geltung des Völkerrechts, in: Rechtstheorie ( ...), S. 567 ff., 577, 591; W. v. Simson, Zur Theorie der Legitimität, in: ders., Der Staat und die Staatengemeinschaft, 1978, S. 31 ff., 35. 281 U. Scheuner, Naturrechtliche Strömungen im heutigen Völkerrecht, S. 99 ff., 127. H. Huber, Über die Geltung des Völkerrechts, in: Rechtstheorie ( ...), S. 567 ff., S. 580 ff.; vgl. dazu auch den Staatsbegriff H. Hellers, Staatslehre, S. 263: "Entscheidungs- und Wirkungseinheit". 282 Verwiesen sei z.B. auf die Konferenzdiplomatie in Sachen weltweiter Umweltstandards, Abrüstung, Friedenssicherung, Wirtschaftsförderung (WTO) etc.

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sellschaften. Dieses Sich-Verfassen ist ein öffentlicher Prozeß. Er wird ins Völkerrecht weitergetragen, wo Staaten miteinander in internationale Kommunikation und Kooperation treten. Die werthaft verstandene Öffentlichkeit ist Verfassungsvoraussetzung der staatlichen wie überstaatlichen res publica, ohne daß ein "Weltstaat" je denkbar noch wünschenswert würde. 3. Das Element der Internationalität

Präzisierungsbedürftig ist des weiteren die Frage, wann Öffentlichkeit, wann der öffentliche Bereich, international, nicht nur regional oder national strukturiert ist. Der Begriff "Weltöffentlichkeit" ist zwar in aller Munde und gängiger Topos politischer Rhetorik, bleibt aber unscharf. Er wäre gar illusorisch, müßte die ganze Welt im strengen Sinne umfaßt sein. Kein noch so bedeutendes "Menschheitsthema" wird in allen Staaten mit gleicher Intensität wahrgenommen. Eine Annäherung kann über Parallelbegriffe gelingen: Zu beginnen ist mit Goethes Wort von der" Weltliteratur", dann der Weltkultur (auch der Weltmusik), im gesellschaftlich-politischen Bereich mit Kants Idee vom Weltbürgertum, auf dem Feld der Jurisprudenz schließlich fmden sich Topoi wie das Weltrecht und der Weltfrieden (Art. 2 Nr. l SVN), letzterer der Gegensatz zur historischen Unrechtserfahrung des Weltkrieges. 283 All diesen Begriffen ist gemeinsam, daß sie sich auf die übernationale Ebene beziehen, die "Welt" in den Blick nehmen und sie thematisieren. Das heißt aber noch nicht, daß die ganze Welt von ihnen tatsächlich.betroffen ist. Nicht alle Staaten waren an den Weltkriegen beteiligt, nicht jeder literarische Klassiker der Weltliteratur wirkt in allen Gesellschaften und Kulturen. Entscheidend ist, daß die Öffentlichkeit in einem hinreichend großen Teil der Welt, nicht nur national oder regional definierten Raum, besteht, sich entwickeln kann und ihre Inhalte wenigstens von der dort interessierten, spezifisch betroffenen Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Die Themen, die Gegenstand internationaler Öffentlichkeit werden können, müssen darüber hinaus wenigstens potentiell die Weltebene betreffen. Eine rein lokale Neuigkeit, eine ausschließlich regionale Angelegenheit, wird auch dann nicht zur Weltöffentlichkeit, wenn die global vernetzten Medien sie als Nachricht weltweit verbreiten. Weit komplexer aber ist die Frage, wann der "Wertbereich" des Öffentlichen international wird, wie sich die res publica in die Weltdimension weitet. Die Abhängigkeit staatlicher Willensbildung und Entscheidungstindung von den rechtlichen, auch politischen Überzeugungen der Bürger und damit von deren 283 Vgl. dazu P. Häberle, Das "Weltbild" des Verfassungsstaates, in: FS M. Kriele, 1997, s. 1277 ff., 1300 f.

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Rechtsbewußtsein ist im nationalen Verfassungsstaae84 recht deutlich greifbar. Er kennt differenziert~ Formen der Bürgerbeteiligung durch Wahlen und Abstimmungen, durch die Mitwirkung in politischen Parteien, in Verbänden, Vereinigungen oder Bürgerinitiativen, auch durch die Medienöffentlichkeit Er schafft darüber hinaus -je nach Typus - gestufte Näheverhältnisse auf lokaler bzw. kommunaler, regionaler, gliedstaatlicher und gesamtstaatlicher Ebene und kann durch diese Partizipations- und Integrationsmöglichkeiten die Idee vermitteln, daß der Staat den Menschen etwas angeht und der einzelne ftlr seine Freiheit Verantwortung trägt. 285 Dagegen fehlt eine solche Dimension auf der globalen Ebene. Es gibt kein Parlament der Vereinten Nationen oder andere Formen der Bürgervertretung, die Entscheidungsprozesse der internationalen Organisationen oder der Abschluß von Verträgen bleiben eine exklusive Veranstaltung staatlicher Führungseliten. Den Staaten kommt, verstärkt durch das klassische Souveränitätsdogma und die weitgehende Mediatisierung des Individuums, die Rolle der maßgeblichen Akteure zu - in der Defmition des Völkerrechts als "Zwischen-Souveränitäten-Ordnung" auf einen treffenden Begriff gebracht. 286 Darin liegt aus völkerrechtlicher Perspektive die Gefahr, den Staat als naturhaft vorgegebenen Selbstzweck zu verabsolutieren und seine auf den Menschen hin ausgerichtete, ihm dienende Funktion zu verkennen. Die solchermaßen charakterisierte Nicht-Partizipation entfremdet Individuum und Völkerrecht, schaffi Distanz statt Nähe und erschwert die Entstehung des international Öffentlichen, zumal auch das Bewußtseinselement allenfalls schwach ausgeprägt ise87• Die Neuorientierung des Völkerrechts nach dem Zweiten Weltkrieg, seine Ausrichtung weg von bloßer staatlicher Koexistenz hin auf den Schutz des Menschen vor den Übergriffen staatlicher Gewalt, auf 284 W v. Simson, Demokratie und Diktatur in ihren völkerrechtlichen Beziehungen, in: ders., Der Staat(...), S. 109 ff., I 15. 285 Vgl. dazu aus der Perspektive des deutschen Staatsrechts W Schmitt Glaeser, Die grundrechtliche Freiheit des Bürgers zur Mitwirkung an der Willensbildung, in: HdBStR, Bd. II, I 987, S. 49 ff., 50. 286 H. Jahrreiß, Staatensouveränität und Frieden, in: FS filr E. Kaufmann, 1950, S. 163 ff., 167 und passim; ebenso L. Wildhaber, Entstehung und Aktualität der Souveränität, in: FS K. Eichenberger, 1982, S. 131 ff., 132; vgl. auch Ch. Schreuer, The Waning of the Sovereign State: Towards a New Paradigm for International Law, in: EJIL 4 (1993), S. 447 ff., 448 ("sovereign State as prototype of international actor"). Ähnlich plastisch schon G. Schwarzenberger, Machtpolitik, 1955, S. 65 und passim ("Internationale Aristokratie") im Gegensatz zu den nichtstaatlichen "Statisten auf der internationalen Bühne" (S. 81 ff.); ders., The Frontiers of International Law, 1962, S. 22: "The ensemble of sovereign States forms the international aristocracy." 287 Vgl. dazu A. B. Fields/W-D. Narr, Human Rights as a Holistic Concept, in: Human Rights Quarterly, Vol. 14 (1992), S. I ff., 15. Zum Stichwort Partizipation siehe L.-C. Chen, An Introduction to Contemporary International Law, 1989,438.

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die Sicherung seiner materiellen Existenzgrundlagen und die Förderung seiner Entfaltungsfreiheit kann aber ohne eine stärkere Integration des Individuums nicht gelingen. Vielmehr setzt der "Perspektivenwechsel"288 ein verändertes Rechtsbewußtsein voraus. Es muß deutlich werden, daß nicht ein überpersönlicher Staatswille, sondern nur die weltweite Partizipation der politischen Aktivbürger die notwendigen Rahmenbedingungen effektiven Menschenrechtsschutzes schaffen kann. Die stückweise Entmediatisierung des Individuums wird zur Voraussetzung der werthaft begriffenen internationalen Öffentlichkeit.

111. Das Verhältnis von Öffentlichkeit und öffentlicher Meinung Schließlich muß noch die schon in der einleitenden Problemstellung formulierte Ausgangsfrage nach dem Verhältnis von Weltöffentlichkeit und Weltmeinung geklärt werden. Die öffentliche Meinung ist nur ein Teilsegment der soeben als Bereichs- und Wertbegriff strukturierten internationalen Öffentlichkeit. Sie ist stärker ein Phänomen der Soziologie - ebenso die (Massen-)psychologie289 -, während Öffentlichkeit eher ein Begriff der Politik und des Rechts ist (öffentliches Interesse, Gemeinwohlbelange etc.). Die öffentliche Meinung ist aber jedenfalls Basis ftlr politische Entscheidungen und wird von daher definitorisch oftmals auf diesen politischen Bezug verengt290. Die Gründe daftlr lassen sich anband der historischen Entwicklung aufzeigen. Schon Ende des I 8. Jh. entstand der emphatische Begriff der öffentlichen Meinung gestützt auf die Druckpresse als immer wichtiger werdendes Mittel im politischen Kommunikationsprozeß. Es kam allmählich zu der Vorstellung, die öffentliche Meinung sei Letztinstanz zur Beurteilung politischer Angelegenheiten. 291 Die moderne rechts- und sozialwissenschaftliche Theorie, insbesondere der neue Wissenschaftszweig der Kommunikationstheorie, hat sich dem Topos in differenzierterer Art und Weise angenommen. W. Lippmans Untersuchung über die öffentliche Meinung aus dem Jahre 1960 steht fUr einen frühen, wichtigen Beitrag der amerikanischen Wissenschaftlergemeinschaft zum Thema. Hier der von ihm entwickelte allgemeine Defmitionsansatz: "Those features of the world outside which have to do with the behaviour of other human beings, in so far as that behaviour crosses ours, is dependent upon us, or is interesting to us, we call roughly public affairs. The pictures inside the heads ofthese So K.-P. Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, 1997, S. 253. Siehe zur historischen Begriffsentwicklung M Kloepfer, Öffentliche Meinung, Massenmedien, in: HdBStR II, 1987, S. 171 ff., 173 f. (§ 35 Rn. 3 ff.) 290 Ebd., Rn. 4. 291 So N. Luhmann, Die Realität der Massenmedien, 2. Aufl. 1996, S. 187. 288

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human beings, the pictures of themselves, of others, of their needs, purposes, and relationship, are their public opinion."292

Lippmanns Idee verweist auf einen ersten inneren Widerspruch des Terminus "öffentliche Meinung", denn das Meinen betrifft die private Reflexion, das forum intemum des Individuums. Meinen ist immer ein individueller, privater Vorgang, nichts Öffentliches. Das, was gemeinhin als öffentliche Meinung bezeichnet wird, setzt sich aus der Vielzahl der höchstpersönlichen Reflexionen zusammen. Das spezifisch Öffentliche an diesem "Meinen" mag sein Gegenstand sein: die reflektierende Betrachtung über eine öffentliche Angelegenheit. Oder auch ein schlichtes Massenphänomen, das, vermittelt durch die Medien, Parteien, Verbände und andere Meinungsträger, das zunächst individuelle Element der Meinungsbildung vom Ergebnis her kollektiviert. Darin liegt auch eine große Gefahr. Der einzelne Bürger kann sich solche Ergebnisse zu eigen machen, als seine Meinung begreifen, obwohl er selbst niemals reflektiert, sondern immer nur von anderen Vorgedachtes rezipiert hat. Die öffentliche Meinung ist gerade deshalb der Steuerung und Manipulation ausgesetzt. Sie simplifiziert, verabsolutiert, leistet Vorurteilen und Gemeinplätzen Vorschub. Sie wurzelt oft nur im emotionalen Bereich. Eine besondere Rationalität der öffentlichen Meinung oder gar ein Wahrheitsanspruch, der sich nur aus der Meinung der Mehrheit herleiten ließe, bliebe gefährliche, wirklichkeitsfremde Illusion. 293

Und doch kommt der politische Prozeß ohne die öffentliche Meinung nicht aus. Sie ist nach N. Luhmann die "thematische Struktur öffentlicher Kommunikation"?94 Im Gegensatz zur Öffentlichkeit als solcher bildet sie das dynamische, wandelbare Element. 295 Sie dient der Dynamisierung des politischen Pro-

292 W. Lippmann, Public Opinion, 1960, S. 29; vgl. auch den Ansatz bei D. Schind/er, Des Facteurs Sociologiques et Psychologiques du Droit International, in: Recueil des Cours (...), S. 235 ff., 299: "L'opinion publique contient Je jugement du peuple sur les circonstances dans Iesquelles il vit. La rapport de Ia pensee et du monde exterieur se reflete en eile." 293 Ebd., S. 235 ff., 301 ("une copie trop simpliste de Ia realite"), 304 ff., S. 307 ("caracteres primitif et emotif de I' opinion publique"). 294Öffentliche Meinung, in: Politische Vierteljahresschrift 11 (1970), S. 2 ff., 3. 295 A. Cassese, Human Rights in aChanging World, 1990, S. 5, spricht von einer "hasty, short-memoried opinion formed by newspapers or television" im Gegensatz zu einer "opinion shaped by those who ponder, read, discuss, protest, denounce and do not forget." Siehe auch N. Luhmann, Offentliehe Meinung, in: Politische Vierteljahresschrift II ( 1970), S. 2 ff., 13: "Mobilität" der "Themenstruktur" im "politischen Kommunikationsprozeß". Aus der klassischen völkerrechtlichen Lit.: G. Schwarzenberger, Machtpolitik, 1955, S. 93 (öffentliche Meinung als "spontanes Phänomen").

14 Kotzur

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zesses296 , ist wichtig für politisch-gesellschaftliche Neuerungen und korrespondiert mit der Innovationsfunktion des Rechts, das sozialem Wandel stetig Rechnung tragen muß. 297 Die große Variationsbreite und hohe Beliebigkeil der politischen wie rechtlichen Zielvorstellungen kann zwar nicht durch "die eine Wahrheit" aufgehoben werden. Es ist aber möglich, sie durch eine umfassende öffentliche Diskussion auf von gemeinsamen Konsens getragene Alternativen zu reduzieren. Die durch Kommunikation entstandene öffentliche Meinung darf dabei zwar - wie ausgeftlhrt keine spezifische Rationalität als "Mehrheitsmeinung" ftlr sich beanspruchen. Kraft des diskursiven Miteinanders und vergleichenden Austausches vielflUtiger Sichtweisen kann die öffentliche Kommunikation aber doch die Ergebnisse des Meinungsbildungsprozesses ein Stück weit rationalisieren. 298 Ein weiteres Problem ergibt sich aus internationaler Perspektive. Die öffentliche Meinung ist schon von den Themen her zumeist stark national geprägt eine wichtige Ausnahme sind die nach eigenem Selbstverständnis Obernationalen religiösen Fragen. Nationale Interessen, Emotionen und Befindlichkeiten stehen im Vordergrund, denn es gibt jenseits des Nationalstaates oder der (von gemeinsamer Kultur geprägten) jeweiligen Weltregion kaum ein einheitsstiftendes Band von homogenen Wertvorstellungen, Glauben und Weltanschauung. Darüber hinaus finden globale, universelle Themen nicht immer hinreichendes Interesse vor Ort299• Sie sind zu abstrakt, um die Menschen in ihrem täglichen Leben zu berUhren, ganz abgesehen von zusätzlichen, noch einschneidenderen Faktoren wie existenzbedrohender Armut, mangelnder Bildung oder Informationsdefiziten in totalitären Systemen. Die öffentliche Meinung begegnet deshalb dem Globalen, dem Fremden oft mit latenten oder offenkundigen Ressentiments, sei es die Angst vor der Globalisierung, die vielzitierte Skepsis "gegenOber Brüssel" auf EU-Ebene, das Mißtrauen gegenOber internationalen Organisationen. Die öffentliche Meinung ist in vielen Fällen eher ein Hindernis als ein Motor der Internationalisierung und bleibt trotzdem für sie unentbehrlich. 300 Das wird aus den Funktionen der öffentlichen Meinung

296

24.

M. Kloepfer, Öffentliche Meinung, Massenmedien, in: HdBStR II, 1987, § 35 Rn.

B. Exner, Recht und öffentliche Meinung, 1990, S. 76 ff. N. Luhmann, Öffentliche Meinung, in: Politische Vierteljahresschrift 11 (1979), S. 2 ff., 6; vgl. auch B. Exner, Recht und öffentliche Meinung, 1990, S. 31, 88 ff. 297 298

299 Vgl. die polemisch überspitzte Kritik an der "Unwissenheit" und dem Desinteresse der Bürger in außenpolitischen Angelegenheiten bei H. Nicolson, Diplomatie, 1947, 71. Siehe auch W Lippmann, Public Opinion, 1960, S. 159 ff. 300 So aus der Perspektive seiner Zeit D. Schind/er, Des Facteurs Sociologiques et Psychologiques du Droit Publique, in: Recueil des Cours ( ... ), S. 235 ff., 306 f.

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deutlich. Im Verfassungsstaat ist eine Trias auszumachen: Die öffentliche Meinung dient erstens der Integration, das heißt der Herstellung des die verfaßte Gemeinschaft tragenden Grundkonsenses und der Vorformung der politischen Willensbildung im gesellschaftlichen Raum. Sie dient zweitens der diskursiven Legitimation und drittens der Kontrolle politischer Macht. 301 Nicht von ungeflihr werden die Medien als die vierte Gewalt in Ergänzung der Lehre Montesquieus apostrophiert. Diese Aspekte Jassen sich wenigstens zum Teil auch auf die internationale Gemeinschaft übertragen. Interdependenzen der Einzelfunktionen werden dabei deutlich. Der Aspekt der Kontrolle spielt im Völkerrecht eine hervorgehobene Rolle, da die öffentliche Meinung gerade dort eine - wenngleich beschränkte - Garantiefunktion zur Einhaltung völkerrechtlicher Normen übernehmen kann, wo effektive Durchsetzungsmechanismen entweder ganz fehlen oder nicht konsequent in der Staatenpraxis umgesetzt werden.302 Sie als eine Art Zwangsmittel des Völkerrechts zu klassifizieren, ginge jedoch entschieden zu weit. 303 Sie begleitet vielmehr kritisch globale Entwicklungsprozesse, insbesondere die Praxis von Staaten und internationalen Organisationen, und erftlllt so ihre Kontroll- und Korrektivfunktion. Sie ist, wenngleich nur mittelbar, eine Form der Partizipation und Repräsentation der Bürger auf dem Feld der äußeren Angelegenheiten. Sie widerspiegelt vor allem auch, welches Interesse internationale und spezifisch völkerrechtliche Belange bei der Allgemeinheit der Bürger eines nationalen Verfassungsstaates fmden.304 Letztlich entsteht aus den vielen "Teilrneinungen" in den Nationalstaaten durch weltweite Kommunikationssysteme die internationale öffentlichen Meinung. Sie ist eine erste, nicht alleinige, Voraussetzung ftlr ein internationales Rechtsbewußtsein, das zentralen Einfluß auf die Fortbildung des Völkerrechts und seiner Institutionen nimmt.

301 Dazu M Kloepfer, Öffentliche Meinung, Massenmedien, in: HdBStR II, 1987, § 35 Rn. 15 ff. 302 Vgl. H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 1966, S. 438 f.; /. Seid/-Hohenveldern, Völkerrecht, 9. Aufl. 1997, Rn. 1542, 1899; H. Nico/son, Diplomatie, 1947, S. 57; A. Cassese, Human Rights in aChanging World, 1990, S. 5. 303 So nachdrücklich H. Lauterpacht, International Law, Vol. 1, 1978, S. 199 ("ineffective weapon of public opinion"), der aber jenseits des Zwangscharakters eine wichtige Rolle der Weltmeinung durchaus anerkennt, siehe ebd. S. 19. 304 H. Huber, Über die Geltung des Völkerrechts, in: ders., Rechtstheorie, Verfassungsrecht, Völkerrecht, 1971, S. 567 ff., 575.

14•

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Dritter Teil: Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbürgR IV. Wirkungsebenen internationaler Öffentlichkeit

Von den Funktionen filhrt der nächste Schritt zu den Wirkungsebenen der internationalen Öffentlichkeit. Sie übergreift Kompetenzräume und verbindet nationale, regionale, supranationale und internationale Strukturen. Das ist fiir die Effektivität der Menschenrechte von entscheidender Bedeutung. Dem vertraglichen System zum Schutze internationaler Menschenrechte, das auf dem Konsens gleichberechtigter Partner beruht und ohne eine übergeordnete Macht zur effektiven Normverwirklichung auskommen muß, ist - wie bereits mehrfach angeklungen - eine wesentliche strukturbedingte Schwäche immanent: die Durchsetzungsmechanismen bleiben schwach. Nationale Regierungen zögern oft aus wirtschaftlichen oder politischen Gesichtspunkten, die Menschenrechtsverletzungen durch andere Staaten auch nur anzuprangern, geschweige denn, Maßnahmen gegen sie einzuleiten. Von daher greifen alle Strategien zur besseren Akzeptanz und Befolgung der Menschenrechte, die auf der horizontal wirkenden, zwischenstaatlichen Ebene allein die Signatarmächte und ihre jeweiligen Regierungen, eben nur die national organisierte Staat/ichkeit, einzubeziehen versuchen, zu kurz. 305 Um das aufgezeigte strukturelle Dilemma zu überwinden, muß die Menschenrechtsfrage vielmehr in die Vertikale erweitert werden. HH Koh, ein fUhrender amerikanischer Völkerrechtler, benennt drei diesbezüglich wesentliche Aspekte, denen der Öffentlichkeitsgedanke immanent ist: "interaction", "interpretation" und "internalization"306. Hinter dem Schlagwort der Interaktion verbirgt sich die Forderung, neben den Staaten auch intergouvernementalen und nongouvernementalen Organisationen, der privaten Wirtschaft, Rechtsanwälten und -beratern, nicht zuletzt auch den Individuen eine intensivere Partizipation an völkerrechtlichen Entscheidungsprozessen zu ermöglichen. "Interpretation" meint vor allem die Entwicklung dogmatischer Strukturen durch die Gerichtsbarkeit und die Wissenschaft (Wissenschaftsöffentlichkeit). Die Internalisierung ist die gemeinsame Grundbedingung beider vorgenannten Prozesse. Sie umfaßt die drei Sphären des Gesellschaftlichen, des Politischen und des Rechtlichen und damit die drei maßgeblichen Wirkungsebenen des Öffentlichen. Zunächst muß die Norm ins Bewußtsein einer möglichst breiten Öffentlichkeit dringen, um so auf der Welt- wie der nationalen Ebene akzeptiert zu werden.307 Teils parallel zu diesem Prozeß, teils ihn voraussetzend, sind auf einer 305 H. H. Koh, Why Do Nations Obey International Law, in: The Yale Law Journal, Vol. 106 ( 1997), S. 2599 ff., 2610, spricht von "regime management strategies". 306 Ebd., S. 2599 ff., 2655 f. 307 Dazu M. A. Glendon, Rights Talk, 1991, S. 182 ("lt is an illusion, however, to believe that the ,parchment barriers' of legal rights alone can she1ter citizens from the

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nächsten Stufe die politischen Eliten angesprochen, sich die Normziele der internationalen Menschenrechtspakte zu eigen zu machen und sie in ihre Programmatik aufzunehmen. Eine solche Menschenrechtspolitik bedarf aber nicht nur globaler Visionen, sondern muß in den einzelnen Nationalstaaten ihre rationale Basis und emotionale Heimat fmden. Nur so kann sie zum Inhalt der in einem ersten Schritt wiederum innerstaatlichen - politischen Auseinandersetzung werden, um von hier aus weltweit zu wirken. Auf der letzten Stufe geht es endlich darum, die internationale Norm in das nationale Rechtssystem zu implementieren, sei es durch rechtssetzende Akte der Legislative, durch Normbefolgung von Seiten der Exekutive oder durch die juristische Interpretation der Judikative. 308 All diese ineinandergreifenden Mechanismen schrittweiser Normverwirklichung leben von Öffentlichkeie09, und zwar in Gestalt eines dialektischen Spannungsverhältnisses. Die Menschenrechtsidee muß im öffentlichen Bewußtsein und in der öffentlichen Meinung einen festen Platz einnehmen, sich gleichzeitig aber erst ihre Öffentlichkeit schaffen, Publizitätsvorgänge anregen und so jenseits der Konventionstexte normative Kraft erlangen.3 10

V. Die Träger der internationalen Öffentlichkeit Die Funktionen und Wirkungsebenen des Öffentlichen können nicht losgelöst von der Frage, welche Personen, Personengruppen, Institutionen und sonstigen Faktoren an seiner Genese beteiligt sind, bestimmt werden. Das folgende Tableau ist der Versuch einer systematisierenden Zusammenstellung der maßgeblichen Öffentlichkeitsträger, ohne den Anspruch auf Vollständigkeit zu

arbitrary exercise of public or private power."); P. Pernthaler, Allgemeine Staats- und Verfassungslehre, 1996, S. 285 f.: "politisches Bewußtsein von den Menschenrechten", "Bewußtsein der Freiheit"; vgl. auch C. Möllers, Braucht das öffentliche Recht einen neuen Methoden- und Richtungsstreit?, in: Verwaltungs-Archiv 90 (1999), S. 187 ff., 202; H. J Berman, Towards an lntegrative Jurisprudence: Politics, Morality, History, in: California Law Review, Vol. 76 (1988), S. 779 ff., 799 ("worldwide legal consciousness"). 308 H. H. Koh, Why Do Nations Obey International Law?, in: Yale Law Journal, Vol. I 06 ( 1997), S. 2599 ff., 2656. 309 Öffentlichkeit in diesem Sinne meint gerade die nichtstaatliche Öffentlichkeit. Der für das 19. Jh. prägende Dualismus von "öffentlich" und "Staat" auf der einen, "privat" und "Gesellschaft" auf der anderen Seite, kann heute weder ftlr das Staatsnoch fllr das Völkerrecht gelten. Vgl. dazu P. Häberle, Öffentliches Interess als juristisches Problem, 1970, S. 25 f., insbes. Fn. 44 m. w. N. 310 Zum "normativen Gebrauch von Öffentlichkeit": C. Möllers, Braucht das öffentliche Recht einen neuen Methoden- und Richtungsstreit, in: Verwaltungs-Archiv 90 ( 1999), s. 187 ff., 202.

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Dritter Teil: Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbUrgR

erheben. 311 Auch in diesem Zusammenhang wird deutlich, daß der souveräne Nationalstaat seine dominante Rolle in der internationalen Gemeinschaft zum Teil verloren hat und ihm im Zusammenspiel mit anderen Akteuren nur noch ein relatives Gewicht zukommt. 312 Entscheidend ist hier- neben der komplexen Beteiligtenvielfale 13 -die immer wieder erkennbare Verzahnung von nationaler und internationaler Ebene: viele, wenn nicht die meisten Faktoren, sind zugleich Elemente der kleineren Öffentlichkeit im Nationalstaat und wirken erst von hier aus in die Weltebene hinein. 1. Die internationalen, supranationalen oder regionalen Organisationen

a) Die "UN-Familie" bzw. das "UN-System" aa) Allgemeine Aspekte

Die "UN-Familie" oder das "UN-System" bezeichnen die Organisation der Vereinten Nationen in ihrer Gesamtheit, das heißt sowohl die Hauptorganisation selbst mit ihren Organen, Unter- und Nebengliederungen (Art. 7 Abs. 1 und 2 SVN) als auch das weitverzweigte Netz von Sonderorganisationen (Art. 57 und 63 SVN).314 Sie alle schaffen, je nach Aufgabenprofil und Organisationsstruktur mit unterschiedlicher Intensität, ein spezifisches Stück Öffentlichkeit. An erster Stelle zu nennen ist hierbei die Generalversammlung (Kapitel IV, Art. 9 bis 22 SVN), denn sie ist das einzige Organ, in dem alle Mitgliedstaaten vertreten sind (Art. 9 Abs. I SVN). Art. 10 SVN stattet die Generalversammlung im Rahmen der weitreichenden Ziele und Grundsätze der Charta (Art. 1 und Art. 2 SVN) mit einem umfassenden Erörterungsrecht, einer allgemeinen Diskussions- und Empfehlungsbefugnis aus und unterstreicht so nicht nur ihre 311 Vgl. dazu auch die Zusammenstellungen bei P. Häberle, Die offene Gesellschaft der Verfassungsinterpreten, in: ders., Verfassung als öffentlicher Prozeß, 3. Aufl. 1998, S. 155 ff., 160 f., sowie U. Sarcinelli, Politikvermittlung und demokratische Kommunikationskultur, in: Politikvermittlung, S. 19 ff., 19. 312 Vgl. dazu Ch. Schreuer, The Waning ofthe Sovereign State: Towards a New Paradigm for International Law, in: EJIL 4 (1993), S. 447 ff., 449. 313 N. Luhmann, Öffentliche Meinung, in: Politische Vierteljahresschrift II (1970),

s. 21.

314 Zur Terminologie: Schermers/Biokker, International Institutional Law, 3rd ed. 1995, §§ 1455 ff.; K. Hüfner, UN-System, in: R. Wolfrum (Hrsg.), Handbuch VN, 2. Autl. 1991, S. 966 ff., 966. Eine Übersicht über die UN mit Haupt-, Neben- und Spezialorganen auf der einen, über die Sonderorganisationen auf der anderen Seite gibt E. Klein, Die internationalen und supranationalen Organisationen als Völkerrechtssubjekte, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 1997, S. 267 ff., 376/377, sowie Schaubild Nr. 3, S. 326.

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grundlegende Bedeutung als zentrales Organ der Weltgemeinschaft, sondern schafft auch ein unentbehrliches Forum der Weltö.ffentlichkeit. 315 Denn letztlich flillt nahezu jede politische Angelegenheit von internationaler Bedeutung unter die Allzuständigkeit der Generalversammlung, sie wird zu einem ., town meeting ofthe world"316 und .,open conscience ofhumanity"311, was Art. 13 Abs. 1 lit. b SVN mit Blick auf die "Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten" auf einen ausdrUckliehen Text bringt. Das heißt: Wesentliche Aufgabe der Generalversammlung ist es, Themen mit weltweitem Bezug aufzugreifen, sie in ihrer rechtlichen wie politischen Dimension zu präzisieren und zur Diskussion zu stellen. Zu diesem Zweck muß in Art. 10 SVN nach dem Telos der Norm auch die Rechtsgrundlage filr ein Untersuchungsrecht gesehen werden, denn nur die Offenlegung der relevanten Tatsachen durch Beobachter, Untersuchungskommissionen oder sonstige Prüfungsmechanismen ermöglicht eine inhaltlich sinnvolle Auseinandersetzung. Solche Untersuchungen sowie der anschließende offene Austausch in der Generalversammlung, in dem Kompromisse gefunden, gemeinsame Wertvorstellungen formuliert, aber auch divergierende Vorverständnisse und unterschiedliche Rechts- oder Politikkonzepte einander gegenübergestellt werden können, sind Entstehungbedingungen von Öffentlichkeit. Auf eher symbolische Weise leisten "internationale Tage" wie der Weltfrauentag oder Weltkindertag ihren eigenen Beitrag zur Entstehung eines öffentlichen Bewußtseins. Öffentlichkeitsbildende Faktoren sind ferner die Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofs. Wichtig ist hier die Veröffentlichung von Urteilen in der Übersetzung in der jeweiligen Muttersprache oder wenigstens in englischer Sprache, der "lingua franca" der modernen Wissenschaftlergemeinschaft. Publik zu machen sind ebenfalls die Advisory Opinions, Orders, Sondervoten des Internationalen Gerichtshofs oder die Entscheidungen von Schiedsgerichten. Solche Entscheidungssammlungen sind leicht zugängliche Materialien, die Öffentlichkeit schaffen können. 318 Weitere Aspekte seien in Stichworten genannt: so z. B. das System umfangreicher "monitoring mechanisms" der UN, im Menschenrechtsbereich eingerichtet durch die Commission on Human Rights; daneben internationale Konferenzen wie der Umweltgipfel von Rio de Janeiro und die Wiener Weltkonfe-

31 5 K. Hailbronner/E. Klein, in: B. Sirnrna (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, Art. 10, Rn. 2; E. Klein, Die internationalen und supranationalen Organisationen als Völkerrechtssubjekte, in: W. GrafVitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 267 ff., 327. 316 F. A. Val/at, United Nations General Assernbly, EPIL (5), 324. 317 H. Kelsen, The Law ofthe United Nations, 1951 , S. 199. 318 Dazu schon C. W Jenks, The Cornrnon Law ofMankind, 1958, S. 33.

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renz über Menschenrechte vom Juni 1993.319 Nicht übersehen werden darf die Steuerungskraft politischer Erklärungen und des "soft law", die oft größer ist als die rechtsverbindlicher Völkerrechtsnormen. Für die tatsächliche internationale Wirkung sind der Verbreitungsgrad eines Textes und seine Öffentlichkeit wichtig, nicht allein seine Normtivität im engeren Sinne.320 bb) Die Öffentlichkeitsgarantien in den Menschenrechtspakten selbst

Nach der allgemeinen Übersicht zu Öffentlichkeitsträgern und öffentlichkeitsbildenden Faktoren des UN-Systems müssen die spezifischen Öffentlichkeitsaspekte in den universellen Menschenrechtsverträgen selbst erörtert werden. Die nach dem IPbürgR (Art. 40) und dem IPwirtR (Art. 16) festgelegten Berichtspflichten (Staatenberichtsverfahren) zwingen die Vertragsstaaten zu einer regelmäßigen Offenlegung der innerstaatlichen Menschenrechtssituation.321 Diese Berichte haben eine wichtige Publizitätswirkung und stehen zugleich für eine Öffnung des Staates gegenüber einer nichtstaatlichen Einschätzung und Bewertung.322 Dazu sagt die "Allgemeine Bemerkung des Ausschus-

319 Dazu H.-J. Bartsch, Die Entwicklung des internationalen Menschenrechtsschutzes 1991-1993, NJW 1994, S. 1321 ff., 1321, dort (Fn. 1) auch der Verweis auf eine Schlagzeile der New York Times v. 15. 6. 1993: "The biggestjamboree ever held in the narne offreedom". 320 W. Bausback, 50 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte- Politisches Dokument mit rechtsgestaltender Wirkung?, in: BayVBI. 1999, S. 705 ff., S. 706, spricht explizit von einem "Grad an ,internationaler Öffentlichkeit"'. 321 Das Berichtsverfahren wurde vorher schon auf dem begrenzten Gebiet der Rassendiskriminierung erfolgreich erprobt. Dazu W Lauff, Der Schutz bürgerlicher und politischer Rechte durch die Vereinten Nationen, NJW 1981, S. 2611 ff., 2612; K. J Partsch, Über Menschenrechte, VN 1985, S. 166 ff., 168. Zum Berichtsverfahren allgemein vgl. Ch. Tomuschat, Die Bundesrepublik Deutschland und die Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen, in: VN 1978, S. 1 ff., 6; M. Nowak, Die Durchsetzung des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte, in: EuGRZ 1980, S. 532 ff., 536 f.; K. J Partsch, Aspekte des internationalen Menschenrechtsschutzes, in: VN 1979, S. 21 ff., 22 f.; E. Klein, Universeller MenschenrechtsschutzRealität oder Utopie, in: EuGRZ 1999, S. I 09 ff., 112 f. 322 Vgl. S. Hohe, Der kooperationsoffene Verfassungsstaat, in: Der Staat 37 (1998), S. 521 ff., 536; W Kälin, Menschenrechtsverträge als Gewährleistung einer objektiven Ordnung, in: Berichte(... ), S. 9 ff., S. 29 f.; A. Cassese, Human Rights in aChanging World, 1990, S. 162: "Each and every state is expected to make itselfas transparent as a glasshouse."

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ses filr wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte zum Pakt I" 1 (3) aus dem Jahre 1989323 : "Das vierte Ziel der Berichte der Vertragsstaaten besteht darin, die Überwachung der nationalen Politik im Bereich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte durch die Öffentlichkeit zu erleichtern und die Mitwirkung verschiedener wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Kreise bei der Formulierung, Durchftlhrung und Überprüfung dieser Politik zu ermöglichen. Der Ausschuß entnimmt den vorliegenden Berichten mit Genugtuung, daß mehrere Vertragsstaaten mit unterschiedlichen politischen und wirtschaftlichen Systemen solche regierungsunabhängigen Gruppen zur Mitwirkung an der Erarbeitung der im Pakt vorgesehenen Berichte ermutigen. Andere Staaten sorgen ftlr eine breite Verteilung der Berichte, um den verschiedensten Bevölkerungsgruppen die Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. In diesem Sinn sind die Erarbeitung der Berichte und ihr Studium auf nationaler Ebene mindestens ebenso nützlich wie der konstruktive Dialog auf internationaler Ebene zwischen dem Ausschuß und den Vertretern der berichtenden Staaten. ( ... ) Das siebte Ziel besteht darin, dem Ausschuß wie auch der Gesamtheit der Vertragsstaaten dabei zu helfen, den Informationsaustausch zwischen den Staaten zu erleichtern, die den Staaten gemeinsamen Probleme besser zu verstehen und sich ein genaueres Bild über die Maßnahmen zu machen, die man zur effektivsten Verwirklichung jedes der im Pakt anerkannten Rechte treffen könnte."

Problematisch ist, wenn die Berichte zu knapp, gar unvollständig bleiben oder einen nur allgemeinen Charakter haben. Dazu ein Textbeleg aus der Allgemeinen Bemerkung 2 (13) (1981). 324 Hier geht es um die Vorgabe wichtiger inhaltlicher Kriterien: "Der Ausschuß hat festgestellt, daß einzelne Erstberichte so knapp waren und einen so allgemeinen Charakter aufwiesen, daß es nötig wurde, allgemeine Richtlinien über die Form und den Inhalt der Berichte auszuarbeiten. ( ... ) 3. Der Ausschuß ist der Auffassung, die Verpflichtung zur Berichterstattung beinhalte nicht nur, daß über Gesetze und andere Vorschriften betreffend die aufgrund des Paktes eingegangenen Verpflichtungen Auskunft gegeben werde, sondern auch über die Praxis und Entscheidungen der Gerichte und anderer Organe des Vertragsstaates und über alle weiteren Tatsachen, welche geeignet sind, den tatsächlichen Grad der Verwirklichung und des Genusses der im Pakt anerkannten Rechte, die erzielten Fortschritte und die Umstände und Schwierigkeiten, welche die Durchftlhrung des Paktes beeinträchtigen, aufzuzeigen."

Ergänzend zu dem internationalen Berichtssystem über die Menschenrechtswirklichkeit in den einzelnen Vertragsstaaten, gibt es umgekehrt auch Menschenrechtsberichte einzelner Staaten über die weltweite Menschenrechtssituation (z. B. den Menschenrechtsbericht des Amerikanischen Außenministeri-

323 Zit. nach W. Kälin u.a. (Hrsg.), Die Schweiz und die UNO-Menschenrechtspakte, 2. Aufl. 1997, S. 297-298. 324 Zit nach ebd., S. 342-343.

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ums). So wichtig solche Berichte auch sind, sie bleiben nicht unproblematisch, da politische Eigeninteressen im Vordergrund stehen könnten. Neben den unterschiedlichen Berichtspflichten ist der "Ausschuß fUr Menschenrechte" nach Art. 28 Abs. I IPbürgR zentraler Öffentlichkeitsfaktor. Wichtig sind die Modalitäten des Verfahrens: Für Eingaben gelten keine besonderen Sprach- und Formerfordernisse. Die Beteiligungsmöglichkeiten des beschwerdefUhrenden Bürgers sind insoweit nicht erschwert, er kann, indem er Rechtsschutz sucht, selbst ein Stück internationaler Menschenrechtsöffentlichkeit schaffen.325 Verwiesen sei auch auf die Menschenrechtskommission, eine Fachkommission des Wirtschafts- und Sozialrates. In diesem Kontext werden aber auch Grenzen der Publizität sichtbar. Zu nennen ist das "Verfahren zur Behandlung von Mitteilungen über Verletzungen der Menschenrechte und Grundfreiheiten" nach der Resolution 1503 (XLVIII) des Wirtschafts- und Sozialrates vom 27. Mai 1970, das sog. "1503Verfahren"326. Es handelt sich um ein komplexes Prüfungsverfahren, das vertraulich bleibt, um so die Kooperationsbereitschaft der betroffenen Staaten zu fördern327• Demgegenüber existiert ein öffentliches Verfahren nach der Resolution 1235 (XLII) des Wirtschafts- und Sozialrates vom 6.6. 1976, das sog. "1235-Verfahren". 328 Die Ambivalenz und Grenzen der Publizität treten deutlich zu Tage. Bisweilen hilft die vertrauliche Kooperation weiter, da sie den betroffenen Staaten erlaubt, ihr Gesicht zu wahren. Bisweilen fUhrt erst der öffentliche Druck zu einer Verbesserung der Menschenrechtssituation. Abschließend ein Wort zum Menschenrechtskommissar: Auf Empfehlung der UN-Menschenrechtskonferenz in Wien 1993 wurde mit der Resolution 48/141 vom 20. 12. 1993329 durch die Generalversammlung die Einsetzung eines "Hochkommissars fUr Menschenrechte" beschlossen. Sein Aufgabenprofil sei knapp umrissen: Koordination der unterschiedlichen Mechanismen zum Menschenrechtsschutz, beratende praktische Tätigkeit, Initiativrecht zur Beseitigung bestehender Hindernisse für effektiven Menschenrechtsschutz.330 All das schafft öffentliche Aufmerksamkeit. Ein weiterer Punkt tritt hinzu. Die Dazu M.G. Schmidt, Kein stilles Dulden, in: Vereinte Nationen 1994, S. 7 ff., 8. Text in: Vereinte Nationen I 98 I, S. I 76 ff. 327 M.G. Schmidt, Kein stilles Dulden, in: Vereinte Nationen 1994, S. 7 ff.,7. 328 Text in: Vereinte Nationen 1981, S. 176. 329 Text in: Vereinte Nationen 1994, S. 155 ff. 330 K. Hailbronner, Der Staat und der Einzelne als Völkerrechtssubjekte, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 1997, S. 181 ff., 239 f.; siehe auch A. Clapham, Creating the High Commissioner for Human Rights: The Outside Story, in: EJIL 5 (1994), s. 556 ff. 325

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Aufgabe des Menschenrechtsschutzes wird "personifiziert" und somit greifbarer. Das öffentliche Auftreten einer Persönlichkeit von politischem Gewicht und, im Idealfall, auch Charisma wird zum "persönlichen" Öffentlichkeitsfaktor, um die Wendung R. Smends von den "persönlichen Integrationsfaktoren" modifizierend aufzugreifen. b) Die regionalen Organisationen Eine zentrale Rolle als Öffentlichkeitsträger spielen die regionalen Verantwortungsgemeinschaften. Sie stehen zwischen der Weltöffentlichkeit, einer international vernetzten Informationsgesellschaft und globalen Märkten auf der einen, den Integrations- und Bindungskräften des Nationalstaates auf der anderen Seite, und werden von beiden teils angeleitet, teils herausgefordert. Die Öffentlichkeit entsteht hier aus gemeinsamen kulturellen Überlieferungen, einem gemeinsamen Werte- und Tugendenkanon, aber ebenso aus der Wirtschaft und aus der Politik.331 Auch das Rechtsdenken mag in gemeinsamen Überlieferungen und Traditionen seine Wurzeln haben. Für die Europäische Union ist die Kategorie eines "gemeineuropäischen Verfassungsrechts" 332 längst entwickelt, fUr andere regionale Gemeinschaften bzw. Kulturkreise mag diese Denkfigur ein Vorbild sein. Auch die Institutionen der regionalen Gemeinschaften haben ihre spezifische Öffentlichkeit. Eine Vorreiterrolle übernimmt die Europäische Union aufgrund ihrer "institutionellen Reife". Zu denken ist etwa an die Gerichtsöffentlichkeit des Europäischen Gerichtshofes, des neuerdings gestärkten Europäischen Gerichtshofes fUr Menschenrechte und vor allem an die "Parlamentsöffentlichkeit" des Europäischen Parlaments. Aber auch andere regional begrenzte internationale Institutionen haben ihre je eigenen O.ffent/ichkeitsforen: die Inter-Amerikanische Kommission und der Inter-Amerikanische Gerichtshof fUr Menschenrechte (Art. 34 ff., Art. 52 ff. AMRK) sowie die Afrikanische Kommission fUr Menschenrechte und Rechte der Völker sind die wohl wichtigsten außereuropäischen Beispiele auf dem Menschenrechtssektor.

331 Dazu P. Häberle, Gibt es eine europäische Öffentlichkeit?, in: ders., Europäische Verfassungslehre in Einzelstudien, 1999, S. 130 ff. 332 P. Häber/e, Gemeineuropäisches Verfassungsrecht, in: ders., Europäische Rechtskultur, 1994 (TB 1997), S. 33 ff.

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2. Die staatlichen Gewalten

Zunächst war es der Verfassungsstaat, der als Gegenentwurf zum absolutistischen Arkanstaat vor allem durch die Verbürgung elementarer Freiheitsrechte den Raum geschaffen hat, in dem Öffentlichkeit erst entstehen kann. 333 Die Meinungs-, Informations-, Presse- und Rundfunkfreiheit, die Vereinigungs-, Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit, die Anerkennung der Rolle der Parteien bei der politischen Willensbildung ebenso wie die Durchftlhrung freier Wahlen sind elementare Voraussetzungen öffentlichen Wirkens. Nicht minder wichtig ist die teils mittelbare, teils unmittelbare Öffentlichkeit der staatlichen Gewalten selbst. Dabei wirkt die nationale Öffentlichkeit in den internationalen Raum. Was nationale Parlamente beschließen, Gerichte entscheiden oder Regierungen vorschlagen, wird auch auf der übergeordneten Ebene, vor allem vermittelt durch die Medien, wahrgenommen. a) Die Legislative Für die Legislative ist die spezifische Parlamentsöffentlichkeit prägend. Der Bürger kann auf der Zuschauertribüne persönlich an den Debatten teilnehmen oder sie in den Medien mitverfolgen. Neben den Abgeordneten können bei öffentlichen Hearings auch Sachverständige, Gutachter, Interessenvertreter, Lobbyisten zu Wort kommen. Über den verlängerten Arm des Parlaments wirken schließlich im demokratischen Verfassungsstaat die politischen Parteien bei der Willensbildung mit. b) Die Exekutive aa) Die Regierung

Die Regierungsöffentlichkeit setzt sich aus unterschiedlichen Faktoren zusammen: Die Regierung formuliert öffentliche Interessen und leitet sie in Form von Gesetzesinitiativen an die jeweiligen Parlamente weiter. Sie gestaltet die Außenpolitik und verläßt sich dabei auf die - mitunter medienwirksam inszenierte - Öffentlichkeit der internationalen Konferenzdiplomatie. Trotz aller nachrichten- und geheimdienstliehen Tätigkeit, trotz aller notwendigen Geheimhaltungs- und Geheimnispflichten hat die grundsätzliche Abkehr von einer

333 Für das deutsche Grundgesetz als nationale Beispielsvariante vgl. M. Kloepfer, Öffentliche Meinung, Massenmedien, in: HdBStR Bd. ll, 1987, § 35 Rn. 44 ff.

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überkommenen Geheimdiplomatie in der Außenpolitik einen maßgeblichen Beitrag zur inner- wie zur überstaatlichen Öffentlichkeitsbildung geleistet.334 bb) Die Verwaltung

Auf der Ebene der Verwaltung findet der unmittelbare Umgang und Kontakt zwischen BUrger und Staat statt, erlebt der BUrger die Auswirkungen hoheitlichen Handeins auf sein konkretes Leben besonders nah. Eine entscheidende Rolle filr eine bUrgerfreundliche Verwaltung spielt neben allen Beteiligungsformen in partizipatorisch ausgestatteten Verwaltungverfahren335 und der vielfach geforderten Transparenz des Verwaltungshandeins auch die Öffentlichkeitsarbeit. c) Die Judikative Die Öffentlichkeit des Verfahrens ist nur ein Aspekt der Gerichtsöffentlichkeit Von gleichrangiger Bedeutung filr das Öffentliche ist das "Rechtsgespräch" (A. Arndt), das zwischen Kläger, Beklagtem und Richter, Beschwerdefilhrer, Antragsteller und Antragsgegner entsteht. Das gilt ftlr die Prozeßsituation auf nationaler wie internationaler Ebene. Zudem kann vieles, was im nationalen Rechtsgespräch entwickelt wird, international rezipiert werden. Ein weiterer Öffentlichkeitsfaktor ist die besondere Autorität des Richters und die symbolische Bedeutsamkeif seines Verhaltens. 336 Dieser Aspekt birgt ein Element der Universalität, denn in nahezu allen Kulturen und Rechtskulturen ist das hohe Ansehen der Richter tief verwurzelt. Das öffentliche Ansehen des Richters macht ihn, wie ftlr den Menschenrechtskommissar oben dargestellt - zu einem "persönlichen Öffentlichkeitsfaktor". Nochmals verwiesen sei auf die besondere Bedeutung der Veröffentlichung der Entscheidungen und ihrer Übersetzungen ins Englische, andere Welt- oder die jeweiligen Muttersprachen. Der Zugriff über Datenbanken und das Internet erleichtert zudem den öffentlichen Zugang.

334 R. Smend, Zum Problem des Öffentlichen und der Öffentlichkeit, in: Gedächtnisschrift flir W. Jellinek, 1955, S. II ff., S. 14. 335 Vgl. B. Exner, Recht und öffentliche Meinung, 1990, S. 118. 336 Ebda., S. 118, S. 129 ff.

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3. Die rechtsberatenden Berufe

Neben den Gerichten darf auch die Rolle der Anwälte und der sonstigen rechtsberatenden Berufe bei der Entstehung von internationaler Öffentlichkeit nicht übersehen werden. Sie sind die Mittler zwischen dem Bürger, dem juristischen Laien, und den Fachjuristen, sei es in forensischer oder beratender Tätigkeit. International operierende Sozietäten entwickeln darüber hinaus ihre eigenen Infrastrukturen und schaffen eine spezifische Juristenö.ffentlichkeit. Internationale Anwaltkongresse leisten ihren eigenen Beitrag, nationale Juristentage sind je nach Themenschwerpunkt für internationale Problemstellungen zu öffnen. Bei besonders brisanten Fällen von allgemeinem, gar globalem Interesse kann diese freilich in eine "allgemeine" Öffentlichkeit umschlagen. Die Rolle der Anwälte bei den internationalen Verhandlungen über die Schadensersatzforderungen jüdischer und sonstiger Zwangsarbeiter unter dem NS-Regime liefert überzeugendes Anschauungsmaterial aus jüngster Zeit ( 1999). Eine parallele Argumentation ließe sich fUr die gutachterliehe Beratertätigkeit in Verfahren und Prozessen von öffentlichem Interesse entwickeln. 4. Politische Parteien und Verbände

Parteien, Verbände, Bürgerinitiativen und sonstige gesellschaftliche Gru~­ pen wirken auf nationaler wie internationaler Ebene öffentlichkeitsbildend3 7. Die Parteien kennen internationale Zusammenschlüsse wie die "Sozialistische Internationale", Bürgerinitiativen lassen sich durch Gleichgesinnte aus anderen Staaten inspirieren. Gewerkschaften versuchen, durch weltweite Zusammenschlüsse im Zeitalter der Globalisierung ihre Wirkungsmacht nicht einzubüßen. Schließlich spielen Wirtschaftsverbände eine herausgehobene Rolle und schaffen jenseits traditionell-diplomatischer Kanäle ein weltweites Informations- und Produktionsnetzwerk.338

337 Zum Status der Öffentlichkeit politischer Parteien für das deutsche Grundgesetz siehe K. Hesse, Die verfassungsrechtliche Stellung der politischen Parteien im modernen Staat, in: VVDStRL 17 (1959), S. II ff., 39 ff. 338 Aus der älteren Lit. G. Schwarzenberger, Machtpolitik, 1955, S. 83 ff.

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5. Die besondere Rolle der Non-Gouvernmentai-Organizations

Die nichtstaatlichen, sogenannten Non-Gouvernmental-Organizations (NGOsi 39 wie Amnesty International oder Human Rights Watch340 gehören zu den wichtigsten Antriebskräften menschenrechtliehen Fortschritts. Als private Vereinigungen zur effektiven Verteidigung der Menschenrechte gegrtlndet, engagieren sie sich nicht nur im Rahmen humanitärer Hilfeleistungen und auf dem Gebiet der Menschenrechtserziehung, sie verstehen sich selbst vielmehr auch als Kontrolleure staatlicher Menschenrechtspolitik Diese Tätigkeit ist getragen vom Instrument der Öffentlichkeit und schafft durch ein multinationales Netzwerk der Organisationen weltweite Publizität in Sachen Menschenrechte341. Die NGOs sammeln Informationen, dokumentieren Menschenrechtsverletzungen und helfen auf diese Weise, das Menschenrechtsschutzsystem der Vereinten Nationen zu effektivieren. Versucht die Weltgemeinschaft durch offizielle "Fact Finding Missions"342 und Menschenrechtsreporte343 die Verantwortlichen von massiven Menschenrechtsverstößen zu benennen oder schon im Vorfeld staatliche Übergriffe zu verhindern, so greifen die Ausschüsse der internationalen Gremien oft auf das Informationsmaterial zurück, das ihnen die NGOs bereitstellen. Die Arbeit der NGOs verfolgt dabei ein zweifaches Ziel. Zum einen geht es darum, das "staatliche SchamgefUhl" zu wecken344, sei es durch Kampagnen, 339 Dazu Ph. Alston, The UN's Human Rights Record: From San Francisco To Vienna and Beyond, in: Human Rights Quarterly, Vol. 16 (1994), S. 375 ff., 388 ff. 340 Weitere Beispiele wären Helsinki Watch, A.mericas Watch, Latin A.merica Watch, Africa Watch, Asia Watch. 341 Dazu W Kar/, Stille Diplomatie oder Publizität? - Überlegungen zum effektiven Schutz der Menschenrechte in dem gleichnamigen, von E. Klein hrsgg. Sammelband aus dem Jahre 1996, S. 13 ff., 25 ff.; F. Bauer, Nur ein leichtes Glühen, in: FAZ vom 18. Mai 2000, S. 16. Für Mai 2000 war in New York ein Gipfel der Nichtregierungsorganisationen über ihre Rolle im internationalen Geftlge angesetzt. Dabei entsteht ein eigenes Stück Öffentlichkeit der NGO's. 342 Vgl. Th. van Boven, Menschenrechte: Möglichkeiten und Grenzen der Vereinten Nationen, in: VN 1979, S. 95 ff., 98 f. 343 Vgl. B.G. Ramachan, Strategies for the International Protection ofHuman Rights in the 1990s, in: Human Rights Quarterly, Vol. 13 (1991), S. 155 ff., 157; J. Carter, The Rule of Law and the State of Human Rights, in: Harvard Human Rights Law Journal, Vol. 4 (1991), S. 1 ff., 8; R. Higgins, Problems and Process, 1994, S. 107; E. W. Vierdag, Some Remarks about Special Features of Human Rights Treaties, in: Netherland Yearbook oflnternational Law 1994, S. 119 ff., 128 f. 344 Hier hat sich der Terminus "mobilization of shame" eingebürgert, siehe W. Kar/, Stille Diplomatie oder Publizität? - Überlegungen zum effektiven Schutz der Menschenrechte, in: E. Klein (Hrsg.), Stille(...), S. 13 ff., 20, 26. Ein aktuelles Beispiel für die Möglichkeiten von Nichtregierungsorganisationen, ftlr weltweiten politischen Druck

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Demonstrationen oder Brief- und Unterschriftenaktionen, aber auch durch Lobbying bei den Regierungen. Zum anderen gilt es die Tatsachen zu ermitteln, um Menschenrechtsverletzungen aufdecken zu können. Für beide Aufgabenfelder spielt der direkte und persönliche Kontakt mit den politischen Akteuren und den Betroffenen vor Ort eine große Rolle. So sehr Publizität das Handlungsprinzip der nichtstaatlichen Organisationen ist, so hinderlich kann sie ftlr die notwendige Kooperation im Einzelfall sein. Der Zutritt zu Gefängnissen oder Kriegsgefangenenlagem, das notwendige Gespräch mit den verantwortlichen Entscheidungsträgem setzen bisweilen Vertraulichkeit und "stille Diplomatie" voraus. Öffentlichkeit stößt hier an ihre Grenzen, kann kontraproduktiv wirken und würde der wirksamen Hilfe ftlr die in ihren Rechten Verletzten von vomherein den Boden entziehen.345 Die Entscheidung ftlr und wider öffentlichkeitswirksame Akklamation setzt eine sorgfliltige Abwägung im Einzelfall voraus und muß sich an den Schutzinteressen der Betroffenen orientieren. Doch unabhängig davon sind die Nichtregierungsorganisationen das Forum, auf dem die aktive(n) Bürgergesellschaft(en) ihren Teilbeitrag zur Neugestaltung der internationalen Beziehungen leisten kann (können) und so auch den Gesellschaftlich-Öffentliche Bereich von der nationalen hin zur .. Weltbürgergesellschaft", zur global civi/ society, weitet/weiten. Aber auch kritische Anmerkungen zum öffentlichen Wächteramt der NGOs dürfen nicht ausbleiben. Nicht erst seit dem Fall Brent Spa (1997) treten immer wieder Zweifel am Wahrheitsgehalt der gefundenen empirischen Grundlagen ebenso wie am methodisch richtigen Vorgehen der Organisationen auf. Auch wenn Skandale, mögen sie auf unsorgfliltiger Recherche oder gar bewußt wahrheitswidrigen Informationen beruhen, die Ausnahme bleiben, so vermögen sie doch die Reputation und damit die moralische Autorität der Menschenrechtsorganisationen zu erschüttern. Daneben drängt sich noch eine sehr viel grundsätzlichere theoretische Frage auf: Wie legitimieren sich die privaten unabhängigen Kontrolleure, denen kein Mandat vom demokratischen Souverän erteilt worden ist? Wer kontrolliert die Kontrolleure? Üben sie, ähnlich wie die Medien, eine Art öffentlicher Gewalt aus, die mit dem herkömmlichen Gewaltenteilungsschema und der klassischen Demokratietheorie noch nicht hinreichend erfaßt werden kann? In vielerlei Hinsicht ähnelt die Tätigkeit der nichtstaatlichen Organisationen ja staatlich institutionalisierten Kontrollmechanismen: den Menschenrechts- oder Ausländerbeauftragten, auch dem Ombudsmann. zu sorgen und Scham zu erzeugen, waren die Ausschreitungen beim WTO-Gipfel in Seattle Ende 1999. 345 W. Kar/, Stille Diplomatie oder Publizität? - Überlegungen zum effektiven Schutz der Menschenrechte, in: E. Klein (Hrsg.), Stille(...), S. l3 ff., 27 f.

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All diese hier nur al fresco angedeuteten Fragen thematisieren verfassungsstaatliche und internationale Öffentlichkeit. Die Antworten müssen notwendig Einzelstudien vorbehalten bleiben, vorliegend sei nur der Rahmen für die spezifische Publizität herausgearbeitet, die der internationale Menschenrechtsschutz den NGOs verdankt. Sie üben eine unverzichtbare Kontrollfunktion aus und fördern zugleich das internationale Bewußtsein in Sachen der Menschenrechte. Sie treten nicht nur filr die Interessen der Verfolgten ein und schaffen ihnen ein öffentliches Forum, sie formulieren vielmehr letztlich öffentliche Interessen und Gemeinwohlgehalte der Staatengemeinschaft als solcher. Die Tätigkeit der NGOs vollzieht sich im öffentlichen Raum und ist gleichzeitig konstitutives Element filr eine vielstimmige internationale Öffentlichkeit. Über die Organisationsform der NGOs hat der politische Aktivbürger, der citoyen, eine originäre Partizipationsmöglichkeit. Er übernimmt de facto eine öffentliche Aufgabe, handelt im öffentlichen Interesse, weiß sich dem Gemeinwohl, der salus publica, der Staatengemeinschaft als solcher verpflichtet. Die Konsequenzen sind weitreichend, denn die so umschriebenen öffentlichen Gestaltungsmöglichkeiten helfen wenigstens im Ansatz, die vielberufene Mediatisierung des Individuums im Völkerrecht ein weiteres Stück zu überwinden. Das Ideal des "Weltbürgers" von Seneca bis Kant gewinnt schon zu einem kleinen Teil die Realität des .. Weltaktivbürgers". 6. Kirchen und Religionsgesellschaften

Zwar haben durch einen immer stärker fortschreitenden Säkularisierungsprozeß seit der Aufklärung Religion und Kirche für den modernen Menschen in Westeuropa immer stärker an Bedeutung verloren, aber nicht nur aufgrundder gegenläufigen Entwicklung in der afrikanischen, islamischen und lateinamerikanischen Staatenwelt ist es erforderlich, Kirchen und Religionsgemeinschaften als wesentlichen Faktor bei der Entstehung internationaler Öffentlichkeit zu begreifen. Aufgrund ihrer organisatorischen Struktur und der Völkerrechtssubjektivität des Hl. Stuhls ist die katholische Kirche ein besonders gutes Beispiel:346 Sie erhebt den globalen Anspruch einer Weltkirche und zeugt, wie übrigens auch der Lutherische Weltbund, vom supranationalen Charakter des Christentums347 Die weltöffentliche Dimension schwingt schon im Begriff "Weltreligionen" mit, sie gilt neben der christlichen genauso für alle anderen Weltreligionen. In diesem Zusammenhang ist auch auf die herausgehobene 346 Zur Rolle der Kirchen in den internationalen Beziehungen siehe schon G. Schwarzenberger, Machtpolitik, 1955, S. 88 ff. 347 Vgl. dazu J. Eppstein, The Catholic Tradition of the Law of Nations, 1935, s. 20 ff.

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Bedeutung des missionarischen Anspruchs ftlr viele Religionen hinzuweisen. Aus Sicht der katholischen Kirche sei die Konzilskonstitution "Gaudium et spes" Nr. 89 zitiert: "Kraft ihrer göttlichen Sendung verkündet die Kirche allen Menschen das Evangelium(...). Darum muß die Kirche überall in der Völkergemeinschaft präsent sein, um die Zusammenarbeit unter den Menschen zu fördern und anzuregen. Das geschieht sowohl durch ihre öffentlichen Institutionen wie durch die umfassende und aufrichtige Zusammenarbeit aller Christen ( ... )."348

Aber auch Sekten und Jugendreligionen (z. B. Scientology) erzeugen ebenso wie fundamentalistische Strömungen der großen Religionen weltweite religiöse Öffentlichkeit. Das zeigt die immanenten Gefahren von Öffentlichkeit. Sie kann fanatischen und fundamentalistischen Botschaften als Mittlerin dienen, sich einseitiger, suggestiver Methoden bedienen. Öffentlichkeit im werthaft-positiven Sinne muß deshalb immer pluralistisch strukturiert sein, um sich nicht von einseitig-verabsolutierenden Scheinwahrheiten vereinnahmen zu lassen.

7. Ideologische Weltbewegungen Auch ideologische Weltbewegungen349 schaffen sich ihre Öffentlichkeit. Paradoxer Weise können so Nationalismen (wie auf dem Balkan oder in Tschetschenien) Internationalität erlangen, negatives Vorbild insbesondere fiir instabile politische Systeme werden. Gleiches gilt fiir den Rassismus, aber auch ftlr den Sieg über ihn. Man denke an den positiven Öffentlichkeitsschub nach dem Ende der Apartheid in Südafrika. Paralleles läßt sich fiir den Weltkommunismus mit seinem expansionistischen Anspruch und dessen Niedergang seit 1989 feststellen. Wie bei den Weltreligionen ist auch hier jede "absolute Wahrheit" geflihrlich, Öffentlichkeit nicht per se, sondern nur aufgrund ihrer pluralistischen Offenheit ein "Wertbegriff'.

8. Bildungseinrichtungen Wichtige Öffentlichkeitsträger sind alle Institutionen, die politische Bildung vermitteln, die Kenntnisse und Werthaltungen weitergeben wollen. Das beginnt mit der UNESCO und endet bei Universitäten und Schulen. Das Verständnis

348 Zitiert nach H. de Riedmatten, Die Völkergemeinschaft, 1969, siehe lOS. Dazu ebd. S. 90 ff. 349 Zum Begriff G. Schwarzenberger, Machtpolitik, 1955, S. 89 ff.

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von Menschenrechten als Erziehungszielen350 gibt einen wichtigen Hinweis ftlr den öffentlichen Auftrag an die Bildungsträger - gleich ob sie staatlich oder privatwirtschaftlich organisiert und fmanziert sind. Private, übernationale Bildungseinrichtungen - erneut sei auch auf das Selbstverständnis der UNESCO hingewiesen - sind dort um so wichtiger, wo der Staat aus politisch-ideologischen oder wirtschaftlichen Gründen versagt. Stiftungen und Kultureinrichtungen nach dem Modell der Goethe-lnstitute, der Alexander-von-HumboldtStiftung, Fulbright Commission, Max-Planck-Gesellschaft sind gefordert, Bildung zum Exportgut zu machen. Weltweiter Studenten- und Wissenschaftleraustausch, internationale Kongresse und Seminare formen wissenschaftliche Öffentlichkeit. Das globale Klassenzimmer ist längst ein öffentlicher Raum, nicht zuletzt dank des Internet. 9. Die öffentlichen und privaten Massenmedien

Die öffentlichen wie privaten Massenmedienmeinschließlich der sog. neuen Medien (Internet, Satellitentechnologie etc.) sind unverzichtbare Öffentlichkeitsträ~er. Eine pluralistische Medienöffentlichkeit wird zum weltweiten Desiderat. 52 Die Medien sind eines der maßgeblichen kommunikativen Systeme, auf die sich das Völkerrecht als ein weltweites "ius communicationis" stützten kann.m Sie übernehmen dabei die folgenden Hauptfunktionen: allgemeine Anleitung des Meinungsbildungprozesses im Vorfeld der politischen Willensbildung im engeren Sinne; das Wächteramt der Medien in einem System von checks and balances354; ihr Einfluß auf den Rechtssetzungsprozeß, ihre "pre- or 350 B. G. Ramachan, Strategies for the International Protection of Human Rights in the 1990s, in: Human Rights Quarterly, Vol. 13 (1991), S. 155 ff., 163 ("indirect protection" ofhuman rights using "education, teaching, training"). Dazu unten G. II. 2. e). 351 Zum Begriff siehe N. Luhmann, Die Realität der Massenmedien, 2. Aufl., 1996, S. 10; M K/oepfer, Öffentliche Meinung, Massenmedien, in: HdBStR Bd. II, 1987, § 35 Rn. 7-10.; vgl. in diesem Zusammenhang die Darstellungen zur Meinungs- und Informationsfreieheit bei R. Streinz, Meinungs- und Informationsfreiheit zwischen Ost und West, 1981, S. 53 ff. und passim. 352 G. C. McGhee, International Community, 1992, S. 43 f., benennt in dem von ihm vorgestellten "Code of National Good Conduct" u. a. folgendes Ziel: "Enlarging the scope of international media communications and removing restrictions that affect and Iimit their use". 353 Vgl. aus politikwissenschaftlicher Sicht E.-0. Czempiel, Weltpolitik im Umbruch, 1991,96 ff., 107; siehe auchJ Carter, The Rule ofLaw and the State ofHuman Rights, in: Harvard Human Rights Law Journal, Vol. 4 (1991), S. 1 ff., S. 5; R. McCorquoda/e/R. Fairbrother, Globalization and Human Rights, in: Human Rights Quarterly 21 (1999), s. 735 ff., s. 758 ff. 354 P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 235.

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sublawmaking function". Via Medienöffentlichkeit werden auch nicht-staatliche Akteure in den Rechtssetzungsprozeß einbezogen.355 Ein weiterer Gesichtspunkt ist die Speicherkapazität der Medien. Sie sind ein Element eines stets abrufbaren "globalen Gedächtnisses", mundial bedeutsame Ereignisse werden dann zu "Menschheitserfahrungen", wenn sie durch die Medien Eingang in ein "kollektives kulturelles Gedächtnis" fmden. 356 Zu solchen Erfahrungen gehören die Gewalt von Kriegen und BUrgerkriegen (Vietnam-Krieg, Golf-Krieg, Kosovo-Krieg)357, Massenvertreibungen (Kosovo, Ruanda), internationaler Terrorismus, aber auch Neuerungen in Wirtschaft und Technologie, die ökologische Dimension (Tschernobyl als Welterfahrung) oder die Gesundheitsvorsorge (Impfstoffe gegen HIV, Krebstherapien etc.). Die Medien vermitteln Welterfahrungen existenzgefährdender Entwicklungen, eines gemeinsamen Bedroht- und Betroffen-Seins. Aus dieser fundamentalen Existenzangst wird letztlich auch der Menschenrechtsschutz zu einer Welterfahrung. Dabei hat die moderne Technologie einen grenzüberschreitenden Informationsfluß möglich gemacht, der den Staat als solchen in einer" Weltgemeinschaft des Informierens und des Wissens"358 relativiert. Noch eine in den 70er und 80er Jahren geftlhrte, oft ideologisch geprägte Debatte über die völkerrechtlichen Rahmenbedingungen freien internationalen Informationsflusses hat deutlich gemacht, daß zahlreiche Staaten des damaligen Ostblocks ebenso wie Entwicklungsländer in transnationalem Informationsfluß eine Bedrohung, wenn nicht Verletzung ihrer nationalen Souveränitätsrechte sahen. 359 Manches davon ist heute "technisch" überholt, Satellitenfernsehen und -rundfunk, das Internet etc. sorgen dafilr, daß es auch filr totalitäre Staaten immer schwieriger wird, ihre Bürger vom Rest der Weltöffentlichkeit abzuschotten. 355 M W. Reismann, International Lawmaking: A Process of Communications, in: Proceedings, American Society oflnterantional Law 75 (1981), S. 101 ff., 104 ff. 356 W. Schreckenberger, Der moderne Verfassungsstaat und die Idee der Weltgemeinschaft, in: Der Staat 34 (1995), S. 503 ff., 518 m. w. N. 357 J Habermas, Kants Idee des ewigen Friedens - aus dem historischen Abstand von 200 Jahren, in: Kritische Justiz 1995, S. 293 ff., S. 300, vermerkt: "Die ersten Ereignisse, die tatsächlich die Aufmerksamkeit einer globalen Öffentlichkeit auf sich gezogen und die Meinungen in weltweitem Ausmaß polarisiert haben, waren vermutlich der Vietnamkrieg und der Golfkrieg." 358 Ph. Alston, The UN's Human Rights Record: From San Francisco To Vienna and Beyond, in: Human Rights Quarterly, Vol. 16 (1994), S. 375 ff., 379; P. Kirchhof, Der Staat als Organisationsform politischer Herrschaft und rechtlicher Bindung, DVBI. 1999, S. 637 ff., 647; früher schon Th. van Boven, Menschenrechte: Möglichkeiten und Grenzen der Vereinten Nationen, in: VN 1979, S. 95 ff., 97 f. 359 R. Streinz, Meinungs- und Informationsfreiheit zwischen Ost und West, 1981; S. Hohe, Der kooperationsoffene Verfassungsstaat, in: der Staat 37 (1998), S. 521 ff., 537 f.

D. Menschenrechtsschutz und internationale Öffentlichkeit

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Die Rolle der Medien bei der Öffentlichkeitsbildung stößt aber auch immer an Grenzen. Die von den Massenmedien vermittelte oder abgebildete Realität entspricht nicht immer der konkreten politischen Wirklichkeit. Massenmediale Kommunikationssysteme konstruieren in hohem Maße Realität, es fmdet eine Selektion von Nachrichten mit besonders hohem Schlagzeilenwert statt.360 Die Rede ist von einem sog. "CNN-effect". Bloße Teilwirklichkeiten können unversehens zur Grundlage politischer Entscheidungsfmdung werden. 361 Ein weiterer relativierender Faktor tritt hinzu. Konstruieren die Medien als beobachtende Systeme schon ihre eigene, vereinfachende Wirklichkeit, so schaffi sich der verstehende Informationsadressat in der Rolle eines "Beobachters von Beobachtern" abhängig vom je ei~enen Vorverständnis wiederum sein, die Realität zweifach spiegelndes Bild.3 2 Das schränkt die Funktion der Medien im System von "checks and balances" ein, schon in pluralistischen Gesellschaften, sehr viel mehr noch in totalitären Systemen.363 Die Gefahren der Zensur oder ideologisch eingeflirbter Darstellungen liegen offen zu Tage.364 Noch einen anderen kritischen Aspekt gilt es anzumerken. Aus Sensationslust und rein wirtschaftlichem Kalkül schaffen Medien eine "Scheinöffentlichkeit", spielen mit dem (politischen) Skandal (Fall Clinton 1999), anstatt um Aufklärung bemüht zu sein. Zudem kann die "rituelle Publizität" stets stereotyp wiederkehrender Themen, Ar~umente und Konflikte dazu fUhren, daß das Interesse an ihnen verschwindet. 6s Trotz all dieser Grenzen und Gefahren bleiben die Medien aber ein unverzichtbarer Faktor zu Herstellung von Öffentlichkeit, zur Weiterverbreitung all der Ideen und Theorien, die den auf Menschenwürde und Menschenrechten grUndenden Verfassungsstaat als weltweites Projekt begreifen.

360 Vgl. dazu U. Sarcinelli, Politikvermittlung und demokratische Kommunikationskultur, in: Politikvermittlung, S. 19 ff., S. 25; zum Aspekt der Selektion N. Luhmann, Die Realität der MaSsenmedien, 2. Aufl., 1996, S. 57 ff.; M Kloepfer, Öffentliche Meinung, Massenmedien, in: HdBStR Bd. II, 1987, § 35 Rn. 39. 361 R. McCorquodale/R. Fairbrother, Globalization and Human Rights, in: Human Rights Quarterly 21 (1999), S. 735 ff., 760. 362 N. Luhmann, Die Realität der Massenmedien, 2. Aufl., 1996, S. l 0 und passim, spricht von "Realitätsverdoppelung". Ebd. S. 153: "Beobachtung zweiter Ordnung". 363 Vgl. dazu U. Sarcinelli, Politikvermittlung und demokratische Kommunikationskultur, in: Politikvermittlung, S. 19 ff., S. 25. 364 W Lippmann, Public Opinion, 1960, S. 35 ff. 365 So J. Westerbarkey, Banalitätenbühne: Zur Publizität des Privaten, in: G. RenteleiM. Haller (Hrsg.), Aktuelle Entstehung von Öffentlichkeit, 1997, S. 303 ff., 309.

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Dritter Teil: Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbUrgR

10. Die Künste

Die Künste schaffen sich eine staatliche Grenzen schnell sprengende Öffentlichkeit, sprechen eine weltweit gemeinsame Sprache. Künstler wirken auf internationalen Podien. Theater wird zum Welttheater. Kunstausstellungen sind in verschiedenen Staaten zu sehen, Weltliteratur ist in viele Sprachen übersetzt. Musik wird ohnehin jenseits aller Sprachen verstanden. All die Künste können ihre Öffentlichkeit auch in den Dienst der Menschenrechte stellen. Zu denken ist nur an Benefiz-Konzerte aller Art und den damit verbundenen, programmatischen Einsatz von Künstlern fUr Menschenrechte oder Frieden. Mitunter schafft auch das so entstehende Spektakuläre, das oft kritisch betrachtete "Event" Offentlichlceit aus Kultur. Diesen Gedanken hat P. Häberle fUr das Verfassungsrecht und Europarecht wissenschaftlich aufbereitet, aber auch im Völkerrecht fmdet sich ein höchst bemerkenswerter, früher Ansatz bei C. W. Jenks. Er setzt die Universalisierung des Völkerrechts mit Entwicklungen in Kunst und Kultur parallel und formuliert damit indirekt einen zentralen Leitgedanken filr die Universalität der Menschenrechte als kulturelle Leistung: "lt will clearly not suffice for us to approach the problern (universality of internationallaw, Anm. des Verf.) from the angle of any particular political or economic system, cultural outlook, or legal tradition. The far reaching changes which have taken place in the balance of political, economic, social and cultural forces in the world have already been reflected in virtually every aspect of both public and intellectual life. ( ... ) Any attempt to review these trends critically (...) would take us much too far afield, ( ... ), but when a broadening of outlook on the contemporary scale occurs simultaneously in virtually every branch of intellectual and cultural life it constitutes an essential part ofthe setting ofthe /aw (Hervorhebung durch den Verf.). In these circumstances, it is both Iegitimale and necessary to pause for a moment to note how clear cut these trends have become. Let us take the arts. In architecture, sculpture, painting, the theatre and music there has been a greatly intensified interest in the western world in both the artistic heritage and the contemporary art of other cultures which has bad a direct effect on our own culture. In Iiterature the west European and north Atlantic world has discovered in turn Russian, Persian, Arabic, Indian, Chinese, Japanese and Latin American Literature and all of these are being progressively embodied in a common cu/tura/ heritage of contemporary civilisation (Hervorhebung durch den Verf.)." 366

366 The Common Law of Mankind, 1958, S. 81 (Fußnotennachweise im Original ). Weitere Beispiele aus der Philosophie finden sich ebd., S. 81 f., aus der Geschichtsschreibung ebd., S. 82 f., unter Hinweis auf Universalistische Forschungsansätze bei Historikern wie Durant, Arnold J. Toynbee oder Barraclough.

D. Menschenrechtsschutz und internationale Öffentlichkeit

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11. Die Wissenschaften

Abschließend sei auf die Öffentlichkeitsfunktion der Wissenschaften verwiesen. Natur- und Geisteswissenschaften arbeiten heute international immer enger zusammen. Gemeinsame Forschungsprojekte fmden sich von der Medizin bis zu den vergleichenden Religionswissenschaften, von der Biogenetik bis hin zu den Alterturnswissenschaften. Internationale Tagungen und Kongresse werden als Foren immer stärker von der wissenschaftlichen O.ffentlichkeit genutzt. Nicht zuletzt hat die Rechtswissenschaft, vor allem die Völkerrechtslehre, ihren eigenen Anteil an der internationalen Öffentlichkeit. Sie muß sich der Aufgabe stellen, thematisch zu bündeln, was die anderen beteiligten Kräfte auf ihren jeweiligen Wirkungsebenen an Öffentlichkeit geschaffen haben. 367 Wenn schließlich Art 38 Abs. I lit. d IGH-Statut wissenschaftliche Lehrmeinungen als "Hilfsrechtsquelle" des Völkerrechts zuläßt, entsteht dadurch eine wiederum eigene Öffentlichkeit der Völkerrechtslehre und ihrer dogmatischen Leistungen. VI. Öffentlichkeit als Voraussetzung von Wahrheitssuche und Gerechtigkeitsfindung Die spezifischen Teilöffentlichkeiten von Politik und Wirtschaft, von Wissenschaft und Kunst einschließlich der zur Kontrolle von Machtmißbrauch unverzichtbaren Skandalöffentlichkeit bedingen das prozeßhafte Sich-Verfassen jeder politischen Gemeinschaft. Öffentlichkeit ist zum einen der Raum, in dem alle staatlichen und gesellschaftlichen Kräfte wirken, Öffentlichkeit ist zum anderen eine zentrale Voraussetzung zur Rationalisierung politischer Entscheidungen und zur Wahrheitssuche. Beide Dimensionen sind ftir ein gerechtigkeitsorientiertes Ordnungssystem und damit auch ftlr das Völkerrecht unverzichtbar. Sie setzten vor allem die Öffentlichkeit der Rechtstexte selbst voraus. Die Kodifikation konkreter Menschenrechtstexte bedeutet ftlr die .. Menschenrechtsö.ffentlichkeit" im modernen Völkerrecht einen nachhaltig wirkenden Entwicklungsschub. Die völkerrechtliche Kodifikationsidee geht schon auf einen klassischen Denker wie Jeremy Bentham zurück. 368 Ihr Anspruch läßt sich rechtssetzungs367 P. Häberle, Die offene Gesellschaft der Verfassungsinterpreten, in: ders., Verfassung als öffentlicher Prozeß, 3. Aufl. 1998, S. 155 ff., S. 161. 368 J. Bentham, Works, Vol. VIII, p. 537; vgl. auch C. W. Jenks, The Common Law of Mankind, 1958, S. 34 m. w. N.; Ch. Tomuschat, Die Bundesrepublik Deutschland und die Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen, in: VN 1978, S. 1 ff., 2.

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Dritter Teil: Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbUrgR

technisch durch sogenannte Kodifikationsverträge realisieren. Sie sind keine bi- oder multilateralen Abkommen im herkömmlichen Sinne, sondern haben vor allem auch das Ziel, Gewohnheitsrecht auf Texte zu bringen, es dabei anzureichern und fortzuentwickeln 369• Wichtige frühe Ansätze zur umfassenden Kodifikation finden sich im humanitären Kriegsrecht. Eine starke Kodifikationsbewegung hat sich in der Völkerbundsepoche als Reaktion auf den Ersten Weltkrieg370 entwickelt, dann erneut und mit stark innovativem Akzent auf den Menschenrechten in der UN-Periode nach dem Zweiten Weltkrieg371 • Auch die Wiener Vertragsrechtskonvention, die Seerechtskonvention, die Regelwerke des Diplomaten- und Konsularrechts dürfen in der Beispielskette nicht fehlen.372 Das Völkerrecht ringt immer stärker um die schriftliche Fixierung, um die Positivierung seiner "teilverfassenden" Grundlagen und schafft so aus seinen Texten Öffentlichkeit. Das geschriebene Recht ist nicht nur leichter zugänglich. Vielmehr haben all die Grundlagenfunktionen der Kodifizierung wie Systematisierung, Rechtsfortbildung373 , Rechtssicherheit, Rechtsklarheit und die quasi-legislative Neuformulierung bisher nur in Ansätzen vorhandener Rechtsprinzipien374 ihren je spezifischen Öffentlichkeitsbezug. Die großen Menschenrechtstexte, die unter dem Regime der Vereinten Nationen entstanden sind und die "International Bill of Rights" formen, bilden heute ein Ensemble menschenrechtlicher "Weltliteratur" (P. Häberle) und einen "teilverfaßten" Regelungskomplex des Völkerrechts. Aus den Texten entsteht ein öffentlicher Raum zur Wahrheitssuche und Gerechtigkeitsorientierung. K. Doehring, Völkerrecht, 1999, Rn. 297m. w. N. Dazu J. L. Brierly, The Future of Codification, in: British Year Book of International Law, Vol. 12 (1931), S. 1 ff.; P. J. Ba/cer, The Codification ofinternational Law, in: ebd., Vol. 5 (1924), S. 38 ff.; D. Schind/er, Des Facteurs Sociologiques et Psychologiques du Droit International, S. 235 ff., 257 ff. 371 Dazu schon R. Y. Jennings, The Progressive Development of International Law and its Codification, in: British Year Book of International Law, Vol. 24 (1947), S. 301 ff., S. 310 ff. (zur Rolle der International Law Commission); H. Lauterpacht, Codification and Development of International Law, in: American Journal of International Law, Vol. 49 (1955), S. 16 ff. 372 Vgl. dazu K. Doehring, Völkerrecht, 1999, Rn. 297. 373 Insoweit programmatisch R. Y. Jennings, The Progressive Development of International Law and its Codification, S. 301 ff., 329. 374 So J. L. Brier/y, The Future of Codification, in: British Yearbook ( ... ), S. l ff., 2: "The materials of the international codifier do not consist of known and accepted rules, and before he can even begin the process of clarifying and systematizing them, he finds hirnself confronted by another and more difficult task, that of securing an agreement of the substance of the rules themselves." H. Lauterpacht, Codification and Development of International Law, in: American Journal ( ... ), S. 16 ff., S. 22 ("bringing about an agreed body of rules"). S. auch W K. Geck, Völkerrechtliche Verträge und Kodifikationen, in: ZaöRV 36 (1976), S. 96 ff. , 102 ff., 129 ff. 369 370

D. Menschenrechtsschutz und internationale Öffentlichkeit

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Die Kodifikationsidee ist dabei um das Prinzip der Vertragsöffentlichkeit zu ergänzen. Wiederum sei auf Jeremy Bentham verwiesen. Seine 1787/88 verfaßte, posthum I 843 veröffentlichte Schrift über "Principles of International Law" ist ein früher Klassikertext, in dem die Abschaffung der Geheimdiplomatie als Voraussetzung fUr eine Weltfriedensordnung gefordert wirdm. Dieser friedenssichemde Aspekt der Öffentlichkeit wurde von Präsident W Wilson in seinem "14-Punkte-Programm" aufgegriffen. In einer Kongreßansprache vom 8. Januar 1918 forderte er: "1. Open Covenants of Peace, openly arrived at, after which there shall be no private international understandin~s of any kind but diplomacy shall proceed always frankly andin the public view."37

Die Idee der Vertragsöffentlichkeit zielt auf die Abkehr von den überkommenen Prinzipien der Arkandiplomatie. Im weiteren Sinne geht es dabei um die demokratische Kontrolle der äußeren Angelegenheiten. Die Hinterlegungs- und Registrierungspflicht völkerrechtlicher Verträge (vgl. Art. 102 SVN, Art. 80 WVK) leistet hier einen wichtigen Beitrag und war schon in Art. 18 der Völkerbundssatzung vorgezeichnet, wenngleich die Vorschrift aufgrund mangelnder Reaktionen von Seiten der Mitgliedstaaten insgesamt wenig effektiv blieb: "Every treaty or international agreement entered into hereafter by any Member of the League shall be forthwith registered with the Secretariat and shall as soon as possible be published b~ it. No such treaty or international agreement shall be binding until so registered." 7

Zusammenfassend ist noch einmal festzuhalten: Die Öffentlichkeit der völkerrechtlichen Vertragstexte ermöglicht bzw. diszipliniert Wahrheitssuche und Gerechtigkeitsfindung. Denn beide Aspekte hängen untrennbar zusammen mit der Publizität aller Verfahren politischer Willensbildung, die aus öffentlichem

The Works of Jeremy Bentham, Vol. III, S. 573. Zit. nach W. Grewe (Hrsg.), Fontes Historiae Iuris Gentium, Bd. 3/1, 1992, S. 670 ff., 670. Kritisch dazu H Nicolson, The Evolution of Diplomatie Method, London 1954, S. 85 ff., S. 87: "The theory that diplomacy should proceed always frankly and in the public view has led to negotiation being broadcast and televised, and to all rational discussion being abandoned in favour of interminable propaganda speeches, addressed not to those with whom the delegate is supposed to be negotiating, but to his own public at home." Ders., Diplomatie, 1947, S. 64 f. mit einer präzisen Differenzierung zwischen der Notwendigkeit "offener Verträge" einerseits, den Risiken "offenen Vorgehens" bei der Unterhandlung andererseits. Vgl. auch E. Fraenkel, Öffentliche Meinung und internationale Politik, in: Recht( ...), S. 18 f. 377 Zit. nach W. Grewe (Hrsg.), Fontes Historiae luris Gentium, Bd. 3/2, 1992, S. 810 ff., S. 819; dazu wiederum H Nicolson, Diplomatie, 1947, S. 66. 375

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Dritter Teil: Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbUrgR

Diskurs ein Stück ihrer Rationalität und Legitimität gewinnen. 378 Daß der öffentliche Prozeß nicht frei von Risiken bleibt, ist eine Selbstverständlichkeit. Mancher öffentliche Beitrag leistet Gewähr fllr gute Ergebnisse, gerechte Gesetze und Richtersprüche, wenngleich im Einzelfall auch der Ausschluß von Öffentlichkeit der Interessenwahrung dient und innovative Ideen bisweilen auch Gefahr laufen, im Meinungskampf der Interessengruppen "zerredet" zu werden. Gesamtgesellschaftlich betrachtet kann der Ausgleich aller betroffenen Interessen aber am besten in öffentlicher Verhandlung und öffentlichen Kornmunikationsprozessen gelingen. Von dieser, aus dieser Öffentlichkeit lebt auch das Völkerrecht in seinem spezifischen Ringen um Gerechtigkeit.

VII. Grenzen Nachdem die konstitutive Bedeutung der internationalen Öffentlichkeit fllr die sich verfassende Völkerrechtsgemeinschaft bereichs- und wertspezifisch, nach ihren Inhalten und Funktionen, Trägem und Wirkungsebenen aufgeschlüsselt wurde, muß der abschließende Blick den Grenzen gelten. Zwar kann bei disziplinübergreifendem Vorgehen und in vergleichender Perspektive der zunächst diffuse Öffentlichkeitsbegriff im Spannungsfeld zwischen der nationalen, regionalen und internationalen Ebene klarer konturiert und als wissenschaftlicher Arbeitsbegriff nutzbar gemacht werden. Aber alle Schwierigkeiten, die bei der Entstehung eines öffentlichen Bewußtseins schon in einem relativ homogenen Raum bestehen, potenzieren sich in der Weltebene: seien es Sprachbarrieren, unterschiedliche Bildungsstandards oder totalitäre Ideologien, die der Öffentlichkeit Grenzen setzen und sie bereits in ihrem Entstehungsprozeß behindern. Auf die fehlenden Partizipationsmöglichkeiten in Wahlen und Abstimmungen wurde schon hingewiesen. Im Bereich der Judikative gestalten sich die Zugangsmöglichkeiten zu internationalen Gerichten aufgrund vieler Öffentlichkeitsdefizite gerade in Staaten mit schwacher Infrastruktur und totalitärer Herrschaftsorganisation schwierig. Dem Völkerrecht ist es noch nicht gelungen, in seinen vielgestaltigen Institutionen und komplexen Verfahren immer die notwendige Öffentlichkeit zu schaffen. Das gilt insbesondere auch fllr die Rechtserzeugung und Rechtsdurchsetzung. Abhilfe kann nur gelingen, wenn alle Öffentlichkeitsträger auf der staatlichen wie überstaatlichen Ebene die internationale Öffentlichkeit stärker ins Blickfeld nehmen. Internationale Themen, Fragen des intemationa-

378 K. Hesse, GrundzUge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschalnd, 20. Aufl. 1995 (Neudruck 1999), Rn. 138.

E. Die Menschenwürde

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len Menschenrechtsschutzes müßten in stärkerem Maße Gegenstand politischer Wahlkämpfe werden. Internationale Organisationen müßten sich um größere Transparenz ihres Handeins bemühen und durch die Medien vermitteln. Wie das Verfassungsrecht, müßte auch das Völkerrecht um stärkere Integration seiner Rechtssubjekte - nicht allein der Staaten, auch der Individuen - ringen. Die Entwicklungsprozesse beginnen in all diesen Bereichen zunächst im kleineren, nationalen Raum und wirken von dort in die Weltebene. Die Verfassungsstaaten mit stabilen demokratischen Strukturen, einem leistungsfähigen Wirtschafts- und Bildungssystem sind zugunsten all der Staaten, in denen öffentliche Prozesse ungleich schwieriger bleiben, in eine Art überstaatliche Gemeinwohlverantwortung ftlr die Öffentlichkeit genommen. Sie müssen ihre Potentiale vor allem zur Entwicklung einer Menschenrechtsöffentlichkeit nutzen und Öffentlichkeit aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Religion, Kunst und Kultur auf die internationale Ebene vermittelnd weitertragen - im Interesse eines Gemeinwohls der Völkerrechtsgemeinschaft als solcher. Im Mittelpunkt allen Öffentlichkeitsdenkens sollte dabei immer der Mensch stehen, in dessen unveräußerlicher Würde jede politische Gemeinschaft ihren ersten und letzten Grund fmdet.

E. Die Menschenwürde als normative Grundlage des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes I. Bestandsaufnahme Nach einer gängigen Wendung in der juristischen Literatur ist der Satz von der Menschenwürde mit einer zweieinhalbtausendjährigen Philosophiegeschichte belastet, die von der griechischen Stoa über die christliche imago-deiLehre, über Humanismus, Aufklärung und Idealismus bis hin zur materialen Wertethik oft allzu voreilig-pauschalen, vermeintlichen "Entwicklungslinien" Vorschub geleistet hat und noch immer leistet.379 Die notwendige Orientierung fällt angesichts eines solchen Zeit- und Wertehorizonts, zumal in die Weltebene fortgedacht, schwer. Die verfassungs- und völkerrechtliche Literatur zum Thema Menschenwürde ist Legion.380 Dochtrotz aller Vorbehalte, auf die ein phi379 H Dreier, in: ders (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, 1996, Art. 1 Abs. 1, Rn.2m.w.N. 380 Aus dem bundesdeutschen verfassungsrechtlichen Schrifttum vgl. G. Dürig, Der Grundrechtssatz von der Menschenwürde, in: AöR 81 (1956), S. 117 ff.; H-C. Nipperdey, Die Würde des Menschen, in: GR II, S. 1 ff.; Ch. Starck, Menschenwürde als Verfassungsgarantie im modernen Staat, in: JZ 1981, S. 457 ff.; W Graf Vitzthum, Die

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Dritter Teil: Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbürgR

losophisch-ethischer Grundlagenbegriff bei einer dogmatisch verengt vorgehenden Wissenschaft stoßen mag, darf die Völkerrechtslehre die Würde des Menschen als "Grundlage von Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit in der Welt" niemals aus den Augen verlieren. Eine erste Annäherung kann über die Vertrags- und Verfassungstexte zur Menschenwürde gelingen. !. Die Menschenwürdeformel in völkerrechtlichen Menschenrechtstexten

Die Menschenwürdeformel ist eine Neuerung in den Menschenrechtstexten der Zeit nach 1945. Leitmotivisch wirkt die UN-Charta, deren zweiter Präambelpassus den "Glauben an die Grundrechte des Menschen, an Würde und Wert der menschlichen Persönlichkeit" beschwört. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 stellt in ihrem ersten Präambelpassus fest: "Da die Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Familie innewohnenden Würde ( ...) die Grundlage fllr Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt bildet". Sie fährt in Art. I fort: "Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren" - eine These, die so in den großen Menschenrechtserklärungen der Aufklärung noch nicht vorkommt. Die Satzung der UNESCO verbindet in ihrem Einleitungspassus Frieden, Demokratie und Menschenwürde: "Die Regierungen der Staaten(...) erklären im Namen ihrer Völker: Daß der große und furchtbare Krieg, ( ... ) durch die Verleugnung der demokratischen Grundsätze der Würde, Gleichheit und gegenseitigen Achtung der Menschen möglich wurde ( ...)". Für den IPbürgR ist auf das ineinandergreifende Zusammenspiel von Präambel und Art. 10 Nr. 1 zu verweisen: "Jeder, dem seine Freiheit entzogen ist, muß menschlich und mit Achtung der dem Menschen innewohnenden Würde behandelt werden." Der Menschenwürdetopos findet seine Verankerung nicht allein in der Präambel, sondern ist normativ verbindlicher Rechtsbegriff im operativen Teil des Vertrages. Mit Blick auf die Menschenrechtsdeklarationen der regionalen Verantwortungsgemeinschaften (EMRK, AMRK, AfrMRK) ist ebenfalls von einem Siegeszug des Menschenwürdedenkens zu sprechen. 381

Menschenwürde als Verfassungsbegriff, JZ I985, S. 20I ff. ; K. Stern, Menschenwürde als Wurzel der Menschen- und Grundrechte, in: FS U. Scupin, I983, S. 627 ff.; ders., Staatsrecht, Bd. III/I, I988, S. 6 ff.; P. Häber/e, Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, in: HdBStR, Bd. I, 2. Aufl. I995, S. 8I5 ff.; T. GeddertSteinacher, Menschenwürde als Verfassungsbegriff, 1990; Ch. Enders, Die Menschenwürde in der Verfassungsordnung, I997. 381 Zur Bestandsaufnahme siehe auch P. Häber/e, Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, in: HdBStR, Bd. I, 2. Aufl. I995, S. 8I5 ff., 8I6; H. Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. I, I996, Art. I Abs. l, Rn. 25.

E. Die Menschenwürde

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2. Menschenwürde-Artikel in nationalen Verfassungstexten

Eine vergleichende Zusammenschau vieler älterer und neuerer Verfassungstexte zeigt, daß die Achtung vor der Menschenwürde sich immer stärker zu einem typusprägenden Strukturmerkmal des Verfassunsgstaates entwickelt hat. Zentrale Menschenwürdeartikel aus nationalen Verfassungstexten sollen zum Beleg, wenngleich ebenfalls nur in einer kleinen Auswahl, vorgestellt werden. Art. 151 Abs. 1 WRV sprach, eher versteckt, von der "Gewährleistung eines menschenw!lrdigen Daseins ftlr alle." Die Präambel der Verfassung Irlands von 193 7 bekennt sich "zu Würde und Freiheit des Individuums". 382 Maßgeblich von den völkerrechtlichen Texten beeinflußt heißt es dann in Art. I Abs. I GG: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt." 383 In derselben Traditionslinie stehen Texte in den innerdeutschen Länderverfassungen, die nach 1945 entstanden sind.384 Im internationalen Verfassungsvergleich verdienen die folgenden Textbeispiele besondere Beachtung: Verf. Portugal, Art. 1: "Grundsätze der Menschenwürde"; Verf. Spanien, Art. 10, Abs. 1: "Die Würde des Menschen, die unverletzlichen Menschenrechte,(...) sind Grundlagen der politischen Ordnung und des sozialen Friedens". Auch wichtige Leitnormen der Verfassungen Griechenlands (Art. 2 Abs. I) und Schwedens (Kapitel 1 § 2 II) haben die Menschenwürde zum Thema. Unter den Reformstaaten Osteuropas ist auf die polnische Verfassung von 1997 zu verweisen. Deren Artikel 30 lautet: "The naturalandinalienable dignity ofthe human being constitutes the source ofthe freedoms and rights of man and citizen. It is inviolable, and its respect and protection is the obligation ofpublic authorities."

382

Zit. nach: H. Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. 1, 1996, Art.

I Abs. I, Rn. 28.

383 Aus der Lit. zu Art. 1 Abs. I GG vgl.: G. Dürig; Die Menschenauffassung des Grundgesetzes, in: IR 1952, S. 259 ff.; ders., Der Grundrechtssatz von der Menschenwürde. Entwurf eines parktikablen Wertsystems der Grundrechte aus Art. I Abs. I in Verbindung mit Art. 19 Abs. II des Grundgesetzes, in: AöR 81 (1956), S. 117 ff.; B. Giese, Das Würdekonzept Eine normfunktionale Explikation des Begriffs WUrde in Art. I Abs. I GG, Berlin 1975. 384 Textbelege dazu bei P. Häberle, Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, in: HdBStR, Bd. I, 2. Aufl. 1995, S. 815 ff., 817 f.

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Dritter Teil: Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbürgR

3. Die Menschenwürde im Spiegel von Klassikertexten und wissenschaftlichen Theorieentwürfen Die Menschenwürde ist Thema von Klassikertexten seit der Antike. Sie lebt vor allem in der Philosophie der Stoa, später in der christlichen Lehre (Thomas von Aquin). Pico de//a Mirandola im Italien der Renaissance, J. Locke in England, Thomas Paine in den USA, Montesquieu, Voltaire, auch Rousseau in Frankreich, S. Pufendorf, I. Kant oder W von Humboldt in Deutschland haben sie philosophisch aufbereitet. 385 Doch trotz solcher Vorbilder und anleitender Texte fehlt in manchen großen, klassischen Verfassungen der Menschenwürdeaspekt, so z. B. in der OS-Bundesverfassung. Er ist dann aber implizit in den Grund- und Menschenrechtskatalogen enthalten. Die aus der deutschen verfassungsrechtlichen Literatur geläufige Idee vom Menschenwürdegehalt einzelner Grundrechte ist auch anderen Verfassungsrechtsordnungen nicht fremd. Wieder sei auf das Beispiel USA verwiesen. 386 Dort hat vor allem die Wissenschaft die Menschenwürdeidee aufgegriffen und fortentwickelt. Die Jurisprudenz verdankt nicht zuletzt der Schule von McDouga/ und Laswe/1 einen transnationalen Ansatz, der das Verfassungsrecht und das Völkerrecht auf den gemeinsamen Wert der Menschenwürde hin auszurichten versucht. 387 Nach dieser fragmentarischen Bestandsaufnahme wird der Weg frei ftlr den Versuch, einzelne Elemente eines völkerrechtlichen Menschenwürdekonzepts aufzuzeigen. II. Elemente eines völkerrechtlichen Menschenwürdekonzepts

I. Die Offenheit der Menschenwürdeformel Die Menschenwürde ist, wie bereits erwähnt, ein rechtlich schwer faßbarer Begriff. Er lebt aus der "Vieldeutigkeit des A//gemein-Mensch/ichen"388 , im

385 W. A. Parent, Constitutional Demands ofHuman Dignity, in: Canadian Journal of Law and Jurisprudence, 1992, S. 237 ff., 240 ff. 386 Ebd., S. 237 ff., 240 ("amendments generate commands ofhuman dignity"). 387 Dazu J. J. Paust, Human Dignity as a Constitutional Right: A Jurisprudentially Based Inquiry into Criteria and Content, in: Howard Law Journal, Vol. 27 (1984), s. 145 ff., 196 ff. 388 Ch. Enders, Die MenschenwUrde in der Verfassungsordnung, 1997, S. 6; zur Gefahr einer "Fundamentalisierung" des Würdearguments auf der einen, seiner "Veralltäglichung" auf der anderen Seite T Geddert-Steinacher, Menschenwürde als Verfassungsbegriff, 1990, S. 16; zur Offenheit des Menschenwürdebegriffs ebd., S. 22 ff.

E. Die Menschenwürde

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Völkerrecht erweitert um die Vieldeutigkeit des Multikulturellen, in dem das universell Allgemein-Menschliche partikulär und kulturbedingt zur Entfaltung kommt. Ein einheitliches Menschenwürdekonzept kann es daher kaum geben, sondern nur einen Rahmen, in dem sich die verschiedenen Menschenwürdekonzeptionen zusammenfUhren und ausdifferenzieren lassen. Für deren Einteilung bieten sich verschiedene Kategorien an. Bei stärker Gewichtung teils auf der formalen, teils auf der materialen Seite, lassen sich das in der Gottesebenbildlichkeit des Menschen gründende christliche und das einem apriorischen Vernunftbegriff verpflichtete, humanistisch-aufklärerische Modell einerseits, marxistische, systemtheoretische oder behavioristische Konzepte andererseits festmachen. In einem zweiten Gegensatzpaar steht der philosophisch-werttheoretische einem empirisch-soziologischen Ansatz gegenüber. 389 All diese Denkrichtungen und -traditionen sind Hintergrundmaterial ftlr Begriff und Funktion der Menschenwürde in den völkerrechtlichen Vertragstexten. Jede Verabsolutierung verbietet sich aufgrund der höchst unterschiedlichen Vorverständnisse in der internationalen Gemeinschaft und daraus resultierender Divergenzen im Menschenbild390• Kulturübergreifendes Gemeingut ist dabei allein das eingangs schon erwähnte Allgemein-Menschliche: die Bedürfnisnatur des Menschen, sein Geltungs- und Achtungsanspruch in der sozialen Gemeinschaft und sein existentielles Bedrohtsein durch jede Form von Gewalt und Machtmißbrauch. Dieses Allgemein-Menschliche verweist auf die naturrechtliehen Wurzeln des Menschenwürdedenkens, die deutlicher als in jeder Theorie in den Menschenrechtstexten zum Ausdruck kommen. 2. Naturrechtliche Wurzeln des Menschenwürdedenkens

Die Menschenwürde eröffnet ftlr die rechtliche Positivierung die philosophische Perspektive eines letztlich nicht faßbaren "Eigentlichen des Menschseins". Das geschieht in zweifacher Dimension. Individuelle Sinngebung, Selbstbestimmung und Selbstentfaltung stehen auf der einen, Wertsetzung und Wertschätzung ftlr den Mitmenschen auf der anderen Seite. Die Individual- und Sozialnatur des Menschen fmden zusammen, umklammert von seiner Wür-

389 So T. Geddert-Steinacher, Menschenwürde als Verfassungsbegriff, I 990, S. I I I; vgl. Ch. Enders, Die Menschenwürde in der Verfassungsordnung, I997, S. 6 ff. 390 Zum Zusammenhang von Menschenwürde und Menschenbild siehe P. Häber/e, Das Menschenbild im Verfassungsstaat, I988, S. 36 ff.; U. Becker, Das "Menschenbild des Grundgesetztes" in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, I 996, S. 33 ff.; Ch. Enders, Die Menschenwürde in der Verfassungsordnung, I997, S. I7 ff.

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Dritter Teil: Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbürgR

de. 391 Die Menschenwürde, verstanden als dieses "Eigentliche" und doch nicht Faßbare menschlichen Seins, macht deutlich, daß der nach 1945 entwickelte internationale Menschenrechtsschutz auf einer erneuerten naturrechtliehen Doktrin beruht. Diese speist sich aus dem säkularen Vernunftrecht der Aufklärungszeit392, hat ihre Wurzeln aber auch in der christlichen Lehre vom unveräußerlichen Wert jedes gottgeschaffenen menschlichen Individuums. 393 Die Würde ist Quelle der unveräußerlichen Rechte, die jedem allein aufgrund seines Menschseins zukommen. Dahinter steht letztlich der fundamentale Gedanke der Gleichheit, der hinfUhrt zur überindividuell formulierten "Homogenität des Menschlichen"394 oder, mit Kant gesprochen, zur "Würde der Menschheit", die jeder einzelne in sich trägt395 • Mit dem auf die "gleiche Menschennatur" bezogenen Ansatz wird ein innerer Widerspruch überwunden, der den großen Menschenrechtsdeklarationen des 18. Jahrhunderts noch immanent war. Sprachen diese von den "rights of man", so hatten sie dabei nicht den homo sapiens als biologische, sondern als von der Gesellschaft her vorgeprägte Größe vor Augen. Über Jahrhunderte

391 So K. Stern, Menschenwürde.als Wurzel der Menschen- und Grundrechte, in: FS U. Scupin, 1983, S. 627 ff., 628, 635 ff.; J P. Müller, Grundrechte in der Schweiz, 3. Aufl. 1999, S. 4. Zum Aspekt der Selbstbestimmung siehe Ch. Enders, Die Menschenwürde in der Verfassungsordnung, 1997, S. 88 ff. Vgl. aus der englischsprachigen Lit. J J Paust, Human Dignity as a Constitutional Right: A Jurisprudentially Based Inquiry into Criteria and Content, in: Howard Law Journal, Vol. 27 (1984), S. 145 ff., 147. 392 A. Cassese, Human Rights in aChanging World, 1990, S. 16, S. 29; W. Schrekkenberger, Der moderne Verfassungsstaat und die Idee der Weltgemeinschaft, in: Der Staat 34 (1995), S. 503 ff., 509; V. Petev, How to Justify Individual Rights, in: FS filr J. M. Broekman, 1996, S. 355 ff., 360; K. Doehring, Völkerrecht, 1999, Rn. 21. Aus Sicht des deutschen Grundgesetzes F. Hufen, Entstehung und Entwicklung der Grundrechte, NJW 1999, S. 1504 ff., 1506; E. Denninger, Die Wirksamkeit der Menschenrechte in der deutschen Verfassungsrechtsprechung, JZ 1998, S. 1129 ff., 1130. 393 S. dazu P. Saladin, Menschenrechte und Menschenpflichten, in: E.-W. Böckenförde/R. Spaemann (Hrsg.), Menschenrechte und Menschenwürde, 1987, S. 267 ff., 280 f.; zur imago-dei-Lehre K. Stern, Staatsrecht, Bd. 11111, 1988, S. 9; vgl. auch; W. Huber, Die tägliche Gewalt. Gegen den Ausverkauf der Menschenwürde, 1993, s. 151 ff. 394 So H. Hofmann, Menschenrechtliche AutonomieansprUche, JZ 1982, S. 165 ff., 166; vgl. auch F. Ermacora, Allgemeine Staatslehre, 2. Teilband, 1970, S. 738; P. B. Cliteur, What Developments Can We Expect in the Field of Human Rights for the Coming Decades?, in: Rechtstheorie 27 (1996), S. 177 ff., 180 f.; R. Voss, Menschenrechte gründen in der Menschenwürde, DRiZ 1997, S. 507 ff., 509; filr die Schweiz jetzt J P. Müller, Grundrechte in der Schweiz, 3. Aufl. 1999, S. 1 ff. 395 I. Kant, Metaphysik der Sitten ( 1796), II. Band, 1. HauptstUck, 2. Abschnitt, § 38; F. Ermacora, Zu den Menschenrechtspakten der Vereinten Nationen, in: VN 1968, S. 133 ff., 135, sieht in den universellen Menschenrechtskonventionen einen Ausdruck des "Neohumanismus".

E. Die Menschenwürde

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hinweg blieben - mit unterschiedlicher Akzentuierung - Sklaven, Indianer, Schwarze, auch Frauen und Kinder ausgeklammert, Rassendiskriminierung war möglich. 396 Erst die in der "gleichen Natur des Menschen", im Menschsein als solchen gründende, heutige Menschenwürdeidee macht alle Menschen zu Trägem der Menschenrechte.397 Nur sie ist universell-menschliche Grundlage für die Trias "inherent, inalienable, and equal"398 und daher auch unabdingbarer völkerrechtlicher Mindeststandard.399 Neben dem neu erwachten Bewußtsein für das Allgemein-Menschliche baut die naturrechtliche Theorie aber auch konsequent auf drei klassischen Grundprinzipien auf, die :fiir die Menschenrechtskonzeption des IPbürgR wegleitend sind: (1) Menschenrechte liegen in der menschlichen Natur, in der Würde und Personenhaftigkeit des Menschen begründet und bedürfen keinerlei positiver Anerkennung durch den Staat. Sie bleiben vielmehr auch dann bestehen, wenn eine staatliche Autorität sie explizit verleugnet.400 (2) Solchermaßen natürliche Rechte sind universell und unveränderlich, unabhängig vom sozialen, politischen oder kulturellen Kontext. (3) Die Rechte stehen dem Individuum, nicht den Gruppen zu. Das Individuum ist in der großen Tradition der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung, der Französischen Revolution und der bürgerlichen Revolutionen des 19. Jahrhunderts ideeller Ausgangspunkt und konstitutives Element der staatlichen Ordnung.401 In dieser Denktradition ist die Menschenwürde anthropologische Prämisse und Konstitutionsprinzip jeder politischen Gemeinschaft, sei sie staatlich oder überstaatlich verfaßt

396 W. v. Simson, Die Bedingtheit der Menschenrechte, in: FS B. Aubin, 1979, S. 217 ff., 218; P. B. Cliteur, What Developments Can We Expect in the Field of Human Rights for the Coming Decades?, in: Rechtstheorie 27 ( 1996); S. 177 ff., 181; A. B. Fie/ds/W.-D. Narr, Human Rights as a Holistic Concept, in: Human Rights Quarterly, Vol. 14 (1992), S. I ff., 2. 397 P. B. C/iteur, What Developments Can We Expect in the Field of Human Rights for the Coming Decades?, in: Rechtstheorie 27 (1996), S. 177 ff., 182. 398 Vgl dazu P. Sieghart, The Lawful Rights of Mankind, 1985, S. 41; W. Wie land, Verantwortung- Prinzip der Ethik?, 1999, S. 92. 399 Dazu auch BVerfGE 63, 332 (337 f.). 400 K. Stern, Menschenwürde als Wurzel der Menschen- und Grundrechte, in: FS U. Scupin, 1983, S. 627 ff., S. 630. 401 E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, 1976, S. 159; A. Cassese, Human Rights in a Changing World, 1990, S. 31 f.

16 Kotzur

224

Dritter Teil: Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbürgR

3. Die Menschenwürde als Konstitutionsprinzip der staatlichen und der internationalen Gemeinschaft

a) Menschenwürde und Rechtsgeltung Der IPbürgR gründet seinen Geltungsanspruch auf die Würde des Menschen und macht sie zu seiner Rechts- bzw. Rechtsgeltungsquelle im materiellen Sinne.402 Die Menschenwürde formuliert selbst kein Menschenrecht, kein Recht au/Würde, sondern sie ist schlechthin die Grundlage der Menschenrechte und damit Quelle deren universeller Legitimität403 . Der letzte Aspekt ist um so wichtiger, als es dem Völkerrecht an der demokratischen Legitimation im engeren Sinne fehlt, alle Rechte aber einer Legitimationsbasis bedürfen. Als Quelle der Menschenrechte impliziert die Menschenwürdeformel dabei einen doppelten Geltungsbegriff: einen naturrechtlichen, der neben den positiv-rechtlichen tritt. Der Anspruch beider besteht in ein und demselben Rechtssatz zugleich.404 Wenn es heißt: "Die Vertragsstaaten dieses Paktes ( ...) vereinbaren folgende Artikel", steht das ftlr Normgeltung und Vertragsbindung durch positiven Rechtssetzungsakt. Aber die ,,Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Gemeinschaft innewohnenden Würde", die "Unveräußerlichkeit ihrer Rechte", enthält eine naturrechtliche Bindung jenseits aller Positivität. Kraft der Natur des Menschen sind die vertragschließenden Parteien vorstaatlich gebunden und können sich dem absoluten Achtungsanspruch des Individuums nicht mehr entziehen. 405

402 Dazu K. Stern, Menschenwürde als Wurzel der Menschen- und Grundrechte, in: FS U. Scupin, 1983, S. 627 ff., 634. 403 Vgl. W. Graf Vitzthum, Die Menschenwürde als Verfassungsbegriff, JZ 1985, s. 201 ff., 202. 404 Dazu E. Denninger, Über das Verhältnis von Menschenrechten zum positiven Recht, JZ 1982, S. 225 ff., 227; K. Stern, Staatsrecht, Bd. 11111, 1988, S. 221; W Brugger, Menschenrechte im modernen Staat, in: AöR 114 (1989), S. 537 ff., S. 559 ff. (zur Positivität und Überpositivität der Menschenrechte); Ch. Enders, Die Menschenwürde in der Verfassungsordnung, 1997, S. 13 ff.; P. B. Cliteur, What Developments Can We Expect in the Field of Human Rights for the Coming Decades?, in: Rechtstheorie 27 ( 1996), S. 177 ff., 179; J. Habermas, Kants Idee des ewigen Friedens - aus dem historischen Abstand von 200 Jahren, in: Kritische Justiz 1995, S. 293 ff., 310; V. Petev, How to Justify Individual Rights, in: FS J. M. Broekman, 1996, S. 355 ff., 355: "(...) rights, originally conceived as natural, were later transformed into legal ones." Einseitig positivistisch und konsensorientiert dagegen P. Sieghart, The Lawful Rights of Mankind, 1985, s. 40. 405 G. Dürig, Der Grundrechtssatz von der Menschenwürde, in: AöR 81 (1956), s. 117 ff., 118.

E. Die Menschenwürde

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Dahinter steht eine Paradoxie, die ft1r den menschenrechtlich fundierten Nationalstaat wie ftlr die internationale Gemeinschaft gleichennaßen gilt. Weder das staatliche noch das internationale Recht erzeugen die elementaren Menschenrechte, die ihnen vorgegeben sind. Aber die natürliche, angeborene Autonomie des Individuums bedarf der kulturellen Realisierung, sie kann nur kollektiv in einer wie auch immer defmierten politischen Gemeinschaft und nur durch positives Recht Wirklichkeit werden.406 Die GrUnde ft1r ein Positivierungsbedürfnis aufVölkerrechtsebene sind dieselben wie im nationalen Verfassungsstaat: größere Durchsetzbarkeit, Publizität, effektive Vollziehbarkeit und nonnative Präzisierung. Das geschriebene Recht ist der Interpretation eher zugänglich. Erst dank der geschriebenen Rechtsordnung kann sich die Völkerrechtsgemeinschaft als solche ein Stück weit ihrer Identität und ihrer Kraft zu verfassenden Strukturen bewußt werden. 407 Das Positivierungsbedürfnis verrät aber auch Unsicherheiten über den Naturrechtsbegriff. Durch den Akt der Positivierung können die Vertragsstaaten die Menschenwürdefonnel nicht nur präziser fassen, sie können sie sich vielmehr auch als Kompromißformel zu eigen machen. Auf diese Weise wird die MenschenwUrde zu einem Konsensbegriff. Es geht nämlich um den Konsens darüber, welche staatlichen Maßnahmen und Freiheitsgefllhrdungen den Kernbereich dessen antasten, was mit der WUrdefonnel umschrieben wird408• Hier entsteht die pragmatische VerknUpfung des statischen Elements einer unwandelbaren Natur mit dem dynamischen Element einer positiven Rechtsordnung, die immer Antwort auf die konkreten Regelungsbedürfnisse einer bestimmten Zeit und in einer bestimmten Gesellschaft zu geben hat.409 Das Nebeneinander von Naturrecht und positivem Recht ist genährt aus der Erkenntnis, daß die angeborene Freiheit, die unveräußerlichen Rechte zunächst nur Fiktion sind.

406 P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 726; H. Hofmann, Geschichtlichkeit und Universalitätsanspruch des Rechtsstaats, in: Der Staat 34 ( 1995), S. 1 ff., 19; E. Klein, Universeller Menschenrechtsschutz - Realität oder

Utopie, in: EuGRZ 1999, S. 109 ff., 109. 407 A. Bleckmann, Zur Wandlung der Strukturen der Völkerrechtsverträge-Theorie des muttipolaren Vertrages, in: Archiv des Völkerrechts 34 (1996), S. 218 ff., 221 f. 408 Zur "Konsensdefinition" der Menschenwürde aus Sicht des bundesdeutschen Verfassungsrechts T Geddert-Steinacher, Menschenwürde als Verfassungsbegriff, 1990, s. 26 ff. 409 Vgl. V. Petev, How to JustifY Individual Rights, in: FS J. M. Broekman, 1996, s. 355 ff., 362.

t6•

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Dritter Teil: Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbürgR

Sie bedürfen der kulturellen Umsetzung, um Gestalt zu gewinnen. 410 Naturrecht wird zu Kulturrecht b) Der anthropologische Begründungsansatz der Menschenrechte Eng verknüpft mit dem naturrechtliehen ist ein anthropologischer Begründungsansatz der Menschenrechte. Die Menschenwürdeformel besagt schlicht: die fundamentalen Rechte und Freiheiten sollen auf das Sein, auf die bloße Existenz des Menschen zurückgefilhrt werden.411 Also ist seine Bedürfnisnatur, sein Bedrohtsein anband einer pragmatisch-topischen Methode412 zu erschließen. Dabei stellt das Recht auf Ober/eben, das angesichts moderner Massenvernichtungswaffen eine neue Dimension gewonnen hat, die grundlegendste Antwort auf die existentielle Bedrohung menschlicher Existenz durch gleichermaßen elementare wie universelle Unrechtserfahrungen dar.413 Aber auch weitergehende fundamentale Interessen sind urnfaßt: das Bedürfnis nach körperlicher Unversehrtheit und Integrität, nach Freiheit, nach Gleichheit, nach Eigenturn

410 P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 726 und passim; A. B. Fields/W.-D. Narr, Human Rights as a Holistic Concept, in: Human Rights Quarterly, Vol. 14 (1992), S. 1 ff., 4 f. 411 G. Dürig, Der Grundrechtssatz von der Menschenwürde, in: AöR 81 (1956), S. 117 ff., 125, spricht von einer "Seinsgegebenheit", "unabhängig von Zeit und Raum". Vgl. H.-C. Nipperdey, Die Würde des Menschen, GR II, S. 1; dazu J. J. M. van der Ven, Grundrechte und Geschichtlichkeit, 1960, S. 20; R. Higgins, Problems and Process, 1994, S. 96: "Human rights are rights held simply by virtue of being a human person. They are part and parcel of the integrity and dignity of the human being." K. Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, 1988, S. 36; W. Brugger, Stufen der Begründung von Menschenrechten, in: Der Staat 31 (1992), S. 19 ff., 22 f.; H. Hofmann, Geschichtlichkeit und Universalitätsanspruch des Rechtsstaates, in: Der Staat 34 (1995), S. 1 ff., 27; J. P. Müller, Grundrechte in der Schweiz, 3. Aufl. 1999, S. 1. 412 Vgl. F. Ermacora, Allgemeine Staatslehre, 2. Teilband, 1970, S. 716 f.; P. Sieghart, The Lawful Rights of Mankind, 1985, S. 40; W. Brugger, Menschenrechte im modernen Staat, in: AöR 114 (1989), S. 537 ff., 573ff.; W. A. Parent, Constitutiona1 Demands of Human Dignity, in: Canadian Journal of Law and Jurisprudence, 1992, s. 237 ff., s. 243. 413 W. v. Simson, Die Bedingtheit der Menschenrechte, in: FS B. Aubin, 1979, S. 217 ff., 226; ders., Überstaatliche Menschenrechte: Prinzip und Wirklichkeit, in: FS K. J. Partsch, 1989, S. 47 ff., 54; D. Senghaas, Weltinnenpolitik-Ansätze für ein Konzept, in: Europaarchiv 1992, S. 643 ff., 646, spricht anschaulich von einer "globale(n) Schicksalsgemeinschaft", für die "die Gefahr eines Nuklearkrieges konstitutiv" sei. Vgl. auch W. Brugger, Stufen der Begründung von Menschenrechten, in: Der Staat 31 (1992), S. 19 ff., S. 22 f.

E. Die Menschenwürde

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Gedenfalls gemäß der Lockeschen Trias von Freiheit, Gleichheit und Eigentum) und nach einem Mindestmaß an sozialer Anerkennung.414 Die anthropologische Begründung der Menschenrechte ist um so notwendiger, als in einer kulturell vielgestaltigen Welt weder überkommene metaphysisch-philosophische Ansätze noch spezifisch religiös motivierte Theorien über das Verhältnis von Gott, Welt und Mensch ein tragflihiges Fundament ftlr universalen Menschenrechtsschutz bilden können. 415 Die europäische Aufklärung hat zu einem vielfliltig entwickelten, neuen "menschlichen Selbstbewußtsein" geftlhrt und den schon in der stoischen Philosophie vorgefundenen Gedanken, daß alle Menschen von Natur aus gleich und frei, selbstverantwortlich und von gleicher Würde sind, zur Grundlage neuzeitlicher Menschenrechtserklärungen gemacht. 416 Das anthropologische Wissen, das hinter diesem aufklärerischen Denken steht, ist universell und hat nicht nur ftlr Europa, sondern ftlr die ganze Welt Geltungsanspruch. Das "menschliche Selbstbewußtsein" ist keine europäische, sondern eine menschheitsbezogene Größe. c) Die Teleologie der Menschenwürde Die Menschenwürdeformel macht deutlich, daß die menschliche Person der oberste Rechtswert und das Maß aller Staatlichkeit ist417 • Hier vollzieht sich der schon mehrfach angesprochene grundlegende Paradigmenwechsel im Völkerrecht, der erstlieh und letztlich aus der eindeutigen "Teleologie der Menschen414 A. B. Fields!W-D. Narr, Human Rights as a Holistic Concept, in: Human Rights Quarterly, Vol. 14 (1992), S. 1 ff., 5 f.; W Brugger, Stufen der Begründung von Menschenrechten, in: Der Staat 31 ( 1992), S. 19 ff., 23 f.; H. Hofmann, Geschichtlichkeit und Universalitätsanspruch des Rechtsstaates, in: Der Staat 34 (1995), S. 1 ff., 27 f.; vgl. auch U. Neumann, Die Tyrannei der Würde, in: ARSP 1998, S. 153 ff. 415 Vgl. H. Hofmann, Menschenwürde und Naturverständnis in europäischer Perspektive, in: Der Staat 37 (1998), S. 349 ff., 350; zu theologischen und philosophischen Wurzeln des Menschenwürdedenkens siehe A. Verdross, La dignite de Ia personne humaine comme basedes droits de l'homme, in: FS W. Kägi, 1979, S. 415 ff., 416 ff. 416 Klassisch G. Jellinek, Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, 4. Aufl., 1927. S. aus der neueren Lit.: H. Hofmann, Menschenwürde und Naturverständnis in europäischer Perspektive, in: Der Staat 37 (1998), S. 349 ff., 350 f.; zur Menschenwürde als einem vom abendländischen Völkerrecht vorausgesetzten Wert siehe A. Verdross, Die Wertgrundlagen des Völkerrechts, in: ArchVR 4 (1953), S. 129 ff., 137. 417 Vgl. schon G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl. 1914 (Nachdruck 1976), S. 419: "Die Anerkennung des einzelnen als Person ist die Grundlage aller Rechtsverhältnisse." G. Dürig, Der Grundrechtssatz von der Menschenwürde, in: AöR 81 (1956), S. 117 ff., 117 und passim; Ch. Tomuschat, Der Verfassungsstaat im Geflecht der internationalen Beziehungen, VVDStRL 36 (1978), S. 7 ff., 52 f.; W Graf Vitzthum, Die Menschenwürde als Verfassungsbegriff, JZ 1985, S. 201 ff., 205.

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Dritter Teil: Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbürgR

würde" folgt. Jede Rechtsordnung, jede Gemeinschaft muß zunächst auf den Menschen als Menschen hin ausgerichtet sein und darf ihn nicht über seine Zugehörigkeit zu einem bestimmten Staat oder einer bestimmten Gesellschaft definieren. 418 Das "Dazugehören" im weitesten Sinne ist zwar Überlebensbedingung des animal sociale Mensch, aber es macht ihn nicht erst zum Menschen. Der Staat ist dabei weder Wert noch Zweck an sich selbst, sondern rein instrumental zu denken, nämlich als "menschengerechtes Gemeinwesen"419 • Es gibt keine "Würde des Staates", seiner Organe oder Funktionäre, sondern nur die Würde des Menschen, aus der sich alle grundlegenden Rechte ableiten lassen. 420 Es geht bei den Menschenrechten auch nicht um "Werte des Staates", nicht um gesellschaftlich erwünschtes Verhalten, sondern um die "autonome Werteverwirklichung" durch das Individuum, um seine Identitätsbildung421 wobei allerdings im Du-Bezug die Würde des anderen immer mitgedacht werden muß. Kein Text hat die immanente Teleologie der Menschenwürde so deutlich auf einen Nenner gebracht, wie der Verfassungsentwurf von Herrenchiemsee, der weit über den bundesdeutschen Verfassungsstaat hinaus wirkt: "Der Staat ist um des Menschen willen da" - nicht umgekehrt. Naturrechtlicher und anthropologischer Begründungsansatz ebenso wie die Teleologie der Menschenwürde sind Grundsteine ftlr die Universalität im Menschenwürdedenken. d) Die Universalität des Menschenwürdedenkens Wie bereits gezeigt, werden die Würdekonzepte nicht innerhalb eines Staates, einer Gesellschaft oder einer Kultur, sondern im globalen Austausch entwickelt. Universalität, nicht Partikularität ist kennzeichnend ftlr sie.422 Daher löst die Idee der Menschenwürde das überkommene Prinzip der Nationalität, Ch. Enders, Die Menschenwürde in der Verfassungsordnung, 1997, S. 22 ff. Zum Begriff siehe M Usteri, Das Konzept eines modernen menschengerechten Gemeinwesens, in: FS W. Kägi, 1979, S. 401 ff., 403,406 und passim. 420 Problematisch ist die Konzeption bei K. J. Partsch, Von der Würde des Staates, 1967, S. 8 ff., S. 9 ("geistiger Wert"); vgl. dazu die überzeugende Kritik von Th. Tsatsos, Von der Würde des Staates zur Glaubwürdigkeit der Politik, 1987, S. 34 ff.; ebenso P. Häberle, Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, in: HdBStR, Bd. I, 2. Aufl. 1995, S. 815 ff., 847; P. Pernthaler, Grundrechtsdogmatik und allgemeine Staatslehre, in: FS F. Ermacora, 1988, S. 605 ff., 605; P. Saladin, Wozu noch Staaten?, 1995, S. 223 ff.; J. P. Müller, Wandel des Souveränitätsbegriffs im Lichte der Grundrechte, in: Symposion L. Wildhaber, 1997, S. 45 ff., 66. 421 P. Häberle, Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, in: HdBStR, Bd. I, 2. Aufl. 1995, S. 815 ff., 840 f; P. Pernthaler, Grundrechtsdogmatik und allgemeine Staatslehre, in: FS F. Ermacora, 1988, S. 605 ff., 610. 422 P. Häberle, Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, in: HdBStR, Bd. I, 2. Aufl. 1995, S. 815 ff., 842. 418

419

E. Die Menschenwürde

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den mit der Nation verbundenen Ausschließlichkeitsgedanken ab.423 Sie bricht den Nationalstaat als geschlossenen Personalverband ein Stück weit auf. Bisher war jeder Staat nur berechtigt, dafUr Sorge zu tragen, daß seine Staatsangehörigen von anderen Staaten entsprechend den international üblichen Standards behandelt werden. Doch die in der Menschenwürde gründenden Rechte differenzieren gerade nicht nach der Staatsangehörigkeit, sondern begünstigen das Individuum als solches kraft seines Menschseins.424 Heute hat aufgrund des Menschenwürdeprinzips jeder Staat letztlich das Recht (gar die Pflicht), wenigstens gegen fundamentale Menschenrechtsverletzungen einzuschreiten. Das gilt unabhängig davon, ob seine eigenen Staatsangehörigen betroffen sind oder nicht.425 Darüber hinaus ist die Menschenwürde eine Größe, die Werteverwirklichung nicht an eine bestimmte Religion, an eine bestimmte Weltanschauung, an ein bestimmtes kulturelles Vorverständnis bindet.426 Sie ist per defmitionem übernational, überreligiös, überkulturell und daher universell. G. Dürig hat die maßgebliche Formulierung gefunden. Für ihn ist die Menschenwürde eine "Seinsgegebenheit, die unabhängig von Zeit und Raum ,ist' und rechtlich verwirklicht werden ,soll' ."427 Die Idee der Menschenwürde muß freilich normativ realisiert und damit auch Kulturprodukt werden. Doch die Offenheit des Menschenwürdebegriffs garantiert, daß die kulturelle Leistung ihrer Positivierung Basis fiir einen fortschreitenden weltweiten Grundkonsens über universell geltende, partikulär ausgestaltete Menschenrechte wird. 428

423 Die Idee einer "menschenrechtlich fundierten Nation" als Vermittlerin zwischen Individuum und Staat, so J. Jsensee, Die alte Frage nach der Rechtfertigung des Staates, JZ 1999, S. 265 ff., 277, behält ihren zwar unverzichtbaren, aber nurmehr relativen Wert. 424 Dazu B. Simma, Fragen der zwischenstaatlichen Durchsetzung vertraglich vereinbarter Menschenrechte, in: FS H.-J. Schlochauer, 1981, S. 635 ff., 644. 425 Dazu W. v. Simson, Die Bedingtheit der Menschenrechte, in: FS B. Aubin, 1979, S. 217 ff., 230; A. Cassese, Human Rights in aChanging World, 1990, S. 162/163; aus der älteren Lit. siehe Ph. Jessup, Modemes Völkerrecht, 1950, S. 94 ff. ("Nationalität und Menschenrechte"). 426 Vgl. K. Stern, Menschenwürde als Wurzel der Menschen- und Grundrechte, in: FS U. Scupin, 1983, S. 627 ff. 427 Der Grundrechtssatz von der Menschenwürde, in: AöR 81 (1956), S. 117 ff., 125. 428 P. Häberle, Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, in: HdBStR, Bd. I, 2. Aufl. 1995, S. 815 ff., 837.

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Dritter Teil: Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbUrgR

111. Der normative Gehalt der Menschenwürde

Alle Teilaspekte der Würdekonzepte kulminieren letztlich in der Frage nach dem normativen Gehalt, nach der normativen Verbindlichkeit des Menschenwürdetopos. Noch einmal sei darauf verwiesen, daß die Präambel des IPbürgR ebenso wie die gleichlautende Passage des IPwirtR nicht etwa ein subjektives Recht auf Menschenwürde postulieren, sondern in der Menschenwürde die Quelle aller Menschenrechte sehen ("In der Erkenntnis, daß sich diese Rechte aus der dem Menschen innenwohnenden Würde herleiten"). Die Achtung vor der Würde des Menschen wird Inhalt eines subjektiven Individualrechts und ist für die gesamte Staatengemeinschaft verbindliche Verpflichtung. Mehr noch: Die Menschenwürde und das daraus resultierende Menschenbild sind der "normative Hintergrund" für die Balance zwischen Freiheit und Gleichheit, zwischen Freiheit und (Bürger-)Verantwortung, um die jeder Verfassungsstaat und jede verfaßte Gesellschaft ringen müssen. 429 Die Menschenwürdeidee führt die drei Grundpostulate der Französischen Revolution zusammen: Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.430 Sie verklammert die Elemente des Rechtsstaats- und des Sozialstaatsgedankens und nimmt den Staat für die Freiheits- in gleichem Maße wie für die Daseinsvorsorge in die Verantwortung431 • Aus diesem Zusammenwirken entfaltet sich die spezifische normative Wirkung der Menschenwürde. Sie richtet die Forderung an den Staat und an die überstaatlich kooperierende Staatengemeinschaft, menschenwürdige Lebensverhältnisse für alle zu schaffen. Sie ist relevant für die Auslegung aller im einzelnen verbürgten Freiheits- und Gleichheitsrechte und Quelle einer objektiven Wertordnung, die über die rein subjektive Dimension weit hinausgeht. 432 Die Menschenwürde ist aber auch Grundnorm für jede die staatliche Gemeinschaft bildende Bürgergesellschaft. Sie wirkt nicht nur im Bereich institutionalisierter Staatlichkeit, sondern auch im gesellschaftlichen Raum und in der 429 K. Sontheimer, Das Prinzip der Menschenwürde in der Bundesrepublik Deutschland, in: P. Kirchhof/D. Kommers (Hrsg.), Deutschland und sein Grundgesetz, 1993, S. 239 ff., 244; vgl. auch J. P. Müller, Grundrechte in der Schweiz, 3. Aufl. 1999, S. l. 430 Dazu A. Verdross, La dignite de Ia personne humaine comme base des droits de l'homme, in: FS W. Kägi, 1979, S. 415 ff., 417. Zum Aspekt der "Brüderlichkeit" B. Tyson/A. Aziz Said, Human Rights: A Forgotten Victim of the Cold War, in: Human Rights Quarterly, Vol. 15 (1993), S. 589 ff., 595 f. 431 G. Dürig, Der Grundrechtssatz von der Menschenwürde, in: AöR 81 ( 1956), s. 117 ff., s. 131. 432 Dazu D. Kommers, Can German Constitutionalism Serve as a Model for the United States?, in: ZaöRV 58 (1998), S. 787 ff., 790 f. (Stichwort: "dignity versus liberty").

E. Die Menschenwürde

231

PrivatsEhäre und relativiert so das Trennungsdogma von Staat und Gesellschaft4 3. Das deutsche Grundgesetz hat dieses Denken auf einen wichtigen positiven Text gebracht, wenn Art. I Abs. 2 die in der Menschenwürde wurzelnden unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechte zur Grundlage jeder menschlichen Gerneinschaft macht. Diese zwischenmenschliche Schutzrichtung der Menschenwürde, das Ideal der BrUderlichkeit434 und die daraus resultierende Verantwortung filr den anderen sind filr das Völkerrecht von besonderer Bedeutung. So entsteht nämlich, wie arn Beispiel der Menschenpflichten noch zu belegen sein wird, eine kulturelle Brücke zwischen dem westlichen Individualismus und den Gemeinschaftswerten asiatischer oder afrikanischer Gesellschaften. Die vielgestaltigen normativen Dimensionen der Menschenwürde machen sie wie den Souveränitätsgrundsatz oder das Gewaltverbot zu einem zentralen normativen Prinzip des Völkerrechts. Die Menschenwürde gibt dem einzelnen, gleich, wo und wie er lebt, sein universelles Recht auf (kulturspezifische und damit partikuläre) Rechte.m Sie ist Grundlage seiner Rechtsfilhigkeit, seiner Rechtssubjektivität, aber auch seiner Freiheit vor staatlichen Eingriffen und seines Anspruchs auf staatlichen Schutz. Die Achtung der Menschenwürde ist wegen dieser Grundlagenfunktion, die in allen universellen Völkerrechtstexten ihren unmißverständlichen Ausdruck fmdet, zu einem Allgerneinen Rechtsgrundsatz im Sinne von Art. 38 lit. c IGH-Statut herangereift. 436 Daß der Menschenwürdebegriff normativ gemeint ist, ergibt sich auch aus der Wechselwirkung zwischen der Präambel und dem bereits zitierten Art. 10 Nr. I IPbürgR. Die Menschenwürde wird zum Konstitutionsprinzip und zur Konstitutionsnorm der staatlichen wie der überstaatlichen Rechtsordnung.437 433

Vgl. R. Voss, Menschenrechte gründen in der Menschenwürde, DRiZ 1997,

s. 507 ff., 509.

434 Dazu P. Häberle, Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, in: HdBStR, Bd. 1, 2. Aufl. 1995, S. 815 ff., 821, unter Verweis aufeine grundlegende und zugleich verallgemeinerungsflihige Entscheidung des deutschen BVerfG (24, 119 (144)): "Eine Verfassung, welche die Würde des Menschen in den Mittelpunkt ihres Wertsystems stellt, kann bei der Ordnung zwischenmenschlicher Beziehungen grundsätzlich niemandem Rechte an der Person eines anderen einräumen, die nicht zugleich pflichtgebunden sind und die Menschenwürde des anderen respektieren." 435 Dazu Ch. Enders, Die Menschenwürde in der Verfassungsordnung, 1997, s. 504 f. 436 So schon F. Ermacora, Allgemeine Staatslehre, 2. Teilband, 1970, S. 738. 437 Aus der Lit. zum deutschen GG: G. Dürig, Der Grundrechtssatz von der Menschenwürde, in: AöR 81 (1956), S. 117 ff.,ll9; W Graf Vitzthum, Die Menschenwürde als Verfassungsbegriff, JZ 1985, S. 201 ff., 203; H. Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, 1996, Art. 1 I, Rn. 72, 96, 98; Ch. Enders, Die Menschenwürde in der Verfassungsordnung, 1997, S. 70 ff.

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Dritter Teil: Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbürgR

Der Begriff Konstitutionsprinzip verweist daneben auch auf den dogmatischen Standort der Menschenwürde in der Normenhierarchie des nationalen und internationalen Rechts. Sie ist oberster, an sich vorstaatlicher Wert, in nationalen Verfassungstexten und den internationalen Menschenrechtspakten positiviert zum Verfassungsgrundsatz jeder menschlichen Gemeinschaft. Das hat eine doppelte Konsequenz: Zunächst müssen sich die grundlegenden, verfassenden Normen des Völkerrechts, gleich aus welcher Rechtsquelle sie sich speisen, dem Menschenwürdeprinzip zu- und unterordnen lassen und letztlich als seine Konkretisierungen verständlich sein. Für das Völkerrecht vollzieht sich der entscheidende Paradigmenwechsel vom Staat zum Menschen hin. Genauso wichtig ist aber der zweite Aspekt. Die Normativität der Menschenwürde greift auf jeden nationalen Staat und seine Rechtsordnung durch. Über die völkerrechtliche Menschenwürdeklausel wird eine Bindungswirkung erzielt, die sogar über das hinausgeht, was in klassischen Ewigkeitsklauseln verbürgt ist. 438 An die Menschenwürde sind nicht nur alle staatlichen Gewalten einschließlich des verfassungsändernden Gesetzgebers, sondern auch die verfassunggebende Gewalt gebunden. Es gibt insoweit keine freie Dezision eines autarken Volkes mehr, auch die verfassunggebende Gewalt entscheidet nicht "normativ aus dem Nichts" im Sinne C. Schmitts. Jede Verfassunggebung, die nicht nur formell, sondern auch materiell eine solche sein will, ist an die anthropologische Prämisse der Menschenwürde als Legitimitätsvoraussetzung gebunden. Ohne Gründung auf die Menschenwürde kann es keine Form legitimer staatlicher Herrschaft und keinen Verfassungsstaat geben.439 Im Jahre 1951 räsonnierte das BVerfGE (1, 14 ff., 61 ): "Eine verfassunggebende Versammlung hat einen höheren Rang als die aufgrund der erlassenen Verfassung gewählte Volksvertretung. Sie ist im Besitz des 'pouvoir constituant'. Sie schafft die neue, fUr den werdenden Staat verbindliche, mit besonderer Kraft ausgestattete Verfassungsordnung. Mit dieser besonderen Stellung ist es unverträglich, daß ihr von außen Beschränkungen auferlegt werden. Sie ist nur gebunden an die jedem Recht vorausliegenden überpositiven Rechtsgrundsätze(... )."

Der deutsche Verfassungsrichterspruch istangesichtsdes heutigen Entwicklungsstandes des Völkerrechts in Sachen Menschenwürde zu relativieren. Die Menschenwürde ist zwar überpositiver Rechtsgrundsatz, aber auch positiv formuliertes und ausdifferenziertes konstitutionelles Programm des Völkerrechts. Eine Verfassung, die nicht darauf gründet, kann nicht mehr in Anspruch neh438

Vgl. T Geddert-Steinacher, Menschenwürde als Verfassungsbegriff, 1990,

s. 179 ff.

439 W Graf Vitzthum, Die Menschenwürde als Verfassungsbegriff, JZ 1985, S. 20 I ff., 202.

F. Die Trias von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden

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men, Verfassung zu sein. In Sachen Menschenwürde kommt es nicht nur zu einer überpositiven Bindung, sondern zu einer" Verfaßtheit" der verfassunggebenden Gewalt durch das internationale Recht. Die Menschenwürde ist überstaatliche Voraussetzung ftlr Freiheit - sei sie individuell oder kollektiv gelebt, ftlr Gerechtigkeit, die im Postulat gleicher Rechte und Pflichten gründet, und tllr den äußeren wie inneren Frieden, der jedem einzelnen seine menschenwürdige Existenz erst ermöglicht.

F. Die Trias von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden I. Das Ideal vom freien Menschen Zukunftsorientierung und ethisches Selbst- respektive Vorverständnis des IPbürgR seien im folgenden am Beispiel vertieft. Das filr Präambeln typische bekenntnishafte Element, das in feierlichem Sprachduktus ftlr die Überzeugungen und Wertvorstellungen, die Motivationen, das Selbstverständnis und letztlich tllr das Welt- und Menschenbild der vertragschließenden Parteien steht, hat in der Formulierung "das Ideal vom freien Menschen" spezifischen Ausdruck gefunden. 440 Die insoweit gleichlautenden Textpassagen des IPbürgR und IPwirtR gehen wiederum auf das textliche Vorbild der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahre 1948 zurück, in der es heißt: "( ... )verkündet die Generalversammlung die vorliegende AUgemeine Erklärung der Menschenrechte als das von allen Völkern und Nationen zu erreichende gemeinsame Ideal".

I. Begriffund Funktionen des Ideals im Völkerrecht

a) Begriffliche Wurzeln Um die rechtliche Tragweite eines solchen Präambelpassus zu erschließen, ist vorab eine knappe terminologische und ideengeschichtliche Einordnung des ambivalenten und vielschichtigen Begriffs "Ideal" notwendig. Ein erster Schritt ist das vorphilosophisch-umgangssprachliche Alltagsverständnis. Gemeint sind hier einerseits Vollkommenheit und Vorbildlichkeit, andererseits aber auch Wunschdenken und schließlich die Orientierung hin auf höchste Werte ethi-

440 P. Häber/e, Präambeln im Text und Kontext von Verfassungen, in: ders., Rechtsvergleichung im Kraftfeld des Verfassungsstaates, 1992, S. 176 ff., 194.

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scher, religiöser oder politischer Art. Eine genauere Spezifizierung in philosophischer wie rechtlicher Hinsicht sollte bei den etymologischen Wurzeln ihren Anfang nehmen. Der moderne Terminus "Ideal" läßt sich zurückführen auf das altgriechische Verbum "idein", sehen, davon wiederum abgeleitet auf die Kategorien "eidos" und "idea", die im Sinne der Philosophie Platons jene allgemeine und unveränderliche Gestalt bezeichnen, die die konkrete Form eines jeden Stoffes, eines jeden wiedererkennbaren Gegenstandes erst begründet. Im Verständnis Platons und darauf aufbauend der platonischen Akademie wird die Idee als anthropologische Grundgegebenheit verstanden, der im Sein Vorrang vor allen anderen Gegebenheiten zukommt, da nur sie "wahre Wirklichkeit" ist und die gegenständliche Welt ein bloßes Abbild dieses Urbildes darstellt. Welchen Brüchen und Veränderungen die metaphysisch ausgerichtete platonische Ideenlehre in der philosophischen Tradition von Berkeley über Wieland, Lessing und vor allem Kant bis hin zum deutschen Idealismus des 19. Jh. ausgesetzt war, kann hier nicht im einzelnen nachgezeichnet werden. 441 Entscheidend für den spezifisch juristischen Kontext bleibt aber die Genese einer bis auf die Anfänge bei Platon rückfUhrbaren idealistischen Weltanschauung, die von dem Ideal als dem Bild eines vollkommenen Zustandes ausgeht und das Ziel des vollkommenen Guten, des "kalon kai agathon" durch Annäherung zu erreichen sucht. 442 Daß ein solcher (Erkenntnis)-Prozeß aufgrund der menschlichen Schwäche letztlich unvollkommenes Stückwerk bleiben muß, steht dabei außer Zweifel. 443 So setzt dieses wertorientierte Denken auch die Diskrepanz zwischen der Realität, der erlebten und erlebbaren Wirklichkeit auf der einen, der Sphäre des nur Vorstellungshaften, Erstrebenswerten auf der anderen Seite voraus.444 In normativen Kategorien meint das nichts anderes als den Gegensatz von Sein und Sollen. Wenn juristische Kodifikationen explizit Ideale als Leitbilder ihrer Sollenssätze wählen, implizieren sie damit zugleich den Zweck ihrer konkreten rechtlichen Regelung, nämlich die Orientierung an dem eben umschriebenen 441 Vgl. dazu G. Picht, Das Wesen des Ideals, in: ders., Wahrheit, Vernunft, Verantwortung, 1969, S. 203 ff. 442 Zur Idee des Guten in der platonischen Ideenlehre vgl. N. Horn, Einfllhrung in die Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie 1996, S. 128 f., Rn. 235, sowie S. 132, Rn. 140. Zur Differenzierung Ideal/Stereotyp: W Lippmann, Pub1ic Opinion, 1960, S. 104. 443 Vgl. dazu A. Kaufmann, Naturrecht und Geschichtlichkeit, in: Recht und Staat 197 (1957), S. 1 ff., 19: "Vielmehr ist damit nur eine Relativität der Erkenntniswahrheit zur Seinswahrheit ausgedrückt, ist gesagt, daß unser Erkennen im Hinblick auf die ganze Wahrheit des Seins immer nur annäherungsweise, inadäquat und unvollkommen sein kann". 444 Zum Spannungsverhältnis von Realität und Idealität des Verfassungsstaates siehe G. Haverkate, Gewißheitsverluste im juristischen Denken, 1977, S. 237.

F. Die Trias von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden

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Inbegriff des vollkommenen Guten, an der guten Ordnung, der "eunomia" als Konstitutionsprinzip einer jeden Rechtsgemeinschaft445 • Insoweit wissen sie sich einem ethischen eher denn einem historiographischen, juristischen oder soziologischen Staatsbegriff verpflichtet.446 Vor diesem Hintergrund gilt es, die spezifischen Funktionen des Idealbegriffs bei der Konstitution einer politischen Gemeinschaft - auch unter Berücksichtigung denkbarer Gefahren - aufzuschlüsseln. b) Spezifische Funktionen aa) Legitimation von Sollenssätzen und Korrektiv politischer Entscheidungen

Das Ideal ist ein Faktor der inhaltlichen Rechtfertigung konkreter Normen. Die Legitimation von Sollenssätzen steht dann außer Frage, wenn das Telos der Regelung mit dem höchsten Wert des "vollkommenen Guten" übereinstimmt. Ob eine solche Wertorientierungangesichts eines von der Völkerrechtsordnung vorausgesetzten und in der Völkerrechtswirklichkeit vorgefundenen Wertepluralismus überhaupt möglich ist, erscheint dabei mehr als fraglich. Doch die Kategorie des Ideals vermittelt den Wert, über den es Konsens herzustellen gilt, in hochabstrakter und offener Weise. Sie öffnet die Tür zu einer prozeßhaften Entwicklung, in die unterschiedliche Vorverständnisse, kulturelle ebenso wie politisch-ideologische Divergenzen einfließen können. Versteht sich die Völkerrechtsgemeinschaft als eine Entwicklungsgemeinschaft, wird das Ideal zum Motor der Entwicklung. Das Legitimitätsproblem ist filr das universelle Völkerrecht gravierender als zu Zeiten eines ius publicum europaeum, denn die Völkerrechtsgemeinschaft ist in ihren Wertvorstellungen sehr viel tiefergehend gespalten. Anders als das innerstaatliche Recht kann das internationale Recht in weit geringerem Umfang versuchen, die außerrechtlich begründeten Wertvorstellungen zu verändern oder zu korrigieren, sondern muß deren Vorgegebensein stärker berücksichti-

445 Zum Begriff "eunomia" vgl. Ph. Allott, Eunomia. New Orderfora New World, 1990, der ohne ausdrücklichen Rückgriff auf die ethymologischen Wurzeln die Definitionen "the good order of a self-ordering society" (S. 404) bzw. "the ideal order of selfcreating humanity" (S. 411) vorschlägt. Auch G. Radbruch, Rechtsphilosophie, 4. Aufl. 1950 (Hrsgg. v. E. Wolf), S. 147, spricht davon, daß das Recht dem "ethischen Wert des Guten" zu dienen bestimmt sei. 446 Zu dieser Einteilung der Staatsbegriffe vgl. W. Pauly, Die Identifizierbarkeit des Staates in den Sozialwissenschaften, ARSP 85 (1999), S. 112 ff., 113; zur "Re-Ethisierung" des Staates G. Frankenberg, Die Verfassung der Republik, 1997, S. 107 ff.

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gen. 447 Soll das Völkerrecht als verbindlich akzeptiert, muß es aber auch als legitim empfunden werden. Dem jenseits der konkreten Wertexplikationen universell verstandenen gemeinsamen Ideal kommt dabei ausschlaggebende Bedeutung zu. Völkerrechtlichen Normen fehlt im Gegensatz zum Rechtssetzungsprozeß im demokratischen Verfassungsstaat die unmittelbare demokratische Legitimation, sie entspringen nicht einem im relativ homogenen Raum für selbstverständlich erachteten kulturellen Grundkonsens und überdies ist ihr langwieriger Entstehungsprozeß kaum transparent. Ein solches Legitimationsdefizit kann, wenngleich nur in begrenztem Umfang, von der Orientierung an überpositiven, universellen Idealen aufgefangen werden. In diesem Sinne wirkt das Ideal noch weitergehend: Es ist nicht nur inhaltliche Legitimationsbasis eines normativen Regelungswerkes, sondern bildet auch ein unverzichtbares, gemeinwohlbezogenes Korrektiv gegen politische Beliebigkeit. Das Ideal ist jeder normsetzenden Autorität als Handlungsmaßstab vorgegeben und soll so die politischen Entscheidungen anleiten, Orientierungshilfe für die politisch verantwortlichen Entscheidungsträger sein.448 Es steht damit auch im Gegensatz zu den Kategorien der bloßen Staatsräson, des Machtkalküls und der reinen Interessenpolitik, die in der Entwicklungsgeschichte des modernen Staates seit dem 17. Jh. die Orientierung politischen Handeins an philosophisch oder theologisch begründeten Tugendenkatalogen mehr und mehr in den Hintergrund gedrängt haben.449 bb) Relativierung bloßer Effektivitätsgrundsätze

Durch den expliziten Rekurs auf den Begriff des Ideals in der Präambel des zentralen internationalen Menschenrechtskatalogs entfernt sich die Völkerrechtsgemeinschaft auch ein Stück weit von einem ihrer wesentlichen, überkommenen Strukturmerkmale: der letztlich auf dem Prinzip effektiver Herrschaftsausübung gründenden, besonderen "Wirklichkeitsnähe".4so Dieser Prä447 A. Randelzhofer, Der nonnative Gehalt des Friedensbegriffs im Völkerrecht der Gegenwart, in: J. Delbrück (Hrsg.), Völkerrecht und Kriegsverhütung, 1979, S. 13 ff., 23. 448 H. Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, 2. Aufl. 1994, S. 341 ; M Huber, Die soziologischen Grundlagen des Völkerrechts, 1928, S. 95. 449 Vgl. dazu H. Münkler, Im Namen des Staates, 1987, S. 270 ff. 450 Dazu H. Krüger, Das Prinzip der Effektivität, oder: Über die besondere Wirklichkeitsnähe des Völkerrechts, in: ders., Staat, Wirtschaft, Völkergemeinschaft, 1970, S. 121 ff., 121, 127 (besondere Rolle der "tatsächlichen Machtverhältnisse"), 128 ("Distanz zwischen Nonn und Wirklichkeit(...) kleiner zu halten, als dies im Bereich des staatlichen Rechts notwendig ist"); vgl. auch A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. 1984, S. 51; 0. Kimminich, Die Menschenrechte in der Friedens-

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misse folgend, soll eine bestimmte Rechtslage nicht bereits dann als gegeben anerkannt werden, wenn sie sich allein in normativ verbindlich gemeinten Erklärungen oder Forderungen seitens einer mehr oder weniger großen Anzahl interessierter Staaten erschöpft. Erforderlich ist vielmehr, daß ein entsprechender Zustand bereits tatsächlich verwirklicht ist. 451 Ein ausschließlich im Sinne einer "phänomenologisch-emprischen Gegebenheit"452 verstandenes Völkerrecht liefe aber Gefahr, sich allzu selbstverständlich mit dem erreichten status quo zu begnügen und eher aus der Retrospektive die Wirklichkeit zu umschreiben als im Wege der Rechtsfortbildung um neue Standards und Alternativen zum bisher Erreichten zu ringen.453 Das vielfach zu beobachtenden Phänomen einer oft späten, gar verspäteten Reaktion des Rechts auf soziale, wirtschaftliche und kulturelle Veränderungen- von H. Müller-Dietz auf die anschauliche Formel von der "kulturellen Verspätung des Rechts"454 gebracht- würde zur Völkerrechtsdoktrin erhoben. Orientiert sich die Staatengemeinschaft demgegenüber an Idealen und bekennt sich unzweideutig zu universell geltenden Menschenrechten, obwohl dem die Menschenrechtswirklichkeit vielerorts nicht entspricht, wird ein allmählicher struktureller Wandel hin zu einem "anspruchsvolleren" Völkerrechtsverständnis vollzogen. 455 Im Mittelpunkt stehen nicht mehr zwischenstaatliche Interessen, die sich aufgrund der tatsächlichen politischen Kräfteverhältnisse durchsetzen lassen, sondern die gemeinsamen Interessen, Wertvorstellungen und die gemeinsame Legitimationsbasis der VölkerrechtsgemeinregeJung nach dem Zweiten Weltkrieg, 1990, S. 10; D. Kennedy, A New Strearn of International Law Scholarship, Wis. International Law Journal, Vol. 7 (1988), S. 1 ff., 39 ("pragmatic management"). 451 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl., 1984, S. 51. 452 J. Soder, Die Idee der Völkergemeinschaft, 1955, S. 68. 453 H. Ryffe/, Zur politisch-philosophischen Aufklärung der Rechtssetzung, insbesondere in normativer Hinsicht, in: K. Eicheoberger u.a. (Hrsg.), Grundfragen der Rechtssetzung, 1978, S. 59 ff., S. 51, umschreibt die Wirklichkeit zutreffend als eine "festgewordene Variante von Politik." 454 Rechtssprache - Die Macht der Sprache, die Sprache der Macht, in: Loccumer Protokolle 15/97, S. 19 ff., S. 32. 455 So B.-0. Bryde, Verpflichtungen erga omnes aus Menschenrechten, in: Berichte der Deutschen Gesellschaft ftlr Völkerrecht, Bd. 23 ( 1994), S. 165 ff., 171; vgl. auch C. T. Oliver, The Future of Idealism in International Law: Structuralism, Humanism, and Survivalism, in: R. St. J. Macdonald!D. M. Johnston (ed.), The Structure and Process of International Law, 1983, S. 1207 ff., 1208 ff.; Th. Franck, The Power of Legitimacy among Nations, 1990, S. 8, der die "sophisticated concepts of polis, the civil society or community" auch ftlr die Völkerrechtslehre nutzbar machen will. Zu eng demgegenüber P. Sieghart, The Lawful Rights ofMankind, 1985, S. 40/41: "Nor are they (die internationalen Menschenrechtsgarantien, Anm. des Verf.) naive, starry-eyed, or idealistic ( ... ). On the contrary, they are sober and pragmatic."

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schaftals solcher. 456 Dabei darf sicher nicht übersehen werden, daß allzu vollmundige, realitätsferne Versprechungen nach wie vor zu einem Glaubwürdigkeitsdefizitdes Völkerrechts fUhren und der Kritik am heuchlerischen Charakter von Menschenrechtsverbürgungen Vorschub leisten. Nichtsdestoweniger muß sich das internationale Recht wie jede andere Rechtsordnung dem Spannungsfeld zwischen Sein und Sollen stellen und darf weder auf ethische Orientierung noch auf normative Steuerungsmodelle zur Veränderung und Gestaltung der Wirklichkeit verzichten.457 Die wechselvolle Geschichte des innerstaatlichen Menschenrechtsschutzes beweist, in welch starkem Maße Ideale und Utopien von heute ein Stück Rechtswirklichkeit von morgen werden können. Um so wichtiger ist es, daß das Völkerrecht sich in seinen Texten dieses Entwicklungspotential bewußt offenhält cc) Übergeschichtliche Orientierung

Das Ideal erhebt einen zeitlos gültigen Wahrheitsanspruch und bildet so einen Gegenpol zur bereits dargestellten Geschichtlichkeit der Menschenrechte. Es erhebt den Anspruch, alle Generationen zu binden und weist insoweit strukturelle Ähnlichkeit mit Ewigkeitsklauseln in Verfassungstexten auf. Es geht darum, der Völkergemeinschaft eine "überzeitliche Entscheidungssubstanz" ftl.r die fundamentalsten Fragen ihrer Konstituierung vorzugeben, ihre Identität unabhängig von der jeweiligen historisch-politischen Wirklichkeit zu prägen.458 Neben seiner identitätsstiftenden Funktion impliziert das übergeschichtliche Ideal aber gleichzeitig einen negativen Bezug zur erlebten Realität, die gegenüber dem angestrebten Ziel als defizitär empfunden wird.459 Steht das Ideal über der Zeit, entzieht es sich der Kritik der in der Zeit Lebenden und erhebt den geflihrlichen Anspruch absoluter, da nicht überprüfbarer Wahrheit. Zweifelsfrei sind Hoffnungen und positive Utopien460 unabdingbare Voraussetzung,

456 Th. Franck, The Power of Legitimacy among Nations, 1990, S. 8, 21 und passim spricht gar von "global polis". 457 H. Ryflel, Zur politisch-philosophischen Aufklärung der Rechtssetzung, in: Grundfragen(... ), S. 59 ff., 63 (die Norm als "Gestaltungsmodell der Wirklichkeit"). 458 So mit Blick auf die Funktion der nationalen Verfassung W. v. Simson, Zur Theorie der Legitimität, in: ders., Der Staat und die Staatengemeinschaft, 1978, s. 31 ff., 35. 459 J. Boyle, Ideals and Things: International Legal Schotarship and the Prison-house of Language, Harvard lntl. Law Journal 1985 (Vol. 26), S. 327 ff., 327, spricht von "mere coexistence oflofty ideals with mundane reality." 460 Zum Begriff P. Häberle, Utopien als Literaturgattungen des Verfassungsstaates, in: ders., Rechtsvergleichung im Kraftfeld des Verfassungsstaates, 1992, S. 673 ff.,

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die Wirklichkeit zu verändern, in dialektischer Gegenbewegung aber auch mit den Risiken missionarischen Übereifers, einseitiger Verabsolutierung oder gewaltbereiter Radikalisierung verbunden. Sie können sich in unterschiedlichen Formen äußern. Seien es die gewaltsame, revolutionäre Veränderung der politisch-gesellschaftlichen Wirklichkeit, sei es der Traum vom "idealen Staat", der von Platons Philosophenkönigtum bis zu den egalitären Vorstellungen marxistischer Staatstheorie stets totalitäre Züge trägt. Trotz dieser Gefahren leben auf nationaler Ebene jeder einzelne Verfassungsstaat, auf internationaler Ebene die Völkerrechtsgemeinschaft von ihren Idealen als Legitimations- und Konsensquelle sowie als Richtschnur der Zukunftsgestaltung. Die Risiken sind deshalb erträglich, weil das Ideal im Kontext der Geschichtlichkeit formuliert ist, weil methodisch der wirklichkeitswissenschaftliche Ansatz wirklichkeitsferne Überhöhung verhindert. Das Sich-Verfassen der Völkerrechtsgemeinschaft muß ein ständiger Prozeß des relativierenden Ausgleichs gegenläufiger Prinzipien sein. dd) Zukunftsgestaltung

Die Ambivalenz des Ideals wird auch unter dem Blickwinkel seines zukunftsgestaltenden Anspruchs deutlich. Wenngleich es überzeitlich ausgerichtet ist, will es doch keinen unveränderbaren "Idealzustand" festschreiben. Geeigneteres Bild ist vielmehr ein "idealer Prozeß", ein Programm, das deshalb die Entwicklungsoffenheit eines Ordnungssystems gewährleistet, weil es sich angesichts der stetigem Wandel unterworfenen gesellschaftlichen, politischen, auch wissenschaftlichen Rahmenbedingungen immer neu am vorgegebenen Bild des Guten ausrichten muß. Wichtig bleibt aber das Nebeneinander von topischem und utopischem Denken. Während ersteres, ausgerichtet an den konkreten Möglichkeiten der Gegenwart, die Zukunft zu gestalten sucht, richtet sich letzteres nicht nach der Machbarkeit, sondern der Wünschbarkeit.461 Alle Reformbemühungen sollten um eine Balance beider Aspekte ringen. Das prozeßhafte Verständnis der Idealorientierung hat auch methodische Konsequenzen. Es setzt nämlich ein dynamisch-evolutives, kein statisches Vertragsverständnis voraus.462 Dem scheint wie vordem schon auf der inhaltli-

S. 678; vom "utopischen Gehalt" der Menschenrechte spricht G. Stel/a, Die utopische "Uchronie" der Menschenrechte, in: FS G. Winkler, 1997, S. ll23 ff., 1136. 461 Vgl. P. Häber/e, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, s. 573 ff. 462 Allg. zum dynamischen Charakter des Völkerrechts bereits D. Schind/er, Des Facteurs Sociologiques et Psychologiques du Droit International, in: Recueil des Cours ( ...), S. 235 ff., 271 ff. Zur evolutiven Vertragsinterpretation vgl. R. Bernhardt, Einwir-

17 Kotzur;

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eben Seite erneut die Defmition des Ideals als Inbegriff des "vollkommenen Guten", der "guten Ordnung" zu widersprechen. Das wäre allerdings nur dann der Fall, wenn mit dem Ideal ein von den Vertragsparteien festgelegter, statischer Kanon letztverbindlicher, unabdingbarer Werte gemeint wäre, deren Evidenz jede Veränderung der äußeren Rahmenbedingungen, des gesellschaftlichen Grundkonsenses oder der tatsächlichen Machtverhältnisse irrelevant erscheinen ließe. 463 Doch ist das Ideal immer nur Zielvorgabe, Leitbild und Ausdruck des - bei der Auslegung nach Art. 31 WVK stets zu berücksichtigenden - Vertragstelos. Das Gegenbild zur Realität bleibt immer vorste/lungshaft und kann niemals vollständig verwirklicht, sondern nur in einem Prozeß beständiger Reformen annäherungsweise erreicht werden464• Ein so verstandener Idealbegriff verhindert einseitige Verabsolutierungen und die streng positivistische Bindung an einen "versteinerten" historischen Parteiwillen. Er fordert vielmehr Entwicklungsoffenheit.465 Das Völkerrecht muß auf Veränderungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft reagieren und sich mit wandelbaren Wertvorstellungen auseinandersetzen. Diese Dynamik ist

kungen der Entscheidungen internationaler Menschenrechtsinstitutionen auf das nationale Recht, in: FS K. Doehring, 1989, S. 23 ff., 34. 463 Vgl. dazu P. Schneider, Prinzipien der Verfassungsinterpretation, in: VVDStRL 20 (1963), S. I ff., 20. 464 K. R. Popper, Logik der Forschung, 8. Aufl. 1984, S. 198 ff. 465 Siehe zu diesem dynamischen Vertragsverständnis die Grundlagenentscheidung I.C.J.-Reports 1971, S. 16 ff. (Namibia), S. 31: "Mindful as it is of the primary necessity of interpreting an instrument in accordance with the intentions of the parties at the time of its conclusion, the Court is bound to take into account the fact that the concepts embodied in Article 22 ofthe Covenant (Satzung des Völkerbundes, Anm. des Verf.),the strenous conditions of the modern world' and ,the well-being and development' of the peoples concerned- were not static, but were by definition evolutionary, as also, therefore, was the concept ofthe ,sacred trust'. ( ... ) That is why, ( ... ) the Court must take into consideration the changes which have occured in the supervening half-century, and its interpretation cannot remain unaffected by the subsequent development of law ( ... ). Moreover, an international instrument has to be interpreted and applied within the framework of the entire legal system prevailing at the time of the interpretation." Ebd. S. 182, separate opinion de Casto, unter Berufung auf H. Grotius, De iure belli ac pacis, II, 16, 25: "As early a writer as Grotius pointed out that this (literalistic interpretation, Anm. des Verf.) was a vain principle, as is also the so-called principle of contemporaneity. He showed that in addition to what is said, there is the force of the development of the convention". Vgl. A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. 1984, S. 496, Rn. 782; kritisch/. Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, 9. Aufl. 1997, S. 79 (Rn. 336) und S. 81 (Rn. 356). Aus Sicht der Gesetzgebungslehre H. Ryffel, Zur politisch-philosophischen Aufklärung der Rechtssetzung, insbesondere in normativer Hinsicht, in: Grundfragen ( ...), S. 59 ff., 70: "Keine mit der Rechtssetzung betraute Instanz darf sich anmaßen, das Absolute endgUitig zu formulieren." Vgl. schließlich U. Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, 1991, S. 189 ff.

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gerade im internationalen Menschenrechtsschutz von entscheidender Bedeutung, da die Idee überstaatlicher Verantwortung ft1r die Rechte des Individuums ein entwicklungsoffenes völkerrechtliches Novum darstellt. Die "International Bill of Rights" markiert erst den Anfang struktureller Veränderungen der Völkerrechtsdogmatik.466 Der einmal erreichte Minimalkonsens über menschenrechtliche Mindeststandards muß in Zukunft materiell angereichert und auch im Wege der Vertragsinterpretation fortgeschrieben werden.467 ee) Ausprägung eines positiven Menschenbildes

Das Denken über den Menschen, sein Verhältnis zu Staat, Recht und politischer Gemeinschaft, hat in der Philosophiegeschichte zu zwei grundlegend unterschiedlichen Ausprägungen geftlhrt: dem eher pessimistischen Menschenbild eines Th. Hobbes, der eher optimistischen Variante eines J. Locke.468 Zum Bild, das der nationale Verfassungsstaat und die Völkerrechtsgemeinschaft sich vom Menschen machen, tragen mannigfache Faktoren bei: seine Neigung zum Machtmißbrauch, der durch Gewaltenteilung und demokratische Herrschaft auf Zeit entgegengesteuert werden soll; der Glaube an die Formbarkeit des Menschen zum mündigen Bürger, der hinter den verfassungsstaatlichen Erziehungszielen steckt; die Gemeinschaftsbezogenheit und, ihr gegenläufig, die Freiheitsorientierung des Menschen. 469 Elemente des positiven und negativen, optimistischen und pessimistischen Menschenbildes laufen zusammen. Beruft sich ein Völkerrechtstext explizit auf Ideale, so stellt er sich ein Stück weit gegen das einseitig verengende pessimistische Menschenbild, das vom Krieg aller gegen alle ausgeht und den Menschen eindimensional als ein trieb- und affektgesteuertes Lebewesen einstuft. Der Text ist Beleg vom Glauben an die Einsichtsflihigkeit und Verantwortungsbereitschaft des einzelnen und setzt auf 466 Gleiches gilt auch für regionale Menschenrechtskonventionen wie die EMRK.. Siehe hier die Entscheidung des EGMR im Fall Tyrer v. United Kingdom, Series A. 26 (1978), S. 15 ff.: "( ...) the ECHR is a living instrument which must be interpreted in the light of present day conditions." 467 Zu diesem Aspekt eines dynamischen Vertragsverständnisses vgl. aus europarechtlicher Perspektive A. Bleckmann, Europarecht, 6. Aufl. 1997, S. 207 Rn. 556; siehe auch B.-0. Bryde, Verpflichtungen Erga Omnes aus Menschenrechten, in: Berichte der Deutschen Gesellschaft filr Völkerrecht, Bd. 33 (1994), S. 165 ff., 171; U. Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, 1991, S. 191 ff. 468 Dazu P. Häberle, Das Menschenbild im Verfassungsstaat, 1988, S. 36 ff. mit zahlreichen Verweisen auf wichtige Klassikertexte zur Menschenbildthematik; siehe auch U. Becker, Das "Menschenbild des Grundgesetztes" in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 1996, S. 33 ff. 469 P. Häber/e, Das Menschenbild im Verfassungsstaat, 1988, S. 41 ff.

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dessen Bereitschaft, um das "kalon kai agathon" zu ringen. Die vergleichende Verfassungslehre hat das Individuum längst in seiner Einzigartigkeit begriffen und, orientiert am Basissatz von der Menschenwürde, ihrem Denken ein überwiegend optimistisches Menschenbild zugrunde gelegt.470 Gleichermaßen von der Idee der Menschenrechte und Menschenwürde fasziniert, beschreitet das Völkerrecht heute einen vergleichbaren Weg und untermauert ihn in seinen Texten durch das Ideal vom "freien Menschen" als universelles Leitbild. 2. Die Dimensionen der Freiheit

a) Der Freiheitsbegriff Die Präambel des IPbürgR präzisiert das Ideal vom "freien Menschen". Frei ist, wer "bürgerliche und politische Freiheit" genießt. Der menschenrechtliche status negativus und der status activus politicus sind schon mitgedacht Zudem steht der Freiheitsbegriff des dritten Präambelpassus nicht isoliert, sondern ist im Kontext des ersten Passus zu lesen, der die Menschenrechte als Grundlage der "Freiheit", der "Gerechtigkeit'' und des "Friedens" einordnet. Damit ist eine denkbar weiter Freiheitshorizont umrissen, die Freiheit als klassisches Konstitutionsprinzip des Völkerrechts verankert. 471 Es geht um die Freiheit der Völker, den zwischenstaatlichen Freiheitsraum, und um die Freiheit des Individuums. Erstere ist abgesichert durch die souveräne Gleichheit der Staaten und das Selbstbestimmungsrecht der Völker, letztere durch die konkreten Freiheitsverbürgungen in den Menschenrechtspakten und den sie auf internationaler und regionaler Ebene ergänzenden Verträgen. In beiden Dimensionen ist Freiheit rechtlich gebunden, ist sie "Freiheit aus Kultur"472 und Freiheit in der Gemeinschaft. Die Freiheit eines Naturzustandes, in dem Krieg aller gegen alle herrscht, seien es Individuen, seien es Staaten, kann nicht Leitbild der internationalen Ordnung sein. Auch hier gilt /. Kants Kategorischer Imperativ und wird zur Maxime für das Zusammenleben in der Weltbürgergesellschaft. Doch dürfen die Anforderungen an das Freiheitsideal nicht überzogen sein. Zwar implizieren sie die Vorstellung eines notwendigen Ideal-Ausgleichs473 aller konfligierenden Freiheitsrechte und Interessen bürgerlicher, politischer Ebd. S. 80. Zur freiheitssichernden und -gestaltenden Funktion des Rechts R. Streinz, Auswirkungen des Rechts auf "Sustainable Development" - Stütze oder Hemmschuh?, in: Die Verwaltung 31 (1998), S. 449 ff., S. 458. 472 P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 630 f. 473 Aus der deutschen Grundrechtsdogmatik sind hier Begriffe wie "praktische Konkordanz" (K. Hesse) oder "Optimierungsgebote" (R. Alexy) zu nennen. 470 471

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und wirtschaftlicher Art. Doch treten dann Probleme auf, wenn darin die selbstverständliche Verpflichtung auf das "Höchsterreichbare" zu sehen ist. Eine solche Fixierung auf einen einzigen ideellen Punkt verengt die Gestaltungsspielräume von Politik und Gesetzgeber, macht Komgromisse und neue Konsensfmdung im interkulturellen Austausch unmöglich. 4 Der Freiheitsbegriff des Völkerrechts muß sich seiner immanenten Grenzen deshalb immer bewußt sein. Das Nebeneinandervielfältigster Freiheitsinteressen kann nur im prozeßhaften Ausgleich zum Miteinander werden. Ein letzter Punkt: Der völkerrechtliche Freiheitsbegriff heutiger Textstufe ist immer auch ein Gegenbegriff zur "Unfreiheit" und von dieser negativen Seite her zu definieren. Zunächst zielt er auf die Unfreiheit in der Vergangenheit ab, von der sich die neue Weltordnung unter dem Regime der Vereinten Nationen bewußt distanzieren will: die NS-Diktatur, deren menschenverachtendes Regime die globale Katastrophe des Zweiten Weltkrieges ausgelöst hatte, alle übrigen totalitären Systeme von rechts und von links, aber auch der Kolonialismus und die Ära imperialer Machtpolitik. Gemeint sind darüber hinaus aber auch die in der Gegenwart zu beklagenden Freiheitsverletzungen und -bedrohungen, die sich qualitativ und quantitativ beständig wandeln können. Dazu zählen so unterschiedliche Gefahrenherde wie immer neue atomare Massenvemichtungswaffen, politische Unterdrückung in totalitären Regimen oder die wirtschaftliche Machtkonzentration aufgrund der weltweiten Globalisierung. Dieses Panorama leitet zu den "Vier Freiheiten" aus F.D. Roosevelts politischem Entwurf fiir eine freiheitliche Nachkriegsordnung über. b) Die "Vier Freiheiten" nach F.D. Roosevelt Frank/in D. Roosevelt formulierte in seiner Botschaft an den Kongreß der Vereinigten Staaten vom 7. Januar 1941 die später berühmt gewordenen "Four Freedoms", die "Vier Freiheiten", als Hauptziele seiner Politik und proklamierte damit gleichzeitig die Grundprinzipien einer neuen Weltordnung nach Beendigung des Krieges und der Niederschlagung der NS-Diktatur. "In the future world, which we seek to make secure, we Iook forward to a world founded upon four essential human freedoms. The first is freedom of speech and expression - everywhere in the world. The second is freedom of every person to worship God in his own way - everywhere in the world. The third is freedom from want - which, translated into world terms, means economic understandings, which will secure to every nation a healthy peacetime life for its inhabitants - everywhere in the world. The forth is freedom from fear, which, translated into world terms, 474 P. Lerche, Die Verfassung als Quelle von Optimierungsgeboten?, in: FS für K. Stern, 1997, S. 197 ff., 208.

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means a worldwide reduction of armaments to such a point and in such a thorough fashion that no nation will be in a position to commit an act of physical aggression against any neighbour- everywhere in the world." 475

Damit sind die folgenden Freiheiten bzw. Freiheitsrechte gefordert: "Freedom of Speech and Expression", das heißt die Rede- und Meinungsfreiheit einschließlich der Presse-, heute Medienfreiheit; "Freedom of Worship", weitergehend zu verstehen als Religions-, Glaubens-, und Gewissensfreiheit; "Freedom from Want", die Freiheit von (materieller) Not; schließlich "Freedom from Fear", die Freiheit von Furcht, das Bedürfnis nach Sicherheit.476 Die teilweise wörtliche Übernahme von Rooseve/ts Manifest in den Präambeltext des IPbürgR ist um so bemerkenswerter, da eine spezifische Form der Rezeption gewählt wird: Ein politischer Entwurf liefert nicht nur das ideelle Gerüst, sondern im Wortsinne die Textbausteine ftlr einen völkerrechtlichen Vertrag. Bewußt soll auch der geistige Vater zu erkennen gegeben werden, damit indirekt auch der Führungsanspruch der Vereinigten Staaten bei der Neugestaltung der internationalen Beziehungen nach 1945.477 Die Kodifikation im IPbürgR macht es notwendig, Roosevelts Entwurf nicht als Formel politischer Rhetorik abzutun, sondern ihn in seiner rechtlichen Tragweite zu erschließen. Ein erster Punkt tritt dabei schnell zu Tage. Die unterschiedlichen Dimensionen der Freiheit, die Rooseve/t aufzeigt, verweisen bereits auf die verschiedenen, interdependenten Menschenrechtskonzeptionen: auf die Menschenrechte der ersten Generation und deren status negativus im Sinne klassischer, staatsgerichteter Freiheitsrechte, ebenso wie auf den status positivus von Leistungs- und Teilhaberechten der zweiten Generation.478 Die Freiheit von Furcht und Not denkt sogar die Rechte der dritten Generation vor: das Recht 475 Zitiert nach: L. Kühnhardt, Die Universalität der Menschenrechte, 1987, S. 112 f.; vgl. darüber hinaus H. Lauterpacht, An International Bill of the Rights of Man, 1945, S. 6 f. und S. 84 f.; H. Floretta/Th. Ohlinger, Die Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen, 1978, S. 9. 476 Vgl. G. Oestreich, Die Idee der Menschenrechte, 1974, S. 43; M G. Johnson, The Contributions of Eleanor and Franklin Roosevelt to the Development of International Protection for Human Rights, in: Human Rights Quarterly, Vol. 9 (1987), S. 19 ff., 21 f.; A. Cassese, Human Rights in aChanging World, 1990, S. 29 f. 477 Zur persönlichen Rolle Roosevelts bei der Neuorientierung des internationalen Menschenrechtsschutzes nach dem Zweiten Weltkrieg siehe M G. Johnson, The Contributions of Eleanor and Franklin Roosevelt to the Development of International Protection for Human Rights, in: Human Rights Quarterly, Vol. 9 (1987), S. 19 ff. 478 W. v. Simson, Die Bedingtheit der Menschenrechte, in: FS B. Aubin, 1979, S. 217 ff., 222; M. Nowak, CCPR-Kommentar, 1989, Präambel Rn. 5. Zur Statuslehre der Grundrechte und zum status negativus siehe G. Jellinek, Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, 4. Aufl., 1927, S. 32 und passim.

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auf Frieden, das Recht auf Entwicklung. Noch genauere Differenzierungen anband des Rooseve/tschen Kataloges können helfen, das Freiheitsverständnis der internationalen Menschenrechtspakte zu präzisieren. aa) Die Meinungs- und Religionsfreiheit

An erster Stelle des Entwurfs steht die Meinungsfreiheit, an zweiter Stelle die Religionsfreiheit. Leitbilder der neuen Weltordnung sind somit zwei klassische, elementare Freiheitsrechte, die die freie Entfaltung des Menschen als selbstverantwortliche, sittliche Persönlichkeit, als Mittel und niemals nur Zweck im Sinne I. Kants ermöglichen. G. Jel/inek sieht in der Religionsfreiheit gar den Ausgangspunkt und die Grundlage aller menschlichen Freiheit, die Urfreiheit schlechthin.419 In Art. 19 IPbürgR hat die Meinungsfreiheit ihre ausdrückliche Garantie gefunden480, in Art. 18 IPbürgR sind die Religions- und Weltanschauungsfreiheit ebenso wie die Gedanken- und Gewissensfreiheit differenziert ausgestaltet. Die Präambel ist übergeordneter Rahmen all dieser Freiheitsdimensionen, ohne sie wörtlich zu nennen. Sie gehören aber zum Kernbestand der "bürgerlichen und politischen" Freiheit und prägen nachhaltig das "Ideal vom freien Menschen". Der Präambeltext entwickelt so ein Menschen- und Staatsbild, das Basis des gesamten Normsystems zum Schutze internationaler Menschenrechte werden soll. Nur der freie Mensch ist zur bewußten Orientierung an seinen eigenen Selbst- und Wertvorstellungen in der Lage. Eigenverantwortliche Lebensgestaltung fordert Freiheit von staatlicher Bevormundung und schließt die Chance zu politischer Partizipation ein. Dazu bedarf es eines religiös neutralen Staates, der mit der Glaubensfreiheit eine elementare Grundbedingung moderner Verfassungsstaatlichkeil anerkennt. 481 Ergänzend dazu ist die Meinungs- und Pressefreiheit - in der Virginia Bill of Rights vorgeformt, im Ersten Amendment der amerikanischen Bundesverfassung verankert - Gegenentwurf zum absolutistischen und totalitären Staat und wesentliche Grundlage der politischen Freiheit.482

479 G. Jellinek, Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, 4. Aufl., 1927, S. 39 ff. Zu den Anflingen der Religionsfreiheit siehe H. Maier, Wie universal sind die Menschenrechte?, 1997, S. 84 ff. 480 Dazu schon R. Streinz, Meinungs- und Informationsfreiheit zwischen Ost und West, 1981, S. 16 ff. 481 M. Morlok, in: H. Dreier (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. I, 1996, Art. 4 Rn. 12. 482 Vgl. H. Schulze-Fielitz, in: H. Dreier (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. I, 1996, Art. 5 Rn. 2.

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bb) Die Freiheit von Furcht und Not

Mit den "bürgerlichen und politischen Freiheiten" knüpft die Präambel unmittelbar an die Traditionen der Aufklärung und den Freiheitsbegriff des bürgerlich-liberalen Rechtsstaates an. Die Freiheit von Furcht und die Freiheit von Not gehen demgegenüber weiter und nehmen die gesamte Bandbreite drohender Geflihrdungen ftlr eine menschenwürdige Existenz in ihr Blickfeld. Sie verknüpfen den Freiheitstopos mit Frieden und Sicherheit im zwischenstaatlichen, mit Frieden und sozialer Gerechtigkeit im innerstaatlichen Bereich. Dahinter steht eine Erfahrung, die historisch in der staatlichen Wirklichkeit der ersten Nachkriegsjahre gründet und im Zeitalter fortschreitender Globalisierung immer neue Bestätigung fmdet. Die Bedrohung individueller Selbstentfaltung beschränkt sich nicht auf punktuelle Eingriffe in Freiheit und Eigentum. Der nahezu weltweite Siegeszug einer kapitalistisch-liberalen Wirtschaftsordnung macht Ausgleichsmechanismen erforderlich, die lenkende und leistende Staatstätigkeit voraussetzen.483 Die Daseinsvorsorge ftlr den einzelnen geht aber über die typisch sozialstaatliehen Aufgaben noch hinaus. Sie wird angesichtsder Umweltgefährdung zur "Risikovorsorge", angesichtsder Bedrohung durch moderne Massenvernichtungswaffen zur "Friedensvorsorge", angesichts international organisierter Kriminalität zur "Sicherheitsvorsorge". Diese Kategorien sind Teilaspekte einer umfassenden "Freiheitsvorsorge" und stehen fllr die Dialektik des modernen Verfassungsstaates. Er muß Freiheit in den Bereichen gestalten und ermöglichen, wo sein Unterlassen weit gefährlicher wäre als die eingreifende Staatsgewalt, und doch zugleich die unantastbare Freiheitssphäre seiner BUrger respektieren. Der vorsorgende darf nicht zum starken Staat, leistende Staatlichkeil nicht zum Ersatz ftlr individuelle Verantwortung werden. (I) Die Freiheit von Not

Die Freiheit von Not, "Freedom from want", ist paradigmatisch ftlr das Freiheitsverständnis des auf multinationale Kooperation angewiesenen Leistungsstaates. Roosevelt selbst hat seine Forderung präzisiert: "the removal of certain barriers between nations, cultural in the first place and commercial in the second place" bzw. "understandings which will secure to every nation a healthy

483

Dazu P. Häber/e, Grundrechte im Leistungsstaat, in: VVDStRL 30 (1972),

s. 43 ff., 66.

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peacetime life for its inhabitants- everywhere in the world"484 • Dahinter steht zunächst ein politisches Ziel, fUr das die soziale Seite zweitrangig ist. "The removal of certain barriers" meint weltweiten Freihandel, die Überwindung von Zoll- und Handelsschranken und damit ein typisches Element des traditionell-liberalen Verständnisses amerikanischer Wirtschaftspolitik. 485 Weit über die Grenzen der USA hinaus wirkt dieses Prinzip von den Anfangsjahren der EWG bis hin zur NAFTA als Motor überstaatlicher Zusammenschlüsse und bildet die Grundlage heutiger wirtschaftlicher Globalisierung. Dabei steht aber schon fUr Roosevelt die Überwindung kultureller Schranken, "cultural barriers" an erster Stelle, die Überwindung von Handelsschranken ist instrumental an zweite Stelle gesetzt. Schließlich leitet die Formulierung "healthy peacetime life" zur leistungsstaatlichen Dimension über, durch die die postulierte wirtschaftliche Freiheit sozial unterfUttert werden muß. In die Verantwortung genommen sind im Rahmen ihres jeweiligen Leistungsvermögens die einzelnen Nationalstaaten und vor allem dort, wo die innerstaatliche Infrastruktur der Daseinsvorsorge zu enge Grenzen setzt, ergänzend - fiduziarisch - die internationale Staatengemeinschaft. Dieser subsidiären Einstehenspflicht des Stärkeren fUr den Schwächeren dient nicht zuletzt das völkerrechtliche Konzept der nachhaltigen Entwicklung ("sustainable development'')486. Es stellt den Menschen in den Mittelpunkt überstaatlicher Kooperation und gründet im Recht auf ein gesundes und produktives Leben unter größtmöglicher Schonung der natürlichen Lebensgrundlagen. Entwicklungspotentiale der heutigen dürfen nicht auf Kosten künftiger Generationen realisiert werden. Ausdrücklich textlich verankert ist das Prinzip im Abschlußbericht der World Commission on Environment and Development (1987)487 und in der Rio-Deklaration , die anläßlich der Konferenz der

484 Zit. nach M G. Johnson, The Contributions of Eleanor and Franklin Roosevelt to the Development of International Protection for Human Rights, in: Human Rights Quarterly, Vol. 9 (1987), S. 19 ff., 21. 485 Ebd. 486 Zum Begriff R. Streinz, Auswirkungen des Rechts auf "Sustainable Development"- Stütze oder Hemmschuh?, in: Die Verwaltung 31 (1998), S. 449 ff.; Ch. Calliess, Die neue Querschnittsklausel des Art. 6 ex 3c EGV als Instrument zur Umsetzung des Grundsatzes der nachhaltigen Entwicklung, DVBI 1998, S. 559 ff., 560 f. m. w. N.; J Donnelly, Human Rights, Democracy and Development, in: Human Rights Quarterly 21 (1999), s. 608 ff., 622 ff. 487 Die Kommission tagte unter dem Vorsitz der damaligen norwegischen Ministerpräsidentin G. H. Brundtland, der Abschlußbericht ("Our Common Future") wurde 1987 verabschiedet.

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Vereinten Nationen filr Umwelt und Entwicklung im Juni 1992 in Rio de Janeiro verabschiedet wurde. 488 Dort heißt es in Grundsatz 5: "Die Beseitigung von Armut als unabdingbare Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung ist eine Aufgabe von grundlegender Bedeutung, die der Zusammenarbeit aller Staaten und Völker bedarf, um die Ungleichheit des Lebensstandards zu verringern und den Bedürfnissen der Mehrheit aller Menschen besser gerecht zu werden."489

Neben diesem eher politisch-pragmatischen Aspekt drUckt die "Freiheit von Not" aber auch der Menschenrechtsdogmatik ihren Stempel auf. Sie belegt, daß die Menschenrechte der ersten wie zweiten Generation letztlich nicht nur ideengeschichtlich einer gemeinsamen, der Freiheitssicherung verpflichteten Wurzel entspringen, sondern inhaltlich zusammengehören. Sie umreißen nur unterschiedliche Seiten ein und derselben Freiheit. "Freedom from Want'' zielt auf ein Bündel sozialer Rechte ab, die den Menschen in seiner gesellschaftlichen Gebundenheit und Bedürfnisnatur begreifen. Freiheitsrealisierung ohne ein Mindestmaß an materieller Sicherung ist unmöglich. Daher bleibt die Freiheit von Not unabdingbare Voraussetzung filr den Gebrauch individueller Freiheitsrechte und bedarf nicht nur politischer Absichtserklärungen, sondern rechtlicher Verbürgung. Dieses Postulat der Präambel zeigt, daß bei aller (ideologisch begründeten) Unterschiedlichkeit von IPbürgR und IPwirtR die leistungsrechtliche Seite aller Menschenrechte der "International Bill of Rights" von Anfang an vorgezeichnet war. Deren dogmatische Ausgestaltung braucht freilich, ähnlich wie im innerstaatlichen Raum, einen langen Atem. Das entschlossene Einschreiten gegen soziale Zustände, die ein menschenwürdiges Dasein bedrohen, ist unverzichtbarer Teil der Freiheitssicherung vor dem Staat und der Freiheitsgewährleistung durch den Staat. Der Nationalstaat und die verantwortlich handelnde Staatengemeinschaft sind in die gemeinsame Verantwortung genommen.490 Die Rechtspraxis und die dogmatisch arbeitende Wissenschaft haben ihre einander bedingenden und ergänzenden Beiträge zu leisten. (2) Die Freiheit von Furcht Der Topos "freedom from fear" schlägt die Brücke zwischen Freiheit, Frieden und äußerer Sicherheit. Der Blick Roosevelts war vor allem auf die Gefahren des Angriffskrieges, des weltweiten Handels mit MassenvernichtungswafAbgedruckt in EA 1993, S. D 28 ff. EA 1993, S. D 28 ff., D 29. 490 Dazu C.-F. Menger, Deutsche Verfassungsgeschichte der Neuzeit, 8. Aufl., 1993, S. 205, Rn. 416. 488

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fen und sonstige Bedrohungen von außen gerichtet. 491 Das in Art. I IPbürgR garantierte Selbstbestimmungsrecht der Völker ist ein wichtiges Bauelement der positivrechtlich ausgestalteten "Freiheit von Furcht". Sie umfaßt aber einen noch weiterreichenden Horizont und wirkt hinein in den innerstaatlichen Bereich. Hier hat die "Freiheit von Furcht" eine doppelte Zielrichtung. Gemeint ist zunächst, neben der Verhinderung von Bürgerkriegen, das Themenfeld der inneren Sicherheit. Die Bürger können nur frei von Furcht leben, wenn Verbrechen und internationaler Terrorismus von Seiten des Staates aktiv bekämpft werden. "Freiheit von Furcht" richtet sich aber zugleich gegen den Staat. In einem Polizeistaat, in einem totalitären Überwachungsstaat kann niemand furchtlosen Gebrauch von seiner Freiheit machen. Diese prekäre Doppelrolle des Staates als Garant und potentieller Bedroher von Freiheit kann nur rechtsstaatlich aufgehoben werden- und zwar "aufgehoben" im Sinne Hege/s. Die "Freiheit von Furcht" ist dabei vorkonstitutionelles und vorinstitutionelles Prinzip einer jeden freiheitlichen Ordnung, ein schon von Th. Hobbes benanntes "Leitmotiv" zunächst der Staatsgründung, sodann der "Staatsmachtbegrenzung".492 Ihre rechtsstaatliehen Funktionen sind deutlich greifbar: die Freiheitsrechte, beginnend mit dem Schutz des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit und dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, ausgreifend bis hin zu den politischen Rechten. Die Meinungs-, Informations-, Presse-, Fernseh- und Rundfunkfreiheit - vielleicht sollte gar die Kategorie der "Internetfreiheit" neu eingeftlhrt werden - sind die notwendige Voraussetzung politischer Willensbildung. Die Freiheit der Wahlen und Abstimmungen und sonstige Rechte zur demokratischen Partizipation garantieren die Teilhabe der Bürger arn politischen Prozeß.493 Nur in einem angstfreien Staat ist politische Autonomie realisierbar und demokratisches Engagement möglich. Wenn der IPbürgR die "Freiheit von Furcht" nennt, postuliert er damit eben diesen "angstfreien", d. h. in den Menschenrechten fundierten und gewaltenteilig organisierten Staat als globales Leitbild staatlicher Herrschaftsorganisation. Schließlich durchdringt die "Freiheit von Furcht" auch den gesellschaftlichen Bereich. Sie ist stabilitätsbildendes Ideal der sozialen Gemeinschaft und spricht, rational wie emotional, das gegenseitige Vertrauen der Bürger an, um eine gemeinsame, gemeinwohlorientierte Aufbauleistung möglich zu machen. 491 M. G. Johnson, The Contributions ofEJeanor and Franktin Roosevelt to the Development of International Protection for Human Rights, in: Human Rights Quarterly, Vol. 9 (1987), S. 19 ff., 21 f. 492 So E. Denninger, Verfassungstreue und Schutz der Verfassung, in: VVDStRL 37 ( 1979), s. 7 ff., 27 f. 493 Vgl. ebd., S. 7 ff., 28; ablehnend der Diskussionsbeitrag von J. Jsensee, ebd., Aussprache, S. 130 f.

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Die Dimensionen der Bürgerverantwortung bis hin zu den Menschenpflichten sind schon mitangelegt In der Sphäre gesellschaftlicher Verantwortung treffen die "Freiheit von Furcht" und die "Freiheit von Not" einander ergänzend und bedingend wieder zusammen. Die Formel "frei von Furcht und Not" vereinigt darüber hinaus die Elemente des Rechts- und Sozialstaatsprinzips und ergänzt sie programmatisch um die äußere Dimension von Sicherheit und Entwicklungszusammenarbeit Der soziale Rechtsstaat ist damit zwar längst nicht globale Wirklichkeit, aber Leitbild aller Staatlichkeit, das sich die Völkergemeinschaft in den Menschenrechtspakten selbst setzt. Roosevelts Rede von den "Vier Freiheiten" steht ftlr das visionäre Programm des Präsidenten. Er wollte W Wilsons ursprüngliche Idee eines umfassenden Völkerbundes in einerneuen Nachkriegsordnung umsetzen und die zögernde amerikanische Öffentlichkeit ftlr sein "weltbürgerliches" Projekt gewinnen. 494 Die Rezeption der Rooseveltschen Thesen in den Menschenrechtspakten geht den entscheidenden Schritt weiter. Die gesamte Menschheit soll ftlr das "weltbürgerliche" Projekt des sozialen Rechtsstaates gewonnen werden, da er die beste Voraussetzung zur effektiven Garantie der Menschenrechte in ihrer Multifunktionalität bietet. Die Forderung nach rechts- und sozialstaatliehen Strukturen verweist auf die Gerechtigkeitsbindung jeder, der staatlichen und überstaatlichen Rechtsordnung. Deshalb muß der Gerechtigkeitsbegriff tllr das Völkerrecht näher erschlossen werden. II. Die Idee der Gerechtigkeit 1. Das Gerechtigkeitspostulat im Spiegel völkerrechtlicher Texte und Judikatur

Begonnen sei wiederum mit einer Bestandsaufnahme, die sich an Rechtstexten und Judikatur orientiert, aber notwendig fragmentarisch bleiben muß. Der IPbürgR, der sich dem Gerechtigkeitsthema an exponierter Stelle in seinem ersten Präambelpassus zuwendet, konnte an manche Textvorbilder anknüpfen

494 Aufschlußreich auch die vierte Inaugural-Adresse Roosevelts am 20. Januar 1945, in der es heißt: "Wir haben gelernt, daß wir nicht abseits von allen anderen im Frieden leben können, daß vielmehr unser Wohlergehen von dem Wohlergehen anderer und selbst weit entfernter Nationen abhängt. Wir haben gelernt, als Menschen zu leben, im Gegensatz zum Vogel Strauss oder dem Hund im Zwinger. Wir haben gelernt, Weltbürger zu sein, Mitglieder der grossen menschlichen Gemeinschaft (Hervorhebungen durch den Verf.)", zit. nach W. Schaber (Hrsg.), Die Vier Freiheiten, 1946, S. 128 ff., 129 f. Zum Einfluß W. Wilsons auf die Konzeption der Völkerbundssatzung siehe G. Beestermöller, Die Völkerbundsidee, 1995, S. 94 ff.

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und gab seinerseits wiederum den Anstoß zu innovativen Gerechtigkeitstexten. Die Präambel der UN-Charta nennt "Gerechtigkeit und die Achtung vor Verpflichtungen aus Verträgen" in einem Atemzug. Sie nimmt so Bezug auf die für das Völkerrecht typische Vertragsgerechtigkeit. Art. I Nr. I SVN stellt Gerechtigkeit und Völkerrecht selbständig nebeneinander: "nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts". Er stellt sich auf diese Weise bewußt in die große philosophische Tradition der Grundfrage nach dem Verhältnis von Recht und Gerechtigkeit. Und er gibt eine erste Teilantwort, da die überpositive Dimension der Gerechtigkeit das positive Völkerrecht und das Völkergewohnheitsrecht ergänzt, korrigiert und relativiert. 1982 stellt sich die Manila Dec/aration on the Peaceful Settlement of International Disputes dieselbe Frage, gibt dieselbe Antwort: "in conformity with the principles of justice and international law". 495 Das nächste Textbeispiel ist der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 entnommen. In deren ersten Präambelpassus heißt es: "Da die Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Gemeinschaft innewohnenden Würde und ihrer gleichen und unveräußerlichen Rechte die Grundlage der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens in der Welt bildet ( ...)". Diese Grundsatzformulierung kann heute, mehr als 50 Jahre später, auf eine Erfolgsgeschichte vielfacher Rezeption zurückblicken. Sie war unmittelbares Textvorbild für die insoweit gleichlautenden Präambeln von IPbürgR und IPwirtR, hatte aber auch Einfluß auf die Friendly Relations Declaration. Deren Präambel, 3. Passus, sagt: "im Bewußtsein der Bedeutung der Wahrung und Festigung des Weltfriedens auf der Grundlage der Freiheit, der Gleichheit, der Gerechtigkeit." Programmatisch wird die Gerechtigkeit als Grundlage von Stabilität und Voraussetzung fUr den Weltfrieden genannt, wird sie in den Kontext von Freiheit und Gleichheit gerückt - durchaus im Wissen um manche Spannungsfelder zwischen Freiheitsorientierung und Gerechtigkeitsbindung. Nach dieser Übersicht anband ausgewählter Vertragstexte soll das Gerechtigkeitspostulat im Spiegel eines wegweisenden völkerrechtlichen Judikats angerissen werden. Der Internationale Gerichtshof hat im Continental Shelf Case (Tunesien gegen Lybien) ausgeftlhrt: "Equity as a legal concept is a direct emanation of the idea of justice. The court whose task is by definition to administer justice is bound to apply it. In the course of the history of legal systems the term ,equity' has been used to define various legal con-

495

G.A. Res. 37110 vom 15. II. 1982.

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cepts. lt was often contrasted with the rigid rules of positive law, the severity of which had tobe mitigated in order to do justice."496

Im gleichen Fall umschreibt der Internationale Gerichtshof Gerechtigkeit als Ziel des Völkerrechts und zugleich als Orientierungswert bei der Auslegung internationaler Verträge: "(... ) when applying positive intemationallaw, the Court may choose among several possible interpretations of the law the one which appears, in the light of the circumstances ofthe case, tobe closest to the requirements ofjustice."497

"The requirements of justice" werfen Fragen nach den Inhalten eines völkerrechtlichen Gerechtigkeitsbegriffs auf. Hat sich dieser an einer allgemeinen Gerechtigkeitstheorie zu orientieren? Führen die Zielkonflikte bei der Begründung eines richtigen, "gerechten" Verteilungs- und Beurteilungsmaßstabes nicht zur Relativität der Gerechtigkeit? Kann es Gerechtigkeit zwischen den Staaten überhaupt geben? Oder ist völkerrechtliche Gerechtigkeit mehr als zwischenstaatliche Gerechtigkeit, fUhren auch auf internationaler Ebene materiale Gerechtigkeitsvorstellungen hin zu einer Defmition des Gemeinwohls der Völkergemeinschaft als solcher?498 2. Inhalte eines völkerrechtlichen Gerechtigkeitsbegriffs

a) Justitiadistributiva und commutativa Die aristotelische Trennung zweier partikulärer Gerechtigkeitsbegriffe, iustitia distributiva und iustitia commutativa, prägt seither die philosophische Gerechtigkeitsdiskussion.499 Die ausgleichende Gerechtigkeit, die iustitia commutativa, setzt eine Situation der GIeichordnung voraus und bezieht sich auf das Verhältnis zwischen Bürger und Bürger. Es geht dabei zum einen um die Gleichwertigkeit beim freiwilligen oder unfreiwilligen Austausch von Leistungen, um die Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung. 500 Zum anderen ist damit aber auch ein Achtungsanspruch vor Person und Gut des Mitmen496 1.C.J.-Reports 1982, 18, insbes. 60; bestätigt in I.C.J.-Reports 1985, 13, insbes. 39 (Continental ShelfCase Lybien gegen Malta). 497 Ebd. 498 Zur Relativität der Gerechtigkeit B. Rüthers, Rechtstheorie, 1999, Rn. 371 ff. Eine Übersicht zum philosophischen Hintergrund allgemeiner Gerechtigkeitslehren gibt G. Robbers, Gerechtigkeit als Rechtsprinzip, 1980, S. 76 ff. 499 Aristote/es, Nikomachische Ethik, 1130 b ff.; dazu G. Robbers, Gerechtigkeit als Rechtsprinzip, 1980, S. 77; grundlegend aus der älteren Lit. M. Sa/omon, Der Begriff der Gerechtigkeit bei Aristoteles, 1937. 500 Siehe B. Rüthers, Rechtstheorie, 1999, R. 364 ff.

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sehen verbunden. Wer fremdes Recht verletzt, ist zum wiedergutmachenden Ausgleich, zur Wiederherstellung der Äquivalenz verpflichtet. Darin liegt ein zentrales Element des Gerechtigkeitsbegriffs: die Gleichheit. Sie kann auf die völkerrechtliche Ebene übertragen werden, ist auch ein zwischenstaatliches Gerechtigkeitsmoment, das im Satz von der souveränen Gleichheit der Staaten genauso zu Tage tritt wie in der Vertragsgerechtigkeit mit ihrem Reziprozitätsprinzip. Die distributive, austeilende Gerechtigkeit setzt demgegenüber die Existenz einer politischen Gemeinschaft voraus. In dieser Gemeinschaft müssen die vorhandenen Güter und Lasten verteilt werden. Die naturrechtliehen Wurzeln solchen Gerechtigkeitsdenkens sind im "ius suum cuique tribuendi"501 deutlich greifbar. In seiner Schrift über "Die Verfassung der Völkerrechtsgemeinschaft" (1926) verortet A. Verdross auch die normative Geltung des positiven Völkerrechts "in dem unmittelbar einsehbaren Gerechtigkeitswerte des ,suum cuique'" und konstatiert, daß ,jene soziale Ordnung als Rechtsordnung anzusprechen ist, die grundsätzlich auf den Gerechtigkeitswert hiri sinnbezogen ist."50 Klassisches Zuordnungssubjekt austeilender Gerechtigkeit ist zumeist der Staat, der die Güterverteilung und Inpflichtnahme des einzelnen willkürfrei und nach rationalen Kriterien zu gewährleisten hat. Das Prinzip der Gleichheit, der Bedürftigkeit, der Grundsatz wohlerworbener Rechte ebenso wie die Achtung von Arbeit und Leistung sind dabei elementare Rationalitätskriterien.503 Doch je weiter die Globalisierung der Märkte und Wirtschaftsräume voranschreitet, je stärker Staatsaufgaben nur noch im überstaatlich-kooperativen Miteinander wahrgenommen werden können, muß auch der Nationalstaat ein Stück seiner "Verteilungsfunktionen" an die internationale Gemeinschaft abgeben. Die globale Dimension der Gerechtigkeit, so A. Denhard, liegt in der "Verteilung von Lebenschancen im Weltmaßstab."504 Es geht um die weltweit angemessene Verteilung von Gütern und Lasten. Dieses Gerechtigkeitsideal kann am effektivsten durch den am Allgemeininteresse der Völkergemeinschaft orientierten

Dazu G. Schwarzenberger, The Frontiers of International Law, 1962, S. 18. S. 3.; vgl. ders., Die Wertgrundlagen des Völkerrechts, in: ArchVR 4 (1953), S. 129 ff., 139: "Auch das Völkerrecht dient also, ebenso wie jede andere Rechtsordnung, der Verwirklichung von bestimmten Werten." Dazu auch U. Fastenrath, Relative Normativity in International Law, in: EJIL 4 (1993), S. 305 ff., 328. 503 B. Rüthers, Rechtstheorie, 1999, R. 352. 504 Dimensionen staatlichen Handelns, 1996, S. l I 9; A. Bleckmann, Zur Wandlung der Strukturen der Völkerrechtsverträge-Theorie des multipolaren Vertrages, in: Archiv des Völkerrechts 34 (1996), S. 218 ff., S. 223 spricht von einem "dem Völkerrecht immanente(n) Ziel der materiellen Gerechtigkeit". 501

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multilateralen Vertrag verfolgt werden. Bilaterale, den Individualinteressen dienende Abkommen, laufen eher Gefahr, es zu verfehlen. 505 Deshalb braucht die Völkerrechtsgemeinschaft eine verfassende Rahmenordung, in der die Güter- und Lastenverteilung nach den Grundsätzen der distributiven Gerechtigkeit erfolgt. Zur Verwirklichung dieser Aufgabe ist es gerechtfertigt, nationale Souveränitätsrechte (z. B. die Währungshoheit, den Beschluß, die Aufhebung und die authentische Interpretation von Gesetzen) einzuschränken und - freilich je nach Sachbereich und Integrationsstand der jeweils übergeordneten Gemeinschaft begrenzt - teilweise auf supranationale (z. B. EU) bzw. internationale Institutionen zu übertragen. 506 Im Rahmen der Gerechtigkeitsdiskussion ist zudem klar erkennbar, daß bei der Verteilung von Gütern und Lasten letztlich immer das Individuum betroffen ist. Die Lebenschancen, von denen Denhard spricht, sind individuelle Lebenschancen. Von mancher Stimme im wissenschaftlichen Schrifttum wird aus dieser Perspektive der Gerechtigkeit jede zwischenstaatliche Dimension abgesprochen: Gerechtigkeit könne nur Einzelpersonen zuteil werden, aber nicht kollektiven Einheiten wie Staaten. Gerechtigkeit zwischen den Staaten sei nur eine Metapher für die Gerechtigkeit oder UnRerechtigkeit, die den von den Staaten repräsentierten Individuen widerfll.hrt. 50 In diesem Sinne muß auch R. Keohane begriffen werden: "States cannot be considered independent subjects of moral theorie; a justification of the morality of states ( ...) must ultimately be made in terms ofthe rights and interests ofhuman beings."508 Auch wenn nach dem oben Gesagten der distributiven Gerechtigkeit nicht jede zwischenstaatliche Dimension abgesprochen werden soll, wird doch deutlich, daß völkerrechtliches Gerechtigkeitsdenken die Mediatisierung des Individuums aufbrechen muß. Die Evolution eines Systems globaler Gerechtigkeit setzt eine Transformation des Völkerrechtssystems voraus: das Primat, die "primacy of (...)global citizenship."509 Hier sprechen Gerechtigkeits- und Menschenrechtstheorie dieselbe Sprache.

505 A. Bleckmann, Zur Wandlung der Strukturen der Völkerrechtsverträge-Theorie des muttipolaren Vertrages, in: Archiv des Völkerrechts 34 (1996), S. 218 ff., 223. 506 Dazu Ch. Covell, Kant, die liberale Theorie der Gerechtigkeit und die Weltordnung, in: Der Staat 37 (1998), S. 361 ff., 377. 507 So Th. Franck, The Power of Legitimacy among Nations, 1990, S. 208, 231. 508 After Hegemony: Cooperation and Discord in the World Political Economy, 1984, S. 249. 509 Th. Franck, The Power of Legitimacy Among Nations, 1990, S. 233.

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b) "Equity" und "Justice" Neben der Gerechtigkeitsorientierung kennt das Völkerrecht auch das Prinzip der Billigkeit, der "Equity".510 Die Billigkeit hat ein außerrechtliches und ein innerrechtliches Element. Ersteres ist gemeint, wenn Art. 38 Abs. 2 des IGH-Statuts dem Gerichtshof einräumt, "mit Zustimmung der Parteien ex aequo et bono" zu entscheiden. Demgegenüber verweist der IGH im oben zitierten Continenta/ Shelf Case darauf, daß die Billigkeit, wie die Gerechtigkeit, den Völkerrechtsnormen immanent ist.SIJ "Equity and Justice", Billigkeit und Gerechtigkeit - wobei Billigkeit ohnehin eine Emanation der Gerechtigkeit ist - haben eine doppelte Dimension: Sie erfüllen eine Komplementärfunktion zum Recht512, sind diesem aber auch immanentes Kriterium und Auslegungsprinzip. Der Aspekt der Auslegung schlägt die Brücke zur Idee der Vertragsgerechtigkeit. c) Der Aspekt der Vertragsgerechtigkeit Vor dem Versuch einer dogmatischen Vertiefung des spezifischen Zusammenhangs von Gerechtigkeit und Menschenrechten ist die Idee der Vertragsgerechtigkeit noch einmal kurz zu beleuchten, wurde sie im Kontext des Vertragsparadigmas doch schon angesprochen. Der gerechte Ausgleich von Leistung und Gegenleistung, das vertragliche Äquivalenzdenken bis hin zur Reziprozität sind ein typisches Moment völkerrechtlichen Gerechtigkeitsdenkens. Nicht zufällig werden zwei wichtige Ausprägungen des Gerechtigkeitspostulats in den Kontext des Völkervertragsrechts gestellt: das Willkürverbot auf der einen, der Vertrauensschutz nach dem Grundsatz der bona jides auf der anderen Seite.513 Das "Sich-Vertragen", das aus dem Vertrag mehr macht als den bloßen Leistungsaustausch, baut aufVertrauen und Willkürfreiheit auf. Völkerrechtliche Vertragsgerechtigkeit läßt sich aber auch noch aus einer anderen Warte beleuchten: aus der Sicht der Vertragstheorien und des modernen, vernunftrechtlichen Ansatzes von J. Rawls. 514 Aus einem fiktiven UrzuDazu A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. 1984, Rn. 658 f. Ebd., Rn. 658. 512 U. Fastenrath, Relative Normativity in International Law, in: EJIL 4 (1993), s. 305 ff., 328. 513 Dazu J. P. Müller, Grundrechte in der Schweiz, 3. Aufl. 1999, S. 467 ff.; vgl. auch J. Carter, The Rule of Law and the State of Human Rights, in: Harvard Human Rights Law Journal, Vol. 4 (1991), S. 1 ff., 1 f. 514 A Theory of Justice, 1973; dazu auch B. Rüthers, Rechtstheorie, 1999, Rn. 382. 510 511

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stand will Rawls anhand der Interessen und Bedürfnisse der Menschen eine vernünftige, eine interessengerechte zukünftige Gesellschafts- bzw. Verfassungsordnung entwickeln. Gerechtigkeitsprinzipien, die den Interessenausgleich anleiten, sind filr ihn letztlich Vertragsgegenstand. Dieses Verständnis läßt sich von der staatlichen auf die überstaatliche Gemeinschaft übertragen. Das Völkerrecht konstituiert sich aus einem fiktiven Vertrag bzw. aus einer Vielzahl tatsächlich greifbarer völkerrechtlicher Verträge, die Gerechtigkeitsprinzipien zum Gegenstand haben. Die internationalen Menschenrechtsabkommen leisten genau diese Gerechtigkeitsorientierung filr die sich verfassende Völkerrechtsgemeinschaft. Der Friedensbund im Sinne Kants ist immer auch ein .. Gerechtigkeitsbund". 3. Der spezifische Zusammenhang von Menschenrechtsschutz und Gerechtigkeit

Die Menschenrechtstexte in den Verfassungen wie in internationalen Verträgen positivieren ein Stück der Gerechtigkeitsidee, sind "Einbruchstellen" philosophischer Konzepte in das positive Recht. 515 Sie rezipieren oft, wenngleich mitunter verdeckt, die Ideen klassischer Denker. Die Verwirklichung der Menschenrechte ist eine Grundbedingung von Gerechtigkeit, greifbar in den Postulaten von gleicher Freiheit und gleicher sozialer Teilhabemöglichkeit.516 Diese Konzeption ist letztlich Konsequenz aus einer Ableitung des allgemeinen Gerechtigkeitsgrundsatzes aus dem Kategorischen Imperativ. Das universale Prinzip der Gerechtigkeit bedeutet filr Kant, daß eine ,jede Handlung recht (ist), die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann." 517 Gerechtigkeit und Freiheit gehören untrennbar zusammen, das Gleichheitsmoment der Gerechtigkeit steckt auch in der Freiheit, will sie gleiche Freiheit fllr jeden sein. Anschaulich spricht P. Kirchhof von einem "Ge-

515 G. Frankenberg, Stichworte zur "Drittwirkung" der Rechtsphilosophie im Verfassungsrecht, in: Rechtsphilosophie ( ... ), S. 105 ff., 110. 516 Siehe W. Brugger, Menschenrechte im modernen Staat, in: AöR 114 (1989), S. 537 ff., 585 ff.; R. Silbermann Abella, From Civil Liberties to Human Rights: Acknowledging the Differences, in: K. E. Mahoney/P. Mahoney (Hrsg.), Human Rights in the Twenty First Centuty: A Global Challenge, 1993, S. 61 ff., 61: "Human rights is about faimess". 517 I. Kant, Metaphysische AnfangsgrUnde der Rechtslehre, Teil I von dems., Die Metaphysik der Sitten, 1797, in: W. Weisehedei (Hrsg.), Werke, Bd. 8, 1956, S. 337. Vgl. dazu auch Ch. Cove/1, Kant, die liberale Theorie der Gerechtigkeit und die Weltordnung, in: Der Staat 37 (1998), S. 361 ff., 363.

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rechtigkeitsprinzip der Freiheit".518 Die Menschenrechte sind konstitutiv ftlr dieses Prinzip. Sie zeichnen ein umfassendes Gerechtigkeitsbild, da sie nicht lediglich als negative Abwehrrechte vor den Eingriffen staatlicher Gewalt schützen, sondern in ihrer institutionellen und objektiv-rechtlichen Dimension allem staatlichen Handeln programmatische Anleitung sind und so reale Freiheit durch Orientierung an materieller Gerechtigkeit sichern können. 519 Darüber hinaus ist die Gerechtigkeitsbindung ein Element der Universalität der Menschenrechte und ein Mittel ihrer Implementierung in die nationalen Rechtsordnungen. Diese Brückenfunktion läßt sich wie folgt verdeutlichen: Die materielle Gerechtigkeit konstituiert zusammen mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit im Wesentlichen den Typus Rechtsstaat, den Typus Verfassungsstaat Kaum eine Rechtsordnung wird behaupten, nicht im Prinzip der materiellen Gerechtigkeit zu gründen. Die Achtung der völkerrechtlich anerkannten Menschenrechte ist aber ein Gebot der materiellen Gerechtigkeit, auf das alle staatliche Gewalt letztlich verpflichtet ist.520 Die materielle Gerechtigkeit ist ein maßgeblicher Teil jenes übergesetzlichen Rechts, das im Sinne der Radbruchsehen Formel dem gesetzlichen Unrecht zu weichen hat. 521 Sie wird so zum Transmissionsriemen ftlr die überstaatlichen Menschenrechte. Über die Idee der Gerechtigkeit ist auch der Staat, der keinen expliziten Grund- oder Menschenrechtskatalog kennt oder über Öffnungsklauseln in seiner Verfassung die internationalen Menschenrechte rezipiert, innerstaatlich, nicht nur völkerrechtlich an die elementaren Rechte und Freiheiten des Menschen gebunden. Die Gerechtigkeitsidee integriert sie in die staatliche Rechtsordnung und relativiert so das starre Schema von Innen und Außen, das dem kooperativ verflochtenen (Verfassungs-)Staat ohnehin nicht mehr gerecht wird. 522 Inwieweit die Gerechtigkeit Voraussetzung ftlr eine stabile Friedensordnung ist, inwieweit Menschenrechte, Gerechtigkeit und Frieden in ihren freiheitssichernden und ,. daseinsvorsorgenden" Funktionen miteinander verknüpft sind, gilt es im folgenden Abschnitt zu vertiefen. 518 P. Kirchhof, Der Staat als Organisationsfonn politischer Herrschaft und rechtlicher Bindung, DVBI. 1999, S. 637 ff., 650. 519 Dazu Ph. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 335 ff. 520 Aus Sicht des deutschen GG so explizit BVerfGE 99, 96 (133)- Mauerschützen; vgl. dazu E. Denninger, Die Wirksamkeit der Menschenrechte in der deutschen Verfassungsrechtsprechung, JZ 1998, S. 1129 ff., 1133. 521 G. Radbruch, Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht, in: SJZ 1946, S. 105 ff.; zur Radbruchsehen Fonnel im Spiegel der Judikatur des BVerfG vgl. E 3, 225 (232 f.); 6, 132 (198 f.); 6, 389 (414 f.), zuletzt E 99,96 (134 f.). 522 P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 197, 211 und passim.

ts•

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111. Frieden und Menschenrechte /.Der Friedensbegriff

Die Friedenssicherung durch ein Bündel von Regelungsinstrumentarien zur friedlichen Streitbeilegung ist die zentrale Hauptaufgabe der Vereinten Nationen. Art. 1 Nr. 1 SVN formuliert programmatisch die Ziele der Weltorganisation und fordert, "den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren und zu diesem Zwecke wirksame Kollektivmaßnahmen zu treffen, um Bedrohungen des Friedens zu verhüten und zu beseitigen, Angriffshandlungen und andere Friedensbrüche zu unterdrUcken und internationale Streitigkeiten oder Situationen, die zu einem Friedensbruch fUhren könnten, durch friedliche Mittel nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts zu bereinigen oder beizulegen."523 Eine solche grundsätzliche Ausrichtung auf den Frieden hin ist nichts anderes als die klassische Hauptaufgabe jeder Rechtsordnung. Sie soll menschliches Zusammenleben ermöglichen und deshalb friedliches Miteinander innerhalb der jeweils relevanten politischen Gemeinschaft garantieren. Die weitere begriffliche Annäherung an den völkerrechtlichen Friedensbegriff muß von zwei wesentlichen Differenzierungen ausgehen: der Unterscheidung von positivem und negativem, von innerem und äußerem Frieden. Negativer Friede meint rein formal "kein Krieg", die aktuelle Abwesenheit von militärischer Gewalt. Der positive Frieden hingegen ist ein materialer, sehr viel umfassenderer und vielschichtigerer Begriff, der sich kaum auf eine verbindliche Defmition festlegen, sondern eher von seiner immanenten Teleologie her umschreiben läßt. Er verweist nach außen auf eine evolutive Entwicklung der internationalen Beziehungen, nach innen auf einen gesamtgesellschaftlichen Zustand, in dem all diejenigen Gründe von vornherein abgebaut werden sollen, die potentiell zu kriegerischen Auseinandersetzungen und sonstigen Formen von Gewaltanwendung fUhren könnten. 524 Damit ist ein weites Feld abgesteckt. Es reicht von der Entwicklung freundschaftlicher Beziehungen zwischen den Staaten bis hin zu Abrüstung, Dekolonialisierung, Minderheitenschutz und nachhaltiger wirtschaftlicher Entwicklung525, fordert innerstaatlich 523

Aus der Lit. der Gründerjahre vgl. G. Schwarzenberger, Machtpolitik, 1955,

s. 263 ff.

524 S. dazu R. Wolfrum, Art. I SVN Rn. 5, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, 1991; kritisch A. Randelzhofer, Der normative Gehalt des Friedensbegriffs im Völkerrecht der Gegenwart, in: J. Delbrück (Hrsg.), Völkerrecht und Kriegsverhütung, 1979, S. 13 ff., 15 ff. 525 Dazu R. Streinz, Auswirkungen des Rechts auf "Sustainable Development" Stütze oder Hemmschuh?, in: Die Verwaltung 31 (1998), S. 449 ff.

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soziale Stabilität, effektiven Rechtsschutz als Gegengewicht zum staatlichen Gewaltmonopol, ein Mindestmaß an Rechtssicherheit und, alles umgreifend, eine hinreichend gesicherte Freiheitssphäre ftlr den einzelnen. Der positive Friede umreißt die Gesamtheit einer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Infrastruktur526, ist Kulturbegriff und Kulturzustand. Die UN-Charta geht, beginnend mit Art. I Ziff. I und 2, von einem solchen positiven Friedensbegriff aus. Dem steht nicht entgegen, daß Kapitel 7 restriktiver angelegt ist und Frieden negativ als Abwesenheit von organisierter zwischenstaatlicher Gewaltanwendung versteht. 527 Jede Erweiterung ließe im systematischen Regelungszusammenhang aus Kapitel VII der Charta die Konturen zur Feststellung des Friedensbruchs verschwimmen. Doch zeigt die ausdrückliche Einbeziehung der Friedensbedrohung, daß Art. 39 SVN zeitlich lange vor dem Friedensbruch greifen kann und ein positiver Friedensbegriff schon mitangelegt ist.528 Auch das Gewaltverbot aus Art. 2 Ziff. 4 SVN, ohne Zweifel der Eckpunkt völkerrechtlicher Friedenssicherung, verweist auf die Bedeutung des negativen Friedensbegriffs ftlr die Völkerrechtsordnung.529 Aber so wie in einer Verfassung ein und derselbe Begriffe bei unterschiedlichem Kontext bzw. systematischem Zusammenhang in seinem Bedeutungsinhalt variieren kann, so muß der negative um den positiven Friedensbegriff ergänzt und der sich verfassenden Völkergemeinschaft, die immer auch Entwicklungsgemeinschaft ist, als Leitbild und Zielorientierung vorgegeben werden. Wie bereits angeklungen, beinhaltet positiver Frieden immer auch Entwicklung, ist ein Entwicklungsbegriff. So wie die Verfassung einer politischen Gemeinschaft ist auch der Frieden kein abgeschlossener Zustand, sondern ein dynamischer Prozeß, dem es im Sinne der Poppersehen Stückwerktechnik um die immer neue Schaffung einer gerechteren politischen, ökonomischen und ökologischen Weltordnung geht. 530 Wenngleich ein theologisches Friedenskon-

526 A.

Verdross/B.. Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. 1984, S. 81 f. Frowein, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, 1991, Art. 39, Rn. 6; Ch. Tomuschat, Die internationale Gemeinschaft, in: Archiv des Völkerrechts 33 (1995), S. 1 ff., 12. Allgemein zum neagtiven Friedensbegriff des klassischen Völkerrechts G. Schwarzenberger, Über die Machtpolitik hinaus?, 1968, S. 45 f. 528 J. Frowein, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, 1991, Art. 39 SVN Rn. 6; A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. 1984, S. 144. 529 A. Randelzhofor, Der nonnative Gehalt des Friedensbegriffs im Völkerrecht der Gegenwart, in: J. Delbrück (Hrsg.), Völkerrecht und Kriegsverhütung, 1979, S. 13 ff., 22 ff. 530 Zur Vorstellung vom Frieden als Prozeß siehe ebd., S. 18 m. w. N. aus der Lit. der Friedensforschung. 527 J.

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zept als Fundament einer multireligiösen Weltgemeinschaft nicht taugt, sei ftlr die Entwicklungsdimension auf die Konzilskonstitution "Gaudium et spes", Nr. 83, der katholischen Kirche verwiesen. Dieser Text beruht weniger auf einer religiös, gar konfessionell gebundenen Offenbarungswahrheit, sondern erhebt vielmehr Menschenwürde und Menschenrechte zur Grundlage einer positiven Friedensordnung: "Um den Frieden aufzubauen, müssen vor allem die Ursachen der Zwietracht in der Welt, die zum Kriege fUhren, beseitigt werden, an erster Stelle die Ungerechtigkeiten. Nicht wenige entspringen allzu großen wirtschaftlichen Ungleichheiten oder auch der Verzögerung der notwendigen Hilfe. Andere entstehen aus Herrschsucht und der Mißachtung der MenschenwUrde ( ... )". 531

Der Entwicklungsaspekt des positiven Friedens wird ergänzt um den Gedanken der Toleranz.532 Auch das Toleranzgebot beinhaltet etwas Prozeßhaftes, um Toleranz muß in kritischem Diskurs und offener Kommunikation beständig gerungen werden. 533 Die täglich neue Achtung des Anderen und Andersdenkenden ist die unabdingbare Voraussetzung, um den Frieden in den zwischenstaatlichen Beziehungen und im Inneren eines Staates, einer Gesellschaft zu sichern.534 Damit ist die Brücke vom äußeren zum inneren Frieden geschlagen. Für das Völkerrecht geht es typischerweise um die internationale Sicherheit, den Weltfrieden, die äußere Dimension. Die UN-Charta, die Friend/y Relations Dec/aration und andere völkerrechtliche Verträge, die den Frieden zum Thema haben, sind daraufhin ausgerichtet. Doch wo Menschenrechtsabkommen vom Frieden sprechen, muß die innere, innerstaatliche Seite immer mitgedacht werden.535 Die Menschenrechte sind konstitutiv ftlr eine nationale wie internationale Friedensordnung, die die Horizonte der sozialen Gerechtigkeit, der Freiheitssicherung, der Selbstbestimmung des Menschen, der Solidarität und der 531 Zitiert nach H. de Riedmatten, Die Völkergemeinschaft, 1969, S. 99. Dazu ebd. S. 18 ff. Der Friedensbegriff darf, wie ausgefilhrt, nicht aus Sicht einer speziellen Religion verortet werden, aber die Friedenskonzeption der katholischen Kirche hat die völkerrechtliche Rezeption eines positiven Friedensbegriffs durchaus beeinflußt, vgl. J. Eppstein, The Catholic Tradition ofthe Law ofNations, 1935, S. 3 ff., 223 ff. 532 Klassikertext zum Toleranzgedanken ist vor allem J. Locke, Ein Brief über Toleranz (z.B. in der Ausgabe von Meiner, 2. Aufl., 1966). Unter dem Titel "Gründe filr die Toleranz" deutet N. Bobbio, Das Zeitalter der Menschenrechte, 1998, S. 85 ff., 87 f., den Toleranzbegriff als einen "Diskurs über Wahrheit und theoretische wie praktische Kompatibilität verschiedener, auch gegensätzlicher Wahrheiten." m S. ebd.: Der Diskurs ist prozeßhaft gedacht und beinhaltet Kommunikation, er ist ein Kommunikationsprozeß. 534 Dazu E. Benda, Frieden und Verfassung, in: AöR 109 (1984), S. I ff., 3. 535 Siehe A. Randelzhofer, Der normative Gehalt des Friedensbegriffs im Völkerrecht der Gegenwart, in: I. Delbrück (Hrsg.), Völkerrecht und KriegsverhUtung, 1979, s. 13 ff., 28.

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nachhaltigen Entwicklung einschließt.536 Beide Dimensionen des Friedens hängen voneinander ab, sind miteinander verknüpft. Der Verfassungsstaat muß die Friedenssicherungspflichten übernehmen, die die internationale Gemeinschaft an ihn heranträgt. Das fängt schon im Bereich der Erziehung zur Toleranz und Völkerverständigung an, betriffi die staatlichen Institutionen ebenso wie die Gestaltung der staatlichen Rechts- und Verfassungsordnung. Vor diesem Hintergrund gilt es, den normativen Gehalt des völkerrechtlichen Friedensbegriffs und den spezifischen Zusammenhang von Frieden und Menschenrechtssicherung zu erschließen.

2. Die normative Dimension des Friedensbegriffs Die begriffliche Klärung hat gezeigt, daß das Völkerrecht je nach systematischem Zusammenhang einmal stärker von einem negativen, dann wieder von einem positiven Friedensbegriff ausgeht. Die Zuordnung der beiden Kategorien läßt sich nicht mit einem einfachen Schema der Vorrangigkeit/Nachrangigkeit beschreiben537, sondern vielmehr einem System gestufter Normativität gleichsetzten. Art. 2 Ziff. 4 SVN verankert mit dem Gewaltverbot den negativen Friedensbegriff und enthält eindeutig eine normativ verbindliche Regelung, die das entscheidende Kriterium ftlr alle übrigen Instrumente des Systems kollektiver Sicherheit ist. 538 Der positive Frieden fmdet seine normative Grundlage in der Präambel, in Art. 1 Ziff. 1 und 3, Art. 13 und Art. 55 SVN, darüber hinaus weitere Konkretisierungen in zahlreichen multilateralen Verträgen bzw. Vertragsentwürfen und im "soft law" von Resolutionen der Generalversammlung oder anderer Organe der Vereinten Nationen. 539 Dieser positive Friedensbegriff enthält keinen eindeutigen Rechtsanwendungsbefehl, sondern ist Orientierungswert fllr das politische Handeln der Unterzeichnerstaaten und Zielbestimmung ihrer Staatlichkeit. Er ergänzt von Seiten des Völkerrechts das

536 Dazu R. Streinz, Auswirkungen des Rechts auf "Sustainable Development" Stütze oder Hemmschuh?, in: Die Verwaltung 31 (1998), S. 449 ff., 458 ff. 537 Anderer Ansicht A. Randelzhofer, Der normative Gehalt des Friedensbegriffs im Völkerrecht der Gegenwart, in: J. Delbrück (Hrsg.), Völkerrecht und Kriegsverhütung, 1979, S. l3 ff., S. 34, der feststellt: "Der ewige Friede kann nur der negative Friede sein." 538 Vgl. D. Blumenwitz, Souveränität- Gewaltverbot- Menschenrechte, in: Politische Studien, Sonderheft 4/1999, S. 19 ff., 20 ff.; A. Randelzhofer, Der normative Gehalt des Friedensbegriffs im Völkerrecht der Gegenwart, in: J. Delbrück (Hrsg.), Völkerrecht und Kriegsverhütung, 1979, S. l3 ff. 36. 539 Vgl. ebd., S. l3 ff., S. 36.

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Staatsziel der "Friedensstaatlichkeit"540 und erfüllt eine Komplementärfunktion zu den entsprechenden Normensembles in nationalen Verfassungen. Die Wahrung des inneren und äußeren Friedens ist seitjeher klassischer Gegenstand der Staatsaufgabenlehre und existentielle Sinnbestimmung des Staates schlechthin. 541 Klassikertexte von I. Kants in der vorliegenden Arbeit schon vielfach zitiertem Traktat "Zum ewigen Frieden"542 bis in die staats- und völkerrechtliche Literatur der Gegenwart bestätigen diesen Befund. Statt aller sei hier ein Dictum von U Scheuner angefilhrt: "Die Staatstheorie hat doch zu allen Zeiten, wenn auch unter wechselnden Namen, polis, res publica, regnum, civitas, statusdoch immer das gleiche vor Augen gehabt, die politische Einheit, in der dem Menschen Ordnung und Frieden gewährleistet wird."543

Der Staat ist dabei nicht etwas Vorfindliches, naturhaft Vorgegebenes, das sich der Friedenssicherungspflicht nur noch stellen müßte. Er wird erst zum Staat, da die verfaßte Gemeinschaft in täglichem Plebiszit um politische Einheit und Frieden ringt. Der Staat existiert gerade als Resultat der Aufgabe, den Frieden zu sichern. Die originäre Leistung der Friedensstiftung liegt insoweit bei der Bürgergesellschaft, indem sie sich als Friedensgemeinschaft verfaßt, so den Staat konstituiert und ihm damit die Verpflichtung zur weiter~ehenden Gewährleistung des Friedens im inneren wie im äußeren überträgt. 54 Für das prozeßhafte Sich-Verfassen geben die völkerrechtlichen Texte zum positiven Frieden der staatlichen Gemeinschaft Aufgaben vor: den Ausschluß des Krieges als Mittel der Politik, die Förderung von Systemen kollektiver Sicherheit, die Völkerrechtsfreundlichkeit, die Kooperationsoffenheit und Integrationsfreundlichkeit gegenüber internationalen und regionalen Verantwortungsge-

K.-P. Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, 1997, S. 237 ff. Dazu W Pauly, Die Identifizierbarkeit des Staates in den Sozialwissenschaften, ARSP 85 (1999), S. 112 ff., 120; vgl. auch R. Streinz, Auswirkungen des Rechts auf "Sustainable Development"- StUtze oder Hemmschuh?, in: Die Verwaltung 31 (1998), s. 449 ff., 458. 542 /. Kant, Zum ewigen Frieden, hrsgg. von 0. Höffe, 1995; dazu auch J Ebbinghaus, Der Völkerfriede als Möglichkeit, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 2, 1988, s. ll ff. 543 Der Bereich der Regierung, in: FS Smend, 1962, S. 252. 544 Zu diesem Staatsverständnis K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1995 (Neudruck 1999), Rn. 11; P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 663 f.; H. Buchheim, Wie der Staat existiert, in: Der Staat 27 (1988), S. I ff., 2. 540 541

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meinschaften, die Pflicht zu internationaler Solidarität und Entwicklungshilfe, schließlich die Menschenrechtsfreundlichkeit545 Diese Dimensionen der Friedensstaatlichkeit im Sinne einer Staatszielbestimmung filr den nationalen Verfassungsstaat und eines Orientierungswertes filr die internationale Gemeinschaft greift die Präambel des IPbürgR auf. Sie entfaltet keine darüber hinausgehende normative Wirkung und bietet auch keine positiv-rechtliche Grundlage filr ein "Menschenrecht auf Frieden". Die Friedensklausel in der Präambel fordert vielmehr dazu auf, den negativen wie den positiven Frieden in all seinen Ausprägungsformen bei der Vertragsinterpretation zu berücksichtigen. Ergänzend wendet sie sich an jeden einzelnen Vertragsstaat Hat er sich verpflichtet, die Menschenrechte zu fördern, ist er auch auf das Staatsziel "Friedensstaatlichkeit" festgelegt, denn die fundamentalen Rechte und Freiheiten des Individuums sind Voraussetzungen und zugleich konstitutive Bauelemente jeder Friedensordnung. 3. Der spezifische Zusammenhang von Frieden und Menschenrechtssicherung

Die Vereinten Nationen starteten zum 1. Januar 2000 ein "Internationales Jahr filr eine Kultur des Friedens". Vielfältige Ausstellungen, Konferenzen und Unterrichtsprojekte an Schulen sollen weltweit die Prinzipien von Gewaltlosigkeit und Toleranz, den Dialog zwischen den Kulturen und die Achtung der Menschenrechte vorantreiben. 546 Das gewählte Leitthema darf dabei nicht voreilig als vollmundige Symbolpolitik abgetan werden, sondern erhebt durchaus einen tieferen programmatischen Anspruch. Wo immer von einer "Kultur des Friedens" die Rede ist, wird zweierlei deutlich. Zum einen ist Friedenssicherung nicht nur eine politische, sondern eine kulturell geprägte Aufgabe. Zum anderen setzt die zwischen- wie die innerstaatliche Friedensordnung einen Kulturzustand voraus, in dem (reale) Freiheit, Toleranz und Chancengleichheit durch unverbrüchliche Menschenrechte gesichert sind. Dieser spezifische Zusammenhang von Menschenrechten und Frieden kommt in den verschiedensten völkerrechtlichen Vertrags- und nationalen Verfassungstexten zum Ausdruck.

545 Diese einzelnen Elemente der "Friedensstaatlichkeit" entwickelt K.-P. Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, 1997, S. 239 ff. 546 SZ vom 29. 12. 1999, S. 7.

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a) Völkerrechtliche Vertragstexte Das klassisches Thema von Frieden und Sicherheit nach außen bedarf eines korrespondierenden Konzepts: der sozialen Sicherheit und einer Stärkung der Entfaltungschancen des einzelnen im Inneren.s47 So ist es nur folgerichtig, daß die Idee der Menschenrechte im Völkerrecht schon lange vor ihrer Kodifizierung in universellen Menschenrechtspakten dort präsent war und ist, wo um Friedensregelungen gerungen wird - in den Friedensverträgen.s•s Erste Anklänge bzw. Vorformen des Menschenrechtsschutzes lassen sich in dem Vertragswerk finden, das den Anfang der klassischen Völkerrechtsepoche markiert. Im Westfälischen Frieden von 1648 wurden die Schutzbestimmungen zugunsten religiöser Minderheiten als unabdin~bare Voraussetzungen einer stabilen europäischen Friedensordnung erkannt.s 9 Im 18. Jh. fmden sich dann immer häufiger ähnliche Garantien der Religionsfreiheit, im 19. Jahrhundert ergänzt um den Schutz wohlerworbener Rechte bei Gebietsabtretungen. 550 Markiert das Ende des Ersten Weltkrieges den Übergang von der klassischen hin zur modernen Epoche des Völkerrechts, so widerspiegelt sich der tiefgreifende Wandlungsprozeß auch in der immer nachhaltigeren Betonung der Menschenrechte als konstitutiver Elemente einer internationalen Friedensordnung. Noch allzu schwach sind sie in den Verträgen nach 1918 und dem Völkerbundskonzept ausgeprägt, sehr viel stärker unter dem Regime der Vereinten Nationen nach 1945.sst Hier wird immer deutlicher, wie die friedenssichemde bzw. "friedensstiftende Wirkung" der Menschenrechte zu begreifen ist.552 Die UN-Charta bezeichnet in ihrer Präambel und in ihrem Art. I explizit die Zielsetzungen, welche die in der Weltvereinigung zusammengeschlossenen Staaten als verbindliche Richtschnur ihres individuellen und kollektiven Handeins anerkannt haben. Erstes Ziel gern. Präambel Passus 1 in Verbindung mit Czempie/, Weltpolitik im Umbruch, 1991, S. 104. Zur Berücksichtigung der Menschenrechtsfrage in Friedensverträgen vgl. die Darstellung bei 0 . Kimminich, Die Menschenrechte in der Friedensregelung nach dem Zweiten Weltkrieg, 1990, S. 15 ff. 549 Ebd., S. 15. 550 0 . Kimminich, Die Menschenrechte in der Friedensregelung nach dem Zweiten Weltkrieg, 1990, S. 17 f. 551 FUr eine ausfllhrliche Darstellung sei abermals auf 0. Kimminich, Die Menschenrechte in der Friedensregelung nach dem Zweiten Weltkrieg, Berlin 1990, S. 18 ff., 36 ff., 61 ff. verwiesen. 552 Vgl. R. L. Bindsched/er, Der Schutz der Menschenrechte und das Verbot der Einmischung, in: FS H.-J. Schlochauer, 1981 , S. 179 ff., 188; K. Löw, Die Achtung der Menschenrechte - Eine Garantie des Weltfriedens?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 19/86, S. 43. 547 E.-0. 548

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Art. 1 Nr. I SVN ist die Wahrung des Weltfriedens. Zugleich gehört zu den wichtigsten Mitteln der Friedenssicherung die Achtung vor Würde und Wert der menschlichen Person (2. Präambelpassus SVN). Hinter dieser Verknüpfung steht die Erkenntnis, daß ein dauerhafter Friede nur dort möglich ist, wo die fundamentalen Menschenrechte geachtet werden. Die andernfalls auftretenden Spannungen begünstigen einen Zustand der gesellschaftlichen Instabilität und können schließlich bis zum gewaltsamen Widerstand gegen die staatliche Autorität fUhren. So ist zunächst der innere, dann auch der äußere Frieden bedroht.553 Art. 55 SVN präzisiert: "Um jenen Zustand der Stabilität und der Wohlfahrt herbeizufllhren, der erforderlich ist, damit zwischen den Nationen friedliche und freundschaftliche( ... ) Beziehungen herrschen, fördern die Vereinten Nationen ( ...) die allgemeine Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten fllr alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion".

Von einem ganz ähnlichen Verständnis zeugt die Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, deren Programm später nicht nur von den internationalen Menschenrechtsverträgen, sondern auch von nationalen Verfassungen rezipiert wurde: "Da die Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Familie innewohnenden Würde und ihrer gleichen und unveräußerlichen Rechte die Grundlage der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens in der Welt bildet,(...)". Das Gedankengut lebt auch fort in der Präambel der Friendly Relations Declaration, die abschließend zitiert sei: "im Bewußtsein der Bedeutung der Wahrung und Festigung des Weltfriedens auf der Grundlage der Freiheit, der Gleichheit, der Gerechtigkeit und der Achtung der Grundrechte des Menschen". All diese Beispiele belegen: Die Friedenssicherung und der Menschenrechtsschutz sind die beiden einander bedingenden und zugleich voraussetzenden Hauptanliegen einer modernen Völkerrechtsordnung.ss4 b) Nationale Verfassungstexte Entwickeln die völkerrechtlichen Vertragstexte den Zusammenhang zwischen Menschenrechten und Friedenssicherung von der internationalen Ebene her, so ergänzen die stets mitzulesenden Verfassungstexte das Bild aus nationalstaatlicher Perspektive. Hier eine fragmentarische Auswahl besonders signifikanter Textbeispiele. Grundlegend und von großer Ausstrahlungswirkung ist m Vgl. A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. 1984, S. 73. S. H. Wilms, Der Kosovo-Einsatz und das Völkerrecht, in: ZRP 1999, S. 227 ff., 228. 554

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Art. 1 Abs. 2 GG: "Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt." 555 Die sprachlich bewußt an den Präambelstil angelehnte Klausel ist ein Novum in der deutschen Verfassungsgeschichte, eine Antwort des Verfassunggebers auf I. Kants Idee von der Assoziation freier Republiken. 556 In den Menschenrechten grUndend, öffuet die Trias "Gemeinschaft", "Frieden" und "Gerechtigkeit" den nationalen Verfassungsstaat nach außen und verpflichtet ihn, in der globalen Verantwortungsgemeinschaft seinen Beitrag ftlr Frieden und Menschenrechte zu leisten. Die japanische Verfassung, vor demselben historischen Hintergrund erwachsen wie das deutsche Grundgesetz, schlägt in ihrer Präambel ebenfalls die BrUcke zwischen "friedvoller Zusammenarbeit" und, ganz in der klassischamerikanischen Terminologie, den "Segnungen der Freiheit": "We, the Japanese people, ( ... ) determined that weshall secure for ourselves and our posterity the fruits of peaceful cooperation with all nations and the blessings of liberty throughout the land"557.

Für die Reformstaaten Osteuropas sei zunächst die Verfassung der Republik Estland (1992) angeftlhrt. In ihrer Präambel heißt es:"(...) develop a state ( ... ) which shall serve to protect intemal and extemal peace and provide security for the social progress and the general benefit ofpresent and future generations."558 Der innere und äußere Friede steht nicht zufällig im Kontext des Gemeinwohldenkensund des sozialen Leistungsstaates. Frieden und Menschenrechte gehören nicht nur bei der Freiheitssicherung, sondern auch der Daseinsvorsorge für gegenwärtige und zukünftige Generationen zusammen. Den Aspekt der Kooperation im Dienste des "bonum commune humanitatis" greift die Präambel der Verfassung Polens (1997) auf: "Aware of the need for cooperation with all countries for the Good of the Human Family". All diese Texte variieren das Thema Frieden und Menschenrechte mit unterschiedlicher Akzentuierung. Sie charakterisieren einmal stärker die Friedensordnung als Freiheitsordnung, ein andermal betonen sie die soziale Stabilität, Wohlstand und gerechte Entwicklungschancen. Immer aber ist eine "Kultur des Friedens" abhängig von einer "Kultur der Menschenrechte".

555 Dazu H. Hofmann, Geschichtlichkeit und Universalitätsanspruch des Rechtsstaates, in: Der Staat 34 (1995), S. I ff., 13 f. 556 H. Dreier, Art. l li, Rn. l, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. I, 1996. 557 Zit. nach Flanz (Hrsg.), The Constitutions ofthe Countries ofthe World, Bd. IX. 558 Zit. nach JöR 43 (1995), S. 306 ff., 306.

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c) Die friedenssichemde Funktion der Menschenrechte Anband der exemplarisch herausgegriffenen völker- und verfassungsrechtlichen Texte läßt sich die friedenssichemde Funktion der Menschenrechte deutlich herausarbeiten. Gemeint ist damit nicht etwa ein ohnehin kaum durchsetzbares "Recht auf Frieden"559• Dieses wäre, ähnlich wie das Recht auf Entwicklung, ein compositum mixtum, das beginnend mit dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit bis hin zur Eigentumsgarantie und den politischen Freiheitsrechten nahezu alle denkbaren Menschenrechte umfassen könnte. Unklar bliebe auch, wer Träger eines solchen Rechts sein könnte: die gefährdeten Individuen, Minderheiten, Völker oder Staaten? Die Menschenrechte sind vielmehr umgekehrt die Prämissen einer Friedensordnung und hängen zugleich von ihr ab. 560 Ihre konstitutive Funktion für die Friedenssicherung wird vor allem in drei, den inneren wie äußeren Frieden umfassenden Teilbereichen sichtbar: Die Menschenrechte stehen einem freien Recht zum Kriege entgegen, sie dienen insbesondere durch den Schutz religiöser, ethnischer oder sprachlicher Minderheiten der Konfliktvermeidung und sind in ihrer leistungsrechtlichen Dimension Garanten des sozialen Friedens. aa) Menschenrechte und das ius ad bel/um

Die Menschenrechte entfalten ihre Wirkung schon im Grundsätzlichen, bei der Frage nämlich, inwieweit sich der souveräne Staat zum Herrn über Krieg und Frieden machen darf. Bis in die Völkerbundsepoche hinein galt ein "liberum ius ad bellum". Keine Norm des internationalen Rechts verbot dem souveränen Staat, Kriege zu flihren. 561 Wo aber der Staat die Menschenwürde und alle daraus abgeleiteten Rechte als Prämisse seiner Legitimität anerkennt, ist seine Macht Einschränkungen unterworfen und seine Souveränität relativiert. Er kann nicht mehr ungebunden darüber entscheiden, ob der Krieg letztes Mittel seiner Politik sein soll, denn sein gesamtes Handeln muß sich an der Würde des Menschen orientieren. Die Souveränität des Staates findet hier ihre 559 Dazu K. J. Partsch, Menschenrechte und "Rechte der Völker", in: VN 1986, S. 153 ff., 155, 157; E. Riede/, Menschenrechte der dritten Dimension, in: EuGRZ 1989, S. 9 ff., 16 f.; M. Y. A. Zieck, The Concept of "Generations" of Human Rights and the Right to Benefit from the Common Heritage of Mankind with Reference to Extraterrestrial Realms, VRÜ 25 (1992), S. 161 ff., 169 f. 560 Vgl. W Schreckenberger, Der moderne Verfassungsstaat und die Idee der Weltgemeinschaft, in: Der Staat 34 (1995), S. 503 ff., 511 f. 561 Dazu siehe D. Blumenwitz, Souveränität - Gewaltverbot - Menschenrechte, in: Politische Studien, Sonderheft 4/1999, S. 19 ff., 21.

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Grenzen, das Gewaltverbot der UN-Charta zugleich seine menschenrechtliche Absicherung. bb) Konfliktvermeidung durch Minderheitenschutz

Daneben dienen Menschenrechte, die nicht nur dem einzelnen, sondern auch bestimmten Gruppen und vor allem Minderheiten Schutzanspruch verleihen, der Konfliktvermeidung im Sozialgeftlge einer politischen Gemeinschaft. Eines der wichtigsten Beispiele gibt die Religionsfreiheit. 562 Divergierende Glaubensüberzeugungen, kollektiv bzw. korporativ wie individuell gelebt, waren in der Geschichte immer wieder Grund ft1r religiös motivierte Kriege. Das tolerante Nebeneinander unterschiedlicher Religionen und Konfessionen ist Leitbild einer stabilen Friedensordnung nach innen wie außen. Neben der individuellen Freiheit des einzelnen spielt auch der Schutz religiöser Minderheiten eine ausschlaggebende Rolle und übernimmt eine Vorbildfunktion ftlr andere, vor allem ethnische Minderheiten. Werden deren Rechte und deren kulturelle Identitäten nicht beachtet, sind sie durch das Bestreben, eine einheitliche Staatsbevölkerung, gar ein homogenes Staatsvolk im Sinne C. Schmitts zu formen, einem ständigen Assimilationsdruck ausgesetzt, so liegen hierin große Konfli~otentiale ftlr das innerstaatliche wie zwischenstaatliche Zusammenleben. 63 Solche Spannungen können nicht nur zu einer Gefilhrdung des inneren Friedens, sondern bis hin zum internationalen bewaffneten Konflikt ftlhren. Die kriegerischen Auseinandersetzungen auf dem Balkan, insbesondere der Kosovo-Krieg, die Kurdenfrage innerhalb der Türkei und ähnliche Krisenherde sind Belege der friedensgefilhrdenden Dimension ungelöster Minderheitenfragen. Vertreibungsdruck und Flüchtlingsströme564 destabilisieren zunächst die unmittelbaren Grenznachbam, dann die Staatengemeinschaft als solche. Zu nennen sind aber auch die Minderheitenprobleme, die im Zuge weltweiter Entkolonialisierung entstanden sind, die Volksgruppenprobleme in der Russischen Föderation und den übrigen Nachfolgestaaten der Sowjetunion und die westeuropäischen Problemzonen vom Baskenland bis nach Irland, von Südtirol bis Korsika. Die Europäische Union, die ihr vielfältiges kulturelles Erbe auf Grundlage des Subsidiaritätsprinzips zu wahren sucht und den Min-

562 Zur Ideengeschichte M Mor/ok, in: H. Dreier (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. I, 1996, Art. 4, Rn. 1-12; zur Religionsfreiheit als "Funktionsvoraussetzung einer freiheitlichen Demokratie" ebd., Rn. 25. 563 Ebd. 564 Dazu 0. Kimminich, Die Menschenrechte in der Friedensregelung nach dem Zweiten Weltkrieg, 1990, S. 63 f.

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derheitenschutz als integralen Bestandteil eines Systems zum Schutz der Menschen- und Bürgerrechte fordert, weiß um die gemeinschaftsbildende und stabilitätssichernde Rolle dieser Rechte. Ergänzend zu der schon genannten Religionsfreiheit, die neben der individuellen Freiheit wenigsten mittelbar auch kollektiv die Wahrung kultureller Identität sichert, sind gruppenspezifische Rechte, wie sie Art. 27 IPbürgR formuliert, der allgemeine Gleichheitssatz und ein umfassendes Diskriminierungsverbot die wichtigsten Verbürgungen fUr Minderheiten. 565 Die multikulturelle, in Sachen Sprachenfreiheit und Minderheitenschutz vorbildliche Schweiz, kann hier manchen Anstoß vermitteln und ist praktizierter Beweis daftlr, welch ausschlaggebende Bedeutung der politischen wie rechtlichen Integration von Minderheiten ftlr das friedliche Miteinander zukommt. 566 cc) Sicherung des sozialen Friedens

Die Menschenrechte wirken aber auch von der leistungsrechtlichen Seite her stabilitätssichernd und können so soziale Konfliktpotentiale zu verhindern helfen. Das gilt wiederum nicht nur ftlr die innerstaatliche, sondern auch die internationale Ebene. Im nationalen Verfassungsstaat sind verschiedene, miteinander verschränkte Sicherungsmechanismen denkbar: Kataloge sozialer Grundrechte, Sozialstaatsklauseln und der gesamte Bereich des Wirtschaftsverfassungsrechts mit Regelungen ftlr Stabilität und das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht bis hin zu Grenzen der Staatsverschuldung im Interesse künftiger Generationen. International nehmen die Menschenrechte die Staaten in globale Verantwortung ftlr weltweiten Wohlstand und weltweite Entwicklung. Eindrucksvoll in einen Text umgesetzt hat diesen Bedingungszusammenhang Grundsatz 25 der "Erklärung von Rio zu Umwelt und Entwicklung" (RioDeklaration) vom Juni 1992: "Frieden, Entwicklung und Umweltschutz sind voneinander abhängig und untrennbar."567 Die Achtung vor den unveräußerlichen Menschenrechten ist dabei Prämisse sowohl fUr Frieden als auch ftlr Entwicklung - insgesamt also soziale Stabilität.

565 D. Blumenwitz, Souveränität - Gewaltverbot - Menschenrechte, in: Politische Studien, Sonderheft 4/1999, S. 19 ff., 25. 566 Dazu P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 744 ff., insbes. 746, Fn. 437 mit zahlreichen Nachweisen zur Schweiz. 567 Abgedruckt in EA 1993, S. D 28 ff., D 32.

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d) Friedenssicherung als Menschenrechtsaufgabe Viele weitere konfliktvermeidende und damit friedenssichemde Menschenrechtsfunktionen ließen sich zeigen. Als Verfahrensgarantien tragen sie Sorge, daß der Bürger staatliche Entscheidungen auch dann akzeptiert, wenn sie seiner eigenen Rechtsauffassung und Interessenlage widersprechen.568 Sie garantieren die demokratischen Partizipationsmöglichkeiten, die nicht von einer fiktiven Einheit des Volkswillens ausgehen, sondern alle gegensätzlichen Meinungen, Interessen und Willensrichtungen voraussetzen und erst durch die tägliche, kompromißhaft neue Herstellung politischer Einheit die staatliche Friedensordnung möglich machen. 569 Dazu gehört vor allem die Meinungsfreiheit als notwendige Voraussetzung der politischen Willensbildung. Dieser knappe Überblick, ergänzt um die leistungsrechtliche Dimension, beweist: Die multifunktionalen Menschenrechte haben sowohl in ihrem status negativus als auch positivus und activus politicus eine konfliktvermeidende, damit friedensgestaltende und -sichernde Funktion. Auf eine griffige Formel gebracht heißt das: Frieden in und durch Freiheit, Frieden aufgrund sozialer Sicherheit, Frieden durch politische Mitentscheidung. So verstanden sind Menschenrechte konstitutiv für eine weltweite Friedensordnung. Welche Konsequenz ist damit aber für die Menschenrechtsdogmatik verbunden, wenn ein Recht auf Frieden nicht nur wegen seiner mangelnden Effektivität, sondern auch seiner inhaltlichen Weite, der Unbestimmtheit seiner Träger und Adressaten illusorisch bleibt. Die Antwort gibt das Verständnis der Menschenrechte als Staats- bzw. Verfassungsziele, als an den Verfassungsstaat und die Völkergemeinschaft gerichtete Aufgaben. 570 Die Friedenssicherung ist Menschenrechtsaufgabe511 , die sich in gleicher Weise an den nationalen Verfassungsstaat wie die ihrem spezifischen Gemeinwohl verpflichtete internationale Gemeinschaft richtet. Sie reicht von der Garantie der unabdingbaren individuellen Freiheitssphäre bis hin zur Daseinsvorsorge und Entwicklungshilfe. Sie um faßt darüber hinaus die internationale Zusammenarbeit auf den Gebieten von Ökonomie und Ökologie. Menschenrechtliche Freiheit und staatliche FreiVgl. E. Benda, Frieden und Verfassung, in: AöR 109 (1984), S. 1 ff., 8. K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1995 (Neudruck 1999), Rn. 134. 570 Dazu P. Häber/e, Grundrechte im Leistungsstaat, in: VVDStRL 30 (1972), S. 43 ff., 103 ff.; K.-P. Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, 1997, S. 420 f., 425 f. 571 Diese Terminologie ist in bewußter Anknüpfung an P. Häher/es Formel von den "Grundrechtsaufgaben" (Grundrechte im Leistungsstaat, in: VVDStRL 30 ( 1972), S. 43 ff., 104) gewählt. 568

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heitsvorsorge erfordern ein differenziertes Miteinander. Die friedenssichernden Menschenrechtsgehalte können nicht ohne staatliche Leistung realisiert, staatliche Betätigung, Organisation und die Bildung von Institutionen auf nationaler, supranationaler und internationaler Ebene können nicht ohne die Menschenrechte legitimiert werden. e) Friedensgeflihrdung durch Menschenrechte? In dem Maße, in dem die Achtung vor den unveräußerlichen Menschenrechten friedenssichernd wirkt, kann das nachdrUckliehe Eintreten der Staatengemeinschaft ftlr ihre effektive Durchsetzung zu einer Friedensgeflihrdung bis hin zum bewaffneten Einschreiten gegen den oder die verletzenden Staaten ftlhren. Jüngst hat der Kosovo-Krieg die Diskussion um das Für und Wider der humanitären Intervention neu belebt, und es ist bezeichnend, daß das Stichwort vom "bellum iustum", vom gerechten Krieg572, dort wieder aufflammt, wo Gewaltanwendung zum Schutze der Menschenrechte legitimiert werden soll. Im Kosovo-Fall konzentrierte sich der Streit dabei weniger auf die Grundsatzfrage, ob die humanitäre Intervention, d.h. die Anwendung bewaffneter Gewalt zur Verhinderung oder Beseitigung massiver Menschenrechtsverletzungen in einem fremden Staat zugunsten aller Betroffenen unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit573, generell gerechtfertigt werden kann. Diese Möglichkeit stillschweigend vorausgesetzt, ging es vielmehr darum, ob ein solches Einschreiten auch ohne Genehmigung des Weltsicherheitsrates möglich ist. Hier mag eine Tendenz zu einer allmählichen Legitimierung der humanitären Intervention sogar ohne UN-Mandat - wenigstens innerhalb der europäisch-atlantischen Staatengemeinschaft erkennbar sein.574 Der heftige Widerspruch Rußlands und

572 Zu der auf Cicero zurückgehenden, im christlichen Mittelalter von Augustinus und Thomas v. Aquin maßgeblich bestimmten Lehre vom "bellum iustum", vom gerechten Krieg, siehe D. Blumenwitz, Souveränität - Gewaltverbot - Menschenrechte, in: Politische Studien, Sonderheft 4/1999, S. 19 tf., 21. Aus der älteren Lit. siehe G. Schwarzenberger, The Frontiers oflntemational Law, 1962, S. 236 ff. 573 Zur Definition der "humanitären Intervention" vgl. A. Randelzhofer, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, Art. 2 Nr. 4, Rn. 49; D. Deiseroth, "Humanitäre Intervention" und Völkerrecht, NJW 1999, S. 3084 ff., 3084 m. w. N. 574 Aus der neueren Lit.: H. Wilms, Der Kosovo-Einsatz und das Völkerrecht, in: ZRP 1999, S. 227 ff.; B. Laubach, Angriffskrieg oder Humanitäre Intervention? Völkerrechtliche Aspekte der Nato-Luftschläge in Jugoslawien, in: ZRP 1999, S. 276 ff.; restriktiv D. Blumenwitz, Souveränität- Gewaltverbot- Menschenrechte, in: Politische Studien, Sonderheft 4/1999, S. 19 ff., 31 ff.; dagegen A. Pradetto, Die NATO, humanitäre Intervention und Völkerrecht, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 11/99, S. 26 ff.; D. Deiseroth, "Humanitäre Intervention" und Völkerrecht, NJW 1999, S. 3084 ff.

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Dritter Teil: Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbürgR

Chinas läßt an ein Erstarken zu universellem Völkergewohnheitsrecht freilich nicht denken. Die Zulässigkeit der humanitären Intervention mit oder ohne Zustimmung des Sicherheitsrates kann an dieser Stelle nicht vertieft werden, das Thema soll aber hinfUhren zur Kehrseite des höchst komplexen Verhältnisses von Menschenrechten und Frieden. Wurde bisher die friedenssichemde Funktion der Menschenrechte beleuchtet, so ist dem jetzt die folgende These entgegenzuhalten. Die Menschenrechte dienen in erster Linie der Sicherung von Freiheit, Frieden aber ist ein notwendiges Korrektiv zur Freiheit, schränkt sie im Sinne von Kants Kategorischem Imperativ ein. Müssen die Menschenrechte daher instrumental der Friedenssicherung untergeordnet werden, was vor allem die sozialistische Völkerrechtslehre nachdrücklich gefordert hat?m Die Präambel des IPbürgR weist einen anderen Weg. Sie zeigt, daß die Alternative Menschenrechte oder Frieden nur eine scheinbare ist, indem sie den Frieden in den Kontext von Freiheit und Gerechtigkeit einordnet und friedvolles Zusammenleben auf die Anerkennung der Menschenwürde und der unveräußerlichen Menschenrechte gegründet weiß. Im Zusammenspiel mit der UN-Charta und der mittlerweile zu Gewohnheitsrecht erstarkten Friendly Relations Declaration verlangen die Menschenrechtspakte, daß die verschiedenen, mitunter divergierenden, völkerrechtlichen Grundsätze in ihrer Interpretation miteinander verknüpft werden. Das heißt in concreto: Kollidieren Rechtsgüter wie das Gewaltverbot auf der einen, der Schutz der universellen Menschenrechte auf der anderen Seite, so ist wie im innerstaatlichen Verfassungsrecht der Interessenausgleich im Wege der praktischen Konkordanz, des möglichst schonenden Ausgleichs zu suchen.576 Nur sie kann dem mit der Menschenrechtsidee verknüpften Wertepluralismus Rechnung tragen und eine Verabsolutierung, ein völliges Aufgehen des einen Wertes in den anderen vermeiden. Die so verstandene praktische Konkordanz wird innerstaatlich und international zu einem unverzichtbaren Instrument der Friedenssicherung577, denn sie trägt Sorge, daß jeder der widerstreitenden Werte, jedes der widerstreitenden Prinzipien möglichst umfassend Wirklichkeit gewinnen kann und nicht im Wege einer vorschnellen Güterahwägung den anderen geopfert

A. Cassese, Human Rights in aChanging World, 1990, S. 58. Zum Begriff der praktischen Konkordanz K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1995 (Neudruck 1999), Rn. 317; zur praktischen Konkordanz als Rechtsprinzip des Völkerrechts D. Blumenwitz, Souveränität - Gewaltverbot - Menschenrechte, in: Politische Studien, Sonderheft 4/1999, s. 19 ff., 30. 577 Dazu E. Benda, Frieden und Verfassung, in: AöR 109 (1984), S. I ff., 12. 575

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wird. Die Grenzziehung im Einzelfall hat sich dabei am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu orientieren. Der Abwägungsentscheidung gibt die Präambel des IPbürgR mit dem Menschenwürdegrundsatz einen unverrückbaren Maßstab vor. Die Menschenwürde, aus ihr folgend das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, dürfen nicht vorbehaltlos einem Friedenszustand geopfert werden, der ohne alle materiellen Werte auszukommen scheint. Sie streiten aber auf Seiten aller beteiligten Konfliktparteien: zugunsten derer, deren fundamentale Rechte im Wege der Intervention gesichert werden sollen, aber auch zugunsten derer, vor allem der mitbetroffenen Zivilbevölkerung, die durch die Gewalthandlungen im Verlauf der Intervention nicht nur an Leben und Gesundheit bedroht sind. Damit entsteht ein nahezu unüberwindliches Dilemma, letztlich eine Aporie. Die Würde des einen, sein Recht auf Leben, kann nicht gegen die Würde des anderen und dessen Lebensrecht abgewogen werden. Sie ist auch nicht quantifizierbar: einige wenige Opfer, aufgewogen durch viele Gerettete und Befreite. Folgt aus der Menschenwürde der absolute Schutz menschlichen Lebens, so kann die Anwendung bewaffneter Gewalt nur ultima ratio und nur in einer Situation der unvermeidbaren Nothilfe statthaft sein. Zur Illustration dessen, woran sich die hier gebotene Abwägung orientieren sollte, kann ein von B. Laubach vorgeschlagener Kriterienkatalog herangezogen werden, der- wie im Kosovo-Fall ein fehlendes Sicherheitsratsmandat unterstellt: "1 . Es muß eine unmittelbar bevorstehende oder bereits stattfindende und noch andauernde, schwerwiegende Verletzung des humanitären Mindeststandards vorliegen. Anhaltspunkt ist hier, ob Straftatbestände, wie sie dem Nürnberger Tribunal zugrunde lagen, aus der Völkermordkonvention oder dem Statut ftlr einen internationalen Gerichtshof verletzt werden. 2. Sämtliche Konfliktlösungsmöglichkeiten unterhalb der Gewaltstufe müssen versucht worden sein. Die diplomatischen Lösungsmöglichkeiten müssen erschöpft sein. 3. Die Durchftlhrung einer institutionalisierten Intervention durch die Vereinten Nationen oder Regionale Organisationen muß unmöglich sein. 4. Der Zielstaat muß ultimativ oder peremptorisch aufgefordert worden sein. Der Sicherheitsrat muß benachrichtigt werden. 5. Die Intervention muß ausschließlich der Erftlllung des humanitären Zwecks dienen. Sie muß auf eine minimale Dauer und auf minimale Gewaltanwendung beschränkt bleiben. Im Sicherheitsrat ist ständig Bericht zu erstatten."m

Ein weiterer Aspekt ist ftlr die Abwägung erheblich: Zwar kann die humanitäre Intervention zu einer Eskalation ftlhren. Es besteht die Gefahr, daß bis dahin unbeteiligte Staaten aus machtpolitischen Erwägungen in die Auseinandersetzung eingreifen, sich der regional begrenzte Konflikt immer stärker ausweitet. Auf der anderen Seite haben Menschenrechtsverletzungen in großem 578 Angriffskrieg oder Humanitäre Intervention? Völkerrechtliche Aspekte der NatoLuftschläge in Jugoslawien, in: ZRP 1999, S. 276 ff., 279.

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Dritter Teil: Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbürgR

Ausmaß, sog. "gross violations", allen voran der systematisch betriebene Völkermord, ihrerseits destabilisierende Wirkung auf das internationale Staatensystem und geflihrden somit wiederum den Frieden. Der Vertreibungsdruck bei ethnisch motivierten Gewalthandlungen, die hier entstehenden Migrationsbewegungen, beeinträchtigen zunächst die Nachbarstaaten, dann zunehmend die internationale Gemeinschaft als ganze579• Die Flüchtlingsströme während der NS-Zeit, nach dem Zweiten Weltkrieg, in Bosnien, im Kosovo oder in Ruanda sind daftlr eine stets neue Bestätigung. Aus alledem ergibt sich ein höchst komplexes Abhängigkeitsgeftlge von Frieden und Menschenrechten. Die Achtung der Menschenrechte ist essentieller Bestandteil eines positiven Friedens, ihre effektive Durchsetzung jenseits der Schwelle der Gewaltanwendung kann aber mit dem Gewaltverbot aus Art. 2 Ziff. 4 SVN, dem negativen Frieden, in erheblichen Konflikt treten. Da das Völkerrecht, wie gezeigt, beide Dimensionen des Friedensbegriffs voraussetzt, ist bei der Abwägungsentscheidung ftlr oder gegen einen militärischen Einsatz zur Sicherung der Menschenrechte die positive, gerechtigkeitsorientierte Dimension stets mit zu berücksichtigen. Der Frieden ist kein Zustand, sondern ein Prozeß stetiger Gemeinschaftsbildung, in dem die Menschenrechtsfrage niemals mehr ausgeklammert werden darf.

G. Das "Prinzip Verantwortung" im internationalen Menschenrechtsschutz I. Die Dimensionen des Verantwortungsbegriffs Das "Prinzip Verantwortung" (H Jonas) ist längst ein Grundlagenthema der Verfassungslehre. 580 Es wird sichtbar in Präambeln, Staatszielbestimmungen und Grundrechtskatalogen, bestimmt die verfassungsrechtlichen Abwägungsregelungen genauso wie Planungsentscheidungen, lebt in den Theorien zur 579 Dazu M Maier-Borst, Menschenrechtsverletzungen als Fluchtursache, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 49/98, S. 3 ff., 4 ff. 580 H. Jonas, Das Prinzip Verantwortung, 1979; P. Sa/adin, Verantwortung als Staatsprinzip, 1984; vgl. auch P. Pernthaler, Grundrechtsdogmatik und allgemeine Staatslehre, in: FS F. Ermacora, 1988, S. 605 ff., 609; M A. G/endon, Rights Talk, 1991 , S. 76 ff. ("The Missing Language of Responsibility"); J Schubert, Das "Prinzip Verantwortung" als verfassungsstaatliches Rechtsprinzip, 1998; R. Stober, Vom sozialen Rechtsstaat zum egoistischen Rechthaberschutzstaat?, DÖV 1998, S. 775 ff., 776 ff. ("Gemeinwohlverantwortung"); W Wieland, Verantwortung- Prinzip der Ethik?, 1999, s. 25 ff.

G. Das "Prinzip Verantwortung"

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politischen Verantwortung ebenso wie im Begriff der Bürgerverantwortung oder der Verwaltungsverantwortung.581 Die Verantwortungsidee muß aber auch für die Völkerrechtslehre erschlossen werden. Denn gerade die von H. Jonas entwickelte Verantwortungsethik ergänzt die klassisch-anthropozentrische Individualethik um die Dimension der zeitlichen und räumlichen Fernwirkungen menschlichen Handelns, d.h. um die globalen Aspekte und den Schutz künftiger Generationen. Die Universalität ist dem Verantwortungsbegriff immanent: in seinem Menschheitsbezug. 582 Die Völkerrechtswissenschaft muß dabei anband der Vertragstexte vorgehen und die Kategorie der Verantwortung fUr die einzelnen Teilbereiche erschließen. In vorliegender Arbeit soll keine allgemeine völkerrechtliche Theorie der Verantwortung entwickelt, sondern der Begriff im spezifisch menschenrechtliehen Kontext der Präambel des IPbürgR erschlossen werden. Nichtsdestoweniger gelte ein erster Blick einer allgemeinen Bestandsaufnahme zum Thema. 1. Texte zum Verantwortungsbegriff

Der Verantwortungsgedanke ist vor allem in völkerrechtlichen Abkommen zum Umweltrecht präsent, oft ohne ausdrücklichen Rekurs auf den Begriff "Verantwortung". Neben zahlreichen Einzelverträgen zu fast allen Teilbereichen der Umwelt vom Arten- und Pflanzenschutz bis hin zur grenzüberschreitenden Entsorgung von Industrieabfllllen verweisen große Rahmenabkommen der Vereinten Nationen auf eine immer stärkere Tendenz zu umfassendem Natur- und Umweltschutz. Beispiele sind das Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt vom 23. 11. 1971 (BGBI. 1977 II, S. 215) oder das Rahmenabkommen der Vereinten Nationen über Klimaveränderungen vom 9. 5. 1992 (BGBI. 1993 II, S. 1783). In der Vertragspraxis wurde in den letzten Jahrzehnten der Schutzbereich des Umweltrechts immer weitergehend ausgedehnt und um vielgestaltige Präventionspflichten ergänzt. Daß dabei die Idee der Verantwortung eine entscheidende Rolle spielte und spielt, wird nicht nur am Aspekt der Vorbeugung, sondern auch der nachhaltigen Entwicklung deutlich greifbar. Die Staaten haben in weit stärkerem Maße als noch in den

581 J. Schuber/, Das "Prinzip Verantwortung" als verfassungsstaatliches Rechtsprinzip, 1998, S. 248 ff.; zur Verwaltungsverantwortung siehe E. Schmidt-Aßmann, Das Allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 1998, Kap. 3, Rz. 88 ff.; H Ch. Röhl, Verwaltungsverantwortung als dogmatischer Begriff, in: Die Verwaltung, Beiheft 2, 1999, s. 33 ff. 582 J. Schubert, Das "Prinzip Verantwortung" als verfassungsstaatliches Rechtsprinzip, 1998, S. 3 3; K. Waechter, Kooperationsprinzip, gesellschaftliche Eigenverantwortung und Grundpflichten, in: Der Staat 38 (1999), S. 279 ff., 292.

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Dritter Teil: Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbürgR

Anfangsjahren völkerrechtlichen Umweltschutzes erkannt, daß Regelungen zu Erhaltung und Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen nebst Bewirtschaf· tungsgrundsätzen zu kurz greifen, sondern ein umfassender integrativer Ansatz nur gelingen kann, wenn die Entwicklungsproblematik von vornherein einbe· . d.583 zogen wtr Die Idee der Verantwortung ist darüber hinaus in den Texten zum Kultur· Völkerrecht, im humanitären Völkerrecht und den universellen Menschen· rechtsverträgen lebendig. Die Präambel der UNESCO·Satzung zeugt von der Verantwortung der Staatengemeinschaft zur Weiterverbreitung von Kultur und Bildung. Das III. Genfer Abkommen über die Behandlung von Kriegsgefangenen vom 12. August 1949 (BGBI. 1954 II, S. 838) und das IV. Genfer Abkommen zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten, ebenfalls vom 12. August 1949 (BGBl. 1954 II, S. 917, ber. 1956 II, S. 1585) sind Ausdruck von staatlicher Verantwortung ftlr einen bestimmten Kreis besonders gefährdeter, den kriegfUhrenden Parteien "ausgelieferter" Personen, die auch in Zeiten kriegerischer Auseinandersetzung nicht endet. In den Präambeln der Menschenrechtspakte wirkt die Idee der Verantwortung wie eine Klammer, die unterschiedliche Dimensionen des internationalen Menschenrechtsschutzes einander zuordnend zusammenfaßt, ohne den Begriff "Verantwortung" je explizit zu erwähnen. Aber die Staaten sind zweifelsfrei in die Verantwortung genommen, wenn sie sich verpflichten, die Menschenrechte zu schützen. Auch auf Seiten der Bürgergesellschaft ist der Verantwortungstopos verortet Die Pflicht des einzelnen gegenüber seinen Mitmenschen und Mitbürgern (Stichwort Kommunitarismus) verweist auf innergesellschaftliche, auf die Verantwortung des Individuums vor der/den und ftlr die politische(n) Gemeinschaften. Dieses Textmaterial ist nun theoretisch einzuordnen.584 2. Theoretische Einordnung

a) Verantwortung- eine Kategorie der Ethik Die Verantwortung ist zunächst ein allgemeiner, primär ethischer Begriff.585 Er setzt die menschliche Entscheidungsfreiheit auf der einen, die Befllhigung Dazu K. /psen, Völkerrecht, 4. Aufl. 1999, S. S. 861 ff., insbes auch 906. Zum Verantwortungsbegriff in Verfassungstexten vgl. die Übersicht bei J Schubert, Das Prinzip Verantwortung als verfassungsstaatliches Rechtsprinzip, 1998, S. 231 ff. 585 Allgemein zum "Begriff der Verantwortung" die gleichnamige Abhandlung von G. Picht, in: ders., Wahrheit Vernunft Verantwortung, 1969, S. 318 ff. (S. 319: Verantwortung als "ethisch begründete FOrsorgepflicht"). 583

584

G. Das "Prinzip Verantwortung"

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zur Wertorientierung auf der anderen Seite voraus. Verantwortung umfaßt die Rechenschaft fUr etwas Getanes vor unterschiedlichen Autoritäten: dem eigenen Gewissen, der Gesellschaft, Recht und Gesetz, Gott und den Menschen. Verantwortung meint auch die Pflicht, in Zukunft etwas zu tun, verantwortlich "fUr" etwas oder jemanden zu handeln und die Folgen seines Tuns im vorhinein schon mitzubedenken.586 Dieser komplexe Verantwortungsbegriff wurde von der Rechtswissenschaft zur Beschreibung weitgehend heterogener Konstellationen aufgegriffen.587 b) Verantwortung und Verantwortlichkeit Verantwortung meint einmal Verantwortlichkeit im Sinne von Zurechenbarkeit, Zurechnung von Handlungsfolgen, filr die der Akteur einzustehen hat. 588 Diese Dimension der Verantwortung wird im juristischen Begriffssystem vor allem mit dem Terminus der Haftung erfaßt, und zwar auf allen Ebenen des innerstaatlichen wie internationalen Rechts. 589 Für das Völkerrecht geläufig ist die Kategorie der State responsibility - Staatenverantwortlichkeit - im schadensrechtlichen oder strafrechtlichen Sinne. Mit Blick auf die im weiteren Sinne strafrechtliche Dimension ist an die relativ neue Kategorie der international crimes of states, crimes against humanity zu denken, die von einer weiten Verantwortung des Staates fUr seine handelnden Organe ausgeht. Die Verantwortung als Einstehenmüssen fUr Handlungsfolgen ist aber nicht nur auf vergangene Sachverhalte bezogen, sondern auch auf den Aspekt des Planens. Alle möglichen Konsequenzen menschlichen Tuns, individuell oder kollektiv, müssen von Anfang an bedacht und in Rechnung gestellt werden. Ein wichtiges Stichwort liefert die klassische Forderung des .. respice jinem ", das jeder Verantwortungsethik zugrunde liegt und auf der Zeitachse die Verantwortung fUr künftige Generationen einschließt.590

586 H. Jonas, Das Prinzip Verantwortung, 1979; dazu J. Schubert, Das "Prinzip Verantwortung" als verfassungsstaatliches Rechtsprinzip, 1998, S. 64 ff. 587 Zum Verantwortungsbegriff in der Rechtswissenschaft siehe K. Waechter, Kooperationsprinzip, gesellschaftliche Eigenverantwortung und Grundpflichten, in: Der Staat 38 ( 1999), S. 279 ff., 287 ff. 588 H. Ch. Röhl, Verwaltungsverantwortung als dogmatischer Begriff, in: Die Verwaltung, Beiheft 2, 1999, S. 33 ff., 35; W: Wieland, Verantwortung - Prinzip der Ethik?, 1999, S. 7, 26 ff. 589 Ebd., S. 34 f. 590 Ebd., S. 49; G. Picht, Der Begriff der Verantwortung, in: ders., Wahrheit Vernunft Verantwortung, 1969, S. 318 ff., 323 f., zum Zeitbezug der Verantwortung.

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Dritter Teil: Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbürgR

c) Verantwortung als Kompetenzbegriff Verantwortung ist daneben ein typischer Kompetenzbegriff. Die Zuständigkeit ftlr die Erledigung bestimmter Aufgaben wird aus der ex-ante-Perspektive festgelegt, ein bestimmter Pflichtenkreis wird defmiert591 • Diese insbesondere aus dem allgemeinen Verwaltungsrecht bekannte Verwendung des Verantwortungsbegriffs ist verallgemeinerungsfähig, kann auf andere Rechtsbereiche und auch auf das Völkerrecht übertragen werden. Denn hier wie dort gilt: Der Inhalt der Aufgaben bestimmt sich weniger nach dem souveränen Willen des Subjekts, das sie sich selbst setzt, sondern vielmehr durch die Struktur der Sachprobleme, die es jeweils zu lösen gilt. 592 Die Internationalisierung und Globalisierung zentraler Lebensbereiche bedingt einen Strukturwandel, der die staatliche und zwischenstaatliche Kompetenzordnung nicht unberührt läßt. Neue, eigene Verantwortungsbereiche der Staatengemeinschaft entstehen, derer sie sich nicht unter Berufung auf vorrangige Kompetenzen der Nationalstaaten entziehen darf. So bedingt der internationale Menschenrechtsschutz auch eine konkrete Aufgabenzuweisung an die internationale Staatengemeinschaft. Sie ist zur effektiven Förderung der Menschenrechte verpflichtet und muß die ihr im Rahmen der Menschenrechtsverträge eingeräumten Kompetenzen dazu nutzen. d) Die Verantwortung des Staates ftlr seine Bürger Verantwortung korrespondiert einer Pflichtenstellung, seien es Pflichten des Staates oder des einzelnen ftlr jemanden bzw. ftlr etwas. Eine solche Verwendung des Verantwortungsbegriffs ist aus der Alltagssprache geläufig. Das handelnde Subjekt muß nicht nur ftlr die Folgen eigenen Handeins Verantwortung übernehmen, sondern auch ftlr Menschen oder Sachen, die auf den Träger der Verantwortung angewiesen sind.593 Terminologisch enger gefaßt ist die Differenzierung von Verantwortung und Pflicht bei H. Jonas. Er kontrastiert beide Kategorien sehr deutlich. Verantwortung entfaltet ihre Wirkung in der spezifischen Über-Unterordnung von Herrschaftsverhältnissen, Pflichten gründen in den wechselseitigen Beziehungen von Gleichen untereinander, deren gleichbe-

591 Vgl. ebd., S. 336 f.; H. Ch. Röhl, Verwaltungsverantwortung als dogmatischer Begriff, in: Die Verwaltung, Beiheft 2, 1999, S. 33 ff., 36, 39 ff.; W Wieland, Verantwortung- Prinzip der Ethik?, 1999, S. 7. 592 G. Picht, Der Begriff der Verantwortung, in: ders., Wahrheit Vernunft Verantwortung, 1969, S. 318 ff., 336 f. 593 Ebd., S. 324 ff.

G. Das "Prinzip Verantwortung"

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rechtigte Freiheitssphären es im Sinne Kants abzugrenzen gilt.594 Weiter gefaßt soll Verantwortung im folgenden aber als Oberbegriff verwendet werden, der beide Seiten erfaßt und übergeordnetes Gestaltungsprinzip der gesamten politischen Gemeinschaft ist. Von dieser Prämisse ausgehend, erscheint es sinnvoll, von der Verantwortung des Staates bzw. der Staatengemeinschaft ftlr seine (ihre) "Bürger" zu sprechen. Sie ist greifbar in den inhaltlichen Staatszielbestimmungen und bei den objektiven Grundrechts- bzw. Menschenrechtswirkungen. Die leistungsrechtliche Dimension der Menschenrechte nimmt den freiheitsgestaltenden Staat in die Verantwortung ftlr Freiheitssicherung und Daseinsvorsorge. Die Lehre von den grundrechtliehen Schutzpflichten, wie sie in der Bundesrepublik Deutschland Rechtswissenschaft und Judikatur entwickelt haben, muß auf die internationale Ebene bezogen weitergedacht werden. Die Menschenrechte sind aufgabenbegründende Normen ftlr Staat und Staatengemeinschaft und zugleich immanente Begrenzung bei der Wahrnehmung von staatlichen Kompetenzen595. Die Idee der Solidarität erweitert darüber hinaus die Verantwortung zur Schaffung gleicher Lebenschancen und gerechter Entwicklungsbedingungen auf die zwischenstaatliche Ebene. Der Gemeinwohlbezug596 der Verantwortung des Staates und der Staatengemeinschaft wird sichtbar. e) Die Selbstverantwortung des einzelnen, seine Verantwortung als Bürger Von der staatlichen nun zur Bürgerverantwortung: Individuelle Bürgerverantwortung entfaltet sich als Selbstverantwortung ftlr die eigene Lebens~estal­ tung und soziale Verantwortung ftlr den anderen und die Gemeinschaft 97• Es bestehen Pflichten des einzelnen- aber auch von Gruppen und Verbändengegenüber seinen Mitmenschen und der Gemeinschaft, der er angehört. Dahinter steht die Erkenntnis, daß eine Absicherung der Freiheit und der Wohlfahrt allein durch verfassungsstaatliche Regeln und Prozesse nicht möglich ist, mö594 H. Jonas, Das Prinzip Verantwortung, 1979; dazu K. Waechter, Kooperationsprinzip, gesellschaftliche Eigenverantwortung und Grundpflichten, in: Der Staat 38 (1999), s. 279 ff., 287. 595 K. Waechter, Kooperationsprinzip, gesellschaftliche Eigenverantwortung und Grundpflichten, in: Der Staat 38 ( 1999), S. 279 ff., 288. 596 Vgl. P. Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, 1970, S. 30 f. und passim; R. Uerpmann, Das öffentliche Interesse, 1999, S. 12, 20 f., 26 f. und passim. 597 S. dazu W. Brugger, Stufen der BegrUndung von Menschenrechten, in: Der Staat 31 (1992), S. 19 ff., 26; R. Stober, Vom sozialen Rechtsstaat zum egoistischen Rechthaberschutzstaat?, DÖV 1998, S. 775 ff., 776 f.

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Dritter Teil: Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbürgR

gen diese auch noch so klug und differenziert gestaltet sein, mag es auch noch so ausführliche Grundrechts- und Staatsaufgabenkataloge geben. Ergänzend bedarf es der persönlichen Verantwortung des einzelnen für die und in der politische(n) Gemeinschaft.s98 Verantwortung setzt hier Freiheit voraus. Nur wer frei entscheiden und planvoll steuernd auf die Folgen seines Verhaltens Einfluß nehmen kann, trägt dafür die Verantwortung. Verantwortung meint damit zugleich Begrenzung von Freiheit und ist gegen das schrankenlos expansionistische Freiheitsmodell eines ungemäßigten Liberalismus gerichtet. s99 All diese Dimensionen des Verantwortungsdenkens lassen sich für das Völkerrecht im allgemeinen, den internationalen Menschenrechtsschutz im besonderen an folgenden Beispielsfeldern festmachen. II. Beispielsfelder

1. Der Topos der "gemeinsamen Verantwortung"

a) Gemeinsame Verantwortung für Natur und Umwelt Die Idee gemeinsam wahrgenommener Verantwortung für Aufgaben, die schon kraft Natur der Sache überstaatlich sind, ist Leitprinzip des Kooperationsvölkerrechts. Das wird besonders deutlich auf dem Gebiet des Umweltvölkerrechts, das hier eine Vorbild- und Vorreiterrolle übernimmt. Auslöser des Verantwortungsdenkens in transnationalen Kategorien war eine allmähliche Veränderung des Bewußtseins, daß globale Umweltgefllhrdungen nicht an den Grenzen des souveränen Nationalstaates enden. Die Tragödie von Tschernobyl, Ozonloch und Treibhauseffekt oder die regelmäßig wiederkehrenden Existenzbedrohungen von Küstenregionen nach einer sog. "Ölpest" sind längst kollektive Menschheitserfahrungen und allerorten Herausforderungen an verantwortliche Politik. Dem korrespondiert spätestens nach den Ölkrisen der 70er Jahre die Einsicht, daß die natürlichen Ressourcen nicht unbegrenzt sind. Diese Erkenntnis 598 Damit ist ein wesentlicher Aspekt aus der derzeitigen Diskussion um die aktive Bürgergesellschaft aufgegriffen. Vgl. z.B die Sammelbände: H. Eichel (Hrsg.), Ende des Staates- Anfang der Bürgergesellschaft, 1999; U. v. Alemann (Hrsg.), Bürgergesellschaft und Gemeinwohl, 1999; F. J. Hutter (Hrsg.), Menschenrechte und Bürgergesellschaft in Deutschland, 1999. 599 P. Pernthaler, Grundrechtsdogmatik und allgemeine Staatslehre, in: FS F. Ermacora, 1988, S. 605 ff., 614; zur Pflichtenbindung Privater im Bereich des Verwaltungsrechts vgl. H. Ch. Röhl, Verwaltungsverantwortung als dogmatischer Begriff, in: Die Verwaltung, Beiheft 2, 1999, S. 33 ff., 41 f.

G. Das "Prinzip Verantwortung"

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hat ein grundlegendes Paradigma der Staats-, Verfassungs- und Völkerrechtswissenschaft nachhaltig verändert. Das Bild der "Verfassung als planmäßig entworfene politisch-staatsrechtliche Architektur, als ein zielgerichtetes Projekt gemeinsamer Lebenssteigerung inmitten unerschöpflicher natürlicher Ressourcen" ist relativiert600, der Fortschrittsglaube an die unbegrenzten Möglichkeiten von Wirtschaft, Wissenschaft und Technik hat sich von der Umweltseite her als Trugschluß erwiesen. Ein tragfähiges Lösungsmodell kann nur die gemeinsame Verantwortung in Sachen Umweltschutz sein, wie siez. B. auf EU-Ebene konzeptionell erarbeitet wurde.601 Vorgesehen ist nicht nur eine Beteiligung der Regierungen und der Industrie, sondern eine breite und aktive Partizipation aller Wirtschaftsträger von den staatlichen und privaten Unternehmen bis hin zur Allgemeinheit der Staatsbürger in ihrer Rolle als Produzenten oder Verbraucher. Ihre gemeinsame Verantwortung erfordert kreative neue Gestaltungsformen (z.B. die Selbstbindung der Industrie) und darüber hinaus alle Kontrollinstrumente einer kritischen Öffentlichkeit.602 Was fllr den Umweltsektor hier beispielhaft gesagt ist, gilt aber auch fllr alle anderen Bereiche gemeinsamer Verantwortung der Staatengemeinschaft. Verantwortung ist niemals nur zwischenstaatlich zu verstehen, sondern schließt die offene Gesellschaft, die "Weltbürgergesellschaft" notwendig mit ein: den einzelnen, die Wirtschaftsverbände, Interessengruppen und politischen Parteien, die organisierte Staatlichkeit ebenso wie die überstaatlichen Organisationen und Institutionen. b) Gemeinsame Verantwortung fllr das kulturelle Erbe der Menschheit Natur und Kultur werden zusammengeftlhrt im UNESCO-Abkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt aus dem Jahre 1972.603 Die konstitutive, identitätsprägende Bedeutung der Kultur ftlr jede politische Gemeinschaft faßt das Krakauer Symposion über das kulturelle Erbe, veranstaltet von den damaligen KSZE- (heute OSZE-)Staaten in folgende Worte: "tief empfundene Überzeugung, daß das kulturelle Erbe eines jeden von ihnen ein unver600 H. Hofmann, Menschenwürde und Naturverständnis in europäischer Perspektive, in: Der Staat 37 (1998), S. 349 ff., 359 f.; siehe auch P. Pernthaler, Grundrechtsdogmatik und allgemeine Staatslehre, in: FS F. Ermacora, 1988, S. 605 ff., 614. 601 S. das Fünfte Aktionsprogramm der Europäischen Gemeinschaft ftlr eine dauerhafte und umweltgerechte Entwicklung vom 1. 2. 1993, ABI. C 138/5 v. 17. Mai 1993, S. 26, die UVP-Richtlinie von 1985 (337/85/EWG) und die Umweltinformationsrichtlinie von 1990 (313/90/EWG). Zum "Ökologiegrundsatz'' als Wesensmerkmal des europäischen Verfassungsstaates R. Steinberg, Grundgesetz und Europäische Verfassung, in: ZRP 1999, S. 365 ff., 371. 602 Dazu R. Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, 1998, S. 276. 603 Vgl. R. Streinz, Internationaler Schutz von Museumsgut, 1998, S. 72 ff.

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Dritter Teil: Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbürgR

ziehtbarer Teil ihrer Kultur, ihres kollektiven Gedächtnisses und ihrer gemeinsamen Geschichte darstellt, den es an künftige Generationen weiterzugeben gilt."604 Auch hier ist der Gedanke des Bewahrens ein Teil des Verantwortungsbegriffs. Die gemeinsame Verantwortung filr das kulturelle Erbe fordert, es fiir die künftigen Generationen zu erhalten. Diese Aufgabe stellt sich dem relativ homogenen Nationalstaat, den regionalen Verantwortungsgemeinschaften und mit Blick auf die "Weltkultur" der internationalen Gemeinschaft. Das "kulturelle Erbe" sollte dabei nicht auf die Kulturgüter und den völkerrechtlichen Kulturgüterschutz im engeren Sinne beschränkt werden.605 Zum "kulturellen Erbe" im weiteren Sinne gehören vielmehr alle kulturellen Leistungen - auch die Menschenrechte. Die natürlichen Lebensgrundlagen und die kulturellen Leistungen begrUnden das gemeinsame Erbe der Menschheit, .. the common heritage of mankind'.606, an dem alle teilhaben und filr das die Völkerrechtsgemeinschaft als solche gemeinsame Verantwortung trägt. Der Begriff" common heritage" geht zurück auf eine Formulierung des maltesischen Botschafters Arvid Pardo, der 1967 mit Blick auf ein neues Meeresbodenregime die natürlichen Ressourcen des Tiefseegrundes bzw. -Untergrundes als gemeinsames Menschheitserbe postulierte.607 Das Konzept wurde zu einem allgemeinen Grundsatz des Völkerrechts weiterentwickelt, dessen Einzelkomponenten so weit gefaßte Themenkreise wie Eigentums- und Kulturgüterschutz, das See-, Luft- und Weltraumrecht, das internationale Wissenschafts- und Umweltrecht umfassen. 608 Gemeinsame Klammer all dieser Einzelaspekte sind die jeweils betroffenen "Menschheitsinteressen ". Es geht immer um die gleiche Teilhabe aller - von den hochentwickelten Industriestaaten bis zu den Entwicklungsländern - am Natur- und Kulturerbe, an der friedlichen Nutzung natürlicher Ressourcen und am wissenschaftlich-technischen Know-how. Daseins-, Risiko- und Freiheits604 Bulletin des Presse- und Informationsdienstes der Bundesregierung, 1991, S. 573; siehe dazu wiederum R. Streinz, Internationaler Schutz von Museumsgut, 1998, S. 19. 605 Zum Begriffdes Kulturgutes ebd., S. 23 ff. m. w. N. 606 E. Riede/, Menschenrechte der dritten Dimension, in: EuGRZ 1989, S. 9 ff., 15 f.; ders., Paradigmenwechsel im internationalen Umweltrecht, in: FS G. Roellecke, 1997, s. 255 ff., 258 f. 607 Vgl. E. Riede/, Menschenrechte der dritten Dimension, in: EuGRZ 1989, S. 9 ff., 15. Aus der Lit.: W. A. Kewenig, Common Heritage ofMankind ( ... ),in: FS Schlochauer, 1981, S. 385 ff.; R. Dolzer, Die Deklaration des Kulturgutes zum "common heritage of mankind", in: R. Dolzer/E. Jayme/R. Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, 1994, S. 13 ff.; M Y. A. Zieck, The Concept of "Generations" of Human Rights and the Right to Benefit from the Common Heritage of Mankind with Reference to Extraterrestrial Realms, VRÜ 25 (1992), S. 161 ff., 177 ff.; R.. St. J. McDonald, The Common Heritage of Mankind, FS R. Bernhard 1995, S. 193 ff. 608 E. Riede/, Menschenrechte der dritten Dimension, in: EuGRZ 1989, S. 9 ff., 15.

G. Das "Prinzip Verantwortung"

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vorsorge obliegen neben den einzelnen Nationalstaaten auch der gemeinsamen Verantwortung der Staatengemeinschaft. Diese Vorsorgepflichten haben sich letztlich am möglichst umfassenden Schutz menschlichen Lebens und damit an dem "core value" internationalen Menschenrechtsschutzes schlechthin zu orientieren.609 c) Gemeinsame Verantwortung für nachhaltige Entwicklung Ein letztes Beispiel gemeinsamer Verantwortung sei aus dem Bereich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit herausgegriffen. Das Prinzip des "sustainable development", nachhaltige Entwicklung, wurde im Kontext der "Freiheit von Not" bereits vorgestellt, gehört aber thematisch auch in den Kontext gemeinsamer Verantwortung. 610 Die völkerrechtliche Kooperationsgemeinschaft ist gerade dort gefordert, wo der einzelne Staat aufgrund seines mangelnden wirtschaftlichen Potentials der Pflicht zur Daseinsvorsorge fllr seine Bürger nicht einmal bei den existentiellen Grundbedürfnissen gewachsen ist. Zeigt sich die Staatengemeinschaft hier solidarisch, liegt das nicht nur in den Eigeninteressen der Staaten, sondern auch im wohlverstandenen Gemeinschaftsinteresse. Die Entwicklungschancen der schwächeren Glieder der Gemeinschaft stabilisieren alle in ihrem kooperativen Zusammenwirken.611 Ein aktuelles Beispiel flir eine solche gemeinsame Verantwortung, der sich die (europäische, von den USA unterstützte) Staatengemeinschaft stellen will, ist der Stabilitätspakt flir den Balkan nach dem Kosovo-Krieg. Es wäre kurzsichtig, die dort notwendigen Wiederaufbauleistungen allein in die staatliche oder stark regional begrenzte Verantwortung zu stellen. Die Geschichte ist diesbezüglich eine gute Lehrmeisterin. Vor allem der amerikanische Einsatz flir den Wiederaufbau im zerstörten Europa einschließlich Nachkriegsdeutschlands hat einen partnerschaftliehen Neubeginn der europäischen Verfassungsstaaten möglich gemacht. Die gemeinsame Verantwortung flir Entwicklung, sei es nach Kriegen oder Bürgerkriegen, in wirtschaftlichen Krisenregionen, Entwicklungsländern oder Reformdemokratien ist unabdingbare Voraussetzung flir eine stabile Friedensordnung - weltweit.

Ebd., S. 16. R. Streinz, Auswirkungen des Rechts auf "Sustainable Development" - Stütze oder Hemmschuh?, in: Die Verwaltung 31 (1998), S. 449 ff. 611 Zu den Allgemeininteressen der Völkerrechtsgemeinschaft ausfUhrlieh A. Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, 1995, S. 737 ff.; klassisch schon R. von Mohl, Staatsrecht, Völkerrecht, Politik, Bd. I, 1860 (Nachdruck 1962), S. 585, 589 ff. 609

610

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Dritter Teil: Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbUrgR

Im völkerrechtlichen Menschenrechtsschutz erfllhrt die Verantwortungsidee eine neuerliche Präzisierung und Ausdifferenzierung. Anleitend wirkt die Verpflichtung der Staaten zur Förderung der Rechte und Freiheiten des Menschen. 2. Die Verpflichtung der Staaten, .. die allgemeine und wirksame Achtung der Rechte und Freiheiten des Menschen zu fördern" a) Internationale Kooperation zur Förderung der Menschenrechte aa) Textbelege aus dem Völkervertragsrecht Die UN-Charta benennt in ihrem Art. I Nr. 3 "eine internationale Zusammenarbeit(... ), um die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten ft1r alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion zu fordern und zu festigen" als eines ihrer maßgeblichen Ziele. Sie bekräftigt es im IX. Kapitel über die "Internationale Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet", Art. 55 c. Dem weiß sich auch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 verpflichtet, wenn sie in ihrer Präambel anmahnt, die Achtung der Menschenrechte durch Unterricht und Erziehung ebenso zu ilirdem wie "den sozialen Fortschritt und bessere Lebensbedingungen bei größerer Freiheit". Schließlich verlangt sie von den Mitgliedstaaten, in Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen die "allgemeine Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten durchzusetzen." Die Präambel des IPbürgR greift das Bündel dieser in den Textvorbildern niedergelegten Zielbestimmungen bewußt auf, wenn sie in ihrem vierten Passus formuliert: "In der Erwägung, daß die Charta der Vereinten Nationen die Staaten verpflichtet, die allgemeine und wirksame Achtung der Rechte und Freiheiten des Menschen zu ilirdem". Daraus wird deutlich, daß durch das Kodifikationswerk des Menschenrechtspaktes selbst die Vorgaben der UN-Charta zum Teil erfüllt werden sollen (insbes. aus Art. 55 lit. c, Art. 56). Die vertragliche Positivierung bürgerlicher und politischer Rechte ist zweifelsohne ein wichtiger Grundpfeiler zur effektiven Verbesserung des Menschenrechtsschutzes im System der Vereinten Nationen. 612 Doch ist die schriftliche Fixierung nur ein erster Schritt, der das Ziel aus Art. I Nr. 2 UN-Charta nicht vollständig er-

612 K. Münger, Bürgerliche und politische Rechte im Weltpakt der Vereinten Nationen und im schweizerischen Recht, 1973, S. 28; Ch. Tomuschat, Die Bundesrepublik Deutschland und die Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen, in: VN 1978, S. I ff., 2.

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schöpft, sondern die internationale Gerneinschaft in weitergehende Pflichten nimmt. Sie ist angehalten, die notwendigen Rahmenbedingungen zur wirksamen Gewährleistung der Menschenrechte immer neu zu schaffen. Es wäre daher verfehlt, den vierten Präambelpassus als einen bloßen Rückverweis auf Art. 1 Nr. 3 und 55 lit. c in Verbindung mit 56 SVN der UN-Charta zu verstehen. Er übernimmt vielmehr deren Zielsetzung und begründet eine inhaltsgleiche, aber neuerliche Verpflichtung der Unterzeichnerstaaten, "die wirksame Achtung der Rechte und Freiheiten des Menschen zu fbrdern". Konkretisiert wird diese Verpflichtung dann in Art. 2 Abs. 1-3 des IPbürgR. Begriff und Idee der "Förderung" haben sich immer mehr zu einem typischen Textbild in völkerrechtlichen Verträgen verdichtet. Daher bedarf der Inhalt dieses Terminus der Klärung. bb) Zur Idee der ,.F6rderung"

Die Verpflichtung der Staaten, die Achtung der Rechte und Freiheiten des Menschen zu "fbrdern", to "promote", wie es in der authentischen englischen Sprachfassung heißt, entfaltet zwar keine unmittelbare normative Wirkung. Sie gibt kein individuell einklagbares Recht, bleibt aber auch nicht unverbindlich613, sondern hat differenziert zu betrachtende Geltungsebenen. Die Förderungspflicht ist Schranke und zugleich positiver Auftrag fllr das Handeln aller staatlichen Gewalten. Die Vertragsstaaten sind aufgefordert, sich aller Maßnahmen zu enthalten, die zu einer Verletzung der Menschenrechte ftlhren können. Darüber hinaus sollen sie - auch innerstaatlich - bei der Auslegung und Anwendung der Menschenrechte ihrer unbedingten Bindung Rechnung tragen, sie nicht nur voraussetzen, sondern umfassend fbrdern. Ziel dieser Verpflichtung ist auch eine präventive Geltungssicherung der Menschenrechte schon im Vorfeld etwaiger Verletzungshandlungen.614 Mit dem Begriff "fbrdern" bedient sich der IPbürgR dabei der typischen Terminologie einer Staatszie/bestimmung. Menschenrechte als Staatsziele sind ftlr den modernen Verfassungsstaat, der nicht in bloß formaler, sondern materieller Rechtsstaatlichkeit gründet, konstitutiv.615 Seine Verpflichtung zur Achtung der Menschenwürde, zur wirksamen 613 Th. Buergenthal, Codification and Implementation of International Human Rights, in: A. Henkin (ed. ), Human Dignity. The Intemationalization of Human Rights, 1979, s. 15 ff., 17. 614 Geltungssicherungsklauseln mit normativer Bindungswirkung finden sich in nationalen Verfassungstexten, z.B. Art. 1 Abs. 3 GG. 615 Dazu R. Wiederkehr, Oie Kerngehaltsgarantie am Beispiel kantonaler Grundrechte. Zugleich ein Beitrag zu den Grundrechten als Staatsaufgaben und zu den Grundrechtsverwirklichungsbestimmungen, 2000, S. 156.

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Dritter Teil: Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbürgR

Sicherung der Freiheitsrechte, zur Beachtung des Gleichheitssatzes und der justiziellen Garantien entsfrechen seiner immanenten Teleologie, machen ihn erst zum Verfassungsstaat 16 Diesem Finalprogramm korrespondiert die Förderungspflicht in den Menschenrechtsdokumenten. Ihre Struktur entspricht nicht der klassischen Verknüpfung eines Tatbestandes mit einer Rechtsfolge im Sinne eines unbedingten Wenn-Dann-Schemas, sondern sie ist ein "zielbezogenes Leitprinzip" oder "Optimierungsgebot" (R. Alexy) zur, normativ freilich abgeschwächten, Steuerung staatlichen Handelns. Wegen der Komplexität aller zu berücksichtigenden nationalen und internationalen Interessen ebenso wie der tatsächlichen wirtschaftlichen und politischen Handlungsmöglichkeiten wären weitergehende Detailnormierungen weder sinnvoll noch effektiv durchsetzbar. 617 Das Ziel der Menschenrechtsllirderung ist bewußt offen formuliert, um die Gestaltungsmöglichkeiten der Legislative und der Exekutive nicht zu starken Einschränkungen zu unterwerfen. Die Förderungspflicht umfaßt dabei alle drei ineinandergreifenden Ebenen der menschenrechtliehen Schutztrias "international, regional und national-verfassungsstaatlich". Desweiteren ist der gesamte Horizont staatlichen Handeins eröffnet: von der Schaffung der ökonomischen und ökologischen Rahmenbedingungen bis hin zur konkreten gerichtlichen Durchsetzung einklagbarer Individual- oder Gruppenrechte. Dazu im einzelnen: cc) Die ökonomischen und ökologischen Rahmenbedingungen, die Entwicklungszusammenarbeit

Die Förderungspflicht hat einen präventiven Gehalt und setzt bereits bei der Schaffung der ökonomischen, aber auch ökologischen Rahmenbedingungen an, ohne die sich Menschenrechte nicht realisieren lassen. 618 Schon seit der Menschenrechtskonferenz von Teheran im Jahre 1968 wird unter dem Schlagwort "structural approach" eine Strategie zum Schutz der Menschenrechte diskutiert, die eine wirklichkeitsnahe Analyse der politisch, wirtschaftlich und kulturell bedingten Ursachen von Menschenrechtsverletzungen einfordert und in diesem Kontext den Zusammenhang von Menschenrechtsschutz und weltweiter 616

Vgl. K.-P.

s. 211 ff.

Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, 1997,

Ebd., S. 356 ff., 359 ff. S. dazu E. Riede/, Menschenrechte der dritten Dimension, in: EuGRZ 1989, S. 9 ff., 12 ff.; B. G. Ramachan, Strategies for the International Protection of Human Rights in the 1990s, in: Human Rights Quarterly, Vol. 13 (1991), S. 155 ff., 168 f.; B. Tyson!A. Aziz Said, Human Rights: A Forgotten Victim of the Cold War, in: Human Rights Quarterly, Vol. 15 (1993), S. 589 ff., 597 f. 617 618

G. Das "Prinzip Verantwortung"

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Entwicklung betont.619 Wichtige weitere Schritte waren die Annahme der Resolution 32/130 durch die UN-Generalversammlung im Jahre 1977, dann schließlich die "Declaration on the Right to Development" vom 4. Dezember 1986620. Das Konzept stieß zum Teil auf heftige Kritik. Es leiste einer Aufweichung der Individualrechte Vorschub, unterscheide vor allem nicht hinreichend zwischen Individualrechten und Rechten der Völker. Zudem könne das Recht auf Entwicklung politisch mißbraucht und gegen die traditionellen Bürgerrechte ausgespielt werden. Der Menschenrechtstopos sei so mit den vor allem von den Ländern der Dritten Welt erhobenen Forderungen nach einer neuen Weltwirtschaftsordnung, auch mit den Fragen der Abrüstungs- und Sicherheitspolitik unzulässig verknüpft. 621 Die kritischen Stimmen sind durchaus berechtigt. Das "Recht auf Entwicklung" bedürfte zunächst einer näheren Konturierung. Wer sind seine Träger- einzelne, Gruppen oder gar Staaten? Was ist Inhalt des mit "Entwicklung" verbundenen Anspruchs, gegen wen richtet er sich - die Staatengemeinschaft als solche oder auch andere Staaten?622 Es gibt kein einheitliches, universell anwendbares Modell, das den Entwicklungsprozeß global auf einen Nenner bringen könnte. Das Recht auf Entwicklung bleibt ,.compositum mixturn " allgemein anerkannter individueller und neuerdings diskutierter kollektiver Menschenrechte: das Recht auf Leben, ein Minimum an Nahrung und Kleidung, Wohnraum und medizinischer Versorgung, Gedanken-, Gewissens-, Religionsfreiheit, Bildung und Erziehung, schließlich die politische Partizipation.623 Die bloße Zusammenfassung solcher einzelnen Rechtsansprüche ist noch kein dogmatischer Gewinn und bleibt, ähnlich wie das Recht auf Frieden, alter Wein in neuen Schläuchen.

619 Dazu Th. van Boven, Human Rights and Development- Rhetorics and Realities, in: FS F. Ermacora, 1988, S. 575 ff., 575 f. 620 GV.-Res. 4l/128, Declaration on the Right to Development, 4. Dezember 1986; siehe darüber hinaus Commission on Human Rights - Resolution 1996/15, 11. April 1996; Wiener Erklärung der UN-Menschenrechtskonferenz von 1993, Para. 8 ff., 72 ff.; dazu R. Wolfrum, Die Entwicklung des internationalen Menschenrechtsschutzes, in: EA 1993, S. 681 ff., 684 f.; J Donnel/y, Human Rights, Democracy and Development, in: Human Rights Quarterly 21 (1999), S. 608 ff., 626 ff. Zuvor schon Th. van Boven, Human Rights and Development- Rhetorics and Realities, in: FS F. Ermacora, 1988, s. 575 ff. 621 Vgl. dazu Th. van Boven, Human Rights and Development- Rhetorics and Realities, in: FS F. Ermacora, 1988, S. 575 ff., 578. 622 Ebd., S. 579 ff. 623 Vgl. E. Riede/, Menschenrechte der dritten Dimension, in: EuGRZ 1989, S. 9 ff., 13 f. ; ders., Paradigmenwechsel im internationalen Umweltrecht, in: FS G. Roellecke, 1997, S. 255 ff., 259 ("Synthese-" oder "Dachrechte"); K. Ginther, Zivilgesellschaft und Entwicklung, in: VRU 30 (1997), S. 137 ff., 160.

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Kotzur

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Dritter Teil: Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbürgR

Taugt der Entwicklungsgedanke auch nicht ftlr ein neues "Recht", so wird er doch unverzichtbarer ,. Kontextbegri.ff' des internationalen Menschenrechts· schutzes. Die Forderung nach Solidarität mit den Entwicklungs· und Schwellenländern, das Prinzip der nachhaltigen Entwicklung bzw. die neue Formel der "in den Menschen zentrierten Entwicklung" sind innovative Bauelemente kooperativen, überstaatlichen Miteinanders im Dienste des Menschen. Sie ma· eben deutlich, daß neben der Stärkung der Märkte und der reinen Wirtschaftsförderung Aspekte wie politische Partizipation, Selbstbestimmung, Teilhabe am politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Geschehen eine immer wichtigere Rolle spielen. Aussagekräftiges Textbeispiel daftlr ist die "Erklärung von Cocoyoc", die von den Teilnehmern des UNDP/UNCTAD-Symposiums über "Rohstoffnutzung, Umwelterhaltung und Entwicklung" {1974) angenommen wurde: "Entwicklung heißt auch Freiheit der Meinung und deren Weitergabe, auch das Recht, Ideen und Anregungen zu geben und zu erhalten. Es besteht ein tiefes soziales Bedürfnis, an der Gestaltung der Grundlagen seiner eigenen Existenz mitzuwirken und einen Beitrag zur Gestaltung der Zukunft der Welt zu leisten." 624

Die Konsequenz eines solchen vom Menschen ausgehenden Entwicklungsverständnisses ist klar erkennbar. Es gibt eine gemeinsame Verantwortung der Staatengemeinschaft ftlr die Entwicklung aller Völker. Nicht nur die Interessen der Einzelstaaten, sondern die der Völkerrechtsgemeinschaft als solcher bedürfen der BerUcksichtigung. Ein striktes "do ut des" im Sinne des Reziprozitätsprinzips kann dem nicht Rechnung tragen. Gefordert ist vielmehr eine am überstaatlichen Gemeinwohl orientierte Stärkung der internationalen Zusammenarbeit auf den ftlr das menschliche Überleben und Zusammenleben existenziellen Gebieten. 625 Ein wedereinklag-noch durchsetzbares "Recht auf Entwicklung" hilft dabei nicht weiter. Aber die Menschenrechte müssen integraler Bestandteil der Entwicklungspolitik werden. Dieser Auftrag folgt aus der VerpflichtungsklauseL Es müssen entwicklungsgerechte nationale Verfassungsnormen ebenso wie eine entwicklungsfreundliche verfassende Rahmenordnung auf internationaler Ebene geschaffen werden. 626 Neben der Entwicklungszusam624

Zitiert nach K. Ginther, Zivilgesellschaft und Entwicklung, in: VRÜ 30 (1997),

s. 137 ff., 138.

625 Th. van Boven, Human Rights and Development - Rhetorics and Realities, in: FS F. Ermacora, 1988, S. 575 ff., 586 f. 626 K. Ginther, Zivilgesellschaft und Entwicklung, in: VRÜ 30 (1997), S. 137 ff., 137, 140. Die Idee der nachhaltigen Entwicklung ist in vielen nationalen wie internationalen politischen Erklärungen oder Regierungsvereinbarungen zu finden, so z.B. in der Präambel der Koalitionsvereinbarung von SPD und Bündnis 90/Die Grünen vom 20. 10. 1998: "die Solidarität mit den Ländern des Südens stärken und nachhaltige Entwicklung fOrdern", zit. nach ZRP 1998, S. 485 ff., 485.

G. Das ,.Prinzip Verantwortung"

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menarbeit setzt eine solche Ordnungsstruktur intensive zwischenstaatliche Kommunikationsprozesse auf allen Gebieten, vor allem in Menschenrechtsfragen voraus. dd) Eine weltweite Kommunikation in Sachen Menschenrechte

Die Verpflichtung zur Förderung der Menschenrechte ist mit dem Anspruch nach effektiver Kommunikation zwischen den Staaten verbunden. Der Entwurf der Völkerrechtsgemeinschaft als Kommunikationsgemeinschaft ist nicht neu.627 Sie ist vorgezeichnet von den klassischen Theorieentwürfen bei F. de Vitoria und I. Kant. Die Nähe zur Diskurstheorie eines J. Habermas ist greifbar. Der kommunikative Ansatz wurde auch von modernen Strömungen insbesondere in der amerikanischen Völkerrechtslehre (New Stream) rezipiert, die einen weltweiten politischen, aber auch normativen Diskurs über Themen wie Armut, Totalitarismus, Rassismus, Gleichberechtigung von Mann und Frau oder Gesundheit fordern und als wichtigstes Werkzeug der internationalen Entwicklung werten. 628 Theoretischer Hintergrund ist zusätzlich das in vorliegender Arbeit bereits angesprochene Modell diskursiver Legitimität: Die Kommunikation schafft die Motivation zur Rechtsbefolgung, zur Akzeptanz einer Normordnung. Die Kommunikation kann als globales Rechtsgespräch (A. Arndt) verstanden werden, dessen Inhalte Niederschlag in den positiven Völkerrechtstexten finden. Diese sind nichts anderes als das Ergebnis eines weltweiten Kommunikationsprozesses und zugleich Anstoß zu neuer Kommunikation. Die Texte bilden die Grundlage, sind Ergebnis eines vielfach offenen, zum Teil öffentlichen, Prozesses und Impetus filr einen weltweiten ,.In-Sich-Dialog der Menschheit".629 Dieser interkulturelle Austausch schafft ein Stück weit die 627 Dazu siehe U. Fastenrath, Relative Nonnativity in International Law, in: EJIL 4 (1993), S. 305 ff., 310: ,.Colloquial languages, upon which the technical language of international law is based, constitute universal communication systems." M W. Reismann, International Lawmaking: A Process of Communications, in: Proceedings, American Society of International Law 75 (1981), S. 101 ff., 105; K. W. Deutsch/R. L. Merritt, Transnational Communications and the International System, 1978. 628 Dazu siehe N. Purvis, Critical Legal Studies in Public International Law, in: Harvard International Law Journal 32 (1991}, S. 81 ff., 116 f.; M Koskenniemi, From Apology to Utopia, 1989, S. 498 ff.; D. Kennedy, Theses about International Legal Discourse, German Yearbook of International Law 23 (1980), S. 353 ff., 374 ff.; ders., A New Stream oflnternational Law Scholarship, Wis. International Law Journal, Vol. 7 (1988), S. I ff., 47-49. 629 E. Denninger, Über das Verhältnis von Menschenrechten zum positiven Recht, JZ 1982, S. 225 ff., 230; vgl. auch J. Rüsen, Theorieprobleme einer vergleichenden Uni-

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Dritter Teil: Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbürgR

Universalität von Menschenrechten, macht sie zur Kommunikationsleistung und damit selbst zur kulturellen Leistung. Selbst wer der internationalen Menschenrechtspraxis aufgrund der oft unzureichenden Durchsetzungsmechanismen kritisch gegenübersteht, wird eingestehen müssen, daß die Pakte, allgemeinen Deklarationen und programmatischen Erklärungen im Kommunikationsprozeß wenigstens als politische Topoi eine Leitbildfunktion übernehmen. Die Texte sind eine ,.semantische Stütze"630 filr die globale Verständigung. Die Vielfalt aller am Kommunikationsprozeß Beteiligten hat noch einen weiteren Effekt. Sie hilft, die völkerrechtliche Fixierung auf die rein intergouvernementalen Beziehungen zu überwinden. Grenzüberschreitende Kommunikation ist kein Privileg der organisierten Staatsgewalt, sondern umfaßt auch private Akteure und bezieht den gesellschaftlichen Raum ein.631 Denn transnationale Beziehungen seiner Bürger, gleich ob individuell oder korporativ gelebt, gehören zum Alltagjeden Verfassungsstaates. Damit ist ein letztes Stichwort angedeutet: der Zusammenhang von Kommunikation und gesellschaftlicher Emanzipation632• Durch weltweite Kommunikationsprozesse emanzipieren sich die Gesellschaften gegenüber ihren jeweiligen politischen Systemen, sie gewinnen kritische Distanz. Kommunikation geht hierbei Hand in Hand mit Bildung. Beide gehören zu den wohl wichtigsten Faktoren politischer Modernisierung. Die Emanzipation der Gesellschaft belebt das Interesse an dem ihr Eigenen, ihrer Geschichte, ihrer regionalen und lokalen, vor Ort greifbaren Kultur. 633 Denn die Gesellschaft, die sich aus ihrer Fremdbestimmung emanzipiert, muß sich ihrer Identität aus der Tiefe von Kultur und Tradition vergewissern. Andererseits öffuet sie sich auch selbstbewußter nach außen, rezipiert fremde Ideen und Gesellschaftsentwürfe. Es kommt zu einer Globalisierung und Universalisierung all der Faktoren, die filr die Emanzipation grundlegende Bedeutung haben. Dazu zählen vorrangig die Menschenrechte und die politische Partizipation. Die Wiener UN-MenschenVersalgeschichte der Menschenrechte, in: FS fiir H.-U. Wehler, 1991, S. 58 ff., 67. Zum Schlagwort einer "new world communication and information order" siehe L.-C. Chen, An lntroduction to Contemporary International Law, 1989, S. 438. 630 So W. Schreckenberger, Der moderne Verfassungsstaat und die Idee der Weltgemeinschaft, in: Der Staat 34 (1995), S. 503 ff., 521. 631 Dazu Ch. Tomuschat, Der Verfassungsstaat im Geflecht der internationalen Beziehungen, in: VVDStRL 36 (1978), S. 7 ff., 18 f.; Ph. Alston, The UN's Human Rights Record: From San Francisco To Vienna and Beyond, in: Human Rights Quarterly, Vol. 16 (1994), S. 375 ff., 379. Zum Theorierahmen einer offenen Kommunikationsgesellschaft aus verfassungstheoretischer Sicht siehe P. Häberle, Die offene Gesellschaft der Verfassungsinterpreten, JZ 1975, S. 297 ff. 632 Dazu E.-0. Czempiel, Weltpolitik im Umbruch, 1991, S. 95. 633 Ebd., S. 98.

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rechtskonferenzvon 1993, bei der fast alle Staaten und über die NGO's auch die nichtstaatliche Ebene beteiligt waren, ist mustergültiger Anwendungsfall eines globalen Diskussionsforums, auf dem alle staatlichen und gesellschaftlichen Kräfte über die Menschenrechte, deren Schutz und Fortentwicklung miteinander ins Gespräch kommen und so, um einen Terminus der Aufklärung modifizierend aufzugreifen, ihren eigenen Beitrag zur Befreiung des einzelnen und der ganzen Gesellschaft aus seiner/ihrer (selbstverschuldeten) Unmündigkeit leisten. Neben der internationalen Ebene sind aber auch die Staaten und die regionalen Verantwortungsgemeinschaften in die Pflicht genommen, im Rahmen ihrer Kompetenzen fördernd ftlr die Menschenrechte einzutreten. Zunächst zur intermediären, regionalen Ebene. b) Menschenrechtsschutz durch regionale Verantwortungsgemeinschaften Regionale Verantwortungsgemeinschaften werden von Staaten begründet, die u.a. Menschenrechtsstandards ftlr ihren spezifischen, geographisch und kulturell bestimmten Geltungsbereich festschreiben wollen: Die Europäische, Afrikanische oder Interamerikanische Menschenrechtskonvention sind hier vorrangig zu nennen. In solch kleinerem Rahmen sind sich die Vertragsparteien teilweise schon über noch nicht weltweit akzeptable Menschenrechtsgarantien einig bzw. sie suchen nach Mechanismen und Texten, um die universellen Standards in ihrem jeweils eigenen politisch-kulturellen Kontext ausdifferenzieren zu können. 634 Die Möglichkeiten zur Förderung der Menschenrechte auf dieser Ebene sind denen auf der internationalen Ebene im wesentlichen vergleichbar. Die rechtskulturellen Nähebeziehungen helfen darüber hinaus, zu effektiveren und auch innovativeren Menschenrechtsgarantien zu fmden. Die intermediäre Ebene ist in diesem Sinne ein Stück weit "Werkstatt"635 oder "Vorschule", deren Ergebnisse später international rezipiert, modifiziert und produktiv fortgeschrieben werden können. Ein Beispiel ftlr neuere Regelungsinstrumente, die weltweit Schule machen sollten, sind die auf regionaler Ebene besonders effektiven "anticipatory approaches", das heißt Strategien zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzun-

634 Dazu W. v. Simson, Überstaatliche Menschenrechte: Prinzip und Wirklichkeit, in: FS K. I. Partsch, 1989, S. 47 ff., 56. 635 Zum Begriff P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 547 und passim.

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Dritter Teil: Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbürgR

gen im Vorfeld. 636 So leistet der "Europäische Ausschuß zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung", Kontrollorgan der gleichnamigen Konvention vom 26. 11. 1987637, im europäischen Raum wichtige Arbeit. In den einzelnen Vertragsstaaten werden regelmäßige Kontrollbesuche und zusätzlich ad-hoc-Inspektionen von Straf- und Haftanstalten, Polizeirevieren, psychiatrischen Abteilungen und ähnlichen Einrichtungen durchgeftlhrt. Umfassende Berichte geben unabhängig von konkreten Verletzungstatbeständen Aufschluß über die bereits erreichten Menschenrechtsstandards. Anschließende "follow-up visits" dienen zur Kontrolle, ob die empfohlenen Korrekturen und Verbesserungsmaßnahmen durchgeftlhrt worden sind.638 Die spezifisch präventive Ausrichtung dieser besonderen Form menschenrechtlicher Geltungssicherung steht in unverkennbarer dogmatischer Nähe zu den Menschenrechten als Staatsaufgaben bzw. Aufgaben der jeweiligen Verantwortungsgemeinschaft.639 Sie ist eine unverzichtbare Ergänzung zur klassischen ex-post Kontrolle nach eingetretenem Verletzungserfolg und sollte von der internationalen bis hin zur nationalstaatliehen Ebene ernst genommen werden. c) Menschenrechtsschutz durch die Nationalstaaten Am Schluß der von der Weltebene zur kleineren Einheit ftlhrenden Analyse steht der Nationalstaat. Es scheint eine Paradoxie zu sein, aber der nationale Rechtsstaat ist noch immer der wichtigste Garant überstaatlicher Menschenrechte640: Effektiver Menschenrechtsschutz kann auf die wirksamste Weise 636 B. G. Ramachan, Strategies for the International Protection of Human Rights in the 1990s, in: Human Rights Quarterly, Vol. 13 (1991), S. 155 ff., 163; Ph. Alston, The UN's Human Rights Record: From San Francisco To Vienna and Beyond, in: Human Rights Quarterly, Vol. 16 (1994), S. 375 ff., 381. 637 Dazu H.-J. Bartsch, Die Entwicklung des internationalen Menschenrechtsschutzes 1991-1993, NJW 1994, S. 1321 ff., 1328. 631 So hat im Februar 1999 die türkische Regierung erstmalig der Veröffentlichung eines Besuchsberichts des Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe zugestimmt. Dazu R. Alleweldt, Auf dem Wege zu wirksamer Folterprävention in der Türkei, in: EuGRZ 2000, S. 193 ff.; ders., Präventiver Menschenrechtsschutz, in: EuGRZ 1998, S. 245 ff. ; H.-J Bartsch, Die Entwicklung des internationalen Menschenrechtsschutzes 1991-1993, NJW 1994, S. 1321 ff., 1328. 639 Allg. zu grenzüberschreitenden Staatsaufgaben auch A. Dehnhard, Dimensionen staatlichen Handelns, 1996, S. I 05 ff. 640 H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 1966, S. 528: "Der Staat ist daher nicht etwa das Gegenteil oder der Gegner-, er ist die Wirklichkeit und die Voraussetzung von Recht und Freiheit." P. Perntha/er, Grundrechtsdogmatik und allgemeine Staatslehre,

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durch nationalstaatliche Schutzmechanismen garantiert werden, da die internationalen Einrichtungen nicht über eine vergleichbare Infrastruktur verfUgen. Der Nationalstaat ist daher im Bereich aller drei staatlichen Gewalten gefordert, zunächst präventiv Vorsorge zu tragen, damit es erst gar nicht zu einer Menschenrechtsverletzung kommt, sodann effektive Rechtsschutzverfahren fllr den Verletzungsfall bereit zu stellen. Entscheidend bleibt die Implementierung von internationalen Menschenrechtsstandards in die jeweils nationalen Rechtsordnungen, vor allem dort, wo diese noch hinter dem weltweit als verbindlich erachteten Minimum zurUckbleiben.641 Der Prozeß der Implementierung läßt sich anband eines Tableaus von unterschiedlicher Wirkungsintensität veranschaulichen. Ausgangspunkt ist die Verfassungsebene. Am intensivsten wirkt unter Zugrundelegung der Normenhierarchie die Konstitutionalisierung von Menschenrechten internationalen Ursprungs, die damit Verfassungsrang erhalten.642 Beispiele dafllr sind die Geltung der EMRK auf Verfassungsstufe in Österreich, aus dem lateinamerikanischen Raum Art. 105 der alten Verfassung Peru aus dem Jahre 1979 und vergleichbare spezifische Öffnungsklauseln fllr internationale Menschenrechtsverbürgungen in nationalen Verfassungstexten643 . Eine nächste Stufe bilden die Menschenrechte als Auslegungsmaßstab fllr nationale Verfassungs- und auch sonstige Normen. Die menschenrechtskonforme oder menschenrechtsfreundliche Auslegung als Prinzip der Verfassungsinterpretation dient der Übertragung internationaler Standards ins nationale Verfassungsrecht, unabhängig von der Frage, ob internationale Menschenrechtsgarantien im innerstaatlichen Recht als self-executing oder non-self-executing gelten. 644 Nicht minder bedeutsam ist in: FS F. Ermacora, 1988, S. 605 ff., 606; W Brugger, Menschenrechte im modernen Staat, in: AöR 114 (1989), S. 537 ff., 537 f., auch 557; H. Hofmann, Menschenrechtliehe Autonomieansprüche, JZ 1992, S. 165 ff., 170 f.; ders., Geschichtlichkeit und Universalitätsanspruch des Rechtsstaats, in: Der Staat 34 (1995), S. 1 ff.; W Schreckenberger, Der moderne Verfassungsstaat und die Idee der Weltgemeinschaft, in: Der Staat 34 ( 1995), S. 503 ff., 509; J. /sensee, Die alte Frage nach der Rechtfertigung des Staates, JZ 1999, S. 265 ff., 270; H.-P. Schneider, 50 Jahre Grundgesetz, NJW 1999, S. 1497 ff., 1499; E. Denninger, Die Wirksamkeit der Menschenrechte in der deutschen Verfassungsrechtsprechung, JZ 1998, S. 1129 ff., 1129. 641 Vgl. dazu E. W. Vierdag, Some Remarks about Special Features ofHuman Rights Treaties, in: Netherland Yearbook oflnternational Law 1994, S. 119 ff., 126 f. 642 Dazu K.-P. Sommermann, Völkerrechtlich garantierte Menschenrechte als Maßstab der Verfassungskonkretisierung, in: AöR 114 (1989), S. 391 ff., 399 ff. 643 W Kälin, Menschenrechtsverträge als Gewährleistung einer objektiven Ordnung, in: Berichte ( ...), S. 9 ff., 22 f.; B. G. Ramachan, Strategies for the International Protection of Human Rights in the 1990s, in: Human Rights Quarterly, Vol. l3 (1991), s. 155 ff., 160. 644 K.-P. Sommermann, Völkerrechtlich garantierte Menschenrechte als Maßstab der Verfassungskonkretisierung, in: AöR 114 (1989), S. 391 ff., 402 ff.; filr die Schweiz J.

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auch der mittelbare verfassungsrechtliche oder verfassungsrichterliche Schutz über Verfassungsnormen, die die nationale Verfassungsordnung indirekt anders als die oben erwähnten expliziten Öffnungsklauseln - ftlr den internationalen Menschenrechtsschutz gleichsam aufschließen. Ein Beispiel aus dem deutschen Grundgesetz mag der Veranschaulichung dienen. Der Begriff der "verfassungsmässigen Ordnung" im Sinne von Art. 2 Abs. I GG kann so ausgelegt werden, daß er die internationalen Garantien, vor allem die EMRK, mitumfaßt. 645 Nach der Verfassungsstufe sind die Instrumentarien auf einfachgesetzlicher Ebene zu beleuchten. Die lnkorporierung internationaler Menschenrechte ist auch durch einfaches Gesetz möglich. Einen Spezialfall bildet die Eingliederung eines geschriebenen Menschenrechtskatalogs in das common law System, die in Sachen Grund- und Menschenrechtsschutz die Verfassungsstaaten mit und ohne geschriebene Verfassung (Großbritannien) einander annähert. 646 Aber nicht nur die Übernahme internationaler Menschenrechte, auch die einfachgesetzliche Konkretisierung und Absicherung der Rechte durch entsprechende Ausgestaltung der Verfahren sind von maßgeblicher Bedeutung: So übernimmt der Völkermordtatbestand aus § 220 a des deutschen StGB den Wortlaut der UN-Völkermordkonvention. Nach dem Weltrechtsprinzip kann Völkermord damit, ganz gleich, wo er geschieht und durch wen er verübt wird, nach deutschem Recht und vor deutschen Gerichten abgeurteilt werden. In den BosnienFällen (z.B. Nico/a Jorgic) hat diese Möglichkeit brennende Aktualität gewonnen. Die nationale Strafgerichtsbarkeit fmdet sich in einer neuen Rolle als Hüterin der elementaren internationalen Menschenrechte mit den klassischen Mitteln des Rechtsstaates. Dadurch entstehen zwar unter Umständen Kompetenzkonflikte mit internationalen Tribunalen, aber die nationalen Strafgerichte können Menschenrechtssicherung dort gleichsam treuhänderisch wahrnehmen, wo es noch keine oder nur unzureichende internationale Gerichtsbarkeit gibt. Zahlreiche weitere Mechanismen zur Menschenrechtsilirderung auf staatlicher Ebene sind denkbar und fordern die Kreativität der nationalen Gesetzgeber. Dazu gehören die Kontrolle des Militärs, die Einftlhrung effektiver geP. Müller, Wandel des Souveränitätsbegriffs im Lichte der Grundrechte, in: Symposion L. Wildhaber, 1997, S. 45 ff., 51 ; in der älteren Lit. finden sich Ansätze bei E. Schwelb,

Die Menschenrechtsbestimmungen der Charta der Vereinten Nationen und die AUgemeine Erklärung der Menschenrechte, in: VN 1973, S. 180 ff., 182. 645 K.-P. Sommermann, Völkerrechtlich garantierte Menschenrechte als Maßstab der Verfassungskonkretisierung, in: AöR 114 (1989), S. 391 ff., 409 m. w. N. 646 Ein aktue11es Beispiel bildet "Die Inkorporierung der Europäischen Menschenrechtskonvention in das britische Recht durch den Human Rights Act 1988", dazu der gleichnamige Beitrag von R. Grote in: ZaöRV 1998, S. 309 ff.

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richtlicher, insbesondere verfassungsgerichtlicher Kontrolle in den Einzelstaaten, Verfassungsbeschwerdeverfahren, Ombudsmänner oder Menschenrechtsbeauftragte. Der Bildungssektor darf nicht ausgeklammert werden. Früh wirkt die Menschenrechtserziehung an Schulen und Universitäten, von der Präambel der Universellen Erklärung der Menschenrechte (1948) nachdrücklich gefordert: "durch Unterricht und Erziehung die Achtung dieser Rechte und Freiheiten zu fördern." Auch die Rezeption der Entscheidungen internationaler Menschenrechtsinstitutionen in nationales Recht hilft, die Geltung internationaler Menschenrechte innerstaatlich zu sichern647• Aus all den genannten Mechanismen geht klar hervor: Der Staat hat eine umfassende "Kontroll- bzw. Wächterfunktion" in Sachen Menschenrechte.648 Eine vollständige Verlagerung des Menschenrechtsschutzes auf die internationale Ebene, die oft geringere Standards setzt als eine nationale Verfassungsordnung, wäre gänzlich kontraproduktiv. Seiner Verantwortung darf sich der Staat nicht mit Blick auf das bloße Vorhandensein einer nächsthöheren überstaatlichen Instanz entledigen. Auch vor einer mittelbaren Verlagerung auf übergeordnete Ebenen ist zu warnen. Die innerstaatlichen Rechtsschutzmechanismen dürfen nicht so schwerfllllig sein, daß effektiver Rechtsschutz in angemessener Frist nicht mehr zu erlangen ist und automatisch die regionale oder internationale Verantwortungsgemeinschaft "einspringen" muß. Ein Zweites: Die Rezeption internationaler Standards darf nicht zu einer Relativierung des auf staatlichem Sektor bereits erreichten Grades an Menschenrechtsschutz fUhren. Dem widerspräche die Teleologie der Implementierung. Die Weltebene formuliert immer nur die Mindestanforderungen, die im konkreten Staatsverband zu sichern und zu erweitern sind. Diese Anforderungen dienen der Geltungssicherung der Menschenrechte und wollen nicht einer Einschränkung innerstaatlicher Garantien Vorschub leisten.

647 Dazu R. Bernhardt, Einwirkungen der Entscheidungen internationaler Menschenrechtsinstitutionen auf das nationale Recht, in: FS fllr K. Doehring, 1989, S. 23 ff. 648 S. Hohe, Der kooperationsoffene Verfassungsstaat, in: Der Staat 37 (1998), S. 521 ff., 543. Wenn Menschenrechte eine zunehmende Rolle als Schranken bi- oder multilateraler Kooperation spielen, sei es durch Wirtschaftsboykotte als Reaktion auf Menschenrechtsverletzungen, Menschenrechtsklauseln in der Waffenexportgesetzgebung oder die Achtung der Menschenrechte als Vorbedingung von Entwicklungszusarnmenarbeit, so ist dies vorwiegend politischer Natur, sollte im vorliegenden Kontext aber nicht unerwähnt bleiben.

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d) Auswirkungen der Förderungspflicht auf das Menschenrechtsverständnis Die Verpflichtung zur Förderung der Menschenrechte darf aber nicht auf die Frage nach den Sicherungsmechanismen reduziert werden. Sie drückt vielmehr auch dem Menschenrechtsverständnis ihren dogmatischen Stempel auf. Durch die Verpflichtung, die Achtung der Menschenrechte zu :llirdem, wird dem Staat eine aktive, gestaltende Rolle zugewiesen. Handlungspflichten sind ihm auferlegt.649 Menschenrechte, verstanden als Staats- bzw. Verfassungsziele, begründen umfassende rechtliche und politische Handlungspflichten des Staates und sind von allen Staatsfunktionen (auch bei Planungs- und Haushaltsentscheidungen) zu verwirklichen. 650 All dies steht im Kontext eines neuen Leitbildes lenkender und leitender Staatlichkeit, die dem Staat nicht mehr vorrangig die Aufgabe der Ordnungsbewahrung zuschreibt, sondern zur Ordnungsgestaltung in die Verantwortung nimmt. Er erscheint nicht als Feind, sondern Garant der Menschenrechte, und bleibt gehalten, die tatsächlichen Voraussetzungen individueller Freiheitsausübung zu schaffen.651 Das reine status-negativus Konzept der klassischen Menschenrechtsdogmatik, deren Freiheitsgarantien in der Abwehr von staatlichen Eingriffen wurzeln, wird damit überwunden. In seiner Reinform war es ohnehin schon immer ein historisches Mißverständnis. In der europäischen Tradition der Französischen Menschenrechtserklärung galten Menschenrechte niemals ausschließlich als staatsgerichtete Abwehrrechte. Sie bildeten vielmehr Leitprinzipien, denen gemäß der überkommene Obrigkeitsstaat mit seiner feudalistischen Privilegienstruktur unter dem Gesichtspunkt der Freiheit und Gleichheit umfassend reformiert werden sollte.652 Für den heuti649 Grundlegend dazu P. Häberle, Die Wesensgehaltgarantie des Art. 19 Abs. 2 Grundgesetz, 3. Aufl. 1983, S. 180 ff.; vgl. auch P. Saladin, Menschenrechte und Menschenpflichten, in: E.-W. Böckenförde/R. Spaemann (Hrsg.), Menschenrechte und Menschenwürde, 1987, S. 267 ff., 275 ff.; P. Pernthaler, Grundrechtsdogmatik und allgemeine Staatslehre, in: FS F. Ermacora, 1988, S. 605 ff., 613; R. Higgins, Problems and Process, 1994, S. 100; J. Künzli/W. Kälin, Die Bedeutung des UNO-Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte filr das schweizerische Recht, in: W. Kälin u.a. (Hrsg.), Die Schweiz und die UNO-Menschenrechtspakte, 2. Aufl. 1997, S. 105 ff., S. 108, sprechen plastisch von unterschiedlich intensiven "Verpflichtungsschichten". 650 P. Pernthaler, Grundrechtsdogmatik und allgemeine Staatslehre, in: FS F. Ermacora, 1988, S. 605 ff., 613. 651 Vgl. auch den Arbeitsbegriff, den F. Ermacora, Menschenrechte in der sich wandelnden Welt, Bd. 1, 1974, S. 62, entwickelt: "Menschenrechte und Grundfreiheiten stellen jenen Komplex von politischen Bekenntnissen, normativen Regeln und Entscheidungen dar, aus denen auf ein historisch bestimmtes Menschenbild geschlossen werden kann und die daher, vorausgesetzt oder gesetzt, mit dem Ziele gelten, die Staatsgewalt oder die Gesellschaft zu begrenzen oder ihr bestimmte gestaltende Aufgaben (Hervorhebung durch den Verf.) zu setzen." 652 G. Luf, Kant und die Menschenrechte, in: FS G. Winkler, 1997, S. 597 ff., 605.

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gen, in den Menschenrechten gründenden, Verfassungsstaat hat dieses Konzept unmißverständliche Konsequenzen: Er ist - um einen Parallelbegriff zur Daseins- und Risikovorsorge zu verwenden - ftlr die "Freiheitsvorsorge "653 in die Pflicht genommen. Er muß nach Kräften seiner Leistungsfllhigkeit die (materielle) Existenz des Individuums sichern und Bildungseinrichtungen schaffen. Ausreichende Erziehung, die Grundversorgung der Menschen mit Nahrung, Kleidung und Wohnung, aber auch Informationen und gleiche Entwicklungschancen ftlr alle fördern die reale Freiheitsftihigkeit des Individuums. Konsequenzen aus der Förderungspflicht ergeben sich zudem auf der verfahrensrechtlichen Seite. Die Menschenrechte müssen durch effektive Verfahrensinstrumente gesichert werden. Zu nennen sind der rechtsstaatliche Justizgewähranspruch, das rechtliche Gehör und der GesamtkornElex der Teilhabe durch Verfahren im Sinne eines status activus processualis. 54 Die nationalen Grundrechtsdogmatiken haben längst gezeigt, daß der wirksame Schutz der Rechte nicht nur der zweiten und dritten, sondern auch der klassischen Freiheitsrechte der ersten Generation oft staatliche Schutzmaßnahmen und Leistungen erfordert. 655 Auch auf internationalem Gebiet setzt sich ein solches Ver653 P. Kirchhof, Der Staat als Organisationsform politischer Herrschaft und rechtlicher Bindung, DVBI. 1999, S. 637 ff., 651. 654 Dazu P. Häber/e, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 133, 213 und passim. 655 Vgl. in diesem Zusammenhang die Allgemeine Bemerkung 6 (16) des Menschenrechtsausschusses zu Art. 6 IPbUrgR (Recht aufLeben) aus dem Jahre 1982, zitiert nach W. Kälin u.a. (Hrsg.), Die Schweiz und die UN-Menschenrechtspakte, 2. Aufl. 1997, S. 361-362: "2. Der Ausschuss stellt fest, dass Krieg und andere kollektive Gewalthandlungen immer noch eine Geissel der Menschheit darstellen und jährlich Tausende unschuldiger Menschen ihres Lebens berauben.(... ) Der Ausschuss ist der Ansicht, dass es höchste Pflicht der Staaten ist, Kriege, Völkermord und andere kollektive Gewalttaten, welche den willkUrliehen Verlust menschlichen Lebens verursachen, zu verhüten. Sämtliche Anstrengungen, welche sie zur Abwendung der Gefahr von Kriegen, ( ... ) unternehmen, stellen die wichtigste Voraussetzung und Garantie der Wahrung des Rechts auf Leben dar. (... ) 3. Der Ausschuss ist der Ansicht, dass die Vertragsstaaten nicht nur Maßnahmen treffen müssen, um kriminelle Handlungen, die zur Beraubung des Lebens fUhren, zu verbUten und zu bekämpfen, sondern auch um zu verhindern, dass ihre eigenen Streitkräfte einzelne willkUrlieh töten. ( ... ) 4. Die Vertragsstaaten sollten zudem spezifische und wirksame Maßnahmen treffon, um das Verschwindenlassen von einzelnen zu verhüten(...). 5. ( ...)Der Ausdruck 'angeborenes Recht aufLeben' darf nicht restriktiv verstanden werden, und der Schutz dieses Rechtes verlangt, dass die Staaten positive Massnahmen treffen. In diesem Zusammenhang ist der Ausschuss der Ansicht, dass es wünschenswert wäre, wenn die Vertragsstaaten alle möglichen Maßnahmen treffen wUrden, um die Kindersterblichkeit zu verringern und die Lebenserwartung zu erhöhen (sämtliche Hervorhebungen durch den Verf.)." Siehe auch die Allgemeine Bemerkung 3 (13) aus dem Jahre 1982 bez. Art. 2 IPbUrgR, zitiert nach ebd., S. 358: "Der Ausschuss hält es fUr nötig, die Aufmerksamkeit der Vertragsstaaten auf die Tatsache zu lenken, dass sich die ihnen vom Pakt auferlegten Verpflichtungen nicht

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ständnis zunehmend durch. Im Fall Bosnien/Herzegowina v. Serbien-Montenegro hat sich der IGH nicht damit begnügt, die Verantwortlichkeit des beklagten Staates filr den verübten Völkermord festzustellen. Der Gerichtshof gibt ihm vielmehr auf, aktiv dafilr Sorge zu tragen, daß Übergriffe von serbischer Seite eingestellt werden.656 In diesem Sinne können die Menschernechte nicht eindimensional auf den Status negativer Abwehrrechte zur "Absicherung des einzelnen gegenüber Bedrohungen in Staat und Gesellschaft"657 reduziert werden. Sie sind vielmehr "objektive Grundwerte und Leitprinzipien staatlichen Handelns"658 und "als Zielsetzungen filr eine gerechte Staats- und Sozialordnung aufgegeben"659• e) Insbesondere: Menschenrechte als Erziehungsziele

aa) Bestandsaufnahme

Wie schon mehrfach angedeutet, ist die Menschenrechtserziehung ein wesentlicher Bestandteil umfassender Menschernechtsilirderun§ und -sicherung. Durch das Konzept der Menschernechte als Erziehungsziele66 muß die Völkerrechtsgemeinschaft die Bedingungen zur Verwirklichung der Menschernechte immer wieder neu schaffen. So fordert die Präambel der Universellen Erklärung der Menschernechte von 1948 a.E.: "durch Unterricht und Erziehung die Achtung dieser Rechte und Freiheiten zu fördern". Die historischen Wurzeln solchen Denkens reichen tief. Schon in der Doktrin der Aufklärung gehörte es auf die Achtung der Menschenrechte beschränken, sondern dass sie sich auch verpflichtet haben, allen ihrer Herrschaftsgewalt unterstehenden Personen den Genuss dieser Rechte zu gewährleisten. Dies verlangt von den Vertragsstaaten, dass sie spezifische Maßnahmen treffen, um den einzelnen den Genuss ihrer Rechte zu ermöglichen (Hervorhebung durch den Verf. )." 656 LM 1993, S. 890 ff. 657 F. Ermacora, Menschenrechte in der sich wandelnden Welt, Bd. 1, 1974, S. 26. 658 D. Thürer, Neuere Entwicklungen im Bereich der Europäischen Menschenrechtskonvention, ZB189 (1988), S. 394. 659 W Kälin, Menschenrechtsverträge als Gewährleistung einer objektiven Ordnung, in: Berichte( ... ), S. 9 ff., 44. 660 Allgemein zu Erziehungszielen in Verfassungstexten: P. Häberle, Erziehungsziele und Orientierungswerte im Verfassungsstaat, 1981, S. 37 ff., 46 ff.; ders., Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 758 ff.; M Bothe, Erziehungsauftrag und Erziehungsmaßstab der Schule im freiheitlichen Verfassungsstaat, in: VVDStRL 54 (1995), S. 7 ff., 21 ff.; mit spezifischem Blick auf den afrikanischen Kontinent M Seck, Plädoyer für eine Erziehung auf dem Gebiet der Menschenrechte in Afrika, in: EuGRZ 1990, S. 311 ff.

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zu den wichtigsten Aufgaben des Staates, im Interesse des Rechtsfriedens die Freiheitsrechte durch staatliche Gewalt, aber auch durch Erziehung zu schützen.661 Textbelege ftir dieses aufklärerische Erziehungsideal über Europa hinaus finden sich in der Rechtsprechung des US-Supreme Court: "The American people have always regarded education and acquisition of knowledge as matters of supreme importance which should be diligently promoted. The Ordinance of 1787 declares: ,Religion, morality and knowledge being necessary to good government and the hap~ness of mankind, schools and the means of education shall forever be encouraged. "' 2

Einen erzieherischen Effekt haben oft schon die Menschenrechtstexte selbst. Das gilt insbesondere ftir die Universelle Erklärung der Menschenrechte (1948) im Dekolonisierungsprozeß der 50er und 60er Jahre. Die ehemaligen Kolonien, die schrittweise ihre Selbständigkeit erlangten, mußten ihre eigene (verfassungsstaatliche) Identität erst ausbilden. 663 Hier schaffi(e) Erziehung die Voraussetzungen daftir, daß der einzelne seine Freiheit wahrnehmen kann. 664 Ohne Erziehung und Wissensvermittlung ist die Demokratisierung unmöglich. Die ehemaligen Kolonialmächte trugen im Prozeß der Dekaionisierung daher eine besondere Erziehungsverantwortung (die nicht mit Bevormundung verwechselt werden darf). Die Leitgedanken der Menschenrechtserklärung von 1948 sollten die pädagogischen Grundlagen eines Erziehungssystems bilden665 - ein Anliegen, das in den heutigen Reformstaaten Osteuropas von unverminderter Aktualität ist. In den Texten der Menschenrechtspakte erscheinen Erziehungsziele bisweilen explizit, öfter noch hintergründig und verdeckt. Sie verbergen sich hinter den Grund~rinzipien, hinter den Werten und sind den Menschenrechten selbst immanent. 6 Manche Beispiele enthält die Präambel des IPbürgR, sie ist auch ein Erziehungsprogramm. So läßt sich der Grundlagentrias "Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden" ein erzieherischer Auftrag entnehmen. Noch wichtiger ist das Erziehungsziel "Menschenwürde", was durch den vergleichenden Blick auf 661 W Schreckenberger, Der moderne Verfassungsstaat und die Idee der Weltgemeinschaft, in: Der Staat 34 (1995), S. 503 ff., 508 f. 662 Meyer v. State ofNebraslw, 262 U.S. 390, at 400. 663 A. Cassese, Human Rights in aChanging World, 1990, S. 44 ("educational effect"). 664 S. J. Delbrück, The Right to Education as an International Human Right, German Yearbook offnternational Law 35 (1992), S. 92 ff., I 04. 665 M Seck, Plädoyer fllr eine Erziehung auf dem Gebiet der Menschenrechte in Afrika, in: EuGRZ 1990, S. 311 ff., 316. 666 Zu diesem Ansatz schon P. Häberle, Erziehungsziele und Orientierungswerte, 1981, S. 65 ff.; ders., Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 767 f.

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Art. 13 Abs. 1 IPwirtR bestätigt wird. 667 Der Erziehungsgehalt fordert hier, die eigene Würde zu erkennen und die Würde des anderen zu resEektieren. Die Erziehungsziele der Toleranz und Solidarität werden mitumfaßt 8 • All das erscheint verstärkt durch den Gemeinschaftsbezug, den die Präambel immer wieder herstellt ("Pflichten gegenüber den Mitmenschen und der Gemeinschaft"). Sollten all die genannten Aspekte programmatisch zu einem umfassenden Erziehungsziel verschmolzen werden, so ließe sich wohl so formulieren: Erziehung zur kritischen, verantwortlichen und gemeinschaftsorientierten Selbstentfaltung des Individuums. Es finden sich aber auch explizite Texte zum Recht auf Erziehung669• So sagt Art. 26 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: "I. Jeder Mensch hat Recht auf Bildung(...). 2. Die Ausbildung soll die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und die Stärkung und Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten zum Ziele haben. Sie soll Verständnis, Duldsamkeit und Freundschaft zwischen allen Nationen und allen rassischen oder religiösen Gruppen fflrdern und die Tätigkeit der Vereinten Nationen zur Aufrechterhaltung des Friedens begünstigen."

Hier ist im Kontext des Rechts auf Bildung ein gesamtes Programm der Menschenrechte als Erziehungsziele formuliert und in die internationale Dimension erweitert. Bezüglich des Erziehungsziels der Völkerversöhnung war schon Art. 148 WRV Textvorbild.670 Er ist in Art. 13 des IPwirtR fortgeschrieben: "(1) Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines jeden auf Bildung an. Sie stimmen Uberein, daß die Bildung auf die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und des Bewußtseins ihrer WUrde gerichtet sein und die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten stärken muß. Sie stimmen ferner Uberein, daß die Bildung es jedermann ermöglichen muß, eine nUtzliehe Rolle in der freien Gesellschaft zu spielen, daß sie Verständnis, Toleranz und Freundschaft unter allen Völkern und allen rassischen, ethnischen und religiösen Gruppen fflrdern sowie die Tätigkeit der Vereinten Nationen zur Erhaltung des Friedens unterstützen muß."

667 Zur MenschenwUrde als Erziehungsziel P. Häber/e, Erziehungsziele und Orientierungswerte, 1981, S. 66 f. 668 Vgl. P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 764; zum Toleranzgedanken bei J. Locke siehe F. Ermacora, Allgemeine Staatslehre, 2. Teilband, 1970, S. 721 f.; schließlich N. Bobbio, Das Zeitalter der Menschenrechte, 1998, S. 94, unter Bezugnahme auf J. Lockes klassischen "BriefUber die Toleranz". 669 Dazu J. Delbrück, The Right to Education as an International Human Right, German Yearbook oflnternational Law 35 (1992), S. 92 ff. 670 Dazu P. Häber/e, Erziehungsziele und Orientierungswerte, 1981, S. 46.

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Eine weitere Textvariante enthält das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung vom 7. März 1966 in seinem Art. 7: "Die Vertragsstaaten verpflichten sich, unmittelbare und wirksame Maßnahmen, insbesondere auf dem Gebiet des Unterrichts, der Erziehung, Kultur und Information, zu treffen, um Vorurteile zu bekämpfen, die zu Rassendiskriminierung fUhren, zwischen den Völkern und Rassen- oder Volksgruppen Verständnis, Duldsamkeit und Freundschaft zu llirdern sowie die Ziele und Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen Uber die Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung und dieses Übereinkommens zu verbreiten." 671

Spezifisch gleichheitsbezogene Erziehungsziele formulieren Art. 5 bzw. Art. I 0 c des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau vom I8. Dezember I979 ("um einen Wandel in den sozialen und kulturellen Verhaltensmustern von Mann und Frau zu bewirken")672• Besonders weitgefächert und gleichsam an ihrem natürlichen Bestimmungsort sind die Erziehungsziele im Übereinkommen über die Rechte des Kindes (20. November I989). Art. 29 Abs. I lit. a--e nennt die folgenden Teilaspekte: "Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten", "Achtung vor seinen Eltern", Achtung vor "seiner kulturellen Identität, seiner Sprache und seinen kulturellen Werten, den nationalen Werten des Landes, in dem es lebt, und gegebenenfalls des Landes, aus dem es stammt, sowie vor anderen Kulturen als der eigenen", "verantwortungsbewußtes Leben in einer freien Gesellschaft", "Geist der Verständigung, des Friedens, der Toleranz, der Gleichberechtigung der Geschlechter und der Freundschaft zwischen allen Völkern und ethnischen, nationalen und religiösen Gruppen sowie zu Ureinwohnern", schließlich "Achtung vor der natürlichen Umwelt"673 • In den modernen Spezialkonventionen sind die Themen der Allgemeinen Menschenrechtserklärung von I948 weiter ausdifferenziert674 • Vor allem die Aspekte der Bildung als ein Teil der Identitätsfmdung, des Bewußtseins fl1r die eigene WUrde gekoppelt mit dem Gedanken der sozialen Verantwortung treten in den Vordergrund. 675 Multikulturalität wird zum Erziehungsziel676, die Men-

671 Zit. nach B. Simma!U. Fastenrath (Hrsg.), Menschenrechte- Ihr Internationaler Schutz, 3. Aufl. 1992. 672 Ebd. 673 Ebd. 674 Vgl. dazu M Bothe, Erziehungsauftrag und Erziehungsmaßstab der Schule im freiheitlichen Verfassungsstaat, in: VVDStRL 54 (1995), S. 7 ff., 23. 675 P. Häberle, Erziehungsziele und Orientierungswerte, 1981, S. 57 f.; J. Delbrück, The Right to Education as an International Human Right, German Yearbook of International Law 35 (1992), S. 92 ff., 94.

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Sehenrechtserziehung zugleich ein wesentlicher Teil des Arbeitsprogramms der UNESC0.677 bb) Entwurfeines Theorierahmens zur Menschenrechtserziehung

( 1) Menschenrechtserziehung als Grundlage jeder freiheitlichen politischen Ordnung Die Fülle der aufgeftlhrten Texte weist die Menschenrechtserziehung als Grundlage jeder freiheitlichen politischen Ordnung aus. Die Umsetzung der Menschenrechte als Erziehungsziele ist auf den verschiedensten Stufen angesiedelt. Sie sollte sich in den Lehrplänen der Schulen und an den Universitäten, in der privaten wie staatlichen Ausbildung wiederfmden. Besonders wichtig ist sie ftlr die Juristenausbildung. Zusätzlich können besondere Programme ftlr Lehrende, Regierungsbeamte, Diplomaten, Rechtsanwälte, Richter und politische Entscheidungsträger der Menschenrechtsidee gute Dienste leisten. Notwendig sind solche Bemühungen vor allem in Reformstaaten und Transformationsgesellschaften.678 Ebenso wichtig werden Austauschprogramme auf der Ebene von Wissenschaftlern, Studenten, Schülern sowie über Sportverbände und Jugendorganisationen. Sie alle haben ein gemeinsames Ziel: "Promoting educational, cultural, and other international person-to-person exchanges that enhance historical insights and work toward the development of a ,worldwide cultural literacy"'679 Um einem solch ambitionierten Programm zum Erfolg zu verhelfen, sollte jede denkbare Infrastruktur genutzt werden. Es geht darum, einen möglichst großen Adressatenkreis, nicht ausschließlich Eliten, einzubeziehen.680 676 Dazu M. Bothe, Erziehungsauftrag und Erziehungsmaßstab der Schule im freiheitlichen Verfassungsstaat, in: VVDStRL 54 (1995), S. 7 ff., 40. 677 Ebd., S. 7 ff., 23m. w. N. 678 Dazu M. Seck, Plädoyer für eine Erziehung auf dem Gebiet der Menschenrechte in Afrika, in: EuGRZ 1990, S. 311 ff., 312; B. Gross, Towards a Human Rights Century, in: Human Rights Quarterly, Vol. l3 (1991), S. 387 ff., 394. 679 G. C. McGhee, International Community, 1992, S. 43. 680 Interessant ist in diesem Kontext der Programmentwurf des Afrikanischen Menschenrechtsinstituts, dargestellt bei M. Seck, Plädoyer für eine Erziehung auf dem Gebiet der Menschenrechte in Afrika, in: EuGRZ 1990, S. 311 ff., 317: "Zusammenfassungen der Menschenrechte sind in alle sozio-professionellen Gruppen hineinzutragen. Das war beim Appell von Dakar der Fall. Er sollte die Bevölkerung dazu anhalten, die Afrikanische Charta der Rechte der Menschen und Völker zu lesen, zu kommentieren, zu vervielfliltigen und weiterzugeben, damit eine öffentliche Meinung und ein gewisser Druck fllr die Ratifizierung durch die Staatschefs erzeugt wUrde. - In den nationalen Tageszeitungen sind Rubriken für die populäre Darstellung des Rechts allgemein und

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Leistungsstarke Bildungsträger in Sachen Menschenrechte sind Kolloquien und Seminare, die das Internationale Menschenrechtsinstitut in Straßburg jedes Jahr weltweit veranstaltet. Genannt werden muß darüber hinaus die Tätigkeit der UNESCO, die schon im Jahre 1978 in Wien den ersten Kongreß über Menschenrechte im Unterricht veranstaltet hat. 681 Vor allem die Gründung von Menschenrechtsinstituten vor Ort, seien es Gründungen von Seiten der Universitäten, durch Non-gouvemmental Organizations, Richtervereinigungen, Anwaltskammern oder konzertierte Anstrengungen aller denkbaren Beteiligten schafft ein neues Stück Infrastruktur. Ein Beispiel gibt das Afrikanische Menschenrechtsinstitut, das seine Wurzeln in einem 1979 gegründeten Fortbildungsinstitut der Anwaltskammer des Senegal zur Förderung der Menschenrechte hat. 682 Private Initiativen sind vor allem dort entscheidend, wo der Staat bei der Wahrnehmung des Erziehungsauftrages versagt, sei es aus ideologischen, organisatorischen oder wirtschaftlichen Gründen. Wichtig ist dabei die Mitarbeit und Unterstützung von Rechtspraktikern, die aus eigener beruflicher Erfahrung die Mißstände und ihre Ursachen am besten kennen und daher auch beurteilen können, wo die Erziehung ansetzen muß. Wenn Anwaltskammern weltweit Fortbildungsinstitute ftlr Menschenrechte schaffen, wie das Fortbildungsinstitut ftlr Menschenrechte der Anwaltskammer von Paris683 , dann stellen sich professionelle Juristen aus den gewachsenen Verfassungsstaaten westlicher Prägung einer treuhänderischen Verantwortung und übernehmen eine Solidarpflicht flir Reform- und Entwicklungsländer. Damit ist schon das nächste Stichwort genannt.

der Menschenrechte im besonderen einzurichten. Hierdurch entsteht ein Dialog zwischen den Leuten, die ihre Probleme dargestellt haben, und den Spezialisten, die jede Woche in den entsprechenden Zeitungen auf die Probleme antworten. An diesem Projekt haben sich fast alle im Senegal erscheinenden Zeitungen beteiligt. - Bücher und Broschüren sind zu veröffentlichen, die, in einer einfachen Sprache geschrieben, Wesen und Objekte unseres kulturellen Erbes mit dem Ziel darstellen, eine bessere Illustration und ein größeres Verständnis der Menschenrechte auch in Märchen, Legenden oder Sprichworten zu erreichen. - Literarische Wettbewerbe sind zu organisieren und mit Preisen auszustatten, um eine Literatur der Menschenrechte auch für jene zu bewirken, die in die juristische Sprache nicht eingeweiht sind. - Interdisziplinäre Fortbildungsveranstaltungen sind fllr Praktiker, engagierte Bürger, Lehrer und Ausbilder zu veranstalten." 681 Dazu M. Seck, Plädoyer für eine Erziehung auf dem Gebiet der Menschenrechte in Afrika, in: EuGRZ 1990, S. 311 ff., 313. 682 M. Seck, Plädoyer für eine Erziehung auf dem Gebiet der Menschenrechte in Afrika, in: EuGRZ 1990, S. 311 ff., 313. 683 Ebd.

21 Kotzur

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(2) Die Erziehung zu Solidarität und Verantwortung Ein wesentlicher Teil der Menschenrechtserziehung hat, wie die obigen Textbelege zeigen, Solidarität und Verantwortung zum Gegenstand. Die Verantwortung betrifft hier den innergesellschaftlichen, die Solidarität den internationalen Raum. Solidarisch und verantwortlich für andere kann nur der handeln, der sich auch ihrer Rechte und Freiheiten bewußt ist und seine eigene Freiheit von vornherein gemeinschaftsgebunden definiert. Der Menschenwürde wie den einzelnen Menschenrechten sind zwischenmenschliche Bezüge immanent. Der "Du-Bezug" der Menschenwürde entfaltet einen eigenen Erziehungsauftrag, der die Öffnung zum Sozialen, die Verantwortung gegenüber den Mitmenschen und dem Gemeinwesen als solchen umfaßt. 684 Diesem Teilaspekt der Menschenrechtserziehung sind alle Solidaritäts- und Verantwortungsklauseln verpflichtet. (3) Der Zusammenhang von Erziehung und Entwicklung Ein letzter Punkt gilt dem Zusammenhang von Erziehung und Entwicklung. Der Erziehungsgedanke muß in diesem Rahmen aufbesondere Weise fruchtbar gemacht werden. Für die Transformation der Entwicklungsländer zu wirtschaftlich leistungsflihigen, demokratischen Staaten übernimmt die gesellschaftliche Emanzipation, unter Berufung auf das aufklärerische Ideal der Befreiung des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit, eine entscheidende Funktion.685 Notwendig ist nämlich nicht nur das "nation building", die Herstellung einer eigenständigen und selbstbewußten staatlichen Identität, sondern auch das "capacity building" auf staatlich-institutionellem Sektor wie auf nichtstaatlicher Ebene. 686 Erfolgreiche Entwicklung setzt leistungsflihige, geschulte Eliten in allen Bereichen von Staat und Gesellschaft voraus. Wäre solche Bildung auf wirtschaftliches Effizienzstreben reduziert, könnte sie wohl kaum die Voraussetzungen für eine stabile innerstaatliche Friedensordnung bilden. Die Menschenrechtserziehung ist vielmehr unverzichtbarer Bestandteil des "capacity building".

684 P. Häberle, Die MenschenwUrde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, in: HdBStR, Bd. I, 2. Aufl. 1995, S. 815 ff., 852. 685 Vgl. J. Delbrück, The Right to Education as an International Human Right, German Yearbook oflntemational Law 35 (1992), S. 92 ff., 94 f. 686 Vgl. dazu K. Ginther, Zivilgesellschaft und Entwicklung, in: YRÜ 30 (1997), s. 137ff., 149ff.

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(4) Grenzen und Gefahren des Ansatzes Obwohl Menschenrechte als Erziehungsziele unverzichtbare Voraussetzung filr jede freiheitliche Ordnung bleiben, wäre jede Fonn der Erziehungsdiktatur oder staatlicher Bevormundung kontraproduktiv. Erziehungsziele sind vielmehr als Angebote an eine politische Gemeinschaft, die nationalstaatliche wie die internationale, zu verstehen. 687 Sie werden getragen von dem Bewußtsein, daß die Prämissen, von denen eine Verfassungsordnung lebt, von den Bürgern Tag filr Tag immer neu praktiziert und errungen werden müssen. Freiheit, Gerechtigkeit, Frieden und Toleranz sind nicht, sie müssen im gesellschaftlichen Prozeß immer werden. Mit dem bewußten Dilemma, daß "Erziehung zur Freiheit" schon ein Widerspruch in sich ist, hat der Verfassungsstaat, hat die Völkerrechtsgemeinschaft dabei zu leben. Nach den Erziehungszielen gilt der abschließende Blick den Menschenpflichten. 3. Verantwortung und die Gemeinschaftsbezogenheil individueller Freiheitswahrnehmung- die Menschenpflichten

a) Bestandsaufnahme Von prominenter Seite erhielt die Diskussion über die den Menschenrechten korrespondierenden Menschenpflichten jüngst neuen Anstoß. 688 Das Inter 687 P. Häber/e, Erziehungsziele und Orientierungswerte, 1981, S. 73; M. Bothe, Erziehungsauftrag und Erziehungsmaßstab der Schule im freiheitlichen Verfassungsstaat, in: VVDStRL 54 ( 1995), S. 7 ff., 29 ff. 688 Für das völkerrechtliche Schrifttum vgl. P. Sieghart, The Lawful Rights of Mankind, 1985, S. 43 ff.; P. Sa/adin, Menschenrechte und Menschenpflichten, in: E.-W. Böckenfflrde/R. Spaemann (Hrsg.), Menschenrechte und Menschenwürde, 1987, S. 267 ff.; J. J. Paust, The Other Side of Right: Private Duties Under Human Rights Law, in: Harvard Human Rights Journal, Vol. 5 (1992), S. 51 ff. Aus der Fülle der deutschen Lit. zur Grundpflichtendiskussion siehe vor allem H. Hofmann, Grundpflichten als verfassungsrechtliche Dimension, VVDStRL 41 (1983), S. 42 ff.; ders., Grundpflichten und Grundrechte, in: HdBStR, Bd. 5, 1992, S. 321 ff.; P. Badura, Grundpflichten als verfassungsrechtliche Dimension, DVBI. 1982, S. 861 ff.; J. Jsensee, Die verdrängten Grundpflichten des Bürgers, DÖV 1982, S. 609 ff.; 0. Luchterhandt, Grundpflichten als Verfassungsproblem in Deutschland, 1988; K. Stern, Idee und Herkunft des Grundpflichtendenkens, in: FS K. Doehring, 1989, S. 969 ff.; P. Häberle, Das Konzept der Grundrechte, in: ders., Europäische Rechtskultur 1994 (TB 1997), S. 279 ff., 311 ff.; M. Gräfin Dönhoff, Vom Recht auf Würde, in: Die Zeit vom 27. Dezember 1997, S. 1; K. Waechter, Kooperationsprinzip, gesellschaftliche Eigenverantwortung und Grundpflichten, in: Der Staat 38 (1999), S. 279 ff., 304 ff.

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Action Council, eine private ad hoc Vereinigung von "elder statesmen" (auf Initiative u.a. von H. Schmidt)689 , stellte einen völkerrechtlichen Katalog von Human Responsibilities ("Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten") zur Erörterung. Dabei ist das Thema nicht neu. Bereits der letzte Absatz der Präambel des IPbürgR formuliert eine differenzierte PflichtenklauseL Zunächst geht es um die Pflichten jedes einzelnen gegenüber seinen Mitmenschen - ein Gedanke, der noch nahe bei der Idee Kants vom kategorischen Imperativ liegt. Sodann werden die Pflichten auf das Ganze bezogen, es sind Pflichten gegenüber der Gemeinschaft. Und im letzten Teil der Formulierung fmdet sich eine Spezifizierung: die Verpflichtung, für die Förderung und Achtung der in diesem Pakt anerkannten Rechte einzutreten. Dahinter steht die Idee der Bürgerverantwortung und mit ihr die Überwindung einer strikten Trennung von Staat und Gesellschaft. Das ist letztlich eine präzisierende Fortschreibung der Ideale, die schon die Allgemeine Menschenrechtserklärung von 1948 in ihrer Präambelnennt "(... ) verkündet die Generalversammlung die vorliegende Allgemeine Erklärung der Menschenrechte als das von allen Völkern und Nationen zu erreichende gemeinsame Ideal, damit jeder einzelne und alle Organe der Gesellschaft sich diese Erklärung stets gegenwärtig halten und sich bemühen,(... ) die Achtung dieser Rechte und Freiheiten zu fOrdern."

Ebenso heißt es in Art. I der Erklärung, der ganz in der Tradition der Französischen Revolution neben der Freiheit und Gleichheit auch die Brüderlichkeit einbezieht: "Alle Menschen sollen ( ... ) einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen." Sodann sagt Art. 29 Nr. l der Erklärung: "Jeder Mensch hat Pflichten gegenüber der Gemeinschaft, in der allein die freie und volle Entwicklung seiner Persönlichkeit möglich ist." Eine Formulierung, die Gemeinschaftsgebundenheit des Individuums voraussetzt und die Pflichten und Rechte wieder in ein Korrespondenzverhältnis setzt, die schließlich nicht nur den Staat, sondern die gesamte politische Gemeinschaft zur Schaffung von Freiheitsbedingungen in die Pflicht nimmt. Die Menschenpflichten kennt auch die EMRK von 1950, die eher versteckt und in ihrer normativen Verbindlichkeit stark abgeschwächt, die Pflichtendimension in der Auslegungsregel des Art. 17 anklingen läßt: "Keine Bestimmung dieser Konvention darf dahin ausgelegt werden, daß sie flir einen Staat, eine Gruppe oder eine Person das Recht begründet, eine Tätigkeit auszuüben oder eine Handlung zu begehen, die auf die Abschaffung der in der vorliegenden Konvention festgelegten Rechte und Freiheiten oder auf weitergehende Beschränkung( ... ) hinzielt."

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Abgedruckt in: Die Zeit, Nr. 41 vom 3. Oktober 1997, S. 18.

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Zwar werden mittelbar Pflichten fiir einzelne und Gruppen begründet, explizit bleibt die EMRK aber in der Terminologie der "Rechte" verhaftet. Andere Akzente setzt demgegenüber die innovative Fortschreibung der Pflichtenidee in der American Convention on Human Rights. Art. 32 § 1 sagt: "every person has responsibilities to ( ... ) mankind" (neben den kleineren Bezugsgrößen Familie und Gemeinwesen), § 2: "the rights of each person are limited by the rights of others". Im zweiten Teil greift der Text klassisch auf/. Kant zurück, im ersten Teil wagt er eine interessante Variante: nicht von duties, sondern von responsibilities ist die Rede. Noch entscheidender aber ist der Menschheitsbezug, der die Grenzen der nationalen politischen Gemeinschaft sprengt und so implizit die Pflichtenidee in den Kontext zum Menschenwürdedenken setzt. Direktes Augenmerk auf individuelle Pflichten richtet auch die African Charter on Human and Peoples' rights. Das gilt nicht nur filr die Präambel ("that the enjoyment of rights and freedoms also implies the performance of duties on the part of everyone"), auch im operativen Teil enthalten Art. 27-29 konkrete Bestimmungen zum Pflichtenthema. Die Bestandsaufnahme zeigt, daß fast jedes Instrument internationalen Menschenrechtsschutzes nach 1945 implizite oder explizite Aussagen zu den Pflichten des einzelnen enthält. Dabei ergibt sich ein differenziertes Bild von Klauseln unterschiedlicher Intensität und ein Katalog von Grundproblemen. Welche Pflichten entsprechen welchen Rechten? Wie ist der Ausgleich einander widersprechender Rechtspositionen einzelner erfaßt? Gibt es eine öffentliche Verantwortung filr die Wahrnehmung privater Pflichten?690 Vor diesem Hintergrund von Fragen muß der Stellenwert der Menschen- bzw. Grundpflichten im freiheitlichen Gemeinwesen beleuchtet werden. 691 b) Der Stellenwert der Menschen- bzw. Grundpflichten im freiheitlichen Verfassungsstaat aa) Der Pflichtenbegriff

Das umfassende Autonomieprinzip, das der europäischen Menschenrechtsidee zugrunde liegt, hat in I. Kant einen seiner wichtigsten Klassiker gefunden. Er spricht vom angeborenen Recht der Freiheit und der "Qualität des Men690 Vgl. dazu J. J. Paust, The Other Side of Right: Private Duties Under Human Rights Law, in: Harvard Human Rights Journal, Vol. 5 (1992), S. 51 ff., 62. 691 Zu Pflichtenklauseln in Verfassungstexten P. Häberle, Das Konzept der Grundrechte, in: ders., Europäische Rechtskultur 1994 (TB 1997), S. 279 ff., 312 f.

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sehen, sein eigener Herr zu sein ( ... )"(Metaphysik der Sitten. Erster Teil: Metaphysische Anfangsgrunde). Gemeint ist eine nach dem allgemeinen Gesetz geordnete Autonomie aller, der eine völlige Freiheit des Individuums zugrunde liegt, die durch keinerlei korrespondierende Verpflichtungen ihre Grenzen finden kann, sondern eben nur in der ebenso weitreichenden Freiheit des/der anderen. 692 Diese Konzentration auf die Freiheit hat das Pflichtendenken in den Hintergrund gedrängt und mit dem westlichen Menschenrechtskonzept der Aufklärung ein Stück weit unvereinbar erscheinen lassen. Erschwerend kommt hinzu, daß in der monarchischen Staatslehre des 19. Jh. ein System staatsethisch begründeter Untertanenpflichten in den Vordergrund gerückt ist, die zu erftlllen letztlich der Zweck der vom Obrigkeitsstaat gewährten Rechte war.693 Das Pflichtendenken war desavouiert und wurde noch stärker durch die Totalitarismen und ihre Fixierung auf das Kollektiv in Mißkredit gebracht. Der Pflichtenbegriff erschien instrumentalisiert zur Rechtfertigung einer umfassenden "Verstaatlichung" des Menschen694 • Es darf, anknüpfend an die Tradition der Aufklärung, aber nicht verkannt werden, daß die "Freiheit der anderen" aber gerade die Tür zu Pflichten hin aufstößt. 695 Der Pflichtenbegriff ist dabei schwierig zu erfassen, er zeigt keine scharf umrissenen Konturen und rückt das Recht in die Nähe zur Moral und sittlichen Pflicht.696 Er darf aber trotzdem nicht zu eng gefaßt werden. 697 So werden in der deutschen Diskussion die Grundpflichten als Gegenstücke zu den Grundrechten verstanden. Während letztere eine individuelle, prinzipiell unbegrenzte und a natura vorausgesetzte Freiheitssphäre garantieren und den einzelnen berechtigen, enthalten erstere Verhaltensgebote an den Bürger, zu deren Einhaltung der Staat spiegelbildlich berechtigt ist. 698 Hier geht es um verfassungsrechtlich fixierte Pflichten des einzelnen gegenüber dem Staat, z.B. die Steuerpflicht, die allgemeine Wehrpflicht oder die Schulpflicht. Der Plichten692

Vgl. dazu H. Hofmann, Menschenrechtliche Autonomieansprüche, JZ 1992,

693

K. Stern, Idee und Herkunft des Grundpflichtendenkens, in: FS K. Doehring, s. 969 ff., 975.

s. 165 ff., 169. 1989, 694

So die anschauliche Terminologie ebd., S. 979.

P. Sa/adin, Menschenrechte und Menschenpflichten, in: E.-W. Böckenförde!R. Spaemann (Hrsg.), Menschenrechte und Menschenwürde, 1987, S. 267 ff., 267 f. 696 K. Stern, Idee und Herkunft des Grundpflichtendenkens, in: FS K. Doehring, 695

s. 969 ff., 971. Zur Terminologie siehe 0. Luchterhandt, Grundpflichten als Verfassungsproblem in Deutschland, 1988, S. 49 ff. 691 Dazu D. Steuer-F/ieser, "Grundrechte" im Codex Iuris Canonici von 1983 im Vergleich mit dem deutschen Grundgesetz, 1999, S. 99 mit umfangreichen Literaturnachweisen. 1989, 697

G. Das "Prinzip Verantwortung"

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begriff in den Völkerrechtsdokumenten erweist sich aber nicht als in diesem Sinne staatsbezogen, sondern umgreift auch die Pflichtendimension gegenüber den Mitmenschen, der Familie, der Gesellschaft bis hin zur Menschheit. Die "Human Responsibilities" entfalten ihre Wirkung also in zwei Richtungen, eine staats- bzw. gemeinschaftsbezogene und eine mitmenschenbezogene. Zum einen bezeichnen sie Rechtspflichten, die fUr das verfaßte Gemeinwesen herausragende Bedeutung besitzen und daher von ihm eingefordert werden können, zum anderen - in Anknüpfung an die fraternite der Französischen Revolution- Rechtspflichten im Verhältnis zum Mitmenschen.699 bb) Menschenpflichten als verfassungsstaatliche Orientierungswerte

Der freiheitliche Leistungsstaat, wie ihn der IPbürgR im Zusammenspiel mit dem IPwirtR als universelles Modell entwirft, trägt eine weitgehende "Aufgabenverantwortung"700 filr das Wohl seiner Bürger, die er teils eigenständig, zu einem immer größer werdenden Teil auch in internationaler Kooperation wahrnimmt oder auf Private überträgt. Die tatsächliche Erfilllung dieser Aufgaben liegt aber - unabhängig von der Form - zu einem wesentlichen Teil in der Hand der freiheitsberechtigten Bürger, die in ihrem konkreten Zusammenleben Freiheit verantwortlich gestalten. Idealbild ist der mündige, politisch gleichermaßen interessierte und informierte, urteilsflthige Bürger, der seine Partizipationsmöglichkeiten aktiv wahrnimmt, sein eigenes Verhalten am Gemeinwohl orientiert und dessen Folgen fUr den Mitmenschen mitverantwortet.701 Doch nach der liberalen Staatskonzeption ist dem Bürger keine besondere Zielrichtung bei der Wahrnehmung seiner Freiheit vorgegeben: Freiheit ist Selbstzweck und nicht auf die Staatsziele oder das Gemeinwohl verpflichtet. 702 Aber die verfassungsrechtliche Literatur hat längst den Zusammenhang von Menschenrechten und Staatszielen und damit eine Finalität der Menschenrechtskataloge erkannt. Der Bürger soll die grund- und menschenrechtliehen 6w K. Stern, Idee und Herkunft des Grundpflichtendenkens, in: FS K. Doehring, 1989, s. 969 ff., 982 f. 700 P. Kirchhof, Der Staat als Organisationsform politischer Herrschaft und rechtlicher Bindung, DVBI. 1999, S. 637 f., 652. 701 Zum Zusammenhang von Pflichten und Verantwortung siehe P. Saladin, Menschenrechte und Menschenpflichten, in: E.-W. Böckenförde/R. Spaemann (Hrsg.), Menschenrechte und Menschenwürde, 1987, S. 267 ff., 268; darüber hinaus P. Kirchhof, Der Staat als Organisationsform politischer Herrschaft und rechtlicher Bindung, DVBI. 1999, S. 637 f., 652. 702 K. Waechter, Kooperationsprinzip, gesellschaftliche Eigenverantwortung und Grundpflichten, in: Der Staat 38 (1999), S. 279 ff., 304 f.

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Dritter Teil: Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbürgR

Zielvorgaben des Staates als eigene Orientierungswerte übernehmen und so an staatlicher Aufgabenerfiillung "freiheitsgestaltend" mitbeteiligt sein.703 Das ist um so wichtiger, je mehr typisch staatliche Aufgaben im Sinne des "lean public management", des schlanken Staates, einerseits von Privaten, andererseits überstaatlich erfüllt werden, und die Deregulierung bzw. Privatisierung Hand in Hand mit der Globalisierung voranschreitet Die Menschenrechte enthalten Staatsziele und Staatszielvorgaben, die auf der Pflichtenseite dem Bürger wiederum Orientierungswerte704, jedoch keine verbindlichen Verhaltensgebote festschreiben. Aus diesen Orientierungswerten erwächst individuelle Verantwortlichkeit zur Freiheitswahrnehmung. Sie ist letztlich Bindeglied zwischen Menschenrechten und ihnen korrespondierenden Pflichten. Jedes Freiheitsrecht setzt die Sozialnatur des Menschen voraus, ist niemals nur introvertiert oder gar absolut, sondern bindet die Freiheitswahrnehmung im Sinne des Kategorischen Imferativs an den Respekt vor der Freiheit des anderen und Andersdenkenden. 70 Nicht ohne Pathos spricht P. Saladin unter bewußtem Rückgriff auf die christliche Tradition von einer "Freiheit zum Nächsten" 706. Ein Blick zurück auf die historischen Wurzeln des modernen Menschenrechtsdenkens bestätigt schließlich diesen Befund: Die Emanzipation vom Untertan zum citoyen, ein Grundgedanke der bürgerlichen Revolutionen am Ende des 18. Jahrhunderts, sollte den einzelnen in möglichst weitem Umfang von staatlichen Zwängen befreien, war aber nicht eindimensional auf die individuelle Selbstverwirklichung hin gedacht. Im Gegenteil: jeder Bürger sollte Verantwortung fiir die und in der politische(n) Gemeinschaft übernehmen.707 Art. 15 und 16 der Virginia Bill ofRights und Art. 6 der französischen Verfassung von 1793 liefern hierfiir die klassischen Textbelege. Als Orientierungswerte sind die Menschenpflichten nur in der Präambel des IPbürgR verankert und nicht im Hauptteil des Vertrages zu durchsetzbaren Rechtspflichten ausgestaltet. Die internationalen Menschenrechtstexte machen Ebd., S. 279 ff., 291, 305. Zum Begriff: P. Häberle, Erziehungsziele und Orientierungswerte im Verfassungsstaat, 1981 , S. 87 ff.; ders., Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, s. 771 ff. 705 Vgl. in diesem Kontext auch die überzeugende Kritik an der Verabsolutierung individueller Freiheit im amerikanischen Verfassungsrecht bei M A. Glendon, Rights Talk, 1991, S. 48: "( ... ) another distinctive feature of the American rights dialect- its extraordinary homage to independence and self-sufficiency, based on an image of the rights-bearer as a self-determining, unencumbered, individual, a being connected to others only by choice." 706 Menschenrechte und Menschenpflichten, in: E.-W. Böckenförde/R. Spaemann (Hrsg.), Menschenrechte und Menschenwürde, 1987, S. 267 ff., 281. 707 Ebd., S. 267 ff., 269. 703

704

G. Das "Prinzip Verantwortung"

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deutlich, daß ihr Regelungsschwel])unkt auf der Freiheitssphäre des einzelnen liegt und die generelle Ausrichtung auf die Freiheit nicht durch unmittelbar vollziehbare und grundsätzlich unbegrenzte Pflichten dem Staat gegenüber konterkariert werden darf. 708 Im freiheitlichen Staat existiert eine notwendige Asymmetrie709 zulasten der Pflichten, die dem Bild von der dienenden Rolle des Staates entspricht. Die Menschenpflichten sind daher immer als Balance zu den Menschenrechten, als die soziale, die Du-bezogene Seite der Freiheitswahrnehmung zu sehen. Sie müssen in der "mitmenschlichen", auf die soziale Gemeinschaft hin ausgerichteten Dimension legitimiert werden. Solche Sozialpflichten sind eher moralischer Natur und begründen ein "bürgerliches Pflichtenethos"710, das nur schwer justitiabei und der normativen Konkretisierung in einer auf Freiheit ausgerichteten Verfassungs- bzw. Völkerrechtsordnung nur schwer zugänglich ist. Ein weiteres kommt hinzu: Menschenpflichten sind per se sehr abstrakt. Schon um Mißbrauch undjede Vereinnahmung durch totalitäre Staatskonzepte zu verhindern, dürfen sie anders als die fundamentalen Freiheitsrechte nicht self-executing sein, sondern bedürfen der konkreten Ausgestaltung, zumeist auf einfachgesetzlicher Ebene. 711 Jede verfassende Rahmenordnung kann also nur allgemeine Grundlinien umreißen. Der Entwicklungsoffenheit und Konkretisierungsbedürftigkeit des Pflichtenbegriffs kann die Präambel am besten Rechnung tragen, da hier all seine Schattierungen zur Entfaltung kommen können, ohne den Freiheitsgedanken zu unterwandern. Die Präambel weiß sich dem Ideal der "verantworteten Freiheit" vel])flichtet und formuliert so den zentralen Orientierungswert filr den Freiheitsgebrauch in jeder politischen Gemeinschaft.

708 Vgl. P. Sieghart, The Lawful Rights of Mankind, 1985, S. 43 f.; K. Stern, Idee und Herkunft des Grundpflichtendenkens, in: FS K. Doehring, 1989, S. 969 ff., 979 (im Blick auf die Weimarer Staatslehre); D. Steuer-Flieser, "Grundrechte" im Codex Iuris Canonici von 1983 im Vergleich mit dem deutschen Grundgesetz, 1999, S. 101. 709 So flir die deutsche staatsrechtliche Diskussion wohl erstmals H. Hofmann, Grundpflichten als verfassungsrechtliche Dimension, VVDStRL 41 (1983), S. 42 ff., 49. 710 P. Häberle, Das Konzept der Grundrechte, in: ders., Europäische Rechtskultur, 1994 (TB 1997), S. 279 ff., 312. 711 Vgl. P. Saladin, Menschenrechte und Menschenptlichten, in: E.-W. Böckenförde/R. Spaemann (Hrsg.), Menschenrechte und Menschenwürde, 1987, S. 267 ff., 285.

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Dritter Teil: Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbUrgR

c) Die Pflichtenklausel- eine kulturelle Brücke zu nichtwestlichen Denktraditionen Das hier umrissene Pflichtendenken ist von vornherein überstaatlich zu begreifen. Die Pflichten gegenüber ,jedem Mitmenschen" und der Gemeinschaft, der jemand angehört, sind von Natur aus auf die universell mit-menschliche, die soziale Existenz des Individuums bezogen. Der Mitmensch ist dabei nicht zwingend durch die gleiche Staatsangehörigkeit defmiert, die politische "Gemeinschaft" nicht notwendig eine nationalstaatliche. "Überstaatlich" im weiteren Sinne wirken die Menschenpflichten aber auch, weil sie eine Brücke zwischen Staat und Gesellschaft bauen und die Gesellschaft ein Stück weit in "gute Verfassung" bringen wollen. Die Nähe zum Gedankengut des Art. 1 Abs. 2 GG, dem zufolge die "unverletzlichen und unveräußerlichen" Menschenrechte "Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft sind", ist unverkennbar. Die Parallele zur Lehre von der Drittwirkung der Menschenrechte ebenso712 • Diese "Überstaatlichkeit" im doppelten Sinne öffnet das individualistische westliche Menschenrechtskonzept hin zu Gemeinschaftswerten nicht-westlicher Gesellschaften. Es wirkt als Korrektiv zu einem uneingeschränkten Individualismus, der, wie ausgeftlhrt, auch in der europäischen Rechtskultur sehr viel weniger tief verwurzelt ist als oft angenommen. Die Übersteigerung individueller Rechte ist vielmehr eine Reaktion auf die Erfahrungen des Totalitarismus der Hitler- und Stalin-Ära, der jeden Gedanken von Kollektiv und Gemeinschaft mit negativer Konnotation versehen hat. Um aber andere Rechtskreise und Kulturen gewinnen zu können, muß das westliche Menschenrechtsdenken vorsichtig um den Pflichtentopos erweitert werden. Die Pflichtenklausel in der Präambel des IPbürgR baut gleichsam eine kulturelle Brücke zu globaler Menschenrechtskommunikation, die das Thema von Pflicht und Verantwortung nicht ausklammem darf, will sie die Stimmen aller beteiligten Rechtskulturen hörbar machen.

712 P. Saladin, Menschenrechte und Menschenpflichten, in: E.-W. Böckenforde/R. Spaemann (Hrsg.), Menschenrechte und Menschenwürde, 1987, S. 267 ff., 276 f.; zur ",Drittwirkung' des Wertgehalts der Menschenwürde" Ch. Enders, Die Menschenwürde in der Verfassungsordnung, 1997, S. 141 ff.

H. Die Souveränität der Staaten

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H. Die Souveränität der Staaten und der internationale Menschenrechtsschutz I. Der Souveränitätsbegriff 1. Die Idee der Souveränität in ihrer historischen Entwicklung

Die innere und äußere Souveränität gehört zu den vielschichtigsten und gleichzeitig umstrittensten Zentralbegriffen der Staats- wie Völkerrechtslehre713. Sie scheint schon von ihren Prämissen her nicht widerspruchsfrei. Dennabstrakt formuliert - umschreibt Souveränität einerseits das "Zuhöchst-Sein" einer Erscheinung, sei es im Sinne eines normativen Rechtsbegriffs oder einer soziologischen Kategorie. 714 Andererseits versteht sie sich als Konstitutionsprinzip der Völkerrechtsgemeinschaft und setzt damit selbstverständlich ein Mindestmaß notwendiger rechtlicher Bindungen an eine überstaatliche Gemeinschaft voraus. Je intensiver der moderne Leistungsstaat seine Aufgaben nicht mehr alleine, sondern nur noch in gemeinsamem Zusammenwirken mit anderen Staaten wahrnehmen kann, um so prekärer wird die Kluft zwischen tatsächlicher Gemeinschaftsgebundenheit und der Doktrin souveräner Autarkie.

713 Aus der Grundlagenlit.: H. Kelsen, Stichwort: "Souveränität", in: Stropp (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. II, 1925, S. 554 ff.; H. Heller, Die Souveränität (1927), in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 2, 1971, S. 31 ff.; G. Dahm, Völkerrecht, Bd. I, 1958, S. 153 ff.; H. Quaritsch, Staat und Souveränität, Bd. I, 1970, S. 243 ff.; ders., Souveränität. Entstehung und Entwicklung des Begriffs in Frankreich und Deutschland vom 13. Jh. bis 1806, 1986; L. Wildhaber, Entstehung und Aktualität der Souveränität, in: FS K. Eichenberger, 1982, S. 131 ff., 133 ff.; A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. 1984, S. 25 ff.; H. Steinberger, Sovereignty, EPIL, Bd. 10, 1987, S. 397 ff.; P. Saladin, Wozu noch Staaten?, 1995, S. 28 ff.; A. Randelzhofer, Staatsgewalt und Souveränität, in: HdBStR, Bd. I, 2. Aufl. 1995, § 15, Rn. 13 ff.; J. P. Müller, Wandel des Souveränitätsbegriffs im Lichte der Grundrechte, in: Symposion L. Wildhaber, 1997, S. 45 ff. S. dazu auch Ch. Schreuer, The Waning of the Sovereign State: Towards a New Paradigm for International Law, in: European Journal of International Law 4 (1993), S. 447 ff.; D. Kennedy, Receiving the International, in: FS J. M. Broekman, 1996, S. 393 ff., 398 ff.; H. Lindahl, Sovereignty and Symbolization, in: Rechtstheorie 28 (1997), S. 347 ff.; K. Hills, Human Rights in the Ernerging Global Order: A New Sovereignty?, 1998; D. Blumenwitz, Souveränität - Gewaltverbot Menschenrechte, in: Politische Studien, Sonderheft 4/1999, S. 19 ff. Historischvergleichend angelegt ist die Darstellung bei M. Baldus, Zur Relevanz des Souveränitätsproblems, in: Der Staat 36 (1997), S. 381 ff., 381-388, unter Verweis auf Klassiker wie H. Preuß, C. Schmitt, H. Heller, H. Kelsen, A. Haenel, L. Duguit, H. J. Laski und N. Politis. 714 M. Baldus, Zur Relevanz des Souveränitätsproblems, in: Der Staat 36 (1997), S. 381 ff., 381; klassisch zum "soziologische(n) Problem der Souveränität" H. Heller, Die Souveränität ( 1927), in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 2, 1971, S. 31 ff., 57 ff.

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Dritter Teil: Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbürgR

Ein zeitgemäßes Souveränitätsverständnis muß daher aus dem immer komplexer werdenden Geflecht überstaatlicher Bindungen und zugleich anhand einer Vergewisserung über die historischen Wurzeln der "souverainete" entwickelt werden. Einige bedeutsame Eckdaten seien im folgenden knapp umrissen: Schon die Antike kannte verschiedene voneinander unabhängige Staatsgebilde, doch die Idee der staatlichen Souveränität enst~nd erst sehr viel später. Erste Ansätze finden sich im Mittelalter, als Kar/ der Große mit der Vision eines erneuerten Römischen Reiches den Anspruch auf Weltherrschaft verband und der konfliktreiche Dualismus von Kaiser und Papst der Frage nach der Legitimität staatlicher bzw. kirchlicher Macht seinen Stempel aufprägte. 715 Neben der Kompetenzverteilung zwischen weltlichem und geistlichem Herrscher war auch die auf Cicero, Augustinus und Thomas von Aquin zurückgehende Diskussion um ein "ius ad bellum iustum", um die Entscheidungsgewalt über Krieg und Frieden, ein früher Impetus fUr das europäische Souveränitätsdenken. Doch erst der französische Legist J. Bodin (1530-1596) schuf mit seinen "Les six livres de Ia republique" den Klassikertext der modernen Souveränitätslehre.716 Seine Defmition der "souverainete" respektive der "summa potestas" als "in cives ac subditos legibus soluta potestas" ist die theoretische Grundlage einer höchsten, dauernden, unteilbaren und rechtlich zunächst unverantwortlichen Hoheitsgewalt des Staates.717 Aber Bodin betont auch nachdrücklich, daß nach seiner Konzeption die "summa potestas" auf der einen Seite dem göttlichen und natürlichen Recht718, auf der anderen Seite der "Iex omnium gentium communis"719, also dem Völkerrecht unterworfen sei. Eine absolute, ungebundene "Höchstmächtigkeit"720 im Inneren ebenso wie im Verhältnis zu anderen Staaten war seiner Lehre von Anfang an fremd. Gleiches gilt fUr die Völkerrechtstheoretiker der spanischen Spätscholastik, vor allen F. de Vitoria und F. Suarez. Die Souveränität eines Staates garantiert zwar, daß er 715 H. Steinberger, Sovereignty, EPIL, Bd. 10, 1987, S. 397 ff., 399; A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. 1984, S. 25. 716 Sechs Bücher über den Staat (Les six livres de Ia republique), l. Buch, 8. Kapitel: "Maiestas est summa in cives ac subditos legibus soluta potestas." Dazu H. Quaritsch, Staat und Souveränität, Bd. 1, 1970, S. 243 ff.; ders., Souveränität. Entstehung und Entwicklung des Begriffs in Frankreich und Deutschland vom 13. Jh. bis 1806, 1986, S. 46 ff.; H. Steinberger, Sovereignty, EPIL, Bd. 10, 1987, S. 397 ff., 401 f. 717 Oe Republica (1601), I, 8; dazu auch L. Wildhaber, Entstehung und Aktualität der Souveränität, in: FS K. Eichenberger, 1982, S. 131 ff., 133 ff.; H. Steinberger, Sovereignty, EP1L, Bd. 10, 1987, S. 397 ff., 4011402; H. Lindahl, Sovereignty and Symbolization, in: Rechtstheorie 28 (1997), S. 347 ff., 351 f. 718 Six livres de Ia republique (1583}, I, cap. IX. 719 Oe Republica, I, 8. 720 So der Terminus von P. Saladin, Wozu noch Staaten?, 1995, S. 29.

H. Die Souveränität der Staaten

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keiner höheren Entscheidungsinstanz oder Gerichtsbarkeit, gar eines anderen, potentiell mächtigeren Staates untergeordnet ist721 , sie ist aber nicht unumschränkt, sondern rechtlich begrenzt und auf das Wohl der Völkergemeinschaft hin ausgerichtet722 • Die Radikalität des Hobbes 'sehen Weltbildes von im Naturzustand ungebundenen Staaten steht der Schule von Salamanca denkbar fern. Die Neuordnung der europäischen Staatenwelt durch den Westfälischen Frieden im Jahre 1648 verband das Souveränitätsdenken mit dem Konzept des Territorialstaates.723 Der Souveränität, gerade in Gestalt der Gebietshoheit, war eine friedensstiftende und freiheitssichemde Funktion zugesprochen, die in ersten Ansätzen zum Schutze religiöser Minderheiten - freilich begrenzt auf die christlichen Konfessionen - eine wichtige Ergänzung fand. Später versuchte E. de Vattel eine umfassende Deutung der staatlichen Souveränität und differenzierte hinsichtlich der folgenden Merkmale: Selbstregierung, Unabhängigkeit von anderen Staaten und Völkerrechtsunmittelbarkeit. 724 Die de Vattel'sche Trias prägte und prägt bis heute die völkerrechtliche Souveränitätsdoktrin, die Staatenpraxis und die Judikatur zunächst des StiGH, dann des IGH. Ein Staat ist souverän, wenn er keiner anderen Autorität als der des Völkerrechts untersteht, für seine Angehörigen auf seinem Staatsgebiet letztverbindliche Entscheidungen treffen kann (innere Souveränität) und nach außen hin von jeder Einflußnahme durch andere Staaten unabhängig ist. 72s Ein neues Souveränitätskonzept wurde im Völkerbund angelegt, das hinführt zur Gestaltung der UN-Charta. 726 Das Recht zum Krieg wurde als Anachronismus empfunden. Die Idee eines Systems kollektiver Sicherheit gewinnt erste Konturen (Briand-Kellogg-Pakt von 1928). Die liberte de guerre, vordem herausgehobenes Attribut der Souveränität, gibt es nicht mehr. Das ist mehr als eine partielle Souveränitätseinbuße des Staates, das ist ein grundlegender Wan721 Vgl. die Definition bei H. Heller, Die Souveränität (1927), in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 2, 1971, S. 31 ff., 65: "Souverän nennen wir nun jene Entscheidungseinheit, die keiner anderen wirksamen universalen Entscheidungseinheit untergeordnet ist." 722 Dazu A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. 1984, S. 27; J. Soder, Die Idee der Völkergemeinschaft, 1955, S. 95 f. 723 H. Steinberger, Sovereignty, EPIL, Bd. 10, 1987, S. 397 ff., 400; vgl. auch H. Quaritsch, Staat und Souveränität, Bd. I, 1970, S. 32 ff.; D. Kennedy, A New Stream of International Law Scholarship, Wis. International Law Journal, Vol. 7 (1988), S. I ff., 14 f. 724 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. 1984, S. 28. 125 Vgl. H. Heller, Die Souveränität (1927), in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 2, 1971, S. 31 ff., 141 ("nach innen und außen wirksame universale Gebietsentscheidungseinheit"); A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. 1984, S. 29 f. 726 Dazu H. Steinberger, Sovereignty, EPIL, Bd. 10, 1987, S. 397 ff., 408.

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Dritter Teil: Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbürgR

del im Souveränitätsdogma. Einen ebenso weitgehenden Entwicklungssprung markieren die supranationalen und sonstigen zwischenstaatlichen Einrichtungen, die zu einer mehr oder weniger starken Relativierung der Souveränität fUhren. Zu nennen ist an erster Stelle die EU, aber auch die Organisation ftlr Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) mit ihrer informationeilen und institutionellen Vernetzung727 • Die Kette der Beispiele ließe sich fortsetzen. Dieser fragmentarische historische Rückblick ftlhrt zu ersten Weichenstellungen. Da die Souveränitätsidee geschichtlich geworden ist, wäre jede ahistorische und damit wirklichkeitsfremde Betrachtung unfruchtbar, denn Souveränität ist Entwicklung und Wandel unterworfen, muß in der Wirklichkeit der heutigen Staatenwelt ihren Geltungsanspruch behaupten und ihre Grenzen erkennen. 728 Sodann ist dem Souveränitätsdenken ein Telos immanent, das einseitiger Verabsolutierung entgegensteht. Die Souveränität ist immer verbunden mit der Frage der Kompetenzbegründung und insoweit friedens- und freiheitssichernde Ordnungsidee. Der Begriff stand und steht niemals nur ftlr ein Herrschaftsprädikat und darf nicht auf "Unabhängigkeit" und "absolute Gewalt" verengt werden. 2. Die Verankerung des Souveränitätsgedankens im Präambeltext des /PbürgR

Die Souveränität wird in der Präambel des IPbürgR nicht explizit genannt, aber von ihr als selbstverständlich vorausgesetzt. Der Präambeltext nimmt auf die UN-Charta und damit mittelbar deren Souveränitätskonzept Bezug, nennt überdies die Staaten als Vertragsparteien. Das ist die unzweideutige Terminologie der freiwilligen Selbstverpflichtung der an keine andere Entscheidungsmacht gebundenen Staaten. Auch der enge Zusammenhang mit dem Recht auf freie Selbstbestimmung der Völker (Art. 1 Abs. 1) enthält einen Souveränitätsaspekt: die souveräne Entscheidung der Völker über ihren politischen Status und die damit verbundenen freien Gestaltungsmöglichkeiten ihrer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung. Die Präambel des IPbürgR relativiert aber zugleich das Souveränitätsdogma durch die Menschenwürdeformel 727 Dazu D. Senghaas, Weltinnenpolitik - Ansätze für ein Konzept, in: Europaarchiv 1992, S. 643 ff., 643 f.; weitere Beispiele bei R. McCorquodale/R. Fairbrother, Globalization and Human Rights, in: Human Rights Quarterly 21 (1999), S. 735 ff., 753 ff. (Multilateral Agreement on Investment, Internationaler Währungsfond etc.). 728 Vgl. dazu R. Lhotta, Der Staat als Wille und Vorstellung, in: Der Staat 36 (1997), S. 189 ff., 197; darüber hinaus H. Lindahl, Sovereignty and Symbolization, in: Rechtstheorie 28 (1997), S. 347 ff., 347: sovereignty as a ",historical' category".

H. Die Souveränität der Staaten

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mit Blick auf das Individuum nach innen (innere Souveränität) und durch die Idee der Einbindung der Staaten in die internationale Gemeinschaft nach außen hin (äußere Souveränität). II. Die Souveränität und die Verfassung der internationalen Staatengemeinschaft Der historische Überblick und der von der Präambel des IPbürgR vorausgesetzte Souveränitätsbegriff haben gezeigt: "Souveränität in der Bedeutung eines absoluten uneingeschränkten Staatswillens, der auch über Krieg und Frieden allein entscheidet, ist der Flugsand, auf welchem das Fundament des überkommenen internationalen Rechts aufgebaut ist." 729 Angesichts der Internationalisierung und des Funktionswandels staatlicher Aufgaben kann unumschränkte "innere und äußere Souveränität der Sache nach nicht mehr sein als Resultat eines Wunschdenkens und Lebenslüge des Staates".730 Wie das Souveränitätsdogma filr den kooperativen Verfassungsstaat und aus der Perspektive des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes neu defmiert werden kann, ist damit aber noch nicht gesagt. 1. Die Re/ativierung des Souveränitätsdogmas durch den Funktionswandel des Staates

Eine wichtige Relativierung erfllhrt der Souveränitätsbegriff durch einen Vorstellungswandel mit Blick auf den Zusammenhang von Souveränität und Nation731 • Der übernationale Charakter der Menschenwürde beweist, daß der Ausschließlichkeitscharakter des Nationalen überwunden werden muß. Es ist zwar zutreffend, die Nationalstaatsidee als die "geschichtlich(e) ( ...) Antwort auf das Bedürfnis nach erlebbaren sozialen ldentitäten" zu bezeichnen. Sie war notwendig, vor allem in einer Zeit, da Europa nach der Ablösung universeller 729 Ph. Jessup, Modemes Völkerrecht, 1950, S. 58; vgl. darüber hinaus G. Schwarzenberger, Machtpolitik, 1955, S. 55 ff.; P. Kirchhof, Der Staat als Organisationsform politischer Herrschaft und rechtlicher Bindung, DVBI. 1999, S. 637 ff., 639, 650. 730 K. Hesse, Proömium, in: Die Welt des Verfassungsstaates. Kolloquium aus Anlaß des 65. Geburtstages von Peter Häberle, 2000 i.E.; ders .• Verfassung und Verfassungsrecht, in: E. Benda!W. Maihofer!H.-J. Vogel (Hrsg.), HdBVerfR, 2. Aufl. 1994, § 1, Rn. 36; so auch P. Pernthaler, Allgemeine Staatslehre und Verfassungslehre, 2. Aufl. 1996, S. 14 ff.; 0. Czempiel, Weltpolitik im Umbruch, 1991, S. 86 ff.; R. Lhotta, Der Staat als Wille und Vorstellung, in: Der Staat 36 (1997), S. 189 ff., 198. 731 Dazu H. Lindahl, Sovereignty and Symbolization, in: Rechtstheorie 28 ( 1997), S. 347 ff., 349 f.

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Dritter Teil: Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbürgR

religiöser Ideen und feudaler Herrschaftsstrukturen um neue Formen politischer Integration rang. 732 Die Nation ist heute aber nicht mehr die einzige erlebbare soziale Identität. Daneben treten neue politische Gemeinschaften regionaler und internationaler Natur, die sich aus anderen Identitäten speisen: von der Wirtschaft bis zur Kultur, von der Europäischen Union bis hin zu relativ lose strukturierten Kooperationsverträgen auf den Feldern von Wirtschaft und Technik. Entscheidend ist bei alldem der durch die Menschenwürde bedingte Paradigmenwechsel hin zu einer universal-menschlichen, "weltbürgerlichen" Identität. Nach dem Nationalstaatskonzept wird der einzelne durch die ihn jeweils tragende Gemeinschaftsidee defmiert, das Volk im Sinne der nationalen Einheit ist gestaltendes Subjekt der Geschichte733 . Im kooperativen Verfassungsstaat wird der einzelne über die Menschenwürde defmiert, er ist selbst das Subjekt der Geschichte. Ein zweiter Gesichtspunkt ist der Zusammenhang von Souveränitätsprinzip und Subsidiaritätsprinzip. Angesichts der Wirklichkeit der modernen Staatenwelt kann der Nationalstaat nicht mehr die "Letzt"- oder "Totalverantwortung" fiir die Bürger beanspruchen, die seiner Souveränität unterstehen. 734 Damit verbunden wäre ein Versprechen, daß der Staat aufgrund seiner international gebundenen, eingeschränkten Handlungs- und Entscheidungsfreiheit gar nicht halten kann. Gibt der Nationalstaat das Versprechen dennoch und löst es dann nicht ein, wäre eine zunehmende Handlun~sohnmacht die Folge. Die Grundlagen seiner Legitimation wären erschüttert.7 5 Die Internationalisierung der Bedingungen staatlicher Aufgabenerfüllung bringt vielmehr ein komplexes globales Verantwortungsgeflecht mit sich. Souverän im Sinne von "entscheidungsmächtig" soll die Einheit sein, die ihre Souveränität auch tatsächlich effektiv realisieren kann. Das hängt je nach institutionellem Gefüge der politischen Einheit davon ab, welche Funktionen, welche Kompetenzen ihr übertragen werden736 • Die Souveränität wird dezentralisiert.

732 W Schreckenberger, Der moderne Verfassungsstaat und die Idee der Weltgemeinschaft, in: Der Staat 34 ( 1995), S. 503 ff., 511. 733 Ebd., S. 503 ff., 512. 734 L. Wildhaber, Entstehung und Aktualität der Souveränität, in: FS K. Eichenberger, 1982, S. 131 ff., 139; K. Hesse, Verfassung und Verfassungsrecht, in: E. Benda!W. Maihofer/H.-J. Vogel (Hrsg.), HdBVerfR, 2. Aufl. 1994, § 1, Rn. 36; D. Tsatsos, Die Europäische Unionsgrundordnung, EuGRZ 1995, S. 287 ff.; G. Nicolaysen, Der Nationalstaat klassischer Prägung hat sich überlebt, in: FS U. Everling, Bd. II, 1995, S. 945 ff., 950 ("modifizierte Staatlichkeit"). 735 Vgl. W Hertel, Supranationalität als Verfassungsprinzip, 1998, S. 110. 73 b Ch. Schreuer, The Waning of the Sovereign State: Towards a New Paradigm for International Law, in: European Journal oflnternational Law 4 (1993), S. 447 ff., 453.

H. Die Souveränität der Staaten

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Dieses Stichwort ist keineswegs neu, nur im völkerrechtlichen Kontext kaum formuliert. Der Föderalismus, der Regionalismus, Strukturen kommunaler Selbstverwaltung einerseits, supranationale Gemeinschaften wie die EU andererseits liefern aber ein bekanntes und bewährtes Modell. So, wie die Souveränität als Korrelat der Staatlichkeit im kooperativen Bundesstaat oder bei einer Kompetenzverlagerung auf überstaatliche Einheiten gleichsam multipliziert wird, es keine allzuständige, zentrale Macht gibt, ist der kooperative Verfassungsstaat auch nach außen hin in ein weltweit vernetztes Gebilde teils staatlicher, teils überstaatlicher und insoweit nur noch teilsouveräner Entscheidungsträger eingebunden737• Das gilt um so mehr, als nicht nur die Staaten, sondern auch die Individuen und gesellschaftlichen Gruppen in einem komplexen multinationalen Beziehungsgeflecht stehen. Das Band, das "genuine link" zwischen Staatsangehöri~em und "seinem" Staat wird dadurch nicht überflüssig, aber doch relativiert. 38 So wie der Begriff der Verfassung nicht rein staatsbezogen gedacht werden kann, ist die Souveränität nicht originär staatlich. Die Verfassung bzw. das Geflecht verfassender Teilordnungen, in das jedes Staatswesen eingebettet ist, schafft erst die Voraussetzungen filr Souveränität. Daher ist die internationale Staatengemeinschaft in Sachen Menschenrechte selbst ein Stück weit souverän neben dem souveränen Nationalstaat. Für diese verfassende Teilordnung besitzt sie originäre Defmitionsmacht und Handlungskompetenz. Die Frage der effektiven Durchsetzung steht freilich auf einem anderen Blatt. Ist die Staatengemeinschaft in Sachen Menschenrechte selbst .. teilsouverän ", so muß sie vor allem dort zum Schutz eben dieser Freiheiten und Rechte bereit sein, wo der nationale Verfassungsstaat versagt. Dem trägt die "local remedies rule" in den internationalen Menschenrechtspakten Rechnung: Sie will nicht nur die Entlastung der übernationalen Instanzen erreichen, sondern die vorrangige Zuständigkeit der nationalen Gerichte ist zudem Ausdruck von Subsidiarität. Die den Bürger unmittelbar betreffende Entscheidung soll vor Ort fallen. Nur wenn, soweit vorhanden, der innerstaatliche Rechtsweg erschöpft ist und hier - aus welchen Gründen auch immer - kein hinreichender Rechtsschutz gewährt wird, ist die Zuständigkeit der internationalen Instanz begründet. Die Völkergemeinschaft wird dann auf diesem Felde zum teilsouveränen Entscheidungsträger im Dienste des Menschen. Die Souveränität ist eine notwendige, auch im Zeitalter der Supranationalität unverzichtbare, in Art. 2 Nr. 1 737 R. Lhotta, Der Staat als Wille und Vorstellung, in: Der Staat 36 (1997), S. 189 ff., 202; spezifisch zu den Souveränitätsstrukturen der EU W Herte/, Supranationalität als Verfassungsprinzip, 1998, S. 88. 738 Vgl. G. Nicolaysen, Der Nationalstaat klassischer Prägung hat sich überlebt, in: FS U. Everling, Bd. II, 1995, S. 945 ff., 945.

22 Kotzur

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Dritter Teil: Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbürgR

SVN positivierte Ordnungsidee internationalen Zusammenlebens. Sie ist aber nicht als rechtfertigende Quelle gleichsam naturhaft vorgegeben, kein Zweck in sich selbst, nicht absolut, so wie die Freiheit niemals absolut sein kann. 739 2. Die Idee eines Weltgesellschaftsvertrages

Die Idee eines Weltgesellschaftsvertrages relativiert ebenfalls das überkommene Souveränitätsdenken. Ihre historischen Wurzeln gehen zurück bis zur civitas maxima eines Christian Wo/ff. eine durch den Quasi-Vertrag konstituierte Menschheit, eine Gesellschaft der durch Menschenrechte und Menschenpflichten konstituierten Menschheit.740 Die klassische, konsensorientierte Völkerrechtstheorie versteht demgegenüber die Souveränität als die entscheidende Grundlage zwischenstaatlichen Miteinanders und konzipiert die internationale Ordnung unter Rückgriff auf die Lehre vom cantrat social als einen Gesellschaftsvertrag zwischen souveränen Staaten141 • In der historischen Wirklichkeit greifbares Beispiel eines solchen - sonst oft nur fiktiv gedachten - Vertrages ist der Westfiilische Friede. Er hat zugleich die Existenz einer souveränen europäischen Staatenwelt legitimiert und bezog doch seine eigene Legitimation wiederum aus der Doktrin von der souveränen Gewalt der vertragschließenden Staaten. 742 Diese Begründung trägt einen gewichtigen Widerspruch in sich, denn die Staaten haben ihren souveränen Status erst geschaffen und verweisen doch gerade auf eben diesen Status als legitimierende Quelle ihres Handelns. 743 Desweiteren werden die Staaten im Sinne einer Analogie zum klassischen Gesellschaftsvertrag den Individuen gleichgesetzt, die Beziehungen zwischen Staaten wie Beziehungen zwischen Individuen beschrieben. Die Souveränität der Staaten ist dabei Parallelbegriff zur Freiheit der Individuen744, nämlich der 739 So auch die Kritik bei N. Purvis, Critical Legal Studies in Public International Law, in: Harvard International Law Journal 32 (1991 ), S. 81 ff., 100. 740 C. WoljJ, Jus naturae, VII, § 142; dazu F. Cheneval, Der präsumtiv vernünftige Konsens der Menschen und Völker- Christian Wolffs Theorie der civitas maxima, in: ARSP 85 (1999), S. 563 ff., 572. 741 N. Purvis, Critical Legal Studies in Public International Law, in: Harvard International Law Journal32 (1991), S. 81 ff., 93; vgl. auch S. U. Pieper, "The Clash ofCivilizations" und das Völkerrecht, in: Rechtstheorie 29 (1998), S. 331 ff., 339 f. 742 Vgl. M. Koskenniemi, From Apology to Utopia, 1989, S. 73; N. Purvis, Critical Legal Studies in Public International Law, in: Harvard International Law Journal 32 (1991), s. 81 ff., 97. 743 Ebd., S. 81 ff., 97; D. Kennedy, A New Stream of International Law Scholarship, Wis. International Law Journal, Vol. 7 (1988), S. 1 ff., 30 f. 744 Dazu M. Koskenniemi, From Apology to Utopia, 1989, S. 68 f. und 262 f.

H. Die Souveränität der Staaten

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freie Wille der Staaten, der durch nichts anderes gebunden werden kann als durch ihren consensus. 745 Das impliziert ohne jeden Zweifel die Idee einer einheitlichen Persönlichkeit des Staates, ein anthropomorphes Bild vom Staat im Jellinekschen Sinne746• Einheitlicher Staatswillensbildung folgt ein einheitlicher Staatswille.747 Die Nähe zum Bild des souveränen Herrschers, der den absolutistischen Staat personifiziert, ist nicht zuflUlig. 748 Ebensowenig ein Zufall, vielleicht nur überraschender, ist die Nähe zu Rousseau, nach dessen Konzept vom Gesellschaftsvertrag sich die Individuen zur Nation zusammenschließen, und so ihre Autonomie, ihre ursprüngliche Freiheit kollektivieren. Die Nation ist filr Rousseau der vereinheitlichte Wille des kollektiv gedachten Staatsvolkes und Quelle der souveränen Entscheidung.749 Ein solchermaßen in verpersonifizierter Staatlichkeit oder einem vermeintlich heterogenen Kollektiv verorteter Souveränitätsbegriff verdeckt letztlich nur die pluralistische Vielfaltall derer, die den Staat konstituieren. So wie der Staat aus pluralistischer Vielheit entsteht, lebt auch die internationale Gemeinschaft nicht nur aus dem Wollen souveräner Staaten. An ihr sind vielmehr alle gesellschaftlichen Kräfte von den Wirtschaftsverbänden über die Massenmedien bis hin zum Individuum beteiligt. In gemeinwohlorientierter Verantwortung filr gegenwärtige und künftige Generationen müssen sie ihre Gemeinschaft immer neu gestalten. Das Bild vom "Weltgesellschaftsvertrag" charakterisiert diesen Vorgang sehr viel besser als alle Staatswillenstheorien.

745 Th. Franck, Legitimacy in the International System, American Journal of International Law 82 (1988), S. 705 ff., 759; siehe auch E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, 1976, S. 166. 746 S. H. Heller, Die Souveränität (1927), in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 2, 1971, S. 31 ff., 120; E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, 1976, S. 177; vgl. auch D. Tsatsos, Die Europäische Unionsgrundordnung, EuGRZ 1995, S. 287 ff., 290; G.-C. von Unruh, Grundgedanken zur Entwicklung des neuzeitlichen Verfassungsstaates, BayVBI. 1999, S. 11 ff., 13. 747 Vgl. H. Heller, Die Souveränität (1927), in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 2, 1971, S. 31 ff., 63; dazu M. W. Hebeisen, Souveränität in Frage gestellt, 1995, S. 455 ff. 748 H. Preuß, Gemeinde, Staat, Reich, 1899, S. 105. 749 J.-J. Rousseau, Contrat Social, Buch I, Kap. 6; dazu H. Hofmann, Menschenrechtliche Autonomieansprüche, JZ 1992, S. 165 ff., 171.

22°

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Dritter Teil: Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbürgR

111. Der spezifische Zusammenhang von Souveränität und Menschenrechten, das instrumentale Souveränitätsverständnis Ein zeitgemäßes Souveränitätsverständnis darf den internationalen Menschenrechtsschutz nicht allein als notwendige, "zähmende" Schranke staatlicher Souveränität verstehen. Das Sprachbild der Schranke paßt nicht, denn umgekehrt muß Souveränität von den Menschenrechten her gedacht werden. Die Menschenrechtsgehalte sind konstitutiv fUr die Souveränität, der Menschenrechtsschutz wird zur immanenten Aufgabe einer instrumental verstandenen, dem Menschen dienenden und seine Freiheit sichemden Souveränität.750 1. Souveränität und Ideologie

Die Ideologisierung des Souveränitätsaspekts ist ein Relikt des Kalten Krieges. Sie war eine Waffe der ehemals kommunistischen Staatenwelt gegen westliche Menschenrechtsforderungen im Gewande des Nichteinmischungsprinzips. 7SI Doch die Souveränitätsidee ist eine Gefahr fUr die Menschenrechte nicht nur dort, wo sie - oft ideologisch-vordergründig - als "Schutzpanzer" gegen effektiven Menschenrechtsschutz ins Feld gefUhrt wird752, sondern überall, wo sie zur Verabsolutierung des Staates fUhrt. Der Souveränitätsbegriff wurde vielfach (und keineswegs nur vom Kommunismus oder anderen totalitären Regimen) mißbraucht, um den Staat als politische und moralische Autorität753, höchste, dauernde, unteilbare, keiner anderen Instanz rechtlich verantwortliche Entscheidungsmacht754 zu verklären und zu verabsolutieren. Doch jede metaphysische Überhöhung ist geflihrlich?SS, vor allem dann, wenn ein "säkularer theologischer Begritr'756 in Verbindung mit dem Gedanken der 750 Grundlegend zu diesem AnsatzJ. P. Müller, Wandel des Souveränitätsbegriffs im Lichte der Grundrechte, in: Symposion L. Wildhaber, 1997, S. 45 ff., 57 ff. 751 Vgl. dazu C. W Jenks, The Common Law ofMankind, 1958, S. 124; R. L. Bindsched/er, Der Schutz der Menschenrechte und das Verbot der Einmischung, in: FS H.-J. Schlochauer, 1981, S. 179 ff. 752 J. P. Müller, Wandel des Souveränitätsbegriffs im Lichte der Grundrechte, in: Symposion L. Wildhaber, 1997, S. 45 ff., 45; S. Hobe, Der kooperationsoffene Verfassungsstaat, in: Der Staat 37 (1998), S. 521 ff., 537. 753 Vgl. M. W Hebeisen, Souveränität in Frage gestellt, 1995, S. 644 ("ethische Autorität" der Souveränität). 754 So die Formel C. Schmitts, Verfassungslehre, 1928, S. 107: "existentielle Überlegenheit Uber die Normierung"; ders., Politische Theologie, 2. Aufl. 1934, S. 12. 755 M. W Hebeisen, Souveränität in Frage gestellt, 1995, S. 641. 756 C. Schmitt, Politische Theologie, 2. Aufl. 1934, S. 49.

H. Die Souveränität der Staaten

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Nation entsteht. Ein modernes Souveränitätsverständnis muß sich von jeglichem ideologischen Ballast frei machen und die freiheitssichernde, dem Menschen dienende Komponente herausarbeiten. 2. Die Kompetenz zur Formulierung und Durchsetzung internationaler Menschenrechte

Souveränität ist, formal defmiert, die durch die nationale bzw. internationale Rechtsordnung zugewiesene Kompetenz, um letztverbindlich über Inhalt, Geltung und Durchsetzung von Rechtsnormen zu entscheiden. So sehr die Souveränität gegen die Menschenrechte ins Feld geftlhrt werden kann, so unverzichtbar bleibt sie fiir deren Garantie. Das Rechtsdurchsetzungs- und Gewaltmonopol des Staates effektiviert den Menschenrechtsschutz.757 Erst eine klare, transparente Kompetenzordnung und eine durchsetzungsfiihige Staatsgewalt gewähren die Gestaltungs- und Steuerungsfiihigkeit der politischen Einheit. Sie sind unabdingbar fiir den staatlichen Schutz- und Sicherheitsauftrag. Nur so ist Rückbindung an den demokratischen Souverän möglich, kann politische Verantwortung ausgewiesen werden. Wie bereits angesprochen, besteht ein Zusammenhang von Souveränität und Entscheidungsfmdung vor Ort, ohne die Bürgerintegration und Akzeptanz des Rechts nicht möglich ist. 758 Daher ist der Souveränitätsbegriff bereichs- und funktionsspezifisch aufzuschlüsseln. Für die Menschenrechtsstandards, die universell gelten sollen, muß auch die übernationale Gemeinschaft die Definitionsmacht und die Durchsetzungsmacht haben wobei die Menschenwürde als unverrückbare Prämisse jeder Defmitions- oder Positivierungsbemühung vorgegeben ist. Sie muß insoweit souverän sein. Die automatische Gleichsetzung von Staat und Souverän verbietet sich. Von dieser Prämisse aus sind in letzter Konsequenz die Dimensionen eines instrumentalen Souveränitätsverständnisses im Dienste des Menschen zu erschließen.

757 Vgl. H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, 1925, S. 107; K . Doehring, Allgemeine Staatslehre, 1991, Rn. 258; A. Randelzhofer, Staatsgewalt und Souveränität, in: HdBStR, Bd. I, 2. Aufl. 1995, § 15, Rn. 39 ff.; M Ba/dus, Zur Relevanz des Souveränitätsproblems ( ... ),in: Der Staat 36 (1997), S. 381 ff., 390. 758 Zu Einwirkungen des übernationalen auf den nationalen Menschenrechtsschutz filr das Beispiel der Schweiz J. P. Müller, Wandel des Souveränitätsbegriffs im Lichte der Grundrechte, in: Symposion L. Wildhaber, 1997, S. 45 ff., 46 ff. (zur EMRK), S. 49 ff. (zu den UN-Menschenrechtspakten).

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Dritter Teil: Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbürgR

3. Dimensionen eines instrumentalen Souveränitätsverständnisses

a) Die Souveränität des Staates und die Würde des Individuums Souveränität als Element klassischer Staatlichkeit ist ebenso instrumental, dem Menschen dienend zu sehen wie der Staat selbst. Verwiesen sei hier auf den zweiten Passus der Präambel der UN-Charta, der in ungewöhnlicher Weise Fragen des Menschenrechtsschutzes mit dem Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten zusammenfaße'9 : "(... ) unseren Glauben an die Grundrechte des Menschen, an Würde und Wert der menschlichen Persönlichkeit, an die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie von allen Nationen, ob groß oder klein, erneut zu bekräftigen."

Gleichberechtigung von Mann und Frau und Gleichberechtigung der Staaten, obwohl in einem Atemzug genannt, gehören ganz anderen Kategorien an, sind streng genommen unsystematisch, dogmatisch unsauber aneinander geknüpft. Dennoch hat die Verknüpfung programmatischen Gehalt. Es wäre einseitig, hier nur eine Relativierung der Menschenrechte durch das überkommene Souveränitätsdogma zu sehen. Zu bedenken ist vielmehr, daß die souveräne Gleichheit hier auf die Menschenrechte hin gedacht wird und insofern ein textlicher Ansatzpunkt ftlr ein instrumentales Souveränitätsverständnis vorliegt. Die souveräne Gleichheit ist notwendige Voraussetzung der Menschenrechtsrealisierung durch die Bürger auf dem jeweiligen Territorium ihres Staates. Dieses Verständnis war erkenntnisleitend ftlr die Appeals Chamber des Internationalen Straftribunals ftlr das ehemalige Jugoslawien im Fall Tadic (2. Oktober 1995): ,,A State-sovereignty approach has been gradually supplanted by a human-beingoriented approach ( ... ). If international law, while of course duly safeguarding the legitimate interests of States, must gradually turn to the protection of human beings, it is only natural that the aforementioned dichotomy (von großer Regelungsdichte im Bereich des internationalen und nur rudimentären Normierungen bezüglich des internen bewaffneten Konflikts, Anm. des. Verf.) shall gradually lose its weight."760

Die Menschenwürde ist die anthropologische Prämisse jeder politischen Gemeinschaft. Das gilt ftlr die staatlichen Verfassungen wie ftlr die Völkerrechtsordnung. Keine Gewalt ist souverän, über diese Prämisse zu verftlgen. Umgekehrt steht die Souveränität im Dienste der Menschenwürde, um ihre Durchset759 Dazu R. Wolfrum, in: B. Siroma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, 1991, Präambel, Rn. 6. 760 HRLJ 16 (1995), S. 437 ff., 458 (Ziff. 97); dazu C. Kreß, Friedenssicherung und Konfliktvölkerrecht an der Schwelle zur Postmoderne, in: EuGRZ 1996, S. 638 ff.

H. Die Souveränität der Staaten

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zung instrumental zu sichern. In diesem Kontext ist auch Art. 2 Nr. 7 ONCharta (Interventionsverbot, domestic jurisdiction clause) zu interpretieren. Die UN-Charta selbst und die zahlreichen internationalen Verträge zum Schutz der Menschenrechte machen deutlich, daß Menschenrechte nicht ihrem "Wesen nach zur inneren Zuständigkeit eines Staates" gehören, vielmehr aufgrund ihres Menschheitsbezugs übernational sind. 761 Die universelle Menschenwürde relativiert den Nationalstaat und ist Grundlage eines instrumentalen Souveränitätsdenkens. So wie die Souveränität dem Menschen dient, sichert sie auch menschliche Freiheit. b) Die freiheitssichemde Funktion des Souveränitätsdogmas Die Fragen nach der Legitimation des Staates und nach der Rechtfertigung staatlicher Souveränität gehören untrennbar zusammen. Wie dargestellt, muß sich der Staat von seinen Zwecken her rechtfertigen. Wesentliche Elemente sind die Sicherung der Freiheit, ein Mindestmaß an Daseinsvorsorge und die Durchsetzung von Wohlfahrtsinteressen. Diesen Staatszwecken ist die innere wie äußere Souveränität instrumental zuzuordnen762, die äußere vor allem, um das Staatsvolk vor Übergriffen anderer und damit kollektiv die Selbstbestimmung, mittelbar aber auch die individuelle Freiheitswahrnehmung zu schützen. Die freie Selbstbestimmung ist ein unverzichtbarer Faktor fl1r die Erhaltung der nationalen und kulturellen Identität. Das Staatsgebiet ist als Raum zur Realisierung von Freiheit zu schützen, um die freie VerfUgung des Staatsvolkes über 761 Zur historischen Entwicklung des Menschenrechtsschutzes und der sich wandelnden Interpretation von Art. 2 Abs. 7 SVN siehe Ph. Alston, The UN's Human Rights Record: From San Francisco To Vienna and Beyond, in: Human Rights Quarterly, Vol. I6 (1994), S. 375 ff., 376 f.; ähnlich M G. Schmidt, Kein stilles Dulden, in: Vereinte Nationen 1994, S. 7 ff., 7; Th. Buergenthal, Codification and Imp1ementation of International Human Rights, in: A. Henkin (ed.), Human Dignity. The Intemationalization of Human Rights, 1979, S. 15 ff., 16.; vgl. auch Ch. Tomuschat, Die Bundesrepublik Deutschland und die Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen, in: VN 1978, S. 1 ff., 8; H. Florettaifh. Ohlinger, Die Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen, 1978, S. 28; R. L. Bindschedler, Der Schutz der Menschenrechte und das Verbot der Einmischung, in: FS H.-J. Schlochauer, I 981, S. 179 ff., I82 ff.; B. Simma, Fragen der zwischenstaatlichen Durchsetzung vertraglich vereinbarter Menschenrechte, in: FS H.-J. Schlochauer, 1981, S. 635 ff., 635 f.; F. Ermacora, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, 1991, Art. 2 Ziff. 7, Rn. 20 ff., insbes. 26m. w. N.; A. Watts, The International Rute of Law, in: German Yearbook of International Law 36 (1993), S. 15 ff., 24; R. McCorquoda/e!R. Fairbrother, Globalization and Human Rights, in: Human Rights Quarterly 21 (1999), S. 735 ff., 739 f. 762 Zu diesem Ansatz vgl. A. Bleckmann, Zur Wandlung der Strukturen der Völkerrechtsverträge - Theorie des muttipolaren Vertrages, in: Archiv des Völkerrechts 34 (1996), s. 218 ff., 219.

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Dritter Teil: Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbürgR

die natürlichen Ressourcen, um die freie Gestaltung seines politischen und wirtschaftlichen Systems zu sichem. 763 Das aber umschreibt einjinales, zweckgebundenes Souveränitätsverständnis, das nicht vom Staat, sondern von der Freiheit aller die politische Gemeinschaft konstituierenden Menschen ausgeht. Deshalb greift die äußere Souveränität nicht mehr, wo die Staatsmacht die Freiheitssphäre der eigenen Staatsbürger unerträglich und ohne Rechtfertigung einschränkt. Der staatliche Raum der Eigenverantwortung, der durch das Souveränitätsprinz~, korrespondierend durch das Gewalt- und Interventionsverbot geschützt wird 64, ist ein Raum selbstbestimmter Freiheit: kollektiv im Sinne des Volkes, das sich seine Verfassung gibt und seine Verfassung lebt, individuell hinsichtlich jeden einzelnen Bürgers, der von seiner Freiheit Gebrauch macht. Souveränität ist immer rechtlich gebundene, verantwortliche Souveränität, die nicht mehr allein mit dem Staatsfundamentalzweck Sicherheit in Zusammenhang gebracht werden darf, da sich in ihm gleichermaßen Legitimationsgrundlage und Zweckbegrenzung fmden. 765 Sie legitimiert sich darüber hinaus aus allen Aufgaben des Staates, auch seiner Pflicht zur Freiheitsgewährleistung und damit zur Menschenrechtsverwirklichung. Der dienenden Souveränität sind die universalen Menschenrechte vorgegeben766 • Das gewandelte Souveränitätsverständnis zeitigt schließlich auch Folgen filr die Interpretation völkerrechtlicher Konventionen. Der überkommene Auslegungsgrundsatz, daß Verträge im Zweifel zugunsten der Souveränität der Unterzeichnerstaaten restriktiv zu interpretieren sind, daß die Wahrung der Souveränität als immanentes Vertragstelos immer mitgedacht werden muß, gilt so nicht mehr uneingeschränkt. 767 Er macht nur innerhalb einer reinen Zwischenstaatenordnung Sinn, nicht aber in Konventionen, in denen sich die Staaten auch gegenüber den Individuen verpflichten und ihnen Rechte verleihen bzw. 763 Th. van Boven, Menschenrechte: Möglichkeiten und Grenzen der Vereinten Nationen, in: VN 1979, S. 95 ff., 96. 764 Ch. Tomuschat, Der Verfassungsstaat im Geflecht der internationalen Beziehungen, VVDStRL 36 (1978), S. 7 ff., 10. 765 Dazu J P. Müller, Wandel des Souveränitätsbegriffs im Lichte der Grundrechte, in: Symposion L. Wildhaber, 1997, S. 45 ff., 61 ff.; P. Kirchhof, Der Staat als Organisationsform politischer Herrschaft und rechtlicher Bindung, DVBI. 1999, S. 637 ff., 639. 766 Vgl. K. Stern, Idee der Menschenrechte und Positivität der Grundrechte, in: HdBStR, Bd. V, 1992, § I 02, Rn. 48; P. Kirchhof, Der demokratische Rechtsstaat - die Staatsform der Zugehörigen, in: ebd., Bd. IX, 1997, § 221 , Rn. 61, 63; ders., Der Staat als Organisationsform politischer Herrschaft und rechtlicher Bindung, DVBI. 1999, S. 637 ff., 650 ("freiheitsrechtliche Beschränkung der Staatsgewalt"). 767 Vgl. F. Ermacora, Allgemeine Staatslehre, 2. Teilband, 1970, S. 743.

I. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker

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die Achtung überpositiver Rechte garantieren. Für die völkerrechtliche Auslegung ist eine neue Maxime gefordert: nicht allein die souveränitätskonforme, sondern die menschenrechtskonforme, menschenrechtsfreundliche Auslegung. Der Schutz der Freiheitssphäre des Menschen ist das immanent mitzudenkende Vertragstelos.

I. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker Dem Selbstbestimmungsrecht der Völker kann nur ein abschließender Seitenblick zukommen. Es ist in IPbürgR und IPwirtR nicht in der Präambel erwähnt, sondern übereinstimmend in Art. 1 defmiert. Das Selbstbestimmungsrecht ist aber ein typisches Kollektivrecht oder "Solidaritätsrecht" der dritten Generation und damit ein Fremdkörper in den Pakten, die vorwiegend die typischen Individualrechte der ersten und zweiten Generation garantieren.768 Es gab daher durchaus Bestrebungen, das Selbstbestimmungsrecht ähnlich wie die Menschenpflichten aufgrund der geringeren normativen Bindungskraft nur in der Präambel zu garantieren. Durchgesetzt hat sich eine andere Lösung. Das Selbstbestimmungsreche69 erscheint, als eigenständiger Teil I gefaßt und in bewußter Nähe zur Präambel, nicht im Katalog der Menschenrechte (Teil III) und auch noch vor den allgemeinen Bestimmungen in Teil II. Das verrät die Unsicherheit über die Rechtsnatur des Selbstbestimmungsrechts und deutet darauf hin, daß es nicht ohne weiteres als Menschenrecht qualifiziert werden sollte. 770 Gedacht war auch eher an die Staatsvölker etablierter Staaten im Sinne der klassischen Drei-Elemente-Lehre und an die ehemals abhängigen Kolonien, in denen selbständige Staatsvölker entstehen sollten, nicht aber an religiöse, ethnische oder sprachliche Minderheiten.771 Interessant ist in vorliegendem Zusammenhang aber vor allem die Präambelnähe. Die Art und Weise, wie das Selbstbestimmungsrecht formuliert ist, macht es zu einer Brückennorm sui generis, die zwischen der Präambel und dem Hauptteil des Vertrages steht. Es

768 Dazu K. J. Partsch, Menschenrechte und "Rechte der Völker", in: VN 1986, S. 153 ff., 155 f., 157 f.; M. Nowak, Inhalt, Bedeutung und Durchsetzungsmechanismen der beiden UNO-Menschenrechtspakte, in: W. Kälin u.a. (Hrsg.), Die Schweiz und die UNO-Menschenrechtspakte, 2. Aufl. 1997, S. 3 ff., 16. 769 Dazu R. Streinz, Selbstbestimmungsrecht, Volksgruppenrecht und Minderheitenschutz im Völkerrecht der Gegenwart, in: Literatur-Spiegel Nr. 36/1992, S. 1 ff. 770 K. J. Partsch, Menschenrechte und "Rechte der Völker", in: VN 1986, S. 153 ff., 157. 771 Ebd.

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Dritter Teil: Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbOrgR

hat zwar stärkere Bindungskraft als die Präambel, erscheint aber doch gegenüber den in Teil III positivierten Individualrechten als ein abgestuftes Weniger.

J. Die Universalität der Menschenrechte I. Bestandsaufnahme

Der schon einleitend bei methodischen Grundlegungen aufgeworfenen Frage nach der Universalität der Menschenrechte772 sei eine in offiziellen Erklärungen und Beteuerungen von Staaten und Regierungen unbestrittene und vielleicht gerade deshalb manche Zweifel provozierende These vorangestellt. Sie lautet: Das Menschenrechtsthema ist längst universell, kein Staat der internationalen Gemeinschaft kann sich ihm entziehen oder wollte bestreiten, daß der Respekt vor den elementaren Rechten des Menschen seine Herrschaft erst legitimiert und friedenssichernde Aufgabe der gesamten Menschheit ist. 773 Doch bleibt solche Menschenrechtsrhetorik höchst ambivalent. Die politische Wirklichkeit in vielen Staaten widerspricht ihr, macht aus einem Schlüsselbegriff politischen, ethischen und rechtlichen Denkens ein bloßes Lippenbekenntnis. Schnell argumentiert ein menschenrechtsverletzendes Regime mit kulturellen Eigentümlichkeiten, nationalen Interessen, dem Nichteinmischungsgebot und seiner Souveränität. Aber nichtsdestoweniger bezeugt auf dialektische Weise auch die Flucht in offensichtlich unglaubwürdige Beteuerungen letztlich doch die universelle moralische Autorität der Menschenrechts772 Das Schrifttum ist hier kaum mehr zu überblicken: Grundlegend L. Kühnhardt, Die Universalität der Menschenrechte, 1987; vgl. auch F. Ermacora, Allgemeine Staatslehre, 2. Teilband, 1970, S. 731 ff.; Ch. Tomuschat, Is Universality of Human Rights Standards an Outdated and Utopian Concept?, in: Gedächtnisschrift Ch. Sasse, Bd. 2, 1981, S. 585 ff.; K. Stern, Staatsrecht, Bd. IIUI, 1988, S. 209 ff.; W. v. Simson, Überstaatliche Menschenrechte: Prinzip und Wirklichkeit, in: FS K. J. Partsch, 1989, S. 47 ff., 50 ff.; H. Bielefeldt, Menschenrechte und Menschenrechtsverständnis im Islam, in: EuGRZ 1989, S. 489 ff., 490 ff.; J. Rüsen, Theorieprobleme einer vergleichenden Universalgeschichte der Menschenrechte, in: FS ftlr H.-U. Wehler, 1991, S. 58 ff.; A. B. Fields!W.-D. Narr, Human Rights as a Holistic Concept, in: Human Rights Quarterly, Vol. 14 (1992), S. I ff.; R. Higgins, Problems and Process, 1994, S. 96 ff.; Ph. Alston, The UN's Human Rights Record: From San Francisco To Vienna and Beyond, in: Human Rights Quarterly, Vol. 16 (1994), S. 375 ff., 380 f., 382 ff.; H. Maier, Wie universal sind die Menschenrechte?, 1997; E. Klein, Universeller Menschenrechtsschutz-Realität oder Utopie?, in: EuGRZ 1999, S. 109 ff., 109 f. Vgl. auch den parallelen Argumentationstopos einer "Universalität des Rechtsstaates", z.B. H. Hofmann, Geschichtlichkeit und Universalitätsanspruch des Rechtsstaates, in: Der Staat 34 (1995), S. I ff. 773 L. Kühnhardt, Die Universalität der Menschenrechte, 1987, S. 387.

J. Die Universalität der Menschenrechte

329

idee. Gleich, welche machtpolitischen Ziele ein Staat verfolgt, von welcher Ideologie er bestimmt ist und wie er das Verhältnis zu seinen BOrgern defmiert, so will er schon aus Eigeninteresse auf Dauer die Geltungskraft der fundamentalen Rechte und Freiheiten nicht bestreiten. Nur so kann er der inneren und äußeren Kritik an der fehlenden Legitimität seiner staatlichen Ordnung begegnen und sich die Option zur Zusammenarbeit in der internationalen Gemeinschaft offenhalten sowie einmal verhängte Wirtschaftssanktionen überwinden und seine Isolation verhindern.774 Die weltweit anerkannte moralische Autorität des Bekenntnisses zu den Menschenrechten ist erster Ansatz ftlr die Frage nach ihrer Universalität. Dabei wird deutlich, daß es nicht nur um die naturhaft vorgefundene Universalität geht - so wichtig diese als Fiktion und Erklärungsmodell ist und hier im Kontext vieler Stichworte, z.B. Prinzipiencharakter des Rechts, MenschenwUrde etc., diskutiert wurde. Die Universalität ist aber zu einem mindestens ebenso großen Teil eine kulturelle Leistung der Staatengemeinschaft, geschaffen durch Vertrag, geschaffen als Ergebnis politischer Auseinandersetzung.775 Die textliche Bestandsaufnahme zum Thema der Universalität sei auf zwei exemplarisch herausgegriffene Textbelege beschränkt. Ergänzend müssen die oben unter E. I. aufgelisteten Beispiele zum MenschenwUrdetopos bei der Universalitätsproblematik stets mitgedacht bzw. mitgelesen werden. Hier nun bewußt ein außereuropäischer "Einstiegstext'', um dem oft voreilig erhobenen Vorwurf eines unreflektierten Eurozentrismus zu entgehen. Die Bangkok Declaration zeugt vom Menschenrechtsverständnis der asiatischen Staaten: "{... ) recognize that while human rights areuniversal in nature, they must be considered in the context of a dynamic and evolving process of international norm-setting, bearing in mind the significance of national and regional particularities and various historical, cultural and religious backgrounds."776

Die Universalität der Menschenrechte war auch zentrales Thema der nahezu alle Völker und Nationen an einen Verhandlungstisch fllhrenden Wiener Welt-

Vgl. ebd. Zu diesem Aspekt aus der Perspektive der deutschen Verfassungsgeschichte H.-P. Schneider, 50 Jahre Grundgesetz, NJW 1999, S. 1497 ff., 1499 ("Verfassungskämpfe"). Zum prägenden Einfluß der europäischen Rechtskultur auf den internationalen Menschenrechtsschutz S. U Pieper, "The Clash of Civilizations" und das Völkerrecht, in: Rechtstheorie 29 ( 1998), S. 331 ff., 342 ff. 776 Zit. nach Ph. Alston, The UN's Human Rights Record: From San Francisco To Vienna and Beyond, in: Human Rights Quarterly, Vol. 16 (1994), S. 375 ff., 382. 774 775

330

Dritter Teil: Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbürgR

konferenz im Jahre 1993.777 Dort wurde eine weitgehende Absage an jede kulturelle, historisch oder religiös bedingte Relativierung der fundamentalen Menschenrechte erteilt. Die Vienna Declaration, § I, lautet: "The World Conference on Human Rights reaffirms the solemn commitment of all States to fulfill their obligations to promote universal respect for, and observance of, all human rights and fundamental freedoms for all in accordance with the Charter of the United Nations, other instruments relating to human rights, and internationallaw. The universal nature ofthese rights and freedoms is beyond question." m

II. Der Theorierahmen 1. Die Universalität elementarer Unrechtserfahrungen

Die Arbeit hat eines schon mehrfach gezeigt: Die historische Genese der Menschenrechte ist in hohem Maße mit westlichem Gedankengut verbunden, vor allem mit den demokratischen Revolutionen des ausgehenden 18. Jahrhunderts in Amerika und Frankreich. Aber dennoch besteht keine ausschließliche Verknüpfung mit westlichen Traditionen. Die Universalität der Menschenrechte besteht vielmehr in elementaren Unrechtserfahrungen und Gefährdungen des Individuums, die allen Menschen, die der gesamten Menschheit ohne Rücksicht auf kulturelle, wirtschaftliche und politische Besonderheiten gemeinsam sind. 779 Auf diese Erfahrungen nimmt die Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte Bezug, wenn sie "Akte der Barbarei" generell verurteilt. Die so verstandene Universalität ist zunächst anthropologisch begründet. Sie muß dann in kulturellen Wachstums- und Entwicklungsprozessen realisiert, vor allem kommunikativ immer neu geschaffen werden.

777 Dazu H.-J. Bartsch, Die Entwicklung des internationalen Menschenrechtsschutzes 1991- 1993, NJW 1994, S. 1321 ff.; R. Wolfrum, Die Entwicklung des internationalen Menschenrechtsschutzes, in: EA 1993, S. 681 ff. 778 UN Doc. NConf. 157/22 of July 6 1993. Deutsche Fassung in: EuGRZ 1993, S. 520 ff. 119 H. Bielefe/dt, Menschenrechte und Menschenrechtsverständnis im Islam, in: EuGRZ 1989, S. 489 ff., 491; W. Brugger, Stufen der Begründung von Menschenrechten, in: Der Staat 31 (1992), S. 19 ff., 21; W. Huber, Die tägliche Gewalt. Gegen den Ausverkauf der Menschenwürde, 1993, S. 7 ff.; H. Hofmann, Geschichtlichkeit und Universalitätsanspruch des Rechtsstaates, in: Der Staat 34 (1995), S. I ff., 27 ("Universalismus aus gemeinsamer Erfahrung").

I. Die Universalität der Menschenrechte

331

2. Die Vor- bzw. Überstaatlichkeil universeller Menschenrechte

Die Universalität gemeinmenschlicher Unrechtserfahrungen ebenso wie die Universalität der MenschenwUrde hat ein "vorstaatliches" und damit zugleich "überstaatliches" Element.780 Sie relativiert die Staatlichkeit und bindet zugleich jede politische Gemeinschaft an die Menschenrechte. Die Universalität ist ein Zugleich aus Vorfmdlichem und Vorgegebenem auf der einen, erst zu Schaffendem und immer neu Aufgegebenem auf der anderen Seite. Hier die Menschenwürde als überkultureller Wert, dort das positive Recht, das aus kulturellen Entwicklungsprozessen entstanden und dergestalt in den Konventionen vereinbart worden ist. So ist also auch die Universalität etwas "Kulturelles", nicht nur die Relativität oder Partikularität, die nach gängiger Diskussion mit diesem Attribut versehen wird. Das heißt im einzelnen: 3. Die Universalität als Ergebnis kultureUer Entwicklungsprozesse

Die Universalität ist nicht allein in dem Sinne zu verstehen, daß sie ein idealiter gedachtes, per defmitionem jeder Kodifikation vorgegebenes und damit universelles Natur- bzw. Vernunftrecht aufdeckt. 781 Erst in wechselseitiger Rezeption werden positive Standards geschaffen, die von allen akzeptiert werden können. Die Universalität setzt dabei voraus, daß ein im Wesentlichen gemeinsames Menschenbild entwickelt und unumkehrbar gemacht wird. 782 Sie hat allein in der Menschenwürde ihren ersten und ihren letzten Grund. Die Universalität, die das Völkerrecht allgemein und insbesondere mit Blick auf die Menschenrechte verwirklichen will, muß kooperativ sein.783 Sie impliziert freiwillige Kooperation, gemeinsame Verantwortung, gemeinsame Aufgabenwahrnehmung, Kommunikation und Dialog784• Über die Universalität

780 S. E. Denninger, Das Verhältnis von Menschenrechten zum positiven Recht, JZ 1982, S. 225 ff., 227; R. Higgins, Problemsand Process, 1994, S. 96 f. 781 Klassisch fUr die amerikanische Theorie: R. Pound, The Revival of Comparative Law, in: Tulane Law Review V (1930), S. I ff., 9, II ("comparative law as declaratory of natural law"). 782 W. v. Simson, Überstaatliche Menschenrechte: Prinzip und Wirklichkeit, in: FS K. J. Partsch, 1989, S. 47 ff., 65. 783 Zur Abgrenzung von "kooperativer" und "imperialistischer" Universalität aus Sicht der Gründerjahre der UN siehe G. Schwanenberger, Machtpolitik, 1954, S. 247 ff. 784 Vgl. H. Hofmann, Geschichtlichkeit und Universalitätsanspruch des Rechtsstaates, in: Der Staat 34 (1995), S. I ff., 29.

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Dritter Teil: Das Menschenrechtsprogramm der Präambel des IPbUrgR

wurde verhandelt, sie ist Ergebnis vertraglicher Übereinkunft. 785 Dieser Aspekt kooperativer Realisierung hilft, die Trennung Universalität - kulturelle Relativität, die allein auf die EntstehungsgrUnde begrenzt ist, zu überwinden.786 Die Universalität der Menschenrechte ist kein Zustand, sondern ein kontinuierlicher Prozeß, ein beständiges Werden. 4. Grenzen - die Universalität und Partikularität der Menschenrechte

Aus diesem Prozeß heraus werden die Grenzen der Universalität greifbar. Sie kann sich nur in einem kulturgeprägten Raum realisieren. Wie die Menschenrechte gelebt und interpretiert werden, hängt vom kulturellen Vorverständnis ab. Doch das macht die Menschenrechte als solche nicht kulturell relativ, sondern in ihrer Ausgestaltung und Realisierung partikulär. Der Terminus der kulturellen Relativität als Gegensatz zur Universalität ist zu verabschieden, da er jedenfalls implizit verdunkelt, daß auch die Universalität eine kulturelle Leistung ist. Was der Idee nach universell, dem Menschen seiner Natur nach wesenhaft ist, wird partikulär positives Recht in einem konkreten kulturellen Raum und einer konkreten historischen Wirklichkeit.

785 Ch. Tomuschat, ls Universality of Human Rights Standards an Outdated and Utopian Concept?, in: Gedächtnisschrift Ch. Sasse, Bd. 2, 1981, S. 585 ff., 587. 786 Dazu siehe R. Wolfrum, Die Entwicklung des internationalen Menschenrechtsschutzes, in: EA 1993, S. 681 ff., 683 f.; Ph. Alston, The UN's Human Rights Record: From San Francisco To Vienna and Beyond, in: Human Rights Quarterly, Vol. 16 (1994), s. 375 ff., 383.

Vierter Teil

Zusammenfassung I. Die multifunktionalen Menschenrechte sind die freiheitsverbürgende Antwort auf universelle Unrechtserfahrungen. Ihre Dogmatik und ihre Interpretation ist in gleichem Maße durch die historische Entwicklung, die soziale Wirklichkeit und konkrete sozialethische Wertungen bedingt. Die Menschenrechtsdogmatik muß daher von vornherein offen gedacht und aus der Fülle der sie speisenden, oft heterogenen Theorieelemente entwickelt werden. Dazu bedarf es multidisziplinärer Forschungszugänge und eines übergreifenden kulturwissenschaftlich fundierten Völkerrechtsverständnisses (Erster Teil, A.). Die Analyse der Menschenrechte kann in einer sich schrittweise konstituierenden Völkerrechtsgemeinschaft von den Vertragstexten ausgehen und muß diese zugleich vor dem Hintergrund einer sich beständig wandelnden Wirklichkeit begreifen (Erster Teil, B. und C.). Um den Gehalt der Menschenrechtsverbürgungen in einer weltweiten Rezeptionsgemeinschaft zu verstehen, ist die Rechtsvergleichung - auch in die Zeitachse erweitert - unabdingbare Voraussetzung (Erster Teil, D.). Schließlich liefern die jeweils nationalen Staats- und Verfassungslehren der Völkerrechtslehre befruchtende Anstöße (Erster Teil, E.). Sie sollte dieses reichhaltige Theorieangebot auf dem noch relativ jungen und somit unsicheren Terrain des internationalen Menschenrechtsschutzes aufgreifen und produktiv fortschreiben. Einigendes Band aller Ansätze ist letztlich die Kultur der Menschenrechte. Der überkommene Antagonismus von Universalität auf der einen, kultureller Relativität auf der anderen Seite liefert dabei ein verzerrtes Bild. Das jeweils kulturell Eigene und Eigenständige verleugnet nicht den in der Menschenwürde gründenden universellen Geltungsanspruch der Menschenrechte, sondern dient vielmehr der Übersetzung fiktiver vorstaatlicher bzw. natürlicher Freiheit in den konkreten Kulturzustand einer bestimmten Staats- und Gesellschaftsordnung. 2. Die Präambel des IPbürgR erweist sich als wichtige textliche Grundlage, um nachzuweisen, was eine globale Kultur der Menschenrechte ausmacht. Anband des Präambeltextes läßt sich das wechselseitige Zusammenspiel der verschiedenen, ftlr sich genommen nur relativen Theorieelemente internationalen Menschenrechtsschutzes nachzeichnen. Ein solches Verstehen ist Voraussetzung jeder Menschenrechtsdogmatik, wenn sie der Menschenrechtsinterpretation rational kontrollierbare Maßstäbe vorgeben, so neben den internationalen

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Vierter Teil: Zusammenfassung

Kontrollinstanzen auch das Handeln aller drei staatlichen Gewalten anleiten und schließlich zukünftige Entwicklungen planvoll steuern will. Die Vertragspräambel ist deshalb nicht nur in ihren normativ verbindlichen Gehalten, sondern darüber hinaus in all ihren spezifischen Funktionen von Bedeutung: sie ist in Sprache und Form die Schauseite des Vertragswerkes und ringt um die Integration der Vertragsadressaten (Zweiter Teil, B. II. und III.). Sie ist Interpretationsanleitung (Zweiter Teil, B. IV. 2.) der folgenden vertraglichen VerbOrgungen und ebenso Ort werthaltiger Bekenntnisse der Vertragsstaaten, sie verbindet kognitive und voluntative Elemente und versteht sich schließlich als Mittlerin in der Zeit. Präambeltexte suchen die historisch-ideengeschichtliche Selbstvergewisserung und wollen zugleich in einem Spannungsfeld von Erfahrung und Erwartung Zukunftsentwurfsein (Zweiter Teil, B. IV. 3.). 3. a) Die Präambel des IPbürgR entfaltet ein umfassendes Menschenrechtsprogramm, das die Menschenrechtsgarantien als integralen Bestandteil einer sich wenigstens in Teilbereichen verfassenden Völkerrechtsgemeinschaft ausweist (Dritter Teil). Der Pakt selbst ist ein "Verfassungsvertrag" (Dritter Teil, A.), der von der überpositiven Menschenwürde (Dritter Teil, E.) ausgeht und durch die Iex scripta seiner spezifischen Einzelverbürgungen, einer nationalen Verfassung ähnlich, staatliche Macht begrenzen und individuelle Freiheit ermöglichen will. So wird im Lichte der Präambel deutlich, was die anthropozentrische Wende im Völkerrecht meint: wie jede politische Gemeinschaft muß sich auch die Völkerrechtsgemeinschaft vom Menschen her konstituieren (Dritter Teil, B. III.). Einer solchen Völkerrechtskonzeption korrespondiert der Entwurf eines menschengerechten Staates (Dritter Teil, C.), dessen Herrschaft nur aufgrund seines dem Menschen dienenden Selbstverständnisses und seiner Verpflichtung auf die unveräußerlichen Menschenrechte legitim sein kann. b) Ein nicht zu unterschätzendes Defizit der Völkerrechtstheorie liegt darin, daß der Topos der internationalen Öffentlichkeit nur unzureichend behandelt wurde (Dritter Teil, D.). Auch ftlr das internationale Recht markiert die Öffentlichkeit einen Bereichs- und einen Wertbegriff. Sie wirkt aus dem kleineren, nationalstaatlich oder regional definierten Raum in die Weltebene hinein und wird dabei von einer Vielzahl staatlicher und nichtstaatlicher Kräfte getragen. Während die Präambel des IPbürgR die Öffentlichkeit nur immanent voraussetzt, ohne den Begriff explizit zu erwähnen, rückt sie den Menschenwürdetopos in den Mittelpunkt ihres Menschenrechtsprogramms. Die Menschenwürde ist anthropologische Prämisse (P. Häber/e) und Konstitutionsprinzip jeder staatlichen Gemeinschaft (Dritter Teil, E.). Von der Menschenwürde aus entfaltet die Präambel eine Prinzipientrias von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden (Dritter Teil, F.). Die Menschenrechte müssen in diesen Kontext eingeordnet werden. In der Freiheit von Furcht und Not finden sie ihre rechts- und sozialstaatliche Komponente. Sie sind konstitutive Voraussetzung der inneren und

Vierter Teil: Zusammenfassung

335

äußeren Friedensordnung und Elemente eines materiellen Gerechtigkeitsbegriffs. c) Die Idee der Verantwortung (3. Teil, G), zurückgehend auf das "Prinzip Verantwortung" von H Jonas, kann auch fUr das Völkerrecht nutzbar gemacht werden. In der Verantwortung fUr das gemeinsame Natur- und Kulturerbe und ftir die nachhaltige Entwicklung fmdet sie konkrete Ausprägung. Im Bereich des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes sind die Staaten zunächst in die Verantwortung genommen, die Menschenrechte zu ftSrdem, was ihre aktive, freiheitssichemde und freiheitsgestaltende Rolle voraussetzt. Die Menschenrechte als Erziehungsziele (Dritter Teil, G. II. 2. e) und die Menschenpflichten (Dritter Teil, G. II. 3.) verweisen auf weitere Dimensionen völkerrechtlicher Verantwortung und auf die Sozialgebundenheit jeder Freiheitswahmehmung. Stichworte sind der Du-Bezug, die Brüderlichkeit, der Kommunitarismus und die aktive Bürgergesellschaft Die Menschenpflichten werden zu einer kulturellen Brücke zwischen westlichen und nicht-westlichen Denktraditionen (Dritter Teil, G. II. 3. c). d) Der durch die Menschenrechte bedingte Paradigmenwechsel im Völkerrecht wird am deutlichsten bei der Frage staatlicher Souveränität sichtbar (Dritter Teil, H.). Zwar bleibt der souveräne Nationalstaat weiterhin der wichtigste Garant universeller Menschenrechte, aber der klassische Souveränitätsbegriff ist relativiert und muß funktionsspezifisch neu defmiert werden. Die Souveränität hat wie der Staat nur eine instrumental dem Menschen dienende und seine Freiheit sichemde Funktion, ist weder absolute Größe noch Selbstzweck. Der kooperative Verfassungsstaat fordert dezentralisierte teilsouveräne Ordnungen nach dem Kompetenzverteilungsmodell, fUr das der Bundesstaat einerseits, supranationale Institutionen wie die EU andererseits typusprägend wirken. In Sachen universeHe Menschenrechte kann die internationale Gemeinschaft die Defmitions- und Durchsetzungsmacht (mit-)beanspruchen und wird insoweit selbst "teilsouverän". Die Universalität der Menschenrechte schließlich ist nicht als ein Zustand, sondern als beständiges Werden, als kultureHer Prozeß zu begreifen (Dritter Teil, J. II. 3.). Der Begriff der kulturellen Relativität der Menschenrechte ist irreftlhrend und soHte durch den Terminus der Partikularität ersetzt werden (Dritter Teil, J. Il. 4.). Letzterer verweist nämlich darauf, daß die universelle Idee der angeborenen und unveräußerlichen Menschenrechte nur Fiktion ist, die in einem kulturgeprägten Raum und einer konkreten historischen Wirklichkeit der Umsetzung bedarf.

23 Kotzur

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consensus 128, 321 siehe auch Konsens, Konsensprinzip "core human rights treaties" 157 Daseinsvorsorge 2, 45, 230, 246 f., 257, 266,270, 279,283,325 Dekolonisierung 299 Demokratie - allgemein 35, 43, 54, 57, 73, 138, 157, 169, 173, 179, 186,218 - Demokratieprinzip 96 - Demokratietheorie 181, 206 - Reformdemokratie 283 - Selbstverständnis junger Demokratien 176 ff. Denktraditionen im Völkerrecht 138 ff. Digesten 63 Diskurs, diskursive Legitimität 125 ff., 170, 180, 187, 192 f., 216,260, 289 dispositio 62 Ebenentrias 50 Effektivität, Effektivitätsprinzip 8, 40, 47, 108, 194, 236 ff., 270 Eklektizismus Entwicklung, nachhaltige siehe sustainable development Entwicklungsgemeinschaft siehe Gemeinschaft Entwicklungsländer 9 ff, 30 ff., 153 Entwicklungspolitik 43, 288 equity 255 Erfahrungswissenschaft, erfahrungswissenschaftlicher Ansatz 33, 37 ff., 65, 84 f., 111, 181 f. erga-omnes-Wirkung 131 f. Erkenntnisformel 99 ff. Erziehungsprogramm 299 Erziehungsziele 4, 209, 241, 298 ff., 335 siehe auch Menschenrechtserziehung Europäische Menschenrechtskommission 133

Sachregister Europäische Menschenrechtskonvention von 1950 (EMRK) 42, 50, 53, 218, 293 f., 306 f. Europäische Union (EU), auch Europäische Gemeinschaften 57, 154, 156, 160 f., 164, 179,204,268,218 Ewigkeitsklausel232, 238 Exekutive 202 f. Faschismus 142 FörderungsklauseVFörderungspflicht 284 ff. Form und Inhalt 65 ff. Französische Erklärung der Menschenund Bürgerrechte aus dem Jahre 1789 56,95 Freiheit - Begriff 242 ff. - Freiheit von Furcht 248 ff. - Freiheit von Not 246 ff. - Freiheitsvorsorge 246, 270 f., 282, 297 - kulturelle Freiheit 242 - Meinungsfreiheit 245 - öffentliche Freiheit 181 - Religionsfreiheit 245 - Vier Freiheiten (Four Freedoms) nach dem Entwurfvon US- Präsident F. D. Roosevelt 243 ff. Freiheitsrechte siehe Menschenrechte Frieden - Frieden und Menschenrechte 258 ff. - Friedensbegriff 258 ff. - Friedensbund (foedus pacificum) 137, 256 - Friedensgemeinschaft 141 - Friedensordnung 136, 215, 257 - Friedenspolitik 160 - Friedenssicherung 4, 136, 144, 152, 160, 173, 184,215 - Friedensstaatlichkeit 262 f. - Friedensvertrag 73, 87, 137 f. - Friedensvorsorge 246 - Recht auf Frieden 244 f., 262, 267, 270,287 - Weltfriedensorganisation 168 - Westfälischer Frieden (1648) 139, 264,315,320 - "Zum ewigen Frieden" (1. Kant) 137, 148, 153, 262

365

Friendly Relations Declaration 144, 252, 260,265,272 GATT 161 Geisteswissenschaften 13, 17,213 Geltungssicherung 285, 292, 295 "Gemeineuropäisches Verfassungsrecht" 201 Gemeinschaft - Entwicklungsgemeinschaft 163, 235 - Friedensgemeinschaft 141, 262 - Gemeinschaft und Gesellschaft 152 ff. - Gemeinschaftsaufgaben 57, 117 - Gemeinschaftsbewußtsein 150 - Gemeinschaftsbildung 56 f., 136, 147, 148 ff., 157, 162, 274 - Gemeinschaftsgedanke 147 ff. - Gemeinschaftsinteressen 147, 162 ff. - Gemeinschaftswesen 112 - internationale Gemeinschaft 2, 11, 38, 40, 42, 47, 50, 76, 101, 116, 171 ff. - multireligiöse Gemeinschaft 74 - politische Gemeinschaft 2, 30, 47, 106, 121 ff., 136, 223 - Rechtsgemeinschaft 84, 91, 110, 138, 141, 155, 172, 235 - sich verfassende Gemeinschaft 4, 67, 138, 142, 146, 157 - Staatengemeinschaft 2, 38, 41, 43, 49, 97, 117, 124, 132, 174, 207, 247, 317 ff. - verfaßte Gemeinschaft 137, 146 ff., 190, 197,262 - Völkergemeinschaft 11, 25, 55, 120, 126, 131 f., 141, 150 ff., 250, 315 - Völkerrechtsgemeinschaft 26, 36, 52, 87, 89, 97, 101, 110, 130 ff., 144, 146 ff., 216 f., 313 - Weltgemeinschaft 9, 35, 42, 56, 64, 83, 87, 139, 176 f., 205, 260 - Wertegemeinschaft 185 - Wissenschaftlergemeinschaft 35, 38, 56 f., 190 Gemeinwohl 57, 130, 136, 147, 153, 180 f., 185 ff., 190,207,217,236, 249,252,266,270,279,288,309, 321 Generation - "Generationen" der Menschenrechte 56, 92, 145 f., 244, 248, 297, 327 - Generationenbindung 238

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Sachregister

- künftige Generationen 45, 72, 117, 123, 127, 136, 187, 247, 266, 269, 275 ff., 282, 321 Genozidkonvention 132 Gerechtigkeit 213 ff., 250 ff., 335 Geschichtlichkeit 112 f., 238 f. Gesellschaft - "Gesellschaft der zivilisierten Nationen" 140 - Gesellschaft im Umbruch 35, 102, 302 - Gesellschaftsordnung 18, 40, 168, 333 - Gesellschaftssysteme 121 - Marktgesellschaft 163 - Staatengesellschaft 88, 150 ff. - verfaßte Gesellschaft 2, 230 - (We1t-)Bürgergesellschaft 97, 135, 165, 172, 185, 206, 230, 242, 262, 276,281,335 - Weltgesellschaft 46, 164 - (We1t-)Gesellschaftsvertrag 122, 125, 168,320 f. Gesellschaftswissenschaften 19, 29 Gesetzgebungsmaterialien 69 Gewohnheitsrecht 9 f., 25, 68, 162, 214, 272 Globalisierung 44 ff., 153, 162, 184, 192, 204, 243, 246 f., 253, 278, 290, 310 Goldene Bulle (1356) 63 Gottesbezüge, Gottes-Klauseln 63 ff. Grund- und Menschenpflichten - allgemein 305 ff. - kulturelle Dimension der Pflichtenklausel 312 f. - Menschenpflichten als Orientierungswerte 309 ff. - Pflichtenbegriff 307 ff. Grundrechte - allgemein 12, 100, 127, 131, 143, 166, 218,220,265,269,279,308,324 - grundrechtliche Schutzpflichten 279 - Grundrechtsdogmatik 181, 297 - Grundrechtskataloge 35, 274, 280 - Grundrechtslehren 119 - Grundrechtsstandards (nationale) 55, 89 Grundwerte 160, 166, 298 Heiligkeit der Verträge ("sacro sanctum") 75 Hermeneutik 25 ff., 36, 66 Herrschaft des Rechts 164 f.

Herrschaftslegitimation - allgemein 165 ff. - aus den Menschenrechten 174 ff. Hilfswissenschaften 14 human dignity 18 siehe auch Menschenwürde "human rights law" 49 Humanitäre Intervention 271 ff. Humanwissenschaften 14 Ideologie - allgemein 53, 74, 142, 216, 322, 329 - ideologische Weltbewegungen 208 IGH-Statut 8 ff., 30 ff., 48, 51, 96, 213, 231,255 Implementierung 257, 293, 295 Integrationsfaktor 160, 201 Integrationsfunktion 96 "Integrationswissenschaft" 57 International Bill ofRights 2 f., 143, 177, 214,241,248 International Law Commission (ILC) 26, 214 Internationaler Gerichtshof (IGH) 32, 50, 147,255,298,315 Internationalisierung 44, 168, 192, 278, 317f. Interventionsverbot 325 f. invocatio dei siehe Gottesbezüge Islam 42, 54, 183, 207 ius ad bellum 267, 314 Ius Publicum Europaeum 148, 235 iustitia commutativa 252 ff. iustitia distributiva 252 f. Judentum, jüdisch 121 Judikative 203 Kairoer Erklärung der Menschenrechte (1991)53 Kapitalismus 144, 246 Kasuistik 7 siehe auch "pragmatic approach" Kategorischer Imperativ (I. Kant) 66, 242,256,272,306,310 Kirchen 140, 207 f., 260 Klassikertexte 16, 29 ff., 92, 215, 220, 262,314 Kodifikation 101 ff. Koexistenz

Sachregister - allgemein 57, 67, 117, 150 f., 189 - Koexistenzvölkerrecht 152 ff., 163 Kolonialismus 10, 140, 243 Kommunikation - allgemein 26, 84, 88, 187 ff. 190 ff., 211,216,260,289,331 - Kommunikation in Sachen Menschenrechte 289 ff., 312 - Kommunikation und Emanzipation 290 - Kommunikationsgemeinschaft 126, 163 - Kommunikationsgesellschaft 44 - Kommunikationstheorie 190 - Kommunikationswissenschaften 182 Kommunismus 42, 53, 125, 139, 144, 208,322 Konkordat 61 f., 87 Konsens, Konsensprinzip 42, 52, 77, 86, 93, 127, 150, 186 Kontext 3 f., 6, 8, 24, 28 f., 37, 106, 119, 288 Kooperation - allgemein 19, 45 f., 57, 67, 115, 127, 156, 162, 165, 173, 188, 200, 206, 246 f., 266, 284 ff., 309, 331 - Kooperationsgemeinschaft 283 - Kooperationsoffenheit 262 - Kooperationsvertrag 318 - Kooperationsvölkerrecht 153 ff., 163, 280 Kosovo-Krieg 42 f., 210, 268, 271, 273 f., 283 Kultur - kulturelle Realisation 12 - Kulturgespräch 12, 30, 34, 126 - Kulturprodukt I 0, 52, 229 - Kulturvergleich 48, 51 ff. - Kulturvölker I 0 f., 48, 96 - Rechtskultur 12, 25 f., 36 f., 90, 108, 128,203,291,312 - Verfassungskultur siehe Rechtskultur kulturelle Identität 268, 301, 325 kulturelles Erbe 148, 268, 281 f. Kulturwissenschaften, kulturwissenschaftlicher Forschungs- und Interpretationsansalz in der Jurisprudenz 5, 6 ff., 20, 24, 39, 47, 51, 124, 333 Kunst, Künste 29, 62, 183,212,217

367

Law and economics 20 siehe auch ökonomische Analyse des Rechts Legal Realism 39 Legaldefinition 70 Legislative 202 Leistungsrechte siehe Menschenrechte Leitvorschrift 70 Lex Salica 63 Marktparadigma 44 Medien - allgemein 44, 76, 90, 184, 188, 191, 193, 202, 206, 209 ff., 321 - Massenmedien 209 ff. - Medienfreiheit 244 - Mediengesellschaft 90 - Medienöffentlichkeit 189 Mehrsprachigkeit 36 ff. Menschenbild 221, 230, 233, 241 f., 331 menschengerechter Staat 165 ff. Menschenpflichten siehe Grund- und Menschenpflichten Menschenrechte - Freiheitsrechte 41, 46, 85, 129, 145, 185,202, 242 ff., 267, 286, 297, 299, 311 - "Generationen" der Menschenrechte siehe Generation - Leistungsrechte 145, 248, 267, 269 f., 279 - multifunktionaler Menschenrechtsbegriff3 f., 157, 250, 270, 333 - Partikularität (kulturelle) 2, 5, 51, 84, 228, 331 ff. - Relativität (kulturelle) 5, 12, 51, 84, 331 ff. - Teilhaberechte 92, 244 - Universalität 2, 5, 12, 34, 42 ff., 51 f., 82 ff., 101, 126, 212, 257, 275, 290, 328 ff. Menschenrechtsaufgabe 270 Menschenrechtsdogmatik 1, 83, 248, 270, 296,333 Menschenrechtserziehung 205, 295, 298, 301 ff. siehe auch Erziehungsziele menschenrechtskonforme (menschenrechtsfreundliche) Auslegung 293, 327

368

Sachregister

Menschenrechtstheorie(n) l, 2, 22, 49, 51, 122, 254 MenschenwUrde - allgemein 4, 18, 36, 90, 122, 124, 128, 130, 13~ 149, 15~ 166, 17~211, 242, 260, 267, 272 f., 285, 299, 304, 307, 316 ff., 323 ff., 329, 331, 333 f. - als "anthropologische Prämisse" 226 f. - als Konstitutionsprinzip politischer Gemeinschaften 224 ff. - als normative Grundlage des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes 217ff. - MenschenwUrdeformeln (in Klassikertexten) 220 - MenschenwUrdeformeln (national-verfassungsstaatliche) 219 f. - MenschenwUrdeformeln (völkerrechtliche) 218 - naturrechtliche Wurzeln 221 ff. - Normativität der MenschenwUrdeformeln 230 ff. - Teleologie der MenschenwUrde 227 f. - Universalität 228 ff. Methodenpluralsimus 21 ff. Minderheitenschutz 43, 159, 258, 268 Montevideokonvention 178 Multidisziplinarität 3, 6ff., 14 ff., 19, 21 ff., 333 multipolarer Vertrag 132 ff. Nachbarwissenschaft 9 NAFTA 161 narratio 71, 77 Nationalsozialismus 63, 142, 168 Nationalstaat 2, 5, 18, 56 f., 153 ff., 192 ff., 247 f., 280 ff., 292 ff., 317 ff. NATO 43, 161 Naturrecht 13, 17, 141,221 ff., 253 Naturwissenschaften 20, 29 "New Haven School" 17, 149 Newly Independent States 177 Non-Gouvernemental-Organisation (NGO) 84, 194, 205 ff., 291 Normwissenschaft 9, 15 Öffentliche Meinung siehe Öffentlichkeit Öffentlichkeit, internationale - allgemein 180 ff.

-

Öffentlichkeit als "Bereichs-Begriff' 183 f. - Öffentlichkeit als "Wertbegrift'' 184 ff. - Öffentlichkeit und öffentliche Meinung 190 ff. - Öffentlichkeit und Wahrheitssuche 213 ff. - Öffentlichkeitsträger 195 ff. - Wirkungsebenen 194 f. Öffnungsklauseln 257, 293 f. ökonomische Analyse des Rechts 20 siehe auch law and economics Ombudsmann 186, 206, 295 Optimierungsgebot 286 Parteien, politische 184 f., 189, 191, 202, 204,281 Peinliche Gerichtsordnung (1532) 63 Planungscharakter völkerrechtlicher Verträge 126 ff., pluralis majestatis 89 "pluralis populi" 89 Positivismus 16 f., 27 f., 138, 148, 240 Präambel - Hauptteil 77 f. - normative Gehalte l 03 ff. - Präambel als Interpretationsanleitung 105 ff., 334 - Präambelbegriff 60 ff. - Schlußformel 78 - Zeitdimension siehe Zeit - Zukunftsentwurf der Präambel 114 ff. "pragmatic approach" 8, 39 Preußisches Allgemeines Landrecht (1794) 63 Prinzipienstruktur 66, 82 ff. Prooemium (Prooimion) 61 f. public powers 181 Quasi-Vertrag 320 Quelle siehe Rechtsquellen Rassismus 208, 289 Raum - Großraumordnung 142 - Kulturraum 23, 87, 332, 335 - öffentlicher Raum 186, 207 ff., 213 f. - Raum und Zeit 23, 28, 49, 85, 229

Sachregister Rechtsanwendungsbefehl29, 104, 261 rechtsberatende Berufe 204 Rechtsgespräch 54 ff., 203, 289 Rechtskultur siehe Kultur Rechtsquellen 8 ff., 30, 120 Rechtsvergleichung 4, 22, 28, 47 ff., 108, 333 Regionalorganisationen 20 l Reichsverfassung (1871) 63 "Reine Rechtslehre" 16, 24 Religionsgesellschaften 207 f. res publica 147, 185, 188, 262 Rezeption - allgemein 23, 28, 43, 49 f., 56 ff., 84, 127, 148, 244, 250 f., 295, 331 - Produktion und Rezeption 47 f. - Rezeption von Klassikertexten 29 ff. - Rezeptionsgemeinschaft 31, 37, 333 - Rezeptionsmodelle 31 ff. Reziprozitätsgrundsatz 88 f., 123 f., 132, 134, 253, 255, 288 Rhetorik 61, 64, 146, 188, 244 Risikovorsorge 45, 246, 297 rule oflaw siehe Herrschaft des Rechts Sacro sanctum siehe Heiligkeit der Verträge salus publica 185, 207 Schlußakte von Helsinki 179 Schöpfung 15 Schule von Salamanca 315 Selbstbestimmungsrecht 5, l 03, l 06, 174, 242, 249, 327 f. Selbstverpflichtungstheorie 129 ff. "society of communities in formation" 154 soft law 27, 50, 104, 198, 261 Solidarität 142, 263, 279, 288, 300, 303 f., 327 Sondervoten 33, 104, 197 Souveränität - allgemein 4 f., 90, 94 ff., l 08, 118, ll9, 142, 267,331 ff., 335 - äußere Souveränität 317 - Fürstensouveränität 69 - innere Souveränität 3 17 - instrumentales Souveränitätsverständnis 322 ff.

369

- Souveränitätsdogma 158, 189, 316 f., 324 f. - Souveränitätsgrundsatz 231 - souveränitätskonforme Auslegung 327 - Souveränitätskonzept 315 f. - Souveränitätslehre 119, 314 - Souveränitätsmodell 76 - Souveränitätsorientierung 82 - Souveränitätsrechte 161, 21 0, 254 - teilsouverän 319,335 - "Zwischen-Souveränitäten-Ordnung" 134, 189 Soziologie, soziologisch - allgemein 18, 21 f., 38 f., 149, 150 ff., 181 f., 190,313 - Herrschaftssoziologie (Max Weber) 169 ff. - soziologisch-empirischer Forschungsansatz221 - soziologischer Staatsbegriff 235 Sprache - Alltags-, Allgemein- und Umgangssprache 71, 79 ff. - bürgernahe Sprache 86 ff. - Fachsprache 65, 91 ff. - Feiertagssprache 93 - Hochsprache 93 ff. - Kunstsprache 65 - ordinary 1anguage analysis 80 ff. - Sprachebenen 78 ff. - Sprache der Diplomatie 98 ff. - Sprachenfreiheit 269 - Vertragssprache 36 f. - "völkernahe Sprache" 86 ff. Staat - Staatenanerkennung 177 ff. - Staatenberichtsverfahren 198 - Staatlichkeit 57, 76, 161, 174 ff., 183, 194,227,230,246,250,261, 281 , 296,319 ff., 331 - Staatsangehörigkeit oder -zugehörigkeit46, 86, 135, 161,229, 271, 312 - Staatsauffassung 2 - Staatsaufgaben 13, 117, 160, 165 f., 253,262, 280, 292 - Staatsbegriff 135, 235 - Staatsbild 4, 165 ff., 245 - Staatsgebiet 178, 315, 325 - Staatsideologie 74

370

Sachregister

-

Staatsziele, Staatszielbestimmungen 13, 115, 127, 166, 262 f., 274, 279, 285, 309 f. - Überstaatlichkeit 312, 331 - Weltstaat 140, 154, 158, 188 Ständiger Internationaler Gerichtshof (StiGH) 315 state responsibility siehe Verantwortung StiGH-Statut 11 Stimson-Doktrin 142 structural approach 286 Stückwerkreform 4 7 Subsidiarität 127, 268, 318 f. Supreme Court 25, 55, 106 f., 299 sustainable development 247, 283 Taillonsprinzip 124 Teilhaberechte siehe Menschenrechte Teilordnung 149,156,319 Textstufe(n) 74, 90, 175, 243 Textwissenschaften, textwissenschaftlicher Ansatz 25 ff. Titel und Überschrift 71 Totalitarismus, totalitär 35, 41, 51, 73, 90, 95, 102, 110, 113, 149, 176, 186, 192, 210 f., 216, 239, 243, 245, 249, 289,30~311 (,322 Treu und Glauben 27, 80 siehe auch bona fides Umwelt - Gipfel bzw. "Erklärung von Rio zu Umwelt und Entwicklung" 154, 197, 248,269 - Natur und Umwelt 74, 280 f. - Umweltabkommen 126 - Umwelterhaltung 288 - Umweltrecht 161, 275, 282 - Umweltschutz45, 87, 159, 160, 173, 275,281 UNESCO 208 f, 218,276,281,302 f. Ungleichzeitigkeit(en) 1, 37, 157 Universalismus Universitas Christiana 139 Unrechtserfahrung 143, 188, 226, 330 f., 333 Utopie 35, 42, 85, 90, 110, 115 f., 158 f., 173 f., 238

Value preference 13 Verantwortung - Aufgabenverantwortung 309 - Bürgerverantwortung 186, 250, 279 f., 306 - Erziehungsverantwortung 299 - "gemeinsame Verantwortung" 280 ff. - Gemeinwohlverantwortung 21 7 - globale Verantwortung 96, 117, 165, 241 - Letztverantwortung 318 - "Prinzip Verantwortung" 4, 274 ff. - Selbstverantwortung 279 f. - state responsibility 277 - Verantwortungsbegriff274 ff. - Verantwortungsethik 4, 275, 277 - Verantwortungsgemeinschaft 42, 97, 161, 164, 201, 218, 265 f., 291 ff., 295 - Verantwortungsklausel 73 ff. - Verwaltungsverantwortung 275 Verbände 185, 189, 191, 204, 279, 281, 302,321 Verfassung - verfassende Rahmenordnung 3, 288,

311

- verfaßte Gemeinschaft siehe Gemeinschaft - Verfassungsbegriff 135 (, 155 ff. - Verfassungsinterpretation, -auslegung 106,293 - Verfassungskultur siehe Kultur, Rechtskultur - Verfassungslehre 4, 30, 51, 56 f., 73, 92,103, 169,182,242,274,333 - Verfassungsrecht 26, 50, 56 f., 82 f., 86, 103, 105, 127, 175, 180,212,217, 220, 267, 269, 272, 274, 293 f., 308 f. - verfassungsrechtlicher Vertrag 61 - Verfassungsrechtsprechung 35, 106 - Verfassungsrechtswissenschaft 17 - Verfassungsvertrag 122, 134 ff., 334 Verpflichtungsklausel 288 Vertrag zugunsten Dritter 130 ff. Vertragsparadigma 120 ff., 255 Vertrauensschutz 255 Verwaltung 91, 104, 183, 203, 275, 278, 319 Virginia Bill ofRights 56, 99, 245, 310 Völkerbund 25, 41, 64, 137, 139 ff., 214f.,250,264,267,315

Sachregister Vorverständnis 6, 11, 20, 23, 28 f., 34, 36, 51, 65, 84, 93, 145, 197,211,221, 229, 233,235,332 Wahrheit - Offenbarungswahrheit 260 - Wahrheitsanspruch 100 ff., 186, 191 f., 208 ff., 238 - Wahrheitssuche 2 13 ff. Weimarer Reichsverfassung 63 Welterfahrung 21 0 Weltethos 13 Weltgesellschaftsvertrag 122, 320 f. Weltkultur, Weltkulturerbe 121, 159, 188,282 Weltliteratur (völkerrechtliche) 26, 183, 188, 212, 214 Weltrechtsprinzip 294 Weltstaat siehe Staat Weltwohl 186

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Wiener Vertragsrechtskonvention (WVK) 27 f., 36, 81, 93, 104, 108, 124, 135, 147 Wirklichkeistwissenschaften, wirklichkeitswissenschaftlicher Ansatz 3, 37 ff., 47, 100, 239 Wissenschaften als Öffentlichkeitsträger 213 Wissenschaftlergemeinschaft - siehe Gemeinschaft Zeit - allgemein 4, 14, 26, 28, 35, 48 ff., 77, 83,85,225,229,238,277,333 - "Jetzt-Zeit" 23 - Zeitdimension der Präambel, Zeitlichkeit und Überzeitlichkeit der Präambel 109 ff., 334 - Zeitlichkeit 112 Zivilreligion 176 Zukunftsgestaltung 239 ff.,